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JAHRBÜCHER
FÜR
NATIONALÖKONOMIE UND STATISTIK.
GEGRÜNDET VON
BRUNO HILDEBRAND.
HERAUSGEGEBEN VON
DR J. CONRAD, und D« L ELSTER,
PROF. IN HALLE A S., PROF. IN BRESLAU,
IN VERBINDUNG MIT
DR ED6. LOENING, und DR W. LEXIS,
PROF. IN HALLE A. S., TROF. IN GÖTTINGEN.
DRITTE FOLGE. ACHTER BAND.
ERSTE FOLGE, BAND I— XXXIV; ZWEITE FOLGE, BAND XXXV— LV ODER
NEUE FOLGE, BAND I— XXI 5 DRITTE FOLGE, BAND LXIII (III. FOLGE, BAND VIII).
JENA,
VERLAG VON GUSTAV FISCHKK.
1894.
Hb
5
ba.U5
Inhalt d. Bd. VIII. »ritte Folge (LXIII).
I. Abhandlungen.
Backhaus, Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. S. 321.
von Bortkewitsch, L., Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. S. 641.
Rarup, Job. und Gollmer, R., Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer nach dei
Erfahrungen der Lebensversicberungsbank f. D. in Gotha. S. 161.
Neumann, H, Die jugendlichen Berliner unehelicher Herkunft. S. ^36.
Rohrscheidt, Kurt von, Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbe-
freiheit. S 1, 481
Varges, Willi, Zur Entstehung der deutscheu Stadtverfassung. S. 801.
IL Nationalökonomische Gesetzgebung.
Das Reichsstempelgesetz vom 27. April 1894. S. 413
Puld, Ludwig, Das Gesetz über die Abzahlungsgeschäfte. S. 407.
Greiff, Die zweite Lesung des Entwurfes eines Bürgerlichen Gesetzbuches für dat
Deutsche Reich. S. 56, 232, 375, 550, 681.
Loening, Edgar, Reform der deutschen Armengesetzgebung. S. 570.
Mamroth, Karl, Die Beschränkungen der Parzellierungsfreiheit in Sachsen, Sachsen
Altenburg und Württemberg. S. 72.
Preufsisches Gesetz wegen Aufhebung direkter Staatssteuern. S. 858.
Preufsisches Ergänzungsteuergesetz. S. 866.
Wirtschaftliche Gesetze Oesterreichs im Jahre 1893. S. 880.
Wirtschaftliche Gesetzgebung des Deutschen Reiches im Jahre 1893. S. 880.
Wirtschaftliche Gesetzgebung der deutschen Bundesstaaten im Jahre 1893. S. 882.
III. Miszellen.
Bayerdörffer, A., Die Preise von Waren und Barrensilber in Hamburg. S. 603.
van der Borght, R., Die neueste Entwickelung der Gründungsthätigkeit in Deutsch-
land. S. 446.
Clark, F. C, Der Stand der Eisenbahnfrage in Californien. S. 434.
Die Preise des Jahres 1893 verglichen mit den Vorjahren. S. 441.
Diezmann, M., Englands Aufsenhandel im Jahre 1893. S. 600.
Derselbe, Der Aufsenhandel der Vereinigten Staaten im Rechnungsjahre 1893.
S 907.
Ergebnisse der Volkszählung vom 1. Dezember 1890 im Königreich Preufsen. S. 102.
IV
Inhalt.
H ecke], Max von, Die Fürsorge für die Arbeitslosen in England. S. 265.
Heiligenstadt, Carl, Die Gesellschaften mit beschränkter Haftung im Jahre 1893.
S. 97.
Lexis, W., Das Papiergeld der Zukunft. S. 249.
Derselbe, Die deutsche Silberkommission. S. 734.
Li ndenber g , G., Die Ergebnisse der deutschen Kriminalstatistik 1882 — 1892. S. 588, 714.
Preise in Preufsen. S. 730.
Selbstmordstatistik der wichtigsten Länder Europas. S. 430.
Sodoffsky, Gustav, Die Staats-Liegeuschaftssteuer in Kufsland. S. 244.
Wygodzinski, Willy, Die Allmenden in Baden. S. 416.
Zimmermann, Alfred, Die gesetzliche Regelung des Grunderwerbs in den eng-
lischen, französischen und holländischen Kolonien. S. 885
IV. Litteratur.
Abhandlungen ausdem s t a a t s w i s s e n sc h a f 1 1 ic h e n S e mi n ar zuStrafs-
b u r g. Heft XI. [Liudley M. Keasbey, <ler Nikaragua-Kanal.] (J. Partsch.) S. 135.
Adler, Sigmund, Eheliches Güterrecht und Abschichtungsrecht nach den ältesten
bayerischen Rechtsquellen. (Eduard Rosenthal.) S. 314.
Annual Report of the State Board of Arbitration for the year 1892. Idem
for the year 1893. (W. Sombart.) S. 144.
Brentano, Lujo, Ueber das Verhältnis von Arbeitslohn und Arbeitszeit zur Arbeits-
leistung. 2. Aufl. (R. Graetzer.) S. 118.
Uurlage, E, Die Pländung bei Personen, welche Landwirtschaft betreiben. Zugleich
ein Beitrag zur allgemeinen Lehre von den Pfändungsbeschränkungen. (A. Wirmin g-
haus.) S. 301.
Cantillon, Essai sur le commerce [Reprinted for Harvard University.] (Ludwig
Elster.) S. 619.
Dürkheim, Emile, De la Division du Travail social. (J. Lehr.) S. 122.
Festschrift zur Feier des 75 -jährigen Bestehens der Oldenburgisch en
Landwirtschafts-Gesellschaft. Hgg vom Centralvorstand. Bearbeitet
vom Generalsekretär Dr. W. Rodewald. (Backhaus.) S. 456.
Frankeustein, Kuno, Die Arbeiterfrage in der deutschen Landwirtschaft. Mit
besonderer Berücksichtigung der Erhebungen des Vereins für Sozialpolitik über die
Lage der Landarbeiter. (T h. F r h. v. d. Goltz.) S. 130.
Fuchs, C. J., Die Handelspolitik Englands und seiner Kolonien in deu letzten Jahr-
zehnten. [Schriften des Vereins für Sozialpolitik. 57. Bd.] (W. Lexis.) S. 607.
Gans-Ludassy, Julius von, Die wirtschaftliehe Energie. Erster Teil: System
der ökonomistischen Methodologie. (Emil Sax.) S. HO.
v. d. Goltz, Freih. T h., Die agrarischen Aufgaben der Gegenwart. (J. Conrad.)
S. 916.
Gumplovicz, Ludwig, Die soziologische Staatsidee. (H. Rehm.) S. 146.
Handelspolitik, Die, der Balkanstaaten Rumänien. Serbien, Bulgarien, Spaniens
und Frankreichs. Berichte und Gutachten, veröffentlicht vom Verein f. Sozialpolitik.
[Schriften des Vereins für Sozialpolitik. 51. Bd.] (W. Lexis.) S. 607.
Handelspolitik, Die, Nordamerikas, Italiens, Oesterreichs, Belgiens, der Nieder-
lande, Dänemarks, Schwedens und Norwegens, Rufslands und der Schweiz in den letzten
Jahrzehnten, sowie die deutsche Handelsstatistik in deu Jahreu 1880 — 1890. Berichte
und Gutachten, veröffentlicht vom Verein f. Sozialpolitik. [Schriften des Vereins für
Sozialpolitik. 49. Bd.] (W. Lexis.) S. 607.
Heyn, O., Papierwähruug mit Goldreserve für den Auslandsverkehr. Ein Mittel zur
Lösung der Währungsfrage. (W. Lexis.) S. 249.
Hildebrand, Richard, Ueber das Problem einer allgemeinen Entwickelungs-
geschichte des Rechts und der Sitte. (K. Buche r.) S. 453.
Hirsch, Max, Die Arbeiterfrage und die deutschen Gewerkvereine. Festschrift zum
fünfundzwauzigjährigen Jubiläum der deutschen Gewerkvereine [Hirsch-Duucker].
(Max von Heckel.) S. 143.
Hüll, Charles Henry, Die deutsche Reichspaketpost. [Sammlung nationalökouo-
mischer und statistischer Abhandlungen des staatswisseuschaftlichen Seminars zu Halle a./S.
Hgg. von J. Conrad. VIII. Bd. 3. Heft] (v. d. Borght.) S. 784.
Inhalt. V
The industries of Russia. Vol. I and II: Manufaetures and Trade with a general
industrial map by the Department of Trade and Manufaetures Ministry of Finanee
Vol. III: Agriculture and Forestry with coloured maps by the Department of Agri-
cultural Ministry of Crown Domains. Vol. IV: Mining and Metallurgy with a set of
mining maps by A. Keppen, mining engineer. Vol. V: Siberia and the great Siberian
Railway with a general map by tbe Department of Trade and Manufaetures Ministrv
of Finance. (W. Sombart.) S. 126.
Jahrbuch, statistisches, deutscher Städte. In Verbindung mit Bleicher.
Boeckh etc. etc. Hgg. von Bf. Neefe. III. Jahrgang. (P. Kollmann.) S. 790.
Kaufmann, Wilhelm, Die mitteleuropäischen Eisenbahnen uud das internationale
öffentliche Recht. Internationale Studien und Beiträge. (Meili.) S. 134.
Köbner, O., Methode einer wissenschaftlichen Rückfallstatistik als Grundlage einer
Reform der Kriminalstatistik. (Lindenberg.) S. 726.
K o nkurs s tatis tik für die Jahre 1891 u. 1892. Drittes Vierteljahrsheft zur Statistik
des Deutschen Reichs. Hgg. vom kaiserlichen statistischen Amt. Jahrg. 1893.
(A. Wirminghaus.) S. 629.
Lehr, J., Grundbegriffe und Grundlagen der Volkswirtschaft. Zur Einführung in da>
Studium der Staatswissenschaften. [Zugleich 1. Bd. der I. Abt. des Hand- und Lehr-
buchs der Staatswissenschaften in selbständigen Bänden hgg. von Kuno Franken-
stein.] (W. Lexis.) S. 283.
Lindley M. Keasbey, Der Nikaragua-Kanal. Geschichte und Beurteilung des
Projekts. [Abhandlungen aus dem staatswissenschaftlichen Seminar zu Strafsburg.
Heft XL] (J. Partsch.) S. 135.
Lotz, Walther, Die Ideen der deutschen Handelspolitik von 1860 — 1891. [Schriften
des Vereins für Sozialpolitik 50. Bd.] (W. L e x.i s.) S. 607.
Mancke, W., Ein Kompromifs des Agrarstaates mit dem Industriestaat. (J. Lehr.
S. 620.
Meyer, Georg, Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechts. IL Teil. 2. Aufl. (R e h m).
S. 788.
Molinari, Gustave de, Les Bourses du Travail. (Max von H e c k e 1.) S. 116.
Saumann, Moriz, Die Lehre vom Wert. (J. Lehr.) S. 293.
Oetken, Fr., Die Landwirtschaft in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, sowie
die allgemeinen wirtschaftlichen und Knlturverhältnisse dieses Landes zur Zeit des
Eintritts Amerikas in das fünfte Jahrzehnt nach seiner Entdeckung. (Wohltmann.
S, 778.
Off er mann, Alfred, Ueber die Zukunft der Gesellschaft oder die Wirkung der
grofsen Zahlen. (J. Lehr.) S. 120.
Parnes, Osias, Internationales Papiergeld. (W. Lexis.) S. 249.
Pastor, Willy, Vom Kapitalismus zur Einzelarbeit. (Max von Heckel.) S. 125.
Philippovich, Eugen von, Grundrifs der politischen Oekonomie. I. Bd.: All-
gemeine Volkswirtschaftslehre. [Handbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart.
Hgg. von Marquardsen und Seydel , Einleitungsband.] (Ludwig Elster.) S. 449.
Ratzel, Fried r. , Politische und Wirtschaftsgeographie der Vereinigten Staaten von
Amerika. 2. Aufl. [II. Bd. von des Verfassers Werk: Die Vereinigten Staaten von
Amerika] (J. Partsch.) S. 298.
Reichesberg, Naüm, Die Statistik und die Gesellschaftswissenschaft. (Georg
von Mayr.) S. 148.
liettich, Ergebnisse einer konkursstatistischen Erhebung in Württemberg 1883 — 1892.
Im k. stat. Landesamt nach amtlichen Quellen bearbeitet. (Ludwig Fuld.) S. 149.
üing, Victor, Das Reiehsgesetz betr. die Kommanditgesellschaften auf Aktien und
die Aktiengesellschaften vom 18. Juli 1884. (Richard Schmidt.) S. 306.
Röscher, Wilhelm, Politik: Geschichtliche Naturlehre der Monarchie, Aristokratie
und Demokratie. 1. u. 2. Aufl. (Brie.) S. 123.
Sammlung nationalökonomischer und statistischer Abhandlungen
des staatswissenschaftlichen Seminars zu Halle a./S. Hgg. von J. Conrad. VIII. Band,
Heft 3. [Hüll, Ch. H, Die deutsche Reichspaketpost.] (v. d. Borght.) S. 784.
Scbanz, Georg, Die Kettenschleppschiffahrt auf dem Main. (v. d. Borght.
S. 463.
Derselbe, Der Donau-Main-Kanal und seine Schicksale. [Mit einer Karte.] (v. d. B o r g h t.)
S. 463.
VI
Inhalt.
Schriften des Vereins für Sozialpolitik. Band 49. [Die Handelspolitik
Nordamerikas, Italiens, Oesterreichs, Belgiens, der Niederlande, Dänemarks, Schwedens
und Norwegens, Rufslands und der Schweiz in den letzten Jahrzehnten, sowie die
deutsche Handelsstatistik in den Jahren 1880 — 1890. Berichte und Gutachten.]
(W. Lexis.) S. 607.
Dasselbe, Band 50. [W. Lotz, Die Ideen der deutschen Handelspolitik vonl860 — 1891.]
(W. Lexis.) S. 607.
Dasselbe, Band 51. [Die Handelspolitik der Balkanstaaten Rumänien, Serbien,
Bulgarien, Spaniens und Frankreichs. Berichte und Gutachten.] (W. Lexis.) S. 607.
Dasselbe, Band 57. [C. J. Fuchs, Die Handelspolitik Englands und seiner Kolonien
in den letzten Jahrzehnten.] (W. Lexis.) S. 607.
Schriften der Zentralstelle für Ar b ei t er wo h 1 f a h r t seinri c ht un g e n.
Nr. 1. Die Verbesserung der Wohnungen. Nr. 2. Zweckmäfsige Verwendung der
Sonntags- und Feierzeit. Nr. 3. Spar- und Bauvereine in Hannover, Göttingen und
Berlin. No. 4. Hilfs- und Unterstützungskassen. Fürsorge für Kinder und Jugend-
liche. (Max von Heckel.) S. 139.
Schröder, H., Der wirtschaftliche Wert, Begriff und Normen. (J. Lehr.) S. 293
Schulze-Gaevernitz, von, Der Grofsbetrieb , ein wirtschaftlicher und sozialer
Fortschritt. Eine Studie auf dem Gebiete der Baumwollindustrie. (J. Redlich.)
"^S. 460.
Stege mann, R. , Aus der Praxis der Handelskammern. Beiträge zur praktischen
.{Nationalökonomie. I. Bd. (A. Wir m i n gh a u s.) S. 783.
Weber, O. , Die Entstehung der Porzellan- und Steingutindustrie in Böhmen
(K. Steinitz.) S. 781.
Werk er, W. M. J., Die zusammengesetzte Zinsen- und Zeitrenten- oder Annuitäten-
rechnung. Handbuch zur Lösung der zusammengesetzten Zinsen- und Diskonto-
rechnung etc. 2 Bde. I. Text und Formeln; II. Tafeln. (J. Lehr.) S. 152.
Wickseil, Knut, Ueber Wert, Kapital und Rente nach den neueren nationalökonomischen
Theorien. (J. Lehr.) S. 293.
Wutke, K., Die Versorgung Schlesiens mit Salz 1772 — 1790. (G. Liebe.) S. 129.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutsehlands und des
Auslandes. S. HO. 293. 449. 619. 776. 927.
Die periodische Presse des Auslandes, s. 154. 316. 473. 635. 795. ;>4i
Die periodische Presse Deutschlands, s. 158. 319. 478. 639. 799. 946.
Tabellen zu:
Die Gesellschaften mit beschränkter Haftung
im Jahre 1893.
(Reichsgesetz vom 20. April 1892.)
Von Dr. Carl Heiligen Stadt (Berlin).
101a
Tabelle I.
Gesellschaften mit beschränkter
Von
Gründungen im Jahre
Neugründungen
Anzahl
Kapital
Anzahl
Kapital Einzel
No.
Gruppe
%
Betrag
%
%
Betrag Anzahl
% % |
Ia
Land- u. forswirtschaftl. J 1892
Unternehmungen ^1893
4
2,185
646 OOO
0,867
1
0.546
35OOOO 0.469
I
0,546
Ib
Kolonial- und Plantagen- [1892
Gesellschaften \1893
2
1,092
470 OOO
0,630
I
0,540
45OOOO 0,604
I
0,546
II
Tierzucht und Fischerei ;,0„0
) 1893
I
0,546
100 000
0,130
—
—
—
—
I
0,546
III
Bergbau, Hütten- und J1892
I
1,587
30000
0,102
—
—
—
—
I
1.587
Salinenwesen |1893
8
4,371
6 002 000
8,056
2
1,092
45OOOO 0,604
—
—
IV
Industrie der Steine und 11892
9
14,285
2735000
9,342
4
6,349
660OOO 2.254
3
4,761
Erden \1893
16
8.743
4 997 200
6,707
2
1,092
50 000 0,0 6 7
5
2.732'
V
M ♦ 11 u ■* I1892
Metallverarbeitung ..„
8
4.371
7 835 000
—
IO,5 16
1
0,54 6
70 000
0,093
3 1,639
VI
Maschinen, Instrumente f 1892
und Apparate-Bau |1893
12
6.557
4 434 90o
5-952
4
2,185
407 ÖOO
0,547
2
1,092
Via
Elektrizitätswerke ; . 0„0
1
1,5 87
75000 0,256
1
1,587
75 OOO
0,256
— — ;
\1893
5
2,732
1 256000
1,685
4
2,185
606 OOO
0,813 —
VII
Chemische Industrie l.^no
2
3)174
4 900 000
16,738
1
1.587
400 OOO
1.366
—
—
11893
12
6,557
10342 000
13. 881
4
2,185
2 082 OOO
2,794
1
0,546
VIII
Forstwirtschaftl. Neben- (1Rq2
Produkte, Leuchtstoffe, <,„no
1 1 X 7 H
Fette, Oele, Firnisse (
1
0.54tj
100 000
O.130
—
—
—
IX
lextihnuustrie !.„„o
3
4. 761
2 188000
7-474
—
—
—
—
1
1,587
1 1 893
7
3-825
4 283 500
5,749
2
1,092
505OO
0,067 —
—
X
1 1 892
Papier- u. Lederindustrie L»,
2
7
3.174
3.825
890 000
2 250 500
3.040
3,020
2
1,092
180OOO
— 2
0 J 41 —
3.174
XI
Holz- und Schnitzstoffe {.„„„
—
—
— ■
—
—
— —
—
\1893
4
2,185
591 500
0,793
1
0,546
1 40 OOO
O IST I
0,546
XII
Nahrungs- und Genufs- f 1892
15
23,809
7 913 400
27,031
5
7,936
675 500
2.307 3
4,761
mittel \1893
46
25,136
18652 904
25,037
12
6,557
1 950 OOO
2.617 8
4.371
XIII
„,,., „ . . (1892
Bekleidung u. Reinigung ,093
1
1,587
460 000
1,571
—
—
—
— I
1,587
XIV
r. u f 1892
Baugewerbe |ig93
4
6
6,349
3,278
5 610000
3210 000
19. 163
4,308
2
5
3,174
2,732
4 100 000
2 650 000
I4 005 —
3,557 -
XV
Polygraphische Gewerbe *
1
1
1,587
0,546
85000
60 000
0,290
0,080
1
1,587
85 OOO
0,290
1
O,540
XVII
Haudelsgewerbe, ausge- | „„„
nommen Geld- u. Kredit- < 1ROO
bandet
15 23. 809
28 15,300
2 236 000
4 99 1 600
7,637
6,700
'3
[6
20,634
8,743
1 296 OOO
899 100
4,427
1,206
3
1,639
XVllb
Geld- und Kredithandel "{ 1893
I
1,587
20000
0,068
1
1,587
20 000
0,068
_
—
3
1.639
3 600 000
4,832
2
1,092
400 000
0,536
I
0,54i;,
XVIII
\t ■ 1. l f 1892
Versicherungsgewerbe ( ..
1
1,587
20000
0,068
1
I 587
20 000
0,068
—
XIX
Verkehrsgewerbe {iftqq
4
4
6,349
2,185
782 000
208 600
2,671
0,279
4
3
6,349
1,639
782 000
150 100
2.6 71
O.201
I
—
XX
Beherbergung und Er- (1892
1
1,587
20 300
0,069
1
1,587
20 300
0,069
—
—
quickung \1893
1
0.546
150000
0,201
—
—
—
—
1
o,54>;
XXI
Gewährung von Dienst- / 1892
2
3.174
1 310000
4-474
2
3.174
I 310000
4,474
—
—
leistuugen )1893
1
0,546
40000
O.053
1
0,5 4 6
40000
0 053
—
—
XXII
Geselligkeitsunterneh- |l 892
muugen 1 1 8 9 'i
Verschiedene Gesell- J 1 892
4
2,185
197 800
0,265
2
1,092
40000
0,053
1 0,54-
XXIII
schaffen \1893
2
1,092
80800 0.108
2
1,092
80800
0,108
— —
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I"N 1 1 in m A /
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29 274 700 100. -
$6
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•33
100,-
74 500 304
100,—
67
36,612 |
II 046 100
14,026
30
16,39:;
Anmerkung. Durch unser Versehen sind diese Tabellen dem Texte nicht beigegeben. D. Red.
ftung im Jahre 1893.
Heiligenstadt.
2 und 1893.
101a
Tabelle 1.
Hervorgegangen aus
5 °° • —
5. 5 <= e
t 5 S
Vi .
v V
offenen Handelsgesell- Aktiengesellschaften und
arnehmungen schaffen und Kommandit- Kommanditgesellschaften aut
gesellschaften Aktien
(
A
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deren Unternehmungen
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Kapital Anzahl
Kapital j Anzahl
Kapital
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Betrag j 0/0 j 0/0
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0/0 Betrag | 0/0
Pfg.
2*
76 000
20 Ooo
OO 000
30000
55 000
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15 OOO
560OO
00 000
4800O
90 000
IO OOO
95 500
17 204
60 OOO
60 000
00 500
00000
-
50000
30000
0,102
0,026
0,130
0,102
4,286
2,559
1,093
0,209
2,416
0,163
3,040
0,147
1,009
6,197
1.571
0,080
0,403
4,295
0,2 01
0,040
3
2
7
2
5
1
5
2
2
4
2
3
3
2
2
5
1,639
3,174
3,825
1,092
2,732
1,587
2,732
3174
1,092
2,185
1.092
4,761
1,639
3,174
3.174
2,732
— I
1 352000
820 OOO
2 779 000
1 95O OOO
3 571300
4 500 000
5 620000
2 I40 OOO
950 000
I 470 500
341 500
3055000
1 400 000
1 510 000
940 000
2 977 000
1,814
2.801
3,730
2,617
4,793
15,371
7,543
7,310
1,275
1,973
0,4 5 8
lO,435
1,879
5,158
3.210
3,995
2
2
2
2
I
I
2
I
2
1
3
21
4
1,092
1,092
1,092
1,092
0,546
0,546
1.092
0,546
1,092
0,546
4,761
11,475
2,185
220 OOO
3 900 000
261 000
5 000 000
300 000
650 OOO
840 000
100 000
3 200 000
600 000
3212 000
10 425 700
8 1 5 000
o,295
5,234
0,350
6,711
O.402
0,872
1,127
O.130
4,295
0,805
IO,971
13.994
1,093
-
I
I
I
2
I
1
I
0,546
0,546
~~
1,587
1,092
0,546
0,5 4 6
0,54ö
3O0 00O
83 OOO
675 400
260 000
560 000
—
58300
127 800
0,402
_
0,111
2.307
0,348
0,751
0,078
0,171
1,306
0,95(1
0,202
0,060
12,142
5-533
10,10!«
15,851
8,972
0.151
2,541
9,913
20,923
0,202
4,426
8,666
1,800
4,55 3
1,190
l6.009
37.737
0,930
11,34«
6 494
0.171
0.12 1
4. 523
10,098
O.040
7,283
0,040
1,582
l 422
0,041
0,334
2,650
0,080
0,400
0.1G3
161 500
235000
100 ooo
30000
750 250
303 888
312325
979 375
369 575
75000
251 200
2 450000
861 833
1 00 000
729 333
611 928
445 °o°
321 5°°
147 875
527560
405 497
460 000
1 402 500
535000
85 000
60000
149 066
178271
20 000
1 200 000
20000
i95 5°°
52 150
20 300
1 50 000
655 000
40 000
49450
40 000
»78 500
41 904
IO,174
17,908
12
38
19,047
20,7 65
12 965 000
22 411 300
44,287
30,082
3
4i
4,761
22,404
3212 000
26 311 700
10,971
35,317
1
7
1,587
3-824
675 400
I 389 300
3,307;
1,864:
59-226
150,702
464677
407 105
101c
^ '
Tabelle
II.
Bestand am 31. De- :
Anzahl
Kapital
Neugründungen
-
Anzahl
Kapital
Einzel-
No.
Gruppe
°/o
Betrag Anzahl
1
%
Betrag 0/0
% i ! °/o
la
Land- u. forstwirtschaftl. /1892
1
Unternehmungen \189.-i
4
1,666
6460OO 0,623
I
0,416!
350000
0,338
I 0.416
I b
Kolonial- und Plantagen- J 1 8 9 2
-
—
Gesellschaften j 1893
1 1892
Tierzucht und Fischerei <i00..
2
0,833
47OOOO 0,453
I
0.4 16
450000
0.434
I 0.416
II
—
—
1 1 o 9 3
I
0,4 16
IOO OOO 0,096
—
—
—
—
I O.41B
III
Bergbau, Hütten- und J 1892
I
1.612
3OOOO 0,102
—
— :
—
—
I 1.612
Salinen wesen \189E
9
3,7 5 0
6032OOO 5-825
2 0.833
450 OOO
0,434
I 0.416
IV
Industrie der Steine und J1892
9
14,516
2 735 00O 9,357
4 6,451
660 OOO
2,258
3 4-83S
Erden
L1893
24
10,000
7 712 200, 7,448
6 2,500
710000
0,685
8 3,333
V
Metallverarbeitung
1892
1893
8
3,333
7 835000' 7,566 I 0,416
70000
0,067
3 1.250
VI
Maschinen-, Instrumente-
h1892
und Apparate-Bau
189;:
12
5,000
4 434 900
4,283
4 1.666
407 600
0,393
2 0,833
1891'
1
1,612
75 00°
0,256
I
1,612
75OOO 0,256
— —
VI a
Elektrizitätswerke
6
2,500
1 331000
1,285
5
2,083
68l OOO 0,6 5 7
— 1 —
m. • U T A * ■ I1891'
2
3,225
4 9OOOOO l6,7 65 I
1,612
400 OOO
1,368
— —
VII
Chemische Industrie J l s Q -;
'4
5,833
1524200014.720 5
2,083
2 482 OOO
2,397
I 0,416,
VIII
Forstwirtschaftl. Neben- [18qv
Produkte, Leuchtstoffe, < _„"
Fette, Oele. Firnisse
I 0,416
IOO OOO 0,096 —
—
—
—
Textilindustrie {i«c<"
2 3,2 2 5
2 140 OOO 7,322 —
—
—
—
— —
IX
9 3-750
64235OO 6,203 2
0,833
505OO
0,048
__
r, ■ r A ■ A , ■ J1892
Papier- u. Lederindustrie < „ „
2 3,225
89OOOO 3045
—
—
—
—
2 3,225
X
9 3-750
3 I405OO 3,033
2
0,833
180OOO
0,173
2 0.833
XI
Holz- und Schnitzstoffe L..
4 1 . 6 G 6
591 5OO 0,571 I
0,4 lti
140 OOO
0.135
I 0.4 16
XII
Nahrungs- und Genufs- fl89v
15 24,193
791340027.075 5
8,064
675500
2,311
3 4838
mittel \1893
6l 25.41t;
26 664 804 25.752 17
7,083
2 709 OOO
2.616
.11 4583
„,,-., t> • • M89"-
I 1,612
460OOO 1,573 —
—
—
—
I 1,6 12
XI11
Bekleidung u. Reinigung 4,093
I 0,416
460 OOO 0.4 4 4 ~
—
—
— I 0.416
K J1892
Baugewerbe )1893
4 6.451
5 610000 19,194 2
3,2 2 5
- 4 IOO OOO
14,028— —
XIV
10 4,166
8 820 000 8,518 7
2,916
6 750000
6519- —
, • r. r, . f189-
I 1,(512
85OOO 0,290 I
1,612
85 000
0,290 — —
XV
Polygraphische Gewerbe ...,,
2 0,833
I45OOO 0,140 I
0,416
85000
O.082 I 0.416
XVII
Handelsgewerbe, aU!,ge- liagv
nommen Geld- u Kre-<.g9„
dithandel
15 24,193
39 16,250
2236000 7,65013
6 965 IOO 6,726 25
20,967
10,416
1 296 OOO
I 932 600
4,434— —
1,866 3 1,250
11892
Geld- und Kredithandel {,000
1 1,612
20 000 0,0 6 8
1
1.612
20000
0,068 — —
XVII lj
4 1,6 6 6
362OOOO 3,496
3
1,250
420 OOO
0,405 I 0.416
Versicherungsgewerbe ;.„„'
l 1,612
2OO0O 0,068
1
1.612
20 OOO
0,068— —
XX III
I; C,416
2OO0O 0,019
1
0,416
20000
O,019i— —
,, , , ^ |1892
4 6,451
782OOO 2.675
4
6,451
782 OOO
2,67 5 — —
XIX
Verkehrsgewerbe i 1 sq °
8 3,333
990600 0.956
7
2,916
932 IOO
O,900l— —
XX
Beherbergung und Er- J1892
1 1,612
203OO 0,069
1
1,612
20 3OO
0,069— —
quickung 11893
2 0,833
I7O3OO 0,164
1
0,416
20 300
0,019 I 0,4 16
XXI
Gewährung von Dienst- J 1892
2 3,225
I 3IOOOO 4,482
2
3'225
I 310000
4.4S2 — —
. leistungen 1 1893
3 1,250
135OOOO 1,303
3
1,250
I 350000
\.:\ :i — —
XX 11
Geselligkeitsunterneh- 1 1892
mungen 1 1893
4 1,666
197 800 0,19 1
2 0,8 3 3
40000
O.038 1 0,4 li;
XXIII
Verschiedene Gesell- /1892
— —
— —
—
—
— — —
Schäften \ 1893
2 o.s:',:j
8080O O 07 8
2
! 0,833
80800
0,07 8 — —
Summa
/1892
\1893
62
24c
IOO,—
IOO,—
29 226 700
103 543 OO4
IOO,—
IOO,—
36
58,064
41,250
9 443 800
20310900
32.312
19,615
10 16,129
'40 16 666
nber 1892 und 1893
101.1
Tabelle II.
Hervorgegangen aus
Betrag pro Kopf der Be-
1 18 170
■ • Einwohner um 1. De-
ernehmungen
(
SC
A
)ffenen Handelsgesell-
laften und Kommandit-
gesellschaften
A
K
A
ktiengesellschaften und
Kommanditgesellschaften
auf Aktien
Genossenschaften
und anderen Unter-
nehmungen
|0
— >- c:
S a> *
Ja • S
y — ■ —
Kapital
azahl Kapital
lzahl
Kapital
Anzahl 1 Kapital
0 •- "
■- —
- <e
etrag O/o
O/o i Betrag 0/0
O/o | Retrag | 0/0
0/0 Betrag | 0/0
Q M
76 oool
20000
ioo 000
30 OOO
30000
255 000:
162 200
815 OOO
156000
800 OOO
890 OOO
890 OOO
HO OOO
295 500
927 7041
460 OOO
460 OOO
60 OOO
300 500
200 OOO
150000
30000
0,073
0,019
.
O.096
O.102
0,028
4,294
3.053
0,7 8 7
0,150
1,738
3,045
0.859
0,106
1.011
4,759
1,573
0,444
0,057
0,290
3090
0,144
0,028
_
3
2
8
2
5
1
6
2
4
4
2
3
6
2
2
2
7
— 1
1,250
3,225
3,333
0.833
2,083
1.612
2,500
3,225
1,666
1,666
0,833
4,838
2.500
3,225
0,8 3 3
3,225
2,916
I 352 OOO
82O000
3 579 000
1 95O OOO
3 571300
4 500 000
10 120000
2 I4OOOO
3 09O OOO
t 4?0 500
34I 500
3 055 000
44550OO
I 5IOOOO
I 5IOOOO
94O OOO
3 917 OOO
—
—
— 1
1.305
2.805;
3,456
1,883
3,449
15,396
9,773
7,322
2,984
1,419
0,329
10,452
4,302
5.166
1,458
3,216
3,782
2
-
1
2
2
I
I
21
I
2
I
3
24
4
0,833
0,833
0,833
0833
0.416
0.416
0,833
0,416
0,833
0,416
4,838
10,000
1.666
220 000
3 900 OOO
261 OOO
C OOO OOO
300 OOO
650 OOO
840 OOO
I OO OOO
3 200 OOO
600 OOO
3 212 OOO
13 637 700
815 OOO
0,212
3-766
0,252
4,828
0,289
0,627
0,811
0,096
3.090
0.579
10.989
13,171
0,7 8 7
—
I
I
I
3
i
i
i
4,416
0,416
1,612
1,249
0,416
_
O.416
0,416
—
3OO OOO
83 OOO
z
675 400
935 400
560000
58500
127 800
0,289
0,080
2,310
0,903
—
0,540
O.056
1
0,123
0,950
O202
O.060
12 2 03
5,533
15, 602
15,851
8,972
Oj.il
2,692
9,913
30.836
0,202
4,329
12,995
1,800
6.353
»,196
x6,009
53 940
0,93u
1 0,930
tI,349
l7,843
0.171
0,293
4,523
x4,091
0,040
7,323
0,040
0,040
1,582
2,004
O.041
0.344
2,650
2,731
0.4 0 0
0.312
161 500
235 000
100 000
30 000
670 222
303 888
32' 342
979 375
369 575
75000
221 833
2 450000
1 088 714
100 000
1 070 000
713 722
445 000
348 944
147875
527 560
437 128
460 000
460 000
1 402 500
882 000
85 000
72500
149066
178 592
20000
905000
20 000
20000
195500
123 825
20 300
85 150
655 000
450 000
49 450
40 400
930 500
287 404
10,026
15,730
12
49
19,354
20 41b
12 965 OOC
35 356 30C
44,3üu
!34,!46
3
44
4,838
18,333
3212 OOC
'2952370c
10,988
28,513
i
1 8
1,612
3.333
67540c
2 064 70c
2,3 IC
1.993
59.12S
209.48t
47' 39*
43 1 42<-'
n
Kurt von Rohrscheidt, Vor- und Rücklicke auf Zunftzwang etc. 1
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und
Gewerbefreiheit 1).
Von
Kurt von Rohrseheidt,
Regierungsassessor.
Erster Abschnitt.
Zur Einführung der Gewerbefreiheit in Preußen.
Durch das Gewerbesteueredikt vom 2. November 1810 war für
ganz Preußen eine allgemeine Gewerb e freiheit proklamiert,
und die Grundsätze des neuen Systems waren in dem Gewerbepolizei-
gesetz vom 7. September 1811 zu einem neuen Gewerberecht
vereinigt worden. Letzteres löste, den neuen wirtschaftlichen An-
schauungen gehorchend, die Fesseln des Zunftzwanges vollständig,
indem es jedem überließ, nach Belieben sein Gewerbe innerhalb eines
1) Quellen- und Literaturverzeichnis.
A. Akten des Königlichen Geheimen Staatsarchivs in Berlin.
1) Acta generalia der geheimen Registratur des Staatskanzlers, betr. die polizeilichen
Verhältnisse der Gewerbe überhaupt und die Einführung einer allgemeinen Gewerbe-
freiheit; R. 74, K. 3 VIII, Vol. I, 1809—1811, Vol. II, 1811—1823.
2) Acta, betr. Gewerbe- und Handwerkssachen; R. 77, Tit. 306, No. 73.
3) Acta, betr. Gewerbesachen; R. 77, Tit. 306, No. 12, 1812 ff.
4) Acta spec, betr. die in Bezug ,auf das Zunftwesen eingegangenen Beschwerden und
Anträge; R. 77, Tit. 306, Gewerbe- und Handwerkssachen No. 43, 1811 ff.
5) Acta, betr. Gewerbesachen; R. 77, Tit. 306, No. 64, 1813—1825.
6) Acta, betr. die über den Zustand der Gewerbsamkeit in den Provinzen eingegangenen
Nachrichten; R. 77, Tit. 306, Gewerbesachen No. 31.
7) Acta, betr. Aufhebung des Verbandes der zünftigen Gesellen, ingleicben des Zunft-
wesens überhaupt; R. 77, Tit. 306, Gewerbe- und Handwerkssachen No. 1, 1812 ff.
8) Acta, betr. die in den Provinzen Sachsen u. Westfalen erfolgte Aufhebung der
Zünfte u. s. w. ; R. 77, Tit. 306, Gewerbe- und Handwerkssachen No. 56.
B. Akten des Königlichen Staatsarchivs in Königsberg i./Pr.
1) Acta wegen Aufhebung und Auflösung des Zunft- und Gewerkswesens, R. K. G. 33,
Vol. 3, 1837—1842.
Dritte Folge Bd. VIII (LZI1I). X
2 Kurt von Rohrs cheidt,
Zunftverbandes oder als Unzünftiger auszuüben. Die Zünfte blieben
nur als freie Korporationen bestehen und bekamen nicht nur
die Befugnis, jederzeit sich selbst aufzulösen, sondern mußten es sich
auch gefallen lassen , unter Umständen von der Landespolizeibehörde
aufgelöst zu werden. Sodann wurde die allmähliche Ablösung
der in das Hypothekenbuch eingetragenen veräußerlichen und ver-
erblichen Bankgerechtigkeiten in den Städten geregelt. Die
Brau- und Brenngerechtigkeiten auf dem Lande blieben im
allgemeinen erhalten. Ferner traf das Gesetz Bestimmungen über das
Hausiergewerbe, den Gewerbebetrieb der Ausländer, den Be-
trieb gewisser verwandter Gewerbe unter einem Gewerbeschein, die
Beibringung von Qualifikations- und Legitimationsattesten
und Einholung besonderer Erlaubnis zur Ausübung namentlich
angegebener Gewerbe, und endlich hob es alle Waren- und Lohn-
taxen gänzlich auf. Die Annahme des Grundsatzes der Gewerbefrei-
heit geschah unter gleich lebhaftem wie allgemeinem Widerspruch
der Stände, der Stadtgemeinden und der Innuugsmitglieder selbst.
Ebenso reif wie die maßgebenden Kreise der Beamtenwelt unter dem
Einfluß der modernen wirtschaftlichen Doktrin für diese friedliche Re-
volution geworden waren, ebenso unreif und unvorbereitet erschien trotz
der oft so fühlbar gewordenen Härten des alten Zunftwesens die große
Masse der Staatsbürger. Die ständischen Deputierten, welche
Hardenberg im Jahre 1811 nach Berlin zur Durchberatung der ge-
planten Gesetzesvorlagen einberufen hatte, erklärten sich fast durch-
gehends gegen die gewerbliche Reform. Ueberall wurde von letzterer
eine allgemeine Verarmung, eine Verödung der Städte zu gunsten des
platten Landes und der Niedergang der Industrie befürchtet. Man
hielt die Annahme, daß bei der Freiheit der Gewerbe die Konkur-
renz in der Industrie den bisherigen Ausfall decken würde, für falsch,
da die Zahl der Gewerbetreibenden sich täglich vermehren werde. Die
Zukunft sah man vielmehr in den düstersten Farben, dem Lande schien
eine Ueberschwemmung durch unerfahrene und gewissenlose Pfuscher,
Not und Elend der alten Meister und ihrer Familien und eine kläg-
liche Zerrüttung des gesamten ehrbaren Handwerks bevorzustehen.
Hardenberg wurde trotz unzähliger Vorstellungen nach dieser Richtung
C. Litteratur.
1) Aus dem Nachlasse P. A. L. v. d. Marwitz, Bd. I und II, Berlin 1852.
2) v. Rönne, Die Gewerbepolizei des preufsischen Staates, Breslau 1851.
3) J. G. Hoff mann, Die Befugnis zum Gewerbebetriebe, Berlin 1841.
4) J. G. Hoffmann, Nacblafs kleiner Schriften, Berlin 1847.
5) v. Ulmenstein, Die preufsiscbe Städteordnung, Berlin 1829.
6) Kurt v. Rohrscheidt, Die Polizeitaxen und ihre Stellung in der Reichsgewerbe-
ordnung mit besonderer Rücksicht auf Brottaxen und Gewichtsbäckerei, Berlin 1893.
7) Hugo Böttger, Das Programm der Handwerker, Braunschweig 1893.
8) K. A. v. Kamptz, Annalen der preufsischen inneren Staatsverwaltung, Berlin
1817—1839, Bd. I, II, III, IV, VII, VIII, IX, XIII, XIV, XV, XVI, XVII, XVIII,
XX u. XXI.
(Anmerkung. Die Akten werden im Text: A. No. 1, No. 2 u. s. w., B. No. 1
citiert.)
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 3
in seiner Ueberzeugung nicht irre. An Stelle der unrettbar dahin-
siechenden mittelalterlichen Institution mußte eine andere treten, die
geeignet war, dem erschlafften Handwerke neues Leben, und so dem
ganzen Staatsorganismus neue Kräfte zuzuführen. Zeitweilige Störungen
waren freilich unvermeidlich, selbst Gefahren für einzelne, namentlich
ältere Mitglieder des Gewerbestandes blieben zu befürchten, allein
Hardenberg war mutig genug, eine Einrichtung zu wagen und zu ver-
treten, deren Früchte der Augenblick nicht zeitigte, sondern die viel-
mehr erst ein späteres Geschlecht zu pflücken berufen war.
Die Gesetzgebung der Jahre 1810 und 1811 hatte die Absicht, die
Auflösung der Zünfte von selbst im Fortgange der Zeit herbei-
zuführen. In einem Schreiben vom 14. Juli 1812 an den Geheimen
Staatsrat v. Heydebreck *) bemerkt der Staatskanzler mißfällig,
daß bei manchen Gelegenheiten das Bestreben einzelner Behörden hervor-
getreten sei, die vom Staate ausgesprochene Gewerbefreiheit und die
wohlthätigen Folgen derselben unter allerlei Vorwänden aufzuheben. Er
erinnert daran, daß die noch für notwendig befundenen, im Edikte vom
7. September 1811 ausgesprochenen Beschränkungen nur die zu großen
Verluste eines plötzlichen Ueberganges vom Zwange zur Frei-
heit verhindern, nicht aber den früheren Zwang wiederherstellen sollten,
daß daher in jedem zweifelhaften Falle für die Ausdehnung der Ge-
werbefreiheit entschieden werden müsse. Die damalige Tendenz, Ge-
werbefreiheit zu gewähren und die noch bestehenden Zünfte nach und
nach aufzulösen, hat in der Gesetzgebung der Neuzeit eine Aenderung
erfahren, welche dahin geht, unter Aufrechterhaltung des Grundsatzes
der Gewerbefreiheit die fakultativen Innungen zu wahren und zu stärken.
Von der Auflösungsbefugnis, welche § 29 des Gesetzes vom 7. Sept.
1811 der Landespolizeibehörde gab, wurde nach Inhalt der Akten an-
scheinend sehr wenig Gebrauch gemacht. Durch Kabinetsordre vom
3. Juni 1812 2) wurde zwar die Aufhebung des Schlächtergewerks zu
Memel genehmigt und zugleich der Staatskanzler bevollmächtigt, in
allen ähnlichen Fällen einzelne Gewerke nach Anhörung des allgemeinen
Polizei- und des Gewerbedepartements aufzulösen. Allein später findet
sich in den Generalakten des Staatskanzleramts bis zum Jahre 1823
nichts Weiteres. Wenn eine Zunft sich aufgelöst hatte, so wurde das
vorhandene Vermögen nach Deckung der Schulden unter die Mit-
glieder verteil t, falls die Zunft nicht etwa auf Bankgerech-
tigkeiten gegründet war, dann floß es in den Ablösungsfonds, der
zur Beseitigung dieser Zwangsgerechtigkeiten, welche besonders die
Ausbreitung der Gewerbefreiheit hinderten, dienen sollte.
Die Einführung der neuen Ordnung ging nicht etwa überall glatt
von statten. Im Gegenteil, ebenso wie es 1810 bei Ausgabe der Ge-
werbescheine häufig zu Widersetzlichkeiten , ja zu kleinen Aufständen
gekommen war, so wurden jetzt die unzünftigen Handwerker
angefeindet, zumal da sie nicht selten von Eechten Gebrauch
1) A. No. 1, Vol. II.
2) Ebenda.
4 Kurt von Rohrscheidt,
machen wollten, die auch jetzt noch nur den Zunftgenossen zu-
Stauden. So wurden z. B. unzünftige Berliner Schuhmacher arg ge-
rn iß handelt, als sie auf der Herberge Gesellen anwerben
wollten. Die kurmärkische Polizeideputation berichtete deshalb unter
dem 17. Dezember 1811 *) über den so tief in die Sicherheitspolizei
eingreifenden Vorfall an das Gewerbedepartement, dessen Dirigent,
der Geheime Staatsrat v. S c huckm an n 2), mit dem Polizeideparte-
ment in Korrespondenz trat und sich dahin erklärte, daß die un-
zünftigen Meister zwar sich selbst Gehilfen halten, auch zünftige Ge-
sellen annehmen dürften, allein nicht berechtigt seien, solche von der
Herberge der Zunftmitglieder zu holen oder vom Wirt, der lediglich
von der Zunft angesetzt sei, zu verlangen. Hierdurch werde sich zwar
die Unzünftigkeit langsamer ausbreiten, doch wäre dabei weniger Nach-
teil, denn wenn die unzünftigen Meister aus Mangel an zünftigen Ge-
sellen genötigt würden, unzünftige zuzuziehen, so bilde sich ein Arbeiter-
stamm, der nicht die Vorurteile der zünftigen Gesellen
habe, und von dem man einst die radikale Reform erwarten
könne, wofür die zünftig angelernten Gesellen größtenteils durch die
von den ersten Lehrjahren an eingesogenen und in ihren Gemütern un-
vertilgbaren Maximen gänzlich verloren seien. Ferner habe der Staat
selbst eine schleunige Auflösung der Zünfte nicht beabsichtigt,
da so viele kommunale und individuelle Verhältnisse an die Zunft-
verfassung geknüpft wären, daß es in den meisten Fällen rätlich werde,
nur eine allmähliche Auflösung vorzubereiten. Dazu liege der Keim nicht
nur in der allgemeinen Abstellung der Exklusive der Zünfte,
sondern es solle auch stufenweise durch eine Reform des Gesellen-
wesens3), teils durch die Auflösung solcher Gewerbe, welche eine be-
sonders gemeinschaftliche Tendenz hätten, noch ausdrücklich dahin
gearbeitet werden. Daher sei es um so weniger nötig, eine schnellere
Zersetzung der Zünfte dadurch herbeizuführen, daß den unzünftigen
Handwerkern das Recht beigelegt würde, sich in die Oekonomie
der Innungen zu mischen und von ihren Versammlungen und
Herbergen die Zuweisung von Arbeitern zu verlangeu. Sodann wurde
der Polizeideputation bedeutet, daß die Genehmigung zur Auflösung
einer Zunft von Laudespolizeiwegen vom Könige eingeholt werden
müsse3), da von diesem auch die Zunftartikel sanktioniert seien. Es
wäre notwendig gewesen, dieses Auflösungsrecht der polizeilichen Ge-
walt des Staates ausdrücklich zuzusprechen, weil die Gewerksartikel
am Schlüsse gewöhnlich nur den Vorbehalt, zu mehren, zu mindern
und zu verbessern, nicht aber ganz aufzuheben, enthielten, auch das
allgemeine Landrecht in Teil II, Tit. 8 § 209 die Aufhebung der Zunft-
artikel an lästige Formen knüpfe, welche beseitigt werden müßten.
Daß übrigens unter „Landespolizeibehörde" in diesem Falle nicht
wie sonst die Provinzialbehörden zu verstehen seien, werde
1) A. No. 7.
2) Von ihm und dem Geh. Staatsrat Sack vom Polizeidepartement stammt das Ge-
setz vom 7. September 1811.
3) Eine solche ist aber nicht zustande gekommen.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 5
daraus klar, daß es äußerste Verwirrung geben müsse, wenn in dem
einen Regierungsdepartement dieselbe Zunft aufgelöst werde, die in
den andern noch fortdauernd bestehe. Solche Angelegenheiten griöen
in den Haushalt des ganzen Staates ein. Jetzt werde es sich
nun vor allen Dingen um eine Reform der Verfassung der zünftigen
Gesellen handeln, unter welchen gerade die schädlichsten Zunft-
mißbräuche im Schwange wären. Von der Verfassung der Ge-
sellenherbergen gingen wesentlich die Unruhen aus, deren besonders
die zahlreicheren Gewerke sich von Zeit zu Zeit schuldig machten.
Ferner werde es nötig, die städtische Behörde zu bestimmen, die die
Polizei des Zunftwesens haben solle, und zwar wurde vorgeschlagen,
die Magisträte nur dann damit zu beauftragen, wenn eine besondere
Polizeidirektion nicht vorhanden sei.
Das Polizeidepartement erklärte sich durch Schreiben vom 27.
Januar 1812 im allgemeinen einverstanden, worauf durch Verfügung vom
3. Februar 1812 der Polizeipräsident von Berlin, v. Schlech-
tendal, mit der Polizei über zünftige und unzünftige Gewerbsgenossen
in gleicher Weise betraut wurde, wie sie bisher vom Magistrat aus-
geübt worden war. Letzterem blieb nur iusoweit die Aufsicht über die
Zünfte, als sie zugleich städtische Korporationen darstellten, und es
auf Verwaltung ihrer inneren, das allgemeine Gewerbeweseu nicht be-
rührenden Gemeindeangelegenheiten, z. B. Vermögen, Schulden,
Armen-, Kranken-, Waisen-, Witwen-Unterstützungswesen ankam.
Abgesehen von dem Rechte jedes zünftigen wie unzünftigen Meisters,
nach Belieben zünftige oder unzünftige Gesellen anzunehmen,
schienen noch folgende Bestimmungen des Gewerbepolizeiedikts den
Bestand der Zünfte zu untergraben. Jeder, welcher einen Gewerbe-
schein gelöst hatte, konnte Meister werden, abgesehen von den
wenigen Handwerken, wo besondere Erlaubnis und Qualifikation ver-
langt wurde. Diese Vorschrift schien geeignet, die Zahl der Meister
zu vermehren, die der Gesellen, der Arbeiter zu vermindern.
Der Geselle kounte nun ferner an Lohn fordern, was er wollte,
während bisher der Lohn oft durch besondere Taxen bestimmt wurde,
über die hinaus nicht gezahlt werden durfte. Hieraus befürchtete
man ein übermäßiges Steigen der Preise, insbesondere in manchen
Gewerben, wie dem Baugewerbe, entstehen zu sehen und dessen Rück-
wirkung auf die Zünfte selbst empfinden zu müssen. Weiter erlitten
nach § 18 des Gewerbepolizeigesetzes vom 7. September 1811 zünftige
Gesellen keinen Nachteil an ihren Zunftrechten, wenn sie sich bei un-
zünftigen Meistern verdungen. Ihre Zunftrechte wurden während
einer solchen Dienstzeit nicht etwa suspendiert, und sie konnten
auch im Falle der Krankheit Unterstützung aus der Gesellenkasse
fordern, woraus allerdings auch folgte, daß sie ihre Beiträge an diese
ebenfalls weiterzuzahlen hatten. Sie konnten aber nach § 14 des Ge-
setzes auf ihre Zunftrechte gänzlich Verzicht leisten und brauchten
dann keine Leistungen mehr an die Gesellenkasse zu machen. Bei
der Aunahme von Gesellen und Lehrlingen war nunmehr nur der
Nachweis notwendig, daß diese unverdächtig und zur Ver-
(3 Kurt von Rohrscheidt,
dingung befugt waren. Solcher Nachweis wurde nach §§ 9 und 10
der Gesindeordnung vom 8. November 1810 durch Attest des vorigen
Lehrherrn oder in Ermangelung dessen durch ein obrigkeitliches Zeug-
nis erbracht. In der Absicht der neuen Gesetzgebung lag es endlich
auch, die Veranlassungen zu den häufig en Versammlungen auf
den Herbergen zu nehmen, da bei dem sogenannten „Auflegen"
die Gesellen zusammenkamen , um einen Groschen zur Armen-
oder Kraukenkasse zu steuern , und dabei 8 bis 16 Groschen ver-
tranken x).
Auch nach Erlaß des Gewerbepolizeiedikts arbeiteten die Behör-
den weiter an der Beseitigung mancher, im Gesetz noch nicht aufge-
hobenen, überflüssigen oder schädlichen Zunftgewohnheit. So berich-
teten Sack und v. Schuckmann am 24. Januar 1812 2) an den
Staatskanzler, daß in allen Innungsartikeln der noch bestehenden
zünftigen Gewerke die Vorschrift enthalten sei, ein Lehrbursche müsse,
ehe er in die Lehre genommen werde, einen Geburtsbrief oder,
im Falle der unehelichen Geburt, einen Legitimationsschein
beibringen. Bei den u n zu nft ige n Handwerkern sei nun ein solcher
nicht erforderlich, da nach § 13 des Edikts nur die Unverdächtigkeit
bescheinigt werden müsse. Aber auch bei den zünftigen Hand-
werkern erscheine die Beibringung des Geburtsbriefes nur als eine
leere Formalität, da jeder unehelich Geborene die Legitimation
quoad maculam durch die dazu autorisierte Regierung ohne allen An-
stand, und im Falle der Armut sogar gratis, erhalte. Sodann blieben
auch die Geburtsbriefe lediglich in der Gewerkslade und gewährten
dem, der sie gelöst habe, weiter keinen Nutzen. Endlich wäre es auch
bei der verordneten Gewerbefreiheit nicht mehr angemessen , einem
Knaben, der irgend ein Handwerk erlernen wolle , hierbei erst den
Beweis der ehelichen Geburt abzufordern. Die Antragsteller erbaten
daher eine Deklaration der Bestimmung der Innungsartikel da-
hin , daß die Beibringung der Geburtsbriefe oder des Legitimations-
scheines nicht mehr erforderlich sei, vielmehr der § 13 des Gewerbe-
polizeiedikts auch auf die zünftigen Lehrlinge Anwendung
finden solle. Diesem Antrage wurde durch Kabinetsordre vom 3. Fe-
bruar 1812 entsprochen.
Das stehende Gewerbe erhält sein Gepräge dadurch, daß es
im großen und ganzen dauernd von einem bestimmten Lokale
aus betrieben wird. Es dürfen natürlich auch mehrere Lokale vor-
handen sein, wie z. B. bei Fleischern und Bäckern, welche neben dem
Schlacht- und Backhause hiervon abgesonderte Läden besitzen. Andere
stehende Gewerbe können nur teilweise von einem festen Lokale
aus betrieben werden. So verfertigt der Schlosser zwar Schlösser
u. s. w. in seiner Werkstätte, allein das Anschlagen hat an Ort und
Stelle in den Häusern , für welche sie bestimmt sind , zu erfolgen.
Die Grundlage solcher Thätigkeit bleibt aber dennoch die feste
1) A. No. 7.
2) A. No. 1, Vol. IL
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 7
Werkstätte. Bei gewissen Gewerben können endlich alle Ver-
richtungen nur an den Orten vollzogen werden, wo man ihrer bedarf.
Dies gilt z. B. von Maurern, Anstreichern, Zimmermalern, Schorn-
steinfegern u. s. w. Auch solche Gewerbe gehören den stehenden an,
sofern nur ihr Unternehmer einen bestimmten Wohnsitz hat
und an diesem die Aufträge seiner Kunden erwartet. Häufig kommt
es auch vor, daß an einen stehenden Gewerbebetrieb sich ein solcher
im Umherziehen anschließt und sich mit ihm zu einem Ganzen
verbindet. Glaser z. B. schicken ihre Gehilfen mit Glas und Werk-
zeugen in der ländlichen Umgebung ihres Wohnsitzes herum und lassen
nachfragen, ob irgend jemand neue Fensterscheiben nötig hat. Dies
ist ein Gewerbe, welches auch allein im Umherziehen ausgeübt
werden könnte, welches aber im Anschluß an einen stehenden Betrieb
mehr Sicherheit für die Befriedigung eines unaufschiebbaren Bedürf-
nisses bietet, als wenn ein Handwerker darauf wanderte '). Der Ge-
werbebetrieb im Umherziehen ist bereits im Anfange des Jahrhunderts
mehr geduldet als begünstigt worden , weil man sich nicht der
Ueberzeugung verschloß, daß die Personen, welche sich mit ihm be-
schäftigten, einen häufigen Mißbrauch befürchten ließen. Schwere
Gefahren sittlicher und wirtschaftlicher Natur schienen von ihm aus-
zugehen, und doch konnte er so wenig als noch jetzt völlig entbehrt
werden. Gerade hier war es schwierig, den Grundsatz der möglichsten
Freiheit von polizeilicher Bevormundung mit der ebenso wichtigen
Fürsorge für das Gemeinwohl in Harmonie zu bringen. Auch war
Rücksicht zu nehmen auf die Gewohnheit, die sich einmal unter der
Landbevölkerung eingebürgert hatte. Das Gewerbepolizeiedikt ließ
daher den Hausierhandel ganz allgemein gegen Lösung eines be-
sonderen Gewerbescheines zu und schloß nur aus finanziellen
Rücksichten den Verkauf gewisser Waren aus. Um nach Möglichkeit
vor den Nachteilen zu bewahren , welche der Hausierhandel für die
höheren Güter des geselligen Lebens, für Sicherheit, Sittlichkeit und
eine edlere Entwickelung der Gewerbsamkeit in sich birgt, bestimmte
das Gesetz, daß gegen die betreffenden Gewerbetreibenden keine be-
gründete Beschwerde bez. ihrer Rechtlichkeit vorliegen durfte.
In der Regel waren keine Waren ausgeschlossen , abgesehen von
Kolonialwaren, Arzeneien und Giften. Ein Verbot, andere
Waren zu führen, konnte nur durch besondere Umstände und in ein-
zelnen Fällen gerechtfertigt werden.
Die unruhigen und kritischen Zeiten während und nach Erlaß des
Edikts vom 7. September 1811 ließen eine besondere Ueberwachung
des Hausierhandels nötig erscheinen. Politische Gründe geboten dem
Staatskanzler durch Erlaß vom 1. Dezember 1811 den Gewerbebetrieb
umherziehender Künstler, Tierführer u. s. w., unter deren
Maske ein weitverzweigtes Spionagesystem organisiert werden konnte,
zu beschränken. Zur Erteilung von Gewerbescheinen an solche Per-
sonen war ein besonderer Dezernent, der Staatsrat Grunert,
1) Vgl. J. G. Hoffmann, Die Befugnis zum Gewerbebetriebe S. 239 ff., S. 254 ff.
g Kurt von Rohrscheidt,
bestellt worden, so daß der ganze Hausierhandel von einer Zentral-
stelle kontrolliert werden konnte. Diese Maßregel wurde durch Erlaß
des Staatskanzlers vom 23. März 1812 wieder aufgehoben x). Das
Polizeidepartement verfügte unter dem 27. April 1813, daß die
Zeitumstände größere Vorsicht bei der polizeilichen Genehmigung
und Kontrolle der umherziehenden Gewerbetreibenden erforderten. Es
sollten daher die Vorschriften der §§ 146 und 160 des Edikts streng
angewendet und keine Personen zugelassen werden, deren Rechtlichkeit
und Zuverlässigkeit nicht durch glaubwürdige, auf sorgfältige Be-
obachtung gegründete Zeugnisse nachgewiesen sei. An Ausländer
sollte nur in ganz besonderen dringenden Fällen die Genehmigung
erteilt werden, und die nach §§ 148 und 149 zu erstattenden Atteste
müßten darthun, daß nicht nur gegen die Rechtlichkeit der Antrag-
steller kein Bedenken vorliege , sondern auch , daß nach sorgfältiger
Beobachtung nichts vorgekommen sei, was ihre Zuverlässigkeit
zweifelhaft mache. Kurz darauf wurde auf Grund eines Berichtes der
Polizeideputation der Neumärkischen Regierung vom
21. August 1813 und nach Einholung eines Gutachtens des Gewerbe-
departements vom Polizeidepartement am 13. Dezember verfügt2), es
sei irrig, anzunehmen, daß nach den Edikten vom 2. November 1810
und vom 7. September 1811 demjenigen die Erlaubnis zum Hausieren
erteilt werden müsse, der ein Zeugnis über seine Zuverlässigkeit
beibringen könne. Einmal sei durch § 146 des letzteren Gesetzes der
Behörde überlassen, durch welche Mittel sie sich die Zuverlässigkeit
nachweisen lassen wolle. Sie sei also bei ihrem Urteil an keine
Form gebunden und könne den Schein versagen, wo ihr diese
Ueberzeugung mangle, sobald ihr in den Verhältnissen des Petenten
hierzu ein haltbarer Grund aufstoße. Es komme nicht darauf an, daß
der Antragsteller bisher ein tadelloses Leben geführt habe und
ihm daher nichts Böses zuzutrauen sei. Das Staatsinteresse werde
bei dem herumziehenden Gewerbe in mehr als in dieser einen
Hinsicht gefährdet. Polizeiliche und finanzielle Nachteile seien von
dieser Verkehrsart zu besorgen, welche auch nicht dadurch ausge-
schlossen würden, daß der Gewerbetreibende kein moralisch
schlechter Mensch sei, und die Zuverlässigkeit desselben könne
also, wo dergleichen Besorgnisse obwalteten , nur dann für bekannt
angenommen werden, wenn seine Persönlichkeit oder Verhältnisse hin-
längliche Garantie böten. Hiernach seien die besonderen Vor-
schriften über die Ausländer3): daß solche sich im Lande
ankaufen müßten, eine größere Sorgfalt bei Ausstellung der
Qualifikationsatteste, die für die Lingen'schen Packenträger zu stellende
Bürgschaft inländischer Fabrikanten u. s. w., nur als Instruktion
über die Anwendung der allgemeinen Grundsätze unter bestimmten
Umständen zu betrachten. Die Verhältnisse wären so verschie-
1) A. No. 1, Vol. II u. No. 3.
2) A. No. 3.
3) Vgl. § 22 des allgemeinen Pafsreglements v. 20. März 1813, 6. S. S. 47 ff.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 9
den, derselbe Betrieb erscheine in dem einen Falle ganz unschädlich,
Mm andern schädlich, so daß man ohne Benachteiligung der Gewerbe-
freiheit einerseits, des polizeilichen uud finanziellen Staatsinteresses
andererseits, keine speziellen Vorschriften darüber erteilen
könne, sondern die Unschädlichkeitsprüfung in jedem einzelnen Falle
dem vernünftigen Ermessen der einzelnen Behörden überlassen müsse.
Daher seien die Vorschriften des Edikts vom 7. September 1811 ganz
allgemein gefaßt, wenig individuell, uud die Entscheidung
den Provinzial- und oberen Staatsbehörden anheimgestellt. Es sei
nicht beabsichtigt, durch die Gestattung des Hausiergewerbes dem
großen Publikum Vorteile zuzuwenden, sondern unter Verhütung
von Nachteilen für das letztere nur einen persönlichen Nutzen
der Gewerbetreibenden zu erzielen. Als Anforderungen an die
Hausierer könne mau bezeichnen, daß sie rechtliche Leute wären,
daß ferner keine politische oder finanzielle Nachteile be-
sorgt werden müßten, und endlich, daß, falls letztere Gefahr dennoch
vorliege, diese durch die Persönlichkeit des Petenten, durch
besondere Orts- und Sach Verhältnisse oder eine bestimmte Kon-
trolle beseitigt würde.
Die Polizeideputation hatte in ihrer Vorstellung die Befürchtung
ausgesprochen, daß durch die Kontrollierung der Hausierer der Polizei
zu große Arbeit erwachsen würde. Durch den Handel im Umherziehen
seien öffentliche Ruhestörungen und Verletzungen des Privat-
eigentums zu befürchten. Personal- und Lokalkenntnisse würden dabei
gesammelt, die schlecht benutzt werden und außerordentliche Nachteile
bringen könnten. Die Gefahr sei um so größer, als die Lust zum
V agieren sich schon deshalb vermehre, weil die Vaganten den
Druck der Kommunallasten weit weniger empfänden als die Zurück-
bleibenden. Sie bat daher, den Hausierhandel, dessen allgemeine Be-
günstigung ungleich nachteiliger wirke als seine allgemeine Beschrän-
kung, einzudämmen und machte folgende Vorschläge. Der Verkauf
der Lebensmittel vom Lande in die Städte sei für Kon-
sumenten wie Produzenten vorteilhaft, weil dann die Städte nicht leicht
Mangel litten, die Konkurrenz erweitert, der Preis der Waren herab-
gesetzt und der Markt versorgt werde. Auch blieben dadurch den
Landbewohnern besondere Stadtreisen erspart, weil sie schon wegen
des Verkaufs der Nahrungsmittel dahin reisen müßten. Der Verkauf
vom Lande auf das Land sei unbedeutend und unnötig,
während der Verkauf der Nahrungsmittel von den Städten auf
das Land überhaupt nicht begünstigt werden dürfe, weil immer
mehr Bäcker, Fleischer u. s. w. auf das Land zögen und die Land-
leute keinen Vorteil davon hätten. Der Aufkauf von Wolle und
Teer, das Sammeln von Hadern, Fäden, Garn wäre nützlich,
die Zwischenhändler wirkten wohlthätig für Fabrikanten und machten
den Verkehr mit nützlichen Gegenständen, die sonst unbenutzt bleiben
würden, möglich. So erschienen sie für das Publikum notwendig und
unentbehrlich. Anders verhalte es sich aber mit dem Vertrieb von
Fabrikwaren, Kurzwaren, physikalischen und mathematischen
^0 Kurt von Rohrscheidt,
Instrumenten, Galanterie- und Putzwaren. Hierdurch
würden unnütze Ausgaben verursacht, andere könnlen besser und
billiger bei einem gelegentlichen Besuch der Stadt erworben werden.
Der Haudel hiermit möge im allgemeinen verboten und ausnahms-
weise nur solchen Personen gestattet werden, die krank seien, oder zu
anderen Gewerben keine Kraft und Fertigkeit hätten. Auch könne
man solche Waren freigeben, die in den kleinen Städten meistens
nicht zu finden seien. Besonders würden Juden verlangen, mit
Schnittwaren und Kurzwaren zu hausieren, und sie seien schon
in großer Anzahl und mit Ungestüm um Genehmigung eingekommen.
Personen, welche dem Publikum ihre Dienste anbieten wollten,
und die besondere Kunstfertigkeit zur Befriedigung von Vergnügungs-
lust, zur Ausbildung und Belehrung besäßen, sollte man zulassen. Das
Vorfühlen fremder Tiere, abgerichteter Pferde und
Hunde wäre zu genehmigen, solange es sich selten zeigte, da das
gemeine Volk auch solche Vergnügungen haben wolle. Musikanten
würden dagegen nur dann zu konzessionieren sein, wenn sie nach ihrer
körperlichen Beschaffenheit keiner anderen Beschäftigung obliegen könnten.
Topfbinder aber und Kesselflicker, Viehkastrierer , Vertreiber von
Ratten und Mäusen blieben unentbehrlich.
Das Departement bestätigte in seiner Entscheidung, daß das
Aufkaufen von Lebensmitteln und anderen Bedürfnissen auf
dem platten Lande zum Stadtverkaufe für die Gewerbe nützlich und
notwendig sei. Beim Aufkauf von Viktualien auf dem Lande zum
Verkauf dortselbst komme es dagegen auf die Umstände und die
Lokalität an. Es ließe sich auch nicht gut kontrollieren, ob die
Waren wieder auf dem Lande verkauft würden. Der Verkauf von
Lebensmitteln aus den Städten nach dem Lande solle allerdings
nicht begünstigt werden , er werde aber von selbst nicht stattfinden,
wenn die Leute die Möglichkeit hätten, sich ihre Bedürfnisse an ihrem
Wohnort zu verschaffen oder gelegentlich aus der Stadt zu holen.
Hausierhandel mit Wolle, Teer, Garn, Federn u. s. w. sei in
gewerblicher Hiusicht nützlich und notwendig, ein solcher mit Fabrik-
waren könne dem Finanzinteresse nachteilig werden und sei vorder
Hand noch als verboten anzusehen. Der Vertrieb von Kurz- und
Galanteriewaren werde oft gemißbraucht, daher sei kein Grund,
ihn zu befördern, dagegen aber zu wünschen, daß die Landleute Ge-
legenheit hätten, sich mit den zu ihrem Gewerbe nötigen Eisen-
waren zu versehen. Es solle also der Verkehr von Eisenhändlern
auf dem platten Lande nicht erschwert werden. Topfbinder und
Kesselflicker seien unentbehrlich, da aber diese Art von Leuten
die öffentliche Sicherheit leicht gefährden könne, so müsse deren
Qualifikation genau nachgewiesen werden. Ferner wurde bemerkt,
daß, wenn Leute durch Umherziehen sich den öffentlichenLasten
entzögen dies zwar ein Uebelstand sei, der aber nicht die Auf-
hebung oder Einschränkung dieser Gewerbsart rechtfertige. Wenn
faule Leute mit unbedeutendem Kram umherzögen und unter diesem
Deckmantel bettelten, das Publikum mit Zudringlichkeiten be-
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit.
lästigten, oder Gelegenheit zu Verbrechen ablauerten, so
gäbe dies den genehmigenden Behörden nur Veranlassung, auf die
sorgfaltigste Prüfung der individuellen Verhältnisse jedes Falles zu
achten. Die Genehmigung sei ja völlig dem polizeilichen Er-
messen anheimgestellt und könne ohne Angabe von Gründen
verweigert werden, wogegen es nur Rekurs an die obere Polizeiinstanz
gebe. Es könnten daher die vorgeschlagenen Beschränkungen keine
Billigung finden, nur wegen des Haudels mit Schnittwaren
möge die Entscheidung des Staatskanzlers abgewartet werden. Die
Deputation der Regierung hatte auch angefragt, wie es mit aner-
kannten Künstlern werden solle, die durch die Provinz reisten
und sich nur in einigen Städten aufhielten, um Gelegenheit zum Er-
werbe zu suchen. Müsse die Einholung der Konzession verlangt
werden, oder genüge ein gültiger Reisepaß zur Legitimation? Es
wurde entschieden, daß es dem verständigen Ermessen der Ortsbehörde
und der eigenen Vorsicht der Reisenden überlassen werde, daß die-
selben keine unnötigen und ungeziemenden Hindernisse
fänden und nicht mit den Umzü gier n verwechselt würden, welche
eine polizeiliche Erlaubnis zu ihren Ausstellungen bedürften.
Der Gewerbebetrieb im Umherziehen erhielt später eine eingehende
Regelung durch das Regulativ vom 28. April 1824; ferner erging
unter dem 11. Juni 1826 eine Allerhöchste Kabinetsordre
betr. die äußeren Bestimmungen in Bezug auf die §§ 3 und 35 des
Gewerbesteuergesetzes vom 30. Mai 1820 und Modifikation der §§ 21
— 24 des Regulativs vom 28. April 1824. Weiter wurde eine Ka-
binetsordre vom 27. März 1828 zu § 5 des genannten Regulativs
erlassen, und eine andere vom 15. Juli 1829 modifizierte die ge-
samten Vorschriften über Lösung von Gewerbescheinen.
Durch die §§ 52 und 53 des Gewerbepolizeigesetzes waren die
bisherigen Realberechtigungen auf dem Lande, die Brau-
und Brenngerechtigkeiten, den bisherigen Besitzern erhalten geblieben,
und die Ausübung dieser Rechte nur anderen Grundbesitzern gestattet,
welche Güter von wenigstens 15000 Thalern an Wert besaßen. Bei
denen, welche schon nach dem Edikt vom 2. November 1810 und vor
dem vom 7. September 1811 Brennereien angelegt hatten, sollte
untersucht werden, ob ihnen die Fortsetzung des Gewerbes ohne
Nach teil gestattet werden könne. Die Geheimen Staatsräte v. Heyde-
breck und Schuckmann fragten daher unter dem 30. November 1811 J)
darüber an, nach welchen Grundsätzen diese Nachteile zu beurteilen
seien. Da die Bestimmungen des Edikts den Zweck verfolgten, den
Wert der auf Landgütern als Grundgerechtigkeit haftenden Getränke-
fabrikation zum Besten des Realkredits wiederherzustellen, so seien
als Nachteil wohl der Ausfall an dem Taxwerte der Getränke-
fabrikationsberechtigung benachbarter Güter anzusehen, der durch die
neuen Fabrikationsanlagen unabwendbar entstehen werde. Der Staats-
kanzler antwortete durch Erlaß vom 3. Februar 1812, daß er mit
1) A. No. 1, Vol. II.
12 KurtvonRohrscheidt,
dieser Ansicht ganz einverstanden sei. Danach würden neue Brauerei-
und Brennereianlagen nur für die zu einem Komplexus gehörigen,
früher zum Zwangsdebit berechtigten Güter nach den Be-
stimmungen des Edikts zu beschränken , in andern keinem Zwange
unterworfen gewesenen Gütern oder Grundstücken aber möglichst zu
erleichtern sein, denn auf diese wirke nur Konkurrenz, und der
Getränkeabsatz an dieselben könne vernünftigerweise nie in die Aus-
mittelungen des Werts derjenigen Güter aufgenommen werden, welche
solchen bloß der Betriebsamkeit ihrer Besitzer oder zufälligen Um-
ständen verdankt hätten.
Auch über die Bedeutung des Krugsverlagsrechts1), das
heißt des Rechts, von jemandem zu verlangen, das er daß zu seinem
Debit erforderliche Getränk aus einer bestimmten Fabrikations-
stätte entnehme, waren Meinungsverschiedenheiten entstanden, da
das Gewerbepolizeiedikt in § 54 verordnete, daß der Inhaber einer
Schankstätte solche neue Verpflichtungen durch Vertrag ein-
gehen und nur niemand sich verbindlich machen dürfe, den Bedarf
zu seiner eigenen Konsumtion aus einer bestimmten Schank-
stätte zu decken. Vor Publikation des Edikts vom 28. Oktober 1810
wegen Aufhebung des Bier- und Branntweinzwanges
war das Krugsverlagsrecht in der Art ausschließlich, daß innerhalb
derjenigen Ortschaften, welche einem solchen Rechte unterworfen waren,
überall kein anderer als der von dem Verlagsberechtigten autorisierte
Getränkeverkauf ausgeübt werden durfte. Nur im Falle erwiesener
schlechter Qualität des Getränkes oder übertriebener Preise würde
damals die Landespolizeibehörde auf Zeit den Schänkern die Be-
fugnis erteilt haben, ihren Bedarf aus einer beliebigen accisebaren Stadt
zu nehmen. Durch § 1 des Edikts vom 28. Oktober 1810 war das
mit einer Brauerei, Brennerei oder eines Schanks verbundene Recht,
andere zum ausschließlichen Bezug des Getränkes zu zwingen, aufge-
hoben worden. Der Geheime Staatsrat v. Heydebreck, als Chef
des Einkommendepartements, vertrat nun die Ansicht, daß durch den
oben erwähnten § 54 des Gewerbepolizeiedikts dieses Recht mit Aus-
nahme des Konsumtionszwanges und mit dem Nachlaß einer simultanen
Fabrikations- und eingeschränkten Verkaufsbefugnis etwaiger mit einem
Grundeigentum von 15000 Thlrn. an dem Zwangspflichtigen Orte ein-
gesessenen Besitzer in seinem ganzen Umfange wiederherge-
stellt sei. Die Absicht, den Besitzstand bez. die Veiiagsrechte bis
auf die beiden ausgenommenen Punkte völlig un gekränkt zu er-
halten, wäre vorhanden gewesen, weil darauf bei Landgütern ein
wesentlicher Teil ihres Realwerts, ein Substrat der landschaftlichen
Taxe und der Pfandbriefssicherheit, bei Kommunen aber ein wichtiger
Teil ihrer Erwerbsmittel beruhe. In Fällen, wo accisbare Städte
ein Verlagsrecht auf dem Lande ausübten, würde die Wiederherstellung
desselben nur illusorisch sein, wenn sie nur auf die schon vor-
handenen Schankstätten eingeschränkt wäre. Denn der Schanker auf
1) A. No. 1, Vol. i.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. J3
dem Lande, welcher städtisches Bier zu verschänken verpflichtet sei,
könne wegen der darauf ruhenden Abgaben nicht mit dem Schanker
Preis halten, der Landbiere feil habe. Dürfe also auch an dem-
selben Orte eine Schankstelle angelegt werden, die der Stadt nicht
zwangspflichtig sei, so werde der Schanker, der städtisches
Bier ausschänken müsse, bald allen Absatz verlieren, und die Stadt
dadurch um die Früchte ihres Verlagsrechts kommen. Auch der
Accisekasse würden dadurch die Abgaben entgehen, die sie bisher
von dem städtischen Biere bezogen habe, welches auf dem Lande ver-
schänkt worden, aber nun nicht mehr verschänkt werden könne, wenn
das Verlagsrecht aufhöre, ausschließlich zu sein, und außer den Zwangs-
pflichtigen andere freie Schänken an demselben Orte angelegt werden
dürften.
Auf einen anderen Standpunkt stellte sich Schuckmann, indem
er glaubte, daß das ausschließliche Krugsverlagsrecht gegen ganze
Ortschaften und Landflächen keineswegs wiederhergestellt
worden, sondern nur allein das restriktive Verlagsrecht gegen die-
jenigen einzelnen Schankstätten, welche demselben vor Publi-
kation des Edikts vom 28. Oktober 1810 unterworfen gewesen. Es
sei überhaupt nicht die Absicht des Gesetzgebers, alle Real rechte
in Rücksicht des Getränkedebits wiederherzustellen, sonst hätte nicht
nur das Verlagsrecht, sondern auch der Getränkezwang gegen die
Konsumenten restituiert werden müssen, was doch nicht geschehen.
Das Gesetz spreche ausdrücklich nur von Verlagspflichtigen
Schankstätten, nicht von solchen Dorfschaften oder Gütern,
und es sei wider den Geist der Gesetzgebung, es da erweiternd
zu deuten, wo es Beschränkungen der als Regel anerkannten
Gewerbefreiheit anordne. In § 55, der die Bedingungen neuer
Schankstätten festsetzt, müßte ihre Verpflichtung unter das Krugs-
verlagsrecht bestimmen, wenn man annehmen wollte, daß sie im Sinne
des Gesetzes liege. Es gehe aber das Gegenteil hervor. Nach
§ 53 solle zum Debit brauen und brennen können, wer ein Grundstück
von 15 000 Thlr. Wert habe, und nach § 55 dürfe ein solcher in
seinem Hofe im Detail Getränke verkaufen. Wie könne
man also annehmen, daß das alte ausschließliche Krugverlagsrecht auf
ganze Ortschaften hergestellt sei? Ferner könne die in § 161
ganz allgemeine und unbedingt ausgesprochene Aufhebung aller
Viktualientaxen mit einem Verlagsrechte , welches nicht bloß
einzelne Schankstellen , sondern ganze Ortschaften umfasse, nicht
wohl vereinigt werden, denn der Verlagsberechtigte könnte
nun ganz willkürlich ganze Ortschaften in die mißliche Alternative
setzen, entweder sein Getränk zujeden ihm beliebigen Preise
abzunehmen oder anderes wohlfeileres Getränk aus vielleicht weit
entlegenen Schankstellen, über welche sich der Verlagsbann
nicht mehr erstrecke, mit großer Versäumnis zu holen, und die Polizei
würde durchaus kein Mittel haben, solcher Bedrückung zu steuern.
Wider unbegründete und unzeitige Störungen des Verlagsrechts sei
jeder Berechtigte durch § 55 des Edikts unter den besonderen Schutz
14 Kurt von Rohrscheidt,
der Polizei gestellt, wonach neue Schankstätten nur unter aus-
drücklicher Genehmigung der Kreis - Polizeibehörde und nur aus
Gründen der öffentlichen Nützlichkeit angelegt werden
sollten. Der Verlagsberechtigte sei also so lange sicher, daß neben der
ihm zwangspflichtigen alten Schankstätte keine neue ihm nicht zwangs-
pflichtige augelegt werde, als er Getränke in hinreichender Menge,
Güte und Wohlfeilheit liefere. Nur wo letzteres nicht der Fall sei,
könne ein öffentliches Interesse entstehen, Konkurrenz durch Anlage
einer neuen, nicht Verlagspflichtigen Schankstelle zu erzeugen. Die
Polizei sei dann allein berechtigt und verpflichtet, den Druck, welchen
jemand unter dem Schutze Reines Verlagsrechtes ausübe, zu hindern,
und jener habe die für ihn nachteiligen Folgen der neuen Konkurrenz
nur sich selbst zuzuschreiben. Ein Widerspruch wegen des Abgaben-
interesses sei gesetzlich nicht begründet. Durch das Finanz-Edikt
vom 7. September 1811 wäre dem ganzen platten Lande das
Recht zugesichert, Bier haben zu können, das nur mit 6 Groschen
für den Scheffel Weizen und 4 Groschen für den Scheffel Gerstenmalz
versteuert werde. Und wenn es ehemals auch die Absicht gewesen
sein möge, das platte Land indirekt unter die städtische Accise be-
bezüglich der gemeinen Lebensmittel dadurch zu bringen,
daß man den Debit der Städte an Backwerk, Fleisch und Getränke
an Landleute durch alle ersinnlichen Hilfsmittel und Verkehrsbeschrän-
kungen erweitert habe, so sei eine solche Absicht nunmehr gegen den
Geist der Gesetze, da die besondere städtische Accise nach § 1 des
Finanzedikts vom 7. September nur noch als ein Interimistikum
und eine Uebergangsmaßregel in den größeren Städten und bloß vor-
läufig beizubehalten, daher allmählich mehr einzuschränken als aus-
zudehnen sei.
Heydebreck und Schuckmann baten daher unter dem 17. Februar
1812 um die Entscheidung Hardenberg's, welcher am 21. März der
Anschauung des le tzteren beitrat. Es sei durch das Gewerbepolizei-
edikt keineswegs das vor der Verordnung vom 28. Oktober 1810 be-
standene Krugverlagsrecht unbedingt wiederhergestellt, was den aus-
gesprochenen allgemeinen Grundsätzen der Gewerbefreiheit gänzlich
entgegen sein würde. Mit Ausnahme der im § 54 nachgelassenen
Verträge, durch welche der Inhaber einer Schankstätte sich ver-
pflichte, das zu seinem Debit erforderliche Getränk aus einer be-
stimmten Fabrikation zu nehmen , sei vielmehr das Krugverlagsrecht
gegen einzelne Schankstätten nur in dem Maße erneuert, als dasselbe
auf Grund der Verjährung oder ausdrücklicher Verträge
vor Erlaß der Verordnung vom 28. Oktober 1810 in Ansehung dieser
einzelnen Schankstätten zweifellos stattgefunden habe.
Das Gewerbepolizeiedikt hatte in § 89 verordnet, daß Apothe-
kern der Gewerbeschein nur auf ein Zeugnis der Regierung über ihre
Tauglichkeit erteilt werdeu solle. Wegen der Befugnis zur Anlage neuer
Apotheken wurde auf ein besonderes Gesetz verwiesen. Abdecker
hatten sich nach § 134 durch ein Zeugnis der Kreispolizeibehörde zur
Anstellung oder Fortsetzung ihres Gewerbes zu legitimieren. Sack
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 15
hatte nun in Gemeinschaft mit Heydebeck und Schuckmann bereits
am 20. Juli 1811 beim Staatskanzler angefragt, ob jemandem, welcher
sonst den Forderungen genügt habe, welche das Gewerbesteuergesetz
vorschreibe, dennoch der Gewerbeschein zu versagen sei, weil in Hinsicht
einiger Gewerbe, insbesondere der Apotheker und Abdecker,
nähere gesetzliche Bestimmungen erwartet würden. Hardenberg ent-
schied hierauf, es sollten unbedenklich Gewerbescheine aller Art er-
teilt werden, wenn nur den bis dahin öffentlich bekannt gemachten
Forderungen genügt sei. Das danach emanierte Gewerbepolizeiedikt
ließ die Regelung des Apotheker- und Abdeckerwesens noch in der
Schwebe, während Anträge auf Erteilung von Gewerbescheinen zum
Betriebe dieser Gewerbe eingingen. Die genannten Staatsräte hatten
bereits vorher die Absicht gehabt, den Staatskanzler zu ersuchen, vor-
läufig von der Ausübung seiner Ermächtigung Abstand nehmen zu
dürfen, und namentlich den Apothekern nicht sogleich ohne Ein-
schränkung Gewerbescheine zu erteilen , wenn etwa für die Zu-
kunft bestimmt werden solle, daß an jedem Ort nur eine gewisse
Anzahl von Apotheken zu gestatten sei. Auch scheine es wider-
sprechend, den Abdeckern, solange noch die Infamie auf ihnen
hafte, Gewerbescheine zu erteilen, auf die doch überhaupt nur un-
bescholtene Personen Anspruch haben sollten. Endlich sei auch
nicht beabsichtigt, die Gewerbefreiheit ganz unbedingt und auf
Kosten anderer wichtiger polizeilicher Rücksichten Platz greifen zu
lassen. Am 15. Oktober 1811 wiederholte Sack den Antrag, bis zum
Erlaß besonderer Gesetze zu gestatten, die Erteilung von Gewerbe-
scheinen an Apotheker und Abdecker wenigstens im allgemeinen aus-
zusetzen. Während nun die Regulierung des Abdeckerwesens sich
noch verzögerte, erging bereits am 29. Oktober 1811 die König-
liche Verordnung wegen Anlegung neuer Apotheken
(G. S. S. 359 ff.). Danach sollte es bezüglich der vorschriftsmäßigen
Prüfung und Qualifikation der Apotheker, sowie ihrer Legiti-
mation zur Erlangung des Gewerbescheines bei den bestehenden Vor-
schriften sein Bewenden behalten. Die Anlegung neuer Apotheken
in Städten, Flecken, Dörfern habe nur stattzufinden, wenn das Bedürf-
nis einer Vermehrung erwiesen sei. Die Erlaubnis habe die Medi-
zinaldeputation der Provinzialregierung zu erteilen. Zureichende
Gründe seien eine bedeutende Vermehrung der Volksmenge
oder eine erhebliche Erhöhung ihres Wohlstandes. Ueber
einen etwaigen Widerspruch schon vorhandener Apotheken gegen die
Ansetzung einer neuen sollte, falls die Medizinaldeputation den Wider-
spruch für begründet erachte, das allgemeine Polizeidepartement ent-
scheiden. Letzteres verfügte über die Anlegung neuer Apotheken in
den großen Städten Berlin, Königsberg und Breslau überhaupt und be-
stimmte etwaige Entschädigungen Realberechtigter. Inwiefern mit den
Apotheken kleinerer Städte Gewürzkram oder Material-
handel verbunden sein dürfe, darüber verordneten die Polizei- und
Medizinaldeputationen der Regierungen.
Nachdem durch die Edikte vom 2. November 1810 und vom 7.
1(3 Kurt von Rohrscheidt,
September 1811 alle gewerblichen Monopole aufgehoben waren, ver-
suchten manche Innungen auf indirektem Wege wieder zu diesem Ziele
zu gelangen. So war in dem Privileg der Destillateure zu Ber-
lin vom 19. März 1738 die Bestimmung enthalten, daß ein jeder,
welcher das Destillieren von Aquaviten betreiben wolle, sich dazu durch
eine vorschriftsmäßige Prüfung seitens des Stadtphysikus unter Zu-
ziehung der Zunftältesten qualifizieren müsse. Durch die Kabinets-
ordre vom 22. Februar 1810 war die Schließung des Gewerks aufge-
hoben worden, und es sollte von da an keinem qualifizierten Manne
die Aufnahme verweigert werden, sobald er die Bedingung des
Gildebriefs, wozu auch Prüfung und Qualifikation zum Destillieren
gehörten, erfüllt habe. Nach Einführung der Gewerbefreiheit baten
die Vertreter der Berliner Innung in einer Eingabe an den Staatskanzler
vom 3. Oktober 1811 x), es bei dieser für die Erhaltung der Gesund-
heit der Staatsbürger so wichtigen Vorschrift des Privilegiums zu
belassen. Letztere würde nach Einführung der Gewerbefreiheit
nicht mehr beachtet, da ein jeder, welcher das Bürgerrecht gewinnen
und einen Gewerbeschein lösen könne, zum Betriebe des Destillateur-
gewerbes zugelassen werde, weshalb denn auch binnen kurzer Zeit
„eine große Anzahl Subjekte", welche vom Destillieren gebrannter
Wasser gar keine Ahnung hätten und deshalb der Gesundheit der Ein-
wohner äußerst nachteilig werden könnten , Destillateure geworden
wären. Es sei aber für das Wohlbefinden des Publikums höchst not-
wendig, daß eine genaue Prüfung der Qualifikation beibehalten werde,
weil sonst leicht aus Unwissenheit schädliche Ingredientien
in Gebrauch genommen würden. Dies Gesuch wurde am 12. Januar
1812 dringender wiederholt, da sich täglich mehr Personen
zum Destillieren und Verkaufen von Branntwein ansetzten, so daß die
gemeine Gefahr wüchse.
Die wissenschaftliche Medizinaldeputation befürwor-
tete den Antrag lebhaft, da das Destillateurgewerbe allerdings auf die
Gesundheit der Menschen einen zu großen Einfluß habe, als daß Kon-
zessionen dazu ohne Nachweis vorhandener Kenntnisse erteilt werden
dürften. Der Chef des Polizeidepartements, Sack, schlug vor, die
Destillateure unter die Laboranten zu rechnen, welche nach § 89
des Edikts vom 7. September 1811 nur dann einen Gewerbeschein er-
halten sollten , wenn sie durch ein Zeugnis der Provinzialregierung
nachwiesen, daß sie zur Ausübung des Geschäfts geeignet seien. Die
Destillateure wären den Laboranten billig beizuzählen, wenn sie auch
gewöhnlich nicht mit unter dieser Benennung begriffen würden, da
beide Geschäfte ganz nahe miteinander verbunden seien und eigent-
lich nur darin differierten , daß es der vorzugsweise so genannte La-
borant mehr auf arzneilichen Gebrauch, der Destillateur aber
auf bloßen Wohlgeschmack bei seinen Arbeiten, die übrigens
sonst größtenteils von gleicher Art wären , anlegte. Es dürfte daher
nur die angezogene Gesetzesstelle dahin deklariert werden, daß die
1; A. No. 1, Vol. I.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. ^7
Destillateure in Rücksicht auf Beibringung von Qualifikationsattesten
den Laboranten gleich zu achten seien, den Regierungen aber wäre
aufzugeben, diese Atteste nur solchen Personen zu erteilen, welche
entweder schon vor dem 2. November 1810 mit obrigkeitlicher Er-
laubnis das Destillateurgewerbe betrieben hätten oder in Bezug auf
ihre Kenntnisse von dem Kreisphysikus unter Zuziehung eines Apo-
thekers geprüft wären. Auch dürfte den Sanitätspolizeibehürden über-
haupt noch Aufsicht auf das Verfahren der Destillateure und An-
stellung unvermuteter Untersuchungen bei denselben, wie
bei den Weinhändlern, nachdrücklich zur Pflicht zu machen sein.
Während also Sack im Wesen der Sache den Petenten nachgeben
wollte, blickte Sc huckmann weiter, indem er Abweisung vorschlug.
Der für den Antrag angegebene Grund , daß das Destillateurgewerbe
auf die Gesundheit der Menschen Einfluß habe, finde ebenso gut auch
auf die Bierbrauer und gewöhnlichen Branntwei n bren n er An-
wendung, welche beide ein noch viel allgemeineres Getränk fabrizierten
und sich ebenso schädlicher Ingredientien als jene dabei bedienen
könnten, des Koch- und Backgewerbes und vieler anderer gar
nicht zu gedenken. Das Destillieren sei nicht schwerer als das Brannt-
weinbrennen, und es gehöre offenbar weniger Kunst dazu, als gutes
Bier zu brauen. Man könne und müsse voraussetzen, daß diejenigen,
welche dieses Gewerbe trieben , auch die nötigen Kenntnisse davon
hätten und wissen würden, welcher Ingredientien sie sich bedienen
müßten, um der Gesundheit nicht zu schaden. Sonst müßten alle
Gewerbetreibende, welche Genußmittel bereiteten, examiniert werden,
eine Pedanterie und Plackerei der Gewerbe, die ohne Nutzen wäre.
Denn es würde fast niemals oder gewiß nur äußerst selten von solchen
Gewerbetreibenden aus Unwissenheit gesündigt, sondern, wenn sie
schädliche Ingredientien anwendeten, so geschähe solches in der Regel
aus sträflichem Eigennutz, und diesem zu steuern werde auch
die strengste Prüfung der Kenntnisse nichts helfen. Damit
aber sei er ganz einverstanden , daß solche Gewerbetreibende,
welche ihren Fabrikaten oder auch Handelsartikeln der Gesundheit
nachteilige Ingredientien beimischten , unter Aufsicht gehalten und
zu dem Ende ihre Werkstätten und Fabrikate von Zeit zu Zeit
durch Sachverständige untersucht, und diejenigen, welche sich wirk-
lich schädlicher Beimischungen bedient hätten , nachdrücklich be-
straft würden, ohne auf die Entschuldigung zu achten, daß es aus
Unwissenheit geschehen sei. Dadurch allein werde, soviel dies möglich
wäre, der beabsichtigte Zweck erreicht werden. Schließlich meinte der
gewiegte Kenner mit Recht, der Antrag der Destillateure, daß die
Prüfungen unter ihrer Zuziehung geschehen sollten, ziele nur
darauf hin , nicht sowohl die allgemeine Gesundheit , für welche der
Liqueurfabrikant überhaupt nicht arbeite, zu schützen, als die
Anlegung neuer Etab lissements zu erschweren. Harden-
berg ließ hierauf den Bescheid unter dem 16. März 1812 ganz im
Sinne Schuckmann's ergehen.
Das Edikt vom 2. November 1810 hatte in § 16 verordnet, daß
Dirtte Folge Bd. VIII (LX1JI). 2
lg Kurt von Rohrscheidt,
der Gewerbeschein demjenigen, auf welchen er laute, das Recht geben
solle, in dem gesamten Umfange der Monarchie, sowohl in
den Städten als auf dem platten Lande, das in demselben genannte
Gewerbe und auf die bestimmte Zeit zu treiben und von den Behörden
dabei geschützt zu werden. Ueber die Bedeutung dieser Bestimmung
waren zwischen der Abgabensektiou und dem Gewerbedepartement
Meinungsverschiedenheiten entstanden, welche Hadenberg,
indem er der Ansicht der ersteren beitrat, durch Verfügung vom 6.
April 1813 beilegte. Er erklärte, daß der erwähnte Paragraph nur so
zu interpretieren sei, daß der Gewerbetreibende auf Grund seines Ge-
werbescheines seine Dienste, wenn das Gewerbe in Dienstleistungen be-
stehe, oder seine Waren, wenn das Gewerbe in Fabrikation auf den
Kauf bestehe, an jedem Orte des Staates anbieten oder verkaufen
könne, ohne von den örtlichen Gewer ksgenossen daran ver-
hindert werden zu dürfen. Keineswegs aber geht die Absicht des Ge-
setzgebers dahin, jemand zu gestatten, auf Grund eines einzigen
Gewerbescheines zugleich an allen Orten, wo er es für gut
und vorteilhaft finde , dasselbe zum Nachteil derjenigen Gewerbe-
treibenden auszuüben, die vermöge ihrer individuellen Lage sich
nur mit der Betreibung desselben an einem einzigen Orte be-
gnügen müßten. Wollte man diese Absicht des Gesetzgebers annehmen,
so könnte ja einer mit anderen in einer Provinz sich dahin ver-
binden, dasselbe Gewerbe überall auf seinen Namen zu betreiben.
Das Gewerbesteueredikt vom 2. November 1810 hatte ferner in
den §§ 17 und 30 bestimmt:
§ 17. Keiner Korporation und keinem Einzelnen steht ein
Wider spruchs recht (gegen den Gewerbebetrieb auf Grund eiues
Gewerbescheines), welcher Grund dazu auch angeführt werden mag,
zu. Nur soll in denjenigen Oertern, wo jetzt Gewerbegerechtig-
keiten stattfinden, welche nicht auf einem Grundstücke
haften, und damit in keiner unzertrennlichen Verbindung stehen, die
aber dennoch in den Hypothekenbüchern eingetragen sind, eine
billige Entschädigung für den bisher Berechtigten von
den Regieruugen reguliert werden. Die Gewerbefreiheit darf jedoch durch
die Existenz solcher Gerechtigkeiten nicht beschränkt, und nie-
mandem auf den Grund derselben ein Gewerbeschein zum Betriebe des
in Rede stehenden Gewerbes versagt werden. Gegen die Bestimmung
der Entschädigung von Seiten der Regierungen findet der Weg Rech-
tens nicht statt.
§ 30. Alle bisherigen Abgaben von den Gewerben, insofern
sie die Berechtigung zum Betriebe desselben betreffen, als: Konzessions-
geld, Nahrungsgeld von katastrierten Stellen, oder unter welcher Be-
nennung sie sonst vorkommen, sie mögen alljährlich oder einmal für
allemal an Unsere Kassen, Kämmereien oder an Grund-
herren entrichtet werden, hören mit Einführung der Gewerbesteuer
auf. Eben dieses ist der Fall mit den Paraphengeldern.
Ein besonderer praktischer Fall gab die Veranlassung zu einer
gesetzlichen Deklaration dieses Paragraphen. Es hatte nämlich der
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. JQ
Gastwirt Krone zu Berlin in einem mit dem Geheimen Justizrat Ge-
nesheim über den Gasthof zum Reh am 30. September 1809 abge-
schlossenen Mietsvertrage sich verbindlich gemacht, binnen 3 Jahren
nach Ablauf des Kontrakts in dem Berliner oder Cöllner Revier weder
einen Gasthof zu mieten noch zu kaufen. Diese Ver-
einbarung hatte der Krone aber nicht gehalten, und es war darüber
zum Prozeß gekommen. Der Instruktionssenat des Kammergerichts
und das Obertribunal in letzter Instanz hatten ein dem Krone un-
günstiges Urteil gefallt. Auf Grund dieses Rechtsstreites korrespon-
dierte der Staatskanzler mit dem Justizminister und ließ die Frage
erwägen, inwiefern die Gewerbefreiheit überhaupt durch
Verträge beschränkt werden könne. Kircheisen erklärte
sich unter dem 29. Dezember 1812 *) mit Bezug auf die vorerwähnten
§§ 16, 17 und 30 des Edikts vom 2. November 1810 dahin, daß der
Staat unstreitig die Macht und das Recht habe, einzelne Befugnisse
und Vorteile seiner Mitglieder den Rechten und Pflichten zur Be-
förderung des gemeinschaftlichen Wohles im Kollisionsfalle nachzusetzen
(Allg. Landrecht, Einleitung § 74). Er könne also auch selbst die
natürliche Freiheit, durch Verträge sich über gewisse Gegenstände zu
verpflichten, einschränken. Wenn es daher zum Zweck der Beförde-
rung des gemeinen Wohles für notwendig angesehen werde, dieser Frei-
heit in Bezug auf den Gewerbebetrieb gewisse Grenzen zu setzen, so
sei es wohl unbedenklich, durch eine Deklaration zu bestimmen, daß
alle Verträge, welche der Gewerbefreiheit entgegen und nach der
Publikation des Edikts vom 2. November 1810 errichtet seien,
dergestalt nichtig wären, daß daraus keine Klage angenommen werden
solle. Verträge dagegen, welche vor jenem Edikt errichtet worden,
müßten nach den allgemeinen Grundsätzen des Rechts um so mehr in
ihrer Wirksamkeit erhalten werden, als derjenige, welcher zum Nach-
teil des Andern, auch selbst unter Begünstigung einer neuen Staats-
einrichtung, den Vertrag breche und sich dadurch nur das für ihn
Nützliche aus dem Vertrage zueigne, ohne das dem andern Teile Nütz-
liche zu erfüllen, gegen Treue und Glauben und als ein Betrüger
handele. Sollte es demnach das Wohl des Staates erfordern, auch
dergleichen frühere Verträge für nichtig zu erklären, so würde doch
zugleich festzusetzen sein, daß derjenige, welcher zum Schaden des
Andern vom Vertrage abginge und sein einmal gegebenes Wort nicht
halte, zur Entschädigung des letzteren verpflichtet wäre.
Nach A. L. R., Einleitung § 75 und Teil I Tit. 8 § 29 sei niemand
schuldig, seine wohlerworbenen Rechte ohne Entschädigung dem Staate
aufzuopfern.
In dem Bureau Hardenberg^ schlug Hippel vor, für die Auf-
hebung der vor dem 2. November 1810 abgeschlossenen Verträge
zwar die Entschädigung vorzubehalten, diese aber, wenn der Ver-
pflichtete sich vom Vertrage lossagen wolle, zur Vermeidung von Pro-
zessen durch die Regierung ausmitteln und ohne Konkurrenz
1) A. No. 1, Vol. II.
20 Kurt von Rohrscheidt,
des Gerichts feststellen zu lassen. Bülow sprach sich dagegen,
unter Beitritt Bequelin's, dahin aus, daß es nicht nötig wäre, die
vor dem Gewerbesteueredikt etwa gegen den Grundsatz der Gewerbe-
freiheit abgeschlossenen Verträge zu entkräften. Zu gnnsten dieses
Edikts von der Regel, daß Gesetze keine rückwirkende Kraft hätten,
eine Ausnahme eintreten zu lassen, dazu läge kein zureichender Grund
vor. Es würden gewiß nicht viele Fälle vorhanden sein, daß Kontrakte
dem genannten Gesetz entgegenständen, worüber in diesem letzteren
selbst nicht bereits das Erforderliche verordnet wäre. Und käme
dergleichen wirklich vor, so verdiene der Kontrahent gewiß keine Be-
günstigung, der unter dem Schutze und Vorwande eines neuen Staats-
verwaltungsgrundsatzes einen eingegangenen Vertrag breche , seine
Kontrakts rechte sich zueigne und genieße, dagegeu seine Kon-
traktsverbindlichkeiten unerfüllt lasse. Sollten demuDgeachtet diese
Verträge nicht aufrecht erhalten und die Gerichte angewiesen
werden, keine auf die Erfüllung derselben gerichtete Klageu anzu-
nehmen, so unterliege es doch nicht dem geringsten Zweifel, daß dem
Kontrahenten gegen seinen vom Kontrakte abgehenden Mitkontrahenten
der E ntsch ädigungsa nspru ch vorbehalten bleiben müsse. Er
sei nicht dafür, die Erörterung und Entscheidung solcher Ansprüche
den Gerichtshöfen zu entziehen und lediglich den Regierungen vorzu-
behalten, denn das Erkenntnis über das Mein und Dein gebühre den
Gerichten, und er sehe keinen das Staatswohl berührenden Grund,
in Ansehung der Entschädigungsklagen von diesem Prinzip abzuweichen.
Auf Anordnung Hardenberg's wurde nach dem Bülow'schen Gutachten
verfahren, und so erging unter dem 19. April 1813 eine an Harden-
berg und Kircheisen gerichtete, aus Breslau datierte Kabinets-
ordre, betreffend die zwischen verschiedenen Kontrahenten bestehen-
den Verträge, welche die gesetzlich gegebene Gewerbefreiheit beschrän-
ken. Sie lautet 1):
„Insofern zwischen verschiedenen Kontrahenten Verträge bestehen,
welche die gesetzlich gegebene Gewerbefreiheit beschränken oder hin-
dern, kommt es bei Beurteilung ihrer Giltigkeit darauf an, ob sie vor
der Publikation des Gewerbesteueredikts vom 2. November 1810 oder
erst nach derselben geschlossen worden sind. Im letzten Falle sind
sie gegen die Bestimmung eines allgemeinen Landesgesetzes errichtet
und also dergestalt nichtig, daß daraus keine Klage desjenigen
Kontrahenten, der dadurch Rechte erlangt zu haben glaubt, von einem
Meiner Gerichtshöfe angenommen werden darf. Ich finde mich veran-
laßt, dies hiermit ausdrücklich zu erklären, und trage Ihnen auf, in
Gemäßheit dieser Bestimmung, welche auch durch die Gesetzsammlung
zur allgemeinen Kenntnis zu bringen ist, das weiter Erforderliche zu
verfügen."
Das Edikt über die polizeilichen Verhältnisse der Gewerbe vom
7. September 1811 setzte in den §§ 7 — 13 unter anderem fest, daß
auch unzünftige Gewerbetreibende Gehilfen halten könnten,
1) G. S. S. 69 (1813) und A. No. I, Vol. II.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbet'reiheit.
die Dienstzeit der letzteren durch freien Vertrag bestimmt, und wenn
dies nicht geschehen, solches nach der örtlichen Gewohnheit
beurteilt werden solle. Wenn aber strittig wäre, was örtliche Ge-
wohnheit sei, so habe die Polizeibehörde des Ortes darüber zu
entscheiden. Endlich aber dürfe auch niemand Gehilfen annehmen,
deren Unverdächtigkeit und Befugnis, sich als solche zu verpflichten,
nicht nach den allgemeinen Polizeigesetzen erwiesen sei. Durch vor-
kommende Beschwerden würde nun der Geheime Staatsrat Sack ver-
anlaßt, eine genauere Bestimmung dieser Vorschriften durch eine De-
klaration zu erbitten, da bezüglich der Unzünftigen, welche nun
erst auf Grund der Gewerbefreiheit sich zu etablieren anfingen, noch
keine örtliche Gewohnheit, insbesondere hinsichtlich der
Kündigungsfristen, bestehen könne. Auch die Verpflichtung,
sich die Befugnis, den neuen Dienst antreten zu können, nachweisen
zu lassen, werde mißverständlich nicht darauf ausgedehnt, daß der
anzunehmende neue Gehilfe die rechtmäßige Entlassung aus
seinem vorigen Lohnverhältnis nachweisen müsse. Aus der Ungewiß-
heit in beider Rücksicht entständen aber große Verlegenheiten bei den
mit unzünftigen Gehilfen arbeitenden Fabrikanten. Die von Sack vor-
geschlagene Deklaration enthielt folgende Punkte *) :
1) Wenn zwischen unzünftigen Gewerbetreibenden und deren
zünftigen oder unzünftigen Gehilfen oder auch zwischen zünftigen
Meistern und deren unzünftigen, von ihnen angenommenen Gehilfen
kontraktmäßig keine Kündigungsfrist verabredet ist, so ist so-
wohl der Lohnherr als der Gehilfe an die nach dem allgemeinen Land-
rechte Teil II Tit. 8 §§ 378 und 385 für zünftige Meister festgesetzte
vierzehntägige Kündigungsfrist gebunden.
2) Der Lohnherr ist jedoch in allen diesen Fällen ebenso wie der
zünftige Meister nach §§ 386 und 387 ebendaselbst nicht verpflichtet,
die Kündigung anzunehmen, wenn die Zeit des Abzuges auf eine
Messe oder einen Jahrmarkt oder innerhalb 14 Tagen vor den
Messen und Jahrmärkten oder vor den hohen Festen einfallen
würde, vielmehr kann alsdann der Gehilfe erst nach dem Feste oder
nach dem Ende der Messe oder des Jahrmarktes abziehen.
3) Auch ein un zünftig er Gewerbetreibender kann nach §§379
bis 384 seine Gehilfen ohne Aufkündigung entlassen, wenn sie ihn
oder seine Familie durch Thätlichkeiten, Schimpf- oder Schmähworte
oder ehrenrührige Nachreden beleidigen, wenn sie sich beharrlichen
Ungehorsams oder Widerspenstigkeit gegen seine Anweisungen schuldig
machen, wenn sie seine Frau oder Kinder zum Bösen verleiten oder
verdächtigen Umgang mit ihnen pflegen, wenn sie sich Diebstahl oder
Veruntreuung gegen ihn zu schulden kommen lassen, wenn sie sich
zur Gewohnheit machen , ohne sein Vorwissen und Erlaubnis über
Nacht aus dem Hause zu bleiben, und endlich, wenn sie mit Feuer
und Licht unvorsichtig umgehen und einer ihnen deshalb erteilten
1) A. No. I. Vol. II.
22 Kurt von Rohrscheidt,
Warnung keine Folge leisten. Eben dies findet auch in Rücksicht der
unzünftigen Gehilfen statt, die bei zünftigen Meistern arbeiten.
4) Dagegen kann auch der unzünftige Gehilfe sofort aus der
Arbeit gehen, wenn der Lehnherr ohne gegebene dringende Ver-
anlassung sich thätlich an ihm vergreift.
5) Auch unzüuftige Gehilfen dürfen nicht anders von zünftigen
oder unzünftigen Gewerbetreibenden in Arbeit genommen werden, als
wenn sie nach der gesetzlichen Analogie der §§ 9 und 10 der Ge-
sindeordnung vom 8. November 1810 die rechtmäßige Ver-
lassung ihres vorigen Lohnherrn oder Meisters nachweisen oder durch
ein Zeugnis ihrer Obrigkeit darthun, daß bei ihrer Annahme kein Be-
denken stattfinde.
6) Die Versäumung dieser Vorschrift zieht die Ungiltigkeit
und Wiederaufhebung des Kontrakts für den Fall nach
sich, daß jemand ein näheres Recht auf die ferneren Dienste des Ge-
hilfen oder ein Recht, ihm die freie Disposition über seine Dienste zu
verschränken, erweisen sollte. Auf jeden Fall ist die hierin begangene
Unvorsichtigkeit außerdem mit einer Geldbuße von einem bis zehn
Thalern au die Armenkasse des Orts zu beahnden."
Der Justiz minister erklärte sich unter dem 23. Januar 1813
mit dieser Deklaration einverstanden, da dieselbe aus Teil II Tit. 8
§§ 378 ff. des allgemeinen Landrechts sowie §§ 9 ff. der Gesindeord-
nung vom 8. November 1810 geschöpft sei, und die Bestimmungen
dieser Gesetze nur auf die Unzünftigen angewendet hätte. Durch
Verfügung B ü 1 o w 's sollte der Entwurf der Deklaration an den
Staatskanzler nach Breslau geschickt werden, um dort zur Vollziehung
an den König zu gelangen. Die Angelegenheit ist aber aus nicht an-
gegebenen Gründen unerledigt geblieben.
Inzwischen war man nebenher darauf bedacht, auch im Ver-
waltungswege den Verkehr nach Möglichkeit zu erleichtern und
Lasten, die das Gesetz nicht ganz abnahm, so wenig als nur angängig
fühlbar zu machen. So verfügte der Staatskanzler am 13. Februar
1813 an den Geheimen Staatsrat v. Heydebreck, daß die Anfertigung
von Grütze und Graupen allerdings zwar nicht zu den gewöhn-
lichen Geschäften des Landmanns gehöre, und daher diejenigen Land-
bewohner, welche diese Waren zum Verkauf in die Städte bringen
wollten, einen Gewerbeschein lösen müßten. Dabei sollte jedoch nur
ein sehr mäßiger Zahlungsatz angenommen werden. Zu
einer besonderen Korrespondenz des Staatskanzlers mit dem Finanz-
minister v. Bülow und dem nunmehrigen Minister des Innern von
Schuckmann gab im Jahre 1814 die sehr schwierige Frage Veran-
lassung, wie es mit den offenbaren Gewerbsabgaben zu halten
sei, welche besonders in Schlesien von den Gutsherren erhoben
wurden. Das Gewerbesteueredikt vom 2. November 1810 hob, wir
wir schon gesehen haben, in § 30 ganz unbedingt und ausdrücklich
alle Abgaben von den Gewerben , und namentlich auch die an die
Gutsherren auf. Dies konnte nach Allg. Landrecht, Einleitung §§ 74
und 75 zwar unbedenklich, jedoch nur gegen vollständige Ent-
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 23
Schädigung geschehet!. Aber darüber, wie diese Entschädigung
geleistet werden solle, bestimmte weder das Gewerbesteueredikt noch
das Gewerbepolizeigesetz vom 7. September 1811 etwas. Es stellte
sich überdies heraus , daß diese Gewerbsabgaben an die Gutsherren
namentlich in Schesien so bedeutend waren, daß die Entschädi-
gung dafür dem Staate äußerst lästig geworden wäre und wohl
gar den Ertrag der Gewerbesteuer überstiegen hätte. So hatte z. B.
in einem Ealle ein Fleischer in Oberschlesien an den Gutsherrn für
die bloße Erlaubnis, sein Gewerbe auf dem Gute zu treiben, jährlich
16 Thaler zu zahlen und mußte noch außerdem dem Dominium das
Rindfleisch und die Rindszungen zu einem bestimmten Preise liefern,
der ungefähr nur ein Drittel des nunmehr üblichen war. Die Ex-
ception, daß so hohe gutsherrliche Gewerbssteuern nur mißbräuch-
lich hätten entstehen können und daher auch ohne Entschädi-
gung aufgegeben werden müßten, war auch nicht ohne Härte all-
gemein anwendbar. Denn wenn auch nicht geleugnet werden konnte,
daß der Gutsherr wohl schwerlich eine ihm von dem Landesherrn
verliehene Befugnis, solche Steuern zu erheben, nachzuweisen in der
Lage war, so erschien doch auch gewiß, daß er in einem langjährigen
ungestörten Besitze solcher Hebungen sich befand und letztere bisher
öflentlich unter Schutz der Landespolizeibehörden eingefordert hatte.
Wenn man andererseits beim König eine Deklaration des § 30 des
Ediks vom 2. November 1810 beantragt hätte, durch welche die Auf-
hebung der gutherrlichen Gewerbsabgaben zurückgenommen wurde,
so wäre auch dadurch die Schwierigkeit unbehoben geblieben, da es
nicht darauf ankam, daß die Gutsherren das Recht behielten, die
hergebrachte Abgabe ferner zu fordern , sondern auch , daß für den
Gutseingesessenen die Möglichkeit bestände, die Abgabe ferner zu
entrichten. Diese Möglichkeit aber beruhte in den Fällen , wo die
Gewerbsabgaben hoch waren, lediglich darauf, daß die Gewerbetreiben-
den die Exklusive behielten, welche ihnen früher zustand. Aber
solche Exklusiven stritten wieder gegen den angenommenen Grund-
satz der Gewerbefreiheit und konnten daher nicht von neuem eingeführt
werden. Hardenberg erbat sich über diese Frage die Vorschläge bei-
der Minister nach seiner Rückkehr von Wien.
Schon früher, unter dem 24. Februar 1811 a), hatte der Staats-
kanzler in einem Schreiben an die Sektionen für die Gewerbe und
den Handel im Ministerium des Innern und der Abgaben im Ministe-
rium der Finanzen sich damit einverstanden erklärt , daß die Domi-
nialabgaben gewerbetreibender Gutsunterthanen in Schlesien durch die
Einführung der neuen Gewerbesteuer keineswegs aufgehoben seien,
da dergleichen Abgaben eigentlich Grundzins oder Schutzgeld
wären und nicht für den Betrieb des Gewerbes entrichtet würden.
Später aber äußerte sich Hardenberg in einem Schreiben an Sack
vom 28. Januar 1813 dahin, daß zwar durch die angeordnete Gewerbe-
steuer alle früher dem Grundherrn für die Berechtigung zum Betriebe
1) A. No. 1 Vol. n
24 Kurt von Rohrscheidt,
des Gewerbes entrichteten Abgaben aufgehoben wären, doch aber
müßten in der Regel dergleichen auf Kaufkontrakte, Grundakten, Hypo-
thekenbücher gegründete Leistungen, wenn auch die Benennung der-
selben auf Entrichtung für die Gewerbeberechtigung hinzudeuten
schiene, so lange als Grundabgaben angesehen und ferner erhoben
werden, bis die Eigenschaft derselben als bloß persönliche Ge-
werbsabgaben erwiesen sei. Da indessen hiernach alle nur per-
sönlichen Gewerbsabgaben der Dominialunterthanen aufgehoben gewesen
wären, deren Betrag doch einen sehr bedeutenden Teil der Gutsein-
künfte Schlesiens ausmachte, und es ferner nicht abzusehen war, wo-
her der Staat die Mittel zu einer so großen Entschädigung her-
nehmen sollte, so bat die damalige Abgabensektion am 31. März 1813,
die entgiltige Entscheidung in dieser Angelegenheit wenigstens so
lange hinauszuschieben, bis alle Regierungen gehört seien. Auf die
neuerliche Anregung des Staatskanzlers arbeiteten, wie Bülow am
29. Juni 1815 mitteilte, der Finanzminister und der Minister des
Innern den Entwurf zu einer Deklaration des § 30 des Edikts vom
2. November 1810 aus, welche der Ministerialkonferenz vorgelegt
werden sollte.
Diese Deklaration erfolgte jedoch nicht, vielmehr entschloß man
sich, etwa vorkommende Streitigkeiten der Entscheidung im
Rechtswege zu überlassen. Der Minister des Innern v. Bülow und
der Handelsminister v. Schuckmann führten unter dem 4. Juni 1822
aus, daß der § 30 des Edikts vom 2. November 1810 seine
Bedenken haben könne, da derselbe in wohlerworbene Privat-
rechte bedeutend eingriffe. Wenn jedoch zwischen Grundherren und
einzelnen Dorfeinwohnern Streit darüber entstehe, ob eine Abgabe
noch giltiges Schutzgeld bez. Grundzins oder aufgehobene
Gewerbeabgabe sei, so könne über diese Frage lediglich der
ordentliche Richter erkennen. Eine nähere gesetzliche Deklaration
werde und könne ihrer Natur nach die Möglichkeit eines Streites über
die Anwendung des Gesetzes nicht ausschließen, da es außer den
Kräften des Gesetzgebers liege, allen und jeden Zweifeln,
welche sich bei der Anwendung eines Gesetzes auf spezielle Fälle er-
geben könnten, dergestalt vorzubeugen , daß nicht oft genug richter-
liche Entscheidung eintreten müßte. Der Staatskanzler entsprach
diesen Vorschlägen und verwies die Antragsteller auf den Rechtsweg.
Die Vorteile der Gewerbefreiheit wurden in den nächsten Jahren
nach 1811 nur in sehr geringfügiger Weise bemerkbar, da infolge
des Krieges die Kapitale schwanden, und wo sie vorhanden waren,
doch aller Mut fehlte, sie an eine große Aufgabe zu wagen und so die
Vorteile der gewerblichen Freiheit zu nutzen. Man fürchtete eben
viel mehr zu verlieren, als daß man hoffte, zu gewinnen. Je weniger
die Lichtseiten der Reform zu Tage traten, um so mehr wurden die
Schattenseiten bemerkbar, die auch mit der vollendetsten mensch-
lichen Institution jederzeit verbunden sind. Und auf diese Mängel
wiesen alle Gegner der neuen Staatseinrichtungen warnend und
triumphierend, schienen sie doch die früheren Prophezeiungen lediglich
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 25
zu bestätigen. Der erbittertste Widersacher der Gewerbefreiheit, der
General v. d. Marwitz, schilderte die neuen Zustände in düsterster
Beleuchtung, indem er schreibt ' ) :
„Im Lande selbst fingen die Folgen der 1811 ins Werk gesetzten
unbesonnenen gänzlichen Emanzipation der niederen Stände sich zu
zeigen an. Sie waren nicht erfreulich. Die Gewerbe sanken.
Der Meister ward der Knecht seiner Gesellen. Er hatte kein
Mittel mehr, die faulen und liederlichen zu zwingen ; sie liefen von
einem Meister zum andern und wanderten bettelnd im Lande umher,
obgleich es allenthalben für sie Arbeit gegeben hätte , wenn sie nur
hätten arbeiten wollen.
Ebenso ward der Bauer der Knecht seines Gesindes, der
Herr der seiner Bedienten, weil alle zwingenden Gesetze aufgehoben
waren und jeder gleich davon lief, sobald man Ordnung und Fleiß
von ihnen verlangte. — In den Städten war kein Bäcker, Schuster
und Schneider mehr, der nicht versuchte, seinen Sohn studieren zu
lassen, um ihn im Dienste des Staates anstellen zu können, auf dem
Lande kein Bauer, der den seinigen nicht in die Stadt geschickt hätte,
damit er eiu Handwerk lerne
So entstand ein allgemeines Drängen von unten nach
oben, allenthalben Liederlichkeit, ein Ueberfluß an brotlosen, leichten
Erwerb suchenden Menschen in der Stadt, Mangel an Arbeitern auf
dem Lande. Die so schnell dienstfrei gemachten Bauern verbesserten
ihre Grundstücke nicht, wie man theoretisch kalkulierend gehofft hatte,
sondern sie verfielen in Faulheit, ließen ihren Acker für Geld bestellen
und abernten und saßen zu Hause oder in der Schenke. Wer sonst
im Sommer um 3 Uhr aufgestanden war, schlief jetzt bis 6 und 7
Uhr, und wer sonst gearbeitet hatte, ging jetzt spazieren. Daher
allenthalben der größte Mangel an Arbeitern und Tage-
löhnern, während alle Landstraßen von Bettlern und von Hand-
werksburschen wimmelten, die um eine Gabe ansprachen. — Die
Bauern halfen sich noch, da auf ihre Höfe jetzt Hypotheken einge-
führt wurden, sie selbige also ganz leicht mit Schulden belasten
konnten. Wenn aber erst eine Generation wird dahin gegangen sein,
und das verschuldete Eigentum ein paarmal in gleiche Teile wird
geteilt worden sein, dann werden unsere Kinder sie in demselben
hilflosen Zustande erblicken, in dem jetzt (1819) die Rittergutsbesitzer
leben. Die reichen Bauern des Oderbruchs, denen diese Leichtigkeit
des Geldaufnehmens auf erste Hypotheken am meisten zu statten
kam, nützten sie so gut, daß man sie in die Städte fahren sah, um
sich an „Voß-Yer un Schuumwien" (Fuchseier und Schaumwein) zu laben :
so nannten sie gebrannte Mandeln und Champagner.
Eine der übelsten Folgen muß dieses Unwesen in der Folge auf
dieRekrutierung unserer Armee hervorbringen. Die Bauern-
söhne und die jungen gesunden Tagelöhner waren die festeste Stütze
unseres Heeres. Arme Kolonisten, schwindsüchtige Schreiber und
1) Aus dem Nachlasse Ludwigs v. d. Marwitz (Berlin 1852) Bd. I, S. 385 ff.
2(3 Kurt von Rohrscheidt,
schwächliche Handwerker geben nie gute Soldaten. Jetzt ist alles
so gestellt, daß erstere verschwinden und letztere im Uebermaße
zunehmen."
So düster dieMarwitz'sche Schilderung ist, und so falsch es war, statt
eines Einlebens in die Verhältnisse der Gewerbefreiheit nur eine Fort-
bildung ihrer Schäden und Gefahren, dieim Anfang naturgemäß am krasse-
sten hervortreten mußten, zu erwarten, in einem hatte er Recht: das
Gesellen wesen bedurfte einer gründlichen, der Gewerbefreiheit an-
gepaßten Reorganisation. Daß dieselbe unterlassen worden ist, bedeutet
einen der größten Vorwürfe, die man der neuen Gesetzgebung machen
kann. An Stelle der zunftmäßigen, im Interesse der Fortbildung des
Handwerks vorgeschriebenen Wanderschaft trat die freiwillige
Vagabondage. Freilich konnten auch nun die des unstäten Wander-
lebens überdrüssigen Gesellen einen selbständigen Gewerbebetrieb an-
fangen, ohne das Meisterrecht bei dem Gewerke gewinnen zu müssen.
Allein bei den meisten Zünften wurde diese Befreiung von den An-
sprüchen der Gewerke doch zu sparsam benutzt. Es schien
nicht allein ehrenhafter , den Anspruch auf selbständigen Gewerbe-
betrieb durch Anfertigung eines Meisterstücks zu rechtfertigen,
sondern die zünftigen Meister waren auch vorzugsweise als Lehr-
herren gesucht, weil nur ihre Lehrlinge dereinst zünftige Ge-
sellen werden und als solche auch in Ländern, wo das ausschließliche
Recht der zünftigen Gewerke zum Betriebe ihres Handwerks noch be-
bestand, Arbeit und Unterstützung auf der Wanderschaft bekommen
konnten. Obwohl es auch gesetzlich feststand, daß zünftigen Gesellen
kein Vorwurf daraus gemacht werden durfte, wenn sie bei einem
unzünftigen Meister Arbeit annahmen, so wurde doch thatsächlich
Arbeit bei einem zünftigen Meister von ihnen vorgezogen, weil sie der
herrschenden Meinung der Zunftgenossen nach noch immer für ehren-
hafter galt, und auch dieses war denjenigen, welche das Handwerk in
beträchtlicher Ausdehnung zu betreiben hofften, ein Grund
mehr, das zünftige Meisterrecht zu gewinnen. Die Gewerke
selbst erleichterten unter diesen Verhältnissen gern den Beitritt, und
die Schließung der Gewerke auf eine bestimmte Meisterzuuft ward über-
all bedeutungslos. Indessen bewirkte diese Veränderung eine wesent-
liche Verbesserung des Handwerksbetriebes zunächst nicht. Der
städtische Handwerksmeister, zünftig oder unzünftig, konnte doch immer
nur unter der Bedingung zu dem mäßigen Wohlstande, der in dem Be-
griffe eines ehrsamen Meisters und Bürgers lag, kommen, wenn er mit
einigen Gehilfen arbeitete; und wenn die städtischen Meister im
allgemeinen diese Stellung erreichen sollten, so mußten natürlich der
Gehilfen sehr viel mehr sein als der Meister, so daß der bei
weitem größte Teil derselben keine Hoffnung haben konnte, jemals auch
zum wohlhabenden zünftigen oder unzünftigen Meisterstande zu ge-
langen. Zwar nahm die Zahl der Landhandwerker zu, seitdem
dem Handwerksbetriebe die volle Freiheit des Orts gestattet, und der-
selbe nicht mehr auf die Städte beschränkt war. Es konnten mithin
auch mehr Gehilfen als früher zum selbständigen Gewerbebetriebe
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 27
dabei Unterkommen finden ; allein dies reichte um so weniger aus,
jenem Mißverhältnisse abzuhelfen , als unvermeidlich weniger Hand-
werkerarbeit vom Lande her in den Städten gesucht wurde, wenn die
Landleute dieselbe an ihren Wohnorten selbst erhalten konnten. Daher
bestand immerfort die Wahl zwischen zwei gleich wenig erfreulichen
Zuständen. Entweder zersplitterte sich der Handwerksbetrieb unter
viele, zwar für eigene Rechnung, aber ohne Geh ilfen arbeitende,
daher sich nur sehr kümmerlich mit ihrer Familie nährende Gewerbs-
genossen, und nur sehr wenige Meister, durch besondere Verhältnisse
begünstigt, konnten zur anständigen Stellung eines wohlhabenden
Bürgers gelangen ; oder aber es alterte eine große Anzahl Handwerks-
gehilfen ohne Hoffnung, von dem erlernten Gewerbe jemals eine Fa-
milie rechtlich ernähren zu können, und fiel nun durch Versuche,
dieses Ziel auf anderem Wege zu erreichen, den Gemeinden zur Last.
Beide Wege wurden im Laufe der Zeit betreten, man fand in den
verkehrsreichsten Städten neben einigen sehr wohlhabenden Handwerks-
meistern auch viele sehr dürftige, andererseits wurde der Zu-
drang zur Schankwirtschaft, zur Hökerei, Vorkäuferei und anderem
Kleinhandel unverhältnismäßig groß und wurde hauptsächlich durch
alternde Gesellen veranlaßt, welche bei dem erlernten Handwerk
keinen Unterhalt für eine Familie finden konnten und gleichwohl einen
eigenen Hausstand anfangen wollten. Die Gewerbsamkeit gewann
allerdings insofern etwas, als geschickten und zuverlässigen Hand-
werksgesellen das Anstellen eines Gewerbebetriebes für eigene Rech-
nung sehr erleichtert war. Wenn sie auch im allgemeinen vor-
zogen, das zünftige Meisterrecht zu gewinnen, so fanden sie doch die
Gewerke nun geneigter, von erschwerenden Forderungen abzustehen,
weil das zünftige Meisterrecht nicht mehr ausschließlich die Befugnis
zum selbständigen Gewerbebetrieb verlieh. Beinahe noch vorteilhai'ter
wirkte die Lüftung der Schranken, worin diejenigen Arbeiten
eingeschlossen wraren, welche zum ausschließlichen Betriebe jeder
besonderen Zunft gehörten. Jeder Handwerker verfertigte nun,
was er mit seinen Werkzeugen und erlernten Handgriffen bereiten
konnte, soweit nicht, wie bei der Verfertigung von Schlössern, ein be-
sonderes polizeiliches Interesse Beschränkungen unvermeidlich
machte. Die Gewerke selbst mußten sich nachsichtig gegen ihn zeigen,
weil sie sonst nur den unzünftigen Gewerbsgenossen ein Uebergewicht
verschafft hätten. Der Tischler fertigte nun überall auch Stühle,
der Schuster Pantoffeln, der Böttcher Eimer, der Schlosser
jede Kleinschmiedearbeit, und der Wagenfabrikant vereinigte ohne
Widerspruch der Gewerke sieben verschiedene Handwerke in seiner
Werkstätte. Dagegen war aber auch nicht zu verkennen, daß der wich-
tige Einfluß, welchen angesehene Handwerkermeister, besonders die
Gewerksältermänner, auf Erhaltung von Ordnung, Zucht und
Sitte unter den Gewerbsgenossen auszuüben vermocht hatten, sehr
sank, seitdem nicht mehr jeder, der ein Handwerk als Meister oder
Gehilfe trieb, der Zunft angehören mußte. Hatten auch die Meister,
und besonders die Vorsteher der Gewerke, diesen Einfluß nicht immer
28 Kurt von Rohrscheidt,
zur Erreichung wahrhaft wohlthätiger Zwecke und in reiner Gesinnung
benutzt, so war doch durch ihn in früheren Zeiten viel Löbliches und
Ersprießliches bewirkt worden. Auch die Teilnahme, womit die den
Gewerken gehörigen milden Anstalten gepflegt, Witwen und Waisen
unterstützt, unverschuldetes Unglück befreundeter Gewerke gemildert
war, wurde merklich zweifelhafter, als die Bande, welche die Hand-
werker zusammenhielten, sich so sehr lockerten. In deu Provinzen,
welche seit dem Wiener Kongreß mit dem preußischen Staate vereinigt
waren, war teils die Zunftverfassung bereits ganz aufgehoben,
teils auch noch wesentlich in den alten Formen verblieben. Im
ersteren Falle bestanden die Gewerke zum Teil noch thatsäch-
lich, obwohl nicht mehr von der Regierung anerkannt, und es hatte
sich ein Zustand gebildet, welcher wesentlich demjenigen ähnlich war,
den das Edikt vom 2. Nov. 1810 erzeugte , nur mangelte hier die
gesetzliche obrigkeitliche Teilnahme an der Aufsicht über die örtlichen
Gewerke und wurde mehr oder minder vollkommen durch Einrichtungen
ersetzt, woran das örtliche Bedürfnis mehr Anteil hatte als die Landes-
verfassung. Im anderen Falle, besonders im Herzogtum Sachsen,
war zwar die Regierung sehr geneigt, veraltete Mißbräuche zu ver-
tilgen uud lästige Beschränkungen der Gewerbsamkeit so weit zu
mildern, als es die noch bestehende Zunftverfassung zuließ, indessen
erhielt die Ueberzeugung, daß doch bald mehr geschehen müsse, einen
Zustand der Unsicherheit, der Besorgnisse und der Hoff-
nungen, welcher den Fortschritten der Gewerbsamkeit, wie sich
leicht denken läßt, keineswegs günstig war1).
Ein Bericht der Polizeideputation der pommerschen Regie-
rung in Stettin vom 28. Mai 1815 2) stellte fest, daß die Gewerbsam-
keit im Jahre 1814 keine rege gewesen sei. Die Kriege hätten
einen großen Teil des Betriebskapitals und das Jahr 1813 zur Ver-
teidigung eine Masse rüstiger Arbeiter entzogen. Wenn letztere auch
nach dem Frieden allmählich wieder zu den Gewerben zurückkehrten,
so geschähe es doch mit verstümmelten Gliedmaßen, verminderter Ge-
schicklichkeit und mit weniger gutem Willen, als die Gewerbe zu
ihrem Emporkommen nötig hätten. Fortschritte seien daher nirgends
zu erwarten, man müsse vielmehr zufrieden sein, wenn es nur beim
Stillstand verblieben und kein Verfall von Bedeutung sichtbar
geworden wäre. Da die Gesetzgebung der Jahre 1810 und 1811 aus-
gesprochenermaßen die Absicht verfolgt hatte , die Auflösung der
Zünfte auch als freier Vereinigungen zu befördern und so das Gewerbe-
wesen allmählich in eine zunftlose Aera hinüberzuleiten, so wurden
im Jahre 1837 Ermittelungen darüber angestellt, inwiefern die Wir-
kung der Gesetze der Absicht entsprochen hatte. Es ist schon früher
angedeutet worden , daß von der Auflösungsbefugnis des § 19 des
Edikts vom 7. Sept. 1811 überall wenig Gebrauch gemacht war. Aus
1) Nach J. G. Hoffmann. Die Befugnis zum Gewerbebetriebe (Berlin 1841),
S. 136 ff.
2) A. No. 6.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 29
dem Regierungsbezirk Königsberg, welchen wir hier als Beispiel an-
führen wollen, kam die gleiche Nachricht1). Wenn einmal die Auf-
lösung eines Gewerks stattfand, so geschah es nur, weil die Meister
ausgestorben waren. Hie und da wurden sogar Anträge auf Neu-
errichtung von Gewer ken gestellt, wie z B. aus Liebemühl, die
allerdings zurückgewiesen wurden. Nur in Königsberg lösten sich
14 Gewerke auf, darunter die der Müller und der Züchner, in Pr.
Holland ebenfalls die Müller und Züchner. In Liebstadt löste
sich das Bäckergewerk auf, und aus Gilgen bürg wurde konstatiert,
daß sich immer häufiger Gewerbetreibende aller Art etablierten, welche
sich den Zünften nicht anschlössen. Im übrigen kamen nur negative
Nachrichten aus Allenburg, Alienstein, Barten, Bartenstein, Bischofs-
burg, Bischofstein, Braunsberg, Kreuzberg, Domman, Drengfurth, Pr.
Eylau, Fischhausen, Friedland, Frauenburg, Gerdunen, Gilgenburg,
Guttstadt, Heilsberg, Höllenstein, Labiau, Landsberg, Mehlhack, Memel,
Mohrungen, Mühlhausen, Neidenburg, Niedenburg, Ortenburg, Osterode,
Passeuheim , Pillau, Rastenburg, Rössel, Saalfeld, Schippenbeil, See-
burg, Soldau, Tapiau, Wehlau, Willenberg, Wormditt, Zinten, Heiligen-
beil und Wartenburg. Immerhin lauteten um diese Zeit aus dem
Regierungsbezirk Königsberg die Berichte über den Stand des
Gewerbewesens bereits entschieden günstiger. So heißt es in einem
an den Minister des Innern v. R o c h o w eingereichten Promemoria
eines Regi erungsassessor s Schmitz vom 3. September 1840 2),
daß die Fabrikationsgewerbe im allgemeinen gegen die Kriegszeiten
in ihrem Umfange gestiegen seien. Dies verstände sich allerdings von
selbst, allein sie hätten auch in den letzten Jahren andauernd und
merklich zugenommen, was man aus der Gewerbesteuer ersehen
könne, deren Soll :
1825 84306 Tbaler
1836 85 147 „ 10 Sgr.
1837 85755 „
1838 85 275 „
1839 88316 ,, 10 ,,
betragen habe. Auch wäre die Solleinnahme durch die Isteinnahme
überschritten worden:
1837 um 3541 Thaler 8 Silbergr. 3 Pf.
1838 ,, 2862 ,, I „ 2 „
1839 „ 2318 „ 4 3 ,1
Bei denjenigen Gewerben, welche auf Ackerbau, Viehzucht, Holz-
zucht und Mineralien gegründet seien, wäre vorzugsweise in den letz-
ten Jahren ein Vorschreiten sichtbar gewesen.
Der bereits genannte ausgezeichnete Kenner des Gewerbewesens,
der Statistiker J. G. Hoff mann, nimmt an, daß den damaligen Zeit-
verhältnissen entsprechend jedes Gewerk ungefähr eben so viel Lehr-
linge und im ganzen wenigstens dreimal so viel Gehilfen als
Meister haben müsse, wenn die zur Gründung eines Hausstandes
1) B. No. 1.
2) A. No. 6.
30 Kurt von Rohrscheidt,
und zur Erhaltung der Familie erforderliche mäßige Wohlhabenheit
jedes Meisters erreicht werden solle. Wenn man voraussetze, daß
jemand mit 30 Jahren Meister werde und eben so lange Meister bliebe,
so lehre er in dieser Zeit 7 Lehrlinge aus, da die Lehrzeit im Durch-
schnitt 4 Jahre währe, falls er nie mehr als einen Lehrling gleich-
zeitig unterhalte. Das sei auch nicht zu viel, wenn es gelte, zu viel
Gesellen heranzuziehen, daß er beständig deren 3 halten könne. Allein
es sei allerdings viel zu viel, wenn man erwäge, daß alle diese Ge-
hilfen nach vollendetem 30. Lebensjahr einen wohlbegründeten An-
spruch auf Verheiratung und Anstellung eines selbständigen Gewerbes
hätten. Wenn auch teils die Bevölkerung und mit ihr der Ver-
brauch von Handwerkerarbeiten wachse, teils in den Lehr-
und Gesellenjahren einiger Abgang durch Tod oder Veränderung
des Lebensplanes eintrete, so sei doch beides bei weitem unzureichend,
die Zahl der notwendigen jungen Gehilfen so zu mindern, daß nicht
viel mehr Ansprüche auf das Meisterrecht erhoben würden,
als sich mit dem Wohlstande der Einzelnen vereinigen ließe. Die P'olge
dann wäre, daß die Zahl der Meister in ein ganz anderes Ver-
hältnis zu den Gehilfen komme. Neben einigen wohlhabenden Meistern,
die mit 3, 4 und mehr Gesellen arbeiteten, müßten viele bestehen, die
letztere gar nicht hätten. Es sei klar, daß nur etwa halb so viel
Gehifen als Meister vorhanden sein könnten, wenn der einzelne
Mensch vom 14. bis zum 30. Lebensjahre, also 16 Jahre lang, Lehrling
und Geselle , und vom 30. bis zum 60. , also 30 Jahre lang, Meister
bliebe. Diese Annahme bestätigte auch im allgemeinen die Praxis.
Es wareu nach der am Ende des Jahres 1828 aufgenommenen Gewerbe-
tabelle im ganzen preußischen Staat folgende Handwerker vorhanden :
Meister, zünftig
Gehilfen,
Es kamen auf
und unzünftig
Gesellen und
100 Meister
Lehrlinge
Gehilfen
Bäcker
21 708
7 559
35
Fleischer
I5 654
5 344
34
Schneider
53 791
22 022
41
Schuster und Pantoffe Imacher
64419
32968
5i
Tischler
23066
16 615
72
Grob-, Huf- und Waffenschmiede
29 933
12913
43
Schlosser und Kleinschmiede
15068
11 151
74
Töpfer und Ofenfabrikanten
4981
3831
77
Rade- und Stellmacher
13 148
4 040
3i
Böttcher und Kleinbinder
II 715
4 435
38
Seiler
3 235
1 729
53
Riemer und Sattler
5 976
3 006
5°
Gerber und Lederbereiter
5 329
4 279
80
Zusammen 268 023 129 892 48
Entgegen dem früheren Grundsatze, daß die Städte den Sitz der
Handwerke bildeten, lebten mehr als die Hälfte aller dieser Meister
auf dem Lande, und zwar waren bei:
1) A. No. 6.
1) A. No. 6.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit.
31
Bäckern
Fleischern
Schneidern
Schustern und Pantoffelmachern
Tischlern
Grob-, Huf- und Waffenschmieden
Schlossern und Kleinschmieden
Töpfern und Ofenfabrikanten
Rade- und Stellmachern
Böttchern und Kleinbindern
Seilern
Riemern und Sattlern
Gerbern und Lederbereitern
Meister überhaupt
21 708
15 654
53 79i
64419
23 066
29 933
15068
4981
13 148
11 715
3 235
5 976
5 329
auf dem Lande
10 384
6481
31 977
26 555
1 1 105
24 964
7 810
1 366
9904
5766
539
2 012
1 249
also unter 100
48
41
59
4i
48
83
52
27
75
49
17
34
23
Zusammen 268 023
Hiervon kommen:
auf die 39 gröfsten Städte 31 687 Meister, 37 177 Gehilfen,
auf alle übrigen Städte 96224 „ 55 959 5>
auf das platte Land 140112 ., 36756 »
140 I 12
52
also auf IOO Meister 117 Gehilfen
„ „ ;, .. 58 „
26
Zusammen 268 023
129 892
48
Auf dem Lande waren also sehr wenig Gehilfen vorhanden, doppelt
so viel in den kleinen Städten, und wieder doppelt so viel als
hier in den großen Städten. Trotzdem meint Hotfmann, und
wohl mit Recht, daß die Landhandwerker wahrscheinlich nicht die
dürftigsten unter ihren Genossen gewesen seien, da der Besitz einer
Kuh und eines Kartoffelgartens bei gewöhnter einfacher Lebensweise
zur Ernährung der Familie wesentlich beigetragen habe. Dagegen
mußte in den kleineren Städten die Zahl der dürftigen Meister
sehr beträchtlich sein, da bei 58 Gehilfen auf 100 Meister der
größte Teil der letzteren immer ohne Gehilfen zu arbeiten gezwungen
war. Auch in den größeren Städten waren noch nicht halb so
viel Gehilfen vorhanden, als nach der Hoffmann'schen Annahme
nötig gewesen wären, um nur zwei Dritteilen der Meister Wohlstand
zu verleihen. Es ist interessant zu sehen, daß das Mißverhältnis
zwischen der Anzahl der Meister und der der Gehilfen sowohl in den
Provinzen hervortrat, wo der Zunftverband längst gänzlich aufgehoben
war, als in denen, wo er noch zum großen Teile bestand. Es hatten
nämlich die Provinzen
bei einer Ein-
Meister,
Gesellen
es kamen also auf
wohnerzahl
zünftig und
und
100 000
Einwohner
von
unzünftig
Lehrlinge
Meister
Gehilfen
Ost- und Westpreufsen
2 008 361
32690
14 121
163
70
Posen
I 064 506
17 829
6382
167
60
Brandenburg u. Pommern
2416434
49 538
3M59
205
130
Schlesien
2 396 551
50362
19675
210
82
Sachsen
I 409 388
35 978
17 772
255
125
Westfalen u. Rheinprov.
3 430 870
40483
40 483
238
118
Zusammen 12726 HO 268023 129892 211 102
Danach besaßen die Provinzen Sachsen, Westfalen und
Rheinprovinz, obgleich ihr Zustand bez. des Zunftwesens doch
ganz verschieden war, gleichmäßig noch nicht halb so viel Gehilfen
32 Kurt von Robrscheidt,
als Meister. Und wiederum war dies Verhältnis in Brandenburg
und Pommern ganz anders als in Schlesien, trotzdem diese
Landesteile seit 1810 die gleiche Gewerbeverfassung besaßen. Dabei
ist allerdings zu berücksichtigen, daß in Schlesien nur ein Fünftel, in
Brandenburg und Pommern dagegen drei Achtel der Einwohner in den
Städten wohnten, weshalb jene Provinz schon mehr Landhandwerker
und daher verhältnismäßig weniger Gehilfen als letztere aufwies. Die
größte Anzahl von Meistern hatten die kleineren Städte, nämlich 438
auf 100000 Einwohner, während die großen Städte nur 270 auf die
gleiche Einwohnerzahl besaßen. Je wohlhabender die Provinzen waren,
desto mehr hatten sie Landhandwerker im Verhältnisse zu ihrer länd-
ländlichen Bevölkerung; es zeigten nämlich auf 100000 Einwohner
Meister und Gehilfen : Westfalen und Rheinprovinz 283, Sachsen 205,
Schlesien 195, Brandenburg und Pommern 132, Ost- und Westpreußen
115 und Posen 62. Dasselbe gilt für die Anzahl der Gehilfen, d. h.
bez. des Umfangs des Gewerbebetriebes , denn es kamen auf 100
Landmeister in Westfalen und der Rheinprovinz 36, in Brandenburg
und Pommern 24, in Sachsen 23, in Schlesien 21, in Ost- und West-
preußen 11 und in Posen 11 Gehilfen.
Nachfolgende statistische Tabelle möge die Uebersicht über die
Gewerbsverhältnisse für Stadt und Land im Jahre 1828 vervoll-
ständigen. (Tab. s. S. 33.)
Am bemerkenswertesten bei dieser Statistik ist wohl der
große Abfluß der Handwerker aus den Städten auf das Land
welchen die Gewerbefreiheit zur Folge hatte. Es war dies sicherlich
nur zum Vorteil der Landbewohner selbst, denen die Handwerker
manche Bequemlichkeiten und Annehmlichkeiten des
Lebens, wie sie unter dem Einfluß der wachsenden Kultur entstanden,
brachten, während dies ohnedem nur unvollkommen geschehen sein
würde. Die zahlreichen Handwerker auf dem Lande vermehrten aber
auch die städtische Handwerkerarbeit, da sie vieler Werk-
zeuge und Zuthaten bedurften, die nur aus den Läden der Städte
entnommen werden konnten. Endlich hatten die städtischen Hand-
werker an den ländlichen wohlfeile Gehilfen, so daß es in ihrem eige-
nen Interesse lag, wenn letzteren die Ansiedelung in Flecken und
Dörfern so wenig als möglich verkümmert wurde.
H. Abschnitt.
Gegenströmungen.
Es war Hardenberg keineswegs leicht , den vom Gesetze prokla-
mierten Grundsatz der Gewerbefreiheit ohne Schwanken aufrecht zu
erhalten, da von allen Seiten der Versuch gemacht wurde, durch De-
klaration der Gesetze oder auf dem Wege der Verwaltungspraxis das
Prinzip zu durchbrechen. Allein der Staatskauzier ließ sich nicht be-
irren, und er schritt überall nachdrücklich ein, wo ihm eiu Abweichen
1) Nach Hoffmann, Nachlafs kleiner Schriften, Berlin 1847, S. 395 ff.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit.
33
von dem vorgeschriebenen Wege bekannt wurde. So hatte der Chef
der Abgabensektion, v. Heydebreck, bezweckt, einen weiteren Schutz
des Krugsverlagsrechts dadurch herbeizuführen, daß er bean-
Es hatten nachstehende bei einer
Landesteile, die Städte Einwohn. -
zahl von
Meister, Gesellen es kamen also aui
zünftig und und 100 000 Einwohner
unzünftig Lehrlinge Meister Gehilfen
1) Königsberg
76941
2) Dangig
61 902
3) Elbing
19 860
4) Thorn
13 773
5) Tilsit
11 665
6) Memel
8833
183 974
28484
236 830
4252
713
5 528
5641
961
8383
231
250
233
307
7) Posen
338
8) Berlin
354
9) Potsdam
32 345
10) Stettin
31 961
11) Frankfurt
21 972
12) Stralsund
17 174
13) Brandenburg
'4 995
"8 447
2984
3692
252
312
14) Breslau
90090
15) Grofs-Glogau
14 593
16) Brieg
11 371
17) Görlitz
10 981
18) Liegnitz
10854
19) Grünberg
9049
146938
4 100
4 33o
279
295
20) Magdeburg ohne
Neustadt u. s. w.
44049
21) Halle
25 982
22) Erfurt
25 127
23) Halberstadt
16512
24) Quedlinburg
12 539
25) Burg
12 475
26) Mühlhausen
11 387
27) Naumburg
10803
28) Nordhausen
i°5i5
169 389
5 775
5 572
34i
329
29) Köln mit Deutz
64499
30) Elberfeld mit Barmen
54 345
31) Aachen
36809
32) Düsseldorf
23679
33) Münster
21 046
34) Koblenz mit Ehren-
18278
breitenstein
35) Krefeld
17976
36) Trier
15 998
37) Wesel
13 218
38) Bonn
12250
39) Eupen
10677
288 775
8 335
8598
289
298
Alle übrigen Städte und
Provinzen
Ost- und Westpreufsen
268 170
12 418
6665
463
249
Posen
260 463
12 508
4 892
480
188
Brandenburg und Pommern
553 964
23 7H
15277
428
276
Schlesien
336 930
15423
8889
458
264
Sachsen
339 145
15 173
8741
447
258
Westfalen und Rheinprovinz
435 924
16988
"495
390
264
Also in sämtlichen Städten des
preufsischen Staates
3 367 433
127 911
93 136
380
277
Dritte Folge Bd. VIII (LXIII).
34 Kurt von Rohrscheidt,
ü v ,. u bei einer
Es hatten nach- -^. ,
. , , T j . ., Einwohner-
stehende Landesteile , ,
zahl von
Sämtl. Städte d. Staats: 3367433
Die Flecken u. Dörfer in
den Provinzen
Ost- und Westpreufsen 1 556217
Posen 775 559
Brandenburg u. Pommern I 507 193
Schlesien I 912 683
Sachsen 900 854
Westfalen u. Rheinprov. 2706171
Meister,
Gesellen
es kamen
also auf
zünftig und
und Lehr-
1000 Ein
wohner
unzünftig
linge
Meister Gehilfen
127 911
93 »36
380
277
16020
1815
103
12
4608
529
59
7
I73I2
4107
ii5
27
30839
6 456
161
34
15030
3 459
167
38
56 303
10390
208
75
268 023
129 892
211
102
31687
37 177
270
317
96 224
55 995
438
255
Der ganze Staat 12 726 1 10
und zwar insbes. die 39
vorben. Städte 1 172 837
alle übrigen Städte 2 194 596
Das Land in Flecken und
Dörfern 9358677 140112 36756 150 39
tragte, die Anlegung neuer Brauereien und Brennereien an Orten,
wo andere das Krugsverlagsrecht hätten, zu verbieten. Hardenberg
lehnte dies unter dem 15. Oktober 1811 x) bestimmt ab, indem er aus-
führte, man könnte doch unmöglich wieder ganz auf den alten
Punkt zurückkehren und Monopole begünstigen. Der bisherige
Zwangspflichtige müsse nicht nur sein Getränk nach Belieben kaufen
dürfen, sondern auch den Vorteil des näheren Bezuges um so mehr
haben, als nicht zu bezweifeln stehe, daß der Nachteil, welchen der
Zwangsberechtigte von dieser Konkurrenz vielleicht haben könne,
aber oft nicht haben werde, durch Vermehrung der Bevölkerung
und. des Wohlstandes, die die neue Verfassung des platten Landes er-
zeugen müsse, reichlich zur Ausgleichung komme.
Vielfach zeigte sich auch an den Provinzialbehörden, die in stän-
diger Berührung mit der Bevölkerung blieben, daß sie von den Gegen-
strömungen gegen die Gewerbefreiheit mit ergriffen wurden. Wenn
sie sich auch nicht in der Lage befanden, die gesetzlichen Vorschriften
unwirksam zu machen, so waren sie doch von einer gewissen Lässig-
keit und Nachgiebigkeit gegen die Stimmung der Zunftfreunde und
hielten nicht mit Festigkeit darauf, daß Mißverständnis und Mißver-
gnügen aufgeklärt und behoben wurden. So fühlte sich Hardenberg
bereits am 26. Oktober 1811 2) bewogen, in einer geharnischten
Verfügung an die Regierung zu Breslau zu erklären, daß, wie
er aus den Berichten des Polizeipräsidiums erfahren habe , man sich
bemühe, Unzufriedenheit über das neue Gewerbe- und
Konsumtionssteuer-Edikt zu erregen , und daß solche sogar
schon anfange, laut zu werden. Insbesondere verbreite man die Mei-
nung, daß das Gouvernement das städtische Interesse dem
ländlichen nachsetze und jenes dem der Gutsbesitzer ganz auf-
opfere. Es gereiche den Landesbehörden zum Vorwurfe, wenn solche
ganz falsche und leicht zu widerlegende Ansichten selbst an Orten
1) A. No. 1, Vol. i.
2) A. No. 1, Vol. I.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreibeit. 35
verbreitet und herrschend würden, wo sie ihren Sitz hätten, und mit-
hin Belehrung und Zurechtweisung ihnen nicht schwer werden könne.
So bedeutend die Steuererlasse auch seien, welche dem platten Lande
bewilligt wären, so müsse doch dabei nicht übersehen werden, daß sie
nur bei ganz Deuen Abgaben stattgefunden, und daß vom Lande doch
noch mehrere Millionen aufgebracht würden, während die Städte von
verschiedenen älteren Abgaben Erlasse erhalten und von den neuen
bloß dieGewerbs- und Luxussteuer gemeinschaftlich mit dem
platten Lande trügen. Dabei entspränge aus dem freieren Zustande
des platten Landes so mancher indirekte Vorteil für die Städte, daß
nur sehr wenig Blick dazu gehöre, um zu beweisen, daß die neuen
Einrichtungen nicht bloß wohlthätig für das platte Land, sondern
auch für die Städte seien. Der Nachteil, welcher für die letzteren
aus der Konkurrenz der Landgewerbe besorgt werden könne,
werde dadurch beseitigt, daß die letzteren höhere Gewerbesteuer
trügen und ihre Fabrikate bei der Einbringung in die Städte einer
die größeren städtischen Lasten ausgleichenden Nachschuß accise
unterwerfen müßten , die auch beim Aufkauf der Landfabrikate zum
Handel und bei deren Verkauf auf den Märkten der accisefreien
Städte entrichtet werden solle, damit der Stadtfabrikant mit dem
ländlichen auch hier in Konkurrenz bleiben könne. Von den Kon-
sumtionsartikeln sei die Nachschußaccise vorläufig bestimmt.
Dabei wäre der Grundsatz angenommen, daß an den Orten, wo sie
nicht ausreiche , um den höheren Aufwand , den der Städter wegen
außerordentlicher Lasten habe, zu decken und auszugleichen, der Satz
verhältnismäßig erhöht werden solle. Dieser Fall trete dem Ver-
nehmen nach z. B. in Breslau bei den Fleischern dadurch ein, daß die
Bankgerechtigkeiten daselbst einen hohen Wert hätten. Es sei
daher billig, daß der Nachschuß von 3 Pf. pro Pfund Pleisch um
1 — 2 Pf. erhöht würde, und es bliebe der Regierung überlassen, mit
Rücksicht auf das Resultat der näheren Ausmittelung entweder den
ersten oder den letzten Satz anzuwenden, dessen Einkommen übrigens
zur Ablösung der Bankgerechtigkeiten verbraucht werden solle. Fände
sich eine ähnliche Erhöhung auch bei anderen Artikeln nötig,
so habe die Regierung schleunig ihre Vorschläge der Abgabensektion
zu machen.
Vorstellungen gegen die Gewerbefreiheit wurden fortgesetzt von
den Städten beim Staatskanzler angebracht, und Hardenberg benutzte
eine Eingabe des Berliner Magistrats, um sich unter dem
18. März 1817 eingehend über diese Frage zu verbreiten. Er verfügte
an die Berliner Regierung1): „Der Königl. Regierung eröffne ich auf
den Bericht vom 26. Januar, die von dem hiesigen Magistrat besorg-
ten Nachteile der Gewerbe fr ei he it betreffend, folgendes.
Unleugbar geraten viele in Armut und Immoralität, weil sie ohne
hinlänglichen und sicheren Erwerb heiraten und einen
eigenen Hausstand anfangen. Die von dem hiesigen Magistrat ange-
1) A. No. 1, Vol. II.
36 Kurt von Robrscheidt,
führten Gründe überzeugen mich jedoch nicht, daß die Wiederher-
stellung der ausschließlichen Zunftrechte ein Mittel sei, dieser Unvor-
sichtigkeit zu steuern. Da die gesetzliche Lehrzeit niemals über
sieben, oft nur fünf oder gar drei Jahre beträgt, drei Jahre
in der Regel zur Wanderzeit bestimmt sind, und die Lehrlinge im
14. Jahre aufgenommen werden, so kann die Lehr- und Wanderzeit
gewöhnlich vor erreichter Volljährigkeit beendet sein, und die Zunft-
verfassung an sich hindert daher zu frühe Heurathen nicht. Mehrere
Gewerke sind längst mit armen Meistern überfüllt, namentlich
die Zünfte der Schuhmacher und Schneider und in den Provinzial-
städten vorzüglich der Tuchmacher. Die Zunftverfassungen haben dies
nicht verhindert ; wohl aber noch durch — wenn auch längst verboten,
dennoch zur Ehrensache gemachte — Schmausereien bei den Auf-
nahmen die kleinen Ersparnisse vergeudet, deren bessere Anwendung
die Grundlage des künftigen Wohlstandes der neuen Haushaltungen
hat werden können.
Der geschickte, fleißige und ordentliche Handwerker findet fast
immer noch Nahrung: allein die Meisterstücke verbürgen nicht
wie einst die Geschicklichkeit. Daraus, daß ein Gesell mit beliebigem
Aufwände von Zeit und Material endlich ein erträgliches Stück Arbeit
fertigt, folgt noch keineswegs, daß er schnell und sparsam, mit-
hin wohlteil und dennoch dauerhaft und schön zu arbeiten ver-
stehe, und noch weniger, daß er die Fähigkeit habe, dem wandelbaren
Geschmacke und den Bedürfnissen der Zeit zu folgen, worauf sein
dauerhaftes Auskommen vorzüglich beruht. Auch findet man in
allen zahlreichen Zünften einzelne unbrauchbare Arbeiter, des von ihnen
gefertigten Meisterstücks ungeachtet.
Endlich dürfen auch in mehreren Zünften die Gesellen heiraten,
wie bei Maurern und Zimmerleuten, und die Freiweber und Fabrik-
arbeiter, unter welchen vorzüglich Armut und Elend heischen, waren
überhaupt niemals zünftig.
Nach meiner Ansicht können nur edlere Beweggründe als
diejenigen, welche das Zunftwesen zu geben vermag, der unvorsichtigen
Anstellung einer eigenen Haushaltung steuern, und die gerechten Rück-
sichten auf das künftige Schicksal einer neuen Familie gegen die Nei-
gung zur Unabhängigkeit geltend machen. Der Drang der Zeiten hat
viele Früchte des stillen Fleißes, und mit ihnen die häusliche Ord-
nung und Zucht zerstört, aus welcher solche edlere Beweggründe her-
vorkeimten. Eine Menge Menschen sind aus der häuslichen Abhängig-
keit und von ländlichen Arbeiten in die Heere gerufen worden , die
jetzt von einer arbeitsamen und sparsamen Lebensart entwöhnt, in
den Städten leichteren Erwerb und ein freieres Leben suchen. Die
Wiederherstellung eines sicheren Friedens und einer größeren Selb-
ständigkeit hat zwar die Möglichkeit erworben, den zerrütteten Wohl-
stand wieder zu erlangen; aber es gehört Zeit und Ruhe dazu,
und die nächsten Folgen der Not verschwinden keineswegs sogleich
mit der Ursache derselben.
Der Andrang zu den städtischen Gewerben und zur
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 37
ErlaDgung des Bürgerrechts, worüber der Magistrat klagt, erklärt sich
sehr viel besser aus diesen allgemeinen Verhältnissen, als aus der Ge-
werbefreiheit; und es würde ihm wohl anstehen, nicht bei leereu
Klagen stehen zu bleiben, sondern vielmehr durch Achtsamkeit aut
die Umwandelung in den Gemütern und Verhältnissen, welche die
Zeit hervorgebracht hat, den Nachteilen zu begegnen, welche neben
dem neuen Guten sichtbar werden.
Als der größte Teil der Friedensgarnisonen aus geworbenen Aus-
ländern bestand, deren Neigung zur Desertion und Ausschweifung
man durch Begünstigung der Soldatenehre zu vermindern suchte, war
Berlin mit Frauen und Kindern von Soldaten überfüllt, welchen hin-
länglicher Unterhalt fehlte. Die neue Organisation des Heeres läßt
erwarten, daß dieses Uebel künftig nicht mehr stattfinden werde,
und die allgemeine Militärpflichtigkeit wird in der Regel Ehen vor
dem 25. Jahre verhindern.
Die Aufhebung der ausschließlichen Rechte der Zünfte beut die
Mittel dar, neue Korporationen von Gewerbetreibenden zu
stiften, die auf zeitgemäßeren Grundsätzen beruhen. Solche Stiftungen
sind § 31 des Gewerbepolizeiedikts vom 7. September 1811 ausdrück-
lich vorbehalten: Die Hauptstadt des Landes ist aber den Provinzen
noch nicht mit gutem Beispiele vorangegangen, ausführbare Vorschläge
dazu einzureichen. Die Städteordnung setzt § 17 ausdrücklich fest,
daß nur unbescholtene Personen zum Bürgerrechte gelassen
werden sollen. Auch sind die Stadtverordneten nach § 39 der Städte-
ordnung wohl befugt, Personen, die sich durch niederträchtige Hand-
lungen verächtlich gemacht haben, des Bürgerrechts für verlustig zu
erklären. Es ist mir wenigstens bis jetzt nicht bekannt worden, daß
aus diesen Anordnungen eine größere Achtsamkeit auf die sittlichen
Verhältnisse der hiesigen Bürgerschaft hervorgegangen wäre. Ein
hierauf, nicht aber auf Erwerbsexklusiven oder Befreiung
von allgemeinen Landesobliegenheiten gegründeter Korporationsgeist
dürfte gleichwohl der kräftigsten Unterstützung der oberen Staatsbehörde
gewärtig sein."
In denjenigen Landesteilen, welche noch ihre alte Zunftver-
fassung besaßen, wie das Herzogtum Sachsen, wiederholte sich das
Schauspiel, welches sich bei Proklamierung der Gewerbefreiheit in den
alten Provinzen gezeigt hatte. Die Furcht vor der Einführung der
preußischen Gewerbegesetze brachte Aller Gemüter in Erregung, und
die Provinzialbehörden machten sich meist zum Anwalt der besorgten
Zünftler, zum Dolmetscher ihrer Klagen. So schrieb die Regierung
zu Merseburg in ihrem Zeitungsbericht für den Monat November
des Jahres 1816 *):
„In Ansehung des sittlichen Zustandes der Nation und des Ein-
flusses der Gesetzgebung auf die öffentliche Stimmung gedenken wir
hier nur insbesondere der Besorgnisse, welche nach den Berichten fast
alle Landräte die Erörterungen über die Gewerbeverhältnisse veran-
1) A. No. 1, Vol. i.
38 Kurt von Rohrscheidt,
lassen, welche jedoch zur Zeit nicht, um die hiesige Gewerbeverfassung
sofort aufzuheben, sondern nur um die wichtigen Data zur Ent-
scheidung darüber zu sammeln, von uns angeordnet worden sind.
Die Innungen sind darüber in der größten Bestürzung, indem
sie voraussetzen, daß der Verlust ihrer Gerechtsame die un-
mittelbare Folge dieser Erörterungen sein werde. Diese Voraussetzung
ist jedenfalls irrig, da es gewiß weder die Absicht Ew. Königlichen
Majestät noch Allerhöchst Dero Ministerien ist, die Privatverhältnisse
in einer neu erworbenen Provinz plötzlich so wesentlich umzu-
gestalten.
Wir verkennen die Schönheit der Idee nicht, welche der Gewerbe-
freiheit zum Grunde liegt, allein die schönste Idee kann in der Staats-
verwaltung die verderblichsten Folgen haben, wenn sie zu schnell
zur Ausführung gebracht wird. Wir glauben, daß di e Natur, welche
nur langsam wachsen und entstehen läßt, nur stufenweise von einem
zum andern übergeht, hierin auch der Regierung zum Muster dienen
müsse. Auf das altdeutsche Institut der Innungen und Zünfte, auf
ihre Vereinigung in den Städten, sind nicht nur die Verhältnisse der
letzteren, sondern auch zum großen Teil die des Ackerbaues
begründet. Es ist ein sehr gewagter Versuch, diese Basis plötzlich
wegzunehmen, bloß auf die aus der Theorie geschöpfte Ueberzeugung,
daß allgemeine Freiheit eine ebenso sichere Basis geben, auf
ihr sich eine ebenso erfreuliche Gestaltung ausbilden werde. Wenn
dieser Versuch in Provinzen, welche dem Staate laugst angehörten,
von deren Anhänglichkeit er zum Teil seit Jahrhunderten überzeugt
sein konnte, sehr zweideutige Wirkungen auf den Wohlstand
wie auf die Gesinnung hervorgebracht hat, so würde er doppelt be-
denklich sein in einer neuen Provinz, welche seit undenklicher
Zeit au unveränderte Formen gewöhnt, an sich allen Störungen nicht
hold, und von ihrer vorigen Regierung jede Privatgerechtsame als ein
unverletzbares Heiligtum zu betrachten gewöhnt ist.
Wir müssen uns unumwunden zu der Ueberzeugung bekennen,
daß uns nichts so sehr geeignet scheint, den Mißmut der ohnehin
durch die Serviseinrichtung unzufriedenen Städte gegen die
Regierung zu steigern, als die Einführung der preußischen
Gewerbegesetze, denn nichts würde so sehr wie diese alle Privat -
Verhältnisse verrücken, so tief in das Volksleben eingreifen. Die Er-
fahrung hat gelehrt, daß bei der Zunftverfassung die Städte
Sachsens den lebendigsten Wohlstand erreichten, das ländliche
Grundeigentum aber einen außerordentlichen Wert erlangte,
und daß auch durch den beispiellosesten Krieg die Spuren davon
nicht haben vertilgt werden können, wogegen die Städte in den ehe-
mals westfälischen Kreisen unseres Bezirks, ungeachtet dort
die Gewerbefreiheit herrschte, im tiefsten Verfall liegen. Bei solchen
Erfahrungen dürfte sich wenigstens die Einführung der preußischen
Gewerbegesetze nicht so dringend darstellen, um die Gefahr zu
rechtfertigen, welcher man sich hier dadurch aussetzen würde."
Vielfach glaubte man auch, daß die Gewerbefreiheit nur unter der
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 39
politischen Depression nach dem unheilvollen Kriege entstanden sei,
und vermeinte daher ihre Beseitigung von dem steigenden Glück des
Staates erwarten zu dürfen. So baten die Aeltesten des kombi-
nierten Bäckergewerks zu Berlin in einer Eingabe an den
Staatskanzler vom 29. Juli 1814 x), Gesetze, durch den Drang der Um-
stände gegeben, bei hergestellter Ordnung wieder aufzuheben. „Im
Wohlstande befanden wir uns bei den früheren Gesetzen, daher konnten
wir gern und willig bringen, was Not erheischte, hoffend, wieder zu
erwerben und wieder zu geben, wenn es not thun sollte." Die
Kaufmannschaft in Königsberg beantragte am 18. Juli 1815 2)
eine Beschränkung der Gewerbefreiheit insbesondere in der Richtung,
die fremden Kaufleute vom Handel im Lande außer den Jahrmärkten
auszuschließen. Während andere gegen den Geist der ganzen Reform-
gesetzgebung gerichtete Eingaben, wenn sie überhaupt eine Antwort
erhielten, einfach mit Bezug auf die bestehenden Gesetze zurückgewiesen
wurden , nötigte in diesem Falle den Staatskanzler eine besondere
Kabinetsordre, d. d. Paris, den 6. Sept. 1815, auf die Sache
einzugehen. Dieselbe lautete: „Die Beschränkung der allgemeinen Ge-
werbsfreyheit, so wie sie die Kaufmannschaft zu Königsberg in Preußen
in der beykommenden Vorstellung in Antrag bringt, scheint Mir gar
nicht unzweckmäßig zu seyn, besonders aber empfehle Ich Ihnen eine
sorgfältige Prüfung des zweiten Antrages in Betreff der fremden Kauf leute,
die, ohne die Lasten der im Lande etablierten Kaufleute zu tragen, bloß
gegen Lösung des Gewerbscheins ihre eingebrachten fremden Waren
im Lande absetzen und dann wieder in ihre Heimath zurückkehren.
Die zur notwendigen Einstellung oder angemessenen Beschränkung
dieses augenscheinlich der inländischen Handlung nachteiligen Ver-
kaufes zu ergreifenden Maßregeln überlasse Ich Ihrem bewährten Er-
messen , sowie die vorläufige und definitive Bescheidung der Suppli-
kanten."
Der Staatskanzler setzte sich hierauf mit den Ministern v. Bülow
und v. Schuckmann in Verbindung und verhieß den Antragstellern
gewiß jede mit den Grundsätzen der ganzen Staatsverwaltung irgend
vereinbare Berücksichtigung des städtischen Handels und
Gewerbebetriebes, aber weitere Folgen entstanden hieraus ebenfalls
nicht.
Am 27. April 1818 reichte der Berliner Stadtrat Dracke
einen ausführlich durchgearbeiteten Aufsatz beim Könige ein, in wel-
chem er seine Erfahrungen über den Vorzug einer geregelten Gewerbe-
verfassung und über die Nachteile einer allgemeinen Ge-
werbefreiheit darlegte, indem er dabei die Tendenz verfolgte, dem
Vaterlande treu ergebene Bürger zu bilden, die Jugend gehörig zu
zu erziehen, Geschicklichkeit, Fleiß, Gehorsam, Religiosität sowie
strenge Rechtlichkeit zu befördern, den Bürgern Erhaltung des Eigen-
tums durch Sicherstellung des erlernten Gewerbes und dem Staate
1) A. No. I, Vol. II.
2) Ebenda.
40 Kurt von Rohrscheidt,
feste, gern zu leistende Abgaben zu gewährleisten. Auch aus dieser
Veranlassung beschied der König den Staatskanzler durch Kabinets-
ordre vom 14. Mai 1818 J) in ähnlichem Sinne wie früher, indem er
sagte :
„Ich habe Ihnen bereits bei verschiedenen Veranlassungen zu er-
kennen gegeben, daß ich es für sehr nothwendig halte, angemessene
Modifikationen der allgemeinen Gewerbefrey heit anzu-
ordnen. In Verfolg dessen empfangen Sie hierbey einen dahin ein-
schlagenden Aufsatz des Stadtraths Dracke hieselbst mit dem Auftrage,
die Sache im Staatsministerio zur Sprache zu bringen, und sie dem-
nächst an den Staatsrath gelangen zu lassen."
Man sieht, der König, überall geneigt, den Mittelweg zu gehen,
fürchtete bereits, mit dem Grundsatze der Gewerbefreiheit zu weit
davon abgewichen zu sein. Seine Anschauungen spiegeln sich am
besten wieder in seinen vom 1. Dezember 1827 datierten, dem letzten
Willen beigelegten Schreiben an den Thronfolger, worin er diesen mit
den Worten ermahnt: „Hüte Dich jedoch vor der so allgemein um
sich greifenden Neuerungssucht, hüte Dich vor unpraktischen Theorien,
deren so unzählige jetzt im Umschwünge sind, hüte Dich aber zugleich
vor einer fast ebenso schädlichen zu weit getriebenen Vorliebe für
das Alte, denn nur dann, wenn Du diese beiden Klippen zu
vermeiden verstehst, nur dann sind wahrhaft nützliche Verbesserungen
gerathen."
Es kann hiernach nicht zweifelhaft sein, daß die beiden ange-
führten Kabinetsbefehle voraussichtlich der Initiative, sicherlich aber
den eigensten Anschauungen des Königs entsprangen, und
man dürfte sich nicht wundern, wenn Hardenberg, dem dies wohl be-
kannt war, in seiner festen Stellungnahme etwas schwankend gewor-
den wäre. Direkten Widerstand leisten konnte er nicht, und so that
er, was in diesem Falle wohl am angebrachtesten war, indem er ein
schnelles Eingreifen hinausschob und alles Gute, die Lösung streitiger
und zweifelhafter Fragen, die Ausgleichung der Uebelstände und der
Mißverhältnisse von der Zeit erwartete. Das interessante Promemoria
Dracke's, welches nach Einholung mehrerer Gutachten (von Hoffmann
und Scharnweber) am 14. März 1822 dem Minister von Bülow zur
Benutzung bei den weiteren Beratungen über eine Gewerbepolizeiord-
nung zugefertigt wurde, lautete, wie folgt:
Das Dracke'sche Promemoria.
Der französische Staatsmann Necke r sagt in seiner Abhand-
lung von der vollziehenden Gewalt:
Wenn man die vollziehende Gewalt als den Eckstein jeder bürger-
lichen Gesellschaft betrachtet, als Beschützerin und Gewährerin der
öffentlichen Freiheit, als Triebfeder der Staatsverfassung, wie sie ist,
so erfordert das Wohl des Staats und das Beste der Nation, daß man
das Maaß der Vorrechte untersuche, erkenne und festsetze, ohne welche
diese Gewalt ihre Bestimmung nicht erreicht.
1) A. No. 1, Vol. II.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 41
Wer kein Eigenthura hat, ist nicht ganz Bürger, denn er
nimmt keinen Teil an den mehresten öffentlichen Angelegenheiten, sie
sind sicher vor der Gefahr des Krieges, Verwirrung der Finanzen, die
anderen schaden, schaden ihnen nichts. Wer dem Volke das Ge-
fühl seiner Stärke giebt, ohne daßelbe in dem nehm liehen Augenblick
mit der Einsicht begaben zu können, die ihm Mäßigung anempfiehlt,
wird diese Stärke bald in Wuth ausbrechen sehen. Wenn man alle
gleich macht, so entsteht aus diesem System der Familiarität nichts als :
eine größere Leichtigkeit sich zu haßen.
Deutschlands Völker, Preußens Volk insbesondere, betrachtet ge-
wiß die vollziehende Gewalt als den Eckstein der bürgerlichen Ge-
sellschaft, als Beschützerin und Gewährerin der öffentlichen Freiheit,
wünscht nur als deutsches, als charakteristisches Volk in seiner Ori-
ginalität zu stehen. — So verschiedenartig Deutschlands Völker sind,
so ist ihr Hauptcharakter darin allgemein: Liebe zum Vaterlande,
Liebe zu alten Gewohnheiten, Verehrung und unerschütterliche An-
hänglichkeit am angeborenen Regentenhause.
Hochbewährt hat sich dieser deutsche Charakter besonders bei
Preußens Völkern zu allen Zeiten und besonders in verhängnißvollen
Jahren. Der Unterthan giebt Gut und Leben gern dem Staate, unter
dessen Schutz er im bestimmten und sicheren Zustande sein Brot er-
werben , seine Kinder zu guten Unterthanen erziehen , im Frieden
wieder erwerben kann , was er zur Zeit der Noth und der Gefahr so
willig opferte und zu leisten im Stande war, wo das Verhältniß
zwischen Brodherrn und Arbeiter, zwischen Lehrherrn und Lernenden
fest bestimmt ist; fügt sich gern und willig in Anordnungen der voll-
ziehenden Gewalt, hoffend, der ruhige Zustand werde wieder herbei-
führen, was die Weisheit der Regierung der Zeitumstände wegen einst-
weilen einzuführen für notwendig hielt.
Die Zeiten der Ruhe sind da, daher auch der allgemeine
Wunsch: laßt uns unseren Nationalcharakter, laßt uns unsere Ori-
ginalität, gebt uns unsere alten Gewohnheiten wieder, bei den wir
glücklich waren, schafft die Gewerbe fr eiheit ab, sie paßt nicht
für uns.
Die Erfahrung lehrt allen denen , die vermöge ihrer Verhältnisse
das Thun und Treiben und das bürgerliche Leben und Verkehr genau
zu beobachten Gelegenheit hatten, daß vor Einführung der Ge-
werbefreiheit:
die Existenz eines jeden , der Erwerb und die Erhaltung der Fa-
milien sicherer begründet war, mehr innerer allgemeiner
Wohlstand überall herrschte, beßere strengere Sitten und
Betragen zwischen Brodherrn und Diener, zwischen Lehrherrn und
Lernenden walteten, unbedingter die Befehle der vollziehenden Ge-
walt befolgt, und allgemeiner und größer die Achtung gegen und
unter einander war.
Der Lehrling mußte sich bemühen, in den kurzen Lehrjahren,
dasjenige was er gewählt, gründlich und gut zu erlernen, um
als Geselle sein Brod verdienen zu können. Der Lehrherr führte die
42 Kurt von Rohrscheidt,
genaueste Aufsicht über den Lehrling, hielt wo es Not that, selbigen
zur Schule an, hielt auf fleißigen Besuch der Kirche, setzte Ehre darin,
wenn sein Lehrling als Geselle gern von andern Meistern angenommen
wurde. — Der Lehrling erschien beim Ein- und beim Austritt der
Lehre in der Versammlung der Meister , wurde nach Vorschrift der
Privilegien im Schreiben und Katechismus geprüft, erhielt Ermahnungen
und Verhaltungsmaßregeln, er mußte sich bestreben, fleißig, bescheiden,
treu und folgsam zu sein , um beim Gesellenwerden vom Lehrherrn
als ein geschickter und ordentlicher Geselle empfohlen zu werden.
Er mußte Tadel und Vorwürfe befürchten, wenn er die Lehrzeit nicht
gehörig und nützlich zur gehörigen Erlernung angewandt, ungehorsam
oder treulos gewesen, oder Betragen gezeigt, welches sich für dieses
Alter und Verhältnis nicht geziemte.
Der Geselle vervollkommnete sich während der Gesellenzeit im
Erlernten, hielt auf Zucht und Ehre, gewöhnte sich zur Ordnung
und Sparsamkeit, um sein eigenes Werk als Meister anfangen und
vorwurfsfrei in eine Gewerksverbindung treten zu können.
Die Gesellen hielten untereinander besonders auf Ehrlichkeit
und Treue, ahndeten unter sich den Besuch liederlicher Häuser und
Veruntreuungen aller Art. Die Meister hielten einer den anderen
durch billige Preise, eifriges Bemühen in Verbesserung und Ver-
schönerung ihrer Arbeiten, in steter Aufmerksamkeit und Anstrengung,
beobachteten ihren Lebenswandel, ihre Handlungen, die Sorge für Ge-
sellen und Lehrlinge, belehrten und verwiesen sich, wer Verweise ver-
diente, hielten darauf, daß Treue und Ehrlichkeit stets beobachtet, und
die Ehre des Gewerks nicht gefährdet wurde. In Krankheit
und Sterbefällen unterstützten und mußten sie sich unterstützen.
Die Gesellen mußten sich der erkrankten Mitgesellen annehmen,
thaten alles gerne, und zahlten das dazu Erforderliche gern, weil sie,
sowie die Meister, ihres Gewerbes und Verdienstes sicher waren.
Die frühere Gewerbeverfassung hat ohnstreitig die Bewohner der
Preußischen Städte in den Stand gesetzt gehabt, alles das leisten zu
können, was geleistet worden, hat ohnstreitig vortheilhaft auf die
Bildung der Jugend und den Bürgersinn gewirkt, der überall so
herrlich sich gezeigt hat. Frei wollen Preußens Bürger im Gewerbe-
betriebe nicht sein , eine gesetzlich beschränkte, wie geregelte Ge-
werbeeinrichtung ist ihr Wunsch, ist dem Charakter anpaßender. Für
andere von der Natur mehr gesegnetere Länder mag solche passend
sein, für Preußens Bürger, welche mit mehreren Sorgen zu kämpfen
haben , welche im kurzen Sommer schon das Nothwendigste für den
Winter ersparen müssen, ist solche schädlich. Der Gewerbsmann fühlt
durch die Gewerbefreiheit den Verfall der Verhältnisse aller
Art, der daraus entsteht.
Seit Einführung der Gewerbefreiheit, ist das bürgerliche Ver-
hältnis und damit zugleich das allgemeine äußerst gelockert.
Um den Lehrling, welcher bei einem zu keiner Gewerbsverbindung
gehörenden Mann zur Lehre tritt, bekümmert sich keiner, nur der,
welcher solchen angenommen hat, soll es thun, solches wird aber aus
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 43
Liebe zum Gewinn fast immer vernachlässigt. Liederlichkeiten, Ver-
nachlässigung im Besuche der Kirchen reißen ein, rüde, roh und un-
gebildet wachsen selbige auf, keiner giebt sich mehr die Mühe, das,
was er lernen soll, tüchtig und gehörig zu erlernen, weil er keiner
Aufsicht, keiner Prüfung unterworfen ist. Treue, Folgsamkeit, Be-
scheidenheit und Ausbildung werden fremd, der Gewerbefleiß wird zur
Gemeinheit, der Kunstsinn zur Fuscherei, weil die Regel fehlt, der
etablirte Gewerbsmann, der nicht mit Sicherheit und unbeeinträchtigt
sein Gewerbe führen kann, legt sich daher nicht auf gute Arbeit,
sondern studirt auf Betrug und Täuschung aller Art. Wer nicht
Lust hat , sich in andere zu fügen , sich weiter auszubilden, fängt
leicht und bald ein Gewerbe an, wer nicht Lust zu arbeiten hat, sucht
besonders durch Handel sein Brod zu verdienen. Vorzüglich wirken
die Menge der seit dieser Zeit entstandenen Brand wein laden mit
ihren anziehenden Aushängeschildern und bequemen inneren Einrich-
tungen nachtheilig auf die Moralität des Volks. Die Menschen fangen
oft mehrere Gewerbe zu gleicher Zeit an, von welchen sie nichts
verstehen. — Geht es, welches nur wenige gelingt, so ist es gut,
geht es nicht, welches häufiger der Fall, so gehen sie, haben aber
unterdessen vielen Familien geschadet und sie an den Rand der Armuth
gebracht, und durch ihren Fall die Zahl der armen Familien ver-
mehrt.
Lehrlinge, die weder an Ordnung gewöhnt, noch etwas tüch-
tiges erlernt haben, Gesellen, welche nicht Lust haben, sich in
Ordnung zu fügen, sich zu bilden, zu vervollkommenen, keine Er-
fahrung noch Festigkeit des Charakters haben, fangen leicht ein
Gewerbe an, etabliren einen Hausstand. Die Zahl der Ehen
ist seit Einführung der Gewerbefreiheit, wie die Aufgebote zeigen und
die Intelligenzblätter nachweisen, übertrieben, so wie die Zahl der
Armen, welche unterstützt werden, unerhört vermehrt, und die Zahl
der Produzenten gegen die Consumenten aus dem Gleichgewicht fast
überall getreten. — Der Knecht, die Magd, die dem Lande unent-
behrlich, kommt zur Stadt , erhält leicht Bürgerrecht und Gewerbe-
schein, fängt ohne Hinderniß ein Gewerbe besonders im Handel an,
erschwert das Wohnungsunterkommen, vermehrt die Zahl der Höcker,
vertheuert durch den Zwischenhandel die nothwendigsten Lebensbedürf-
nisse, so daß wenig nur aus der ersten Hand zu haben, verscheucht
durch gewöhnlich grobes Betragen, die Hausfrauen, welche sonst ge-
wohnt waren, ihre Bedürfnisse aus den Händen der Producenten auf
dem Markte zu kaufen. Der Gewerbetreibende jeder Art, welcher
sein Vermögen und Kredit zum eigenen Gewerbe angelegt, und Ver-
pflichtungen eingegangen ist, kann mit einiger Sicherheit anjetzt nicht
darauf rechnen, als fürsorgender redlicher Gatte, Vater und Bürger
bestehen und seine Verpflichtungen erfüllen zu können, weil er Gefahr
läuft durch so vieler Ansiedelung zum Bettelstab zu kommen. — Die
Freiheit, ein anderes Gewerbe anfangen zu können, giebt ihm keine
Entschädigung, weil Kräfte fehlen und keine Sicherheit, dabei zu be-
stehen, vorhanden ist.
44 Kurt von Rohrscheidt,
Als wahr steht wohl fest, daß der vollziehenden Gewalt erste
Sorge darin besteht, für den bestmöglichsten Wohlstand der
Unterthanen und für Erziehung der Jugend zu sorgen.
Ersteres wird erreicht durch Sicherstellung des Gewerbes,
das zweite durch Schulen.
Die Bildung der Jugend, welche sich dem Gewerbestand widmet,
zu guten folgsamen, christlichen Bürgern, kann aber durch Schulen,
welche von den mehresten nur zu kurze Zeit besucht werden, nicht
allein bewirkt werden. Können die Kinder lesen, häufig nur etwas
schreiben, ist der Körper einigermaßen stark genug zum arbeiten, so
fängt gewöhnlich schon die Lehrzeit an. Diese Zeit, die Lehrjahre
sind es, die fernere für das ganze Leben höchst wichtige Zeit, wo
die Jugend angehalten werden muß, im Lernen fortzuschreiten, Kennt-
niße sich anzueignen, sich an Fleiß, Treue, Folgsamkeit, Sittlichkeit
und Gehorsam zu üben und sich daran zu gewöhnen.
Der Mensch besonders, der ohne höhere geistige Erziehung und
Bildung zum eigenen Nachdenken und Unterscheidung weniger geeig-
net, gewöhnt sich gut oder schlecht, je nachdem seine Erziehung ge-
wesen, hat (welches wohl von allen Menschen behauptet werden kann)
sein Steckenpferd, kann, wenn dieses gehörig geleitet wird, zu allen
guten gebracht werden, weil Sinnlichkeit der menschlichen Natur
eigen ist.
Gesetze können gegeben, Strafen bestimmt werden, gegen Untreue,
Entheiligung der Sonn- und religiösen Festtage. Es ist aber nicht
genug damit, daß Gesetze vorhanden, welche bestimmen, was
nicht geschehen soll, es müssen auch Gesetze sein und Mittel aul-
gefunden werden, daß Fleiß, Treue, Folgsamkeit überall geübt, ein
sittsames Leben geführt, die Sonn- und Festtage nicht nur nicht ent-
weiht, sondern geheiligt, durch Besuch der Kirchen gefeiert, und die
Besucher derselben durch Genuß des heiligen Abendmahls in Glauben
und Vorsätzen gestärkt werden. Gesetze können solches nicht bewir-
ken, die vollziehende Gewalt kann mit Gewalt und Strafen dergleichen
Gesetze keine Folgeleistung verschaffen.
Nur ein bewährtes Mittel kenne ich, nemlich:
die Menschen allmählich durch Einrichtungen, die ihnen
lieb sind, die der Originalität, die dem Charakter des Volks
entsprechen,
dazu zu gewöhnen. Hierzu wurden bei der alten Gewerbever-
fassung die Kinder und Jünglinge gewöhnt, hierher können sie leicht
durch Einführung alter Gewohnheiten gebracht werden.
Die Alten haben sich gewöhnt zum fleißigen Besuch der Kirchen,
Trost und Stärkung zu finden im Genuß des Abendmahls, Lehrlinge
und Gesellen folgen dem Beispiele der aelteren, sie gewöhnen
sich zur Treue, Fleiß, Ordnung, Sittlichkeit und Sparsamkeit. Das
zur Anschauung bringen als Vorbild, sagt Friedrich von Klotz, leitet
am sichersten die Menge auf der Bahn der Tugend und Gerechtigkeit.
Die theoretische Lehre überzeugt den Verstand und spricht in das
Gemüth ein und übermannt den Willen. Darum wirkt das Vorbild
einer edlen tugendhaften Handlung mehr als alle Rede und Ermah-
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. ^ 5
nungen, und wohl dem Volke, welchem es in mildem Strahlenglanze
von oben leuchtet.
Können nicht alle Bürger ein Grundeigentum besitzen, so betrach-
tet doch der Lehrling, der Geselle, der Meister sein nach geregelter
Form erlerntes und eingerichtetes Gewerbe als ein Eigen thum , und
nimmt, da nur er, und keiner, welcher nicht gleich ihm solches in ge-
regelter Form erlernt hat, zu betreiben berechtigt ist, Teil an den
öffentlichen Angelegenheiten, fürchtet Gefahr des Krieges, verteidigt
mit Gut und Leben Thron und Vaterland, fürchtend, Verfassung und
Sicherheit des erworbeneu Eigentums (Sicherheit des Gewerbes und
seines Erwerbes) zu verlieren. Die Gewerbetreibenden sind sich jetzt,
sowohl der geschickte sowie der ungeschickte, der erfahrene sowie
der unerfahrene, der versuchte und der kaum dem Jünglingsalter ent-
gangene, alle gleich, weil es bei Gewinnung des Bürgerrechts und
Erhaltung des Gewerbescheines keine weiteren Vorschriften (giebt), als,
hast Du das bestimmte Alter, hast Du kein Verbrechen begangen, und
hast Du die wenigen Thaler, welche Du für Bewilligung, als Bürger
leben und Gewerbe treiben zu können, bezahlen mußt ? Hierdurch ist
das System der Gleichheit, Familiarität entstanden, und größere
Leichtigkeit sich zu haßen hervorgebracht.
Keineswegs will ich alten, den Zeitumständen nicht anpassenden
Privilegien, oder gar läppischen und närrischen Handwerks-
gebräuchen und Ceremonien das Wort reden. Ich will nur meine
Erfahrungen und Ansichten mittheilen, ich will nur zur Erreichung
meines Wunsches, der nur einzig und allein der ist:
dem Könige und Vaterlande treu ergebene Bürger zu bilden, die
Jugend gehörig zu erziehen, Geschicklichkeit, Fleiß, Sittlichkeit,
Gehorsam, Religiosität durch fleißigen Besuch der Kirchen und Ge-
nuß des heiligen Abendmahls, sowie strenge Rechtlichkeit befördern,
den Bürgern Sicherheit des Eigenthums durch Sicherstellung des er-
lernten Gewerbes und dem Staate sichere und gern zu leistende
Abgaben zu verschaffen ;
hinwirken.
Ich fürchte den Einwand nicht, daß:
durch Beschränkung der Gewerbefreiheit, die Freiheit der
Menschen beschränkt werde,
denn hierauf kann ich erwiedern:
Der Mensch ist frei, der unter dem Schutze einer weisen Re-
gierung und den Gesetzen des Staates sicher ist für alle Eingriffe in
sein Eigenthum, der sicher ist, die Früchte des Erlernten bei Fleiß
und Ordnung ungestört zu genießen, wo nur in geregelter Form Gleich-
heit erreicht wird.
Zur Unterstützung der Behauptung, daß seit Einführung der Ge-
werbefreiheit sich die Moralität der Menschen verschlech-
tert, führe ich nur an, daß im
Jahre 1805 in hiesiger Stadtvoigtei 3887
und im Jahre 1817 6732
folglich 2845 mehr
haben aufgenommen werden müssen,
46 Kurt von Rohrscheidt,
Daß durch so leicht ohne Kenntniß, Ueberlegung und ohne alle
Formen errichtete eigene Gewerbe und Haushaltung die Zahl der
Armen sich so vermehrt, daß
im Jahre 1805 nur 4099
und im Jahre 1817 5000
vom königlichen Armen-Direktorio haben unterstützt werden müssen,
daß im Jahre 1805 im hiesigen Waisenhause 475 und 503 außer-
halb zusammen 978 Kinder, aufgenommen und verpflegt worden, dagegen
1817, im Waisenhause 601 und außerhalb als Kostkinder 861, zusammen
1462, folglich 484 Kinder mehr verpflegt worden sind, die Zahl der-
selben noch größer sein würde, wenn das Friedrichs- und Louisen- Stift
sowie mehrere andere Stiftungen und Vereine nicht entstanden wären,
und sich gebildet hätten. Daß die Ausgabe des Armen-Direk-
tor ii , welche
1805 betrug 66950 Thlr. II Sgr.
und 1817 97 663 ,, 11 ,,
schon 30717 Thlr. mehr, noch bedeutender ohne die Vereine betragen
haben würde.
Daß die vielen Höcker, welche zu jeder Zeit jetzt kaufen können,
den Produzenten keinen weiteren Vortheil gewähren, als daß sie
kürzere Zeit ihre Producte feil zu bieten brauchen, dagegen dem
Publico durch den Zwischenhandel, da sie fast alles in Be-
schlag nehmen und an sich bringen, alles so zur Ungebühr vertheuern,
daß weder der wenig begüterte, noch der gemeine Soldat viele nöthige
sonst gewohnte Lebensmittel anzukaufen vermögend ist, daß dadurch
selbst der gewöhnliche Handarbeiter gezwungen wird, seine Kräfte und
Arbeit höher anzuschlagen. Wer schwach , alt und kraftlos ist , wer
beim besten Willen zu arbeiten und durch Arbeit selbst aber sich
und den Seinen das Erforderliche nicht verdienen kann, der kümmert
und darbet, wird siech und kraftlos und hungert langsam zu Tode.
Ein solcher Unglücklicher verliert die Lust am Leben, zur Arbeit, ge-
räth auf Abwege, fällt den Armen- Anstalten zur Last, füllt die Hospi-
täler, Krankenhäuser und Gefängnisse, und daß endlich die vielen rei-
zenden Brantweinläden, die Menschen zum Trünke verleiten,
von der Arbeit abziehen, träge, faul und liederlich machen, wird gewiß
die Polizeibehörde bekunden und bezeugen.
Ist durch die Gewerbefreiheit jedem Unterthan die Berechtigung
zugestanden , ein eigenes Gewerbe betreiben zu können , ohne Unter-
schied, ob er solches in geregelter Form erlernt, ob er Begriffe oder
Kenntnisse davon habe, ohne irgend einer Prüfung zu unterliegen, sind
durch diese Verfügung die früheren Befugnisse der Gewerbetreibenden
aufgehoben und die Allerhöchst bestätigten Privilegien entkräftet, hat
gleich die Erfahrung gelehrt, daß dadurch Unsicherheit des sicheren
Erwerbes der Gewerbetreibenden entstanden, alle unerfahrene, unge-
übte, ungebildete, den erfahrnen, geübten, gebildeten, gesitteten gleich-
gestellt, die Bande des Gesorsams, des Fleißes und der Treue gelockert,
und kann denen , die sich auf die Verheißung des Gewerbefreiheits-
Edikts etablirt, bei Aufhebung desselben, und Herstellung der früher
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 47
bestandenen Gewerbe- Verfassung kein größeres Wiederspruchsrecht zu-
stehen, als denen, welche auf den Grund Allerhöchst bestätigter Privi-
legien ihr Gewerbe begründet hatten, zustand, und konnte die voll-
ziehende Gewalt das Gesetz der Gewerbefreiheit auch ohne weiteres
aufheben; so bin ich doch der Meinung:
Das vom Staate gegebene Wort muß auch allen, die vertrauungs-
voll darauf ein Gewerbe angefangen haben, treu gehalten
werden , damit kein Mißtrauen , kein Zweifel gegen Versprechungen
der vollziehenden Gewalt entstehe, heilig und unverbrüchlich muß des
Königs Wort sein. Aber nur die, welche zur Zeit im Besitz eines
Gewerbes sind, haben ein Hecht und Anspruch an dieser Königlichen
Zusage, denen, welche nachher ihr eigenes Gewerbe anfangen wollen,
dienen die alsdann vorhandenen Gesetze als Richtschnur.
So wie jeder Unterthan, so ist auch der Gewerbetreibende ver-
pflichtet, die vom Staate geforderten Abgaben willig zu leisten und
zur Befriedigung der vermehrten Bedürfnisse des Staats beizutragen,
er muß, kann und wird alle an ihn gemachten Anforderungen umso
leichter erfüllen, um so bereitwilliger leisten, wenn die frühere sich
seit Jahrhunderten zum Besten der Gewerbetreibenden bewährte Ver-
fassung geläutert, den Zeiten anpassend hergestellt, und die Gewerbe
in geregelten Formen mit Sicherheit des Erwerbes getrieben werden
können.
Der Staat kann alsdann nicht nur auf sicherern Eingang der Ge-
werbe-Steuer rechnen, sondern solche nach Bedürfnis erhöhen und
früher gehabte, gewohnte uud gerne geleistete Abgaben wieder einführen
und auf richtigen Eingang bauen.
Die abgeschafften früheren Einnahmen, über deren Ent-
richtung nie Beschwerde geführt, deren Erhebung weder schwierig
noch kostspielig war, bestehen in folgenden:
1) beim Einschreiben des Lehrlings mußte ein Geburtsbrief
beigebracht werden, ein solcher kostete 1 Thlr. 8 Sgr., wovon der
Stempel 6 Sgr. betrug, den Rest erhielt das Königliche Armen-
Directorium zur Unterhaltung der Charit^. Dieses ist ganz abge-
schafft.
2) in Beibringung eines Lehrbriefes nach beendeten Lehr-
jahren , wofür 1 Thlr. 8 Sgr. bezahlt werden mußte und wie ad 1
berechnet wurde. Diese Einnahme hat seit eingeführter Gewerbe-
freiheit sehr abgenommen, weil die, welche nicht beim Gewerksmeister
lernen, folglich weder ein- noch ausgeschrieben werden, solchen nicht
brauchen, auch verfassungsmäßig nicht erhalten können.
3) mußte sonst jeder Geselle, welcher nur 6 Wochen an einem
Ort gearbeitet, beim Fortgehen eine Kundschaft nehmen. Hiesigen
Orts waren zwei verschiedene, die eine mit dem Prospect von Berlin,
kostete 18 Sgr. Die zweite ohne diesen mit dem Königlichen Stempel,
einen halben Bogen groß, kostete 12 Sgr., es hing von jedem ab,
welche er nehmen wollte. Jetzt ist die Mitnahme einer Kundschaft
nicht mehr als notwendig vorgeschrieben, daher nur wenige Aus-
länder solche noch fordern und diese Einnahme fast ganz auf-
gehört hat.
48 Kurt von Rohrscheidt,
Nur hier in Berlin allein betrug die Einnahme von denen ad 1—3
ira Jahre 1805 3146 Thlr. 16 Sgr., und da diese Einnahme in allen
Städten der Preußischen Monarchie stattfand , ist der Verlust bedeu-
tend und betrug mit Ausschluß Schlesiens im Jahre 1805 18 716 Thlr.
20 Sgr., das Armen- Directorium hat dafür zur Unterhaltung der
Charit^ ein jährliches Aversum nach Verfügung des Königlichen Finanz-
Ministerii vom 14. und 22. März 1816 auf die damalige Hof- und
Civil-Ausgaben-Caße von J8 000 Thlr. angewiesen erhalten. — Rech-
net man hierzu den Verlust der Einnahmen, welche durch Nichter-
theilung von Concessionen, als Höcker, Bierschänker und aller Art
verloren sind, indem dafür sonst mehrere Thaler gegeben werden
mußten, so ist der Verlust der Einnahmen um so bedeutender. Da
Officianten zur Zeit noch Chargen- und Stempel-Gebüren entrichten
müßen, so scheint es keinem Bedenken zu unterliegen, auch letztere
Einnahme wieder einzuführen. Um allen zu genügen und um alle
vorbemerkten Zwecke zu erreichen, bringe ich folgende Bestimmungen
zu erlassen in Vorschlag:
1) Sämmtliche Gewerbetreibende müssen binnen 4 Wochen den
Magisträten anzeigen, welches Gewerbe sie ferner treiben wollen.
2) Jeder, wer ein Gewerbe gewählt hat, erhält auf Lebenszeit
darauf einen Gewerbeschein.
3) Die Gewerke und Innungen müssen alle , welche ein gleiches
Gewerbe treiben wollen , und schon Bürger sind , in ihre Mitte ohne
Prüfung und ohne Anfertigung eines Meisterstücks oder sonst üblichen
Nachweises, bloß gegen Einzahlung der Gelder, welche die Meister er-
legt haben für Miterwerbung der Gewerks- Vorteile und des Gewerks-
Eigenthums, aufnehmen.
4) Die Lehrlinge und Gesellen, welche bis dahin bei solchen,
welche zu keinem Gewerke gehörten, lernen oder gelernt haben, sind
allen denen gleich, welche bei Gewerks-Mitglieder lernen oder ge-
lernt haben, vom Eintritt der Lehre an eingeschrieben, und Geburts-
Brief, sowie beim Austritt aus der Lehre Lehrbrief beigebracht.
5) Keiner darf mehrere Gewerbe zugleich treiben, wozu Auf-
nahme in eine Gewerksverbindung erforderlich ist.
6) Keiner wird ferner in eine Gewerks- Verbindung aufgenommen,
welcher das Gewerbe nicht vorschriftsmäßig erlernt und Prü-
fung bestanden hat.
7) Gewerbe, zu deren Betrieb keine Erlernung erforderlich, können
nur auf erhaltene Conceßionen betrieben werden.
8) Den Invaliden vom Militair bleibt es ferner gestattet , ein
Gewerbe, sie mögen solches erlernt haben oder nicht, für ihre Person
zu treiben, und dadurch ihren Unterhalt erwerben.
9) Die Gewerks-Privilegien sollen revidirt und den jetzigen
Zeiten anpaßend in Kraft treten.
10) Jeder der ein Gewerbe betreibt, muß die geordnete und ge-
forderte Gewerbe-Steuer entrichten.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 49
Solange Hardenberg lebte, fanden die Anhänger des alten Systems
durch ihn keine Ermutigung, allein sogleich nach seinem Tode ver-
mißte man deutlich die Sicherheit und Bestimmtheit seines Auftretens
gegenüber allen rückläufigen Bewegungen. Kurz nach dem Ableben
Hardenbergs am 27. November 1822 richtete ein gewisser Berthold x),
Stadtverordneter und Gewerbetreibender in Berlin, an den Staats-
minister v. Voß, der bereits durch Kabinetsordre vom 2. Dezember
desselben Jahres zum Präsidenten des Staatsrats ernannt war, eine
Eingabe, in der er bat, zur Verfassung einer Abhandlung über Ver-
besserung des Gewerbewesens, zur Ausführung der dazu nötigen Ver-
nehmungen , zur Einforderung der alten Gewerbsprivilegien vom
Magistrat u. s. w. amtlich ermächtigt zu werden. Er gestand ganz
offen, daß die Hoffnungen des gewerbetreibenden Publikums nunmehr
neu belebt wären (natürlich durch den Tod Hardenbergs), und daß
man wieder an ein Besserwerden glaube. Die Gewerbefreiheit sei ein
fortwährender Beschwerdezustaud für das Publikum gewesen,
ein Anlaß zum Klagen über die daraus entsprungenen Leiden, womit
es nur zu oft die Stadtverordneten-Versammlung behelligt habe. Die
Gewerbefreiheit habe tief in den physischen Wohlstand eingegriffen,
da die Mehrzahl der jüngeren Kräfte sich selbständig versucht und so
die älteren Bürger in Nahrungssorgen und endlich in gänzliche Ver-
armung gestürzt hätte. Während der 12 Jahre, seitdem die alten Ver-
bände der Gewerke sich außer Kraft befänden, sei fast in jedem Jahre
eine neue Gewerbegeneration in Berlin entstanden , indem jedes Jahr
so viel verarmte Bürger untergangen, als neue dazugekommen wären.
Dieser Zustand habe noch eine sich fortflanzende Immoralität auf
diejenigen Volksklassen übertragen , deren Geistesausbildung nicht
überall zu dem Grade der Kultur gereift gewesen, daß sie die
Ordnungsgesetze der alten Gewerbeverfassungen hätten entbehren
können, durch welche der noch fast ganz rohe Lehrling zur schuldigen
Achtung für Religion, Meister und Gesellen frühzeitig mit der nötigen
Strenge erzogen und gewöhnt sei. Und damit wäre für ihn erst der
Grund zum Gehorsam gegen die Landesgesetze, die ihn einst als
selbständigen Bürger glücklich machen sollten , gelegt worden. Der
vorurteilsfreie Beobachter finde leider schon jetzt diesen Verlust zu be-
klagen, da die Immoralität erheblich gestiegen wäre. Die alten
ehrwürdigen Grundgesetze erzwängen noch immer bei den
denkenden Menschen die tiefste Ehrfurcht, das bewiesen die unver-
letzt gebliebenen Justizgesetze; so wären auch die alten Gewerbegesetze
beizubehalten und nur, wo sie reformbedürftig seien, zu modifizieren.
Der Grundsatz der Gewerbefreiheit male allerdings dem feurigen Geiste
ein schönes Ideal der ungebundenen Kräfte vor, und man
sage, daß die segensreichen Folgen die Zukunft gebären solle. Letztere
könne aber keine Entscheidung für die kummervolle Gegenwart ge-
währen, wenn sie dem annähernden Greisenalter die weise Lehre der
Erfahrung entreiße. Die Idealisten hätten die Bilder einer glücklichen
1) A. No. 1, Vol. II.
Dritte Folge Bd. VIII (L2I1I).
gQ Kurt von Rohrscbeidt,
Zukunft mit Riesenschritten auf der Bahn der Gewerbefreiheit fort-
gezogen, ohne daß sie das Volk mitgenommen, dessen Geistesbegrifi
noch bei weitem nicht reif genug zu jenem Auffluge gewesen sei.
Nun zeigten sich die traurigsten Folgen, und Verarmung bliebe der
Gewinn für die Gegenwart. So sei der Beweis geführt, daß die freien
Systeme nur langsam näher gebracht werden dürften, wenn Wohlstand,
Ordnung und Moral erhalten werden solle. Die trostreiche Hoffnung
auf eine Abänderung des herrschenden Prinzips „gieße neues Leben
in die erloschene Kraft der noch übrigen alten gewerbetreibenden
Bürger Berlins , die der Strom der Zeit noch nicht ganz vernichtend
mit fortgerissen habe."
Hardenberg würde voraussichtlich auf diese, noch außerdem ziem-
lich konfus abgefaßte Eingabe wohl kaum eine Antwort gehabt
haben. Jetzt wurde die seltsame Zumutung, diesem Manne „die Vor-
arbeitung zur wirklichen Verbesserung der Gewerbeverfassung" zu
übertragen, sehr ernsthaft beantwortet, und diese Antwort ist trotz
ihrer ablehnenden Haltung nach Form und Inhalt höchst bemerkenswert.
Sie lautet: „So nützlich die Gewerbefreiheit an sich ist, so läßtes sich
allerdings doch nicht verkennen, daß der Mißbrauch derselben
sehr nachteilige Folgen hat, und es ist daher sehr zweckmäßig,
über diesen Gegenstand mehr Licht zu verbreiten. Von diesem Ge-
sichtspunkte betrachtet, bin ich weit entfernt, Ihrer Absicht, eine Ab-
handlung über Verbesserung der Gewerbeverfassung zu liefern, irgend
ein Hindernis in den Weg zu legen, autorisieren kann ich Sie aber
dazu um so weniger, da der Gegenstand nicht zu meinem, sondern
zum Ressort der Königlichen Verwaltungsbehörden gehört." Also eine
Ermunterung in aller Form , und zwar eine Ermunterung an einen
Mann, dessen unlesbarer Stil allein jede Hoffnung auf irgend eine
Lösung seiner Aufgabe ausschloß. Hardenberg würde, wenn er über-
haupt geantwortet hätte, gerade umgekehrt geantwortet und gesagt
haben : „Wenn auch Mißbrauche mit der Gewerbefreiheit, wie mit jeder
anderen menschlichen Institution, zumal in solcher Zeit und bei solchem
W7echsel der Dinge, zusammenhängen, so waren doch früher bei der
alten Verfassung deren unendlich mehr. Die Gewerbefreiheit ent-
spricht den geläuterten wirtschaftlichen Anschauungen, und schon des-
halb kann ich Sie nicht autorisieren u. s. w." Als der preußische
Staat in den Jahren 1814 und 1815 sowohl einst verlorene Territorien
wiedergewann, wie auch neue erwarb, wurden in diesen zwar die
finanziellen, nicht aber die gewerbepolizeiligen Bestim-
mungen des Edikts vom 2. November 1810 und ebensowenig die Vor-
schriften des Gesetzes vom 7. September 1811 eingeführt, nur in der
Stadt Danzig erlangten beide Gesetze Geltung. Da in den genannten
Landesteilen die bisher dort bestandene gewerbliche Verfassung erhalten
blieb, so traten mannigfache Uebelstände zu Tage, namentlich, als das
Gesetz vom 30. Mai 1820 wegen Entrichtung der Gewerbesteuer die
Stelle des Edikts von 1810 einnahm. In § 37 desselben wurde deshalb
auch eine Revision der Bestimmungen, welche die Berechtigung zum
Gewerbe bisher verschiedentlich bestimmten, in Aussicht gestellt. Das
Vor- und Bückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 51
Bedürfnis nach einem allgemeinen Gewerbepolizeigesetze für die
ganze Monarchie wurde immer fühlbarer *). Namentlich machte
sich die verschiedenartige Gesetzgebung auch bezüglich der Stellung
der Zünfte bemerklich. In den alten, im Jahre 1807 bei Preußen ver-
bliebenen Provinzen bestanden da, wo sich die früheren Innungen
erhalten hatten, zünftige und unzünftige Meister mit gleichen Ge-
werbsrechten nebeneinander. Neue Innungen konnten nur gegründet
werden , wenn die Landespolizeibehörde es zur Erreichung gemein-
nütziger Zwecke für erforderlich erachtete, Gewerbetreibende gewisser
Art in einer Korporation zu vereinigen (§ 31 des Gesetzes
vom 7. September 1811). Dies geschah indessen nur hinsicht-
lich kaufmännischer Korporationen in einigen größeren Städten.
In den wieder- und neuerworbenen Landesteilen blieb die Zunftver-
fassung insoweit aufrecht erhalten, als sie daselbst nicht schon vor
dem Anfall dieser Territorien an Preußen aufgehoben war. Letzteres
traf zu in denjenigen Gebieten, welche eine Zeit lang unter franzö-
sischer, westfälischer und bergischer Herrschaft gestanden
hatten. Hier blieb das Innungswesen gänzlich beseitigt. In den
übrigeu Landesteilen dagegen, wo der Zunftzwang noch vorgefunden
wurde, bestand er weiter fort. Hierbei fand indessen der Unterschied
statt, daß in einigen dieser zuletzt erwähnten Territorien (Herzogtum
Westfalen, Fürstentum Siegen und den beiden Grafschaften Wittgen-
stein), weil daselbst bei Einführung des A. L. R. der Abschnitt III
Tit. 8 Teil II desselben suspendiert wurde (Publ. Pat. v. 21. Juni
1825 § 4), noch die ehemals dort giltigen, die Zunfrechte
betreffenden Gesetze weiter erhalten wurden, in andern dagegen
(Herzogtum Sachsen) die Zunftverfassung nicht nach den früheren
Landesgesetzen, sondern nur nach den Vorschriften des A. L. R.
Teil II Tit. 8 Abschnitt III zu beurteilen war (Reskr. d. Min. d.
Innern u. d. Handels v. 12. April 1819, Kamptz' Annal. III S. 533,
u. d. Min. d. Innern v. 4. August 1825 A. IX S. 746). In der Pro-
vinz Neuvorpommern, wo das allgemeine Landrecht überhaupt
nicht eingeführt wurde, blieb die dortige ältere Zunftverfassung völlig
unverändert fort bestehen. In dem Großherzogtum Posen war
das frühere Warschauische Patentsteuergesetz durch den
kaiserlich russischen Ukas d. d. Troyes, den 1. Februar 1814 aufge-
hoben. Bei der Wiedervereinigung dieser Provinzen mit dem preußischen
Staate kam es darauf an, den neuen Unterthanen den Betrieb ihrer
Gewerbe ohne Einschränkung zu gestatten, was ohne Gleichstellung
in den Gewerbeabgaben nicht geschehen konnte. Um aber durch
Einführung der gewerblichen Gesetzgebung die in Posen bestehenden
ausgedehnten gewerblichen Privatrechte nicht zu verletzen und
den Staatskassen keine Entschädigungsverbindlichkeiten aufzuladen,
ließ der Finanzminister nur den finanziellen Teil des Gewerbe-
steueredikts publizieren, indem die Regelung der gewerbepolizeilichen
1) v. Rohrscheidt , die Polizeitage und ihre Stellung in der Reichsgewerbeordnung
(Berlin 1893).
52 Kurt von Rohrscheidt,
Verhältnisse der künftigen Gesetzgebung vorbehalten wurde. Letzteres
trat für Posen allerdings erst durch das Gesetz vom 13. Mai 1833
ein, durch welches die Exklusivberechtigungen der Zünfte und Korpo-
rationen oder einzelner Individuen in den Städten aufgehoben und
vorgeschrieben wurde, daß die Befugnis zum Betriebe eines Gewerbes
mit der Wirkung eines Untersagungsrechtes fernerhin nicht in An-
spruch genommen werden dürfe x) 2). In den Landesteilen , in wel-
chen noch die Zwangs- und Bannrechte von der Gesetzgebung
unberührt geblieben waren, nämlich:
1) in den ehemals westfälischen Gebieten auf dem rechten
Rheinufer des Regierungsbezirks Coblenz,
2) in der Stadt Wetzlar und ihrem Gebiete,
3) in den ehemals zum Großherzogtum Hessen gehörigen
Landesteilen, nämlich im Herzogtum Westfalen, und den Grafschaften
Wittgenstein- Wittgenstein und Wittgenstein-Berleberg,
4) im Fürstentum Erfurt,
5) in den ehemals sächsischen Landesteilen mit Einschluß des
Cotbusser Kreises,
6) in Neuvorpommern,
7) in einigen Ortschaften des C ulmer und Michelauer
Kreises (Reg.-Bez. Marienwerder) und der zum Regierungsbezirk
Frankfurt gehörigen Stadt Schermeisel nebst dem Dorfe Grochow,
wurde in den Jahren 1836 und 1837 der Versuch gemacht, diese die
gewerbliche Entwicklung hemmenden Rechte zu beseitigen. Es wurde
sogar der Entwurf eines Gesetzes wegen Aufhebung und Ablösung der
Zwangs- und Bannrechte und der einer Entschädigungsordnung aus-
gearbeitet, aber über Beratungen im Staatsministerium kam die Ange-
legenheit nicht hinaus.
Wegen dieser so verschiedenen Rechtslage, die natürlich nicht ge-
eignet sein konnte, die Gewerbefreiheit zu fördern und sie allmählich
in Fleisch und Blut der Nation übergehen zu lassen, war schon
mehrere Jahre vor Hardenberg's Tode die Absicht vorhanden, eine
neue Gewerbe pol izeiordnung für den ganzen Staat zu
erlassen. Als Hardenberg geschieden war, wurde bei Gelegenheit der
Verhandlungen über die ständische Verfassung den Deputierten
aus den Provinzen die Frage vorgelegt, ob es zu wünschen wäre,
daß freiwillige Korporationen unter den Gewerbetreibenden
wieder stattfänden und ob, um zur Bildung solcher Korporationen zu
ermuntern, es ratsam wäre, ihnen bei den Wahlen der Landtagsabge-
ordneten besondere Rechte zu verleihen. Die Deputierten hielten
letzteres nicht für angemessen, sie sprachen sich aber im allgemeinen
für die Beschränkung der gegenwärtig stattfindenden Gewerbe-
freiheit durchgehends aus, wobei sie zur Begründung eines soliden
und achtbaren Gewerbes zugleich für nötig erachteten, daß Korpora-
tionen, jedoch unter Vermeidung der früheren Mißbräuche, wieder
1) Rönne, Die Gewerbepolizei des preufsischen Staates (Breslau 1850) Bd. I.
2) A. No. 8 und A. No. 1, Vol. II.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 53
eingeführt und da, wo sie noch vorhanden, erhalten werden möch-
ten. Größtenteils meinten sie auch, daß diese Sache Gegenstand einer
genaueren Erörterung sein und eine weitere Beratung auf den Pro-
vinziallandtagen veranlassen werde. Die Deputierten aus Schlesien,
Sachsen und den Rheinprovinzen lieferten insbesondere zu dieser Frage
ausführliche Gutachten 1 ). Der Handelsminister Graf von Bülow
setzte sich unter dem 5. September 1823 hierüber mit dem Minister
des Innern von Schuckmann in Verbindung. Als ein Jahr später
die Stände der Provinz Pommern am 14. Dezember 1824 eine zeit-
gemäße Wiederherstellung der Zünfte und Innungen beantragten,
meinte Schuckmann in einem am 28. Februar 1825 dem Staatsministe-
rium erstatteten Gutachten, eine angemessene Modifikation der hin-
sichtlich der Gewerbefreiheit bestehenden Vorschriften sei schon von
so vielen Seiten in Anregung gebracht und mit so dringen-
den Gründen unterstützt worden, daß die Angelegenheit eine sorg-
fältige Prüfung erfordere1). Man hatte also damals bereits keine
prinzipielle Abneigung mehr, die Zünfte als freiwillige Kor-
porationen wieder zuzulassen, wenn auch, da aus der geplanten Ge-
werbepolizeiordnung zunächst nichts wurde, noch 20 Jahre vergingen,
ehe der Gedanke praktische Gestalt gewann (§ 101 der Gewerbeord-
nung vom 17. Januar 1845).
Welche Aenderungen man später an dem durch die Reform der
Jahre 1810 und 1811 geschaffenen Zustande auf Grund der inzwischen
gesammelten praktischen Erfahrungen verlangen zu müssen glaubte,
spricht deutlich ein an die Minister des Innern und für Handel und
Gewerbe eingereichter Bericht des Berliner Magistrats vom
27. Juli 1832 aus. In demselben wird namentlich zur Hebung und
Sicherung des Lehrlingswesens gefordert:
1) daß allen Lehrlingsverhältnissen ein schriftlicher, mit amtlicher
Bestätigung versehener Vertrag zu Grunde liege;
2) daß eine Ermittelung voranzugehen habe, ob der Lehrherr
ein unbescholtener Mann und ein sein Gewerbe selbständig
betreibender Bürger sei;
3) daß der Lehrling eine Prüfung zu bestehen habe, ehe er
zum Gesellen gesprochen werde;
3) daß kein Lehrling angenommen werden dürfe, der nicht
Fertigkeit im Lesen, Rechnen und Schreiben besitze.
Ferner wurde beantragt, daß der selbständige Gewerbebetrieb nur
nach vorheriger Prüfung und Nachweisung der erforderlichen
Geschicklichkeit und Fertigkeit begonnen werden könne. Durch die
Bestimmungen zu 1 — 4 sollte verhindert werden, daß unqualifizierte
Personen zum allgemeinen Schaden Untüchtigkeit lehrten und ver-
breiteten. Die vielen mittellosen Gewerbetreibenden suchten nach
einer billigen Hilfe, daher die ausgebreitete Neigung, Lehrlinge
heranzuziehen, und Bedürftigkeit und Ungeschicklichkeit stünden in
Wechselwirkung. Die vielfachen Etablissements der neueren Zeit,
1) A. No. 5.
54 Kurt von Rohrscheidt,
deren Leiter nicht genügende Fertigkeit besäßen, seien eine Haupt-
ursache der baldigen Verarmung dieser Gewerbetreibenden, die zuerst
den Kommunen, dann aber dem Staate gefährlich zu werden
drohe. Unstreitig trüge solche Unfähigkeit zu dem darauf folgenden
Resultate der Verarmung weit mehr bei, als der Mangel an Ver-
mögen. Letzteres könnten Fleiß und Sparsamkeit ersetzen , wie dies
die tägliche Erfahrung lehre, jene bleibe unersetzlich, und ihre Folgen
wären unabwendbar. Daher habe auch die Stadtverordneten- Versamm-
lung, die mit den Berliner Gewerbeverhältnissen sehr genau bekannt
sei, gewünscht, daß die neue Gewerbeordnung den Grundsatz erwiesener
und erprobter Fähigkeit als künftige Bedingung jedes selbständigen
Gewerbebetriebes aufstellen möge. In naher Verbindung mit diesem
Wunsche würde dann der stehen, daß alle Gewerbetreibenden einer
Klasse wieder in eine den Zünften ähnliche Verbindung
gesetzt, und der Eintritt in diese Verbindung denselben gleichfalls zur
Bedingung gemacht werde. Der Vorstand dieser Gesellschaft würde
dann die Prüfungsbehörde bilden und außerdem diejenigen Vor-
teile gewähren, welche die bisherigen aus der ungebundenen Gewerbe-
freiheit geschöpften Erfahrungen im Vergleich mit Gewerbever-
einen als den letzteren unverzüglich beiwohnend zu erkennen gegeben
und daher auch in den höheren Staatsbehörden den Wunsch rege ge-
macht hätten, dergleichen Verbindungen zu bewirken oder wieder her-
zustellen. Daß ihre Grundlagen den veränderten Zeitumstän-
den angepaßt werden müßten, verstehe sich von selbst. Schließ-
lich wird um Beschleunigung der neuen Gewerbeordnung gebeten, da
besonders die Residenz Berlin unter den Folgen der bisherigen
Gewerbefreiheit, vorzugsweise durch Vermehrung der Zahl armer Ge-
werbetreibender, leide, weil sie als solche den meisten Reiz gewähre,
hier entweder aus Leichtsinn oder als letztes Zufluchtsmittel bei
schon drohender und bevorstehender Verarmung sein Glück zu ver-
suchen1).
In einem späteren Schreiben an den Polizeipräsidenten vom
18. Mai 1832 sagte der Berliner Magistrat, er hätte ermittelt,
daß allein in der zweiten Hälfte des Jahres 1829 bei 613 Bürgern die
Zahlungsmodalitäten hätten reguliert werden müssen, und dies sei ein
Beweis für die große Zahl verarmter Bürger. Auch geschehe es, daß
einzelne Personen sich nur zum Scheine etablierten, damit unbe-
rechtigte und unfähige Gehilfen unter dem Vorwande, für jene zu ar-
beiten, dies in Wahrheit für eigene Rechnung thäten. Die
Fähigkeitszeugnisse solcher Lehrherrn hätten keinen Wert. Zwar
sollten zunächst Väter und Vormünder für das Beste ihrer Kinder und
Pflegebefohlenen sich bemühen, aber die Sorglosigkeit der Eltern in
den niederen Ständen gehe hierin sehr weit. Auch seien sie unbe-
kannt mit den gegenwärtigen Verhältnissen und glaubten, daß das
zunftmäßige Ein- und Ausschreiben der Lehrlinge eine sich von
selbst verstehende Sache sei.
1) A. No. 7.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 55
Am 3. Juli 1833 berichtete der Berliner Magistrat1)
wiederholt an die Minister des Inneren und für Handel und Gewerbe,
indem er von neuem einen Zusammenschluß der Gewerbe wünschte,
um das leichtsinnige Unternehmen eines selbständigen Betriebes ohne
Mittel und Kenntnisse zu verhindern. Auf diese Weise werde selbst-
verschuldete Armut verhütet, und eine leichtere Handhabung der auf
Ruhe und Ordnung abzweckenden Maßregeln erreicht werden. Auch
hätten die Ministerien für Handel und Gewerbe und des Innern und
der Polizei durch Verfügung vom 30. April 1823 2) die Vereinigung
der unzünftigen Tischler in eine Korporation und durch Verfügung
vom 12. August 1823 3) die Verbindung zünftiger und unzünftiger Ge-
werksgenossen einer Klasse in eine Korporation als zweckmäßig aner-
kannt. Professionisten und Künstler seien berechtigt, in
Schuldsachen Terminalzahlungen zu verlangen, ehe sie zum
Personalarrest gebracht werden könnten, und der Gläubiger müsse
solche annehmen, wenn dadurch die Schuld während der mutmaßlichen
Lebensdauer des Schuldners zu tilgen sei. Diese Vergünstigung nun
zu erlangen, veranlasse viele böse Schuldner, selbst noch in der Exe-
kutivinstanz, wenn es bis zur Realexekution gediehen sei, sich einen
Gewerbeschein auf irgend eine Profession zu lösen, sich da-
durch als Professionisten zu legitimieren und dann den Gläubiger durch
möglichst geringe Terminalzahlungen, so lange als irgend zulässig,
hinzuhalten. Auf diese Art sinke der sonst so geachtete Hand-
werkerstand zu einem Grade von Nichtigkeit und Täuschung herab,
der auch für die Moralität höchst verderblich werden müsse, und die
Gewerbefreiheit arte in Gewerbefrechheit aus. Der Haupt-
grundsatz einer wahren Gewerbefreiheit sei doch aber unstreitig nur,
daß alles die freie Entwickelung selbständiger Thätigkeit Hemmende
entfernt werde. Um aber selbständig thätig zu sein, müsse der Mensch
doch erst etwas Tüchtiges erlernt haben, und die Aufsicht und Kon-
trolle darüber, daß dies geschehen, scheine nur Pflicht der Obrig-
keit zu sein. Wer sich einmal dem Handwerkerstande widme, müsse
sich auch dafür ausbilden, und es wäre weder eine Beschränkung der
Gewerbefreiheit noch der natürlichen Freiheit, wenn die Obrigkeit
erst Proben der erlernten Fähigkeiten sehen wolle, bevor sie eine selb-
ständige Ausübung derselben gestatte, sei es nun bei dem Uebertritt
aus dem Lehrlings- in den Gesellenstand oder aus diesem in den
Meisterstand. Diese Notwendiggeit scheine auch bei den neueren Be-
stimmungen, wodurch die Wanderpflicht der Gesellen aufgehoben
worden, gefühlt worden zu sein, indem darin vorgeschrieben sei, daß
ein Geselle nur dann die Annahme als zünftiger Meister erlangen
könne, wenn er noch während der Zeit der sonstigen Wanderpflicht
„auf die Profession" gearbeitet habe.
(Schlufs folgt).
1) A. No. 7.
2) 3) Diese Verfügungen haben sich nicht auffinden lassen.
§Q Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
i.
Die zweite Lesung des Entwurfes eines Bürgerlichen Ge-
setzbuches für das Deutsche Reich
(Fortsetzung) 1).
Von Amtsrichter Greif f.
XXVIII.
Wie am Schlüsse unseres letzten Berichts mitgeteilt wurde, ist
die Kommission im November 1893 in die Beratung des Familienrechtes
eingetreten. Inzwischen hat sie bis Ende Mai d. J. diesen Teil des Ent-
wurfes bereits erledigt. So erfreulich der erheblich beschleunigte Fort-
gang der Beratung an sich ist, so hat er für unsere Berichterstattung
die unerwünschte Folge, dafs dieselbe, im wesentlichen wegen Raum-
mangels, immer weiter hinter den Arbeiten der Kommission zurückge-
blieben ist. Soll das Ziel, thuniichst bald über die Kommissionsbeschlüsse
nähere, auf die Gründe eingehende Mitteilungen zu bringen, für die Zu-
kunft nicht völlig verfehlt werden, so mufs für das Familienrecht eine
veränderte Art der Berichterstattung Platz greifen. Dieselbe rechtfertigt
sich auch insofern, als in grofsen Abschnitten des Familienrechtes die
Fragen von unmittelbarer wirtschaftlicher Bedeutung zurücktreten und
daher ein Eingehen auf die Einzelheiten gerade für die Leser dieser
Jahrbücher geringeres Interesse bietet. Wir werden demnach in den
nächsten Berichten nur einerseits den Text der Kommissionsbesohlüsse in
der von der Redaktionskommission festgestellten vorläufigen Fassung
wiedergeben, andererseits die wesentlichen Abweichungen der zweiten
Lesung von der ersten hervorheben und besonders wichtige, namentlich
wirtschaftlich bedeutsame Beratungsgegenstände einer näheren Erörterung
unterziehen. Für dieses Mal müssen wir uns darauf beschränken, den
Anfang des Textes zum Abdruck zu bringen, indem wir den ergänzenden
Bericht dem nächsten Hefte vorbehalten.
1) Vergl. den vorigen Band S. 833.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 57
Vorläufige Zusammenstellung der Kommissionsbeschlüsse. (Fortsetzung.)
Viertes Buch.
Familienrecht.
Erster Abschnitt.
Ehe.
Erster Titel.
Verlöbnis.
§ 1227. Aus dem Verlöbnisse kann nicht auf Eingehung der Ehe geklagt werden.
Das Versprechen einer Strafe für den Fall, dafs die Eingehung der Ehe unterbleibt,
ist unwirksam.
§ 1228. (1228 Abs. 1.) Tritt ein Verlobter von dem Verlöbnisse zurück, so hat
er dem anderen Verlobten und dessen Eltern den Schaden zu ersetzen, welcher dadurch
entstanden ist, dafs sie in Erwartung der Eheschliefsung Aufwendungen gemacht haben
oder Verbindlichkeiten eingegangen sind. Hat der andere Verlobte in Erwartung der
Eheschliefsung sonstige vermögensrechtliche Verfügungen getroffen, so erstreckt sich die
Ersatzpflicht auch auf den hierdurch entstandenen Schaden. Der Schaden ist nur insoweit
zu ersetzen, als die Aufwendungen, Verbindlichkeiten und sonstigen Verfügungen den Um-
ständen nach angemessen waren.
Die Schadensersatzpflicht tritt nicht ein, wenn ein wichtiger Grund für den Rück-
tritt vorliegt.
§ 1228 a. (1228 Abs. 2.) Giebt ein Verlobter durch sein Verschulden dem anderen
Verlobten gerechtfertigten Grund zum Rücktritte, so hat er, wenn der Rücktritt erfolgt,
nach Mafsgabe des § 1228 Schadensersatz zu leisten.
§ 1229. Unterbleibt die Eheschliefsung, so kann jeder Verlobte von dem anderen
dasjenige, was er ihm geschenkt oder zum Zeichen des Verlöbnisses gegeben hat, nach
den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zurückfordern.
Im Zweifel ist anzunehmen , dafs die Rückforderung ausgeschlossen sein soll, wenn das
Verlöbnis durch den Tod eines der Verlobten aufgelöst wird.
§ 1230. Die in den §§ 1228, 1229 bestimmten Ansprüche verjähren in einem Jahre
von der Auflösung des Verlöbnisses an.
Zweiter Titel.
Eingehung der Ehe.
§ 1231 gestrichen.
§ 1231 a. (1233.) Ein Mann darf nicht vor erlangter Volljährigkeit, eine Frau
darf nicht vor vollendetem sechzehnten Lebensjahr eine Ehe eingehen.
Einer Frau kann Befreiung von dieser Vorschrift bewilligt werden.
§ 1232. Ein Minderjähriger bedarf zur Eingehung einer Ehe der Einwilligung seines
gesetzlichen Vertreters. Das Gleiche gilt von einem Volljährigen, der in der Geschäfts-
fähigkeit beschränkt ist.
Steht die gesetzliche Vertretung einem Vormunde zu , so kann die von ihm ver-
weigerte Einwilligung auf Antrag des Mündels durch das Vormundschaftsgericht ersetzt
werden. Das Vormundschaftsgericht hat die Einwilligung zu erteilen , wenn die Ein-
gehung der Ehe im Interesse des Mündels liegt.
Anmerkung. 1. Der § 1232 Abs. 3 des Entw. I ist gestrichen.
2. Der Beratung des § 1678 bleibt die Entscheidung darüber vorbehalten, ob dem
§ 1678 die Vorschrift hinzuzufügen ist, dafs die Anhörung von Verwandten und Ver-
schwägerten des Mündels insbesondere dann zu erfolgen habe , wenn es sich um die Er-
gänzung der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters zu der Eheschliefsung des Mündels
handelt.
§ 1233 vergl. § 1231a.
§ 1233 a. (1238 Abs. 1, 2.) Vor vollendetem fünfundzwanzigsten Lebensjahre darf
ein eheliches Kind nur mit Einwilligung des Vaters und nach dessen Tode nur mit Ein-
58 Nationalökonomische Gesetzgebung.
willigung der Mutter , ein uneheliches Kind nur mit Einwilligung der Mutter eine Ehe
eingehen. Ein durch Ehelichkeitserklärung legitimiertes Kiud bedarf der Einwilligung
der Mutter auch dann nicht, wenn der Vater gestorben ist.
Dem Tode des Vaters oder der Mutter steht es gleich, wenn sie zur Abgabe einer
Erklärung dauernd aufser stände sind oder wenn ihr Aufenthalt dauernd unbekannt ist.
Dem Tode des Vaters steht es gleich, wenn die sich aus der Vaterschaft ergebenden Rechte
nach den §§ 1564, 1566, 1567 ausgeschlossen sind.
Die elterliche Einwilligung kann nicht durch einen Vertreter erteilt werden. Sind
die Eltern in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so ist die Zustimmung ihres gesetzlichen
Vertreters nicht erforderlich.
Anmerkung. Es bleibt vorbehalten, bei der Beratung der Vorschriften über die
Ehelichkeitserklärung und die Annahme an Eindesstatt auf die Vorschriften des § 1233 a
Abs. 1 Satz 2 und des § 1233 b Abs. 2 und bei der Beratung über die Vorschriften über
das Rechtsverhältnis der Kinder aus ungiltigen Ehen auf die Vorschrift des § 1233 a
Abs. 2 Satz 2 zurückzukommen.
§ 1233 b. (1239.) An Stelle der leiblichen Eltern eines an Kindesstatt angenommenen
Kindes steht den Eltern, welche das Kind angenommen haben , das Recht zu, die Ein-
willigung zur Eingehung der Ehe zu erteilen. Die leiblichen Eltern erlangen das Recht
auch dann nicht wieder , wenn das durch die Annahme an Kindesstatt begründete Ver-
hältnis aufgehoben wird.
Anmerkung. Zu Abs. 2 vergl. die Anmerkung zu § 1233a.
§ 1233 c. (1238 Abs. 3.) Wird die elterliche Einwilligung einem volljährigen
Kinde verweigert, so kann sie auf dessen Antrag durch] das Vormundschaftsgericht er-
setzt werden. Das Vormundschaftsgericht hat die Einwilligung zu ersetzen , wenn sie
ohne wichtigen Grund verweigert wordeu ist.
Anmerkung. Der § 1238 Abs. 4 des Entw. I ist gestrichen.
§ 1234. (1234, 1235.) Niemand darf eine Ehe eingehen, bevor seine frühere Ehe
aufgelöst, für nichtig oder für ungiltig erklärt worden ist. Ehegatten können ohne vor-
gängige Nichtigkeits- oder Ungiltigkeitserklärung die Eheschliefsung wiederholen.
Ist das Urteil , durch welches einer der Ehegatten für tot erklärt worden ist, im
Wege der Klage angefochten worden, so darf der andere Ehegatte nicht vor der Er-
ledigung des Rechtsstreits eine neue Ehe eingehen, es sei denn, dafs die Anfechtung erst
zehn Jahre nach der Verkündung des Urteils erfolgt ist.
§ 1235 vergl. § 1234 Abs. 2.
§ 1236. Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Verwandten in gerader
Linie , zwischen vollbürtigen oder halbbürtigen Geschwistern sowie zwischen Ver-
schwägerten in gerader Linie.
Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen Personen, von denen die eine mit
Eltern, Voreltern, oder Abkömmlingen der anderen Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hat.
Verwandtschaft im Sinne dieser Vorschriften besteht auch zwischen einem unehe-
lichen Kinde und dessen Abkömmlingen einerseits und dem Vater und dessen Verwandten
andererseits.
§ 1236 a. (1240.) Wer einen Anderen an Kindesstatt angenommen hat, darf mit
ihm oder dessen Abkömmlingen eine Ehe nicht eingehen , solange das durch die An-
nahme an Kindesstatt begründete Verhältnis besteht.
§ 1237. Eine Ehe darf nicht geschlossen werden zwischen demjenigen, dessen Ehe
wegen Ehebruchs geschieden ist, und demjenigen, mit welchem er den Ehebruch begangen
hat, sofern dieser Ehebruch in dem Scheidungsurteil als Grund der Scheidung festge-
stellt ist.
Befreiung von dieser Vorschrift kann bewilligt werden.
§ 1238 vergl. §§ 1233 a, 1233 c.
§ 1239 vergl. § 1233 b.
§ 1240 vergl. § 1236 a.
§ 1241. Eine Frau darf erst zehn Monate nach der Auflösung, Nichtigkeits- oder
Ungiltigkeitserklärung ihrer früheren Ehe eine neue Ehe eingehen.
Befreiung von dieser Vorschrift kann bewilligt werden.
§ 1242. Wer ein eheliches Kind hat, das minderjährig ist oder unter seiner Vor-
mundschaft steht , darf eine Ehe erst eingehen, nachdem das Vormundschaftsgericht ein
Zeugnis darüber erteilt hat , dafs die im § 1548 bezeichneten Verpflichtungen von ihm
erfüllt worden sind oder ihm nicht obliegen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 59
Ist im Falle der fortgesetzten Gütergemeinschaft ein anteilsberechtigter Abkömmling
des überlebenden Ehegatten minderjährig oder bevormundet, so darf der Ehegatte eine
Ehe erst eingehen, nachdem das Vormundschaftsgericht ein Zeugnis darüber erteilt hat,
dafs die im § 1404 bezeichneten Verpflichtungen von ihm erfüllt worden sind oder ihm
nicht obliegen.
§ 1243. Militärpersonen und solche Landesbeamte , die nach den Landesgesetzen
eine besondere Erlaubnis zur Eingehung einer Ehe nachzusuchen haben, dürfen nicht ohne
diese Erlaubnis, Ausländer, für die nach den Landesgesetzen eine Erlaubnis oder ein
Zeugnis zur Eingehung einer Ehe erforderlich ist, dürfen nicht ohne diese Erlaubnis oder
ohne dieses Zeugnis eine Ehe eingehen.
§ 1244 vergl. § 1249 a.
§ 1245. Die Ehe kann nur vor einem Standesbeamten geschlossen werden.
Als Standesbeamter gilt auch derjenige, welcher, ohne Standesbeamter zu sein, das
Amt eines Standesbeamten öffentlich ausübt, es sei denn, dafs die Verlobten bei der Ehe-
schliefsung den Mangel der amtlichen Befugnis gekannt haben.
§ 1246. Die Ehe soll vor dem zuständigen Standesbeamten geschlossen werden.
Zuständig ist der Standesbeamte, in dessen Bezirk einer der Verlobten seinen Wohn-
sitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Hat keiner der Verlobten seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt im
Inlande und ist auch nur einer von ihnen ein Deutscher, so wird der zuständige Standes-
beamte von der obersten Aufsichtsbehörde des Bundesstaats, welchem der Deutsche an-
gehört, und, wenn dieser keinem Bundesstaat angehört, von dem Reichskanzler bestimmt
Unter mehreren zuständigen Standesbeamten haben die Verlobten die Wahl.
§ 1247. Auf Grund einer schriftlichen Ermächtigung des zuständigen Standesbeamten
darf die Ehe auch vor dem Standesbeamten eines anderen Bezirkes geschlossen werden.
§ 1247 a. Der Eheschliefsung soll ein Aufgebot vorhergehen. Das Aufgebot ver-
liert seine Kraft, wenn die Ehe nicht binnen sechs Monaten nach der Vollziehung des
Aufgebots geschlossen wird.
Das Aufgebot kann unterbleiben , wenn die lebensgefährliche Erkrankung eines der
Verlobten den Aufschub der Eheschliefsung nicht gestattet.
Befreiung von dem Aufgebote kann bewilligt werden.
Anmerkung. Im Artikel 28 des Entwurfes des Einführungsgesetzes soll in dem Ge-
setze über die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschliefsung vom 6. Februar 1875
1. der § 44 Abs. 1 gestrichen und der Eingang des § 44 Abs. 2 dahin geändert
werden :
Für die Anordnung des Aufgebots ist
2. der § 51 gestrichen werden.
Die Redaktionskommission hält auch die Herübernahme dieser Vorschrift in das
Bürgerl. Ges. B. für angemessen.
3. der § 50 folgende Fassung erhalten:
Der Standesbeamte soll ohne Aufgebot die Eheschliefsung nur vornehmen, wenn
ihm ärztlich bescheinigt wird, dafs die lebensgefährliche Erkrankung eines der Ver-
lobten Aufschub der Eheschliefsung nicht gestattet.
§ 1248. Die Eheschliefsung erfolgt dadurch, dafs die Verlobten vor einem Standes-
beamten persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit erklären , die Ehe mit einander
eingehen zu wollen, und dafs hierauf der Standesbeamte die Ehe für geschlossen erklärt.
Die Erklärungen können nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung ab-
gegeben werden.
§ 1249. Der Standesbeamte soll bei der Eheschliefsung in Gegenwart von zwei
Zeugen an die Verlobten einzeln und nach einander die Frage richten , ob sie die Ehe
mit einander eingehen wollen, und, nachdem die Verlobten die Frage bejaht haben, aus-
sprechen, dafs er kraft Gesetzes sie für rechtmäfsig verbundene Eheleute erkläre.
Als Zeugen sollen Personen , denen die bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt sind,
während der Zeit, für welche die Aberkennung erfolgt ist, sowie Minderjährige nicht zu-
gezogen werden. Personen, die mit einem der Verlobten, dem Standesbeamten oder mit
einander verwandt oder verschwägert sind, dürfen als Zeugen zugezogen werden.
Anmerkung. Der Beratung des Entwurfes des Einführungsgesetzes bleibt vor-
behalten, das Reichsgesetz vom 4. Mai 1870, betreffend die Eheschliefsung u. s. w. von
Bundesangehörigen im Auslande mit den zu den §§ 1248, 1249 gefafsten Beschlüssen in
Einklang zu bringen.:
ßO Nationalökonomische Gesetzgebung.
§ 1249 a. (1244.) Die Befugnis zur Bewilligung einer nach den §§ 1231 a, 1237,
1241, 1247 a zulässigen Befreiung steht dem Staate zu. Ueber die Ausübung dieser Be-
fugnis haben die Landesregierungen zu bestimmen.
Dritter Titel.
Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Ehe.
§ 1250. Eine Ehe ist nur in den Fällen der §§ 1250 a bis 1250 e nichtig.
Anmerkung. Im Artikel 16 des Entwurfes des Einführungsgesetzes soll die Nr. 1
des § 170 a des Strafgesetzbuchs gestrichen werden. Der Beratung dieses Entwurfes
bleibt vorbehalten, darüber Beschlufs zu fassen , ob Strafbestimmungen wegen Verstofses
gegen das Verbot des § 1231a und des § 1236 Abs. 2 aufzunehmen und wie die sich
auf die Civilprozefsordnung beziehenden Vorschriften des Artikels 11 mit den gefafsten
Beschlüssen in Uebereinstimmung zu bringen sind.
§ 1250 a. (1250 Nr. 1, 1252 Abs. 2.) Eine Ehe ist nichtig, wenn die im § 1248
vorgeschriebene Form nicht beobachtet worden ist ; die Ehe gilt als nicht geschlossen.
Ist die Ehe in das Heiratsregister eingetragen worden , so ist sie als giltig anzu-
sehen, bis sie aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist ; erfolgt die Auflösung oder
die Nichtigkeitserklärung, so gilt die Ehe als nicht geschlossen. Haben die Ehegatten
nach der Eheschliefsung zehn Jahre als Ehegatten mit einander gelebt , so ist die Ehe
als von Anfang an giltig anzusehen.
§ 1250 b. (1250 Nr. 2, 1251.) Eine Ehe ist nichtig, wenn einer der Ehegatten zur
Zeit der Eheschliefsung geschäftsunfähig war oder sich im Zustande der Bewufstlosig-
keit befand.
Die Ehe ist als von Anfang an giltig anzusehen, wenn der Ehegatte sie nach dem
Wegfalle der Geschäftsunfähigkeit oder der Bewußtlosigkeit bestätigt, bevor sie aufgelöst
oder für nichtig erklärt worden ist. Einer Form bedarf die Bestätigung nicht.
§ 1250 c. (1250 Nr. 3.) Eine Ehe ist nichtig, wenn einer der Ehegatten zur Zeit
der Eheschliefsung mit einem Dritten in einer giltigen Ehe lebte.
§ 1250 d. (1250 Nr. 3.) Eine Ehe ist nichtig, wenn sie zwischen Verwandten oder
Verschwägerten dem Verbote des § 1236 Abs. 1 zuwider geschlossen worden ist.
§ 1250 e. Eine Ehe ist nichtig, wenn sie wegen Ehebruchs nach § 1237 ver-
boten war.
Wird nachträglich Befreiung von der Vorschrift des § 1237 bewilligt, so ist die Ehe
als von Anfang an giltig anzusehen.
§ 1251 vergl. § 1250 b Abs. 2.
§ 1252. Eine nach den §§ 1250 b bis 1250 e nichtige Ehe ist als giltig anzusehen,
bis sie aufgelöst oder für nichtig erklärt worden ist. Erfolgt die Auflösung oder die
Nichtigkeitserklärung, so gilt die Ehe als nicht geschlossen.
§ 1253 gestrichen.
Anmerkung. Im Artikel 11 des Entwurfes des Einfuhrungsgesetzes soll, zugleich
zum Ersätze des § 1253 des Entw. I, der § 586 der Civilprozefsordnung folgende Fas-
sung erhalten :
Die Klage kann sowohl von jedem der Ehegatten als von dem Staatsanwalt er-
hoben werden, im Falle des § 1250 c des Bürgerlichen -Gesetzbuchs auch von dem
Dritten , mit welchem die frühere Ehe geschlossen war. Im übrigen kann die
Klage von einem Dritten nur erhoben werden , wenn für ihn von der Nichtigkeit
der Ehe ein Anspruch oder von der Giltigkeit der Ehe eine Verbindlichkeit ab-
hängt.
Die von dem Staatsanwalt oder einem Dritten erhobene Klage ist gegen beide
Ehegatten, die von einem Ehegatten erhobene Klage ist gegen den anderen Ehegatten
zu richten.
§§ 1254 bis 1256 gestrichen.
Anmerkung. Im Artikel 11 des Entwurfes des Einführungsgesetzes sollen in
die Civilprozefsordnung folgende Vorschriften eingestellt werden:
1) Zum Ersätze der §§ 1254, 1267, 1271, 1276, 1451 des Entw. I als
§ 573 a:
In Ehesachen ist ein in der Geschäftsfähigkeit beschränkter Ehegatte prozefs-
fähig ; dies gilt jedoch nicht für einen Rechtsstreit , welcher die Dngiltigkeit der
Ehe auf Grund des § 1259 a des Bürgerlichen Gesetzbuchs zum Gegenstande hat.
Nationalökonomische Gesetzgebung. (',1
Für einen geschäftsunfähigen Ehegatten wird der Rechtsstreit durch den gesetz-
lichen Vertreter geführt. Der gesetzliche Vertreter ist jedoch zur Erhebung der
Klage auf Herstellung des ehelichen Lebens sowie auf Scheidung nicht befugt ;
auch kann er die Anfechtungsklage nur mit Genehmigung des Vormuudschatts-
gerichts erheben.
2) Zum Ersätze der §§ 1255, 1267, 1462, 1463 des Entw. I
a) als § 582 :
Urteile, durch welche auf Scheidung, Ungiltigkeit oder Nichtigkeit der Ehe er-
kannt ist, sind den Parteien von Amtswegen zuzustellen.
Nach dem Eintritte der Rechtskraft des Urteils hat das Prozefsgericht, wenn ein
gemeinschaftliches minderjähriges Kind der Ehegatten vorhanden ist , dem Vor-
mundschaftsgericht unverzüglich Mitteilung zu machen.
b) als § 584:
Hat der Rechtsstreit die Scheidung, Ungiltigkeit oder Nichtigkeit der Ehe zum
Gegenstande, so kann das Gericht auf Antrag eines der Ehegatten durch einst-
weilige Verfügung für die Dauer des Rechtsstreits das Getrenntleben der Ehegatten
gestatten, die gegenseitige Unterhaltspflicht derselben nach Mafsgabe des § 1281 a
des Bürgerlichen Geseizbuchs ordnen, wegen der Sorge für die Person der gemein-
schaftlichen Kinder, soweit es sich nicht um deren gesetzliche Vertretung handelt,
Anordnung treffen und die Unterhaltspflicht der Ehegatten den Kindern gegenüber
im Verhältnisse der Ehegatten zu einander regeln.
Die einstweilige Verfügung ist zulässig, sobald der Termin zur mündlichen Ver-
handlung oder im Falle einer Scheidungsklage der Termin zum Sühneversuche be-
stimmt oder im Wege der Widerklage die Scheidung oder Ungiltigkeitserklärung
der Ehe beantragt ist.
Von der Anordnung einer einstweiligen Verfügung hat das Prozefsgericht, wenn
ein gemeinschaftliches minderjähriges Kind der Ehegatten vorhanden ist, dem Vor-
mundschaftsgericht unverzüglich Mitteilung zu machen.
Im übrigen gelten für die einstweilige Verfügung die Bestimmungen der §§ 815 — 822.
3) Zum Ersätze der §§ 1256, 1269, 1271 des Entw. I als § 584 b:
Das auf eine Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage ergangene Urteil wirkt, sofern
es bei Lebzeiten beider Ehegatten rechtskräftig wird , für und gegen Alle. Ein
Urteil, durch welches die Ehe auf Grund des § 1250 c des Bürgerlichen Gesetz-
buchs für nichtig erklärt wird, wirkt jedoch gegen den Dritten, mit welchem die
frühere Ehe geschlossen wordeu war, nur dann, wenn er an dem Rechtsstreite teil-
genommen hatte.
Diese Vorschriften gelten auch für ein Urteil, durch welches das Bestehen oder
Nichtbestehen einer Ehe festgestellt wird.
§ 1257 vergl. § 1269 a.
§ 1258 vergl. § 1269 b.
§ 1259. Eine Ehe kann nur in den Fällen der §§ 1259 a bis 1259 f und des
§ 1464 a angefochten werden.
Anmerkung. Die Nr. 3 des § 1259 des Entw. I ist gestrichen.
§ 1259 a. (1259 Nr. 4, 1261 Nr. 4.) Eine Ehe kann von dem Ehegatten ange-
fochten werden, welcher zur Zeit der Ehesehliefsung oder im Falle des § 1250 b zur
Zeit der Bestätigung in der Geschäftsfähigkeit beschränkt war, wenn die Ehesehliefsung
oder die Bestätigung ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters erfolgt ist.
§ 1259 b. (1259 Nr. 2, 1261 Nr. 2.) Eine Ehe kann von dem Ehegatten ange-
fochten werden, welcher bei der Ehesehliefsung nicht wufste, dafs es sich um eine Ehe-
sehliefsung handle, oder dies zwar wufste, aber eine Erklärung, die Ehe eingehen zu
wollen, nicht abgeben wollte.
§ 1259 c. (1257 Nr. 1, 1261 Nr. 1.) Eine Ehe kann von dem Ehegatten ange-
fochten werden, welcher sich bei der Ehesehliefsung in der Person des anderen Ehegatten
oder über solche persönliche Eigenschaften oder solche persönliche Verhältnisse des an-
deren Ehegatten geirrt hat , die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger
Würdigung des Zweckes der Ehe von der Ehesehliefsung abgehalten haben würden.
§ 1259 d. (1259 Nr. 1, 1261 Nr. 1.) Eine Ehe kann von dem Ehegatten ange-
fochten werden, welcher zur Eingehung der Ehe durch arglistige Täuschung über solche
Umstände bestimmt worden ist, die geeignet waren, ihn bei verständiger Ueberlegung von
der Eingehung der Ehe abzuhalten. Ist die Täuschung nicht von dem anderen Ehegatten
ß2 Nationalökonomische Gesetzgebung.
verübt, so ist die Ehe nur dann anfechtbar, wenn dieser bei der Eheschliefsung die Täu-
schung kannte.
§ 1259 e. (1259 Nr. 1, 1261 Nr. 1.) Eine Ehe kann von dem Ehegatten ange-
fochten werden, welcher zur Eingehung der Ehe durch Drohung widerrechtlich bestimmt
worden ist.
§ 1259 f. (1263 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3.) Die Anfechtung der Ehe ist in den Fällen
des § 1259a ausgeschlossen, wenn der gesetzliche Vertreter die Ehe genehmigt oder der
Ehegatte, nachdem er unbeschränkt geschäftsfähig geworden ist, die Ehe bestätigt hat.
Steht die gesetzliche Vertretung einem Vormunde zu, so kann die von ihm verweigerte
Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht nach § 1232 Abs. 2 ersetzt werden.
In den Fällen der §§ 1259 b bis 1259 e ist die Anfechtung ausgeschlossen, wenn der
anfechtungsberechtigte Ehegatte nach der Entdeckung des Irrtums oder der Täuschung
oder nach dem Aufhören der Zwangslage die Ehe bestätigt hat.
§ 1259 g. (1262.) Die Anfechtung ist nach der Auflösung der Ehe ausgeschlossen,
es sei denn, dafs die Auflösung durch den Tod des zur Anfechtung nicht berechtigten
Ehegatten herbeigeführt worden ist.
§ 1259 h. (1263 Abs. 1 Satz 2, 3, Abs. 3 Satz 2, 1265 Satz 1, 3.) Die An-
fechtung sowie die Bestätigung der Ehe kann nicht durch einen Vertreter erfolgen. Ist
der anfechtungsberechtigte Ehegatte in der Geschäftsfähigkeit beschränkt , so bedarf er
nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters.
Für einen geschäftsunfähigen Ehegatten kann sein gesetzlicher Vertreter mit G enehmi-
gung des Vormundschaftsgerichtes die Ehe anfechten.
In den Fällen des § 1259a kann, solange der anfechtungsberechtigte Ehegatte
in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, nur sein gesetzlicher Vertreter die Ehe anfechten.
Anmerkung. Der § 1265 Satz 2 des Entw. I ist gestrichen.
§ 1259 i. (1264.) Die Anfechtung mufs binnen sechs Monaten erfolgen. Die Frist
beginnt in den Fällen des § 1259 a mit dem Zeitpunkt, in welchem die Eingehung oder
die Bestätigung der Ehe dem gesetzlichen Vertreter bekannt geworden ist oder der Ehe-
gatte die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit erlangt hat, in den Fällen der §§ 1259 b bis
1259 e mit dem Zeitpunkt, in welchem der Irrtum oder die Täuschung entdeckt worden
ist oder die Zwangslage aufgehört hat. Auf den Lauf der Frist finden die für die Ver-
jährung geltenden Vorschriften der §§ 169, 171 entsprechende Anwendung.
Hat im Falle des § 1259 h Abs. 2 der gesetzliche Vertreter die Ehe nicht rechzeitig
angefochten, so kann gleichwohl der anfechtungsberechtigte Ehegatte nach dem Wegfalle
der Geschäftsunfähigkeit die Ehe in gleicher Weise anfechten, wie wenn er ohne gesetz-
lichen Vertreter gewesen wäre.
§ 1259 k. (1266 Abs. 1, 1268.) Die Anfechtung erfolgt, solange die Ehe nicht auf-
gelöst ist, durch Erhebung der Anfechtungsklage.
Die Zurücknahme der Klage bewirkt, dafs die Anfechtung als nicht erfolgt anzusehen
ist. Das Gleiche gilt, wenn die angefochtene Ehe, bevor sie aufgelöst oder für ungiltig
erklärt worden ist, nach Mafsgabe des § 1259 f oder des § 1259 h Abs. 3 bestätigt oder
genehmigt wird.
§ 12591. (1266 Abs. 2.) Ist die Ehe durch den Tod des zur Anfechtung nicht be-
rechtigten Ehegatten aufgelöst, so erfolgt die Anfechtung durch Erklärung gegenüber dem
Nachlafsgerichte. Das Nachlafsgericht soll die Erklärung sowohl denjenigen mitteilen,
welche im Falle der Giltigkeit der Ehe, als auch denjenigen, welche im Falle der Un-
giltigkeit der Ehe die Erben des verstorbenen Ehegatten sind.
§ 1260. Eine anfechtbare Ehe ist der Anfechtung ungeachtet als giltig anzusehen,
bis sie aufgelöst oder für ungiltig erklärt worden ist.
Erfolgt die Auflösung oder die Ungiltigkeitserklärung oder wird die Ehe erst nach
der Auflösung angefochten, so gilt die Ehe als nicht geschlossen.
§ 1261 vergl. §§ 1259 a, 1259 b— 1259 e.
§ 1262 vergl. § 1259 g.
§ 1263 Abs. 1 Satz 1 vergl. § 1259 f Abs. 2; Abs. 1 Satz 2, 3 vergl. § 1259 h
Abs. 1; Abs. 2 gestrichen; Abs. 3 vergl. § 1259 f Abs. 1, § 1259 h Abs. 1 Satz 2.
§ 1264 vergl. § 1249 i.
§ 1265 vergl. § 1259 h Abs. 1.
§ 1266 Abs. 1 vergl. § 1259 k Abs. 1; Abs. 2 vergl. § 12591.
§ 1267 vergl. die Anmerkung zu §§ 1254 bis 1256 unter 1 und 2.
§ 1268 vergl. § 1259 k Abs. 2.
Nationalökonomische Gesetzgebung. ß3
§ 1269 vergl. die Anmerkung zu §§ 1253—1256 unter 3.
§ 1269 a. (1257.) Einem Dritten gegenüber können aus der Nichtigkeit der Ehe
Einwendungen gegen ein zwischen ihm und einem Ehegatten vorgenommenes Rechtsge-
schäft oder gegen ein zwischen ihnen ergangenes rechtskräftiges Urteil nur hergeleitet
werden, wenn zur Zeit der Vornahme des Rechtsgeschäfts oder zur Zeit des Eintritts
der Rechtshängigkeit die Ehe für nichtig erklärt oder die Nichtigkeit dem Dritten be-
kannt war.
Die Nichtigkeit kann unbeschränkt geltend gemacht werden , wenn die Ehe wegen
Formmangels nichtig und nicht in das Heiratsregister eingetragen worden ist.
Anmerkung. Es bleibt vorbehalten, den Abs. 1 Satz 2 und den Abs. 2, soweit
dieser sich auf das Urteil bezieht, in die Civilprozefsordnung § 236 zu verweisen.
§ 1269 b. (1258.) War bei der Eheschliefsung dem einen Ehegatten die Nichtigkeit
der Ehe bekannt, so hat der andere Ehegatte, sofern nicht auch ihm die Nichtigkeit be-
kannt war, nach der Auflösung oder der Nichtigkeitserklärung der Ehe die Wahl, ob es
in ihrem Verhältnisse zu einander in vermögensrechtlicher Beziehung bei den Folgen der
Nichtigkeit verbleiben oder ob das Verhältnis, insbesondere auch in Ansehung der Unter-
haltspflicht, so behandelt werden soll, wie wenn die Ehe zur Zeit der Auflösung oder der
Nichtigkeitserklärung geschieden und der Ehegatte, welchem die Nichtigkeit bekannt war,
für schuldig erklärt worden wäre.
Die Wahl erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teile ; die Erklärung ist
unwiderruflich. Dem wahlberechtigten Ehegatten kann von dem anderen eine ange-
messene Frist zur Erklärung bestimmt werden ; erfolgt diese nicht innerhalb der Frist,
so verbleibt es bei den Folgen der Nichtigkeit der Ehe.
Diese Vorschriften finden keine Anwendung, wenn die Ehe wegen eines Formmangels
nichtig und nicht in das Heiratsregister eingetragen worden ist.
§ 1270. Die Vorschriften der §§ 1269 a, 1269 b finden auf eine anfechtbare Ehe,
die angefochten worden ist, entsprechende Anwendung. Das im § 1269b bestimmte
Recht steht im Falle der Anfechtung wegen Drohung dem anfechtungsberechtigten Ehe-
gatten, im Falle der Anfechtung wegen Irrtums dem zur Anfechtung nicht berechtigten
Ehegatten zu, es sei denn, dafs dieser den Irrtum bei der Eingehung der Ehe kannte
oder kennen mufste.
§ 1271 vergl. die Anmerkung zu §§ 1254 — 1256 unter 1 und 3.
Vierter Titel.
Wirkungen der Ehe im allgemeinen.
§ 1272. Die Ehegatten sind einander zu ehelicher Lebensgemeinschaft verpflichtet.
Soweit sich das Verlangen eines Ehegatten nach der Herstellung der Gemeinschaft
als Mifsbrauch seines Rechtes darstellt, ist der andere Ehegatte nicht verpflichtet, dem Ver-
langen Folge zu leisten.
§ 1273. Dem Manne steht die Entscheidung in allen das gemeinschaftliche eheliche
Leben betreffenden Angelegenheiten zu ; er bestimmt insbesondere Wohnort und Woh-
nung.
Die Frau ist nicht verpflichtet, der Entscheidung des Mannes Folge zu leisten, wenn
sich die Entscheidung als Mifsbrauch seines Rechtes darstellt.
§ 1274. Die Frau erhält den Familiennamen des Mannes.
§ 1275. Die Frau ist, unbeschadet der Vorschriften des § 1273, berechtigt und
verpflichtet, dem gemeinschaftlichen Hauswesen vorzustehen.
Zu Arbeiten im Hauswesen und im Geschäfte des Mannes ist die Frau verpflichtet,
soweit eine solche Thätigkeit nach den Verhältnissen der Ehegatten üblich ist.
§ 1275a. (1278.) Die Frau ist berechtigt, innerhalb ihres häuslichen Wirkungs-
kreises die Geschäfte des Mannes für ihn zu besorgen und ihn zu vertreten. Rechtsge-
schäfte, die sie innerhalb dieses Wirkungskreises vornimmt, gelten als im Namen des
Mannes vorgenommen, wenn sich nicht aus den Umständen ein Anderes ergiebt.
Der Mann kann das Recht der Frau beschränken oder ausschliefsen. Stellt sich die
Beschränkung oder die Ausschlifsung als Mifsbrauch des Rechtes des Mannes dar, so
kann sie auf Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht aufgehoben werden.
Dritten gegenüber ist die Beschränkung oder die Ausschliefsung nur nach § 1336
wirksam.
§ 1276 gestrichen.
ß4 Nationalökonomische Gesetzgebung.
§ 1277. Hat sich die Frau einem Dritten gegenüber zu einer von ihr in Person
zu bewirkenden Leistung verpflichtet, so kann der Mann das Rechtsverhältnis ohne Ein-
haltung einer Kündigungsfrist kündigen, es sei denn, dafs sich die Frau mit seiner Zu-
stimmung verpflichtet oder das Vormundschaftsgericht auf ihren Antrag die Zustimmung
de» Mannes ersetzt hat.
Das Vormundschaftsgericht kann die Zustimmung ersetzen, wenn sie wegen Krankheit
oder Abwesenheit des Mannes nicht zu erlangen ist oder die Verweigerung der Zustim-
mung sich als Mifsbrauch des Rechtes des Mannes darstellt.
Die Zustimmung sowie die Kündigung kann nicht durch einen Vertreter erfolgen; ist
der Mann in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so bedarf er nicht der Einwilligung seines
gesetzlichen Vertreters.
Das Kündigungsrecht des Mannes ist ausgeschlossen, solange die häusliche Gemein-
schaft aufgehoben ist.
§ 1278 vergl. § 1275a.
§ 1279. Die Ehegatten haben bei der Erfüllung ihrer aus dem ehelichen Verhält-
nisse sich ergebenden Verpflichtungen einander nur für diejenige Sorgfalt einzustehen,
welche sie in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegen
§ 1280. (1280, 1281.) Der Mann hat der Frau nach Mafsgabe seiner Lebens-
stellung, seines Vermögens und seiner Erwerbsfähigkeit Unterhalt zu gewähren.
Die Frau hat dem Manne, wenn er aufser stände ist, sich selbst zu unterhalten, den
seiner Lebensstellung entsprechenden Unterhalt nach Mafsgabe ihres Vermögens und ihrer
Erwerbsfähigkeit zu gewähren.
Der Unterhalt ist in der durch die eheliche Lebensgemeinschaft gebotenen Weise zu
gewähren. Die für die Unterhaltspflicht der Verwandten geltenden Vorschriften des
§ 1488 Abs. 4 und der §§ 1492 bis 1496 finden Anwendung.
§ 1281 vergl. § 1280.
§ 1281a. Leben die Ehegatten getrennt, so ist, solange einer von ihnen die Her-
stellung des ehelichen Lebens verweigern darf und verweigert, der Unterhalt durch Ent-
richtung einer Geldrente zu gewähren. Auch sind der Frau von dem Manne die zur
Führung eines abgesonderten Haushaltes erforderlichen Sachen aus dem gemeinschaftlichen
Haushalte zum Gebrauche herauszugeben, es sei denn, dafs die Sachen für ihn unentbehr-
lich sind, oder dafs solche Sachen sich in dem der Verfügung der Frau unterliegenden
Vermögen befinden.
Die Unterhaltspflicht des Mannes fällt weg oder beschränkt sich auf die Zahlung
eines Beitrages, wenn der Wegfall oder die Beschränkung mit Rücksicht auf die Bedürf-
nisse, die Vermögens- und Erwerbsverhältnisse der Billigkeit entspricht.
§ 1282. Es wird vermutet, dafs die im Besitz eines der Ehegatten oder beider Ehe-
gatten befindlichen beweglichen Sachen dem Manne gehören. Dies gilt insbesondere auch
lür Inhaberpapiere und für Orderpapiere, die mit einem Blankoindossamente versehen sind.
Die Vermutung gilt nicht für die ausschliefslich zum persönlichen Gebrauche der
Frau bestimmten Sachen, insbesondere nicht für Kleider und Schmucksachen.
Die §§ 1283 bis 1332, 1339 werden durch folgende Vorschriften ersetzt.
Fünfter Titel.
Eheliches Güterrecht.
I. Gesetzliches Güterrecht.
1. Eingebrachtes Gut. Vorbehaltsgut.
§a. (1283.) Das Vermögen der Frau wird durch die Eheschliefsung der Verwaltung
und Nutzniefsung des Mannes unterworfen (eingebrachtes Gut).
Zu dem eingebrachten Gute gehört auch das Vermögen, welches die Frau während
der Ehe erwirbt.
§ b. (1284.) Die Verwaltung und Nutzniefsung des Mannes tritt nicht eiu, wenn
er die Ehe mit einer minderjährigen oder sonst in der Geschäftsfähigkeit beschränkten
Frau ohne Einwilligung ihres gesetzlichen Vertreters schliefst.
§c. Der Verwaltung und Nutzniefsung des Mannes ist nicht unterworfen das Vor-
behaltsgut der Frau.
Anmerkung. Der § 1288 des Entw. I ist gestrichen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 65
§d. (1289.) Vorbehaltsgut ist, was die Frau durch ihre Arbeit oder durch den
selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäftes erwirbt.
§e. (1286.) Vorbehaltsgut ist, was durch Ehevertrag für Vorbehaltsgut erklärt ist.
§f. (1287.) Vorbehaltsgut ist, was die Frau durch Erbfolge, als Vermächtnis
oder als Pflichtteil erwirbt (Erwerb von Todeswegen), oder was ihr unter Lebenden
von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, wenn der Erblasser durch Verfügung
von Todeswegen, der Dritte bei der Zuwendung bestimmt hat , dafs der Erwerb Vorbe-
haltsgut sein soll.
§g. (1290.) Vorbehaltsgut ist, was die Frau auf Grund eines zu ihrem Vorbehalts-
gute gehörenden Rechtes oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entzie-
hung eines zu dem Vorbehaltsgute gehörenden Gegenstandes oder durch ein Rechtsge-
schäft erwirbt, das sich auf das Vorbehaltsgut bezieht.
§ h. (1291.) Auf das Vorbehaltsgut finden die bei der Gütertrennung für das
Vermögen der Frau geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung; die Frau hat
jedoch den in § m2 bestimmten Beitrag zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes
dem Manne nur insoweit zu leisten, als dieser nicht schon durch die Nutzungen des ein-
gebrachten Gutes einen angemessenen Beitrag erhält.
§i. (1292, 992, 993, 1040.) Jeder Ehegatte kann verlangen, dafs der Bestand des
eingebrachten Gutes durch Aufnahme eines Verzeichnisses unter Mitwirkung des anderen
Ehegatten festgestellt wird. Auf die Aufnahme des Verzeichnisses finden die für den
Niefsbrauch geltenden Vorschriften des § 945 Anwendung.
Jeder Ehegatte kann den Zustand der zu dem eingebrachten Gute gehörenden Sachen
auf seine Kosten durch Sachverständige feststellen lassen.
Anmerkung. Es wird vorausgesetzt , dafs die in der Anmerkung zu § 944
(II. Lesung) in das Reichsgesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichts-
barkeit verwiesenen Vorschriften auf diesen Fall erstreckt werden.
2. Verwaltung und Nutzniefsung.
Anmerkung. Der § 1325 des Entw. I ist gestrichen.
§k. (1292, 984.) Der Mann ist zum Besitze der zu dem eingebrachten Gute ge-
hörenden Sachen berechtigt.
§1. (1317 Satz 1, 1324, 591.) Der Mann hat das eingebrachte Gut ordnungsmäfsig
zu verwalten. Ueber den Stand der Verwaltung hat er der Frau auf Verlangen Auskunft
zu erteilen.
§m. (1319 Abs. 1.) Das Verwaltungsrecht des Mannes umfafst nicht die Befugnis,
■die Frau durch Rechtsgeschäfte zu verpflichten oder über eingebrachtes Gut ohne ihre Zu-
stimmung zu verfügen.
§n. (1318 Nr. 1, 2) Ohne Zustimmung der Frau kann der Mann
1. über Geld und andere verbrauchbare Sachen verfügen;
2. Forderungen gegen Verbindlichkeiten der Frau , deren Erfüllung aus dem einge-
brachten Gute verlangt werden kann, aufrechnen, sowie Forderungen, die nicht auf
Zinsen ausstehen, einziehen ;
3. Verbindlichkeiten der Frau zur Leistung eines zu dem eingebrachten Gute ge-
hörenden Gegenstands durch Leistung desselben erfüllen.
§o. (1294, 1296, 1323.) Der Mann darf Verfügungen , zu deren Vornahme die
Zustimmung der Frau nicht erforderlich ist, nur zum Zwecke ordnungsmäfsiger Verwaltung
des eingebrachten Gutes vornehmen.
Das zum eingebrachten Gute gehörende Geld hat der Mann nach den für die An-
legung von Mündelgeldern geltenden Vorschriften für die Frau verzinslich anzulegen, so-
weit es nicht zur Bestreitung von Ausgaben erforderlich ist, welche durch die ordnungs-
mäfsige Verwaltung geboten sind und der Frau zur Last fallen.
Andere verbrauchbare Sachen darf der Mann auch für sich veräufsern oder ver-
brauchen. Macht er von der Befugnis Gebrauch , so hat er den Wert der Sachen nach
der Beendigung der Verwaltung und Nutzniefsung zu ersetzen; der Ersatz ist schon vor-
her zu leisten , wenn die ordnungsmäfsige Verwaltung des eingebrachten Gutes es er-
fordert.
§p. (1292.) Gehört zu dem eingebrachten Gute ein Grundstück samt Inventar,
so bestimmen sich die Rechte und die Pflichten des Mannes in Ansehung des Inventars
nach § 958 Abs. 1 (II. Lesung).
§ q. (1319 Abs. 2.) Ist zur ordnungsmäfsigen Verwaltung des eingebrachten Gutes
Dritte Folge Bd. VIII (LXIII). 5
ßg Nationalökonomische Gesetzgebung.
ein Rechtsgeschäft erforderlich, zu welchem der Mann der Zustimmung der Frau bedarf,
so kann die Zustimmung, wenn sie von der Frau ohne ausreichenden Grund verweigert
wird, auf Antrag des Mannes durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden.
Das Gleiche gilt, wenn die Frau durch Krankheit oder durch Abwesenheit an der
Abgabe der Erklärung verhindert und mit dem Aufschübe Gefahr verbunden ist.
8 r. Erwirbt der Mann mit Mitteln des eingebrachten Gutes Inhaberpapiere oder mit
Blankoindossament versehene Orderpapiere oder andere bewegliche Sachen, so geht mit
dem Erwerbe das Eigentum auf die Frau über, es sei denn, dafs der Mann nicht für
Rechnung des eingebrachten Gutes erwerben wollte.
Diese Vorschrift findet entsprechende Anwendung, wenn der Mann mit Mitteln des
eingebrachten Gutes ein Recht an Sachen der bezeichneten Art oder ein anderes Recht
erwirbt, zu dessen Uebertragung der Abtretungsvertrag genügt.
§s. Was der Mann an Stelle der von der Frau eingebrachten, nicht mehr vorhan-
denen Stücke des Haushaltsinventars anschafft, wird eingebrachtes Gut.
§ t. (1318 Nr. 3, 1322.) Der Mann kann ein zum eingebrachten Gute gehörendes
Recht im eigenen Namen gerichtlich geltend machen. Ist er befugt , über das Recht
ohne Zustimmung der Frau zu verfügen , so wirkt das Urteil auch für und gegen die
Frau.
§ u. (1292, 1293, 1285.) Der Mann erwirbt die Nutzungen des eingebrachten Gutes
in derselben Weise und in demselben Umfange wie ein Niefsbraucher.
Die ausschiefslich zum persönlichen Gebrauche der Frau bestimmten Sachen , insbe-
sondere Kleider und Schmucksachen, unterliegen nicht der Nutzniefsung des Mannes.
§v. (1297.) Der Mann hat, aufser den Kosten, welche durch die Gewinnung der
Nutzungen entstehen, die Kosten der Erhaltung der zum eingebrachten Gute gehörenden
Gegenstände nach den für den Niefsbrauch geltenden Vorschriften zu tragen.
§w. (1297 Abs. 1 Nr. 1 — 3.) Der Mann ist der Frau gegenüber verpflichtet, für die
Dauer der Verwaltung und Nutzniefsung zu tragen:
1. die der Frau obliegenden öffentlichen Lasten, mit Ausschlufs der auf dem Vor-
behaltsgute ruhenden und der aufserordentlichen Lasten, welche als auf den Stamm-
wert des eingebrachten Gutes gelegt anzusehen sind ;
2. die privatrechtlichen Lasten, welche auf den zum eingebrachten Gute gehörenden
Gegenständen ruhen ;
3. die Beiträge, welche für die Versicherung der zum eingebrachten Gute gehörenden
Gegenstände zu leisten sind.
§x. (1297 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2.) Der Mann ist der Frau gegenüber verpflichtet,
für die Dauer der Verwaltung und Nutzniefsung die Zinsen derjenigen Verbindlichkeiten
der Frau zu tragen, deren Erfüllung aus dem eingebrachten Gute verlangt werden kann,
es sei denn, dafs die Verbindlichkeiten im Verhältnisse der Ehegatten zu einander dem
Vorbehaltsgute zur Last fallen.
Das Gleiche gilt von wiederkehrenden Leistungen anderer Art, einschliefslich der
von der Frau auf Grund ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht geschuldeten Leistungen, so-
fern sie bei ordnungsmäßiger Wirtschaft aus den Einkünften bestritten werden und im
Verhältnisse der Ehegatten zu einander nicht dem Vorbehaltsgute zur Last fallen.
§y. (1297 Abs. 1 Nr. 5, 6, Abs. 2.) Der Mann ist der Frau gegenüber verpflichtet,
zu tragen:
1. die Kosten eines Rechtsstreits , in welchem er ein zu dem eingebrachten Gute
gehörendes Recht geltend macht , sowie die Kosten eines von der Frau geführten
Rechtsstreits, sofern sie nicht dem Vorbehaltsgute zur Last fallen ;
2. die Kosten eines gegen die Frau gerichteten Strafverfahrens , sofern die Auf-
wendung der Kosten den Umständen nach geboten oder mit Zustimmung des
Mannes erfolgt ist, vorbehaltlich der Ersatzpflicht der Frau im Falle ihrer Verur-
teilung.
§ z. Soweit der Mann nach den §§ w — y der Frau gegenüber deren Verbindlich-
keiten zu tragen hat, haftet er den Gläubigern neben der Frau als Gesamtschuldner.
§ a1. Der Mann hat den ehelichen Aufwand zu tragen.
Die Frau kann verlangen, dafs der Mann den Reinertrag des eingebrachten Gutes,
soweit dieser zur Bestreitung des eigenen und des der Frau und den gemeinschaftlichen
Kindern zu gewährenden Unterhalts erforderlich ist, zu diesem Zwecke ohne Rücksicht
auf seine anderweitigen Verbindlichkeiten verwendet.
§bx. (1324 Abs. 1, 595.) Macht der Mann zum Zwecke der Verwaltung des ein-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 67
gebrachten Gutes Aufwendungen, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf,
so ist die Frau zum Ersätze verpflichtet. Geht der Mann zu diesem Zwecke eine Ver-
bindlichkeit ein, die er den Umständen nach für erforderlich halten darf, so ist die Frau
verpflichtet, ihn von der Verbindlichkeit zu befreien ; sie kann jedoch, wenn die Verbind-
lichkeit noch nicht fällig ist, dem Manne, statt ihn zu befreien, Sicherheit leisten.
Diese Vorschriften finden keine Anwendung , soweit der Mann der Frau gegenüber
verpflichtet ist, die Aufwendungen und die Verbindlichkeiten selbst zu tragen.
§c'. (1292, 1295, 1005.) Wird durch das Verhalten des Mannes die Besorgnis
begründet, dafs die Rechte der Frau in einer das eingebrachte Gut erheblich gefährden-
den Weise verletzt werden , so kann die Frau von dem Manne Sicherheitsleistung ver-
langen.
Das Gleiche gilt , wenn die der Frau aus der Verwaltung und Nutzniefsung des
Mannes zustehenden Ansprüche auf Ersatz des Wertes verbrauchbarer Sachen erheblich ge-
fährdet sind.
§ d1. (1292, 1306.) Liegen die Voraussetzungen vor, unter welchen der Mann zur
Sicherheitsleistung verpflichtet ist, so kann die Frau auch verlangen, dafs der Mann die
zum eingebrachten Gute gehörenden Inhaberpapiere, soweit sie nicht verbrauchbare Sachen
sind, nebst den Erneuerungsscheinen bei einer Hinterlegungsstelle oder bei der Reichs-
bank dergestalt hinterlegt, dafs der Anspruch auf Herausgabe von den Ehegatten nur ge-
meinschaftlich geltend gemacht werden kann. Die Hinterlegung der Zins-, Renten- oder
Gewinnanteilscheine kann nicht verlangt werden.
Der Mann kann die Papiere, statt sie zu hinterlegen, auf den Namen der Frau mit
der Bestimmung umschreiben oder in Buchschulden des Reichs oder eines Bundesstaates
umwandeln lassen, dafs er über die umgeschriebenen Papiere oder Buchforderungen nur
mit Zustimmung der Frau verfügen kann.
Anmerkung. Späterer Prüfung bleibt vorbehalten, ob im § 990 (II. Lesung) eben-
falls von Inhaberpapieren schlechthin zu reden sei.
§e*. (1292, 1004, 1324 Abs. 2). Die Frau kann Ansprüche, die ihr auf Grund
der Verwaltung und Nutzniefsung gegen den Mann zustehen, erst nach der Beendigung
der Verwaltung und Nutzniefsung gerichtlich geltend machen, es sei denn, dafs es sich
um den in §a* Abs. 2 bestimmten Anspruch handelt, oder dafs die Voraussetzungen
vorliegen, unter welchen die Frau nach § c1 Sicherheitsleistung verlangen kann.
Die Gläubiger der Frau unterliegen dieser Beschränkung nicht.
§f*. (1300.) Die Frau bedarf zur Verfügung über eingebrachtes Gut der Ein-
willigung des Mannes.
§gV (1300.) Hat die Frau durch Vertrag ohne Einwilligung des Mannes über ein-
gebrachtes Gut verlügt, so hängt die Wirksamkeit des Vertrags von der Genehmigung
des Mannes ab. Ist die Genehmigung verweigert worden, so wird der Vertrag nicht da-
durch wirksam, dafs die Verwaltung und Nutzniefsung aufhört.
Die Genehmigung sowie deren Verweigerung kann nur dem anderen Teile gegen-
über erklärt werden. Der Verweigerung steht es gleich, wenn der Mann nicht binnen
zwei Wochen nach dem Empfang einer Aufforderung des anderen Teiles die Genehmigung
erklärt.
§h1. (1300.) Solange der Mann den ohne seine Einwilligung geschlossenen Ver-
trag nicht genehmigt hat, kann der andere Teil zurücktreten, sofern er nicht gewufst hat,
dafs die Frau Ehefrau ist. Hat er dies gewufst , so kann er gleichwohl zurücktreten,
wenn die Frau der Wahrheit zuwider die Einwilligung des Mannes behauptet hat , es
sei denn , dafs er das Fehlen der Einwilligung bei dem Abschlüsse des Vertrags ge-
kannt hat.
gi1. (1300.) Ein einseitiges Rechtsgeschäft, durch welches die Frau ohne Ein-
willigung des Mannes über eingebrachtes Gut verfügt, ist unwirksam. Nimmt die Frau
mit dieser Einwilligung ein solches Rechtsgeschäft einem Anderen gegenüber vor, so ist
dasselbe unwirksam, wenn die Einwilligung nicht in schriftlicher Form vorgelegt und
das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde von dem Anderen unverzüglich zurückgewiesen
wird. Die Zurückweisung ist ausgeschlossen, wenn der Mann den Anderen vou der Ein-
willigung in Kenntnis gesetzt hatte.
Anmerkung. Es bleibt vorbehalten, eine dem §c' Satz 2, 3 (vergl. § 85
Satz 2, 3 II. Lesung) entsprechende Vorschrift für alle einseitigen Rechtsgeschäfte, welche
zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung eines Dritten bedürfen, zu beschließen.
5*
(3$ Nationalökonomische Gesetzgebung.
gk1. (1301.) Die Frau bedarf nicht der Einwilligung des Mannes zu Rechtsge-
schäften, durch welche sie sich zu einer Leistung verpflichtet. Solche Rechtsgeschäfte
sind dem Manne gegenüber in Ansehung des eingebrachten Gutes wirksam, wenn er zu-
gestimmt hat, ohne seine Zustimmung nur insoweit wirksam , als das eingebrachte Gut
durch das Rechtsgeschäft bereichert ist.
§1'. (1302, 1303.) Führt die Frau einen Rechtsstreit ohne Zustimmung des Mannes,
so ist das Urteil dem Manne gegenüber in Ansehung des eingebrachten Gutes un-
wirksam.
Ein zu dem eingebrachten Gute gehörendes Recht kann die Frau im Wege der Klage
nur mit Zustimmung des Mannes geltend machen.
fm1. (1304.) Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das sich auf das eingebrachte Gut
bezieht, ist dem Manne gegenüber vorzunehmen.
Ein einseitiges Rechtsgeschäft, das sich auf eine Verbindlichkeit der Frau bezieht,
ist der Frau gegenüber vorzunehmen ; es mufs jedoch auch dem Manne gegenüber
vorgenommen werden, wenn es in Ansehung des eingebrachten Gutes gegen ihn wirksam
sein soll.
%n1. (1305.) Die Beschränkungen, denen die Frau nach den %%i1 — m1 unter-
liegt, mufs ein Dritter, vorbehaltlich seiner Rechte aus %hl, auch dann gegen sich gelten
lassen, wenn er nicht gewufst hat, dafs die Frau eine Ehefrau ist.
§ o1. (1306.) Die Zustimmung des Mannes ist in den Fällen der §§ f1 bis I' nicht
erforderlich, wenn sie infolge von Krankheit oder Abwesenheit des Mannes nicht zu er-
langen und mit dem Aufschübe Gefahr verbunden ist.
§ p1. (1321, 1322.) Ist zur ordnungsmäfsigen Besorgung der persönlichen An-
gelegenheiten der Frau ein Rechtsgeschäft erforderlich, zu welchem die Frau der Zu-
stimmung des Mannes bedarf, so kann die Zustimmung, wenn sie von dem Manne ohne
ausreichenden Grund verweigert wird, auf Antrag der Frau durch das Vormundschafts-
gericht ersetzt werden.
Anmerkung. Der § 1320 des Entw. I ist gestrichen.
§ qJ. (1307.) Hat der Mann seine Einwilligung zum selbständigen Betrieb eines
Erwerbsgeschäfts der Frau erteilt, so ist seine Einwilligung zu solchen Rechtsgeschäften
und Rechtsstreitigkeiten nicht erforderlich , welche der Geschäftsbetrieb mit sich bringt.
Einseitige Rechtsgeschäfte, die sich auf das Erwerbsgeschäft beziehen , sind der Frau
gegenüber vorzunehmen.
Der Einwilligung des Mannes steht es gleich, wenn die Frau mit Wissen und ohne
Einspruch desselben das Erwerbsgeschäft betreibt.
Dritten gegenüber ist ein Einspruch und die Rücknahme der erteilten Einwilligung
nur nach Mafsgabe des § 1336 wirksam.
§ r1. (1308.) Die Frau bedarf nicht der Einwilligung des Mannes
1. zur Annahme oder Ausschlagung einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses und zum
Verzicht auf den Pflichtteil ;
2. zur Ablehnung eines Vertragsantrags oder einer Schenkung;
3. zur Vornahme eines Rechtsgeschäfts gegenüber dem Manne.
§ s1. (1309.) Die Frau bedarf nicht der Einwilligung des Mannes
1. zur Fortsetzung eines zur Zeit der Eheschliefsung anhängigen Rechtsstreits ;
2. zur gerichtlichen Geltendmachung eines zum eingebrachten Gute gehörenden Rechtes
gegen den Mann oder einen Dritten , wenn der Mann ohne die erforderliche Zu-
stimmung der Frau über das Recht verfügt hat;
3. zur gerichtlichen Geltendmachung eines Widerspruchsrechts gegenüber einer Zwangs-
vollstreckung.
Anmerkung. Der § 1310 des Entw. I ist gestrichen.
§ t1. (1298.) Die Rechte, welche dem Manne in Ansehung des eingebrachten Gutes
zustehen, sind nicht veräufserlicb.
§ u1. (1326.) Steht der Mann unter Vormundschaft, so hat der Vormund ihn in
den sich aus der Verwaltung und Nutzniefsung des eingebrachten Gutes für ihn er-
gebenden Rechten und Pflichten zu vertreten.
Dies gilt auch dann, wenn die Frau Vormund ist.
Anmerkung. Der Beratung des Vormundschaftsrechts bleibt vorbehalten, zu er-
wägen, ob nicht der Abs. 1 zu streichen und der Abs. 2 in das Vormundschaftsreoht zu
versetzen sei.
Nationalökonomische Gesetzgebung. ß9
3. Schuldenhaftung.
§ v1. Die Gläubiger des Mannes können nicht Befriedigung aus dem eingebrachten
Gute verlangen.
Anmerkung. Im Artikel 11 des Entwurfes des Einführungsgesetzes sollen zum
Ersätze des § 1298 Satz 2 und des § 1299 des Entw. I folgende Vorschriften in die
Civilprozefsordnung als § 749 b eingestellt werden:
Die Rechte, welche bei dem Güterstande der Verwaltung und Nutzniefsung dem
Ehemanne zustehen, sind der Pfändung nicht unterworfen. Die von dem Ehemanne
erworbenen Früchte des eingebrachten Gutes unterliegen der Pfänduug nicht, soweit
sie zur Erlüllung der in den §§ v bis y des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestimmten
Verpflichtungen des Ehemannes, zur Erfüllung der ihm seiner Frau und seinen Ver-
wandten gegenüber gesetzlich obliegenden Unterhaltspflicht und zur Bestreitung seines
eigenen standesmäfsigen Unterhalts erforderlich sind.
Der Widerspruch kann sowohl von dem Ehemann als von der Ehefrau nach
§ 685 geltend gemacht werden.
§ w1. (1311.) Die Gläubiger der Frau können ohne Rücksicht auf die Verwaltung
und Nutzniefsung des Mannes Befriedigung aus dem eingebrachten Gute verlangen, soweit
sich nicht aus den §§ x1 bis z1 ein Anderes ergiebt.
Hat der Mann verbrauchbare Sachen nach § o Abs. 3 veräufsert oder verbraucht, so
tritt an die Stelle der Sachen der Anspruch der Frau auf Ersatz des Wertes. Der Mann
ist den Gläubigern gegenüber zum sofortigen Ersätze verpflichtet.
Anmerkung. Im Artikel 11 des Entwurfes des Einführungsgesetzes sollen zum
Ersätze des § 1314 Abs. 1, 2, des § 1315, des § 1360, des § 1399 Abs. 2, des § 1424
Abs. 1 und des § 1431 Abs. 1 des Entw. I folgende Vorschriften in die CPO. als
§ 671a, § 671b, § 671c, § 702a eingestellt werden:
§ 671 a. Bei dem Güterstande der Verwaltung und Nutzniefsung, der|kErrungen-
schaftsgemeinschaft sowie der Fahrnisgemeinschaft findet die Zwangsvollstreckung
in das eingebrachte Gut der Ehefrau nur statt, wenn die Ehefrau zur Leistung
und der Ehemann zur Gestattung der Zwangsvollstreckung in das eingebrachte
Gut verurteilt ist.
§ 671 b. Bei dem Güterstande der allgemeinen Gütergemeinschaft, der Errungen-
schaftsgemeinschaft sowie der Fahrnisgemeinschaft ist zur Zwangsvollstreckung in
das Gesamtgut ein gegen den Ehemann , bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft
ein gegen den überlebenden Ehegatten erlassenes Urteil erforderlich und genügend.
§ 671 c. Ist der Güterstand der Verwaltung und Nutzniefsung oder der allge-
meinen Gütergemeinschaft oder der Fahrnisgemeinschaft erst während der Rechts-
hängigkeit oder nach der Beendigung des Rechtsstreits der Ehefrau eingetreten,
so finden auf die Erteilung einer gegen den Ehemann in Ansehung des einge-
brachten Gutes der Ehefrau oder in Ansehung des Gesamtguts vollstreckbaren
Ausfertigung des gegen die Ehefrau erlassenen Urteils die §§ 665 bis 668, 671
entsprechende Anwendung.
Das Gleiche gilt bei der Errungenschaftsgemeinschaft für die Zwangsvollstreckung
in das eingebrachte Gut der Ehefrau.
§ 702a. Bei dem Güterstande der Verwaltung und Nutzniefsung, der Er-
rungenschaftsgemeinschaft sowie der Fahrnisgemeinschaft findet auf Grund eines
gegen die Frau vollstreckbaren Titels die Zwangsvollstreckung in das eingebrachte
Gut der Ehefrau auch dann statt, wenn der Ehemann in einer von einem deutschen
Gericht oder von einem deutschen Notar innerhalb der Grenzen seiner Amts-
befugnisse in der vorgeschriebenen Form aufgenommenen Urkunde die sofortige
Vollstreckung in das eingebrachte Gut bewilligt hat.
§ x1. (1313 Nr. 1.) Die Gläubiger der Frau können die Berichtigung von Ver-
bindlichkeiten, die nach der Eheschliefsung aus Rechtsgeschäften oder gerichtlichen Ent-
scheidungen entstanden sind, aus dem eingebrachten Gute nicht verlangen, wenn das
Rechtsgeschäft oder die Entscheidung nach den §§ f1 bis n1 dem Manne gegenüber in
Ansehung des eingebrachten Gutes unwirksam ist.
Für die Kosten eines Rechtsstreits der Frau haftet das eingebrachte Gut auch dann,
wenn das Urteil dem Manne gegenüber in Ansehung des eingebrachten Gutes unwirksam ist.
§ y1. (1312 Nr. 2.) Die Gläubiger der Frau können die Berichtigung von Verbind-
lichkeiten, welche für die Frau infolge des Erwerbs einer Erbschaft oder eines Ver-
mächtnisses entstanden sind, aus dem eingebrachten Gute nicht verlangen, wenn die Frau die
Erbschaft oder das Vermächtnis nach der Eheschliefsung als Vorbehaltsgut erworben hat.
IQ Nationalökonomische Gesetzgebung.
§ z1. (1312 Nr. 3.) Die Gläubiger der Frau können die Berichtigung von Ver-
bindlichkeiten, die nach der Eheschliefsung infolge eines zu dem Vorbehaltsgute ge-
hörenden Rechtes oder des Besitzes einer dazu gehörenden Sache entstanden sind, aus
dem eingebrachten Gute nicht verlangen, es sei denn, dafs das Recht oder die Sache zu
einem Erwerbsgeschäfte gehört , welches von der Frau mit Einwilligung des Mannes
selbständig betrieben wird.
Anmerkung. Der § 1313 des Entw. I soll in den Titel über die Unterhalts-
pflicht eingestellt werden.
§ a2. (1316 Abs 1, Abs. 2 Nr. 1 — 3.) Im Verhältnisse der Ehegatten zu einander
fallen dem Vorbehaltsgute zur Last:
1 . die Verbindlichkeiten der Frau aus einer während der Ehe von ihr begangenen un-
erlaubten Handlung oder aus einem wegen einer solchen Handlung gegen sie ge-
richteten Strafverfahren ;
2. die Verbindlichkeiten der Frau aus einem auf das Vorbehaltsgut sich beziehenden
Rechtsverhältnis, auch wenn sie vor der Eheschliefsung oder vor der Zeit entstanden
sind, zu welcher das Gut Vorbehaltsgut geworden ist;
3. die Verbindlichkeiten der Frau aus einer gerichtlichen Entscheidung über eine der
unter 1, 2 bezeichneten Verbindlichkeit zur Tragung der Kosten.
§ b2. (1297 Abs. 1 Nr. 5, 1316 Abs. 2 Nr. 4.) Im Verhältnisse der Ehegatten zu
einander fällt dem Vorbehaltsgute zur Last die Verbindlichkeit der Frau zur Tragung
der Kosten eines Rechtsstreits zwischen ihr und dem Manne.
Das Gleiche gilt von der Verbindlichkeiten der Frau zur Tragung der Kosten eines
Rechtsstreits zwischen ihr und einem Dritten, wenn das Urteil dem Manne gegenüber in
Ansehung des eingebrachten Gutes unwirksam ist Betrifft jedoch der Rechtsstreit eine
persönliche Angelegenheit der Frau oder eine nicht unter die Vorschriften des § a2 Nr. 1, 2
fallende Verbindlichkeit, deren Berichtigung aus dem eingebrachten Gute verlangt werden
kann, so findet diese Vorschrift keine Anwendung, wenn die Aufwendung der Kosten
den Umständen nach geboten war.
§ c2. (1316 Abs. 3.) Wird eine Verbindlichkeit, die nach den §§ a2, b2 dem Vor-
behaltsgute der Frau zur Last fällt, aus dem eingebrachten Gute berichtigt, so hat die Frau
aus dem Vorbehaltsgute, soweit dieses reicht, zu dem eingebrachten Gute Ersatz zu leisten.
Wird eine Verbindlichkeit der Frau, die im Verhältnisse der Ehegatten zu einander
dem Vorbehaltsgute nicht zur Last fällt, aus dem Vorbehaltsgute berichtigt, so hat der
Mann aus dem eingebrachten Gute, soweit dieses reicht , zu dem Vorbehaltsgute Ersatz
zu leisten.
4. Beendigung der Verwaltung und N u t z n i e f s u n g,
§ d2. (1327 Nr. 2, 1328.) Die Frau kann auf Aufhebung der Verwaltung und
Nutzniefsung klagen,
1. wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter welchen die Frau nach § e1 Sicherheits-
leistung verlangen kann ;
2. wenn der Mann seine Verpflichtung, der Frau und den gemeinschaftlichen Abkömm-
lingen den Unterhalt zu gewähren, verletzt hat und für die Zukunft eine erhebliche
Gefährdung des Unterhalts zu besorgen ist. Eine Verletzung der Unterhaltspflicht
liegt schon dann vor , wenn der Frau und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen
nicht mindestens der Unterhalt gewährt wird, welcher ihnen bei ordnungsmäfsiger
Verwaltung und Nutzniefsung des eingebrachten Gutes zukommen würde ;
3. wenn ein Abwesenheitspfleger für den Mann bestellt ist und eine baldige Aufhebung
der Pflegschaft nicht in Aussicht steht;
4. wenn der Mann entmündigt oder nach § 1727 des vormuudschaftlichen Schutzes für
bedürftig erklärt ist.
Die Aufhebung der Verwaltung und Nutzniefsung tritt mit der Rechtskraft des Ur-
teils ein.
§ e2. (1327 Nr. 3.) Die Verwaltung und Nutzniefsung endigt mit der Rechtskraft
des Beschlusses, durch welchen der Konkurs über das Vermögen des Mannes eröffnet wird.
§ f2. (1327 Nr. 4.) Die Verwaltung und Nutzniefsung endigt, wenn der Mann für
tot erklärt wird, mit dem Zeitpunkte, welcher als Zeitpunkt des Todes gilt.
Anmerkung. Der § 1327 Nr. 1, 5 des Entw. I ist gestrichen.
§ g2. (1292, 1007, 1009, 1324 Abs. 1, 591, 593, 1329.) Nach der Beendigung
der Verwaltung und Nutzniefsung hat der Mann das eingebrachte Gut der Frau heraus-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 71
zugeben und ihr über die Verwaltung Rechenschaft abzulegen. Auf die Herausgabe eines
landwirtschaftlichen Grundstücks findet die Vorschrift des § 582, auf die Herausgabe eines
Landguts finden die Vorschriften der §§ 532, 533 entsprechende Anwendung.
In den Fällen des § d2 bestimmt sich die Verpflichtung des Mannes zur Heraus-
gabe des eingebrachten Gutes in gleicher Weise , wie wenn der Anspruch auf Heraus-
gabe mit der Erhebung der Klage auf Aufhebung der Verwaltung und Nutzniefsung rechts-
hängig geworden wäre.
§ h2. (1292, 1008.) Hat der Mann ein zu dem eingebrachten Gute gehörendes
Grundstück vermietet oder verpachtet, so finden, wenn das Miet- oder Pachtverhältnis
bei der Beendigung der Verwaltung und Nutzniefsung noch besteht, die Vorschriften des
§ 965 entsprechende Anwendung.
§ i2. (1327 Abs. 2, 599 Abs. 2, 603.) Der Mann ist auch nach der Beendigung
der Verwaltung und Nutzniefsung zur Fortführung der Verwaltung berechtigt, bis er von
der die Beendigung bewirkenden Thatsache Kenntnis erlangt hat oder diese Thatsache
hätte kennen müssen. Ein Dritter kann sich auf diese Berechtigung nicht berufen, wenn
er bei der Vornahme eines Rechtsgeschäfts die Beendigung der Verwaltung und Nutz-
niefsung gekannt hat oder hätte kennen müssen.
Endigt die Verwaltung und Nutzniefsung infolge des Todes der Frau , so hat der
Mann diejenigen zur Verwaltung gehörenden Geschäfte, mit deren Aufschübe Gefahr ver-
bunden sein würde, zu besorgen, bis die Erben anderweit haben Fürsorge treffen können.
§ k2. (1331, 1332.) Wird die Entmündigung, Bevormundung oder Pflegschaft, wegen
deren die Aufhebung der Verwaltung und Nutzniefsung erfolgt ist, wieder aufgehoben
oder der die Entmündigung aussprechende Beschlufs mit Erfolg angefochten , so kann
der Mann auf die Wiederherstellung seiner Rechte kligen. Das Gleiche gilt, wenn der
für tot erklärte Mann noch lebt. Im Falle der Wiederherstellung wird dasjenige Ver-
mögen der Frau Vorbehaltsgut, welches ohne die Aufhebung der Rechte des Mannes
Vorbehaltsgut geblieben oder geworden sein würde.
Die Wiederherstellung der Rechte des Mannes tritt mit der Rechtskraft des Urteils
ein. Die Vorschriften des § g2 Abs. 2 finden entsprechende Anwendung.
5. Gütertrennung.
§ l2. Ist die Verwaltung und Nutzniefsung nach § b ausgeschlossen oder ist sie
aufgehoben, so gelten die Vorschriften der §§ m2 bis q2.
§ m2. (1339 Abs. 1 bis 3.) Die Frau ist verpflichtet, dem Manne aus den Ein-
künften ihres Vermögens sowie aus dem Ertrag ihrer Arbeit oder eines von ihr selb-
ständig betriebenen Erwerbsgeschäfts einen angemessenen Beitrag zur Bestreitung des
ehelichen Aufwandes zu leisten. Für die Vergangenheit kann der Mann die Leistung
nur insoweit verlangen, als die Frau ungeachtet seiner Aufforderung mit der Leistung im
Rückstande geblieben ist
Der Anspruch des Mannes ist nicht übertragbar.
§ n2. (1339 Abs. 4, 5.) Ist eine erhebliche Gefährdung des der Frau und den ge-
meinschaftlichen Abkömmlingen von dem Manne zu gewährenden Unterhalts zu besorgen,
so kann die Frau den von ihr nach § m2 zu leistenden Beitrag zur eigenen Verwendung
insoweit zurückbehalten, als zur Bestreitung des Unterhalts erforderlich ist.
Das Gleiche gilt , wenn ein Abwesenheitspfleger für den Mann bestellt oder wenn
der Manu entmündigt oder nach § 1727 des voimundschaftlichen Schutzes für bedürftig
erklärt ist.
§ o2. Hat die Frau aus ihrem Vermögen zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes
etwas verwendet oder dem Manne überlassen, so ist im Zweifel anzunehmen, dafs die Ab-
sicht, Ersatz zu verlangen gefehlt hat.
§ p2. (1340.) Hat die Frau ihr Vermögen ganz oder teilweise der Verwaltung des
Mannes überlassen, so kann, wenn sie nicht ein Anderes bestimmt hat, der Mann die
während seiner Verwaltung bezogenen Einkünfte nach freiem Ermessen verwenden, soweit
sie nicht zur Bestreitung der Kosten der ordnungsmäfsigen Verwaltung und zur Erfüllung
solcher sich auf das Vermögen beziehenden Verpflichtungen der Frau erforderlich sind,
die bei ordnungsmäfsiger Verwaltung aus den Einkünften bestritten werden.
§ q2. (1330, 1331 Abs. 2.) Der Ausschlufs oder die Aufhebung der Nutzniefsung
und Verwaltung ist Dritten gegenüber nur nach § 1336 wirksam Das Gleiche gilt im
Falle des § k2 von der Wiederherstellung der Verwaltung und Nutzniefsung, sofern die
Aufhebung im eherechtlichen Register eingetragen war.
72 Nationalökonomische Gesetzgebung.
II.
Die Beschränkungen der Parzellierungsfreiheit in Sachsen.
Sachsen- Altenburg und Württemberg.
Von Dr. Karl Mamrotb.
Einleitung.
Noch immer bestehen, wie bekannt, im Deutsohen Reiche gesetzliche
Beschränkungen der Parzellierungsfreiheit von Landgütern : in hohem
Mafse in Schaumburg-Lippe und Lippe-Detmold, Sachsen, Sachsen-
Altenburg, Reufs ä. L., Schwarzburg-Sondershausen, Württemberg, Mecklen-
burg, bei den geschlossenen Hofgütern des badischen Schwarzwaldes
und den neuen Rentengütern im östlichen Freufsen, unbedeutender
in Schwarzburg- Rudolstadt, Sachsen-Weimar-Eisenach, Oldenburg, ganz
unwesentlich („Parzellenminimum") im Grofsherzogtum Hessen und
in Baden1); der „Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Bürger-
lichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich" bestimmt im Art. 70, dafs
die landesgesetzlichen Vorschriften, welche die Teilung von Grundstücken
untersagen oder beschränken, unberührt bleiben, weil sie — wie es in
den Motiven heilst — „volkswirtschaftlichen Zwecken dienen" 2).
I. Königreich Sachsen.
Zum Verständnisse der sächsischen „Dismembrationsgesetzgebung" sind
einige Worte über den Bauernschutz, wie er in früheren Jahrhunderten
in Deutschland ausgeübt wurde, erforderlich.
Bekanntlich wurden seit dem Ausgange des Mittelalters die deutschen
Bauern in steigendem Mafse mit Zinsen und Fronden seitens der Grund-
herren belastet. Dies erwies sich im nördlichen Deutschland für den
Bauernstand verhängnisvoller als im südlichen, weil dort die Grundherren
1) Bezüglich der Parzellierungsbeschi anklingen in Deutschland finden sich auch in
der neuesten Litteratur selbst bei sonst sehr sorgfältigen Schriftstellern Irrtümer.
2) Ich möchte nicht unterlassen, auch an dieser Stelle den zahlreichen Privatpersonen
und Behörden, welche mir Mitteilungen gemacht, bezw. die Erlaubnis, Akten einsehen
zu dürfen, erteilt haben, bestens zu danken, ebenso Herrn Geh. R. Prof. von Miaskowski in
Leipzig für das überaus freundliche Interesse, das er an den Vorarbeiten zu dieser
Studie genommen bat.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 7^
eigene grofse Gutswirtschaften errichteten und daher an der Vertreibung
des Bauern wie an der Einziehung des Bauernlandes das stärkste Interesse
hatten. So kam es, dafs in Mecklenburg, im schwedischen Vorpommern,
in Holstein, in Livland nicht nur das Bauernland eich stetig verminderte,
sondern auch die rechtliche Lage des Bauern — bis zur Leibeigenschaft —
sich verschlechterte. Dort fehlte eine starke Staatsgewalt, die erkannte,
dafs die Vernichtung des Bauerngutes und die Herabdrückung des Bauern-
standes eine Schmälerung der steuerlichen Leistungen des Bauern zu
bedeuten habe. Aus diesem Motive schritten in einer nicht geringen
Zahl deutscher Territorien die Landesherren zu Gunsten des Bauernstan-
des gegen die Grundherren ein ; bemerkenswert ist namentlich die das
ganze nordwestliche Deutschland umfassende „Meierverfassung", die darauf
abzielte, das Verhältnis zwischen den Grundherren und Bauern derart zu
regeln, dafs die Bauerngüter möglichst erhalten blieben : es mufste z. B.
der Bauer zur Veräufserung des Gutes regelmäfsig die Einwilligung des
Gutsherrn einholen , die aber nur versagt werden durfte , wenn der neue
Erwerber für ordentliche Wirtschaft und richtige Abführung der Lasten
keine Garantien darbot; so konnte das Zinsgut im allgemeinen für die
Schulden nicht als Exekutionsobjekt in Anspruch genommen werden —
aufser wenn der Gutsherr in dieselben gewilligt hatte; ferner finden sich
strengere Vorschriften des öffentlichen Interesses wegen, z. B. obrigkeit-
liche Erlaubnis für die Veräufserung einzelner Parzellen oder die Teilung
des Gutes unter mehrere Besitzer 1).
Auch in Kursachsen wurden im 17. und 18. Jahrhundert Teilungen
geschlossener Güter im allgemeinen nur dann gestattet, wenn dadurch
keine Verschlechterung des Wirtschaftsertrages und der Steuerkraft zu
befürchten war oder wenn (bei grofsen Besitzungen) aus der Möglichkeit
intensiverer Bewirtschaftung Vorteile erhofft wurden 2). Aus der älteren
Gesetzgebung ist insbesondere das sogenannte „Generale" vom 15. August
1766 hervorzuheben, in welchem bestimmt wird, dafs in den Erblanden
für die geschlossenen Güter
bei „Hufen" und „starken Gütern" 1j. Hufe 1
bei „halben Hufen" Vs Hufe J b68ten Lande8>
bei „schwachen Gütern" ein Acker oder Scheffel des besten Heim-
feldes als „konsolidiert" (d. h. von dem Hause unzertrennlich)
beizubehalten seien.
Die — noch jetzt für Sachsen und andere deutsche Länder wichtige —
Unterscheidung zwischen „geschlossenen" und „walzenden" Grundstücken
hat folgenden geschichtlichen Ursprung: Im späteren Mittelalter besafsen
manche hörige Bauern neben ihren Hofgütern auch freies Eigen, das
ursprünglich weder einer Vogtei noch einer Grundherrsthaft unterworfen
und daher frei von allen grundherrlichen Leistungen war; es konnte
sogar aufserhalb des Hofverbandes veräufsert werden : man nannte es
1) Vgl. die Litteratur im „Handwörterbuch der Staatswissenschaften", Bd. II (Jena
1891), S. 179 ff., S. 182 ff., Bd. IV (Jena 1892), S. 139ff.
2) Haun , Bauer und Gutsherr in Kursachsen. Schilderung der ländlichen Wirt-
schaft und Verfassung im 16., 17. und 18. Jahrhundert. [Abhandlungen aus dem staatsw.
Seminar zu Strasburg \. E. H. IX ] (Strafsburg 1892) S. 23.
74 Nationalökonomiscbe Gesetzgebung.
„walzende Güter", „Zubaugüter' :, „Beistücke", zuweilen auch ,,Ueberland"
U. 8. W. 1).
Bevor ich auf die Vorgeschichte des Gesetzentwurfes vom Jahre 1843
„betreffend die Teilbarkeit des Grundeigentums" eingehe, mag es mir
gestattet sein , die agrarische Gesetzgebung der wichtigsten deutschen
Länder , wie sie sich in den ersten Jahrzehuten dieses Jahrhunderts ge-
staltet hatte, kurz zu berühren.
„Freiheit des Bodenverkehrs", d. h. das Recht des Eigentümers, sein
Landgut in verschiedene Teile zu zerlegen und diese zu verkaufen, ein-
zelne Teile abzuzweigen, das ganze Gut mit einem anderen zu vereinigen
u. s. w., bestand — zwar gesetzlich nicht ganz begründet, aber thatsäch-
lich — in Württemberg bereits seit dem 16. Jahrhundert: auf die neuen,
seit 1803 hinzugekommenen Lande wurde die Agrarverfassung des alten
Landes übertragen; freier Bodenverkehr wurde vor dem Befreiungskriege
in den Ländern der französischen Herrschaft (Westfalen, Baden, Hessen,
Oldenburg), ferner in Preufsen (1807 resp. 1811) eingeführt. Bayern
setzte die schon im vorigen Jahrhundert begonnene Beförderung der Güter-
zertrümmerung bis 1821 fort. Nach dem Befreiungskriege fehlte es auch
auf agrarischem Gebiete nicht an rückläufigen Mafsregeln : Oldenburg hatte
schon 1814 das alte, in der französischen Zeit beseitigte Recht wieder
eingeführt; Bayern lenkte 1821 (Verordnung vom 25. Mai) und 1825
(Gemeindeedikt vom 11. September, revidiert 1. Juli 1834) in andere
Bahnen ein; Württemberg sprach 1828 im „Gesetz in betreff der öffent-
lichen Verhältnisse der israelitischen Glaubensgenossen" (Art. 28) ein
„Verbot des Güterhandels" aus; in ihren Ablösungsgesetzgebungen hielten
Hannover (1833) und Braunschweig (1834) an der Unteilbarkeit der Land-
güter in der Hauptsache fest2).
Wie für andere deutsche Länder, so waren auch für Sachsen die
30er und der Beginn der 40er Jahre eine Zeit agrarischer Reformen :
das Gesetz vom 14. Juni 1834 regelte die Zusammenlegung der Grund-
stücke; durch Gesetz vom 9. September 1843 ward die Grundsteuer neu
reguliert; unterm 6. November 1843 wurde ein Gesetz über die Grund-
und Hypothekenbücher erlassen.
Nach dem neuen Grundsteuersystem wurde jede einzelne Parzelle
mit besonderen Steuern belegt; der durchschnittlich angenommene Wert
der Steuereinheit war S'/g Thlr., die Steuer selbst wurde mit 1/3 Thlr.
pro Einheit angenommen.
Als die Regelung der Grundsteuer bestimmt ins Auge gefafst war,
mufste sich das sächsische Ministerium darüber schlüssig werden, ob eine
Aufhebung der bisher bestehenden Geschlossenheit erforderlich oder doch
wünschenswert sei 3).
1) Vgl. v. Maurer, Gescbiehte der Fronhöfe, der Bauernhöfe und der Hofverfassung
in Deutschland Bd. III (Erlangen 1863), S. 144 ff.
2) Vgl. u a. Röscher, System II, § 92; Stobbe, Handbuch des deutschen Privat-
rechts Bd. II, 2. Aufl. (Berlin 1883), § 132; Closen , Kritische Zusammenstellung
der bayrischen Landkulturgesetze (München 1818), S. 41 f., S. 265 ff. ; Bening, Die Bauer-
höfe und das Verfiigungsrecht darüber (Hannover 1862), S. 9 ff. ; Teilbarkeit oder Geschlossen-
heit der Bauerngüter? (Braunschweig 1872), S. 3 ff .
3) Das Folgende aus den Akten des sächsischen Ministeriums des Innern.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 7fj
Ursprünglich war vom Finanzministerium beabsichtigt worden, in das
neue Grundsteuergesetz auch die Präge der Teilbarkeit der Grundstücke
hineinzuziehen, d. h. dieselbe iu einem besonderen Abschnitte zu behan-
deln. Da aber das genannte Ministerium der Ansicht war, es komme
hierbei weniger das finanzielle Interesse — die Sicherstellung des Steuer-
einkommens — als das nationalökonomische und politische in Frage , so
entschied sich das (deswegen befragte) Ministerium des Innere dafür, den
beregten Gegenstand], weil er der Landespolizei angehörig sei, in einem
besonderen Gesetze zu bearbeiten.
Der Finanzminister von Zeschau erklärte sich von vornherein „gegen
die in die Willkür des Einzelnen gestellte Bodenmobilisierung", indem
er auf die in Preufsen, Bayern und Nassau mit der Freiheit des Boden-
verkehrs gemachten angeblich schlechten Erfahrungen hinwies.
Die späterhin nicht selten geäufserte Anschauung, es habe sich bei
dem Gesetze nur um steuerliche, nicht volkswirtschaftliche Zwecke gehan-
delt, ist ohne Zweifel eine irrige ; dies erhellt auch deutlich aus der in
den Vorarbeiten zum Gesetzentwurfe zu Tage getretenen sorgfältigen Be-
fragung angesehener volkswirtschaftlicher Schriftsteller.
Naturgemäfs suchte sich das Ministerium des Innern zunächst über
die Grundstücksdismembrationen der letzten Jahre, über ihre Zu- oder
Abnahme, zu informieren : die deshalb befragten vier Kreissteuerräte kon-
statierten eine sehr erhebliche Vermehrung seit dem Jahre 1834. Dis-
membrationen hatten stattgefunden
im 1. Steuerkreise (Dresden u. s. w.) 1834: 319, 1842: 774
>, 2. „ (Leipzig „ ) „ : 239, 1841: 567
,, 3. ,, (Zwickau „ ) „ : 314, 1841/2: 611
,, 4. „ (Bautzen „ ) 1835: 119, 1841: 255
Die Ursachen waren verschiedener Art: einmal die infolge Bevölke-
rungsvermehrung eingetretene Notwendigkeit, zum Häuserbau und zur
Vergröfserung kleiner „Nahrungen" Abtrennungen vornehmen zu müssen ;
dann die Steigerung der Bedürfnisse und somit des Begehrs nach Ver-
dienstquellen beim Häusler, der nunmehr selbst sehr hohe Preise für
Grundstücke zu bewilligen geneigt war ; endlich vor allem — zugleich
als Folge des Vorhergehenden — die überhaudgenommene spekulative Güter-
zertrümmerung.
Immerhin entsprang doch die starke Vermehrung der Dismembrationen
einem spontanen Bedürfnisse der Bevölkerung.
Das Ministerium unterbreitete nunmehr den Kammern einen auf die
rechtliche Gebundenheit der Landgüter bezüglichen Gesetzentwurf1). In
der Begründung desselben wird als Ideal einer guten Grundbesitzvertei-
lung eine richtige Mischung grofser, mittlerer und kleiner Güter bezeichnet
und dies ausführlich motiviert; weiterhin wird betont, dafs in Sachsen
noch eine angemessene Verteilung von Besitzungen verschiedener Gröfse
sei. Es scheine nicht nötig, dem Entstehen zu grofser Gutskomplexe
für die Zukunft entgegenzutreten , da Spuren eines Strebens nach über-
mäfsiger Vergröfserung sich nicht gezeigt hätten ; aber einer zu weit
1) Vgl. Verhandlungen und Denkschriften des sächsischen Landtags von 1843.
7g Nationalökonomische Gesetzgebung.
gehenden Bodenzerstückelung vorzubeugen dürfte an der Zeit sein. Doch
seien in vielen Fällen Disnumbrationen unvermeidlich oder stellten sich
wenigstens als dringend notwendig dar, in anderen Fällen müfsten sie
für nützlich oder rätlich erachtet werden, in noch anderen seien sie ohne
Nachteil.
Das Gesetz ist demnach weniger dazu bestimmt gewesen , an vor-
handene schlechte Zustände die bessernde Hand anzulegen , als vielmehr
einen guten Zustand der Grundbesitzverteilung gegen jene Tendenzen
sicherzustellen, welche ihn zu erschüttern geeignet sind.
Rau urteilte damals1), dafs die Besorgnisse, aus denen der Entwurf
hervorgegangen sei, bezüglich Sachsens auf überzeugende Weise nicht
begründet seien ; er meint , dafs dort eine Verminderung der grofsen
Güter nicht zu bedauern sein möchte und tadelt u. a., dafs in Bezug
auf die Verminderung der Viehzucht zu sehr an die Schafzucht gedacht
worden sei : der Rindviehstand nehme vielmehr bei der Verkleinerung
der Güter bis zu einer gewissen Grenze hin zu.
Der Entwurf wurde zunächst vor die 1. Kammer gebracht, deren
1. Deputation den Prinzen (nachmaligen König) Johann zum Referenten
bestellte. In dem der Kammer erstatteten Berichte werden französische
und englische Zustände (also Güterteilung und Gütergeschlossenheit) mit
einander verglichen; als Resultat ergiebt sich, „dafs eine allzugrofse Zer-
stückelung nicht günstig für die Produktion und ein gTofses Grundeigen-
tum mehr geeignet ist, den Ansprüchen einer steigenden Bevölkerung zu
genügen, dafs aber eine strenge Geschlossenheit, wie in England, eben-
falls manche Nachteile in ihrem Gefolge führt." Durchschlagender noch
als diese nationalökonomische Erwägung scheinen jedoch der Deputation
die politischen Bedenken gegen eine zu weit gehende Bodenzerstückelung:
ein solider Bauernstand — eine der besten Grundlagen des Staates —
bestehe noch in einem grofsen Teile Sachsens , auf ihm beruhe die im
ganzen einfach und gut sich gestaltende Verfassung der sächsischen Land-
gemeinden, ihm habe das Staatsgrundgesetz ein Drittel der Landesvertre-
tung in der 2. Kammer anvertraut; die grofsen Güter bildeten Herde
der Kultur für das platte Land, wie auf ihrem Bestehen ein fast gleicher
Teil der Vertretung in der 2. Kammer beruhe, so seien sie das wesent-
lichste Element für die 1. Kammer.
Nach dem Gesetzentwurfe sollten bei geschlossenen Grundstücken,
auf denen (mit Einschlufs der Gebäude) mehr als 150 Steuereinheiten
hafteten, auf einmal oder nach und nach nicht mehr als die Hälfte (bisher
war, wie eingangs erwähnt wurde, bei gröfseren Gütern nur V4 gebunden
gewesen) abgetrennt werden. Bei Grundstücken, auf denen 150 oder
weniger Steuereinheiten hafteten, sollte die Geschlossenheit eine absolute
sein. Hierbei ging man von der Ansicht aus, dafs ein mit 150 Steuer-
einheiten belastetes Grundstück zur Bewirtschaftung entweder mit einem
Pferde oder mit Ochsen oder auch Kühen sich eigne und dem Eigen-
tümer in der Regel einen Ueberschufs an Früchten zum Verkaufe gewähre ;
1) Beiträge zur Lehre von der Verkleinerung der Landgüter , in seinem und Hans-
sens „Archiv der politischen Oekonomie" Bd. VI (Heidelberg 1843), S. 116 ff.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 77
«in solches Gut werde ungefähr 10 — 12 Acker *) umfassen und der Acker
sei durchschnittlich mit 12 — 15 Steuereinheiten belegt.
Während die erste Kammer mit dem Gesetzentwurfe einverstanden
war, liefs die zweite Kammer die Unterscheidung von Grundstücken über
und unter 150 Steuereinheiten fallen und sprach für alle bisher geschlossenen
Güter ein durchgreifendes Prinzip — die Erlaubnis der Drittelabtrennung —
aus. Sohliefslich erklärte Bich die erste Kammer auch hiermit einverstanden,
nachdem der Gesetzentwurf wieder an sie zurückgelangt war.
Zu jener Zeit war die seit dem Ausgange des vorigen Jahrhunderts
in der Litteratur vielfach erörterte Frage der Bodenteilbarkeit wiederum
litterarisch lebhaft besprochen worden, sie bewegte damals sehr die Ge-
müter, die VI. Wanderversammlung deutscher Landwirte, die im Jahre
1842 in Stuttgart stattfand, hatte jene Frage unter thätiger Teilnahme
hervorragender Volkswirte — Fallati, Knaus, Kau u. a. — erörtert; diese
Parteiungen für und wider Bodenzerstückelung fanden natürlich auch in
den Debatten des sächsischen Landtags ihren Widerhall. Es tauchte dort
der in Württemberg zum gesetzgeberischen Ausdruck gekommene Gedanke
auf, die Abtrennungsbefugnis an ein mehrere Jahre andauerndes Eigentum
zu knüpfen. Allein die Deputation der 2. Kammer war der Ansicht —
eine Anschauung, die nach den in Württemberg gemachten Erfahrungen
keineswegs als ganz unbegründet zu bezeichnen ist — diese Bestimmung
werde umgangen, der Spekulant trete als Bevollmächtigter des bisherigen
Eigentümers auf, man könne aber doch nicht dem Gutsbesitzer die Freiheit
nehmen, sich in Rechtsgeschäften dr.rch einen Dritten vertreten zu lassen.
Auch an die etwa zu erlassende Vorschrift, dafs im Laufe eines Jahres
nur eine Parzelle, resp. einige Parzellen, abgetrennt werden dürften, ist
innerhalb der Deputation gedacht worden; man kam indessen davon ab,
weil sich Gröfse und Zahl der Parzellen nie im voraus bestimmen liefsen.
Die 1. Kammer nahm den Gesetzentwurf einstimmig an ; die Mino-
rität der Ablehnenden in der 2. Kammer war nicht unbeträchtlich: sie
betrug 26 (gegen 42) Stimmen. — Das unter dem 30. November 1843
erlassene Gesetz unterscheidet „Rittergüter" und „übrige Grundstücke".
Von einem Rittergute soll fortan auf einmal oder nach und nach nur
soviel abgetrennt werden, dafs 2/3 der auf dem Grund und Boden — mit
Ausschlufs der Gebäude — bei Erlafs des Gesetzes haftenden Steuerein-
heiten bei dem Stammgute verbleiben. Dieser Beschränkung sind auch
<lie „übrigen Grundstücke" unterworfen, sofern sie innerhalb der länd-
lichen Gemeindebezirke gelegen und als geschlossen zu betrachten sind.
Frei teilbar sind die städtischen und die walzenden Grundstücke, die Dorf-
auen, Anger und Gemeindegrundstücke.
Das Gesetz statuiert für die „übrigen Grundstücke" — nicht für die
Rittergüter — eine Reihe von Ausnahmen: 1) für Weinbergsgrundstücke;
2) zum Zwecke des Betriebes einer Handelsgärtnerei; 3) zur Erbauung
neuer Wohnungen ; 4) zur Anlegung von Fabriketablissements ; ferner
5) im Falle des Tausches, sofern — verschiedener Umfang der Parzellen
vorausgesetzt — das die geringere Fläche enthaltende Grundstück sich
1) 1 Acker = 0,55 Hektar.
7g Nationalökonomiscbe Gesetzgebung.
nicht über Vs seiner Steuereinheiten verringert; 6) bei Abtrennungen
zu wirtschaftlichen Zwecken, namentlich zur Anlegung von Wiesenbewässe-
rungen, zum Aufbau von Wirtschaftsgebäuden und zur Vergröfserung von
Hofraiten , sowie zur Abrundung des Gutsumfanges ; endlich 7) bei Ab-
trennungen zu öffentlichen Zwecken. Indessen ist bei einzelnen Aus-
nahmen die Dismembration wiederum nicht gänzlich freigegeben : bei
Abtrennungen für eine Handelsgärtnerei, zur Erbauung neuer Wohnhäuser
und zu wirtschaftlichen Zwecken soll auf einmal oder nach und nach
nicht mehr als 1/8 der vom Stammgute unzertrennbar erklärten Steuer-
einheiten abgetrennt werden.
Den Regierungsbehörden wird vorbehalten, Abtrennungen über das
gesetzlich erlaubte Drittel hinaus, sowie mehr als es die eben genannten
Ausnahmen zulassen, dispensationsweise „in einzelnen geeigneten Fällen"
zu gestatten.
Das von einem geschlossenen Grundstücke Abgetrennte erhält die
Eigenschaft eines walzenden Grundstücks, sofern es nicht infolge Tausches
in einen geschlossenen Komplex eintritt.
Dies der wesentliche Inhalt des Gesetzes.
Nach der — ebenfalls am 30. November 1843 erlassenen — Ver-
ordnung über die Ausführung des Gesetzes stehen Erörterung und Ent-
scheidung der Frage , ob eine Abtrennung statthaft sei, bezüglich der
Rittergüter der betreffenden Kreisdirektion , bezüglich der übrigen Güter
der Ortsobrigkeit (in höherer Instanz der Kreisdirektion) zu; höchste In-
stanz ist das Ministerium des Innern.
Das Dismembrationsgesuch ist bei der Grund- und Hypothekenbehörde
anzubringen, welche einerseits über die Dispositionsberechtigung desjenigen,
der die Grundstücksabtrennung vornehmen will, urteilen soll, andererseits
die Frage, ob die Dismembration im öffentlichen Interesse gelegen ist,
der Verwaltungsbehörde zu überlassen hat; wenn diese einverstanden ist,
so erfolgt seitens der erstgenannten "Behörde die Regulierung der privat-
rechtlichen Verhältnisse (Hypotheken u. s. w.), alsdann seitens der Steuer-
behörde die Verteilung der Steuern.
Wie oben erwähnt wurde, hatten die Motive zum Gesetzent-
wurfe es für unnötig bezeichnet, „dem Entstehen zu grofser Gutskomplexe
für die Zukunft entgegenzutreten"; ein Versuch dazu war aber bereits
im ,, Gesetz, die Grund- und Hypothekenbücher und das Hypothekenwesen
betreffend" vom 6. November 1843 gemacht worden. Dort bestimmt § 61
unter 4 und 5: 1) „Der Komplex eines Ritterguts kann weder zu
einem anderen Rittergute, noch zu einem Grundstücke anderer Art als
Zubehörung hinzugeschlagen werden"; 2) „andere Güter, welche aus
mehreren zu einem Körper vereinigten ländlichen Grundstücke bestehen
und mit Wohnsitz versehen sind, können ebenfalls nicht zu einem anderen
Grundstücke hinzugeschlagen werden. Letzteres, sowie die Hinzuschlagung
eines Ritterguts zu einem anderen Rittergute, kann nur ausnahmsweise
unter besonderen Verhältnissen von der Oberbehörde gestattet werden."
Diese Bestimmungen gingen — in der Hauptsache unverändert —
in die am 9. Januar 1865 ergangene „Verordnung, die Ein- und Aus-
führung des bürgerlichen Gesetzbuchs für das Königreich Sachsen betref-
NatioDalökonomische Gesetzgebung. 79
fend" über (§§ 207—209). Auch hier sind Ausnahmen für statthaft
erklärt worden : Handelt es sich um Güter der zweiterwähnten Kategorie,
so ist die Genehmigung des Bezirksappellationsgerichts einzuholen ; han-
delt es eich um ein Kittergut, so sollen die Appellationsgerichte zu Dresden
und Bautzen und die Schönburgsche Gesamtkanzlei zuständig 6ein. Sie
haben „Beschlufs zu fassen", wenn ein Rittergut zu einem Grundstücke,
das innerhalb eines ländlichen Gemeindebezirks gelegen und als geschlossen
zu betrachten ist, hinzugeschlagen werden soll; sie haben „gutachtlichen
Vortrag an das Justizministerium zu erstatten", wenn ein Rittergut mit
einem anderen Rittergute oder nichtgeschlossenen Grundstücke vereinigt
werden soll. Es tritt demnach eine höhere Sorgfalt für die Erhaltung
der Rittergüter als für die der Bauerngüter zu Tage!
Eine wesentliche Umänderung, die sich als Verbesserung des Gesetzes
darstellt, ist dem „Gesetz, die Organisation der Behörden für die innere
Verwaltung betreffend", vom 21. April 1873 zu danken. Nunmehr ging
die im Gesetze von 1843 den Regierungsbehörden eingeräumte Befugnis,
— dispensatiousweise — Abtrennungen zu gestatten, ,,auf die Amtshaupt-
mannschaften" über; richtiger müfste es im Gesetze heifsen „auf die
Bezirksausschüsse" : denn der Amtshauptmann ist nicht berechtigt, über
das Gesuch, das bei ihm allerdings einzureichen ist, frei zu entscheiden,
sondern mufs es dem Bezirksausschusse vorlegen. Dieser besteht aus
mindestens 8 Mitgliedern, welche von den Bezirksversammlungen gewählt
werden : in jedem Ausschusse müssen 2 Vertreter der Höchstbesteuerten,
2 der Stadtgemeinden uud 2 der Landgemeinden sein. Der Amtshaupt-
mann führt im Bezirksausschusse den Vorsitz und hat dadurch ohne Zweifel
grofsen Einflufs auf die Beschlufsfassung über Dismembrationsgesuche ;
doch wird die Entscheidung durch Majorität gefällt.
Gegen die Beschlüsse der Verwaltungsbehörden in erster Instanz
steht nach § 31 des eben genannten Gesetzes den Parteien oder sonst
Beteiligten das Recht des Rekurses (binnen 14 Tagen) zu; derselbe geht
in Administrativjustizsachen stets an die Ministerialinstanz, in anderen
Verwaltungssachen an die nächstvorgesetzte Behörde (Kreishauptmann-
schaft), die — nach § 32 — endgiltig entscheidet.
Nach der Verordnung vom 12. November 1874 bedarf es bei walzen-
den Grundstücken oder einer Drittelabtrennung eines Einvernehmens der
Grund- und Hypothekenbehörde mit der Verwaltungsbehörde nur zum
Zwecke der Steuerregulierung.
Der Inhalt der oben genannten Verordnung vom 9. Januar 1865
über Grundstückshinzuschlagungen erfuhr eine Abänderung durch das
Gesetz vom 14. und die Verordnung vom 15. Januar 1884.
Die für Grundstückshinzuschlagungen von Bauerngütern den
Appellationsgerichten zugewiesenen (1879 auf die Oberlandesgerichte über-
gegangenen) Geschäfte der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit sind von der
Grund- und Hypothekenbehörde desjenigen Grundstücks, zu welchem hinzu-
geschlagen werden soll, zu erledigen. Dieselbe prüft, ob der beantragten
Hinzuschlagung ein im Privatrechte begründetes Hindernis entgegensteht:
ist dies der Fall, so lehnt sie das Gesuch ab, dem Petenten aber steht
Beschwerde an das Oberlandesgericht, sodann an das Justizministerium
80
Nationalökonomische Gesetzgebung.
zu; steht kein Hindernis entgegen, so sendet sie die Akten zur Beschluß-
fassung an die zuständige Amtshauptmannschaft. Nunmehr ist wieder ein
doppelter Fall möglich: entweder findet die Amtshauptmannschaft, dafs
der Hinzuschlagung ein im öffentlichen Rechte begründetes Hindernis ent-
gegensteht, dann teilt sie dies unmittelbar dem Antragsteller mit (der gemäfs
den erwähnten §§31 und 32 des Gesetzes vom 21. April 1873 an die
Kreishauptmannschaft appellieren kann) ; oder sie erkennt die Hinzu-
schlagung als statthaft an : so teilt sie dies (ohne vorherige Benachrichtigung
des Antragstellers) der Grund- und Hypothekenbehörde mit, die alsdann
von Amtswegen Eintragungen in das Grund- und Hypothekenbuch oder
das sonst zur Erledigung der Angelegenheit Erforderliche zu besorgen
hat. Dasselbe Verfahren findet statt, wenn die Kreishauptmannschaft als
Rekursinstanz sich — entgegen dem ablehnenden Bescheide der Amts-
hauptmannschaft — für die Bewilligung ausgesprochen hat.
Die Hinzuschlagung eines Ritterguts zu einem anderen Ritter-
gute oder nicht geschlossenen Grundstücke erfordert ebenfalls von seiten
der Grund- und Hypothekenbehörde eine Prüfung, ob ein privatrecht-
liches Hindernis im Wege steht; wird dies von ihr — oder auf ergangene
Beschwerde vom Oberlandesgericht — verneint, so werden die Akten an
das Justizministerium gesendet, das mit dem (die Genehmigung resp. Ver-
sagung des Gesuches beschliefsenden) Ministerium des Innern in Ver-
bindung tritt. Im Fall der Genehmigung tritt die Grund- und Hypo-
thekeubehörde in gleicher Weise wie bei bäuerlichen Grundstücken —
unter Benachrichtigung der Amtshauptmannschaft — in Thätigkeit.
Es möchte nach dem eben Dargestellten scheinen, als ob den gericht-
lichen Behörden durch die Dismembrationsgesetzgebung eine grofse Last
aufgebürdet würde; in der Praxis soll sich dies indessen — so ver-
sicherte mir ein sächsischer Grundbuchrichter — bisher in störendem
Mafse nicht geltend gemacht haben.
Jeder Grundstückseigentümer, der dismembrieren will, mufs, mag es
sich um die Drittelabtrennung oder um Abtrennung eines gröfseren Teils
oder um vollständige Dismembration handeln, ein Schema ausfüllen und das-
selbe beim zuständigen Amtsgerichte einreichen ; es ist vorher von der
kgl. Bezirkssteuereinnahme mit „verglichen und beglaubigt" zu unter-
schreiben und lautet :
Dismembrationsanbringen.
Auszug aus dem neuen Grundsteuerkataster und Flurbuche von
Nummer
der
Parzelle
Objekt
and resp
Kultur-
art
Fläche
ha
Acker
QR.
Steuer-
einheiten
und zwar laut Flurbuch
ha
Acker
GR.
Boden-
klasse
nach Rein-
ertragsmark
für 1 ha oder
1 Acker und
resp jährl.
Mietertrag
Anmer-
kungen
Nationalökonomische Gesetzgebung.
81
Die Amtshauptmannschaft einer gröfseren Stadt teilt mir mit, dafs
sie bei Gütern unter 9 Hektar die Dismembration stets zu befürworten
pflegt, von der Ansicht ausgehend, dafs ein solches Gut eine Familie
doch nicht vollständig ernähren könne ; dafs sie dagegen die Dismem-
bration von Gütern über 9 Hektar in der Regel nicht genehmige und
nur dann eine Ausnahme mache, wenn es sich um „unzweifelhaft legitime
Bedürfnisse, z. B. Errichtung von Büdnerstellen" handele. Liege aber
ein Gut im Umfange von mehr als 9 Hektar ganz nahe dem städtischen
Weichbilde und solle es zum Zwecke des Häuserbaues parzelliert werden,
so werde die Erlaubnis hierzu fast immer erteilt; es komme indessen in
diesem Falle (aber auch sonst öfter) vor, dafs an eine dispensationsweise
genehmigte Dismembration die Bedingung geknüpft werde : ein sich quali-
fizierender Teil der abgetrennten Parzelle solle als zur Bebauung mit
Wirtschaftsgebäuden geeignete „Stammparzelle" bezeichnet, als solche
ausdrücklich anerkannt und behandelt werden.
Bei den Beratungen der Bezirksausschüsse findet mündliches Ver-
fahren statt. Nicht selten geschieht es-, dafs vor definitiver Beschlufs-
fassung ein Mitglied autorisiert wird , beim Gemeindevorstand oder an
anderen Stellen Erkundigungen einzuziehen, ob wirklich ein Bedürfnis
für Dismembration vorhanden ist; spekulative Gutszertrümmerung — aufser
zum Häuserbau in der Nähe von Städten — wird zu verhindern gesucht.
Nach Ausweis der Ministerialakten sind in den Jahren 1868 bis
1870 bei den 4 Kreisdirektionen (Zwickau, Bautzen, Dresden, Leipzig)
insgesamt 1500 Dismembrationsgesuche eingereicht worden, von denen
929 bedingunglos, 530 bedingungsweise genehmigt und nur 42 abgelehnt
wurden.
Aus neuerer Zeit konnte nur ein Teil der stattgefundenen Dismem-
brationen, nicht die Gesamtzahl, in Erfahrung gebracht werden.
von den bean-
Amtshauptmannscbaften
Jahr
beantragt
genehmigt
verweigert tragten genehmigt
in 0/0
Dresden-Altstadt , Dresden-
1884
387
360
27
93
Neustadt , Dippoldiswalde,
1885
3H
312
12
96,2
Flöha, Freiberg, Glauchau,
1886
350
334
16
95,4
Grofsenhain, Löbau, Marien-
1887
363
348
15
95.8
berg, Meifsen, Oelsnitz, Pirna,
1888
419
404
15
96,4
Zittau, Zwickau
1889
502
475
27
94,6
1890
486
439
47
90,3
1891
469
447
22
95,3
Aus diesen Zahlen ergiebt sich, dafs fast alle — mehr als 9/l0 —
der Dismembrationsgesuche genehmigt wurden. Diese Genehmigung ist
indessen keine unbedingte gewesen ; es wurden z. B. bedingungsweise
genehmigt in Einer Amtshauptmannschaft von 115 Gesuchen 40, in einer
anderen von 148 Gesuchen 31 ').
Aus den über die Genehmigungen mitgeteilten Zahlen dürfte nicht zu
1) Die meisten der oben genannten Amtshauptmannscbaften haben über das Verhält-
nis der bedingten zu den unbedingten Genehmigungen keine Angaben gemacht.
Dritte Folge Bd. Vm (LXffl). g
32 Nationalökonomische Gesetzgebung.
schliefsen sein, dafs beinahe jeder, der dismembrieren wollte, auch dis-
membriert hat, vielmehr dafs im allgemeinen nur solche Gesuche überhaupt
eingereicht wurden , bei denen die Genehmigung in hohem Mafse wahr-
scheinlich war. Indessen scheint ein erhebliches Bedürfnis, über die
erlaubte Drittelabtrennung hinauszugehen, überhaupt nicht vorzuliegen.
Zweifellos wäre es für die vorliegende Arbeit sehr wünschenswert
gewesen, die sächsischen Agrarverhältnisse auch statistisch genau ver-
folgen zu können, insbesondere dem Gange der Grundbesitzverteilung, wie
sie sich unter dem Einflüsse der Dismembrationsgesetzgebung gestaltet hat,
an der Hand der Statistik nachzugehen. Leider ist dies nicht möglich,
weil nur wenige agrarstatistische Aufnahmen vorhanden und diese noch
dazu unter einander nicht vergleichbar sind x).
Im Jahre 1853 wurden im Königreich Sachsen die landwirtschaft-
lichen Besitzgröfsen nach der Fläche — zugleich mit dem Viehstande —
ermittelt; damals existierten 129 870 Viehbesitzer mit Grundbesitz, unter
denen sich 101240 befanden, welche mehr als 0,5 Acker (= 27,8 a)
Boden besafsen. Es umfafsten
54,41 Proz. aller Besitzungen weniger als 2,7 7 ha
17,58 „ ,, „ zwischen 11,7 und 27,07 „
5.32 „ „ „ „ 27,67 „ 55.34 „
1,29 Proz. aller Besitzungen enthielt eine gröfseie Fläche als 55,34 ha2).
Bewirtschaftet wurden
weniger als 3 Acker von 45,37 Proz. ]
3 — 10 ,, „ 20,03 ,, I der Wirtschaftsbesitzer (Grund-
10 — 100 „ ,, 33,31 „ | besitzer und Pächter),
über 100 „ „ 1,29 „ I
Wenn man diese Zahlen sieht, so müfste man meinen, dafs der Klein-
besitz in Sachsen weit verbreitet gewesen ist; dies war — und ist — in
Wirklichkeit in solchem Mafse nicht der Fall, weil ein grofser Teil der
Besitzer kleiner Wirtschaften den ausschliefslich Landwirtschaft Treibenden
nicht zuzurechnen ist. Schliefst man die kleinen Grundstücke — bis zu
3 Acker — aus, so bildeten hiernach Gutswirtschaften von
der Fläche nach
3 — 10 Acker 36,67 Proz. der Gesamtzahl 7,24 Proz.
10—100 „ 60,97 „ „ „ 68,61 „
mehr als 100 „ 2,36 „ „ „ 24.15 „
Der bäuerliche Mittelbesitz war also der vorwiegende 3).
Die Verteilung des landwirtschaftlichen Grundbesitzes unter den
Besitzern von 10 Ackern (== 5,5 ha) und darüber war im Jahre 1877
die folgende 4):
1) Vgl. auch Wirminghaus, Art. Grundbesitz (Statistik) im „Handwörterbuch der
Staatswissenschaften", Bd. IV (Jena 1892), S. 168 f.
2) Böhmert in der „Zeitschrift des K. Sachs. Stat. Bur." Jahrg 1884, H. III u. IV,
S. 133.
3) v. Langsdorff, Die Landwirtschaft im Königreich Sachsen uud ihre Entwickelutig
bis einschliefsl. 1885 u. s. w. (Dresden 1889), S. 47 ff.
4) v. Langsdorff 1. c. S. 50 ff.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
83
Von 5,5 — 10 ha
13 156
„ 10,1-25 „
22403
„ 25,1—50 „
7 356
» 50-1 — 75 .1
777
„ 75,1 — 100 „
221
über IOO „
219
im Ganzen 44 132
Verteilung der Grundsteuereinheiten mit 120 (und mehr) nach Art
des Besitzes:
47366 bäuerliche Besitzungen mit insgesamt 21859472,48 \ Steuer-
966 Rittergüter ,, ,, 5912810,71 / einheiten
Natürlich gehören keineswegs alle Rittergüter zu den gröfseren Gütern
und umgekehrt giebt es auch bäuerliche Güter von ziemlich beträchtlichem
Umfange: die Thatsache aber, dafs die Rittergüter in Bezug auf die
Steuereinheiten den vierten Teil der bäuerlichen Güter ausmachten, deutet
doch auf ein Anwachsen des Umfanges seit 1853 hin.
Auch nach der am 5. Juni 1882 aufgenommenen Statistik der land-
wirtschaftlichen Betriebe entfällt die überwiegende Mehrzahl auf die Be-
triebsgröfse von 5 bis 50 ha, die zusammen 73,92 Proz. der Betriebs-
stellen und 72,24 Proz. der landwirtschaftlich benutzten Fläche aus-
machen; hiervon tritt wieder die Betriebsgröfse von 10 — 20 ha am
meisten hervor (30,13 Proz. der Betriebsstellen und 30,65 Proz. der Fläche).
Von der Gesamtfläche waren 139 482,2 ha Pachtland = 11,78 Proz.;
dies stellt sich im einzelnen folgendermafsen :
Verhältnis der erpachteten
Fläche zum Eigentum in Prozenten
Von je 100 vorhandenen Wirtschaften haben
GröTse des Betriebes
kein
gepachtetes
weniger
mehr
nur gepachtetes
Land
Land
als die Hälfte gepachtetes Land
bis zu 20 a
64,49
2,49
8,02
25,00
20 a „ ,, 1 ha
49,7 7
9)09
26,53
14. 61
1 ha „ „ 2 „
57-27
22,66
16,36
3,71
2 „ „ „ 5 „
6l, 84
27,10
9,48
1,58
5 „ „ „ 20 „
80,4 0
16, 09
2,56
0,95
20 „ „ „ 50 „
85,98
II 54
1,47
1,01
50 „ „ „100 „
69,35
15,26
4,84
10,55
100 und darüber
47,49
11,61
12,01
28,89
Insgesamt
62,95
13,53
13,22
10,30
Günstig ist das Verhältnis bei den Wirtschaften von 5 bis zu 50 ha,
d. i. bei der überwiegenden "Wirtschaftsgröfse der mittel- und grofs-
bäuerlichen Besitzungen; hier ist am wenigsten Land erpachtet, hier ist
das Bedürfnis sowohl nach dem Hinzupachten von Land als auch die
Neigung zum Verpachten am geringsten. Bei gröfserer Fläohe ist die
Neigung, durch Verpachten die Bewirtschaftung Anderen zu überlassen,
ziemlich stark vorhanden. Bei kleiner Fläche — z. B. 2 — 5 ha, d. i.
der kleinbäuerliche Besitz — tritt das Bedürfnis nach Vergröfserung der
Fläche mittelst Erpa'chtung in aufserordentlich hohem Mafse hervor.
6*
g4 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Eine Statistik der Zwangsversteigerungen liegt aus den Jahren
1877—1879 (resp. 1858—1863) vor1).
Durchschnittliche Haus- und
Fälle pro Jahr Rittergüter Bauerngüter Weinberg Feldgrundstücke
1858—1863 0,51 32,67 o 6o,50
1877—1879 3,33 50,33 1 325,00
Wenngleich eine erhebliche Steigerung ersichtlich ist, so lassen sich
daraus Schlüsse auf die Wirkung der Dismembrationsgesetzgebung doch
wohl nicht ziehen.
Angriffe auf die Dismembrationsgesetzgebung fanden in der 2.
sächsischen Kammer von 1869 — 1882 2) statt; dieselben werden um so
verständlicher, wenn wir einen Blick auf die Bodengesetzgebung in
Deutschland seit 1848 werfen.
Die Ereignisse des Jahres 1848 brachten in mehreren deutschen
Ländern die im Sinne der Bodenfreiheit begonnenen Reformen zum Ab-
schlufs: § 33 der „Grundrechte des deutschen Volkes" hatte prinzipiell
die unbeschränkte Teilbarkeit alles Grundeigentums festgestellt, die ver-
mittelnde Durchführung aber den Einzelstaaten überlassen (Anerkennung
jenes Grundsatzes in Preufsen durch die Verfassungsurkunde Art. 42).
Zwar hatte die politische Reaktion der 50er Jahre zu lebhaften Anläufen
gegen die Bodenfreiheit geführt und in mehreren deutschen Staaten,
namentlich in Bayern, Württemberg und Hessen, war es zu (teilweise
völlig unfruchtbaren) gesetzgeberischen Versuchen gekommen , allein die
ökonomisch-individualistische Richtung der 60er und 70er Jahre bewirkte,
dafs in Deutschland die Bodenfreiheit weitere Ausdehnung fand : Preufsen
dehnte den in der Verfassung anerkannten Grundsatz der freien Teilbar-
keit auch auf die neuen Provinzen aus, die Bodenfreiheit gelangte in
Thüringen in mehreren Staaten zum Durchbruch , in Oldenburg hörte
(durch 3 Gesetze vom 24. April 1873) die Gebundenheit des Grund-
eigentums (mit einer Ausnahme) auf, ebenso in Braunschweig (durch
das Gesetz vom 28. März 1874). Seit den 80er Jahren sind Tendenzen,
welche der Bodenfreiheit abgeneigt sind, gesetzgeberisch mannigfach
zum Durchbruch gekommen (Höfegesetze in Preufsen u. a. m.).
Von den Einwendungen gegen die Dismembrationsgesetzgebung und
den gemachten Reformvorschlägen , wie sie teils in den Debatten des
sächsischen Landtages, teils in der Litteratur 3) zu Tage getreten sind, er-
1) v. Studnitz in der , Zeitschrift des K. Sachs. Stat. Bur.", Jahrg. 1880, S. 169 ff.
2) Im Jahre 1869 wurde der Antrag Pfeiffer, das Dismembrationsgesetz einer Re-
vision zu unterwerfen und zu erwägen, ob bezüglich der Teilbarkeit Erleichterungen
herbeizuführen seien, einstimmig angenommen, ebenso wurde der auf Aufhebung des Ge-
setzes und Einführung der freien Teilbarkeit gerichtete Antrag Krause im Jahre 1873
mit 34 gegen 30, im Jahre 1876 mit 43 gegen 29 Stimmen angenommen (die Aufhebung
scheiterte an dem Widerstände der Regierung); ein im Jahre 1877 auf Aufhebung ge-
stellter Antrag , den Stephani der Staatsregierung zur Berücksichtigung zu überweisen
beantragte, wurde mit 38 (gegen 37) Stimmen abgelehnt und ebenso eine im Jahre
1879 eingegangene diesbezügliche Petition (gegen 1 Stimme). Pfeiffer nahm im Jahre
1882 den schon 1869 gestellten Antrag wieder auf: doch wurde er dieses Mal mit 39
(gegen 25) Stimmen abgelehnt. Seitdem hat in der 2. sächsischen Kammer keine Be-
ratung über das Gesetz mehr stattgefunden.
3) Vgl. Rau, Lehrbuch der politischen Oekonomie, Bd. II, 5. A. (Leipz. u. Heidelb.
1862) § 81a; Lette, Die Verteilung des Grundeigentums im Zusammenhange mit der
Nationalökonomische Gesetzgebung. 85
scheinen mir die folgenden als die wichtigsten : „Die Grö'fse der Land-
güter sei so überaus verschieden, dafs z. B. das eine ohne Nachteil für
die Landeskultur in 2 oder 3 gleiche Teile zerlegt werden könne, während
bei einem anderen die Abtrennung eines Drittels schon unratsam er-
scheine."
Der Einwand richtet sich also gegen die schematische Fest-
legung der Abtrennungsmöglichkeit und ist gewifs ein erheblicher. Ueber-
haupt wäre es wohl zweckmäfsiger , wenn das Gesetz ausspräche , dafs
Gütchen unter einem gewissen Umfange — wie er etwa für die Er-
nährung einer Familie im Durchschnitte nötig ist — frei dismembriert
werden könnten. In dieser Beziehung ist die Aeufserung eines Bauern-
gutsbesitzers Namens Sünderhauf bemerkenswert; derselbe hat in einer
Schrift1) behauptet, dafs im Gebirge und im Vogtlande der gröfsere
Teil der geschlossenen Bauerngüter 10 — 15 Acker Areal habe, dafs diese
Fläche schon bei Erlafs des Gesetzes knapp ausreichend gewesen sei - —
um wieviel mehr müsse eine weitere Abtrennung die Existenzmöglichkeit
einer Bauernfamilie schmälern !
„Der Zusammenschlagung der für geschlossen erklärten Besitzungen
sei nicht in ausreichendem Mafse vorgebeugt worden."
Wie bereits oben dargethan wurde, ist allerdings der voll-
kommenen (rechtlichen) "Verschmelzung („Konsolidation") zu Einem
Gute entgegengewirkt worden, aber nicht der thatsächlichen duroh
gemeinsame Bewirtschaftung (infolge Zusammenkaufes u. s. w.). Die Auf-
saugung des kleinen Grundeigentums durch das grofse ist — dies zeigt
uns die Latifundienbildung in Grofsbritannien und im östlichen Preufsen
— eine gröfsere volkswirtschaftliche Kalamität als die Bodenzersplitte-
rung. Allerdings wurde — und wird noch jetzt — hiergegen geltend
gemacht, dafs in Sachsen die Begründung eines grofsen Grundeigentums
sehr schwierig sei, weil die Arbeitskräfte teuer und die sächsischen Ritter-
gutsbesitzer im allgemeinen nicht sehr reich seien; indessen könnte doch
auch dort bei steigender Prosperität der Landwirtschaft oder bei erheb-
lichem Sinken des Zinsfufses für Leihkapital die Gefahr der Güter-
agglomerierung eintreten.
Nun pflegen ja die Gemeinden gegen eine vollkommene Ver-
schmelzung geschlossener Güter Front zu machen, weil sie Wert darauf
legen, dafs (wegen besserer Verteilung der Einquartierungen im Kriegs-
falle) die Gebäudekomplexe erhalten bleiben; hier und da soll aber die Ver-
schmelzung genehmigt werden. Dagegen kommen Vereinigungen durch
Aufkauf zum Zwecke gemeinsamer Bewirtschaftung sowohl von Bauern-
Geschichte, der Gesetzgebung und den Volkszuständen, (Berlin 1858), S. 96 f. ; Reuning,
Mittel und Wege zur weiteren Förderung der sächsischen Landwirtschaft (Dresden 1873),
S. 7 ff. ; Röscher, Einige Betrachtungen über die neuen preufsischen Gesetze zur Erhal-
tung des Bauernstandes, in „Nord und Süd", Bd. XXII (Breslau 1882), S. 333 f. ; v.
Miaskowski, Das Erbrecht u. s. w., IL Abthlg. (Leipzig 1884), S. 129 ff.; v. Langs-
dorff. Die bäuerlichen Verhältnisse im Königreich Sachsen in den „Schriften des Vereins
für Sozialpolitik", Bd. XXDI (Leipzig 1883), S. 208 ; Derselbe, Die Landwirtschaft u. s.w.,
S. 77 ; Buchenberger, Agrarwesen und Agrarpolitik, Bd. I, (Leipzig 1892), S. 455.
1) Landwirtschaftliche Zustände und das Dismembrationsgesetz im Königreich
Sachsen (Plauen 1876), S. 18 f.
36 Nationalökonomische Gesetzgebung.
gütern mit anderen Bauerngütern, als auch (noch mehr) von Rittergütern
mit Bauerngüter vor — zwar nicht in erheblichem, aber auch nicht in
ganz unbedeutendem Mafse; das aufgekaufte Gut bleibt ein geschlossenes,
es behält sein Folium im Grundbuch *).
Durch die Bestimmungen von 1865 ist eine Vereinigung der Güter
zwar erschwert, auch kann sie leichter als in anderen Ländern infolge
Verkaufs, Erbgangs u. s. w. wieder rückgängig gemacht werden (weil
die Gebäude stehen bleiben): die Latifundienbildung aber ist nicht ge-
hindert. Dem Verbot der Parzellierung würde ein Verbot thatsäch-
licher Vereinigung der Güter mittelst gemeinsamer Bewirtschaftung ent-
sprochen haben.
„Es sei ein Fehler, dafs man nicht verschiedene Vorschriften für die
Abtrennung der Parzellen einerseits der Innen-, andererseits der Aufson-
flur gegeben und auf die Abtrennung der Kulturart keine Rücksicht ge-
nommen habe."
Es wäre wünschenswert, dafs die walzende Flur möglichst in der
Nähe des Dorfes liege , weil hier die Bedürfnisse wegen Abtrennungen
zu Bauten, wirtschaftlichen Zwecken , zur Anlegung von Gärten etc. am
stärksten hervortreten und solche Grundstücke einen relativ hohen Er-
trags- und Kaufwert haben. In der Innenfiur ist ein dem Gartenbau
ähnlich werdender landwirtschaftlicher Betrieb naturgemäfser als in der
Aufsenflur, wo ein gröfserer landwirtschaftlicher Betrieb (mit zahlreichem
Vieh, mit Gespann, mit Maschinen u. s. w.) stattzufinden pflegt. Für
die Innenflur sollte daher vollständige Dismembrationsfreiheit ausgesprochen
werden.
Ein erheblicher Teil der Holzungen liegt in Blöfsen oder zeigt nur
eine geringe Produktionskraft; um diese zu steigern, mufs Vereinigung
zu gröfseren Komplexen stattfinden. Wer nun dismembrieren will, wählt
zuerst das landwirtschaftlich nutzbare (in weit höherem Preise als Wald-
boden stehende) Areal: eine weitere Abtrennung ist dann zumeist nicht
mehr gestattet. Aus diesem Grunde rechtfertigt sich eine gesetzliche Be-
stimmung, dahin gehend,
dafs Wald und Waldboden bezüglich seiner Abtrennbarkeit von
einem geschlossenen Besitze, sofern er mit einem anderen Walde
oder Waldboden zum Zwecke der Hochkultur vereinigt (konsoli-
diert) wird, keiner Beschränkung betreffs der Drittelabtrennung
unterworfen sei.
Zwei Einwendungen gegen die Dismembrationsgeeetzgebung, die aller-
dings gegen die rechtliche Gebundenheit der Landgüter überhaupt zu
machen sind, erheischen besondere Beachtung : einmal, „dafs die hypothe-
karische Verschuldung eine höhere als in den Ländern der freien Teil-
barkeit sei, wo im Erbfalle häufig Naturalteilung stattfinde" und zweitens,
,,dafs die landwirtschaftliche Bevölkerung übermäfsig in die Städte und
Industrie gedrängt werde".
1) Diesbezügliche Zahlen sind nicht zu erhalten gewesen, weil die Statistik darauf
niemals ihr Augenmerk gerichtet hat; doch teilte mir ein sächsischer Rittergutsbesitzer
selbst mit, dafs er zusammen mit seinem Rittergute und von demselben aus nicht weniger
als 5 Bauerngüter, von denen jedes ein abgerundetes Gut bildet, bewirtschafte!
Nationalökonomische Gesetzgebung. 37
Die hypothekarische Verschuldung der Landgüter in Sachsen ist eine
wesentlich höhere als in Süddeutschland, absolut eine hohe ; sie ist im
Durchschnitte anzunehmen auf annähernd 40 Proz. des Verkaufs wertes
und steigt in einzelnen Distrikten bis zu 50 Proz.1). Allerdings wird
behauptet, dafs die unzweifelhaft stattgefundene Zunahme der hypothe-
karischen Belastung nicht höher zu veranschlagen sei, als der Preis-
steigerung der landwirtschaftlichen Grundstücke entspreche 2).
Die Bevölkerungszahl sächsischer Städte hat seit Jahrzehnten sich
aufserordentlich vermehrt. Es wohnten
in Städten auf dem Lande
1864 887894 Personen, Zuwachs 1449298 Personen. Zuwachs
1885 1339879 » 50»9% 1839289 „ 26,9 0/0
Der starke Zuwachs der Städte, der überwiegend den gröfsten der-
selben zu gute kommt, kann aber wohl nicht als ein hinreichender Be-
weis für die obige Behauptung angesehen werden, weil die Vermehrung
auf eine erhebliche Einwanderung aus anderen deutschen Staaten sicher-
lich zurückzuführen ist.
Dafs in Sachsen unter den Berufszweigen die Industrie in unge-
wöhnlicher Weise überwiegt, ist eine bekannte Thatsache. Unter 100 Ein-
wohnern des Deutschen Reiches gehörten im Jahre 1882 den drei Haupt-
berufsklassen an
der Landwirtschaft
der Industrie
dem Handel
42,51
35.51
10,02
in Sachsen aber
19,98
56,5
II, 97
Selbst in der Kheinprovinz, welche unter den deutschen Territorien in
Bezug auf die geringe Zahl der in der Landwirtschaft Thätigen — von
Sachsen und den freien Städten abgesehen — die unterste Stufe ein-
nimmt, ist das Verhältnis folgendes :
31,78 47.31 10,86
Wenngleich die altbegründete und hohe Industrieblüte Sachsens auf
die in der Landwirtschaft Thätigen eine starke Anziehungskraft ohne
Zweifel ausgeübt hat und noch ausübt, so wird man doch dem Einwände,
dafs die Dismembrationsgesetzgebung mehr als notwendig ist die Bevölke-
rung in die Industrie dränge, eine Berechtigung zugestehen müssen, zu-
mal wenn wir folgende Thatsache berücksichtigen: im Erbfalle scheint
meistens Verkauf an Nicht-Familienangehörige stattzufinden, da
die Belastung des Grundbesitzes mit Erbhypotheken eine auffallend ge-
ringe ist : in den Dörfern nur 5,89 Proz. der Gesamtverschuldung3)!
Noch seien zwei Reformvorschläge erwähnt: es würde keinem Be-
denken unterliegen, alle diejenigen Grundstücke, welche nach der Ab-
trennung von einem Gute zu einem anderen geschlagen und mit
diesem konsolidiert werden, bei dem abzutrennenden Drittel
1) v. Langsdorff, Die Landwirtschaft u. s. w. S. 77.
2) v. Langsdorff in den „Schriften des Vereins für Sozialpolitik" Bd. XXIII, S. 213.
3) Steglich in der „Ztschr. d. K. Sachs. Stat. Bureaus", Jahrg. XXXVIII (1892)
H. 1 u. 2, S. 66 ff.
$§ Nationalökonomische Gesetzgebung.
nicht in Rechnung zu bringen ; ferner sollten die bisher bei Abtrennungen
über das gesetzliche Mafs (1/3) geltenden Ausnahmen auch auf die Ritter-
güter ausgedehnt werden , für die sie (wie bereits oben berührt wurde)
bisher nicht galten.
II. Sachsen-Altenburg.
In Sachsen-Altenburg, wo an die auf ungeschmälerte Erhaltung der
Bauerngüter hinzielenden Verordnungen des 16., 17. und 18. Jahr-
hunderts x) diejenigen des 19. Jahrhunderts anknüpfen (1825, 1828, 1840,
1847, 1851 und 1853) ist jetzt geltendes Recht das Gesetz vom 9. April
1857 (nebst Ergänzung vom 16. Dezember 1867), erlassen „zum Behuf
der Erhaltung eines geschlossenen Grundbesitzes und der Verhütung einer
dem Gemeinwohl nachteiligen Bodenzersplitterung". Es waren nämlich
seit dem Jahre 1848 (wohl infolge des oben erwähnten § 33 der
„Grundrechte des deutschen Volkes") eine liberale Gewährung der Parzel-
lierungskonsense, ja zeitweise die Sistierung der Dismembrationsbeschrän-
kungeu, vorausgegangen; es wird behauptet — eine Behauptung, deren
Richtigkeit zu kontrollieren ich nicht in der Lage bin — , dafs die Auf-
saugung des ohnehin schon spärlichen Kleinbesitzes durch die gröfseren
(auch bäuerlichen) Eigentümer die Folge gewesen sei 8).
Zerschlagung von Gütern und sonstigen geschlossenen Grundstücks-
komplexen sowie Abtrennungen von solchen bedürfen nach dem Gesetze
vom 9. April 1857 seitens der Landesregierung der vorgängigen Ge-
nehmigung ; dieselbe ist zu versagen , wenn es der Zweck des Gesetzes
erheischt, namentlich dann, wenn das fragliche Gut in seiner Wirt-
schaftsweise eine wesentliche Veränderung erleiden (z. B. aus einem „An-
spanngute" ein „Handgut" werden) würde oder der Verdacht beab-
sichtigter Gutsschlächterei vorliegt. Auch bei einem walzenden, in
einer ländlichen Flur gelegenen Grundstücke ist Zerteilung in Parzellen
von weniger als i/g Acker ohue Genehmigung der Landesregierung un-
zulässig — aufser in einzelnen besonders genannten Fällen : beim Aus-
tausche behufs Zusammenlegungen, dann, wenn ein gleich grofses walzen-
des Grundstück hinzugeschlagen wird oder infolge von Expropriation eine
Abtrennung stattfindet, ferner zur Erweiterung des nachbarlichen Hof-
raums, zur Anlage von Be- resp. Entwässerungen oder eines Privatwegs,
endlich zu Flufsregulierungen.
Abgesehen von dem Fundamentalunterschiede der fast vollkommenen
Geschlossenheit unterscheidet sich die Sachsen - alteuburgische von der
sächsischen Gesetzgebung auch in einigen Nebenpunkten : Dafs die Zer-
schlagung geschlossener Komplexe an die vorgängige Genehmigung der
Landesregierung geknüpft ist, mag in der Kleinheit des Landes
seine Erklärung finden, immerhin bleibt es ein Nachteil, dafs im Gegen-
4) Vgl. u. a. Kresse, Geschichte der Landwirtschaft des Altenburgischen Oster-
landes (Altenburg 1846), S. 95 ff.; Lobe, Geschichte der Landwirtschaft im Alt.
Osterl. (Leipzig 1845), S. 15.
1) Schütte, Die Zusammenlegung der Grundstücke u. s. w. (Leipzig 1886),
3. Abtig., S. 170, Anm. 4.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 39
satze zu Sachsen die Möglichkeit der Appellation fehlt; auch ist es nicht
zweckmäfsig , dafs das altenburgische Gesetz einen Fall ausdrücklich
nennt, in welchem die Genehmigung zu versagen ist.
Durch diese Gesetzgebung ist — allerdings in Verbindung mit der
Vererbungssitte des Minorats — namentlich im Ostkreise ein kräftiger
Bauernstand erhalten worden, während im Westkreise, wo mehr walzende
Grundstücke vorhanden sind und vielfach bei Erbteilungen Fläehen-
abtrennungen stattgefunden haben , der Kleinbauernstand vorwiegend
wurde *).
Es gab in Sachsen- Altenburg landwirtschaftliche Betriebe 2) :
Parzellenbesitz (unter 2 ha) 9744 das sind 60,1 Proz. mit 5 863 ha das sind 5,5 Proz.
Kleinbauern (2 — 5 ha) 2149 „ ,, 13,2 „ „ 9H4 „ „ n 8,5 „
Mittelbauern (5 — 20 ha) 321 1 ,, ,, 19,8 „ ,, 43364 ,, „ „ 40,5 „
Grofsbauern (20—100 ha) 1063 ,. „ 6,6 „ „ 40 174 „ „ ,, 37,6 „
Grofsgrundbesitz (über 100 ha) 41 ,, „ 0,3 „ ,, 8409 „ „ „ 7,9 ,,
16208 IOO 106924 100
Unzweifelhaft hat die Geschlossenheit der Landgüter viel dazu bei-
getragen , dafs sich im altenburgischen Ostkreise die (noch heute be-
stehende) Sitte, das Gut dem jüngsten Sohne oder der jüngsten Tochter
zu vererben und die anderen Kinder bar abzufinden, so lange erhalten
hat. Hierüber (wie über die Geschlossenheit überhaupt) sprach sich vor
50 Jahren Georg Hanssen sehr anerkennend aus ; er sagte 3) (die Be-
deutung dieses Gelehrten dürfte eine etwas ausführliche Wiedergabe seiner
Anschauungen rechtfertigen): „Die altenburgische Regierung hat sich
glücklicherweise noch nicht zur freien Teilbarkeit des Bodens bekehren
lassen Der Altenburger Bauernstand ist durch seine Wohl-
habenheit in ganz Deutschland berühmt Auch die eifrigsten An-
hänger der freien Teilbarkeit des Grundbesitzes werden nicht in Abrede
stellen können, dafs diese günstige Erscheinung, wenn nicht ausschliefs-
lich, so doch neben anderen Ursachen der Gütergeschlossenheit mit zu-
geschrieben werden müsse; sie behaupten aber, dafs derselben über-
wiegende Nachteile gegenüberstünden, indem die Begünstigung des einen
Kindes den Neid und Hafs der übrigen errege und somit zur Auflösung
der Familienbande führe, die zurückgesetzten Geschwister zum Teil dem
Elende und der abhängigsten Lage preisgebe und jedenfalls einen über-
mäfsigen Andrang zu anderen Gewerbeu und in die Städte veranlasse.
Diese Voraussetzungen treffen aber für Altenburg keineswegs zu
Erwerben die Brüder nicht Landstellen durch Verheiratung mit Töchtern
reicher Bauern oder haben sie sich nicht einem Handwerke oder dem
Handel u. s. w. zugewandt, bleiben die Schwestern unverehelicht, weil
sich passende Partien für sie nicht ergeben, nun, so bleibt ihnen immer
noch das väterliche (jetzt brüderliche) Haus als letzte Zuflucht, wo sie
dem Bruder nicht einmal zur Last fallen , sondern mit den Zinsen ihres
Erbanteils ihre Geldausgaben deckend, den Unterhalt durch Hilfeleistungen
1) Seifert, Die Landwirtschaft im Herzogtum Altenburg (Altenburg 1886), S. 23.
2) Statistik des Deutschen Reiches N. F. Bd. V (Berlin 1885), S. 24 ff.
3) Amtlicher Bericht über die VII. Versammlung deutscher Land- und Forstwirte
zu Altenburg im September 1843 (Altenburg 1844), S. 250 ff.
90 Nationalökonomische Gesetzgebung.
in der Wirtschaft verdienen. Dafs aber die unverheirateten und nicht
zu anderen Gewerben übergegangenen Geschwister ein solches patriarcha-
lisches Verhältnis dem Dienste bei fremden Leuten vorziehen, ist gerade
ein Beweis, wie unrichtig die Meinung ist, dafs der Hoferbe ein Gegen-
stand des Hasses von seiten seiner Geschwister sei. Diese sind selber
von der Notwendigkeit überzeugt, dafs sie als Einzelne Opfer bringen
müssen , um die Familie , das Stammhaus , als ein Ganzes zu erhalten.
Nicht unterwerfen sie sich stumpfsinnig und gezwungen einem aufge-
drungenen Gesetze und Verwaltungsverfahren, sondern sie resignieren mit
Bewufstsein, und dem Gesetze steht „die Sitte erleichternd
zur Seite". Dies ist ein Umstand, den die Gegner der Hufengeschloasen-
heit gewöhnlich ignorieren , obgleich er über das Altenburgische hinaus
allgemeine Giltigkeit hat "
Allein seit dem Jahre 1843 hat auch in Sachsen-Altenburg manches
sich geändert. Damals fand eine starke Bevorzugung des Anerben viel-
fach statt; beispielsweise ist es vorgekommeu, dafs ein Erbe ein Gut im
Werte von 3000 Thalern für die Hälfte , ein anderer eines im Werte
von 15000 Thalern sogar für (000 Thaler übernahm. Diese starke Be-
vorzugung des Anerben ist jetzt, bei entwickeltem Gleichheitsgefühl,
gänzlich geschwunden; eine gewisse, nicht gerade bedeutende Bevor-
zugung kommt natürlich da und dort vor, noch öfter aber findet
eine Begünstigung des Anerben nicht mehr statt. Das
frühere Verhältnis, dafs die unverheirateten Geschwister auf dem brüder-
lichen Hofe bleiben u. s. w. , kommt zwar auch heute noch zuweilen
vor, im wesentlichen aber ist es völlig verschwunden: die Geschwister
zeigen jetzt zum Dienen auf dem Hofe keine Neigung mehr, (die dort
Bleibenden sind meist schwächlich oder verkrüppelt), sie wenden sich
anderen Berufsarten zu und erhalten, wenn irgend möglich, die Erbteile
in bar ausgezahlt *). Dadurch ist naturgemäfs eine beträchtlichere Ver-
schuldung der Güter eingetreten 2), ja bei den Bauerngütern fand seit 30
Jahren eine rapid steigende hypothekarische Belastung statt, wie sich aus
nachfolgender, die Verteilung der Hypothekenkapitalien bei der Alten-
burger Landesbank darstellenden Tabelle 3) ergiebt:
Rittergüter Mark (ohne Pf.) andere geschlossene Güter
1858 8 466 807 6 304 886
1868 12383248 13769808
1878 14326323 21800806
1888 13 083 441 38210930
III. Württemberg.
In Württemberg war , wie bereits oben erwähnt wurde , den
Israeliten im Jahre 1828 jede Teilnahme am Güterverkehr als Mäkler,
Bevollmächtigte u. s. w. verboten; ein erkauftes Gut sollte ein Israelit
1) Persönliche Erkundigungen.
2) Vgl. Volger, Die Altenburger Bauern u. s. w. |(Altenburg 1890), S. 22; Geyer
im „Globus" Bd. LXI, Nr. 11 (1892).
3) Hecht, Die Organisation des Bodenkredits u. s. w. I. Abt. Bd. I. (Leipzig 1891),
S. 494 f.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 91
erst wieder verkaufen oder verpachten dürfen , nachdem er es 3 Jahre
lang selbst bewirtschaftet hatte. Trotzdem griff der Güterhandel zum
Zwecke der Zerstückelung immer weiter um sich , weil sich desselben
nunmehr christliche Spekulanten bemächtigten 1).
Als — namentlich in Folge von Mifsernten — Ende der
40er und Anfangs der 50er Jahre innerhalb der ländlichen Bevölkerung
sehr ungünstige wirtschaftliche Zustände eintraten * ) , wurde das —
noch gegenwärtig in Geltung stehende — Gesetz vom 23. Juni 1853 er-
lassen „betreffend die Beseitigung der bei Liegensehaftsveräufserungen
und insbesondere bei der Zerstückelung von Bauerngütern vorkommenden
Alifsbräuche".
Während es früher zur Giltigkeit der Verträge der schriftlichen Ab-
fassung nicht bedurfte, verlangt das Gesetz Schriftlichkeit aller Kauf- und
Tauschverträge, welche Gebäude oder Grundstücke zum Gegenstande
haben ; die Kauf- oder Tauschvertragsurkunde mufs die Namen der Kon-
trahenten , die Bezeichnung der Vertragsgegenstände , den Betrag des
Kaufschillings, den Ort und Tag des Vertragsabschlusses enthalten.
Werden Grundstücke versteigert, so mufs dieses unter Leitung des
Bezirksnotars , Ortsvorstehers oder Ratschreibers und unter Beiziehung
eines Gemeinderatsmitgliedes — nur zur Tageszeit, nicht an Sonn- und
Festtagen — auf dem Rathause oder in dem für die Vornahme obrigkeit-
licher Verhandlungen sonst bestimmten Lokale vor sich gehen. Verboten
ist die Zusicherung von Geld oder Geldeswert an die bei der Versteige-
rungsverhandlung sich Beteiligenden, ebenso die Verabreichung von
Speisen und Getränken in dem Versteigerungslokale (resp. in den benach-
barten Gelassen) vor und während der Verhandlung.
Bei allen Liegenschaftsverkäufen ist eine Uebereinkunft unstatthaft
und unverbindlich, welche dahin geht, dafs der Verkäufer für einen be-
stimmten Erlös aus dem Kaufgegen stände Garantie leiste oder dafs er
sich gefallen lassen müsse , auf die beim Wiederverkauf zu bedingenden
Kaufschillingszieler verwiesen zu werden oder dafs er eins oder mehrere
Stücke des Verkauften, falls es nicht wieder verkauft werden kann, zu
einem bestimmten Preise zurücknehmen müsse.
Werden ein oder mehrere Grundstücke im Flächengehalte von
wenigstens 10 Morgen aus Einer Hand verkauft, so gelten (aufser den
früheren) die Bestimmungen — den Exekutionsverkauf ausgenommen —
dafs die auszufertigende Vertragsurkunde von dem betreffenden Bezirks-
notar u. 8. w. (im Versteigerungsfalle von dem beigezogenen Gemeinde-
ratsmitgliede) unter der Beurkundung mit unterzeichnet werde, dafs beide
Teile den Inhalt derselben als richtig anerkannt haben, dafs die gesetz-
liche Dauer der Reuzeit durch Verzicht nur bis auf drei Tage vom Em-
pfange der Urkunde an beschränkt werden darf, dafs aufser den gesetz-
lichen Abgaben resp. tarifmäfsigen Gebühren den anderen Kontrahenten
1) Vgl. Fallati, Ein Beitrag aus Württemberg zu der Frage vom freien Verkehr
mit Grund und Boden, in der Tüb. „Ztschr. f. d. ges. Staats Wissenschaft", Jahrg. 1845
(Bd. II). S. 325 ff.
2) Vgl. Helferich, Studien über Württembergische Agrarverhältnisse ibid. Jahr-
gang 1853, S. 242 ff.
92 Nationalökonomische Gesetzgebung.
unter keinerlei Namen und Vorwand Nebenkosten , wie Trinkgeld , Pro-
vision, Zehrungsaufwand u. dergl. abbedungen werden ; das Gegebene kann
event. zurückgefordert werden.
Gegen den gewerbsmäfsigen Grundstückshandel ist folgende Bestim-
mung gerichtet: „Wer ein Grundstück (oder mehrere) im Flächengehalte
von wenigstens 10 Morgen aus einer Hand durch einen Kauf- oder Tausch-
vertrag erwirbt, darf diese Liegenschaft nur im Ganzen oder nicht mehr
als den vierten Teil davon verkaufen, aufser wenn er dieselbe schon
mindestens 3 Jahre im Besitz gehabt hat" (Art. XI). Doch werden fol-
gende Ausnahmen zugestanden : 1) bei denjenigen Grundstücken , die
jemand als Gläubiger oder dessen Bürge im Gant (resp. im Wege der
gerichtlichen Exekution) lediglich in der Absicht erworben hat, um hier-
durch zur Befriedigung einer — nicht erst nach der Anzeige der Ueber-
schuldung oder naoh der Anordnung der Vermögensuntersuchung oder
während des Exekutionsverfahrens an sich gebrachten — Forderung zu
gelangen ; 2) wenn der Wiederverkauf von der Exekutionsbehörde ange-
ordnet wurde; 3) bei Abtretung von Grundeigentum für Staats- oder
Körperschaftszwecke; 4) bei Rückveräufserungen behufs Teilung eines
Gutes zwischen Miterben, sowie bei Abtretung einzelner Grundstücke
seitens der Eltern an ihre Kinder; 5) mit besonderer Genehmigung der
Kreisregierung, welche die Erlaubnis dann nicht verweigern wird, wenn
der stückweise Wiederverkauf nach der Persönlichkeit und den Verhält-
nissen des Eigentümers als eine Handelsspekulation sich nicht darstellt
oder wenn er nach den besonderen Verhältnissen der Gemeinde als vor-
teilhaft erscheint.
Verbotene Stückverkäufe sind ungiltig und dürfen in die öffentlichen
Bücher nicht eingetragen werden.
Neben den privatrechtlichen Folgen der Uebertretung tritt für die-
jenigen Beteiligten, welchen ein Versäumnis zur Last fällt, Geldstrafe bis
zu 50 Gulden und nach Umständen zugleich Gefängnisstrafe bis zu 14 Tagen
ein. Wer jedoch die verbotene Veräufserung gewerbsmäfsig betreibt, ebenso
wer solchen Unternehmungen als Zwischenhändler oder in irgend einer
anderen Weise gewerbsmäfsig Vorschub leistet , soll mit Gefängnis bis
zu 3 Monaten und mit Geldbufse bis zu 500 Gulden bestraft werden. Zur
Erkennung der vorstehenden Strafen sind die Polizeibehörden zuständig ;
die Geldstrafen fallen in die Armenkasse der Gemeinde der gelegenen
Sache. In allen bezeichneten Uebertretungsfällen sind die Oberämter von
Amts wegen einzuschreiten verpflichtet.
Es ist späterhin behauptet worden, dafs die Verwaltung einer zu
schwierigen Aufgabe gegenübergestellt worden sei und ^dieselbe nicht
gelöst habe x).
Während das in Bede stehende Gesetz in der ersten Zeit seines
Bestehens 2) — wohl unter dem Eindrucke der Neuheit seiner Bestim-
mungen — durch die Behörden energisch gehandhabt wurde, kam es im
1) Prof. Heitz (Hohenheim) in den , .Schriften des Vereins für Sozialpolitik", Bd. XXIV
(Leipzig 1883), S. 214.
2) Das Folgende nach den Akten der Württembergischen Centralstelle für die Land-
wirtschaft.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 93
sechsten Jahrzehnt bei den günstigen landwirtschaftlichen Verhältnissen
weniger zur Anwendung. Seit Beginn der siebziger Jahre ertönten wieder
häufiger und lauter die früheren Klagen über die zunehmende Güter-
schlächterei. Einerseits verstanden es nämlich die Güterhändler in steigen-
dem Mafse, ihre Transaktionen in eine durch die Bestimmungen des Gesetzes
nicht angreifbare Form zu kleiden, indem sie (zum Schein) als Bevoll-
mächtigte des Eigentümers auftraten dem sie entweder Garantie für eine
bestimmte Verkaufssumme leisteten und den Mehrerlös einstrichen oder
eine bestimmte Provision aus dem Erlöse für sich beanspruchten; anderer-
seits nahmen die mit der Handhabung des Gesetzes betrauten Behörden
die im Art. XI Ziff. 5 aufgestellten Voraussetzungen als zutreffend an,
wenn eine das Vorhandensein dieser Voraussetzungen bestätigende Aeufse-
ruug der Gemeindebehörde vorgelegt werden konnte: letztere aber war
mit dem Erteilen sehr freigebig, zuweilen auch durch die Güterhändler
beeinflufst. In den 10 Jahren 1878 — 1887 gingen bei den vier Kreis-
regierungen 1767 Gesuche zur stückweisen Wiederveräufserung von —
aus Einer Hand erworbenen — Grundstücken im Flächengehalte von 10
oder mehr Morgen ein; nur 72, d. h. ungefähr 4 Proz., wurden abgelehnt,
alle übrigen aber genehmigt.
Am 28. März 1888 erging seitens des Ministeriums des Innern ein
Erlafs an die Kreisregierungen : Zwar sei bekannt , dafs Umgehungen des
im Art. XI Abs. 1 ausgesprocheneu Verbotes häufig vorkämen und in
vielen Fällen der Entdeckung wie strafrechtlichen Verfolgung sich ent-
zögen, auch verkenne man nicht, dafs bei strengerer Handhabung des
Verbotes die Vermehrung der Fälle, in denen es umgangen werde, zu
befürchten sei; gleichwohl aber gebe das Gesetz den Behörden ein nicht
zu unterschätzendes Beschränkungsmittel gegen den gewerbsmäfsigen Güter-
handel und gegen die aus diesem sich entwickelnde beklagenswerte Be-
wucherung der kleinbäuerlichen Bevölkerung in die Hand, mindestens
diene die Aufrechterhaltung des Verbotes dazu, das Dazwischentreten des
gewerbsmäfsigen Güterhändlers, das die ohnehin zu hohen Güterpreise
zum Nachteile der Rentabilität des landwirtschaftlichen Betriebes noch
mehr verteuere , hintanzuhalten und so die Sitte, im Liegenschaftskauf-
verkehr einer fremden Vermittelung sich nicht zu bedienen, da, wo
sie noch bestehe, zu stützen und zu kräftigen. Die Kreisregierungen sollten
den Dispensationen nicht eine Ausdehuung geben, die einer Aufhebung
des Verbotes gleichkomme ; die Dispensationsgesuche seien folgendermafsen
zu behandeln: 1) In denjenigen Fällen, in welchen die Erlaubnis zum
alsbaldigen stückweisen Wiederverkauf der erworbenen Liegenschaft unter
Berufung darauf nachgesucht wird, dafs diese Wiederveräufserung nach
den besonderen Verhältnissen für die Gemeinde vorteilhaft sei, ist für
das in diesem Sinne sich aussprechende Zeugnis des Gemeinderats (dessen
Wortlaut häufig von den Beteiligten selbst verfafst ist) eine eingehende
thatsächliche Begründung zu verlangen. Als solche ist der (gleichfalls
zumeist von dem Gesuchsteller beschaffte) Nachweis, dafs für den atück-
weisen Wiederverkauf Kaufliebhaber vorhanden seien, für genügend nicht
zu erachten ; denn diese Thatsache, ohne die ja das Gesuch gegenstandslos
wäre, ist für die Frage, ob der stückweise Wiederverkauf für die Gemeinde
Q4 Nationalökonomische Gesetzgebung.
von Vorteil sei , nicht von ausschlaggebender Bedeutung : diese Frage ist
nicht auf der Grundlage des wirklichen oder vermeintlichen Interesses
des Verkäufers oder einzelner Gemeindeangehörigen , sondern — wie aus
der Entstehungsgeschichte jener Gesetzesvorschrift erhellt — vorherrschend
unter dem Gesichtspunkte des wahren Wohls der Gemeinde, also der
Gesamtheit, zu entscheiden.
Von diesem Gesichtspunkte aus wird sich in vielen Fällen eine ab-
weisende Entschliefsung schon durch die nach der Persönlichkeit des
Gesuchstellers begründete Erwägung ergeben, dafs es der Gemeinde zum
Nachteil gereiche, mit der Zulassung einer Güterzerstückelung einen An-
knüpfungspunkt für die wucherliche Ausbeutung und den daraus hervor-
gehenden wirtschaftlichen Ruin der Gemeindeangehörigen zu schaffen.
Gegenüber dieser Befürchtung ist anderweitigen Erwägungen zu Gunsten
des Gesuches ein bestimmender Einfiufs regelmäfsig nicht zu gestatten ; na-
mentlich ist in Fällen dieser Art auf die fast in allen Gesuchen anzutref-
fende Behauptung, dafs nach den bestehenden Verhältnissen der Bodeu-
besitzverteilung die durch die beabsichtigte Gutszerstückelung dargebotene
Gelegenheit zum parzellenweisen Gütererwerb erwünscht und nützlich sei,
ein entscheidendes Gewicht um so weniger zu legen, als ja auch dann,
wenn dem Erwerber die Erlaubnis zum stückweisen Wiederverkauf ver-
sagt wird, den Kaufliebhabern die Kaufgelegenheit nicht entgeht, sondern
nur um 3 Jahre hinausgeschoben wird.
2) Um eine gleichmäfsigere Behandlung der Dispensationsgesuche zu
ermöglichen, werden die Kreisregierungen angewiesen, in den im Eingang
■von Ziff. 1 bezeichneten Fällen , bei welchen sie nicht schon auf Grund
des Inhalts der von dem Oberamt vorgelegten Akten zu einer abweisen-
den Entscheidung gelangen, regelmäfsig eine gutachtliche Aeufserung der
Centralstelle für die Landwirtschaft über die Frage einzuholen, ob der
sofortige stückweise Wiederverkauf nach den besonderen — erforder-
lichenfalls von ihr vorher zu erhebenden — Verhältnissen der Gemeinde
vorteilhaft sei.
3) Gegen Orts Vorsteher, Gemeinderatsmitglieder und andere Gemeinde-
beamte , die in eigennütziger Weise und zum Nachteil der Gemeinde-
angehörigen der Güterschlächterei mittelbaren oder unmittelbaren Vor-
schub leisten, ist von Dienstaufsichts wegen ernstlich vorzugehen.
4) Auch haben die Kreisregierungen in allen Fällen , in
denen von ihnen die Erlaubnis zur stückweisen Wiederveräufserung ver-
sagt wird, von Zeit zu Zeit Erkundigungen darüber einzuziehen, in
welcher Weise über die fragliche Liegenschaft von dem Eigentümer im
Laufe der nächsten 3 Jahre verfügt worden ist.
Seit dem Bestehen dieser Instruktion ist die Zahl der Dispensations-
gesuche erheblich zurückgegangen. Es gingen durchschnittlich jährlich
Gesuche ein
1878—1887 1890
1) bei der Jaxtkreisregierung 94 12
2) ,, „ Donaukreisregierung 63 8 (1889 : 17)
3) „ ,, Neckarkreisregierung 15 o (1889: 2)
4) „ „ Schwarzwaldkreisregierung 4 2 (1889: 4)
Nationalökonomische Gesetzgebung. 95
Die „Centralstelle für die Landwirtschaft" wie die Kreisregierungen
erblicken hierin einen Beweis für den Rückgang der Güterschlächterei:
die Erfahrung habe gelehrt, dafs gerade durch häufige Aufkäufe grösserer
Güter zum Zwecke ihrer parzellenweisen Veräufserung die Güterpreise
in den betreffenden Orten früher vielfach eine durchaus unberechtigte
Höhe erreicht hätten, da die Kauflust durch allerlei — vorzugsweise von
dem gewerbsmäfsigen Güterhändler angewendeten Mittel (freier Trunk
vor der Verkaufsverhandlung, momentan günstige Zahlungsbedingungen)
künstlich erregt worden sei.
Schlufs.
Es ist Sachsen, einem Lande mit hochentwickelter Industrie,
mittelst der Dismembrationsgesetzgebung gelungen, einen kräftigen Bauern-
stand sich zu erhalten, von dem behauptet wird, er sei durch die jüngste
agrarische Depression weniger berührt worden, als in den meisten übrigen
Staaten1). Andererseits will es mir aber scheinen, dafs die Vorteile,
welche die Dismembrationsgesetzgebung Sachsen etwa verschafft hat. allzu -
teuer erkauft sind: vor allem dadurch, dafs die landwirtschaftliche Be-
völkerung mehr als notwendig ist, in die Industrie gedrängt wurde
und wird — was (wie hier wohl nicht weiter ausgeführt zu werden
braucht) für jenes Land in s oz i aie r Hinsicht als sehr ungünstig zu er-
achten ist; hiermit steht im Zusammenhange , dafs durch die Dismem-
brationsgesetzgebung nur einem kleinen Teile der Bevölkerung vergönnt
ist, sich des Segens eines, wenn auch kleinen Grundeigentumes zu er-
freuen 2). In keinem Falle würde es der Prosperität der sächsischen
Landwirtschaft Eintrag thun, wenn in den fruchtbaren Teilen dieses
Landes die Güter zwischen 20 und 100 ha durch Aufteilung einer
gröfseren Anzahl bäuerlicher Familien, als bisher der Fall war, zugänglich
gemacht würden 3).
Es ist kaum anzunehmen , dafs die Geschlossenheit der Landgüter
welche unbestrittenermafsen in grofsen Ländern mit dichter Bevölkerung
so viele volkswirtschaftliche. Uebelstände herbeizuführen pflegt, in
Sachsen-Altenburg auf die Dauer sich aufrecht erhalten lassen
wird. Die Erfahrungen, welche in Württemberg mit der Handhabung
des Parzellierungsgesetzes durch die Behörden gemacht worden sind,
zeigen recht deutlich, wie die Anschauungen der letzteren mit den land-
wirtschaftlichen Konjunkturen wechseln : in günstigen Zeitläuften nimmt
niemand, auch die Verwaltung nicht, an den Parzellierungen Anstofs,
in ungünstigen, wo es den Käufern der Parzellen schwer wird, die Hypo-
1) Roth (Oberlehrer an der Landwirtschaftsschule zu Döbeln) , Welchen Einflufs
mufs die Umgestaltung der Verkehrs- und wirtschaftlichen Verhältnisse auf den Grad
der Intensität und die Produktionsrichtung der sächsischen Landwirtschaft ausüben?
(Leipzig 1890), S. 39, 41.
2) Vgl. in dieser Beziehung die auf eigene Beobachtungen in Deutschland sich
stützende geistvolle Abhandlung des Engländers Wolff , A practical justification of peasant
properties in ,,The Contemporary Review', Mai 1891, S. 733 ff.
3) Buchenberger 1. c.
95 Nationalökonomische Gesetzgebung.
thekenzinsen und rückständigen Kaufgelder zu zahlen, herrscht allgemeine
Klage über Güterschlächterei und die Behörden folgen willig der Zeit-
strömung, indem sie nunmehr die Parzellierungen zu erschweren suchen.
Es mag zugegeben werden , dafs dem gewerbsmäfsigen Güterhandel
— der sogenannten „Güterschlächterei" — zuweilen unerfreuliche und
für die bäuerliche Bevölkerung ungünstige Begleiterscheinungen anhaften ;
allein es läfst sich garnicht behaupten , dafs die Gutszertrümmerung
immer und überall als volkswirtschaftlich ungünstig, geschweige denn
als Verbrechen x) zu betrachten sei. Mit Nachdruck mufs auferdem be-
tont werden, dafs die Zwergpacht viel schlimmer ist als der Zwerg-
besitz2).
Man rühmt so oft — mit Recht — die hohe Bedeutung des Bauern-
standes für das soziale, politische und wirtschaftliche Leben eines Volkes :
Röscher nennt ein tüchtiges Bauerntum „den Ballast gleichsam des Staats-
schiffes, wodurch gefährliche Schwankungen aller Art verhütet werden" 3)
und von Miaskowski sagt vom Bauernstande 4) , er sei „gleichsam der
feste Rost, auf dem das Gebäude der ländlichen Gesellschaft ruht". Die
Bedeutung des Bauernstandes darf gewifs nirgends unterschätzt werden,
am wenigsten im Deutschen Reiche , wo nicht weniger als 69,9 Proz.
der occupierten Fläche in bäuerlichen Händen sich befindet 5). Aber
man vergifst gar zu leicht, dafs der Begriff „Bauerngut" doch relativ ist,
dafs es in Deutschland — vornehmlich im Nordwesten — zwar „Bauern-
güter" giebt, die an 100 Hektar heranreichen, ja darüber hinausgehen,
dafs aber auch — namentlich im Südwesten — „Bauerngüter" zahlreich
vorhanden sind, die nur einen Umfang von 2 Hektar haben 6) ; zwischen
diesen beiden Extremen giebt es zahlreiche Mittelstufen : eine Verkleine-
rung der gröfseren Bauerngüter und intensivere Bewirtschaftung derselben
ist noch lange nicht identisch mit „Vernichtung des Bauernstandes"!
1) Vgl. von Lilienthal in der „Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft",
Bd. VIII (1888), S. 219.
2) Paasche, Art. „Güterschlächterei" im „Handwörterbuch der Staats Wissenschaften",
Bd. IV, (Jena 1892), S. 238.
3) Einige Betrachtungen u. s. w. S. 328.
4) Das Erbrecht u. s. w. I. Abthlg. S. 97.
5) Conrad, „Bauerngut und Bauernstand" im „Handwörterbuch der Staatswissen-
schaften" Bd. II (Jena 1891) S. 278.
6) Vgl. Conrad ibid. S. 265.
Miszellen. 97
Miszellen.
i.
Die Gesellschaften mit beschränkter Haftung
im Jahre 1893.
(Reichsgesetz vom 20. April 1892.)
Von Dr. Carl Heiligenstadt (Berlin).
Mit dem 31. Dezember 1893 war das Reichsgesetz betreff, die Gesell-
schaften mit beschränkter Haftung vom 20. April 1892 ein volles Jahr
in Kraft. Im folgenden soll eine Uebersicht der Ergebnisse desselben im
Jahre 1893 gegeben werden, wie dies bereits in diesen Jahrbüchern 1) für
die 71/2 Monate, die das Gesetz im Jahre 1892 in Kraft war, ge-
schehen ist.
Die Grundlage der folgenden Zusammenstellungen bilden die Publi-
kationen der handelsgerichtlichen Eintragungen im Zentralhandelsregister
für das Deutsche Reich und in der Bayrischen Handelszeitung. Das dort
gebotene Material ist jedoch , da sich die Notwendigkeit hierzu sehr
häufiig herausstellte, in mannigfachster "Weise ergänzt und richtiggestellt
worden.
Bei dieser Gelegenheit kann nicht unterlassen werden, die lebhaftesten
Klagen über die Art, in der die handelsgerichtlichen Publikationen ge-
schehen, zu erheben und zwar nach zwei Richtungen hin. Zunächst be-
sitzen wir zwar dem Namen nach ein C e n tr al handelsregister für das
Deutsche Reich. Von einem wirklichen Zentralhandelsregister kann aber
in keiner Weise gesprochen werden ; es ist durchaus keine Zentralstelle für
sämtliche handelsgerichtlichen Publikationen. Infolgedessen ist es möglich,
dafs die eine oder andere Gesellschaft mit beschränkter Haftung existieren
mag, die sich in unserer Aufstellung nicht findet. Es wäre dringend zu
wünschen, dafs die Reichsregierung diesem Zustande einmal ihre Aufmerksam-
keit zuwenden möge. Damit aber noch nicht genug. Auch das, was in dem
sogenannten Zentralhandelsregister geboten wird, ist äufserst mangelhaft.
1) III. Folge, Bd. V, S. 712 ff.
Dritte Folge Bd. VJ1I (L^III).
98 Mi s zellen.
Wer aus Beruf oder Neigung die handelsgerichtlichen Publikationen regel-
mäfsig verfolgt, mufs erstaunt sein über die Nachlässigkeit, ja selbst über
die Unkenntnis, mit der sie vorgenommen werden. Es sind das harte
Worte, aber wenn, ein Beispiel für viele, das Gesetz § 5 als Minimal-
kapital einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung 20 000 Mk. vor-
schreibt und dennoch eine Gesellschaft mit 11000 Mk. in das Handels-
register eingetragen werden konnte, so ist das doch eine recht bezeichnende
Thatsache. Solchen und ähnlichen Mängeln begegnet man auf Schritt*
und Tritt, bei allen Arten von Eintragungen. Als mustergiltig, was hier
erwähnt zu werden verdient, haben sich stets die Berliner Eintragungen
erwiesen.
Gemäfs den Publikationen der handelsgerichtlichen Eintragungen im
Zentralhandelsregister und in der Bayrischen Handelszeitung wurden ge-
gründet :
1892 (7*^ Monate) 63 Gesellschaften mit einem Stammkapital von M. 29 274 700
1893 (12 „ ) 183 „ „ „ „ 74 500 304
in Summa 246 Gesellschaften mit einem Stammkapital von M. 103 775 004
Dazu wurde im Jahre
1893 das Stammkapital in 8 Fällen erhöht, in Summa um M. IIIOOO
sodafs bis zum 31. De-
zember 1893 246 Gesellschaften mit einem Stammkapital von M. 103 868 004
errichtet wurden.
Wieder eingegangen sind
1892 I „ „ „ „ „ „ 48000
1893 5 „ ., „ ., „ ,, 295 000
Es bestanden demnach am
31. Dezember 1893 240 Gesellschaften mit einem Stammkapital von M. 103 543 004
1892 trat, wie oben erwähnt, eine Gesellschaft in Liquidation und geriet
sodann in Konkurs. Im Jahre 1893 war ein Konkurs nicht zu ver-
zeichnen. Die 5 im Jahre 1893 in Liquidation getretenen Gesellschaften
besafsen alle nur ein kleines Kapital: zwei von ihnen ein solches von
20 000 Mk., eine 50 000 Mk., eine 100 000 Mk. und eine 105 000 Mk.
Sie sind mit Ausnahme einer Gesellschaft alle Handelsunternehmungen
(Gruppe XVII) und gleichzeitig Neugründungen. Vielleicht liegt hier ein
Mangel geschäftlicher Vorsicht, vielleicht auch Leichtsinn bei der
Gründung vor.
Erhöhungen des Stammkapitals waren in 8 Fällen bei 7 Gesellschaften
zu verzeichnen. Sechs dieser Gesellschaften gehören der Nahrungs- und
Genufsmittelindustrie an (Gruppe XII), die siebente dem Handelsgewerbe
(Gruppe XVII).
Eür die Beurteilung der neuen Gesellschaftsform ist die Kenntnis
des Prozentsatzes der wirklichen Neugründungen, d. h. der Gesellschaften,
die ein vollständig neues Unternehmen ins Leben gerufen haben, wichtig.
Ein Aufschlufs hierüber ist leider aus den handelsgerichtlichen Publi-
kationen sehr häufig nicht zu erhalten1). In allen irgendwie zweifel-
haften Fällen wurde daher versucht, ihn auf privatem Wege zu be-
1) Vergl. diese Jahrbücher a. a. O. S. 713.
M i sz e llen.
99
schaffen, was auch fast stets von Erfolg begleitet war. Von den mitge-
teilten Angaben kann daher wohl behauptet werden, dafs sie der
Wirklichkeit sehr nahe kommen, wenngleich Fehler selbstredend nicht
ausgeschlossen sind.
Von den am 31. Dezember 1892 und den am 31. Dezember 1893
vorhandenen Gesellschaften (vergleiche die Tabellen) waren
1892
1893
„
_
ja
,a
sa
s
B
<
Proz.
Betrag Proz.
CS
N
a
Proz.
Betrag
Proz.
Neugründungen
3&
58064
9 443 800
32312
99 41 250 20 310900
19615
aus anderen Gesellschafts-
formen hervorgegangen
2b
4T936
19 782900
67688
141 58 75° 83232 104
80385
und zwar:
aus Einzelunternehmungen
IO l6 129
2 930 500
10 026
40 16 666
16 287 404
15 730
,, offenen Handelsgesell-
schaften u. Kommandit-
gesellschaften
12
19 354
12 965 OOO
44360
49' 20 416
35 356 300
34H6
„ Aktiengesellschaften u.
Kommanditgesellschaf-
ten auf Aktien
3
4838
3 2I2O0O
IO989
44
18 333
29523700 28513
,, diversen anderen Un-
ternehmungen
1
1 612
675 4OO
2 3IO
8
3 333
2 064 700
1 993
Während bei den am 31. Dezember 1892 bestehenden Gesellschaften
die Neugründungen wenigstens der Anzahl nach 58,064 °/0 überwogen,
sind sie am 31. Dezember 1893 auf 41,250 °/0 der Gesamtanzahl und von
32,312 °/0 auch nur 19,615 °/0 des Gesamtkapitals zurückgegangen.
Auf Tabelle 1 bis 6 wird eine genaue Uebersicht über die Grün-
dungen (Tabelle 1, 3, 5) in jedem der einzelnen Jahre wie auch über
den Bestand (Tabelle 2, 4, 6) am Ende jedes derselben gegeben, und
zwar sowohl nach der Art des Betriebes (Tabelle 1, 2), nach der geogra-
phischen Verteilung (Tabelle 3, 4), als auch nach der Gröfse des
Stammkapitals (Tabelle 5, 6). Eine Veröffentlichung von Tabellen, die
denjenigen unter Nr. III und V der Uebersicht zum Jahre 1892 x) ent-
sprächen, mufste unterbleiben, da sie für die vorliegende Zeitschrift zu
umfangreich geworden wären.
Für die Gruppeneinteilung ist, wie im Vorjahre, die Gewerbestatistik
mafsgebend gewesen. Hinsichtlich der Erweiterungen derselben verweise
ich auf das im letzten Jahre Gesagte 2). Hinzuzufügen ist dem nur, dafs
es als zweckmäfsig erschienen ist, von Gruppe I die Kolonialgesellschaften
als Gruppe Ib abzuzweigen.
Die Veranlassung zu Neugründungen bildete, soweit festzustellen
war, auch in diesem Jahre wieder die Ausnutzung von Patenten bei
beschränktem Risiko. Daneben erfolgte eine Reihe von Gründungen zur
Verfolgung gemeinschaftlicher Zwecke in genossenschaftlicher Weise.
1) Vergl. diese Jahrbücher a. a. O. S. 719 f. und 722 f.
2) Verg). diese Jahrbücher a. a. O. S. 712 f.
1Q0 Miszelleu.
Interessant ist, dafs sich auch Unternehmerverbände zu gemeinschaft-
lichem Vertriebe ihrer Produkte dieser Gesellschaftsform bedient haben.
Als Gründe zur Umwandlung von Einzelunternehmungen in Gesell-
schaften mit beschränkter Haftung sind entsprechend dem Vorjahre zu
nennen : Kapitalserhöhungen , Auseinandersetzungen zwischen Familien-
angehörigen, Aufnahme neuer Geschäftsteilhaber, endlich die Möglichkeit,
Liquidationen aller Art: z. B. von Schuldforderungen, von gröfseren
Grundstückskomplexen u. s. w. in bequemer Weise durchzuführen.
Recht bezeichnend ist, dafs es sich bei den sog. Familiengründungen
stets um bedeutende Kapitalien, selten um solche unter 1 000 000 M. ge-
handelt hat.
Unter den Gesellschaften mit beschränkter Haftung, die aus Aktien-
gesellschaften hervorgegangen sind, überwiegen die Zuckerfabriken. Bei
ihnen liegt der Grund der Umwandlung, die unzweifelhaft bequemere Ge-
sellschaftsform, klar auf der Hand.
Die Verteilung der am 31. Dezember 1893 bestehenden Gesellschaften
mit beschränkter Haftung auf die einzelnen Produktions- und Erwerbs-
zweige bleibt eine sehr ungleichmäfsige (vergl. Tabelle 1 und 2). An
erster Stelle ist wie im vorigen Jahre die Nahrungs- und Genufsmittel-
industrie zu nennen (Gruppe XII): 61 Gesellschaften (25,416 Proz.) mit
26 664 804 M. (25,152 Proz. des Gesamtkapitals). Darunter befinden sich
24 Zuckerfabriken mit 14 104 400 M. Kapital. Es folgen dann der An-
zahl nach das Handelsgewerbe (Gruppe XVII) mit 39 Gesellschalten (16,250
Proz.) und 6 965 100 M. Kapital (6,726 Proz.), während dem Kapitale
noch die chemische Industrie mit 15 242 000 M. (14,720 Proz.) bei 14
Gesellschaften (5,833 Proz.) den zweiten Rang einnimmt.
Bezüglich der geographischen Verteilung (vergl. Tabelle 2 und 8)
behauptet die Rheinprovinz mit 42 Gesellschaften (17,500 Proz.) und
17 112 800 M. Kapital (16,527 Proz.) den ersten Platz. Es folgt sodann
die Stadt Berlin (ein schlief slich Charlottenburg) mit 40 Gesellschaften
(16,666 Proz.) und 14 883 700 M. Kapital (13,794 Proz.). Der auf
Pommern entfallende Prozentsatz des Gesamtkapitals, der im Jahre 1892
bei 2 Gesellschaften 14,096 Proz. betrug, ist im Jahre 1893, wie damals
vorausgesagt wurde, bei 4 Gesellschaften auf 4,961 Proz. zurückgegangen.
Sowohl in der Rheinprovinz als auch in Berlin sind Neugründungen
stark vertreten. Die Hälfte aller gegründeten Gesellschaften sind neue
Unternehmungen. Auch in diesem Jahre war die Gründungsthätigkeit
in Preufsen stärker als in den anderen Bundesstaaten. In Preufsen kamen
auf den Kopf der Bevölkerung 2,60447 M". Kapital, während auf den Kopf
der Gesamtbevölkerung des Deutschen Reiches nur 2,09480 M. entfallen.
Von den preufsischen Provinzen hat jetzt allein Westpreufsen eine Ge-
sellschaft mit beschränkter Haftung noch nicht aufzuweisen. Auch be-
finden sich in einer Reihe kleinerer Bundesstaaten noch keine solche
Gesellschaften.
Wie am 31. Dezember 1892 überwogen auch am 31. Dezember
1893 die Gesellschaften mit kleinem Kapital (vergl. Tabelle 5 und 6).
158 Gesellschaften über 65,833 Proz. besitzen ein Kapital, das 300 000
M. nicht übersteigt. 54 Gesellschaften, 22,500 Proz., besitzen ein mittleres
M i s z e 1 1 e n. ^QJ
Kapital von 300 000 bis zu einer Million, 28 Gesellschaften oder 11,666
Proz. verfügen über ein Kapital von über einer Million.
Bei den Neugründungen und den aus Einzelunternehmungen hervor-
gegangenen Gesellschaften überwiegt in beiden Jahren das kleine Kapital,
84 von im ganzen 99 Neugründungen, und 29 von 40 Gesellschaften, die
aus Einzelunternehmungen hervorgegangen sind. Bei den aus offenen
Handelsgesellschaften entstandenen Gesellschaften tritt das mittlere Kapi-
tal mehr in den Vordergrund: 18 Gesellschaften von 49; bei den aus
Aktiengesellschaften gebildeten machen sie mit 22 von 44 die Hälfte
der Gründungen aus. Das grö'fste Kapital besitzt die im Jahre 1892 ge-
gründete chemische Fabrik Kalk mit 4 500 000 M. Mit dem gesetzlichen
Minimalkapital von 20 000 M. sind 16 Gesellschaften ausgestattet. Ueber
das kleinste Kapital, 11 000 M., verfügt, im Widerspruche mit den aus-
drücklichen Vorschriften des Gesetzes, die „Wassergesellschaft des Dorfes
Dahl, Gesellschaft mit beschränkter Haftung".
II.
Ergebnisse der Volkszählung vom
Flächeninhalt
Gemeindeeinheiteu, Wohnstätten und Hai
shaltungen, ortsanwesende
Fläche
Gemeindeeinheiten
Zur Wohnung dienende
Gebäude
Haus-
•
c 's.
Staat.
a
CS
a>
Be-
Unbe-
09
c —
Provinzen.
in
Hektar
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wohnte
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«3
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3
CS
a 0
Wohnhäuser
50 £ —
73
= = &.
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n >
a) Staat
34 843 668
1263
37081
16 559
3374189
3 281 193
58241
6384175
5 937 419
b) Provinzen :
Ostpreufsen
3 698 701
67
5 359
2 529
198856
195 300
1777
407 460
383 402
Westpreufsen
2 551598
55
2051
I4I4
142 042
139015
1396
287 933
273 x44
Stadtkr. Berlin
6 339
1
—
—
30017
27839
25
369027
345 028
Brandenburg
3983651
135
3 153
20l8
264519
256 140
3 576
569 425
525819
Pommern
3 011 211
73
2 109
25J5
154704
150533
2 IOO
316665
297 099
Posen
2 896 217
133
33i8
2044
168 499
165 353
I467
347 481
327 576
Schlesien
4 030 706
149
5 374
3867
465 751
450689
784I
983 383
887 136
Sachsen
2 524 268
142
2985
1 182
318965
3ii 135
5 402
576 "6
532 420
Schleswig-Hol-
stein
1 890 265
53
1 721
360
165722
160 643
3 138
267 425
245 226
Hannover
3 847 393
114
4019
322
321 132
3XS 103
4242
479 599
448 103
Westfalen
2 020 648
103
M95
20
284080
279278
3 221
458 135
437 547
Hessen-Nassau
1 569 244
105
2 224
279
225 743
220 292
4163
352 356
327 843
Rheinland
2 699 203
131
3 150
7
620754
596 969
19424
953 903
893 284
Hohenzollern
1 14 224
2
123
2
13405
12 904
469
15267
13 792
Religionsbekenntnis der Bevölkerung in Preufsen.
Weibliche
Religionsbekenntnis.
Ueberhaupt
Personen
Personen
Evangelische
19230376
9 411 161
9819215
Davon Unierte
14479784
7 083 629
7 396 155
Lutheraner
4223 176
2 073 706
2 149 470
Reformierte
527 416
253 826
273 590
Katholiken
10252807
5 058 292
5 194 515
Davon Komisch-Katholische
IO 251 447
5057549
5 '93 898
Griechisch-Katholische
I 360
743
617
Andere Christen
95 349
46670
48679
Davon Brüdergemeinde
4 5H
2012
2502
Mennoniten
13833
6787
7046
Baptisten
23969
10722
13 247
Englische u. schottische Hoch-
kirche, Presbyterianer
2 175
752
1423
Methodisten, Quäker
3232
1 449
1783
Apostolische (Irving.)
16 081
7246
8835
Deutsch-Katholische
929
479
450
Freireligiöse
7 304
4215
3089
Dissidenten
20273
11 326
8947
Sonstige
3039
I 682
1357
Juden
372058
182738
189 320
Hekenner anderer Religionen
328
255
73
Mit unbestimmter Angabe des Religions-
bekenntnisses
2871
2045
826
Ohne Angabe des Religionsbekenntnisses
1492
990
502
Gesamtbevölkerung
29 955 281
14 702 151
15 253 130
1. Dezember 1890 im Königreich Preufsen.
Bevölkerung, Bevölkerungszunahme und Militärpersonen im Staat und den Provinzen.
haltung
Ortsanwesende Bevölkerung am
Bevölkerungszunahme gegen
1,
Dezember 1890
den Stand v. 1. Dez
br. 1885
Einzeln
lebende
Militär-
Personen
Summe
männlich
weiblich
Summe
männ-
lich
weib-
lich
personen
mann-
weib-
lich
lieh
138410
287 609
29955281
14 702 151
15 253 130
I 636 8ll
808 547
828 264
292 173
6444
16522
1958663
935 895
I 022 768
— 812
— I 119
307
26603
4 621
9 337
I 433 681
702 522
731 159
25 452
14 456
10 996
21 OI7
7 508
15 569
l 578 794
759 623
819 171
263 507
127 745
'35 762
19 596
13 325
28 130
2 541 783
I 256712
I 285 071
199372
IOO 213
99 159
37 908
5651
12 722
I 520889
741 629
779 260
I53H
4 !94
11 120
12 518
5 7Ö3
13 291
1751 642
839658
91 T 984
36024
14 700
21324
22 302
27047
65815
4224458
I 999 700
2 224 758
112239
47 315
64 924
33 603
«4 3^5
26977
2 580OIO
I 273 692
1306 318
151 643
7'585
80058
21 25O
6 373
14612
I 217 437
616476
ÖOO 96I
67 131
40024
27 107
17 034
9229
20495
2278 361
I 137008
1 141 353
105 659
52267
53 392
21 683
6 614
12 611
2 428 66l
I 240 494
1 188 167
224081
118454
105 627
8 425
8098
15 313
I 664 426
809 241
855 185
71972
35 648
36324
12 026
22879
35 282
471039I
2358035
2 352 356
365 864
183 429
182435
38066
493
933
66085
31 466
34619
-635
— 364
— 271
I42
Alter und Familienstand der Bevölkerung.
Altersgruppen der männ-
Familienstand
lichen bezw. weiblichen Orts-
anwesenden.
Ueber-
haupt
Ledige
Verhei-
ratete
Verwit-
wete
Geschie-
dene
Männliche Personen
14 702151
9 160 469
5 075 364
450 203
16 115
Ueber 0 — 6 Jahre
2392092
2392092
—
—
—
, 6—14 „
2 665 660
2 665 660
—
—
—
, 14—15
327 764
327 764
—
—
—
, 15 — 18 ,.
930022
929 070
344
8
—
, 18—20
524i56
523 549
587
17
3
, 20—21 ,,
266 709
264 838
1 841
28
2
, 21—25
976781
875 572
100543
586
80
, 25-30
1 128 439
560 782
562 723
4 362
572
, 30—35
1019 599
228 203
780 768
9 245
1383
, 35—40 „
876428
115 598
745 548
13 174
2 108
, 40—45 ,,
773oi2
76 179
675 745
18696
2 392
, 45—50 „
691 561
56 993
605 905
26 269
2 394
50—55 „
595 229
44013
512299
36697
2 220
, 55—60 .,
477 968
32093
397 3°2
46817
1756
, 60—65
383 430
25 i°5
294 887
62 091
1347
, 65—70
310722
19465
213 354
76 936
967
, 70—75 „
206 992
12 bu
120 132
73 659
590
, 75—80 „
102 064
6 171
46 533
49 147
213
, 80—85
38i35
2 155
12 978
22 942
60
, 85—90 „
11 358
677
2907
7 759
15
, 90—95 ,.*
1973
106
402
1 462
3
95—100 „
251
10
64
177
—
, 100
13
—
4
9
—
Unbekannt
1793
1 163
498
122
10
\Q£ Miszellen.
Alter und Familienstand der Bevölkerung (Forts.)
Altersgruppen der männ-
Familienstand
lichen bezw. weiblichen Orts-
Ueber-
Verhei-
Verwit-
Geschie-
anwesenden.
haupt
Ledige
ratete
wete
dene
Weibliche Personen
15 253 130
8 804 992
5 097 416
1319 068
31654
üeber 0—6 Jahre
2 359 551
2359551
—
—
—
„ 6 — 14 „
2 633 650
2633650
—
—
—
„ 14— 15
326 228
326073
152
3
—
„ 15—18 „
919 594
916 541
2963
87
3
„ 18 — 20 „
53M57
5«2 738
18518
182
19
„ 20—21
278 108
248 864
28978
243
23
„ 21-25 „
1 028 142
704 402
320091
3 I29
520
,, 25—30 ,.
1 171 251
418 448
737 838
12949
2016
„ 30—35
1059633
197 642
827 944
30127
3920
„ 35-40 „
908718
115894
736152
51859
4813
„ 40—45 „
829 037
88865
653 607
81 619
4946
„ 45—50 „
745 759
71829
554 937
114 569
4 424
„ 50—55 „
664221
61 644
447 329
151 578
3670
„ 55—60 ,.
535 582
46025
316829
169983
2 745
„ 60—65
451 176
38665
219 102
191 484
1925
„ 65-70 „
364 796
29 105
138470
195 821
1 400
„ 70—75 „
247316
19382
66 440
160707
787
„ 75—80 „
126005
9704
21 216
94 771
314
„ 80—85 „
50610
3 763
4885
41 882
80
„ 85-90 „
16257
1 173
964
14087
33
„ 90-95 „
3 456
237
H7
3067
5
„ 95—100 „
528
23
27
478
—
100 „
59
3
2
54
—
Unbekannt
1996
77«
825
389
11
Städte von IOOOOO und mehr Einwohnern.
Einwohner
männliche
weibliche
überhaupt
Personen
Personen
Berlin
I 578 794
759 623
819 171
Breslau
335 186
153 698
181 488
Köln
281 681
139 181
142500
Magdeburg
202 234
IO3025
99 209
Frankfurt a. M.
179 985
85388
94 597
Hannover
174 455
86051
88404
Königsberg
161 666
75 048
86618
Düsseldorf
144642
72087
72 555
Altona
143 249
71 137
72 112
Elberfeld
125 899
60698
65 201
Danzig
120338
57 773
62565
Stettin
116 228
56313
59915
Barmen
116 144
56319
59 825
Krefeld
105376
50044
55 332
Aachen
103 470
49586
53 884
Halle a. S.
101 401
50628
50 773
Miszellen.
105
Bilanz der Bevölkerung.
Stand und Bewegung der Bevölkerung.
Ueberhaupt
Männliche
Personen
Weibliche
Personen
Stand der Bevölkerung am 1. Dez. 1885
Natürliche Bevölkerungsvermehiung.
Geboren im Dezember 1885
„ „ Jahre 1886
,, „ 1887
,, „ ,. 1888
1889
,, „ Januar bis November 1890
Zugang durch Gebarten
Gestorben im Dezember 1885
„ „ Jahre 1886
„ „ ,, 1887
„ „ „ 1888
„ >, 1889
„ ,, Januar bis November 1890
Abgang durch Cterbefälle
Natürliche Bevölkerungsvermehrung
Rechnungsmäfsiger Bestand der Bevölke-
rung am 1. Dezember 1890
Wirklicher Stand der Bevölkerung nach
der Zählung vom 1. Dezember 1890
Nicht nachgewiesener Abgang durch Aus-
wanderung
28 318470
95 !22
I 118 103
I 129 III
I 134 161
1 136759
1 025 347
5 638 603
64 571
786485
730 234
708 334
724 935
690 572
3 705 131
1 933 472
30251942
29955281
296661
13893604
49441
576 347
581 145
584 008
584729
528021
2 903 691
33 336
412 509
382714
368 848
378 155
360 993
1936 555
967 »36
14860 740
14702 151
158 589
14 424 866
45681
541756
547 966
550«53
552 030
497 326
2 734 912
31 235
373 976
347 520
339 486
346 780
329 579
1 768 576
966 336
15 391 202
15 253 x30
138072
Vergleichung der bisherigen Volkszählungen untereinander.
Zunahme seit der vorher-
Königr. Preufsen.
Ueber-
haupt
Männliche
Personen
Weibliche
Personen
gegangenen Zählung.
Ueber-
Männl.
Weibl.
haupt
Personen
Personen
Ortsanwesende :
am 3. Dezember 1867
24 021 315
U895950
12 125365
,1 1. „ 1871
24 655 730
12 132 717
12 523 013
634 415
236 767
397 648
„ 1. „ 1875
25 742 404
12 692370
13050034
I 086 674
559 653
527021
„ 1. „ 1880
27 279 III
13 414866
13 864 245
I 536 707
722 496
814 211
„ 1. „ 1885
28318470
13 893 604
14 424866
I 039 359
478 738
560 621
„ 1. „ 1890
29955281
14702 151
I5 253 130
I 636 811
808 547
828 264
106
M i s z e 1 1 en.
Die Bevölkerung Preufsens nach der
Staats-
Muttersprache
Deutsches Reich
Luxemburg
Oesterreich
männlich
weiblich
männl.
weibl.
männl.
weibl.
Deutsch
12923 237
13 380 087
646
402
20 774
14002
Littauisch
„ und deutsch
55068
3 932
62 313
3 461
—
—
15
5
Polnisch
„ und deutsch
I 329 402
56686
1 430 443
45 841
—
—
976
212
510
IOO
Masurisch
,, und deutsch
48605
2917
54 297
2705
—
2
I
6
2
Kassubisch
„ und deutsch
26368
1 223
28 060
989
—
I
Wendisch
„ und deutsch
30071
2 553
34 665
2834
—
345
21
145
19
Mährisch
„ und deutsch
25 427
I 174
30 364
I035
—
864
'45
487
47
Tschechisch
„ und deutsch
5 343
369
6 020
349
—
3613
633
1719
248
Wallonisch
,, und deutsch
4 908
72
4 724
64
3
1
25
7
Holländisch
„ und deutsch
6 091
55o
6847
489
8
4
1
1
3
2
Friesisch
„ und deutsch
20788
3650
22 453
3624
—
—
—
Dänisch u. norwegisch
M ,, u. deutsch
50283
1 230
56706
1 076
2
7
Russisch
,, und deutsch
426
46
4>3
3i
—
1
1
Englisch
,, und deutsch
400
127
1 219
135
—
—
3
2
11
2
Französisch
„ und deutsch
1 207
240
1 606
233
32
3
26
I
6
7
Schwedisch
„ und deutsch
617
53
1 182
112
—
—
2
1
Italienisch
,, und deutsch
464
29
'50
14
—
565
20
98
4
Andere Sprache
i, ,, und deutsch
584
40
593
36
1
—
448
47
180
10
Insgesamt
14 604 180
15 185 16t)
698
436
28 726
17 622
Davon : deutsch und eine andere
Sprache
74891
63024
8
1
1 084
434
,, eine nichtdeutsche Sprache
1 606052
1742055
44
33
6 868
3186
M i s z eil e n.
107
Muttersprache und Staatsangehörigkeit.
angehörigkeit
Schi
Grofs-
Andere
Länder
Ungarn
Italien
reiz
Frankreich
britannien
männl.
weibl.
männl.
weibl.
männl.
weibl.
männl.
weibl.
männl.
weibl.
männl.
weibl.
740
55
14
I
4
50
8
125
5
4
2
1
1
993
61
2064
90
«234
414
I
7
2
9
7
3
19
1
1
1
2
292
24
782
3i
337
204
7
5
2
3
1
1
5
339i
48
2
3670
48
34i8
178
4
1
1
4
II
1
497
10
1
709
12
5i9
3492
2
4
2
2
I
3
1
191
15
58
19
3791
18
281
1526
4
1
1
4
1
5
722
20
1
17
2
2305
21
758
I05
3
1
3
2
1
677
18
~~
1
5
816
18
693
154
2
I
I
3
716
10
1
1
3
892
10
728
ÖOI
3
3
2456
70
4
1
2
26
3183
72
2510
584
3
3
3526
75
3
1
1
3
4231
80
3567
31
2
6
93
132
2
132
32
2
I
60
95
2
95
108
Miszelleo.
Alter und Religionsbekenntnis der Kinder aus Ehen zwischen
Evangelischen und Römisch-Katholischen.
Evangelische Väter und
Römisch-katholische Väter
römisch-katholische Mütter
und evangelische Mütter
Religionsbekenntnis und
1 16673 Mischehen,
139 129 Mischehen
davon 25 633 ohne Kinder
davon 29 862 ohne Kinder
Alter der Kinder
„ 8 103 m. Kindern üb.
„ 9 828 m. Kindern über
16 Jahre alt
16 Jahre alt
Knaben
Mädchen
Knaben
Mädchen
1. Evangelische überhaupt
64 186
57 421
65760
71 301
Davon im Alter von :
unter 1 Jahre
6 220
5 673
6411
6884
über 1 — 2 Jahre
5 495
5041
5 622
6007
„ 2- 3 .,
5 44»
4881
5 590
5801
„ 3- 4 „
4970
4 557
5 193
5 481
„ 4- 5 „
4 754
4285
4 770
5 144
„ 5— 6 „
4 402
4052
4 497
4940
„ 6— 7 „
4 168
3812
43H
4644
>. 7- 8 „
3 924
3 450
3866
4285
„ 8— 9
3806
3 340
3844
4258
„ »-10 „
3 582
3093
3661
3 965
„ 10—11 „
3 496
3 037
3 58i
3884
„ 11—12 „
3 369
2 891
3 4'5
3 750
„ 12—13 „
3229
2 773
3J9i
3 7i8
„ 13—14 „
3 020
2638
3 173
3 424
„ U—15 „
2 411
2 102
2630
2861
„ 15—16 „
1899
1 796
2005
2255
2 . Kömisch - Katholische
überhaupt
43 654
5<>374
61058
56239
Davon im Alter von:
unter 1 Jahre
4 35o
4868
5878
5 373
über 1 — 2 Jahre
3 798
4196
5 »12
4 753
„ 2- 3 „
3 777
4 222
5061
4677
„ 3- 4 „
3 43i
3 938
4 653
4 374
., 4- 5 »
3371
3814
4 443
4249
„ 5 — 6 ,,
3058
3 458
4189
3 942
„ 6— 7 ,,
2 849
3 305
3 940
3 729
„ 7— 8 „
2 702
3090
3 756
3 351
„ 8- 9 „
2447
3 059
3 674
3 353
» 9-10 „
2 395
2 844
3 397
3093
„ 10—11 „
2288
2590
3 454
2983
„ 11—12 „
2 173
2 593
3 220
2931
„ 12—13 „
2063
2485
3 "4
2 759
,, 13-H „
1998
2 343
2833
2 722
„ 14—15 „
1 641
1919
2391
2 160
„ 15—16 „
1313
1 650
1943
1790
M i s z e 1 le n.
109
Kinder aus Ehen zwischen Christen und Juden.
Evangelische
Väter
Evangelische
Mütter
Rom. -katholische
Väter
Rom. -katholische
Mütter
jüdische Mütter
jüdische Väter
jüdische Mütter
jüdische Väter
Religions-
bekenntnis
der
Kinder
956 Mischehen
davon 3 20 ohne Kinder
„ 33 mitKindern üb.
16 Jahre alt
1255 Mischehen
davon 424 ohne Kinder
,, 57 mitKindern üb.
16 Jahre alt
215 Mischehen
davon 63 ohne Kinder
,, 3 mitKindern über
16 Jahre alt
210 Mischehen
davon 85 ohne Kinder
„ 7 mitKindern über
16 Jahre alt
Knaben
Mädchen
Knaben
Mädchen
Knaben Mädchen
Knaben
Mädchen
Evangelische
Juden
612
HO
564
102
S64
265
628
250
99
46
98
53
76
46
68
51
110 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands and des Auslandes.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Gans-Ludassy, Julius von, Die wirtschaftliche Energie. Erster
Teil: System der ökonomistischen Methodologie. Jena 1893. gr. Okt.
1053 SS.
Unter vorstehendem Titel veröffentlicht der Verfasser, welcher sich
bisher im wesentlichen nur durch brillante Rezensionen wirtschaftswissen-
schaftlicher Werke in der Grünhut'schen Zeitschrift bemerkbar gemacht
hat, in einem imposanten Bande den ersten Teil eines Werkes, welches
bestimmt sein soll, ein umfassendes System der ökonomischen Wissenschaft
zur Darstellung zu bringen. Derselbe soll die Einleitung zu einem System
der theoretischen Oekonomik und der praktischen Oekonomik bilden,
nimmt aber zunächst eine selbständige Bedeutung als „System der ökono-
mistischen Methodologie" in Anspruch. Eine solche Bedeutung kommt
ihm auch in vollem Mafse zu, und es würde das vorliegende Buch für
sich allein schon eine Respekt einflöfsende wissenschaftliche Leistung sein,
wenn selbst die angekündigten späteren Teile des Gesamtwerkes unaus-
geführt bleiben. Es mag diese Eventualität sogleich erwähnt werden, da
sie wohl einen der Gewifsheit nahekommenden Grad von Wahrscheinlich-
keit für sich hat. Denn wenn die Darstellung der positiven Erkenntnisse
auf dem Gebiete der Oekonomie nach demselben Mafsstabe angelegt wer-
den sollte, welcher vorerst bei den methodologischen Erörterungen zur
Anwendung gelangte, so würde dies die Leistungsfähigkeit eines Ueber-
menschen erfordern. Der Autor wird nicht prätendieren, als ein solcher
angesehen zu werden und er kann es daher wohl nicht verübeln, wenn
wir bezweifeln, dafs er zur Ausführung des erwähnten wissenschaftlichen
Planes kommen werde, und somit sein Werk in vorliegender Gestalt als
mit diesem Bande auch abgeschlossen betrachten. Andernfalls wäre übri-
gens eine gesonderte Besprechung kaum begründet, da es viel mehr auf
wirkliche Mehrung der wissenschaftlichen Erkenntnisse in unserer Disciplin
mittels welcher Methode immer, als auf methodologische Erörterungen
ankommt und der Ruf eines Schriftstellers, der sich zugleich in ersterer
Hinsicht erfolgreich bethätigt hat, wesentlich hiervon abhängt.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Immerhin ist aber auch eine gründliche und grundlegende Revision
der Methodologie der ökonomischen Wissenschaft an und für sich mit Rück-
sicht auf die gegenwärtig diesfalls herrschende Zerfahrenheit ein ganz
zeitgemäfses Beginnen, nur liegt der Schwerpunkt der Leistung weniger
auf ökonomischem Gebiete, als vielmehr auf dem der Philosophie und
Logik. Man mufs zuvor die Erkenntnistheorie selbst revidieren, bevor
man mit Erfolg daran gehen kann, dieselbe auf das Gebiet der Oekonomie
anzuwenden. Der Verfasser hat dies nicht nur erkannt, sondern auch in
viel gröfserem Mafsstabe durchzuführen versucht als seine bekannten Vor-
gänger. Mit umfassender philosophischer Bildung ausgerüstet, hat er ein
Werk geliefert, das den Philosophen von Fach mindestens in gleichem
Grade — wenn nicht mehr — angeht wie den Oekonomisten, bei dessen
Beurteilung der Letztere sich sogar hauptsächlich darauf stützen mufs, ob
und inwieweit der Erstere die Ausführungen des Verfassers ratifiziert.
Wenn dieser Umweg der fachlichen Beurteilung allein schon den Verfasser
einer ziemlichen Geduldprobe aussetzen würde, so hat er andererseits durch
die ganze Anlage seines Werkes nicht wenig dazu beigetragen, dafs er
der erwünschten Würdigung von seiten des Fachpublikums wohl kaum so
rasch entgegensehen darf. Wer wie der Verfasser ersichtlich so viele
Jahre ernsten Studiums und eindringlicher Denkarbeit einem so schwie-
rigen, mit den höchsten Problemen des menschlichen Daseins zusammen-
hängenden Thema gewidmet hat, der hat nicht nur das erklärliche Ver-
langen, sondern auch den Anspruch, das Ergebnis seiner Forschungen von
der Fachwelt nach Gebühr beachtet und genutzt zu sehen. In dieser
Hinsicht dürfte der Verf. jedoch Enttäuschungen erfahren. Ein Werk wie
das seinige hat nur für die eigentlichen Fachgelehrten Bedeutung und In-
teresse, und selbst nicht für jeden unter diesen und für den einen und
den anderen in sehr verschiedenem Grade. Wollte der Autor den Bedürf-
nissen dieses Leserkreises entsprechen, so mufste er kurz und präcis
schreiben; das, was er Neues bietet oder an Unhaltbarem als solches nach-
weist, scharf und nachdrücklich hervorheben, durfte Bekanntes nicht wieder-
holen — auch nicht im Wege der Polemik — hatte also m. a. W. mit
der gemessenen Zeit dieser Leser zu rechnen. Hätte er so geschrieben,
so hätte er auch auf rückhaltslose Anerkennung zählen können. Anstatt
dessen hat er offenbar das gesamte Fachpublikum als Leser vor Augen gehabt;
denn er behandelt seinen Gegenstand ab ovo, sucht jeden Detailpunkt zu
erläutern, führt die ganze Litteratur an, indem er jede einzelne Frage
durch eingehende Polemik mit den Ansichten früherer Autoren entwickelt,
und gerät dadurch in eine geradezu abschreckende Breite. Dadurch ver-
scheucht er sich die Leser, statt solche zu gewinnen. Den speziellen
Fachmann der ökonomischen Theorie ermüdet er durch das viele Bekannte,
was dieser in Kauf nehmen mufs, und überdies die unterschiedslose Ver-
webung des Neuen und Selbständigen in das Alte und blofs Reproduzierte.
DerNichtfachmann aber, wenngleich er sich mit ökonomischen Fragen beschäf-
tigt, und selbst der Oekonomist, sofern er nicht die theoretische For-
schung ex professo betreibt, bringt den methodologischen Kontroversen ohne-
hin nicht jenes Interesse und jene Lese-Energie entgegen , die notwendig
wäre, den starken Band zu bewältigen.
112 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Dazu kommt folgendes. Der Autor ist ein Virtuose des Stils. Er
führt eine brillante Feder, seine Schreibweise gleicht der eines espritreichen
französischen Feuilletonisten: alle Finessen der Diktion sind ihm geläufig.
Seine Ausführungen strotzen von Vergleichen, Bildern, Antithesen, Wort-
spielen , kurz allen Künsten der Darstellung , durch welche auch der
sprödeste Stoff dem Nichtvertrauten fafsbarer und anziehender gemacht
wird. Diese Formgewandtheit, auf der einen Seite eine beneidenswerte
Gabe, ist andererseits bei Materien einer strengen Gedankenarbeit nicht
ohne Gefahren. Sie hilft zu leicht über schwierige Punkte im Denk-
prozesse hinweg und verleitet mitunter dazu, eine gelungene sprachliche
Wendung für eine sachliche Lösung anzusehen. Gleich einem anderen
deutschen Nationalökonomen, der als Stilist gar höchlich gerühmt wird,
erscheint der Verfasser dieser Gefahr nicht immer entgangen. Aber etwas
anderes ist folgenschwerer. So sehr sich die erwähnte Schreibweise bei
Behandlung einzelner, herausgegriffener Themata bewährt, 60 wenig taugt
sie nach unserer Meinung zur Durchführung eines langwierigen und noch
überdies grofsen Teils formallogischen Ideenganges in einem systematischen
Werke. Sie wirkt da monoton. Sie gleicht den raffinierten Genüfsen der
Tafel, die man nicht in der regelmäfsigen Folge der Mahlzeiten kon-
sumieren kann, deren man vielmehr bald überdrüssig wird und die der
angestrengt Arbeitende vollends verschmäht, zumal sie das Nahrhafte mit
zu viel wertlosen, ja mitunter selbst schädlichen Beimengungen darbieten.
Durch alles dies zusammen hat der Verfasser sich selbst um den vollen
Erfolg gebracht. Er wollte nicht für Wenige, er wollte für Alle schreiben.
Die Letzteren hat er nicht gewonnen, die Ersteren sich abwendig gemacht.
Sein Buch wird daher in der vorliegenden Form vielleicht nicht jene
Würdigung finden, welche es vermöge des vielen Wertvollen verdient,
das es enthält. Das Letztere wird erst nach und nach durch die Be-
nutzung des Buches bei analogen Arbeiten, also im Wege der Polemik in
systematischen Werken und Monographien, von dem Uebrigen ausgeschie-
den werden müssen: dann erst dürfte der Leistung des Verfassers volle
Anerkennung zu teil werden.
Mit Rücksicht auf das eben Angeführte mufs hier völlig davon ab-
gesehen werden, in eine Darlegung auch nur der wichtigsten Punkte des
Ideenganges und der Ergebnisse des Werkes zum Zwecke einer kritischen
Untersuchung einzugehen. Sonst würden diese Zeilen eine eigene metho-
dologische Abhandlung von nicht geringem Umfange werden, welche an
vorliegendem Orte nicht beabsichtigt ist. Es konnte somit lediglich in
dieser allgemeinen Weise auf das Werk hingewiesen werden, um dasselbe,
soviel an uns liegt, vor dem Schicksale achtungsvoller Beiseitestellung zu
bewahren.
Nur ein oder das andere wollen wir — mehr auf gut Glück —
einzeln herausgreifen, weniger um eine auf den Grund gehende Kritik zu
üben, als vielmehr um unsere eigene Stellung zu den Anschauungen des
Autors flüchtig zu kennzeichnen; ein Drang, dem das liebe Ich bei Anzeige
eines Buches eben schwer widerstehen kann, der aber nicht, wie dies bei
einzelnen scepterschwingenden Potentaten der Kritik der Fall ist, in die
Unart der eitlen Selbstbespiegelung ausarten darf. So vermögen wir schon
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. U3
<iem fundamentalen Ausgangspunkte des Verfassers, nämlich seiner Ansicht
über das Verhältnis von Philosophie und Oekonomik, nicht beizustimmen.
In schwungvoller Sprache feiert das erste Kapitel des Buches die Wissen-
schaft der Oekonomik als die Nachfolgerin und Erbin der heimgegangenen
Philosophie. Die Philosophie sei nichts anderes als ein noch undifferen-
zierter Zustand der Erkenntnis, ein blofses Durchgangsstadium jeder mensch-
lichen Erkenntnis, und gegenwärtig lediglich das Residuum dessen, was
als Wissenschaft nicht über den ersten Werdezustand herauszugedeihen
vermochte — immer aber sei die Philosophie nicht mehr und nicht
weniger als eine „Problematik" gewesen: die Zusammenfassung dessen,
was der Menschheit eigentlich unbekannt war. Mit den Fortschritten der
Erkenntnis habe sich ein Teilgebiet des menschlichen Wissens nach dem
anderen zur selbständigen Wissenschaft herausgebildet und als solche von
der Philosophie abgeschnürt. Das sei denn auch mit der Oekonomie der
Fall gewesen und nichts erübrige mehr für die Philosophie, nachdem sich
alle Wissensgebiete zu positiven Wissenschaften entwickelt haben. Die
Oekonomie aber habe zugleich die Erbschaft der Philosophie angetreten,
insofern diese im letzten Grunde das Problem der Glückseligkeit für die
Menschheit zu lösen die Aufgabe hatte (welchem Bedürfnisse sie auch
ihren Ursprung dankte), dieses Ziel aber nicht zu erreichen vermochte,
weil sie nach absoluter Glückseligkeit strebte, die dem Menschen un-
erreichbar ist. Nur relatives Glück, d. h. das unter den jeweils obwalten-
den Umständen erreichbare Maximum von Lust, Minimum von Unlust, sei
denkbar. Darin bestehe aber das Prinzip der Oekonomie, die Oekonomik
sei daher die Philosophie der Zukunft.
Diese Auffassung scheint doch wohl die Philosophie zu gunsten der
Oekonomik zu verkleinern. Richtig ist es ja, dafs Teilgebiete des Wissens
anfänglich lediglich als Philosophie angesehen wurden, die sich später zu
eigenen Disziplinen entfalteten, und dafs dies auch bezüglich der Oeko-
nomie zutrifft; wenngleich die Hinweise, welche der Autor dafür beibringt,
dafs schon die Schriften der griechischen Philosophen vielfach Keime ein-
zelner Lehren und Unterscheidungen der heutigen Nationalökonomie ent-
halten, etwas gezwungen und gekünstelt erscheinen, wie z. B. der Satz:
„Der Subjektivismus der Sophisten bezüglich des Guten kehrt Jahrhunderte
später als subjektivistische Werttheorie wieder !" Der Verfasser hätte so-
gar seine Darlegungen über die „Abschnürung" spezieller Disziplinen
von der Philosophie weiter durch Anführung der Psychologie und Ethik
als Beispiele stützen können, bezüglich welcher sich ja der Prozefs der
Lostrennung von der Philosophie, als deren integrierende Bestandteile beide
früher galten, eben vor unseren Augen vollzieht. Dennoch beruht sein
ganzer Gedankengang, wie wir meinen, auf dem Irrtume, als sei die Phi-
losophie nur das gewesen, als was sie seine oben angeführte Sentenz
darstellt. Er übersieht, dafs sie noch mehr war als ein blofser Eierstock
von ungeborenen Wissenschaften. Sie war dies gewifs, aber nur insofern,
als sie eben das System einer einheitlichen Welt- und Lebensanschauung
nach dem jeweiligen Stande der menschlichen Erkenntnis ist. Das bleibt
sie, auch nachdem durch die Vervollkommnung des Wissens die einzelnen
Teilgebiete desselben sioh zu selbständigen Wissenschaften entwickelt haben.
Dritte Folge Bd. VIII (LXHI). 8
114 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Die Philosophie stirbt daher nicht dadurch, dafs sich eine ganze Reihe
solcher von ihr abschnürt, sie erhält durch diese nur immer neuen Stoff
für ihren Ideenbau, sie wandelt und vervollkommnet sich eben dadurch,
sie gewinnt in diesem Entwicklungsgänge anderen Inhalt und andere
Form, aber sie lebt und bleibt bestehen als die Krone und das einigende
Band aller Wissenschaften. "Wie sehr die Wissenschaft im ganzen leiden
würde, wenn dieses Band nicht mehr bestünde, wenn diese Sublimation
ihrer höchsten Ergebnisse nicht mehr gewonnen würde, das zeigt jede
Periode, in welcher die Philosphie ihrer Aufgabe nicht ganz entspricht,
wie das nach unserer subjektiven Ansicht leider gerade in der Gegenwart
der Fall ist. Darum braucht man sie aber nicht totzusagen und ihr einen
Erben zu setzen. Auch kann sie nicht, wie der Verfasser meint, im Gegen-
satze zur Wissenschaft stehen und kann sich nicht in andere Wissen-
schaften, worunter die Oekonomik, auflösen oder gar sich in die Oekono-
mik selbst umwandeln.
Wie jene Grundauffassung des Wesens und des Berufes der Philo-
sophie, so ist auch die These über die Beziehungen zwischen Oekonomik
und Philosophie unhaltbar, die der Autor aufstellt und aus welcher er dann
den erwähnten Erbgatig deduziert. Eine tiefwurzelnde Beziehung zwischen
der Oekonomik und der Philosophie findet er darin, dafs beide dem mensch-
lichen Glücke zu dienen haben, aus dem Streben nach Glückseligkeit her-
vorgegangen sind. Denn alle menschliche Erkenntnis, d. h. das Bemühen
um solche, beruhe ausschliefslich auf dem Glückstreben. „Alles Wissen
wird nur angestrebt, weil es einmal nützlich werden kann." Abermals die
Uebertreibung eines richtigen Gedankens. Allerdings hat der Autor Recht,
wenn er sagt : Die Ansicht, ein metaphysisches Bedürfnis erzeuge die
Philosophie, sei unrichtig. Es gebe keinen solchen Trieb, das Hirn des
Menschen habe als Organ der Erkenntnis Lebenszwecken zu dienen und
sei daher bestimmt, nur Beziehungen zwischen den Dingen der Aufsen-
welt aufzufassen und zu verarbeiten. — Aber daraus folgt durchaus nicht,
dafs nicht die Erkenntnis als solche den Menschen befriedigt und er
darum nach ihr strebt, nicht blofs wegen der möglichen Nutzwirkung!
Es käme da nur darauf au, was man unter Lebenszwecken versteht. Auf
der anderen Seite ist jene Gegenüberstellung von absolutem und relativem
Glück eine blofs sprachliche Beziehung, darauf beruhend, dafs der Autor
das durch die Grundverhältnisse unserer Existenz uns aufgenötigte öko-
nomische Prinzip, mit dem mindesten Aufwände von Lebenskraft und
Aufsendingen das erreichbare Maximum von Lebensförderung zu verwirk-
lichen, eben Glückstreben nennt.
In dem Kapitel „Entwickelung der Methodologie" giebt der Verf.
eine detaillierte Sichtung und Kritik der verschiedenen Forschungsrichtungen
auf dem Gebiete der ökonomischen Wissenschaft: der Klassiker, der
empiristischen Schule, der alt- und der neuhistorischen Schule, endlich
der exakt-realistischen Schule, welch' letzterer er sich im Grunde doch
anschliefst, indem er diese Richtung als „rationellen Empirismus" fort-
entwickelt wissen will und letzteren als das Postulat der Gegenwart be-
zeichnet. Die österreichischen Volkswirte haben allen Grund, dem Verf.
erkenntlich zu sein für die Stellung, welche er ihnen in der Methodologie
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 115
der Disziplin anweist, sowie für den Dienst, den er ihnen durch seine
Darlegungen leistet, wenngleich die Erklärung, welche er für den Umstand
heranzieht, dafs die exakt-realistische Forschungsrichtung derzeit eben in
Oesterreich so emsig und erfolgreich kultiviert wird, ebenso unzutreffend
ist, ak sie unzureichend wäre. Für Menger wie für den Schreiber dieses
wird sicherlich Anlafs sein, sich mit dem Verf. hinsichtlich mancher
Divergenzen der Auffassung auseinanderzusetzen.
Das folgende Kapitel „Die ökonomische Erscheinung" führt den Verf.
zur Feststellung des Wesens des Oekonomischen. Er findet dasselbe in
der Zweckmäfsigkeit, er identifiziert es mit dem Zweckmäfsigen. Damit
wäre wohl der Umfang der Oekonomie ins Ungemessene erweitert und
es erscheint einigermafsen schwierig, sich das theoretische System der
Oekonomik vorzustellen, welches alle realisierte Finalität des gesamten
menschlichen Daseins umfassen würde! Insbesondere die Scheidung von
der Technik, welche Schreiber dieses bekanntlich für die Vorbedingung
einer wirklich wissenschaftlichen ökonomischen Theorie hält und in dem
Buche „Das Wesen und die Aufgaben der Nationalökonomie" versucht hatr
ginge wieder verloren. Wenn der Verf. meint, die begriffliche Sonderung
zwischen beiden durch das Diktum vornehmen zu können, „die Oekono-
mik handle vom Nützlichen, die Technik von Nützlichem", so wäre mit
diesem Wortspiele gesagt, der Unterschied zwischen Oekonomie und Tech-
nik sei der zwischen Generellem und Speziellem, was wohl kaum aufrecht
zu halten ist. Die technischen Handlungen sind an sich gewifs zweck-
mäfsige, aber an sich nicht eo ipso ökonomische : sie werden in der Regel
zugleich ökonomische, insofern der Mensch mit Rücksicht auf die Ge-
samtheit der Lebenszwecke bei jeder einzelnen, einem speziellen Zwecke
gewidmeten technischen Handlung eben zugleich ökonomisch vorgeht. Denn
würde er bei einer bestimmten Zwecksetzung unökonomisch handeln , so
würde er sich dadurch die Erreichung anderer Zwecke schmälern.
Ohne diese Rücksicht könnte der einzelne konkrete technische Vorgang
auch in unökonomischer Weise vorgenommen werden, wie dies ja auch in
einer Anzahl von Fällen vorkommt! Daher ist wohl auch dem Ausspruche
nicht beizustimmen , dafs die Zweckmäfsigkeit keine Gradunterschiede
habe. Im allgemeinen natürlich nicht, aber im konkreten wohl, je nach-
dem eben mit der Technik auch die Oekonomie in vollem Mafse verwirk-
licht wurde oder nicht.
In den weiter folgenden Kapiteln sind mit eingehendster Bezugnahme
auf die gesamte philosophische und nationalökonomische Literatur be-
handelt: die Begriffsbildung, das Verhältnis von Begriff und Erfahrung,
Begriff und Abstraktion, die Kritik, Analyse und Dialektik der Begriffe,
die Denomination, Definition und Klassifikation, alles mit besonderer Be-
ziehung auf die Oekonomie, sodann die ökonomischen Urteile, das ökono-
mische Schliefsen und die ökonomischen Gesetze. In diesen Abschnitten
liegt hauptsächlich der Wert des Buches. Seine Ausführungen über die
Kausalität, die Induktion, die Hypothese als Hilfsmittel der Induktion,
das Experiment, die Deduktion und ihr Verhältnis zur Induktion, sowie
die litterarhistorisch-kritische Erörterung über die ökonomischen Gesetze
im Gegensatze zu Regeln und Normen werden von jedem theoretischen
8*
11Ö Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Forscher unseres Wissensgebietes und jedem Schriftsteller über die Metho-
dologie fortan zu beachten sein. Damit soll nicht gesagt sein, dafs unbe-
dingt in allen Einzelheiten auch zuzustimmen wäre. Für unsere Person
möchten wir diesfalls nur das Eine erwähnen, dafs der Verf. hinsichtlich
der „exakten" Gesetze und speziell mit Beziehung auf Menger einen in
Deutschland verbreiteten Irrtum zu teilen scheint, als beruhten solche
nicht auf Induktion , sondern bildeten einen Gegensatz zur Induktion.
Gerade das Gegenteil ist richtig. Ein exaktes wissenschaftliches Gesetz
ist ein Induktionsschlufs höchster und allgemeinster Art : als solcher, nicht
als apriorisches Axiom ist es der Ausgangspunkt der Deduktion. Aller-
dings könnte der Verf. für sich anführen , dafs er durch einzelne Aus-
drücke in den Untersuchungen Menger's zu jener Ansicht über die Auf-
fassung dieses Schriftstellers gebracht worden sei. Allein es entscheidet
doch der gesamte Sinn und die allgemeine Richtung einer Schrift und
darnach sind wohl Zweifel in jener Hinsicht ausgeschlossen.
Sehr interessant, insbesondere vom kritischen Standpunkte, und ge-
dankenreich ist das Kapitel über die „ökonomischen Ideen". Den Schlufs
bildet die Darstellung der ökonomischen Systematik. In den beiden
letzten Abschnitten bestehen wohl mehrere fundamentale Differenzpunkte
zwischen dem Referenten und Verfasser, ohne dafs jedoch es möglich
wäre, hier darauf einzugehen und ohne dafs dieselben es verhindern, die
mannigfachen Anregungen und Gewinne an Einsicht anzuerkennen, welche
auch diese Partien des Werkes dem theoretischen Forscher bieten.
Prag. Emil S a x.
Molinari, Gustave de (Correspondant de l'Institut, Redacteur en
Chef du Journal des Economistes), Les Bourses du Travail. Paris,
Guillaumin et O, 1893. in-8°. XII et 335 pp.
Der alte Vorkämpfer und treue Verfechter der Freihandelslehre in
Frankreich, Gustav von Molinari, bietet uns in der vorliegenden Schrift
eine neue geistreiche und interessante Bearbeitung des Lohnproblems.
Er fafst dasselbe, um ihm weitere Seiten abzugewinnen, unter dem Stand-
punkt der Entwickelung des Arbeitsmarktes, welchen Begriff er als „Ar-
beitsbörsen" bezeichnet. Nachdem der Verfasser die Grundbegriffe des
Lohns und die Bedingungen seiner Entstehung und Ausgestaltung er-
örtert hat, verfolgt er in historischer Darstellung die verschiedenen Ent-
wickelungsepochen der Organisation der Arbeit mit kritischer Erwägung.
Er zeigt uns, wie das Gesetz von Angebot und Nachfrage im Bereiche
der Arbeit sich in den verschiedenen Stadien der Unfreiheit, Halbfreiheit
Gebundenheit und wirtschaftlichen Freiheit unserer Tage zu bestimmten
Rechtsnormen und Gewohnheiten des Wirtschaftslebens verdichtet hat.
Sodann prüft unser Autor die Einflüsse des Pauperismus und der sozia-
listischen Weltanschauung auf die lohnarbeitenden Klassen, er untersuoht
die Einwirkungen der Arbeitseinstellungen und Koalitionen auf die Lohn-
bewegung, er erörtert die Wirksamkeit der Syndikate im Kampfe zwischen
Arbeit und Kapital. Diese drei Abteilungen, die Molinari uns in elf
Kapiteln vorführt, bilden sozusagen die Grundlage für sein eigentliches
litterarisches Problem, welches sich in der Frage zuspitzt, wie ist ohne
Durchbrechung der individuellen und wirtschaftlichen Freiheit, ohne
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. \\7
Unterbindung des freien Verkehrs und der freien Konkurrenz ein Aus-
gleich zwischen den beiden sich in unserer Zeit hart befehdenden Lagern :
Kapital und Arbeit herbeizuführen. Um des Verf. Auslührungen voll zu
würdigen, mufs man darüber unterrichtet sein, dafs die Geschichte der
Arbeitsbörsen ein wesentliches Stück seiner Lebensschicksale umspannt.
Allerdings hatte sich Molinari, der diesem Plan schon seit dem Jahre
1844 in Frankreich und Belgien Anhänger zu werben gesucht hat, solche
Arbeitsbörsen auf kapitalistischer Grundlage, als eine Nachbildung der
Geschäftsbörsen vorgestellt, wo, wie hier Wertpapiere oder Waren, die
Ware „Arbeit" gehandelt werden sollte. Die Arbeitsbörsen allerdings,
wie sie vor einigen Jahren in seinem zweiten Vaterlande Frankreich
entstanden sind , entsprechen seinem freihändlerischen Ideale keines-
wegs.
Den Grundzug der ökonomischen Entwickelung, den Molinari beim
Güterverkehr im allgemeinen feststellen zu können glaubt, dafs nämlich
die Vermehrung der Rechtssicherheit, die Fortschritte der Technik, die
Vervollkommnung der Verkehrsmittel und die wachsende Herausbildung
von Verkehrsformen zu einer Ausdehnung der Märkte, zur Entstehung
eines zentralisierenden, allgemeinen Marktes führen, überträgt er auch
auf die Geschichte und Organisation der Arbeitsmärkte. Wie sich aber
aus der Schaffung solcher Zentralmärkte für den Warenverkehr wesent-
liche Vorteile ergeben, so mufs auch die Organisation der Arbeitsfreiheit,
die „Cirkulation der freien Arbeit" gleiche Erfolge haben. Das heutige
Lohnsystem ist ihm nur eine weitere Form der Abhängigkeit des Ar-
beiters vom Kapital, wenn auch nicht in rechtlicher, so doch in ökono-
mischer und sozialer Beziehung. Diese letzte Stufe der Unfreiheit der
Arbeitermassen kann aber erst in unabsehbarer Zeit in ein Stadium voller
Freiheit und voller ausgeglichener Gegensätze hinübergeführt werden.
Man mufs sich daher für die Gegenwart und nächste Zukunft mit Ver-
besserungen der Organisation des Arbeitsmarktes begnügen. Diese Idee
führt den Verf. zur Schilderung jener litterarischen und positiven Vor-
gänge, deren Ziel die Errichtung sog. Arbeitsbörsen nach kapitalistischem
Muster ist, und an denen er einen hervorragenden Anteil genommen hat.
Allein er kommt dabei zu dem Resultate, dafs weder die sozialistischen
und halbsozialistischen, wie solche in Frankreich bestehen, noch die
philanthropischen , wie diejenige in Lüttich , den Zweck der Emanzi-
pation der Arbeit zu erfüllen vermögen, weil sie, namentlich die sozia
listißchen, nur zu leicht zu Organen gewisser Arbeiterparteien werden,
denen es weniger um die wirtschaftliche Befreiung der Arbeit aus den
Fesseln des Kapitalismus zu thun ist, als sich deren Streben in der
Richtung bewegt, die Arbeitsbörsen ihrer eigentlichen Bestimmung zu
entziehen, sie zum Tummelplatz politischer Agitationen und ihre Organi-
sation zur Kraftprobe der politischen Macht der Arbeitermassen zu
machen. Ebensowenig entsprechen diesem Ziele die gewerbsmäfsigen
Arbeitsvermittelungsanstalten, durch welche die Arbeiter nur ausgebeutet
werden. Vorläufig kann nach Molinari das Heil nur darin gefunden
werden, Genossenschaften auf Gegenseitigkeit zu gründen, die wie ein
Netz über das ganze Land ausgespannt sind, einen Ausgleich zwischen
118 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Angebot und Nachfrage der Arbeitskräfte bewirken, die Arbeitsvermitte-
lung organisieren. Im übrigen wird die Ausdehnung des Marktes, ein
Prinzip, das den Güterverkehr ebenso beherrscht, wie es allmählich auch
in den Arbeitsmarkt eindringt, im Laufe der Entwickelung den „Wucher
der Arbeit" mit Erfolg bekämpfen, die Mifsstände mildern, die aus der
ungleichen, wirtschaftlichen Lage des Arbeitgebers und Arbeitnehmers
entspringen, den Preis der Arbeit regulieren, die Löhne immer mehr
dem Niveau des gerechten Lohnes nähern und einen allgemeinen Fort-
schritt der Produktion und des Nationalvermögens herbeiführen. Dieser
Werdegang wird aber dann wieder von neuem ein entscheidendes Argu-
ment zu gunsten des Freihandels liefern.
Aus diesen Ausführungen erkennen wir immer wieder den prinzipien-
treuen Verfechter der wirtschaftsliberalen Schule, der auch im Alter un-
entwegt an den wissenschaftlichen Idealen seiner Jugend festhält und
dessen innerste TJeberzeugung von dem endlichen Siege der Freibandels-
doktrin in Theorie und Leben unerschüttert bleibt. Das Buch ist, wie
alle Schriften des gleichen Verfassers, geistreich, anregend und elegant
in Form und Darstellung geschrieben und zeugt von der unerschöpflichen
Geistesfrische und unversieglichen Arbeitskraft und Schaffenslust des bald
fünfundsiebzigjährigen Gelehrten.
Als besonders beachtenswert möchte ich noch die stattliche Reihe
von Exkursen und Anlagen (S. 197 — 305) hervorheben, unter welchen
insbesondere die Materialien zur Entwickelung der Pariser Arbeitsbörse,
die sonst schwer zugänglich sind, unser Interesse erregen.
Würzburg. Max von Hecke 1.
Brentano, Lujo, Ueber das Verhältnis von Arbeitslohn und Ar-
beitszeit zur Arbeitsleistung. 2. völlig umgearbeitete Auflage. Leipzig,
Duncker & Humblot. 1893. 103 S.
Als sich der Katzenjammer naoh dem Rausoh der Milliardenzeit ein-
stellte, waren es gar eigenartige Mittel der Sanierung, die man auempfahl.
Ein Reskript des damaligen preufsischen Handelsministers an die Ober-
bergämter (28. März 1876) befürwortete eine Herabsetzung der Gedinge-
sätze, um erhöhte Arbeitsleistung zu erzielen. Den nämlichen Rat erteilte
der Finanzraiuister Camphausen den privaten Unternehmern (26. Januar
1875).
Im Gegensatz zu solchen Aeufserungen entstand Brentano's oben ge-
nannte Schrift, von der nunmehr in der 2. Auflage eine fast völlig neue
und von der speziellen Veranlassung losgelöste Untersuchung vorliegt.
Die fundamentale Wichtigkeit des Gegenstandes erheilt schon aus dem
Titel. In der Theorie ist seit Ad. Smith und einigen seiner Vorläufer
allgemein der Satz anerkannt worden, dafs höherer Lohn und gröfsere
Arbeitsleistung sich gegenseitig bedingen, während im 17. und 18. Jahr-
hundert genau das Entgegengesetzte gelehrt wurde. Noch heutzutage in
kulturell rückständigen Ländern und Arbeitszweigen wird vielfach be-
hauptet, eine Lohnerhöhung führe notwendigerweise zu geringerer An-
spannung der Thätigkeit.
Brentano hält nun dafür, dafs beide Auffassungen sich recht wohl
vereinigen lassen. Jene Wandlung setzt einen psychologischen Prozefs
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. \\2
auf seiten der Arbeiter voraus. Durch allmählich — nicht sprungweise
— steigende Entlohnung wachsen deren physische und geistige Kräfte
und mit ihren Bedürfnissen zugleich die Möglichkeit ihrer Befriedigung,
der Massenkonsum. Auf diese Weise entsteht die Möglichkeit, nicht nur
den Arbeiter besser zu bezahlen, sondern auch seine durchschnittliche
Arbeitszeit herabzudrücken und dennoch — oder richtiger gesagt —
dadurch gerade die Arbeitsleistung sogar zu erhöhen. Die Arbeiter-
schutzgesetzgebung gab hierzu den ersten Anstofs. Das Wesentliche bei
diesem Vorgang ist, dafs der Arbeiter aus dem Bannkreis des Herkom-
mens herausgerissen und dadurch befähigt wird, den veränderten Pro-
duktionsbedingungen entsprechend intensivere Arbeit zu leisten. Damit
wird zugleich die verbesserte und verfeinerte Produktionstechnik und Or-
ganisation der Arbeit auch rentabel für den Unternehmer und ermöglicht
ihm Gewinn trotz der erheblich gestiegenen Löhne.
Diese Sätze werden durch eine reiche Fülle trefflich verarbeiteten
und übersichtlich gruppierten statistischen Materials belegt, das eine Reihe
der wichtigsten Branchen umfafst. Hauptsächlich sind die Ergebnisse
von Brassey, v. Schulze-Gävernitz und Sohönhof verwertet. Es ist wohl
eine durch die Zerstreutheit des Materials verschuldete Lücke, dafs die
auch in der Heimat vielfach bestehende achtstündige Arbeitszeit hier
nicht erwähnt wird, über die seither 0. Pringsheim 1) einige auch wohl
kaum vollständige Angaben gemacht hat.
Des weiteren polemisiert Brentano gegen die sozialdemokratische
Doktrin, dafs die Herabdrückung der Arbeitszeit zur Minderung der Be-
schäftigungslosen führen würde. Sie lasse doch die Entstehungsgründe
der Arbeitslosigkeit: des Auf und Ab der Konjunktur und im besonderen
der Saisongewerbe wie die Demoralisierung der Arbeiter während ihrer
Beschäftigungslosigkeit gänzlich unberührt. Allein weiterhin räumt der
Autor ein, dafs in einzelnen Gewerben doch zur Mehreinstellung von
Arbeitern geschritten werden müfste, sobald die Arbeitszeit gekürzt wird.
Sohin ist die an diesen Satz anknüpfende Polemik eigentlich gegenstands-
los2); denn dafs übermäfsige Arbeitszeit nur eine von vielen Ursachen
der Arbeitslosigkeit sei und sohin füglich von jener nicht das Verschwin-
den dieser erwartet werden könne, bedarf keines Beweises. Allein für
•die Wirkung der verkürzten Arbeitszeit auf die Arbeitsgelegenheit käme
alles darauf an festzustellen, wie die Relation jener Gewerbszweige mit
Mehreinstellung von Arbeitern zu denjenigen ist, für welche voraussicht-
lich keine solche eintritt. Diese hochwichtige Frage wird sich allerdings
definitiv mit den vorhandenen statistischen Unterlagen kaum entscheiden
lassen. Immerhin giebt z. B. die Beobachtung der Zahl von Angestellten
an den schweizerischen Eisenbahnen vor und nach Einführung des Maxi-
malarbeitstages wertvolle Fingerzeige in dieser Richtung, die hier nicht
weiter verfolgt werden können. Ferner ist zu bemerken, dafs schon die
Minderung, nicht die Beseitigung der „industriellen Reservearmee" be-
stimmte Vorteile im Gefolge hat. Gerade dadurch wird Erlangung und
1) In Braun's Archiv, Bd. VI, S. 15 ff.
2) was insbesondere von den Bemerkungen Pringsheim's a. a. O. S. 22 gilt.
120 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Behauptung kürzerer Arbeitszeit ermöglicht und der Arbeiter bei rück-
läufiger Konjunktur widerstandsfähiger gemacht. Endlich fehlt in Bren-
tano's Darstellung der Lichtseiten des modernen Produktionsprozesses die
Beleuchtung der Schattenseiten. So insbesondere der schneller verbrauch-
ten Arbeitskraft infolge der gesteigerten Intensität — vielleicht des
schwierigsten Problems der Zukunft!
Allein die Neuauflage einer Gelegenheitsschrift konnte wohl kaum
die allseitige Behandlung einer so weitverzweigten Frage bringen. Hof-
fentlich geschieht das in einer vielleicht bald folgenden desselben Büch-
leins oder bei anderer Veranlassung in der Volkswirtschaftslehre, die uns
der Autor hier verheifsen hat.
In schwungvollen Worten verlangt die Schrift am Schlüsse gleich
vollkommene Ausrüstung für den Arbeiter im internationalen Wettbewerb
wie für den modernen Soldaten, d. i. höheren Lohn und kürzere Arbeits-
zeit. Wir zweifeln nicht daran, dafs Brentano's Publikation auch aufser-
halb des gewohnten Leserkreises sozialökonomischer Schriften Anklang
und Beifall finden wird. Sie verdient ihn im reichsten Mafse durch ihren
inneren Gehalt, den Reichtum an Material wie last not least durch ihre
abgerundete prächtige Diktion.
Berlin. Rudolf Grätzer.
Offermann, Alfred, Ueber die Zukunft der Gesellschaft oder
die Wirkung der grofsen Zahlen. Leipzig, Otto Wigand, 1893. 167 SS.
Der Verfasser geht von dem Gedanken aus , dafs man in die ver-
wickelten sozialen Erscheinungen, welche bekanntlich das Ergebnis vieler
und mannigfaltiger zusammenwirkender Ursachen sind, nur auf deduktivem
Wege eindringen könne. Er versucht nun auf diesem Wege ein Prinzip,
welches die fortschreitende Entwickelung civilisierter Nationen beherrsche,
aufzustellen und seine Uebereinstimmung mit den auf einzelnen Gebieten
des sozialen Lebens deutlich hervortretenden Tendenzen zu zeigen. Als
solches Prinzip aber erscheint ihm dasjenige der grofsen Zahlen , durch
deren Wirkung der Zufall eliminiert werde, indem die Wirkungen der
„accidentiellen" oder zufälligen (wechselnden) Ursachen sich um so voll-
ständiger gegenseitig aufheben und diejenigen der konstanten Ursachen
um so reiner auftreten, je gröfser die Zahl ist. Auf der niedersten Kultur-
stufe ist nach dem Verfasser der Mensch gänzlich den „Zufällen", welche
in dem Wechsel der Ausbeute, der Jahreszeit, der Gegend, des Klimas
xl. s. w. bestehen, schutzlos preisgegeben. Mit steigender Kultur macht
er sich von denselben mehr und mehr unabhängig, dafür aber wird er in
stets wachsendem Mafse unter der Einwirkung solcher Zufälle stehen, als
welche ihn die nicht vorauszusehenden Handlungen der Anderen treffen.
Alles nun , was nur von einer oder wenigen Personen abhänge, müsse
man im grofsen Mafse dem Zufall oder, was auf dasselbe herauskomme,
uns verborgenen und unerforschlichen Ursachen zuschreiben, da für den
Einzelfall — oder hier für den Einzelwillen — der Einflufs der variabelen
Ursachen, die eben das „Zufällige" ausmachten, immer entscheidend sei.
Jede gesellschaftliche Ordnung habe es immer mit Menschen zu thun.
welche, gar unsteten Sinnes, ihr eigenes Wollen meist selbst nicht kennten.
Die subjektive Willkür unzuverlässiger Geschöpfe, wie die Menschen ein-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 221
mal seieD, müsse durch eine objektive Regel gebunden sein. Aber diese
objektive Kegel dürfe auch selbst nicht wieder durch den einseitigen
Willen Eines Menschen oder Einer Klasse gesetzt werden, sondern sie
müsse durch das dauernde Zusammenwirken vieler und womöglich aller
Klassen entstehen. Bei allem, was durch gemeinschaftliche Wirksamkeit
einer gröfseren Zahl von Personen entstehe , könnten wir die Ursachen
leichter erkennen und voraussehen , da in einer Gesamtheit von Willen,
in welcher sich die möglichen Kombinationen der variabelen Ursachen so
ziemlich erschöpften oder das Zufällige in den verschiedenen Eiuzelwillen
gegenseitig abschleife, der Einflufs der konstanten, auf alle Einzelwillen
gleichermafsen wirkenden Ursachen sicherer zum Vorschein komme.
Von diesem Gesichtspunkte aus bespricht der Verfasser verschiedene
Fragen der Politik und der Wirtschaft, Familie, Staat, Eigentum, Handel
und Spekulation etc. Seine Ausführungen sind zum Teil recht interessant
und auch zutreffend, fordern aber doch auch wieder vielfach sehr zur
Kritik heraus. Das „Gesetz der grofsen Zahlen'4 macht sich allerdings
bei vielen wirtschaftlichen Erscheinungen, insbesondere bei der Preis-
bildung wahrnehmbar. Auch verschaffen sich im allgemeinen die Interessen,
welche durch die Mehrzahl der Mitglieder von Gesamtheiten vertreten
werden, um so mehr Geltung , je vollständiger alle einzelnen bei Wahr-
nehmung ihrer Interessen mitwirken. Dies gilt jedoch nicht von Ver-
ständnis und Erkenntnis. Dafs diese in der Masse eine bessere Ver-
tretung finden als bei wenigen Personen, läfst sich füglich nicht behaupten.
Es wäre denn doch zu bedauern, wenn ,,das Prinzip der grofsen Zahlen"
in der Art sich Geltung verschaffte , dafs die Mittelmäfsigkeit zum Siege
gelangt und das „Aleatorische der Persönlichkeit" der hervorragenderen
Köpfe unschädlich gemacht würde. Uebrigens sind ja auch dem Ver-
fasser selbst „die Menschen" schlechthin „unzuverlässige Geschöpfe", auch
spricht er von der „grofsen Menge" in einer Weise, welche seine Forde-
rung der freien Beweglichkeit und der Mitwirkung Aller doch in einem
etwas zweifelhaften Lichte erscheinen lassen.
Für eine Reihe von Bemerkungen hätte der Verf. Belege beizubringen
nicht versäumen sollen, so wenn er sagt, viele sozialistische Schriftsteller
behaupteten, die Arbeit als solche erzeuge unmittelbar „Eigentum", wenn
er von neueren Gesetzen spricht, welche die Bebauung kulturfähigen
Bodens vorschrieben, wenn es heifst, das Zinsnehmen sei nach römischem
Recht streng verboten gewesen , während doch die lex Genucia sowohl
praktisch als auch formell nur eine begrenzte Wirksamkeit hatte, wenn
er meint, einige „Nationalökonomen" bezeichneten das Geld als vergegen-
ständlichte gesellschaftliche Arbeitszeit, im Satze vom ehernen Lohngesetz
sei das Existenzminimum als etwas Absolutes, ewig Unveränderliches
hingestellt etc.
Der Verfasser verlangt freie Bewegung, Beseitigung von Fideikommissen,
Schutzzöllen, überhaupt aller „veralteten Einrichtungen, welohe die elemen-
tare Bewegung zu den grofsen Zahlen hin noch stören". Diese und andere
von ihm aufgestellte Forderungen lassen sich gewifs nicht mit der Hin-
deutung auf „das Prinzip der grofsen Zahlen" als berechtigt erweisen. Und
wenn gar der Verf. meint, Verteidiger des Schutzzollsystems könnten nur
122 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
solche sein , welche über den Gegenstand nicht gehörig nachgedacht
hätten, so wird er selbst bei Freihändlern keine ungeteilte Zustimmung
finden.
Müncheu. J. Lehr.
Dürkheim, Emile (Charge* d'un cours de science sociale et de
pedagogie ä la Faculte des lettres ä Bordeaux. Agre'ge* de philosophie,
Docteur es lettres), De la Division du Travail Social. Paris, Felix
Alcan, 1893. 471 SS.
Der Verfasser hat es sich nicht zur Aufgabe gemacht , etwa das
Wesen der Arbeitsteilung und deren wirtschaftliche Bedeutung, ihre Licht-
und Schattenseiten sowie die Mittel und Mafsregeln zu erörtern, durch
welche ihren Uebelständen begegnet werden soll. Der Begriff der „divi-
sion du travail social", wie er ihn fafst, deckt sich nicht mit demjenigen
der Arbeitsteilung , wie wir ihn meist in nationalökonomischen Werken
finden. Er nimmt ihn vielmehr in dem Sinne der Vermannigfaltigung
durch die Verschiedenartigkeit in der persönlichen Entwickelung, welche
bekanntlich nicht gerade lediglich durch Arbeit und Beruf, sondern durch
die gesamten Lebensverhältnisse bedingt ist, welche auf Geist und Körper
einen Einflufs ausüben.
Im wesentlichen ist es das Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft,
welches der Verfasser, und zwar immer nur vom Gesichtspunkte der
Arbeitsteilung und der persönlichen Entwickelung aus , zum Gegenstande
seiner etwas allgemein und abstrakt gehaltenen Darlegungen macht. Die
Frage der sittlichen Bedeutung der Arbeitsteilung giebt ihm zunächst An-
lafs, den Begriff des Sittlichen zu erörtern. Die Widerlegung der Auf-
fassung , als ob der Begriff des Sittlichen mit dem des persönlichen
Interesses sich decke , wird ihm natürlich leicht , insofern man den Be-
griff dieses Interesses eben nicht so weit fafst, dafs man sich eines cir-
culus vitiosus schuldig macht. Anders aber liegt die Sache, wenn man
an das Interesse der Gesamtheit denkt.
Hier macht sich der Verfasser die Widerlegung Jhering's u. a. da-
durch allzu leicht, dafs er den Begriff etwas zu enge fafst. In Wirk-
lichkeit kommt er aber doch zum gleichen oder ähnlichen Ergebnis wie
diejenigen, welche er bekämpft. Entscheidend ist ihm das allgemeine
Sittlichkeitsgefühl , welches je nach dem Stande der Kultur verschieden
ist. Es ist wohl richtig, wie der Verfasser bemerkt, dafs man nicht eine
einzige allgemeine Formel aufstellen kann, aus welcher in jedem Einzel-
falle das einzuschlagende sittliche Verhalten abgeleitet werden kann ; dafs
sich im praktischen Leben eine Beihe von Sätzen und Regeln heraus-
gebildet haben, welche je zur Anwendung kommen. Ob dagegen hier der
Begriff des Mittels aus mehreren Gesellschaften oder Nationen der gleichen
Art bezw. Kulturstufe sich als brauchbar erweist , möchte ich dahinge-
stellt sein lassen. Ist nach den Auffassungen der Italiener eine Hand-
lung sittlich zulässig, welche dies nach den Anschauungen anderer euro-
päischer Völker nicht ist , so besteht eben eine solche Verschiedenheit,
ohne dafs man die Abweichung vom europäischen Mittel als etwas Ab-
normes zu bezeichnen braucht. Uebrigens meint auch der Verfasser, dafs
das sittliche Bewufstsein ganzer Gesellschaften sich täuschen könne. Da-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. ]_2'd
mit nähert er sich einigermafsen dem Begriffe des Unbedingten , sofern
er nicht an einen zeitlichen Durchschnitt und an Abweichungen von
demselben denkt.
Die Ansicht, als ob das Streben nach Glück die Ursache der Arbeits-
teilung sei, wird vom Verfasser bekämpft; vielmehr sei als Ursache der
Kampf ums Dasein zu betrachten, wie er dem Menschen mit zunehmender
Dichtigkeit der Gesellschaft notgedrungen auferlegt werde. Man könne
aber nicht sagen, dafs durch diesen Kampf, welcher zu den gröfsten
Anstrengungen nötige, die Menschen glücklicher würden. Hätte der Ver-
fasser statt des Ausdrucks Glück (bonheur) sich der Worte „Streben nach
Verbesserung der Lage" bedient , so wäre seine Widerlegung zum Teil
hinfällig geworden. Man kann immer auch fragen , welchen Ursachen
denn jene Dichtigkeit und jener Kampf ums Dasein zu verdanken sei.
Als die am meisten hervorstechende Wirkung der Arbeitsteilung be-
zeichnet der Verfasser die innige Verkettung, welche sie zwischen den
einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft schaffe. Sie gestatte der Persön-
lichkeit, sich mehr zu entfalten. Zwar werde der Mensch durch die
Bande, welche ihn an die Gesellschaft knüpften, mit zunehmender Arbeits-
teilung immer abhängiger, gleichzeitig aber werde sein persönliches Leben
freier , indem er immer weniger dem Joche von Herkommen und Ge-
bräuchen unterworfen sei. Zum Belege hierfür deutet der Verfasser auf
den Unterschied zwischen grofsen und kleinen Städten. In letzteren steht
jede persönliche Bewegung unter Kontrolle , für erstere aber gelte das
Sprichwort: „On n'est nulle part aussi bien cache* que dans une foule."
Zum Schlufs behandelt der Verfasser auch die Frage der „fraternite"
als einer Wirkung der Arbeitsteilung, die der Krisen, des Klassenkrieges etc.
als anormaler Zustände. Er fordert Gleichheit der äufseren Bedingungen
für den Wettkampf auf Grund rechtlicher und sittlicher Regeln, in welchem
Falle haben würden „les Services echange's une valeur sociale e'quivalente".
Den Begriff dieser sozialen Gleichwertigkeit hat der Verfasser leider nicht
klar gestellt, ebenso vermisse ich nähere Ausführungen über jene Gleich-
heit der äufseren Bedingungen.
Enthält auch das Buch manche interessante und lesenswerte Aus-
führungen, so habe ich an demselben doch auszusetzen , dafs die Frage
der Arbeitsteilung auch in ihren Wirkungen auf die persönliche Ent-
wickelung und auf die Beziehungen des Einzelnen zur Gesellschaft nicht
erschöpfend behandelt und gar zu abstrakt-philosophisch gehalten ist.
München. J. Lehr.
Röscher Wilhelm, Politik: Geschichtliche Naturlehre der
Monarchie, Aristokratie und Demokratie. Erste und zweite Auflage,
Stuttgart, Cotta Nachfolger, 1893. IV und 722 SS. gr. 8°.
In diesem Buche giebt uns der Altmeister der Staatswissenschaften
die gereiften Früchte langjähriger Beschäftigung mit der geschichtlichen
Naturlehre des Staates. Wie er schon seit Beginn seiner Docententhätig-
keit neben der Nationalökonomie die Politik in dem eben bezeichneten
Sinn zum Gegenstande seiner Vorlesungen machte, so hat er auch schrift-
stellerisch bereits vor fast einem halben Jahrhundert die Naturlehre der
Monarchie und der -Aristokratie erörtert und dann vor wenigen Jahren
124 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
in drei gröfseren Abhandlungen den Cäsarismus, die absolute Monarchie
und die Demokratie beleuchtet. Das vorliegende Werk enthält diese drei,
ursprünglich an verschiedenen Stellen veröffentlichten Aufsätze in über-
arbeiteter und bereicherter Gestalt; hinzu gekommen sind, aufser einer
einleitenden Betrachtung über die Staatsformen überhaupt, eingehende
Erörterungen über die Monarchie im allgemeinen und das Urkönigtum,
über die Aristokratie und über Plutokratie und Proletariat.
Mit Recht hält Röscher, im Gegensatze zu den während der letzten
150 Jahre hervorgetretenen zahlreichen Versuchen einer neuen Klassifi-
kation der Staaten, an der wenigstens für die historische und politische
Erkenntnis förderlichsten Unterscheidung von Monarchie, Aristokratie und
Demokratie fest. Auch die von Aristoteles und Polybios aufgestellte
Theorie einer regelmäfsigen geschichtlichen Aufeinanderfolge der Staats-
formen behält er im ganzen bei, berichtigt und ergänzt sie aber im Ein-
zelnen. Ihm erscheint als Regel bei den Kulturvölkern des Abendlandes,
dafs auf ein patriarchalisch-volkstümliches Urkönigtum eine ritterlich-
priesterliche Aristokratie folgt, welche wiederum durch eine, vorzugsweise
absolute, Monarchie verdrängt wird ; diese wird dann mehr und mehr mit
demokratischen Elementen versetzt, oder macht einer völligen Demokratie
Platz; durch Ausartung der Demokratie entsteht Plutokratie mit der Kehr-
seite des Proletariats; den Beschlufs macht eine neue Monarchie, die Mili-
tärtyrannis, welche der Verf. mit Vorliebe als „Cäsarismus" bezeichnet.
Diese geschichtliche Reihenfolge ist auch für die Anordnung der Dar-
stellung bestimmend geworden. Als auffallend kann es erscheinen, dafs
R. der konstitutionellen Monarchie in der historischen Entwickelung gar
keinen besonderen Platz einräumt und derselben überhaupt nur sehr ge-
ringe Beachtung zuwendet. Die Erklärung hierfür ist wohl in seiner
Ansicht zu finden, dafs diese Staatsform zu den zahlreichen Mischungen
der reinen Staatsformen gehört (s. besonders S. 8). Immerhin würden
wir es mit Freuden begrüfsen , wenn der Verf. sich entschlösse , in
einer neuen Auflage seines Werkes diese eigentümliche und für die
Gegenwart vorzugsweise wichtige Verbindung der drei Elemente jedes
Staatswesens nach ihren Voraussetzungen und Wirkungen einer näheren
Betrachtung zu unterziehen1).
In der Art der Behandlung des Stoffes und im innern Gehalt teilt
das vorliegende Werk die bekannten Vorzüge der Roscher'schen Arbeiten
in vollem Mafse. Die aus den verschiedensten Quellen zusammengetrage-
nen, sorgfältig ausgewählten und umsichtig verwerteten historischen Be-
lege gewähren auch dem in der Geschichte nicht unbewanderten Leser
eine reiche Fülle dankenswerter Belehrung. Wenn der Verf. Aristoteles'
Politik als eins der vortrefflichsten Beispiele der von Bacon so sehr em-
pfohlenen ,,Historia ruminata" rühmt, so gebührt seiner Darstellung der
Politik diese Bezeichnung jedenfalls nicht weniger. Daneben wirkt über-
aus wohlthuend die das ganze Werk durchdringende Gesinnung des Autors.
Seine Unparteilichkeit in der Erörterung der verschiedenen Staatsformen
läfst die Erfüllung des im Vorwort (S. IV) ausgesprochenen Wunsches
1) Geschrieben vor dem unerwarteten Tode des verehrten Mannes.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 125
hoffen, dafs sein Buch dazu beitragen möge, in unserer parteizerrissenen
Zeit die Einseitigkeit der Anschauungen zu berichtigen und demgemäfs
versöhnlicheres Handeln zu fördern. Vor allem aber sind seine Aus-
führungen (S. 567 ff.), dafs die drohende oder schon begonnene pluto-
kratisch-proletarische Spaltung der abendländischen Kulturvölker nicht als
unwiderstehliche Entwicklung zu betrachten sei, sondern durch Einsicht
und Selbstbeherrschung aller Klassen der Bevölkerung und durch frei-
willige Association, unter angemessener Beihilfe des Staates, sich über-
winden lasse, in hohem Grade geeignet, gegenüber den sozialen Gefahren
der Gegenwart unseren Mut zu stärken und uns den rechten Weg zu
weisen.
Breslau. Brie.
Pastor, Willy, Yom Kapitalismus zur Einzelarbeit. Berlin,
Puttkammer und Mühlbrecht, 1892. III und 111 SS.
Alle Schäden und Mifsverhältnisse unserer Gesellschafts- und Wirt-
schaftsordnung entspringen nach Ansicht des Verf. aus dem Kapitalismus.
Eine Umkehr auf dieser verhängnisvollen Bahn ist aber nicht zu er-
streben durch eine sozialistische Organisation unserer ökonomischen Ver-
hältnisse, sondern nur durch die Individualisierung derselben, durch die
Rückkehr zur Einzelarbeit. Darum predigt Pastor die Abwendung von
allen kosmopolitischen und weltwirtschaftlichen Ideen und die Rückkehr
zu nationaler Absonderung und individueller Abschliefsung: Verselbstän-
digung der nationalen Produktion gegenüber der universalen, Verselb-
atändigung der territorialen innerhalb der nationalen und endlich mit
ungeheuerer Ersparung an Kraft und Vereinfachung des Herstell-
ungsprozesses, Verselbständigung der Gemeinden. Das Ziel aller Ent-
wickelung und allen Strebens ist ihm die Konzentration des Wirtschafts-
lebens in der Familie, dem Ausgangspunkt aller sozialen Organbildung.
Die Mittel zur Erreichung dieses Endzweckes bieten die Machtelemente
des Kapitalismus selbst, vornehmlich die grofsartigen Fortschritte der
wirtschaftlichen Technik. Alle einschlägigen Probleme der Organisation
des volkswirtschaftlichen Lebens werden vom Verf. gestreift, aber keines
erschöpfend behandelt. Es fehlt der ganzen Schrift an konkretisierender
Vertiefung.
Augenscheinlich ist der Autor von warmen patriotischen Gefühlen
beseelt und von idealistischer Lebensanschauung durchdrungen. Seinen
Ausführungen, die sich oftmals zu gesucht geistreichen Ape^us zuspitzen
wollen, gebricht es aber an den genügenden, namentlich volkswirtschaft-
lichen Kenntnissen und Erfahrungen. Es könnte ihm sonst nicht unter-
laufen, dafs er, wie auf S. 89 ff., beständig die Epigonenlitteratur der
klassischen Nationalökonomie mit der modernen Wissenschaft verwechselt.
Und überhaupt möge er bedenken, dafs mit einer derartig kursorischen
und feuilletonistisohen Behandlung so tiefgehender Fragen , wie sie hier
aufgerollt werden , nichts wissenschaftlich Ernsthaftes geleistet werden
kann. Will der Verf. dem Leser, sei er Fachmann oder gebildeter Laie,
mehr bieten als eine an Paradoxen reiche Dilettantenarbeit, so bedarf es
vor allem gröfserer Gründlichkeit, sorgfältigerer Sammlung und Durch-
126 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
sichtung eines umfassenderen Thatsachenmaterials. In unserer Zeit ge-
nügen dem wissenschaftlichen Bedürfnisse einige Gemeinplätze und
skizzenhaft hineingeworfene Augenblicksbilder nicht mehr.
Würzburg. Max von Hecke 1.
Schneider, Fr., J. G. Fichte als Sozialpolitiker. Halle a./S., Kaemmerer & C°
1894. gr. 8. IV— 80 SS. M. 1,20.
Schröder, H. (grofsh. badischer OAmtmann a. D.), Wertverteilung und Renten-
theorie. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1894. gr. 8. 146 SS. M. 2,40.
Staatslexikon. Herausgegeben im Auftrage der Görres-Gesellschaft zur Pflege
der Wissenschaft im katholischen Deutschland. Band III. (Grotius bis Oekonomie.) Frei-
burg i/B., Herder, 1894. gr. 8. IV— 1539 SS. M. 15.
Wagner, Adolph, Grundlegung der politischen Oekonomie. 3. wesentlich um-
gearbeitete u. stark erweiterte Aufl. Teil II. Volkswirtschaft und Recht, besonders Ver-
mögensrecht, oder Freiheit und Eigentum in volkswirtschaftlicher Betrachtung, Buch 1 — 3 :
(Einleitung, persönliche Unfreiheit und Freiheit. — Eigentumsordnung, Begründung, Be-
griff des Privateigentums. — Privatkapital, Privatgrundeigentum, Zwangsenteignung.)
Leipzig, C. F. Winter, 1894. gr. 8. XVIII— 564 SS. M. 13.—. (A. u. d. T. : Lehr-
und Handbuch der politischen Oekonomie. In einzelnen selbständigen Abteilungen in Ver-
bindung mit A. Buchenberger, K. Bücher und H. Dietzel bearbeitet und herausgegeben
von Ad. Wagner. I. Hauptabteilung, 3. Aufl. Teil 2, Buch 1—3.)
Audiffrent, G. (ancien eleve de l'Ecole polytechnique), Centenaire de la fondation
de l'Ecole polytechnique. Auguste Comte , sa plus puissante emanation. Notice sur la
vie et sa doctrine. Paris, Ritti, 1894. 8. H — 264 pag. fr. 5.
Guillemenot, P. (l'abbe, chanoine honoraire), Le juste salaire, ou un appel ä
l'opinion. Echo d'une Conference ä la Societe" d'^conomie politique et ä Nevers. Nevers,
impr. Valliere 1894. in-18. 36 pag.
üommons, J. R., Social reform and the church ; with an introduction by R. T.
Ely. New York, Crowell & C°, 1894. 16. X— 176 pp., cloth. £ 0,75. (Contents: The
Christian minister and sociology. — The church and the problem of poverty. — The
educated man in politics. — The church and political reforms. — Temperance reform. —
Municipal monopolies. — Proportional representation. — )
Dictionary of national biography. Edited by Sidney Lee. Vol. XXXVIII: Mil-
man-More. London, Smith, Eider & C°, 1894. Roy -8. VI— 455 pp. 15/.—.
Macvane, S. M., Austrian theory of value. Philadelphia, American Academy of
political and social science, 1894. 8. 41 pp. $ 0,25. (Publications of the Society ;
N° 104.) [Eine Bekämpfung der Wieserschen Werttheorie.]
Simcox, E. J., Primitive civilisation ; or, outlines of the history of ownership in
Archaic communities. 2 vols. London, Swan Sonnenschein, 1894. 8- 1132 pp. 32/. — .
B i a n c o , P., La filosofia del diritto in Germania. Salerno, tip fratelli Jovane,
1893. 8. 158 pp. (Contiene: Lariforma e il diritto naturale sino a Grozio. — Pufen-
dorf. — Thomasius. — Leibnitz. — Wolff. — Kant. — Fichte. — Krause. — Hegel. —
Schleiermacher. — Herbart, Geyer ; etica e filosofia del diritto. — L'indirizzo teologico
e la scuola storica del diritto ; F. G. Stahl. — Trendelenburg. — L'etica del positivismo
e la filosofia del diritto ; Feuerbach ; Knapp. — Lasson. — II pessimismo e i pricipi del
diritto.)
Cencelli, A., II socialismo e la costituzione della proprieta; demani e terre incolte.
Roma, tip. dell' Unione cooperativa editrice, 1894. 16. 23 pp. (Estr. dalla „Nuova
Rassegna", anno II.)
Drysdale, Ch. R., Het leven en de werken van Thomas Robert Malthus. Uit
het Engelsch vert., onder toezicht van J. Schoondermark jr. Amsterdam, Moransard, 1894.
8. VIII— 159 blz. fl. 1,30.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
The industries of Eussia. Yol. I und II. Manufactures and
Trade with a general industrial map by the Department of Trade and
Manufuctures Ministry of Finance. St. Petersburg 1893. gr. 8°. XIV,
Ueberiicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 127
LIV, 576 pag. — Vol. III. Agriculture and Forestry with coloured maps
by the Department of Agricultural Ministry of Crown Domains. St.
Petersburg 1893. gr. 8°. XXXII, 487 pag. — Vol. IV. Mining and
Metallurgy with a set of mining maps by A. Keppen, mining engineer.
St. Petersburg 1893. gr. 8°. IX, 97 pag. — Vol. V. Siberia and the
great Siberian Railway with a general map by the Department of Trade
and Manufactures Ministry of Finance. St. Petersburg 1893. gr. 8°.
265 pag.
Dieses hervorragende, splendid ausgestattete Werk, das aus Veran-
lassung der Columbischen Weltausstellung im Auftrage der Regierung
entstanden ist, will ein vollständiges Bild des russischen Wirtschaftslebens
in seinen äufseren Erscheinungen geben. Es nimmt unter den Gelegen-
heitspublikationen ähnlicher Art ohne Zweifel eine prominente Stellung
ein. Der Westeuropäer wird das Werk mit lebhafter Freude begrüfsen,
weil es die erste offizielle und ausführliche Beschreibung des wirtschaft-
lichen Rufslands in einer möglichen, civilisierten Sprache bringt.
Das Werk besteht aus einer Reihe von Monogrophien, die aus der
Feder bedeutender Fachleute herstammen und mit dem gesamten vor-
handenen amtlichen Zahlenmaterial befruchtet sind. Dafs bei dem Stande
der russischen Statistik alle ziffermäfsigen Angaben nur einen Annähe-
rungswert haben können, ist selbstverständlich, benimmt ihnen aber
durchaus nicht jeden Wert. Die industrielle Geographie und Geschichte
kann mit solchen approximativen Werten recht wohl zu wissenswerten
Ergebnissen gelangen. Kommt dann die textliche Beschreibung und
graphische Illustration hinzu, so können wir uns, auch auf Grund recht
dürftigen Zahlenmaterials, ein immerhin erträglich deutliches und rich-
tiges Bild von der Gestaltung des Wirtschaftslebens eines Landes in
grofsen Zügen machen : Aufschlufs über den Standort der Produktions-
zweige, ihre quantitative Bedeutung, ihre Entwickelung, ihre natürlichen
und wirtschaftlichen Bedingungen, ihre technischen und ökonomischen
markanten Eigentümlichkeiten, darüber vermag uns ein Werk wie das
vorliegende sehr wohl Aufschlufs zu geben. Die methodische Schulung
wird den Eingeweihten vor allzuweit gehenden Schlüssen aus dem mit-
geteilten Materiale bewahren müssen.
Aus dem Inhalte der stattlichen 5 Bände hier Mitteilungen machen
zu wollen, hiefse die Aufgabe einer Bücheranzeige verkennen. Willkür-
lich einige Angaben herauszugreifen , hat wenig Zweok. Um aber das
überreiche Material zu verarbeiten, ja nur systematisch zu besprechen,
würde es des Raumes eines umfangreichen Aufsatzes bedürfen. Zur
Orientierung gebe ich hier nur noch eine summarische Inhaltsübersicht.
Jeder Band beginnt mit einer Einleitung, in der ein Abrifs der geschicht-
lichen Entwickelung je des betreffenden Zweiges der Volkswirtschaft
enthalten ist; naturgemäfs sehr dürftig. Dann behandeln der erste und
zweite Band zunächst die wichtigsten Gewerbe monographisch. Professor
Langovoy hat die Baumwollindustrie (S. 1 — 21), die Flachs-, Hanf- und
Juteindustrie (S. 22—37), die Wollenindustrie (S. 38 — 57) und die
Seidenindustrie (S. 58 — 65) bearbeitet; je ein Fachmann hat die Papier-
128 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
und Lederindustrie (S. 66 — 108), die Holzindustrie (S. 109—125), die
Metallindustrie (S. 126 — 176), die Maschinenindustrie (S. 177—187), die
Glas-, keramische und Cementindustrie (S. 188 — 224, 269 — 280), die
chemische und Naphtaindustrie (S. 225—238, 248 — 268), die Streichholz-,
Zucker- und Spritindustrie (S. 239—247, 281 — 302, 303 — 347), die
Tabakindustrie (S. 303 — 347), die Nahrungsmittelindustrie (S. 348—365),
den Schiffbau (S. 366—395) und endlich den Wagenbau (S. 396 — 404)
zur Bearbeitung übernommen. Die Monographien sind, soweit angängig,
nach demselben Schema angefertigt; sie enthalten aufser einem histo-
rischen Rückblick Angaben über die Menge der verbrauchten Rohstoffe
und der erzeugten Fabrikate, über die Zahl der Betriebe, über den
Charakter der Arbeitsmittel, die Produktionskosten (Preis der Arbeit,
Durchchnittslohnangaben), über Import und Export. Eine Reihe von
Kapiteln sodann ist in diesen Bänden der Behandlung besonders interessan-
ter Materien gewidmet. Wir begegnen einer Darstellung des russischen
Zollwesens, der Entwickelung des inländischen und auswärtigen Handels,
endlich auch zwei Aufsätzen über Arbeiterverhältnisse (Arbeitszeit und
Arbeitslöhne, S. 514 — 538), die beide aus der Feder des Generalfabrik-
inspektors stammen. Dafs es sich hier auch nur um ganz summarische
Mitteilungen handeln kann, geht schon aus der Thatsache des geringen
Umfangee der Arbeiten hervor.
Einen naturgemäfs verschiedenen Charakter hat der dritte Band, der
die Land- und Forstwirtschaft darstellen soll. Der Inhalt konnte hier
bei der Homogenität des Stoffes einheitlicher und systematischer geordnet
werden. So behandeln zunächst mehrere Kapitel, die auch wieder ver-
schiedene Autoren zu Verfassern haben, der Reihe nach: das Klima, den
Boden, die ländliche Bevölkerung und das Grundeigentum, die Ackerbau-
systeme, die Ackerbaumethoden (S. 1 — 92). Dann folgen Monographien
über die Brotstoffe, den Getreidehandel, „andere" Bodenprodukte, und die
Viehzucht. Daran schliefsen sich zum Teil sehr lesenswerte Abhandlungen
über die volkswirtschaftliche Seite des Agrarwesens, über Maschinen in
der Landwirtschaft, über landwirtschaftliche Schulen, über den landwirt-
schaftlichen Kredit, über bäuerliche Gewerbe, landwirtschaftliche Ver-
waltung und anderes mehr. Eine Hauptzierde dieses Bandes sind aber
die zahlreichen, ausgezeichneten graphischen Darstellungen, die für
sich allein schon ein sehr instruktives Bild von der äufseren Gestaltung der
agrarischen Zustände in Rufsland geben. Sie zählen nach vielen
Dutzenden.
Der Inhalt des 4. und 5. Bandes ergiebt sich aus dem Titel. Es
sind darin einmal der Bergbau und das Hüttenwesen, sodann Sibirien
monographisch behandelt, letzteres unter besonderem Hinblick auf die
grofse sibirische Eisenbahn.
In Summa: ein 6ehr gehaltvolles Werk, das für jeden, der der
russischen Sprache nicht mächtig ist, eine der wichtigsten Quellen bildet
zur Orientierung über das Wirtschaftsleben des grofsen russischen
Reiches.
Breslau. W. Sombart.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 129
Wutke K., Die Versorgung Schlesiens mit Salz 1772 — 1790. Ber-
lin, J. A. Stargardt, 1894. VI und 135 SS.
Die auf Materialien des Breslauer und Magdeburger Staatsarchivs
beruhende Schrift liefert einen interessanten Beitrag zur Geschichte der
preufsischen Verwaltung in den letzten Zeiten Friedrichs des Grofsen,
der Absperrung der Provinzen gegen einander in handelspolitischer Be-
ziehung, der auf Erzielung möglichst grofser Ueberschüsse berechneten
Eigenwirtschaft der einzelnen Behörden. Nach dem siebenjährigen Kriege
durch Einrichtung der kursächsischen Salinenwerke in Dürrenberg ihres
rlauptabsatzes beraubt bestürmten die Pfännerschaften von Halle und
Grofsen Salze die Begierung um Abnahme ihrer Produkte. Die durch
einen Brand im Salzwerke von Wieliczka fälschlich hervorgerufene Vor-
stellung von dessen verminderter Leistungsfähigkeit liefs Schlesien als
geeignetes Absatzgebiet für anderes Salz ercheinen. Allein dem stellte
sich das hartnäckige Streben des schlesischen Ministers v. Hoym ent-
gegen, das sächsische Salz nur zu einem möglichst geringen Preise an-
nehmen zu wollen. Auch der von dem grofsen König angeregte Plan,
das zum Lecken für das Vieh benutzte polnische Steinsalz durch ein
von den bedrängten Pfännerschaften hergestelltes Kunstprodukt zu ver-
drängen, scheiterte an dessen schlechter Beschaffenheit. Einen Versuch
der Seehandlung, durch Einführung englischen Steinsalzes nicht nur
Schlesien von Wieliczka unabhängig , sondern diesem in Polen selbst
Konkurrenz zu machen, vereitelte neben der Abneigung des Publikums
gegen die Neuerung die Ueberschwemmung der Provinz mit polnischem
Steinsalz seitens eines interessierten Privatmannes, der Friedrich Wil-
helms IL Wohlwollen für sich auszubeuten verstand.
Magdeburg. G. Liebe.
Blumenstock, A. H., Entstehung des deutschen Immobiliareigentums. Band I:
Grundlagen. Innsbruck, Wagnersche Universitätsbhdl. , 1894. gr. 8. VIII — 375 SS.
M. 7,20. (Inhalt : Die ältesten gallo-römischen Bodenrechtsverhältnisse. — Die ältesten
salfränkischen Bodenrechtsverhältnisse. — )
Schoost, O. (Pastor), Vierlanden. Beschreibung des Landes und seiner Sitten.
Hamburg, Jürgensen & Becker, 1894. gr. 8. 51 SS. mit 17 Abbildungen. M. 1,20.
Pfeiffer, F. B, Volkswirtschaftliches Jahrbuch des Königreichs Serbien. 2 Teile.
Berlin, H. Walther, 1894. gr. 8. VIII— 183 u. 77 SS. M. 6.—. (Inhalt. Teil I:
Handels- und Volkswirtschaftsgesetzgebung ; Ein- und Ausfuhrhandel Serbiens. — Zur
Geschichte und Lage der Finanzen Serbiens. — Einiges über den serbischen Bergbau. —
Stand der Landwirtschaft in Serbien. — Teil II: Volkswirtschaftlicher Handelsvertrag
vom 9. August bis 25. Juli 1892 zwischen Serbien und Oesterreich-Ungarn. — )
Schauenburg, M., Reisenotizen eines Chicagoreisenden. Lahr, Schauenburg, 1893.
kl. 8. 188 SS. M. 2.—.
Tuma, A. (k. u. k. Generalmajor), Serbien. Hannover, Helwing, 1894. gr. 8. VH —
308 SS. M. 6. — . (Aus dem Inhalte : Regierung und Verfassung. — Innere Verwaltung. —
Oeffentlicher Unterricht und geistige Kultur. — Wirtschaftliche Verhältnisse : Bodenkultur
Bergbau, Industrie, Handel und Mittel des Verkehrs. — Oeffentliche Gesundheitspflege
— Finanzverwaltung. — )
Baumont, H., Etudes sur le regne de Leopold, Duc de Borraine et de Bar (1697
—1729). Paris, Berger-Levrault & O, 1894 gr. in-8. XII— 638 pag. fr. 7,50. (Extrait,
de sommaire: Les finances de Leopold [pp. 389 ä 460]. — Gouvernement de Leopold
[pp. 461 ä 517]. — Population, agriculture, industrie, commerce [pp. 556 ä 609].)
Loonen, Ch., Le Japon moderne. Paris, Plön, 1894. in-18 Jesus. 326 pag.
Dritte Folge Bd. VIII (LXI1I). 9
130 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
avec 35 gravures d'apres des photographies japonaises. fr. 4. — . (Table des matieres :
Le Pacifique. — Yokohama. — Tokio. — La Tokaida. — Les manufactures. — La
campagne et la culture. — Les institutions et l'industrie. — Politique : La Situation des
Prangers. Les douanes. Les tribunaux. — etc.)
de Preville, A., Les societes Africaines, leur origine, leur evolutioD, leur avenir.
Paris, Firmin-Didot & Cie , 1894. XIII — 345 pag. fr. 3,50. (Table des matieres: La
zone des döserts du Nord : Regions des pasteurs cavaliers ; chameliers ; chevriers ; vachers ;
les oasis. — La zone montagneuse de l'Est : Les petits plateaux herbus ; les terres basses
voisines des petits plateaux herbus. — La zone des deserts du Sud: Les savanes; les
steppes pauvres ; les territoires de chasse. — Les Boers de l'Afrique Australe : Les Boers
et les Hottentots ; les Boers et les Cafres ; les Anglais et les Boers. — La zone äquato-
riale du Centre : La chasse : (influenae de la chasse sur la famille , les religions chez les
negres) ; la region du Manioc ; la region des forets et de la banane ; la region de l'eleusine.
— La region du dourah et les pasteurs et cultivateurs du Nil-Blanc. — L'origine pre-
miere des races Africaines. — Les conditions de regeneration sociale de la race noire.
Rapports entre les noirs et les blancs ; les colonies ä base agricole en Afrique ; la question
de l'abolition de la traite est au fond celle du relevement social de negres. — )
Boothby, Guy, On the wallaby ; or, through the East and across Australia.
London, Longmans, Green, & C°, 1894. 8. 362 pp. with 8 plates and 85 illustrations.
18/. — . (Contents: Descriptions of Ceylon, Penang, Singapore, British Borneo, Batavia,
etc. — Description of the town of Cairns, the centre of the sugar-growing industry in
North Queensland. — The question of sugar and rice cultivation, and the employment
of the Kanakas on the plantattons. — Description of Townsville , the probable capital
of the new province of Northern Queensland. — etc. ,,On the wallaby" ist eine Austra-
lianisme und bedeutet „auf der Wanderschaft".)
3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung und Kolonisation.
Lent, K., Tagebuchberichte der Kilimandjarostation Heft 4 für Oktober 1893. Ber-
lin, Heymann, 1894. gr. 8. 36 SS. M. 1. — . (Herausgegeben von der Deutschen Kolo-
nialgesellschaft.)
Schroft, K., Die österr. -ungarische überseeische Kulturarbeit und Auswanderung.
Ein patriotisches Mahnwort. Wien, Konegen, 1894. 8. 56 SS. M. 1. — .
Regime (le) coinmercial des colonies trancaises. Paris, Challamel, 1894. 8. 130 pag.
(Publications de l'Union coloniale francaise, n° 3, avril 1894.)
Annual report (LV'h) of the Registrar-General of births, deaths, and marriages in
England (1892). London, printed by Eyre & Spottiswoode, 1894. gr. in-8. LXXVI1I —
230 pp. (Parliam. paper by command of Her Majesty.)
Newsholme, A., The elements of vital statistics. 3d edition. London, Swan
Sonnenschein, 1892. 8. XXIV — 326 pp., cloth. 7/.6. (Contents: Registration of sickness.
— Male and female mortality at different ages. — Influence of climate and social con-
ditions on mortality. — Density of population and mortality. — Effect of occupation Ou
mortality. — Life tables. — The duration of life. — The decline in the English death-
rate and its causes. — Statistical fallacies. — etc.
Macola, Ferruccio, L'Europa alla conquista dell' America latina. Venezia, F.
Ongania edit., 1894. 8. VIII — 437 pp. 1. 4. — . (Contiene : Un carico di emigranti. —
II Brasile. — L'Europa alla conquista dell' America latina.)
Carrasso, G., La provincia de Santa-Fe, su colonizacion agricola. Buenos Aires,
1894. 12. 96 pp. (Noticias ütiles para los trabajadores , immigrantes y capitalistas.
Sumario: Aspecto general. Division y poblacion. — Colonizacion. — Agricultura. —
Exportacion y comercio. — Industrias y datos importantes. — Inmigracion. — Medios^
de comunicacion y trasporte. — )
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Frankenstein, Kuno, Die Arbeiterfrage in der deutschen Land-
wirtschaft. Mit besonderer Berücksichtigung der Erhebungen des Vereins
für Sozialpolitik über die Lage der Landarbeiter. Berlin 1893. 8°. 326 SS-
Wie schon der Nebentitel andeutet, so enthält das Buch eine zusammen-
gedrängte Darstellung der Resultate, welche sich aus den vom Verein für
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. J31
Sozialpolitik veranstalteten und in Bd. 53, 54, 55 seiner Schriften ver-
öffentlichten Erhebungen über die Lage der Landarbeiter im Deutschen
Reiche ergeben. Dabei hat der Verfasser in ausgiebigerer Weise, als es
in der Publikation des Vereins für Sozialpolitik geschehen ist, die im
Jahre 1873 vom Kongrefs deutscher Landwirte vorgenommene Enquete
über den nämlichen Gegenstand zum Vergleich herangezogen.
Des besseren Ueberblicks wegen teilt der Verf. das Deutsche Reich
je nach der verschiedenartigen Gestaltung der ländlichen Arbeiterverhält-
nisse in 5 Gebiete: 1) obstelbisches Deutschland; 2) Nordwestdeutschland;
3) Mitteldeutschland; 4) "Westdeutschland; 5) Süddeutschland (Bayern,
"Württemberg, Hohenzollern, Baden, südl. Grofsherzogtum Hessen, Elsafs-
Lothringen). Gegen 1 u. 2 läfst sich nichts einwenden. In 3 bis 5 wird aber
Zusammengehöriges auseinander gerissen, Verschiedenartiges zusammen-
gebracht. Die Arbeiterverhältnisse im gesamten mittleren und südwest-
lichen Deutschland sind wesentlich ähnlicher Natur, während die im süd-
östlichen Deutschland (Altbayern) einen ganz anderen Charakter aufweisen.
Bei eingehenderer Behandlung des Gegenstandes würde dies dem Verf.
auch nicht entgangen sein. Der Schwerpunkt seiner Darstellung liegt in
der Schilderung derjenigen Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen,
welche sich in festen Zahlen oder Thatsachen zusammenfassen lassen, z. B.
Höhe des Lohnes, Art der Löhnung, Dauer der Arbeitszeit, Mengever-
hältnis der einzelnen Klassen ländlicher Arbeiter. "Wer über diese und
ähnliche Punkte einen Ueberblick gewinnen will, findet in dem Buche
von Fr. ein brauchbares Hilfsmittel. Bei der grofsen Unkenntnis, die in
nicht landwirtschaftlichen Kreisen über die Lage der Landarbeiter herrscht,
ist seine Lektüre allen zu empfehlen , denen es an Zeit oder Neigung
fehlt, die umfangreichen Publikationen des Vereins für Sozialpolitik durch-
zulesen.
Eine systematisch-kritische Darstellung der ländlichen Arbeiterverhält-
nisse liefert der Verf. allerdings nicht. Es lag dies auch wohl kaum in
seiner Absicht. Hierzu würde auf Grund des vorliegenden Materials auch
nur jemand befähigt sein, der die thatsächlichen Zustände in den hierfür
besonders charakteristischen Gebieten des Deutschen Reiches aus eigener
Anschauung genau kennt. Denn die im übrigen so wertvollen Erhebungen
des Vereins für Sozialpolitik leiden immerhin an dem Mangel, dafs die
gemachten Angaben eine gewisse Einseitigkeit an sich tragen, weil sie
fast lediglich von Arbeitgebern oder diesen nahestehenden Personen
stammen. Vielleicht gewährt die demnächst zu erwartende Veröffent-
lichung der von dem evangelisch-sozialen Kongrefs veranstalteten Er-
hebungen über die Lage der ländlichen Arbeiter eine Abhilfe dieses
Mangels.
Jena. Th. Frhr. von der Goltz.
Animon, O., Die Bedeutung des Bauernstandes für den Staat und die Gesellschaft.
Sozialanthropologische Studie. Preisschrift aus dem Wettbewerb der Zeitschrift ,,Das Land",
Zeitschrift für die sozialen und volkstümlichen Angelegenheiten auf dem Lande. Berlin,
Trowitzsch & Sohn, 1894. gr. 8. 36 SS. M. 0,80.
Anderegg, F. (Prof.), Allgemeine Geschichte der Milchwirtschaft. Zürich, Orell
Füfsli, 1894. gr. 8. 207 SS. mit Abbildungen. M. 3,20.
Bericht über die Verhandlungen der XXII. Versammlung des Deutschen Land-
9*
132 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
wirtschaftsrats vom 5. bis einschl. 8. März 1894. Auf Grund der Sitzungsprotokolle
und der stenographischen Aufzeichnungen erstattet vom Generalsekretär Dr. Traugott
Mueller. Charlottenburg, Druck von A. Gertz, 1894. gr. 8. IV— 494 SS.
v. dem Borne, Max, Süfswasserfischerei. Anleitung für praktische Fischer. Ber-
lin, Parey, 1894. 8. VIII— 157 SS. mit Abbildgn., geb. M. 2,50.
Eberstadt, R., Städtische Bodenfragen. 4 Abhandlungen. Berlin, Heymanns
Verlag, 1894. gr. 8. III— 137 SS. M. 2.—.
Ehrenbaum, Bericht über eine Reise nach den wichtigsten Fischereiplätzen der
Vereinigten Staaten und über die Fischereiabteilung auf der Weltausstellung in Chicago
im Jahre 1893. Berlin 1894. 4. (Beilage zu den „Mitteilungen der Sektion für Küsten-
und Hochseefischerei", Jahrg. 1894.)
F e s c a , M. (Prof.), Beiträge zur Kenntnis der japanischen Landwirtschaft. II. spe-
zieller Teil. Berlin, Parey, 1893. Roy.-8. X— 929 SS. Mit 12 Tafeln. M. 15.—.
(Herausgegeben von der kais. geol. Reichsanstalt. Inhalt : Die Feldgewächse, der Feld-
bau. — Zur wirtschaftlichen Bedeutung der Ernährungsfrüchte. — Baum- und Strauch-
kultur, Seidezucht, Viehzucht. — )
v. Guttenberg, Ad. (Prot., ForstR.), Die Revision des Vermögenstandes in Fidei-
kommifsforsten. Vortrag. Wien, Frick, 1894. gr. 8. 20 SS. M. 1. —
Jahrbuch des schlesischen Forstvereins für 1893. Herausgegeben von Schir-
macher (OForstMstr. u. Präsident des Schlesischen Forstvereins). Breslau , E. Morgen-
stern, 1894. 8. VII — 287 SS. u. Situationsplan der Oberförsterei Halemba, Kreit Katto-
witz. M. 4,50.
Jahresbericht des landwirtschaftlichen Vereins für Rhein preufsen an den Herrn
Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten über die Veränderungen und Fort-
schritte der Landwirtschaft im Vereinsgebiet für das Jahr 1893. Bonn, Buchdruckerei
von C. Georgi, 1894. gr. 8. 146 SS. mit 4 tabellar. Anlagen.
v. Myrbach, F. (Frh. o. ö. Prof., Innsbruck), Die Molkereigenossenschaften in
Oesterreich und deren Besteuerung. Wien, Frick, 1894. Roy.-8. 42 SS. M. 1,20.
(A. u. d. T. : Publikationen des österr. Centralvereins für Milchwirtschaft, Nr. 3.)
v. Oettingen, B. (Landstallmeister), Ueber die Pferdezucht in den Vereinigten
Staaten von Amerika. Berlin, Mittler & Sohn, 1894. gr. 8. VIII — 46 SS. M. 1.—.
Siedel, J. (Molkereiinstruktor des Verbandes der hessischen landwirtschaftlichen
Genossenschaften etc.), Wahrnehmungen auf milchwirtschaftlichem Gebiete in den Ver-
einigten Staaten von Nordamerika und Kanada. Ein Reisebericht. Darmstadt, A. Berg-
sträfser, 1894. gr. 8. X — 207 SS. mit 8 Plänen von Molkereien und 27 Abbildungen.
M. 4.—.
v. Skar'zynski, W., Die Agrarkrisis und die Mittel zu ihrer Abhilfe. Grund-
züge eines agrarpolitischen Programms. Als Referat für die ,, Grundkreditkommission"
des „Bundes der Landwirte" gedruckt und herausgegeben. Berlin, Teige, 1 894. gr. 8.
128 SS. M. 1,50.
VIII. Wanderausstellung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft zu Berlin vom
6. bis 11. Juni 1894. 2 Teile. Berlin, Druck von Gebr. ünger, 1894. 8. XX— 272
u. 355 SS. (Teil I Verzeichnis der ausgestellten Tiere : Teil H Verzeichnis der land-
wirtschaftlichen Erzeugnisse und Hilfsmittel, sowie der landwirtschaftlichen Geräte.)
Weiss, E., Die Sigillarien der preufsischen Steinkohlen- und Rothliegenden-Gebiete.
Teil II. Die Gruppe der Subsigillarien. Nach dem handschriftl. Nachlasse des Verfassers
vollendet von T. Sterzel. Berlin, Schropp, 1893. gr. 8. XVI— 255 SS. mit 13 Text-
figuren und einem Atlas mit 28 Tafeln in Folio. (A. u. d. T. : Abhandlungen der k.
preufs. geologischen Landesanstalt, Neue Folge, Heft 2.)
Yamamoto, T. (Tokio, Japan), Die Rinderzucht Deutschlands, ihre Vergangenheit,
ihr gegenwärtiger Standpunkt und ihre weitere Vervollkommnung. Berlin, Parey, 1894.
gr. 8. VI — 222 SS. M. 5. — . (Von der k. württembergischen Landwirtschaftlichen Aka-
demie Hohenheim gekrönte Preisschrift.)
Annuaire de la brasserie et de la malterie, France, Belgique, Hollande. Ire annee,
1894. Paris, E. Bernard & C»e , 1894. 12. 500 pag. avec figures. fr. 5. — . (Sommaire:
Ire partie: Renseignements techniques : De l'eau, de l'orge, du houblon, du malt, du
mout, de la poix, notes pour la pratique, legislation, documents statistiques, etc. 2e partie :
Liste des brasseurs et malteurs. Ecoles de brasseries.)
Beaudet, Pellet et Raimbert (ingenieurs-chimistes de sucrerie), Traite de la
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 133
fabrication du sucre, de betteraves et de cannes. 2 tomes. Paris, J. Fritscb, 1894. gr.
in-8. avec nombreuses gravures dans le texte, fr. 40. — .
Chancerei, L. (inspecteur-adjoint des forets), L'usufruit des domaines forestiers.
Paris, Cabanon, 1894. 8. 245 pag. fr. 5.—.
de Saporta, A., La vigne et le vin dans le midi de la France. Paris, Bailiiere
& fils, 1894. 16. 206 pag.
Sorel, E. (ancien Ingenieur des manufactures de l'Etat), Rectification de l'alcool.
Paris, G. Masson, 1894. 16. 168 pag. fr. 2,50.
Nisbet, J., Studies in forestry: being a short course of lectures on the principles
of sylviculture, delivered at the botanic garden, Oxford, during the hilary and michaelmas
terms, 1893. London, Clarendon Press, 1894. crown-8. XII— 835 pp. 6/.—. (Con-
tents : The British sylva. — Sylviculture. — Protection of woodlands. — Management
of woodland estates. — Valuation of timbers and utilization of woodland produce. —
Professional chairs of forestry and forestry schools. — etc.)
Pittaluga, A., La questione agraria in Irlanda: studio storico-economico , con
prefazione del prof. G. Toniolo. Roma, E. Loescher & C, 1894. 8. XXI — 370 pp.
1. 6.—.
Nederlandsche visschers-almanak voor 1894. Viaardingen, Dorsman & Ode,
1894. 8. 196 blz. met 2 platen en 1 krt. fl. 0,90.
Carrasco, G., La producciön y el consumo del azügar de la Repüblica Argen-
tina. Buenos Aires, imprenta de J. Peuser, 1894. gr. in-8. 76 pp. y 3 cuadros graficos.
(Indice : Importaciön de azücar. — Valor de la importaciön del azücar. — Superficie
cultivada con cana de azücar. — Producciön del azücar. — Ingeniös azucareros. — Con-
sume del azücar. — Valor del azücar consumido. — La refinerfa del Rosario. — La
Repüblica Argentina en la producciön universal del azücar. — Rendimiento de la cana
de azücar. — Precio del azücar en la Repüblica Argentina comparada con Europa. — )
5. Gewerbe und Industrie.
Achepohl, L. (Obereinfahrer), Das niederrheinisch-westfälische Bergwerksindustrie-
gebiet. Eine Beschreibung aller Bergwerke — Gewerkschaften wie Aktiengesellschaften
— und Bohrgesellschaften , sowie der bedeutenderen Eisen- und Stahlwerke des nieder-
rheinisch-westfälischen Bergwerksindustriegebiets. In geologischer, technischer und finan-
zieller Beziehung bearbeitet. 2. Aufl. Berlin, Verlag der „Industrie", 1894. Lex.-8.
XIII— 418 SS., geb. M. 30.—.
Bericht der Bremischen Gewerbekammer über ihre Thätigkeit in der Zeit von
Anfang Mai 1893 bis dahin 1894, erstattet an den Gewerbekonvent am 28 Mai 1894.
Bremen, Druck von Guthe, 1894. 8. 68 SS.
Bericht der k. k. Gewerbeiuspektoren über ihre Amtsthätigkeit im Jahre 1893.
Wien, k k. Hof- und Staatsdruckerei, 1894. Roy.-8. XIII— 442 SS. M. 4.—.
Cadoret, E. (Ingenieur-Chemiker), Die künstliche Seide. Ihre Geschichte; Ver-
schiedene angewandte Mittel, um einen glänzenden Faden zu erlangen; Ihre industrielle
Fabrikation; Beurteilung der Verfahren; Ihre Zukunft; Arbeiten des Verfassers. Ueber-
setzt von G. Heil. Krefeld, Kramer & Baum (1894). 8. 12 SS. M. 1.—.
Erhebung über Arbeitszeit, Kündigungsfristen und Lehrlingsverhältnisse im Handels-
gewerbe. — Teil II. Berarbeitet im kais. statistischen Amt. Berlin, C. Heymann, 1894.
Folio. IV — 122 SS. Drucksachen der Kommission für Arbeiterstatistik, Erhebungen
Nr. 5.)
Führer durch die Ausstellung der chemischen Industrie Deutschlands auf der
Columbischen Weltausstellung in Chicago 1893. Berlin, Heymann, 1893. gr. 8. X— 115 SS.
M. 1,50.
Grafsmann, J. , Die Entwickelung der Augsburger Industrie im XIX. Jahr-
hundert. Eine gewerbegeschichtliche Studie. Augsburg, Gebr. Reichel, 1894. gr. 8.
VI— 272 SS. M. 6.—.
Jahresbericht des Verbandes der österreichischen Flachs- und Leineninteressenten
in Trautenau. I: 1893; samt Beilage der wichtigsten den Flachsbau und die Leinen-
industrie betreffenden Dokumente. Wien, Deuticke , 1894. hoch-4. XVI — 62 SS.
M. 2.—.
Jahresbericht des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller für das Etats-
jahr 1893—1894. Berlin, im April 1894. gr. 8. 37 SS.
J ahres rund schau über die chemische Industrie und deren wirtschaftliche Ver-
134 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
hältnisse für das Jahr 1893. Ein übersichtlich geordneter Bericht über die Fortschritte
der chemischen Grofs- und Kleinindustrie , etc. Unter Mitwirkung von Fachmännern
herausgegeben von Ad. Bender. 4 Abteilungen. Wien , Hartleben , 1894. gr. 8.
M. 18.—.
Nachweisung der im Deutschen Reiche gesetzlich geschützten Warenzeichen,
herausgegeben im Auftrage des Reichsamts des Innern. Ergänzungsband : 1893. Berlin,
P. Stankiewicz, 1894. Lex.-8. VIII— 214 SS. mit Abbildungen. M. 6. — .
Verzeichnis der von dem kaiserl. Patentamt im Jahre 1893 erteilten Patente.
Berlin, C. Heymanns Verlag, 1894. Imp.-8. IV— 346 SS. M. 13.—. (A. u. d. T. :
Register zu den Auszügen aus den Patentschriften, Jahrg. 1893.)
Wi tt, 0. N. (Prof. der ehem. Technologie, Berlin, techn. Hochschule), Die chemische
Industrie auf der Columbischen Weltausstellung zu Chicago und in den Vereinigten Staaten
von Amerika im Jahre 1893. Bericht dem kgl. preufs. Staatsminister pp. Bosse erstattet.
Berlin, R. Gaertner, 1894. gr. 8. 148 SS., geb M. 5.—.
Bulletin du travail, ville de Bruxelles. Rapport sur les Operations de la bourse
de travail pendant l'exercice 1893/94. Bruxelles, impr. J. Maheu , 1894. gr. in-8.
20 pag. avec 2 diagrammes.
Conseil superieur du travail. Ill^me et IVieme sessions, Decembre 1893 — Janvier
1894. Paris, imprim. nationale, 1894. in-4. 341 pag. (Publication du Ministere du
commerce, de l'industrie, des postes et des telegraphes.)
Martin, C. J. (ingenieur agronome) , L'industrie du gruyere. Chäteauroux, impr.
Langlois & C^e , 1894. 8. 242 pag. fr. 3,50.
Petite industrie, la. Salaires et duree du travail. Tome 1": L'alimentation ä
Paris. Paris, Berger-Levrault & C'e , 1894. 8. 300 pag. fr. 2,50. (Publication de
l'Office du travail.)
Smith, G. Barnett, Leaders of modern industry. Biographical sketches. London,
W. H. Allen & C°, 1894. 8. VI— 477 pp., cloth. 7/.6. (Contents: The Stephensons
— Charles Knight. — Sir George Bums. — Sir Josiah Mason. — The Wedgwoods. —
Thomas Brassey. — The Fairbairns. — Sir William Siemens. — The Rennies. — )
W e b b , Sidney and Beatrice, The history of trade unionism. London, Longmans
Green & C°, 1894. gr. in-8. XVI— 558 pp., cloth. 18/.—. (Contents: The origins of
trade unionism — The struggle for existence (1799 — 1825). — The revolutionary period
(1829—1842). — The new spirit and the new model (1843 — 1860). — The Junta and
their allies (1860 — 1875). — Sectional developments (1863 — 1885). — The old unionism
and the new (1875—1889). — The trade union world (1892—1894). — Map of trade
unionism. — Appendix : On the assumed connection between of trade unions and the
gilds in Dublin ; Sliding scales ; The summons to the rirst trade union Congress ; Distri-
bution of trade unionists in the U. Kingdom ; The progress in membership of particular
trade unions ; List of publications on trade unions and combinations of workmen, prepared
by R. A. Peddie. — )
6. Handel und Verkehr.
Kaufmann, Wilhelm, Die mitteleuropäischen Eisenbahnen und
das internationale öffentliche Recht. Ioternatioualrechtliohe Studien and
Beiträge. Leipzig 1893. Verlag von Dunoker und Humblot.
Das Buch wird eingeleitet durch eine gut geschriebene Parallele über
das internationale Stromrecht und Eisenbahnreoht (S. 1 — 10). Im übri-
gen zerfällt es in einen allgemeinen und einen besonderen Teil.
Die Eisenbahnen werden als internationales Verkehrsmittel behandelt und
zwar unter verschiedenen Gesichtspunkten :
1) Die Herstellung internationaler Eisenbahnanlagen.
2) Das internationale Zusammenwirken der Eisenbahnen bei der
Herstellung der internationalen Anschlüsse und im internationalen
Eisenbahnbetriebe.
3) Das internationale Verhältnis der Eisenbahnen gegenüber dem
Publikum im Hinblick auf die internationalen Transporte.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschland» und des Auslandes J35
4) Die Eisenbahnen als Mittel internationaler Verkehrsgestaltung
zwischen der Bevölkerung verschiedener Länder.
Der Verfasser führt treffend aus, dafs das internationale öffentliche
Eisenbahnrecht der modernen Zeit eine Rechtspflicht des Anschlusses
geschaffen habe, während diese Frage früher lediglich unter den Gesichts-
winkel der Bahninteressen gestellt war. Ja das internationale Recht er-
langte eine Selbständigkeit gegenüber dem „einseitigen diesseitigen und
jenseitigen öffentlichen Interesse". Ich gestehe freilich, dafs ich dieser
sprachlichen Formulierung keinen Geschmack abgewinnen kann. Es wird
ansohaulich geschildert, wie die Staaten dazu kamen, an Stelle privater
Normgebung die Pflicht zur Uebernahme des Trausports zu statuieren,
•den Transportpreis zu bemessen, die Transportbedingungen zu ordnen
u. s. w. Aber auch dies geschah zunächst nur für das interne Rechts-
leben. Erst die internationale Konvention vom 14. Oktbr. 1890 (in Wirk-
samkeit seit 1. Jan. 1893) schuf eine selbständige Ordnung, die sich
über das Territorium von 10 Staaten (fast ganz Europa) erstreckt.
Im zweiten Teile behandelt der Verfasser den Verein deutscher
Eisenbahnverwaltungen (unter A, dem aber kein B folgt) von den ver-
schiedensten Gesichtspunkten aus. Wohl noch nirgends sind dieser prak-
tisch so wichtigen Schöpfung so aufserordentlich eingehende Betrachtungen
gewidmet worden wie hier.
Wenn ich ein resümierendes Urteil abgeben soll, so könnte ich nicht
«agen, dafs mich das Buch vollständig befriedigt hätte. Ich habe
vom Verfasser eine sehr gute Meinung, weil ich sein erstes Werk (Das
internationale Recht der egyptischen Staatsschuld, Berlin 1891) genau
kenne. Schon der Titel des vorliegenden Buches ist fragwürdig und ich
gestehe, dafs mir nicht recht klar ist, warum die mitteleuropäischen
Eisenbahnen in das Centrum der Erörterungen gezogen werden. Indessen
■will ich mit dem Verfasser darüber nicht rechten. Dagegen sind mir die
vielen eigentümlichen Wendungen aufgefallen , an denen der Verfasser
freilich seine besondere Freude zu haben scheint : es wird, wie ich schon
andeutete, stets von den „diesseitigen jenseitigen Interessen" u. dergl.
gesprochen. An Klarheit haben dadurch die sonst schon abstrakt ge-
haltenen Ausführungen nicht gewonnen. Von den kühnen Wortbildungen,
wie z. B. „Ingeltungsetzung", „Zurgeltungbringung", will ich gar nicht
reden, da der Mangel ihrer Eleganz zu sehr in die Augen fällt. Viel-
fach werden Perioden historischer Entwickelung erwähnt, aber zeitlich
gar nicht umschrieben.
Trotz dieser kritischen Bemerkungen mufs man der Fortsetzung dieser
„Beiträge", die im Vorwort versprochen ist, mit Interesse entgegensehen.
Der Verfasser schreibt über die Fragen des vorliegenden Gegenstandes in
origineller Weise und er läfst sich dabei durch die bisherige Litteratur
absolut nicht beeinflussen.
Zürich. Prof. M e i 1 i.
Lindley M. Keasbey, Der Nikaragua-Kanal. Geschichte und
Beurteilung des Projekts [Abh. aus dem staatsw. Seminar zu Strafsburg
Heft XI]. Strafsburg, K. J. Trübner, 1893. 109 SS. 8°. Mit 1 K.
Dieser Strafsburger Dissertation ist schon eine am Columbia College
136 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
zu New York eingereichte Promotionsschrift vorhergegangen: „The early
Diplomatie History of the Nicaragua-Canal", die ebenso wie die vor-
liegende Untersuchung die Vorgeschichte des ganzen Unternehmens vom
Standpunkt eines Amerikaners aus, aber doch mit so reichlichen den Akten
entnommenen Daten behandelt, dafs der Meinung des Lesers nicht unbe-
dingt vorgegriffen wird. In dieser quellenmäfsigen historischen Darstellung
liegt auch der Hauptwert dieser Arbeit. Ueber Natur und Geschichte
Nikaraguas kann man sich anderwärts ausgiebiger unterrichten. Auch
über den gegenwärtigen Stand der vorläufig wieder ruhenden Arbeiten
und die Einzelheiten des Projekts bietet Polakowskys Schrift „Panama-
oder Nikaragua-Kanal" (Leipzig 1893) ihrem ganzen Plane nach mehr. Die
Erwägungen über den Verkehr, der auf die neue Koute übergehen könnte,
halten sich vorsichtig fern von allzu speziellen Angaben.
Breslau. J. Partsch.
Bericht, XLIV., über Industrie und Handel des Stadt- und Landratsamtsbezirkes
Gera, im Jahre 1893 erstattet von der Handelskammer zu Gera. Gera, Buchdruckerei
von G. Leutzsch, 1894. gr. 8. IV— 72 SS.
Bericht der Handelskammer zu Insterburg für das Jahr 1893. Insterburg, Druck
von C. K. Wilhelmi, 1894. gr. 8. 25 SS.
Jahresbericht, XXIV., der Direktion der Lübeck-Büchener Eisenbahngesellschaft
für das Jabr 1893. Lübeck, Druck von Gebrüder Borchers, 1893. 4. 12 SS. Text
nebst statistischen Anlagen A — P.
Bericht über Handel und Schiffahrt zu Memel für das Jahr 1893. Memel,£ge-
druckt bei F. W. Siebert, 1894. gr. 8. 67 SS.
Bericht, wirtschaftlicher, der Handels- und Gewerbekammer für Niederbayern,
1893. Passau, Kepplersche Buchdruckerei, 1894. 8. 130 SS.
Handel und Schiffahrt Königsbergs i. Pr. im Jahre 1893. Bericht des Vorsteher-
amtes der Kaufmannschaft zu Königsberg i. Pr. Königsberg, Hartungsche Buchdruckerei,
1894. gr. 8. VIII— 152 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Hagen (Land- und Stadtkreis Hagen und
Kreis Schwelm) für 1893. Hagen i./W., Druck von H. Rissel & C° , 1894. Folio.
26 SS. mit 3 tabellarischen Beilagen in Imp.-Folio.
Jahresbericht der Handelskammer zu Dillenburg für 1893. Dillenburg, Druck
der E. Weidenbach'schen Buchdruckerei, 1894. 8. 41 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Harburg für 1893. Harburg, Druck von
Lühmanns Buchdruckerei, 1894. Folio. 43 SS.
Jahresbericht der Handelskammer des Kreises Landeshut für das Jahr 1893.
Landeshut, Druck von Schimoneck, 1894. Folio. 22 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für den Kreis Mannheim für das Jahr 1893.
Teil II. Mannheim, Verlag der Kammer, 1894 gr. 8. 31 u. 176 SS. nebst graphischer
Darstellung des Rheinstandes am Pegel bei Mannheim im Jahre 1893.
Jahresbericht der Handelskammer für die Niederlausitz zu Kottbus pro 1893.
Kottbus, Druck von A. Heine, 1894. 8. 68 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Nordhausen für das Jahr 1893. Nord-
hausen, Druck von Th. Müller, 1894. gr. 8. 109 SS.
Jahresbericht über den Handel Rigas im Jahre 1893. Riga, gedruckt in der
Müller'schen Buchdruckerei, 1894. gr. 8. 50 SS. (Veröffentlichung der handelsstatistischen
Sektion des Börsenkomitees.)
Jahresbericht der Handelskammer zu Wiesbaden für 1893. Wiesbaden, Druck
von Bechtold & C°, 1894. 8. 188 SS. mit 2 statistischen Tabellen in gr.-Folio.
Schanz, G. (Prof.), Studien über die bayerischen Wasserstrafsen. IL: Der Douau-
Mainkanal und seine Schicksale. Bamberg, C. C. Buchner, 1894. gr. 8. V — 190 SS.
mit Karte. M. 4,50.
Stettins Handel, Industrie und Schiffahrt im Jahre 1893. Jahresbericht der Kauf-
mannschuft. Stettin, Druck von F. Hessenland, 1894. Folio. IV— 25 u. 68 SS.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 137
Gallois, E., La poste et les moyens de communication des peuples ä trarers les
siecles. Messageries, cbemins de fer , telegraphes, ttU6phones. Paris, Bailiiere & fils,
1894. in-16. 382 pag. avec 136 figures.
Martinenq, B., Guide pratique du jaugeage des navires de commerce et plai-
sance. Paris, Bernard & O, 1894. 4. V11I— 244 pag. et 7 planches. Fr. 20. — .
(Table: Lois, decrets, oidonnances etc. de la Direction generale des douanes sur le
jaugeage des navires. — Application du jaugeage l^gal k des navires pris comme exem-
ples. — Lois, decrets, Instructions etc. concernant la marine marcbande. — )
Jeans, J. Stephen, Trusts, pools and corners as affecting commerce an industry :
an inquiry into the principles and recent Operation of combinations and syndicates to
limit production and increase prices. London, Methuen, 1894. crown-8. Vi — 190 pp.
2/.6. (Social questions of to-day.)
M ort im er, J., Cotton : From field to factory, including a description of the Man-
chester ship canal. Manchester, Palmer & Howe, 1894. crown-8. 2/. 6.
7. Finanzwesen.
Beiträge, kleinere, zur Geschichte von Dozenten der Leipziger Hochschule.
Festschrift zum deutschen Historikertage in Leipzig, Ostern 1894. Leipzig, Duncker &
Humblot, 1894. gr. 8. VI— 253 SS. M. 6.—. (Darin auf S. 123 bis 164: Zwei
mittelalterliche Steuerordnungen, von Karl Bücher.)
Benario, L., Die Stolgebühren nach bayerischem Staatskirchenrecht. München,
Beck, 1894. gr. 8. VI— 168 SS., kart. M. 2,50. (Preisgekrönt von der Juristen-
fakultät Würzburg.)
Fuisting, B. (GOFinR.), Die geschichtliche Entwickelung des preufsischen Steuer-
systems und systematische Darstellung der Einkommensteuer. Berlin, Heimann, 1894.
gr. 8. IV — 100 SS. M. 2. (Aus Fuistings „Kommentar zum Einkommensteuergesetz",
2. Aufl.)
Schmitz, O., Die Finanzen Mexikos. Nach den neuesten amtlichen und sonstigen
Quellen. Leipzig, Duncker & Humblot, 1894. gr. 8. XII— 224 SS. M. 4,80. (A. u.
d. T. : Exotische Werte. Uebersichtliche Darstellung der Finanzlage, sowie der Handels-
und Wirtschaftsverhältnisse derjenigen fremden Staaten, deren Anleihen an den deutschen
Börsen gehandelt werden, Bd. I.)
Sonntag, L., Das Börsensteuergesetz (Reichsstempelgesetz vom 27. 4. 1894.) Für
den praktischen Gebrauch erläutert. Breslau, Kern, 1894. 8. 100 SS., kart. M. 1,80.
Annuario dei ministeri delle finanze e del tesoro del regno d'Italia. Anno XXXIII.
Roma, tip. Elzeviriana, 1894. 8. 580 pp.
Brazza (Di) G., L'imposta fondiaria e l'ammortamento del consolidato per mezzo
di semplificazioni amministrative. Udine, tip. del Patronato, 1894. 8. 16 pp.
Bruschetti, V., Sul modo di restaurare le finanze italiane: pensieri e proposte.
Roma, tip. di G. Ciotola, 1894. 8. 22 pp.
Pierantoni, A., I decreti registrati con riserva e il pagamento dei dazi doganali
d'importazione in valuta metallica. Roma, tip. dell' Unione cooperativa editrice, 1894.
16. 36 pp.
8. Geld-, Bank-, Kredit- and Versicherungswesen.
Bericht des eidgenössischen Versicherungsamts über die privaten Versicherungs-
unternehmungen in der Schweiz im Jahre 1892. Veröffentlicht auf Beschlufs des schweize-
rischen Bundesrates vom 25. Mai 1894. Bern, Schmid, Francke & C°, 1894. gr. 4.
CXIII— 129 SS.
v. Festenberg-Packisch, H., Betrachtungen und Vorschläge betreffs Reorgani-
sation der sozialpolitischen Gesetzgebung des Deutschen Reiches. Berlin, Luckhardt,
1894. gr. 8. 54 SS. M. 1. — . (Inhalt: Das Krankenkassengesetz. — Das Unfallver-
sicherungsgesetz. — Das Invaliditäts- und Altersversicherungsgesetz. — Vorschläge in
Betreff einer zweckmäfsigen Organisation der Arbeiterversicherung. — )
v. Graffenried, C. W. (Generaldirektor der Eidg. Bank in Bern), Die schweize-
rische Staatsbank. Eine volkswirtschaftliche Skizze. Bern , Schmid , Francke & Cie ,
1894. gr. 8. 66 SS. M. 1,25.
Jastrow, J, (Privatdoz., Berlin), Der Börsenstempel. Ein Wegweiser durch das
Reichsstempelgesetz für Bankiers, Kaufleute und Privatkapitalisten. Leipzig, Hirschfeld,
1894. 12. 88 SS. M. 1.—,
138 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
v. Koerber, A., Reform der Boden Verschuldung. Eine volkswirtschaftliche Studie
Berlin, Gergonne & C°, 1894. 8. 37 SS. M. 0,60.
P ar i si u s , L., Dr. Louis Glackemeyer in Hannover und sein Kampf gegen die Organi-
sation und die Grundlehren von Schulze-Delitzsch. Nach Dr. Glackemeyers Schriften und
Aufsätzen im Lichte der Wahrheit dargestellt. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen
Genossenschaftsbewegung. Berlin, J. Guttentag, 1894. gr. 8. III— 137 SS. M. 1,80.
Sächsischen Aktiengesellschaften, die, und die an sächsischen Börsen kurs-
habenden auswärtigen Industriewerte. Jahrbuch der Dresdener, Leipziger und Zwickauer
Börse. Herausgegeben von Richard Börner. 5. Aufl. (für 1893/94). Dresden, Selbst-
verlag des Verfassers, 1893. gr. 8. IX— 337 SS., geb. M. 7,50.
Raffalovich, A., Le marche financier en 1893 — 1894. Paris, Guillaumin & Cie,
1894. gr. in-8. XXI — 473 pag. fr. 6. — . (Table des matieres: Importance de la
question monetaire. — Le marche de Paris. — Le marchö de Londres. — Le marche
de Berlin. — Le marche d'Autriche-Hongrie. — Le marche italien. — Le marche russe.
— Le marche de l'Espagne. — Chemins Portugais. — Le marche de Grece. — Le
marche de New York. — La crise en Australie. — Metaux precieux et questions mone-
taires — etc.)
Rochetin, E., La caisse nationale de prevoyance ouvriere et l'intervention de
l'Etat. Paris, Guillaumin & 0 , 1894. in-18 Jesus. VIII— 244 pag. fr. 3,50. (Table
des matieres : I. Historique et expose1 du principe mutuel : Le passe du Systeme mutuel.
Le Systeme mutuel, dans les temps pr^sents. L'avenir du principe mutuel base sur la
prime pure. — II. Examen du projet de la Commission : Les el^ments contributifs aux
charges des Operations. La caisse nationale ouvriere de pre>oyance. Les difficultes
d'application. — III. Plan de l'organisation propos^e : La caisse nationale de prevoyance.
Analyse des deux projets en presence. Les Operations d'assurances en cas de deces et
de rentes viageres. — IV. Les resultats probables. — Annexes: Projet de loi. Statuts
de l'Association nationale d'assurances en cas de d^ces. Tarifs comparatifs des compagnies
d'assurances sur la vie. Elements composant la prime naturelle de l'Association d'assu-
rances en cas de deces. — )
Thellier de Poncheville (avocat), Note sur la transformation des societes
civiles en societes anonymes ou en commandite par actions. Paris, Chaix, 1894. 8.
16 pag.
Annual report, XXIVth , of the Deputy Master of the mint, 1893. London, printed
by Darling & Son , 1894. gr. in-8. 132 pp. /0,6 J/a (Parliament. paper by com-
mand )
B r o u g h , W. , The natural law of money : the succesive steps in the growth of
money traced from the days of barter to the introduction of the modern clearing-house,
and monetary principles examined in their relation to past and present legislation.
New York, Butuam's Sons, 1894. 12. V — 168 pp., cloth. $ 1. — . (Contents: The
beginning of money. — Bi-metallism and mono-metallism. — Paper money and banking.
— Paper money in colonial times. — Monetary system in Canada as contrasted with
that of the United States. — Money, capital and interest. — Mandatory money and free
money. — The hoarding panic of July 1893. — )
George, E. Manson, The silver and indian currency questions. Treated in a
practical manner. London, E. Wilson & C°, 1894. 8. 65 pp. 1/.3.
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Organization and managemeut of national banks. Washington, Government Printing
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N a ti o n al -Bank Act, the, and other laws relating to national banks from the
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Government Printing Office, 1892. gr. in-8. 127 pp.
Root, J. W., Silver up to date : a populär work on the silver question. London,
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Walker, J. H. , Money, trade, and banking. New edition. Boston, Houghton,
Mifflin & C°, 1894 16. cloth. $ 0,50.
Onen TocyÄapcTBeHHaro 6aHKa no cöeperaTe^BHiiMi. Kaccaivtx 3a 1891 ro/n.
C.-IIeTepöypr'L, 1892. Folio, 37, 19, 61 pp. (Bericht der kais. russischen Reichsbank
über die von ihr verwalteten städtischen Sparkassen des europ. Rufslands im Jahre 1891.)
St. Petersburg, Druck der Reichsbank, mit 3 Kartographien in Imper. -Folio.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 139
Biancoli, C. , II monopolio delle assicurazioni e l'assicurazione obbligatoria.
Bologna, soc. tip. giä Compositori, 1894. 8. 36 pp.
9. Soziale Frage.
Schriften d er Zen tr al s t e 1 1 e für Arb e i ter- Wo hl f ah r ts-
ein ri cht ungen. Nr. 1. Die Verbesserung der Wohnungen. Nr. 2.
Zweckmäfsige Verwendung der Sonntags- und Feierzeit. Nr. 3. Spar-
und Bauvereine in Hannover, Göttingen und Berlin. Nr. 4. Hilfs- und
Unterstützungskassen. Fürsorge für Kinder und Jugendliche. Berlin,
Carl Heymauns Verlag, 1892 und 1893. gr. 8°. VI und 370 SS. 94 SS.
IV und 118 SS. XII und 178 SS.
Die Zentralstelle für Arbeiter- Wohlfahrtseiurichtungen, gegründet im
November 1891, hat ihrem Statut gemäfs den Zweck, eine Sammelstelle
der auf Schaffung von Wohlfahrtseinrichtungen für die unbemittelten Volks-
klassen gerichteten Bestrebungen zu werden. Als eines der Mittel zur
Durchführung dieses gemeinnützigen Unternehmens wurde Veranstaltung
periodischer Konferenzen der beteiligten Vereine und Behörden, sowie von
praktisch bewährten Sachkennern in Aussicht genommen, um Erfahrungen
über einzelne in den Thätigkeitskreis der Zentralstelle einschlagende Fragen
auszutauschen. Diese Verhandlungen sollen Besprechungen Sachverständiger
sein, die ihre Ansichten und Erfahrungen sich gegenseitig zugänglich
machen, die durch Beobachten und Vergleichen zu belehren und zu lernen
wünschen und die vor allem anregen wollen, dafs sich neue Kräfte in den
Dienst der Wohlfahrtspflege stellen. In der Zentralstelle für Arbeiter-
Wohlfahrtseinrichtungen sind eine Keihe von Körperschatten und Vereinen
zu gemeinsamer Arbeit zusammengetreten, aus den Kreisen der Industrie,
wie der Landwirtschaft, Arbeitgeber und Arbeitnehmer hat sie als Freunde
ihrer Sache geworben und durch fachmässige Einsicht bewährte, in der
Praxis ausgezeichnete Männer haben es übernommen, über die Entstehung
und die Ergebnisse der von ihnen geschaffenen oder geleiteten Ein-
richtungen Mitteilungen zu machen.
Die Ergebnisse dieser Konferenzen — Referate und Verhandlungen
— beabsichtigt die Leitung in zwanglosen Heften als „Schriften der
Zentralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen" erscheinen zu lassen.
Sie bilden eine Aneinanderreihung von Berichten konkreter Institute übor
deren Beurteilung eine allseitige Diskussion stattgefunden hat. Dabei ist
jedoch vermieden worden, über die Ergebnisse dieser Erörterungen oder
aus denselben abzuleitende Urteile durch Abstimmung der Anwesenden
Beschlüsse zu fassen, da von derartigen Resolutionen, abgesehen von der
Unsicherheit und Zufälligkeit des wechselnden Stimmenverhältnisses, ein
praktischer Nutzen nicht zu erwarten ist und auch dem Zwecke der
Zentralstelle nicht entsprechen würde. Denn diese will lediglich
solche Einrichtungen, welche sich als geeignet erwiesen haben, das leib-
liche und geistige Wohl der unbemittelten Volksklassen zu heben, das
Verhältnis zwischen Arbeitern und Unternehmern zu einem friedlichen
und freundlichen zu gestalten, in weiteren Kreisen bekannt machen und
aufklärend und anregend wirken.
Die erste Konferenz hat am 25. und 26. April 1892 stattgefunden. Der
Verhandlungsgegenstand des ersten Tages war die Frage der Verbesserung
140 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
der Wohnungsverhältnisse der arbeitenden Klassen, welcher das erste der
vier uns vorliegenden Hefte der Vereinsschriften ausfüllt. Der Diskussion
gehen drei gedruckte Abhandlungen voran, welche sich mit den allge-
meinen Grundsätzen der Arbeiterwohnungen beschäftigen. Die erste, von
Stadtrat Fritz Kalle- Wiesbaden verfafst, erörtert im allgemeinen und in
grofsen Zügen das Problem der Fürsorge der Arbeitgeber für die Woh-
nungen ihrer Arbeiter. Seine Darlegungen bewegen sich aber nicht nur
im Bereiche prinzipieller Stellungnahme zum Problem, sondern sie be-
mühen sich auch durch Beibringung des Thatsachenmaterials, durch Be-
lege, durch Schilderung vorhandener Einrichtungen den theoretischen Er-
fordernissen einen festen, positiven Unterbau zu geben. Die zweite Ab-
handlung von Dr. H. Albrech t-Grofslichterfelde sucht einen Ueberblick
über die Mitwirkung der Arbeitnehmer bei der Lösung der Wohnungs-
frage zu geben, indem sie an der Hand der vorhandenen Formen der
Baugenossenschaften und Arbeiterbauvereine in den verschiedenen Ländern
und Städten das Problem historisch-statistisch uud kritisch weiter aufzu-
hellen sucht. Die dritte Vorarbeit zum Verhandlungstag ist mehr bau-
technischeu Charakters. Sie hat den Dozenten an der technischen Hoch-
schule zu Hannover, Christian Nufsbaum, zum Verfasser und verbreitet
sich über die allgemeinen Grundsätze für den Bau und die Einrichtung
von Arbeiterwohnungen. Sie ist aber nicht ausschliefslich theoretischer
Natur, sondern knüpft die Ausführungen an bestehende Einrichtungen der
Arbeiterwohnungen bei einzelnen Fabrikunternehmungen an. Der übrige
Raum des ersten Bandes der Schriften der Zentralstelle für Arbeiter-
Wohlfahrtseinrichtungen ist ausgefüllt mit dem Bericht über den ersten
Versammlungstag und einem Bericht Dr. H. Albrecht's über die Ausstellung
von Plänen von Arbeiterwohnungen.
Die Verhandlungen haben sich streng an zwei, geflissentlich eng be-
grenzte Punkte des ganzen Problems gehalten : Aufgaben der Arbeitgeber
einer- und der Arbeitnehmer andererseits im Bereiche der Wchnungs-
fürsorge. In beiden Richtungen hat die Versammlung keine festen Be-
schlüsse gefasst, sondern hat, wie es der Absicht der Vereinigung ent-
spricht, lediglich die Mitteilungen und Anregungen von Männern, die über
gründliche, praktische Erfahrungen verfügen, auf sich wirken lassen.
Neben der Fürsorge des einzelnen Arbeitgebers oder der in Form von
Aktiengesellschaften oder Baugenossenschaften vereinigten Arbeitgeber
wurde insbesondere auch der Mitwirkung der Arbeiter selbst das Wort
geredet. Hier wurde es als erstrebenswert bezeichnet, dass die Ange-
hörigen der unbemittelten und arbeitenden Klassen Genossenschaften gründen
oder solchen beitreten, welche die Beschaffung von Wohnungen zur Ver-
mietung oder zum Verkauf an ihre Mitglieder bezwecken. Als besonders
empfehlenswert wurde die Form der Genossenschaft mit beschränkter Haft-
pflicht in Anregung gebracht. Die Stellung des Staates und der Gemeinde
in der Wohnungsfrage wurde nur als mittelbare Bethätigung in Betracht
gezogen und derselben inabesondere Erleichterungen im Gebiete der bau-
polizeilichen Vorschriften und möglichstes Entgegenkommen seitens der
Behörden und Gemeinden als Aufgabe zugedacht, während von einer un-
mittelbaren Staats- oder Gemeindethätigkeit beim Wohnungsbau abgesehen
wurde.
Ueberaicbt über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 141
Das zweite Heft der Vereinsschriften und der zweite Verhandlungstag
am 25. und 26. April 1892 war der Frage der zweckmäßigen Verwendung
der Sonntags- und Feierzeit gewidmet. Es war für den Verein ein
günstiges Zeichen, dafs für die Abfassung der beiden Vorberichte zwei
Männer, wie Viktor Böhmert und Franz Hitze gewonnen wurden, welchen
eine reiohe und erfolgreiche Laufbahn als Gründer und Förderer von
Volkswohlinstituten zur Seite steht. Ersterer hat es übernommen, die Er-
holungen der Arbeiter ausser dem Hause zu schildern, während der
letztere die Erholungen der Arbeiter in der Familie zum Gegenstand
eines kurzen Referates gemacht hat. Böhmert hat seinen Bericht nach
einem von ihm ausgearbeiteten Fragebogen , den die Zentralstelle an
51 gröfsere Fabrikunternehmer versendet hatte und der von 41 derselben
beantwortet wurde, verfafst. Die fraglichen Erholungen aufser dem Hause
erscheinen in zwölf Punkten, die hier wenigstens aufgezählt werden sollen :
Fabrikfeste bei längerem Bestehen der Fabrik oder bei Familienfesten im
Hause des Prinzipals, Weihnachtsfeste oder Feste bei Erstattung von
Jahresrechnungen der Kranken- oder anderen Hilfskassen, gesellige Zu-
sammenkünfte des Fabrikpersonals mit den Prinzipalen und Angestellten
behufs Unterhaltung und Belehrung in längereu oder kürzeren Zwischen-
räumen, Ausflüge im Sommer zum gemeinschaftlichen Naturgenufs
oder zum Besuch wichtiger Industriestätten und Kunstanstalten, Arbeiter-
badereisen und Bewilligung eines regelmäfsigen oder aufsergewöhnlichen
Urlaubs, die Abordnung von Arbeitern zur Besichtigung von Ausstellungen,
Begründnng von Arbeiterheimen, Arbeitergärten oder Volksparks, Be-
gründung von Frauen- und Mädchenheimen für Arbeiterinnen oder Ein-
richtung besonderer Frauenabende und Frauenkurse, Begründung von Lehr-
lingskursen und Veranstaltungen für jugendliche Arbeiter, Volksbibliotheken,
Lesehallen, Volksschriften und Volkstheater, Turn-, Gesang-, Musikvereine
und Leseklubs für Arbeiter, Einrichtung von Volksunterhaltungsabenden
und Volksheimen mit Vortragskursen, Bibliotheken und anderen Unter-
haltungen und Erholungen. Das Referat von Franz Hitze, das derselbe
in Vertretung des verhinderten Pfarrer Liesen-Giesenkirchen übernommen
hatte, beschränkt sich auf eine knappe, gedrängte Skizze, die, ohne das
Thema zu erschöpfen, die Hauptpunkte der Erholung des Arbeiters in der
Familie zusammenfassen. Als allgemeine Mittel und zwar als Voraus-
setzungen werden bezeichnet eine ausreichende, gesunde und freundliche
"Wohnung, eine tüchtige, sorgsame Hausfrau und Kinder, die in Kleidung
und Benehmen das Bild der Ordnung und der guten Erziehung bilden.
Die häuslichen Erholungen und Unterhaltungen sollen bestehen in der
Pflege der häuslichen Lektüre, wie auch des Gesanges, in der Pflege der
weiblichen Handarbeit, ev. Beschäftigung und Erholung durch Gärtnerei,
in der Pflege von Zimmerpflanzen, in Spaziergängen in Wald und Flur,
in Spielen u. s. w.
Der übrige Teil des Bandes giebt den Bericht des zweiten Verhand-
lungstages (26. April 1892), welcher eine Fülle neuen, interessanten
Materials darbietet. Der Diskussion gingen sechs Mitteilungen, bez. Be-
trachtungen über die verschiedenen Seiten des Problems voran, wobei ver-
schiedene schon bestehende, diesbezügliche Einrichtungen geschildert
wurden.
142 Uebersicbt über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Das dritte Heft der Vereinsschriften beschäftigt sich speziell mit
einem Probleme der Arbeiterwohnungsfrage, das in neuerer Zeit wieder-
holt angeschnitten und auch im ersten Bande der Schriften der Zentral-
stelle für Arbeiter- Wohlfahrtseinrichtungen eingehend behandelt wurde.
Unter den mannigfaohen Versuchen zur Lösung der Arbeiterwohn ungsfrage
haben in neuerer Zeit auch die Bestrebungen der Arbeiter, durch Selbst-
hilfe den Mifsverhältnissen der Arbeiterwohnungen zu steuern, an Be-
achtung gewonnen. Besonders ist dabei der Gedanke in den Vordergrund
getreten, Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht (G. v. I.V. 1889)
zu diesem Zwecke ins Leben zu rufen. Hier lassen sich hinsichtlich der
Form, die man wählen kann, zwei Gruppen trennen. Die einen, wie die
Berliner Baugenossenschaft, betreiben den Bau kleinerer Wohnhäuser für
eine oder zwei Arbeiterfamilien, die auf dem Wege der allmählichen Ab-
zahlung in das Eigentum der Genossen übergehen. Die anderen, wie der
hannoverische Bau- und Sparverein, behalten die erbauten gröfseren oder
kleineren Miethäuser in dauerndem Eigentum und vermieten die Woh-
nungen an Genossen unter Bedingungen, die dem Besitzrecht sehr nahe
kommen. Dadurch wird der Gefahr wirksam begegnet, dafs die Häuser
über kurz oder lang Gegenstand der Spekulation und daher ihrem ur-
sprünglichen Zweck entfremdet werden. War in der ersten Vereinsschrift
eine ausführliche Darlegung der Grundsätze für die Einrichtung dieser
letzteren Art der Baugenossenschaften gegeben worden, so unternimmt es
der Schöpfer des Spar- und Bauvereins in Hannover, F. Bork, uns einen
Einblick in den inneren Verwaltungsorganismus und in die Einzelheiten
der Geschäftsführung zu gewähren. Er giebt uns zunächst eine kurze
Schilderung der Geschichte des Vereins, eine Darlegung seiner Verwaltung,
des Baues und der Einrichtung der Häuser, eine Darstellung der Kassen-
und Rechnungsführung, welchen er eine Reihe dankenswerter Anlagen
beigegeben hat. Als eine Ergänzung dienen zwei kürzere und mehr
skizzenhaft gehaltene Berichte, von welchen den einen Wilhelm Ruprecht
über den Spar- und Bauverein mit beschränkter Haftpflicht in Göttingen
erstattet hat, während der zweite über den gleichartigen Berliner Spar-
und Bauverein von Hermann Albrecht ausgearbeitet ist.
Der vierte Band der Schriften der Centralstelle für Arbeiter- Wohl-
fahrtseinrichtungen beschäftigt sich mit den beiden Gegenständen : Hilfs-
und Unterstützungskassen und Fürsorge für Kinder und Jugendliche.
Beide Themen standen auf der Tagesordnung der Konferenz der Central-
stelle, welche am 21. und 22. April 1893 stattgefunden hat. Der Ge-
pflogenheit der Vereinspublikationen entsprechend, zerfällt die Schrift in
zwei Teile, von welchen jeder derselben einen der beiden Gegenstände
behandelt und Vorbericht und Diskussion über die Materie enthält. Die
Hilfs- und Unterstützungskassen werden im Vorbericht nach drei Seiten
hin betrachtet: Darlehn skassen, Unterstützungskassen für Erkrankungs-
und besondere Notfälle und Unterstützungskassen für Invalidität, Alter
und Todesfall. Die einzelnen einschlägigen Fragen werden, systematisch
gegliedert, abgehandelt als ausschliefslich vom Arbeitgeber dotierte Kassen,
Kassen mit Beitragszahlungen der Arbeiter und event. als ausschliefslich
durch Beiträge der Arbeiter erhaltene Kassen. Das Problem der Fürsorge
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 143
für Kinder und Jugendliche ist im Vorberichte desgleichen nach drei
Richtungen hin systematisch eingeteilt : Fürsorge für Kinder, Fürsorge
für Mädchen und Fürsorge für junge Burschen. Drei Zweige der Für-
sorge für die Jugendlichen wurden im Vorbericht grundsätzlich ausge-
schlossen : die Bibliotheken, die Sparkassen und das Schul- und Fort-
bildungswesen. Der erste Abschnitt, die Hilfs- und Unterstützungskassen,
beschränkt sich auf den Boden der Fabrik. Er giebt eine Uebersicht über
die Einrichtungen, welche im Anschlufs an die gesetzlich bestehenden
Bestimmungen und zu deren Ergänzung zur Verbesserung der arbeitenden
Klassen von den Arbeitgebern getroffen sind. Im Rahmen des zweiten
Abschnittes, Fürsorge für Kinder und Jugendliche, der weiter gefafst ist,
wurden neben den besonderen Einrichtungen, welche die Arbeitgeber für
die Angehörigen ihrer Etablissements begründet haben, auch die Veran-
staltungen allgemeineren Charakters seitens Privater, Vereins- und öffent-
licher Wohlfahrtspflege berücksichtigt, soweit sie bis zur Altersgrenze von
sechzehn Jahren in Betracht kommen konnten.
Der uns zur Verfügung stehende Raum für diese Besprechung ge-
stattet uns leider nicht, weitere Einzelheiten über den reichen Inhalt der
bisher erschienenen Vereinsschriften der Zentralstelle für Arbeiter- Wohl-
fahrtseinrichtungen anzuführen. Für alles Nähere müssen wir auf die
Veröffentlichungen selbst verweisen. Jedem, der sich mit den sozialen
Problemen, welche die Gegenwart so mächtig erregen, beschäftigt, werden
sie willkommenes Material zum Studium und insbesondere vielfache An-
regung für Theorie und Praxis bieten.
Würzburg. Max von Hecke 1.
Hirsch, Max, Die Arbeiterfrage und die deutschen Gewerkvereine.
Festschrift zum fünfundzwanzigjährigen Jubliäum der deutschen Gewerk-
vereine (Hirsch-Duncker). Leipzig, Hirschfeld, 1893. 96 SS.
Max Hirsch, mit Franz Duncker der hauptsächlichste Vorkämpfer
und Förderer der Gewerkvereinsbewegung in Deutschland, hat zum Ehren-
tage der Deutschen Gewerkvereine in der vorliegenden Festschrift Ge-
schichte und Entwickelungsgang seiner Schöpfung dargestellt. In knappen
Worten und mit der Begeisterung eines Mannes, bei dem der Glaube an
den Sieg seiner Sache tief in der Seele wurzelt, führt er uns die Be-
gründung der Gewerkvereine in ihren ersten Stadien vor, er schildert
uns die Ausbreitung derselben in Nord- und Süddeutschland, den Rück-
gang infolge des deutsch-französischen Krieges 1870 — 71, Abfall und
Neugründung von einzelnen Vereinen, den Ausbau des Unterstützungs-
wesens und das äufsere Wrachstum bis an die Schwelle der Gegenwart.
Den Resultaten, denen wir gegenüberstehen, ist eine im ganzen erfreuliche
Gestaltung nicht abzusprechen. Vornehmlich kann der Verfasser mit der
Entwickelung seit 1879 wohl zufrieden sein. Während 1879: 352 Orts-
verbände mit 14 912 Mitgliedern gezählt wurden, weist das Jahr 1893:
1341 Ortsverbände mit 61 034 Mitgliedern auf. Und wenn der Autor die
Lage und die Zukunft seiner Organisation zuweilen in allzu rosigem Lichte
erblickt, so müssen wir die Veranlassung der Schrift bedenken und den
Optimismus würdigen aus der Thatsache, dafs die Geschichte der deutschen
Gewerkvereine zugleich die Geschichte des Lebensschicksals und des Lebens-
144 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Werkes von Max Hirsch ist. Niemand aber wird ihm den Ruhm streitig
machen können , dafs er mit der Wirksamkeit der Gewerkvereine die
Lösung der Arbeiterfrage wesentlich gefördert hat. Wenn der erzielte
Erfolg nicht im Verhältnis zu der aufgewendeten Mühe und den bestan-
denen Stürmen steht, so liegt der Grund hauptsächlich in dem Umstände,
dafs die deutschen Gewerkvereine die Initiative im Kampfe um bessere
Arbeitsbedingungen der vordringenden Sozialdemokratie abtraten und dafs
die auf Staatshilfe und Zwang gründende positive Förderung der Arbeiter-
fürsorge in viel gröfserem Mafsstabe und mit gröfserer Nachhaltigkeit
ihre Aufgabe zu lösen vermochte, als eine auf Selbsthilfe und Freiwillig-
keit aufgebaute Organisation. Darüber kann aber kein Zweifel bestehen,
dafs wir als Mitglieder der Gewerkvereine durchgehends die ruhige und
besonnene Elite der Arbeiterschaft finden.
Würzburg. Max von Heokel.
Annual Report of the State Board of Arbitration for the year
1892. Boston 1893. 8°. 163 p. idem for the year 1893. Boston
1894. 8°. 147 p.
Unter den 6 nordamerikanischen Staaten, die ein staatliches
Einigungsamt zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Unternehmern und
Arbeitern besitzen, befindet sich Massachusetts. Hier besteht ein State
Board of Arbitration seit dem Jahre 1886. Die Berichte über seine
Thätigkeit in den Jahren 1892 und 1893 sind es, die hier zur Anzeige
gelangen.
Das staatliche Einigungsamt von Massachusetts hat die meiste Aehnlich-
keit mit den Einigungskammern, die in einzelnen Ländern mit den Gewerbe-
gerichten von Amtswegen verknüpft sind, wie in Frankreich und Italien.
Es funktioniert auf Antrag einer der stieitenden Parteien als Schiedsgericht
und hat aufserdem die Befugnis , aus eigener Initiative die Beilegung
eines Streites zu versuchen, auch wenn kein Antrag vorliegt. Sein
Schiedsspruch ist bindend nur für die Partei, die die Hilfe des Amtes
angerufen hat. Trotz seines staatlichen Charakters hat der Board also
weder irgendwelche Zwangsgewalt noch ist seine Befragung obligatorisch.
Immerhin darf die Thätigkeit des amerikanischen Amtes unser Interesse
beanspruchen. Es ist nicht undenkbar, dafs es in seiner jetzigen Gestalt
nur den entwickelungsfähigen Keim einer sozialpolitischen Institution
gröfseren Stiles bildet.
Der Report für 1892 — der 7. der Reihe — enthält den Bericht
über 40 schiedsrichterliche Versuche und Entscheidungen, der für 1893
über deren 36. In einem Teil der Fälle ist das Amt um seine Vermitt-
lung angegangen, in anderen Fällen hat es diese angeboten. In diesen
letzteren Fällen scheint der Erfolg meist ausgeblieben zu sein, in den
Fällen jedoch, in denen auch nur eine Partei den Antrag auf schiedsrichter-
liche Entscheidung gestellt hat, kann das Amt fast stets berichten, dafs
der Schiedsspruch von beiden Seiten anerkannt worden ist. Zu diesem
günstigen Ergebnis mag wesentlich der Umstand beitragen , dafs die
streitenden Parteien das Recht haben , je einen Vertrauensmann dem
State Board beizuordnen.
In dem Report für 1892 findet sich die Gesetzgebung der Staates
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. J45
Massaschusetts, die sich auf die Errichtung des State Board bezieht, ab-
gedruckt; der letzte Jahresbericht enthält in einem Anhange eine Ueber-
sicht über die auf die Boards of arbitration bezügliche Gesetzgebung
sämtlicher Staaten der Union.
Breslau. W. Sombart.
Protokoll des internationalen sozialistischen Arbeiterkongresses in der Tonhalle
Zürich vom 6. bis 12. August 1893. Herausgegeben vom Organisationskomitee. Zürich,
Buchhandlung des Schweiz. Grütlivereins, 1894. gr. 8. VIII— 65 SS. M. 0,50
Seyfarth, H. (Pfarrer, Herbsleben), Werberufe für die Arbeit der inneren Mission.
Leipzig, Fr. Richter, 1890. 8. VI— 135 SS. M. 1,20.
S t o 1 p , H., Die Untrennbarkeit und die Durchführung der notwendigen religiösen
und sozialen Reform. Berlin-Charlottenburg, Selbstverlag des Verfassers, 1894. gr. 8.
40 SS. M. 1.—.
George aine, Solidarite nationale. Paris, impr. Fally, 1894. 8. 16 pag. fr. 0,15.
(Sommaire : La taxe sur les patrons occupant des dtrangers en France. — La journee
de huit heures. — La reTorme du monopole sur le travail, etc. — )
Stepniak, Russian peasantry : their agrarian condition, social life and religion.
3rd edition. London, Swan Sonnenschein, 1894. 8. 650 pp. 10/.6.
Man fr in, P. (senatore), Dell' arbitrio amministrativo in Italia : memoria. Roma,
fratelli Bocca, 1894. 8. 79 pp.
Programma, statuto e tattica del partito socialista dei lavoratori italiani. Milano,
tip. degli Operai, 1894. 16. 13 pp.
10. Gesetzgebung.
Eger, G. (Reg.-R.), Das Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz vom 6. Juni
1870 in der Fassung vom 12. März 1894. Nebst einem Anhange enthaltend alle wichti-
geren bezüglichen Gesetze, Verordnungen und Erlasse. 3. Aufl. Breslau, Kerns Verlag,
1894. gr. 8. XX— 428 SS. M. 10.—.
Fabrikgesetzgebung, die, des russischen Reiches. Uebersetzt nach der Ausgabe
der Gewerbeordnung (Bd. XI, Teil II des Kodex der Reichsgesetze) von 1887 und nach
den Fortsetzungen von 1890, 1891 und 1893. Riga, N. Kymmel, 1894. gr. 8. 48 SS.
M. 2.—.
Geller, R. (Gerichtsass.), Die Armengesetzgebung in ihrer gegenwärtigen Gestal-
tung nebst den für die Rheinprovinz erlassenen Reglements. Zum praktischen Gebrauche
erläutert. Köln, Kölner Verlagsanstalt und Druckerei, 1894. 8. VII— 171 SS. M. 2,50.
Göppert, H. (Kammerger. -Refer.), Zur rechtlichen Natur der Personenbeförderung
auf Eisenbahnen. Berlin, H. Bahr, 1894. gr. 8. 93 SS. (Dissertation.)
Hergenhahn-Eccius, Rechtsprechung der höheren und höchsten deutschen Ge-
richtshöfe über Prozeßbevollmächtigte und Rechtsanwälte. Zusammengestellt von weiland
Th. Hergenhahn (OLandesGerR. a D.). Hrsg. von (Gerichtsass.) 0. Eccius. Band I :
Entscheidungen allgemeinen Inhalts und zur Civilprozefsordnung. Hannover, Helwing,
1894. gr. 8. VIII— 634 SS. M. 10.—.
Niemeyer, Th. (Prof.), Zur Methodik des internationalen Privatrechtes. Leipzig,
Duncker & Humblot, 1894. gr. 8. 39 SS. M. 0,80.
Reisenegger, A. (k. bayer. ORegR.), Reichsstempelgesetz vom 27. April 1894.
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Schlieckmann (JustizR.), Die Aktiennovelle vom 18. Juli 1884. Ein Versuch,
die Benutzung des Textes des Handelsgesetzbuches, betr. die Kommanditgesellschaften auf
Aktien und die Aktiengesellschaften durch Gegenüberstellung zu erleichtern. Berlin,
Heymann, 1894. gr. 8. VIII— 104 SS. M. 2.—.
Trautvetter (RegR. u. OZoll-Inspekt.), Das Strafrecht der Zoll- und Verbrauchs-
tseuergesetze in der Rechtsprechung. Berlin, Heymann, 1894. gr. 8. VIH — 256 SS.
M. 5.—.
Conseils de prud'hommes. Loi organique du 31 juillet 1889 (Moniteur, 29 aoüt).
Lidge, Godenne, 1893. in-16. 27 pag. fr. 0,50.
Dritte Folge Bd. VIII (LXIII). j q
146 Uebersieht über die neuesten Publikationen Deutschlands nnd des Auslandes.
Offner, Ph. (avocat ä la cour d'appel), La recherche de la paternite, discours
prononce devant les membres du barreau de Grenoble ä la s^ance solenneile d'ouverture
des Conferences des avocats stagiaires , le 12 janvier 1894. Grenoble, impr. Baratier &
Dardelet, 1894. 8. 21 pag.
Pitois, A., Principes de droit maritime, redigös conformement au nouveau Pro-
gramme officiel. Paris, Ducbemin, 1894. 8. 111 pag. fr. 5. — .
T r a i t e alphabetique des droits d'enregistrement, de timbre et d'hypotbeques. Nou-
veau recueil practique et complet de legislation, de doctrine et de jurisprudence. lre fasci-
cule: Abandon-Communaute. Chäteauroux, impr. Majest£ & Bouchardeau, 1893. 4. VI —
422 pag.
Lorimer, J., A handbook of the law of Scotland. 6^ edition by Russell Bell.
Edinburgh, Clark, 1894. crown-8. 642 pp. 10/.—.
Wright, E. B., The law of principal and agent. London, Stevens & Sons, 1894.
8. 18/.—.
Coviello, N. (prof.), Del contratto estimatorio. Torino, fratelli Bocca, 1893. 8.
94 pp. (Estr. dalla „Rivista italiana per le scienze giuridiche'*, vol. XV, fasc. 3.)
Franceschini, G. (avv.), La correzione delle sentenze. Bologna, N. Zanichelli
di Cesare e G. Zanichelli, 1894. 8. 413 pp. 1. 7.—.
Vidari, E. (prof.), Corso di diritto commerciale. Volume IX. 3a edizione accresciuta.
Milano, Hoepli, 1894. 8. VIII— 476, VIII pp. 1. 12. — . (Contiene: Del fallimento e
della bancarotta (continuazione e fine): Dei reati in materia di fallimento. Di alcune
disposizioni comuni a tutta la procedura di fallimento. — Delle azioni commerciali e
del loro esercizio. — )
11. Staats- nnd Verwaltungsreeht.
Gumplowicz, Ludwig, Die soziologische Staatsidee. Graz,
Leuschner & Lubensky, 1892. 134 SS.
Trotzdem dem Verf. schon sehr oft das Gegenteil versichert wurde,
stellt er auch in dieser Abhandlung wieder die Behauptung auf, die
„Juristen", seine schlimmen Feinde, seien einer soziologischen Staatsauf-
fassung unfähig. Möge G. doch einmal mit Bewufstsein z. B. Merkels
Rechtsencyklopädie lesen, er würde, wenn er ernstlich sich bemühte, da
sehen, wie auch nach der Ansicht der Juristen die sozialen Yerhältnisse
für Entstehung und Entwicklung von Staat und Recht von hochwich-
tiger Bedeutung sind, er würde viele Gedanken ausgesprochen finden, die
seinen ähneln, freilich nicht dieselben und insbesondere nicht den, dafs es
zur Staatenbildung notwendig des Zusammentreffens von mindestens zwei
heterogenen Horden, von mindestens zwei verschiedenen sozialen Gruppen
bedürfe, weil sonst kein Kampf, das Lebenselement des Staates, möglich
sei (S. 99). Denn sollen wir überzeugt sein, dafs es in der einheitlichen
und gleichheitlichen Horde keinen Kumpf giebt, wtnn uds der Verf. nichts
anderes als die höchst anfechtbare Thutsache zum Beweise anführt, dafs
„das Rudel Wölfe wohl Pferde anfällt, auf die Schafherde sich stürzt, aber
untereinander Frieden hält" (S. 125)?
Erlangen. Hermann Rehm.
Angermünde. Verwaltungsbericht der Stadt Angermünde für das Jahr 1893
bezw. für das Rechnungsjahr vom 1. April 1892/93. Angermünde, Druck von Windoff,
1894. gr. 8. 28 SS.
Berlin. Haushaltsetat der Stadt Berlin pro 1. April 1894/95. Berlin, Druck von
Gebr. Grunert, 1894. Imp.-4. 28 SS.
Bis mar ck. Die politischen Reden des Fürsten Bismarck. Historisch-kritische Gesamt-
ausgabe besorgt von Horst Kohl. Bd. X: Reden im Deutschen Reichstage 1884 — 1885.
Stuttgart, Cotta, 1894. Roy.-8. XXXII— 522 SS. M. 8.—.
Bochum. Bericht des Magistrats über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. J47
angelegenheiten für das Jahr 1892/93 und Haushaltsplan für die Stadtkasse pro 1894/95.
Bochum, Druck von Hoppstädter & C°, 1894. 4. 81 u. 57 SS.
D a n z i g. Haushaltsetat der Stadtgemeinde Danzig für das Etatsjahr 1. April
1894/95. Danzig, Druck von A. Schroth, 1894. 4. 278 SS.
Halle a/S. Haushaltspläne für 1894/95. Halle a/S. , Gebauer-Schwetschke'scbe
Buchdruckerei, 1894. 4. 564 SS.
Hanau. Grundetat für das Rechnungsjahr vom 1. April 1894 bis 31. März 1895.
Hanau, Druck von Lechleder & Stroh, 1894. 4. 83 SS.
H e y d e n , W., Die Entwickelung des politischen Wahlrechts in Hamburg. Ham-
burg, C. Boysen, 1894. 8. VIII— 96 SS. M. 1,50.
Hof- und Staatshandbuch des Grofsherzogtums Oldenburg 1894. Oldenburg, Schulze,
1894. 8. XVI— 389 SS.
Kassel. Bericht über die wichtigsten Zweige der Verwaltung der Residenzstadt
Kassel im Rechnungsjahre 1892/93. Kassel, Druck von Fr. Scheel, 1894. 4. 4 u. 169
u. 8 SS.
Leipzig. Verwaltungsbericht des Rates der Stadt Leipzig für das Jahr 1892.
Leipzig, Duncker & Humblot, 1894. Roy. -8. IV— 847 SS. geb.
Magdeburg. Haushaltspläne der Stadt Magdeburg für das Etatsjahr 1894/95.
Magdeburg, Hofbuchdruckerei von C Friese, 1894. 4. XII— 707 SS.
M e r 1 o , C. (LandgerR. a. D.), Die Ungesetzlichkeit der die Strafsenreinigung betref-
fenden Polizeiverordnungen und Ortsstatute. Köln, P. Neubner , 1894. gr. 8. 44 SS.
M. 0,90.
Posen. Voranschlag für die Einnahmen und Ausgaben der Stadtgemeicde Posen
in dem Verwaltungsjahre vom 1. April 1894 bis 31. März 1895. Posen, Hofbuchdruckerei
Decker & C°, 1894. gr. 8. 124 SS.
Simons, E., Die älteste evangelische Gemeindearmenpflege am Niederrhein und
ihre Bedeutung für unsere Zeit. Bonn, E. Straufs, 1894. gr. 8. IV— 166 SS. M. 3. — .
Staatshandbuch für das Königreich Sachsen auf das Jahr 1894. (Nach dem
Stande vom 1. Mai.) Dresden, C. Heinrich, 1894. gr. 8. XVI— 946 SS. M. 7.—.
Uebersicht der Vorlagen und Beschlüsse des XX. Provinziallandtages von Pom-
mern in den Sitzungen vom 6. bis einschl. 9. März 1894. Stettin, Druck von F. Hessen-
land, 1894. 4. 37 SS.
Verhandlungen des XVIII. Provinziallandtages der Provinz Ostpreufsen vom
6. März bis 10. März 1894. Königsberg, Druck von E. Rautenberg, 1894. hoch-4.
XXVII— 159 SS. und 83 Drucksachen auf c. 1230 SS.
Khalil Ed-Dahiry, Zoubdat Kachf El-Mamälik. Tableau politique et admini-
stratif de l'Egypte, de la Syrie et du Hidjäz sous la domination des sultans Mamloüks,
du XHIe au XVe siecle. Paris, Leroux, 1894. gr. in-8. 166 pag.
Martineau, A. (ancien deputd, delegue de Nossi-Be au conseil superieur des
colonies), Etüde de politique contemporaine. Madagascar en 1894. Paris, Flammarion,
1894. 8. VII — 505 pag avec carte, fr. 10. — .
Poinsard, L. (Secretaire gdndral des bureaux internationaux de la propriete intel-
lectuelle ä Berne), Etudes de droit international conventionnel. Ire partie. Paris, Pichon,
1894. gr. in-8. XII — 596 pag. fr. 10. — . (Sommaire : Des transports internationaux
et des transmissions internationales en temps de paix et en temps de guerre. — Rota-
tions economiques internationales. Des traites de commerce. Des Conventions monetaires.
Poids et mesures. Organisation d'un regime international. — De la proprietö intellec-
tuelle : Propriete litteraire et artistique. Propriete" industrielle. Les traites Economiques
en temps de guerre. — )
Stouff, L. (maitre de Conferences ä la faculte des lettres de Dijon) , Etüde sur le
principe de la personnalite des lois depuis les invasions barbares jusqu'au Xlle siecle.
Dijon, impr. Darantiere, 1894. 8. 102 pag.
A n n u a 1 report of the Secretary of the Interior for the fiscal year ending June 30,
1892. Volume III. Washington, Government Printing Office, 1892. gr. in-8. 741 pp.
Contents : Report of the Commissioner of pensions. — Report of the Superintendent of
Census (or report of the Operations of the Census Office for the fiscal year ended June 30,
1892). — Report of the Commissioner of railroads. — Report of the Governor of Ari-
zona. — Report of the Governor of New Mexico. — Report of the Governor of Utah.
10*
148 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
— Report of the Governor of Oklahoma. — Report of the Governor of Alaska. — Report
of the Board of visitors of the government hospital for the insane. — etc.
Jelf, E. A., Corrupt and illegal practices prevention Act, 1883. With an intro-
duction and notes of all judicial decisions under the Act. London , Sweet & Maxwell,
1894. 8. 5/.—.
Macmorran, A. and T. R. Colquhoun Dill, The Local Government Act, 1894.
With an introduction, appendix and index, forming an epitome of the law relating to
parish Councils, and showing the alteration in the law relating to district Councils and
boards of guardians. London, Shaw & Sons, 1894. crown-8. 466 pp. 10/. 6.
Police, England and Wales, counties and boroughs : Reports of Inspectors of con-
stabulary for 1893. London, printed by Eyre and Spottiswoode, 1894. 8. 2/.5. (Parliam.
paper.)
Raghavaiyangar, S. Scrinivasa, Memorandum on the progress of the Madras
Presidency during the last forty years of british administration. 2nd edit. Madras, Luzac,
1894. 8. XVI— 669 pp. 2/.—.
Sharpe, R. R., London and the Kingdom: a history derived mainly from the
archives at Guiidhall in the custody of the Corporation of the city of London. Vol. I.
London, Longmans, Green & C°, 1894. 8. 572 pp. 10/.6. (Das auf 3 Bde. veran-
lagte Werk behandelt in historischer Aufeinanderfolge diejenigen Instanzen , welche von
ihrem Sitze in der Londoner City aus direkt auf die Angelegenheiten Englands und
später des Vereinigten Königreichs eingewirkt haben, bezw. eingreifen. Band I schliefst
mit dem Zeitalter der Königin Elisabeth.)
Todd, A., Parliamentary government in the british colonies. 2Qd edition (edited
by the son of the author). London, Longmans, Green & C°, 1894. 8. 950 pp. 30/. — .
Giampietro, E., L'Italia al bivio. Roma, tip. dell' Unione cooperativa editrice,
1894. 8. 133 pp. 1. 2. — . (Contiene : I partiti politici. — Bilancio dello Stato. —
Bilancio della nazione. — Socialismo, anarchio, rivoluzione. — II programma semplice. — )
Mancini, Pas. St., Discorsi parlamentari , raccolti e pubblicati per deliberazione
della Camera dei deputati (a cura di G. Zucconi e G. Fortunato). 2 voll. Roma, tip.
della Camera dei deputati, 1894. 8. XLIII— 546 e 623 pp.
Miceli, V. (prof.), Carattere giuridico dei governo costituzionale, con speciale
riguardo al diritto positivo italiano. Perugia, tip. Umbra , 1894. 8. 136 pp. 1. 2,50.
12. Statistik.
Allgemeines.
Reichesberg, Naiim, Die Statistik und die Gesellschaftswissen-
schaft. Stuttgart, F. Erike 1893. 116 S.
Diese Schrift ist beachtenswert, namentlich in ihrem polemischen
Teile. Treffend wird nachgewiesen, dafs die bisherige Soziologie soweit
sie sich nicht auf die Massenbeobachtung der Statistik gründet, sondern den
Wahngebilden einer auf naturwissenschaftliche Analogieen sich gründenden
vermeintlichen direkten Klarlegung der Morphologie der Gesellschaft nach-
jagt, nicht auf gutem Wege ist. Dafs die Gesellschaft als eine Massen-
erscheinung nur durch die Massenbeobachtung der Statistik in befriedigen-
der Weise erkannt werden kann, wird richtig hervorgehoben. Hinterher
aber, wenn der Verf. dazu kommt in positiver Weise die Stellung der
Statistik und der Gesellschaftswissenschaft zu kennzeichnen, entspricht die
Rolle, welche er der Statistik zuweist, keineswegs den grundlegenden
Ausführungen der Schrift. Der Verf. bleibt nämlich bei Oncken's Auf-
fassung, welche die Statistik nur als Methode gelten lassen will; er meint
zwar, diese Auffassung „müfste eine etwas andere Formulierung haben, da
sie in der Gestalt, wie sie bei Oncken hervortrete, Gefahr laufe, manche
nicht unwichtige Mifsverständnisse hervorzurufen". Die neue Formulierung
des Verf. ist aber weder sonderlich klar, noch schützt sie mehr als die
Oncken,sche Fassung gegen „nicht unwichtige Mifsverständnisse". Wenn
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 149
nämlich wirklich, wie der Verf. mit Recht betont, die Gesellschaft als
eine Massenerscheinung zutreffend nur durch die Massenbeobachtuug der
Statistik erkannt werden kann, dann mufs man folgerichtig den Schlufs
ziehen, dafs alle die verschiedenen Massenzustände und Massenvorgänge,
welche mit einander die Massenerscheinung der Gesellschaft ausmachen,
das Beobachtungsobjekt jener selbständigen Wissenschaft bilden, welche
man heute Statistik zu nennen berechtigt ist. Die Statistik ist zwar
nicht identisch mit der Gesellschaftslehre, aber sie ist nichts anderes als
die exakte Gesellschaftslehre, das heilst diejenige, welche Erkenntnis
auf Grund der erschöpfenden Beobachtung der Massenvorgänge des Ge-
sellschaftslebens liefert. Sie ist also zwar nur ein Stück unseres Gesamt-
wissens vom Gesellschaftsleben, aber ein nicht blofs nach Methode sondern
auch nach Stoff abgegrenztes Stück.
Die allgemeinen geschichtlichen und litterargeschichtlichen Rückblicke,
welche das Buch enthält, sind im grofsen und ganzen eine geschickte,
wenn auch nicht immer genügend gleichmäfsig gestaltete Exzerpteuarbeit.
Dafä die Fassung dabei manchmal etwas gar zu allgemein ausfällt, darf
nicht unerwähnt bleiben ; so z. B. (S. 9), dafs in Frankreich ,, ungefähr
seit Anfang des Jahrhunderts" eine jährliche Kriminalstatistik veröffent-
licht wird, während der erste Bericht für das Jahr 1825 vorliegt; so
weiter die Behauptung, dafs in diesen Berichten ,,eine unzählige Masse
von Daten, ohne jedweden Zusammenhang, ohne jedwede Ordnung vorge-
tragen sei; desgl. (S. 16) die weitere Behauptung, dafs kein Maikäfer und
kein Sperling sich irgendwie von seines gleichen unterscheide; ebenso die
(S. 43) Bemerkungen über die Befugnisse der römischen Staatsgewalt
gegenüber dem Privateigentum. Dafs der Verf., welcher im übrigen vom
Wesen der Gesellschaft eine durchaus zutreffende Auffassung hat, gleich-
wohl den altherkömmlichen Gegensatz von Staat und Gesellschaft auf-
recht erhält, statt in der staatlichen Zusammenfassung nur eine — wenn
auch recht bedeutungsvolle Form — gesellschaftlicher Organisation zu sehen,
wirkt störend.
Alles in allem stellt die Schrift einen beachtenswerten Beitrag zur
Klärung des Wesens der Statistik gegenüber der stark in Mode ge-
kommenen — wie ich sie nennen möchte — „unstatistischen" Soziologie
zweifelhaften Wertes dar.
Strafsburg i. E. Georg v. May r.
Rettich, Ergebnisse einer konkursstatistischen Erhebung in Würt-
temberg 1883 — 1892. Im K. Statist. Landesamt nach amtlichen Quellen
bearbeitet. Stuttgart, Kohlhammer, 1893.
Die vorliegende Arbeit enthält einen sehr interessanten Beitrag zu
der Konkursstatistik, der für Juristen nicht minder wertvoll sein dürfte
wie für Volkswirte. Der Verfasser derselben berücksichtigt des Ein-
gehenden die zahlreichen Punkte, die bei der Konkursstatistik in Betracht
kommen, er prüft den Zusammenhang der Bewegung der Konkursziffern
mit dem Stande der wirtschaftlichen Verhältnisse und legt hierbei be-
sonderen Wert darauf, festzustellen, inwieweit die Landwirte an der Ver-
mehrung der Konkurse beteiligt sind, der er als Seitenstück die Bewegung
der für die Zwangsversteigerungen landwirtschaftlicher Anwesen mafs-
150 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
gebenden Zahlen gegenüberstellt ; die Schlüsse des Verfassers, die als sehr
vorsichtige zu bezeichnen sind, kommen darauf hinaus, dafs in Württem-
berg die Bewegung der Konkurse zu besonderen Bedenken keinen Anlafs
giebt, dafs aber andererseits auch auf Grund der Konkursstatistik die Lage
der Weingärtner als eine recht schwierige und bedrängte bezeichnet
werden mufs ; bekanntlich ist dies noch jüngst im Reichstage von amt-
licher Seite bestätigt worden.
Mainz. Ludwig Fuld.
v. Lö bell 's Jahresberichte über die Veränderungen und Fortschritte im Militär
wesen. Jahrgang XX: 1893. Herausgegeben von Th. v. Jarotzky (Generalltn. z. Disp.)-
Berlin, Mittler & Sohn, 1894. Roy.-8. XXII— 554 SS. M. 9,50.
Deutsches Reich.
Ergebnisse der Volkszählung, die, in Elsafs-Lothringen vom 1. Dezember 1890.
Strafsburg, M. Du Mont-Schauberg , 1894. gr. 8. LXXXII— 283 SS. (A. u d. T. :
Statistische Mitteilungen über Elsafs-Lothringen. Herausgegeben von dem statistischen
Bureau des kais. Ministeriums für Elsafs-Lothringen.)
Mitteilungen, statistische, aus den deutschen evangelischen Landeskirchen vom
Jahre 1892. Statistische Tabelle betreffend Aeufserungen des kirchlichen Lebens im
Jahre 1892. Stuttgart, Grüninger, 1894. gr. 8. 22 SS. (Von der statistischen Kom-
mission der deutschen evangelischen Kirchenkonferenz, deren Beschlüssen gemäfs , nach
den Angaben der landeskirchlichen Behörden zusammengestellt.)
Preufsische Statistik. Amtliches Quellenwerk. Herausgegeben in zwanglosen
Heften vom kgl. statistischen Bureau in Berlin. Heft 129 : Die endgiltigen Ergebnisse
der Viehzählung vom 1. Dezember 1892 im preufsischen Staate. Teil I: Der Viehstand
nach Stückzahl, Verkaufswert und Lebendgewicht der Tiere. Berlin, Verlag des Bureaus,
1890. Roy.-4. LVIII— 340 SS. mit 6 Tafeln graphischer Darstellungen. M. 11,40.
Frankreich.
Documents statistiques reunis par l'administration des douanes sur le commerce
de France. Avril 1894. (Publication du Ministere des tinances, direction generale des
douanes. Sommaire : Quatre premiers mois des annees 1894, 1893 et 1892: Resume
comparatif des marchandises import^es et exportees. — Etat de developpement des im-
portations et des exportations. — Resume des importations et des exportations avec
l'Angleterre, l'Allemagne, la Belgique, la Suisse, l'Italie, l'Espagne, la Turquie, les Etats-
Unis, le Brdsil et la Republique Argentine. — Tableau du mouvement des sucres. —
Situation des entrepöts. — Developpement par ports du mouvement de la navigation.
— etc.)
England.
A n n u a 1 Statement of the navigation and shipping of the U. Kingdom for the year
1893. London, printed by Eyre & Spottiswoode, 1894. Folio. X — 381 pp. 3/.1. (Parliam
paper by command of Her Majesty.)
Oesterreich-Ungarn.
Bewegung der Bevölkerung der Länder der ungarischen Krone in den Jahren
1890 und 1891. Im Auftrage des k. ungar. Handelsministers verfafst u. hrsg. durch das
k. ungar. statistische Bureau. Budapest, Buchdruckerei des Athenäum, 1893. Roy-folio.
IV — 119 u. 103 SS. mit 2 graphischen Karten. Ungarischer und deutscher Text,
fl. 3. — . (A. u. d. T. : Magyar estatisztikai közlemenyek, üj folyam, V. kötet. (Ungarische
statistische Mitteilungen Bd V.)
Ergebnisse der in den Ländern der ungarischen Krone am Anfange des Jahres
1891 durchgeführten Volkszählung, Teil III: Gebäudestatistik. Im Auftrage des k. ung.
Handelsministers verfafst und hrsg. durch das k. ung. statistische Bureau. Budapest,
Pester Buchdruckerei, 1893. Roy.-Folio. 113 u. 68 SS. geb. fl. 2. — . Ungarischer und
deutscher Text. (A. u. d. T. : Magyar statisztikai közlemenyek , etc. (Ungarische
statistische Mitteilungen N. F. Bd. III.)
Uebersicbt über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 151
Jahrbuch, statistisches, des k. k. Ackerbauministeriums für 1893. Heft 1 : Statistik
der Ernte des Jahres 1893. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1894. 8. LXXI —
129 SS. mit 5 Diagrammen, 2 Tafeln und 7 Karten.
Landwirtschaftliche Produktion, die, der Länder der ungarischen Krone in
den Jahren 1891 und 1892. Im Auftrage des k. ungar. Handeibministers verfafst und
hrsg. durch das k. ung. statistische Bureau. Budapest, Buchdruckerei des Athenäum,
1893. Roy.-Folio. IV— 118 u. 103 SS. mit 3 graphischen Karten, geb. fl. 3.—.
Ungarischer und deutscher Text. (A. u. d. T. : Magyar statisztikai közlemönyek pp.
Ungarische statistische Mitteilungen, Neue Folge, Band VI.)
Rufs 1 and.
Cboähbih 6wJUieTem> no ropo^y Mockb£ 3a 1893 ro;n>. (Bulletin r^capitulatif de
la ville de Moscou, public par le Bureau de la statistique municipale, aniice 1893.)
Moskau 1894. Roy. -8. 14 pp. (Inhalt: Geburten und Todesfälle; Monatspreise der
vornehmsten Konsumartikel ; Monatslohnsätze der wichtigsten Handwerker für das Jahr
1893, etc.)
Cboäi> CBiAiHiü o6b yMepimiXB bb ropoAt Mockb4 3a 1892 roax. MocKBa 1893.
Roy, -8. VIII — 52 pp. (Die in der Stadtgemeinde Moskau im Jahr 1892 vorgekommenen
Todesfälle und deren Ursachen. Herausgegeben vom statistischen Bureau der Stadt
Moskau.)
Statistisk ärsbok för Finland utgifvet af Statistiska Centralbyrän. Femtonde
argängen (15. Jahrg.): 1894. Helsingfors, Finska litteratursällskapets tryckeri och förlag,
1894. 8. IV— 183 pp. geb.
Italien.
Relazione statistica intorno ai servizi postale e telegraflco per l'esercio 1892/93
ed al servizio delle casse postali di risparmio per l'anno 1892. Roma, tipogr. naz. di
Bertero, 1894. gr. in-4- 235 pp. (Pubblicazione del Ministero delle poste e dei telegrafi.)
Tabella indicante i valori delle merci nell' anno 1893 per le statistiche commer-
ciali (approvata con decreto ministeriale 10 marco 1894.) Roma, tipogr. Bertero, 1894.
Roy. in-8 74 pp.
Dänemark.
Danmarks Statistik. Statistisk Tabelvaerk, IV. Raekke (Serie) Litra A, N° 8, a:
Hovedresultaterne af Folketaellingen i Kongeriget Danmark den iste Februar 1890, med
tilhorende befolkningskaart (Hauptergebnisse der dänischen Volkszählung vom 1 Februar
1890, mit 2 demographischen Karten.) Kjebenhavn, Gyldendal, 1894. 4. CCLXXXIV pp.
(Veröffentlichung des dänischen statistischen Bureaus.)
Seh we i z.
Mitteilungen des bernischen statistischen Bureaus. Jahrgang 1894. Lieferung 1 :
Die gewerblichen Verhältnisse im Kanton Bern nach der Gewerbe- und Berufsstatistik.
Bern, Buchdruckerei Michel & Büchler, 1894. 8. 96 SS.
Norwegen.
M ed d e lel s er fra det Statistiske Centralbureau. XBind: 1892. Kristiania, H. Asch-
houg & C°, 1893. gr. in-8. 187, 53, 39 pp. (Mitteilungen des norwegischen statistischen
Zentralbüreaus über Handels-, Verkehrs-, Landwirtschafts- etc. auf das Jahr 1892 be-
zügliche Daten, nebst Statistik der Storthing-Wahlen für das Jahr 1891.)
Amerika (Chile.)
Estadistica comercial de la Repüblica de Chile correspondiente al ano de 1892.
Valparaiso, imprenta G. Helfmann, 1894. gr. in-8. XXX — 773 pp.
— (Mexico).
B o 1 e t i n semestral de la Direccion general de estadistica de la Repüblica Mexicana,
a cargo del (Dr.) Ant. Penafiel. Numero 7, 8 y 9 (anos de 1891 — 92). Mexico, Oficina de la
Secretan'a de fomento, 1893. Folio. IV — 266, IV — 234 y 4—204 pp. (Publicacion del
Ministerio de fomento (Ackerbau- und Handelsministeriums.)
152 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Asien (China).
China. Imperial Maritime Customs, I. Statistical series : N°s 3 and 4 : Returns of
trade and trade reports for the year 1893. Part 1 : Report on the trade of China
(35"i issue) and abstract of statistics (29*h issue). Shanghai, Kelly & Walsh, and London,
King & Sohn, 1894. 4. IV — 27 pp. $ 1. — . (Published by order of the Inpector General
of customs.)
— (Japan).
Resume statistique de l'Empire du Japon. 8e annee (pour les annees 1891 et
1892). Tokio 1894. gr. in-8. XIV— 142 pag. et 3 cartes. (Publication du Cabinet
imperial, section de la statistique generale. Table des matieres : Territoire et population.
— Agriculture et industrie. — Peche et production du sei. — Commerce exterieur et
prix. — Postes et telegraphes. — Transport par terre. — Navigation. — Banques et
societ^s. — Instruction publique. — Culture. — Hygiene publique. — Finances. — etc.)
— (British-Indien). j
Materials towards a Statistical account |of the town and islands of Bombay.
Vol. I: History. Bombay, Luzac , 1894. 8. |IV— 497 pp. hf.-bd. 7/.6. Bombay
Gazetteer, vol. XXVI, part 1.)
13. Verschiedenes.
Werker, W. M. J. (Adjunkt-Chef des Rechnungswesens der Gesell-
schaft für den Betrieb von niederländischen Staatseisenbahnen), Die zu-
sammengesetzte Zinsen- und Zeitrenten- oder Annuitätenrechnung. Hand-
buch zur Lösung der zusammengesetzten Zinsen- und Diskontorechnung,
besonders auch solcher, welche auf die Emission und Amortisation von
Geldanleihen Bezug haben ; mit zahlreichen Beispielen und Formeln und
mit 5 Haupttafeln : Aufzinsungs- und Abzinsungstafeln, und einigen sup-
pletoiren Tafeln. 2 Bde.; I. Text und Formeln 171 SS.; IL Tafeln 332 SS.
Utrecht und Berlin, Puttkammer und Mühlbrecht.
Vorliegendes Werk giebt — und zwar bis auf 8 Dezimalstellen —
die prolongierten und diskontierten Beträge von einzelnen Summen und
Renten an für verschiedene Zinsfufse, welche um je 1/8 von t/8 bis l0°/0
steigen, bis zu 5°/0 für 1 — 200, von 5 — 10°/0 für 1 — 100 Termine. In
zwei Supplementtafeln sind dann noch die prolongierten und diskontierten
Rentensummen für 1 — 100 Termine und für Zinsfufse zu finden, welche
um je 1/2 von 101/2 bis 15°/0 steigen. Eine weitere Tabelle enthält die
Jetztwerte von Summen, welche zu den oben bezeichneten Zinsfufsen und
Terminen je die Rente 1 abwerfen. Die Zahlen dieser Tabelle sind dem-
gemäfs die Reziproken der entsprechenden Zahlen der vorhergehenden,
ebenso wie die zweite Tabelle (diskontierte Beträge) die Reziproken der
in der ersten angeführten Beträge enthält. Weiter bietet das Werk noch
die Reziproken der ganzen Zahlen von 1 — 1000 und die Summen der-
selben von 1 — 500.
Band I enthält unter Aufführung einer grofsen Anzahl von Beispielen
die nötigen Anleitungen zur Benutzung der Tafeln und zwar auch für
jeden beliebigen, in diesen selbst nicht vorkommenden Zinsfufs mit zu-
sammengesetzten Berechnungen und zur Erzielung von Näherungswerten
mit unerheblichen Abweichungen von den wirklichen Gröfsen.
Die vom Verfasser angewandten Kontrollmittel zur Prüfung der Rich-
tigkeit seiner Rechnungsergebnisse sind derart, dafs sie die Zuverlässigkeit
seiner Tafeln wohl genügend verbürgen.
München. J. Lehr.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 153
Ascherson, F. (Prof.), Deutscher Universitätskalender, 45. Ausgabe: Sommer-
semester 1894. Teil II. Berlin, Simion , 1894. 12. 318 SS. (Inhalt: Die Univer-
sitäten im Deutschen Reich, in der Schweiz, den russischen Ostseeprovinzen und Oester-
reich.)
Bericht, VIII., über den Gesundheitszustand und die Verwaltung der öffentlichen
Gesundheitspflege in Bremen umfassend die Jahre 1887 bis 1892. Erstattet vom Gesund-
heitsrate. Bremen, Kühle & Sehlenker, 1894. Roy.-8. VI — 192.
v. Bi 1 bas so f f, B. (Prof.), Geschichte Katharina II. Autorisierte Uebersetzung
aus dem Russischen von M. v. Pezold. Band I, Abteilung 1 uud 2. Berlin, Cronbach,
1893. gr. 8. M. 12. — . (Inhalt: Bd. I, Abt. I : Katharina bis zu ihrer Thronbestei-
gung, 1729 bis 1762, X— 543 SS; Bd. I, Abt. 2: Forschungen, Briefe und Dokumente,
184 SS.)
Brock er, C, Die Freimaurerlogen Deutschlands von 1737 bis einschliefslich 1893.
Mit biographischen und historischen Mitteilungen. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1894.
gr. 8. IV— 195 SS. M. 3.— .
Dengler, P. (BürgerM. u. Badekommissar in Reinerz), Der XXII. schlesische
Bädertag und seine Verhandlungen, nebst dem medizinischen, dem statistischen Verwal-
tungs- und dem Witterungsberichte für die Saison 1893. Reinerz & Glatz, Schirmer-
sche Bhdl., 1894. 8. 101 SS.
Dernburg, H, Die Phantasie im Rechte. Vortrag. Berlin, H. W. Müller, 1894.
gr. 8. 43 SS. M. 1.—.
Ehrenberg, R. (Sekretär des kgl. Kommerzkollegiums), Altona unter Sehauen-
burgischer Herrschaft. Heft 5 — 7 (Schlufs). Altona, J. Härder, 1892—3. Roy.-8. 52,
98, 70 SS. (Inhalt: Heft 5: Aus dem 30-jährigen Kriege. Erlebnisse des Portugiesen
Alberto Dionisio. — Heft 6: Die Reformierten und die Mennoniten Altonas. — Heft 7 :
Die Jesuitenmission in Altona. — etc. (Verfasser von Heft 6 ist Prof. P. Piper.)
Follmann, O., Die Eifel. Stuttgart, Engelhorn, 1894. gr. 8. 88 SS. M. 3,20.
(A. u. d. T. : Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, Band VIII, Heft 3.)
Pfeiffer, A. (Reg.- u. MedR.), Bericht über die Verwaltung des Medizinal- und
Sanitätswesens im Regbez. Wiesbaden für die Jahre 1889, 1890 und 1891. Wiesbaden,
Druck von Gebr. Petmecky, 1894. gr. 8. VIII— 99 SS.
Potonie, H., Ueber das Rotliegende des Thüringer Waldes. Teil II: Die Flora
des Rotliegenden von Thüringen. Beriin, Schropp, 1893. gr. 8. VI — 289 SS mit 34 Tafeln
nebst 34 Blatt Erklärungen. (A. u. d. T. : Abhandlungen der kgl. preufs. Geologischen
Landesanstalt, N. F. Heft 9, Teil 2.)
Richter, P., David Hume's Kausalitätstheorie und ihre Bedeutung für die Begrün-
dung der Theorie der Induktion. Halle a/S., Niemeyer, 1893- 8.
Rietschel, H. (Rektor der k. techn. Hochschule, Berlin), Der Stand der wissen,
schaftlichen und praktischen Wohnungshygiene in Beziehung zur Luft. Rede. Berlin,
Buchdruckerei von Denter & Nicolas, 1894. gr. Lex. -8. 20 SS.
R u p p , G., Die Untersuchung von Nahrungsmitteln , Genufsmitteln und Gebrauchs-
gegenständen. Praktisches Handbuch für Chemiker, Medizinalbeamte, Pharmazeuten, Ver-
Waltungs- und Justizbehörden etc. Heidelberg, C. Winter, 1894. 8. XI — 384 SS. geb.
M. 8.—.
Schwann, M., Das neue Bayern. Illustrierte Geschichte des bayerischen Lands
und Volks von der Wiedervereinigung Altbayerns bis auf die Neuzeit. Stuttgart , Süd-
deutsche Verlagsanstalt, 1894. Roy. -8. 932 SS. mit zahlreichen Illustrationen nach ersten
Meistern. M. 14,80.
Verzeichnis der (dem XI. internat. medizinischen Kongrefs in Rom) vom k.
deutschen Gesundheitsamte vorgeführten Ausstellungsgegenstände. Berlin, Springer, 1894.
kl. 8. 219 SS.
L'anarchiste Emile Henry aux assises de la Seine (requisitoire complet de M.
l'advocat general Bulot : plaidoirie in-extenso de M. Hornsbostel). Paris, Pedone-Lauriel,
1894. gr. in-8. fr. 1,50. (Les proces celebres. Revue mensuelle illustree, livraison 7.)
Engel Bey (Medecin chef de la statistique), L'epide'mie d'influenza en Egypte pendant
l'hiver 1889 — 1890, d'apres des rapports medicaux et des ecoles, avec un appendice
sur l'epidemie de 1891 — 92. Le Caire, imprim. nationale, 1894. Imp. in-4.
Guide des thermes et bains d'Italie, publie par les soins de l'Association medicale
italienne d'hydrologie et de climatalogie. Turin, Pozzo freres, 1894. 8. XVI — 175 pag.
(texte en franc. et en ital.)
154 Die periodische Presse des Auslandes.
Laumonnier, J., Hygiene de l'alimentation dans l'etat de sante et de maladie.
Paris, F. Alcan, 1894. 12. Avec gravures. fr. 4. — .
Legislation, la, et l'admi nistrat ion sanitaire en Italie et les institutions scienti-
fiques, annexees ä la Direction de la sante publique Rome, imprim. des „Mantellate"
1894. gr. in-8. 126 pag. (Publication du Ministere de l'interieur du royaume d'Italie,
Direction de la sante publique.)
Rapport ä M. le ministre de l'instruction publique, des beaux-arts et des cultes
sur les champs d'expeViences scolaires, par G. Ville. Paris, imprim. nationale, 1894. 4.
173 pag. avec figures.
Dickens's Dictionary of London 1893 — 1894. XVth year. An unconventional
handbook. London, Dickens & Evans, 1894. 12. 262, 32 pp. with map of London in
12 sections, cloth. 1/. — .
Gamble, Eliza Burt, The evolution of woman : An inquiry into the dogma
of her inferiority to man. London, Putnam, 1894. crown-8. IX — 356 pp. 7/.6.
Handbook of catholic charities associations, etc. in Great Britain. London, Catholic
Truth Society, 1894. 8. VIII— 103 pp., cloth. 1/.—.
Williams, R., More light and air for Londoners: The effect of the new streets
and buildings Bill on the health of the people. London, W. Reeves, 1894. 4. X — 53 pp.
illustrated with plans and diagrams. 1/. — .
B t o p o fi roflOBoü oTien> Mockobckoh ropoÄCKoii caHHxapHoä ciaHiuH, ycipoeHHOH
npu rHriemmecKOMi. HHCTHTyii HMnepaxopcKaro MocKOBCKaro yHHBepcmeTa (Maö 1892 r.
— Maii 1893 r.) cocTaB^eHi uoxb peflaKmeü 3aBi/i;yK>maro craHiüeii (lipo*.) 9. 0.
3pHCMaHa. MoCKBa 1894. Roy. in-8. 446 SS. mit 6 Tafeln. (II. Verwaltungsbericht
des städtischen mit dem hygienischen Institut der Universität vereinigten Sanitätslabo-
ratoriums der Stadt Moskau, für die Zeit vom Mai 1892 bis Mai 1893. Herausgegeben
von (Prof.) F. F. Erismann.)
Pagliani, L. (prof., Direttore della sanitä pubblica de Regno), Relazione intorno
all' epidemia di colera in ltalia nell' anno 1893. Roma, tipogr. delle Mantellate, 1894.
Roy. in-8. 29 pp. (Pubblicazione del Ministero dell' interno , Direzione della sanitä
pubblica.)
Die periodische Fresse des Auslandes.
A. Frankreich.
B u 1 1 e t i n du Ministere de l'agriculture, XHI^me annee, 1894, N° 2, Mai : A. France :
Rapport sur la tuberculose bovine ä l'Ecole nationale d'agriculture de Grignon. — Rapport sur
la pisciculture dans le departement de l'Isere en 1893. — Rapport sur les resultats ob-
tenus dans quelques champs d'experiences de la Cote-d'Or en 1893. — Rapport sur les
eaux et limons de la Durance et leur application au colmatage de Ja Crau. — • B Etranger :
Note sur le developpement de la production du sucre de betteraves en Californie. —
Note sur le commerce des bles dans l'Inde. — etc.
Bulletin de statistique et de legislation comparee. XVIIIi&ne annee, 1894, Mai:
A. France, colonies, pays sous le protectorat de la France : Statistique generale des con-
tributions directes et des taxes assimilees. — Production des alcools en 1893 et 1892. —
Les revenus de l'Etat. Recouvrements des 4 premiers mois de 1894. — Le commerce
exterieur, mois d'Avril, 1894 — L'exploitation du monopole des allumettes chimiques
en 1892. — Le budget de la ville de Paris pour l'exercice 1894. — Les recettes des
chemins de fer en 1893 et 1892. — Madagascar: Les douanes et le commerce exterieur.
— Guyane: Le regime douanier des colonies. — B. Pays etrangers: Pays divers: La
droduction de l'or. — Angleterre : Le cours des consolides depuis cent ans, avec dia-
gramme. — Pays-Bas : L'impot sur les revenus professionnels, loi du 2 octobre 1893. —
Grece : Le regime des tabacs , des alcools et des bieres. Les monopoles. Le commerce
et le prix des raisins secs. — Russie : Les rösultats provisoires de l'exercice 1893. La
conversion des billets 5 p.°/0 de la Banque et des emprunts d'Orient. — Transvaal : Les
mines d'or. — Republique argentine: Le commerce exterieur en 1893. — etc.
Die periodische Presse des Auslandes. 155
Journal des Economistes. 53« annde, 1894, Juin: L'Etat et la societe. Le socia-
lisme et l'individualisme, par Maur. Block. — La question des vios, par J. Charles-
Roux. — Mouvement scientifique et industriel, par D. Bellet. — Revue de l'Acaddmie
des scieuces morales et politiques, par J. Lefort. — Lettre d'Autriche-Hongrie , par A.
E. Hörn. — Commerce de la France avec la Suisse ea 1893, par M. Zahlet. — Une
excursion dans les Moluques, par Meyners d'Estrey. — Comment j'ai passe" mon bacca-
laureat, par Hubert- Valleroux. — Le programme social des catholiques allemands. —
Societe d'economie politique , reunion du 5 juin 1894: Neurologie: Aug. Couvreur, W.
Koscher et Miguel de Bulhoes. Discussion : Des rapports entre l'economie politique et
la sociologie. — etc.
Journal de la Societe de statistique de Paris. XXXV^aie annee, 1894, N° 5,
Mai: Proces-verbal de la sdance du 18 avril 1894. Annexe au proces-verbal: la crise
des changes (fin de la discussion). — Resultats statistiques de neuf annees de divorces,
par V. Turquan. — L'exportation industrielle des grands Etats, par A. Raffalovich. —
Chronique des transports , par Beaurin-Gressier. — Chronique des banques , changes et
metaux precieux, par Pierre des Essars. — etc.
Moniteur des Assurances. Tome XXVI, N°» 307 et 308, 15 avril et 15 inai
1894 : Proposition de M Jul. Roche, deputd, concernant les societes francaises et etran-
geres d'assurances sur la vie , par P. Sidrac. — Modeies de tableaux pour les compag-
nies-vie. par R. Sidric (suite et fin). — Assurances contre l'incendie. Etüde juridique sur
le contrat d'assurance contre l'incendie, par C. Oudiette. — Une centenairc. Police de
la Compagnie d'assurance contre l'incendie de 1786. — De la „valeur venale" en matiere
de reglements immobiliers, par C Oudiette. — Etüde sur le contrat d'assurance-accidents,
par E. Pagot (suite 1 et 2). — Le devoir de famille, par L. Masse. — etc. —
Re forme sociale, la. Hie Serie, tome VII, livr. 8 et 9, 16 Avril et ler Mai 1894:
Le socialisme et la liberte d'association , par G. Picot. — Les fabriques d'eglise et leur
nouvelle eomptabilite, par Maur. Lambert. — Les octrois et leur remplacement (suite,
voy. livr. 7, pag. 538). — Idees avancees : idees retrogrades, par U. Gue>in. — Questions
sociales en Allema^ne (d'apres ,, Deutsche Kern- und Zeitfragen", par A. Schaeffle), par
G. Blondel. — Les institutions de prevoyance de ,,La Menagere'\ Communication de
E. Levy. — Les unions de la paix sociale ä Lille, a Toulouse et ä Roubaix, par A.
Maron. — Chronique du mouvement social, par A. Fougerousse. — Le mouvement social
ä l'etranger, par J. Cazajeux. — etc.
Revue generale d'administration : XVIIe annee, 1894, Janvier ä Avril: Notes de
jurisprudence, section de l'interieur, des cultes, de l'instruction publique et des beaux-
arts du Conseil d'Etat (suite 11 ä 13). — Un banquier du Tresor royal au XVIIIe siecle :
Samuel Bernard (1651—1739), par V. de Swarte (suite et fin). — Notes sur le droit
civil catalan, par de Valicourt (consul suppleant ä Barcelone). — Les concessionnaires
de travaux publics devant l'impöt foncier. A propos du casino de la ville de Nice , par
P. Gallot (vice-president du conseil de prefecture des Alpes-Maritimes). — L'amiraute
francaise. Son histoire, ses transformations, etat actuel, par Marcel R. du Verdier (sous-
commissaire de la marine). — Procedure devant les conseils de prefecture. Des visites
de lieux , par A. Nectoux (conseiller de prefecture). — Chronique de l'administration
francaise. — etc.
Revue d'economie politique. Comite de direction : P. Cauwes, Ch. Gide, E. Schwied-
land, E. Villey. 8« annee, 1894, N° 5, Mai: Le neo-collectivisme , par Ch. Gide. —
Quelques reflexions sur l'income-tax, par J. Dumas. — L'economie politique , sa theorie
et sa methode, par G. Schmoller (fin). — Chronique legislative : Debats parlementaires.
Projet de loi sur le credit agricole. Projet de loi relatif aux Conseils de prud' hommes,
par E. Villey. — etc.
Revue maritime et coloniale. Tome CXXI, livr. 392, Mai 1894: Chronique du
port de Lorient de 1803 ä 1809, par Lallemand (lieutenant de vaisseau). — Le naphte
et le torpilleur N. 104 S., par Cuniberti (ingenieur). — Obock et Abyssinie (suite et
fin), par Alvarez. — Influence de la puissance maritime sur l'histoire (1660 — 1783), par
A. T. Mahan (capitaine de la marine des Etats-Unis. — Chronique: Angleterre: Le
budget de la marine anglaise pour 1894/95 Le nouveau programme de 1894/95. — etc. —
Peches maritimes: L'ostreiculture en Allemagne. La peche a Terre-Neuve en 1893. Situ-
ation de la peche et de l'ostreiculture pendant le mois de mars 1894. —
Revue internationale de sociologie, publiee sous la direction de R. Worms. Annee II,
N° 5, Mai 1894: Le^on d'ouverture d'un cours d'histoire de l'economie sociale, par A.
156 P'e periodische Presse des Auslandes.
Espinas. — L'anthropologie et le droit, par L. Manouvrier (suite et fin). — Mouvement
social: France, par Dufourmantelle. (Sommaire: 1. Les anarchistes. 2. Congres socialiste
de Roubaix. 3. Le Congres des ouvriers de chemins de fer. 4. Les soci&es de secours
mutuels. 5. Credit et banques populaires. 6. Les societes cooperatives. 7. Greves et
arbitrage. 8. Syndicats et bourses du travail. 9. Caisses d'epargne. 10. Caisse des retraites.
11. Caisses d'assurances. 12. Travail des enfants et des femmes). — Reponse ä un „docteur
en droit" sur la sociologie, par Maur. Hauriou. — Observations critiques, par R. Worms.
— etc.
B. England.
Board of Trade Journal. Vol. XVI, N° 94, May 1894: Sea fisheries of the U.
Kingdom. — The Bradford conditioning house. — Foreign exhibitions and commercial
museums. — Canaigre as a Substitute for barks in tanning. — Russian precious stones.
— The North Sea and Baltic canal. — The silk industry in Bulgaria. — The opium
trade of Asia Minor. — The fall in the value of silver and the effect of Chinese trade.
— The foreign trade of Japan in 1893. — Agricultural statistics of the United States.
— The agricultural resources of Canada. — Foreign import duties on corn and flour. —
New customs tariff of British India. — Tariff ehanges and customs regulations. — Extracts
from diplomatic and consular reports. — General trade notes. — State of the skilled
lab our market, etc. — Statistics of trade, fisheries, emigration, etc.
Contemporary Review, the. June 1894: Kidd's „social evolution" by (Lord)
Farrer. — Development of the historic episcopate , by V. Bartlet. — The race problem
in America, by C. F. Aked. — Marlborough, by A. Lang. — The Gothenburg System
in Norway , by T. M. Wilson. — The Armenian question , I. In Russia, by H. F. B.
Lynch. — Bimetallists at the Mansion House, by M. G. Mulhall. — Old-age pensions
in practice, by H. W. Woltf. — Why not dissolve ? by H. W. Massingham. — etc.
Fortnightly Review, the. June 1894: The future of parties, by R. Wallace. —
The Royal Academy, by D. S. Mac Coli — The new Factory Bill, by (Miss) March-
Phillipps. — The budget and local taxation, by W. M. J. Williams. — The mechanism
of thought, by A. Binet. — Professor Robertson Smith, by J. G. Frazer. — The dis-
affection in Behar, by Donald N. Reid. — The worship of pottery , by W. Roberts. —
The proposed Channel bridge, by the Prince of Monaco. — Silver and the tariff at
Washington. — etc.
Human itarian. A monthly magazine, Vol. IV, June 1894, N° 6: Labour and
social problems. An interview with (Sir) J. Gorst. — The vivisection controversy, by
(Prof.) V. Horsley. — Glimpses of the future, by (the Rev.) J. Rice Byrne. — Infancy :
its perils and safeguards, by H. R. Jones. — Workhouses and pauperism , by (the Rev.)
T. B. Hardern. — The Kasidah , by Th. Sinclair (with an introductory note by Lady
Burton). — etc.
New Review, the. June 1894: Municipal government, past, present and future,
by J. Chamberlain. — Secrets from the court of Spain (part II). — The case for an
independent labour party, by J. Keir Hardie. — Some reminiscences of Kinglake, by
Olga Novikoff. — The development of mountain exploration, by W. Martin Conway. — etc.
Nineteenth Century, the. N° 207, May 1894: Shall Indian princes sit in the
House of Lords ? by (the Earl of) Meath. — Democratic ideals, by W. Barry. — Intel-
lectual progress in the U. States, by G. F. Parker (U. St. Consul, Birmingham). —
Modern surgery , by Hugh Percy Dünn. — The English libro d'oro: („The noble and
gentle men of England, or notes touching the arms and descents of the ancient knightly
and gentle houses of England, arranged in their resp. counties, attempted by Shirley,
1859, 1860, 1866), by J. H. Round. — The profits of coal-pits, by G. P. Bidder. —
Life in russian village, by J. D. Rees. — Nile reservoirs and Philae, by (Sir) B. Baker.
— etc.
C. Oesterreich-Ungarn.
0 es t er r ei chisch -ungarische Revue. Jahrg. IX, 1894, Bd. XVI, Heft 1 u. 2 :
Die k. u. k. Flotte, von A. v. K. — Die Fürsten zu Windisch-Grätz, von P. v. Radics.
— Die historische Abteilung der Tiroler Landesausstellung von 1893, von Hans Semper.
— Die Fabrik zu Kosmanos in Böhmen, von G. Deutsch. — etc.
Statistische Monatsschrift. Herausgegeben von der k. k. statistischen Central-
kommission. Jahrg. XX, Heft 5 u. 6, Mai und Juni 1894: Die Vermögensgebarung der
Die periodische Presse des Auslandes. 157
katholischen und der griechisch-orientalischen Kirche in den im Reichsrate vertretenen
Königreichen und Ländern im Jahre 1890, von Ferd. Schmid. — Ueber die Konstruktion
von Mortalitätstafeln, von E. Blaschke. — Die Statistik der Realexekutionen in Oester-
reich im Jahre 1891. — Oesterreich-Ungarns Außenhandel im Jahre 1893 , von J. Piz-
zala. — Der Wildabschufs in Oesterreich im Jahre 1892, von R. v. Tomaschek. —
Ungarische Revue. Herausgegeben von (Prof.) Karl Heinrich. Jahrg. XIV,
1894, Heft 3/4: März und April: Ungarns Palatine und Baue im Zeitalter der Arpaden,
Archontologische Studie. — Die geschichtliche Entwickelung des ungarischen Eherechtes,
von J. Schwartz. — Kurze Sitzungsberichte der ungarischen Akademie der Wissenschaften.
— etc.
Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Organ der Gesell-
schaft österreichischer Volkswirte, Band III, 1894, Heft 2 : Der letzte Mafsstab des Güter-
wertes, von E. Böhm-Bawerk. — Ueber die Lage der italienischen Finanzen, von R.
Benini. — Verhandlungen der Gesellschaft österreichischer Volkswirte , Plenarversamm-
lungen vom 11. u. 16. Januar u. 27. Februar 1894. — Die ungarische Volkszählung,
von H. Rauchberg. — Die Reform der direkten Besteuerung in Holland, von E. Reisch.
— etc.
D. Rufsland.
Bulletin Russe de statistique financiere et de legislation. Ire annee, 1894, N° 2,
Avril : Appreciation du traite de commerce russo-allemand. — Statistique des principaux
articles d'importation sur lesquels ont porte les reductions de tarif. — Tableau des
emprunts-or russes (pp. 78 ä 98). — Banque de Russie et ses 97 succursales. Statistique
des Operations. — Banques foncieres. Benefices realises et dividendes distribues. —
Le budget ordinaire des exercices 1887 ä 1894. — Caisses d'epargne 1863 ä 92. —
Chemins de fer: Reseau de l'Etat, annee 1892, recettes , depenses et produit uet. —
Chemins de fer : Voyageurs. Tarif existant et tarif projete. Operation de rachat. —
Les recettes et les depenses du Tresor en 1893. (Resultats provisoires.) — etc.
E. Italien.
Giornale degli Economisti. Maggio 1894: A proposito delle indagini del Fisher
(,,mathematical investigations in the theory of value and prices'-), per E. Barone (con-
tinua). — La crisi in Sicilia, per (Visconte) Combes de Lestrade (continuazione e fine).
— La questione delle otto ore di lavoro, per L. Albertini (continuazione e fine). — Le
economie militari, per T. M. — Sul sistema meccanico Hollerith per lo spoglio delle
notizie contenute nelle Schede di un censimento della popolazione o di altri documenti
statistici, per G. R. — Rivista del credito popolare , per C. B. — La situazione del
mercato monetario, per X. — Cronaca. —
Rivista della beneficenza pubblica e di igiene sociale. Anno XXII, N° 3 e 4,
31 Marzo e 30 Aprile 1894 : Sul concentramento delle opere pie di San Paolo. Contri-
buto alla storia della beneficenza italiana, per Luigi Cova. — Rivista della ragioneria
nella beneficenza, per (rag.) C. Rosati (continuazione e fine). — La settima di 48 ore,
ossia un esperimento riuscito bene. — Le croce rossa italiana. — 11 V Congresso peni-
tenziario in Parigi. — II regime igienico negli ospedali francesi , per C. Gorini. — Le
deliberazioni delle opere pie ed i ricorsi alla IV sezione del Consiglio di Stato, per X. —
Pei monti di pietä. Replica, per (avvoc.) J. Moro. — Luigi Martini. Commemorazione,
per Y. — Cronaca della beneficenza, della previdenza, della cooperazione e di fatti sociali
interessanti i lavoratori. — etc.
G. Belgien und Holland.
Revue sociale et politique. Publiee par la Societe d'etudes sociales et politiques.
IVieme annee, 1894, N° 2 (Bruxelles) : Paul Errera. Biographie par A. Couvreur. —
La nouvelle reglementation du travail en Allemagne, par Prosper Mullendorfi. — Infor-
mations diverses: Autriche : L'assurance obligatoire contre la maladie. Un office du travail.
Belgique : Le deuxieme congres de la Ligue democratique. Le congres progressiste.
Le congres liberal. Execution des lois ouvrieres. France : Les projets d'impots sur les
revenus. Les retraites ouvrieres. Grande - Bretagne: Bill sur l'inscription electorale.
Le budget. La journee de huit heures dans les mines. Essai pratique de la journee de
buit heures. La journee de huit heures dans les manufactures de l'Etat. — etc.
de Economist opgericht door J. L. de Bruyn Kops. XLIIIste jaargang , 1894,
158 ^'e periodische Presse Deutschlands.
Mei (deutsche Uebersetzung des Inhalts des holländischen Textes) : Extrakt aus der hol-
ländischen Regierungsvorlage, betreffend den Abschlufs der Trockenlegung des Zuidersees.
— Das erste holländische Landwirtschaftsblaubuch : „Uitkomsten van het onderzoek naar
den toestand van den landbouw in Nederland, 4 deelen, 'sGravenbage 1890 (über die
Resultate der holländischen Landwirtschaftsenquete von 1885 — 89), von C. J. Sickesz. —
Wirtschaftschronik. — Handelschronik. —
H. Schweiz.
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Halbmonatsschrift.
Jahrg. II, Nr. 9 u. 10, 10. Mai 1894 : Die Bevölkerungsfrage der Gegenwart, von Naüm
Reichesberg (Bern). — Zur Universitätsausdehnung in der Schweiz, von (Prof) K. G. —
Sozialpolitische Rundschau : Zur nationalrätlichen Sozialpolitik. Zum Achtstundentag. Die
Landwirtschaftskammern in Preufsen. Die Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten in England.
— Wirtschaftschronik: Zur gegenwärtigen Lohnbewegung in der Schweiz, etc. — Ge-
meindliche Sozialpolitik : Versicherung gegen Arbeitslosigkeit, etc. — Statistische Notizen.
— Kleine Mitteilungen. — etc.
L'Union postale. XIX. volume, 1894 N° 6, 1 juin 1894: La nouvelle loi suisse
sur la renale des postes. — La Situation des postes au Perou. —
K. Spanien.
El Economista, Madrid, 1894, Nos 393—409: El credito en Espana. — Los
guerras econömicas. — La marcha del presupuesto. — El capital de Banco de Espana.
— El comercio exterior en Espana. — Marina mercante de Espana en 1893 — 94. —
Reforma de las tarifas de aduanas en los Estados Unidos. — La filosofia anarquista. —
El tratado con Alemania. — La Compariia de tabacos. — La deuda exterior — El
credito territorial en Espana. — El ,, modus vivendi" con Francis. — El socialismo
cristiano. — Las acunaciones de moneda en Espana en 1893. — Colocaciön de capi-
tales. — Los futuros presupuestos. — La nacionalizacion de la tierra. — La mejora de
la Hacienda espanola. — Cuestiones sociales: El socialismo rural en Inglaterra. El
socialismo religioso en los Estados Unidos. — La Hacienda espanola al principio de
1894. — Arriendo del impuesto de derecbos reales. — La marcha del presupuesto:
Enero de 1894. — La riqueza minera de Espana en 1893. — La Hacienda y el banco.
— La crisis y la Hacienda. — Cuestiones sociales : La anarquia y sus höroes. La lucba
social en Austria. — El socialismo catölico en los Estados Unidos. —
L. Amerika.
Annais of the American Academy of political social science (issued bi-monthly).
Vol. IV, N° 6, May 1894 : Problems of municipal government, by E. L. Godkin. —
Reform of our State governments, by Gamaliel Bradford. — A decade of mortgages, by
G. K. Holmes. — Failure of biologic sociology, by S. N. Patten. — Briefer Communi-
cations : Money as a measure of value , by L. S. Merriam. An unfinished study by Dr
Merriam, by J. B. Clark. School savings banks, by S. L. Oberholtzer. — etc.
Bulletin of the American Geograpliical Society, Vol. XXVI, N° 1, March 31,
1894 : The social and political development of the South American people, by Courtenay
De Kalb. — Mexico a central American State, by the Minister of the Mexican Republic.
— etc.
Die periodische Fresse Deutschlands.
A n n a 1 e n des Deutschen Reichs für Gesetzgebung , Verwaltung und Statistik.
Jahrg. XXVII, 1894, Nr. 7: Die vertragsmäfsigen Handelsbeziehungen der europäischen
Staaten, von (Rechtsanw.) J. Kahn. — Geschäftsbericht des Reichsversicherungsamtes für
das Jahr 1893. — Die rechtsprechende Thätigkeit des Reichsversicherungsamtes, von
(Rechtsanw.) L. Fuld (Mainz). — Die Reichssteuergesetzentwürle von 1893. —
Arbeiter freund, der. Zeitschrift für die Arbeiterfrage. Jahrgang XXXII,
(1894) 1. Vierteljahrsheft: Rudolf v. Gneist und sein 25-jähr. Wirken als Vorsitzender
des Centralvereins für das Wohl der arbeitenden Klassen, von V. Böhmert. — Populäre
Die periodische Presse Deutschlands. 159
Unterrichtskurse über Volkswirtschaftslehre, von (Prof.) V. Böhmert. — Herbergen und
Arbeitsvermittelung, von Joh. Corvey. — Die Landwirtschaft und die Gewinnbeteiligung,
von L. Katscher. — Handfertigkeit und Hausfieifs. — Materialien für praktische Ver-
suche zur Lösung der Arbeiterfrage. — Vierteljahrschronik , Januar bis März 1894.
— etc.
Archiv für Eisenbahnwesen. Herausgegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten.
Jahrgang 1894, Heft 3, Mai und Juni: Bulgarische Eisenbahnen, von Schürmann (mit
einer Karte und einem Längenprofil.) — Die Eisenbahnen der Erde, 1888 — 92. —
Deutschlands Getreideernte in 1892 und die Eisenbahnen, von Thamer. — Die kgl.
preufsischen Staatseisenbahnen im Jahre 1892/93. — Die bayerischen Staatsbahnen im
Jahre 1892. — Die Eisenbahnen im Grofsherzogtum Baden im Jahre 1892. — Die
Eisenbahnen der Schweiz im Jahre 1891. — Die Gotthardbahn im Jahre 1892. — Die
Eisenbahnen in Dänemark im Jahre 1892/93. — etc.
Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik. Vierteljahresschrift etc. Hrsg.
von H. Braun. Band VI, 1894, Heft 1 u. 2 : Entwickelungstendenzen in der Lage der
ostelbischen Landarbeiter, von Max Weber (Prof., Berlin). — Die Reform der Unfall-
versicherung in Oesterreich , von L. Verkauf (Wien). — Die preufsische Steuerreform.
Ihre Stellung in der allgemeinen Verwaltungs- und Sozialpolitik, von J. Jastrow (Privatdoz,,
Berlin). — Die gewerkschaftliche Bewegung unter den englischen Arbeiterinnen, von
Gertrud Dyhrenfurth. — Wiener Wohnungsverhältnisse, von E. v. Philippovich (Prof.,
Wien). — Das deutsche Reichsgesetz über die Abzahlungsgeschäfte , von H. Jastrow
(AGerR.), Berlin. — Die Arbeiterversicherung in Dänemark , von (Prof ) Harald Wester-
gaard. — Der Entwurf eines Gesetzes betreffend die Arbeiterstatistik, von H. Braun. —
Die Arbeitsabteilung des englischen Handelsministeriums, von Stephen N. Fox (Barrister,
London). — Zur Statistik der Prostitution in Berlin, von Bruno Schoenlank. — etc.
Archiv für Post und Telegraphie. Nr. 9, Mai 1894: Herstellung von Starkstrom-
anlagen in Frankreich. — Aus dem Tagebuch eines Weltreisenden (Schlufs). — Die
höhere Postverwaltungsprüfung. — Die Neuordnung der preufsischen Staatseisenbahn-
verwaltung. — etc.
Christlich-soziale Blätter. Jahrg. XXVII, 1894, Heft 8: Zum Antrage Graf
Kanitz (Schlufs zu S. 218 in Heft 7). — Die Wichtigkeit der Lehre vom Wert. —
Sozialpolitische Rundschau, III: Arbeiterwohl. Die Haushaltungsschulen zu Aachen im
Jahre 1893. Katholische Sozialpolitik in England. Arbeiterverhältnisse in England. —
Deutsche Rundschau. Hrsg. v. J. Rodenberg. Band LXXIX , April, Mai und
Juni 1894: Steuerreform und Sozialpolitik, von E. v. Philippovich. — Der König von
Persien über Deutschland, von H. VambeVy. — Wirtschafts- und finanzpolitische Rund-
schau. — Neuere Litteratur über Deutsch-Ostafrika, von O und P. Reichard. — Die Zu-
kunft Westindiens und der Nicaraguakanal, von O. Wachs (Mayor a. D.). — Staffeltarife,
von A. v. d. Leyen. — Ein Staatsmann der alten Schule. Aus dem Leben des mecklen-
burgischen Ministers Leopold v. Plessen. Nach Staatsakten etc. von L. v. Hirschfeld
(V. Artikel). — etc.
Landwirtschaftliche Jahrbücher. Hrsg. von H. Thiel. Band XXIII: Er-
gänzungsband I : Verhandlungen des kgl. Landesökonomiekollegiums vom 1. bis 3. März
1894, Berlin, Parey, 1894. gr. 8. X— 262 SS.
M as i u s' Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft, etc. Neue Folge. Jahrg
VI, 1894, Heft 5: Das Verhältnis der Aerzte zu den Lebensversicherungsgesellschaften
— Die Zwangsversicherung bei Sozietäten. — Rechtsprechung des Reichsgerichts. —
Versicherungsgesetzgebung. — Die Sterblichkeit und der Verwaltungsaufwand beim
preufsischen Beamtenverein. — etc.
N e u e Zeit, die. Revue des geistigen und öffentlichen Lebens. Jahrg. XII, Bd. 1/2,
1893—94. Nr. 25—32 (Bd. II beginnt mit Nr. 27): Bäuerliche Produktionsgenossen-
schaften. — Die Diamantenindustrie in Amsterdam, von H. Polak. — Lewis H Morgan,
— Was eine Parlamentswahl in England kostet. — Ein neuer Reformer des „Rechts der
Geschlechter" (Ed. A. Schröder, Verfasser der Schrift: „Das Recht in der geschlecht-
lichen Ordnung"), von E. Bernstein. — Unterm heiligen Napoleon. — Mehrings „Lessing-
legende" und die materialistische Geschichtsauffassung, von P. Ernst. — Polnisches und
Oberschlesisches, von Rezawa. — Beiträge zur Entwickelungsgeschichte der Grofsindustrie
in Deutschland, von J. S. — Die Weinkrisis in Frankreich, von Gallus. — Zur land-
wirtschaftlichen Krisis in Rufsland, von J. S. — Der Raum. Ein Kapitel aus einer
Philosophie für Arbeiter , von Leop. Jacoby. — Naturwissenschaft wider Gesellschafts-
\QQ Die periodische Presse Deutschlands.
Wissenschaft, von E. Bernstein. — Die badische Fabrikinspektion und die Unternehmer
vom Jahre 1893, von Max Quarck. — Der Festtag der Arbeit. — Die Verwandtschafts-
orgauisationen der Australneger , von H. Cunow. — Die politische Lage in Holland,
von H. Polak. — Die Voraussetzungen der Grundrente nach der Ricardoschen Theorie
und die Veränderungen in diesen Voraussetzungen, von P. Ernst. — Einflufs der Krisen
und der Steigerung der Lebensmittelpreise auf das Gesellschaftsleben, von J. S. — Zur
historisch-materialistischen Methode, von F. Mehring. — Homo animal possidens, von
A. S. — Weltpolitik, von H. M. — Die schweizerische Arbeiterschutzgesetzgebung, von
Dionys Zinner. — etc.
Preufsische Jahrbücher. Herausgegeben von Hans Delbrück, Band LXXVI,
Heft 3, Juni 1894: Die Verantwortlichkeit des Zeitungsredakteurs, von Fr. Oetker (Prof.,
Rostock). — Politische und wirtschaftliche Gesichtspunkte in der österreichischen Nationali-
tätenfrage, von O. Wittelshöfer (Wien). — Die evangelisch-soziale Aufgabe im Lichte der
Geschichte der Kirche, von (Prof.) A. Harnack. —
Vereinsblatt für Deutsches Versicherungswesen. Jahrg. XXII, 1894, Nr. 3
u. 4 : Staatliche Beaufsichtigung des Feuerversicherungswesens im Grofsherzogtum Baden.
— Die Feuerversicherung in der Bayerischen Kammer der Abgeordneten. — Geschäfts-
stand des Rückversicherungsverbandes deutscher Lebensversicherungsgesellschaften Ende
1893. —
Vierteljahrshefte zur Statistik des Deutschen Reichs. Herausgegeben vom
kaiserl. statistischen Amt. Jahrgang 1894, Heft 2 : Die Ausländer im Deutschen Reich
am 1. Dezember 1890. — Produktion der Bergwerke, Salinen und Hütten 1893. —
Auswärtiger Handel des deutschen Zollgebiets im Jahre 1893. — Anmusterungen von
Vollmatrosen und unerfahrenen Schiffsjungen im Jahre 1893. — Schiffsunfälle an der
deutschen Küste in den Jahren 1888 bis 1892. — Ueberseeische Auswanderung im
1. Vierteljahr 1894. — Viehhaltung im Deutschen Reich nach der Zählung vom 1. Dezember
1892. — Branntweinbrennerei und -Besteuerung 1892/93. —
Zeitschrift des k. preufsischen statistischen Bureaus, herausgegeben von dessen
Direktor E. Blenck. Jahrgang XXXIV (1894). 1. Vierteljahresheft: Die neuen Handels-
verträge Deutschlands mit Oesterreich-Ungarn, Italien, der Schweiz und Belgien und die
Aeufserungen der deutschen Handelskammern über deren Wirkungen, von L. Francke.
— Die Bäder und Heilquellen im preufsischen Staate während der Jahre 1886 bis 1890,
von A. (Frh.) v. Fircks. — Die Hypothekenbewegung im preufsischen Staate während
des Rechnungsjahres 1892/93 mit Rückblicken auf die Vorjahre. — Nekrologe : Ch. Faider,
A. Ciccone, K. Braun etc. von E. Blenck. — etc.
Zeitschrift des kgl. sächsischen statistischen Bureaus. Jahrg. XXXIX, 1893,
Heft 3 und 4 (ausgegeben Mai 1894): Die Bewegung der Bevölkerung im Königreich
Sachsen während der Jahre 1891 und 1892, von (MedR.) A. Geifsler. — Die Ergeb-
nisse der sächsischen Armenstatistik in den Jahren 1880, 1885 und 1890, von V. Böhmert.
— Beiträge zur Statistik des Grundeigentums, von (ORegR.) E. Steglich: II. Besitz-
wechselstatistik. III. Statistik der Zwangsversteigerungen. — )
Zeitschrift für Kleinbahnen. Herausgegeben im Ministerium der öffentlichen
Arbeiten. Jahrg. I, 1894, Heft 6, Juni : Vorschläge für die Einrichtung der Betriebs-
verwaltung einer Kleinbahn, von (Reg.- u. BauR.) H. Jacobi (Forts.). — Die Brölthaler
Eisenbahn, von (Reg.BauM.) Lauer, Elberfeld. — Die elektrische Zahnradbahn auf den
Mont Saleve bei Genf. — Ueber die Förderung des Baues von Kleinbahnen seitens der
Provinzial(Kommunal-) Verbände: Provinz Ostpreufsen, Brandenburg, Pommern, Posen.
— etc.
Frommannsche Buchdi uckerei (Hermann Pohle) in Jena.
J o h. Karup und R. Gollmer, Die MortalitStsverhältnisse der Lehrer etc. \Ql
IL
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer nach
den Erfahrungen der Lebensversicherungsbank
f. D. in Gotha.
Im Auftrage der Bankverwaltung bearbeitet
von
den Herren Prof. Joh. Karup u. Dr. med. R. Gollmer.
Einleitung.
Untersuchungen über die Sterblichkeit von Versicherten haben
natürlich in erster Linie Interesse für die Versicherungsanstalten selbst,
denen damit rechnerische Unterlagen oder wichtige Anhaltspunkte für
die Beurteilung der Risiken geliefert werden, aber auch der Soziologe
und der Nationalökonom wird aus ihnen brauchbare Schlüsse ziehen
können, wenn er berücksichtigt, aus welchen Bevölkerungsschichten
versicherte Leben hervorgehen und inwieweit sie sich von diesen in
gesundheitlicher Beziehung unterscheiden. Im allgemeinen ist man
außerhalb der Kreise der Fachleute geneigt, der ärztlichen Auswahl,
welche die Versicherten zu passieren haben, einen großen Einfluß zu-
zuschreiben und diese als eine gesundheitlich durchaus bevorzugte
Klasse anzusehen. Thatsächlich ist ja auch die Sterblichkeit ver-
sicherter Leben in der ersten Zeit nach der Aufnahme gering, allein
nach Ablauf von etwa fünf bis zehn Jahren ist ein Zusammenhang
zwischen Versicherungsdauer und Sterblichkeit kaum noch zu bemerken
und das alsdann in den verschiedenen Altern eintretende Sterblich-
keitsmaß gestaltet sich nur wenig günstiger, zuweilen sogar ungünstiger,
als dasjenige, welches bei nicht untersuchten Leben aus den besseren
Ständen oder bei der allgemeinen Bevölkerung in Landdistrikten
obwaltet. Die Erklärung für die vorübergehende Depression der Sterb-
lichkeit liegt nahe genug, sie ist eine einfache Folge davon, daß
chronische Krankheiten im vorgeschrittenen Stadium zumeist leicht er-
kannt werden und daß Personen, welche an solchen leiden, entweder
garnicht die Aufnahme versuchen oder direkt zurückgewiesen werden,
und daß andererseits sich auch innerhalb der bestausgewählten Gesell-
Dritte Folge Bd. Vm (LXIII). 1 1
\Q2 Joh. Karup und R. Gollmer,
schaft neben den akuten Krankheiten allmählich chronische einstelle»
und entwickeln werden, so daß in einer vor längerer Zeit ausgewählten
Gesellschaft schließlich ebenso wie in einer nicht untersuchten alle
Stufen der Gesundheit vertreten sind. Wenn aber die Sterblichkeit
versicherter Leben sich in vielen Fällen ausgängig nicht besser er-
weist, als die von nicht untersuchten Personengruppen, so wird man
wohl annehmen müssen, daß die Auswahl keine vollkommene ist, daß
es doch mancher Person mit verdeckter Krankheitsanlage gelingt, die
ärztliche Prüfung unbeanstandet zu passieren, wodurch eine dauernd
gute Wirkung der Auswahl verhindert wird. Möglich ist es aller-
dings auch, daß eine unverhältnismäßig große Anzahl Personen in den
besser situierten Klassen der Lebensversicherung gerade um deswillen
fern bleiben, weil sie sich instinktiv einer besonders guten Gesund-
heit bewußt sind und ebenso daß, wie von einigen Technikern be-
hauptet wird, die Anstalten mit starkem freiwilligem Abgang — zu
denen die Gothaer Bank übrigens nicht gehört — vorzugsweise Gesunde
ausscheiden, wodurch natürlich der mittlere Gesundheitszustand der
Zurückbleibenden verschlechtert wird. Wie dem aber auch sei , auf
jeden Fall können versicherte Leben, wenn man von den ersten Ver-
sicberungsjahren absieht, sich in gesundheitlicher Beziehung nicht stark
von den Bevölkerungsschichten unterscheiden, aus denen sie hervor-
gehen, und der Forscher wird, wenn es sich um Vergleiche zwischen
versicherten und nicht untersuchten Leben handelt, sich sogar vielfach
die Frage vorlegen müssen , ob nicht bei den letzteren der bessere
Gesundheitszustand anzunehmen ist.
Eine weit wichtigere Rolle, als die ärztliche Auswahl, spielt bei
versicherten Leben die Auswahl, welche dadurch zustande kommt,
daß die wirtschaftlich schwächsten Elemente Versicherungen nie oder
nur selten eingehen. Diese Auswahl hat zur Folge, daß die Sterb-
lichkeit versicherter Leben lediglich die Verhältnisse der mittleren
und höheren Schichten widerspiegelt. Bei Vergleichen zwischen der
Sterblichkeit der allgemeinen Bevölkerung und derjenigen der Versicherten
erhält man also vor allem einen Anhaltepunkt dafür, inwieweit die
wirtschaftliche Lage Sterblichkeitsunterschiede hervorruft. Wirklich
wertvoll wird ein solcher Vergleich jedoch erst dann, wenn die beider-
seitigen Beobachtungen nach Berufsklassen klassifiziert werden, weil
der Beruf selbst ein einflußreicher Sterblichkeitsfaktor ist und weil
eine schlechte wirtschaftliche Lage nicht bei allen Berufsarten einen ver-
derblichen Einfluß ausübt. So ist es z. B. erwiesen, daß die Fischer,
deren wirtschaftliches Niveau im allgemeinen ein sehr niedriges ist,
und die überdies der Gefahr zu verunglücken in hohem Maße aus-
gesetzt sind, dank ihrer regelmäßigen und nüchternen Lebensweise
einer recht günstigen Sterblichkeit unterliegen und Aehnliches dürfte
noch von mancher anderen Beschäftigungsart gelten. Freilich sind
Vergleiche der in Rede stehenden Art zur Zeit noch sehr schwierig
oder gar unmöglich, weil eine aus der allgemeinen Bevölkerung ge-
wonnene Sterblichkeitsstatistik nach Berufsklassen auf große technische
Hindernisse stößt und nur in wenigen Staaten, England, Dänemark
i
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc. 163
und der Schweiz und auch hier nur in beschränktem Umfange ver-
sucht worden ist, und weil andererseits Versicherungsanstalten, die
sonst zu derartigen Untersuchungen am ehesten imstande wären, für
viele Berufsklassen über zu geringe Beobachtungszahlen verfügen. Für
diejenigen Berufsklassen, die bei unseren bisherigen, an dieser Stelle
veröffentlichten Arbeiten sowie der eben vorliegenden in Betracht ge-
zogen sind, nämlich die der Geistlichen, Aerzte, Elementarlehrer,
Gymnasiallehrer und Universitätsdozenten liegt bis jetzt nur ein sehr
geringes Material aus der allgemeinen Bevölkerungsstatistik oder ver-
wandten Quellen vor, und es muß also vielfach der Zukunft vorbe-
halten bleiben, aus unseren Zahlen die rechten Schlüsse zu ziehen.
Allein bis zu einem gewissen Grade haben sie doch auch selbständigen
Wert , zumal es sich teilweise um Berufsklassen handelt , innerhalb
deren die wirtschaftliche Lage überhaupt eine bessere ist und für die
deshalb die erlangten Resultate, sofern man die Beobachtungen der
ersten Versicherungsjahre ausschließt, ohne allzu großen Fehler als
typische angesehen werden dürfen. Als solche Klassen können unserer
Ansicht nach die Geistlichen, Gymnasial- und Universitätslehrer gelten,
während es schon weniger für die Aerzte und keinenfalls für die
Elementarlehrer zutrifft, von denen viele eine kümmerliche Existenz
fristen. Und sodann hat es ja auch Interesse zu wissen, wie der
Beruf, ganz unabhängig von der wirtschaftlichen Lage, die Sterblich-
keit beeinflußt, wie sich ausschließlich diejenigen Vorteile und Nach-
teile, geistigen und körperlichen Anstrengungen, die mit einem Berufe
untrennbar verknüpft sind, in der Sterblichkeit geltend machen, worüber
gerade eine nach Berufsarten klassifizierte Sterblichkeitsstatistik ver-
sicherter Leben am besten Aufschluß zu geben vermag. Denn die
gleiche Auswahl in gesundheitlicher Beziehung und die allgemeine
Ausscheidung der wirtschaftlich schwachen Elemente lassen jene
Momente nur um so schärfer hervortreten und es muß demnach die
eigentümliche Beschaffenheit versicherter Leben, die vom biologischen
Gesichtspunkte zunächst als eine störende erschien, im gewissen Sinne
sogar als ein Vorzug betrachtet werden.
Um die oben ausgesprochene Behauptung hinsichtlich des Ein-
flusses der ärztlichen Auswahl durch einige Zahlen zu belegen und
zugleich einen Aufschluß darüber zu geben , inwieweit Beobachtungen
versicherter Leben von denen der allgemeinen Bevölkerung zu differieren
pflegen, teilen wir die folgenden kleinen Uebersichten mit. Dieselben
stützen sich fast durchgängig auf regelrecht konstruierte Absterbe-
ordnungen (Dekremententafeln der Lebenden), nur diejenigen für die
dänische Bevölkerung sind in direkter Weise, nämlich aus den soge-
nannten Sterblichkeitsintensitäten fünfjähriger Altersklassen mit Hilfe
einer Näherungsformel berechnet worden1).
1) Die Formel , welche den Sterblichkeitsprozentsatz wx/10 für die Altersstrecke
z bis x + 10 liefert, lautet
^/lO-lOO^-e-5^"1-^]
worin jjl und jjl5 die Sterblichkeitsintensitäten des ersten und letzten Quinquenniums inner
11*
164
Joh. Karup und R. Gollmer,
Tab. I.
Von je 100 Lebenden der aufgeführten Altersstufen starben inner-
halb der nächsten 10 Jahre:
Frankreich
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11,10
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45
14,32
17,38
19,91
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17.38
14.57
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14,26
55
27.82
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31,63
30,73
27.83
26,75
26,08
65
53-24
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56,08
59.94
55-50
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49.57
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82,83
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72,33
79,67
England (Männer)
Dänemark (Männer)
■2 a
CD
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Allgemeine
Bevölkerung
1838—54
Bezirke mit
durchschnittl.
geringer Sterb-
lichkeit
(Healthy
Districts)
Staatl. Lebensversich. -
Anstalt 1842—68
Allgemeine
Bevölkerung
1870—79
Hauptstadt
allein
1870—79
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CD ^
<**
Ver- Ver-
sicherte sorger
Landdi
allein
Provinz
1870
25
35
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9,58
12,17
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7,86
9,00
12,22
6,50
934
16, 05
7,00 6,53
7-76 9,33
12,27 15,59
8,61
14,79
25.36
5,87
7,92
13.28
55
65
75
25,98
48,35
78,40
28,05
49,74
77,73
21,28
43.20
73,07
29,56
52,27
79,69
25,02
49,53
80,68
25.88
48,44
76.48
37-41
57,96
82,24
23,66
46,98
76,07
Obwohl in den auf versicherte Leben bezüglichen Erfahrungen
durchgängig die ersten Versicherungsjahre, in denen eine starke De-
pression der Sterblichkeit stattfindet, mit eingeschlossen sind, so er-
scheinen jene doch nicht unbedingt als die günstigeren gegenüber den
anderen Beobachtungsreihen. So stimmen die Ergebnisse der Gothaer
Bank fast genau mit denen der Gothaer Staatswitwenkasse überein,
bei der Beamte aller Gattungen beteiligt sind und die Aufnahme an
keine ärztliche Prüfung geknüpft ist, ebenso korrespondieren die Er-
fahrungen der 23 deutschen Gesellschaften recht nahe mit denen der
Preuß. Witwenverpflegungsanstalt und diejenigen der Compagnie g6ne>ale
mit denen der allgemeinen französischen Bevölkerung. In Dänemark
halb jener Altersstrecke sind. Die Sterblichkeitsintensitäten selbst, welche das Verhält-
nis zwischen beobachteter Zahl der Sterbefälle und der von allen beobachteten Personen
durchlebten Zeit angebe, sind dem Werke Th. Sörensen's ,,De ökonomiske Forholds og
Beskjäftigelsens Indflydelse paa Dödeligheden, Kjöbenhavn 1884" entnommen.
Die Mortalitätsverhaltnisse der Lehrer etc. 1QF>
ist die Sterblichkeit der Versicherten im ganzen genommen sogar ein
wenig ungünstiger als die der allgemeinen Bevölkerung, während in
England bei einem entsprechenden Vergleiche allerdings die Ver-
sicherten als bevorzugt erscheinen. Scheidet man aber in England
und Dänemark die „ungesunden" Distrikte des Landes bezw. die
Städte aus, so übertrifft die Vitalität der allgemeinen Bevölkerung, in
der doch eine Reihe wirtschaftlich schwacher Existenzen und von
Jugend auf schwächlicher Personen enthalten sind, gar wesentlich die
der Versicherten. Den besten Beweis für die Unvollkommenheit der
ärztlichen Auslese liefern aber wohl die beiden Gruppen „Versicherte"
und ,, Versorger" der dänischen staatlichen Lebensversicherungsanstalt.
Nach dänischem Gesetz ist jeder Staatsbeamte vom Zeitpunkte der
Verheiratung an verpflichtet, der Anstalt beizutreten, aber er hat die
Wahl, eine einfache Ueberlebensrente zu gunsten seiner Frau (Witwen-
pension) oder eine Lebensversicherung von einem gewissen Minimal-
betrage abzuschließen. Für die Ueberlebensrente, deren Träger als
„Versorger" bezeichnet werden, wird eine ärztliche Prüfung nicht ge-
fordert, wohl aber für die Lebensversicherung, und wenn der Beamte
diese nicht besteht, so wird er ohne weiteres unter die Versorger
eingereiht. Wäre die ärztliche Prüfung, die ganz nach den Prinzipien
privater Lebensversicherungsanstalten erfolgt — das 1842 eingeführte
Formular für die ärztlichen Berichte wurde dem damaligen der
Gothaer Bank nachgebildet, erfuhr aber im Laufe der Zeit ebenfalls
manche Erweiterungen und Verbesserungen — nun thatsächlich so
erfolgreich, als man a priori anzunehmen geneigt ist, so würde man
offenbar erwarten müssen, daß die „Versicherten" eine erheblich
günstigere Sterblichkeit aufwiesen als die „Versorger", allein gerade
das Gegenteil ist der Fall, wie aus den obigen Zahlen hervorgeht.
Gestört wird der Vergleich allerdings dadurch, daß beide Abteilungen
auch dem allgemeinen Publikum bei Nachweis genügender Gesundheit
offen stehen; allein diesem Umstände kann doch kein allzugroßes Ge-
wicht beigelegt werden, da die Beamten, und zwar namentlich in der
Abteilung der Versorger, stark beteiligt sind.
Die Tabelle enthält noch manche interessante Aufschlüsse, auf
die wir aber hier nicht näher eingehen, da sie für die gegenwärtige
Untersuchung wenig Belang haben. Nur darauf sei hingewiesen, daß
die 20 englischen Gesellschaften, die von englischen Versicherungs-
technikern als first rate companies bezeichnet worden sind , die
Gothaer Bank und die Compagnie generale einigermaßen überein-
stimmende Ergebnisse aufweisen, während die 23 deutschen Gesell-
schaften gegenüber diesen ungünstig erscheinen und die Resultate der
dänischen Anstalt für „Versicherte" zwischen denen der genannten
zwei Gruppen liegen. Die Erklärung für die relativ hohe Sterblich-
keit der 23 deutschen Gesellschaften, unter denen die Gothaer Bank
und mehrere andere der großen Gegenseitigkeitsinstitute nicht ent-
halten sind, dürfte einesteils in der Art der Auslese liegen, die sich,
wie die Beobachtungen der Gothaer Bank nach Geschäftsperioden ge-
zeigt haben, nach längerer Erfahrung wirksamer gestalten kann,
\QQ Joh. Karup und R. Gollmer,
(Emminghaus, Mitteilungen aus der Geschäfts- und Sterblichkeits-
statistik etc., Weimar, Böhlau, S. 66), zum Teil in einer abweichenden
Zusammensetzung des Versicherungsbestandes nach Berufsklassen und
wirtschaftlicher Lage zu suchen sein, da verschiedene jener 23 Ge-
sellschaften jahrelang eine starke Acquisition unter denjenigen Schich-
ten der Bevölkerung betrieben haben, die eben noch genügende Mittel
für den Abschluß einer kleinen Versicherung besitzen. Inwieweit
letzteres auch für die dänische Staatsanstalt zutrifft, vermögen wir
nicht zu beurteilen; indes ist es Thatsache, daß die Sterblichkeit der
„Versicherten" hier seit dem Abschlüsse der oben mitgeteilten Be-
obachtungen ganz erheblich zurückgegangen ist, und es ist daher
wohl möglich, daß eine spätere Wiederholung der Untersuchung zu
Ergebnissen führen wird, die nicht hinter denjenigen von „Gotha"
zurückstehen.
I. Kapitel.
Das Material und die aus demselben gezogenen wichtigsten
Ergebnisse.
Bei einer Sterblichkeitstatistik nach Berufsklassen, die für die all-
gemeine Bevölkerung angestellt wird, läuft man leicht Gefahr, Sterbefälle
mit Personengruppen in Verbindung zu bringen, aus denen sie nicht her-
vorgegangen sind, weil man für die Berechnung der zu vergleichenden
Lebenden und Gestorbenen verschiedene Quellen, für erstere die Volks-
zählungslisten, für letztere die Sterbe register zu benutzen hat, wie sie
aus den Standes- oder pfarramtlichen Mitteilungen hervorgehen , und
weil die Altersangaben und Berufsbezeichnungen häufig ungenau und
schwankend sind. Eine derartige Fehlerquelle ist bei Versicherten,
die individuell bis zum Ausscheiden aus der Gesellschaft oder dem
Abschlußtermin der Untersuchung beobachtet werden, nicht vorhanden;
allein es können auch hier leicht unrichtige Resultate entstehen, wenn
man außer acht läßt, daß Berufswechsel vielfach erst mit dem Tode
oder dem Ausscheiden eines Versicherten zur Kenntnis der Anstalt
gelangen. Dieser Umstand macht natürlich eine scharfe und generelle
Berücksichtigung des Berufswechsels überhaupt unmöglich, allein er
läßt auch eine Verwertung aller zur Verfügung stehenden Berufsan-
gaben als unzulässig erscheinen, weil damit eine abweichende Klassi-
fikation der Gestorbenen und der bei Abschluß der Beobachtung noch
Lebenden eintreten würde, die bei jeder Statistik vermieden werden
muß. Der einzige Ausweg besteht darin, daß man sich lediglich an
die Angaben hält, die beim Zugang zur Anstalt gemacht wurden, un-
bekümmert darum, ob der damals ausgeübte oder angestrebte Beruf
für die ganze fernere Versicherungsdauer Geltung hatte oder nicht,
und ein solches Verfahren ist dann auch bei unseren bisherigen Unter-
suchungen sowie der vorliegenden eingeschlagen worden. Während
wir aber unter die Geistlichen und Aerzte alle Personen einreihten,
die Theologie und Medizin studiert hatten oder zur Zeit der Auf-
nahme studierten und auch diejenigen Gymnasiasten berücksichtigten,
Die Mortalitätsverhälttiisse der Lehrer etc. 167
die sich später dem betreffenden Studium zuwandten, indem wir an-
nahmen, daß Gymnasiasten, welche ein Studium ergreifen, dies stets
der Anstalt mitteilen, haben wir zu den Lehrern nur solche Personen
gezählt, die bei der Aufnahme eine Lehrthätigkeit bereits ausübten
oder sich für das Lehrfach als Seminaristen oder Studenten vorbe-
reiteten. Auf diese Weise dürfte es uns geglückt sein, die Berufs-
klasse der Lehrer noch etwas schärfer als die beiden anderen abzu-
grenzen, obwohl die Fälle, wo ein Theologe oder Mediziner sich dauernd
einem fremden Berufe zuwendet, relativ selten sind. Hervorzuheben
ist noch, daß die Beobachtungszahlen der Geistlichen und Aerzte, in-
folge der Einrechnung von Gymnasiasten, erst von demjenigen Alter
ab, mit dem das Studium sicher begonnen hat, verwendbar sind,
weil die zugehörigen Sterbefälle für die jungen Alter fehlen, die
gegenwärtigen Zahlen aber einer gleichen Einschränkung nicht unter-
liegen.
Um ein möglichst homogenes Material zu erlangen, sind Musik-,
Turn- und Zeichenlehrer nicht mit aufgenommen, ebenso Privatlehrer,
Hauslehrer und Informatoren, deren Beschäftigungs- und Lebensweise
von den öffentlich wirkenden Lehrern verschieden sind. Israelitische
Lehrer wurden berücksichtigt, insoweit sie nicht ausschließlich Reli-
gionslehrer waren, die vielfach den Schulunterricht nur als Nebenbe-
schäftigung ausüben. Die Beobachtungszeit erstreckte sich vom
1. Januar 1829 resp. dem Eintritt der Personen in die Bank bis zum
Prämientermin in 1890; demzufolge kam der Zugang von 1890 selbst
nicht mit in Betracht und es hatten alle diejenigen, welche den Ab-
schlußtermin der Beobachtung erlebten, nur volle Versicherungsjahre
zurückgelegt. Im ganzen umfaßte das Material 12381 Personen, von
denen 4078 starben, 1187 abgingen und 7116 am Abschlußtermin
noch vorhanden waren. Unter jenen 12 381 Personen befanden sich
7591 Elementarlehrer, die zusammen 160 844 Jahre unter Risiko
standen und 2805 Sterbefälle lieferten, 4077 Gymnasiallehrer mit
63 315 Risikojahren und 1049 Sterbefällen, ferner 609 Hochschullehrer
mit 10614,5 Risikojahren und 221 Sterbefällen und schließlich 104
Lehrerinnen, aus denen 3 Sterbefälle hervorgingen. Letztere Gruppe
konnte für sich keine brauchbaren Resultate ergeben, unterschied sich
aber doch auch so wesentlich von den übrigen Gruppen, daß es richtig
erschien , sie ganz beiseite zu lassen. Einigermaßen schwierig war
die Scheidung zwischen Elementar- und Gymnasialfach einer-, und
Gymnasiallehrer und Hochschuldozenten andererseits , da eine nicht
geringe Zahl von Personen sich nur als Lehrer, andere als Professoren
und dergl. ohne weiteren Zusatz deklariert hatten, und eine Ergän-
zung dieser Angaben durch Umfragen nur für die Lebenden Erfolg
gehabt und somit zu einer ungleichen Behandlung der Lebenden und
Gestorbenen geführt hätte, was immer zu vermeiden ist. Man ent-
schied sich schließlich dahin, alle Personen, die sich lediglich als
Lehrer oder Rektor deklariert hatten und nicht den Titel „Doktor"
führten, dem Elementarlehrerfach, alle Personen aber, welche unver-
kennbar akademisch gebildet waren und sich nicht ausdrücklich als
168
Joh. Karup und R. Gollmer,
Tab. II.
Elementarlehrer (inkl. Seminaristen).
1.
_ —r . 1 • l_ 1
. Versicherungsj.
Ohne Unterscheid.
1. — 5. Versicherungsjanr
und aufwärts
d. Versicherungsj.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
J3
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Es
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5
210,5
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5
27
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5
28
1815,5
8
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2
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10
29
1916
7
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5
2555-5
12
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15
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18
31
2212,5
15
1130
7
3342.5
22
32
2206,5
12
1395
15
3601.5
27
33
2166,5
13
1684
13
3850.5
25
34
2126
7
1949,5
12
40/5,5
19
35
1975
7
2326
8
43° 1
•5
36
1895,5
3
2593
14
4488,5
17
37
1759
13
2851
J5
4610
28
38
1626
8
3^3
19
4739
27
39
1506
12
33i6,5
22
4822,5
34
40
1357-5
10
3536
28
4893-5
38
41
1210
7
3678.5
30
4888.5
37
42
1138,5
11
3766,5
37
4905
48
43
!034
6
3853-5
3i
4887,5
37
44
IIOO
10
3696
35
4796
45
45
780.5
1
3913
42
4693,5
43
46
712,5
7
3894,5
39
4607
46
47
615
7
3864,5
57
44"9,5
64
48
52»
3
3818
45
4339
48
49
477
4
3717
3°
4194
34
50
445
6
3641
5i
4086
57
51
373,5
4
3568,5
40
3942
44
52
3295
5
3482
64
3811,5
69
53
283
2
3359
52
3642
54
54
261
3
3262
54
3523
57
55
215,5
3i7i
53
3386,5
53
56
199.5
1
3043 5
61
3243
62
57
191
3
2915
72
3106
75
58
176,5
3
2787.5
65
2964
68
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc.
169
Tab. II (Fortsetzung).
1.
1. — 5. Versicherungsjahr
6. Versicherungsj.
und aufwärts
Ohne Unterscheid,
d. Versicherungsj.
u
2.
3.
4.
5.
6.
7.
öS
Es standen ein volles Ver-
Es
Es
*3?
sicherungsjahr unter Risiko,
Es gingen aus |
gingen
gingen
8
nachd. sie zu Anfang desselb.
diesen während d.
Es standen
aus
Es standen
aus
d. nebensteh. Lebensjahr ab-
betreffenden Be-
unter
diesen
unter
diesen
gerundet passiert hatten,
obachtungsdauer '
Risiko
Sterbef.
Risiko
Sterbef.
Personen *)
Sterbefälle hervor
hervor
hervor
59
156.5
6
2654
66
2810,5
72
60
126.5
1
2510
68
2636,5
69
61
100,5
3
2373
67
2473,5
70
62
76,5
2
2243
83
2319,5
85
63
5°»5
1
2095
85
2145,5
86
64
3°
19335
88
1963.5
88
65
16
1
1775.5
72
I79L5
73
66
II
16335
80
1644,5
80
67
7,5
1
1496
65
I503,5
66
68
4
1347,5
90
1351,5
90
69
3-5
1
1186
80
1189,5
81
70
1
1
1032.5
65
I033.5
66
71
906
70
906
70
72
801.5
62
801,5
62
73
695
50
695
5o
74
615
70
615
70
75
497,5
58
497-5
58
76
417,5
54
417,5
54
77
345
38
345
38
78
285.5
47
285,5
47
79
230,5
37
230,5
37
80
184
25
184
25
81
149
22
149
22
82
H3'5
18
H3,5
18
83
84.5
18
84,5
18
84
57
16
57
16
85
37
11
37
11
86
22.5
5
22,5
5
87
16
5
16
5
88
8
3
8 3
89
3
3
90
'
1
15-9C
42554
266
| H7905,5
2539
160459,5
2805
1) Das Alter zu Anfang eines Versicherungsjahres wird einfach bestimmt, indem zu
dem Beitrittsalter die Zahl der in der Anstalt zurückgelegten Versicherungsjahre addiert
wird, als Beitrittsalter selbst gilt aher immer das zur Zeit des Zugangs nächstliegende,
schon passierte oder erst zu passierende volle Lebensjahr. Vergl. die Arbeit über die
Aerzte, I. Kap , Jahrbücher, 13. Band, 1886.
170
Joh. Karup und R. Gollmer,
Tab. III.
Gymnasiallehrer (inkl. solcher Studenten, die sich für das Lehrfach
vorbereiteten).
1.
1. — 5. Versicherungsjahr
6. Versicherungsjahr
und aufwärts
Ohne Unterscheidung der
Versicherungsjahre
u
ja
3
2.
3.
4.
5.
6.
7.
d
Es gingen
Es gingen
Es gingen
J=
Es standen
aus diesen
Es standen
aus diesen
Es standen
aus diesen
J
unter Risiko
Sterbefälle
hervor
unter Risiko
Sterbefälle
hervor
unter Risiko
Sterbefälle
hervor
18
6
6
19
27
27
20
57,5
57,5
21
945
1
94,5
I
22
128.5
128.5
23
186,5
2
6
192,5
2
24
261
I
19,5
280.5
I
25
360,5
39-5
400
26
483,5
3
70
553-5
3
27
633
4
84.5
I
7170
5
28
762
4
118
2
880
6
29
899
4
188
I
1087
5
30
974
5
280,5
I
1254,5
6
31
1021
3
382
3
'403
6
32
1044,5
5
487.5
4
!532
9
33
1030.5
2
609
2
1639.5
4
34
953 5
756
6
1709.5
6
35
922
1
887,5
3
1809.5
4
36
878
3
1024
5
1902
8
37
814
7
U395
2
1953-5
9
38
744
5
1248
9
1992
H
39
704
4
1306
7
2010
11
40
635,5
4
1388
10
2023,5
14
41
564,5
4
1444,5
12
2009
16
42
497,5
3
1484,5
*3
1982
16
43
466.5
1
1495
10
1961.5
11
44
402
3
J536.5
16
19385
19
45
356,5
1
!532,5
12
1889
13
46
320
3
1514
H
1834
17
47
294
1
1471
23
1765
24
48
253.5
1452,5
18
1706
18
49
239 5
5
1409
17
1648,5
22
50
212.5
1358
19
1570,5
19
51
184
2
1306
*9
1490
21
52
161,5
2
1269
13
14305
15
53
139,5
4
1227
22
1366,5
26
54
116,5
1
1172,5
16
1289
17
55
955
1
1 130.5
19
1226
20
56
89
2
1075,5
22
1164,5
24
57
75
2
1047.5
24
II225
26
58
65
1
1012,5
18
1077,5
19
59
58
4
967
24
I025
28
60
47,5
2
924
21
971,5
23
61
37
871 5
18
908,5
18
6
30
2
830,5
27
860.5
29
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc.
171
Tab. III (Fortsetzung).
1.
1. — 5. Versicherungsjahr
6. Versicherungsjahr
und aufwärts
Ohne Unterscheidung der
Versicherungsjahre
s-
2.
3.
4.
5.
6.
7.
s
Es gingen
Es gingen
Es gingen
_a
Es standen
aus diesen
Es standen
aus diesen
Es standen
aus diesen
"-
unter Risiko
Sterbefälle
hervor
unter Risiko
Sterbefälle
hervor
unter Risiko
Sterbefälle
hervor
63
21
779
27
800
27
64
12.5
733-5
35
746
35
65
II
6705
3°
681.5
30
66
IO
I
621.5
32
631,5
33
67
7.5
572
22
579 5
23
68
4
534
29
538
29
69
3
4795
33
482,5
33
70
i
427
37
428
37
71
373-5
'5
373<5
15
72
342
32
342
32
73
298
3o
298
30
74
257
25
257
25
75
220
25
220
25
76
183
17
183
17
77
159
21
159
21
78
132
12
132
12
79
112
12
112
12
80
84
16
84
16
81
61.5
9
61,5
9
82
48,5
13
48,5
13
8>!
3°
4
30
4
84
22
4
22
4
85
15
6
15
6
80
8
3
8
3
87
5
1
5
1
88
4
1
4
1
89
3
1
3 1
90
1
1
18 9(>| 18395
104
44740
945
63135
1049
Dozenten einer Hochschule bezeichnet hatten, dem Gymnasialfach zu-
zuzählen. In das letztere wurden generell auch die Schuldirektoren
eingereiht, deren wirtschaftliche Lage mit derjenigen der Gymnasial-
lehrer ziemlich übereinstimmt und die vielfach auch die Universität
besucht haben. Als Hochschule galten nicht nur die Universitäten,
sondern auch die technischen Hochschulen, die land- und forstwirt-
schaftlichen Akademien, nicht aber das Technikum schlechthin, dessen
akademisch gebildete Lehrkräfte unter den Gymnasiallehrern Aufnahme
fanden.
In den vorhergehenden Tabellen II und III sind für die beiden
wichtigsten, weil besonders stark besetzten, Gruppen der Elementar-
lehrer und Gymnasiallehrer erlangten Resultate nach einzelnen Lebens-
jahren, mit teilweiser Unterscheidung der Versicherungsdauer, mitge-
172
.loh. Karup und R. Gollmer,
teilt, damit dem Forscher die Möglichkeit selbständiger Untersuchungen
gelassen ist. Direkte Schlüsse lassen sich aber aus diesen Zahlen
nicht ziehen, und wir fügen deshalb alsbald einige weitere Ueber-
sichten, Tabelle IV und V bei, in denen Zusammenfassungen nach
größeren Altersklassen stattgefunden haben.
Tabelle IV.
Sterblichkeit nach 5-jährigen Altersklassen.
1. — 5. Versicherungsjahr
6. Versicherungsjahr
und aufwärts
Ohne Unterscheidung der
Versicherungsjahre
Alters-
klasse
Lebende
unter
Risiko
Sterbe-
fälle
Sterblich-
keitspro-
zentsatz
Lebende
unter
Risiko
Sterbe-
fälle
Sterblich-
keitspro-
zentsatz
Lebende
unter
Risiko
Sterbe-
fälle
Sterb-
lichk.-
proz.-
satz
a) Elementarlehrer.
21—25
26—30
31—35
36—40
41—45
46—50
51—55
56—60
61—65
66 — 70
71—75
76—81
81—85
86—90
26—30
31—35
36—40
41—45
46 — 50
51—55
56—60
61—65
66—70
71—75
76—80
81—85
86—90
3589
20
0,5 6
338,5
I
3 927,5
21
8906
40
0,4 5
2 484,5
10
O,40
U390,5
50
10 686,r»
54
O.Öl
8 484,5
54
0,64
19 171
108
8 144
46
0,56
15 409,5
98
0,64
23 553,5
144
5263
35
0,66
18 907,5
175
0,93
24 170,5
210
2 770.5
27
0,97
18 935
222
1,17
21 705,5
249
1 462,5
14
0,96
l6 842,5
263
1,56
18305
277
850
14
1,65
13 9IO
332
2,39
14 760
346
273,5
7
2,56
IO42O
395
3,79
10693,5
402
27
3
6695,5
380
5,68
6 722,5
383
3515
310
8,82
3515
310
I 462,5
201
13,74
1 462,5
201
44I
85'
19,27
441
85
50,5
13
25-74
50,5
13
b) Gymnasiallehrer.
3751,5
20
sah-
741
5
0,67l
4 492,5
25
4971,5
1 1
3 122
18
0,58/ '
8093,5
29
3 775,5
23
6 105,5
33
°'54lo71
9881
56
2 287
12
7 493
63
0,84|°"a
9 780
75
1 3195
9
t:><
7 204,5
9i
KI«*
8524
100
697
10
6 105
89
6 802
99
334,5
111,5
11
2
s:H
5 026,5
3885
109
137
Sil*«
5 36'
3 996,5
120
139
25,5
2
2634
153
5,81
2659,5
»55
1 490,5
127
8,52
1 490,5
127
670
78
11.64
670
78
177
.36
20,34
177
36
21
6
28,57
21
6
0,53
0,44
0,56
0,61
0,87
1,15
1,51
2,34
3,7ft
5,70
8,82
13,14
19,27
25,74
0,56
0,36
0,57
0,77
1,17
1,46
2,24
3,48
5,83
8,52
11,64
20,34
28,57
Was bei einer Betrachtung der Tabelle IV vor allem auffällt,
ist die relativ geringe Sterblichkeit der ersten 5 Versicherungsjahre
gegenüber derjenigen für „6 und aufwärts", die bei beiden Gattungen
von Lehrern in fast allen Altersklassen hervortritt und die lediglich
auf die ärztliche Auswahl zurückzuführen ist, deren Einfluß sich vor-
zugsweise in den ersten Versicherungsjahren geltend macht. Be-
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc.
173
Tab. V.
Vergleiche zwischen der Sterblichkeit verschiedener Lehrergattungen
(bei Zusammenfassung der Beobachtungen aller Versicherungsjahre).
1.
Elementarlehrer
Gymnasiallehrer
2.
3.
4.
5.
6.
Zahl der
Sterbefälle
8.
Prozent-
Alters-
klasse
Lebende
unter
Risiko
Sterbefälle
Sterb-
lich-
keit
in 0/0
Lebende
unter
Risiko
wirk-
lich
rechnungs-
mäfs. n. d.
Erfahr, f. Ele-
mentarlehrer
(8)X(4)
satz der
wirkl. Zahl
d. Sterbe f.
v. d. rech-
nungsmäfs.
26—30
II 390,5
5°
0.439
4492,5
25)
56|l8S
75'
19 72^1
45'57LT-„,
31—35
19 171
108
0,563
8093,5
87,8
36—40
23 553.5
144
0,611
9881
Z^ „~ / 2 10,6 5
00,3 7 j '
84,99/
41—45
24 170,5
2IO
0,869
9780
46—50
21 705,5
249
1,147
8524
100
97,77]
51—55
18305
2/7
1,513
6802
99
,319
102,92
,326.35
97,7
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76—80
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104
5
1101,7
9
94,8
Tabelle V (Fortsetzung).
1.
Dozenten (exkl. Mediciner)
Dozenten der Medizin
9.
10. | 11.
12.
13.
14.
15.
16
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130,1
174 Joh. Karup und R. Gollmer,
rechnet man, was allerdings keine der mitgeteilten Tabellen zuläßt,
wie viele Sterbefälle unter den Elementarlehrern und Gymnasiallehrern
in dem ersten Versicherungsjahre allein eingetreten wären, wenn für
jede Gattung und jede 5-jährige Altersklasse die zugehörige Durch-
schnittssterblichkeit aller Versicherungsperioden Geltung gehabt hätte,
so erhält man als Prozentverhältnis zwischen wirklicher und erwar-
tungsmäßiger Sterblichkeit (aller Alter) bei den Elementarlehrern
70.2 und bei den Gymnasiallehrern 75,7 Proz. Für die Versicherungs-
periode 2 — 5 ergiebt eine entsprechende Rechnung resp. 89,1 und
88.3 Proz. und für „6 und aufwärts" resp. 101,6 Proz. und 101,7
Proz., woraus sich schließen läßt, daß die Sterblichkeitsunterschiede
nach der Versicherungsdauer mit dem Zunehmen der letzteren rasch
abnehmen und die Zahlen für „6 und aufwärts" den definitiven Zu-
stand ziemlich nahe widerspiegeln. Bei den Geistlichen stellte sich
das Verhältnis zwischen wirklicher und durchschnittlicher Sterblichkeit
in den Versicherungsperioden 1, 2—5, „6 und aufwärts" auf resp.
74,1, 93,0 und 100,8 Proz., bei den männlichen Versicherten der Bank
überhaupt (bis 1878) auf resp. 67,9, 91,8 und 102,6 Proz. Die Be-
wegungen in der Sterblichkeit mit der Versicherungsdauer vollziehen
sich also ziemlich gleichmäßig bei der Gesamtheit und den einzelnen,
nach Beruf ausgesonderten Personengruppen.
Von Interesse ist es, den Unterschied zwischen Elementar- und
Gymnasiallehrersterblichkeit kennen zu lernen, der eben deutlich erst
aus Tabelle V erhellt, wo die Erfahrungen verschiedener Lehrer-
gattungen mit Hilfe der Methode der „rechnungsmäßigen Sterbefälle"
verglichen sind. Als Norm galten hierbei die recht umfänglichen und
deshalb auch für engere Altersstrecken zuverlässigen Beobachtungen
über Elementarlehrer. Die Hauptergebnisse der Tabelle sind nun,
daß die Sterblichkeit der Gymnasiallehrer für alle Alter 94,8, die
Sterblichkeit der Dozenten bei Ausschluß der Mediziner 79,2, und die
der Mediziner allein 130,1 Proz. der rechnungsmäßigen, d. h. der
Elementarlehrersterblichkeit betrug. Verfolgt man den Verlauf der
Sterblichkeit nach Altersklassen, so stellt sich das Prozentverhältnis
zwischen wirklicher und rechnungsmäßiger Sterblichkeit der Gymna-
siallehrer für die Alter 26—45 auf 87,8, für die Alter 45—60 auf
97,7 und für die Alter 61 — 90 auf 95,8 Proz. Hiernach ist ein be-
trächtlicher Unterschied zwischen der Sterblichkeit von Gymnasial-
lehrern und derjenigen von Elementarlehrern eigentlich nur bis zum
45. Lebensjahre bemerkbar, was insofern überraschen wird, als die
Elementarlehrer zumeist schlechter situiert sind und ihre Lehrthätig-
keit unter ungünstigeren Verhältnissen ausüben, als ihre akademisch
gebildeten Kollegen. Allein es darf eben nicht außer acht gelassen
werden, daß versicherte Elementarlehrer zumeist zu den besser
situierten Elementen ihres Berufes gehören, und daß daher die wirt-
schaftliche Lage der beiden in Rede stehenden Gattungen hier weit
weniger auseinander gehen wird, als bei den Berufsangehörigen im
allgemeinen. Und sodann ist es doch einigermaßen fraglich, ob die
größeren geistigen Anstrengungen, denen die Gymnasiallehrer sowohl
Die Mortalitätsverhaltnisse der Lehrer etc. 175
bei der Lehrthätigkeit selbst, als bei dem ermüdenden Korrigieren
der Schularbeiten unterworfen sind, nicht ebenso schädlich wirken,
wie überfüllte Schulstuben und übermäßige Stundenzahl, die vorzugs-
weise die Elementarlehrer belasten. Ein schädliches Moment ist bei-
den Gattungen gemeinsam, der häufige Aerger, der mit dem Unter-
richten von Kindern verknüpft ist; allein möglicherweise ist hierin
der Gymnasiallehrer noch schlechter daran , als sein Kollege vom
Elementarlehrerfach, da er vielfach oder ausschließlich mit älteren
Kindern zu thun hat, die in Ungezogenheiten besonders erfinderisch
zu sein pflegen und bei denen körperliche Zuchtmittel ausgeschlossen
sind. Andererseits ist der Lehrberuf auch mit günstigen Momenten
verknüpft, die beiden Lehrergattungen in fast gleichem Maße eigen-
tümlich sein mögen, wie regelmäßige Beschäftigung und Lebensweise,
häufige Unterbrechung der Thätigkeit durch Ferien und gesicherte
Stellung. So läßt es sich denn ganz gut erklären, wenn die hier kon-
statierten Unterschiede zwischen den beiden Gattungen meist gering
sind und sich noch vollends verflüchtigen, wenn man den Gymnasial-
lehrern, die sich ausschließlich in Städten aufhalten, auch nur städtische
Elementarlehrer gegenüberstellt. Ein solches Resultat wird nämlich
in der Folge thatsächlich bei Gruppierung der Elementarlehrer nach
Stadt und Land hervortreten.
Darüber, ob die Sterblichkeitsverhältnisse der hier in Betracht
gezogenen Berufsklassen überhaupt als günstige oder ungünstige an-
zusehen sind, kommt man natürlich erst ins Klare, wenn man sie
mit den Ergebnissen anderer Berufsklassen vergleicht, und wir bringen
deshalb nunmehr eine Tabelle, in welcher alle von uns bisher unter-
suchten Berufsklassen berücksichtigt sind. Der Vergleich ist in der-
selben "Weise wie in der letzten Tabelle durchgeführt, als Norm ist
aber nicht mehr die Sterblichkeit der Elementarlehrer, sondern die-
jenige benutzt, die unter den männlichen Versicherten der Gothaer
Bank bis 1878 beobachtet wurde.
(Siehe Tabelle VI auf S. 176.)
Nach den Endzahlen dieser Tabelle haben die Dozenten bei Aus-
schluß der Mediziner die niedrigste Sterblichkeit mit 71,2 Proz. der
allgemeinen durchschnittlichen, hierauf folgen der Reihe nach die
Gymnasiallehrer mit 83,5, die Geistlichen mit 85,9, die Elementar-
lehrer mit 87,8, die Aerzte mit 111,0 und die Dozenten der Medizin
mit 113,8 Proz. Innerhalb der in Betracht gezogenen drei Alters-
klassen gestaltet sich das Verhältnis teilweise anders, in der jüngsten
von 26—45 resp. 21 — 45 rangieren die Geistlichen vor den Gymnasial-
lehrern, in der Altersklasse 61 — 90 dagegen die Elementarlehrer sogar
in oder mit den Geistlichen. Am stärksten sind die Unterschiede
vorder jüngsten Altersklasse, wo die Geistlichen eine relative Sterb-
lichkeit von 70,2 und die Aerzte eine solche von 125,9 Proz. auf-
weisen, was einer Mehrsterblichkeit (in Prozenten der allgemeinen
durchschnittlichen) von 55,7 Proz. entspricht, am geringsten in der
Altersklasse 61 — 90, wo die Sterblichkeit bei den Gymnasiallehrern
90,2, bei den Aerzten 105,0 Proz. beträgt. Zieht man die Dozenten
176
Joh. Earup und R. Gollmer,
Tab. VI.
Vergleiche zwischen den Sterblichkeitsverhältnissen versicherter
Personen in verschiedenen Berufsklassen.
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it nach
en Bank-
Männer
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Gymnasiallehrer
Elementarlehrer
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87,8
Tab. VI (Fortsetzung).
Dozenten exel . Mediziner
Dozenten der Medizin
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Zahl der Sterbe-
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10.
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947.7
111.0
1) Unter Ausschlufs derjenigen Beobachtungen , die seiner Zeit über Abgegangene
nachträglich angestellt wurden, um für die höchsten Altersklassen mehr Material zu ge-
winnen.
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc. 177
mit in Betracht, so ergeben sich durchgängig größere Unterschiede
zwischen Minimal- und Maximalsterblichkeit, worauf indes nicht zu
viel Gewicht gelegt werden darf, da das Material hier zu gering ist,
um für die jüngeren Altersklassen zuverlässige Resultate zu liefern.
Im ganzen genommen sind also die Sterblichkeitsverhältnisse ver-
sicherter Lehrer recht günstige, was darauf hinweist, daß die mit dem
Lehrberuf verknüpften gesundheitlichen Nachteile von den entgegen-
stehenden Vorteilen mehr als paralysiert werden. Bei den Dozenten
fehlen jene überhaupt ganz und es ist daher nur natürlich, wenn die
Sterblichkeit eine sehr niedrige ist. Eine Ausnahme bilden die
Mediziner, die aber bekanntlich neben ihrem Lehrberuf praktisch
thätig zu sein pflegen und deren ganze Lebensweise mehr derjenigen
der „Aerzte" als ihrer akademischen Kollegen ähnelt. Ja, es ist so-
gar nicht unmöglich, daß gerade diese doppelte Thätigkeit recht un-
günstig einwirkt, indem sie zu besonderen geistigen Anstrengungen
und Aufregungen führt und es darf daher nicht wundern , wenn die
zugehörige Sterblichkeit selbst diejenige der praktischen Aerzte er-
reicht, wenn nicht übersteigt. Das Verhältnis zwischen der Sterb-
lichkeit der Aerzte und der medizinischen Dozenten tritt übrigens
noch besser hervor, wenn man die erstere als Norm ansieht, es er-
giebt sich dann als rechnungsmäßige Zahl der Sterbefälle für die
medizinischen Dozenten 65,47 gegenüber einer wirklichen Zahl von 67,
was einem Verhältnis von 100 : 102,3 entspricht.
Ebenso, wie seiner Zeit die Beobachtungen für Geistliche, haben
wir auch die für Elementarlehrer nach „Stadt" und „Land" sowie nach
geographischen Bezirken zerlegt. Dem Lande wurden wiederum die-
jenigen Personen zugezählt, welche sich zur Zeit der Aufnahme in
Ortschaften befanden, die nach der Volkszählung von 1885 weniger
als 10 000 Einwohner hatten, der Stadt alle übrigen Personen. Welche
Volkszählung einer derartigen Scheidung zu Grunde gelegt wird,
ist ziemlich irrelevant, sofern nur eine solche gewählt wird, bei
der die Mehrzahl der Personen unter Beobachtung stand , denn die
zwischen Land und Stadt zu ziehende Grenze ist ja an sich eine
ziemlich willkürliche; um etwaige Vergleiche zwischen den einschlägigen
Resultaten für Geistliche und Lehrer zu ermöglichen, griffen wir daher
auf jene Volkszählung zurück, obwohl bereits eine neue zur Verfügung
stand. Personen, welche zur Zeit der Aufnahme Seminaristen waren,
wurden weder bei der Untersuchung nach Stadt und Land, noch bei
der nach geographischen Bezirken mit eingeschlossen, da solche sich
nur kurze Zeit an dem ursprünglichen Wohnorte aufzuhalten pflegen.
(Siehe Tabelle VII auf S. 178.)
Die Tabelle bestätigt, was oben hinsichtlich der Sterblichkeit
städtischer Lehrer im Vergleiche zu derjenigen von Gymnasiallehrern
gesagt wurde, in der Altersklasse 21 — 45 beträgt die Sterblichkeit
jener Gattung, wenn sie nach derjenigen der Landlehrer bemessen
wird, 81,4, die der anderen Gattung 84,1 Proz., in der Altersklasse
46 — 60 stellen sich die Prozentsätze auf 94,0 und 96,5, in der Alters-
klasse 61 — 90 auf 99,9 und 95,7 Proz. Die Unterschiede sind also
Dritte Folge Bd. Vm (LXm). 1 2
178
Joh. Kamp und R. Gollmer,
Tab. VII.
Sterblichkeit der Lehrer nach Stadt und Land.
1.
Elementarlehrer
Land
Elementarlehrer
Stadt
Gymnasiallehrer
2.
3.
4.
5.
6. | 7.
8.
9. | 10.
Sterbefälle
Sterbefälle
Alters-
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Prozentsatz der wirklichen Zahl
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lehrer eintreten können. Will man gleichwohl weitergehende Schlüsse
ziehen, so würden sie sich darauf beschränken müssen, daß der Beruf
des Gymnasiallehrers in jüngeren Jahren aufreibender wirkt, als der
der Elementarlehrer, daß aber im Alter ein umgekehrtes Verhältnis
obwaltet.
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc. 179
Das Verhältnis zwischen der Sterblichkeit von Stadt und Land
stellt sich bei den Lehrern wesentlich anders als bei den Geistlichen;
während die Stadt für diese eine kleine und bei dem geringen Um-
fang der zugehörigen Beobachtungszahlen bedeutungslose Uebersterb-
lichkeit aufwies, zeigt sie bei den Lehrern umgekehrt eine nicht un-
erhebliche Mindersterblichkeit, nämlich für alle Alter zusammen von
5,8 (100—94,2) Proz. Welche Ursachen dieses Ergebnis bedingt haben,
ist schwer zu sagen ; möglicherweise hängt es aber doch damit zu-
sammen, daß der städtische Lehrer im allgemeinen besser situiert ist
als sein ländlicher Kollege, obwohl bei versicherten Leben innerhalb
einer und derselben Berufsklasse die wirtschaftlichen Momente nur in
abgeschwächtem Maße zur Geltung kommen. Mit Sicherheit geht aber
sowohl aus den Untersuchungen für Geistliche als aus den gegen-
wärtigen hervor, daß es ein großer Irrtum ist, wenn man, wie dies
vielfach geschehen ist, dem Aufenthalt auf dem Lande an sich eine
besonders günstige Wirkung auf Gesundheit und Sterblichkeit zu-
schreibt. Wäre er auf den Sommer allein beschränkt, so würde dies
vielleicht zutreffen , bei ständigem Landaufenthalt aber paralysieren
eben augenscheinlich die Unbilden der Witterung in den rauheren
Jahreszeiten die guten Wirkungen des Sommers. Zu einem ähnlichen
Resultate ist Westergaard gelangt, indem er die Sterblichkeit dänischer
Aerzte nach Stadt und Land untersuchte, und es unterliegt wohl kaum
noch einem Zweifel, daß die starken Differenzen, die sich in der Sterb-
lichkeit von städtischer und ländlicher Bevölkerung zu gunsten der
letzteren offenbaren (vergl. z. B. Tabelle I in der Einleitung), vielfach
auf Berufsunterschiede zurückzuführen sind und also bei einer detail-
lierteren Zerlegung des Materials nach Berufsklassen mehr oder weniger
verschwinden würden.
Eine Untersuchung über die Sterblichkeit nach geographischen
Bezirken ist bei Geistlichen wohl geeignet, die Einflüsse von Klima
und Lebensgewohnheiten darzulegen, weil diese Berufsklasse fast überall
auskömmlich situiert ist und auch überall nahezu gleichen Anforde-
rungen an Geist und Körper zu genügen hat. Weniger trifft dies für
Lehrer selbst dann zu, wenn es sich nur um versicherte handelt, deren
Lebenslage in verschiedenen Bezirken nicht sehr stark auseinander
gehen dürfte, denn die Fürsorge, die dem Volksschulwesen zugewendet
wird, ist in verschiedenen Teilen Deutschlands nicht die gleiche und
je nach der Entwickelung des Volksschulwesens wird der Lehrer mehr
oder weniger überbürdet sein. Das nimmt natürlich einer derartigen
Untersuchung nicht den Wert, wohl aber bedingt es, daß man bei der
Deutung der Ergebnisse möglichst vorsichtig sein und alle einschlägigen
Verhältnisse berücksichtigen muß.
Die Einteilung der geographischen Bezirke stimmt mit derjenigen
überein, die bei den Geistlichen Anwendung fand, und wir begnügen
uns deshalb, hinsichtlich der Details auf die betreffende Arbeit zu
verweisen. Als rechnungsmäßige Norm wurde die Sterblichkeit der
Elementarlehrer für sämtliche Bezirke benutzt.
12*
180
Joh. Karup und R. Gollmer,
Tab. VIII.
Sterblichkeit der Elementarlehrer nach geographischen Bezirken.
1.
Sämtliche Gebiete
Nord
Süd
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9-
10.
Steroefälle
Sterbefälle
o
0
0
Alters-
klasse
JA
na Ol
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21—25
3 339
17
0,509
443
3
2,25
528,5
2
2,69
26—30
ii 067,5
49
0,443
1533
S
6,79
1416
8
6,27
31—35
19035
106
0,557
2889
16
16,09
2497,5
17
13,91
36—40
23 494.5
144
0,613
3749.5
29
22,98
3324
20
20, 38
41—45
24 129,5
210
0,87 0
3969
27
34.53
3652,5
38
31,78
46—50
21 677,5
249
1,149
3638
50
41,80
3490,5
47
40.11
51—55
18280
276
1,510
3075
48
46,43
3079.5
45
46.50
56—60
H745
345
2,340
2480
7i
58,03
2606
66
60. 9 8
61—65
10 683.5
402
3.763
1787
70
67.24
1909,5
82
71,85
66—70
6 719 5
3»3
5,700
1120,5
60
63,87
1190,5
80
67.86
71 — 75
3 515
310
8.819
622.5
47
54,90
614
53
54.15
76—80
1 462,5
201
13,744
269
37
36,97
277
44
38,07
81—85
441
»5
19,274
88
15
16,96
75
19
14.46
86—90
50.5
13
25,743
12,5
2
3.22
9
2
2.32
Zusammen
1
2790
480
472,06
523
471,33
Tab. VIII (Fortsetzung).
1.
4.
a jq
3 «
0 —
Ost
West
Centrum
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
19.
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Sterbefälle
Sterbefälle
Sterbefälle
Alters-
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CD
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JA
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CD
21 — 25
0,509
887,5
5
4,52
664,5
2
3,38
815,5
5
415
26— 30
0,443
3186,5
18
14,12
1920
9
8,51
3012
9
1334
31 — 35
0.557
5217,5
26
29,06
3133.5
21
17.45
52975
26
29,51
36—40
0,6 13
6412,0
37
39,31
3640
21
22,31
6368,5
37
39.04
41—45
0,870
6407,5
61
55.75
355°-5
35
30,89
6550
49
56.99
46—50
1.149
5534.5
67
63,59
3042.5
35
34,96
5972
50
68,6 2
51—55
1,510
4511.5
69
68,12
2492,5
35
37-63
5121.5
79
77.34
56—60
2.340
3608.5
84
84,44
1950,5
36
45.64
4100
88
95,94
61—65
3,763
2569
98
96.67
1367.5
57
51,46
305I
95
114 81
66—70
5,700
1560.5
90
88,95
838
49
47,77
2010
104
I I4.57
71—75
8,819
773
73
68,17
438
37
38,63
1067,5
100
94,1*
76—80
13,744
269
30
36,97
189
3i
25,98
458,5
59
63,02
81—85
19,274
76
M
14.60
48
8
9,25
154
29
29,68
86—90
25,743
9
4
2,32
8
—
2,06
12
5
3,09
Zusammen
676
666,64
376
375.92
735
804,24
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc.
181
Tab. IX. Zusammenstellungen.
Altersklasse
21—50 51—90
Sämtliche Alter
Bezirk
Zahl der
Sterbefälle
Prozent-
satz der
wirklichen
von der
rechnungs-
mäfsigen
Zahl
Zahl der
Sterbefälle
Prozent-
satz der
wirklichen
von der
rechnungs-
mäfsigen
Zahl
Zahl der
Sterbefälle
Prozent-
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mäfsigen
Zahl
Nord
Süd
Ost
West
Centrum
130
»32
214
123
176
124,44
115,14
206,35
117.50
211,65
104,5 , 350
1146 ' 391
103.7 462
104,4 253
83,2 559
347,ö2
356,19
460,29
258,42
592,59
100,7
109.8
100,4
97,9
94,3
480
523
676
376
735
472,06 101,7
471.33 111.0
666,64 101,4
375.92 100,0
804,24 91,4
Sämtliche
Gebiete
775
775.08
100
2015
2015,11
100
2790
2790,19
100
Das Minimum, welches — alle Alter zusammengefaßt — bei den
Geistlichen in dem Bezirke „Nord" (mit 89,3 Proz.) lag, hat sich hier auf
das „Centrum" (91,4 Proz. nach der letzten Kol. der Tab. IX) verschoben,
im übrigen stimmen die beiderseitigen Ergebnisse insoweit überein,
als sowohl hier wie dort das Maximum auf den „Süden" entfällt
(bei den Geistlichen mit 107,5, bei den Lehrern mit 111,0 Proz.).
Nun sind die Schulverhältnisse im „Süden" aber im allgemeinen nicht
schlechter als in den unter „Nord" zusammengefaßten Distrikten oder
gar im „Osten", wo zum Teil recht mißliche Schulverhältnisse ob-
walten, und man muß deshalb wohl annehmen, daß die bei Geistlichen
und Lehrern gleichmäßig konstatierte höhere Sterblichkeit des Südens
durch Klima und Lebensgewohnheiten veranlaßt wird. Am besten ist
das elementare Schulwesen in Brandenburg, Provinz Sachsen, König-
reich Sachsen und den thüringischen Staaten organisiert, womit die
günstige Sterblichkeit des Centrums zusammenhängen mag, das gerade
aus den drei letzten Gebieten besteht.
Die Untersterblichkeit des „Centrums" und die Uebersterblich-
keit des „Südens" setzt sich auch innerhalb der zwei in Tab. IX ge-
bildeten Altersklassen fort, worin eine Gewähr dafür liegt, daß wir
es nicht mit zufälligen Ergebnissen zu thun haben. Indes wird dies
auch schon durch den Umfang der Beobachtungszahlen verbürgt, die
— für alle Alter zusammen — weit geringere Schwankungen erwarten
lassen, als die hier zwischen Ceutrum und Süd konstatierten Unter-
schiede. Bei den Geistlichen betrug die Differenz zwischen der Sterb-
lichkeit von Nord und Süd 20,4 Proz., zwischen Centrum und Süd
bei den Lehrern ist die Differenz noch etwas größer, nämlich 21,4 Proz.
182
Joh. Kamp und R. Gollmer.
II. Kapitel.
Vergleiche mit anderen Erfahrungen.
Ueber die Sterblichkeit nach Beruf, wie sie sich nicht unter Ver-
sicherten allein, sondern im allgemeinen gestaltet, liegen für Deutsch-
land nur spärliche Aufschlüsse vor; was bisher veröffentlicht wurde,
beschränkt sich auf die bekannten Behm-Zimmermann'schen Unter-
suchungen über Eisenbahnbeamte, sowie die neuerdings erschienenen
Arbeiten über sächsische Aerzte und sächsische Bergleute1). Unter
diesen Umständen wird es Interesse beanspruchen dürfen, wenn wir
in dem Nachstehenden einige weitere allgemeine Erfahrungen mit-
teilen, die vorzugsweise über die von uns bisher untersuchten Berufs-
klassen Licht verbreiten. Allerdings entstammt das Material einem
eng begrenzten Gebiete, nämlich dem Herzogtum Gotha, und ist auch
an sich nicht gerade umfangreich, aber dafür hat es den Vorzug,
recht exakt zu sein und sich über einen weiten Zeitraum, nämlich
40 Jahre zu erstrecken, in dem sich periodische Schwankungen sicher
ausgeglichen haben. Auch sind in demselben alle Personen enthalten,
welche innerhalb jenes geographischen Bezirkes und jener 40 Jahre
den betreffenden Berufsklassen aktiv oder im Ruhestande angehörten,
so daß die Resultate in der That mittlere Sterblichkeitsverhältnisse
der letzteren wiedergeben. Die Quelle aber, aus welcher die Daten
geschöpft wurden, ist die seit 1791 bestehende Gothaer Staatsdiener-
Witwensocietät, der alle Staats- und Hofbeamte, sowie gewisse Kate-
gorien von Kommunalbeamten zwangsweise angehören und deren ge-
samte Sterblichkeitsverhältnisse in der Periode 1850 — 89 gelegentlich
einer Prüfung der Finanzlage des Instituts von dem einen Verfasser
dieser Arbeit untersucht worden sind 2). Die Aussonderung gewisser
Berufsklassen war nicht ursprünglich geplant, sondern ist erst nach-
träglich zum Zwecke der gegenwärtigen Veröffentlichung erfolgt; er-
möglicht wurde erstere dadurch, daß das für die allgemeine Unter-
suchung benutzte Kartenmaterial noch völlig intakt vorlag, und daß
auf jeder Karte der Beruf oder Titel der zugehörigen Person ange-
geben war. Für verschiedene Mitglieder war freilich die Berufs-
bezeichnung ziemlich unbestimmt, nicht aber für die Lehrer und Geist-
lichen, über die überhaupt bei der Societät besondere Register ge-
führt werden, sowie für die des Vergleiches halber hier ebenfalls be-
rücksichtigten Forstleute.
1) Dr. med. Arthur Geifsler , Die Sterblichkeit und Lebensdauer der sächsischen
Aerzte, Leipzig, Georg Thieme, 1887, und G. Wächter, Die Sterblichkeits- und Invaliditäts-
verhältnisse im sächsischen Bergmannsstande, Zeitschrift des Kgl. Sachs. Stat. Bureaus,
1893.
2) Aulser den Sterblichkeitsverhältnissen der Mitglieder wurden auch die Heirats-,
Pensions- und Abgangsverhältnisse der letzteren sowie die Sterblichkeits- und Heirats-
verhältnisse der Witwen untersucht. Die erlangten Resultate sowie eine Reihe aus ihnen
abgeleiteter Dekrementen- und technischer Abschätzungstafeln sind in dem ausführ-
lichen Bericht : Karup , Die Finanzlage der Gothaischen Wittwen-Societät , Dresden,
Heinr. Morchel, 1893, enthalten.
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc.
183
Tab. X.
Sterblichkeit verschiedener Berufsklassen im Herzogtum Gotha 1850 — 89.
(Als rechnungsmäßige Norm ist die allgemeine Sterblichkeit der Gothaer
Witwen-Societät benutzt.)
1.
2.
Geistliche
Gymnasiallehrer
Elementarlehrer
intsat
ts-Mit
einen
3.
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6.
7. 8.
9.
10. 1 11.
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Sterbefälle
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4
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4,39
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68
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—
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Die wirklic
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102,6 0/0
Tab.
X (Fortsetzung).
1.
Forstleute exkl.
warte
Wald-
Waldwarte
Uebrige Beamte
12.
13.
14.
15.
16. 17.
18.
19. 20.
Sterbefälle
Sterbefälle
Sterbefälle
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0
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5989
40
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40—49
873,5
IO
IO,22
385,5
5
4,51
7095
92
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50—59
747,5
15
16, 89
397,5
7
8,98
6614
168
149,48
60—69
572
19
25,H
317
11
13,92
4834,5
221
212,23
70—79
264
21
26,43
123,5
7
12,36
2540,5
245
254,30
80—89
47
9
8,95
IO
1
1,91
492
83
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90—96
—
—
—
—
—
—
33
IO
IO,15
78
93,59
36
44,61
877 853,28
Die wirkliche Sterblich-
keit beträgt von der
rechnun£
jsmäfsige
u . 83,3
%
80,
7 0/o
102
,80/0
Ig4 Joh. Rarup und R. Gollmer,
Die Kategorie „Uebrige Beamte" ist nur hinzugefügt, um das
Bild zu vervollständigen, sie umfaßt natürlich sehr heterogene Elemente,
wie Juristen, Büreaubeamte, Diener, Gendarmen u. dergl. Die günstigste
Sterblichkeit weisen merkwürdigerweise die Forstleute auf und zwar
nicht die besser situierten, die Forstbeamten im engeren Sinne, son-
dern gerade das Personal der untersten Gehaltsstufe, die Waldwarte,
was aber bei dem geringem Umfang der auf diese treffenden Beob-
achtungen auch zufällig sein kann. Faßt man die Forstleute zusammen,
so erhält man als wirkliche Sterbefallzahl 114, als rechnungsmäßige
138,20, als relative Sterblichkeit also 82,5 oder 17,5 Proz. unter dem
Mittel. Auf die Forstleute folgen die Geistlichen mit 95,1, dann die
Elementarlehrer mit 102,6 Proz. und schließlich die Gymnasiallehrer
mit 106,1 Proz. Die Zahl der Sterbefälle unter diesen beträgt aber
nur 28, und es dürfte nur zufällig sein, wenn die Gymnasiallehrer
hinter den Elementarlehrern rangieren. Die Lehrer im Herzogtum
Gotha gehören demnach nicht zu den hinsichtlich der Sterblichkeit be-
sonders bevorzugten Berufsklassen, allein immerhin ist ihre Sterblich-
keit eine günstige, da sie (für Elementar- und Gymnasialfach zu-
sammen) die allgemeine Witwenkassen-Sterblichkeit nur um 2,9 Proz.
übersteigt und letztere ziemlich nahe mit derjenigen korrespondiert,
die unter den männlichen Versicherten der Gothaer Bank beobachtet
worden ist, wie aus Tab. I in der Einleitung hervorgeht.
In der folgenden Uebersicht sind die Sterblichkeitsverhältnisse
der Lehrer und Geistlichen des Herzogtums Gotha noch einmal unter-
sucht und zwar in ihrem Verhältnis zu den für versicherte Leben in
denselben Berufsklassen erlangten Resultaten. Bei den Ver-
sicherten sind die fünf ersten Mitgliedsjahre , in denen sich der Ein-
fluß der ärztlichen Auswahl vorzugsweise geltend macht, insoweit er
nicht ein dauernder ist, außer acht gelassen.
(Siehe Tabelle XI auf S. 185.)
Die Tabelle läßt erkennen, daß die gesamte Geistlichkeit des
Herzogtums fast genau derselben Sterblichkeit unterworfen gewesen
ist, wie die bei der Gothaer Bank versicherten Geistlichen für
,,6. Versicher.-Jahr und aufwärts" (Verhältnis wie 103,7: 100), und
man hat hier somit einen direkten Beleg für die in der Einleitung
geäußerten Ansichten über den Einfluß der ärztlichen Auswahl und
die ökonomische Lage jener Berufsklasse. Für die Lehrer im allge-
meinen ist eine Uebersterblichkeit von 13,8 Proz. vorhanden, die kon-
sequenter Weise zum mindestens größeren Teile der schlechteren wirt-
schaftlichen Lage der Gesamtheit der Volksschullehrer gegenüber den
versicherten Kollegen zugeschrieben werden muß. Nun ist aber die
wirtschaftliche Lage der Volksschullehrer des Herzogtums verhältnis-
mäßig eine gute, da Gotha zu denjenigen Staaten gehört, die zuerst
dem elementaren Schulwesen größere Fürsorge widmeten und seinen
Trägern eine würdige Existenz einräumten, und es unterliegt daher
kaum einem Zweifel, daß eine entsprechende Vergleichung für andere
deutsche Bezirke zumeist weit stärkere Differenzen aufdecken würde.
Die gegebene Uebersicht über Sterblichkeit im allgemeinen und
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc.
185
Tab. XI.
Vergleiche zwischen der Sterblichkeit im allgemeinen und derjenigen
von Versicherten innerhalb einzelner Berufsklassen.
Geistliche
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103,7
113,8
Sterblichkeit versicherter Leben läßt sich noch insofern ergänzen, als
wir den Erfahrungen über die Aerztesterblichkeit der Gothaer Bank
die oben erwähnten sächsischen Beobachtungen , die erst nach der
Veröffentlichung unserer, im Jahre 1886 in diesen Jahrbüchern ab-
gedruckten Arbeit bekannt wurden, gegenüberstellen können. Geißler
hat seine mit Fleiß und Sachkenntnis durchgeführte Untersuchung
auf alle Aerzte ausgedehnt, die von 1866 bis 1886 in Sachsen domizi-
lierten, dabei aber auch die Wundärzte eingeschlossen, was den Ver-
gleich mit unseren Zahlen , in denen nur approbierte Aerzte berück-
sichtigt sind, einigermaßen beeinträchtigt. Bei der Bearbeitung des
Materials ist Geißler insofern ungewöhnlich zu Werke gegangen, als
er die versicherungstechnische Methode der Sterblichkeitsmessung,
wonach die Lebenden zu Anfang eines Beobachtungs- (hier Kalender-)
Jahres mit den im Laufe desselben eintretenden Sterbefällen ver-
glichen und Zugänge oder Abgänge bei Lebzeiten innerhalb des Beob-
*) Ausnahmsweise für sämtliche Versicherungsjahre.
186
Joh. Karup und R. Gollmer,
achtungsjahres durch eine entsprechende Korrektion jener Lebenden be-
rücksichtigt werden, adoptiert, dabei aber alle Personen als gleichalterig
behandelt hat, die einem gleichen Geburtsjahr angehörten, während
man sonst diejenigen als gleichalterig ansieht, deren Alter zu Anfang
der einzelnen Beobachtungsjahre bis zu ± 1/2 von einem vollen Lebens-
jahre abweicht. Eine solche ungewöhnliche Behandlung ist natürlich
gestattet, aber sie führt dazu, daß die Endresultate sich nicht auf
abgerundete oder durchschnittlich eben vollendete Lebensjahre beziehen,
sondern auf halb zurückgelegte, und wir haben deshalb, um die Geißler-
schen Resultate verwenden zu können, aus den für successive Lebens-
jahre gegebenen Beobachtungszahlen erst Mittel bilden müssen, wo-
durch eine annährend zutreffende Reduktion auf volle Lebensjahre er-
reicht wurde , aber auch Brüche in den Zahlen der Sterbefälle ent-
standen sind.
Tab. XII.
Vergleiche zwischen der Sterblichkeit der sächsischen Aerzte und
derjenigen von versicherten Aerzten.
1.
2.
Sterblichkeitsprozent-
3.
4.
5.
Nach der Bank-
Alters-
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Es gingen aus
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Zusammen
682
575,ii
Prozentsatz der wirklichen Zahl der Sterbefälle von der rechnungs-
mäfsigen 118,6
Da die ökonomische Lage der Aerzte zumeist eine bessere ist, so
könnte man leicht versucht sein, zum mindesten hier an einen stärkeren
Einfluß der ärztlichen Auslese bei den versicherten Leben zu denken;
allein gerade in Sachsen, wo eine zahlreiche Fabrikbevölkerung vor-
handen ist, dürfte ein erheblicher Teil der Aerzte relativ schlecht
situiert sein, und man ist deshalb auch diesmal berechtigt, die kon-
statierten Sterblichkeitsunterschiede auf wirtschaftliche Ursachen zurück-
zuführen, soweit sie nicht rein örtlichen Faktoren, wie Klima und
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc. 187
Lebensweise, oder dem Umstände zuzuschreiben sind, daß die säch-
sischen Beobachtungen Wundärzte mit einschließen. Daß in der That
die sächsischen Ergebnisse etwas abnormer Natur sein müssen und
nicht die allgemeine Sterblichkeit der deutschen Aerzte repräsentieren,
geht auch schon daraus hervor, daß Westergaard auf Grund eines
allerdings beschränkten Materials für die dänischen und norwegischen
Aerzte weit günstigere erlangt hat, die selbst diejenigen der Gothaer
Bank für „6 und aufwärts" hinter sich lassen.
lieber die Sterblichkeit der Lehrer im Auslande liegen nur sehr
geringfügige Beobachtungen vor, wenn wir von denjenigen absehen,
die uns der bekannte Statistiker Farr und sein befähigter Nachfolger,
Dr. Ogle, aus der englischen Bevölkerungsstatistik geliefert hat. In
seinem bekannten Handbuche: „Die Lehre von der Mortalität und
Morbilität (Jena, Gustav Fischer, 1882) teilt Westergaard einige
Zahlen mit, die sich auf Mitglieder der norwegischen Witwenkasse
beziehen ; es starben nach diesen in dem Zeitraum 1846 — 72 im ganzen
31 Mitglieder, die dem Lehrfach angehörten, während nach dem all-
gemeinen Durchschnitt bei gehöriger Berücksichtigung der Altersbe-
setzung 42,4 Sterbefälle zu erwarten gewesen wären. Das Resultat
ist, wenn man dasselbe nicht als ein zufälliges ansehen will, recht
günstig, zumal die allgemeine Sterblichkeit der norwegischen Witwen-
kasse eine niedrige ist; indes darf nicht außer acht gelassen werden,
daß die letztere auch dem Publikum unter ähnlichen Bedingungen
wie die dänische Lebensversicherungsanstalt geöffnet ist , und daß
die Mitglieder, die dem Lehrfach angehören, jedenfalls freiwillige
und deshalb besser situierte sind, weil sich sonst der geringe
Umfang der Beobachtungszahlen nicht erklären läßt. Nach einer von
Rubin und Westergaard gemeinsam verfaßten Schrift über die Sterb-
lichkeit der Landbevölkerung von Fünen nach Berufsklassen gelangt
man fernerhin zu dem Resultat, duß innerhalb der Periode 1876 — 83
und in dem betreffenden Bezirke 51 ländliche (aktive und pensionierte)
Elementarlehrer starben, während die allgemeine Durchschnittssterb-
lichkeit 52,40 Sterbefälle erwarten ließ x). Da die letztere eine sehr
niedrige ist — sie bleibt sogar hinter der an sich niedrigen der all-
gemeinen dänischen Landbevölkerung, die in der Einleitung, Tab. I mit-
geteilt ist, zurück — so würde hieraus folgen, daß auch die Lehrer-
sterblichkeit in Dänemark keine ungünstige sein kann.
Die englischen Beobachtungen lassen sich nur richtig deuten, wenn
man die Wandlungen kennt, die das Volksschulwesen in England wäh-
rend des laufenden Jahrhunderts durchgemacht hat. Bis zum Anfang
der 30er Jahre kümmerte sich der Staat weder um die Lehrziele der
Schulen, noch darum, ob die Ausbildung der Lehrer eine genügende war.
Zum Teil hatten die Schulen ihre Stützen in gemeinnützigen Gesellschaf-
1) In der „Landbefolkningens Dödelighed i Fyens Stift, Kjöbenhavn, 1886" be-
titelten Schrift hat eine genaue Scheidung nach Beruf und Geschlecht stattgefunden, wobei
aber unselbständige Personen dem Beruf des Familienhauptes zugezählt wurden. Um
den Vergleich auf die männlichen Träger des Berufes einzuschränken, sind bei der obigen
Berechnung deshalb nur die Altersklassen von 25 Jahren aufwärts berücksichtigt.
188 Joh. Karup und R. Gollmer,
ten und trugen einen konfessionslosen Charakter. Daneben bestanden
auch solche, die von einzelnen Privaten geleitet wurden und sogar
derjenigen Kontrolle entbehrten, die eine selbst beschränkte Oeffent-
lichkeit ausübt. 1811 schlössen sich die Vorstände und Anhänger der
konfessionslosen, sogenannten Lancaster'schen Schulen behufs gemein-
sanier Organisation zu der „Britischen Schulgesellschaft" zusammen,
der die Staatskirche noch in demselben Jahre eine ähnliche Vereini-
gung in der „Nationalgesellschaft" gegenüberstellte. Wesleyaner, In-
dependenten und Katholiken folgten dem Beispiel, so daß allmählich
eine größere Anzahl von Schulverbänden mit einheitlicher Organisation
entstanden. Das Niveau des Wissens war aber fast nirgends ein hohes,
besonders nicht in den privaten Schulen, wie schon daraus hervorgeht,
daß im Jahre 1851 708 Lehrer und Lehrerinnen an Privat- und 35
an öffentlichen Schulen weder lesen, noch schreiben konnten ! Eine
Wandlung zum Besseren trat ein, als das Parlament im Jahre 1833
und von da ab alljährlich Subventionen bewilligte, die zunächst den
großen Schulgesellschaften, von 1839 ab aber nur solchen Schulen zu-
flössen, die sich staatlicher Beaufsichtigung unterwarfen. Die Sub-
ventionen, die im ersten Jahre 400000 Mark betrugen, stiegen fort-
während und bezifferten sich 1860 bereits auf 16 Millionen; entsprechend
wuchs auch die Zahl der beaufsichtigten Schulen und erhöhten sich
die Anforderungen, welche der Staat hinsichtlich der Lehrpläne und
der Entwickelung der Schulen stellte. Entscheidend war aber erst die
am 9. April 1870 erlassene „Elementar-Erziehungsakte". Durch letz-
tere wurde den Gemeinden die Verpflichtung auferlegt, überall da
Schulen zu errichten, wo die vorhandenen öffentlichen (subventionierten)
oder privaten Schulen nicht ausreichen, um eine allgemeine Volksbil-
dung zu ermöglichen ; sodann wurde die staatliche Aufsicht selbst
durch Einsetzung zahlreicher neuer Inspektoren vervollkommnet und
auf die Seminare ausgedehnt, so daß eine genügende und zweckent-
sprechende Ausbildung der Lehrkräfte gesichert erscheint. Die wohl-
thätigen Folgen dieses Gesetzes sind nicht ausgeblieben; die Mehr-
zahl der privaten und konfessionell geleiteten Schulen gehören jetzt
auch zu den subventionierten ; zahlreiche Gemeindeschulen sind ent-
standen, das Lehrziel ist überall erweitert, wenn es auch zumeist
noch unter demjenigen der städtischen deutschen Schulen liegt —
ebenso ist der Schulbesuch trotz fehlenden Schulzwangs ein reger ge-
worden, indem im Jahre 1889 von 5803000 dem Schulalter ange-
hörenden Kindern 4 779 903 am Unterricht teilnahmen. Demgemäß
hat sich natürlich auch die Stellung des Elementarlehrers gehoben.
Während in den Zeiten des völlig privaten Schulwesens elende Ge-
halte gezahlt wurden, weil eine bessere Vorbildung gar nicht nötig
erschien und der Andrang solcher Elemente, die in anderen Berufs-
arten Schiffbruch gelitten, ein enormer war, stellt sich das Gehalt des
seminaristisch gebildeten Lehrers nach deutschen Begriffen nunmehr
sehr hoch, nämlich auf 2000—5000 Mark jährlich. Dafür werden
freilich auch ziemlich weitgehende Anforderungen an seine Arbeits-
kraft gestellt; er hat eine ausgedehnte Lehrthätigkeit auszuüben, da-
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc. 189
neben — sofern er an einer subventionierten Schule angestellt ist —
Eleven für das Seminar auszubilden und überdies Register über die
Leistungen der letzteren und aller übrigen Schüler zu führen 1).
Die eben geschilderten Verhältnisse erklären es vollkommen, wenn
die Lehrersterblichkeit in England noch in der zweiten Hälfte dieses
Jahrhunderts große Veränderungen aufzuweisen hat. Die erste Sterb-
lichkeitsermittelung nach Altersklassen, bei welcher der Lehrberuf be-
rücksichtigt wurde, fand für die Jahre 1860, 61 und 71 statt, die als
kontinuierlicher Zeitraum behandelt wurden, um periodische Schwan-
kungen einigermaßen auszugleichen, die zweite für die Jahre 1880,
81 und 82 ■). Obwohl die mittleren Beobachtungstermine der beiden
Perioden um nur 17 Jahre auseinanderliegen, veränderte sich, wie aus
der nachfolgenden Tabelle XIII hervorgeht, die Sterblichkeit in der
Altersklasse 25 — 45, die natürlich vorzugsweise von den organisato-
rischen Wandlungen berührt wurde, von 0,98 in der ersten auf 0,64 Proz.
in der zweiten Periode, was einer Reduktion um 35 Proz. entspricht.
Ebenso, wenn auch in geringerem Maße, traten Reduktionen in den
höheren Altersklassen auf. Zum Verständnis der Tabelle, muß vor-
ausgeschickt werden, daß die in den Rubriken „durchlebte Beobach-
tungsjahre" aufgeführten Zahlen nicht „Lebende unter Risiko" in dem
bisher gebrauchten Sinne sind, sondern Summen aus den Zeitlängen,
die von den zur Beobachtung gekommenen Personen innerhalb der
betreffenden Altersklasse und Zeitperiode durchlebt wurden, und daß
demzufolge auch die hier abgeleiteten Sterblichkeitsprozentsätze nicht
ganz dieselbe Bedeutung haben, wie die bisher berechneten, die als
prozentuale Sterbenswahrscheinlichkeiten für ein Jahr oder eventuell
größere Zeiträume zu definieren sind. Die exakte Bedeutung der neuen
Sterblichkeitsquotienten, der sogenannten Intensitäten, läßt sich nur
mit Hilfe mathematischer Deduktion darlegen, die hier vermieden wer-
den soll; es liegt aber auf der Hand, daß auch sie ein brauchbares
Maß für die Sterblichkeit abgeben, weshalb wir die von Farr und Ogle
eingeschlagene Berechnungsweise, die übrigens von den meisten Be-
völkerungsstatistikern bevorzugt wird, unverändert beibehalten haben.
In neuerer Zeit hat ein deutscher Autor (Rogh6, Geschichte und Kritik
der Sterblichkeitsmessung bei Versicherungsanstalten, Jena, G. Fischer,
1891) sogar nur diese Berechnungsweise als zulässig erklärt, was
natürlich ein Irrtum ist, da sich die Sterblichkeit in verschiedener
Weise messen läßt und es nur fraglich sein kann, welches Maß am
besten den praktischen Anforderungen des Statistikers und Technikers
genügt.
1) Vergl. u. a. Wehrhahn, Das Volksschulwesen in England, Hannover 1876, sowie
den Aufsatz von Prof. Philippson in der „Nation", No. 26 und 27, 10. Jahrg. (1893).
2) Vergl. Supplement to the Thirty-Fifth Annual Report of the Registrar General,
London 1875, und Supplement to the Forty-Fifth Ann. Rep., London 1885.
190
Joh. Kamp und R. Gollmef,
Tab. XIII.
Sterblichkeit der Lehrer (einschließlich der akademisch gebildeten) in
England für verschiedene Zeitperioden.
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: 70 722
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100,0
100,0
Der vorstehende Vergleich ist insofern nicht einwurfsfrei, als sich
infolge reichlichen Zugangs neuer und junger Lehrkräfte die Vertei-
lungsweise der Berufsan gehörigen nach dem Alter von der einen Peri-
ode zur anderen stark verschoben haben muß, was auch die ange-
fügten zwei letzten Kolumnen bestätigen, und als eine solche Verschie-
bung an sich erhebliche Sterblichkeitsdifferenzeu hervorrufen kann,
wenn man Altersklassen von 20 und noch mehr Jahren ins Auge faßt,
wie es hier geschehen ist. Leider enthält aber nur die Farr'sche und
nicht die Ogle'sche Arbeit irgend welche Aufschlüsse über die Erfah-
rungen engerer Altersklassen, und es blieb uns daher, um einen schär-
feren Vergleich zu ermöglichen, nichts anderes übrig, als die Vertei-
lungsweise der Beobachtungsjahre in der neuen Periode durch eine Art
von Interpolation künstlich herzustellen und unter Festhaltung der für
die größeren Altersklassen gegebenen Ogle'schen Sterblichkeitsquotienten
die Farr'schen so abzuändern, daß sie der (interpolierten) Verteilung
der „Beobachtungsjahre" in der neuen Periode entsprachen. In der
nächstfolgenden Uebersicht sind die aus der Interpolation hervorge-
gangenen „Beobachtungsjahre", sowie einige Daten aufgeführt, welche
die Verschiebung in den Altersverhältnissen für die beiden Perioden
und die weiteren Phasen des Verfahrens beleuchten.
(Siebe Tabelle XIV auf S. 191.)
In derselben Weise, wie hier die Sterblichkeit der älteren Periode
auf die Personenbesetzung der jüngeren Periode übertragen worden
ist, kann man natürlich auch für andere Gebiete eine künstliche Per-
1) Durch Addition der doppelten Personenzahl vom Census in 1861 und der ein-
fachen von 1871 berechnet, was annähernd richtig ist.
2) Der dreifachen Personenzahl des Census von 1881 gleichgestellt.
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc.
Tab. XIV.
191
1.
Von je 100 Personen
4.
5.
6.
7.
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100,001
100,000
sonenbesetzung in Rechnung bringen, wodurch ein zutreffender Ver-
gleich für weitere Altersklassen möglich wird. In der folgenden
Tabelle ist dies thatsächlich geschehen, indem wir neben der englischen
Lehrersterblichkeit noch eine Reihe anderer Beobachtungen berück-
sichtigten und dabei überall die Personenbesetzung der englischen
Lehrer in 1880 — 82, wie sie sich innerhalb der größeren Alters-
klassen gestaltet hat, zu Grunde legten. Insoweit es sich um Erfah-
rungen handelte, für die nur Sterblichkeitsprocentsätze im gewöhn-
lichen Sinne vorlagen, mußten zunächst Intensitäten der engeren, 10-
jährigen Altersklassen ermittelt werden; es geschah dies, indem die
„Lebenden unter Risiko" der zugehörigen einzelnen Lebensjahre mit
Ausnahme des letzten um die Hälfte der Gestorbenen gekürzt und
die somit entstehenden „durchlebten Beobachtungsjahre" in die volle
Zahl der Gestorbenen dividiert wurden. Beispielsweise war die Inten-
sität der Altersstrecke 25 — 35
_ j; Sterbefälle der Altersklasse 25 bis 34
Lebende unter Risiko der Altersklasse 25 bis 34 — 1I2 X Sterbefälle.
(Siehe Tabelle XV auf S. 192.)
Die wahren Differenzen zwischen englischer Lehrersterblichkeit in
älterer und neuerer Zeit sind also nicht ganz so groß, als die Zahlen
der Tab. XIII anzudeuten schienen; immerhin ist auch hier noch in
der jüngsten Altersklasse ein Rückgang von 0,97 auf 0,64 oder um
34 Proz. bemerkbar, während die Reduktionen in den beiden folgenden
Altersklassen 0,27 oder 12 Proz. und 0,69 oder 6 Proz. betragen. Das
sind Sterblichkeitsunterschiede, wie sie bei größeren Beobachtungs-
zahlen und innerhalb einer 17-jährigen Zeitstrecke nur bei starken
Aenderungen der Lebensbedingungen eintreten können und die umso-
192
joh. Karup und E Gollmer,
Tab. XV.
Sterblichkeit nach verschiedenen Erfahrungen, wenn innerhalb der
berücksichtigten Altersgrenzen die Personenbesetzung der englischen
Lehrer in der Periode 1880 — 82 als maßgebend angesehen wird.
Lehrer in England 1860, 61 und 71 (nach
Kol. 7 der Tab. XIV)
Do.
1880—82
Allgemeine Bevölkerung in England 1860, 61
und 71
Do. in 1880—82
Elementarlehrer im Herzogtum Gotha .
Lehrer überhaupt im Herzogtum Gotha
Bei der Gothaer Bank versicherte Elementar-
lehrer, 6. Vers.-Jahr und aufwärts
Zugehörige Erfahrungen für den Lehrer überh.
20 engl. Gesellschaften, Männer, 6. Vers.-
Jahr und aufwärts
Männl. Versicherte überhaupt bei der Gothaer
Bank, 6. Vers.-Jahr und aufwärts . .
Sächsische Bevölkerung nach Heym
Altersklassen
25—45
45—65
'65 u. aufwärts
Sterblichkeitsintensität in Prozent
0,97
0,64
1,09
0,97
0,65
0,62
0,58
0,60
1,02
0,83
0,98
2,25
1,98
2,33
2,44
2,02
2,00
1,83
1,79
2,13
2,15
2,47
10.69
10,00
8,40
8.36
9,65
7,97
7,91
7,54
8,51
10,31
mehr ins Gewicht fallen, als sie von keinem ähnlichen Rückgange in
der allgemeinen Sterblichkeit begleitet wurden. Gegenüber der letz-
teren erscheint überhaupt die Lehrersterblichkeit in neuerer Zeit recht
günstig, in der Altersklasse 25 — 45 ist eine Untersterblichkeit der
Lehrer von 0,97 — 0,64 = 0,33 oder 34 Proz., in der folgenden von 0,46
oder 19 Proz. vorhanden. In der höchsten Altersklasse ist das Ver-
hältnis allerdings ein umgekehrtes, indem nunmehr die Lehrersterb-
lichkeit die allgemeine um 1,64 oder 16 Proz. übertrifft. Möglicher-
weise hängt dies damit zusammen, daß in den höheren Altern noch
recht viele Lehrer thätig sind, die den modernen Anforderungen nur
unvollkommen entsprechen und sich deshalb mit schlechteren Stellungen
begnügen müssen ; vielleicht machen sich aber auch in diesen Altern
die Anstrengungen des Lehrberufes, die in England noch größer sind
als bei uns, vorzugsweise geltend, so daß man auch künftighin eine
relativ große Sterblichkeit unter englischen Lehrern in den höhereu
Altern zu erwarten hätte. Bemerkenswert ist die nahe Ueberein-
stimmung, welche die neuere englische Lehrersterblichkeit mit der-
jenigen des Herzogtums Gotha aufweist; die Differenzen betragen,
wenn man letztere nach der Gruppe „Lehrer überhaupt" bemißt, der
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc. 193
Reihe nach nur 0,64—0,02 = 0,02, 1,98—2,00 = 0,02 und 10,00—9,89
= 0,11, was relativen Unterschieden von 3—1 und 1 Proz. gleichkommt,
die sich noch dazu teilweise ausgleichen.
Wir wollen dieses Kapitel nicht schließen, ohne einer Untersuchung
zu gedenken, welche in dem bekannten, oben erwähnten Handbuche
Westergaard's berücksichtigt ist und die Sterblichkeit der Gelehrten
im engeren Sinne zum Gegenstande hat. Nach dieser Quelle, die sich
übrigens auf ein Referat im Journal de la soc. de stat. XIV, 1873
stützt, soll Potiquet eine Sterblichkeitstafel auf der Grundlage von
1030 Mitgliedern des Institut de France berechnet haben und zwar
für die Periode von 1795 — 1869. Die originalen Zahlen dieser Tabelle
hat Westergaard nicht erlangen können , wohl aber einige Angaben
über die aus derselben abgeleitete mittlere Lebensdauer, die wir
in dem Nachfolgenden wiedergeben.
Alter
35
45
55
65
75
85
Die größere Vitalität der Gelehrten ist augenfällig und um so
merkwürdiger, als ein erheblicher Teil der zugehörigen Beobachtungen
dem Ende des vorigen und dem Anfange des jetzigen Jahrhunderts
angehört, also Zeiten, in denen aller Erfahrung nach die Sterblich-
keitsverhältnisse überhaupt ungünstig waren. Es wäre recht interessant
gewesen, die von uns untersuchten, versicherten Universitätsprofessoren
zum Vergleiche heranzuziehen; allein es ist dies bei dem geringen
Umfange der einschlägigen Erfahrungen, die eine Berechnung der mitt-
leren Lebensdauer ausschließt, nicht möglich.
Fassen wir die bisherigen Ergebnisse zusammen, so gelangen wir
zu dem Schluß, daß der Lehrberuf an sich keine ungünstige Sterb-
lichkeit bedingt, sobald die wirtschaftliche Lage eine angemessene ist.
Versicherte Lehrer, deren äußere Stellung zumeist eine bessere sein
wird, sind nahezu ebenso gute Risiken wie die Geistlichen, ja Gym-
nasiallehrer übertreffen diese sogar in manchem und akademische
Dozenten in allen Altern an Vitalität. Ist aber die wirtschaftliche
Lage eine gedrückte, was naturgemäß nur im Elementarfache vorkommt,
so tritt entschieden eine hohe Sterblichkeit ein, die kaum hinter der-
jenigen der allgemeinen Bevölkerung, in der die ärmeren Schichten
den Ausschlag geben, zurückbleibt. Es erscheint somit auch vom
Standpunkte der Sterblichkeitsstatistik aus als eine dringende Pflicht
des Staates, die äußeren Verhältnisse des Elementarlehrers, die in
Deutschland teilweise noch recht im argen liegen, in würdiger Weise
Dritte Folge Bd. VW (LXIII). J3
Tab. XVI.
Fernere mittlere Lebensdauer
in
Jahren
für Gelehrte
für Versicherte
für
die
allgem. franz.
nach Potiquet
der Comp, generale
Bevölk
;rung 1856 — 65
33-58
3°.7ö
31.1
25.74
23,18
23.7
18,41
16,33
16,7
12.05
10,31
10,9
7,02
6,55
6,8
4.16
3-19
3,6
194
Joh. Karup und R. Gollmer,
zu regeln und dem Lehrer überhaupt diejenige Stellung einzuräumen,
die ihm seinen Pflichten und seiner Bedeutung für das Volkswohl nach
zukommt.
III. Kapitel.
Die Absterbeordnung und die aus derselben abgeleitete mittlere
Lebensdauer.
Den genauesten und technisch allein brauchbaren Ausdruck findet
die Sterblichkeit in der nach einzelnen Jahren abgestuften Absterbe-
ordnung, welche neben den Prozentsätzen der Sterblichkeit (den
Sterbenswahrscheinlichkeiten) die Dekremententafel der Lebenden ent-
hält. Wir haben deshalb auch diesmal eine solche Tafel abgeleitet,
und zwar sowohl für Elementarlehrer als Gymnasiallehrer, da für beide
Beobachtungsgruppen genügendes Material zur Verfügung stand. Die
Tab. XVII.
Alters-
klasse
Zahlen der Sterbefälle
nach der
Wirklichkeit
nach den aus-
geglichenen
Sterblichkeits-
prozentsätzen
Die rechnungsmäfsige Zahl
ist also
gröfser um kleiner um
Elementar lel
r er.
26—35
64
64 12
0,12
—
36—44
231
231,16
O.l 6
—
45—51
304
304,00
—
—
52—56
284
283.82
—
0,18
57—60
271
270.78
—
0,22
61 — 67
540
540,03
0,03
—
68—72
367
366,84
—
0,16
73—80
379
379ai
0,11
—
81—90
98
98.18
0.18
—
Zusammen
2538
2538,04
0,60
0,56
gröfser um 0,04
Gj
mn asiallehrer.
26—33
14
13,82
0,18
34—42
67
67,06
0.06
—
43—52
161
l6l, 04
0,04
—
53 — 59
145
144-92
—
0,08
60—65
158
157,82
—
0,1 8
66—72
200
20O. 1 2
0,12
—
73—76
97
96.41
—
0,59
77—82
83
83,41
0,41
—
83—90
20
19.90
—
O.10
Zusammen
945
944,50
0,63
1,13
kleiner um 0,50
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc.
195
Tab. XVIII.
Sterblichkeitstafel für Elementarlehrer.
1.
2.
3.
4.
5.
G
7.
Sterblichkeits-
Zugehörige
Summe der
Mittlere
Lebensdauer
Eben
prozensatz f.
den Zeitraum
Diffe-
Dekre-
Sterbefälle
zwischen dem
Zahlen der
Lebend, (nach
Kol. 4) vom
höchsten Alter
ab bisz. neben-
vollendetes
Lebensjahr
zwischen
diesem und
dem folgenden
renzen
(X
100)
menten-
tafel der
Lebenden
nebenstehend,
und dem fol-
genden
in Jahren
(Kol. 6 divid.
durch Kol. 4
weniger 0,5)
Lebensjahr
] Lebensjahr
stehend. Alter
26
0,51
I
10 000
51
397 639
39-26
27
o,52
0
9 949
52
387 639
38,46
28
0,52
I
9897
51
377 690
37,66
29
0,53
2
9846
52
367 793
36,85
30
0,55
1
9 794
54
357 947
36,05
31
0,56
2
9740
55
348 153
35,24
32
0,58
I
9685
56
338 413
34-44
33
0,59
2
9 629
57
328728
33,64
34
0,61
2
9 572
58
319099
32,84
35
0,63
I
9 514
60
309 527
32,03
36
0,64
2
9 454
61
300013
31,23
37
0,66
2
9 393
62
290559
30,43
38
0,68
3
9331
63
281 166
29,63
39
0,71
3
9268
66
271835
28,8s
40
0,74
3
9 202
68
262 567
28,03
41
0,77
4
9'34
70
253 365
27,24
42
0,81
4
9064
73
244231
26,45
43
0,85
5
8991
76
235 167
25,66
44
0,90
5
8915
80
226 176
24,87
45
0,95
5
8835
84
217 261
24,09
46
I,0o
7
8 751
88
208 426
23,32
47
1,07
7
8663
93
199 675
22,55
48
1,14
8
8 570
98
191 012
21,79
49
1,22
9
8472
103
182442
21,03
50
1,31
9
8369
110
173 970
20,29
51
1,40
10
8259
116
165 601
19,55
52
1,50
ii
8i43
122
157 342
l8,82
53
1,61
12
8021
129
149 199
18,10
54
1,73
14
7892
*37
141 178
17,39
55
1,87
16
7 755
»45
133 286
l6,69
56
2,03
17
7 610
154
125 53i
16,00
57
2,20
19
7 476
164
117 921
15,32
58
2,39
21
7 292
174
110465
14,65
59
2,60
23
7 118
185
103 173
13,99
60
2,83
25
6 933
196
96055
13,35
61
3-08
28
6 737
207
89 122
12,73
62
3,36
3i
6530
219
82385
12,12
63
3,67
35
6311
232
75 855
11,52
64
4,02
39
6079
244
69 544
10,94
65
4,41
43
5 835
257
63465
10,38
66
4,84
48
5 578
270
57630
9.83
67
5-32
53
5 3o8
282
52052
9,31
68
5.85
59
5 026
294
46744
8,80
69
6,44
64
4 732
305
41 718
8,32
70
7,08
69
4 427
313
36986
7,85
71
7,77
73
4 114
320
32 559
7,41
13*
196
Job. Karup und J. Gollmer,
Tab.
XVIII (Fortsetzung)
•
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Sterblichkeits-
Zugehörige
Summe der
Mittlere
Eben
vollendetes
Lebensjahr
prozentsatz f.
den Zeitraum
zwischen dies,
und dem fol-
genden
Diffe-
renzen
(X
100)
Dekre-
menten-
tafel der
Lebenden
Sterbefälle
zwischen dem
nebenstehend,
und dem fol-
genden
Zahlen der
Lebend, (nach
Kol. 4) vom
höchsten Alter
ab bis z. neben-
Lebensdauer
in Jahren
(Kol. 6 divid.
durch Kol. 4
weniger 0,5)
Lebensjahr
Lebensjahr
stehend. Alter
72
8,50
77
3 794
322
28 445
7,00
73
9,27
82
3 472
322
24651
6,60
74
IO,09
87
3 150
318
21 179
6,22
75
10,96
93
2832
310
18029
5.87
76
11,89
98
2522
300
15 197
5.53
77
12,87
104
2 222
286
12675
5,20
78
13-91
110
1936
269
10 453
4.90
79
IS'01
116
1667
250
8 517
4,61
80
16, 17
122
1417
229
6850
4.33
81
17.39
129
1 188
207
5 433
4.07
82
18,68
137
981
183
4 245
3.83
83
20,05
146
798
160
3264
3.59
84
21,51
156
638
137
2 466
3,37
85
23,07
167
5°i
Il6
1 828
3-15
86
24,74
179
385
95
1327
2,95
87
26,53
191
290
17
942
2,75
88
28,44
203
213
61
652
2,56
89
3°. * 7
215
152
46
439
2,39
90
32,62
233
106
35
287
2,21
91
34.95
253
7i
25
181
2,05
92
37.48
275
46
17
110
1,89
93
40,23
302
29
12
64
1,71
94
43.25
337
17
7
35
1,56
95
46,62
380
10
5
18
1,30
96
50,42
429
5
3
8
1,10
97
54.71
481
2
1
3
1,00
98
59,52
533
1
1
1
0,50
99
64,85
585
0
100
70,70
Versicherungsjahre 1 — 5 wurden, ebenso wie früher, außer acht ge-
lassen, da sich in diesen vorzugsweise der Einfluß der ärztlichen Aus-
wahl geltend macht und letzterer hier als störendes Element zu be-
trachten ist. Die Zeit dürfte übrigens bald vorüber sein, wo man
Sterblichkeitserfahrungen, die sich auf versicherte Leben beziehen, ohne
Rücksicht auf Versicherungsdauer zu einer allgemeinen Absterbeord-
nung vereinigt, und es hat deshalb auch vom technischen Standpunkte
etwas für sich, wenn hier die Beobachtungen nur insoweit berück-
sichtigt sind, als sie von der Versicherungsdauer nahezu unabhängig
zu sein scheinen.
Die Art der Ausgleichung war eine rechnerisch-graphische, wie
sie schon in der Aerztearbeit beschrieben worden ist. Nach der letzten
Korrektur (definitiven Ausgleichung) stellten sich die wirklich beob-
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc.
197
Tab. XIX.
Sterblichkeitstafel für Gymnasiallehrer.
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Eben
Sterblichkeits-
prozentsatz f.
den Zeitraum
Diffe-
Dekre-
Zugehörige
Sterbefälle
zwischen dem
Summe der
Zahlen der
Lebend, (nach
Kol. 4) vom
höchsten Alter
ab bisz. neben-
Mittlere
Lebensdauer
vollendetes
zwischen dies.
renzen
(X
100)
menten-
nebenstehend.
in Jahren
Lebensjahr
und dem fol-
genden
tafel der
Lebenden
und dem fol.
genden
(Kol. 6 divid.
durch Kol. 4
weniger 0,5)
Lebensjahr
Lebensjahr
stehend. Alter
26
O.Tl
— 2
10 000
71
400 165
39,5 2
27
0,(>9
— 2
9929
69
390 165
38.80
28
0,6 7
— 2
9860
66
380 236
38. 06
29
0,65
— I
9 794
64
370 376
37-32
30
0.64
— 2
9 730
62
360582
36,06
31
0,62
— I
9668
60
350 852
35-79
32
0,61
— 2
9608
59
341 184
35,01
33
0,59
— I
9 549
56
331 57<>
34.22
34
0,58
O
9 493
55
322 027
33-42
35
0,58
— I
9 438
55
312534
32,61
36
0,57
O
9 383
53
303 096
31-80
37
0,57
+ 1
9 330
53
293 713
30.98
38
0,58
3
9277
54
284383
30.15
39
0,61
3
9223
56
275 Jo6
29,33
40
0,64
5
9 167
59
265 883
28.50
41
0,69
6
9 108
63
256716
2769
42
0,75
7
9°45
68
247 608
2b, 88
43
0,82
8
8 977
74
238 563
26,08
44
0,90
6
8903
80
229 586
25,29
45
0,96
6
8823
85
220683
24,51
46
1,02
7
8 738
89
211 860
23-75
47
1,09
7
8649
94
203 122
22,98
48
1,16
7
8 555
99
'94 473
22.23
49
1.23
8
8456
104
185918
21.49
50
1,31
8
8352
109
177 462
20.75
51
1,39
8
8243
"5
169 HO
20,0 2
52
1,47
9
8 128
119
160867
19,29
53
1,56
9
8009
125
152739
18,57
54
1,65
IO
7884
130
144 730
17,86
55
1,75
13
7 754
136
136 846
17,15
56
1,88
»4
7618
'43
129092
16,45
57
2,02
17
7 475
!5J
121474
15,75
58
2.19
20
7 324
160
113 999
15-07
59
2,39
23
7 164
171
106 675
14,39
60
2,62
25
6 993
183
99 511
13,73
61
2,87
28
6810
195
92518
13,09
62
3,15
30
6615
208
85708
12.46
63
3.45
33
6407
221
79 093
11,84
64
3)78
37
6186
234
72686
11,25
65
4 15
4i
5 952
247
66 500
10,67
66
4,56
46
5 705
260
60548
10,11
67
5,02
5i
5 445
273
54 843
9,57
68
5-53
56
5 !72
286
49 398
9.05
69
6,09
63
4886
298
44 226
8,55
70
6,72
70
4 588
308
39 340
8,07
71
7,42
75
4 280
3i8
34 752
7,62
198
Joh. Kamp und R. Gollmer,
Tab. XIX (Fortsetzung).
Eben
vollendetes
Lebensjahr
Sterblichkeits-
prozentsatz f.
den Zeitraum
zwischen dies,
und dem fol-
genden
Lebensjahr
Diffe-
renzen
(X
100)
4.
Dekre-
menten-
tafel der
Lebenden
Zugehörige
Sterbefälle
zwischen dem
nebenstehend,
und dem fol-
genden
Lebensjahr
Summe der
Zahlen der
Lebend, (nach
Kol. 4) vom
höchsten Alter
ab bis z. neben-
stehend. Alter
Mittlere
Lebensdauer
in Jahren
(Kol. 6 divid.
durch Kol. 4
weniger 0,5)
72
73
74
75
76
77
78
79
80
81
82
83
84
85
86
87
88
89
90
91
92
93
94
95
96
97
98
99
100
8,17
8,96
9,79
10,66
11,53
12,31
13,08
13.90
14,86
16,16
I7»69
19-41
21,28
23,25
25,32
27,49
29,78
32,21
34.79
37-53
40,45
43,57
46,91
50,48
54-30
58.40
62,80
67,50
72,50
79
3 962
83
3638
»7
3312
«7
2988
78
2 669
77
2361
82
2070
96
1 799
130
1549
153
i3i9
172
1 106
187
910
197
733
207
577
217
443
229
33i
243
240
258
169
274
"5
292
75
312
47
334
28
357
16
382
8
410
4
440
2
470
1
500
0
324
326
324
319
308
291
271
250
230
213
196
177
156
134
112
91
71
54
40
28
19
12
8
4
2
1
1
30 472
26 510
22 872
19 560
16572
13 903
n 542
9 472
7 673
6 124
4805
3 699
2789
2 056
M79
1 036
705
465
296
181
106
59
3i
15
7
3
1
7,19
6,79
6,41
6,05
5,71
5.39
5,08
4,77
4,45
4,14
3,84
3,56
3,31
3,06
2,84
2,63
2,44
2,25
2,07
1,91
1,76
1,61
1,44
1,38
1,35
1,00
0,50
achteten und rechnungsmäßigen Sterbefälle in denjenigen Altersklassen,
deren durchschnittliche Sterblichkeitsverhältnisse der ersten Ausglei-
chung zu Grunde lagen.
(Siehe Tabelle XVII auf S. 194.)
Der Anschluß ist, wie man sieht, überall ein naher, was allerdings
noch nicht verbürgt, daß die Ausgleichung eine gute ist, denn dazu
gehört eben auch ein regelmäßiger Verlauf der Sterblichkeit von Jahr
zu Jahr. Um zu zeigen, daß ein solcher wirklich erzielt ist, fügen
wir in den Sterblichkeitstabellen noch eine besondere Kolumne ein,
welche die Differenzen zwischen den successiven Sterblichkeitsprozent-
sätzen angiebt.
(Siehe Tabellen XVIII u. XIX auf S. 195 u. 197.)
Mit Hilfe dieser Tafeln kann man die Sterblichkeit noch von ver-
schiedenen neuen Gesichtspunkten betrachten, wie es in dem Nach-
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc.
199
stehenden unter Heranziehung der früher für Aerzte und Geistliche
abgeleiteten Zahlen, sowie der entsprechenden nach Brune und für
Preußen geschehen ist.
Tab. XX.
Die
Zahlen der
Lebenden in der Dekremententafel steller
sich für
cc u
Mitglieder der
die männliche
<s es
preufs. Witwen-
allgem. Bevöl-
'S •?
a c
=: ja
o <s
versicherte
Geistliche
versicherte
Gymnasial-
lehrer
versicherte
Elementar-
lehrer
versicherte
Aerzte
verpflegungs-
anstalt
1776 — 1845
(ursprüngliche Z
kerung in Preufsen
(1867, 68, 72,
75-77)
ihlen auf 10 000
Lebende beim Alter 26 reduziert)
26
IOOOO
IOOOO
IOOOO
IOOOO
10 000
IOOOO
30
9803
9 730
9 794
9715
9 724
9 633
40
9277
9167
9 202
8778
8861
8583
50
8590
8352
8369
7641
7636
7189
60
7242
6 993
6 933
5 905
5 917
5 377
70
4 664
4588
4427
3 395
3 458
3 053
80
1 5J3
1 549
1417
1 101
l 064
870
90
61
HS
106
51
51
64
Tab. XXI.
Von je 100 Lebenden der aufgeführten Altersstufen
starben innerhalb der
ig Ja
nächsten 10 Jahre
a c
0 3
nach der
Tafel für
Geistliche
nach der
Tafel für
Gymnasial-
lehrer
nach der
Tafel für
Elementar-
lehrer
nach der
Tafel für
Aerzte
nach Brune
nach der
Tafel für
Preufsen
Männer
26
5,03
6,17
5.46
7,88
7-51
9,56
36
6,31
6,87
7.44
12,03
11,59
13,93
46
11,13
12,82
13,04
17,19
18,25
20, 8 5
56
25,72
25,11
26,70
33,47
32,71
34,37
66
53,99
53-22
54-79
57,16
58,66
59,03
76
87,46
83,40
84,73
86,15
84.34
85,90
86
99,71
99-io
98,70
99,62
100,00
96,11
Tab. XXII.
CO -
Die (fernere
mittlere Lebensdauer stellt sich in Jahren für
1-2,
c e
zz -°
0 ®
> M
versicherte
Geistliche
versicherte
Gymnasial-
lehrer
versicherte
Elementar-
lehrer
versicherte
Aerzte
Mitglieder der
preufs. Witwen-
verpflegungs-
anstalt (Brune)
die männliche
allgemeine
Bevölkerung in
Preufsen
26
30
40
4<>,17
36,94
28,74
39,52
36,56
28,50
39,26
36,05
28 03
35-62
32,60
25,50
35-73
32,69
25,35
33,86
3M7
24,22
50
20,62
20,75
20,29
18,55
18.57
17,91
60
1341
13,73
13-35
12,39
12,43
12,18
70
7,80
8,07
7,85
7,70
7,58
7-50
-80
3,90
4,45
4.33
4,04
4,29
4.40
200 Job. Karup und R. Gollmer,
Aus der Tab. XXI geht abermals hervor, daß die Sterblichkeit der
Geistlichen anfänglich günstiger und später ungünstiger ist als die der
Gymnasiallehrer, der Wendepunkt ist hier aber noch schärfer als
bisher zu erkennen, indem er zwischen dem 46. und 56. Lebensjahre
liegt. Die Sterblichkeit der Elementarlehrer ist übereinstimmend mit
den früheren Vergleichen durchgängig, aber nirgends beträchtlich
höher als die der Gymnasiallehrer oder Geistlichen, die letzte Alters-
klasse ausgenommen, auf die natürlich wenig ankommt. Bemerkens-
wert ist es , daß die Zahlen der Lebenden für Geistliche (Tab. XX)
erst zwischen dem 70. und 80. von denjenigen der Gymnasiallehrer
eingeholt werden, es bedarf eben geraumer Zeit, ehe ein anfänglicher
Ueberschuß von Lebenden durch eine nachträglich höhere Sterblichkeit
wieder verloren geht.
Tab. XXII, welche die mittlere Lebensdauer enthält, spiegelt eben-
falls die bekannten Vitalitätsverhältnisse wieder, auch hier zeigen im
ganzen genommen Geistliche und Lehrer beider Gattungen eine an-
nähernde Uebereinstimmung, während die Aerzte sich den ungünstigen
Brune'schen Zahlen anschließen, die sich wieder vorteilhaft von der
allgemeinen Bevölkerung Preußens abheben.
IV. Kapitel.
Die Sterblichkeit nach Todesursachen.
Die Litteratur über die Sterblichkeit der Lehrer nach einzelnen
Todesursachen ist mehr als dürftig. Anderweitige Erfahrungen, die
auf einem genügend umfangreichen und einwandsfreien Beobachtungs-
materiale basieren und besondere Beachtung von Seiten des Statistikers
beanspruchen könnten, ließen sich überhaupt nicht ermitteln. Layet l)t
der schon wiederholt in unseren früheren, an dieser Stelle veröffent-
lichten Untersuchungen citiert wurde, führt in seinem Handbuche, wie
die Geistlichen, so auch die Lehrer gar nicht besonders auf, sondern
behandelt in einem Kapitel gemeinschaftlich alle die Berufsarten, bei
denen die Stimme vorzugsweise in Anspruch genommen wird. Nach
eingehender Schilderung der Funktionen, welche bei diesen Berufs-
kategorien die einzelnen Abschnitte der Stimm- und Atmungsorgane
zu verrichten haben, findet es Layet leicht begreiflich, „wie durch die
häufigen und angestrengten Bewegungen der Lungen und der Stimm-
muskulatur einerseits, andererseits durch das wiederholte gewaltsame
Vorbeistreichen der Luft vor den Schleimhautgebilden der Luftwege
sich mit der Zeit vielfache und mannigfache Störuugen einstellen
können." Von solchen Störungen erwähnt Layet im besonderen „chro-
nische Kongestionszustände der Lunge, die zu manchmal nicht unbe-
deutenden Hämorrhagien führen, Lungenemphysem, chronische Laryn-
1) Allgemeine und spezielle Gewerbe-Pathologie und Gewerbe-Hygiene von Dr. Alex.
Layet. Deutsche vom Verfasser autorisierte Ausgabe von Dr. Friedrich Meinel. Erlangen*
Verlag von Eduard Besold, 1877.
Die Mortalitätsverhaltnisse der Lehrer etc. 201
gitiden und granulöse Anginen (Kehlkopfs- und Rachenentzündungen)."'
Die Nachforschungen, die Layet anstellte, um den Einfluß, den die An-
strengungen der Stimme auf die Entwicklung der Lungenschwind-
sucht haben könnte, genauer zu ermitteln, über deren Natur er aber
nichts Näheres mitteilt, und die jedenfalls den Anforderungen einer
rationellen Statistik nicht entsprochen haben, ergaben für ihn kein
befriedigendes Resultat. Daß dieselben erfolglos blieben, wird in einer
Anmerkung des Uebersetzers als ein neuer Beweis des schon von Paul
Niemeyer so beredt verfochtenen Standpunktes angesehen, wonach die
ergiebige Uebung des Stimmorganes als eines der wirksamsten Hilfs-
mittel der Lungengymnastik auf die Verhütung von Lungenschwind-
sucht von großem Einfluß ist.
An anderer Stelle teilt Layet einige Zahlen nach Parcheppe mity
welche aus der allgemeinen Irrenstatistik Frankreichs geschöpft sind
und die relative Häufigkeit der Geistesstörung bei verschiedenen Be-
rufsarten beleuchten sollen. Die hinsichtlich der Berechnungsweise
dieser Zahlen gemachten Erläuterungen lassen die Zahlen aber wenig
zuverlässig erscheinen, weshalb wir sie hier übergehen.
Ueber die Neigung speziell der Elementarlehrer zu Geisteskrank-
heiten sprach sich Professor Meyer, Direktor der psychiatrischen Klinik
zu Göttingen, in seiner 1890 zum 25-jährigen Jubiläum der genannten
Anstalt veröffentlichten Festschrift dahin aus: „Seit einer Reihe von
Jahren war mir die verhältnismäßig häufige Aufnahme von geistes-
kranken Volksschullehrern aufgefallen. Gegenwärtig befinden sich acht
in der Anstalt, es kommt also einer von ihnen auf 30 männliche
Geisteskranke. Bei der Stetigkeit dieses Verhältnisses in unserer
Anstalt und dem Fehlen jeglichen Grundes für die Bevorzugung der
Göttinger Irrenanstalt durch die geisteskranken Schullehrer unserer
Provinz dürfte die Voraussetzung, daß diese Klasse der Bevölkerung
verhältnismäßig eine große Zahl Geisteskranker enthalte, wohl gerecht-
fertigt erscheinen. Eine genauere Nachforschung hat aber ergeben,
daß die Hälfte unserer Lehrer bereits vor der Uebernahme ihres Amtes
geisteskrank gewesen seien, daß fast alle übrigen Abweichungen in
ihrem geistigen Wesen und Verhalten längere Zeit, bevor sie Lehrer
geworden sind, gezeigt haben. In den zum Zwecke der Aufnahme in
die Irrenanstalt abgegebenen ärztlichen Berichten werden sie „als reiz-
baren Gemütes, leicht verletzlichen Ehrgefühls, unbehilflich in prak-
tischen Dingen etc." bezeichnet. Es ist demnach hier unzulässig, in
der Beschäftigung oder anderen Verhältnissen des Berufes psychisch
schädigende Einflüsse zu erblicken. Zu den gleichen Schlüssen ge-
langen wir bei einem anderen in der Anstalt gleichfalls ungewöhnlich
stark vertretenen Berufe, dem der Subalternbeamten. Sollten unsere
Erfahrungen allgemein sein, so könnte man fast zu der Anschauung
gelangen, daß einzelne Berufsarten eine gewisse Anziehung für Per-
sonen besitzen, die mit einer Anlage zu Geistesstörungen behaftet
sind."
Eine ungleich größere Beachtung, wie die Angaben von Layet
und Meyer, verdient ein Vortrag, welcher im Jahre 1887 in einer
202 Job. Karup und R. Gollmer,
Volksschullehrerversammlung von dem verstorbenen Physikus Dr. Richter
in Eisfeld (Sachsen- Meiningen) über „Lehrerkrankheiten" gehalten
wurde. Da Richter über dieses Thema, wie er ganz ofien eingestand,
in der Litteratur fast nichts gefunden hatte, so sprach er darüber
nur auf Grund seiner eigenen Beobachtungen und Erfahrungen. Doch
es macht auf uns den Eindruck, daß auch diese nicht sehr umfang-
reich waren, und daß sich Richter bei seinen Erörterungen über die
Schädlichkeiten, die auf die Lehrer in Ausübung ihres Berufes ein-
wirken, und bei Aufstellung der Krankheiten, die darauf zurückzu-
führen sein sollen, mehr von einer vorgefaßten ungünstigen Meinung
über den Lehrerberuf hat leiten lassen. Gleichwohl muß Richter's
Vortrag in aller Kürze hier Erwähnung finden, weil er seiner Zeit
jedenfalls durch die verschiedenen pädagogischen Schriften in den
weitesten Lehrerkreisen bekannt wurde und hier und da vielleicht
ganz unrichtige Vorstellungen von den Gefahren des Lehrerbe rufs er-
weckte. Richter's Vortrag läßt sich nun kurz dahin zusammenfassen :
Die Lehrer gehören, wenn sie auch körperliche Arbeit, z. B. langes Stehen
oder Sitzen, Sprechen und Singen zu verrichten haben, doch vorzugs-
weise zur Gruppe der Geistigbeschäftigten. Als solche hätten sie zu-
nächst unter den mit ihrem Berufe verbundenen geistigen Ueberan-
strengungen zu leiden. Die veranlassenden Momente der letzteren
wären : das stundenlange Unterrichten ohne genügende Zwischenpausen,
die außer der Schulzeit stattfindenden Korrekturen , Vorbereitungen
zum Unterricht und Studien zur Fortbildung, die Sorgen und Mühen
mit schwach veranlagten Kindern und Aufregungen durch renitente
und schließlich der Zwang, bei vorwiegend ungünstigen Besoldungs-
verhältnissen durch Privatunterricht oder Uebernahme von anderen
Aemtern noch Nebenverdienst zu suchen. Wenn nun auch geistige
Ueberanstrengung allein bei sonst gesunden Menschen nicht so leicht
Irrsinn erzeugen könnte, sondern dazu immer noch andere prädis-
ponierende Momente erforderlich wären, so unterläge es doch wohl
keinem Zweifel , daß man in noch nicht zu hohem Alter verhältnis-
mäßig viele abgearbeitete, geistig erschöpfte, nicht mehr produktions-
fähige Lehrer fände. Außer diesen allgemeinen Erschlaffungs- und
Ermüdungszuständen , die mehr die Gesamtkoustitution beträfen und
sich noch ganz besonders bei schlechter Ventilation und unzweck-
mäßiger Wärmeregulierung in den Schulzimmern geltend machen
müßten, wären aber noch die Insulte zu berücksichtigen, unter denen
einzelne Organe mehr oder weniger zu leiden hätten. Bei ausgiebiger
Lungenventilation und Einatmung von Staub und heißer trockner Luft
wären bei vielen Lehrern Rachen-, Kehlkopf- und Lungenkatarrhe an
der Tagesordnung. Daß infolge dieser Reizzustände der Atmungs-
organe der Lehrer mehr zur Tuberkulose hinneigen sollte, sei früher
öfter behauptet, aber durch nichts erwiesen worden. Was zunächst
die Gelegenheit zur Infektion mit dem Tuberkelbacillus anlange, so
wäre doch zu berücksichtigen, daß die Schuljugend nur ein geringes
Kontingent zur Lungentuberkulose stelle, und somit auch die Gefahr,
in den Schulzimmern durch tuberkulöse Auswurfsstoffe infiziert zu
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc. 203
werden, hier mehr zurücktrete. Ein weiteres zur Tuberkulose disponie-
rendes Moment, schlechte Ernährung und schwächlicher Körperbau,
käme zumal in neuester Zeit auch nicht mehr so in Betracht, da
schwächliche Individuen nicht mehr (?) zum Lehrerberufe zugelassen
würden, während früher das Gegenteil sehr oft der Fall gewesen wäre.
Dagegen würden die Lehrer samt ihren Familien, namentlich wenn
sie, wie auf dem Lande, mit im Schulhause wohnten, der Gefahr, andere
Infektionskrankheiten zu acquirieren, leicht ausgesetzt. Da es sehr
häufig vorkäme, daß Kinder, die an Masern, Scharlach, Diphtherie etc.
litten oder noch nicht ganz davon genesen wären, die Schule be-
suchten und den Ansteckungsstoff hineintrügen, so wäre abgesehen
davon, daß dadurch Mitschüler erkrankten, auch große Gelegenheit
gegeben, daß selbst Lehrer und ihre Angehörigen infiziert würden.
Auch die Möglichkeit, daß die Lehrer unter dem Einflüsse der Zer-
setzungsprodukte in den viel benutzten, oft höchst mangelhaft und un-
zweckmäßig angelegten Aborten der Schule zu leiden hätten, wäre
nicht von der Hand zu weisen. In dieser Beziehung müßte nament-
lich mit einer günstigen Gelegenheit zur Erkrankung an Typhus ge-
rechnet werden. Zum Schlüsse erwähnte Richter, wie die genannten
Uebelstände, wenn auch nicht zu beseitigen, so doch auf ein geringeres
Maß zu beschränken wären und gab sodann seiner Ueberzeugung
Ausdruck, daß die allgemeinen Sterblichkeitsverhältnisse trotzdem
keine ungünstigen seien.
Wir sind mit der Aufzählung der Litteratur zu Ende. Diese be-
zieht sich allerdings nur auf die Morbidität und kann somit nicht
direkt mit unseren Untersuchungsresultaten verglichen werden. Wenn
aber die Angaben der drei genannten Autoren der Wirklichkeit ent-
sprechen, muß dies entschieden auch in einigen bestimmten Todes-
ursachen mehr oder weniger zum Ausdruck kommen. Wir werden in
der Folge sehen, inwieweit dies der Fall ist.
Es dürfte zunächst von Interesse sein zu erfahren, welche Krank-
heiten bei den Angehörigen der einzelnen Lehrerkategorien als Todes-
ursachen angesehen werden mußten. Zu diesem Behufe teilen wir die
nachfolgende Tabelle mit, die zugleich auch einigen Aufschluß über die
Verteilung der Beobachtungen nach Altern und über die zugehörigen
Sterblichkeitspromillesätze giebt.
(Siehe Tabelle XXIII auf S. 204 u. 206.)
Wie ersichtlich, ist die Gruppierung der Todesursachen im all-
gemeinen dieselbe, wie bei unseren bisherigen Untersuchungen. Die
Registrierung der zu den einzelnen Gruppen gehörigen Todesursachen
ist eine möglichst detaillierte. Gleichwohl werden für manchen Leser
noch einige Erläuterungen willkommen sein. In der Gruppe „Infek-
tionskrankheiten" spielt bei allen Lehrerkategorien die Diagnose „Typhus,
typhöses gastrisches Fieber etc.", was aber auch für andere Berufs-
klassen mehr oder weniger zutrifft, die Hauptrolle, während Scharlach,
Masern, Diphtherie etc. völlig zurücktreten. Schon daraus ergiebt
sich, daß die von Richter behauptete besondere Ansteckungsgefahr für
die Elementarlehrer, sowie überhaupt für den Lehrerstand nicht existiert.
204
Joh. Kamp und R. Gollmer,
Tab.
Frequenz der Todesursachen
Die Sterblich-
keit im
I. Infektionskrankheiten
Es standen
ein volles
Jahr unter
Risiko
allgemeinen
Alters-
klassen
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A. Elementarlehrer.
21—45
82 213
533
6,48
54
7
9
5
4
I
5
2
3
»3
103
1,25
46—60
54 770,5
872
15-92
75
2
4
7
3
2
2
3
1
9
108
1,97
61—90
22885
1394
60,91
32
2
3
3
2
—
—
6
—
4
52
2,27
Insgesamt
159868,5
2799
17,51
161
11
16
i5
9
3
7
11
4
26
263
1,65
B. Gymnasiallehrer.
26—45
32 247
185
5,74
24
—
2
—
—
—
2
I
—
3
32
0,99
46—60
20687
319
15-42
21
1
5
1
1
2
—
—
I
2
34
1,64
61—90
9014,5
54i
60,01
11
—
2
—
—
—
1
1
—
1
16
1,77
Insgesamt
61 948,5
1045
16,87
56
1
9
1
I
2
3
2
1
6
82
1,32
C. Universitätslehrer exkl. Mediziner.
Sämtliche
1
Alter
7 814,5
»54
19,71
7 —
2
—
1
—
—
I
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(26—90)
1
D. Dozenten der Medizin.
Sämtliche
Alter
2792
67
24,00
5
— j —
5
1,79
(26—90)
Cholerafälle wurden sowohl bei Elementar- als Gymnasiallehrern in
größerer Anzahl beobachtet, Pocken und Flecktyphus dagegen fast
ausschließlich bei den ersteren. Von den 15 an Pocken verstorbenen
Elementarlehrern waren 12 in unserem Sinne Landlehrer. Die Fälle
von Flecktyphus betrafen ausschließlich Landlehrer und kamen zum
größten Teil (8) in den östlichen Provinzen (Preußen, Posen, Schlesien
und Brandenburg) vor. In den 3 Sterbefällen der Gruppe III (Ver-
giftungen) und IV (Parasiten) handelt es sich um bezw. chronischen
Alkoholismus, Trichinose und Blasenwürmer (Echinococcen) des Ge-
hirns. Die Gruppe V (konstitutionelle Krankheiten) setzt sich bei
allen 4 Lehrerkategorien, entsprechend unseren sonstigen Erfahrungen,
vorwiegend aus Sterbefällen mit der Diagnose „Krebs, bösartige Neu-
bildung etc." zusammen. Bei den hier in Betracht kommenden 325
Personen mußte nach den einzelnen Krankenberichten der Sitz des
Krebsleidens 238mal in den Ernährungsorganen (123mal im Magen,
44mal im Darm, vorzugsweise Mastdarm, 42mal in der Leber, 13mal
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc.
205
XXIIL
für verschiedene Lehrerkategorien.
II. Zoo-
nosen
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Vergif-
tungen
IV.
Para-
siten
V. Konstitutionelle
Krankheiten
VI. Krankheiten des Central-
nervensystems
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2,15
9
7
1
-
—
17
6,09
in der Speiseröhre, 6 mal an der Zunge, je 3 mal bezw. im Munde, in
der Bauchspeicheldrüse und im Netz und lmal im Bauchfell), 28mal
in den Harn und Geschlechtsorganen (19mal in der Blase, 4mal in
den Nieren bezw. Nebennieren, 3mal in den Hoden bezw. Nebenhoden
und 2mal am Penis), 20mal an einzelnen Knochen, 16mal an den ver-
schiedenen Drüsen, 8mal in den äußeren Bedeckungen, 5mal in den
Atmungsorganen (3mal in den Lungen und je lmal im Kehlkopf bezw.
in der Nase) und lmal im Auge gesucht werden. In 9 Fällen
war einfach von Krebs „im Unterleibe" ohne nähere Angabe der be-
treffenden Organe berichtet. Aus dieser Aufzählung ergiebt sich also,
daß 73 Proz. aller bösartigen Neubildungen in den Ernährungsorganen
zu suchen waren. Von den übrigen verhältnismäßig nur schwach be-
setzten Krankheitskategorien der Gruppe V ist nur noch die mit
„übrige konstitutionelle Krankheiten" überschriebene insofern zu be-
rücksichtigen, als es sich um die Angabe der verschiedenen Krank-
heitszustände , welche darin zusammengefaßt wurden, handelt. Es
206
Job. Karup und R. Gollmer,
Tab.
XXIII
Die Sterblich-
keit im
allgemeinen
VII. Krankheiten der
VUI.
Krankh. d.
IX. Krank-
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Atmungsorgane
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54 770,5
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15,92
59 22
220
28
329 6,01
95
1,73
31
33
1
61—90
22885
1394
60,91
125 I14
95
223
457li9'97
224
9,79
72
49
9
Insgesamt
159868,5
2799
17.51
215 |42
514
252
1023
6,40
346
2,17
128
103
14
B. Gymnasiallehrer.
26—45
32247
185
5.74
5
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52
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1,86
17
0,53
9
6
—
46—60
20687
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13
14
—
61—90
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24
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122
13,53
27
12 1
Insgesamt
61 948,5
1045
16,87
64
10
132
7i
277
4,47
185
2,99
49
32
1
C. Universitätslehrer exkl. Mediziner.
Sämtliche
Alter
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154
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13
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38
4.86
3
6
—
(26—90)
D. Dozenten der Medizin.
Sämtliche
Alter
2792
67
24,00
4
2
6
2
14
5»oi
12
4,30
3
2
—
(26—90)
kommen nämlich hier 6 Fälle von pernieiöser Anämie (Blutarmut),
3 Fälle von Addison'scher Krankheit, je 2 von Basedow'scher Krank-
heit, Werlhof scher Blutfleckenkrankheit und Skorbut und 1 Fall von
Hämophilie (Bluterkrankheit) in Betracht — Krankheitsbilder, die fast
sämtlich, namentlich in ätiologischer Beziehung, bis auf den heutigen
Tag nicht genügend aufgeklärt sind. In der Gruppe VI (Krankheiten
des Centralnervensystems) handelt es sich bei allen 4 Lehrerkategorien
ganz besonders um Sterbefälle mit der Diagnose „Gehirnschlagfluß"
— ein Krankheitsbild, das in allen Fällen auf die bald früher, bald
später, aber doch immer erst im vorgeschrittenen Alter auftretende
Arteriosklerose (Verkalkung) der Hirngefäße bezw. Cirkulationsstörungen
in denselben infolge von Veränderungen an entfernter gelegenen Stellen
des Blutgefäßapparates zurückzuführen ist und deshalb streng ge-
nommen in die nachfolgende Gruppe VIII eingereiht werden müßte.
In derselben Weise wäre eigentlich auch mit all den Sterbefällen zu
verfahren, bei welchen die Diagnose auf „Gehirnerweichung" infolge
wiederholt aufgetretener Schlaganfälle gestellt wurde und die in der
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc.
207
(Fortsetzung).
XI. K
rankh.
XII K
rankb.
XIII.
XIV. Gewalt-
heiten der
X. Krankheiten der
Harnorgane
der Ge-
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der Haut
und des
Krankh. der
Knochen und
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11
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1
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—
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—
—
2
0,26
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0.51
—
5
1,79
3
3
6
2,15
1
0,36
1
0,36
Kategorie „eigentliche Krankheiten des Gehirns" ziemlich zahlreich
vertreten sind. Nur insofern, als die genannten Veränderungen an
den Hirngefäßen oft schon zu einer Zeit auftreten, wo das Herz und
die übrigen der Untersuchung zugänglichen Abschnitte des Cirkulations-
apparates scheinbar noch ganz gesund sind, dürfte es berechtigt sein,
„Gehirnschlagfluß" und „Gehirnerweichung" als eigentliche Gehirn-
krankheiten anzusehen und statistisch zu verwerten. In betreff der
Kategorie „übrige Krankheiten des Centralnervensystems" ist zu er-
wähnen, daß in den 6 daselbst eingereichten Sterbefällen die Diagnose
3mal auf paralysis agitans (Schüttellähmung), 2mal auf progressive
Muskelatrophie und lmal auf multiple aufsteigende Neuritis (Nerven-
entzündung) gestellt war. In der Gruppe VII überwiegen, wie immer,
bei weitem die chronischen Krankheiten der Atmungsorgane. So ent-
fällt bei den Elementar- und Gymnasiallehrern beispielsweise ungefähr
die Hälfte aller in Betracht kommenden Sterbefälle auf die Kategorie
„Lungenschwindsucht". Aus der Gruppe VIII (Krankheiten der Cir-
kulationsorgane) ist nur hervorzuheben, daß in 5 Fällen, die sämtlich
208
Joh. Kamp und R. Gollmer,
Elementarlehrer betreffen, die Diagnose auf Aneurysma (Pulsader-
geschwulst) der Aorta — ein relativ seltenes Krankheitsbild — ge-
stellt war. In der Gruppe IX kommen vorzugsweise Krankheiten
des Magens bezw. Darms und der Leber in Betracht. Bei den 15 Fällen
von Brucheinklemmung, die fast ausschließlich Elementarlehrer be-
Tab. XXIV.
Sterblichkeit der Elementarlehrer nach Todesursachen.
Alter
I.
II.
III.
IV.
26—45
46—60
61—90
Sämtl. Alter (26—90)
a.
b.
c.
a.
b.
c.
a.
b.
c.
a
b.
c.
Rech-
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Rech-
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mäfsige
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Sterbefälle
Sterbefälle
Sterbefälle
Sterbefälle
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85.68
43-84
21,54
42,85
67,66
36,23
212,66
0,48
21,69
20,7 9
50.15
21,98
Sterblichkeit im allgemeinen
509 | 81,3 | 1046,39! 870 | 83,1 1 1484,56 | 1394 | 93,9 | 3156,8112773
Typhus mit Flecktyphus
57 | 66,5 | 79-42 I 77 I 97,0 1 43,58 | 34. | 78,0 | 208,68 | 168
Uebrige Infektionskrankheiten
40 | 91,3 | 46,4i| 31 | 66,8 | 29,52 | 18 | 61,0 | 119,77 | 89
Bösartige Neubildungen
22 1 102,1 1 77,86 | 93 1 129,4 1 104,70! 112 |lO7,0 | 204,10! 227
Krankheiten des Centralnervensystems exkl. Gehirnschlag
25 | 58 3 | 72,09 | 41 | 56,9 | 91,31 | 78 | 85,4 | 206,25 | 144
Gehirnschlag, Altersschwäche, Herzkrankheiten, Nierenentzündung
47 | 69,5 | 248,37! 166 | 66,7 | 478,oi| 451 | 94,3 | 794.54 | 664
Akute Krankheiten der Atmungsorgane und Brustfellentzündung
37 1 102,1 1 87,55 | 80 | 91,4 1 154-84] 139 | 89,8 1 278,62! 256
Lungenschwindsucht
186 | 87,5 | 197,84 | 219 1 1 10, 7 I 88,16 | 94 |106,6 | 498,66 | 499
Lungenemphysem, chron. Lungenkatarrh
1 | .. | 25,39 | 28 1 108,2 1 206,93 | 224 |108,2 1 233.30 | 253
Selbstmord
10 | 46,1 1 28,99 | 16 | 55,2 | 10,75 | 2| 18.6 | 61,34 | 28
Verunglückung
10 | 48,1 1 21,88 | 13 | 59,4 | 16,92 | 21 1 124,0 | 59,59 | 44
Krankheiten der Ernährungsorgane
55 1109,7 | 107,47 | 68 | 63.3 | 151,62! 132 | 87,1 1 309,24 | 255
Sonstige Krankheiten
19 86,4 | 51,79 | 38 | 73,4 | 108,83 | 89 | 81-8 1 182,60 | 146
87,8
80,5
74,3
111,2
69,8
83,6
91,9
100,1
108,5
45,6
73,8
82,5
80,0
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc. 209
treffen, handelte es sich 12mal um Leistenbruch, 2raal um Schenkel-
bruch und lmal um Nabelbruch. Hinsichtlich der Sterbeiälle der
Gruppe XII (Krankheiten der Haut und des Zellgewebes) lautete die
Diagnose 17mal auf Zellgewebsentzündung, 14mal auf Karbunkel, 4mal
auf Unterschenkelgeschwür, Bmal auf Hautausschlag (Pemphigus) und
lmal auf Balggeschwulst, deren operative Entfernung Blutvergiftung
(Septicämie) zur Folge hatte. Aus der Gruppe XIII (Krankheiten der
Knochen und Gelenke) sind besonders 3 Sterbefälle hervorzuheben, in
welchen hochgradige Rückgratsverkrümmung (2mal Skoliose und lmal
Kyphoskoliose) mit nachfolgender Lungenkompression und Herzver-
lagerung als Todesursache anzusehen war; in allen übrigen Fällen lag
Entzündung (Karies) verschiedener Knochen und Gelenke vor.
Wie schon die vorstehende Tabelle erkennen läßt, variiert die
Frequenz der Todesursachen zumeist sehr stark mit dem Alter, und
es ist daher bei der verschiedenartigen Verteilungsweise der Lebenden
unter Risiko nach dem Alter bei den einzelnen Berufsklassen dieser
Faktor unbedingt noch eingehender als dort zu berücksichtigen, wenn
genauere Vergleiche angestellt werden sollen. Auf der anderen Seite
ist indes eine zu große Zersplitterung des Materials zu vermeiden,
und wir wenden deshalb hier wiederum die bekannte Methode der
rechnungsmäßigen Sterbefälle an, bei welcher der Einfluß des Alters
innerhalb der endgültig gebildeten größeren Altersklassen eliminiert
wird. Als rechnungsmäßige Norm wurden durchgängig die allgemeinen
Erfahrungen der Gothaer Bank, wie sie sich bis 1878 für männliche
Versicherte ergaben, zu Grunde gelegt. Wir lassen nun zunächst eine
Tabelle folgen, in welcher die für die Elementarlehrer allein erlangten
Resultate zusammengestellt sind, die mit Rücksicht auf das umfang-
reiche Material besondere Beachtung verdienen. Hervorzuheben ist,
daß sowohl hier, wie in der Folge die als Seminaristen eingetretenen
Versicherten außer acht gelassen sind.
(Siehe Tabelle XXIV auf S. 208.)
Um jeden Zweifel an der Berechnungsweise der Tabelle auszu-
schließen, wollen wir noch zeigen, wie beispielsweise die in derselben
für die Todesursache „Lungenschwindsucht" angegebenen Zahlen er-
langt wurden.
(Siehe Tabelle XXIV a auf S. 210.)
Die jetzige Einteilung nach Todesursachen unterscheidet sich in-
sofern von derjenigen der Tabelle XXIII, als hier Typhus, bösartige
Neubildungen, Krankheiten des Centralnervensystems, die verschiedenen
Kategorien von Lungenerkrankungen, Selbstmord und Verunglückung
selbständig aufgeführt sind und andere wiederum, die in der Tabelle
XXIII in ganz verschiedene Gruppen eingereiht erscheinen, aber in
ätiologischer Beziehung als zusammengehörig betrachtet werden müssen,
wie Gehirnschlag, Altersschwäche, Herzkrankheiten und Nierenentzün-
dung') zusammengefaßt sind. Todesursachen, die nur vereinzelt zur
1) Da die Symptome des Altersmarasmus, wie intellektuelle und Gedächtnisschwäche,
Asthma, Kreislaufsstörungen (Oedeme), Lungenkatarrhe, Darniederliegen der Funktionen
Dritte Folge Bd. VIII (LXI1I). \ 4
210
Joh. Kamp und R. Gollmer,
Tab. XXIVa.
Ermittlung der rechnungsmäßigen Sterbefälle aus Lungenschwindsucht
unter Elementarlehrern nach der allgemeinen Bankerfahrung.
Sterblichkeit
Hiernach rech-
Prozentsatz d.
Altersklasse
lehrer unter
Risiko
in Promille
für sämtliche
nungsmäfsige
Zahl der
Wirkl. Zahl
der Sterbefälle
wirkl. Zahl
von der
Versicherte
Sterbefälle
rechnungsm.
26-30
II 067,5
2,66
29,44,
\
31-35
36 — 40
!9 035
23 494.5
2,43
2,81
06. 021
I186
87,5
41—45
24 129,5
2,94
70,94'
J
46—50
21 677,5
3,37
73-05]
|
51 — 55
18280
3*56
65-07>i97,84
^219
110,7
56—60
14 765
4,05
59 72J
)
61 — 65
10683,5
4,80
5L28.
\
66—70
6719,5
4,06
27.28I
j
71—75
3515
2,07
, 7'2 [ 88,16
} 2,32]
\ 94
106,6
76—80
81—85
I 462,5
441
Jl,22
86—90
50.5
0,00
Summe
155 3°!
498,66
499
IOO.l
Beobachtung kamen und daher nicht weiter ins Gewicht fallen, wie
Zuckerkrankheit, Gicht, übrige konstitutionelle Krankheiten, Mittel-
ohrentzündung, Krankheiten der Blase, der äußeren Bedeckungen und
der Knochen und Gelenke sind unter „Sonstige Krankheiten" vereinigt.
Bei Durchmusterung der Tabelle XXIV kann es niemandem
entgehen, daß sich bei einigen Todesursachen zunächst für sämtliche
Alter eine Untersterblickeit geltend macht, die zum Teil noch weit be-
trächtlicher ist, als sie für die Sterblichkeit im allgemeinen im ersten
Kapitel ermittelt wurde. So stellt sich die Untersterblichkeit beispiels-
weise bei den Herzkrankheiten mit Gehirnschlag, Altersschwäche etc.
auf 16 Proz., bei den Krankheiten der Ernährungsorgane auf 17,5 Proz.,
bei Typhus auf 19,5 Proz., bei den übrigen Infektionskrankheiten auf
26 Proz. und bei den Krankheiten des Centralnervensystems sogar auf
30 Proz., während die allgemeine Untersterblichkeit, wie auch hier
ersichtlich, 12,2 Proz. betrug. Auch in den einzelnen Altersklassen
tritt diese Erscheinung bei den genannten Todesursachen mehr oder
weniger zu Tage. Da, wo sich bei einer dieser Krankheiten die wirk-
lichen Sterbefälle mit den erwartungsmäßigen annähernd decken oder
diese gar noch überschreiten, wie beim Typhus im Alter 46 — 60, bei
den übrigen Infektionskrankheiten im Alter 26—45, bei den Herz-
krankheiten im Alter 61—90 und bei den Krankheiten der Ernährungs-
der Verdauungsorgane etc., allermeist auf der im höheren Alter auftretenden Verkalkung
(Arteriosklerose) des arteriellen Gefäßapparates beruhen, erschien es uns zweckmäßig, alle
Sterbefälle mit der Diagnose „Altersschwäche" mit in die Kategorie der Herzkrankheiten
aufzunehmen. In derselben Weise wurde auch mit der Kategorie ,, Nierenentzündung"
verfahren, weil bei Herzkrankheiten fast immer zugleich auch die Nieren und umgekehrt
bei Nierenkrankheiten das Herz in Mitleidenschaft gezogen werden.
Die Mortalitätsverhältnibse der Lehrer etc. 211
organe im Alter 26 — 45, ist in den übrigen Altem die Mindersterb-
lichkeit noch um so autfallender.
Auf der anderen Seite erreichen die für alle Alter gültigen Pro-
zentsätze bei einigen bestimmten Todesursachen — und weil dies gerade
die am zahlreichsten vertretenen sind, ist die Beobachtung von ganz
besonderer Wichtigkeit — nicht nur den für die Sterblichkeit im all-
gemeinen ermittelten Durchschnittsprozentsatz, sondern überschreiten
denselben mehr oder minder beträchtlich. In erster Linie gilt dies
für „bösartige Neubildungen" und „Lungenemphysem mit chron. Lungen-
katarrh'4. Bei der erstgenannten Kategorie beträgt die Uebersterblich-
keit für sämtliche Alter 11,2 Proz. Bei Berücksichtigung der ein-
zelnen Altersklassen zeigt sich jedoch, daß die Uebersterblichkeit ganz
besonders im Alter 46 — 60 mit 29,2 Proz. zur Geltung kommt, während
sie in der jüngsten und höchsten Altersklasse, namentlich aber in der
erstgenannten, mit nur 2,1 Proz. mehr zurücktritt. Bei der Kategorie
„Lungenemphysem" überschreiten die wirklichen Sterbefälle die rech-
nungsmäßigen, alle Alter zusammengenommen, um 8 Proz. — ein
Prozentsatz, der auch in den beiden Altersklassen 46—60 und 61 — 90,
die bei dem vorwiegenden Charakter des Lungenemphysems als Alters-
erscheinung naturgemäß hier allein in Betracht kommen können, in
die Erscheinung tritt. Die Lungenschwindsucht zeigt in der jüngsten
Altersklasse eine Mindersterblichkeit von 12,5 Proz., in den höheren
Altern dagegen läßt sich eine Uebersterblichkeit von 10,7 bezw.
6,6 Proz. erkennen. Für sämtliche Alter resultiert ein Prozentsatz,
der dafür spricht, daß die Lungenphthise bei den Elementarlehrern
ebenso häufig ist, wie bei sämtlichen Versicherten zusammengenommen.
Bei den akuten Krankheiten der Atmungsorgane ist in der jüngsten
Altersklasse eine geringe Uebersterblichkeit von 2,1 Proz. zu konsta-
tieren, aus der in den beiden höheren Altersklassen eine Unsterblich-
keit von 8,6 bezw. 10,2 Proz. wird. Faßt man alle Alter zusammen,
so ergiebt sich nach der Tabelle nahezu derselbe Prozentsatz, der für
sämtliche Todesursachen Geltung hat. Es läßt sich somit kaum be-
haupten, daß die akuten Krankheiten der Atmungsorgane bei den Ele-
mentarlehrern eine besondere Rolle spielen.
Das Gesamtresultat des vorstehenden Vergleiches mit den Erfah-
rungen für sämtliche Versicherte dürfte danach wohl kurz der sein,
daß bei den Elementarlehrern die bösartigen Neubildungen und die
Krankheiten der Atmungsorgane, vor allem die chronischen Formen
der letzteren, ganz besonders ins Gewicht fallen, während beispiels-
weise Infektionskrankheiten (Typhus mit eingeschlossen), die Krank-
heiten des Centralnervensystems und die Heizkrankheiten mehr oder
weniger in den Hintergrund treten. Hieraus ergiebt sich zur Evidenz,
daß in dem Berufe der Elementarlehrer weder in der von Richter an-
gedeuteten Richtung, noch in sonst irgend einer Beziehung irgend
welche Gefahren gefunden werden können. Für die hohe Sterblichkeit
infolge von Krebs und Krankheiten der Atmungsorgane dürften nicht
der Beruf, sondern, wie wir noch weiter unten zeigen werden, andere
Faktoren verantwortlich zu machen sein.
14*
212
Job. Karup und R. G o 1 1 m e r ,
Wie verhält es sich nun mit den einzelnen Todesursachen, wenn
wir das Beobachtungsmaterial über die Elementarlehrer ganz analog,
wie es im Kapitel I bei der Untersuchung der Sterblichkeit im allge-
meinen geschehen ist, nach geographischen Bezirken zergliedern?
Zu beachten ist, daß die rechnungsmäßigen Zahlen hier nach der
allgemeinen Bankerfahrung für Männer bestimmt worden sind, während
im Kapitel I die für sämtliche Bezirke gültigen Beobachtungen über
die Elementarlehrer selbst als Norm galten.
Tab. XXV.
Sterblichkeit der Elementarlehrer nach geographischen Bezirken
(Alter 21—90).
Nord
Süd
Ost
West
Cen-
trum
Sämtliche
Bezirke
Infektionskrankheiten .
Rechnungsmäfsige Zahl
Wirkliche ,,
Prozent
der Sterbefälle
Bösartige Neubildungen.
Akute Krankheiten der
Atmungsorgane.
Lungenschwindsucht.
Chron. Lungenkatarrh.
Altersschw., Gehirnschi.-
flufs, Gehirnkr., Herzkr..
Bright'sche Krankheit.
Selbstmord.
Verunglückung.
Krankheiten der Er-
nährungsorgane.
Sonstige Krankheiten.
Sterblichkeit im all-
gemeinen
Rchn. Z. d. St.
Wirkl. „ „ „
Prozent . .
Rchn. Z. d. St.
Wirkl.,, „ „
Prozent
Rchn. Z. d. St.
Wirkl.,, „ „
Prozent . .
Rchn. Z. d. St.
Wirkl. „ „ „
Prozent
Rchn. Z. d. St.
Wirkl. „ „ „
Prozent
Rchn. Z. d. St.
Wirkl. „ „ „
Prozent . .
Rchn. Z. d. St.
Wirkl.,, „ „
Prozent
Rchn. Z. d. St.
Wirkl. „ „ „
Prozent
Rchn. Z. d. St.
Wirkl.,, „ „
Prozent
Rchn Z. d. St.
Wirkl. „ „ „
Prozent . .
54,49
49
89,9
34-45
4i
119,0
47-56
36
75,7
82,72
98
118,5
40,79
60
I47,i
171,73
120
69,9
10,20
5
49,0
10,22
9
88,1
52,43
46
87,7
3M8
16
5i,3
535,88
480
89,6
53,ii
36
67,8
35,oi
5o
142.8
47,80
42
87,9
80.44
85
105,7
41,51
42
101,2
172,12
182
105,7
9,97
5
50,2
9,98
II
IIO,2
52,59
37
70,4
31,46
33
104,9
534,19
523
97,9
84,46
80
94J
49,04
38
77,5
65,81
66
100,3
130,63
129
98,8
5i,43
43
83,6
234,51
199
84,9
15.94
4
25,1
15,57
8
51,4
74,05
68
9i,8
43,05
4i
95,2
764,48
676
47,52
34
71,5
27,03
35
129,5
37,03
43
116,1
73,52
71
96,6
29,49
30
101,7
132,31
97
73,3
8,95
3
33,5
8,79
5
56,9
41,46
41
98,9
24,19
17
70,3
430,31
376
87,4
93,05
64
68,8
58,58
63
107,5
81,02
69
85,2
141,15
122
86,4
70,10
78
m,3
291,21
211
72,5
17,38
II
63,3
17,47
II
63,0
89,21
64
71,7
53,22
42
78,9
912,46
735
80,6
332,63
263
79,i
204,11
227
111,2
279,22
256
91,7
508,46
505
993
233-32
253
108,4
IOOI,88
809
80,9
62,44
28
44,8
62,03
44
70,9
309.74
256
82,7
183,10
149
81,4
3177.32
2790
87,8
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc. 213
Zunächst ist es von Interesse, zu erfahren, daß sich das Centrum,
welches hinsichtlich der allgemeinen Sterblichkeit am günstigsten ge-
stellt ist, auch durch eine geringe Sterblichkeit infolge von Lungen-
schwindsucht auszeichnet. Im Süden, Osten und Westen ist die Fre-
quenz der Lungenschwindsucht nahezu dieselbe, wie bei Versicherten
überhaupt, im Norden dagegen ist eine Uebersterblichkeit von 18,5 Proz.
bemerkbar. Außer der Lungenschwindsucht fallen im Süden vor allem
die bösartigen Neubildungen und die Krankheiten der Cirkulations-
organe gegen das Centrum ins Gewicht, beim Norden außer der Lungen-
schwindsucht ganz besonders der chronische Lungenkatarrh, die bös-
artigen Neubildungen und die Infektionskrankheiten, beim Osten in
erster Linie die akuten Krankheiten der Atmungsorgane, die Infek-
tionskrankheiten und die Krankheiten der Ernährungsorgane und beim
Westen zunächst die bösartigen Neubildungen, die akuten Krankheiten
der Atmungsorgane und die Krankheiten der Ernährungsorgane. Da
die auf die einzelnen Todesursachen entfallenden Beobachtungszahlen
vielfach gering sind, liegt es uns nun durchaus fern, aus den ge-
fundenen Differenzen irgend welche weitgehende Schlüsse ziehen zu
wollen. Gleichwohl können wir es uns nicht versagen, auf die Be-
deutung einiger Punkte hinzuweisen. Die höhere Sterblichkeit infolge
von Infektionskrankheiten im Osten und Norden, wo die Elementar-
lehrer in wirtschaftlicher Beziehung durchschnittlich am schlechtesten
situiert sind, ist vielleicht gerade hier auf eine mangelnde Wohnungs-
hygiene, wie sie von Richter angedeutet wurde, zurückzuführen. Die
bösartigen Neubildungen sind am häufigsten (42,8 Proz. Uebersterb-
lichkeit) im Süden zu konstatieren. Diese Beobachtung wurde seiner
Zeit auch bei den evangelischen und den katholischen Geistlichen
des Südens gemacht. Eine, wenn auch nicht ganz so hohe Ueber-
sterblichkeit (29,5 Proz.) zeigt auch der Westen, dann folgen der
Norden mit 19,5 Proz. und das Centrum mit 7,0 Proz., während der
Osten eine Untersterblichkeit von 22,5 Proz. aufweist. Daß diese
Erscheinung nicht mit der Berufsbeschäftigung, die in allen 5 Bezirken
dieselbe sein dürfte, zusammenhängen kann, ist wohl ganz selbstver-
ständlich. Daß sie zu der ökonomischen Lage in Beziehung stehe, ist
ebensowenig anzunehmen. Denn wie sollte man sich sonst die hohe
Sterblichkeit des Südens, dessen Lehrer durchschnittlich wirtschaftlich
nicht erheblich ungünstiger gestellt sein werden, als die des Centrums,
und vor allem die Untersterblichkeit des Ostens, wo die Gehaltsver-
hältnisse der Elementarlehrer sicherlich doch viel schlechter sind als
im Centrum, zu erklären sein. Man wird daher die Ursache dieser
Differenzen wohl in einer anderen Richtung zu suchen haben, auf die
wir weiter unten noch etwas ausführlicher zu sprechen kommen werden.
Hinsichtlich der Lungenschwindsucht, sowie der chronischen Lungen-
erkrankungen ist der Norden und Süden am schlechtesten gestellt,
während die akuten Krankheiten der Atmungsorgane im Westen und
Osten relativ am häufigsten beobachtet wurden. Jedenfalls ist es von
nicht zu unterschätzender Bedeutung, daß die Lungenschwindsucht,
deren Frequenz unserer Ansicht nach unzweifelhaft die wirtschaftliche
214 Joh. Karup und R. Gollmer,
Lage und Lebenshaltung einer Berufsklasse am besten zum Ausdruck
bringt, im Centrum, wo das Volksschulwesen am besten organisiert
ist und die Elementarlehrer daher am besten gestellt sein dürften,
am wenigsten beobachtet wurde. Unter den übrigen Todesursachen
ist namentlich noch die Gruppe der Herzkrankheiten zu berücksichtigen,
bei welcher sich zwischen dem Süden einer- und den 4 übrigen geo-
graphischen Bezirken andererseits eine ganz beträchtliche Differenz zu
Ungunsten des ersteren nachweisen läßt. Ein ähnliches Resultat ergab
unsere Untersuchung über die Sterblichkeit der Geistlichen beider Kon-
fessionen und wurde damals von uns auf gewisse, dem Süden eigen-
tümliche Lebensgewohnheiten, vor allem auf den durchschnittlich dort
größeren Bierkonsum zurückgeführt.
Wir gehen jetzt dazu über, die Resultate mitzuteilen, die wir
mittelst der Methode der rechnungsmäßigen Sterbefälle hinsichtlich
der Frequenz der Todesursachen bei den Elementarlehrern nach Stadt
und Land und bei den beiden anderen Lehrerkategorien, den Gym-
nasiallehrern und Dozenten, erlangten. Die Untersuchung wurde auch
auf die in früheren Spezialarbeiten behandelten Aerzte und Geistlichen
ausgedehnt, teils des Vergleiches halber, teils um deswillen, weil in jenen
die Methode der rechnungsmäßigen Sterbefälle nur in sehr beschränktem
Maße zur Anwendung gelangen konnte. Es fehlte uns nämlich da-
mals an der erforderlichen Grundlage, an einer entsprechenden Klassifi-
kation und Bearbeitung des Beobachtungsmateriales für sämtliche Ver-
sicherte, die nunmehr in der an dieser Stelle 1890 veröffentlichten
Arbeit „Die Sterblichkeit nach Todesursachen unter den Versicherten
der Gothaer Lebensversicherungsbank f. D. während der Zeit von
1829—1878" vorliegt.
Hinsichtlich der Einteilung der nachfolgenden Tabelle ist zu be-
merken, daß sämtliche Todesursachen in 8 Hauptgruppen A — H unter-
gebracht Isind, daß aber für die stärker besetzten Berufs kategorien
auch einige Unterabteilungen Bl, El etc. vorgesehen wurden. Um
das Material nicht allzusehr zu zersplittern, wurden nur 2 Alters-
perioden gebildet, zum Teil aber auch jede Alterseinteilung unter-
lassen, was bei der Methode der rechnungsmäßigen Fälle zulässig ist.
Bei katholischen Geistlichen konnte der Vergleich auch für solche
Todesursachen, welche stärker vertreten waren, nicht überall durch-
geführt werden, weil die zugehörigen wirklichen Sterbefallzahlen nicht
mehr vorlagen. Die Dozenten der Medizin, auf welche im ganzen nur
67 Sterbefälle treffen, lassen eine eingehendere Diskussion über die
Todesursachen kaum zu, und wir haben sie deshalb nur der Voll-
ständigkeit halber und weil sie die für die übrigen Universitätslehrer
gegebenen Zahlen gewissermaßen ergänzen, mit eingereiht.
(Siehe Tabelle XXVI auf S. 215.)
Was zunächst die Krankheiten der Atmungsorgane (E, letzte
Spalte) anlangt, die fast überall am meisten ins Gewicht fallen, so
zeigt sich, daß bei den Universitätslehrern diese Krankheiten eine
relativ untergeordnete Rolle spielen, indem hier die geringste Sterblich-
keit nachzuweisen ist. Darauf folgen die Gymnasiallehrer und die
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc.
215
Tab. XXVI.
Rechnungsmäßige und wirkliche Sterblichkeit nach Todesursachen
für verschiedene Berufsklassen.
Alte
r
26—60
61—90
a
.
s* £,
XI
= OD
a tx
o
3 2
g s
« s
M
3
u
4a
S
S
N
O
Cd
3
a
a>
M
o
w
Zahl der
Zahl der
Sterbefälle
Sterbefälle
Sämtl. Alter (26 — 90)
m S,
Zahl der
Sterbefälle
Universitätslehrer
ohne Aerzte
Gymnasiallehrer
Elementarlehrer
a) Stadtlehrer
b) Landlehrer
Evangel. Geistliche
Eathol. Geistliche
Aerzte
Docenten der Medizin
Universitätslehrer
ohne Aerzte
Gymnasiallehrer
Eiementarlehrer
a) Stadtlehrer
b) Landlehrer
Evangel. Geistliche
Kathol. Geistliche
Aerzte
Docenten der Medizin
Universitätslehrer
ohne Aerzte
Gymnasiallehrer
Elementarlehrer
a) Stadtlehrer
b) Landlehrer
Evangel. Geistliche
Kathol. Geistliche
Aerzte
Docenten der Medizin
A. Sterblichkeil
im
Allgeme
inen.
84,73
48
56,7
131,50
106
80,6
216.23
154
651,25
504
77,4
600,09
541
90,2
1251,34
1045
1672,25
1379
82.5
1484,56
1394
93,9
3156,81
2773
399,58
303
75-8
343,46
323
94,0
743,04
626
1272.67
IO76
84,5
1141,10
1071
93,9
24J3,77
2147
942,81
694
73,6
1421,76
1336
94,o
2364,57
2030
192,09
199
103.6
154,14
191
123,9
346,23
390
501,70
583
116,2
446.07
469
105.1
947,77
1052
31,65
29
91,6
27,24
3«
139,5
58,89
67
B. Infektionskrankheiten.
12,11
9
74,3
5,88
2
34,o
17,99
II
IOI.08
66
65,3
28,92
16
55,3
130.00
82
255,35
205
80,3
73,io
52
7i,i
328,45
257
62.58
38
60,7
16, 60
H
84,3
79,18
52
192.77
167
86,6
56,50
3«
67,3
249,27
205
133.57
117
87,6
67,47
72
106,7
201,04
189
28,47
26
9i,3
7,9 2
9
113,6
36,39
35
75,43
119
157,8
22,25
24
107,9
97,68
6,07
143
5
Bl. Typhus mit Flecktyphus.
65,40
165,10
40,58
124,52
85,50
48,62
'46
70,3
17,10
II
64.3
82,50
57
134
81,2
43-58
34
78,o
208,68
168
21
51,8
9,83
8
81,4
50.41
29
«3
90,7
33,75
26
77,0
158,27
139
82
95.9
39,64
46
116,0
125,14
128
100
205,7
13,33
15
112,5
••
61,95
115
71,2
83,5
87,8
84,3
88,9
85,9
112,6
111,0
113,8
61,1
63,1
78,2
65,7
82,2
94,o
96,2
146,4
82,4
67,9
80,5
57,5
87,8
102,3
185,6
216
Joh. Karup und R. Gollmer,
Tab. XXVI (Fortsetzung).
26—60
60 ®
'S S
Zahl der
Sterbefälle
Alter
61—90
Zahl der
Sterbefälle
Sämtl. Alter (26—90)
Zahl der
Sterbefälle
Universitätslehrer
ohne Aerzte
Gymnasiallehrer
Elementarlehrer
a) Stadtlehrer
b) Landlehrer
Evangel. Geistliche
Kathol. Geistliche
Aerzte
Docenten der Medizin
Universitätslehrer
ohne Aerzte
Gymnasiallehrer
Elementarlehrer
a) Stadtlehrer
b) Landlehrer
Evangel. Geistliche
Kathol. Geistliche
Aerzte
Docenten der Medizin
Universitätsieh rer
ohne Aerzte
Gymnasiallehrer
Elementarlehrer
a) Stadtlehrer
b) Landlehrer
Evangel. Geistliche
Kathol. Geistliche
Aerzte
Docenten der Medizin
Universitätslehrer
ohne Aerzte
Gymnasiallehrer
Elementarlehrer
a) Stadtlehrer
b) Landlehrer
Evangel. Geistliche
Kathol. Geistliche
Aerzte
Docenten der Medizin
C
. Bösartige Neubildungen.
5,43
3
55,2
8.35
7
83,8
!3,78
10
38,00
44
115,8
41,57
39
93,8
79,57
83
99,40
"5
"5,7
104,70
112
107,0
204,10
227
23,04
30
130,2
23,75
33
139,0
46,79
63
76,36
«5
III. 3
80,95
79
97,6
157,31
164
60,71
41
67,5
97,27
9i
93,6
157,98
23,26
132
32
30,38
3i
IO2,0
31,86
48
I5°>7
62,24
4,05
79
5
72,6
104,3
111,2
134,6
104,3
83,6
123.5
D. Krankheiten des Centralnervensystems excl. Gehirnschlag.
44,6
121,2
70,3
94,0
63.0
74,0
78,5
94,9
201,0
5,98
I
16,7
7,48
5
66,8
*3,46
6
45,86
52
U3,4
36,62
48
131,1
82,48
100
117,60
69
58,7
91,56
78
85,2
209,16
147
28,06
21
74,8
20,8 7
25
119,8
48,93
46
89,54
48
53,6
70,69
53
75,o
l6o,23
IOI
66,67
36
54,o
85,97
77
89.6
152,64
"3
13,56
7
51,6
IO,65
12
112,7
24,21
*9
35,"
36
101,7
27,81
24
86,3
63,22
60
2,22
4
180,2
1,76
4
227,2
3,98
8
E. Krankheiten der Atmungsorgane.
27,42
9
32,8
39,26
21
53,5
66,68
30
220,29
I44
65,4
182,41
133
72,9
402,70
277
560,65
551
98.3
449,93
457
101,6
IOIO,58
IO08
J35,84
"5
84,7
103,89
9i
87,6
239,73
206
424,81
436
102,6
346,04
366
105,8
770,85
802
303,45
186
61,3
432,39
321
74,2
735,84
507
63,35
57
90,0
47,io
42
89,2
110,45
99
l66, 78
172
103,1
135,25
92
68,0
302,03
264
IO,37
7
67,5
8,25
7
84,9
18, 62
14
68,8
99,7
85,9
104.0
68,9
89,6
87,4
75,2
El. Akute Krankheiten d. Atmungsorgane u. Brustfellentzündung.
47,76
28
58,6
23,7 8
117
94,5
29,12
19
65,2
94,66
98
103,5
72,73
81
II 1,4
37,55
63
167,8
63,03
'46
73,o
154,84
139
89,8
35,86
30
83.7
Il8, 98
109
91,6
149,79
M5
96,8
46,43
34
73,2
110,79
74
66,8
278,62
256
91,9
64,93
49
75.4
213,64
207
96,9
222,52
226
101,6
83,98
97
"5,5
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc.
217
Tab. XXVI (Fortsetzung).
Alter
26
— 60
61—90
Sämtl. Alter (26—90)
Rechnungs-
mäfsige
0
13
a
N
O
3 tX
3 'S
tu °
öS
O
0
1
s
N
O
Ch
tu 0
§-a
c <-;
JZ :«
g a
es
JZ
0
a
3
M
O
Zahl d
er
Zahl der
Zahl d
er
Sterbelälle
Sterbefälle
Sterbefälle
E2. Lungenschwindsucht.
Universitätslehrer
ohne Aerzte
. .
. .
. .
Gymnasiallehrer
162,80
108
66,3
34.10
24
70,4
196,90
132
67,0
Elementarlehrer
410,50
405
98,6
88,16
94
106,6
498,66
499
100,1
a) Stadtlehrer
100,84
91
90,2
19-70
16
81.2
120,54
107
88,8
b) Landlehrer
309,66
3H
101,4
68.46
78
113. 9
378,12
392
103,7
Evangel Geistliche
212,86
94
44-2
78,12
45
57.«
290,98
139
47,8
Kathol. Geistliche
. .
Aerzte
111,08
101
90,9
27,19
18
66,2
148,27
119
80,2
Docenten der Medizin
E3. Lungenemphysem, chronischer Lungenkatarrh.
Universitätslehrer
ohne Aerzte
Gymnasiallehrer
9,73
's
82,2
85.28
63
73,9
95,oi
7i
74,7
Elementarlehrer
26 37
29
IIO.U
206,93
224
108,2
233,30
253
108,5
a) Stadtlehrer
5.88
5
85.0
48,33
45
93,i
54-21
50
92,2
b) Landlehrer
20,49
24
117,1
158,60
179
112,9
179,09
203
H3,4
Evangel. Geistliche
17,86
11
61,6
204,48
•3i
64,1
222.34
142
63,9
Kathol. Geistliche
. .
Aerzte
8,15
8
98,2
6l, 63
40
64,9
69,78
48
68,8
Docenten der Medizin
• .
• •
• •
F. Selbstmord.
Universitätslehrer
ohne Aerzte
2,45
1
40,8
0,80
1
125,0
3,25
2
61,5
Gymnasiallehrer
1994
12
60,2
4,24
1
23,6
24,18
13
53,8
Elementarlehrer
50,68
26
Si,3
10,7 5
2
18,6
61,43
28
45-6
a) Stadtlehrer
12.28
7
57,o
2,43
1
41,2
14,71
8
54,4
b) Landlphrer
38.40
19
49,5
8,32
1
120,2
46,72
20
42,8
Evangel. Geistliche
27,30
12
44,o
9,85
2
20,3
37.15
14
37,7
Kathol. Geistliche
5,70
0
0,0
1,20
0
0,0
6.90
0
0,0
Aerzte
15.12
11
72,8
3,28
3
91,5
l8, 40
14
76,1
Docenten der Medizin
1,15
1
G. Verungliickung.
Universitätslehrer
ohne Aerzte
2,07
1
48.3
1,48
3
202,7
3,55
4
112,7
Gymnasiallehrer
16,88
7
41,5
6,67
6
90,0
23,55
13
55-2
Elementarlehrer
42,67
23
53-9
16,92
21
124,0
59.59
44
73,8
a) Stadtlehrer
10,41
3
28,8
3,83
5
I3°.ö
14,24
8
56,2
b) Landlehrer
32,26
20
62,0
13,09
16
122,2
45.35
36
79,4
EvaDgel. Geistliche
22.56
6
26,6
15-50
6
38,7
38,06
12
31,5
Kathol. Geistliche
4,86
0
0,0
1,78
0
0,0
6,64
0
0,0
Aerzte
12,67
10
78,9
5,17
6
116,2
17,84
16
89,7
Docenten der Medizin
*,
1
1,11
1
218
Job. Karup und ß. Gollmer,
Tab. XXVI (Fortsetzung).
26—60
ja w
Zahl der
Sterbefälle
Alter
61—90
Zahl der
Sterbefälle
Sämtl. Alter (26—90)
Zahl der
Sterbefälle
H. Uebrige Todesursachen.
Universitätslehrer
ohne Aerzte
Gymnasiallehrer
Elementarlehrer
a) Stadtlehrer
b) Landlehrer
Evangel. Geistliche
Eatbol. Geistliche
Aerzte
Docenten der Medizin
Universitätslehrer
ohne Aerzte
Gymnasiallehrer
Elementarlehrer
a) Stadtlehrer
b) Landlehrer
Evangel. Geistliche
Kathol. Geistliche
Aerzte
Docenten der Medizin
Universitätslehrer
ohne Aerzte
Gymnasiallehrer
Elementarlehrer
a) Stadtlehrer
b) Landlehrer
Evangel. Geistliche
Kathol. Geistliche
Aerzte
Docenten der Medizin
29,27
24
82,0
209.20
179
85-6
545,90
39o
71,4
127,37
89
69,9
418,53
301
71,9
328,55
296
90,1
165,91
204
123.0
10,72
9
84,0
68,25
67
98,2
299,66
298
994
737,60
672
91,1
172,09
«54
89.5
565,51
5i«
91,6
7i3,3i
767
107,5
220,45
272
123,4
13,19
24
181,9
97,52
91
508,86
4771
1283.50
1062
299,46
243
984,04
819
1041.86
1063
138.3s
205
386,36
476
23,91
33
93,3
93,7
82,7
81,1
»3,2
102,0
148,1
123,2
138,0
Hl.
Altersschwäche, Schlagflufs, Herzkrankheiten,
Nierenentzündung.
120,78
112
92,7
194,36
211
108,6
3i5,i4
323
3l6,53
213
67,3
478,01
451
94.3
79454
664
73-40
44
599
111,65
102
91,4
185,05
146
243.13
169
69,5
366,36
349
95.3
609,49
5J8
193.56
177
91,4
463,82
597
128,7
657,38
774
96,55
153
158,5
142,13
229
161,1
238,68
3»2
102.5
83.6
78,9
85.0
H7.7
160,1
60. 8 7
42
69,0
157-62
123
78,0
37,16
34
91,5
I20. 46
89
73,9
92,16
61
66,2
47,73
33
69,1
H2. Krankheiten der Ernährungsorgane.
122,31
309,24
72,12
237,12
237,88
61,44
42
68,3
151,62
132
87.1
34-96
28
80.1
116,66
104
891
145-72
87
59-7
45,61
12
26,3
93,34
84
255
62
193
148
45
68,7
82,5
86.0
81.4
62,2
48,2
evangelischen Geistlichen, welche fast denselben Prozentsatz (68,8 bezw.
68,9 Proz.) aufzuweisen haben; hieran schließen sich — von den
Dozenten der Medizin abgesehen — die städtischen Elementarlehrer,
die Aerzte, die katholischen Geistlichen und schließlich die Land-
lehrer.
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc. 219
Ehe wir diese Differenzen zu erörtern versuchen, wollen wir er-
mitteln, welche Resultate sich bei den Berufskategorien ergaben, wo
das Beobachtungsmaterial eine Zergliederung nach den verschiedenen
Lungenaffektionen gestattet. Hinsichtlich der akuten Krankheiten der
Atmungsorgane ergiebt sich, wenn man wieder die Lebensalter ganz
unberücksichtigt läßt, daß die Aerzte am ungünstigsten dastehen mit
einer Uebersterblichkeit von 15,5 Proz. ; darauf folgen die evangelischen
Geistlichen mit einer Uebersterblichkeit von 1,6 Proz. und daran
schließen sich die Landlehrer, städtischen Elementarlehrer und die
Gymnasiallehrer, die sämtlich eine, wenn auch recht verschiedene
Untersterblichkeit (bezw. 3,1, 24,6 und 33,2 Proz.) erkennen lassen.
Bei Berücksichtigung der beiden Altersklassen stellt sich heraus, daß
die höhere Sterblichkeit der Aerzte und evangelischen Geistlichen aus-
schließlich in der ersten zu Tage tritt und in der zweiten einer, bei
den Aerzten sogar beträchtlichen, Untersterblichkeit Platz macht.
Auch bei den Landlehrern ist die im Verhältnis zu den Stadt-
und Gymnasiallehrern relativ hohe Sterblichkeit auf eine Uebersterb-
lichkeit in den Altern 26 — 60 zurückzuführen. Wesentlich anders ge-
staltet sich das Bild bei den chronischen Lungenerkrankungen. Bei
der Lungenschwindsucht (E2) zeigen die Landlehrer in beiden Alters-
klassen die ungünstigste Sterblichkeit (Uebersterblichkeit von 1,4 bezw.
13,9 Proz.). In der jüngeren Altersklasse machen sich die Aerzte und
städtischen Elementarlehrer den zweiten Platz gegenseitig streitig;
denn beide zeigen fast denselben Sterblichkeitsprozentsatz (Untersterb-
lichkeit von 9,1 bezw. 9,8 Proz.), hierauf folgen die Gymnasiallehrer
und die evangelischen Geistlichen mit einer Untersterblichkeit von
33,7 bezw. 55,8 Proz. In der höheren Altersklasse ist das Verhältnis
insofern anders, als sich die Sterblichkeit der Aerzte hier wesentlich
günstiger gestaltet und der der Gymnasiallehrer und evangelischen
Geistlichen bedeutend näher rückt. Die städtischen Elementarlehrer
zeigen im Gegensatze zu den Landlehrern ebenfalls eine Abnahme der
Schwindsuchtssterblichkeit mit dem Alter, so daß sich zwischen beiden
eine Differenz von 32,7 Proz. herausstellt (in der jüngsten Altersklasse
beträgt der Unterschied nur 11,2 Proz.). Faßt man nun die für die
beiden Altersklassen gefundenen Zahlen zusammen, so muß man die
Landlehrer als diejenige Berufskategorie bezeichnen, die in Bezug auf
die Lungenschwindsucht am meisten belastet ist. Um 14,9 Proz. besser
stehen die Stadtlehrer da, dann folgen die Aerzte, die Gymnasiallehrer
und schließlich die evangelischen Geistlichen. Bei den mit Lungen-
emphysem und chronischem Lungenkatarrh bezeichneten Lungenaffek-
tionen (E3) ist sowohl für die beiden Altersklassen als für sämtliche
Alter das Rangverhältnis der hier in Betracht kommenden Berufs-
kategorien dasselbe, wie bei „Lungenschwindsucht".
Was für Schlüsse lassen sich nun aus diesen Differenzen ziehen ?
Hinsichtlich der Aerzte wurde schon bei der Spezialuntersuchung über
dieselben von uns die Ansicht ausgesprochen, daß ihre hohe Sterblich-
keit mit auf die starke Frequenz der Krankheiten der Atmungs-
organe zurückgeführt werden müßte. Das wird somit durch die vor-
220 Joh. Karup und R. Gollmer,
liegende Untersuchung nur bestätigt. Allerdings sind es nicht die
Krankheiten der Atinungsorgane schlechtweg, sondern ausschließlich
die akuten Formen derselben, wie Lungenentzündung, Lungen brustfell-
entzündung, Luftröhrenentzündung etc. Daß die Aerzte von derartigen
Krankheitsformen häufig heimgesucht werden, kann nicht überraschen.
Wie sehr müssen sich dieselben, namentlich auf dem Lande, bei Wind
und Wetter abhetzen und wie oft im Laufe des Tages den grellsten
Temperaturunterschieden — man denke nur an die ganz besonders
auf dem Lande so oft überheizten Wohn- und Krankenzimmer — aus-
setzen! Ein Teil der hohen Sterblichkeit an akuten Krankheiten der
Respirationsorgane dürfte allerdings damit zusammenhängen, daß die
Aerzte auch stark zu Herzkrankheiten disponieren, wie aus der wei-
teren Untersuchung hervorgehen wird; denn gerade Herzstörungen sind
es, die erfahrungsgemäß den Verlauf jener Krankheiten besonders un-
günstig gestalten. Man sollte hiernach erwarten, daß auch die chro-
nischen Formen der Lungenerkrankungen bei den Aerzten relativ häufig
vorkämen, was aber (nach E2 und 3) nicht der Fall ist und wohl auf
deren durchschnittlich bessere wirtschaftliche Lage zurückgeführt
werden muß. Auffallend ist, daß sich bei den Aerzten das Verhältnis
zwischen wirklicher und rechnungsmäßiger Sterblichkeit für sämtliche
Krankheiten der Atmungsorgane mit vorrückendem Alter durchgängig
und erheblich günstiger stellt. So geht beispielsweise für die akuten
Krankheiten der Atmungsorgane das Verhältnis von 167,8 der Alters-
klasse 26—60 auf 73,2 Proz. in der Altersklasse 61 — 90 oder um
94,6 Proz. zurück. Die Erscheinung wird wohl daraus zu erklären sein,
daß für viele Aerzte mit dem Abschluß der ersten Altersperiode der
Moment eintritt, wo sie mit Rücksicht auf allerlei Gebresten , Krank-
heitsanlagen etc. freiwillig oder durch die Konkurrenz von Seiten
jüngerer Kollegen unfreiwillig gezwungen, ihren Wirkungskreis ein-
schränken und sich den hier in Frage kommenden Gefahren nicht
mehr so aussetzen, wie sie es in jüngeren Jahren thaten. Die höhere
Sterblichkeit der evaugelischen Geistlichen infolge von akuten Lungen-
erkrankungen (E 1) darf man vielleicht, da diese Todesursachen, wie
wir gleich weiter unten sehen werden, auch bei den Landlehrern eine
größere Rolle spielen, zum Teil dem Aufenthalte auf dem Lande zu-
schreiben, wenn man erwägt, daß unter den 2024 von uns untersuchten
Geistlichen das Land allein 1702 mal vertreten ist1). Allein eine
solche Erklärung kann entschieden nicht genügen. Wie wäre es sonst
zu verstehen, daß die viel schlechter gestellten Landlehrer in dieser
Beziehung doch günstiger dastehen, als die Landgeistlichen? Man
wird daher wohl annehmen müssen, daß für manchen Geistlichen auch
in der Berufsbeschäftigung (Predigen in kalten Kirchen, längeres
Sprechen auf Friedhöfen, die oft gegen Witterungsunbilden wenig oder
gar nicht geschützt sind, etc.) eine Gefahr liegt. Auf der anderen
1) Eine entsprechende Untersuchung nach Todesuraschen schien uns seiner Zeit mit
Rücksicht auf das nicht allzu umfangreiche Beobachtungsmaterial keine besonderen Re-
sultate zu versprechen. Dieselben nachträglich anzustellen, war aus verschiedenen Grün-
den nicht möglich.
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc. 221
Seite sind die Geistlichen zumeist in der angenehmen Lage, nach
jeder Richtung hin vorbeugen zu können, daß anscheinend leichte
katarrhalische Affektionen nicht chronisch werden und namentlich da,
wo es sich um schwache Konstitutionen handelt, keinen ungünstigen
Verlauf nehmen, und wir finden demgemäß auch, daß die chronischen
Formen der Lungenkraukheiten bei dieser Berufskategorie relativ schwach
vertreten sind. Bei den Lehrern ist zunächst die auffallende Differenz
zu berücksichtigen, welche sich zwischen den Landlehrern einer- und
den städtischen Elementar- und Gymnasiallehrern anderseits hinsicht-
lich der Frequenz der akuten Lungenerkrankungen (E 1) in der Alters-
klasse 26 — 60 geltend macht. Dieselbe beträgt zu Ungunsten der
ersteren 38,3 bezw. 44,9 Proz. Diese höhere Sterblichkeit der Land-
lehrer kann unseres Erachtens unmöglich durch den Lehrberuf als
solchen bedingt werden. Abgesehen von der Einrichtung der Schul-
räume und der Zahl der zu unterrichtenden Kinder dürften doch bei
den ländlichen und städtischen Elementarlehrern die äußeren Verhält-
nisse, unter welchen sie den Schulunterricht erteilen, ganz dieselben
sein. Es wird also kaum ein Faktor zu konstatieren sein, der die
eigentliche Schulthätigkeit des Landlehrers gefahrvoller macht, als die
des städtischen Lehrers. Zur Erklärung muß man jedenfalls auch
hier den zu Erkältungen leichter disponierenden Aufenthalt auf dem
Lande uud vor allem die für jeden Landlehrer obligatorische Mit-
übernahme der verschiedenen Kirchenämter, die dieselben Gefahren,
wie bei den Geistlichen, im Gefolge haben kann, heranziehen. Bemerkens-
wert ist ferner, daß die Landlehrer im Vergleich zu den städtischen
Elementar- und Gymnasiallehrern eine ungünstige Schwindsuchtssterb-
lichkeit (E2) zeigen. Wenn auch die Vermutung wohl nicht ganz von
der Hand zu weisen ist, daß die Elementarlehrer bei weitem mehr, als
die Gymnasiallehrer, aus oft sehr kinderreichen Lehrer-, Subaltern-
beamten-, Handwerker- und Bauernfamilien stammen, wo es hinsichtlich
der Lebenshaltung meist sehr knapp zugeht und wo deshalb die gerade für
die Kinder so wichtige Ernährung oft recht zu wünschen übrig läßt, so
ist doch als sicher auszuschließen, daß gerade die von Hause aus schwäch-
lichen, dürftig genährten und daher zur Tuberkulose besonders leicht
disponierten Schulamtskandidaten vorzugsweise auf dem Lande An-
stellung finden sollten. Auch die Art der Lehrthätigkeit dürfte, wie
schon oben angedeutet, bei dem Landlehrer nicht derartig sein, daß
sie die Entwickelung von Lungenkrankheiten besonders begünstigen
könnte. Wir glauben deshalb, daß die Abstufungen in der Frequenz
der Lungenschwindsucht bei den hier in Rede stehenden 3 Lehrer-
kategorien auf denselben Ursachen beruhen, auf welche die Differenzen
in der Schwindsuchtssterblichkeit nach geographischen Bezirken zurück-
geführt wurden, nämlich auf wirtschaftlichen Momenten. Da aber die
wirtschaftliche Lage der verschiedenen Lehrerkategorien, wo es sich
ausschließlich um Versicherte handelt, gar nicht so weit auseinander
geht, so wird man hieraus schließen dürfen, daß die Elementarlehrer
im allgemeinen und vor allem die auf dem Lande in Wirklichkeit
einer recht hohen Schwindsuchtssterblichkeit unterworfen sein müssen.
222 Joh- Karup und R- Gollmer,
Bei den Infektionskrankheiten (B) stellt sich heraus, daß die
Universitätslehrer, Gymnasiallehrer und die beiden Kategorien von
Elenientarlehrern in. sämtlichen Altern eine Untersterblichkeit zeigen,
die noch weit beträchtlicher ist, als die für sämtliche Todesursachen.
Bei den Elementarlehrern darf aber nicht übersehen werden, daß die
Stadtlehrer, deren Sterblichkeit hier nur wenig von der der Gymnasial-
lehrer abweicht, um 16,5 Proz. günstiger dastehen als die Landlehrer.
Noch größer wird der Unterschied, wenn man den „Typhus" allein (B 1)
betrachtet, er stellt sich dann auf 30,3 Proz. Diese Beobachtung, auf
deren Bedeutung wir weiter unten noch zu sprechen kommen werden, be-
rechtigt aber durchaus noch nicht zu der Behauptung, daß die Infektions-
krankheiten, vor allem der Typhus, bei den Lehrern im strengeren
Sinne eine nennenswerte Rolle spielen. Die in dem Richter'schen Vor-
trage angedeutete Gefahr der Ansteckung, der die Elementarlehrer
teils durch direkte Berührung mit kranken Kindern, teils durch den
Aufenthalt in den mit den Schulräumen im Zusammenhange stehen-
den Dienstwohnungen so leicht ausgesetzt sein sollen, ist hier-
nach nicht sehr hoch anzuschlagen. Ein anderes Bild gewähren die
evangelischen und katholischen Geistlichen und die Aerzte bei den
Infektionskrankheiten. Für die Aerzte ist in der jüngsten Altersklasse
eine Sterblichkeit von 157,8 Proz. und in der höchsten eine solche
von 107,9 Proz. nachzuweisen. Die Uebersterblichkeit ist fast aus-
schließlich auf Rechnung des Typhus zu setzen. Während hier die
entsprechenden Prozentsätze 205,7 bezw. 112,5 Proz. bezw. betragen,
stellen sie sich bei den übrigen Infektionskrankheiten auf nur 70,9
bezw. 100,9 Proz. Hiernach ist die Uebersterblichkeit bei Typhus
noch weit beträchtlicher, als sie nach unserer Spezialuntersuchung
über die Aerzte seiner Zeit anzunehmen war (nach den damals er-
mittelten Zahlen betrug die Uebersterblichkeit für das Alter 26 — 60
nur 82,9 Proz., während sich für die höheren Alter sogar eine Unter-
sterblichkeit von 11,9 Proz. herausstellte). Daß die Gefahr an Typhus
zu erkranken und zu sterben , die Aerzte ausschließlich in Ausübung
ihres Berufes bedroht, also hier im wirklichen Sinne eine Berufsgefahr
vorliegt, geht schon daraus hervor, daß, wie bei den akuten Krankheiten
der Atmungsorgane, die große Uebersterblichkeit fast ausschließlich
auf die für das Erwerbsleben der Aerzte so wichtige Altersperiode
26—60 entfällt.
Im Vergleich zu den Lehrern muß die relativ hohe Frequenz der
Infektionskrankheiten bei den evangelischen und katholischen Geist-
lichen auffallen, die allerdings das allgemeine Mittel (100 Proz.) nicht
erreicht. Da beide Kategorien hinsichtlich der Typhussterblichkeit
annähernd gleich belastet sind, so wird man wohl an ein gemein-
schaftliches ätiologisches Moment, das nicht in der Ausübung des
Berufes zu suchen ist, denken müssen. Wohl überall, namentlich auf
dem Lande, haben beide Kategorien von Geistlichen Dienstwohnungen,
die sie ausschließlich für sich resp. ihre Familienglieder ausnutzen
können und in denen eine direkte Ansteckungsgefahr von Familie zu
Familie, wie sie sich überall bei engerem Zusammenwohnen so leicht
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc. 223
bietet, ausgeschlossen ist. So groß die Annehmlichkeiten solcher,
namentlich in Bezug auf den Raum oft verschwenderisch ausgestatteter
Wohnungen sind, so hatten sie auf dem Lande früher fast überall
und haben sie in manchen Gebenden noch heute den Uebelstand auf-
zuweisen, daß sie in unmittelbarer Nähe der Kirch- oder Friedhöfe
liegen — eine Einrichtung, die vom neueren hygienischen Standpunkte
mit Rücksicht auf eine etwaige Verunreinigung des Bodens durch Leichen-
gift und namentlich mit Rücksicht auf den möglichen Uebertritt des
auf diese Weise infizierten Grundwassers in nahe gelegene Brunnen ihre
größten Bedenken hat. Wie wir schon oben angedeutet, sind die meisten
evangelischen Geistlichen, die bei unserer Untersuchung in Berück-
sichtigung gezogen wurden, Landgeistliche, und ein ähnliches Verhältnis
dürfte auch zweifellos bei den katholischen obwalten. Deshalb wird
man vielleicht nicht fehlgehen, wenn man die relativ hohe Frequenz
der typhösen Erkrankungen bei den Angehörigen des geistlichen Stan-
des auf die hie und da in hygienischer Beziehung wenig günstige Lage
der Pfarrwohnungen mit zurückführt. Daß der Aufenthalt auf dem
Lande überhaupt infolge Vernachlässigung der einfachsten hygienischen
Vorsichtsmaßregeln — man denke nur an die Brunnen, die oft in
allernächster Nähe der Aborte und Düngerhaufen liegen — hier und
da mehr Gefahren im Gefolge hat, als der in der Stadt, darauf
scheint auch die von uns oben schon erwähnte Differenz zwischen
den Land- und Stadtlehrern hinsichtlich der Typhussterblichkeit hin-
zudeuten.
Die bösartigen Neubildungen (C) lassen bei sämtlichen Berufs-
kategorien, mit Ausnahme der Universitätslehrer und der evangelischen
Geistlichen, eine mehr oder weniger beträchtliche Uebersterblichkeit
erkennen. Läßt man das Lebensalter ganz unberücksichtigt, so ergiebt
sich, daß die katholischen Geistlichen mit einer Uehersternlichkeit von
37,6 Proz. am meisten belastet sind, darauf folgen die städtischen
Elementarlehrer mit 34,6 Proz., dann die Aerzte mit 26,9 Proz. und
schließlich die Gymnasial- und Landlehrer mit je 4,3 Proz. Diese
Uebersterblichkeit macht sich aber in den einzelnen Altern ganz ver-
schieden geltend. Während bei den Gymnasial- und Landlehrern die
Uebersterblichkeit nur im Alter 26 — 60 hervortritt, ist sie bei den
städtischen Elementarlehrern und Aerzten in allen Altersperioden nach-
weisbar. Wie soll man sich nun die hohe Sterblichkeit infolge von
bösartigen Neubildungen bei den hier in Betracht kommenden Berufs-
kategorien erklären? Wäre der Krebs, wie die Lungenschwindsucht,
eine sich vorzugsweise in bestimmten Familien vererbende Krankheit,
dann müßte man geradezu annehmen, daß der Stand der Aerzte,
der katholischen Geistlichen und der städtischen Elementarlehrer sich
vorzugsweise aus Angehörigen von Familien, die mit Krebs belastet
sind, ergänzte. Daß in Sorgen und Entbehrungen etc. die Ursache
nicht gesucht werden kann, dafür spricht vor allem die auffallend
starke Beteiligung der katholischen Geistlichen, die unseres Erachtens
in dieser Beziehung unzweifelhaft günstig dastehen. Nach dem großen
Unterschiede zwischen Stadt- und Landlehrern könnte vielleicht mancher
224 Joh. Kamp und R. Gollmer,
geneigt sein, dem Leben in der Stadt einen besonders ungünsigen
Einfluß zuzuschreiben. Damit läßt sich aber nicht in Einklang bringen,
daß die Gymnasiallehrer eine weit geringere Frequenz der bösartigen
Neubildungen aufzuweisen haben, als die städtischen Elementarlehrer.
Daß die Berufsbeschäftigung in ätiologischer Beziehung von Einfluß
sein sollte, ist ebensowenig anzunehmen ; denn zwischen Stadt- und
Landlehrern, zwischen evangelischen und katholischen Geistlichen ist
in dieser Richtung wohl kein wesentlicher Unterschied. Nach diesen
vergeblichen Erklärungsversuchen ist nur noch eine Annahme möglich,
die uns aber auch als die plausibelste erscheint. Wenn man bedenkt,
daß die katholischen Geistlichen, die fast ausschließlich Süddeutsche
sind, bei den bösartigen Neubildungen am meisten belastet erscheinen,
daß der schon früher — in unserer Spezialarbeit — bei den evan-
gelischen Geistlichen zwischen Nord und Süd zu Ungunsten des letzte-
ren konstatierte Unterschied vorzugsweise auf die relativ hohe Sterb-
lichkeit infolge von Krebs zurückgeführt werden muß und daß auch
bei den Elementarlehrern der Süden eine ungleich höhere Krebssterb-
lichkeit erkennen läßt, als die übrigen geographischen Bezirke, so ist
man vielleicht zu dem Schlüsse berechtigt, daß in Süddeutschland
ganz besondere Verhältnisse obwalten müssen, die in ätiologischer Be-
ziehung für die Frequenz der bösartigen Neubildungen verantwortlich
zu machen sind, über die man aber in Anbetracht, daß die Ursache
des Krebses bis heutigen Tages noch völlig unaufgeklärt ist, sich
nicht einmal in Vermutungen einlassen kann. Jedenfalls ist aber diese
Erscheinung so interessant, daß es sich wohl lohnen dürfte, einmal
das gesamte Sterbefallmaterial der Bank in Bezug auf Todes-
ursachen nach geographischen Bezirken besonders zu untersuchen.
Mit Rücksicht auf die in der Einleitung mitgeteilte Meyer'sche
Aeußerung und den Richter'schen Vortrag ist es noch von ganz be-
sonderem Interesse, hinsichtlich der Krankheiten des Centralnerven-
systems (D) und der Herzkrankheiten (Hl bezw. H), welch' letztere
bekanntlich sehr oft mit die Ursache der ersteren abgeben, einen Ver-
gleich zwischen den einzelnen Berufsklassen anzustellen. Was die
Krankheiten der Cirkulationsorgane einschließlich Gehirnschlagfluß,
Altersschwäche und Nierenentzündung anlangt, so findet man, daß die
Elementarlehrer, welche durchschnittlich zu den Versicherten mit nied-
rigen Summen gehören, die geringste, alle übrigen Berufskategorien
aber, deren Angehörige wohl durchgehends mit größeren Summen ver-
sichert sind, eine relativ hohe Sterblichkeit aufzuweisen haben. Es
wird somit hier nur bestätigt, was seiner Zeit von uns bei der Unter-
suchung sämtlicher Versicherter nach Summenklassen eruiert wurde,
nämlich daß die Frequenz der Krankheiten der Cirkulationsorgane,
des Gehirnschlagflusses etc. mit der Höhe der Versicherungssumme
steigt, während die Lungenkrankheiten, namentlich die Lungenschwind-
sucht, den entgegengesetzten Verlauf zeigen. Das Ueberwiegen der
erstgenannten Krankheiten unter den mit höheren Summen Versicher-
ten wurde seiner Zeit von uns als Folge der in diesen Kreisen so
häufigen Ueberernährung und des übertriebenen Konsums von Reiz-
Die Mortalitätsverliältnisse der Lehrer etc. 225
und Genußinitteln angesehen. Auf diese Weise erklärt es sich unseres
Erachtens leicht, wenn die katholischen Geistlichen, die meist der
Sorge für andere überhoben sind und sich so trotz im ganzen nur
mäßiger Einnahmen materiellen Genüssen mehr hingeben können, als
für ihren körperlichen Gesundheitszustand vielleicht dienlich ist, die
höchste Sterblichkeit infolge von Herzkrankheiten etc. erkennen
lassen. Auch bei den Aerzten, die medizinischen Dozenten einge-
schlossen, dürften die genannten ätiologischen Momente für die hohe
Frequenz der Krankheiten der Cirkulationsorgane zum größten Teile
verantwortlich zu machen sein. Indessen es sind auch keineswegs
die körperlichen Ueberanstrengungen und die Aufregungen, welche der
Beruf eines sehr in Anspruch genommenen Arztes mit sich bringt, in
ursächlicher Beziehung bei diesen Krankheiten gering zu schätzen.
Bei den evangelischen Geistlichen, Gymuasial- und Universitätslehrern
ist die Frequenz der Herzkrankheiten wesentlich geringer , als bei
den Aerzten und katholischen Geistlichen, erscheint aber doch noch
ansehnlich genug, um den Unterschied in der wirtschaftlichen Lage
und in der durch die letztere bedingten Lebenshaltung zwischen diesen
Berufskategorien und den Elementarlehrern zu unguusten der letzteren
noch eklatant hervortreten zu lassen.
Bemerkenswert ist es nun, daß bei sämtlichen hier in Betracht
kommenden Berufskategorien sowohl die Herzkrankheiten wie die
Krankheiten des Zentralnervensystems — eine Ausnahme findet hin-
sichtlich der letzteren nur bei den Aerzten statt — in der höheren Alters-
klasse die relativ zahlreichsten Opfer fordern. Dieser übereinstimmende
Verlauf ist insofern nicht überraschend, als, wie oben schon angedeutet
wurde, für beide Gruppen von Krankheiten als gemeinschaftliche Ursache
die Arteriosklerose zur Geltung kommt. Man sollte nun erwarten, daß
die Berufskategorien, welche hinsichtlich der Herzkrankheiten die höchste
Sterblichkeit aufzuweisen haben, auch hinsichtlich der Geistes- bez.
Gehirnkrankheiten verhältnismäßig am stärksten belastet sein müßten.
Dem ist jedoch nicht so. Wir sehen vielmehr, daß katholische und
evangelische Geistliche eine ziemlich übereinstimmende und niedrige
Frequenz dieser Krankheiten erkennen lassen. Die Gymnasiallehrer,
die bei den Herzkrankheiten fast dieselben Prozentsätze wie die Uni-
versitätslehrer, aber günstigere als die evangelischen Geistlichen haben,
erscheinen bei den Krankheiten des Zentralnervensystems im Vergleich
zu diesen beiden Berufskategorien, namentlich zu der letzteren, ganz
besonders stark belastet. Die städtischen Elementarlehrer, welche hin-
sichtlich der Krankheiten der Zirkulationsorgane in allen Altern etwas
besser dastehen als ihre Kollegen auf dem Lande, zeigen diesen gegen-
über bei den Gehirn- bezw. Geisteskrankheiten eine Mehrsterblichkeit
von 31 Proz., die namentlich auf das Konto der zweiten Altersperiode
zu setzen ist. Die Aerzte endlich, welche bei den Herzkrankheiten
gleich hinter den katholischen Geistlichen rangieren, lassen diese bei
den Krankheiten des Zentralnervensystems mit 94,9 — 78,5 = 16,4 Proz.
hinter sich zurück. Es liegt daher wohl ganz klar auf der Hand, daß
für die vorstehend angedeuteten Differenzen außer der Arteriosklerose
Dritte Folge Bd. VIII (LXU1) J 5
226 Job Karup und R. Gollmer,
noch besondere ätiologische Momente verantwortlich gemacht werden
müssen. Ehe wir diese ausfindig machen, lohnt es sich vielleicht,
einiges über die Aetiologie der Geistes- bez. Gehirnkrankheiten voraus-
zuschicken. Zunächst muß bei diesen Krankheiten immer an eine in-
dividuelle Prädisposition gedacht werden, wie sie durch hereditäre
psychopathische Belastung (angeborene Nervosität) Erziehungsfehler,
Charaktereigentümlichkeiten, Frühreife, schädliche Gewohnheiten (Ona-
nie) etc. zu stände kommt. Bei den eigentlichen Ursachen der Geistes-
krankheiten hat man zu unterscheiden zwischen psychischen — geistige
Ueberanstrengung und Ueberreizung durch andauernde Affekte (Ver-
druß und Kummer über alle möglichen Widerwärtigkeiten) — zwischen
somatischen — hier kommen außer der Arteriosklerose noch Syphilis,
Tuberkulose, bösartige Neubildungen, Blasenwürmer etc. in Betracht,
welche Krankheiten im Gehirn meist immer zunächst rein lokale Ver-
änderungen zur Folge haben und je nach ihrem Sitze und ihrer Aus-
dehnung Symptome von Geisteskrankheit hervorrufen können — und
endlich zwischen gemischten — Alkoholika und Narkotika, welche
immer zugleich somatisch und psychisch wirken. Was nun die indi-
viduelle Prädisposition anlangt, so ist wohl nicht anzunehmen, daß
junge Männer, welche mit einer solchen behaftet sind, beispielsweise
mehr das Studium der Philologie als das der Theologie oder der Me-
dizin bevorzugen sollten. W?enn es auch wohl keinem Zweifel unter-
liegt, daß die Gymnasiallehrer in ihrem Berufe sich durchschnittlich
geistig mehr anstrengen müssen als die Theologen, Aerzte und Elementar-
lehrer, so wird man doch kaum behaupten dürfen, daß sie in dieser
Beziehung viel schlimmer daran wären, als die Universitätslehrer, bei
denen die Krankheiten des Zentralnervensystems anscheinend eine unter-
geordnete Rolle spielen. Aehnlich dürfte es sich hinsichtlich etwaiger
Affekte verhalten. Sorgen um die Existenz können bei den Gymnasial-
lehrern unmöglich mehr auftreten, als bei den in ökonomischer Be-
ziehung gleichgestellten Theologen und den viel schlechter gestellten
Elementarlehrern. Aufregungen und Kränkungen im Berufe mögen bei
Gymnasiallehrern ungleich häufiger sein als bei Geistlichen beider Kon-
fessionen. Ob aber Elementarlehrer und Aerzte in dieser Richtung viel
besser dastehen als Gymnasiallehrer, dürfte doch fraglich sein. Daß
sich bei den letzteren auch mehr als bei anderen Berufskategorien
Anlaß zu Kummer über Unglück in der Familie bieten sollte, ist eben-
sowenig denkbar. Unter den somatischen Ursachen ist außer der schon
oben in Betracht gezogenen Arteriosklerose die Syphilis, deren ätio-
logische Bedeutung von dem einen Psychiater mehr, von dem anderen
weniger hoch angeschlagen wird, die wichtigste. Unseres Erachtens
können in dieser Beziehung die Berufskategorien, deren Angehörige
während ihres Studiums die akademische Freiheit nach jeder Richtung
genießen, mehr belastet sein, als die Elementarlehrer und katholischen
Geistlichen, die in den Seminarien interniert und hier namentlich in
Bezug auf ihren Lebenswandel unter dauernder Kontrolle gehalten
werden. Daß die Philologen jedoch beispielsweise mehr als die Theo-
logen unter den Folgen geschlechtlicher Exzesse zu leiden haben sollten,
Die Mortalitätsverliältnisse der Lehrer etc. 227
das allgemein anzunehmen , liegt gar keine Berechtigung vor. Was
endlich die gemischten Ursachen anlangt, so ist von vornherein aus-
zuschließen, daß bei irgend einer der hier in Frage kommenden Be-
rufskategorieu die Berufsbeschäftigung den Genuß der Alkoholika be-
sonders begünstigen sollte. Der übermäßige Konsum derartiger Gcnuß-
mittel dürfte doch da, wo er stattfindet, vorzugsweise von individuellen
Neigungen abhängig sein. Dagegen ist aus leicht erklärlichen Gründen
im ärztlichen Stande die Verführung /.um Mißbrauche der verschiedenen
Narkotika besonders groß, und es ist deshalb sehr wohl denkbar, daß
es verhältnismäßig mehr Aerzte als Angehörige anderer Berufsklassen
giebt, welche unter den üblen Folgen des Morphinismus, Kokainis-
mus etc. zu leiden haben.
Nach den vorstehenden Erwägungen ist es ganz zweifellos, daß
bei den Berufskategorien, wo sich eine hohe Frequenz der Krankheiten
desZentralnervensystems nachweisen läßt, diese nicht auf ein einzelnes
der soeben eruierten ätiologischen Momente zurückgeführt werden darf,
sondern ausschließlich in der gleichzeitigen Einwirkung mehrerer solcher
Momente ihre Erklärung finden kann. Der verstorbene seiner Zeit als
Psychiater hochgeschätzte Griesinger spricht sich in seinem vortrefflichen
Handbuche über die „Pathologie und Therapie der psychischen Krank-
heiten" hinsichtlich der eigentlichen Ursachen der Geisteskrankheiten
dahin aus, es sei eine entschiedene Thatsache, daß die rein intellek-
tuelle Ueberanstrengung ohne begleitende Gemütsaffekte und ohne ander-
weitige starke Ursachen (z. B. allerlei Exzesse und Excitantien mit
nachfolgender Schlaflosigkeit) nur in den seltensten Fällen zum Irre-
werden führe. Diese Ansicht muß auf Grund unserer Zahlen für eine
ganz begründete gelten.
Bei den Aerzten fallen zunächst die durch den Beruf bedingten
Aufregungen und häufigen Störungen der Nachtruhe ins Gewicht.
Kommen hierzu, was bei der meist günstigen Vermögenslage der Aerzte
nicht ganz selten ist, noch zahlreiche gesellschaftliche Vergnügungen,
und wird bei der auf diese Weise gesteigerten Disposition zur „Ner-
vosität" noch zu dem leicht zugänglichen Morphium oder anderen Be-
ruhigungsmitteln gegriffen, so sind wohl der ungünstigen Momente ge-
nügend vorhanden, die neben der an sich schon großen Neigung zu
Herzaffektionen mit ihrer Einwirkung auf das Gehirn in Griesingers
Sinne die Entwickelung von Krankheiten des Zentralnervensystems bei
den Angehörigen des ärztlichen Standes leichter als beispielsweise bei
den Theologen und Elementarlehrern befördern. In ähnlicher Weise
dürfte auch die hohe Frequenz der letztgenannten Krankheiten bei den
Gymnasiallehrern zu erklären sein. Während sich als Lehrer an den
Universitäten wohl durchschnittlich nur solche Männer habilitieren,
welche mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet sind und daher bei
geistiger Arbeit nicht so leicht ermüden, können dem Studium der
Philologie ausschließlich zur späteren Bekleidung eines Amtes als
wissenschaftlich gebildete Lehrer sicherlich auch solche obliegen, die
ein Minus an geistiger Befähigung durch andauernden eisernen Fleiß
ersetzen. Dadurch ist aber die Möglichkeit gegeben, daß viele junge
15*
228 Joh Karup und R- Gollmer,
Philologen schon als geistig überarbeitet (nervös) in ihren Beruf ein-
treten. Wenn nun die Gymnasiallehrer auch durchschnittlich sich nicht
so andauernd geistig beschäftigen wie die Universitätslehrer, so ist ihre
Berufsthätigkeit für das Gehirn jedenfalls viel aufreibender. Abgesehen
von der täglichen, ineist nur einstündigen Vorlesung, wobei auf die
Verschiedenheit des Auffassungsvermögens der einzelnen Zuhörer gar
keine Rücksicht genommen zu werden braucht, sind die Universitäts-
lehrer in der Lage, nach ihrem Belieben sich wissenschaftlichen Ar-
beiten, von denen sie sich ganz besonders angezogen fühlen, hinzugeben,
und gehen meist so darin auf, daß sie, zumal wenn sie noch durch ihr
oft verhältnismäßig bescheidenes Einkommen dazu gezwungen werden,
gesellschaftlichen Verkehr meist nur in engeren Grenzen pflegen. Anders
beim Gymnasiallehrer. Zunächst hat er eine Lehrthätigkeit, die sich
täglich auf mehrere Stunden erstreckt. Gleichviel, ob die einzelnen
Fächer, in denen er zu unterrichten hat, seinen Neigungen besonders
zusagen oder nicht, hat er in bestimmten Zeitabschnitten ein im Un-
terrichtsplan genau vorgeschriebenes Pensum so zu erledigen, daß die
minder begabten — und diese bilden oft die Mehrheit — wie die be-
fähigten Schüler davon profitieren können. Ist die Schulthätigkeit be-
endet, so sind oft noch die Korrekturen zu erledigen, bei denen na-
mentlich, wo es sich um Schüler der höheren Klassen handelt, durch-
aus nicht schematisch verfahren werden kann. Ist der Gymnasiallehrer
mit Rücksicht auf ein etwaiges späteres Aufrücken in höhere Stellen
gezwungen, außer der Schulzeit noch weiter fortzuarbeiten oder fühlt
er sich aus besonderer Liebhaberei veranlaßt, sich noch mit ander-
weitigen Studien zu beschäftigen, so bietet sich ihm Gelegenheit genug,
seine geistigen Kräfte zu überanstrengen. Wird die Erholung von der
geistigen Ueberarbeitung vorwiegend in gesellschaftlichen Unterhaltungen
gesucht, wo das Gehirn durch Alkohol, Tabak etc. nur noch mehr er-
regt wird, und kommen dazu noch gelegentlich Affekte über Differenzen
mit Vorgesetzten oder ungeratenen Schülern, danu dürften außer der
ebenfalls an sich schon nicht ganz geringen Disposition zu Herzaffektionen
auch bei den Gymnasiallehrern Ursachen für die höhere Frequenz der
Krankheiten des Zentralnervensystems zur Genüge zusammen kommen.
Die entgegengesetzte Beobachtung bei den Geistlichen beider Kon-
fessionen kann trotz der Uebersterblichkeit infolge von Herzkrankheiten
namentlich bei den katholischen nicht weiter überraschen. Zur Vor-
bereitung für die allsonntäglichen Predigten können namentlich von
Seiten der Landgeistlichen — und diese kommen hier fast ausschließ-
lich in Frage — immer mehrere oder sämtliche Wochentage verwendet
werden, und die ab und zu stattfindenden sonstigen Amtshandlungen
machen durchschnittlich keine geistige Ueberanstrengung notwendig.
Alle weitere geistige Beschäftigung geschieht meist zur Unterhaltung
und Fortbildung. Da das Aufrücken in besser dotierte Stellen ent-
weder vom Dienstalter oder ausschließlich von persönlichen Eigen-
schaften, namentlich dem Rednertalente, abhängig ist, sind wissen-
schaftliche Arbeiten, die eine geistige Ueberaustrengung zur Folge
haben könnten, im allgemeinen nicht erforderlich. Gesellschaftliche
Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer etc. 229
Vergnügungen, wobei ein überanstrengtes Gehirn noch mehr Schaden
leiden könnte, müssen aus Standesrücksichten auf einen mäßigen Umfang
beschränkt bleiben. Zwischen städtischen und ländlichen Elementar-
lehrern ist ein Unterschied in der eigentlichen Berufsthätigkeit nicht
anzunehmen. Nach Schluß des Schulunterrichtes ist für beide die Be-
rufsarbeit so gut wie erledigt. Dagegen ist es sehr wahrscheinlich,
daß, wenn das dürftige Stelleneinkommen einen Nebenverdienst unbe-
dingt erforderlich macht, der Stadtlehrer mehr durch Erteilen von
Privatstunden oder Uebernahme leichter Aemter, der Landlehrer mehr
durch landwirtschaftliche Beschäftigung denselben zu erreichen suchen
wird. Hiernach ist es also denkbar, daß der erstere relativ mehr Ge-
legenheit hat, sich geistig anzustrengen, als der letztere. Unter solchen
Umständen dürfte denn auch der Aufenthalt in der Stadt mit den
mancherlei gesellschaftlichen Zerstreuungen, zumal wenn diese im Ueber-
maße gesucht werden, nachteiliger sein, als das Landleben, wo der
Lehrer allermeist auf sich selbst angewiesen ist.
Zum Schlüsse mag es noch gestattet sein, darauf aufmerksam zu
machen, wie sich das Verhältnis der einzelnen Berufskategorien zu
einander hinsichtlich der Gruppe „Selbstmord" gestaltet. Danach
haben die katholischen Geistlichen überhaupt keinen Fall von Selbst-
mord aufzuweisen, eine Erscheinung, die sich zur Genüge wohl aus
der strengen Anschauung der katholischen Kirche über die Verwerf-
lichkeit der Selbstentleibung überhaupt erklären läßt. Vielleicht liegt
aber auch darin ein Beweis, daß der im Cölibate lebende katholische
Geistliche Sorgen , Kummer etc., die das Familienleben zumal bei
dürftiger Lebenshaltung im Gefolge haben kann, und worin bei man-
chem Familienvater gar nicht so selten der äußere Anlaß zum Selbst-
mord zu suchen ist, nicht kennt. Unter den anderen Berufskategorien,
die sämtlich eine zum Teil recht beträchtliche Untersterblichkeit aufzu-
weisen haben, stehen aus leicht erklärlichen Gründen die evangelischen
Geistlichen am günstigsten, darauf folgen die Landlehrer, die Gym-
nasial- und städtischen Elementarlehrer, welche beiden Kategorien nur
wenig differieren, die Universitätslehrer und schließlich die Aerzte.
Daß die letzteren öfter, wie die evangelischen Geistlichen und Lehrer,
die zum Teil nur ein recht bescheidenes, aber doch gesichertes Ein-
kommen haben, Selbstmord begehen, kann nicht weiter überraschen.
Denn im ärztlichen Stande können dieselben Wechselfälle eine Rolle
spielen, wie bei der großen Masse der Gothaer Versicherten, den
Handel- und Gewerbetreibenden, bei denen Vermögeusverfall und
erschwerte Erwerbsverhältnisse (flas häufigste Motiv zum Selbstmord
abgeben.
Das Endergebnis der vorstehenden Untersuchung nach Todesur-
sachen läßt sich nun kurz dahin zusammenfassen: die hohe Sterblich-
keit, mit welcher die katholischen Geistlichen von sämtlichen hier
in Betracht kommenden Berufskategorien die ungünstigste bilden, ist
ausschließlich auf die große Frequenz der bösartigen Neubildungen
vor allem der Krankheiten der Cirkulationsorgane mit Gehirn-
230 Joh- Karup und R. Gollmer,
schlagfluß etc. zurückzuführen. Die Entwickelung der genannten
Krankheiten wird nicht durch Eigentümlichkeiten der Berufstätigkeit
besonders gefördert, sondern sie ist, zumal soweit es sich um die
Krankheiten der Cirkulationsorgane handelt, jedenfalls nur die Folge
gewisser Lebensgewohnheiten, wofür allerdings der Beruf mit seiner
Verpflichtung zum Cölibate in erster Linie zur Verantwortung heran-
zuziehen sein dürfte. Im Gegensatze zu den katholischen Geistlichen
erscheinen die evangelischen als eine recht günstige Berufsklasse. Die
relativ geringe Uebersterblichkeit infolge von Typhus und akuten
Krankheiten der Atmungsorgane, die auch bei den katholischen Geist-
lichen eruiert wurde, wird, weil es sich bei unseren Beobachtungen
vorwiegend um die Landgeistlichen beider Konfessionen handelt, jeden-
falls meist auf Rechnung des Aufenthaltes auf dem Lande und den
dort oft mangelnden hygienischen Einrichtungen zu setzen sein. Die
bei deu Herzkrankheiten konstatierte Uebersterblichkeit, die nament-
lich bei den höheren Altern zu Tage tritt, ist zum Teil der Ausdruck
der besseren wirtschaftlichen Lage, zum Teil reine Alterserscheinung
und wird durch die bei den anderen Todesursachen vorwiegende
Mindersterblichkeit mehr als paralysiert. Bei den praktischen Aerzten
kommen teils infolge der Lebensweise, teils infolge der aufreibenden
Berufstätigkeit die Herzkrankheiten ganz besonders zur Geltung.
Als durch den Beruf bedingt ist ferner die starke Frequenz der akuten
Krankheiten der Atmungsorgane und ganz, besonders der typhösen
Erkrankungen anzusehen, auf deren Konto zum überwiegenden Teile die
hohe Sterblichkeit der Aerzte in den Altern 26 — 60 zu setzen ist. Unter
den verschiedenen Lehrerkategorien ist die der Universitätslehrer (exkl.
Mediziner) die günstigste, was auch bei den einzelnen Todesursachen zu
Tage tritt. Eine Ausnahme findet nur bei den Herzkrankheiten statt,
deren relativ hohe Frequenz aber ganz wie bei den evangelischen Geist-
lichen zu deuten ist. Was nun die Lehrer im strengeren Sinne, die
Gymnasial- und Elementarlehrer, anlangt, so sind eigentliche Berufs-
krankheiten, wie sie bei den Aerzten so deutlich zu konstatieren sind,
bei ihnen nicht nachzuweisen. Die von Richter in seinem Vortrage na-
mentlich für die Elementarlehrer angedeuteten Berufsgefahren existiereu
also nach unseren Beobachtungen nicht. Auch die von Layet ange-
nommene gesteigerte Disposition zu katarrhalischen Affektionen bei
all den Personeu, die im Beruf ihre Respiratiousorgane besonders an-
strengen müssen, sowie die von Meyer gemachte Andeutung, daß Indi-
viduen mit Anlage zu Geisteskrankheiten mit Vorliebe den Lehrberuf
ergreifen, findeil durch unsere Zahlen keine Bestätigung. Die bei den
Gymnasiallehrern konstatierte Uebersterblichkeit infolge von Krank-
heiten des Centralnervensystems ist jedenfalls nicht allein auf die
Lehrthätigkeit zurückzuführen, sondern es konkurrieren dabei noch
mancherlei andere ätiologische Momente. Besonders bemerkenswert
ist die Abstufung in der Frequenz der Lungenschwindsucht, die bei
den Gymnasiallehrern am niedrigsten, bei den Landlehrern am höch-
sten ist und für diese das allgemeine Mittel überschreitet. Jeden-
falls hängt diese Abstufung mit der wirtschaftlichen Lage zusammen,
Die Mortalitätsverliältnisse der Lehrer etc. 231
zumal die Lungenschwindsucht unter den Elementarlehrern gerade
da am häufigsten ist, wo dem Schulwesen die geringste Fürsorge ge-
widmet wird. Es bestätigt somit unsere Analyse der Todesursachen
nur die Schlüsse, die aus der allgemeinen zugehörigen Sterblichkeit
und aus Vergleichen mit anderen Beobachtungen gezogen wurden,
daß nämlich die wirtschaftliche Lage bei der Lehrersterblichkeit eine
große Rolle spielt, und daß es demgemäß der Staat und die Kommunen
mit in der Hand haben, durch Erhöhung der Besoldungen die Gesund-
heits- und Sterblichkeitsverhältnisse eines wichtigen Bestandteiles der
Bevölkerung aufzubessern.
232 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
in.
Die zweite Lesung des Entwurfes eines Bürgerlichen Ge-
setzbuches für das Deutsche Reich.
(Fortsetzung) *).
Von Amtsrichter Greiff.
XXIX.
In dem von der Ehe handelnden ersten Abschnitt des vierten
Buches regelt der erste Titel die Eingehung der Ehe. Zu diesem
Titel lag ein Antrag vor, welcher bezweckte, die Vorschriften über die
materiellen Voraussetzungen und die Form der Eheschliefsung mit dem
Eheschliefsungsrecht der katholischen Kirche in Einklang zu setzen. Für
den Fall der Ablehnung dieses Antrags wurde von anderer Seite die
Streichung des ganzen ersten Titels vorgeschlagen. Dem letzteren Vor-
schlag trug die Kommission dadurch Rechnung, dafs sie die Vorschriften
des Titels zunächst nur eventuell feststellte , vorbehaltlich einer Schlufs-
abstimmung über die Aufnahme der beschlossenen Vorschriften.
Die an die Spitze des Titels gestellten Bestimmungen über das Ver-
löbnis eröffnet der § 1227 mit dem Satze, dafs durch das Verlöbnis
eine Verbindlichkeit der Verlobten zur Schliefsung der Ehe nicht be-
gründet wird. Gegen den Satz ist in der Kritik vielfach Widerspruch
erhoben worden. Dieser erschien insofern gerechtfertigt, als die Be-
stimmung für den Laien das Mifsverständnis nahe legt , dafs die Ent-
stehung nicht nur einer rechtlichen, sondern auch einer sittlichen Ver-
pflichtung verneint werden solle. Man ersetzte sie daher durch den Satz,
dafs aus dem Verlöbnis nicht auf Eingehung der Ehe geklagt werden
kann. Die weiteren Vorschriften über das Verlöbnis (§§ 1228 — 1230)
wurden im wesentlichen beibehalten.
Die folgenden Bestimmungen über die Ehehindernisse wollte
der zu Anfang erwähnte Antrag durch die Vorschrift einleiten, dafs in
1) Vergl. S. 56.
Nafcionalökonomische Gesetzgebung. 233
Bezug auf das Vorhandensein von Ehehindernissen und die Befreiung
von solohen für die Angehörigen der staatlich anerkannten Religionsgesell-
schaften deren kirchliches Recht mafsgebend sein solle ; eine entsprechende
Vorschrift empfahl der Antrag bezüglich der Form der Eheschliefsung
aufzunehmen, sodafs die bürgerliche Eheschliefsung nur als sog. Notcivil-
ehe beibehalten werden sollte. Für den Fall der Ablehnung des ersten
Vorschlags wurden zu den Bestimmungen über die Ehehindernisse im
einzelnen Aenderungen beantragt, durch welche in gewissem Umfange die
Eingehung einer nach katholischem Kirchenrecht unzulässigen Ehe vor
dem Standesbeamten ausgeschlossen werden sollte. Nach längerer grund-
sätzlicher Erörterung der Stellung des Gesetzbuchs zum kirchlichen Ehe-
schliefsungsrecht entschied sich die überwiegende Mehrheit dahin , mit
dem Entwurf an dem von der Reichsgesetzgebung durch das Personen-
standsgesetz vom 6. Februar 1875 einmal eingenommenen Standpunkt
selbständiger und erschöpfender Regelung der materiellen und formellen
Erfordernisse der Eheschliefsung durch den Staat festzuhalten. Sie ging
davon aus, dafs in der Trennung von Staat und Kirche auf dem Gebiete
des Eherechts der notwendige Abschlufs einer langen geschichtlichen Ent-
wickelung zu erblicken sei, und dafs es zu einer so eingreifenden Aende-
rung des bestehenden Reichsrechts , wie sie in der Wiederanerkennung
des kirchlichen Eheschliefsungsrechts und der Beschränkung auf die Not-
civilehe liegen würde, an hinreichenden Gründen fehle. Die oben er-
wähnten einzelnen Abänderungsanträge zu den Vorschriften des hier frag-
lichen Unterabschnitts wurden sodann im wesentlichen ohne Erörterung
abgelehnt. Im übrigen erfuhren diese Vorschriften folgende erheblicheren
Aenderungen:
Zu § 1233 wurde die Ehemündigkeit der Männer, die nach den Ent-
wurf ebenso wie nach den Personenstandsgesetz schon mit dem zurück-
gelegten 20. Lebensjahre eintreten soll, auf die erlangte Volljährigkeit,
also auf das vollendete 21. Lebensjahr, hinaufgesetzt und Befreiung von
diesem Erfordernis ausgeschlossen ; ein minderjähriger Mann soll also nur
durch Volljährigkeitserklärung die Ehemündigkeit erlangen können. Damit
werden die mit der Minderjährigkeit eines Ehemanns verknüpften
Schwierigkeiten vermieden. Bezüglich der Ehemündigkeit der Frauen
beliefs man es bei dem mit dem geltenden Recht übereinstimmenden Ent-
wurf.
Der § 1236 wurde durch Aufnahme des Ehehindernisses der sog.
affinitas illegitima ergänzt; d. h. die Ehe soll verboten sein zwischen
Personen, von denen die eine mit Verwandten der anderen in gerader
Linie Geschlechtsgemeinschaft gepflogen hat. Man legte diesem Ehe-
hindernis aber nicht, wie sonst dem Ehehindernis der Verwandtschaft,
trennende , sondern nur aufschiebende Wirkung bei ; die Ehe zwischen
den bezeichneten Personen soll also nicht geschlossen werden dürfen,
die geschlossene Ehe aber nicht ungiltig sein. Durch diese Regelung
glaubte man den sittlichen Anschauungen am besten gerecht zu werden.
— Dem in § 1237 aufgestellten Ehehindernis des Ehebruchs wurde, ab-
weichend vom Entwurf, nicht nur aufschiebende, sondern trennende Wir-
kung verliehen ; die Zulässigkeit der Dispensation behielt man aber bei.
234 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Hinsichtlich des in § 1238 behandelten Erfordernisses der elterlichen
Einwilligung wurde das bestehende Recht insofern dem Entwurf gegenüber
wiederhergestellt, als man die Befugnis, gerichtliche Ergänzung der ver-
weigerten Einwilligung zu verlangen, nur volljährigen Kindern beilegte.
Die Entscheidung über die beantragte gerichtliche Ergänzung übertrug
man jedoch, abweichend vom geltenden Recht und vom Entwurf, nicht dem
Prozefsgericht, sondern dem Vormundschaftsgericht , da man dieses nach
der ganzen Art seiner amtlichen Thätigkeit und nach dem für dasselbe
mafsgebenden Verfahren zur Entscheidung für besser geeignet hielt.
An dem Grundsatz der obligatorischen Civilehe , mit welchem der
§ 1245 Abs. 1 die folgenden Vorschriften über die Eheschliefsung
einleitet, wurde unbeschränkt festgehalten. Der oben erwähnte Antrag
auf Wiederanerkennung der kirchlichen Eheschliefsungsform und Be-
schränkung der bürgerlichen Eheschliefsung auf die Fälle der Notcivil-
ehe wurde mit Rücksicht auf den von der Mehrheit eingenommenen grund-
sätzlichen Standpunkt gar nicht zur Abstimmung gebracht, dagegen wurde
vorgeschlagen, die kirchliche Nottrauung mit bürgerlicher Wirksamkeit für
die Fälle lebensgefährlicher Erkrankung eines die Eheschliefsung Begehren-
den zuzulassen, und eventuell wurde befürwortet, in den gedachten Fällen
wenigstens eine Bestrafung des Geistlichen nach §§ 67, 69 des Personen-
standsgesetzes wegen Vornahme der Trauung vor Vollziehung der
bürgerlichen Eheschliefsung auszuschliefsen. Die Mehrheit sah jedoch
kein Bedürfnis und erachtete es für bedenklich, auch nur für diese Fälle
eine Ausnahme von der obligatorischen Civilehe anzuerkennen. — Um
die Zahl der wegen Formmangels nichtigen Ehen möglichst zu vermindern,
beschlofs die Kommission in zwiefacher Beziehung eine Herabsetzung der
wesentlichen Formerfordernisse, an deren Nichtbeobachtung Nichtigkeit
der Ehe geknüpft ist. Während nach dem Entwurf nur die von einem
ordnungsmäfsig bestellten Standesbeamten innerhalb seines Amtsbezirks
vollzogene Eheschliefsung giltig ist, soll nach dem Beschlufs zweiter
Lesung eine Ehe, wenn sie vor jemand geschlossen ist, der das Amt
des Standesbeamten öffentlich ausübt, nicht deshalb unsiltig sein, weil
derselbe nicht Standesbeamter war , es sei denn , dafs die Verlobten bei
der Eheschliefsung: den Mangel der amtlichen Befugnis gekannt haben.
Durch diese Bestimmung wird die Formungiltigkeit namentlich in den
nicht seltenen Fällen ausgeschlossen , in denen z. B. ein Gutsvorsteher
oder ein Bürgermeister in der irrigen Annahme , die standesamtlichen
Befugnisse ohne weiteres von seinem Amtsvorgänger überkommen zu
haben, Ehen schliefst. Sodann wurde dem Erfordernis der Gegenwart
zweier Zeugen bei der Eheschliefsung die Bedeutung eines wesentlichen,
die Giltigkeit der Ehe bedingenden Erfordernisses genommen.
Während man so die Fälle formungiltiger Ehen beschränkte, wurden
weiter die Rechtsfolgen, welche der Entwurf in den folgenden Vorschriften
über die Ungiltigkeit der Ehe an den Mangel der vorgeschriebenen
Form knüpft, noch mehrfach gemildert. Nach § 1252 ist eine wegen
Formmangels nichtige Ehe so anzusehen , als ob sie nicht geschlossen
wäre ; ?sie wird nicht , wie eine aus einem anderen Grunde nichtige Ehe,
so lange*"als giltig behandelt, bis sie (durch Tod oder Scheidung) aufgelöst
Nationalökonomische Oesetzgebung. 235
oder auf erhobene Klage für ungiltig erklärt wird , sondern die Ehe-
gatten können sich ohne weiteres trennen, und jeder, der ein rechtliches
Interesse an der Nichtigkeit hat, kann dieses jederzeit ohne besondere
Nichtigkeitsklage geltend machen. Diese Wirkungen an jede Verab-
säumung eines wesentlichen Formerfordernisses zu knüpfen , hielt die
Kommission mit zahlreichen Stimmen der Kritik für bedenklich. Es soll
daher auch bei formungiltigen Ehen die gleiche Regelung, wie nach
Obigem bei materiell-nichtigen Ehen, dann Platz greifen, wenn eine solche
Ehe vor einem Standesbeamten oder einer Person , die nach dem früher
mitgeteilten Beschlüsse im gegebenen Falle einem Standesbeamten gleich-
steht, geschlossen und in das Heiratsregister eingetragen ist. In diesem
Falle erschien es der Bedeutung des Registereintrags entsprechend , dafs
die Ehe nur infolge gerichtlicher Ungiltigkeitserklärung als nicht ge-
schlossen behandelt werden könne. Um die Heilung des Formmangels bei
eingetragenen Ehen den Eheschliefsenden zu erleichtern, wenn auch nicht
allein mit Rücksicht auf diese Fälle, stellte man ferner gegenüber einem
aus § 1234 herzuleitenden Zweifel ausdrücklich klar, dafs Ehegatten ohne
vorgängige Nichtigkeits- oder Ungiltigkeitserklärung die Eheschliefsung
wiederholen können. Weiter soll eine eingetragene formungiltige Ehe als
von Anfang an giltig angesehen werden, wenn die Ehegatten nach der
Eheschliefsung zehn Jahre als Ehegatten miteinander gelebt haben. End-
lich beschlofs man, die Vorschriften der §§ 1257, 1558, durch welche bei
materiell-nichtigen Ehen dem guten Glauben Dritter oder eines der Ehe-
gatten an die Giltigkeit der Ehe Schutz gewährt wird, auf formungiltige
eingetragene Ehen auszudehnen.
Anlangend die aus anderen Gründen als wegen Formmangels nich-
tigen Ehen, so ist hier zunächst eine Aenderung der Vorschrift über die
wegen Verletzung des Verbots der Bigamie (§ 1234) nichtige Ehe zu er-
wähnen. Nach dem Entwurf ist die zweite Ehe nichtig, auch wenn die
erste Ehe nichtig oder anfechtbar, zur Zeit der Eingehung der zweiten
Ehe aber noch nicht aufgelöst oder für ungiltig erklärt war. Nach dem
Beschlufs der Kommission soll dagegen die zweite Ehe nur dann nichtig
sein , wenn der sie eingehende Teil zur Zeit der Eingehung mit einem
Dritten in einer giltigen Ehe lebte. An das neu aufgenommene tren-
nende Ehehindernis des Ehebruchs knüpfte man die Rechtsfolge der Nichtig-
keit an ; nachträgliche Befreiung von dem Eheverbot soll aber die Ehe
zu einer von Anfang an giltigen machen.
In den folgenden Bestimmungen über die Anfechtbarkeit der
Ehe wurde zunächst die Anfechtbarkeit wegen Irrtums erweitert. Nach
dem Entwurf (§ 1259 Nr. 2) kann eine Ehe wegen Irrtums nur ange-
fochten werden, wenn infolge desselben der eine Ehegatte die Ehe ohne
den Willen, überhaupt eine Ehe zu schliefsen, oder ohne den Willen, die
Ehe mit dem anderen Teile zu schliefsen, eingegangen ist. Wegen blofsen
Irrtums über persönliche Eigenschaften oder Verhältnisse des anderen
Teils findet eine Anfechtung der Ehe nicht statt. Es mufs vielmehr hin-
zukommen , dafs dem irrenden Ehegatten die persönlichen Eigenschaften
oder Verhältnisse des anderen Teils und zwar solche, die ihn bei ver-
ständiger Würdigung"^ des Zweckes der Ehe von der Eheschliefsung ab-
236 Nationalökonomische Gesetzgebung.
halten mufsten und von denen zugleich vorauszusehen war, dafa sie ihn,
wenn er sie gekannt hätte , von der Eheschliefsung abgehalten haben
würden, von dem anderen Teile verhehlt worden sind; in diesem Falle
gestattet der Entwurf (§ 1259 Nr. 1) eine Anfechtung der Ehe wegen
Betrugs. Die Kommission beschlofs dagegen , in Uebereinstimmung mit
dem überwiegenden Teil der geltenden Rechte und mit vielfachen Vor-
schlägen der Kritik und der Regierungen, eine Anfechtung der Ehe dann
zuzulassen , wenn ein Ehegatte sich bei der Eheschliefsung über solche
persönliche Eigenschaften oder solche persönliche Verhältnisse des anderen
Ehegatten geirrt hat, die ihn bei Kenntnis der Sachlage und bei ver-
ständiger Würdigung des Zweckes der Ehe von der Eheschliefsung abge-
halten haben würden. Der andere Ehegatte soll jedoch, abweichend vom
§ 1270 des Entwurfs, falls die Anfechtung wegen Irrtums erfolgt, die-
jenigen Rechte haben, welche der § 1258 im Falle der Nichtigkeit der
Ehe dem gutgläubigen Ehegatten beilegt. Der Vorschlag, neben der er-
weiterten Anfechtbarkeit wegen Irrtums die Anfechtung wegen Betrugs
bezw. arglistiger Täuschung ganz auszuschliefsen , erschien der Mehrheit
mit Rücksicht auf das geltende Recht und das praktische Bedürfnis be-
denklich. Die Anfechtung aur, diesem Grunde wurde aber zwiefach ein-
geschränkt. Sie soll einerseits nur statthaft sein, wenn sich die Täuschung
auf solche Umstände bezogen hat , die geeignet waren , den getäuschten
Ehegatten bei verständiger Ueberlegung von der Eingehung der Ehe ab-
zuhalten , und andererseits soll , wenn die Täuschnng von einem Dritten
begangen ist, die Anfechtung nur dann zugelassen werden, wenn der
andere Ehegatte die Täuschung bei der Eheschliefsung gekannt hat, nicht
schon dann, wenn er dieselbe nur hätte kennen müssen.
Der Entwurf (§ 1259 Nr. 3) giebt weiter ein Anfechtungsrecht dem
Ehegatten, der bei der Eheschliefsung nicht ehemündig war. Diesen An-
fechtungsgrund liefs die Kommission fallen; sie hielt für ausreichend, der
Eheunmündigkeit die Bedeutung eines aufschiebenden Ehehindernisses bei-
zulegen.
Nachdem die übrigen Vorschriften dieses Unterabschnittes mit einigen
hier nicht zu erwähnenden Abweichungen gebilligt worden waren, schritt
man zu der früher vorbehaltenen endgiltigen Abstimmung über die Frage,
ob der erste Titel des Familienrechts in das Gesetzbuch aufgenommen
oder gestrichen werden solle. Die Kommission entschied sich mit grofser
Mehrheit in ersterem Sinne.
In dem die Wirkungen der Ehe betreffenden zweiten Titel erfuhr
der erste Unterabschnitt, welcher allgemeine Vorschriften enthält,
nur wenig erhebliche Aenderungen. Hervorgehoben sei nur zunächst, dafs
die Frau im Falle mifsbräuchlicher Beschränkung oder Ausschliefsung der
ihr nach § 1278 zustehenden sog. Schlüsselgewalt nicht auf den Weg des
Rechtsstreits, sondern an den Vormundschaftsrichter verwiesen werden
soll, welcher auf ihren Antrag die Beschränkung oder Ausschliefsung auf-
zuheben befugt sein soll. Die Vorschriften der §§ 1280, 1281 über die
gegenseitige Unterhaltspflicht der Ehegatten wurden mit Rücksicht auf
den Fall ergänzt, wenn die Ehegatten getrennt leben und einer von ihnen
die Herstellung des ehelichen Lebens verweigern kann und verweigert;
Nationalökonomische Gesetzgebung. 237
man regelte diesen Fall im Auschlufs au deu § 1460, welcher sich auf
die Unterhaltspflicht der auf Grund eines die Trennung von Tisch uud
Bett aussprechenden Urteils getreu ut lebenden Ehegatten bezieht.
Im zweiten Unterabschnitt dieses Titels (§§ 1283 — 1332) handelt der
Entwurf vom ehelichen Güterrecht, d. h. von den Wirkungen für
die vermögensrechtlichen Beziehungen der Ehegatten , welche in Er-
mangelung abweichender vertragsmäfsiger Regelung das Gesetz an die
Eheschliefsung knüpft; denn in erster Linie gilt für die Ordnung des
ehelichen Güterrechts der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Auf keinem
Gebiete des bürgerlichen Rechts fand der Enfwurf eine solche Mannig-
faltigkeit der geltenden Rechte vor, wie auf dem des gesetzlichen ehe-
lichen Güterrechts; die Motive berechnen weit über 100 mehr oder weniger
verschiedene Systeme des Güterrechts. Dennoch hat sich der Entwurf
dafür entschieden , das gesetzliche eheliche Güterrecht einheitlich für das
gesamte Reich zu ordnen und zwar auf der Grundlage des Systems der
sog. Verwaltungsgemeinschaft. Er hat sich aber nicht darauf beschränkt,
daneben den Ehegatten abweichende vertragsmäfsige Vereinbarungen frei-
zustellen, sondern hat, um eine den besonderen Verhältnissen des einzelnen
Falles angemessene Ordnung und die Einführung des Gesetzbuchs in den
bisherigen Geltungsgebieten eines anderen Güterrechtssystems zu erleich-
tern, die aufser der Verwaltungsgemeinschaft in Deutschland geltenden
hauptsächlichen Güterrechtssysteme der Gütertrennung, der allgemeinen
Gütergemeinschaft, der Errungenschaftsgemeinschaft und der Gemeinschaft
des beweglichen Vermögens und der Errungenschaft als vertragsmäfsige
Güterstände vollständig ausgebildet, so dafs die Beteiligten sich nur durch
Ehevertrag für eine dieser Güterrechtsformen zu entscheiden brauchen, ohne
jedoch auf dieselben beschränkt oder im einzelnen an die gesetzliche
Regelung gebunden zu sein.
Bei der besonderen Wichtigkeit und Schwierigkeit des gesetzlichen
ehelichen Güterrechts hatte die Kommission zur Vorberatung des Ab-
schnitts eine Subkommission gebildet. Diese hatte in 8 Sitzungen
durch Aufstellung eines vollständigen Gegeneutwurfs der Beratung der
Hauptkommission so weit vorgearbeitet , dafs es dieser möglich wurde,
den Abschnitt mittels einer abgekürzten Behandlungsweise in 4 Sitzungen
zu erledigen. Sowohl in der Subkommission wie in der Kommission
selbst fand der oben gekennzeichnete Standpunkt, den der Entwurf
gegenüber der Regelung des ehelichen Güterrechts einnimmt, im allge-
meinen Zustimmung. Insbesondere wurde es im Gegensatz zu manchen
Urteilen der Kritik gebilligt, dafs der Entwurf ein einheitliches gesetz-
liches Güterrecht schaffen will, und dafs er nicht, dem sog. Regional-
system folgend, mehrere gesetzliche Güterrechtssysteme nebeneinander
stellt und es der Landesgesetzgebung überläfst, für ihr Gebiet oder einen
Teil desselben das eine oder andere dieser Systeme in Geltung zu setzen.
Ebenso wurde die Wahl eines anderen Systems als der Verwaltungs-
gemeinschaft zur Grundlage des gesetzlichen Güterrechts von keiner Seite
beantragt; vereinzelt fand zwar die Ansicht Vertretung, dafs die Er-
rungenschaftsgemeinschaft den Vorzug verdienen würde, indes wurde
wegen Aussichtslosigkeit auf die Einbringung eines bezüglichen Antrags
238 Nationalökonomische Gesetzgebung.
verzichtet. Zu Gunsten der Verwaltungsgemeinschaft fiel entscheidend ins
Gewicht, dafs dieselbe in dem verhältnismäfsig gröfsten Teile des Reiches
geltendes Recht ist1), dafs sie ferner am wenigsten tief in die zur Zeit
der Eheschliefsung bestehenden Vermögensverhältnisse eingreife und da-
durch die Eingewöhnung der bisher nicht dem Gebiete der Verwaltungs-
gemeinschaft zugehörigen Gebietsteile in das neue Recht erleichtere, sowie
dafs sie durch die der Erau eingeräumte verhältnismäfsig selbständige
Stellung dem Zuge der modernen Rechtsentwickeluüg entspreche.
Der Beratung im einzelnen wurde der Subkommissionsentwurf in der
Weise zu Grunde gelegt, dafs diejenigen Vorschriften desselben, zu welchen
kein Abänderungsantrag vorlag, ohne Erörterung als gebilligt angenommen
wurden. Wir schliefsen uns im folgenden der Anordnung an, welche die
Redaktionskommission diesem Abschnitt gegeben hat (vergl. S. 157 ff.).
An dem in § 1283 ausgesprocheneu Grundsatz, dafs das Vermögen,
welches die Frau zur Zeit der Eheschliefsung hat oder während der Ehe
erwirbt, von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen, der Nutzniefsung
und Verwaltung des Mannes unterliegt, wurde mit der Aenderung sach-
lich festgehalten, dafs man die Verwaltung der Nutzniefsung voranstellte;
mau wollte damit das mit der Verwaltungspfiicht verbundene Verwaltungs-
recht als den wesentlichen Bestandteil der ehemännlichen Rechte kenn-
zeichnen. Terminologisch wich man vom Entwurf darin ab, dafs für das
der Verwaltung und Nutzniefsung des Mannes unterliegende Frauenver-
mögen statt des Ausdrucks ,, Ehegut" wesentlich mit Rücksicht auf den
im gröfsten Teile des Reichs eingebürgerten Sprachgebrauch die Bezeich-
nung als „eingebrachtes Gut" gewählt wurde. Der § 1284, welcher für
den Fall, wenn die Ehe mit einer in der Geschäftsfähigkeit beschränkten
Frau ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters geschlossen wird, den
Eintritt der ehemännlichen Verwaltung und Nutzniefsung nur hinaus-
schiebt bis zur Genehmigung der Eheschliefsung seitens des gesetzlichen
Vertreters oder zur Erlangung der vollen Geschäftsfähigkeit, wurde dahin
geändert, dafs in dem gedachten Falle niemals der gesetzliche Güterstand,
sondern Trennung der Güter nach den §§ 1333 ff. eintreten soll. Die
Vorschriften der §§ 1285 — 1291 über das sog. Vorbehaltsgut, d. h. das
der Verwaltung und Nutzniefsung des Mannes nicht unterworfene Frauen-
vermögen, fanden im wesentlichen Billigung. Der § 1288 wurde jedoch
als entbehrlich und teilweise bedenklich gestrichen. Man erklärte ferner,
abweichend von § 1291, auf das Vorbehaltsgut sämtliche für die Güter-
trennung geltenden Vorschriften, darunter also auch die neu beschlossene
Auslegungsregel des § o2, für entsprechend anwendbar, die Vorschrift
des § m2 über die Verpflichtung der Frau, dem Manne zur Bestreitung
des ehelichen Aufwandes einen Beitrag zu leisten , jedoch mit der der
Billigkeit entsprechenden Beschränkung, dafs diese Verpflichtung nur inso-
weit bestehen soll, als der Mann nicht schon durch die Nutzungen des
1) Nach den Motiven umfafst ihr Herrschaftsgebiet zusammen mit dem des ver-
wandten römischen Dotalrechts mehr als 17 Millionen Einwohner, während das Gebiet
der allgemeinen Gütergemeinschaft fast 11 Millionen, das der Mobiliargemeinschaft etwa
7 157 760, das der Errungenschaftsgemeinschaft zusammen mit dem der verwandten
Systeme etwa 6 931090 Einwohner zählt.
Natioiialökonoinische Gesetzgebung. 231)
eingebrachten Gutes eineu angemessenen Beitrag erhält. In Bezug auf
die Feststellung des Bestandes und des Zustandes des eingebrachten Gutes
legte man den Ehegatten gegeneinander die gleichen Rechte und Pflichten
bei, wie sie der Eigentümer und der Niefsbraucher nach den Beschlüssen
2. Lesung haben sollen.
Bei der Regelung der B.echte und Pflichten des Mannes in Bezug
auf das eingebrachte Gut unterscheidet der Entwurf scharf zwischen der
ehelichen Nutzniefsung und der Verwaltung. Eür erstere werden im all-
gemeinen die Vorschriften über den Niefsbrauch für anwendbar erklärt
(§ 1292) und durch mehrere Sonderbestimmungen modifiziert (§§ 1293 —
1299); die §§ 1317 — 1324 regeln sodann die Bechte und Pflichten des
Mannes in Bezug auf die Verwaltung, zum Teil wieder durch Bezug-
nahme auf Vorschriften über den Auftrag, und der an sich schwer ver-
ständliche § 1325 soll das Verhältnis beider Gruppen von Bestimmungen
klarstellen. Durch diese Redaktionsweise wird, wie in der Kritik vielfach
getadelt ist, der Ueberblick über die Stellung des Mannes sehr erschwert;
namentlich hat die allgemeine Bezugnahme auf Vorschriften über den
Niefsbrauch sowohl aus diesen formellen wie auch aus sachlichen Gründen
vielfachen Widerspruch erregt. Die Kommission hielt denselben für teil-
weise begründet. In den Beschlüssen 2. Lesung sind daher die Rechte
und Pflichten des Mannes in Bezug auf die Verwaltung und Nutzniefsung
einheitlich und unter Vermeidung allgemeiner Verweisungen geordnet.
Der an die Spitze der neuen Fassung gestellte § k stimmt sachlich
mit dem § 1292, soweit er auf § 984 verweist, überein. Auch die in § 1
anerkannte Verwaltungs- und Auskunftspflicht des Mannes ist aus dem
Entwurf entnommen. Wesentliche Abweichungen enthalten dagegen die
auf das Verwaltungsrecht des Mannes bezüglichen Vorschriften der
§§ m — t. Nach dem Entwurf (§§ 1318 ff.) hat der Mann in Bezug auf die
Verwaltung der Substanz des Ehegutes nur die Stellung des Verwalters
eines fremden Vermögens. Er kann regelmäfsig Rechtsgeschäfte im Namen
der Frau nur auf Grund einer Vollmacht derselben vornehmen; soweit
der § 1318 von dieser Regel (sehr eng begrenzte) Ausnahmen bestimmt,
kann der Mann gleichfalls nur im Namen der Frau handeln. Wird ein
ihm ohne Vollmacht nicht gestattetes Rechtsgeschäft zum Zweck der
ordnungsmäfsigen Verwaltung des Ehegutes erforderlich, so mufs er
nötigenfalls gegen die Frau darauf klagen, dafs diese das Rechtsgeschäft
vornehme ; die Frau kann dagegen verlangen , dafs er sich als Bevoll-
mächtigter der Vornahme des Geschäfts unterziehe. Der Eotwurf 2.
Lesung erweitert demgegenüber zunächst wesentlich den Kreis derjenigen
Verfügungen über eingebrachtes Gut, die der Mann ohne Mitwirkung
der Frau vornehmen kann. Der Mann soll auch über Geld und ver-
brauchbare Sachen sowie nach Mafsgabe des § 1000 über solche nicht
verbrauchbare Sachen, die zum Inventar eines Grundstücks gehören, ver-
fügen und nicht auf Zinsen ausstehende Forderungen einziehen können.
Soweit der Mann hiernach ohne Zustimmung der Frau verfügen kann, soll
er nach der den Beschlüssen 2. Lesung zu Grunde liegenden Auffassung
die Verfügungen nicht nur im Namen der Frau, sondern kraft des ihm zu-
stehenden Verwaltungsrechts in eigenem Namen vornehmen können. In Be-
240 Nationalökonomische Gesetzgebung.
zug auf den Gebrauch des ihm eingeräumten Verfüguugsrechts beschränkt
der § o den Mann durch obligatorische Verpflichtungen gegenüber der
Frau, welche im wesentlichen im Anschlufs an den Entwurf geregelt sind.
Zu allen anderen Verfügungen über eingebrachtes Gut soll der Mann
nicht, wie nach dem Entwurf, einer Vollmacht, sondern der Zustimmung
der Erau bedürfen. Diese Aenderung beruht auf der Anschauung, dafs
das Verwaltungsrecht des Mannes als des Hauptes der ehelichen Gemein-
schaft seinem Wesen nach die Verfügungsmacht über das ganze einge-
brachte Gut in sich schliefst, diese Macht aber zum Schutz der Frau
gegen leichtsinnigen Gebrauch derselben von Seiten des Mannes durch das
Erfordernis der Zustimmung der Frau beschränkt wird. Verweigert die Frau
zu einem zur ordnungsmäfsigen Verwaltung erforderlich werdenden Rechts-
geschäft, welches ihrer Zustimmung bedarf, diese ohne ausreichenden
Grund , so wird der Mann nicht auf den Prozefsweg verwiesen , sondern
das Vormundschaftsgericht soll auf seinen Antrag die Zustimmung ersetzen
können ; ebenso falls die Frau durch Krankheit oder Abwesenheit an der
Abgabe der Erklärung verhindert und mit dem Aufschübe Gefahr ver-
bunden ist. Kraft seines Verwaltungsrechts soll der Mann ferner befugt
sein, ein zum eingebrachten Gut gehörendes Recht im eigenen Namen ge-
richtlich geltend zu machen , und, soweit er über das Recht ohne Zu-
stimmung der Frau verfügen kann , soll das Urteil auch für und gegen
die Frau wirken.
Nachdem man in dieser Weise die Befugnis des Mannes, über ein-
gebrachte Gegenstände selbständig in eigenem Namen zu verfügen , dem
Entwurf gegenüber wesentlich erweitert hatte, erschien es auf der anderen
Seite geboten, für die Erhaltung und Sicherung des eingebrachten Gutes
anderweit Fürsorge zu treffen. Wenn z. B. der Mann für Rechnung der
Frau im eigenen Namen eingebrachte verbrauchbare Sachen verkauft oder
vertauscht oder mit Geldern der Frau für das eingebrachte Gut Sachen
in eigenem Namen kauft, so würde er Eigentümer der erworbenen Sachen ;
die Frau hätte zunächst nur eiuen Ersatzanspruch gegen ihn, und es bedürfte
eines besonderen Uebertragungsakts , um die neuerworbenen Sachen zu
ihrem Eigentum zu machen. Mit Rücksicht darauf, dafs regelmäfsig ein
solcher Uebertragungsakt nicht stattfindet, es aber der Absicht des Mannes
entspricht, die Frau zur Eigentümerin zu macheu, wurde bestimmt, dafs,
wenn der Mann mit Mitteln des eingebrachten Gutes Inhaberpapiere, mit
Blankoindossament versehene Orderpapiere oder andere bewegliche Sachen
oder ein Recht an einer solchen Sache oder ein anderes durch blofsen
Abtretungsvertrag übertragbares Recht erwirbt, mit dem Erwerbe das
Eigentum oder das Recht auf die Frau übergehen soll, es sei denn, dafs
der Mann nicht für Rechnung des eingebrachten Gutes erwerben wollte.
Für die Ausdehnung des hiermit beschränkt anerkannten sog. Surrogations-
prinzips auf den Erwerb anderer Rechte sah man dagegen kein Bedürfnis.
— Der Gedanke, der Frau die Substanz ihres eingebrachten Vermögens
zu erhalten , war auch mafsgebend für die Aufnahme der Bestimmung,
dafs, was der Mann an Stelle der von der Frau eingebrachten, nicht mehr
vorhandenen Stücke des Haushaltsinventars anschafft, wieder eingebrachtes
Gut wird.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 241
Die in dem Entwurf 2. Lesung folgenden §§ u — y weichen vom Ent-
wurf nur unwesentlich ab. Der § u Abs. 1 beschränkt die im § 1 292
enthaltene allgemeine Verweisung auf die Vorschriften über den Niefa-
brauch auf die Art, wie, und den Umfang, in welchem der Mann die
Nutzungen des eingebrachten Gutes erwirbt. Während der § 1297 Abs. 1
Nr. 1 — 6 in den §§ r — y mit hier nicht zu erwähnenden Aenderungen
beibehalten ist, hat der Abs. 2 des § 1297 nicht Aufnahme gefunden,
weil die in ihm ausgesprochene Beschränkung der Verpflichtung des
Mannes auf den Betrag der Nutzungen schwierige Abrechnungen der Ehe-
gatten nötig mache und auch durch Gründe der Billigkeit nur scheinbar
gerechtfertigt sei. Neu ist die Bestimmung des § z , nach welcher der
Mann, soweit er nach den §§ w — y der Frau gegenüber deren Verbind-
lichkeiten zu tragen hat , den Gläubigern neben der Frau als Gesamt-
schuldner haften soll; sie beruht auf den gleichen Erwägungen, wie der
zu § 1041 gefafste Beschlufs (vergl. Bd. LXII S. 237). Auch der Satz
des § a1 Abs. 1, dafs der Mann den ehelichen Aufwaud zu tragen habe,
ist im Entwurf nicht ausgesprochen, obwohl diese Verpflichtung des
Mannes die innere Rechtfertigung der ihm zustehenden Nutzniefsung und
insofern ein für das Wesen der Verwaltungsgemeinschaft kennzeichnendes
Moment enthält. Die Mehrheit hielt die Aufnahme des Satzes trotz der
gegen seine Notwendigkeit und Richtigkeit erhobenen Bedenken für
angemessen, namentlich mit Rücksicht darauf, dafs der § 1419 für die
Errungenschaftsgemeinschaft eine entsprechende Bestimmung enthält. Im
Anschlufs hieran gab man der Frau einen unmittelbaren klagbaren An-
spruch gegen den Mann darauf, dafs dieser den Reinertrag des einge-
brachten Gutes , soweit derselbe zur Bestreitung des eigenen und des der
Frau und den gemeinschaftlichen Kindern zu gewährenden Unterhalts er-
forderlich ist, zu diesem Zwecke ohne Rücksicht auf seine anderweitigen
Verbindlichkeiten verwendet. Man erblickte in dieser Vorschrift eine
zweckmäfsige Fortbildung des den §§ 1298, 1299, 1328 Nr. 2 des Ent-
wurfs zu Grunde liegenden Gedankens. — Der § b 2 des Entwurfs 2.
Lesung giebt den § 1324 Abs. 1, soweit er auf den § 595 Bezug nimmt,
mit den zu letzterem beschlossenen Aenderungen wieder; eine Verzinsungs-
pflicht bezüglich der vom Manne aufgewendeten Gelder ist jedoch, ent-
gegen dem § 595 Abs. 2, als dem ehelichen Verhältnis nicht ensprechend
nicht anerkannt.
Mit der freieren Gestaltung des Verwaltungsrechtes steht in engem
Zusammenhange die in § c1 getroffene Entscheidung der Frage, unter
welchen Voraussetzungen die Frau vom Manne Sicherheitsleistung ver-
langen kann. Ein solcher Anspruch soll der Frau einerseits, im wesent-
lichen in Uebereinstimmung mit dem Entwurf (§§ 1292, 1005), dann
zustehen, wenn durch das Verhalten des Mannes die Besorgnis begründet
wird, dafs die Rechte der Frau in einer das eingebrachte Gut erheblich
gefährdenden Weise verletzt werden. Daneben aber giebt der Entwurf
2. Lesung, abweichend vom 1. Entwurf, der Frau mit Rücksicht auf die dem
Manne beigelegte Befugnis freier Verfügung über Geld oder andere ver-
brauchbare Sachen einen Sicherungsanspruch auch dann, wenn die der
Frau aus der Verwaltung und Nutzniefsung des Mannes zustehenden An-
Dritte Folge Bd. VIII (LXIII). 1 Q
242 Nationalökonomische Gesetzgebung.
sprüche auf Ersatz des Wertes verbrauchbarer Sachen erheblich gefähr-
det sind. Die Kommission sah keinen Grund, die Frau ungünstiger zu
stellen, als der Besteller eines Niefsbrauches an verbrauchbaren Sachen
nach § 1020 stehen soll. Soweit die Gewährung des fraglichen Sicherungs-
anspruches von der Tendenz der Konkursordnung, die Frau mit den üb-
rigen Gläubigern gleichzustellen, abweicht, erblickte man in dieser Ab-
weichung eine angemessene Berichtigung jener in neuerer Zeit als nicht
schlechthin berechtigt erkannten Tendenz. Unter den Voraussetzungen,
unter welchen die Frau Sicherheitsleistung verlangen kann, giebt ihr der
| d1 besondere Sicherungsrechte in Bezug auf die zum eingebrachten
Gut gehörenden Inhaberpapiere. Dem Entwurf gegenüber, welcher
(§ 1292 verb. mit § 1036) es bei den für den Niefsbrauch an Schuld-
verschreibungen und Aktien auf den Inhaber geltenden Vorschriften be-
wenden läfst, enthält der § d ' eine der Vertrauensstellung des Mannes
entsprechende Abschwächung des der Frau gewährten Schutzes.
Eine wesentliche Abweichung vom Entwurf enthält der § e1 der
2. Lesung. Während nach dem Entwurf (§ 1292 verb. mit § 1004 und
§ 1324 Abs. 2) den Ehegatten die gerichtliche Geltendmachung der aus
der ehelichen Verwaltung und Nutzniefsung entstehenden gegenseitigen
Ansprüche schon während der Dauer des Güterstandes gestattet ist, be-
schränkt der § e1 die Frau in dieser Beziehung dahin, dafs sie unbedingt
nur den in § a l Abs. 2 bestimmten Anspruch auf Verwendung des
Reinertrags des eingebrachten Gutes zum Unterhalt der Familie, andere An-
sprüche der bezeichneten Art aber nur unter den Voraussetzungen soll
gerichtlich geltend machen können, unter denen sie Sicherheit vom Manne
verlangen kann. Man ging bei dieser mehrfachen Wünschen der Kritik
entsprechenden Aenderung davon aus, dafs es mit der Selbständigkeit der
ehemännlichen Verwaltung nicht vereinbar sei, wenn die Frau wegen
jeder angeblichen Verletzung seiner Verpflichtung zu ordnungsmäfsiger
Verwaltung ihn nötigen könnte, die Meinungsverschiedenheit vor Gericht
zum Austrag zu bringen, oder wenn sie jederzeit im Prozefswege von
ihm Auskunft über den Stand der Verwaltung verlangen könnte. Eine
Gefährdung der Rechte der Frau durch die beschränkende Vorschrift er-
schien ausgeschlossen. Nach dem Grundgedanken der Beschränkung soll
diese jedoch nur für die Frau selbst, nicht für ihre Gläubiger gelten.
Zu einer ähnlichen Einschränkung des Mannes sah man kein Bedürfnis,
da dieser sich wegen seiner Ansprüche gegen die Frau regelmäfsig selbst
aus dem eingebrachten Gute befriedigen könne und deshalb zur Be-
schreitung des Prozefsweges nur ausnahmsweise Veranlassung habe.
Die §§ f1 — n ] der 2. Lesung stimmen mit den entsprechenden Vor-
schriften des Entwurfs im wesentlichen überein. Nur zwei Abweichungen
sind hervorzuheben. Während nach § 1321 die Frau, wenn ein der
Einwilligung des Mannes bedürftiges Rechtsgeschäft zur ordnungsmäfsigen
Besorgung ihrer persönlichen Angelegenheiten erforderlich wird, den
Mann auf Erteilung der Einwilligung verklagen mufs, soll entsprechend
früheren Beschlüssen nach § p1 die vom Manne ohne ausreichenden
Grund verweigerte Zustimmung auf Antrag der Frau durch das Vormund-
schaftsgerioht ersetzt werden. Der Frau soll ferner aufser zu den in
Nationalökonomische Gesetzgebung. 243
§ 1309 bezeichneten Prozefsführungen nach § s1 Nr. 2 der Einwilligung
des Mannes auch nicht bedürfen zur gerichtlichen Geltendmachung eines
zum eingebrachten Gut gehörenden Rechts gegen einen Dritten, wenn
der Mann ohne die erforderliche Zustimmung der Frau über das Kecht
verfügt hat. Diese Ergänzung des Entwurfs erschien geboten, weil ohne
sie die Erau nicht nur, wie schon nach dem Entwurf, aufser Stande
wäre, das Recht ohne Zustimmung des Mannes gegen den Dritten zu ver-
folgen, sondern auch gegen den Mann selbst nicht klagen könnte, sofern
nicht die Voraussetzungen des § e1 gegeben wären.
Den dritten, von der Schuldenhaftung handelnden Unterabschnitt des
Entwurfs 2. Lesung eröffnet der § v1 mit dem sachlich dem Entwurf
entsprechenden Satz, dafs die Gläubiger des Mannes nicht Befriedigung
aus dem eingebrachten Gut verlangen können ; wegen der Wichtigkeit
des Satzes erschien es angemessen, ihn auszusprechen. Die Vorschriften
der §§ w ' — c 2 stimmen mit dem Entwurf im allgemeinen überein. Je-
doch soll nach § x1 Abs. 2, abweichend von § 1312 Nr. 1, für die
Kosten eines Rechtsstreits der Frau das eingebrachte Gut auch dann
haften, wenn das Urteil in Ansehung des eingebrachten Gutes dem Mann
gegenüber unwirksam ist. Hiermit hängt die Aenderung zusammen, welche
der § b2 gegenüber dem § 1316 Abs. 2 Nr. 4 enthält1).
Der vierte Unterabschnitt des Entwurfs 2. Lesung, der von der Be-
endigung der Verwaltung und Nutzniefsung handelt, weist gegenüber den
§§ 1327 — 1332 nur wenige sachliche Abänderungen auf. Das Recht der
Frau, auf Aufhebung der Verwaltung und Nutzniefsung zu klagen, ist
dem § 1328 gegenüber erweitert. Es soll ihr einerseits stets zustehen,
wenn die Voraussetzungen vorliegen, unter denen sie nach § e1 Sicher-
heitsleistung verlangen kann, also, abweichend vom § 1328 Nr. 1, auch
unter den Voraussetzungen des § e 1 Abs. 2. Wegen Verletzung der
Unterhaltspflicht des Mannes soll ferner die Frau das bezeichnete Recht
ohne Rücksicht auf ein Verschulden desselben haben, während dies nach
dem § 1328 Nr. 2 zweifelhaft erscheint.
An den Schlufs des Abschnitts vom gesetzlichen ehelichen Güterrecht
stellt endlich der 2. Entwurf die Vorschriften über die Gütertrennung,
welche der Entwurf als vertragsmäfsigen Güterstand im Titel von den
Eheverträgen (§§ 1338 — 1340) behandelt. Mafsgebend war die Erwä-
gung, dafs schon nach dem Entwurf die Gütertrennung in gewissen
Fällen (§§ 1284, 1330) ohne Vertrag kraft Gesetzes eintritt und daher
in erster Linie als subsidiärer gesetzlicher Güterstand von Bedeutung ist.
Die auf die Gütertrennung bezüglichen Vorschriften der §§ 1339, 1340
erfuhren nur geringfügige Aenderungen. Der Abs. 2 des § 1340 wurde
fallen gelassen, weil durch die in ihm anerkannte Herausgabepflicht des
Mannes der Zweck des Abs. 1, Streitigkeiten unter den Ehegatten zu
vermeiden , zum Teil vereitelt werde. Zu dem gleichen Zwecke fand
die Auslegungsregel des § o 2 Aufnahme.
1) Auf Seite 70 sind in § a 2 Nr. 3 vor „Verbindlichkeit" die Worte „Verbind-
lichkeiten einschliefslich der" einzuschalten.
16*
244 Mi s z e lle n.
Mjiszellen.
in.
Die Staats-Liegenschaftssteuer Rufslands.
Von Dr. Gustav Sodoffsky.
Vermittelst eines Allerhöchsten Befehles an den Dirigierenden Senat
trat vom 1. Juli (alt. St.) d. J. 1863 ab an die Stelle der Kopfsteuer in
den Städten und Flecken Rufslands die Liegenschafts- oder Immobilien-
steuer.
Ursprünglich für das gesamte russische Reich projektiert, konnte das
Gesetz in einigen Ländern, wie Bessarabien, dem Lande der donischen
Kosaken, Transkaukasien und Sibirien , aus Mangel an genügenden stati-
stischen Daten, die zur gleichmäfsigen Repartition nötig waren, noch nicht
zur Durchführung gebracht werden und auf Sibirien ist das Gesetz erst
seit dem Jahre 1872 ausgedehnt worden.
Das betreffende Gesetz vom 1. Januar 1863 lautete:
„Zur Verstärkung der Mittel des Reichsschatzes, dem neue bedeutende
Ausgaben bevorstehen, haben Wir es für nötig erachtet, für das Jahr 1863
eine besondere Auflage auf Immobilien in den Städten und Flecken fest-
zusetzen, gleichzeitig aber, um die Lage des zahlreichsten, in seinen
Existenzmitteln am wenigsten sichergestellten städtischen Standes günstiger
zu gestalten, die Kopfsteuer von den Meschtschanins *) ganz aufzuheben,
dergestalt, dafs diese Aufhebung sich auf einige besondere lokale Auf-
lagen zu erstrecken hat, die als Ersatz der Kopfsteuer von zu den Städten
angeschriebenen Personen gezahlt werden.
Nachdem Wir infolgedessen die vom Finanzministerium abgefafsten
und im Reichsrat beprüften Regeln über die Erhebung der Auflage von
Immobilien in den Städten und Flecken im Jahre 1863 bestätigt haben,
übersenden Wir dieselben dem Dirigierenden Senat und befehlen:
1) Diese Regeln mit dem Juli 1863 in Wirksamkeit treten zu lassen.
2) Von da ab, d. h. von der zweiten Hälfte des Jahres 1863, die
Kopfsteuer von den Meschtschanins, gleichwie auch die Steuern, die als
Ersatz für dieselbe in Grundlage der Art. 689 — 706, 730 — 736 und
1) Bürger, die nicht zur Gilde steuern — Kleinbürger.
M i sz e 1 1 e n. 245
811 — 815 (Abgabenreglement Band V des Kodex der Reichsgesetze, Aus-
gabe vom Jahre 1857) gezahlt werden, aufzuheben.
Der Dirigierende Senat wird nicht unterlassen, zur Erfüllung dessen
die erforderliche Anordnung zu treffen 1)."
Alexander.
Die erwähnten Regeln waren für die Jahre 1863, 1864, 1865 und
1866 nur temporärer Natur und mufsten für jedes einzelne Jahr Aller-
höchst bestätigt werden.
Am Ende des Jahres 1866 wurde die Bestimmung getroffen, die
Regeln für die nächstfolgenden Jahre auszuarbeiten. Dies geschah ; am
4. Oktober 1866 fand die Allerhöchste Bestätigung derselben statt und
seitdem dienen sie mit nur wenigen Aenderungen als Basis für die all-
jährliche Steuererhebung.
In sieben Kapiteln bestimmen die Regeln — die der Auflage unter-
liegenden Immobilien, die Auflage und deren Repartition , die Erhebung
der Auflage , handeln weiter von den Rückständen und Strafgeldern , von
den Mafsnahmen zur Beitreibung der Rückstände, von der Befreiung und
dem Erlafs der schuldigen Steuerquoteu , und schliefslich von der An-
wendung dieser Regeln.
Im Nachfolgendem möge hier das Wesentlichste aus dem in Rede
stehenden Reglement 2) Platz finden.
Der Immobiliensteuer unterliegen :
a) Alle Immobilien, welche Privateigentum sind.
b) Diejenigen der Landschaft, den Städten, den geistlichen Ressorts
(sowohl der christlichen als der nichtchristlichen Konfessionen), den
Wohlthätigkeitsanstalten, gelehrten Gesellschaften, Institutionen und
Lehranstalten gehörigen Immobilien oder die Teile derselben, welche
durch Vermieten Erträge gewähren.
Ausgenommen sind von der Steuer:
a) Immobilien , die unmittelbar für Rechnung des Reichschatzes unter-
halten werden.
b) Diejenigen der Landschaft, den Städten und den obenangeführten
Ressorts , Gesellschaften , Institutionen und Anstalten gehörigen Im-
mobilien oder die Teile derselben , welche keine P^rträge durch Ver-
mietung abwerfen und
c) Immobilien , für welche die Steuer weniger als 25 Kop. betragen
würde 3).
Die Immobiliensteuer wird erhoben in allen Städten und Flecken, für
die das Reglement Geltung hat, von den in dem Bezirke einer Stadt oder
eines Fleckens befindlichen oder auch aufserhalb dieses Bezirkes auf
Stadtgrund belegenen Immobilien (Wohnhäusern mit den zu denselben
gehörigen Höfen und Baulichkeiten , Fabriken , Betriebsanstalten , Bade-
1) cf. ,,Die Patente der livländischen Gouvernementsregierung" pro 1863; vergl.
auch m. Schrift: ,,Die Immobiliensteuer in Riga und die Gebäudesteuer in Oesterreich",
Riga 1888, S. 20 ff.
2) cf. „Die Patente der livländischen Gouvernementsregierung" pro 1867.
3) Kapitel I, Pkt. 2 u. 3 a. a. O.
246 M i s z e 1 1 e n.
stuben und überhaupt Gebäuden verschiedener Art, Stapelplätzen und un-
bebauten Grundstücken, Gemüsegärten, Gärten, Orangerien u. a. w.) 1).
Die Immobiliensteuer wird jedes Jahr durch die Regierung für jedes
Gouvernement festgesetzt. Die Reparation der für das resp. Gouverne-
ment bestimmten Summe auf die Städte und in den Städten auf die Be-
sitzer der Immobilien wird den Landschafts- und den städtischen Kom-
munal-Institutionen überlassen, und zwai findet dieselbe in der Regel 2)
durch die Gouvernements-Landschaftsversammlungen statt auf Grundlage
der Nachrichten, welche über die Zahl und den Wert der in jeder Stadt
und jedem Flecken befindlichen Immobilien und über die Vorteile, die
dieselben bringen, gesammelt sind. Die Repartition bedarf der Bestätigung
des Finanzministers 3).
Die Repartition der Steuersumme, welche von einer jeden Stadt und
einem jeden Flecken einfliefsen mufs, auf die einzelnen Immobilien wird
einer besonderen Repartitionskommission überlassen, deren Mitglieder von
den Immobilienbesitzern der betreffenden Stadt oder des betreffenden
Fleckens erwählt werden. Zum Zweck der Repartition wird der Kapital-
wert der Immobilien festgestellt; die Feststellung findet durch die Repar-
titionskommission statt entweder nach deren eigenen Berechnungen oder
gemäfs der Taxation der städtischen Immobilien zur Besteuerung zu
städtischen Zwecken4), letzteres unter der Voraussetzung, dafs diese
Taxation von der Repartitionskommission für genügend erachtet wird ö).
Innerhalb eines Monats , vom Tage der Bekanntmachung der Repar-
tition, können die Immobilienbesitzer Ausstellungen gegen die Repartition
bei der Repartitionskommission einreichen. Die mit der Entscheidung
der Kommission event. nicht zufriedenen Reklamanten können sich mit
ihren Beschwerden an die Duma6) oder die dieselben ersetzenden Insti-
tutionen wenden, in welch' letzteren zwei oder drei Glieder aus den
Hausbesitzern nach deren Wahl für Beratungen und Verfügungen betreffs
der Immobiliensteuer vertreten sind.
Für die Entrichtung der Steuer ist der Septembermonat bestimmt7).
Die bis zum 1. Oktober nicht entrichtete Steuer gilt als Rückstand.
Nach Eintritt des 15. eines jeden Monats wird 1 °/0 als Pön für den
laufenden Monat vou dem Gesamtbetrage des nicht bezahlten Rückstandes
berechnet 8).
Wenn nach AbWf eines Monats , nach dem zur Einzahlung der
Steuer bestimmten Termin, der Rückstand nicht entrichtet ist, so stellen
die Dumas, oder die dieselben ersetzenden Institutionen einen ,, Verschlag"
über die im Rückstande verbliebenen Immobilien der Polizei zu, damit
eine Inventur derselben aufgenommen werde. Spätestens innerhalb eines
1) Kapitel I, Pkt. 1 a. a. O.
2) Ausnahmsweise wird eine besondere „Session für Landesprästanden" in Anspruch
genommen, cf. Pkt. 5, Anm.
3) Kapitel I, Pkt. 4—6.
4) Dies Verfahren bildet die Regel.
5) Kapitel II, Pkt 9 u. 10.
6) d. h. das Stadtamt.
7) Kapitel III, Pkt. 14—19.
8) Kapital IV, Pkt. 21—23.
II i s seilen. 247
Monats vom Empfange des Verschlages übergiebt die Polizei der Duma oder
der dieselbe ersetzenden Institution jene Inventurprotokolle zur Anord-
nung des Verkaufes der im Rückstande befindlichen Immobilien.
In der Zeit von der Vorstellung des Inventurprotokolls bis zum
öffentlichen Meistgebote kann der Verkauf noch, durch Zahlung des Rück-
standes und einer Pön von 2 Proz. pro Monat, gerechnet von der Auf-
nahme des Inventurprotokolls an, inhibiert werden. Wird letztere Frist
nicht benutzt, so wird der Verkauf des betreffenden Immobils in seinem
vollen Bestände oder soweit es zur Deckung des Rückstandes erforderlich
ist, d. h. also teilweise bewerkstelligt und der event. restierende Betrag
dem Besitzer, wenn keinerlei Beitreibungen gegen ihn gemeldet wurden,
sofort ausgezahlt x).
Die Dumas und die dieselben ersetzenden Institutionen sind berech-
tigt, Immobilien, die keine Erträge gewähren und deren Besitzer weder ein
festes Gewerbe betreiben nooh sichere Existenzmittel haben, von der Steuer
zu befreien2). Die Besitzer von durch Feuer oder andere Unglücksfälle
vernichteter Immobilien sind von der ferneren Zahlung der Steuer be-
freit; haftete auf dem Immobil ein Rückstand, so wird er in diesem Falle
gestrichen 3).
Der Finanzminister ist u. A. berechtigt, in Grundlage dieser Regeln
den Kameralhöfen, Kreisrenteien, Dumas und den diese ersetzenden In-
stitutionen und Repartitionskommissionen Instruktionen zur Richtschnur
bei der Repartition und der Erhebung der Steuer, bei der Beitreibung
der Rückstände und der Rechnungsführung zu erteilen ; schliefslich im
Einvernehmen mit dem Minister des Innern Schwierigkeiten und Zweifel,
die bei der Erfüllung dieser Regeln entstehen könnten, zu entscheiden,
jedoch ohne von den Grundprinzipien dieses Reglements abzuweichen 4)
Aenderungen in den Bestimmungen des Reglements fanden nur
äufserst wenige statt, von denen wir die wichtigsten kennen lernen
wollen. Am Ende des Jahres 1866 fand die Aufhebung der bis dahin
geltenden zweijährigen Steuerfreiheit der Neubauten statt, welche Aende-
rung seit 1867 praktisch durchgeführt wurde. Am 16. März des Jahres
1870 wurde bestimmt, dafs die Kaiserlichen Hofbesitzlichkeiten von der
Immobiliensteuer eximiert werden sollten.
Im Jahre 1871 wurde zum Zweck der Beitreibung der rückständigen
Steuern die Bestimmung getroffen, dafs, wenn nach Ablauf eines Monats
nach dem zur Einzahlung der Steuer bestimmten Termin der Rückstand
nicht eingezahlt sei, auf Anordnung der Polizei zur Tilgung des Rück-
standes die Einkünfte aus dem schuldnerischen Immobil zu verwenden
seien. Falls dieses Immobil aber keine Einkünfte haben sollte oder falls
ein Einfliefsen derselben bis zum 1. Januar nicht zu erwarten sei,
so habe die Polizei den Verkauf des dem Steuerschuldner gehörigen
Mobiliarvermögens anzuordnen. In dem Falle aber, dafs durch diese
Mafsregel der Rückstand bis zum 1. Januar nicht getilgt wäre, sollte die
1) Kapitel V, Pkt. 24—27.
2) Dieses Moment erinnert an ein persönliches Steuersystem !
3) Kapitel VI, Pkt. 28—30.
4) Kapitel VII, Pkt. 30-32.
248 Mis zellen.
Beitreibung in gesetzlicher Grundlage gegen das mit dem Rückstände
notierte Immobil selbst gerichtet werden.
Was die Steuersummen anbelangt, die zur Erhebung kommen sollten,
so blieben dieselben in den ersten Jahren nach der Einführung die
gleichen, später fanden Erhöhungen statt. Seit 1873 sollte zur Unter-
haltung der durch Gesetz vom 23. Juni 1871 in den neun westlichen
Gouvernements eingeführten Friedensgerichtsinstitutionen eine Ergänzungs-
steuer von den städtischen Immobilien im Betrage von 25 Proz. einge-
führt werden. Durch das am 31. Mai 1872 Allerhöchst bestätigte Gutachten
des Reichsrates wurde für die Offizierseinquartierungspflicht eine Er-
gänzungssteuer von den städtischen Immobilien im Betrage von 40 Proz.
der von jeder Stadt zu zahlenden Steuersumme festgesetzt, mit Ausnahme
derjenigen Städte, in welchen Allerhöchst bestätigte Einquartierungssteuern
bestanden oder welche besondere Freiheiten bezüglich der Ableistung
der Einquartierungspflicht genossen. Seitdem haben dann noch wieder-
holte Erhöhungen der durch die Immobiliensteuer aufzubringenden Summe
stattgefunden.
Die finanzielle Bedeutung der Staatsliegenschaftssteuer in Rufsland
ist keine sehr bedeutende, ist aber in stetem Wachstum begriffen.
Der Gesamtbetrag der Steuer wurde bei ihrer Einführung im Jahre
1863 zunächst auf 2 051 196 Rbl. l) fixiert und wuchs darauf nach einigen
Jahren allmählich nicht wenig au. Pro 1874 hatte er bereits die Höhe
von 2 669 240 Rbl. erreicht, um im nächsten Jahre bereits auf 4 028 990 Rbl.
zu steigen. 1883 betrug die Steuer 5 588 458 Rbl., 1884 bereits
6 038 000 Rbl.
In den Jahren 1887 — 1890 waren schliefslich aufzubringen:
1887 6020000 Rbl.
1888 6 494 IOO „
1889 6 628 OOO ,,
1890 6828800 „
1891 6801 800 „
1892 6 801 800 „
1893 7640300 „
1) Ch. v. Keufsler : Zur Reform des Steuerwesens in Rufsland, Russ. Revue Bd. XXX,
1880, S. 78.
Miszellen. 249
IV.
Das Papiergeld der Zukunft.
Von W. L e xi s.
Dr. 0. Heyn, Papierwährung mit Goldreserve für den Auslands-
verkehr. Ein Mittel zur Lösung der Währungsfrage. Berlin 1894. 8°.
86 SS.
Osias Parnes, Internationales Papiergeld. Lemberg 1893. 8°.
42 SS.
Wenn man erwägt, dafs das eigentliche Betriebskapital des britischen
Grofsverkehrs durch die 600 — 700 Hill. Pfd. Sterling dargestellt wird, die
als stets fällige Guthaben bei den Banken stehen, dafs im Londoner
Clearinghaus jährlich Forderungen und Gegenforderungen im Betrage von
7000 Hill. Pfd. Sterling ohue Mitwirkung einer Banknote oder eines
Goldstückes ausgeglichen werden, dafs als Metallgrundlage für diesen
grofsartigen Umlaufsmechanismus nur der Barvorrat der Bank von Eng-
land, durchschnittlich etwa 30 Hill. Pfd. Sterling, gegeben ist, während
für den kleineren Barverkehr noch 80 — 90 Mill. Pfd. in Gold im Lande
zerstreut sind, so mufs man sich unwillkürlich fragen: würde dieser
Mechanismus nicht mit unveränderter Kraft weiter arbeiten können, wenn
der bei der Bank liegende Sicherheitsfonds* in Gold ohne Wissen des
Publikums in die Erde versänke, oder wenn er überhaupt nicht dawäre?
Es dürfte allerdings nicht der ganze Barvorrat der Bank verschwinden,
denn man verlangt von der Bank auch Gold zur Ausfuhr und dies ist
die allein bedeutsame Veranlassung zu dem Verlangen der Einlösung
gröfserer Summen von Noten; denn im inneren Verkehr hat der Kredit
der Noten der Bank von England sich seit der Wiederaufnahme der Bar-
zahlungen unerschütterlich behauptet und auch in den schlimmsten Krisen
dachte niemand daran , die Noten aus Mifstrauen zur Einlösung einzu-
reichen, vielmehr mufste die Peel'sche Akte dreimal suspendiert werden,
um es der Bank möglich zu machen, noch mehr Noten auszugeben. That-
sächlich wäre also für das Inland die Einlöslichkeit der Noten entbehr-
lich; für das Ausfuhrbedürfnis aber würde ein sehr mäfsiger ständiger
Goldvorrat, 5 bis höchstens 10 Mill. Pfd. Sterling genügen, da London
ja andererseits auch den wichtigsten Stapelplatz für die Goldeinfuhr aus
den Produktionsländern bildet. Nichts stände im Wege, auch das im In-
lande umlaufende Gold durch ein Papiergeld zu ersetzen, das zunächst
250 M i s z e 1 1 e n.
voll gedeckt sein könnte ; allmählich würde sich dann herausstellen, dafs
diese Deckung gröfstenteils , ja vielleicht gänzlich, ein totes Kapital und
zur Aufrechterhaltung des Wertes des Papiergeldes gar nicht nötig sei.
So würde also die englische Cirkulation schliefslich auf dem Depositen-
und Checksystem für den grofsen und auf Banknoten oder sonstigem
Papiergeld für den kleineren Verkehr beruhen. Die Geldeinheit jedoch,
in der alles Vermögen ausgedrückt und auf die alle Geschäfte bezogen
würden, hätte noch immer eine feste Beziehung zum Golde : man würde
von ihr verlangen, dafs sie immer denselben Wert darstelle, wie die in
einem Sovereign enthaltene Goldquantität. Das Gold bliebe also das Wert-
mafs für das britische Papiergeld , das seinerseits wieder Wertmafs wäre
für die Bankdepositen und alle anderen auf Geld lautenden Vermögens-
werte. Die Eigenschaft des Geldes als des Wertmafses träte bei diesem
System neben seinen Funktionen als Umlaufs- und Zahlungsmittel immer
mehr in den Vordergrund , da auch das Papiergeld für diese letzteren
Zwecke immer weniger gebraucht würde. Denn die Bankdepositen ent-
stehen bekanntlich zum bei weitem gröfsten Teil nicht durch bare Ein-
zahlungen , sondern durch Gutschrift von Wechseln und Checks und die
Uebertraguugen im Giro- und Checkverkehr erfolgen ebenfalls ohne Mit-
wirkung von Geld oder Noten. Aber gerade weil so enorme Summen
von Kapitalvermögen unmittelbar von dem Werte der Geldeinheit, auf
die sie lauten, abhängig sind, finden Pläne, die darauf gerichtet sind, das
Metallgeld wenigstens im inneren Verkehr durch Papier zu ersetzen, noch
wenig Anklang. Niemand bezweifelt, dafs der innere Güterumlauf tech-
nisch ebenso gut durch Papiergeld — natürlich in Verbindung mit einer
angemessenen Bank- und Kreditorganisation — wie durch Metallgeld ver-
mittelt werden könnte; aber die meisten Sachkundigen bezweifeln, dafs
ein Papiergeld für sich allein jemals ein genügend sicheres und stabiles
Wertmafs bilden könne; man verlangt daher, dafs das Papiergeld sich
stets an ein Edelmetall , d. h. gegenwärtig an Gold anlehne und dazu
genüge es nicht, wenn nur ein dem Ausfuhrbedarf entsprechender Gold-
vorrat gehalten werde, sondern die stete Einlöslichkeit des Papiergeldes
müsse auch im Inlande aufrecht erhalten werden und der Barvorrat auch
für die Erreichung dieses Zwecks volle Gewähr bieten.
Aber auch das Gold kann sich keiner absoluten Wertstabilität rühmen
und theoretisch wenigstens könnte mau sich einen Papierumlauf von
solcher Einrichtung denken, dafs dieses Geld ein mindestens ebensowenig
veränderliches, ja sogar ein noch festeres Wertmafs wäre, als das Gold.
Der Gedanke, die Geld Wirtschaft von den Zufälligkeiten der Edelmetall-
produktion ganz unabhängig zu macheu, hat etwas Bestechendes, und da
es an sich durchaus rationell ist und seine Schwierigkeiten nur in den
praktischen Zuständen der Gesellschaft und der Staaten liegen, so fehlt
es ihm nicht an Verteidigern , namentlich seit Rioardo ihn in einem ge-
wissen Umfange angenommen hat. Auch die beiden oben angeführten
Schriften schlagen, wenn auch in verschiedener Gestalt, eine Reform des
Geldwesens durch Papiergeldausgabe vor, und zwar gehen beide aus von
der Anschauung, dafs die Edelmetalle wegen der starken Schwankungen
ihrer Produktion und der Veränderlichkeit der Nachfrage die Eigenschaft
M i sz el 1 e n. 251
eines konstanten Wertmafses nicht in genügendem Grade besitzen. Heyn
nimmt ausdrücklich an , dafs gegenwärtig eine Goldverteuerung bestehe,
während Parnes sich über diesen Punkt weniger bestimmt ausdrückt.
Heyn beruft sich namentlich auf die mehrfach vorgekommenen hohen
Diskontsätze in Deutschland. Aber im ganzen ist der durchschnittliche
Diskont der Reichsbank seit dem Beginne ihrer Geschäftstätigkeit (1876)
niedriger als der der Preufsischeu Bank in der Periode der Silberwährung
von 1847 bis 1873; auch ist die Reichsbank nie über 6 Prozent hinaus-
gegangen, während bei der Preufsischen Bank auch aufserhalb der Kriegs-
jahre mehrfach Sätze von 61/.,, 7 und 71/2 Prozent vorgekommen sind.
Auch in Frankreich ist der Bankdiskont seit 1876 durchschnittlich nied-
riger geblieben, als seit 1851 in der Zeit der intakten Doppelwährung.
Dafs er durchschnittlich etwas niedriger steht, als der Satz der deutschen
Reichsbank, ist unabhängig von den Währungsverhältuissen und beruht
vor allem auf dem weit gröfseren Kapitalreichtum Frankreichs. Das-
jenige Land aber, das allein die reine Goldwährung und nicht wie
Frankreich und Deutschland zugleich noch eine grofse Summe an Silbev-
kurantgeld besitzt, England, hat von allen den niedrigsten Bankdiskont
und auch hier ist derselbe in den letzten zwanzig Jahren durchschnitt-
lich niedriger und zugleich stabiler gewesen als in den vorangegangenen
beiden Jahrzehnten. Auch hat er seit 1874 nur zweimal den Satz von
6 Prozent erreicht, während er diesen früher oft überschritten hat und
sogar auf 8, 9 und 10 Prozent gestiegen ist. Gegenwärtig steht der
offizielle Diskont der Bank von England schon seit mehreren Monaten
auf 2 Prozeut, auf dem offenen Markte dagegen beträgt er nur x/2 — 3/4
Prozent und was den Goldvorrat der Bank betrifft, so betrug die Total-
reserve des Bankdepartements am 20 Juni 30,8 Müll. Pfd. Sterling, d. h.
es lag der früher unerhörte Fall vor, dafs der Barvorrat der Bank um
14 Mill. Pfd. gröfser war, als die Gesamtsumme der umlaufenden Noten.
Unter solchen Umständen ist es doch schwer, von Goldknappheit und
Goldverteuerung zu sprechen , wenn man darunter das richtige versteht,
nämlich eine Herabdrückung der Warenpreise infolge der Unzulänglich-
keit der Umlaufsmittel, und nicht etwa naiver Weise privatwirtschaftlichen
Geldmangel oder Mangel an Geschäftsgewinn. Uebrigens besteht nur ein
entfernter und indirekter Zusammenhang zwischen dem Dikontosatze und
der Kaufkraft des Geldes gegen Waren ; denn der erstere hängt nicht von
der vorhandenen Menge des baren Geldes, sondern von der Summe des
verfügbaren flüssigen Kapitals ab, das auf Geld lautet, aber nur
zum kleinsten Teile durch effektives Geld dargestellt wird. Wie weit
der Diskont durch die Geldmenge beeinflufst wird, hängt hauptsächlich
von der Bankgesetzgebung ab, und daher ist dieser Einflufs in England
am gröfsten, in Frankreich aber am kleinsten. Dafs aber die Preis-
erniedrigung der meisten Welthandelswaren nicht auf Mangel an Metall-
geld zurückzuführen sei , halte ich angesichts der thatsächlichen grofsen
Vermehrung nicht nur des Goldgeldes, sondern namentlich auch des dem
Golde gleichstehenden amerikanischen Silbergeldes für gewifs ; eine ge-
wisse relative Verteuerung des abendländischen Geldes infolge der Silber-
entwertung hat nur gegenüber den Erzeugnissen der Länder mit Silber-
252 M i s z e 1 1 e n.
Währung und selbständiger Preisbildung, insbesondere Ostasiens, statt-
gefunden. In diesen Ländern ist das Silber trotz der grofsen Vermehrung
seiner Produktion noch nicht erheblich im Werte gesunken, ein Beweis,
dafs selbst unter sehr ungünstigen Verhältnissen ein Edelmetallgeld einen
hohen Grad von Wertstabilität zu behaupten vermag. In noch höherem
Grade gilt dies von dem Golde, dessen jährliche Produktion im Vergleich
mit dem als Geld in der Kulturwelt vorhandenen Vorrat noch weit nied-
riger erscheint , als die des Silbers. Eine Entwertung des Goldes, wie
man sie in den fünfziger Jahren befürchtete, erscheint jetzt völlig aus-
geschlossen ; eine Werterhöhung aber würde selbst bei bedeutender Ver-
minderung der Produktion auf lange Zeit nicht zu merken sein , wenn
nicht etwa eine gröfsere Anzahl von Staaten, die jetzt Papier- oder
Silberwährung haben, ebenfalls imstande sein sollte, zur Goldwährung
überzugehen. Da aber die etwa in Frage kommenden Staaten verschuldet
oder überhaupt wirtschaftlich schwach sind, so ist es durchaus unwahr-
scheinlich, dafs ihnen dieser Schritt gelingen sollte. Die gegenwärtig im
Besitz der Goldwährung — mit oder ohne Silberkurant — befindlichen
Staaten haben also keinen Anlafs, eine Tendenz zur Wertänderung in
ihrer Geldeinheit anzunehmen und sie werden sich daher durch solche
Befürchtungen für die in den beiden obigen Schriften vorgeschlagenen
Papiergeldexperimente schwerlich gewinnen lassen.
Aber lassen wir die Erage der praktischen Verwirklichung dieser
Vorschläge beiseite und betrachten wir dieselben nur nach ihrem inneren
Gehalt. Das Heyn'sche Projekt steht den von Ricardo befürworteten Ein-
richtungen sehr nahe. In seinen „Vorschlägen zur Herstellung eines
billigen und sicheren Geldumlaufs" empfiehlt Ricardo ein Gesetz, nach
dem die Bank von England verpflichtet sein soll, ihre Noten nicht in
Münzen, sondern in Barren von Gold und Silber (er ist entschiedener
Silberfreund) nach dem Münzpreise einzulösen , während sie andererseits
auch jedes angebotene Quantum Gold zu einem etwas niedrigeren festen
Preise kaufen müfste. Irgend eine Bestimmung über das Verhältnis der
Metaildeckung zum Notenumlauf bestand damals für die Bank nicht und
auch Ricardo will in dieser Hinsicht keine weitere Vorschrift geben als
die, dafs die Direktoren der Bank die Notenmeuge stets in solchen
Schranken zu halten hätten , dafs der Preis des Barrengoldes im freien
Verkehr immer dem Münzpreise in Noten gleichbliebe. Der Barvorrat
würde dann thatsächlich nur dazu dienen, Gold für das Ausfuhrbedürfnis
zur Verfügung zu halten, der innere Geldverkehr würde vorzugsweise
durch die (als gesetzliches Zahlungsmittel anerkannten) Banknoten ver-
mittelt werden und die weitere Ausprägung von Goldmünzen könnte bei
der vollen Ausführung des Planes eingestellt werden. Wir haben also
hier „Papierwährung mit Goldreserve für den Auslandsverkehr", zumal
Ricardo von den anfangs erwähnten Silberbarren nicht weiter spricht. In
einer späteren (posthumen) Schrift über die Gründung einer Nationalbank
legt Ricardo auf die Noteneinlösung durch Barren — die in der Ueber-
gangszeit von 1819 bis zur Wiederaufnahme der Barzahlungen wirklich
angewandt worden war — kein Gewicht mehr; andererseits aber spricht
er jetzt dafür, dafs die Notenausgabe der Bank entzogen und dem Staate
i
M i s z e 1 1 e n. 253
übertragen werde, jedoch nicht der Regierung, sondern einer unabhängigen
Kommission, deren Mitglieder nur durch einen Parlamentsbeschlufs ab-
gesetzt werden köunten und der streng zu verbieten wäre, der Regierung
Vorschüsse zu leisten. Beim Ablauf des Privilegiums der Bank soll die
Kommission derselben 15 Mill. Pfd. Sterling in den neuen Noten zur
Tilgung der Schuld des Staates bezahlen; 10 Mill. Pfd. in Noten sollen
aufserdem verwendet werden, um teils Goldbarren, teils die in den Händen
der Bank befindlichen Schatzscheine anzukaufen. Die Bank hätte dann
ihre eigenen Noten gegen das neue Papiergeld einzulösen. Den Provinzial-
banken wäre dieselbe Verpflichtung aufzulegen, und zwar wäre die Ein-
löslichkeit der für diese bestimmten Staatsnoteu durch eine besondere
Stempelung auf einen bestimmten Bezirk zu beschränken. Die Ausgabe-
kommission in London soll verpflichtet sein, jedes ihr angebotene Quautum
Gold zu einem bestimmten Preise zu kaufeu, andererseits aber ihre Noten
jederzeit auf Verlangen in Goldmünzen einzulösen, was voraussetzt, dafs
6ie einen Teil ihrer Barren stets ausmünzen lasse. Trotzdem also die
Einlösung in Barren in diesem Plane aufgegeben wird, glaubt Ricardo
doch , dafs nur ein sehr mäfsiger Barvorrat erförderlich sei , um dem Be-
darf für die Einlösung zu genügen. Da die Kommission auch die Kasse
des Staates führen soll und daher von dieser Seite her immer etwa 4 Mill.
Pfd. in Händen haben würde, so nimmt er an, dafs 5 — 8 Mill. zum An-
kauf von Gold in Barren und Münzen zu verwenden wären und daneben
würden 9 bis 6 Mill. in Schatzscheineu gehalten; 15 Mill. Pfd. aber
würden ohne besondere Deckung einfach auf Grund des Staatskredits aus-
gegeben. Auf die zwanzig Jahre später erlassene Peel'sche Bankakte hat
dieses Programm einen wesentlichen Einflufs geübt. Es liegt ihm eben-
falls die Annahme zu Grunde, dafs die Einlösung der Noten thatsächiich
fast ausschliefslich für den Zweck der Goldausfuhr, nicht aber für den
inneren Verkehr verlangt werden würden , jedoch entfernt der Plan sich
nicht so weit von dem Herkömmlichen wie der erste. Aber auch der
erste geht nicht so weit wie der Heyn'sche, denn er will grundsätzlich
das Gold als den eigentlichen Wertmafsstab beibehalten, da ja die Noten-
emission immer so geregelt werden soll , dafs ein Pfd. Sterling in Papier
geichwertig mit dem in einem Sovereign enthaltenen Golde bleibe. Heyn
dagegen will das Papiergeld zu einem völlig selbständigen Wertmafs
machen. Er führt aus, dafs dasselbe alle Eigenschaften eines guten Geldes
für den inländischen Verkehr — gesetzliche Zahlungskraft, Handlichkeit,
wirtschaftlichen Wert, Wertuniversalität, Wertuniformität, Wertkonstauz —
besitze oder doch besitzen könne, indem er von der Ansicht ausgeht, dafs
in den modernen Staaten mit gesetzlich geordneten Zuständen und Volks-
vertretungen die absichtliche oder auch nur bewufste Herbeiführung der
Entwertung des Papiergeldes völlig ausgeschlossen sei. Wenn bisher in
den Staaten mit Papierwährung fast immer eine solche Entwertung ein-
getreten sei, so erkläre sich dies daraus, dafs man in allen diesen Fällen
gar keine Rücksicht auf die Erhaltung der Wertkonstanz des Geldes ge-
nommen und keine gesetzlichen Garantien für die erforderliche Beschrän-
kung der Menge desselben geschaffen habe, dafs überhaupt diese schlimmen
Erfahrungen gröfstenteils in Zeiten fallen , in denen man sich über das
254 M i s z e 1 1 e n.
Wesen des Geldes und die Folgen einer Entwertung desselben nicht klar
war. Andererseits liegen aus der neuesten Zeit Beispiele sehr erfolgreich
durchgeführter Papiergeldwirtschaften vor, zu denen vor allem die fran-
zösische in den Jahren 1870 — 1878 gehört, in der fast gar kein nennens-
wertes Goldagio hervorgetreten ist. Auch die österreichische Papier-
währung hat ohne Zweifel seit 1868 trotz der Schwankungen der aus-
wärtigen Wechselkurse keine erhebliche innere Entwertung mehr erfahren,
und der Verfasser hätte in betreff derselben zur Unterstützung seiner
These auch noch die bemerkenswerte Thatsache hervorheben können, dafs
der österreichische Papiergulden, der vor dem nominellen Uebergange zur
Goldwährung einen Gulden in Silber darstellen sollte , in den letzten
Jahren vor der Valutareform 30 und mehr Prozent mehr wert war, als
das in einem geprägten Gulden enthaltene Silber. So war also der
Papiergulden schliefslich ein reines Kreditgeld ohne Metallbasis, das ge-
wissermafsen in der Luft schwebte, aber sich für den inneren Verkehr
auf einer konstanten Höhe erhielt.
Man kann freilich gegenüber dieser optimistischen Ansicht von dem
Verhalten des Staates in Sachen des Papiergeldes — die sich übrigens
auch bei Ricardo findet — geltend machen , dafs in dringender Not und
namentlich im Falle eines schweren Krieges jeder Staat sich gezwungen
sehen werde, auch gegen seine bessere Einsicht sein Papiergeld aus finan-
zielle!) Gründen ohne Rücksicht auf die zu erwartende Entwertung in
grofsem Umfange zu vermehren. Heyn will daher einen Kriegsschatz
von etwa 400 Mill. M. in Gold oder in sicheren Wertpapieren bereit
halten; aber wenn man erwägt, dafs ein Krieg Deutschlands von ein-
jähriger Dauer bei dem heutigen Stande der Heere und der Machtmittel
mindestens fünf Milliarden Mark kosten würde, so ist es klar, dafs ein
solcher Schatz wenig helfen würde und dafs auch mit Anleihen allein
eine so enorme Summe nicht in so kurzer Zeit aufgebracht werden könnte,
sondern dafs eine bedeutende Ausgabe von Papiergeld notwendig zu Hilfe
genommen werden müfste.
Für den auswärtigen Verkehr will Heyn allerdings eine Goldreserve
behalten, aber dieses Gold — in Barren — soll nur eine Ware sein,
deren Versendung wenig kostet und die im Inlande und Auslande ohne
Rücksicht auf die Menge zu unveränderten Preisen an-
gekauft und verkauft werden kann. Um dem Golde diese Stellung zu
verschaffen, genügt es, dafs der Staat oder die staatliche Notenbank gesetz-
lich verpflichtet wird, Gold in jeder beliebigen Menge gegen Papiergeld
oder Noten zu einem bestimmten Preise anzukaufen und zu verkaufen,
wie dies auch gegenwärtig den Notenbanken in den Goldwährungsländern
vorgeschrieben ist. Der Preis des Goldes in Papier soll zunächst gleich
dem Marktpreise desselben zur Zeit des Uebergangs zur Papierwährung
gesetzt, dann aber in kurzen und später in längeren Zwischenräumen dem
Marktpreise entsprechend abgeändert werden. In den Zwischenzeiten soll
die Bank berechtigt sein , wenn ihr Goldbestand um einen gewissen Be-
trag unter den Normalstand gesunken oder darüber hinaus gestiegen ist,
gesetzlich bestimmte Prämien zu dem geltenden Preise zu bezahlen oder
davon abzuziehen.
Mi s z e 1 1 e n. 255
Von dem Ricard o'schen Plane eines in Goldbarren einlöslichen Papier-
geldes unterscheidet sich der Heyn'sche also im wesentlichen nur dadurch,
dafs nach dem letzteren das Gold nicht mehr prinzipiell der Wertstandard
sein soll und dafs daher für die Menge des auszugebenden Papiergeldes
nicht die Rücksicht auf die Erhaltung eines dauernd festen Wertes
desselben gegen Gold mafsgebend sein soll. Das Gold würde nach Heyn
eine Ware mit periodisch veränderlichem Preise in Papier sein und auch
innerhalb einer Periode mit festgesetztem Werte würden vermöge des
Prämiensystems noch Preisschwankungen stattfinden. Das Bestreben soll
darauf gerichtet sein, den Kankpreis des Goldes mit dem Marktpreise des-
selben in möglichst genauer Uebereinstimmung zu erhalten und wenn die
Staatsbanken in anderen Ländern dasselbe Prinzip befolgen, so würden die
Papierwährungen der verschiedenen Staaten vermöge ihrer Beziehung auf
den gleichen Marktwert des Goldes stets nahezu in dem gleichen Ver-
hältnisse bleiben, wie sich auch der Wert des Goldes gegen Papier ändern
möge. Diese Annahme ist nun freilich iu ihrer Allgemeinheit nicht richtig.
Ebenso wie gegenwärtig die Wechselkurse auf London in den verschie-
denen Papierwährungsländern sich selbständig bewegen, also der Wert
dieser Papierwährungen sich teils mehr, teils weniger gegen Gold ver-
schiebt, könnte dies auch später für das Heyn'sche Papiergeld in den ver-
schiedenen Ländern gelten, wenn die Zahlungsbilanzen derselben sehr
verschieden sind und namentlich wenn die einen den anderen infolge
von Anleihen und sonstigen internationalen Kapitalanlagen dauernd stark
verschuldet sind. Wenn das Gold seines Dienstes als Geldmetall gröfsten-
teils oder ganz entsetzt würde , so würde allerdings eine grofse Masse
dieses Metalls für den Ausgleichungsverkehr mit dem Auslande verfügbar
werden und der Preis des Goldes in Papier um so mehr zurückgehen, je
mehr sich bei der Bevölkerung das Vertrauen auf das neue Geldsystem
befestigte und je mehr dieses sich ausbreitete. Es würde dann wahr-
scheinlich eine ebenso grofse Entwertung des demonetisierten Goldes ein-
treten, wie wir sie bei dem Silber infolge der Verdrängung desselben aus
der Geldfunktion erlebt haben. Dieser drohende Verlust liefert freilich
auch einen schwer wiegenden Einwand gegen das Projekt, zumal auch
die Tauglichkeit des Goldes als internationales Ausgleichungsmittel ver-
mindert würde. Heyn schlägt daher vor, dafs die Veräufserung des über-
schüssigen, für die Goldreserve des Landes nicht erforderlichen Bestandes
an eingeschmolzenen Goldmünzen nur mit solcher Langsamkeit erfolgen
solle , dafs ein Preissturz des Goldes vermieden werde. Aber schon die
Einstellung der Prägungen in den Hauptkulturstaaten würde genügen, um
den Preis des Goldes stark herabzudrücken , wie ja auch die Silberent-
wertung eingetreten ist, trotzdem nur ein kleiner Teil der in Europa
vorhandenen Silbermünzen verkauft worden ist. England, Deutschland,
Frankreich, Nordamerika würden im Falle der Ausführung des Heyn'schen
Planes von vornherein eine übergrofse Goldreserve besitzen und daher
genötigt sein, den Zuflufs der neuen Produktion durch Herabsetzung des
Preises möglichst von sich abzuhalten. Den wirtschaftlich schwächeren
Ländern würde dadurch der Uebergang zur Goldwährung allerdings er-
leichtert werden, aber sie würden die nötige Goldmenge in der Regel
256 Miszelleii.
doch nur durch Anleihen erhalten können, also, wenn sie ohnehin schon
verschuldet wären, ihre finanzielle Lage den anderen Staaten gegenüber
noch verschlechtern. Allerdings würde die Goldentwertung auch ihre
Warenausfuhr erleichtern, zugleich aber würde diese Entwertung in dem
Papierwährungsgebiet noch immer mehr zunehmen, denn wenn das ver-
schuldete Land Gold genug zur Ausfuhr hätte, so würde das Gläubiger-
land dieses Einströmen von einem gewissen Zeitpunkte ab wieder zu
hemmen suchen; wenn aber das erstere nicht genug Gold besafse, so
müfste es sich durch Herabsetzung des Wechselkurses auf das Papier-
währungsland eine Vergröfserung seiner Warenausfuhr verschaffen. Die
Länder des Papiergeldsystems würden also durch die Goldentwertung in
eine ähnliche Lage gelangen wie die, in der sich gegenwärtig England
Indien gegenüber befindet. Der Verfasser erkennt an, dafs auf diese Art
eine Schädigung der einheimischen Produktion der Papierwährungsländer
entstehen könnte, aber er glaubt, dafs sich dieser Uebelstand durch eine
internationale Vereinbarung über eine langsame und vorsichtige Ver-
äufserung des Goldes, namentlich aber auch durch Aufkauf der den Preis-
druck verursachenden Goldmenge vermeiden lasse. Also die Staaten
müfsten Anleihen aufnehmen oder mehr Papiergeld ausgeben (denn Waren,
von denen der Verfasser spricht, haben die Staaten selbst nicht zur Ver-
fügung), um einen bedeutenden Teil der jährlichen Goldproduktion auf-
zukaufen, obwohl sie schon einen Uebeiflufs an Gold besäfsen und ihre
eigentliche Absicht wäre, sich des Ueberschusses zu entledigen. Dieses
Aufkaufssystem würde bald ebenso unhaltbar werden, wie die Aufspeiche-
rung von Silber auf Grund der Sherman-Bill und der Verlust bei der
schliefslichen Veräufserung des Goldes würde ähnliche Verhältnisse an-
nehmen, wie die Silberentwertung nach der Aufhebung jenes amerika-
nischen Gesetzes. Aufserdem aber wurde durch dieses Verfahren den
schwächeren Staaten der Uebergaug zur Goldwährung unmöglich gemacht
werden, damit aber auch wieder die Aussicht abgeschnitten werden, dafs
dem Golde die Geldfunktion in einem genügend grofsen Gebiete erhalten
und dadurch einer zu grofsen Entwertung desselben vorgebeugt werden
könne. Soweit die verschuldeten Länder aber die Goldwährung oder die
Papierwährung mit Goldreserve aufrecht erhalten könnten, würde der von
ihnen in Gold zu entrichtende Saldo von selbst zu den Notenausgabe-
stellen der Gläubigerstaaten gehen , ein besonderes Aufkaufen desselben
also gar nicht nötig sein. Die Wechselkurse in diesen Ländern aber
würden, wie schon bemerkt, keineswegs stabil sein, sondern von dem
besonderen Bedarf jedes Landes an Gold für seine Saldozahlung ab-
hängen.
Die Geldentwertung würde unter dem Heyn'scheu System überhaupt
nur dann nicht eintreten, wenn es mifslänge, d. h. wenn der gröfsere
Verkehr das Papiergeld zurückwiese und wieder Goldbarren anstatt des
geprägten Geldes als Umlaufsmittel benutzte. Da in China noch jetzt
Silberbarren zu diesem Zwecke dienen und in Hamburg das Barrensystem
bis 1875 bestanden hat, so wäre eine solche Wendung keineswegs un-
wahrscheinlich, wenn die Staaten versuchen wollten, das Papiergeldsystem
der Volkswirtschaft aufzuzwingen, ehe die wirtschaftlich mafsgebenden
Mis zellen. 257
Kreise für dasselbe gewonnen wären und ihm volles Vertrauen entgegen-
brächten. Das wird nun freilich in absehbarer Zeit schwerlich zu er-
warten sein ; wäre es aber der Fall, so würde sich auch wohl die Vor-
aussetzung des Verfassers verwirklichen, dafs der Staat bald nach dem
Uebergange zu der Papierwährung den ganzen Goldbestand des Landes
in seiner Kasse haben würde. Denn da die Goldmünzen ihre gesetzliche
Zahlungskraft verlieren würden und der anderweitige Verkauf desselben
als Barren nur mit Verlust möglich wäre, so würden die Besitzer es nun
vorteilhafter finden, ihr Gold gegen Papiergeld zu dem noch nicht herab-
herabgesetzten ersten Preise bei der staatlichen Ausgabeanstalt auszu-
tauschen.
Ueber die Hauptfrage aber giebt Heyn eine sehr ungenügende Aus-
kunft: wie soll die Menge des von der Staatsanstalt auszugebenden Pa-
piergeldes geregelt werden. Als besonderen Fehler der „offenen Gold-
währung" betrachtet er den Umstand, dafs jeder nach seinen privaten
Interessen die Menge des vorhandenen Geldes durch Neuprägungen ver-
mehren und sie andererseits durch Ausfuhr oder Einschmelzung auch
vermindern kann. Hierzu wäre freilich zu bemerken, dafs die Vermeh-
rung oder Verminderung des Metallgeldes keineswegs auch eine ent-
sprechende Veränderung der dem Verkehr dienenden Summe von Geld-
einheiten überhaupt einschliefst. Das Notenbanksystem und die sonstigen
Hilfsmittel des Kreditumlaufs haben eine durchgreifende regulierende
Wirkung, dergestalt, dafs, wenn in stillen Zeiten das Metallgeld vermehrt
wird, dadurch nur eine gleiche Summe in Kreditumlaufsmitteln verdrängt
wird, indem namentlich vorher nicht metallisch gedeckte Noten in gedeckte
verwandelt werden, und dafs umgekehrt eine Ausfuhr von Metall durch
Kreditumlaufsmittel ersetzt werden oder auch gänzlich wirkungslos bleiben
kann, wenn nämlich die betreffende Metallmenge vorher brach in den
Bankgewölben lag.
Die Bank von England hätte im Juni 14 Mill. Pfd. Sterl. über 280
Mill. M. in Gold zur Ausfuhr abgeben können und hätte dann doch keine
einzige nicht metallisch gedeckte Note im Umlauf gehabt und noch immer
allen Kreditbedürfnissen genügen können. Auf die wirkliche Prägnng des
Goldes kommt es übrigens nicht an, da die Notenbanken ja auch Barren
zu einem festen Preise gegen Noten eintauschen. Dasselbe soll aber auch
in dem Heyn'schen System geschehen, und dieses würde also keineswegs
die gewiasermafsen irrationelle Vermehrung des Geldes infolge der Gold-
produktion ausschliefsen, sondern sie höchstens durch starke Herabsetzung
des Goldpreises erschweren können. Im übrigen aber will Heyn die
Papiergeldausgaben einfach durch die gesetzliche Vorschrift regeln, dafs
die staatliche Ausgabeanstalt nicht mehr Noten in Umlauf setzen dürfe, aber
auch so viel ausgeben müsse, als zu dem bisher landesüblichen Zinsfufse
mit Berücksichtigung der Kisikoprämie begehrt werde. Er giebt zu, dafs
sich die Konstanz der Kaufkraft des Geldes nicht erreichen lasse und
will sich mit dem Gleichbleiben des Leihpreises begnügen. Dabei ver-
wechselt er aber eben, wie schon oben bemerkt, das effektive Geld mit
dem flüssigen Kapital. Die Peel'sche Bankakte ist bekanntlich erlassen
worden, um die Bank von England zu nötigen, in Zeiten des spekula-
Dritte Folge Bd. VHI (LXHI). 17
258 Mis zellen.
tiven Aufschwunges die ins Schwindelhafte gehende Bewegung nicht
durch Vermehrung der Noten bei gleichbleibendem Diskont zu befördern.
Man warf ihr vor, dafs sie die Krisen von 1825, 1835, 1837, 1839 durch
ihre Passivität verschuldet habe und wollte sie durch das neue Gesetz
zwingen, die Diskontosohraube rechtzeitig anzuziehen. Ueber die Zweck-
mäfsigkeit dieses Gesetzes läfst sich streiten, sicher aber ist es, dafs der
konstante Diskontosatz als Norm der Notenausgabe in den periodisch
wiederkehrenden Zeiten der steigenden Intensität des Wirtschaftslebens
die TJeberspekulation und den Schwindel durch Geldinflation aufserordent-
lich befördern würde. Mit der in diesem Vorschlage hervortretenden An-
schauung des Verfassers hängt auch seine Meinung zusammen, dafs die
Krisen durch Geldausfuhr und Geldknappheit entständen, und daher nicht mehr
zu befürchten seien, wenn der inländische Verkehr nur auf Papiergeld
beruhe, das nicht ausgeführt werden könne. Nach der Erfahrung aber
sind alle grofsen Krisen — auf lokale oder momentane Stockungen kommt
es nicht an — nur Rückschläge gewesen, die auf eine Schwindelperiode
folgten, in der ein riesengrofses luftiges Kreditsystem auf einer v e r häl t -
nismäfsig zu kleinen Basis von effektivem Geldkapital aufgebaut
worden war. Eine Ausfuhr von Gold tritt dabei allerdings meistens ein,
und zwar als Folge der schwindelhaften Steigerung aller inländischen
Preise; aber sie ist keineswegs die eigentliche Ursache des Zusammen-
bruches, der wegen der inneren Unhaltbarkeit des windigen Aufbaues
in jedem Falle in nicht allzu langer Zeit stattfinden mufs. Daher folgt
eine solche Katastrophe dem „Aufschwünge" in Papierwährungsländern
eben so sicher wie in Goldwährungsländern. Der Krach von 1873 ging
bekanntlich in Europa von Wien aus, also von einem Papierwährungs-
lande, und gleichzeitig brach, unabhängig von der europäischen, auch eine
Krisis in Amerika aus, wo damals ebenfalls Papierwirtschaft bestand.
Auch die Krisis von 1893 ist in Amerika nicht durch den Goldabflufs
verursacht worden, denn das ausgeführte Gold wurde weit mehr als er-
setzt durch die auf Grund der Sherman Bill ausgegebenen Schatznoten
(1263/4 Mill. Doli.). Den Anlafs zu der Krisis gab der Zusammenbruch
einiger Banken in Colorado infolge des Sturzes des Silberpreises, ihr
eigentlicher Grund aber lag wieder in einer vorhergegangenen TJeber-
spekulation und Ueberspannung des Kredits, auf die jetzt eine allgemeine
Erschütterung des Vertrauens folgte. Der sogenannte Goldmangel aber
bestand auch noch darin, dafs die Bauken nicht imstande waren, die von
ihnen plötzlich zurückgeforderten Depositen in bar herauszuzahlen, wozu
sie aber überhaupt unter keinen Umständen imstande gewesen wären, da
alle Banken bekanntlich nur einen sehr mäfsigen Bruchteil ihrer stets
fälligen Verbindlichkeiten in barem Gelde gedeckt halten. Ein spezieller
Bedarf an Gold war überhaupt nicht vorhanden, denn Greenbacks, Schatz-
noten von 1890, Silberdollars und Silbercertifikate thaten den Banken die-
selben Dienste wie die Goldmünzen und alle diese Zahlungsmittel haben
ihren Pariwert behauptet.
Uebrigens meint Heyn, wenn man die vorgeschlagene Norm bedenk-
lich finde, so könne man sich auch, freilich auf Kosten des Erfolges, da-
mit begnügen, die Notenausgabe durch eine absolute oder eine Steuer-
Miszellen. 259
kontingentierung zu beschränken. Eine Steuerkontingentierung würde
indes bei einer staatlichen Notenausgabe nicht am Platze sein. Das
zweckmäfsigste Verfahren wäre wohl dieses, dafs man neben der staat-
lichen Emissionsanstalt eine private Notenbank errichtete, für die Staats-
papiergeld in derselben Weise als Deckung diente, wie jetzt das Gold.
Diese eigentlichen Banknoten würden dann das elastische Element unter
den Umlaufsmitteln darstellen und sich mittels einer zweckmäfsigen Dis-
kontopolitik den Verkehrsbedürfnissen anpassen während die Menge des
Staatspapiergeldes auf lange Zeit unveränderlich bleiben müfste und nur
ganz allmählich etwa im Verhältnis zu dem Anwachsen der Bevölkerung
eine Vermehrung erfahren dürfte.
Wenn Heyn auf Holland hinweist, dessen Geldverhältnisse thatsäch-
lich dem von ihm vorgeschlagenen System entsprächen, so ist er dazu
allerdings berechtigt, denn in Holland besteht trotz der dort geltenden
Goldrechnung nur etwa ein Fünftel der Umlaufsmittel aus Gold, die
Hauptmasse aber teils aus Silber und grösstenteils aus Papiergeld und
Banknoten. Aber wenn Holland auch nicht viel Gold in seinen Kassen
hat, so besitzt es andererseits verhältnismäfsig sehr grofse Summen in
Goldforderungen an das Ausland; es ist im hervorragenden Mafse
Gläubigerland, hat daher fortwährend eine günstige Zahlungsbilanz und
demnach eine erhebliche Goldausfuhr nie zu fürchten. Das Beispiel ist
also nur beweiskräftig für reiche und nicht auswärts verschuldete
Länder.
Die ungeregelte Vermehrung des Geldes infolge der Goldproduktion
würde, wie schon oben bemerkt, unter dem Heyn'schen System nicht
beseitigt sein, da ja die Emissionsanstalt verpflichtet sein soll, alles ihr
angebotene Gold zu einem bestimmten Preise zu kaufen. Wird der Preis
herabgesetzt, so wird dadurch allerdings die gegen neuproduziertes Gold
ausgegebene Papiergeldsumme verkleinert, aber zugleich wird der Wert
des Gesamtvorrates an Gold, der zu höheren Preisen erworben ist, herab-
gedrückt, was einen sehr grofsen Verlust ergeben kann und aufserdem
wird die Ausfuhrerleichterung für die noch auf der Stufe der Goldwährung
stehenden Länder vergröfsert. Es fragt sich also, ob man das Gold nicht
auch für den internationalen Verkehr entbehrlich machen könnte und
0. Parnes trägt in der obenerwähnten Schrift kein Bedenken, diese Frage
zu bejahen. Es handelt sich freilich auch hier um einen Zukunftsplan,
dessen Ausführung eine weit gröfsere Solidarität der Xulturwelt und ein
weit gröfseres Vertrauen zu der Festigkeit der bestehenden staatlichen
und gesellschaftlichen Zustände und Institutionen voraussetzt , als in
unserem von der Furcht vor kriegerischen und sozialen Erschütterungen
beherrschten Zeitalter und überhaupt in absehbarer Zeit erwartet werden
darf. Rein theoretisch betrachtet jedoch ist die Parnes'sche Broschüre
trotz ihrer zahlreichen — vielleicht durch den Ort des Druckes zu er-
klärenden — Druckfehler interessant und lesenswert, da sie eine an
sich ganz rationelle These mit Geschick verteidigt. Ueber gewisse theo-
retische Grundanschauungen des Verfassers wollen wir nicht diskutieren,
auch nicht über seine Definition des Geldes als eines „von der Gesamt-
heit ausgestellten und auf die Arbeitskraft der Gesamtheit hypothezierten
17*
260 M i s z e 1 1 e n.
Schuldbriefes auf ein gewisses Quantum Arbeit". Dafs Papiergeld that-
sächlich ein selbständiges, vom Edelmetall unabhängiges Geld werden und
dabei unter günstigen Umständen seinen Wert gut behaupten kann, ist
durch die Erfahrung bewiesen, und wenn man mit dem Verfasser an-
nimmt, dafs kein Kulturstaat sich jemals wieder verleiten lassen werde,
zu dem früher die Regel bildenden Mifsbrauch der Papiergeldpresse
zurückzukehren, so läfst sich sein System ohne weitere theoretische Vor-
erörterungen diskutieren. Er erkennt an, dafs die Wechselkurse zwischen
den Ländern mit isolierter Papierwährung grofsen Schwankungen unter-
worfen sein würden, dafs auch innerhalb jedes einzelnen Landes kein
Kriterium vorhanden sein würde, ob die Menge des ausgegebenen Papier-
geldes zu grofs oder zu klein sei, und es mufs daher nach seiner Ansicht
ein internationales Austauschmittel geschaffen werden, durch das die ein-
zelnen Papierwährungen auf demselben Niveau erhalten werden sollen
und dessen Ab- oder Zuflufs auch die Wertscbwankungen des blofs
nationalen Papiergeldes der einzelnen Länder ausgleicht. Das Gold,
dem Ricardo und Heyn diese Rolle vorbehalten wollen, ist aber nach
Parnes wegen seiner Natur als eine blofse Ware mit veränderlichen
Produktionsverhältnissen und veränderlichem Werte zu diesem Zwecke
nicht geeignet und er schlägt daher die Schaffung eines internationalen
Papiergeldes neben dem nationalen vor. Selbstverständlich setzt dies
eine internationale Vereinbarung voraus, wodurch die Ausführung des
Planes im Vergleich mit dem Heyn'schen wesentlich erschwert wird;
denn der letztere kann von jedem einzelnen Staate selbständig verwirk-
licht werden, aber bei den Vorzügen, die das System nach der Ansicht
des Verfassers besitzt, müfste es bald bei allen bedeutenderen Kultur-
staaten von selbst Aufnahme finden.
Die Parnes'schen internationalen Noten sollen in allen an dem Ver-
bände beteiligten Staaten volle gesetzliche Zahlungskraft besitzen und den
einzelnen Staaten im Verhältnis zu ihrer gegenwärtig bestehenden Geld-
cirkulation als unverzinsliches Darlehen gewährt werden. Jeder Staat
würde übrigens berechtigt sein, nach einer bestimmten Kündigungsfrist
aus dem Verbände auszutreten, wobei er die ursprünglich erhaltene
Notensumme der internationalen Kontrollkommission zur Vernichtung
zurückerstatten müfste. Aufser diesen internationalen Noten ist jeder
Staat aber auch berechtigt, nach Mafsgabe seines Verkehrsbedürfnisses
nationale Noten auszugeben, die nur in seinem eigenen Gebiete gesetz-
liche Geltungskraft besitzen. Um alle Erschütterungen zu vermeiden,
wäre die Gesamtsumme der internationalen und der nationalen Noten dem
Gesamtbetrage des zur Zeit der Annahme des Systems vorhandenen Gold-,
Silber- und Staatspapiergeldes gleichzusetzen.
Die Einziehung des Edelmetallgeldes würde, wenn die öffentliche Mei-
nung mit dem neuen Geldwesen einverstanden wäre, ebensowenig Schwierig-
keiten machen, wie bei der Einführung des Heyn'schen Systems, da ja
bei dem Gelingen der Reform ein bedeutendes Sinken des Goldpreises zu
erwarten wäre und daher jeder sich beeilen würde, sein Gold noch zu
dem höchsten Preise gegen Papiergeld zu verwerten. Das angesammelte
Gold und Silber würde also in den Staaten mit Metallwährung zunächst
Mi6 zellen. 261
eine volle Deokung für die ausgegebenen Noten darbieten und wesentlich
zur Befestigung des Vertrauens dienen; sollte der Plan mifslingen, so
könnten die Noten wieder gegen die eingezogenen Münzen eingelöst
werden.
Der Verkauf des Goldes und Silbers soll erst später und möglichst
vorsichtig geschehen ; doch macht der Verfasser sich Illusionen über das
Ergebnis desselben, denn in je gröfserem Umfange die Durchführung
seines Systems gelänge, um so gröfser würde die Einbufse bei diesem
Verkaufe sein. Die schliefsliche Entwertung des Goldes würde noch
gröfser sein als bei dem Heyn'schen System , da dieses dem Golde
wenigstens noch die Verwendung als internationales Ausgleichungs-
mittel läfst.
Die Regelung der Menge der nationalen Noten soll in jedem Staate
nach dtm Prinzipe erfolgen, dafs dieselben auf dem Pariwerte mit den
internationalen Noten zu erhalten sind. Sinken sie also im Kurse gegen
die letzteren, so ist der Staat verpflichtet, so viel von ihnen einzuziehen,
dafs sie wieder auf ihren normalen Wert steigen. Zur Erleichterung
dieser Kursausgleichung soll auch eine staatliche Notenbank errichtet
werden, deren Noten zu einem Teile durch Staatspapiergeld, im übrigen
aber durch kurzfristige Wechsel und Lombardforderungen zu decken
wären. Diese könnte dann also auf die gewöhnliche Weise durch ihre
Diskontopolitik auf die Wechselkurse einwirken. Das regulierende Prinzip
für das nationale Papiergeld entspricht also bei Parnes, abweichend von
Heyn, dem Ricardo'schen, aber mit dem Unterschiede, dafs der inter-
nationale Mafsstab nicht durch das unregelmäfsig vermehrbare Gold,
sondern durch das internationale Papiergeld, das zunächst gar nicht und
auch später nur rationell und planmäfsig zu vermehren wäre, gegeben
würde. Wenn das vorgeschlagene Verfahren streng eingehalten werden
könnte, so würde damit in der That die konstante Gleichwertigkeit der
Noten der verschiedenen Länder gegeneinander gesichert sein. Als
weiteres Hilfsmittel zu einer ausgleichenden Einwirkung schlägt der Ver-
fasser in einem nachträglichen Zusätze noch vor, dafs auch jede Staats-
notenbank noch eine Reserve in internationalen Noten halten, die auf
Verlangen jederzeit gegen nationale Noten ausgetauscht werden sollen.
Strömten zu viele von diesen Noten ab, so wäre dies ein Beweis für
eine zu grofse Expansion des nationalen Notenumlaufes.
Die Wechselkurse der verschiedenen Länder könnten also bei dem
Parnes'schen System der Theorie nach leichter stabil gegen einander ge-
halten werden als bei dem Heyn'schen, aber nur unter der Voraussetzung,
dafs auch die wirtschaftlich schwächeren Länder immer imstande sein
würden, bei ihren staatlichen Emissionsanstalten oder ihren Privatbanken
eine genügende Summe internationaler Noten in Vorrat zu halten, um
allen Zahlungsverbindlichkeiten im Auslande gerecht zu werden. Für die
stark verschuldeten Staaten aber würde die Erfüllung dieser Bedingung
ebenso schwierig sein, wie gegenwärtig die Beschaffung von Gold, ja nooh
schwieriger, da die Menge des verfügbaren Goldes- jährlich durch neue
Produktion doch thatsächlich mehr zunimmt, als die Gesamtsumme der
internationalen Noten vermehrt werden könnte. Und wenn ein solches
262 Misz eilen.
Land auch zu einer gegebenen Zeit einen bedeutenden Bestand an Noten
dieser Art besäfse, so würde es ihn bei fortdauernd stark unterwertiger
Zahlungsbilanz entweder gar nicht oder nur teilweise durch Vermittelung
eines Agios festhalten können. Denn eine Verminderung der nationalen
Noten in solchem Grade , dafs durch eine grofse Herabdrückung aller
Preise (die übrigens erst im Gefolge einer Krisis eintreten würde) eine
zur Ausgleichung der Zahlungsbilanz genügende Warenausfuhr erzwungen
werden könnte, würde den Widerstand aller produktiven Klassen hervor-
rufen und sich bald als undurchführbar erweisen. Sie entspräche auch
nicht der wirtschaftlichen Gerechtigkeit, denn es würde sich in solchen
Fällen nicht darum handeln, eine unberechtigte Preissteigerung infolge
von Inflation zu verhindern, sondern es müfsten die inländischen Waren,
auch wenn sie gleich viel Arbeit gekostet hätten, wie die ausländischen,
im Preise unter die letzteren herabgesetzt werden, und diese Verbilligung
würde sich nicht nur auf die wirklich ausgeführten, sondern auf die Ge-
samtheit aller inländischen Produkte erstrecken, zum Nachteil für alle
Schuldner und für alle Produzenten mit festgelegtem Anlagekapital und
nicht sehr raschem Umlauf des Betriebskapitals. Für ein verschuldetes
Land würde also unzweifelhaft eine gewöhnliche Papierwährung mit Agio
für das internationale Zahlungsmittel, aber mit gleichbleibender Menge
des nationalen Papiergeldes und einem nach richtigen Grundsätzen ver-
mehrbaren Banknotenumlauf volkswirtschaftlich vorzuziehen sein. Der
Wechselkurs auf das Ausland steigt dann so hoch, bis eine genügende
Warenausfuhr zur Deckung des Saldos zustande kommt, aber die
Preise im Inlande werden von dieser Bewegung nur wenig beeinflufst.
Hier kommen wir nun auch auf die Frage, wie die erste Verteilung
der internationalen Noten stattfinden soll. Der Verfasser meint einfach
durch ein zinsfreies Darlehen an die einzelnen Staaten nach Verhältnis
ihres Geldumlaufs. Aber wenn der Plan dauernd gelänge, so würde
dieses Darlehen einfach zu einem Geschenk werden und für die Papier-
währungsstaaten, die das frühere internationale Zahlungsmittel, das Gold,
nicht oder in durchaus ungenügender Menge besessen hätten, würde es
ein grofser Gewinn sein , wenn sie mit dem neuen unentgeltlich aus-
reichend ausgestattet würden. Indes hätte die Sache auch ihre Schatten-
seite. Nehmen wir mit dem Verfasser an, dafs in Oesterreich 800 Mill.
Gulden cirkulieren und dafs diese durch 300 Mill. in internationalen und
500 Mill. in nationalen Noten ersetzt würden. Wenn nun der durch das
Agio zurückgehaltene Goldvorrat des Landes nur 150 Mill. Gulden be-
tragen hätte und die Zahlungsbilanz infolge finanzieller Verschuldung
dauernd ungünstig wäre, so würden bald 150 Mill. in internationalen
Noten abfliefsen und demnach die Gesamtsumme der Umlauf smittel auf
650 Mill. herabgebracht werden. Zunächst würde dieser Ausfall durch
Kredithilfsmittel gedeckt werden können, jede Erschütterung des Kredits
aber würde eine Krisis herbeiführen, nach der die Preise sich infolge der
eingetretenen Geldverminderung nicht mehr auf ihr früheres Niveau heben
könnten und somit die schädlichen wirtschaftlichen Folgen einer Geld-
verteuerung hervortreten würden. Wollte man aber die ausgeströmten
internationalen Noten einfach durch eine Mehrausgabe von nationalen
M i s z e 1 1 e n. 263
ersetzen, so läge es so offen zu Tage, dafs das Papierwährungsland ein
Geschenk erhalten hätte, dafs die Zustimmung der übrigen Staaten zu
solcher Liberalität sicherlich nicht zu erlangen wäre. Ueberhaupt würde
die erste Verteilung der internationalen Noten praktisch nur in der Weise
geregelt werden können, dafs jeder Staat nur so viel erhielte, als er gegen
Hinterlegung von Gold und Silber (zum Marktpreise) übernehmen könnte.
Es würden dann die Geldverhältnisse der verschiedenen Länder in den-
selben Beziehungen zu einander bleiben und keine einseitigen Begünsti-
gungen der Papierwährungsländer stattfinden. Freilich bliebe dann für
die letzteren die Ueberwindung des Agios mindestens ebenso schwierig,
wie unter der Goldwährung.
Im ganzen ergiebt sich, dafs sowohl das Heyn'sche wie das Parnes'sche
System sich nur in Ländern ohne ständige internationale Verschuldung
behaupten könnte, also in denen, die gegenwärtig imstande sind, eine
effektive (wenn auch noch nicht reine) Goldwährung aufrecht zu erhalten.
Feste Wechselkurse würden daher, ebenso wie bisher, nur innerhalb dieses
Kreises von reichen und wirtschaftlich mächtigen Staaten zu erwarten
sein. Krisen infolge von Ueberspekulation , übermäfsiger Kreditentwicke-
lung und Schwindel würden aber auch in diesen Staaten bei beiden
Systemen ebenso leicht vorkommen können, wie gegenwärtig, bei der von
Heyn in erster Linie vorgeschlagenen Regelung der Notenmenge nach
dem Prinzip der Gleichmäfsigkeit des Zinsfufses sogar noch leichter.
Auch die Warenpreise würden bei gleich bleibendem Papiergeldbestande
mit Hilfe des Wechsel-, Check-, Giro- und Clearingbankverkehrs ebenso
grofse Schwankungen erfahren können wie bisher unter der Goldwährung,
da solche Schwankungen nachweislich ganz unabhängig von der Menge
des Geldes entstehen können.
Ein sehr bedeutender Verlust durch die Entwertung des Goldes
würde unvermeidlich sein, wenn auch nur die zunächst in Frage kommen-
den Hauptstaaten das eine oder das andere System annähmen. Man
könnte freilich sagen, dieser Verlust würde ja weit mehr als ausgeglichen
durch den Wert des an die Stelle des Goldes tretenden Papiergeldes, aber
die öffentliche Meinung wird schwerlich geneigt sein , den Sachwert des
Goldes und den Kreditwert des Papiergeldes in solchem Grade als gleich-
artig anzuerkennen. Ueberdies aber würde die Entwertung auch den ge-
samten Vorrat an verarbeitetem Golde treffen, der seinem Gewichte
nach wahrscheinlich nicht kleiner ist, als der in der Form von Münzen
vorhandene.
Erwägt man ferner, wie viel instinktives Mifstrauen gegen die poli-
tischen, wirtschaftlichen und sozialen Zustände in der Kulturwelt noch
besteht, wie infolgedessen das Papiergeld trotz der günstigen neueren
Erfahrungen noch immer nur als ein Notbehelf und nur dasjenige Geld,
das seinen Wert voll in seinem Stoffe in sich trägt, als wirklich sicher
angesehen wird, so wird man nicht bezweifeln können , dafs die hier be-
trachteten Zukunftspläne in absehbarer Zeit niemals eine freiwillige Auf-
nahme bei den Staaten finden werden. Wohl aber ist es möglich, dafs
Systeme dieser oder ähnlicher Art im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts
unter dem Druck der Umstände und dann in organischem Wachstum und
264 Miszellen.
mit genügender Festigkeit sich herausbilden werden. Wenn die Demone-
tisierung des Silbers in ihrem gegenwärtigen Umfange endgiltig bestehen
bleibt, werden sioh immer mehr Staaten genötigt sehen, zur Papierwährung
überzugehen. Man wird dann auch immer mehr lernen, eine Papier-
geld Wirtschaft richtig und mit möglichst geringem Nachteil für das Ge-
meinwohl zu leiten , die Erinnerungen an die früheren schlimmen Er-
fahrungen werden sich verwischen und die Menschheit wird sich immer
mehr mit dem Gedanken an die Möglichkeit eines streng rationellen
Papiergeldes vertraut machen. Andererseits ist es nicht unwahrscheinlich,
dafs schon nach fünfzig Jahren die Zeit der dauernd fortschreitenden Ab-
nahme der Goldproduktion gekommen sein wird, und dann wird auch in
den wirtschaftlich obenan stehenden Staaten die Aufrechterhaltung der
reinen Goldwährung sich bald als unmöglich oder wirtschaftlich schädlich
erweisen. Man wird dann aber in diesen Staaten angesichts der weiten
Verbreitung des Papiergeldsystems nicht etwa zur Silberprägung zurüok-
kehren, sondern ebenfalls das Papiergeld zu Hilfe nehmen , anfangs viel-
leicht nach den Plänen von Eicardo oder Heyn, später vielleicht mit
einer dem Parnes' sehen Projekt nahekommenden Organisation. An die
internationalen Noten liefse sich auch ein internationales Clearingsystem
anschliefsen, wie es von J. Wolf vorgeschlagen worden ist. So dürfte
also die Idee des rationellen Papiergeldes um so mehr zur Verwirklichung
gelangen, je mehr das Gold infolge der Unzulänglichkeit seiner Produktion
aus dem Gelddienste ausschiede, wobei sich dann zugleich die Möglichkeit
ergäbe, dafs der Uebergang sich vollzöge ohne die grofse Entwertung
des Goldes, die unter den Verhältnissen der Gegenwart und der nächsten
Zukunft mit jedem Versuch der Ausführung des Heyn'schen oder Parnes-
schen Planes verbunden sein würde.
M i s z e 1 1 e n. 265
V.
Die Fürsorge für die Arbeitslosen in England.
Von Max von Hecke 1.
Beport on Agencies and Methods for Dealing with the Uuemployed.
Board of Trade — Labour Departement. Presented to both Houses of
Parliament by Commaud of Her Majesty. London 1893.
Die vorliegende Denkschrift giebt Aufschlufs über die Ergebnisse
einer Enquete, welche das britische Arbeitsamt über die Arbeitslosigkeit
in England unternommen hat. In einem dem Unterhause am 28. April
1893 vorgelegten Memorandum hatte diese Behörde zwei Hauptpuukte
für die eingehendere Untersuchung ins Auge gefafst. Einerseits sollten
nämlich die Ursachen und die Ausdehnung der unregelmäfsigen Be-
schäftigung der Arbeiter ermittelt werden, welche so häufig zu kürzerer
oder längerer Arbeitslosigkeit führen. Andererseits aber wurde eine Dar-
stellung derjenigen Mittel und Wege geplant, durch welche eine Linde-
rung der Folgen der Arbeitslosigkeit im vereinigten Königreiche versucht
wurde. Die vorliegende Veröffentlichung beschäftigt sich ausschliefslich
mit dem zweiten Gegenstande des Programms als dem praktisch wich-
tigeren und sozialpolitisch belangreicheren. Die andere Seite des Problems
soll einem späteren Blaubuche vorbehalten werden. Die Veröffentlichung
beabsichtigt, vor allem die wichtigsten Kategorien der ständigen und un-
ständigen Einrichtungen zur Bekämpfung der Uebelstände aus der Arbeits-
losigkeit in einer knappen Uebersicht zu veranschaulichen. Im grofsen
und ganzen erstreckt sich das vorgeführte Material auf jene Veranstal-
tungen, welche sich die zeitweilige Unterhaltung der aus ihrem Erwerbe
geschleuderten Personen bis zum Wiedereintritt in eine Arbeitsstelle zum
Ziele gesetzt haben. Die Erhebungen über die Organisation des Arbeits-
nachweises und der Arbeitsvermittelung sind dagegen mehr in die zweite
Linie zurückgestellt.
Die Enquete teilt den Stoff in zwei grofse Gruppen. Der erste Ab-
schnitt beschäftigt sich mit den dauernden , ständigen Einrichtungen zu
gunsten der Arbeitslosen. Er schildert zunächst die Thätigkeit der Ge-
werkvereine für ihre beschäftigungslosen Mitglieder, die Versuche der
Unterstützungsvereine, der Arbeitsvermittelungsbureaux und der Verding-
anstalten für Frauen und Mädchen. Im Anschlüsse hieran werden die
besonderen Einrichtungen zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit geschildert,
wie die Zeitungsagenturen , die Agenturen für die Verdingung von See-
266 Miszellen.
leuten und verabschiedeten Soldaten und endlich solche für die Arbeitsver-
mittelung für entlassene Sträflinge. Schliefslich werden noch Einrichtungen
allgemeinen Charakters behandelt, so das Unterstützungswesen nach
Armenrecht, die Unterstützung durch Wohlthätigkeits- und ähnliche
Vereine, ferner die Thätigkeit der Church Army Labour Homes , die
soziale Aktion der Heilsarmee, der Training Farm zu Langley und endlich
der Colonizalion Society. Im Gegensatz hierzu beschäftigt sich der zweite
Abschnitt der Enquete mit den vorübergehenden , unständigen Veranstal-
tungen im Interesse der Arbeitslosen durch die Gemeindeverwaltungen,
die Unterstützungsgesellschaft der Mansion House Conference (1892 — 93)
und schliefslich mit dem Unterstützungswesen in Irland.
Diesen beiden Hauptabschnitten sind zwei umfassendere Exkurse bei-
gegeben. Der erste hat die Entwickelung der Arbeiterkolonien auf dem
Kontinent zum Gegenstand und beschreibt die Arbeitsbureaux und Arbeits-
börsen in Frankreich und das Industriebureau in Neuseeland. Der zweite
dagegen führt den Leser in das Bereich der geschichtlichen Beispiele der
Materie. Hier werden wir mit dem System der Arbeitslosenbeschäftigung
nach dem älteren englischen Armenrechte, mit der Geschichte der fran-
zösischen Nationalwerkstätten im Jahre 1848 und den Lancashire Cotton
Famine Relief Works in den Jahren 1861 bis 1864 bekannt gemacht.
Der Bericht auf den folgenden Blättern will in gedrängter Kürze
die Ergebnisse der veranstalteten Enquete wiedergeben. Um den uns
vom Herrn Herausgeber dieser Zeitschrift zur Verfügung gestellten Raum
nicht zu überschreiten , müssen wir uns darauf beschränken , die wichtig-
sten Mafsregeln, die typischen Erscheinungen zu charakterisieren und für
die Einzelheiten auf die Publikation selbst verweisen.
I.
Der Grundzug der ganzen sozialpolitischen Wirksamkeit zu gunsten
der Arbeitslosen in England ist das Prinzip der Selbsthilfe. Alle Ver-
anstaltuugen zur Bekämpfung der Folgen dieser volkswirtschaftlichen
Krankheit gehen — - abgesehen von der Aktion der Gemeinden — von
privaten Vereinen, von auf dem Grundsatze der Freiwilligkeit fufsenden
Organisationen aus. Nirgends finden wir eine unmittelbare Inanspruch-
nahme staatlicher Bethätigung. Ein weiteres bedeutsames Merkmal ist die
Fürsorge für die Arbeitslosen in Gestalt gewährter Unterhaltungsbeiträge
durch die verschiedenen Institute oder doch die Beschaffung neuer Arbeits-
gelegenheit durch die Gemeinden. Die Versuche, einen Arbeitsnachweis
zum Behufe der Arbeitsvermittelung zu organisieren, treten überall in die
zweite Linie zurück. Allgemein ist eben hier das Streben nach möglichst
unmittelbarer Hilfeleistung zu beobachten, während der Ausgleich zwischen
Arbeitsmangel und Arbeitsüberfiufs als ein sekundäres Moment betrachtet
wird. Ebenso charakteristisch ist es für den Geist, der die Arbeitslosen-
fürsorge beherrscht, dafs der praktische, konservative Sinn des Briten
allenthalben eine möglichst enge und scharfe Angliederung an bestehende
Einrichtungen sucht, und thunlichst die Bildung von neuen Organisationen,
natürlich wiederum abgesehen von der Aktion der Gemeinden, zu ver-
meiden sucht.
M i s z e 1 1 e n. 267
Unter allen Veranstaltungen der Seibathilfe beim Problem der Arbeits-
losigkeit stehen die Leistungen der englischen Gewerkvereine
obenan. Sie allein haben auf diesem Gebiete Zulängliches erzielt. Die
Gewerkvereine erblicken nämlich gerade in der Fürsorge für ihre stellen-
losen Mitglieder einen ihrer Hauptzwecke und haben auch diesen that-
sächlich in grofsartigstem Mafsstabe durchzuführen gewufst. Aufserhalb
des britischen Bodens ist nirgendwo in ähnlichem Umfange eine Versiche-
rung der Arbeiter gegen die Wirkungen der Beschäftigungslosigkeit ge-
schaffen worden :). Die meisten Gewerkvereine unterstützen ihre aus
Arbeitsstellen verdrängten Genossen durch Arbeitslosenbeiträge , Reise-
unterstützungen oder Einrichtungen zum Behufe der Arbeitsvermittelung.
Andere hinwiederum versuchen wenigstens durch entsprechende Regelung
der Arbeitszeit eine Ausgleichung und bessere Verteilung der Arbeits-
gelegenheit herbeizuführen oder wollen durch anderweite Mafsnahmen
die Wirkungen der schwankenden Nachfrage nach Arbeitskräften ein-
dämmen. Sie vermögsn als Verbindungen der Arbeiter spezieller Gewerbs-
arten mit mannigfachen Verzweigungen nach allen wichtigeren Industrie-
zentren hin die Fluktuationen des Arbeitsbedarfes zu verfolgen und die
Lage des Geschäfts zu beurteilen. Da aber die Mittel zum Unterhalte
ihrer arbeitslosen Genossenschafter aus den Beitragsleistungen Aller auf-
gebracht werden müssen, so haben die Mitglieder der Gewerke ein leb-
haftes Interesse daran, die Beschäftigungslosen möglichst rasch wieder in
Arbeit zu bringen und darüber zu wachen, dafs die Gewerkskasse nicht
durch Auszahlungen an solche Personen allzusehr belastet werde, welche
ein müfsiges Lazzaronileben selbst bei dürftigster Lebenshaltung ange-
strengter, wenn auch besser bezahlter Arbeit vorziehen. Darum sind auch
die Gewerkvereine in dieser Richtung als Kontrollorgane anderen In-
stanzen, wie Gemeinde oder Staat, überlegen, wo kein so lebhaftes Be-
streben Aller, Mifsbräuche zu verhüten, zum Ausdruck gelangen kann.
Die Formen der Unterstützungen , welche die Gewerkvereine ihren
Mitgliedern gewähren, lassen sich in vier Gruppen zusammenfassen.
Die Arbeitslosenbeiträge (Unemployed Benefit, Out-of-Work-
Benefit, Gift, Donation) sind wöchentliche Unterstützungen, welche von
den Gewerkvereinen den Mitgliedern während der Zeit der Arbeitslosig-
keit gewährt werden. Im Jahre 1891, dem letzten, aus welchem eine
vollständige Statistik vorliegt, haben 202 Gewerkvereine mit 682 025 Mit-
gliedern im ganzen 222 088 £ an arbeitslose Genossen verteilt. Der
Höhe nach sind die Wochenbeiträge in den einzelnen Gewerkvereinen
sehr verschieden, wobei es Regel ist, die Unterstützungen von Woche zu
Woche in einer sinkenden Skala zu gewähren. Der Gewerkverein der
vereinigten Zimmerleute und Schreiner beispielsweise bewilligt für die
ersten 12 Wochen einen Beitrag von je 10 sh., welcher sich für die
folgenden 12 Wochen auf 6 sh. ermäfsigt. Der Höchstbetrag der Arbeits-
losenunterstützung innerhalb eines Jahres , auf welche ein ordentliches
1) Vergl. hierzu neuerdings Georg Adler, Ueber die Aufgaben des Staates
angesichts der Arbeitslosigkeit. Akademische Antrittsrede. Tübingen, Laupp, 1894.
S. 13 ff.
268 Mis zellen.
Mitglied Anspruch erheben kann, beträgt 9 iß 12 sh. (192 M.). Andere
Gewerkvereine dagegen, wie der Gewerkverein der Londoner Wagenbauer,
beginnen mit einem Anfangssatze von 18 sh. in der Woche, während
andere, besonders der Textilbranche angehörige Gewerkvereine, mit viel
niedrigeren Unterstützungen , z. B. 3 sh. 6 d. wöchentlich anfangen. Da
hohe Arbeitslosenbeiträge leicht die Gefahr mit sich bringen , aus dem
Arbeitslosen trotz aller Vorsicht und Wachsamkeit einen arbeitsscheuen
Arbeiter zu machen , so hat man gewisse Kautelen zu schaffen gesucht.
Darum bringen verschiedene Vereine die gewöhnlichen Mitgliederbeiträge
zur Gewerkvereinskasse von der Arbeitslosenunterstützung in Abzug, wie
der Gewerkverein der Messingarbeiter und Eisengiefser, andere hingegen
lassen die Vereinsbeiträge während der Beschäftigungslosigkeit ruhen.
Dritte Gewerkvereine endlich, namentlich die Buchdrucker, ziehen nur
einen Bruchteil der Beitragsleistuug ein, solange ein Mitglied sich aufser
Stellung befindet. Desgleichen pflegt es Grundsatz zu sein, das Bezugs-
recht von Unterstützungen an eine gewisse Dauer der Mitgliedschaft zu
binden, welche bei den einen Verbänden längere, bei den anderen kür-
zere Zeit währt. Genossenschafter, welche vor Ablauf dieser Zeit in
Arbeitslosigkeit verfallen, empfangen entweder gar keine oder doch wesent-
lich gekürzte Arbeitslosenbeiträge. Um eine Unterstützung zu erlangen,
hat jeder Arbeitslose ein Arbeitslosenbuch (Vacant Book) in bestimmten
Zeiträumen zu unterzeichnen. Hierdurch übernimmt er die Verpflichtung,
fleifsig nach Arbeit zu suchen und jede sich ihm bietende ,, passende",
d. h. der Branche angemessene Arbeitsstelle anzunehmen. Wer durch
eigene Schuld arbeitslos geworden ist, verwirkt damit den Anspruch auf
den Unterhaltungsbeitrag durch den Gewerkverein. Indessen tendiert die
Praxis der Gewerkvereine immerhin dahin, die Schuldfrage in zweifel-
haften Fällen zu gunsten des Arbeitslosen zu entscheiden.
Die Verteilung der Gewerkvereine nach ihrer technischen Eigenart
gestaltet sich folgendermafsen. Von den erwähnten 202 Gewerkvereinen,
welche an ihre Mitglieder Unterstützungen im Falle der Arbeitslosigkeit
gewähren, gehören 40 mit 175 544 Mitgliedern den Gewerken der Eisen-
industrie, dem Maschinen- und Schiffsbau an, 23 mit 97 703 Genossen-
schaftern den Baugewerken, 41 mit 94 881 Genossen der Textilindustrie,
13 mit 65 998 Mitgliedern den Bekleidungsbranchen, 19 mit 34 715 Ge-
nossenschaftern dem Buchdruckerei- und Buchbindergewerbe, 28 mit 25 185
Mitgliedern der Möbelfabrikation und den verwandten Gewerbszweigen,
wie den Gewerkvereinen der Kunsttischler, Wagenbauer, Böttcher, der
Kork-, Glas-, Leder- und Töpferarbeiter, und endlich 10 Gewerkvereine
mit 87 535 Arbeitern dem Bergbau und den verwandten Produktions-
zweigen.
Neben den Unterhaltsbeiträgen gewährt eine Reihe von Gewerk-
vereinen ihren stellenlosen Genossenschaftern noch besondere Wander-
oder Reiseunterstützungen (Travelling Benefit). Diese Zusatz-
leistung verfolgt den Zweck, die Arbeitslosen in den Stand zu setzen,
auch auswärts ihre Arbeitskraft auszubieten. Bei einzelnen Gewerkver-
einen, so namentlich bei denjenigen der Baugewerke, ersetzt die Reise-
unterstützung die Arbeitslosenbeiträge überhaupt. Der normale Satz be-
Mi sz eil en. 269
trägt dann in der Regel 1 sh. 6 d. für den Tag. Zur Vermeidung do-
loser Ausbeutung sind gewisse Beschränkungen für den Bezieher eingeführt.
Die Wandergesellen sind gehalten, ohne Unterlafs von Ort zu Ort zu
gehen, sie dürfen sich, ohne Arbeit gefunden zu haben, nirgendwo längere
Zeit aufhalten. Die Zahl der Tage innerhalb eines Jahres, an welchen
sie eine solche Unterstützung geniefsen können, ist genau begrenzt und
ebenso ist der Bezirk für ihre Wanderung der leichteren Kontrolle halber
vorgezeichuet. Immerhin waren die Erfahrungen mit diesen Reiseunter-
stützungen mehrfach keine erfreulichen. Besonders in den Sommermonaten
hat es sich öfters gezeigt, dafs dieselben vou zum Herumschweifen hin-
neigenden Genossen in Anspruch genommen wurden, und an Stelle die
Arbeitssuche zu erleichtern, einzelnen Mitgliedern als Zuschufs zu einem
Reisegeld dienten. So gestaltete sich diese Unterstützung mit Hilfe der
während der Saison gemachten Ersparnisse zu einem Anreiz zum Herum-
reisen, ohne dafs die Aufsuchung einer neuen Arbeitsgelegenheit das ernst-
liche Ziel der Wanderung bildete. Infolgedessen haben mehrere Gewerk-
vereine, wie die typographische Vereinigung für Schottland, das System
der Wanderunterstützungen wieder beseitigt. Noch in bedenklicherem
Mafse erwuchsen derartige Schwierigkeiten bei einer Abart der Reise-
unterstützung, dem A u s wan d eru n gs gelde, welches im Jahre 1885
der Gewerkverein der Eisengiefser seinen Mitgliedern gewährte. Einzelne
Genossen liefsen sich die Unterstützung auszahlen , begaben sich auf die
Reise und kehrten, nachdem sie diesen Zuschufs verbraucht hatten, wieder
in den Schofs der Heimat zurück. Daher wurde schon nach einigen mifs-
glückten Versuchen das System des Auswanderungsgeldes wieder eingestellt.
In weit geringerem Grade ist bei den Gewerkvereinen das System des
Arbeitsnachweises und der Arbeitsvermittelung (Assistance
to Members in Obtaining Work) allgemein organisiert. Bei einzelnen Ge-
werkvereinen, wie z. B. bei demjenigen der Londoner Schriftsetzer, pflegen
die Unternehmer sehr häufig sich an den Verein zu wenden, um ihren
Bedarf an Arbeitskräften zu decken. Hierdurch wird die Zentralleitung
des Gewerkvereins zugleich zu einer Instanz der Arbeitsvermittelung.
Andere, wie der Gewerkverein der Dubliner Bäcker, verpönen bei Strafe
des Ausschlusses die Umgehung der Genossenschaft als Arbeitsvermitte-
lungsstelle. Immerhin bilden solche Fälle des organisierten Arbeitsnach-
weises die Ausnahme. Bei den meisten Gewerkvereinen ist die Arbeits-
suche der individuellen Initiative anheimgegeben. Die Vereinsthätigkeit
ist regelmäfsig auf die Bekanntmachung von vakanten Arbeitsstellen ge-
legentlich der gemeinsamen Versammlungen der Gewerkvereinsmitglieder
beschränkt. Auch wird die Anmeldung arbeitsloser Genossen bei Betrieben
durch den Verein gefördert. Das Mafs der Sorge, welche einzelne Ge-
werkvereine der Unterbringung stellenloser Genossenschafter zuwenden, ist
sehr verschieden. Besonders rührig ist in dieser Richtung der Gewerk-
verein der Dampfmaschinenbauer, während andere Vereine wie derjenige
der vereinigten Zimmerleute und Schreiner, kleine Prämien (Bonus) von
6 d. für diejenigen aussetzen, welche arbeitslosen Genossen Beschäftigung
verschaffen (taking them off the [vacant] Books). Die bedeutendsten Ge-
werkvereine veröffentlichen periodische Berichte, aus welcheu nach Di-
270 Mis zellen.
strikten der Stand des Arbeitsmarktes der Branche ersichtlich ist, und
verteilen diese an ihre Mitglieder. Andere, wie die Maschinenbauer,
Eisengiefser, Schriftsetzer u. dgl. m. stellen eine Liste der Werkstätten
ihres Industriezweiges nach Bezirken auf und überlassen es dann dem
Einzelnen, bei diesen um Arbeit nachzuforschen.
Endlich haben einzelne Gewerkvereine mehrfach Versuche angestellt,
durch eine angemessene Ausgleichung vorhandener Arbeitsge-
legenheit (Equalisation of Work) die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.
Und nicht selten ist es ihnen auch thatsächlich gelungen, hier Erfolge zu
erzielen. Besonders schritt man zu diesem Mittel in Zeiten der Geschäfts-
flauheit und wirtschaftlicher Depressionen, um so durch die gleichmäfsigere
Verteilung der Arbeiten, dieselben thunlichst für alle Mitglieder nutzbar
zu machen. Hier hat man entweder versucht, durch eine Verkürzung der
Arbeitszeit möglichst viele Arbeitskräfte unterzubringen oder man hat ein
System abwechselnder Beschäftigung unter den Arbeitern eingeführt oder
endlich überhaupt Mafsregelu ergriffen, die auf eine bessere Ausgleichung
der vorhandenen Arbeitsgelegenheit abzielen. Auch die Bestrebungen hin-
sichtlich der besonderen Bezahlung für Ueberzeit und Nachtarbeit be-
wegen sich in der gleichen Richtung. In verschiedenen Fällen beruhen
diese Bestimmungen auf Reglements der Gewerkvereine, vielfach aber
gründen sie auch in der eigenen Initiative von Fabrikanten, welche sich
entweder von arbeiterfreundlichen Motiven leiten lassen oder durch dieses
Verfahren beabsichtigen, den altbewährten Arbeiterstamm der Unternehmung
zu erhalten. Allerdings stöfst die Durchführung dieser Ausgleichung im
einzelnen auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten und verlangt ein ein-
gehendes Studium der besonderen Verhältnisse der betreffenden Gewerbs-
zweige, eine genaue Kenntnis des Arbeitsmarktes und insbesondere eine
zuverlässige Statistik über das Verhältnis der beschäftigten und nichtbe-
schäftigten Arbeiter einer Branche. Wünschenswert ist allerdings, dafs
die Gepflogenheit der Ausgleichung immer mehr Verbreitung finde, was
bei den dauernden Krisen ganzer Industriezweige von gröfster Wichtigkeit
sein würde.
II.
Von den übrigen Veranstaltungen im Rahmen privatwirtschaftlicher
Bethätigung kommen zunächst die Unterstützungsvereine (Friendly
Societies) in Betracht. Obwohl ursprünglich ihre Gründung auf andere
Zwecke zurückgeht, dieselben sich der Fürsorge ihrer erkrankten Mitglieder
widmen und regelmäfsig bei Todesfällen zu den Bestattungskosten einen
Geldbeitrag spenden, haben sie doch neuerdings eine gröfsere Thätigkeit im
Bereiche der Arbeitslosenunterstützung entfaltet. Dafs gerade diese Seite
der Bedürftigkeit verhältnismäfsig weniger ins Auge gefafst, liegt in dem
Umstände, dafs man in weiten Kreisen der Ansicht war, dafs die gewerk-
schaftlichen Organisationen in viel höherem Grade durch ihren eigentüm-
lichen Charakter befähigt seien, im Falle der Stellenlosigkeit zu sorgen als
die Unterstützungsvereine, welche naturgemäfs Angehörige aller Berufs-
klassen in sich schliefsen. Immerhin haben auch diese Vereine, wenigstens
die wohlhabenderen unter ihnen, es versucht, durch Eröffnung von Sub-
Miszellen. 271
skriptionen zu gunsten beschäftigungsloser Arbeiter, sowie durch Ge-
währung von Zuschüssen (Out-of-Work-Benefits) ihre Thätigkeit in den
Dienst der Fürsorge für die Arbeitslosen zu stellen. Für die richtige Be-
urteilung der Sachlage ist es von Bedeutung, dafs vor dem Gesetze über
die Gewerkvereine aus dem Jahre 1871 viele derselben als Unter-
stützungsvereine eingetragen waren. Hierdurch erscheint die Unter-
scheidung zwischen diesen beiden Gruppen von Korporationen nur sehr
gering. Der Gewerkverein der vereinigten Maschinenbauer war so bis
zum Jahre 1885 in der Form eines Unteretützungsvereins konstituiert.
In der Regel gründen solche Vereine zum Behufe der Unterstützung
ihrer arbeitslosen Mitglieder besondere Fonds, welche durch besondere
Beiträge zu diesem Zwecke gebildet werden. Der Charakter solcher
Leistungen ist teils der einer reinen Unterstützung, teils der eines Vor-
schusses gegen spätere Rückzahlung Andere dieser Gesellschaften unter-
halten die Beschäftigungslosen nicht aus speziellen Fonds, sondern eröffnen
von Fall zu Fall eine Subskription zu ihren Gunsten. Im grofsen und
ganzen ist die Arbeitslosenunterstützung durch diese Organisationen eine
immerhin volkswirtschaftlich und sozialpolitisch unerhebliche zu nennen.
Vielfach beschäftigen sie sich nur wenig oder nebenbei, häufig auch gar
nicht mit dieser Frage. Wo dies aber gleichwohl der Fall ist, gebricht
es an allgemeinen , typischen Grundsätzen der Aus- und Durchführung.
Wir haben es darum meist mit lokaler Thätigkeit, gelegentlicher Abhilfe
zu thun.
Eine geringere Bedeutung als in anderen Ländern haben in England
die Arbeitsnachweise-Bureaux (Labour Bureaux) und ähnliche
Veranstaltungen zur Arbeitsvermittelung erlangt. Eine Reihe von Ein-
richtungen, welche auch hier bemüht sind, Arbeitslose in Stellung zu
bringen, können nicht als „ Arbeitsbureaux ", d. h. Zentralstellen für die
Ausgleichung von Angebot und Nachfrage von Arbeitskräften, bezeichnet
werden, fallen vielmehr unter andere Kategorien der Fürsorge für die
Arbeitslosigkeit. Privatverdinganstalten finden sich nur für Dienstboten,
verabschiedete Soldaten , Seeleute und entlassene Sträflinge, welche aus
verschiedenen oder besonderen Ursachen schwer in Arbeit zu bringen sind.
Eigentliche Arbeitsvermittelungsstellen teils ständigen, teils unständigen
Charakters waren im Winter 1892 — 93 im ganzen 25 in Thätigkeit. Von
diesen waren 15 nur vorübergehend eingerichtet, während die 10 übrigen,
diejenigen zu Ipswich, Egham, Chelsea, Battersea, St. Pancras, Camber-
well, Westminster, Bloomsbury, Wolverhampton und Salford ständig funk-
tionieren.
Die unständigen Arbeitsnachweisbureaux wurden zum gröfsten Teil
im Verlaufe des Winters durch die Londoner Kirchengemeinden oder
andere Lokalbehörden in Verbindung mit den städtischen Notstandsarbeiten
errichtet. In London fand die Eröffnung dieser Stellen auf Ansuchen
des Gewerberates (Trades Council) statt. Manche derartige Anstalten
hatten lediglich den Zweck, den städtischen Arbeitsbedarf mit Arbeits-
kräften zu versorgen, ohne den Arbeitsnachweis für anderweite Arbeits-
gelegenheit zu organisieren. In anderen Fällen verfolgt man beide Ziele,
sowohl die Versorgung der städtischen Arbeiten mit Arbeitskräften, als
272 Mis zellen.
auch die Herstellung einer Instanz, an welche sich Arbeitgeber und Ar-
beitnehmer wenden konnten. Endlich bezweckten einige dieser Einrich-
tungen lediglich eine Arbeitervermittelung für eine begrenzte Zeit durch-
zuführen und waren dabei von gröfserem oder geringerem Erfolge be-
gleitet. Die ständigen Arbeiterbureaux zerfallen in zwei Klassen. Die
einen nehmen die Arbeitsuchenden ohne weiteres in ihre Register auf,
knüpfen die Aufnahme an keine Bedingungen, wie beispielsweise an den Wohn-
sitz innerhalb des Bezirks, für welchen das Bureau errichtet ist. Die
anderen unterwerfen den Arbeitslosen, welcher sich anmeldet, einer mehr
oder weniger eingehenden Prüfung. Es ist einleuchtend, dafs die Arbeits-
bureaux, welche den einzelnen Umständen, der früheren Beschäftigung,
der Qualität etc. des Arbeiters nachforschen, von den Arbeitgebern lieber
benutzt werden, weil sie hier tauglichere Kräfte zu finden hoffen, eine
gewisse Gewähr für die Brauchbarkeit zu haben glauben. Indessen bei
alledem bilden die Arbeitsbureaux in England doch im wesentlichen nur
sporadische Erscheinungen, welche in ihrer Wirksamkeit mit mancherlei
Hindernissen , finanziellen Nöten , Verwaltungsschwierigkeiten und vor
allem mit Mangel an Interesse seitens der Beteiligten zu kämpfen
haben.
Yon gröfserem Belange sind die V er din ga ns t al t e n für Frauen
und Mädchen (Kegistries for Women and Girls), die der vorgenannten
Gruppe nach Wesen und Zweck nahestehen. Hier hat man es regel-
mäfsig mit jungen Erauen und Mädchen zu thuu, welche gegen mancher-
lei wirtschaftliche und sittliche Gefahren eines besonderen Schutzes bei
der Stellensuche bedürfen. Die Unterbringung erstreckt sich dabei auf
die meisten weiblichen Berufsarten, auf die höheren wie niederen Stellungen
als Geschäftsgehilfinnen in Magazinen, Läden, Warenhäusern, sowie als
Gesinde. Der Arbeitsnachweis wird hier teils durch Verein sthätigkeit,
teils durch private Unternehmungen bewirkt. Von ersteren verdienen
zunächst zwei Gesellschaften, die Metropolitan Association for Befriending
Toung Servants (M. A. B. Y. S.) und die Girls Friendly Society (G. F.
S.) Erwähnung. Die M. A. B. J. S., welche im Jahre 1875 gegründet
wurde, hat es sich zur Aufgabe gemacht, vor allem für zwei Gruppen
verlassener junger Mädchen Fürsorge zu treffen, nämlich einerseits für
die Kinder, welche aus den „Armenschulen" Londons entlassen werden
und hilflos nach Broterwerb Umschau halten müssen und andererseits
für die verwahrlosten Kinder (children of the street). Auf diese Weise
wurden im Jahre 1892 3392 Mädchen untergebracht. Die Gesellschaft
unterhält in London 30 Filialen. Um aber diese Arbeiterinnen vorüber-
gehend gegen Gefahren zu schützen, bevor sie von der einen Stellung
zur anderen gelangen, hat die M. A. B. Y. S. in Verbindung mit 15 Filialen
Dienstbotenherbergen errichtet, wo dieselben Aufnahme finden. Der für
die Verpflegung zu errichtende B >ringfügige Betrag beläuft sich von
3 sh. 6 d. bis 6 sh. für die Woche und von 8 d. bis 1 sh. für den
Tag. Mädchen über zwanzig Jahre haben die höchsten Wochensätze,
7 und 8 sh. zu entrichten. Die G. F. S., gleichfalls 1875 gestiftet, hat
einen wesentlichen konfessionellen Charakter. Die Genossenschafter
(„Associates"), nicht aber die Mitglieder, haben dem anglikanischen
Miszellen. 273
Glaubensbekenntnis anzugehören. Die Organisation der Gesellschaft schliefst
sich der Verfassung der englischen Hochkirche an, und zerfällt in Diö-
zesen, Ruridekanate und Kirchspiele. Die Mitglieder sind entweder „Ge-
nossenschafter" oder einfache Mitglieder. Wenn ein Mitglied den Aufent-
halt wechselt, so mufs dessen Genossenschafter dasselbe mit einer „Em-
pfehlung" (commendation) an die Filiale des Vereins ausrüsten. Ist
keine Filiale an dem neuen Aufenthaltsorte, so ist die Empfehlung an
den nächstgelegenen Tochterverein , eventuell an den Pfarrer des be-
treffenden Kirchspiels zu richten, damit sich diese des Mitglieds annehmen,
für seine Unterkunft sorgen und an seinem Wohlbefinden Anteil nehmen,
Die Gesellschaft zählt, einschliefslich 15 081 Genossenschaftern der ar-
beitenden Klasse, 138 910 Mitglieder, unter welchen fast alle weiblichen
Berufsarten vertreten sind. Die M. A. B. Y. S. und die G. F. S. stehen in
einem Kartellverhältnis und ergänzen sich wechselseitig. Nur beschäftigt
sich die Abteilung für Arbeitsvermittelung der G. F. S. fast ausschliefs-
lich mit der Unterbringung weiblicher Dienstboten.
Endlich befinden sich in allen Teilen Englands private S teilen -
vermittelungsbureaux für Dienstboten (Private Registries
for Domestic Servants), welche gegen bestimmte Gebühren Beschäftigung
nachweisen. So z. B. befindet sich in London ein grofses Bureau, welches
sich vornehmlich die Arbeitsvermittelung des besseren Dienstpersonals
für das vereinigte Königreich zur Aufgabe macht und je nach Höhe des
Lohnes oder Gehaltes 2 sh. 6 d. bis 10 sh. als Vermittelungsgebühr er-
hebt. Die Anstalt wird sowohl von Arbeitgebern als von Stellesuchen-
den benutzt. Im Jahre 1892 erhielt das Bureau 38 595 Anfragen von
Arbeitgebern und 36 580 von Arbeitnehmern. Die Gebühren anderer
Verdinganstalten, welche sich vornehmlich mit der Unterbringung der
eigentlichen Dienstbotenkategorie befassen, sind bei weitem niedriger.
Dem Namen nach mögen hier als Arbeitsvermittelungsinstitute er-
wähnt werden die Zeitungs- und Annoncenagenturen. Dann
nooh die besonderen Anstalten für den Arbeitsnachweis ausgedienter
Soldaten, verabschiedeter Seeleute und entlassener
Sträflinge, Organisationen, welche in den Händen privater Vereine
liegen und welche in Gemäfsheit der Eigenart ihres Zweckes, den sie
verfolgen, einer zuweilen sehr schwierig durchzuführenden Regelung be-
dürfen,
III.
Neben diesen Versuchen, die Arbeitslosigkeit als eine stets wieder-
kehrende Krankheit des "Wirtschaftslebens zu bekämpfen , kommt eine
Gruppe von Veranstaltungen in Betracht, welche für Stellenlose infolge von
solchen Fluktuationen des Arbeitsmarktes Fürsorge treffen, die auf aufser-
ordentliche, exceptionelle Umstände zurückzuführen sind. Naturgemäfs
zerfallen diese Einrichtungen je nach der Dauer, auf welche sie berechnet
sind, in ständige und vorübergehende.
Unter den ständigen Instituten nehmen Armenrecht und Ar-
menpflege den breitesten Raum ein. Ein wesentlicher Charakterzug
des Armenrechtes ist es, dafs dasselbe sich nicht mit der Arbeitslosigkeit
Dritte Folge Bd. VIII (LXIU). j o
274 Miszellen.
und ihren wirtschaftlichen Folgen an sich beschäftigt, sondern für jeden
Notstand, aus welchen Ursachen derselbe immer entsprungen sein mag,
Fürsorge zu treffen sucht. Die Unterstützung nach Armenrecht indivi-
dualisiert von Fall zu Fall, ohne auf den Wert der geleisteten Arbeit
Rücksicht zu nehmen. Sie behandelt einen Bedürftigen ohne Familie
anders als einen Arbeitslosen, welcher noch für Angehörige zu sorgen
hat, obwohl die in Gestalt von Arbeitslohn bezahlte Arbeit in beiden
Fällen die gleiche ist. Endlich wird das System der Armenpflege da-
durch gekennzeichnet, dafs die Armenverwaltung, gewisse Bedingungen
vorausgesetzt, jeden Hilfsbedürftigen unterstützen mufs. Dieselbe befindet
sich nicht in der Lage privater Vereine, welche unter verschiedenen
Möglichkeiten die Auswahl haben, welche den einen unterstützen können,
während sie den anderen abweisen. Auch können die Armenpfleger nicht
wie städtische Behörden die tauglichsten und brauchbarsten Arbeitslosen
für die gemeindlichen Notstandsarbeiten einstellen und die weniger an-
wendbaren Kräfte abschütteln. Dadurch unterscheidet sich das Armen-
recht wiederum von den anderweiten Einrichtungen und Veranstaltungen
der Fürsorge für die Arbeitslosen. Auf die materielle Seite , auf die
Formen, Voraussetzungen und die Durchführung der Grundsätze der eng-
lischen Armengesetzgebung soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen
werden, nachdem dessen Grundsätze allgemein bekannt und erst neuer-
dings in zusammenfassender Darstellung von sehr sachkundiger Hand be-
arbeitet worden sind *). Im allgemeinen läfst sich auch hier nicht in
Abrede stellen , dafs die Fürsorge für die Arbeitslosen durch das
System der Armenpflege bestenfalls nur leisten kann, dafs eben thatsäch-
lich niemand verhungert. Dagegen ist seine Wirksamkeit ohnehin auf
ein ziemlich enges Gebiet beschränkt, mit der Armenunterstützung sind
vielfach politische wie soziale Nachteile verbunden, mit ihr ein starker
Zwang und gewissermafsen eine Herabdrückung der bürgerlichen Stellung
verknüpft. Darum wird die Armenpflege immer nur ein höchst mangel-
hafter Notbehelf für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in der modernen
Volkswirtschaft bleiben.
Der Armenpflege stehen zunächst eine Reihe von freiwilligen Or-
ganisationen, für welche die Charity Organisation Society und ähnliche
Vereine typisch sind, die ein Netz über das ganze Land ausgespannt
haben. Ihrem Wesen nach sind sie Vereinigungen freiwilliger Wohl-
thätigkeitsbestrebungen, welche als ständige Veranstaltungen sich die
Linderung der Folgen der Arbeitslosigkeit zum Ziele gesetzt haben.
Ihre leitende Maxime ist, möglichst zu individualisieren und auf Grund
örtlicher Erfahrungen durch die Organisation von Bezirksausschüssen eine
nach Kräften spezialisierende Thätigkeit zu entfalten. Sie wollen mit
hilfreicher Hand besonders da eintreten, wo Armenpflege oder private
Wohlthätigkeit Lücken gelassen haben. Sie bestreben sich aber nur dann
mit ihrer teils ergänzenden, teils ersetzenden Funktion einzusetzen, wenn
1) A sohrott, Das englische Armenwesen in seiner historischen Entwickelung und
heutigen Gestalt. Leipzig 1886. Art. „Armenwesen" (Grofsbritannieu) im Handwörter-
buch für Staatswissenschaften, Bd. I, S. 873 — 883 vom gleichen Verfasser.
Mis zellen. 275
durch energisches Eingreifen in exceptionellen Notstandsfällen eine Hei-
lung aussichtsreich ist. Zu diesem Behufe nehmen diese Vereine vor
allem mit der Armenpflege Fühlung, suchen sich in der Art in die
Arbeiten zu teilen, dafs sie dieser diejenigen Fälle überlassen, welche
auf allgemein typische Krankheitserscheinungen der Volkswirtschaft zu-
rückgehen, der Vereinsthätigkeit aber solche vorbehalten, bei denen es
sich um Besonderheiten der Hilfsbedürftigkeit handelt. Die Bezirksaus-
schüsse, an deren Spitze eine Zentralstelle wirkt, setzen sich daher mit
den Armenpflegern und anderen personen- und ortskundigen Leuten in
Verbindung, ziehen Erkundigungen an Ort und Stelle ein, nehmen von
den Wohnungs- und Lebensverhältnissen des Bedürftigen Einsicht, prüfen
auf Grundlage dieses Materials die Hiltsbedürftigkeit, den Grad und die
Art der zweckmäfsigen Unterstützung und entscheiden über deren ge-
eignetste Form. Die Vereinsstatuten setzen fest, welche Gruppen von
Personen überhaupt von jeglicher Unterstützung auszuschliefsen sind, wie
notorische Trunkenbolde, Leute von zweifelhaftem Rufe, Arbeitsscheue,
Leute, die überhaupt fast nie in regelmäfsiger Arbeitsstellung sich be-
finden u. dgl. m. Die Unterstützung wird nur in der Wohnung des
Bedürftigen, niemals im Bureau des Bezirksausschusssa verabreicht. Die
gewährte Unterstützung besteht teils in Geld, teils in Naturalien, je naoh-
dem es für angemessen erachtet wird.
Es ist klar, dafs die Charity Organisation Society zu ihrem Wirk-
samwerden einer grofsen Anzahl opferfreudiger Leute bedarf, welche mit
hingebendem Eifer sich der Pflege des Unterstützungswesens widmen, die
unablässig Erkundigungen einziehen, die einzelnen Fälle prüfen, die
Kontrolle übernehmen und ihre Zeit und Mühewaltung in den Dienst
dieser Gesellschaften stellen. Diese Vereine haben aber neben ihrer
praktischen Thätigkeit noch die Aufgabe sich gestellt, wissenschaftliche
und statistische Grundlagen für die Beurteilung und Lösung der Arbeits-
losenfrage zu liefern.
Andere ständig wirkende Agentien in der Fürsorge für die Arbeits-
losen in Form von Arbeiterkolonien oder Werkstätten bestehen in Eng-
land nur einzeln und ausnahmsweise. Indessen mufs hier wenigstens die
soziale Aktion der Heilsarmee (Social Wing of the Salvation
Army) erwähnt werden, deren Thätigkeit wesentlich mit ihren religiösen
Bestrebungen zusammenhängt. Die Heilsarmee hat neben allgemein phil-
anthropischen Anstalten, wie Depot von Nahrungsmitteln, Rettungshäusern
u. s. w. in dreifacher Weise für die Arbeitslosen zu sorgen gesucht. Ein-
mal hat sie eine Arbeitsbörse (National Labour Exchange) errichtet, wo
für arbeitsfähige Beschäftigungslose der Arbeitsnachweis vermittelt wird.
Dieselbe wird vom Hauptquartier auB geleitet und steht mit den Asylen
für Obdachlose in Verbindung. Sodann unterhält die Heilsarmee Arbeits-
werkstätten (Elevator Workshops), in welchen eine Anzahl der bei der
Arbeitsbörse vorgemerkten Arbeitslosen in verschiedener Weise beschäftigt
wird. Und endlich hat sie in Essex eine Farmerkolonie (Farm Colony)
ins Leben gerufen, in welcher Arbeitskräfte der „Elevator"- Werkstätteu,
sowie auoh solche Personen beschäftigt werden, welche sich direkt an die
Verwaltung der Kolonie wenden. Die ganze soziale Aktion der Heils-
18*
276 Mis zellen.
urmee ist verhältnismäfsig jung, sie besteht iu nennenswertem Umfang
erst seit 1891. Trotzdem hat sie es verstanden, auch innerhalb dieses
kleinen Spielraums recht anerkennenswerte Resultate zu erzielen.
Zwischen diesen Versuchen und der sozialen Reformarbeit der ver-
schiedenen Zweige der Charity Organisation Society bestehen mancherlei
Unterschiede. Denn abgesehen von dem religiösen Beiwerk der Heils-
armee ist deren soziale Thätigkeit in höchstem Grade zentralisiert, während
dort der Schwerpunkt auf der Dezentralisation und Lokalisierung
liegt. Der Grundzug der Heilsarmee ist die unmittelbare Versorgung mit
Arbeit und ihre ganze Organisation ist darauf gerichtet, unabhängig von
anderen Einrichtungen zu wirken, ohne auf diese Rücksicht zu nehmen,
zu ergänzen, zu unterstützen. Die Charity Organisation Society dagegen
sucht mit anderen Anstalten stete Fühlung zu nehmen und unterzieht die
Hilfsbedürftigen einer genauen Prüfung. Gerade das Letztere aber spielt
bei der Heilsarmee nur eine untergeordnete Rolle. Aufser London hat
die Heilsarmee sich bestrebt, mit einem Netze gleichartiger Institute auch
das übrige Land zu umspannen.
Die Kirchen-Arbeiterheime (Church Army Labour Homes)
wollen in den ärmsten und bedürftigsten Pfarreien für Arbeitslose eine
Unterkunft schaffen, um die aus ihren Arbeitsstellen Verdrängten vor
Verwahrlosung zu schützen, sie zur Arbeit und Thätigkeit anzuhalten,
damit sie nicht infolge von Beschäftigungslosigkeit arbeitsscheu werden,
hoffnungslos verkommen und zum Verbrechertum herabsinken. Die Zahl
der Untergebrachten soll so beschränkt sein, dafs eine persönliche Beein-
flussung und Beaufsichtigung des Einzelnen möglich ist. Das Maximum
beträgt daher 25 Personen für je ein Arbeiterheim. Die erste dieser An-
stalten ward Ende 1889 eröffnet. Heute bestehen 6 für Männer, 1 für
Frauen und 1 für jugendliche Personen. Jeder Aufnahme geht eine ge-
naue Prüfung des Falles voran, ob Aussicht auf Hilfe besteht, während
sonst das Armenrecht einzutreten hat. Die Kirchen -Arbeiterheime be-
thätigen ihre Wirksamkeit thunliohst in Verbindung mit den Armen-
pflegern, den Bezirksausschüssen der Charity Organisation Society und
anderen Veranstaltungen zur Fürsorge für Arbeitslose.
Jeder Hausgenosse soll durch seine Arbeit 6 sh. in der Woche ver-
dienen, wofür ihm Verpflegung verabreicht wird. Erreicht sein Arbeits-
verdienst diese Summe in einer Woche einmal nicht, so erleidet er von
seinen folgenden Wochenlöhnen keinen Abzug, falls er nach besten Kräften
seine Verrichtungen versieht. Wenn aber einer aus Trägheit oder Nach-
lässigkeit den Wochenansatz für die Verpflegung nicht erarbeitet, kann er
sofort entlassen werden. Was ein Hausgenosse über 6 sh. verdient, wird
für ihn als Ersparnis zurückgelegt. In den beiden ersten Monaten erhält
jeder seinen vollen Arbeitsverdienst, die Hälfte im dritten und keine Ent-
lohnung im vierten Monat. Denn nach einem Vierteljahre wird ange-
nommen, dafs die Zeit hinreichend lang gewesen sei, um sich aufserhalb
der Herberge um Arbeit umzusehen. Aufserdem erhält jeder Insasse
wöchentlich 1 sh. Taschengeld zu freier Verfügung. Der Ueberschufs
über 7 sh. wird zur Bekleidung oder zum Unterhalte seiner Frau und
Kinder verwendet oder dem Arbeiter beim Verlassen des Heims ausbezahlt.
M i s z e 1 1 en. 277
Ein wesentlicher Grundton der ganzen Einrichtung ist die Hinleitung auf
sittlichen, christlichen Lebenswandel, auf streng hoohkirchliches Leben.
Der Erziehungshof in Langley (Training Farm at Langley)
ist eine Anstalt, in welcher Arbeitslose geschult werden, um taugliche
Arbeitskräfte für die Farmen in Kanada abzugeben. Die betr. Leute
werden von der Charity Organisation Society, der Seif Help Emigration
Society und dem Direktor der Anstalt ausgewählt. Wenn möglich, ent-
richten die Gesellschaften, welche die Leute empfehlen, oder sonst Gönner
und Freunde derselben für sie einen kleinen, wöchentlichen Unter-
haltsbeitrag. Das Unternehmen wird von einem erfahrenen Verwalter ge-
leitet, welcher über 8 Arbeiter die Aufsicht führt und die Arbeiten der
Farm leitet. Bewerber müssen den Weg von 45 Meilen zur ,,Bird Green
Farm" von London aus zu Fufs zurücklegen und ohne Bezahlung in der
Farm arbeiten. Sie leben in strenger Disziplin in dem Hause mit dem
Verwalter und seiner Familie zusammen, allwo sie unentgeltlich verpflegt
werden. Die Zeit ihres Aufenthalts währt 6 bis 8 Wochen. Jeder dieser
Arbeiter erhält, sobald er sich die nötige Fertigkeit im Gebrauche der
Ackergerätschaften und in den landwirtschaftlichen Arbeiten angeeignet
hat, eine Anstellung in Pflanzungen von Kanada. Die Ueberfahrtskosten
werden ganz oder wenigstens zum Teil von der Seif Help Emigration So-
ciety bestritten. Ueber das Fortkommen der Auswanderer erhält die An-
stalt Berichte. Von denselben haben sich bis jetzt nur 3 als zur Kolonial-
arbeit untauglich erwiesen und mufsten zurückbefördert werden x). Das
ganze Institut dient indessen weniger einem einheitlichen Prinzipe der
Fürsorge für die Arbeitslosen, als es vielmehr im Interesse der Koloni-
sation wirkt, um die kanadischen Farmen mit den erforderlichen und aus-
reichend geschulten Arbeitskräften zu bevölkern.
Die Arbeiterkolonien-Gesellschaft (Home Colonization So-
ciety) in Westmoreland ist ein Versuch, das System der Arbeiterkolonien,
wie es in Holland besteht, auch auf britischem Boden einzubürgern. Die
holländischen Einrichtungen dienten hier zum Vorbild. Man will arbeits-
fähigen Arbeitslosen in „Industriedörfern" Unterkunft und Arbeit ver-
schaffen. Nach dem im Jahre 1888 entworfenen Plane sollte eine Anzahl
von arbeitsfähigen Männern und Frauen in irgend einem ländlichen Di-
strikte angesiedelt und ihnen ein Land zur Bewirtschaftung übergeben
werden. Auf diese Weise sollten sie in den Stand gesetzt werden, ihre
eigenen Bedürfnisse durch ihre eigene Arbeitsthätigkeit zu befriedigen und
es sollte hierdurch die Benutzung eines Marktes überflüssig gemacht
werden. Sie sollten selbst ihr Brot produzieren und backen, ihre Kleider
selbst weben und verfertigen, die Erzeugnisse gegenseitig austauschen u.
1) Von 72 Arbeitslosen (Mai 1891 bis Juni 1893)
a) kamen in der Farm überhaupt Dicht an 6
b) wurden wegen Unbotmäfsigkeit und schlechter Führung entlassen 12
c) fanden eine Unterkunft in England selbst 5
d) wurden nach Kanada ausgeschifft 39
e) wurde nach Neuseeland ausgeschifft 1
f) befanden sich (Juni 1893) in der Farm zu Langley ... 9
72
278 M i s z e 1 1 e n.
dgl. m. Gegen persönliche Dienstleistungen sollen die Kolonisten die
nötige Nahrung, Bildungs-, Heilmittel etc. empfangen. Ein Teil des Bodens
wird gemeinschaftlich bewirtschaftet und sein Ertrag auf dem Markte ver-
kauft, um die Unterhaltskosten der Kolonie zu bestreiten. Heute schon
besitzt die Kolonie 131 Acres Land, das von 22 Ansiedlern bebaut wird.
Diese Kolonie ist als eine ständige Einrichtung gedacht; die Arbeitslosen
sollen hier eine dauernde Heimstätte finden. Es ist also nicht beabsich-
tigt, den Arbeitslosen nur solange eine Unterkunft zu gewähren, bis sie
eine passende Arbeitsstelle gefunden haben. Im ersten Jahre schien die
junge Unternehmung eine Zeit lang gefährdet, da Streitigkeiten über die
Verwaltung und Leitung der Arbeiterkolonie entstanden. Einzelne der
ersten Ansiedler scheinen keine eigentlichen Arbeitslosen gewesen zu sein,
sondern lediglich durch den Reiz, in einer Gemeinde eine Bolle zu spielen,
angelockt worden zu sein. Erst mit Beseitigung der turbulenten Elemente
traten normale Zustände wieder ein, konnte eine gedeihliche Entwickelung
angebahnt werden.
Neuerdings hat sich eine andere Gesellschaft, die English Land Co-
lonization Society gebildet, mit dem Zwecke, Farmerkolonieen zu gründen.
Ein praktisches Ergebnis ist indessen bislang noch nicht zu verzeichnen.
IV.
Der Arbeitsnachweis und die Arbeitsvermittelung in Gestalt vorüber-
gehender unständiger Einrichtungen wurden im Winter 1892
bis 1893 vornehmlich von den Gemeindebehörden organisiert. Auf den
wirtschaftlichen Aufschwung, welcher mit dem Jahre 1888 einsetzte und
1890 seinen Höhepunkt erreicht hatte, war eine Zeit beträchtlicher De-
pression gefolgt. Die Raschheit, mit der sich dieser Umschwung voll-
zog, hatte auch eine zunehmende Arbeitslosigkeit in breiten Schichten
der Arbeiterschaft im Gefolge. Nach den Monatsausweisen der Gewerk-
vereine ergab sich im zweiten Halbjahr 1892 folgendes Verhältnis
zwischen der Zahl der Arbeiter der Gewerkvereine und ihren stellenlosen
Mitgliedern. Es betrugen nämlich die Arbeitslosen von der Gesamtzahl
im Monat
Juli
5»90
Proz
August
5»oo
>»
September
6,20
>t
Oktober
7.30
»
November
8,20
)>
Dezember
10,20
»»
Zum Vergleiche hierzu mögen hier die Prozentsätze eingeschaltet
werden, welche nach der Statistik der Gewerkvereine von 1887 — 1892
bestanden. Diese waren von 1887 — 1890 im allmählichen Sinken be-
griffen, sie begannen mit 9 Proz. im Jahre 1887, um in der Folgezeit
fortwährend herabzugehen. Ihren tiefsten Stand weisen sie im Februar
1890 auf, in welchem sie auf 1,50 Proz. zurückgehen. Von dieser Zeit
an beobachten wir ein langsames Steigen, welches im Dezember 1892
auf 10,20 Proz. emporschnellt. Zur richtigen Beurteilung dieser Zahlen
Misz eilen. 279
ist jedoch zu bemerken, dafs die Gewerkvereine diese statistischen Daten
Gewerken, wie denjenigen der Maschinen- und Schiffbauer vornehmlich
entnehmen, also zur Aufnahme Industriezweige wählen, welche für die
geringfügigsten Wandlungen des Arbeitsmarktes sehr empfindlich sind.
Um deswillen kann man aber auch füglich annehmen, dafs im Durch-
schnitte zur Charakterisierung der Arbeitslosenstatistik diese Zahlen zu
hoch gegriffen sind, dafs sie, um zur Vergleichung brauchbar zu sein,
entsprechend reduziert werden müssen. Der Report glaubt als Anhalts-
punkt eine Verhältniszahl von 4 : 10 bezeichnen zu dürfen. Auoh ist
zu bemerken, dafs der Begriff „arbeitslos" nach der Terminologie der Ge-
werkvereine sich nicht deckt mit „unterstützungsbedürftig" und dafs nicht
jeder, welcher in ihrer Statistik als „unemployed" aufgeführt ist, Anspruch
auf „Arbeitslosenbeiträge" (Unemployed Benefit) erheben kann, weil das
Moment der Notlage, der distress, mangelt.
Dieser Notstand, welcher sich infolge der anhaltenden wirtschaft-
lichen Depression unter der Arbeiterschaft einstellte, veranlafste die Ge-
meindebehörden und Gemeindeverwaltungen wenigstens zu versuchen, die
Folgen der dauernden Arbeitslosigkeit zu lindern. Die Bestrebungen
zeigten sich zunächst in London, wo das Elend besonders bedenkliche
und bedrohliche Dimensionen angenommen hatte; später folgten die In-
dustriecentren in den Provinzen des Reiches nach.
Auf einem Delegiertentag des Londoner Gewerberates am 22. Sept.
1892 wurde beschlossen, mit den Vereinen, welche mit dem Gewerberate
Beziehungen unterhalten, in Verbindung zu treten, wie mit der South
Side Labour Protection League, der Shipping Trades Federation', dem
Poplar Labour Eleotoral Committee u. dgl. Mittels dieser Vereinigungen
sollte eine ungefähre Schätzung der Zahl der Arbeitslosen in London
versucht und sollten zugleich Mittel und Wege angegeben werden, wie
diese Tausende von brotlosen Arbeitern, deren Zahl beim hereinbrechen-
den Winter von Tag zu Tag wuchs, nützlich zu beschäftigen seien.
Ungefähr tausend Fragebogenexemplare wurden an Arbeiterorganisationen
und andere Stellen mit der Bitte versendet, Mitteilungen über Zahl und
Beschäftigung der unverschuldet Arbeitslosen dem Amte zukommen zu
lassen. Dem Fragebogen sollten Atteste beigeschlossen werden, dafs die
namhaft gemachten Personen ganz oder teilweise aufser Stellung seien.
Nur 56 Formulare wurden an die Ausgabestelle zurückgeleitet und zwar
die Mehrzahl mit dem Bemerken, dafs die Sache „praktisch ohne Wert"
sei. Nach dem Fehlschlagen dieses Projektes wandte sich der Gewerbe-
rat an die Londoner Gemeindeverwaltung. Diese wurde ersucht, Mafs-
regeln zu treffen, um die herrschende Arbeitslosigkeit und Arbeitsnot zu
lindern und in einem Cirkular die Bezirks Verwaltungen aufzuforden, sie
sollten in ihren Bezirken möglichst ausgedehnte Notstandsarbeiten in An-
griff nehmen lassen. Desgleichen erging an die Londoner Pfarrdistrikte
und ähnlichen Verwaltungsstellen ein Rundschreiben, welches dieselben
bat, temporär Arbeitsnachweisstellen (Temporary Labour Exchanges) ein-
zurichten, um den Arbeitslosen vakante Arbeitsstellen nachzuweisen und
die ArbeitBvermittelung zu organisieren. Ebenso fand der Gewerberat
eine Vertretung von 6 Delegierten im Verbände einer Organisation,
280 Miszellen.
welche von der sozialdemokratischen Vereinigung und anderen Arbeiter-
und politischen Vereinen im Herbste gebildet wurde zum Zweck, die Er-
laubnis zur Abhaltung öffentlicher Versammlungen auf dem Trafalgar
Square zu erwirken. Nachdem dies erreicht war, nahm der Ausschufs
den Titel Unemployed Organisation Committee an und stellte sich die
Aufgabe, durch öffentliche Agitation die gemeindlichen Behörden zur Be-
schäftigung der Arbeitslosen zu veranlassea.
Dieses Komittee veranstaltete eine Reihe von Arbeitslosen-Meetings,
entsendete Deputationen an die Regierungs- und Ministerialbehörden, so-
wie an die Kommunalverwaltungen.
Am 14. November 1892 erliefs die Stadtverwaltung ein Cirkular an
die ihr unterstellten Behörden. Abgesehen von verschiedenen Versuchen
einzelner Kirchspielverwaltungen in London, dem Municipal Relief Work
und der Mansion House Conference , haben eine Anzahl von Gemeinde-
organen in London Einrichtungen zur vorübergehenden Unterstützung der
Arbeitslosen geschaffen. In der Hauptsache haben sie sich indessen darauf
beschränkt, Geld- oder andere Unterstützungen durch Schaffung von
Arbeitsgelegenheit nach mehr oder weniger sorgfältigen Erhebungen zu
gewähren. In Poplar, St. George- in-the-East, Hoxton, Newington und
Camberwell wurden vorübergehend Ausschüsse eingerichtet, welche mit
einer Zentralorganisation , dem Clearing House for the Unemployed , in
Verbindung standen. Die Lokalkomitees wurden zusammengesetzt, ganz
oder teilweise aus den Kreisen der Arbeitslosen selbst, während der zu-
ständige Pfarrer oder sonst eine geeignete Person den Vorsitz führte.
Die Mitglieder des Arbeitslosenkomitee erhielten Geldentschädigungen in
Beträgen von 10 sh. bis 25 sh. per Woche, bezw. 6 d. für die Stunde,
um über die Bewerber Erhebungen pflegen zu können. Diejenigen
Arbeitslosen, welche als „qualifiziert" bezeichnet wurden, erhielten Unter-
stützungen gegen entsprechende Arbeitsleistungen. Die Skala der Sätze
wurde von der Zentralstelle aufgestellt und wechselte je nach dem Um-
fange der Familie des Arbeitslosen. Die Nachforschungen waren indessen
nicht überall von wünschenswertem Erfolge begleitet. Im allgemeinen gab
man verheirateten Arbeitslosen unter 55 Jahren den Vorzug bei der An-
stellung. Die Mittel zur Durchführung dieser sozialen Aktion wurden
zum Teil durch einen Garantiefonds, welchen die Zentralstelle angesammelt
hatte, zum Teil durch lokale Subskriptionen aufgebracht. Im ganzen ver-
teilte das Central Clearing House durch Vermittelung von 6 Lokalkomitees
722 £ , wozu noch die Subskriptionen der Bezirksausschüsse kamen.
Auch durch andere, bereits bestehende Organisationen, wie die Charity
Organisation Society, hat das Central Clearing House etwa die gleiche
Summe zur Verwendung gelangen lassen. Alles in allem genommen läfst
sich die Höhe der gesamten Unterstützungen etwa auf 2500 £ veran-
schlagen.
In den Provinzen des Reiches wurden ähnliche sozialpolitische
Aktionen zu gunsten der Arbeitslosen ins Werk gesetzt, von welchen
diejenigen in Leeds und Liverpool die bedeutendsten waren. Denn ge-
rade in diesen Industriezentren hat der Notstand der Arbeitslosigkeit in
besonderem Mafse die Aufmerksamkeit weiter Bevölkerungsklassen auf
sich gelenkt.
Miszellen. 281
In Leeds war die Kalamität der Arbeitslosigkeit durch die dauernde
Depression der Eisenindustrie eine besonders akute und der Mangel an
Arbeit nahm während des Herbstes 1892 und des Winters 1892 — 93 in
beträchtlichem Umfange zu. Schon im Herbste wurden zahlreiche Arbeits-
losen-Meetings veranstaltet auf den Town Hall Square, infolge deren die
Gemeindeverwaltung eine Summe von 10 000 £ zu gunsten der Arbeits-
losen votierte. Dieselben wurden zu Erdarbeiten bei Herstellung von
neuen Parks und Anlagen im Distrikte verwendet. Demgemäfs wurde
von dem City Engineers Office eine Arbeitslosenstatistik aufgenommen,
bei welcher jeder Bewerber persönlich zu erscheinen hatte und die Frage-
punkte beantworten mufste. Diese bezogen sich auf Alter, Beschäftigung,
Familienstand, Bezeichnung des letzten Arbeitgebers, Dauer der Arbeits-
losigkeit, Ursache der Aussoheidung aus der letzten Arbeitsstelle, Länge
des Aufenthalts in Leeds, Zahl der Familienmitglieder ohne selbständigen
Erwerb, anderweite Unterstützungen u. s. w. Die Angaben konnten im
einzelnen naturgemäfs nicht alle kontrolliert werden , doch wurde der
letzte Arbeitgeber des Bewerbers über die wichtigsten Punkte um Auf-
schlufs ersucht. Jeder zugelassene Arbeitslose wurde die ersten oder die
letzten drei Tage der Woche zu einem Stundenlohn von 5 d. mit neun-
stündiger Arbeitszeit von der Ortsverwaltung beschäftigt, so dafs er sich
in der Woche 11 sh. 3 d. verdienen konnte. Die übrigen drei Tage der
Woche konnte er sich anderwärts um Arbeit umsehen. Die Notstands-
arbeiten begannen am 15. Dezember und endigten am 26. April, als die
gröfsten Schwierigkeiten überwunden waren. Nach Schlufs dieser Arbeiten,
als der tüchtigere Teil der Arbeitslosen Unterkunft gefunden hatte, während
zahlreiche, weniger taugliche Arbeiter wegen Ungehorsam oder sonstiger
Vergehen entlassen wurden, erneuerten diese letzteren die Meetings.
Neue Notstandsarbeiten wurden nicht mehr in Angriff genommen, doch
wurde ein „Arbeitsbureau" errichtet.
In Liverpool tritt alljährlich in den Wintermonaten ein gröfserer
oder geringerer Notstand ein, welcher durch die Stagnation der Arbeiten
auf den Docks etc. verursacht wird. Eine Depression , welche 6ich im
Schiffsgewerbe in der letzten Zeit geltend machte, hat im letzten Winter
die chronische Arbeitslosigkeit zu einer akuten gesteigert. Die ohnehin
1891 — 92 länger als gewöhnlich anhaltende Notlage wurde noch durch
die Geschäftsstille, Ausstände und Flauheit in anderen Erwerbszweigen,
insonderheit auf dem Gebiete der Baumwollenindustrie noch vermehrt.
Die Arbeitslosen erreichten eine Zahl von 10 047, wovon 2025 Dock-
arbeiter, 1691 Arbeiter der Baumwollen- und verwandten Industrien, 751
Matrosen waren und 497 den Gewerben des Schiffsbaus angehörten. Aus
den Arbeitslosenversammlungen ging die „Association of the Unemployed
hervor, welche von privaten Subskriptionen unterstützt wurde und 3774
Beschäftigungslose registrierte. "Von diesen waren nur 2,90 Proz. ge-
lernte Arbeiter. Doch nur der geringste Teil derselben, etwa 80 Mann,
konnten von dieser Vereinigung in Arbeitsstellen untergebracht werden. In
den Monaten Februar bis Mai trat eine neue Gesellschaft, die Liverpool
Central Kelief Society in Thätigkeit, welche sich mit der Charity Organi-
sation Society verband. Ebenso wurde der Arbeitsnachweis von neuem
282 Miszellen.
durch das Central Labour Bureau organisiert, das gegen eine kleine Ge-
bühr 2100 Arbeitslose registrierte. Aber auch diese Anstalt prosperierte
nicht und vermochte nur 30 — 40 Leuten Arbeit zu verschaffen. Eine
gröfsere Aktion kam hier nicht zustande, vornehmlich deswegen, weil das
Liverpool Trades' Council der Ansicht war, dafs die Arbeitslosendemon-
strationen das Elend in viel grelleren Farben male, als es den That-
sachen entspreche. Die Folge davon sei ein Anreiz für die Unternehmer,
in den Zeiten der herrschenden Geschäftsflauheit eine Herabsetzung der
Löhne zu versuchen.
Auch in anderen Centren der industriellen Thätigkeit hat man in
gröfserem oder geringerem Umfange der Arbeitslosigkeit durch die Aus-
führung von Notstandsarbeiten entgegenzutreten gesucht. Der Erfolg war
dabei ein höchst verschiedener.
Hiermit schliefsen wir unseren Bericht. Wir haben in demselben
versucht, die Bestrebungen zu charakterisieren, welche in Grofsbritannien
zur Bekämpfung der Arbeitsnot, zur Linderung der wirtschaftlichen und
sozialen Folgen der Arbeitslosigkeit ins Leben traten. Wir haben uns
dabei aber zugleich auf die Schilderung des Typischen beschränken müssen
und verweisen für alle Detail ausführungen auf die Enquete selbst. Viel-
leicht ist es dem Referenten doch einigermafsen geglückt, ein Bild der
Fürsorge für die Arbeitslosen zu entwerfen, die hauptsächlichsten Grund-
züge zu schildern.
Auf die beiden Exkurse, welche den Titel Foreign and Colonial
Examples und Historical Examples führen, konnten wir des Näheren nicht
eingehen, ohne den verfügbaren Raum erheblich zu überschreiten. Sie
enthalten indessen zum grofsen Teil bekannte Thatsachen, welche bereits
anderwärts, wie die deutschen Arbeiterkolonien, die Nationalwerkstätten
und Arbeitsbörsen in Frankreich u. s. w., eine eingehendere Behandlung
und Darstellung gefunden haben.
Würzburg, August 1894.
L i 1 1 e r a t u r. 283
Litteratur.
i.
Lehr, J., Grundbegriffe und Grundlagen der Volkswirtschaft.
Zur Einführung in das Studium der Staatswissenschaften. Leipzig 1893.
C. L. Hirsohfeld. gr. 8. XIV u. 375 SS. Zugl. 1. Band der I. Abteilung
des „Hand- und Lehrbuchs der Staats Wissenschaften in selbständigen
Bänden" herausgegeben von Kuno Frankenstein.
Besprochen von W. L e x i s.
Der vorliegende erste Band des von Dr. Frankenstein unternommenen
staatswissenschaftlichen Sammelwerkes bildet, wie dies auch für die übrigen
Bände des Gesamtwerkes vorgesehen ist, ein für sich abgeschlossenes
Ganzes. Er behandelt die methodischen Fragen der Volkswirtschaftslehre,
die Gesellschafts-, Rechts- und Wirtschaftsordnung als notwendige Voraus-
setzung jeder wirtschaftlichen Kultur, hauptsächlich aber die Grundbegriffe,
die den allgemeinen Rahmen für jedes die volkswirtschaftlichen Erschei-
nungen wissenschaftlich erfassende System bilden müssen. Der Verfasser
hat im wesentlichen nur die Volkswirtschaft in ihrer gegenwärtigen Ge-
stalt im Auge; das historische Element tritt fast gänzlich zurück, was
namentlich in dem ziemlioh kurz gefafsten Abschnitt über die Gesell-
schafts-, Rechts- und Wirtschaftsordnung manchem auffallen wird. Das
Werk sollte eben einen rein theoretischen Charakter haben und dem-
nach sind denn auch fünf Sechstel des gesamten Baumes der Unter-
suchung der allgemeinen Begriffe , wie Wirtschaft und Wirtschaftlichkeit,
Wert, Gut, Vermögen, Reiohtum, Preis gewidmet. Die Erörterung des
Preisbegriffs verlangt auoh schon eine Darstellung der Preisbildung,
die wieder nicht ohne die allgemeine Lehre von Arbeitslohn und Zins
gegeben werden konnte , während die Einzelheiten dieser Lehren dem
folgenden Bande vorbehalten sind. Die Eigentümlichkeit und das Ver-
dienst des Werkes besteht nun hauptsächlich darin, dafs es mit umsichtiger
Kritik eine Vermittelung zwischen den neueren Theorien der „öster-
reichischen" Schule namentlich in betreff des Wertes und der „klassischen"
Lehre unternimmt und zugleich in möglichst elementarer Form die mathe-
matische Methode, wie sie von Walras und anderen ausgebildet worden
284 Litteratur.
ist, für die allgemeine wirtschaftliche Theorie zu verwerten sucht, ohne
jedoch den Formeln einen zu grofsen Raum zu gewähren und mit be-
ständiger Erläuterung ihrer Ergebnisse durch Zurückgreifen auf die un-
mittelbare Anschauung.
Lehr will den neuen Werttheorien keineswegs die Bedeutung bei-
messen, die von manchen ihrer Vertreter für sie in Anspruch genommen
wird , aber er nimmt Grenznutzen und Grenzwert als wohlberechtigte
Begriffe an, die zur Aufhellung der psychologischen Grundlagen der Wert-
lehre mit Nutzen verwendet werden können. In der That ist nicht zu
bezweifeln, dafs diese Begriffe sich allmählich auch in die elementaren
Lehrbücher Eingang verschaffen werden, wenn sie auch zur Vermehrung
unserer Einsicht in das Getriebe des volkswirtschaftlichen Prozesses in
seiner thatsächlichen heutigen Gestalt nicht allzu viel beitragen können. Der
Grenznutzen tritt schliefslich doch nur — allerdings als ein besserer Er-
satz — an die Stelle des „konkreten Gebrauchswertes" und er wird wie dieser
aus den ganz subjektiven Empfindungen der einzelnen Individuen abge-
leitet. In der Betrachtung der volkswirtschaftlichen Massenerscheinungen
aber wird auf den Gebrauchswert unmittelbar gar keine Rücksicht ge-
nommen; er kommt nur mittelbar als die Ursache der Nachfrage zur
Wirkung, die Nachfrage aber wird nur als eine Gesamterscheinung auf-
gefafst, in der die einzelnen subjektiven Gebrauchswertschätzungen als
solche verschwinden. Die Gröfse und die Aenderungen der Nachfrage
können statistisch ermittelt werden, bei theoretischen Untersuchungen aber
wird sie einfach wie eine Veränderliche x behandelt, von der es genügt
zu wissen, dafs sie im allgemeinen mit steigendem Preise abnimmt und
mit sinkendem zunimmt. Nun kann man ja sagen, es wäre doch jeden-
falls interessant zu erfahren, wie diese Massenerscheinung der Nachfrage
in der Volkswirtschaft aus den individuellen Wertschätzungen hervorgehe.
Ohne Zweifel, aber die Grenznutzentheorie ist weit entfernt, diese Auf-
gabe für eine entwickelte Geldwirtschaft mit allgemeiner Arbeitsteilung
wirklich zu lösen. Handelte es sich um eine isolierte Naturalwirtschaft,
so würde die Verwertung des Begriffs des Grenznutzens allerdings so
ziemlich die einzige Möglichkeit darbieten, einige theoretische Beziehungen
in die im übrigen einfach deskriptive Darstellung einer solchen Wirt-
schaft hineinzubringen. Man könnte die an sich gänzlich inkommensurablen
Gebrauchswerte von Mitteln zur Befriedigung verschiedenartiger Bedürf-
nisse, wie z. B. von Nahrungsmitteln und Brennmaterialien wenigstens
einigermafsen vergleichbar machen , indem man die Nutzwirkungen der
letzten nooh verbrauchten Mengen einander gleich, also z. B. die Nutz-
wirkung des letzten in der Wirtschaft nach verbrauchten Pfundes Brot
gleich der der letzten zehn Pfund Holz setzte , wobei die kleinsten Zu-
satzmengen vorläufig und annähernd im Verhältnis zu dem thatsächlichen
Gesamtverbrauch der einzelnen Güter in einem gewissen Zeiträume an-
zunehmen wären. Es würde dabei vorausgesetzt, dafs der Wirtschaftende
durch Erfahrung allmählich herausgebracht hätte, auf welche Art er
seine und die ihm noch etwa zur Verfügung stehende fremde Arbeits-
kraft am zweckmäfsigsten ausnutzen, d. h. ein Maximum der Befriedigung
seiner Bedürfnisse erlangen könne, und wenn dieses Maximum erreicht
L i 1 1 e r a t u r. 285
wäre , so würden eben nach dem Gossen'schen Satze die Genufs- oder
Nutzwirkungen der letzten noch verwendeten Gütermengen einander gleich
sein. Freilich würde sich daraus noch immer nicht die Gröfse der Nutz-
wirkung der gesamten verwendeten Mengen ableiten lassen, aber immer-
hin wäre wenigstens an einem bestimmten Punkte eine Vergleichbarkeit
der Gebrauchswerte ermöglicht und die Bedeutung dieses Ergebnisses
würde um so gröfser sein , je zahlreicher und mannigfaltiger die in der
Wirtschaft mit einem gegebenen Arbeitsaufwande erzeugten Güter wären,
da dann die verfügbare Menge eines jeden einzelnen um so kleiner und
der Grenznutzen und Grenzwert desselben um so gröfser wäre. Aber
die isolierte Naturalwirtschaft bleibt immer ein sehr unergiebiges und
rasch erschöpftes Untersuchungsfeld , weil sie in der höheren Kulturent-
wickelung der menschlichen Gesellschaft keinen Kaum mehr findet. Auch
für die Theorie des naturalen Tausches, bei dem beide Beteiligten nur
ihren Ueberflufs weggeben und den Rest ihres eigenen Erzeugnisses selbst
brauchen, kann der Begriff des Grenznutzens noch mit Anschaulichkeit zur
Anwendung gebracht werden. Es fördert in der That unsere Einsicht
in diesen Vorgang, wenn wir uns klar machen, dafs für jeden der beiden
Tauschenden der Grenznutzen des Restes seiner eigenen Ware mit der
Verminderung dieses Restes steigt, während andererseits der Grenznutzen
der eingetauschten Ware mit der Menge derselben immer mehr abnimmt,
dafs also jeder den Tausch so lange fortzusetzen geneigt sein wird, bis der
Grenznutzen der beiden Güterarten für ihn gleich wäre. Nimmt man
ferner an , dafs der Gesamtvorteil , den die beiden Personen durch den
Austausch erlangen, möglichst grofs werde, so ergiebt sich daraus ein be-
stimmtes Austauschverhältnis, d. h. ein bestimmter Preis der einen
Ware durch eine Menge der anderen ausgedrückt, und zwar von solcher
Gröfse, dafs dabei der Grenznutzen beider Waren für beide Personen
gleich wird, für jede die zuletzt eingetauschte oder hingegebene Menge
gerade ihren Preis wert ist , während die vorher ausgetauschten Teil-
mengen für jeden Beteiligten noch mehr als ihren Preis wert waren. —
Aber dieser naturale Tauschverkehr ist wieder von so äufserst geringer
praktischer Bedeutung in der entwickelten Volkswirtschaft, dafs es sich
kaum lohnt, ihn zum Gegenstand besonderer Untersuchungen zu machen.
Bei der bestehenden Geldwirtschaft in Verbindung mit der Arbeitsteilung
haben die Gegenstände, die jemand herstellt oder mit denen er Handel
treibt, meistens für ihn selbst überhaupt keinen Gebrauchswert und jeder
ihm auf dem Lager bleibende Rest würde ihm geradezu Schaden verur-
sachen. Aber auch selbst diejenigen, die, wie die Landwirte, wenigstens
einen Teil ihrer Produkte selbst verzehren, tauschen das Uebrige nicht aus
gegen Güter von konkretem Gebrauchswert, sondern gegen Geld. Auf
dieses aber passen die Anschauungen überhaupt nicht mehr, von denen
man bei der ursprünglichen Betrachtung der subjektiven Nützlichkeit be-
stimmter Gebrauchs- oder Verbrauchsgegenstände ausgegangen ist. Geld
hat als solohes überhaupt keinen konkreten Gebrauchswert im eigentlichen
Sinne, es hat nur Tauschwert und auch diesen nur in abstrakter Form,
es kann überhaupt zu einem rein formalen Hilfsmittel des Verkehrs aus-
gebildet werden, wie die Möglichkeit eines seinen Wert behauptenden
286 Litteratur.
Papiergeldes beweist. Man kann nun ja allerdings sagen, dafs das Geld
für jeden Besitzer eine gewisse abstrakte Nutzwirkung habe, die sich auf
eine unberechenbare , unendlich mannigfaltige Art in die Befriedigung
einzelner konkreter Bedürfnisse auflöst. Die Grö'fse dieser abstrakten
Nutzwirkung aber hängt von der Menge des dem Einzelnen zur Ver-
fügung stehenden Geldes ab , insbesondere also von seinem Einkommen ;
dieses aber ist wieder bedingt durch den gröfseren oder geringeren Er-
folg, mit dem er seine wirtschaftlichen Leistungen in der Gesellschaft
anderen gegenüber verwerten kann , also namentlich auch abhängig von
seinem Kapitalbesitz oder Kapitalmangel und von seiner ökonomischen
Abhängigkeit oder Machtstellung. Das Einkommen eines jeden Einzelnen
hängt demnach von dem Einkommen und den Vermögensverhältnissen aller
anderen Mitglieder der Gesellschaft ab, und dieselbe Abhängigkeit be-
steht auch für die Art, wie der Einzelne sein Einkommen verteilt, um
sich die Mittel zur Befriedigung seiner verschiedenen Bedürfnisse anzu-
schaffen. Daher ist auch die Kurve, durch die man sich die Beziehung
zwischen der Nutzwirkung und der Menge eines Gutes für eine bestimmte
Person dargestellt denken kann, keineswegs einfach durch das Verhältnis
bestimmt, wie der subjektive Genufs, der durch das Gut für den Besitzer
erzeugt wird, mit der Menge desselben abnimmt, sondern die zur Ver-
fügung stehende Menge ist selbst wieder jederzeit bedingt durch die all-
gemeine Verteilung der übrigen Einkommen, oder mathematisch ausge-
drückt, das für jede gegebene Zeit dem A zustehende Einkommen xa ,
von dem die Gröfse des ihm gestatteten Gütergenusses abhängt, ist auch
eine Funktion der Einkommen xb) xc u. s. w. , die gleichzeitig dem B,
C u. s. w. zu Gebote stehen. Die Einwirkung der letzten subjektiven
Einzelfaktoren auf die Gesamterscheinung sind also durch Geldwirtschaft
und allgemeine wirtschaftliche Arbeitsteilung so verwickelt, dafs sie auch
in Gedanken gar nicht mehr verfolgt und höchstens rein formal durch
unlösliche und im Grunde nichtssagende Gleichungen dargestellt werden
kann. Da nun überdies in der Volkswirtschaft sich jedermann bei
Produktion und Kauf und Verkauf ausschliefslich durch die Erwägung
von Kosten, Gewinn und Verlust leiten läfst und die der Nachfrage zu
Grunde liegenden subjektiven Momente gänzlich aufser Betracht bleiben, so
ist nicht abzusehen, wie die Untersuchung der letzteren zu einem besseren
Verständnis der thatsächlichen volkswirtschaftlichen Massenerscheinungen
(z. B. der thatsächlichen Bewegungen des allgemeinen Preisniveaus in
ihrem Zusammenhang mit dem Geldvorrat und den übrigen Umlaufs-
mitteln) führen könnte, zumal gegenwärtig noch fast alle für den Verkehr in
Betracht kommenden Güter als mit gleichbleibenden oder infolge der
Verbesserungen der Technik und des Transportwesens mit abnehmenden
Kosten beliebig vermehrbar angesehen werden können. Nur auf die Art,
wie der Einzelne sein Einkommen auf die Befriedigung seiner verschiedenen
Bedürfnisse verwendet, haben die Erwägungen des Grenznutzens Einflufs
und es ist möglich, wenn auch keineswegs gewifs, dafs in vielen wohl-
geordneten Haushaltungen annähernd wirklich das Maximum der bei dem
gegebenen Einkommen mögliohen Nutzwirkung erzielt, wobei dann die
Nutzwirkung des für die Geldeinheit zu erlangenden letztens Mengenteils
für alle Güter die gleiche ist.
Litteratur. 287
Lehr tritt der Ansicht der österreichischen Theoretiker entgegen,
nach der der Wert der ganzen im Besitze einer Person befindlichen Menge
eines Gutes gleich dem Werte des letzten Teiles , dem Grenzwert, multi-
pliziert mit der Menge sein soll. Hiernach würde also, wenn der Grenz-
wert null oder Negativ wäre, der Wert der ganzen Menge für den Be-
sitzer ebenfalls Null oder negativ werden. Wenn dieser z. B. nicht mehr
als 10 Einheiten des Gutes mit Nutzen verwenden kann, so würde also nach
jener Anschauung der bei einem Vorrat von 9 Einheiten noch vorhandene
positive Wert der ganzen Menge verschwinden, wenn noch eine
zehnte Einheit in seinen Besitz käme und wenn das Hinzukommen
einer elften Einheit für ihn schon lästig und unbequem wäre, diese Ein-
heit aber einen negativen Wert für ihn hatte, so würde auch die ganze
Menge einen solchen für ihn erhalten. Auch wenn man sich der Unter-
schiede zwischen der Nützlichkeit und dem hier in Rede stehenden
Wert vollkommen bewufst ist, behalten solche theoretische Konsequenzen
im Gegensatz zu den Erfahrungen des gewöhnlichen Lebens etwas sehr
Paradoxes. Lehr verwirft daher jene Annahme und stellt seinerseits den
Satz auf, die einzelnen Mengenteile der von uns erworbenen Güter hätten
für uns die Bedeutung, die je ihrer Wirkung entspreche, wenn man auch
eine Bezifferung und Summierung nicht vornehmen könne und sich mit
der einfachen Thatsache begnügen müsse, dafs uns die ganze Menge, wie
wir sie wirtschaftlich verwenden können, mindestens ihren Preis wert
sei. Im allgemeinen sind nach seiner Auffassung Wert und Preis ver-
schieden, indem der erstere häufig subjektiv weit höher geschätzt wird,
als der für das Gut zu entrichtende Preis; der Grenzwert dagegen fällt
normalerweise mit dem Preise zusammen. Man wird daher ohne Zweifel
nur so lange neue Mengen eines Gutes anschaffen, als der Wert des letzten
Mengenteiles das zu bringende Opfer noch lohnt, und der dem
Preise gleiche Grenzwert gilt auch für jede Einheit der ganzen Menge.
Aber auf diese Art ist die Frage von dem Gebiet der subjektiven Wert-
schätzung auf das des Tauschwertes übergeführt und für den Satz , dafs
die einzelnen Mengenteile für uns je die Bedeutung haben, die ihrer
Wirkung entspricht, keine nähere Begründung gegeben. Soll diese „Be-
deutung" die Nutzwirkung der einzelnen Mengenteile sein, so ist es
allerdings unzweifelhaft, dafs man sagen kann: in dem ganzen Vorrat ist
ein Teil vorhanden, der die Nutzwirkung einer ersten Mengeneinheit,
ein Teil, der die Nutzwirkung einer zweiten Mengeneinheit, ein Teil, der
die Nutzwirkung einer dritten Mengeneinheit besitzt u. s. w., wenn man
sich die Nutzwirkungen so abgestuft denkt, wie sie bei successiver Bildung
eines Vorrats aus vielen Mengeneinheiten in abnehmender Gröfse auf-
treten. Aber die Nutzwirkung fällt nicht mit dem Werte zusammen,
vielmehr kann dieser verschwinden, während jene unverändert bleibt.
Der Satz der österreichischen Theoretiker bezieht sich aber gerade auf
den subjektiven Wert und er Bteht nicht eigentlich mit der Erfahrung
des thatsächlichen Wirtschaftslebens in Widerspruch, sondern er kommt
in der Wirklichkeit auf wirtschaftliche Güter gar nicht zur An-
wendung. Bei ausgebildetem Verkehr wird ein nützlicher Gegenstand, der
nicht zu der Klasse der sogenannten freien Güter gehört, der also einen
288 Litteratur.
wenn auch, nur geringen Grad von Seltenheit mit Rücksicht auf das in
der ganzen Gesellschaft vorhandene Bedürfnis besitzt, für seinen Besitzer,
auch wenn dieser weit mehr davon hat, als er für sich brauchen kann,
schwerlich jemals auf den Wert Null sinken und wohl niemals einen
negativen Wert erhalten. Aber sehen wir auch ganz von der Möglich-
keit eines Austausches oder Verkaufs ab, und erwägen wir nur die Wert-
schätzung eines vorhandenen Vorrats an dauerhaften Gebrauchsgegen-
ständen, ohne dafs eine Vergrößerung desselben beabsichtigt wird. Es
fragt sich dann: unter welchen Umständen verschwindet die Selten-
heit dieses Gegenstandes als Bedingung seines Wertes? Wenn der Be-
sitzer auch nur 10 Einheiten für sich brauchen kann, so kann er doch
noch recht wohl dieser Güterart einen Seltenheitsgrad und somit auch
einen Wert zuerkennen, wenn sein Vorrat 15 oder 20 beträgt. Wenn er
weifs, dafs ein solches Gut schwer wieder zu erlangen ist, so wird er
sogar einen bedeutenden Ueberschufs noch als Sicherheitsvorrat für wert-
voll halten; auch denkt er vielleicht an die Möglichkeit eines steigenden
Bedarfs in der Zukunft, sei es für seine Person oder für seine Nach-
kommen ; und selbst der blofse Gedanke, dafs das Gut für andere
Menschen sehr selten sei, kann genügen, um dem Besitzer einen überflüssig
grofsen Vorrat desselben sehr wertvoll zu machen. Kurz, nur die im
eigentlichen Sinne freien Güter, die einem jeden in beliebiger Menge
ohne weiteres zur Verfügung stehen, haben trotz ihrer Nützlichkeit keinen
Wert im wirtschaftlichen Sinne (obwohl man auch gegen diesen Satz mit
Lehr einige Einschränkungen geltend machen kann); diejenigen Güter
aber, die für die Gesellschaft im ganzen einen gewissen Seltenheitsgrad
besitzen, werden auch für die Einzelnen, denen sie im Ueberflufs zur Ver-
fügung stellen, nicht nur einen Tauschwert, sondern auch einen auf der
Anerkennung ihrer gesellschaftlichen Seltenheit beruhenden subjektiven
Wert behalten. Mit anderen Worten, auch die subjektive Wertschätzung
der Güter hängt nicht ausschliefslioh von den rein persönlichen sub-
jektiven Bedürfnissen und Empfindungen des Besitzers ab , sondern wird
mittelbar auch durch den allgemeinen gesellschaftlichen Zusammenhang
beeinflufst und der Grenzwert der nicht freien Güter kann daher nur in
Ausnahmefällen, die für den volkswirtschaftlichen Prozefs keine Bedeutung
haben, Null oder negativ werden.
Bei der mathematischen Behandlung der Wertlehre betrachtet der
Verfasser die Nutzwirkung der jedesmal vorhandenen ganzen Menge
eines Gutes als eine Funktion dieser Menge. Für die von ihm gewählte
analytische Darstellung ist dieses Verfahren, bei dem der Grenznutzen
als die erste Ableitung jener Funktion erscheint, wohl das zweckmäfsigste,
während für die graphische Darstellung wohl die von Gossen angewandte
Methode sich mehr empfiehlt, nach der die jedesmalige Intensität
der Genufs- oder Nutzwirkung als Funktion der Menge ausgedrückt wird,
also die Ordinaten der Kurve bildet, deren Abscissen die Mengen sind.
Die Frage, ob überhaupt rein innerliche, subjektive Genufs-, Befriedigungs-
oder Wertempfindungen als mathematische Gröfsen behandelt werden
können, will ich hier nicht berühren, obwohl mir die Bejahung derselben
keineswegs zweifellos erscheint. Eine weitere Frage wäre, wie sich die
L i 1 1 e r a t u r. 289
Ton Lehr angenommene, die Nutzwirkung darstellende Funktion zum
Wert als Funktion der Menge verhält. Denn die erstere Funktion kann
auch für ein freies Gut ohne wirtschaftlichen Wert aufgestellt werden.
Da aber die nicht freien, also wirtschaftlichen Güter nach dem oben Ge-
sagten in der bestehenden hoch entwickelten Gesellschaftsordnung im all-
gemeinen von jedem Besitzer, auch wenn er einen Ueberflufs davon hat,
doch wegen ihrer gesellschaftlichen Seltenheit geschätzt werden, so kann
man sich jede Schätzung ihrer Nutzwirkung auch mit einer Wertaner-
kennung verbunden denken und dann auch die von Lehr für die erstere
angenommene Funktion noch als Darstellung des subjektiven Wertes in
seiner Abhängigkeit von der Menge betrachten. Angenommen nun, die
Gleichungen der Nutzwirkungen wären für die in Betracht kommenden
Güter und Personen gegeben — was in Wirklichkeit nie der Fall ist
und wegen der von unzähligen Umständen, namentlich auch den wirtschaft-
lichen Machtverhältnissen abhängenden Veränderlichkeit der individuellen
subjektiven Empfindungen nicht möglich sein wird — so würde sich damit
noch kein einziges wirtschaftliches Problem lösen lassen, wenn nicht noch
eine weitere, die Umstände näher bestimmende Annahme hinzu käme.
Diese Annahme ist die, dafs ein Maximum des Nutzens erreicht
■werde, sei es für den sein Einkommen oder seine Arbeitskraft auf den
Erwerb verschiedener Güter verteilenden Einzelnen , sei es für mehrere
mit einander Güter austauschende Personen. Nun kann man aber fragen,
ob denn die Maximum-Bedingung in der Wirklichkeit in der Regel wenig-
stens annähernd erfüllt sei. Nimmt man an , dafs die grofse Mehrzahl
der Menschen ihre Wirtschaft möglichst zweckmäfsig und rationell ein-
richten und insbesondere ihre Konsumtion möglichst vollkommen ihren
Mitteln anpassen, so wird man jene Frage in betreff des Güterverbrauchs
innerhalb der einzelnen Wirtschaft wohl bejahen dürfen; dagegen darf
man mit Sicherheit behaupten, dafs bei der gegenwärtig bestehenden Ge-
staltung des Güteraustausches das Maximum der möglichen Nutzwirkung
nicht erreicht wird. Dieses Maximum wäre nur zu erwarten, wenn alle
an dem Austausch Beteiligten, d, h. unter den bestehenden Verhältnissen
alle Käufer und Verkäufer, sich in wirtschaftlicher Sachkunde, Erwerbs-
geschicklichkeit und ökonomischer Macht gleichständen, was aber that-
sächlich nicht der Fall ist. So werden in zahlreichen Fällen Uebervor-
teilungen möglich, durch die der eine Teil mehr verliert, als der andere
gewinnt, also volkswirtschaftlich ein Ueberschufs an Verlust entsteht, was
aber den Gewinnenden nicht berührt und nicht von der weiteren Ver-
folgung seines Vorteils abhält. Die Uebervorteilung der Käufer ist am
leichtesten möglich, wenn diese als Konsumenten dem letzten Verkäufer
gegenüberstehen. Es fehlt ihnen dann meistens die fachmäfsige Waren-
kenntnis, auf die der Verkäufer in seinem Verkehr mit dem Grofshändler
oder dem Fabrikanten sich stützt. Ueberhaupt verhalten sich dieselben
Personen als Konsumenten häufig nicht so vorsichtig und streng be-
rechnend, wie als Geschäftsleute in ihrer Erwerbsthätigkeit. Konsumenten
vollends, die genötigt sind, auf Kredit zu kaufen, unterliegen häufig einer förm-
lichen Bewucherung, indem der Verkäufer ihre Notlage ausbeutet, um einen
noch höheren Preis zu erlangen, als sich durch die Rücksicht auf Zins
Dritte Folge Bd. VJU (LXIII). 19
290 Litt erat ur.
und Risiko rechtfertigen läfst. Am deutlichsten und allgemeinsten aber tritt
die Wirkung der ungleichen ökonomischen Macht in dem Tauschverhältnis
von Arbeit und Lohn zu Tage. Der Arbeiter kann seine Ware, die
Arbeitskraft, nicht lange zurückhalten , wenn er nicht dem Hunger ver-
fallen will; der Unternehmer als Käufer der Arbeitskraft aber kann warten
und kann daher, wenigstens wenn er nur vereinzelten Arbeitern gegenüber-
steht, den Lohn auf den dem „Schwitzsystem" entsprechenden Stand
herabdrücken. Dafs bei der so entstehenden grofsen Verschiedenheit der
Einkommen kein Maximum des Gütergenusses in der Gesellschaft bestehen
kann, läfst sich auch ohne alle mathematischen Formeln leicht ersehen.
Wenn das Einkommen von 1000 Personen, die mehr als 10 000 M. jähr-
lich haben, um je 100 vermindert, dagegen das von 1000 anderen, die weniger
als 1000 M. jährlich einnehmen, um je 100 M. erhöht würde, so würde
sich offenbar die Gesamtsumme des Genusses in der Gesellschaft erhöhen ;
und solche Schlufsfolgerungen kann man noch sehr weit fortsetzen. Man
könnte nun allerdings sagen, die Kurve der Nutzwirkung des Lohnes für
den Arbeiter bestimmt sich nach den nun einmal gegebenen ökonomischen
Marktverhältnissen, die Seltenheit aller Güter ist für ihn gröfser, als sie
bei einer anderen gesellschaftlichen Verteilungsordnung sein würde, wenn
also die gegebene Ordnung und die ihr entsprechende Kurve als geltend
vorausgesetzt wird, so vollzieht sich im übrigen der Austausch von Arbeit
und Lohn so, dafs relativ, nämlich auf dieser Basis, ein Maximum des
Genusses erreicht wird. Jedenfalls mufs aber bei dieser Auffassuug be-
achtet werden , dafs die Nützlichkeitskurve nicht einfach von der sub-
jektiven Schätzung, sondern auch von den gesellschaftlichen Zuständen ab-
hängt, dafs sie sich ändert, wenn die ökonomische Macht der Arbeiter
zunimmt oder abnimmt. Im übrigen aber ist in Bezug auf die Gleichungen,
die man für den Tauschverkehr zweier Personen aufzustellen pflegt, zu
bemerken, dafs dieselben in den meisten Fällen und namentlich auch für
den Austausch von Arbeit und Lohn der Wirklichkeit nicht entsprechen.
Es wird nämlich angenommen , dafs jeder Tauschende den Teil seines
Gütervorrates, den er nicht umtauscht, selbst benützen könne und zwar
so, dafs die Nutzwirkung der Mengeneinheit für ihn um so mehr steige,
je kleiner der Best werde. Das mag man, wenn es sich um den Kauf
einer Ware handelt, in betreff des im Besitze des Käufers befindlichen
Geldes zugeben; für die Ware des Verkäufers aber gilt es bei der
heutigen Ausdehnung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung in der Regel
nicht, und es gilt vollends nicht für den Arbeiter, der nichts anzu-
bieten hat, als seine Arbeitskraft. Findet er für diese keinen Abnehmer,
so ist sie ihm vollständig nutzlos und sie verschwindet spurlos mit jeder
Stunde, die er müfsig bleiben mufs. Mit anderen Worten, die Nutzwirkung
seiner Arbeitskraft ist für den Arbeiter selbst nicht eine Funktion
der für ihn verfügbaren Gröfse dieser Arbeitskraft, sondern sie ist kon-
stant gleich Null, sowohl beim Beginn des Austausches derselben, als
auch in jeder vorgerückteren Phase dieses Geschäfts. Daher bestimmt
sich das Maximum der Nutzwirkung bei diesem Austausch lediglich nach
den Interessen des Käufers der Arbeitskraft: dieser giebt einen Teil
seines Geldes hin und erhält dafür eine gewisse Arbeitsgröfse und er
Litteratur. 291
wird diesen Tausch so lange fortsetzen, bis er das Maximum des Vor-
teils für sich erreicht hat. Den Preis der Arbeit aber, d. h. den Geld-
betrag, den er für die Gröfseneinheit derselben giebt, wird der Käufer
so niedrig zu halten suchen, als es die Umstände irgendwie erlauben.
Lehr hebt übrigens auch selbst die enge Begrenzung des Nutzens
der mathematischen Methode hervor. Auch warnt er vor der Meinung,
als ob wegen der mathematischen Richtigkeit der aus den Formeln ab-
geleiteten Schlufsfolgerungen auch die Voraussetzungen der Formeln als
zutreffend anzusehen seien. Ueberhaupt lassen sich nur gewisse ganz
allgemeine Folgerungen aus den Formeln mit der Erfahrung vergleichen
und durch dieselbe bestätigen; diese aber können weit einfacher aus un-
mittelbaren Betrachtungen ohne allen mathematischen Apparat abgeleitet
werden und dabei hat man den Vorteil zu erkennen, wie sie sich aus
dem Zusammenwirken menschlicher Motive ergeben, während die mathe-
matische Ableitung mit dem Drehen der Kurbel einer Rechenmaschine
zu vergleichen ist, wobei der Uebergang von den Bedingungen der Auf-
gaben zu der Lösung verdeckt bleibt. Auch die mathematische Ableitung
des naturgemäfsen Arbeitslohns v. Thünens unterwirft Lehr einer be-
rechtigten Kritik, mit dem Resultate, dafs die Formel auch theoretisch
nicht zutreffend sei und dafs nicht etwa ihre Wirksamkeit nur durch die
unvollständige Verwirklichung ihrer Voraussetzungen verdeckt oder ver-
hindert werde. In Bezug auf den Zins kommt Lehr ebenfalls zu dem
Ergebnis, dafs ein „natürlicher" Satz desselben sich weder mathematisch
noch auf anderem Wege ableiten lasse. Er begnügt sich mit einer Theorie
der Preisbildung, die den Zins als ein Ergebnis konkurrierender Be-
strebungen erklärt, ohne dafs es notwendig und immer möglich wäre, gleich-
zeitig ein besonderes Verdienst des Kapitalisten zu konstruieren, wegen dessen
seiner Mitwirkung an der Produktion ein Anteil am Reinertrag gebühre.
Daher erhebt der Verfasser auch wesentliche Bedenken gegenüber dem von
Böhm-Bawerk und anderen gemachten Versuche, den Zins aus der Un-
gleichheit in der Schätzung der Gegenwarts- und Zukunftsgüter abzu-
leiten oder zu rechtfertigen. Er weist darauf hin, dafs uns in vielen
Fällen Güter in der Zukunft wertvoller sind als sie in der Gegenwart er-
scheinen. Für einen einzelnen Menschen würden 1000 Kilo Brot in der
Gegenwart wenig Wert haben , da sie gröfstenteils unbenutzt verderben
würden , und er würde sie gewifs gern für das Versprechen hingeben,
dafs ihm 1000 Tage lang täglich ein Kilo frisches Brot geliefert würde.
Man kann hinzufügen , dafs auch diejenigen, die von ihren Zinsen leben
wollen, die Rentner, sehr unglücklich sind , wenn sie eine grofse Summe
in der Gegenwart im Kasten behalten müssen , weil sie keine genügend
sichere und einträgliche Anlage dafür finden. Für die Arbeiter beschäftigen-
den Unternehmer ist allerdings ein gegenwärtiges Kapital wertvoller als
ein zukünftiges, aber doch wohl deswegen, weil sie mit dem ersteren in
der Zwischenzeit einen Gewinn erzielen können, indem sie Arbeit zu
einem billigeren Preise kaufen, als dem, zu welchem sie in dem fertigen
Produkt verwertet wird. Für die Arbeiter sind natürlich nur die gegen-
wärtigen Unterhaltsmittel von Nutzen, weil sie in Erwartung der künftigen
verhungern würden. Es kommt ganz auf den Standpunkt des Beur-
19*
292 Litteratur.
teilers an , ob er das so entstehende Uebergewicht des Gegenwartswertes
für den Arbeiter aus dem ökonomischen Machtverhältnis von Unter-
nehmer und Arbeiter oder aus der weder dem Unternehmer noch dem
Arbeiter zum Bewufstsein kommenden inneren Natur von Gegenwarts-
und Zukunftswerten ableiten will. Jedenfalls geht man im wirklichen
wirtschaftlichen Leben, wie Lehr bemerkt, nicht von der Ungleichheit
dieser Wertschätzungen aus, um aus ihnen den Zins zu erklären, sondern
man schätzt umgekehrt wegen der Einwirkung des Zinses auf die Preis-
bildung die Gegenwartsware höher als die Zukunftsware. Mit Recht hebt
Lehr auch hervor, dafs die U n si ch erheit des Zukunftswertes den Zins
nicht erklären könne. Diese rechtfertigt nur die Berechnung einer Risiko-
prämie, die Eigentümlichkeit einer solchen aber besteht darin, dafs sie
im Laufe der Zeit oder beim Zusammenfassen einer gröfseren Zahl von
Fällen durch die Verluste aufgewogen wird. Der eigentliche Zins besteht
neben der Risikoprämie und erscheint auch in solchen Fällen, in denen
eine Unsicherheit des Zukunftswertes praktisch völlig ausgeschlossen ist.
Uebersicbt über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 293
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen.
Wickseil, Knut, (Lic. phil.), Ueber Wert, Kapital und Rente nach
den neueren nationalökonomischen Theorien. Jena, Gustav Fischer,
1893. 143 SS.
Naumann, Moriz, (Dr.), Die Lehre vom Wert. Leipzig, Duncker
und Humblot, 1893. 74 SS.
Schröder, H. (Grofsh. bad. Oberamtmann), Der wirtschaftliche Wert,
Begriff und Normen. Berlin, Puttkammer und Müblbrecht, 1894. 103 SS.
In den vorliegenden 3 Schriften wird der Theorie des Grenzwertes
gedacht, in derjenigen von Wickseil unter Anwendung des mathematischen
Rüstzeugs, während Naumann und Schröder sich desselben nicht bedient,
dafür aber auch die von ihnen besprochenen Fragen nicht so tief und
kritisch behandelt haben, wie es durch Wickseil geschehen ist.
W i c k 8 e 1 1 erörtert im ersten Abschnitt seiner Arbeit „die neue Theorie
des Wertes" und zwar unter Anlehnung an Walras, im zweiten, welchen
er „mehr als sein geistiges Eigentum" bezeichnet, „die neue Theorie des
Kapitals nebst ihren Beziehungen zur Theorie des Arbeitslohnes, der Boden-
rente und der Güterwerte". Unter voller Anerkennung der Verdienste
von Menger, v. Böhm-Bawerk, Jevons und Walras tritt er den Ausfüh-
rungen dieser Schriftsteller doch mehrfach entgegen. Insbesondere ver-
sucht er einigen Sätzen von v. Böhm-Bawerk , vor allem solchen über
Begründung und Höhe des Zinses eine erweiterte Fassung zu geben. In
der richtigen Erkenntnis, dafs die Ableitung allgemeiner Sätze aus Bei-
spielen leicht zu fehlerhaften Schlufsfolgerungen führt, bedient er sich
der allgemein gehaltenen Formel. Allerdings tritt auch hierbei die be-
kannte Thatsache zu Tage, dafs die Mathematik mehr in negativer Be-
ziehung, vorzüglich aber als Mittel, um von anderen Seiten leichthin
aufgestellte und gern allgemein als richtig hingenommene Sätze kritisch
zu prüfen und Anschauungen zu klären, gute Dienste leistet als in posi-
tiver Hinsicht, wenn es gilt, neue Gedanken aufzustellen. Wickseil knüpft
im zweiten Abschnitte an die Zinstheorie von v. Böhm-Bawerk und an
dessen Darlegungen über die Verlängerung der Produktionsperioden (,, Pro-
duktionsumwege") an, kommt dabei zu schärferer Fassung als v. Böhm-
Bawerk, aber, unter etwas allzu reichlicher Anwendung von Formeln, über
294 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
die teils hypothetischen Voraussetzungen, von denen er ausgeht, nicht
hinaus.
Die einseitig negative Richtung des Historismus ist nach Wicksell
nicht besonders geeignet, den Einflufs und das Ansehen der National-
ökonomie zu heben. Die deutschen Gelehrten aber hätten nach 1878 es
vorgezogen, sich mit den historischen Untersuchungen als vergleichsweise
ungefährlicher zu beschäftigen unter Vermeidung „der Streitfragen des
Tages". Ohne Zweifel sei eine der Hauptursachen der wenig befriedigen-
den Entwickelung der deutschen Nationalökonomie darin zu suchen, dafs
die Lehrfreiheit auf diesem Gebiete, besonders während der Geltung des
Sozialistengesetzes, in hohem Grade eingeschränkt gewesen sei. Es mag
wohl sein, dafs in jener Zeit ängstliche Gemüter sich etwas enge Grenzen
gesteckt haben; indes die Lehrfreiheit ist keineswegs eingeengt worden.
Ausländer haben, wie ich aus persönlicher Erfahruug weifs, in jener Zeit
die Stellung der deutschen Dozenten vielfach falsch beurteilt und nichts
weiter als Gespenster gesehen. Die bezüglichen Bemerkungen Wicksell's
dürfen als unzutreffend zurückgewiesen werden.
Naumann teilt uns, wie er selbst bemerkt, die Ergebnisse seines
Nachdenkens nur mit, weil er gaubt, in der Hauptsache neue oder fast
gar nicht betretene Wege eingeschlagen zu haben. Die Grenzwerttheoretiker
haben nach ihm den Fehler begangen, dafs sie nicht konsequent genug
gewesen seien, sie seien infolge davon auf Irrwege geraten, dafs sie dem
Kosteuwert nicht die ihm gebührende gesonderte Stellung angewiesen, so-
dann dadurch, dafs sie zwischen subjektiven und objektiven Bestimm-
gründen des Wertes nicht scharf genug unterschieden hätten.
Das wesentlich Neue, was der Verfasser bietet, ist die Unterscheidung
der Fälle, in welchen Gegenstände nach dem „Kostenwert", von jenen,
in denen sie nach dem „Nutzwert" geschätzt würden. Sachen, die man
nicht besitze, bewerte man nach dem Nutzen, welchen sie uns brächten.
Alan werde sie erst dann zu erwerben suchen, wenn ihr Nutzwert min-
destens gleich den Kosten sei. Besitze man aber eine Sache und könne
man eine gleiche wieder erwerben, so gehe mit dem Verlust der ersten
Sache nicht ihr Nutzwert verloren, sondern es entstehe nur die Unlust
eines zweiten Erwerbs. Man schätze demgemäfs solche Dinge, welche
man besitze, nicht nach ihrem Nutzwert, sondern nach ihren Wiederer-
werbskosten, nach dem Kostenwert. Sollte aber nicht dieser zweite Fall
mit dem ersteren für unsere Frage ganz identisch sein ? An einen Wieder-
erwerb wird man doch nur dann denken, wenn der Nutzwert mindestens
gleich dem Kostenwert ist. Und im ersten Falle könnte ja auch eine zweite
gleiche Sache zum Erwerb bereit stehen. Immer aber würde nur die
Unlust des Erwerbes entstehen und mit dieser die Lust verglichen, welche
aus der Sache erwächst.
Bei Gegenständen nun, welche nicht wieder erworben werden könnten,
komme schlechthin der volle Nutzwert in Betracht.
Ich denke mir die Sache einfach so. Ich bewerte die Dinge nach
allen Vorteilen, welche sie für mich haben, opfere aber für dieselben nie
mehr, als ich mufs, und unter keinen Umständen mehr, als ich sie bewerte.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 295
Verwende ich Gegenstände für irgend einen Zweck, können dieselben auch
anderweit ausgewertet werden, so mufs ich streben, im einen Fall min-
destens einen gleich hohen Nutzen zu erzielen wie im anderen, d. h.
rechnerisch wird, wie dies ja auch allgemein geschieht, je eine Verwen-
dungsweise der anderen als Kosten aufgerechnet. In vielen Fällen des
praktischen Lebens wird man sich überhaupt nicht viel mit subtilen
Wertschätzungen befassen und zwar immer dann nicht, wenn gar keine
Vergleichungen anzustellen sind. Mit diesen wenigen Worten sind im
wesentlichen die Ausführungen erschöpft, von denen der Verfasser an-
nimmt, dafs sie neu seien.
Den vom Verfasser aufgestellten Begriffen Schenkungs- und Erfül-
lungswert (Verwendung zur Erfüllung obliegender Verpflichtungen) lege
ich keine besondere Bedeutung bei. Je nach den Zwecken, denen wir
vermittelst eines Gegenstandes genügen, könnten wir noch von gar vielen
Wertarten sprechen.
S. 33 meint der Verfasser, drei ihrer Qualität nach ganz gleiche
Teile einer Güterart schätze man nicht verschieden, jeden der drei Teile
schätze man gleich dem unwichtigsten Bedürfnis. Zwei Teile aber werde
man nicht doppelt so hoch wie eins, sondern höher schätzen. „Drei wer-
den viel mehr als dreimal so hoch geschätzt wie eins", denn vom Besitze
des ganzen Vorrates hänge die Befriedigung aller drei Bedürfnisse, also
auch das dringendste ab. Umgekehrt sei das Bild, wenn man die drei
Teilmengen nicht besitze. Der Widerspruch, über den ich hier (ebenso
S. 52) nicht hinauszukommen vermag, beruht wohl in einer Ungenauigkeit
der Ausdrucksweise.
Schröder will, im Gegensatze insbesondere zur klassischen Wert-
theorie , welche die beliebig reproduzierbaren Güter und die übrigen
unterscheide, eine einheitliche Werttheorie darstellen, welche beiden Seiten
des wirtschaftlichen Wertes, dem Kosten- wie dem Nutzenwert, gerecht
■werde, während die Grenzwerttheorie aus dem subjektiven Nutzenwert
heraus allein die wirtschaftlichen Werterscheiuungen erklären und die
Wertgesetze ableiten wolle. Der Grundgedanke, an welchen er sich hält,
bezieht sich auf die bekannte Erscheinung, dafs innerhalb gewisser Grenzen
mit Ausdehnung der Produktion die Kosten derselben relativ steigen und
dafs im allgemeinen der Wert, welchen man einer Gütermenge beilegt,
mit Zunahme der letzteren nicht im gleichen Mafse wie diese sich er-
höht. Wie von einem Grenznutzen, so kann mau da auch wohl von
Grenzkosten sprechen, ohne dafs damit, aufser der Wortzusammensetzung,
etwas Neues gewonnen ist. Statt des kurzen Ausdrucks Kosten be-
dient sich der Verfasser der Bezeichnung Kostenwert und unterscheidet
dabei zwischen einem subjektiven und objektiven, absoluten und relativen.
Die Begriffsbestimmung läfst in Bezug auf Klarheit leider viel zu wünschen
übrig. „Der wirtschaftliche Akt", heifst es, „beginnt mit einer Aktion de3
Menschen, deren Wirkung, auf ihn geschätzt, ich Kostenwert nenne." „Unter
subjektivem Kostenwert verstehe ich die Wirkung einer bestimmten wirt-
schaftlichen Thätigkeit auf den wirtschaftenden Menschen, von diesem
geschätzt." Der rein subjektive Kostenwert ist dem Verf. derjenige, bei
296 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
■welchem die Wirkung einer ganz bestimmten konkreten Arbeitsleistung
auf das wirtschaftende Subjekt von diesem geschätzt wird und die augen-
blickliche Beschaffenheit des wirtschaftenden Menschen zum Ausdruck
kommt. Sehe mau von den momentanen Stimmungsschwankungen ab,
betrachte man mithin das Subjekt als ein konstantes, so komme man zum
subjektiven Kostenwert im weiteren Sinne. Als „absoluten Kostenwert"
bezeichnet der Yerf. die Mehrkosten, welche durch Herstellung je der
teuersten kleinen Produktenmenge erwachsen. Werden die Gesamtkosten
mehrerer auf einander folgender verschieden teuerer Produkte durch die
Menge der letzteren dividiert, so stellt der Quotient eine Mittelgröfse dar.
Diese nennt der Verf. den „relativen Kostenwert". Für den Markt soll
nun nicht der subjektive, sondern der objektive Kostenwert von Bedeu-
tung sein. Der Verkehr ignoriere die subjektive Seite des Kostenwertes
der verschiedenen zu Markt kommenden Produzenten und mache bei Be-
stimmung des quantitativen Austauschverhältnisses zwischen verschie-
denen Gütern einen einzigen subjektiven Kostenwert zum Vertreter der
anderen.
Aehnliche Unterscheidungen macht der Verfasser bei dem „Nutzen-
wert". Subjektiver Nutzenwert ist ihm „die Wirkung, welche den Erfolg
der wirtschaftlichen Thätigkeit, welche ein Gut, in dem wirtschaftliche
Arbeit materialisiert ist, auf den wirtschaftenden Menschen hervorbringt,
von diesem geschätzt", objektiver Nutzenwert „der niederste auf dem
Markte noch befriedigte Grenznutzen". Als subjektiven wirtschaftlichen
Wert bezeichnet der Verfasser „die Wirkung eines wirtschaftlichen Aktes
oder eines wirtschaftlichen Gutes auf den wirtschaftenden Menschen in
ihrer Totalität, Kosten und Nutzenwert zusammen, von dem wirtschaften-
den Menschen geschätzt", als wirtschaftlichen Grenzwert „die Differenz
zwischen Nutzen- und Kostenwert des Grenzproduktes" etc.
Vorstehende Definitionen habe ich trotz der Beschränktheit des zur
Verfügung stehenden Baumes hier wiedergegeben, um damit meinen Wunsch
als begründet erscheinen zu lassen, es hätte der Verf. weniger spintisieren,
dafür aber etwas präziser und klarer sein sollen. Mit grofsem Ernste
trägt er die einfachsten Dinge vor, welche eigentlich keiner besonderen
Auseinandersetzung bedürfen. Hätte er sich einer schlichten Ausdrucks-
und Betrachtungsweise bedient, so hätte er sich viele seiner etwas ge-
künstelten Begriffsbilduugen ersparen können. Allerdings wäre dann der
Anlafs zur Veröffentlichung der Broschüre in Wegfall gekommen.
München. J. Lehr.
Bamberger, L., Charakteristiken. Berlin, Rosenbaum & Hart, 1894. gr. 8.
VI — 328 SS. M. 5. — . (Inhalt: Adam Lux. — Moritz Hartmann. — Reminiscenzen an
Napoleon III. — Eduard Lasker. — Zur Erinnerung an Friedrich Kapp. — Karl Hille-
brand. — Heinr. v. Treitschke. — - Heinrich Hombergers Essays. — Ernst Renan. —
Ad Soetbeer. — Arthur Chuquet. — Otto Gildemeister. — )
Ernst, P., Die gesellschaftliche Reproduktion des Kapitals bei gesteigerter Pro-
duktivität der Arbeit. Berlin, Harnisch & C°, 1894. Roy.-8. 84 SS. M. 1. — .
Herkner, H. (o .Piof. der Volkswirtschaftslehre, techn. Hochsch., Karlsruhe), Die
Arbeiterfrage. Eine Einführung. Berlin. Guttentag, 1894. gr. 8. VIII — 298 SS. M. 4.—.
(Inhalt: I. Teil. Soziale Geschichte: Frankreich; England; Deutschland. — II. Teil.
Soziale Theorie und Kritik : Die Arbeiterfrage vom sittlichen Standpunkte ; der Liberalis-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 297
mus; der Kommunismus. — III. Teil. Soziale Reform: Der wirtschaftliche Fortschritt;
Freie Organisationen ; Staat und Gemeinde.)
Katö, Hiroyuki (weil. Rektor der kais. Universität zu Tokyo), Der Kampf ums
Recht des Stärkeren und seine Entwickelung. Berlin, Friedländer & Sohn, 1894. gr. 8.
II — 154 SS. M. 3. — . (Aus dem Inhalte: Das angeborene Meuschenrecht — Das Recht
des Stärkeren. — Die Identität der Freiheit und des Rechtes des Stärkeren ; das Ver-
hältnis des Rechtes des Stärkeren zum Rechte im wahren Sinne. — Der Kampf ums
Recht des Stärkeren zwischen Herrschenden und Beherrschten und seine Entwicke-
lung. — Der Kampf ums Recht des Stärkeren zwischen Freien und Unfreien, und seine
Entwickelung. — Der Kampf ums Recht des Stärkeren zwischen Männern und Weibern
und seine Entwickelung. — Der Kampf ums Recht des Stärkeren zwischen Rassen, Völ-
kern und Staaten. — etc.)
Kraepelin, E., (Prof. der Psychiatrie, Heidelberg), Ueber geistige Arbeit. Jena,
Fischer, 1894. gr. 8. 26 SS. M. 0,60.
Lasson, Ad., Lotterie und Volkswirtschaft. Berlin, Simion, 1894. gr. 8. 64 SS.
M. 1. — . (A. u. d. T. : Volkswirtschaftliche Zeitfragen, Heft 123 und 124.)
Werunsky, A. (Laudesadvokat), Grundzüge des Entwickelungsganges der Volks-
wirtschaftslehre in übersichtlicher Darstellung, zugleich eine Einführung in das Studium
der Nationalökonomie überhaupt. Zittau, Pahl, 1894. gr. 8. 38 SS. M. 1. — .
Wie studiert man Nationalökonomie? Von einem Volkswirt. Leipzig, Rofsberg,
1894. 8. 16 SS. M. 0,60.
Beaudouin, E. (prof. ä la faeulte de droit de Grenoble), La limitation des fonds
de terre dans ses rapports avec le droit de propriete. Etüde sur l'histoire du droit
romain de la propriete. Paris, Larose, 1894. 8. fr. 10. — .
Funck-Brentano, Th. , La politique. Principes, critiques reformes. Paris,
Rousseau, 1893. gr. in-8. 430 pag. fr. 7,50. (Table des matieres: La seience et l'art de
la politique. — L'Etat et le peuple. — Le pouvoir souverain et les fonctions publiques.
— La Constitution reelle et la Constitution ecrite de l'Etat. — La politique et l'histoire.
— La politique es les lois. — La politique et les congres. — La question ouvriere. —
La question sociale. — La crise industrielle et commerciale. — Les finances publiques.
— L'instruction publique. — L'appauvrissement des classes moyennes. — La misere des
classes inferieures. — Revision des tarifs douaniers. — Reforme des impöts. — Amor-
tissement de la dette. — Reorganisation de l'instruction publique. — Legislation ou-
vriere. — Röle de la religion. — La politique etrangere. Talleyrand. — Situation generale
des grandes puissances. — L'Europe et la peninsule des Balkans. — L'Europe et l'Alsace-
Lorraine. — Les alliances. — L'armee et la flotte. — Les colonies. — Les ressources
sociales et politiques de la France. — )
N audier, F. (avocat), Le socialisme et la revolution sociale. Etüde historique
et philosophique. Paris, F. Alcan, 1894. 12. fr. 3,50.
Tarroux, F., Lettres sur le socialisme. Paris, Fischbacher, 1894. 16. IX — 396 pag.
fr. 5. — . (Table des matieres: I n'y a pas seulement des questions sociales; il y a
une question sociale. — Ceux qui nient et ceux qui affirment l'existence de la question
sociale. — Du scandale que souleve le mot socialisme. — II n'est pas possible d'ignorer
l'existence de plusieurs especes de socialisme. — Le socialisme est un fait de tous les
temps et de tous les peuples. — Mission sociale du Christ ; deviation de l'eglise. —
Tout le monde fait du socialitme. — Progres du socialisme revolutionnaire. — Le pauvre
et l'eglise. — II y a un socialisme chretien. — Du collectivisme. — Principe funda-
mental de la nouvelle societe : la propriete individuelle. — De la propriete industrielle.
— Le travail. — La loi de l'offre et de la demande. — Droits du travail qui decoulent
de sa nature. — Vices du travailleur. — Du travail industriel. — Le salariat ne peut
etre supprime. — De la condition sociale. — Importance de la question des loyers rela-
tivement aux travailleurs. — Notion de l'impot. — Moyens de remplacer les impots
supprimes. — Du commerce. — Abolition des monopoles. — I y a toujours des pauvres.
— Le pauvre est confie d'abord ä la chatite et, ä son defaut, k l'Etat. — etc.)
Annual register, the. A review of public events at home and abroad for the
year 1893. 2 parts. London, Longmans, Green, & C°, 1894. Roy. in-8. V— 500 and
231 pp., cloth. 18/. — . (Contents: Part I: EDglish history: State of parties. — The
Home Rule Bill. Second reading debate. — The Home Rule Bill in committee. — The
Home Rule Bill in the Lords. — The Parish Councils Bill. — Scotland and Ireland. —
298 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Foreign and colonial history. — Part II: Chrouicle of events in 1893. — Obituary of
eminent persons. — etc.)
Hobson, J. A., The evolution of modern capitalism. A study of machine pro-
duction. London, W. Scott, 1894. 8. XIV— 388 pp., cloth. 3/.6. (Contents: Intro-
duction. — Structure of industry before machinery. — The order of development of
machine industry. — The structure of modern industry. — The formation of monopolies
in capital. — Economic powers of the trust. — Machinery and industrial depression. —
Machinery and demand for labour. — Machinery and the quality of labour. — The eco-
nomy of high wages. — Some effects of modern industry upon the workers as consu-
mers. — Women in modern industry. — Machinery and the modern town. — Civili-
sation and industrial development. —
Hobson, J. A., Subjective and objective view of distribution. Philadelphia, Ameri-
can Academy of political and social science, 1894. 8. 45 and 67 pp. $ 0,25.
Rosewater, Frank, '96: a romance of Utopia ; presenting a Solution of the
labor problem, a new God and a uew religion. Omaha (Nebraska, U. St.), the Utopia
C°, 1894. 8. VI— 268 pp. $ 0,50. (Ein 1896 bis 1930 in dem im Herzen Afrikas
belegenen Phantasiestaate Utopia spielender Staatsroman mit originellen Ausführungen
neuer Theorien über Arbeit, Arbeit und Kapital , Verteilung und Umlauf der Güter etc.)
Guar nie ri, L., Radicali-socialisti dell' avvenire in Italia : principi e programma.
Roma, tip. di Ed. Perino ed., 1894. 8. 56 pp.
Feenstra, A., Beginselen der staathuishoudkunde. Gorinchem , J. Noorduyn &
Zoon, 1894. 8. IV— 103 blz. fl. 1.—.
Bran as, A., Historia et-onömica. Madrid, Suarez, 1894. 8. pes. 7. — .
Sänchez de Toca, J., Problemas econömieos y sociales. Madrid, G. Hermandez,
1894. 8. pes. 4.—.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
R a t z e 1 , Fried r. , Politische und Wirtschaftsgeographie der
Vereinigten Staaten von Amerika. Zweite Auflage. (Zweiter Band von
des Verf. Werk : Die Vereinigten Staaten von Amerika.) München,
R. Oldenbourg, 1893. XVI, 763 SS. gr. 8° mit einer Kulturkarte und 16
Kärtchen und Plänen .im Text.
Im rechten Augenblick für den Strom deutscher Reisenden, den die
Weltausstellung nach Chicago lockte, erschien diese neue Bearbeitung des
kulturgeographischen Teiles des bedeutendsten Werkes, das die Gesamt-
darstellung der Union sich zur Aufgabe gemacht hatte. Dem Umfange
nach stimmt sie überraschend genau mit der ersten Auflage überein.
Aber der Verf. hat Recht, auf der Schwelle der Vorrede sein Werk als
ein neues Buch zu bezeichnen. Auf die gedrängte Einzelbeschreibung
der Staaten und Territorien, welche die letzten 100 Seiten der ersten
Auflage einnahm und bei der raschen Entwickelung der Besiedelung heute
nicht mehr in Gestalt eines so eng begrenzten Anhangs hätte geboten
werden können, hat der Verf. dieses Mal lieber vollkommen verzichtet.
Er hat dadurch Raum gewonnen, die allgemeine Darstellung noch reich-
haltiger zu gestalten und tiefer zu begründen. Zu beidem luden un-
widerstehlich ein die Ergebnisse der grofsen, in weitläufigen statistischen
Werken niedergelegten Arbeiten des 10. und 11. Census (1880 und 1890).
Für ihre vergleichende Verwertung fiel nicht nur ihre vollkommenere
Durchführung förderlich ins Gewicht, sondern besonders einladend die
Thatsache, dafs beide Zählungen weder von einander noch von dem vor-
angegangenen 9. Census (18 70) durch eine so einschneidende Katastrophe
getrennt waren, wie sie in dem noch weiter zurückliegenden Jahrzehnt
der Bürgerkrieg herbeigeführt hatte. Zwanzig Jahre ruhiger, ungestörter
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 299
Entwickelung in einem so viel uud mannnigfach ausgestatteten Wirt-
schaftsgebiete mufsten für jeglichen Zweig der Nationalökonomie und
Statistik eine Fülle lehrreicher Erfahrungen zeitigen. Grundlagen, Mittel
und Erfolge des amerikanischen Wirtschaftslebens haben in dieser Zeit
sich erheblich verändert und der Union mit gesteigerter Bedeutuug auch
ein erhöhtes Selbstgefühl und wachsende Ansprüche im Verkehrsleben
der Erdoberfläche begründet. Es wäre naturgemäfs unmöglich, im Rahmen
eines geographischen Werkes eine Uebersicht über die wechselnden Strö-
mungen des wirtschaftlichen Lebens der Union in dieser ergebnisreichen
Zeit zu bieten. Hier gilt es weniger den Entwickelungsgang mit allen
Wendungen, als vielmehr das als Grundlage der nächsten Zukunft dienende
Ergebnis, den gegenwärtigen Zustand zu betonen, und zweifellos wird jeder
am Leben jenseits des Ozeans Interesse Nehmende dem Verf. Dank wissen
für die grofse Sorgfalt, mit der er aus den unablässig weiter rauschenden
üriginalquelleu schöpfend, ein klares, in wohlgewählten statistischen
Ziffern und selbständigen Urteilen gefafstes Bild der transatlantischen
Kulturwelt entworfen hat. Einer Welt , die so rascher Umgestaltung
unterliegt, konnte nur ein ebenso beweglicher Geist mit leichtflüssigem
Gedankenzuge gerecht werden. Das empfindet man besonders lebhaft,
wenn man die umgegossene, vielfach ganz neu begründete Darstellung
mit der 13 Jahre älteren Vorgängerin vergleicht. Relativ am vollsten
ist die alte Anlage erhalten in dem 3. und 4. Hauptabschnitt : der Wirt-
schaftsgeographie (Land- und Waldwirtschaft, Bergbau, Gewerbe, Ver-
kehr, Handel) und dem Bilde des staatlichen und geistigen Lebens. Nur
ist überall eine knappere, straffere Fassung der Darstellung eingetreten
und eine dem Fortschritt der Thatsachen entsprechende Neubearbeitung
und Ergänzung erfolgt. Dagegen haben durchgreifende Umgestaltungen
und ansehnliche Erweiterungen erfahren die ethnographische und statistische
Behandlung der Bevölkerung im 1. und 2. Hauptabschnitt und die Ein-
leitung, welche die natürlichen Bedingungen der Kulturentwickelung des
Gebietes betrachtet. Die Wendung in dem Verhalten der Union gegen
die Einwanderung regte an zu einer Würdigung des Zustromes fremder
Ansiedler, zur Betrachtung der Verschiebung der Wauderziele, zur Prü-
fung und Deutung des allmählich mäfsiger werdenden Wachstums der
Volkszahl und der Ursachen, die ihre geographische Verteilung ver-
ändern. Unter den Bevölkerungselementen der Union schienen die Neger
einer ganz besonderen Beachtung wert, weil das Censuswerk etwas zu
einseitig die grofse Sterblichkeit, die unter ihnen herrscht, betont, und
geneigt ist, die Zukunftsbedeutung der Farbigen zu unterschätzen. R. hebt
demgegenüber hervor, dafs aufser der wachsenden Ausbreitung der Neger
über alle Teile, namentlich über alle Städte der Union, auch eine Ver-
dichtung der Negerbevölkerung in einem Teile der Südstaaten bemerkbar
ist und hier unvermeidlich eine den amerikanischen Freistaaten sonst
fehlende Zerklüftung der Gesellschaft sich entwickelt, je bestimmter die
weifse Bevölkerung eine Mischung mit der farbigen ablehnt. Welche
Gestalt die Negerfrage der Zukunft hier annehmen wird, ist noch schwer
abzusehen; aber auf ein Zusammenschwinden der schwarzen Bevölkerung
(71/2 Mill.) ist nicht zu rechnen. Am tiefsten greift die Umgestaltung
300 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
des Werkes in der Einleitung. Hier haben insbesondere die allgemeinen
Abschnitte Lage, Peripherie (Grenzen und Küsten), Raum (S. 1 — 105),
die früher nur durch eine kurze, knappe Gedankenreihe vertreten waren,
einen ganz neuen Ausbau erhalten, der dem Verf. Gelegenheit giebt, den
beherrschenden Blick, die Gewöhnung an grofse Anschauungen zu be-
währen in einer würdigen ideenreichen und fesselnden Darstellung. Liegt
demnach auch der Schwerpunkt der neuen Vorzüge, die R.'s politische
Geographie der V. St. gewonnen hat, entschieden auf geographischem
Gebiet, so wird doch auch der Nationalökonom mit Befriedigung hier
die Ergebnisse der jüngsten Fortentwickelung dieses Wirtschaftsgebiete»
niedergelegt und in urteilsvollem Zusammenhange verwertet finden.
Breslau. J. Parts eh.
Müller, Ew., Das Wendentum in der Niederlausitz. Kottbus , H. Differt, 1894.
gr. 8. X— 192 SS. mit 11 Tafeln Abbildungen und 1 Spraehkärtchen. M 3,50.
Rachfahl, F. (Privatdozent, Kiel), Die Organisation der Gesamtstaatsverwaltung-
Schlesiens vor dem dreifsigjährigen Kriege. Leipzig, Duncker & Humblot, 1894. gr. 8.
XII — 482 SS. M. 10. — . (Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen. Herausgegeben
von G. Schmoller, Band XIII, Heft 1.)
Combes de Lestrade (le vicomte) , La Sicile sous la monarchie de Savoie.
Paris, Guillaumin, 1894. in-18 Jesus. IV— 422 pag. fr. 3,50. (Table des matieres:
Livre I. L'etat present : Aspect general de l'ile. — La grande propriete. — Les proprie-
taires de terres divisees. — Les villes. — Le gaspillage des activites. — Les grandes
villes. — La classe intermddiaire. — Les paysans. — Les contrats agraires actuels. —
Les municipalites et les octrois. — Les mines de soufre. — Livre II. Les utopies: Les
reformes projetees. — Le metayage obligatoire. — Le parti socialiste en Sicile. —
Reformes de l'exploitation soufriere. — Resume des utopies proposees. — Livre III. La
Solution : Possibilit6 du relevement de la Sicile. — La decentralisation. — L'autonomie
de la Sicile serait profitable ä l'Italie tout entiere. — Possibilite de l'autonomie sans
modifier l'essence du Statut. — Livre IV. Conclusion : Condamnation de l'Italie une. —
Le federalisme. — L'avenir: La resurrection de la Sicile et la France. — etc.)
Enquete sur les conditions de l'habitation en France. Les maisons types, avec
une introduetion de M. Alfred de Foville (membre du comite- des travaux historiques et
scientifiques (section des sciences economiques et sociales) du Ministere de l'instruction
publique.) Paris, Leroux, 1894. 8. LI — 386 pag. avec figures et planches.
de Ganniers, A. , Le Maroc d'aujourd'hui, d'hier et de demain : Paris, Jouvet &
Cie , 1894. 8 illustre de 38 gravures et aecompague d'une carte, fr. 3,50.
Nieole, J., Le livre du Prefet ou l'^dit de l'Empereur Leon-le Sage sur les corpo-
rations de Constantinople. Truduction du texte grec de Geneve, avec une introduetion
et des notes explicatives. Geneve 1894. 8. (Le Prefet de Constantinople etait grand-
maitre des corporations. L'edit traite des diverses attributions et des reglements des
divers corps de metiers aux IX e et Xe siecles [886 ä 911].)
Pensa, H. (avocat, secretaire de la delegation senatoriale en Algerie), L'Algerie.
Voyage de la Commission senatoriale d'etudes des questions Algeriennes, presidee par
J. Ferry. Paris, J. Rothschild, 1894. 8. 500 pag. avec carte imprime en 5 couleurs,
indiquant l'itineraire de la delegation et le programme de la colonisation de 1891 ä 1895.
fr. 10. — . (Sommaire: Organisation politique et administrative. — Justice. — Securitö.
— Instruction publique. — Travaux publics. — Colonisation francaise et europeenne. —
Agriculture et forets. — Propriete et etat civil chez les indigenes. — )
Egypt, N° 1 (1894). Report on the finance, administration, and condition of
Egypt, and the progress of reforms. London, printed by Harrison & Sons, 1894. Folio.
38 pp. (Presented to both Houses of Parliament, April 1894.) [Contents: Annual report
on the year 1893, by Lord Cromer. — A memorandum by Mr. Garstin on the work
done by the Public Works Department during 1893. — ]
Fowler, J. K. („Rusticus" pseud.), Recollections of old country life, social, poli-
tical, sporting, and agricultural. New York, Longmans, Green & C°, 1894. XX — 235 pp.,
clotb. Ä 3.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 301
Toynbee, A., Lectures on the industrial revolution of tlie 18th Century in Eng-
land. With memoir by B. Jowett. 4th edition with appendix. London, Longmans, 1894.
8. 350 pp. 10/.6.
Sicilia. Torino, fratelli Bocca edit., 1894. 16. 374 pp. 1.3,50. (Estr. dal indice :
La popolazione. — Condizioni economiche: agricoltura, iudustria, commercio. — Cultura,
ingegni arti, lettere. — Piaglie : il malandrinaggio. — La raatia e l'omertä. — L'agita-
zione sociale, i fasci. — Difesa della Sicilia. — Appendice al capitolo dei fasci. — )
Jacobs, J., Het familie- en karapongleven of Groot-Atjeh. Leiden, E. J. Brill,
1894. 8. fl. 15.-.
3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung und Kolonisation.
Bau mann, 0., Die kartographischen Ergebnisse der Massai-Expedition des Deut-
schen Antisklavereikomitees. Gotha, Perthes, 1894. Roy. -8. 56 SS. mit Originalkarte
des nördlichen Deutsch-OstatVika, 4 Blatt im Mafsst. 1 : 600 000. M. 7.—. (A. u. d. T :
Petermanns Mitteilungen, hrsg. von Supan, Ergänzungsheft Nr. 111.)
Beneke, AI., Die Ausbildung der Kolonialbeamten. Im Auftrage der deutschen
Kolonialgesellschaft unter Benutzung amtlicher Quellen dargestellt. Berlin, C. Heymann,
1894. gr. 8. VII— 90 SS. M. 2.—.
Weidmann, C, Deutsche Männer in Afrika. Lexikon der hervorragendsten deut-
schen Afrikaforscher, Missionare etc. Lübeck, B. Nöhring , 1894. gr. 8. 194 SS. mit
64 Porträts in Lichtdruck. M. 6. — .
de Santa-Anna Nery, F. J., L'emigration et l'immigration pendant les derniers
annees: commuuication. Genova, tip. dell' istituto Sordomuti, 1893. 8. 60 pp.
Booth, C h. , The aged poor in England and Wales. Condition. London, Mac-
millan & C°, 1894. VI — 525 pp., cloth. 10/.20. (Contents: Part I. General compa-
risons: 1. Suminary of material used. 2. Analysis of population by groups. 3. Compa-
rison by groups (Proportion of old people. Proportion of the old in receipt of relief.
Proportion of out-relief given). 4. Comparison between London and other great centres
of population. 5. Results of maximum and minimum proportion of out-relief. 6. Old
age pauperism and movements of population. 7. Influence of decreasing rates of general
pauperism. 8. Total numbers of aged paupers. 9. The efifect of age on pauperism. —
Part II. Individual comparisons. — Part III. Reports on the condition of the old. —
Part IV. Old age in villages. — )
Portal, G. (the late), The British mission to Uganda in 1893. Edited by Renuell
Rodd. With an introduetion by Lord Cromer. London, E. Arnold, 1894. 8. With
40 illustrations. 21/.—.
Magliano di Villar S. Marco R., L'emigrazione italiana in America ne' suoi
rapporti coli' economia nazionale : relazione. Genova, tip. Sordomuti, 1894. 8. 12 pp.
Operato dell' ufficio di agricoltura e colonizzazione dell' Eritrea. Relazione L.
Franchetti, in appendice alla relazione annuale della colonia eritrea (28 aprile 1894).
Roma, tip. della Camera dei Deputati, 1894. 4. 50 pp.
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Burlage, E., Die Pfändung bei Personen, welche Landwirtschaft
betreiben. Zugleich ein Beitrag zur allgemeinen Lehre von den Pfän-
dungsbeschränkungen. Berlin, Otto Liebmann, 1893. 8°. 103 SS,
Vorstehende Schrift verdankt ihre Entstehung dem Umstände, dafs
die juristische Theorie und Praxis der Auslegung des § 715, Nr. 5 der
C.P.O. bisher nur geringe Aufmerksamkeit zugewandt haben. Hiernach
sind der Pfändung nicht unterworfen „bei Personen, welche Landwirt-
schaft betreiben, das zum "Wirtschaftsbetriebe unentbehrliche Gerät, Yieh-
und Feldinventarium nebst dem nötigen Dünger, sowie die landwirtschaft-
lichen Erzeugnisse , welche zur Fortsetzung der Wirtschaft bis zur
nächsten Ernte unentbehrlich sind." Wenn bekanntlich auch den übrigen
Berufs- und Erwerbsständen ähnliche Schutzbestimmungen zur Seite
stehen, so sind dieselben doch nicht so weitgehend wie die mit obiger
302 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Vorschrift der Landwirtschaft gewährten. Die auch Tom Verf. anerkannte
sozialpolitische Berechtigung dieser Ausnahmestellung der Landwirtschaft
hinsichtlich der Pfändungsbeschränkungen ist übrigens, wie durch einen
kurzen historischen Rückblick nachgewiesen wird, schon von dem älteren
Recht als ein Bedürfnis empfunden worden. Dem Verf. ist es in seiner
Schrift vor allem darum zu thun, bezüglich der Auslegung jener wichti-
gen Bestimmung auf die Schaffung fester Normen hinzuwirken und die
bei ihrer praktischen Anwendung sich erhebenden Zweifel und Unsicher-
heiten zu beseitigen. Es darf 'erwartet werden, dafs die klaren, von
voller Beherrschung des Stoffes zeugenden Ausführungen diesen ihren
Zweck erreichen. Der Verf. benutzt die Gelegenheit, um in der juristisch
viel umstrittenen Frage der Einwirkung des Willens des Schuldners auf
die Piändbarkeit seinen Standpunkt darzulegen. Endlich ergeben sich
ihm aus seinen Untersuchungen mehrere Abänderungsvorschläge bezüglich
des § 715 der C.P.O. sowie der verwandten Bestimmungen des Ent-
wurfs eines bürgerlichen Gesetzbuches. Die Schrift ist nicht nur für
Juristen von Interesse, sondern kann auch Landwirten und Sozial-
politikern zur Berücksichtigung empfohlen werden.
Köln. Dr. A. Wirminghaus.
Arndt, Ad. (k. preufs. OBergR. u. Prof., Halle), Bergbau und Bergbaupolitik.
Leipzig, Hirschfeld, 1894. gr. 8. VIII— 247 SS. M. 6,80. (A. u. d. T. : Hand- und
Lehrbuch der Staatswissenschaften hrsg. von K. Frankenstein, Abteil. I. Volkswirtschafts-
lehre, Bd. 11.)
Gassebner, H., Die Pferdezucht in den im Reichsrate vertretenen Königreichen
und Ländern der österreichisch-ungarischen Monarchie. I. Das Staatspferdezuchtwesen.
Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1893. gr. in-8.
Heydecke (Kulturingenieur), Die Bekämpfung der verheerenden Ueberschwem-
mungen, des Wassermangels und der Dürre. Eine kultur- und hydrotechnische Abhand-
lung in volkstümlicher Darstellung. Braunschweig, J. H. Meyer, 1894. gr. 8. 30 SS.
M. 1.—.
Lemberg, H., Die Steinkohlenzechen des niederrheinisch-westfälischen Industrie-
bezirks. Dortmund, C. L. Krüger, 1894. 12. 55 SS. M. 1,50.
Malachowski, H. (K. Regierungs-BauM.), Anlage, Einrichtung und Bauausfüh-
rung ländlicher Arbeiterwobnungen. Nach Bauplänen des k. preufs. Ministeriums für
Landwirtschaft, Domänen und Forsten und der deutschen Landwirtschaftsgesellschaft.
Berlin, P. Parey, 1894. 4. IV — 71 SS. mit XXI Tafeln und einem ausführlichen Kosten-
anschlage. M. 4. — .
Platzmann (Saida-Kreischa), Die wahren Ursachen der jetzigen Krisis am Pro-
duktenmarkt und über einige Mittel, den landwirtschaftlichen Betrieb dagegen zu schützen.
Dresden, Friese & v. Puttkamer, 1894. gr. 8. 32 SS. M. 0,50.
Preufs, W., Welche Einrichtungen der Besitzer sind geeignet, ländliche Arbeiter
vom Zug nach der Stadt zurückzuhalten? Berlin, Parey, 1894. 8. 32 SS. M. 0,50.
(Gekrönte Preisschrift.)
Ruhland, G. (Dozent für Nationalökonomie, Zürich), Leitfaden zur Einführung in
das Studium der Agrarpolitik. Berlin, Parey, 1894. gr. 8. IV— 61 SS. M. 1,20
Schindler, Fr. (Prof.), Die Flachsbau- und Flachshandelsverhältnisse in Rufs-
land mit besonderer Rücksicht auf die baltischen Gouvernements. Wien , A. Holder,
1894. 8. 48 SS. M. 1,20.
v. Skarzynski, Witold, Die Agrarkrisis und die Mittel zu ihrer Abhilfe. Grund-
züge eines agrarpolitischen Programms. Als Referat für ,,die Grundkreditkommission"
des „Bundes der Landwirte" gedruckt und herausgegeben. Berlin, F. Teige, 1894. gr. 8
III— 127 SS. M. 1,50.
Wohltmann, F. (Prof., Breslau), Landwirtschaftliche Reisestudien über Chicago
und Nordamerika. Breslau, Schlettersche Buchhdl, 1894. gr. 8. VIII— 440 SS. M. 6. —
Zuns, J., Die Verminderung der Bodenverschuldung durch eine Steuer auf Rest-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 303
kaufgelder für den gröfseren Grundbesitz. Frankfurt a/M., Bechhold, 1894. gr. 8. 23 SS
M. 0,50.
Frank, Yorkshire fishing and shooting. York, Sampson, 1894. 8. 1/. — .
Le Neve Foster (Prof. of minitig at the Royal College of Bcience, London), Ore
and stone mining. London, Griffin & C°, 1894. gr. in-8. With 716 illustrations. 34/. — .
(Contents : Mode of oecurrence of rniuerals. — Boring. — Breaking ground. — Suppor-
ting excavations. — Exploitation. — Haulage or transport. — Hoisting or winding. —
Drainage. — Ventilation. — Lighting. — Descent and aseent. — Dressing. — Principles
of employment of mining labour. — Legislation atfecting mines and quarries. — Con-
dition of the miner. — Accidents. — )
Report of the Inspector of Irish fisheries. On the sea and inland fisheries of
Ireland for 1893. London, printed by Eyre & Spottiswoode, 1894. gr. in-8. 1/.3.
Giannuzzi, V., La questione agrieola in Italia. Milano, tip. di S. Ghezzi, 1894.
8. 18 pp.
Risultati delle coltivazioni sperimentali del frumento: anni 1889 — 92. Roma,
tip. nazionale di G. Bertero, 1894. 8. XXIII— 321 pp. 1. 2,50. (Pubblicazione del
Ministerio di agricoltura, industria e commercio, direzione generale dell' agricoltura.)
Traina, A., Pro agro nostro : prestito senza interesse per riscattare le terre da
ripartirsi a 160 mila proletari. Palermo, tip. Settimana commerciale, 1894. 16. 31 pp.
Katona, Mör. , A magyar csaladi hitbizomäny. Budapest, Franklin, 1894. 8.
392 SS. (Das ungarische Familienfideikommifs, von Moritz Katona.)
K a r e 1 i n. OöuuiHHoe B^aflime Bt Poetin An. A. KapcaiiHa. St. Petersburg,
Souvorin, 1893. 16. (Die Gemeindedomäne in Rufsland, von Ar. A. Karelin.)
5. Gewerbe und Industrie.
Berichte der schweizerischen Fabrikinspektoren über ihre Amtsthätigkeit in den
Jahren 1892 und 1893. Aarau , Sauerländer & C°, 1894. gr. 8. 236 SS. M. 2,80.
(Deutscher und französischer Text. Veröffentlicht vom schweizerischen Industrie- und
Land wirtschaftsdepartement.)
Brunstein, L. (Hof- u. Ger.-Advok.), Die Patentreform in Oesterreich nach den
Vorentwürfen des k. k. Handelsministeriums, Referat zu einem Gutachten des juridischen
Doktorenkollegiums in Wien. Teil I. Wien, Manz, 1894. gr. 8. VIII— 131 SS. M. 3.—.
Hieke, W., Litteratur zur Geschichte der Industrie in Böhmen bis zum Jahre
1850. Prag, Verlag des Vereins zur Geschichte der deutschen Industrie in Böhmen,
1893. gr. 8. XV— 133 SS. M. 2,40.
Juri seh, K. W. (Dozent, Kgl. technische Hochschule), Die Fabrikation von schwe-
felsaurer Thonerde. Berlin, Fischers technologischer Verlag, 1894. gr. 8. IV — 113 SS.
(Aus dem Inhalte: Geschichtliche Entwickelung und Patentlitteratur. — Wirtschaftliches.
— Statistik. — )
van Marken, J. C. (Direktor der Niederländischen Prefshefe- und Spiritusfabrik
in Delft), Durch Arbeit für die Arbeit. Ein neuer Versuch praktischer Durchführung
der Gewinnbeteiligung der Arbeiter. Dessau, P. Baumann, 1894. 8. 20 SS. M. 0,60.
Schwiedland, E., Kleingewerbe und Hausindustrie in Oesterreich. Beiträge zur
Kenntnis ihrer Entwickelung und ihrer Existenzbedingungen. 2 Teile. Leipzig, Duncker
& Humblot, 1894. gr. 8. (I. Allgemeiner Teil: Die wirtschaftliche Stellung der Haus-
industrie und des Kleingewerbes. X — 229 SS. M. 4,40; II. Besonderer Teil : Die Wiener
Muscheldrechsler. VI— 450 SS. M. 7,60.)
Monthaye, E. (capitaine-commandant d'Etat-major) , Krupp h l'Exposition de
Chicago de 1893. Bruxelles, Mucquardt, 1894. gr. in-8. 140 pag. avec XXXI planches,
la Photographie du pavillon Krupp a Chicago et le plan des acieries d'Essen. fr. 5,40.
Report, Xlth , 0f the Comptroller General of patents, designs, and trade marks
with appendices for the year 1893. London, printed by Darling & Son, 1894. Folio.
22 pp. (Presented to both Houses of Parliament.)
Roth well, R. P., The mineral industry : its statistics , technology, and trade.
Vol. II. London, Scientific Publishing C°, 1894. 8. 1050 pp. 25/.—.
6. Handel und Verkehr.
Bericht der Handelskammer zu Bielefeld für das Jahr 1893, umfassend die Kreise-
Bielefeld (Stadt- und Landkreis), Halle, Wiedenbrück und einen Teil des Kreises Her
ford. Bielefeld, Druck der A.-G. Wächter, Bielefelder Zeitung, 1894. 8. V— 90 SS.
304 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutscblands und des Auslandes.
Bericht der Handelskammer für den Regbez. Oppeln, den Handel- und Gewerbe-
treibenden ihres Bezirkes erstattet, 1893. Oppeln, Druck von E. Raabe, 1894. 8. 140 SS.
Bericht, summarischer, der Handels- und Gewerbekammer in Olmütz über die
geschäftlichen Verhältnisse in ihrem Bezirke während des Jahres 1893. Olmütz, Hölzel,
1894. XXII— 81 SS. mit 1 graphischen Tafel M. 2,80.
Deutscher nautischer Verein. Verhandlungen des XXV. Vereinstages, Berlin,
den 26. und 27. Februar 1894. Kiel, Druck der „Nord-Ostsee-Zeitung'', 1894. gr. 8.
155 SS. und Anhang XXII SS.
Goldschmidt, F., Die soziale Lage und die Bildung der Handlungsgehilfen.
Berlin, Springer, 1894. gr. 8 48 SS. M. 0,80.
Handels- uud Gewerbekammern, die, kaufmännischen Korporationen und die dem
deutschen Handelstage angehörigen wirtschaftlichen Vereine des Deutschen Reichs. Ein
nach Staaten geordnetes Verzeichnis dieser Korporationen und ihrer Mitglieder, nebst
Angabe der bezügl. hauptsächlichsten Gesetzesbestimmungen und des Umfangs der ein-
zelnen Bezirke und einer Karte der deutschen Handelskammern. Zusammengestellt von
dem Bureau des Deutschen Handelstages. Berlin, Liebheit & Thiesen, 1894. gr. 4.
VI— 50 SS. M. 1,50.
Hess (BauR. a. D., Hannover), Der masurische Schiffahrtskanal in Ostpreufsen.
Im Auftrage des landwirtschaftlichen Centralvereins für Littauen und Masuren erstattet.
Königsberg i/Pr., Braun & Weber, 1894. gr. 8. 135 SS. mit 2 kartographischen An-
lagen. M 2. — .
Jahresbericht der Handelskammer für Aachen und Burtscheid für das Jahr
1893. Aachen, Druck von H. Georgi, 1894. gr. 8. V — 271 SS. mit 5 kartographischen
Anlagen.
Jahresbericht des kgl. Kommerzkollegiums zu Altona für 1893. Altona, Druck
von H. W. Köbner & C°, 1894. Folio. 75 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Bochum für das Jahr 1893. Bochum,
Druck von Hoppstädter & O , 1894. Folio. 67 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Breslau für das Jahr 1893. 2 Teile.
(Teil II: Breslaus resp. Schlesiens Handel und Industrie im Jahre 1893.) Breslau, Druck
von O. Gutsmann, 1894. gr. 8. XI — 399 SS. mit tabellarischen und graphischen An-
lagen.
Jahresbericht der Handelskammer zu Bromberg für 1893. Bromberg, Buch-
druckerei G. Böhlke, 1894. Folio. 61 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu^Dortmund für das Jahr 1893. Dortmund,
Druck von W. Crüwell, 1894. Folio. 60 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Düsseldorf pro 1893. Düsseldorf, Druck
von Ed. Lintz, 1894. gr. 8. 134 SS. und Verzeichnis der in die Handelsregister zu
Düsseldorf eingetragenen Handelsfirmen und Handelsgesellschaften. 65 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für Elberfeld pro 1893. Elberfeld, gedruckt
bei S. Lucas, 1894. Folio. 52 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Frankfurt a/Oder über das Jahr 1893.
Frankfurt a/Oder, Druck von Trowitzsch & Sohn, 1894. Folio. 82 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Halle a|S., 1893. Halle a/S., Druck der
Buchdruckerei des Waisenhauses, 1894 Folio. XLII — 100 SS. nebst graphischer Dar-
stellung der Preise von rohem und raffiniertem Zucker in Halle a/S. während der Jahre
1892 und 1893 für 100 kg. (Der Bezirk der Handelskammer umfafst die Kreise Bitter-
feld, Delitzsch, Eckartsberga, Stadtkr. Halle, Mansfelder Gebirgskreis (mit Ausschlufs
von Ermsleben), Mansfelder Seekreis, Merseburg, Naumburg, Querfurt, Saalkreis, Weifsen-
fels, Wittenberg und Zeitz.)
Jahresbericht der Handelskammer zu Hanau für 1893. Hanau, Kittsteinersche
Buchdruckerei, 1894. gr. 8. VI— 194 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für den Kreis Heidelberg nebst der Stadt
Eberbach für 1893. Heidelberg, Buchdruckerei von Ad. Emmerling & Sohn, 1894. gr. 8.
VI— 175 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Hildesheim über das Jahr 1893. Hildes-
heim, Druck von Gebr. Gerstenberg, 1894. 8. IV — 118 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Koblenz für 1893. Teil II. Koblenz,
Krabbensche Buchdruckerei, 1894. Folio. 40 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Köln für 1893. Köln, M. Du Mont-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 305
Schauberg, 1894. gr. 8. XI — 304 SS. (Aus dem Inhalt: Handels- und Industriegesetz-
gebung. — Zoll- und Steuerwesen. Handelsverträge. — Geld- und Kreditwesen. — Ver-
sicherungswesen. — Verkehrswesen. — Innere Angelegenheiten des Handelsstandes. — )
Jahresbericht über den Gang des Handels, der Industrie und der Schiffahrt
•von Magdeburg im Jahre 1893. Magdeburg, Fabersche Buchdruckerei, 1894. Folio.
102 SS.
Jahresbericht der grofsherz. Handelskammer zu Mainz für das Jahr 1893.
Mainz, Buchdruckerei von H. Prickarts, 1894. gr. 8. VI — 194 SS., einschl. 13 städ-
tische Uebersicbten in Tabellenform.
Jahresbericht der Handelskammer zu Neufs für das Jahr 1893. Neufs, Druck
von L. Schwann, 1894. 8. 40 SS.
Jahresbericht der pfälzischen Handels- und Gewerbekammer für das Jahr 1893.
I., gutachtlicher Teil. Ludwigshafen a. Rh., Baursche Buchdruckerei, 1894. gr. 8. VIII —
200 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Posen für 1893. Posen, Hofbuchdruckerei
W. Decker & C°, 1894. gr. 8. VI— 172 SS. mit graphischer Darstellung der Getreide-
preise zu Posen von 1883 bis 1893 in gr.-folio.
Jahresbericht der Handelskammer zu Saarbrücken für 1893. Saarbrücken,
Druck von Gebr. Hofer, 1894. 4. 61 SS.
Küste, die, von Annam. Im Auftrage der Direktion der Seewarte aus dem neuesten
französischen Segelhandbuch übersetzt. Berlin, Mittler & Sohn, 1894. Roy. -8. 40 SS.
(Beiheft 2 zu den ,,Annalen der Hydrographie und Maritimen Meteorologie", 1894.)
Chemins de fer; postes ; telegraphes; marine. Compte rendu des Operations
pendant l'annee 1892. 4 parties. Bruxelles, impr. Goemaere, 1893. Folio. XIII — 137,
21, 23, 15 pag. avec 2 cartes. (Rapports prdsentes aux Chambres legislatives par le
Ministre des chemins de fer, postes et telegraphes [relat. aux chemins de fer en exploi-
tation, postes, telegraphes et marine] et par le Ministre de l'agriculture, de l'industrie
et des travaux publics [relat. aux chemins de fer en construction et ä l'administration
des ponts et chauss^es.]
Repertoire de la legislation des chemins de fer francais. Reseaux secondaires
et tramways. Situation au 31 decembre 1893. Paris, imprim. nationale, 1894. in-4. 306 pag.
(Publication du Ministere des travaux publics.)
A n n u a 1 statement of the trade of the U. K. with foreign countries and british
possessions for the year 1893. Compiled in the Custom House from documents collected
by that Department. London, printed by Darling & Son, 1894. Folio. IX — 459 pp.
3/. 10. (Parliam. paper. Presented to both Houses of Parliament by command of Her
Majesty.)
Bell, H. (Consulting engineer for State railways to the government of India),
Railway policy in India. London, Rivington, Percival & C°, 1894. 8. with maps and
plans. 16/. — . (Contents: Historical sketch. — Guarantees and assistance. — State con-
struction and administration. — History of the gauge on Indian railways. — Rates and
fares. — Indian railway legislation. — etc. — Appendices: Standard dimensions to be
observed on railways in India. — Indian Railway Act. — List of Indian railways,
showing lengths and other Statistical figures, 1892. — )
China. Imperial Maritime Customs. III. Miscellaneous series, N° 6. List of the
Chinese lighthouses, lightvessels, buoys, and beacons for 1894 (corrected to ls' December
1893). XXIInd issue. Shanghai, Kelly & Walsh, and London, King & Son, 1894. 4.
50 pp. with 3 charts. $ 0,50. (Published by order of the Inspector general of customs.)
7. Finanzwesen.
K il 1 er m an n , J. G. (k. LandGer.R., Passau), Mittelstand und Besitzsteuer mit
ihren innigen gegenseitigen Beziehungen. München, J. Schweitzer, 1894. gr. 8. IV — 52 SS.
M. 0,60.
Seligman, E. R. A., Progressive taxation in theory and practice. Baltimore,
American Economic Association, 1894. 8. II — 222 pp. $ 1. — . (Publications of the
Society, vol. IX, Nos 1 and 2. Contents : The history of progressive taxation. — The
theory of progressive taxation. — Application of the progressive principle to American
taxation. — Bibliography. — )
Dritte Folge Bd. VIII (LXIII). 20
306 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Sbardolini, Dominatore, II dazio consumo alle porte di Brescia. Brescia,
tip. istituto Pavoni, 1894. 16. 21 pp.
Sidney-Sonnino (Ministro), Esposizione finanziaria letta nella seduta del 21 feb-
braio alla Camera dei Deputati. Roma, tip. di 6. Bertero, 1894. 4. 83 pp."
Stato di previsione della spesa del Ministero della guerra per l'esercizio finanziario
1894 — 95. Relazione F. Pais (28 aprile 1894). Roma, tip. della Camera dei Deputati,
1894. 4. 88 pp.
Vinci, G. (avvocato), L'imposta di ricchezza mobile in Italia nel suo funziona-
mento. Palermo, tip. S. Chiliemi, 1893. 16. 33 pp.
iS. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Ring, Viktor, Das Reichsgesetz betr. die Kommanditgesellschaften
auf Aktien und die Aktiengesellschaften vom 18. Juli 1884. Zweite Auf-
lage, Berlin 1893. 756 SS.
Der Verfasser hatte sich schon bei der ersten Auflage seines Kom-
mentars die Aufgabe gestellt, eine in gröfseren Zügen gehaltene Erläu-
terung der Grundsätze des Gesetzes in der Form eines Kommentars zu
bieten. Er hat diesen Standpunkt auch in der vorliegenden zweiten Auf-
lage festgehalten. Dagegen liegt im einzelnen eine völlige Umarbeitung
vor. Was die Anordnung des Stoffes betrifft, so schliefst sich die Er-
örterung im Gegensatze zur ersten Auflage nicht mehr der Kommandit-
gesellschaft auf Aktien, sondern der Aktiengesellschaft an, und sind die
Erläuterungen selbst in einzelne überschriebene Abschnitte eingeteilt.
Das Bestreben, gewissermafsen ein System in der Form eines Kom-
mentars zu bieten, ist gewifs anerkennenswert, wenn auch naturgemäfs
nur mangelhaft realisierbar. Der Hauptwert des Ring' sehen Kommen-
tars liegt jedoch u. E. nicht in den theoretischen Erörterungen, welche
vielfach zum Widerspruch herausfordern, sondern in der juristischen Schärfe
bei Entscheidung der unzähligen Einzelfragen, welche sich bei der An-
wendung des Gesetzes ergeben. In letzterer Beziehung nimmt Ring die
erste Stelle unter den Kommentatoren des Aktiengesetzes ein.
Wenn wir in Nachstehendem einigen Bedenken gegen die Aus-
führungen Ring 's Ausdruck geben, so soll hierdurch das hohe Verdienst
des Verfassers gewifs in keiner Weise geschmälert werden.
Die Ansicht, dafs ein austretender Komplementär lediglich die Fort-
führung seines Namens in der Firma, nicht aber die Fortführung
der Firma überhaupt untersagen könne (S. 40), widerspricht dem Wort-
laute des Art. 24 Abs. 2 H.G.B. und den Protokollen (S. 922); sie be-
dürfte jedenfalls eingehenderer Begründung.
Irrtümlich ist die Annahme (S. 78), dafs sich die Rechte desjenigen,
der gutgläubig Aktien vom Nichteigentümer erwirbt, nach Art. 306 H. G.
B. bestimmen (was auch Petersen und Pechmann S. 136 annehmen);
denn Art. 306 findet auf Namenaktien wie überhaupt auf Wertpapiere
keine Anwendung. Es ist also für diese Frage lediglich das bürgerliche
Recht entscheidend.
In der vielerörterten Streitfrage, ob die Aktiengesellschaft bei Erwerb
eines bestehenden Handelsgeschäftes mit der Firma diese letztere neben
ihrer ursprünglichen Firma für den Umkreis des erworbenen Geschäftes
fortführen könne, nimmt Ring (S. 184) den Standpunkt ein, die Gesell-
schaft könne zwar eine solche Firma erwerben und wieder ver-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 307
äufsern, aber nicht sie führen, da sie nur durch eine Firma ßich
verpflichten könne (Art. 229 Abs. 2). Diese Meinung ist u. E. nach
zwei Eichtungen verfehlt. Wenn nämlich die Gesellschaft die erworbene
Firma nicht führen darf, so kann sie dieselbe auch nicht mit dem Ge-
schäfte veräufsern. Nach Art. 23 H. G. B. kann mit dem Geschäfte nur
diejenige Firma veräufsert werden, welche für das Geschäft „bisher"
geführt wurde ; damit ist nicht eine Firma gemeint, die früher irgend
einmal für dieses Geschäft geführt wurde, sondern diejenige, unter
welcher das Geschäft im Zeitpunkte der Yeräufserung be-
trieben wurde. Diese Firma kann aber nach Ring nicht die frühere
Firma des erworbenen Geschäftes sein, da ja eben diese Firma von der
Gesellschaft nicht weitergeführt werden darf. Aber auch die Annahme,
dafs die Aktiengesellschaft sich nur durch eine Firma verpflichten könne,
ist durch den Hinweis auf Art. 229 Abs. 2 nicht zu begründen. Wollte
man aus dem Gebrauch des Wortes „Firma" in der Einzahl schliefsen,
dafs das Gesetz nur eine Firma zulasse, so müfste man dasselbe nach
Art. 86, 87, 88, 111 u. s. w. für die offene Handelsgesellschaft, ja auch
für den Einzelkaufmann annehmen.
Die aus der Vorgeschichte des Gesetzes entnommenen Argumente
Hing's dafür, dafs unter „einfacher Stimmenmehrheit" die absolute
Majorität zu verstehen sei (S. 204), können nicht als durchschlagend er-
achtet werden. Das Gesetz mufs zunächst aus sich selbst erklärt werden.
Nun enthält das Aktiengesetz keine Bestimmung für den Fall, dafs drei
oder mehr Ansichten in der Generalversammlung durch Stimmen vertreten
sind, deren keine die absolute Majorität für sich gewinnt. Da eine ana-
loge Anwendung des § 198 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes (wie
sie Behrend vorschlägt) unzulässig und überdies, wenn es sich nicht
um Zahlen handelt, unzureichend ist, so führt die Auffassung R i n g ' s zur
Annahme einer Gesetzeslücke — eine Konsequenz, die ohne jegliche Ver-
gewaltigung des Gesetzestextes vermieden wird, wenn man unter einfacher
Stimmenmehrheit die relative Majorität versteht.
Die Konstruktion, dafs vermittelst des Beschlusses der
sog. Errichtungsversammlung (Art. 210a) der Gesellschafts-
vertrag geschlossen werde (S. 259), ist deshalb unhaltbar, weil
ein Vertrag nicht durch Majoritätsbeschlufs geschlossen werden
kann.
Ring erachtet die Verschleierung einer nicht in die vorgeschriebene
Aufwandsberechnung aufgenommenen Vergütung an Gründer in Bilanzen
und Büchern nicht für eine Mitwirkung zur Verheimlichung
im Sinne des Art. 213a Abs. 4 Ziff. 1, sondern als eine Verheimlich-
ung der Verheimlichung (S. 315). Wer aber die Verheimlichung
verheimlicht, wirkt auch zur Verheimlichung selbst mit ; denn wenn er
nicht thätig wäre, würde möglicherweise die verheimlichte Thatsache selbst
nicht geheim bleiben.
Personen, welche anonyme Ankündigungen von Aktien er-
lassen, unterliegen nach Ring nicht der Haftung der Emissionshäuser
(Art. 213 b). Da das Gesetz von „Ankündigungen" schlechthin spricht
und der Begriff „Ankündigung" ein Bekenntnis der Autorschaft nicht
20*
308 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
fordert, ist es an sich schon bedenklich, anonyme Ankündigungen von
Art. 213b auszuschließen. Ueberdies aber ist der von Ring angeführte
Grund, dafs das Publikum auf den Namen der Emissionshäuser hin kaufe,
für die gesetzliche Haftung der letzteren gegenüber der Gesell-
schaft nicht durchschlagend; denn diese Haftung beruht nicht auf der
Stellung der Emittenten zum Publikum, sondern auf der Annahme,
dafs die Emissionshäuser präsumtive Mitgründer (im wirtschaft-
lichen Sinne) seien. Nur als solche unterliegen sie der Haftung aus Art.
213 b gegenüber der Gesellschaft, an deren fehlerhafter Entstehung sie
neben den Gründern im Sinne des Gesetzes Schuld tragen. — Auch die
Gründe R i n g ' s für die Annahme, dafs die Prüfungspflicht der Emissions-
häuser mit dem Augenblick der öffentlichen Ankündigung aufhöre (S. 320),
sind nicht überzeugend.
Nur ein Versehen ist es zu nennen, wenn S. 351 von den in Ge-
mäfsheit des Art. 207a Abs. 3 „unter dem Nennbetrage ausge-
gebenen Aktien" die Rede ist, statt von den auf einen Betrag von
weniger als 1000 M. gestellten Aktien.
S. 353 sagt der Verfasser: „Die Erhöhung des Grundkapitals kann
durch Zuschüsse auf sämtliche Aktien bewirkt werden, allein nur, sofern
alle Aktionäre zustimmen (Art. 219)." Es kann dies nur dahin ver-
standen werden, dafs eine Erhöhung der Nominalbeträge durch Statuten-
änderungsbeschlufs nicht zulässig sei. Nun wird nach Art. 219 die Ver-
pflichtung des Aktionärs durch den Nominalbetrag der Aktie (bezw. den
höheren Emissionskurs) begrenzt; diese Grenze findet nach Art. 209
Abs. 2 Ziff. 3 im Statut ihren Ausdruck und ist demnach gemäfs Art. 215
variabel. Etwaige Gründe gegen diese sich aus dem Gesetze mit zwingen-
der Notwendigkeit ergebende Folgerung müfsten zum mindesten eingehend
dargelegt werden.
S. 406 billigt Ring den Gläubigern der Aktiengesellschaft einen
unmittelbaren Anspruch gegen die Aktionäre insoweit zu, als diese den
gesetzlichen Bestimmungen entgegen Zahlungen von der Gesellschaft em-
pfangen haben und hierbei nicht in gutem Glauben waren. Diese An-
nahme ist angesichts des Art. 207 Abs. 1 als den Grundprinzipien des
Aktiengesetzes widersprechend zu verwerfen, ganz abgesehen davon, dafs
die Fassung des Art. 218 im Gegensatze zu der des Art. 198 gegen die
Ansicht Ring's spricht. Letztere mufs um so mehr auffallen, als Ring
bei Art. 198 sagt: „Der Grundsatz der Nichthaftung des Aktienkomman-
ditisten findet in der positiven Rechtsnorm dieses Artikels
seine Grenze." Wenn es bei der Kommanditgesellschaft auf Aktien nur
die positive Gesetzesbestimmung ist, auf welcher die Haftung gegenüber
den Gläubigern beruht, so liegt doch kein Grund vor, diese Haftung bei
der Aktiengesellschaft ohne positive Rechtsnorm als bestehend anzu-
nehmen.
München. Dr. Richard Schmidt.
Götze, Taschenkalender, 1894, zum Gebrauche bei Handhabung der Arbeiterver-
sicherungsgesetze für Behörden, Versicherungsanstalten, Berufsgenossenschaften etc. Nach
amtlichen Quellen zusammengestellt. Jahrg. VI, 1894. 3 Teile. Berlin, Liebel, 1894.
12. geb. M. 7. — . (Teil I. Kranken- und Unfallversicherung; Teil II: Invaliditäts-
und Altersversicherung; Teil III: Ortsübliche Tagelöhne, etc.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 309
Hall, H. (Bankbeamter), Die Versicherung gegen Stellenlosigkeit im Handelsge-
werbe auf Grund der Enquete des Deutschen Verbandes kaufmännischer Vereine vom
Herbste 1892. München, J. Schweitzer, 1894 gr. 8. 72 SS. M. 1,20.
Neumann- Hofer, Ad., Depositengeschäfte und Depositenbauken. Theorie des
Depositenbankwesens. Leipzig, C. F. Winter, 1894. gr. 8. VII — 231 SS. M. 4. — .
Salings Börsenjahrbuch für 1894/95. Ein Handbuch für Bankiers und Kapitalisten.
Bearbeitet von W. L. Hertslet. Berlin, Haude & Spener, 1894. 8. XXIV— 1460 SS.,
geb. M. 10. (A. u. d. T. : Salings Börsenpapiere, II. (finanzieller) Teil, 18. Aufl.)
Schmerler, B. (Versicherungsmathematiker, Steglitz bei Berlin), Die Sterblich-
keitserfahrungen unter den Rentenversicherten , sowie die für die bekanntesten Rentner-
sterbetafeln zu B1/2 und 4°/0 berechneten Grundziffern (30 Tabellen). Berlin, Selbst-
verlag des Verfassers, 1893. gr. 8. IV— 80 SS. M. 3,60.
Silberkommission. Stenographische Berichte über die Verhandlungen der
Kommission behufs Erörterung von Mafsregeln zur Hebung und Befestigung des Silber-
werts. Sitzung 1 bis 15, vom 22. Februar bis 30. Mai 1894 (insgesamt 473 SS.). Nebst
Anlagen (Drucksachen) dazu Nr. 1 — 23. Berlin 1894. Folio (soweit als publiziert). [Aus-
zug aus dem Inhalt der Drucksachen: Nr. 1. Bericht über die Nachhaltigkeit des Gold-
bergbaues in der südafrikanischen Republik Transvaal. — Nr. 3. v. Mirbachscher An-
trag betr. Entwurf eines Reichsmünzgesetzes. — Nr. 5. Vorschläge zur Hebung des
Silberwertes, von (Prof.) Lexis. — Nr. 6. Uebersichten betreffend die Durchführung der
deutschen Münzreform. — Nr. 8. Zur Vorgeschichte der deutschen Münzreform, von Bam-
berger. — Nr. 10. Statistische Notizen zusammengestellt im kais. Statist. Amte betr.
Edelmetallgewinnung der Erde in den Jahren 1801 — 92, Edelmetallgewinnung in Deutsch-
land 1872 — 93. Ein- und Ausfuhr von Gold und Silber in Deutschland 1872 — 93. etc. —
Nr. 11. Vorschläge von Uebergangsmafsregeln zur Hebung des Silberwertes, von Arendt.
— Nr. 12. Die gegenwärtige Lage der Edelmetallgewinnung der Erde , von (GORegR.)
Hauchecorne (67 SS.). — Nr. 13. Der deutsche Thalerumlauf. — Nr. 14. Zur Vorge-
schichte der deutschen Münzreform, von Arendt. — Nr. 15. Der deutsche Thalerumlauf.
Bemerkungen zu Drucksache Nr. 13, von Arendt. — Nr. 16. Zur Vorgeschichte der
deutschen Münzreform, von Bamberger (Replik auf Nr. 14 der Drucksachen). — Nr. 18.
Währungsfrage und Industrie. Eine Denkschrift für die Silberkommission 1894, von O.
Wülting (M. -Gladbach). — Nr. 19. Ist eine erhebliche Schwächung des deutschen Gold-
bestandes nach Durchführung der vertragsmäfsigen Doppelwährung zu fürchten ? von (Prof.)
Lotz. (Bemerkungen zur Debatte über Antrag der HH. Arendt, v. Kardorff, Leuschner
und Wülfing [Nr. 7 der Drucksachen :] Errichtung eines Doppelwährungsbundes, welcher
die freie Prägung von Gold und Silber, womöglich auf Grundlage der Relation 1: 15l/2
zuläfst). — Nr. 20. Zur Vorgeschichte der deutsehen Münzreform , von Arendt (Antwort
auf Nr. 16 der Drucksachen.) — Nr. 21. Die deutschen Silberverkäufe im Vergleich mit
der Silberproduktion. — Nr. 23. Ueber das Vorkommen und die Nachhaltigkeit des Goldes
in wirtschaftlicher Beziehung, von (Berginsp.) Wimmer.] —
Verwaltungsbericht des Generaldirektors der Landfeuersozietät des Herzogtums
Sachsen für das Jahr 1893. Merseburg, Druck von Fr. Stollberg, 1894. gr. 4. 44 SS.
Volkmann, H., Der zinsfreie und der zinspflichtige Realkredit für Stadt und Land
oder sichere Hilfe der Landwirtschaft und dem Hausbesitz. Königsberg, Bon, 1894.
gr. 8. 32 SS. M. 0,50.
Arnaune, A. (prof. ä l'Ecole des sciences polit.), La monnaie, le credit et le
change. Paris, Alcan, 1894. 8. 11—407 pag. fr. 7.—.
Bamberger, L., Le metal-argent ä la fin du XIXe siecle. Traduit par R. G.
Le>y. Paris, Guillaumin , 1894. 8. XIII — 352 pag. fr. 8. (Faisant le Vlle volume
de la Collection des auteurs etrangers contemporains. Table des matieres : Les destinees
de l'Union latine. — L'argent. — Les sophismes des partisans de l'argent. — )
de Besse, L. (capucin), Les banques populaires sont des institutions de paix
sociale. Bordeaux, impriin. Delmas, 1894. 8. 27 pag.
Bressolles, P. (avocat ä la Cour d'appel), La liquidation de la compagnie de
Panama. Commentaire thöorique et pratique de la loi du lerjuillet 1893. Paris, A.
Rousseau, 1894. in-18. fr. 3. — .
Conference monetaire entre la Belgique, la France, la Grece, lTtalie et la Suisse
en 1893. Arrangements et proces-verbaux. Paris, imprim. nationale, gr. in-4. VI — 137 pag.
(Publication du Ministere des affaires etrangeres.)
310 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Tremerel, G. (prof. ä l'Eeole d'administration militaire de Vincennes), Des societes
cooperatives de consommation a l'etranger et en France. Historique, application, regime
legal, but et avenir de la Cooperation. Paris, Giard & E. Briere, 1894. gr. in-8. 271 pag.
fr. 5. — . (Table des matieres : Introduction. — Mouvement cooperatjf en Europe et aux
Etats-Unis. Historique et etat actuel des societes cooperatives en Angleterre , Allemagne,
Italie, Suisse, Belgique, Holiande, Espagne et Portugal, France, aux Etats-Unis. — Appli-
cation du principe cooperatif dans les armees francaises et etrangeres : Angleterre , Alle-
magne, Italie, Hollande, France. — Regime legal des societes de consommation. — But
et avenir de la Cooperation. — )
Frederiksen, D. M., Mortgage banking in America. Paris, impr. Davy, 1894.
8. 32 pp. (From the „Journal of political economy, U. St. A", for march 1894.)
Indian raiiway companies 1894. A bandbook for officials, Stockbrokers, and
Investors. London, F. C. Mathieson & Sons, 1894. 8. 47 pp. 1/. — . (issued annually.)
Ross, E. Alsworth, Total Utility Standard of deferred payments. Philadelphia,
American Academy of political and social science, 1894. 8. $ 0,25. (Publications of
the Society, N° 107.)
Stokes, A. Phelps, Joint-metallism : a plan by which gold and silver together,
at rations always based on their relative market values, may be made the metallic basis
of a sound, honest, self-regulating, and permanent currency without frequent recoinings,
and without danger of one metal driving out the other. New York, G. P. Putnam's
Sons, 1894. 12. VIII— 124 pp., cloth. $ 0,75. (Questions of the day series, N° 79.)
[Ursprünglich in der „New York Evening Post", der „New York Times" und der „New
York Tribüne" in Briefform veröffentlicht.]
Walker, Fr. A., Bimetallism : a tract for the times. Boston, Damrell & Upham,
1894. 8. 24 pp. $ 0,10.
Genzardi, E., Usura ed usurai: mali e rimedi. Palermo, tip. Bizzarrilli, 1894.
16. 59 pp. 1. 0,60.
9. Soziale Frage.
Frage, die soziale. Ein Beitrag zur Lösung derselben vom Standpunkte der ge-
sunden Vernunft. Von einem Oesterreicher. Dresden, Reifsner, 1894. gr. 8. III — 82 SS.
M. 1.— .
Protokoll der 2. ordentlichen Gesamtverbandsversammlung zu Berlin am 22. Fe-
bruar 1894. (Gesamtverband deutscher Verpflegungsstationen [Wanderarbeitsstätten].)
Bielefeld, Schriftenuiederlage der Anstalt Bethel, 1894. gr. 8. 52 SS. M. 0,75.
Steck, A., Beiträge zur Erkenntnis der sozialen Frage und ihrer möglichen Lö-
sung. Zürich, Buchhdl. des Schweiz. Grütlivereins, 1894. gr. 8. 134 SS. M. 1,20.
Vorster, J., Der Sozialismus der gebildeten Stände. 2. Aufl. Köln, Schmitz,
1894 gr. 8. 49 SS. M. 0,50. (Vortrag gehalten in der Generalversammlung des Vereins
der Industriellen des Regbez. Köln am 20. April 1894.)
Bechaux, A. (prof. d'economie polit., Lille), Les revendications ouvrieres en
France. Paris, A. Rousseau, 1894. in-18. 271 pag. fr. 3,50. (Table des matieres:
Le travail de l'ouvrier. — La legislation internationale du travail. — Le salaire de
l'ouvrier. — L'epargne de l'ouvrier. — Le credit de l'ouvrier. — Les accidents du travail
de l'ouvrier. — Les syndicats ouvriers. — La vieillesse de l'ouvrier. — La represen-
tation politique des ouvriers. — Appendices : La methode d'observation par les mono-
graphies de famille. Les recompenses a l'Exposition d'economie sociale de 1889, section
XIV. — )
De passe, H., Transformations sociales. Paris, F. Alcan, 1894. 12. fr. 3,50.
Drioux, J. (Substitut du procureur g^neral ä Orleans), Etüde sur la repression du
vagabondage et de la mendicite en Beigique. Paris, Pichon, 1894. 8. 56 pag.
Marie, J. (avocat, prof. k la faculte de droit de Caen), La famille de l'ouvrier,
ses joies et ses devoirs. Caen, impr. Valin, 1894. 8. 241 pag. fr. 2. — .
Spoto, H. S., Tisseur de San Leucio (province de Caserte, Italie), ouvrier-tacheron-
proprietaire dans le Systeme des engagements volontaires permanents d'apres les renseigne-
ments recueillis sur les lieux, en avril 1892. Paris, Firmin-Didot & Cie , 1894. gr. in-8.
fr. 2. — . (A. s. 1 t. : Les ouvriers des deux mondes, 2^me Serie, fascic. 34.)
Danesi, A. G. (prof.), Socialismo e migliore avvenire dell' operaio : discorso.
Mistretta, tip. del „Progresso", 1894. 16. 1. 1. — .
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 311
Zani, Bart, (avvocato), La questione monetaria in relazione alla questione sociale.
Mantova, tip. G. Mondovi, 1893. 8. 41 pp.
10. Gesetzgebung.
Bestimmungen, gesetzliehe, über Gemeindewaldungen und Gehöferschaften.
Trier, Paulinus-Druckerei, 1894. 8. 21 SS. M. 0,25.
Hai dien, O. (Landrichter), Das neue landwirtschaftliche Nachbarrecht in Württem-
berg nach dem Gesetz vom 15. Juni 1893. 3. Aufl. Stuttgart, Kohlhammer, 1894. gr. 8.
VII— 103 SS. M. 1,20.
Kloeppel, P. (Privatdoz., Leipzig), Das Reichsprefsrecht. Nach Gesetz und Recht-
sprechung für die Bedürfnisse der Rechtsauwendung wissenschaftlich dargestellt. Leipzig,
C. L. Hirschfeld, 1894. gr. 8. XV— 494 SS. M. 11,50.
Parisius, L. und H. Crüger, Das Reichsgesetz betreffend Gesellschaften mit
beschränkter Haftung vom 20. April 1892. Systematische Darstellung und Kommeutar
nebst Statutenentwürfen etc. Berlin, Guttentag, 1893. gr. 8. VIII — 332 SS. M. 3,50.
Brucker, G. (avocat ä la Cour d'appel), La protection des enfants maltraites et
moralement abandonnes. (Commentaire theorique et pratique de la loi du 24 juillet 1889.)
fr. 6.—.
Glard , J. (avocat k la Cour d'appel), Droit romain : De la fiducie ; droit franijais :
De la condition des meubles en droit international prive (these). Orleans, impr. Morand,
1894. 8. 284 pag.
Kerly, D. M., The law of trade marks, trade name, and merchandise marks. With
chapters on trade secret and trade übel. London, Sweet & M., 1894. 8. 25/. — .
Walmesley, O. (Barrister-at-law), Guide to the mining laws of the world. Lon-
don, Eyre & Spcttiswoode, 1894. Roy in-8., cloth. 5/. — .
Sprenger van Eyk, J. P., De wet ter belasting van bedrijfs- en andere in-
iomsten toegelicht. 'sHage, Mart. Nijhoff, 1894. gr. 8. VI — 168 blz. fl. 1,25.
Vissering, G., De wet of het faillissement en de surseance van betaling. Prak-
tische handleiding met tekst der wet etc. Amsterdam, J. H. de Bussy, 1894. gr. 8.
VIII— 199 blz. geb. fl 1,50.
Wattel, H. M. J., Inleiding tot de beoefening van het Nederlandsch privatrecht.
2 dln. 'sHage, Gebr. Belinfante, 1894. 8. fl. 13,10.
Orbaneja y Majada, E., Diccionario de legislaciön de instrucciön publica.
2 tomes. Valladolid, J. Pastor, 1894. 4. pes. 30. — .
11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Bamberg. Verwaltungsbericht des Stadtmagistrates Bamberg für die Jahre 1891
und 1892. Bamberg, Gärtners Buchdruckerei, 1894. 8. VI — 97 SS. u. Beilagen in-4.
v. Brauchitsch, M., Die neuen preufsischen Verwaltungsgesetze. Nach dem
Tode des Verfassers umgearbeitet, fortgeführt und hrsg. von Studt und Braunbehrens.
Band III. 12. bis auf die Gegenwart fortgeführte Gesamtauflage. (IV. Bearbeitung.)
Berlin, Heymann, 1894. gr. 8. X — 897 SS. geb. M. 8. — . (Inhalt: Angelegenheiten
der Stadt-, Landgemeinden und Gutsbezirke; ferner Armen-, Schul-, Einquartierungs- und
Sparkassenangelegenheiten.)
Etats der Stadt Iserlohn für 1894/95. Iserlohn, Druck von Fr. Dofsmann, 1894.
Folio. 120 SS.
Handbuch, konservatives. 2. umgearbeitete und vermehrte Auflage. (Abgeschlossen
am 1. Mai 1894.) Berlin, H. Walther, 1894. gr. 8. VIII— 444 SS., geb. M. 2,50.
Jahrbuch der preufsischen Gerichtsverfassung, redigiert im Bureau des Justiz-
ministeriums. Jahrgang XXI, geschlossen Mitte Mai 1894. Berlin, v. Decker, 1894. 8.
XII— 504 SS.
Landwehr, H., Die Kirchenpolitik Friedrich Wilhelms, des Grofsen Kurfürsten.
Auf Grund arcbivalischer Quellen. Berlin, Hofmann & C°, 1894. 8. VIII— 385 SS.
M. 7,20.
Neswadba, A. (OPolizeiR), Die k. k. Sicherheitswache in Wien 1869—1894.
Jubiläumsschrift. Wien, Eisenstein & C°, 1894. gr. 8. V— 310 SS. M. 2.—.
Philippi, F. (k. Staatsarchivar), Zur Verfassungsgeschichte der westfälischen Bi-
schofsstädte. Osnabrück, Rackhorst, 1894. gr. 8. VIII — 104 SS., einschl. des urkund-
lichen Anhangs. Nebst 4 geschichtlichen Stadtplänen. M. 3. — .
312 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Schrader, L. (OLGerichtsassist.), Die Verwaltung der Gefangenen-Arbeitsverdienst-
kassen bei den gerichtlichen Gefängnissen in Preufsen. Systematische Zusammenstellung
der in Beziehung auf die Gefangenenbeschäftigung und die Berechnung und Verwendung
des Arbeitsverdienstes ergangenen Vorschriften, etc. Hamm i. W., Griebsch, 1894. gr. 8.
IV— 147 SS. M. 3.—.
Verhandlungen des XVII. Westpreufsischen Provinziallandtages vom 27. Fe-
bruar bis einschliefslich den 3. März 1894. Danzig, A. W. Kafemann, 1894. Folio.
XV— 39 u. 53 SS. nebst XXI Anlagen = 330 SS., sowie Vorlagen und Etats = 366 SS.
Annuaire de la presse francaise et du monde politique. Directeur: Henri Avenel t
XVieme annee : 1894. Paris, Quantin, 1894. 8. 1600 pag., relie\ fr. 12.—. (Table:
Le journalisme et la politique en 1894. — Mouvement des journaux en 1893 — 1894. —
Statistique electorale de la France. — Tableau general des elections de 1893. — Re-
paration politique des deputes ayant pris part ä la legislature 1889 — 93. — Le livre
d'or de la presse francaise. — Les syndicats de la presse en France. — Le monde
politique. — etc.)
Batiffol, L. (ancien eleve de l'Ecole des Chartres), Jean Jouvenel, Prevot des
marchands de la ville de Paris (1360—1431). Paris, H. Champion, 1894. 8. fr. 10. — ^
(These soutenue ä la faculte des lettres de Paris sur un sujet qui interesse l'histoire de
l'administration parisienne.)
Chabrillat, E. (attache au Ministere des finances) et A. Saillard (ancien redacteur
au Ministere des travaux publics), Les carrieres administratives. Nouveau guide des
candidats aux emplois des ministeres et des grandes administrations. Preface de Fr.
Passy (membre de l'Institut). Paris et Nancy, Berger-Levrault & C'e , 1894. gr. in-8.
XXI — 398 pag. fr. 5. — . (Ouvrage indiquant, pour chaque administration, les attri-
butions generales, l'organisation, les traitements, les conditions d'admission, les program-
mes et les sujets de compositions donnes dans les derniers concours.)
Corniquet, L. A. (avocat ä la Cour de Paris), L'insaislssabilite du foyer de
famille aux Etats-Unis. Etüde sur le homestead. Paris, Pedone-Lauriel, 1894. 8. fr. 7. — .
Loftus. The diplomatic reminiscences of Lord Augustus Loftus, 1862 — 1879.
2^ series. 2 vols. London, Cassell & C°, 1894. gr. in-8. XII— 390 and XII— 353 pp.,
cloth. 32/.—.
Horvath, Janos, A raagyar kirälysäg kö'zjoga. Budapest, Dobrowsky & Franke,
1894. 8. 594 SS. (Das Staatsrecht des Königreichs Ungarn, von Johann Horvath.)
Olay, György, Bekes värmegye 1848 — 1849. 2 Bde. Gyula, Joh. Dobay, 1893.
8. 600 SS. (Das Bekeser Komitat in den Jahren 1848/9, von Georg Olay.)
M a g n i , C 1., Marco Minghetti uomo di stato : teorie di governo, principi teorici
pratici di economia politica sociale, massime e consigli desunti dai discorsi parlamentari
alla Camera dei Deputati ed al Senato, riprodotti e riordinati per argomento e materia.
Torino, L. Roux & C°, 1894. 8. 212 pp. 1. 2,50.
Kringelbach, G. N., Den civile centraladministration 1848 — 1893. Kopenhagen,
Reitzel, 1894. 8. kr. 3,50.
Regne 11, A., Stadskommunens författning och fö'rvaltning enligt olika länders lag-
stiftning. Lund, Gleerup, 1894. 8. kr. 5.—.
12. Statistik.
Allgemeines.
Ferraris, C. F., Professioni e classi e loro rilevazione statistica. Padova, tip-
G. B. Randi, 1894. Lex. -8. 20 pp. (Memoria letta alla R. Accademia di scienze, lettere
ed arti in Padova nella tornata del giorno 15 aprile 1894.)
Deutsches Reich.
Beiträge zur Statistik des Grofsherzogtums Hessen. Band XXXVIII, Heft 1:
Erhebungen über die vor dem Erlafs des Gesetzes vom 28. September 1887 beschlossenen
Feldbereinigungen (Zusammenlegungen), bearbeitet von A. Klaas (grofsh. Landeskultur-
inspektor). — Uebersicht der Geschäfte der ordentlichen streitigen Gerichtsbarkeit bei
dem grofsh. Oberlandesgerichte zu Darmstadt und bei den Gerichten und Staatsanwalt-
schaften im Bezirke desselben während des Geschäftsjahres 1893. Darmstadt, Jonghaus,
1894. 4. IV — 2"0 u. 28 SS. (Herausgegeben von der grofsh. Zentralstelle für di&
Landesstatistik.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 313
Jahrbuch, statistisches, für das Deutsche Reich. Herausgegeben vorn kais. stati-
stischen Amt. Jahrgang XV: 1894. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht , 1894. gr. 8.
X — 208 SS. Mit 2 Blatt graphischen Darstellungen. M. 2. — .
Kriminalstatistik für das Jahr 1891. Bearbeitet im Reichsjustizamt und im
kais. statistischen Amt. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1894. Imp. in-4. IV — 49, 40
u. 343 SS. mit 8 Blatt kartographischen Darstellungen. M. 10. — . (A. u. d. T. : Statistik
des Deutschen Reichs, Neue Folge, Bd. LX1V.)
Kriminalstatistik für das Jahr 1892. Bearbeitet im Reichsjustizamt und im
kais. statistischen Amt. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1894. Imp. in-4. IV — 341 SS.
M. 10. — (A. u. d. T. : Statistik des Deutschen Reichs, Neue Folge, Bd. LXXI, Heft 1 :
Tabellenwerk.) [Bemerkung : Das die Erläuterungen zu den Tabellen enthaltende Heft 2
wird kostenfrei nachgeliefert.]
Statistik der Güterbewegung auf deutschen Eisenbahnen nach Verkehrsbezirken
geordnet. Band XLVIII , Jahrg. XI: Jahr 1893. Berlin, C. Heymann, 1894. Imp.-4.
405 SS. geb. M. 11.—.
Zur Statistik der Sparkassen im Königreich Sachsen. Unterlage zu dem Vortrage
des (GFinR. BürgerM.) Beutler-Dresden über die normale Höhe des Reservefonds der Spar-
kassen, die Anlegung der Sparkassenbestände und die Aufstellung der Abschlüsse, ge-
halten auf dem sächsischen Gemeindetage in Meifsen den 6. Juli 1894. Dresden, Leh-
mannsche Buchdruckerei, 1894. gr. 8. 18 SS. (Bearbeitet im statistischen Amte der
Stadt Dresden.)
Oesterreich.
Gebarung, die, und die Ergebnisse der Unfallstatistik der im Grunde des Gesetzes
vom 28. Dezember 1887 (R.G.B1. Nr. 1 ex 1888), betreffend die Unfallversicherung der
Arbeiter errichteten Arbeiter-Unfallversicherungsanstalten im Jahre 1892. Wien, k. k.
Hof- und Staatsdruckerei, 1894. gr. 4. 289 SS. (Vom Minister des Innern dem Reichs-
rate mitgeteilt.)
Belgien.
Annuaire statistique de la Belgique. XXIV^rne annee, 1893. Bruxelles, imprim.
A. Mertens, 1894. gr. in-8. IX — 375 pag. et table XXI pag. (Sommaire: Territoire
et population. — Etat politique intellectuel et mural. — Etat agricole, industriel et com-
mercial.)
Releve- olficiel de chiffre de la population du royaume de Belgique, par province,
par arrondissement administratif et par commune ä la date du 31 decembre 1893. Bruxelles,
impr. de la regie du „Moniteur Beige", 1894. Imp. in-4. 12 pag. (Publication de
l'administration de la statistique generale.)
Statistique medicale de l'armee Beige, ann£e 1892. Bruxelles, impr. J. Goemaere,
1893. Roy. in-8. XIX— 49 pag.
Holland.
Jaarcijfers uitgegeven door de Centrale commissie voor de statistiek. Kolonien,
1892 en vorige jaren. 'sGravenhage 1894. gr. in-8. XXI — 122 pp. (Statistisches Jahr-
buch der niederländischen Kolonien für das Jahr 1892 und rückwärts bis 1875.)
Schweiz.
Ergebnisse, die, der eidgenössischen Volkszählung vom 1. Dezember 1888.
Band III : Die Unterscheidung der Bevölkerung nach dem Berufe. Bern, Orell Füssli,
1894. 4. 37 u. 248 SS. mit 4 Tafeln kartographischer Darstellungen. (A. u. d. T. :
Schweizerische Statistik, Lieferung 96, herausgegeben vom statistischen Bureau des eidg.
Departements des Innern.)
Schweden.
Bidrag tili Sveriges officiela Statistik. B. Rättsväsendet, ny följd (Neue Folge)
XXXV, 1. 2. (Statistik der schwedischen Civil- und Strafrechtspflege für 1892.) XVII—
50 u. VI— 44 pp. — C. Bergshandteringen. (Montanstatistik für 1892.) XVI — 18 pp. —
E. Inrikes sjöfart och handel (Binnenschiffahrt und -Handel für 1892.) XI — 36 pp. —
F. Utrikes handel och sjöfart. I. Utrikes handel. (Aufsenhandel- und Schiffahrt, I. Ab-
teilung: Auswärtiger Handel für 1892.) XI — 177 pp. II. Utrikes sjöfart.
314 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Norwegen.
Norges officielle Statistik, III. Rsekke (Serie) N° 167. Folkemsengdens Bevsegelse
1886/90. N° V: Aaret 1890. 49 pp. (Bewegung der Bevölkerung in dem Jahrfünft
1886/90, N° 5: Jahrg. 1890.) — N° 168. De offentlige Jernbaner. Beretning om de
norske Jernbaners Drift i Terminen lste Juli 1891 til 30te Juni 1892. XLI— 278 pp. (Bericht
über die öffentlichen Eisenbahnen Norwegens für das Betriebsjahr 1891/92.) — N° 169.
Tabeller vedkommende Norges Skibsfart i Aaret 1891. X— 134 pp. — N° 170. Statistik
over Norges Fabrikanlseg ved Udgangen af Aaret 1890. XXIV — 107 pp. (Statistik der
industriellen Betriebe nach dem Stande vom 31. Dezember 1890.) — N° 171. Tabeller
vedkommende Skiftevsesenet i Norge i Aaret 1890. XIV — 51 pp. (Statistik des Besitz-
wechsels, der Konkurse, der Pupillengüter im Jahr 1890.) — N° 172. Rekruteringsstatistik
for den norske Armee for Aaret 1892. IV — 36 pp. — N° 173. Tabeller vedkommende
Norges Sparebanker i Aaret 1892. X — 71 pp. — N° 174. Tabeller vedkommende Norges
Handel i Aaret 1892. XI — 234 pp. — 8 Hefte. Kristiania 1893. gr. 8.
Afrika (Aegypten).
Commerce, le, exterieur de l'Egypte pendant l'annee 1893. Alexandrie, imprim.
Carriere, 1894. Roy. in-8. LI — 139 pag. (Publication de la Direction generale des douanes
egyptiennes.)
13. Verschiedenes.
Adler, Sigmund, Eheliches Güterrecht und Absehichtuugsrecht
nach den ältesten bayerischen Rechtsquellen. Leipzig 1893. 112 SS.
Nachdem der Verfasser früher das Wartrecht der Erben nach alt-
bayerischem Rechte dargestellt hat, unterzieht er in vorliegender Arbeit
andere wichtige Beziehungen zwischen Familie und Grundbesitz für das-
selbe Rechtsgebiet einer eingehenden Untersuchung. Der Reichtum der
Quellen gerade dieses Gebietes veranlafst ihn zur Beschränkung auf die
altbayerischen Rechtsquellen.
Die Entstehungszeit des Abschichtungsrechts der Eltern und Kinder,
die das Prinzip der Unveräufserlichkeit des Hausvermögens durchbricht,
läfst sich trotz der Fülle der Urkunden auch für das bayerische Stammes-
recht nicht nachweisen. Im Gegensatze zu Heusler kommt A. zu dem
Ergebnis, dafs Veräufserungen aus dem ungeteilten Hausvermögen des
weiteren Verwandtenkreises zulässig waren.
Die Frage des Abteilungsanspruchs der Ehefrau bei Abschichtung
des ehemännlichen Gutes führt zu einer Untersuchung des altbayerischen
ehelichen Güterrechts, die sich namentlich auf eine Klarlegung der Rechts-
verhältnisse der Errungenschaft, der dos und justitia erstreckt. Es zeigt
sich eine so starke Verbreitung der gesamten Hand im alten Bayern, dafs
der Gedanke einer späteren Rezeption der fiänkischen Errungenschafts-
gemeinschaft wird aufgegeben werden müssen. Diese ist selbständig in
Bayern erwachsen. Die Bestellung der Morgengabe als Quote hat auch
hier der Gütergemeinschaft die Wege gebahnt.
Die Resultate werden in überzeugender Weise aus den Quellen her-
ausgearbeitet. Es ist eine gründliche, gediegene Untersuchung, die A.
hier geliefert hat. Rückschlüsse aus späteren Rechtsbildungen hätten, mit
besonnener Kritik angewendet, die Bedeutung der Arbeit ebenso wie Aus-
blicke in die analogen Verhältnisse anderer Stammesrechte erhöht. Der
Verfasser lehnt aber grundsätzlich eine solche Ausdehnung seiner Unter-
suchung ab, so dafs ihm diese Selbstbeschränkung nicht zum Vorwurf
gemacht werden soll.
Jena. Eduard Rosenthal.
Uebersicht über" die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 315
Arbeiten aus dem kais. Gesundheitsamte. Band IX, Heft 2. Berlin, Springer,
1894. Roy.-8. Mit 11 Tafeln etc. (Darin, SS. 139 bis 378: Die Influenzaepidemie des
Winters 1889/90 im Deutschen Reiche, von P. L. Friedrich. — etc.)
Bekämpfung, die, der Infektionskrankheiten. Hygienischer Teil von (OIngenieur)
Bris, (Prof.) Pfuhl und (Hafenarzt) Nocht. Herausgegeben von (Stabsarzt, Prof.) Behring.
Leipzig, G. Thieme, 1894. Roy. -8. XXXI — 493 SS. mit 14 Abbildungen und 3 Tafeln.
M. 12.—.
Bludau, A., Die Oro- und Hydrographie der preufsischen und pommerschen Seen-
platte. Gotha, Perthes, 1894. Roy. -8. 63 SS. mit Höhenschichtenkarte der preufs. Seenplatte,
Mafsstab 1:500 000. M. 6. — . (A. u. d. T. : Petermanns Mitteilungen, hrsg. von A.
Supan, Ergänzungsheft Nr. 110.)
Blum, Hans, Fürst Bismarck und seine Zeit. Eine Biographie für das deutsche
Volk. I. Halbband. München, Beck, 1894. 8 273 SS. M. 2,50.
F eitler, S. (Privatdoz., techn. Hochschule Brunn), Leichtfafslicher Leitfaden der
Technologie der landwirtschaftlichen Gewerbe (Zucker, Bier, Spiritus, Branntwein und
Prefshefe) zum Gebrauche für Kameralbeamte, Finanzorgane, Zucker- und Branntweinsteuer-
Kontrollsbeamte etc. Wien, Holder, 1894. gr. 8. XII— 367 SS. mit 72 in den Text
gedr. Abbildungen. M. 6,50.
Forschungen zur brandenburgischen und preufsischen Geschichte. Neue Folge
der „Märkischen Forschungen". In Verbindung mit Fr. Holtze, G. Schmoller, A. Stölzel
und H. v. Treitschke herausgegeben von A. Naudö, Band VII, 1. Hälfte. Leipzig, Duncker
& Humblot, 1894. gr. 8. 298 SS. M. 6.—.
Herstatt, W. (k. OekonomieR.) und O. Kamp (Vorsitzender des Vereins für Haus-
haltungsschulen) , Die hauswirtschaftliche Unterweisung der Landmädchen und Frauen in
Deutschland und im Ausland. Grundzüge der bestehenden Einrichtungen und Anleitung
zur Schaffung ähnlicher Vorkehrungen. Wiesbaden, Bergmann, 1894. gr. 8. VI — 314 SS.
M. 5.—.
Krebs, W., Die Erhaltung der Mausfelder Seen. Vorschläge eines Meteorologen zur
Selbsthilfe. Leipzig, ühl, 1894. gr. 8. IV— 41 SS. M. 0,75.
Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften. Herausgegeben
von O. Lueger (Prof. und Civilingenieur, Stuttgart) im Verein mit Fachgenossen. Abtei-
lung I, 1. Hälfte. Stuttgart, Deutsche Verlagsanstalt. Imp.-Lex.-8. 80 SS. mit zahlreichen
Abbildungen. M. 2,50. (Das vollständige Werk wird 25 Abteilungen in der Gesamt-
stärke von 250 Bogen umfassen Der Preis jeder Abteilung ist auf M. 5 festgesetzt.)
Näcke, P. (Arzt an der Irrenanstalt zu Hubertusburg, Sachsen), Verbrechen und
Wahnsinn beim Weibe mit Ausblicken auf die Kriminalanthropologie überhaupt. Klinisch-
statistische, anthropologisch-biologische und kraniologische Untersuchungen. Wien, V.
Braumüller, 1894. gr. 8. VIII— 257 SS. mit 2 Tabellen in qu.-folio. M. 5.—.
Pohlmann, W. (Prof.), Die Juden und die körperliche Arbeit. Vortrag, Berlin,
Harrwitz, 1894. gr. 8. 21 SS. M. 0,50.
Ranke, Joh. (Prof.). Der Mensch. 2. neubearbeitete Aufl. Bd. I: Entwickelung,
Bau und Leben des menschlichen Körpers. Leipzig und Wien, Bibliographisches Institut,
1894. Roy.-8. XVI— 639 SS. mit 650 Abbildungen im Text und 26 Farbendrucktafeln
von W. Etzold, E. Eyrich, G. Klepzig, G. Mützel, A. Walker etc. geb. M. 15. — .
v. Rziha, F. (Ritter, Prof. an d. techn. Hochschule, Wien), Das Problem der
Wiener Wasserversorgung. Wien, Hartleben, 1894. gr. 8. 63 SS. M. 1,50. (Sonder-
abdruck aus der „Neuen Freien Presse".)
Reddersen, H. O., Hauswirtschaftliche Unterweisung der Mädchen aus den unbe-
mittelten Ständen und die Bremer Haushaltungsschulen. Bremen, v. Halem, 1894. gr. 8.
32 SS. M. 0,40.
Schriften der Physikalisch-ökonomischen Gesellschaft zu Königsberg in Pr., Jahr-
gang XXXIV: 1893. Königsberg, W. Koch, 1893. 4. VI— 76 u. 46 SS.
Schwarz, O. (Sanitätsarzt, Direktor des städtischen Schlachthofes zu Stolp i. P.),
Bau, Einrichtung und Betrieb von öffentlichen Schlachthöfen. Berlin, Springer, 1894.
gr. 8. VIII— 238 SS. mit Textabbildungen und 1 Taf. M. 5.—.
Somogyi, E., Ludwig Kossuth. Sein Leben und Wirken. Leipzig, O. Wigand,
1894. gr. 8. IV— 214 SS. M. 3.—.
Wehberg, H. (Dr. med., Düsseldorf), Die Erlösung der Menschheit vom Fluche
des Alkoholes. Berlin und Neuwied, Heusers Verlag, 1894. gr. 8. 32 SS. M. 0,75.
316 ^ie periodische Presse des Auslandes.
Denisow, P., Anglais et nihilistes allies. ReveMations dediees a la jeunesse russe.
Geneve, imprim. independante, 1892. 8.
Guillon, E., Les complots militaires sous le Consulat et l'Empire d'apres les
documents inedites des archives. Paris, Plön, 1894. in- 18 Jesus IV — 279 pag. fr. 3,50.
(Table des matieres: Paris en 1802. — Rennes en 1802. — Soult en Portugal (1809).
— Le complot d'Oporto (1809). — Le capitaine Argenton. Le proces Argenton (1809). —
Le complot Fouchö-Bernadotte (1809). — La conspiration Malet et la verite" sur les Phila-
delphes (1812). — Les complots de Tours et de Toulon (1813). — Les trahisoos de
1813. — Murat. Les marcSchaux (1814). — etc.)
JUmoires, les, d'une inconnue, publies sur le manuscrit original 1780 — 1816.
Paris, Plön, 1894. gr. in-8. XII— 419 pag. fr. 7,50. (Zur Geschichte der Gesellschaft
in Frankreich während der Revolution und dem ersten Kaiserreich von hervorragendem
Interesse.)
Rapport triennal sur la Situation de l'instruction primaire en Belgique, prdsente
aus Chambres legislatives le 1er avril 1892, par M. de Burlet (Ministre de l'int^rieur et
de l'instruction publ.). XVIieme periode triennale 1888-1889-1890. Bruxelles, impr.
J. Goemaere, 1892. Folio. CLXXXII— 655 pag.
Rapport triennal sur l'etat de l'enseignement moyen en Belgique presente" aux
Chambres legislatives le 30 novembre 1892. Xllli&ne periode triennale 1888-1889-
1890. Bruxelles, impr. J. Goemaere, 1893. Folio. CLXIII— 295 pag.
Situation de l'enseignement superieur donne aux frais de l'Etat. Rapport triennal,
presente aux Chambres legislatives, le 30 novembre 1892, par M. J. de Burlet (Ministre
de l'interieur et de l'instruction publique). Annees 1889, 1890 et 1891. Bruxelles, impr.
J. Goemaere, 1893. Folio. CCLXXVIII— 555 pag.
Weyl, E., La flotte de guerre et les arsenaux. Paris, Plön, 1894. in-18 j^sus.
VI — 250 pag. fr. 3,50. (Table des matieres : La marine militaire. L'etat-major general
et les directions. Les inspections generales et les conseils. La methode de travail. Les
officiers de marine. Les Services techniques. Les ^coles. Les arsenaux. L'Etat et l'industrie.
La flotte. La critique du navire de guerre. Note sur le budget francais de 1895. Note
sur le budget anglais de 1894/95. Note sur le budget de la marine allemande de 1894/95.
— etc.)
A n n u a 1 report of the Board of regents of the Smithsonian Institution , showing
the Operations, expenditures, and conditions of the Institution to July, 1891. Washington,
Government Printing Office, 1893. gr. in-8. XXIX — 715 pp. with diagrams, Charts etc.,
cloth.
Wall, A. J., Asiatic cholera: its history, pathology , and modern treatment. Lon-
don, H. K. Lewis, 1893. 8.
White, H. A. (late Superintendent of Ballarat gaol) , Crime and criminals in
Australia. With descriptions of some notorious gangs of Bushrangers. London, Ward &
Downey, 1894. crown-8. 6/. — .
Williamson, G. C, The money of the bible. New York and Chicago, F. H.
Revell C°, 1894. 12. 96 pp. illustrated, cloth. $ 1.—.
Polacco, V. (prof.), La questione del divorzio e gli israeliti in Italia. Padova,
fratelli Drucker edit., 1894. 16. 75 pp. 1. 1 — .
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Annales de l'Ecole libre des sciences politiques, N° 2, Mars 1894: De l'etablisse-
ment d'une legislation internationale sur le transport des marchandises par chemins de
fer, par G. Durant. — Les institutions de credit dans l'Empire russe, par Labordere. —
N° 3, Mai 1894 : Le droit international prive et la Conference de La Haye, par (prof.)
L. Renault. — etc.
Bulletin du Ministere de l'agriculture. XlH^e annee, 1894, N°3: De l'enseigne-
ment agricole en France, par Tisserand (conseiller d'Etat, directeur de i'agriculture).
[pag. 229 ä 296.] — Rapport sur les ficelles destinees aux moissonneuses-Jieuses, par
Ringelmann. — niieme memoire sur l'influence des ^claircies , par Claudot (inspecteur
adjoint des forets). — etc.
Die periodische Presse des Auslandes. 317
Bulletin de l'Office du travail, Ire annee, 1894, Nos 4 et 5, Avril et Mai: Mouve-
inent social en France: Le chömage professionnel. Mouvement syndieal. Les greves.
Conciliation et arbitrage en France et ä l'ötranger. Situation industrielle. Correspondances
regionales. Commission du travail de la Chambre des deputes. Vl^me congres du credit
populaire. Les retraites des agents de la Compagnie d'Orlöans. Professions des etrangers
en France. — Mouvement social a l'etranger: Grande-Bretagne: Le Labour Department
anglais ; La semaine de quarante-huit heures ; Les conclusions de la Commission royale
du travail ; Les trade-unions en 1892. Belgique : Les conditions du travail dans les
travaux publics. — Actes et documents officiels. — Jurisprudence. — etc. —
Journal de la Societe de statistique de Paris, N° 6, Juin 1894: Proces-verbal de
la seance du 16 mai 1894. — Etüde comparative du uiandat de poste francais et du
mandat de poste en Suisse, en Belgique, en Allemagne et en Autriche, par Vannacque. —
Chronique de statistique coloniale, par Ch. Cerisier. — Chronique de statistique generale
(Grande-Bretagne, Tunisie, Etats-Unis d'Amerique), par D. Bellet. — Les Emissions et
remboursements, en 1893, d'obligations de chemins de fer. — etc.
Revue d'^conomie politique. Vllle annee, 1894, N° 6, Juin: Essai sur la valeur:
1. Notion de la valeur et ses differentes especes ; 2. Les problemes de la thöorie de la
valeur; 3. Histoire dogmatique de la theorie de la valeur; 4. Elements de la theorique
positive de la valeur subjective, par E. de Böhm-Bawerk. — La mutualite et l'assistauce
sociale, par E. Fournier de Flaix. — Etüde sur la duree de la garantie d'interets promise
par l'Etat aus compagnies des chemins de fer d'Orleans et du Midi par les lois du
20 novembre 1883, etc. etc., par H. St. Marc. — Chronique economique, par Ch. Gide
et M. Lambert. — Chronique legislative par E. Villey. — Congres des banques popu-
laires. — etc.
Revue internationale de sociologie, publiee sous la direction de Rene Worms
(Paris). 2e annee, 1894, N° 6, Juin: Une loi sociologique, par G. Fiamingo. — Lois
de la vie et de la mort des nations, par G. de Lapouge. — La sociologie et l'economie
politique, par Rene Worms. — Mouvement social: Belgique, par O. Pyfferoen : 1. Re-
formes politiques ; 2. Questions de langues; 3. Institutions de prevoyance ; 4. Reformes
morales ; 5. Reformes ^conomiques ; 6. Le contrat de travail. — etc.
B. England.
Board of Trade Journal, Vol. XVI, N° 95, June 1894: Foreign exhibitions and
commercial museums — Russia's foreign trade in 1893. — Crisis in the Caucasiau
petroleum trade. — French industrial and commercial legislation in 1893. — The Lyons
silk industry. — The seamen's deserters' question in the U. States. — Canada and West
Indian trade. — The economic resources of the Argentine Republic. — The goldfields of
British Guiana. — Canadian tariff changes. — Tariff changes and customs regulations.
— Extracts from diplomatic and consular reports. — State of the skilled labour market,
etc. — Statistics of trade, emigration, fisheries, etc. —
Contemporary Review, the. July 1894: History ',of English policy, by (Sir)
J. R. Seeley. — Alsace and Lorraine, by S. J. Capper. — The prospects of liberal
reunion, by T. H. S. Escott. — Incidents of labour war in America, by W. T. Stead. —
The Armenian question, II: In Russia, by H. F. B. Lynch. — Do glaciers excavate?
by (Prof.) T. G. Bonney. — Hampstead Heath, by Ph. Robinson. — Employers' liability,
by A. D. Provand. — etc.
Economic Journal, ed. by Edgeworth, N° 13 (vol. IV), March 1894: „Metayage"
in Western France, by H. Higgs and R. Lambelin. — Some economic aspects of the
coal dispute, 1893, by J. E. C. Munro. — The coal strike and a minimum wage, by
F. D. Longe. — The theory of international value, by (Prof.) F. Y. Edgeworth (part I).
— The wife's contribution to family income, by (Miss) Ada Heather Bigg. — The effects
of the depreciation of silver, with special reference to the Indian currency experiment,
by (Prof.) J. S. Nicholson. —
Humanitarian, the. Edited by Victoria Woodhull Martin. New series , July
1894: The new education, by (Sir) H. E. Roscoe. — The unsolved riddle, by the editor.
— The church and labour problems, by (the Rev.) the Dean of Ely. — The position
of animals, by (Lady) Burton. — The vivisection controversy , by E. Berdoe. — The
home-loving woman, by (Lady) Violet Greville. — Infancy : its perils and safeguards,
by H. R. Jenes. — etc.
Journal of the Royal Statistical Society (published quarterly). Vol. LVII, part 2,
June, 1894 : Statistics of pauperism in old age, by Ch. Booth, with discussion of Booth's
318 ^'e periodische Presse des Auslandes.
paper. — Conditions and prospects of populär education in India, by J. A. Baines, with
discussion. — Modes of census-taking in the British dominions , by R. H. Hooker , with
discussion. — Tables of the production of gold and silver in the world since the disco-
very of America. — Census of England and Wales : Deputation to the President of the
Local Government Board. — Agricultural returns of 1893. — Comparability of trade
statistics of various countries, by A. E. Bateman. — Statistics of the consumption of
tea. — etc.
New Review, the. July 1894: The budget of 1894, by (Sir) J. Lubbock. — British
Central Africa, by H. H. Johnston. — Secrets from the court of Spain (III) — Munici-
palities at work, I. Birmingham, by F. Dolman. — Edmund Yates, an appreciation and
a retrospect, by T. H. S. Escott. — etc.
Nineteenth Century, the. June 1894: Checks on democracy in America, by G.
Washburn Smalley. — India : The political outlook, by (General Sir) G. Chesney. — The
Queen and Lord Palmerston, by (the Hon.) R. B. Brett. — Pedigrees of british and
american horses, by J. Irvine Lupton. — Modern explosives, by Wendwort Lascelles-
Scott. — The proposed Nile reservoir : 1. The devastation of Nubia, by (Prof.) Mab äff y ;
2. The submergence of Philae, by F. Dilon. — The evicted Tenants Bill, by (Lord) Mont-
eagle. — The.crying need for reforms in our Company law, by (h. Hon. Judge) Emden. — etc.
C. Oesterreich.
Deutsche Worte. Monatshefte herausgegeben von E. Pernerstorfer. Jahrg. XIV,
1894, Mai- und Juniheft: Einführung in die Kriminalstatistik an der Hand einer Kritik
der schweizerischen Erhebung, von G. H. Schmid (Dozent, Zürich). — Das künftige Amt
für Arbeitsstatistik in Oesterreich, von G. Kohn (Wien). — Zur Kritik des österreichi-
schen Strafgesetzeutwurfes, von Leo Verkauf (Wien). — Der Statistik Licht und Schatten.
— Ein Zermalmer des Alleszermalmers , von F. v. Feldegg (Wien) : [Referat über das
Buch : „Sturz der Metaphysik als Wissenschaft, Kritik des transzendentalen Idealismus
Kants, von H. Gartelmann".]
Monatsschrift für christliche Sozialreform, Gesellschaftswissenschaft etc. Be-
gründet von K. v. Vogelsang, fortgesetzt von (Prof.) J. Scheicher. Jahrg. XVI, 1894,
Heft 2, 3 und 4 : Es mufs aber doch sein, vom Herausgeber. — Freund Liberalismus,
von Lucius. (1. Artikel u. Fortsetz. 1 u. 2.) — Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen, von
G. Heim (Wunsiedl). — Soziale Streiflichter, von J. Hanika. — Die Hungerrevolution in
Sizilien, von M. V. (I. u. Schlufsartikel). — Was ist Kapital? von W. Hohoff. (II. Ar-
tikel u. Schlufs.) — Hüben und drüben , vom Herausgeber. — Ueber die Arbeiterfrage,
ihre Entstehung und die Bestrebungen zu ihrer Lösung , von Th. Unkel. (I. Artikel.) —
Die innerliche Ueberwindung der Sozialdemokratie, vom Herausgeber. — Das Urheber-
recht der bildenden Kunst. Vortrag , von K. Scheimpfiug (I.). — Vierter Parteitag der
österreichischen Sozialdemokratie (Ostern 1894), von M. V. — Soziale Randglossen. — etc.
D. Rufsland.
Bulletin russe de statistique financiere et de legislation. Ire annee, N° 3, Mai 1894 :
Traite de commerce avec la Serbie. — Oukase imperial relatif ä la conversion des divers
emprunts 5°/0. Arrete ministeriel pris en execution du dit oukase. — Assurances sur la
vie : Interdiction des tontines. — Projet de taxation du vin naturel et du viu artificiel.
— Propriete fonciere et dette fonciere. Statistique de la dette fonciere. — Banque de
Russie: Bilans au 13 et au 28 avril 1894 ; places bancables. — Salaires agricoles (ouvrier ä
l'annde). — Exportations et importations, 1891, 1892 et 1893. — Exportation des cereales,
1886 — 1893. — Surfaces emblavees, production, exportation et consommation des cerea-
les, 50 prov. de la Russie d'Europe. — Exportation du lin et du chanvre. — Les con-
versions russes (1888 — 1893). — Les fonds russes avant les conversions. — Les com-
pagnies russes d'assurances sur la vie. — Recettes et depenses du Tresor en janvier
1894. — etc.
E. Italien.
Giornale degli Economisti. Rivista mensile. Giugno 1894: Le amministrazioni
locali. L'ordinamento degli impiegati dello Stato, per C. Rosmini. — II riordinamento
delle borse di commercio, per G. Valenti (artic. 1). — II socialismo nelle pubblicazioni
della „Fabian Society", per H. W. Mallock. — Previdenza, per C. Bottoni. — Atti delf
Associazione ecouomica liberale italiana. — La situazione del mercato monetario, per X.
— Cronaca, per V. Pareto. — Supplemento : Saggio di bibliografia economica italiana
(1870 — 90), per A. Bertolini (continuazione).
Die periodische Presse Deutschlands. 319
Rivista delle beneficenza pubblka e di igiene sociale. Anno XXII, N° 5, 31 Maggio
1894: Gli oj.pedali dei bambiui, per A. Mandelli. — La casa benefica pei giovani dere-
litti, per V. Bersezio. — L'E>posizione operaia alla Esposizioni riunite di Milano, per
A. T. — Sopra un nuovo colorifero ad aria costrutto completamente in terra refrattaria.
Esame tecnico-igienico pei (ingegn.) N. Cbiapponi e Gorini. — Cronaca della beneficenza,
della previdenza, della cooperazione e di l'atti sociali interessanti i lavoratori. — etc.
G. Holland,
de Economist, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. XLI1I. jaargang, 1894, Juni
(in holländischer Sprache) : Etwas über Raftinationsverluste in den Zuckerraffinerien und
die Zuckeraccise in Holland, von J. W. GunniLig. — Der Achtstundenarbeitstag, von V.
S. — Der Anteil des Staats an der öffentlichen Armenpflege nach ,,H. Smissaert, het
aandeel van den Staat in de verzorging der armen'', von Ph. Falkenburg. — Wirtschafts-
chronik. — Handelschronik. —
H. Schweiz.
Schweizerische Blätter lür Wirtschafts- und Sozialpolitik. Jahrg. II, 1894,
Nr. 11, 1. Juni: Zur Arbeiterversicherung in der Schweiz, von E. Lange (Berlin). — Zu
einem neuen Buche: „Kritische Beiträge zur Erkenntnis unserer sozialen Zustände und
Theorien, von (Prof.) Jul. Platter", von (Prof.) G. Adler. — Sozialpolitische Rundschau :
Arbeitsnachweis und Arbeitsstatistik. Ueber das Verhältnis von Arbeitslohn und Arbeits-
zeit zur Arbeitsleistung, Arbeiterinnenschutz in der Schweiz. — Wirtschaftschronik: Zum
Zollkrieg der Schweiz mit Frankreich. Zur wirtschaftlichen Lage der Westschweiz im
Jahre 1893. Die Getreideernte in der Schweiz. Handelsverkehr der Schweiz mit Frank-
reich. — Die Versicherungskasse gegen Arbeitslosigkeit in Bern. — Statistische Notizen.
— etc.
L'Union postale. (Berne) N° 7, 1er juillet 1894: La nouvelle loi suisse sur la
regale des postes l^fin). — Le service des postes egyptiennes en 1893.' — etc. —
K. Spanien.
El Economist a. Madrid, 1894, Kos 410 — 417: Cuestiones sociales : El socialismo
cristiano. — El emprestito. — La situaciön de la Hacienda. — Companias industriales
de Espana. — Informaciön monetaria eu Berlin. — Los mercados del dinero. — El
comercio exterior de Espana. — Compania arrendaria de tabacos. — Reformes fiscales en
Holanda. — Los documentos en Espaua. — Companias industriales de Espana. — La
compania de tabacos. — Nuova teoria sobre los cambios internacionales. — Proyecto de
presupuesto de Francia para 1895. — Los ferro-carriles espanoles. — El discurso del
Sr. Gamazo. — El comercio y los cambios en Filipinas. — etc.
L. Amerika.
Yale Review, the. A quarterly Journal of history and political science. Vol. II,
N° 4, February 1894: Comment : Some defects in our legislative machinery ; the decline
of individual responsibility in the U. States ; some notes on the winter's distress. — The
law and the policy for Hawaii, by Th. S. Woolsey. — The ecclesiastical treatment of
usury, by H. C. Lea. — European Bureaus of labor statistics , by E. R. L. Gould. —
Jefferson and the social compact theory, by G. P. Fisher. — English labor in and out
of Parliament, by E. Porritt. — etc. Yale Review. Vol. III, N° 1, May 1894: Com-
ment : The existing depression compared with its predecessors. etc. — Black friday,
1869, by H. White. — Historical industries, by J. Schouler. — Corporations and the
legislature, by H. C. White. — Ulrich von Hütten in the light of recent investigation,
by F. P. Goodrich. — The condition of the southern farmer, by Fr. W. Moore. — The
Russian-American extradition treaty, by J. A. Hourwich. -— etc.
Die periodische Presse Deutschlands.
Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik. Jahrg.
XXVII, 1894, Nr. 8: Die Reichssteuergesetzentwürfe von 1893. (Fortsetzung.) — Der
Entwurf eines preufsischen Wassergesetzes, von (ORechnR.) Zeller. — Denkschrift, be-
treffend Umgestaltung der preufsischen Eisenbahnbehörden, vom April 1894. — Denk-
320 Die periodische Presse Deutschlands.
schrift über das Patentgesetz vom 7. April 1891 und das Gesetz , betreffend den Schutz
von Gebrauchsmustern vom 1. Juni 1891. (Dez. 1893.) Mit 5 Anlagen. —
Archiv für Eisenbahnwesen. Herausgegeben im Ministerium der öffentlichen Arbeiten.
Jahrg. 1894, Heft 4, Juli und August: Die Güterbewegung auf den deutschen Eisen-
bahnen im Jahre 1893 im Vergleich zu der in den Jahren 1892, 1891 und 1890, von
Thamer. — Die Kosten der Gleisunterhaltung, von Sigle. — Die schweizer Arbeiterschutz-
gesetzgebung im Transportgewerbe, von Erlanger. — Die russische Nordbahnfrage.
Die Naftaindustrie Bakus im Jahre 1893. — Die Eisenbahnen in Australien. — etc.
Archiv für Post und Telegraphie. Jahrg. 1894, Nr. 11 u. 12, Juni: Ueber Viel-
fachumschalter und deren Verwendung bei den Fernsprechvermittelungsanstalten der Reichs-
Telegraphenverwaltung (Artikel I u. II). — Die Einheitsbewegung im Verkehrswesen
Australasiens (Artikel I u. II). — Zur Geschichte des Begriffs „Pferdestärke". — Unfug
mit Briefmarken. — Wilhelm Röscher (Nachruf). — etc.
C hristlich -soziale Blätter. Katholisch-soziales Zentralorgan. Jahrg. XXVII, 1894,
Heft 9 und 10: Oesterreichisches, von A. Tr. — Zur Lohnfrage. — Zur Maifeier 1894.
— Die Landarbeiter und die wirtschaftliche Notlage. — Die sozialdemokratische Poesie
mit der Anlage: Sozialdemokratische Litteraturaugabe. — Der Brotkonsum im Deutschen
Reiche. — Sozialpolitische Rundschau, IV. — etc.
Deutsche Revue über das gesamte nationale Leben der Gegenwart. Herausgegeben
von Richard Fleischer. Jahrg. XIX, 1894, Juni: Crispi bei Bismarck. Artikel 3 (Schlufs).
— Die Lebensgemeinde in der Fläche des Ozeans, von Hensen. — Der Ruin der eng-
lischen Landwirtschaft, von W. C. Tetley. — Erinnerungen von meiner Reise um die
Welt, 1887/88, von Prinz Bernhard von Sachsen-Weimar (III. Artikel). — Erinnerungen
aus dem Leben von H. V. v. Unruh, von H. v. Poschinger (III. Artikel). — etc.
Landwirtschaftliche Jahrbücher. Herausgegeben von H. Thiel, Band XXIII,
1894, Heft 2 u. 3 : Die Düngungen und die Düngungskosten in viehlosen Wirtschaften
gegenüber denen in vielhaltenden Wirtschaften, von K. Müller (Alzey). [S. 167 — 332.] —
Beiträge zur Kenntnis der intramolekularen Atmung, von N. v. Chudiakow. — Unter-
suchungen über die alkoholische Gärung, von demselben. Mit 5 Tafeln. —
Masius' Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft etc. Neue Folge, Jahr-
gang VI, 1894, Heft 6 und 7: Die Entwickelung der Lebensversicherung in Deutsch-
land. — Aus dem Berichte des eidgenössischen Versicherungsamts für 1892. — Lebens-
versicherung und Tontine. — Die Lebensversicherung der Arbeiter in Deutschland. —
Die Prolongationsklausel in der Feuerversicherung. — Anzeigepflicht bei Erneuerung der
Versicherung. — Versicherungsgesetzgebung — etc.
Preufsische Jahrbücher. Herausgegeben von Hans Delbrück. Band LXXVII,
Heft 1, Juli 1894: Der Einflufs des juristischen Elements in den Behörden der preußi-
schen Landeskirchen, von (KonsistorialR.) C. Balan. — Sozialpolitik im Gütertarif, von
(RegR. a. D.) R. Menz. — Wilhelm Röscher f, von (Prof.) K. Bücher. — Die Fried-
richsuniversität zu Halle. — Die Reichssteuerreform und die Konversion der Staatsan-
leihen. —
Vereinsblatt für deutsches Versicherungswesen. Redakteur: J. Neumann. Jahrg.
XXII, 1894, Nr. 5 und 6: Feuerversicherung im Königreich Sachsen. — Zwangsversiche-
rung für Gebäude in Preufsen. — Zur Rechtsprechung des Reichsgerichts etc. in Ver-
sicherungsangelegenheiten. —
Zeitschrift für Kleinbahnen. Herausgegeben im Ministerium der öffentlichen
Arbeiten. Jahrg. I, Heft 7, Juli 1894: Nachweisung der in Preufsen vor dem Inkraft-
treten des Gesetzes vom 28. Juli 1892 genehmigten und jetzt als Kleinbahnen im Sinne
dieses Gesetzes anzusehenden Eisenbahnen, sowie der nach dem Inkrafttreten des genannten
Gesetzes genehmigten Kleinbahnen, nach dem Stande vom 31. Dezember 1893. — Vor-
schläge für die Einrichtung der Betriebsverwaltung einer Kleinbahn, von (Reg.- u. BauR.)
H. Jacobi, Kassel (Schlufs). — Die Brölthaler Eisenbahn, von (RegBauMstr.) Lauer
(Elberfeld). Mit 3 Taf. (Fortsetzung.) — etc.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
Backhaus. Die Arbeitsteilung iu der Landwirtschaft. 321
III.
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft.
Von
Prof. Dr. Backhaus, Göttingen.
Allgemeines.
In der wissenschaftlichen Behandlung der Frage über die Durch-
führung der Arbeitsteilung in der Landwirtschaft ist man seit den
Tagen von Adam Smith bis auf heute nicht viel weiter gekommen.
Der Satz: „The nature of agriculture, indeed does not admit of so
many subdivisions of labor, nor of so complete a Separation of one
business from another, as manufactures" *) findet sich immer wieder,
mehr oder weniger modifiziert, iD späteren Werken. Ja man hat viel-
fach noch nicht einmal von Seiten späterer Autoren eine so umfassende
Darstellung wie Adam Smith gegeben, denn dieser denkt doch in
dem angeführten Citat einmal an die Teilung einzelner Arbeiten und
dann auch an die Trennung der Produktionsrichtung in verschiedenen
Landwirtschaftsbetrieben je nach ihren hauptsächlichsten Produkten.
Es sind das diejenigen Seiten der Arbeitsteilung, auf die es meines
Erachtens für die Landwirtschaft am hauptsächlichsten ankommt und
es sollen diese Seiten auch gerade in der nachfolgenden Untersuchung
behandelt werden.
Man hat mit der vielfach schon zum Schlagwort und zur Phrase
gewordenen Bezeichnung „Arbeitsteilung" so vielerlei ins Auge gefaßt,
daß es nötig ist, das zu behandelnde Gebiet genauer, namentlich in
Hinsicht auf die Benennung zu kennzeichnen. Es ist eine Unter-
scheidung in technische, berufsmäßige und internationale Arbeitsteilung
getroffen worden 2), dann wieder in zeitliche, persönliche, räumliche
Arbeitsteilung3). Schmoller4) spricht von natürlicher, sozialer, poli-
1) Adam Smith , An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations,
1791, S. 9.
2) Handwörterb. d. Staatswissensch., Jena 1890, I, S. 380.
3) Schönberg, Handb. der politisch. Oekonomie, Tübingen 1882, S. 167.
4) Jahrbuch für Gesetzgeb., Verwalt. u. Volkswirtsch., Leipzig 1889. S. 1035.
Dritte Folge Bd. VIII (LXIII). 2 1
322 Backhaus,
tischer, geistiger und volkswirtschaftlicher Arbeitsteilung. Doch zeigen
sich diese und andere Unterscheidungen für den vorliegenden Zweck
als unzureichend, weshalb ich diejenigen Zweige, die hier behandelt
werden sollen, als wirtschaftliche und technische Arbeitsteilung
bezeichnen möchte. Ich verstehe unter der ersten die Teilung eines Ge-
werbes, hier der Landwirtschaft in verschiedene Zweige, unter der
letzteren Bezeichnung die Zerlegung der wirklichen Arbeiten innerhalb
eines Gewerbes, wie sie Adam Smith in seinem klassischen Beispiel
von der Nadel fabrikation trefflich schildert. Beide Arten der Arbeits-
teilung haben vieles Gemeinsame und Uebereinstimmende. Die tech-
nische Arbeitsteilung wird meistens erst durch die wirtschaftliche
möglich und die letztere erlangt durch die erstere ihre Hauptvor-
teile — ein Umstand, der in der Litteratur viel zu wenig be-
achtet ist.
Es mögen zunächst einige charakteristische Ansichten über unseren
Gegenstand und zwar von Nationalökonomen wie von Landwirtschaftlern
folgen, wobei zu bemerken ist, daß in sehr vielen Lehr- und Hand-
büchern der Nationalökonomie wie landwirtschaftlichen Betriebslehre
hierauf überhaupt kein Bezug genommen wird.
v. Hermann x) unterscheidet eine primitive Arbeitsteilung in der
Sonderung der selbständig betriebenen Erwerbsgeschäfte und eine
sekundäre Scheidung der Arbeiten, die wieder in eine ökonomische
und technische Arbeitsteilung zerfällt. Bezüglich der ökonomischen
Arbeitsteilung drückt er sich in Anwendung auf die Landwirtschaft
aus : „Im Landbau und bei der Viehzucht und den damit verbundenen
Geschäften findet sich fürs erste die Scheidung der selbständigen Er-
werbsgeschäfte, vorwalteud nur nach Gruppen, seltener nach Gattung
und nach Art der Produkte", und über die letztere : „Die Unterteilung
der Arbeiten ist fast in allen Geschäften der Landwirtschaft von der
Jahreszeit abhängig und durch sie beschränkt." Der Autor verbreitet
sich ausführlich über die Vorteile und Vorbedingung der Arbeits-
teilung, sucht auch die beiden angeführten Sätze noch näher zu be-
leuchten, ohne indessen viel Neues dabei zu Tage zu fördern.
Röscher2) schildert zwar in § 57 an Beispielen aus England eine
verhältnismäßig weit ausgedehnte wirtschaftliche Arbeitsteilung in der
Landwirtschaft, behandelt dann aber in § 59 bei Besprechung der
Bedingungen nur die technische Arbeitsteilung im Landbau, bezüglich
deren ähnliche Gesichtspunkte wie von v. Hermann vorgebracht
werden. In eingehender Weise beschäftigt sich Schmoller 3) mit der
landwirtschaftlichen Arbeitsteilung, wobei er jedoch der wirtschaft-
lichen Arbeitsteilung in der Landwirtschaft keine sehr hohe Bedeu-
tung zuweist, wie sich dies aus folgenden Sätzen ergiebt: „Die land-
wirtschaftliche Unternehmung löst sich nicht ganz von der Familien-
wirtschaft los, so wie es die moderne gewerbliche Unternehmung thut."
1) Staatswissenschaftl. Untersuch., München 1870, S. 195 ff.
2) Grundlage der Nationalökonomie. Stuttgart 1883.
3) Schmoller a. a. O. S. 1035.
Die Arbeitsteilung in der Landwii tschaft. 323
„Die selbständige Produktion der Lebensmittel giebt eine Unabhängig-
keit und Sicherheit, wie keine andere wirtschaftliche Thätigkeit." Es
tritt Schmoller dann auch den Ansichten Xenophons, die in späterer
Zeit von Luther bis auf die Physiokraten immer wiederkehrten, daß
der Landbau Reichtum , Gesundheit und Kriegstüchtigkeit befördere
und die Tugend der Ackerbauer über die alle anderen Stände zu
stellen sei, mit den Worten entgegen: „Aller höherer Wohlstand und
auch der beste Teil unserer sittlichen Fortschritte beruht auf einer
Arbeitsteilung, die über den Ackerbau hinausgeht."
Von landwirtschaftlichen Autoren hat Thaer x) die Lehren Adam
Smith's von der Arbeitsteilung für die Landwirtschaft nutzbringend
zu machen gesucht. Er behandelt aber nur die technische Arbeits-
teilung, deren Anwendung er mit warmen Worten empfiehlt und
mancherlei Beispiele angiebt, wie dieselbe praktisch ausgeführt werden
kann. Die wirtschaftliche Arbeitsteilung erwähnt er jedoch gar nicht,
ja arbeitet derselben sogar entgegen durch Empfehlung vieler neuer
Kulturpflanzen, ohne vor einer zu großen Komplizierung der Landguts-
wirtschaft zu warnen. In seiner Wirtschaft Möglin betrieb er auch
selbst die Kultur einer sehr großen Zahl landwirtschaftlicher Nutz-
pflanzen 2).
Thaer's großer Schüler v. Thünen geht im „Isolierten Staat", ob-
wohl er darin so viele eingehende Kalkulationen über Arbeit ange-
stellt, viele Lehren von Adam Smith weiter verarbeitet und für
die Landwirtschaft angewandt hat, sowie auch in seinen übrigen
Schriften auf die Frage der Arbeitsteilung gar nicht ein.
Friedrich Gottlob Schulze 3) hat wie viele andere wirtschaftliche
Fragen, auch die Bedeutung der Arbeitsteilung für die Landwirtschaft
wohl erkannt und verbreitete sich über die Durchführung derselben in
seinem Lehrbuch eingehender, schildert sogar Adam Smith's Beispiel
von der Nadelfabrikation und andere gewerbliche Exempel. Aber auch
hier ist nur von technischer Arbeitsteilung die Rede.
Am eingehendsten behandelt von älteren landwirtschaftlichen
Autoren unseren Gegenstand v. Pabst 4), der in seinem Lehrbuch neun
Paragraphen darüber giebt, noch viel weitgehender wie Thaer angiebt,
wie die Arbeitsteilung auch für die Landwirtschaft möglich ist, aller-
dings lediglich auch nur unter Arbeitsteilung die technische nach un-
seren Begriffen auffaßt.
Von neueren Autoren geht Settegast5) auf die Anwendung der
Arbeitsteilung in der Landwirtschaft ein, drückt jedoch seine Ansicht
dahin aus, daß die technische Arbeitsteilung mehr Schaden als Nutzen
bringen könne, indem er z. B. sagt: „In Anbetracht der eben hervor-
gehobenen Schattenseiten, von welchen sich die Arbeitsteilung in ihrer
1; Thaer, Grundsätze der rationellen Landwirtsch. Neue Ausg. Berlin 1880, S. 85.
2) Thaer, Geschichte meiner Wirtschaft zu Möglin. Berlin 1815.
3) Lehrbuch der allgetn. Landwirtsch. Leipzig 1863.
4) Landwirtschaft!. Betriebslehre, Darmstadt 1848, S. 34.
5) Settegast, Die Landwirtschaft und ihr Betrieb, Breslau 1885, S. 421.
21*
324 Backhaus,
höchsten Entwickelung nicht frei machen kann, dürfte es kaum zu be-
klagen sein, daß es die Eigenart des Betriebes der Landwirtschaft nicht
zuläßt, sich dieser Beförderungsmittel der Arbeit in dem Umfange zu
bedienen, wie es in manchen industriellen Thätigkeiten ausführbar ist."
Der wirtschaftlichen Arbeitsteilung steht Settegast freundlicher gegen-
über, wie dies aus seinen Auslassungen über Organisation des Betriebes
in Rücksicht auf Absatz und Verkehr x), über die Stellung, die er der
Viehhaltung und industrieller Thätigkeit in der Landwirtschaft ein-
räumt, ersichtlich ist.
Pohl 2) giebt über die technische Arbeitsteilung keine Auslassungen,
wohl aber über die wirtschaftliche, wenn er auch das Wort selbst nicht
gebraucht, in Schilderungen der Entwickelung der Landgutswirtschaft,
die er in 3 Stadien einteilt, in die Oikoswirtschaft, in die kameralisti-
sche Landgutswirtschaft und das tertiäre Stadium der Landgutswirt-
schaft.
Geschichtliches.
Es fehlt nicht in der Litteratur an historischen Phantasiegemälden
über unseren Gegenstand, wie der Mensch als Jäger, Nomade und auch
im ersten Stadium als Ackerbauer vollständige Oikoswirtschaft trieb,
wie er alle seine Bedürfnisse selbst produzierte, deshalb der Landbau-
betrieb ein sehr vielseitiger war, wie dann allmählich eine stärkere
Arbeitsteilung eintrat und zwar die Scheidung in der Arbeit zuerst
nach Geschlecht und nach Beruf erfolgte, dann mit dem Wachsen der
Bedürfnisse ein Austausch zwischen verschiedenen Oikoswirtschaften
stattfand, wie, nachdem der Naturalverkehr durch den Geldverkehr er-
setzt wurde und auch das Transportwesen sich vervollkommnete, eine
immer stärkere Arbeitsteilung eintrat und deshalb auch der Betrieb
der Landwirtschaft immer einfacher sich gestaltete und wie nach dem
Grundsatz der fortschreitenden Arbeitsteilung eine weitere Verein-
fachung in Aussicht steht, obwohl die Natur der Landwirtschaft es be-
dingt, daß die Arbeitsteilung der Industrie nicht erreicht werden kann.
Mit derartigen oberflächlichen Ausführungen ist recht wenig ge-
than. Prüft man die Verhältnisse auf Grund genau verbürgter An-
gabe sorgfältiger, so findet man in vielen Beziehungen gerade das Ent-
gegengesetze dieser Darstellungen. Man findet im allgemeinen den
Entwicklungsgang so, daß bei einer sehr niedrig entwickelten Volks-
wirtschaft durch die geringen Bedürfnisse der Menschen der Betrieb
der Landwirtschaft ein außerordentlich einfacher ist, namentlich da
es auch an Kapital fehlt, um die Landwirtschaft intensiver zu ge-
stalten, und da auch der Ueberfluß an Grund und Boden wie der ge-
ringe Wert landwirtschaftlicher Produkte eine stärkere Verwendung
von Arbeit auf das Land nicht zweckmäßig erscheinen läßt. Mit dem
Steigen der Volkswirtschaft, mit der Vermehrung der Bedürfnisse, dem
Steigen des Luxus gestaltet sich dann auch der Landbau immer in-
1) Daselbst, S. 246.
2) Pohl, Landwirtschaft!. Betriebslehre. Leipzig 1885.
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 3W^5
tensiver und vielseitiger und es scheint, daß die Arbeitsteilung, ob-
wohl sie gleichzeitig in der Industrie so großen Fortschritt herbei-
führte, in der Landwirtschaft verhältnismäßig wenig angewandt wird,
vielfach allerdings durch die mangelnde Intelligenz der Landwirte und
das Nichterkennen wirtschaftlicher Gesetze, bis auf einer sehr hohen
Stufe der Volkswirtschaft, aber einer Stufe, wie sie z. B. im klassischen
Altertum nicht erreicht wurde, die auch in unserer Zeit erst im An-
fang begriffen , indem nämlich ein technisch sehr hoch entwickelter
Ackerbaubetrieb, ein stark konsumtionsfähiger Markt, ein reger Verkehr
und ein vorzügliches Transportwesen die Vorbedingungen sind, auch
in der Landwirtschaft eine stärkere wirtschaftliche und technische
Arbeitsteilung, die also einer Vereinfachung der einzelnen Landwirt-
schaftsbetriebe gleichkommt, eintritt. Daß eine weitgehende Arbeits-
teilung in der Landwirtschaft möglich ist, läßt sich aber aus einer
ganzen Reihe bestehender Beispiele ersehen.
Aus dem Altertum lassen manche Nachrichten es als zutreffend
erscheinen, daß in den ältesten Zeiten der Landbaubetrieb, obwohl
eine Arbeitsteilung noch sehr wenig eingetreten war, doch sehr einfach
sich gestaltete. Aus den Schilderungen Homers in der Iliade und der
Odyssee ersehen wir, daß bei einer so gering entwickelten Arbeits-
teilung, bei der die Penelope selbst mit Weben sich beschäftigte und
bei der die Fürstin die Mägde zum Spinnen anhielt, trotzdem der
Landwirtschaftsbetrieb ein sehr einfacher gewesen sein muß, denn alle
die Speisen und Gerichte, die bei den Festmählern und von den
schwelgenden Freiern verzehrt wurden, waren außerordentlich einfach
und gehen meist über Brot und Fleisch nicht hinaus. Auch im alten
Testament findet man ähnliche Verhältnisse.
In der Blütezeit des klassischen Altertums tritt uns eine bedeu-
tendere Erweiterung der Landwirtschaft, aber eine verhältnismäßig
geringe Arbeitsteilung entgegen. Columella schildert im ersten seiner
12 Bücher De re rustica, wie er sich das Ideal eines Landgutes denkt.
Es soll ein Teil Ackerland sein, ein Teil Wiesen, die durch lebendige
Quellen und Bäche bewässert werden können, ein Teil Garten, ein Teil
Weideplätze, ein Teil Rohrplätze, während ein anderer Teil noch mit
Holz bewachsen sein soll. Ein Teil des Areals würde am besten in
der Ebene, ein anderer Teil an Anhängen gelegen sein und zwar sollen
auch einige Hügel frei von Bäumen und zu Ackerland nutzbar sein,
weil sich dieser Boden zu Saatland besser eignet als die Ebene, auf
der es in mäßig trockenem und fettem Grunde allerdings besser wächst.
Es wird dann weiter gewünscht, daß andere Hügel mit Oelbäumen
und Weinstöcken und dem nötigen Pfahlholz bepflanzt seien, daß an-
dere Berge Bauholz oder Stein zu notwendigem Bau enthalten, andere
Futterkräuter für das Vieh hervorbringen. Endlich dürfe es nicht an
Viehherden aller Gattungen fehlen, welche auf dem Felde und in den
Büschen weiden. — Dieses Ideal des römischen Landbauschriftstellers
bildet allerdings einen Betrieb, wie er vielseitiger kaum gedacht werden
kann. Es beschreibt dann auch Columella in seinem Buch den zweck-
mäßigen Anbau von ca. 50 landwirtschaftlichen Kulturpflanzen. Es
326 Backhaus,
wird ferner gelehrt die Zucht und Pflege von Pferden, Rindvieh, Schafen,
Schweinen, Ziegen, Eseln, Hunden, Federvieh verschiedenster Art, endlich
auch Fischzucht und Bienenzucht, so daß die Landwirtschaftsbetriebe,
die so viele Kulturpflanzen und so viele Haustierarten zur Auswahl
hatten, jedenfalls bedeutend vielseitiger gewesen sind als in früheren
Zeiten.
Freilich fehlen auch die Anzeichen nicht, daß schon zur Zeit der
Römer eine Arbeitsteilung in der Landwirtschaft sich herausgebildet
hatte, indem ja zur Versorgung des volkreichen Roms Getreide aus
Sizilien und Afrika, Viehzuchtprodukte aus Gallien und Germanien
eingeführt wurden, mithin in diesen Ländern gerade die landwirtschaft-
liche Produktion auf einen Ueberschuß in den betreffenden Produkten
hinarbeitete.
Ueber den Ackerbau der alten Germanen, in deren wirtschaft-
licher Thätigkeit doch eine sehr geringe Arbeitsteilung vorhanden
war , liegen sichere Nachrichten vor , daß derselbe trotzdem äußerst
einfach gewesen sein muß. Von Getreide baute man fast nur Hafer,
der die Hauptbrotfrucht bildete; auch Gerste wurde nach Tacitus
gebaut, jedenfalls aber in geringer Ausdehnung. Langethal1) ist der
Ansicht, daß Roggen von den Germanen noch nicht gekannt sei, daß
vielmehr frumentum, welches Tacitus erwähnt, auf Spelz sich beziehe.
Wurzelgewächse erwähnt Plinius nur 3 als in Germanien gebaut. Auch
Leinbau wurde damals getrieben. Damit mögen aber auch die haupt-
sächlichsten landwirtschaftlichen Kulturpflanzen erschöpft sein. Die
Viehzucht gestaltet sich allerdings verhältnismäßig vielseitiger, wie dies
überhaupt in älteren historischen Epochen der Fall ist. Schon zu
Homers Zeiten hatte man unsere heutigen hauptsächlichsten 4 Haus-
tierarten Pferd, Rind, Schaf und Schwein, wozu sich damals auch
noch als in größerem Maßstabe gezüchtet die Ziege gesellte.
Wie ganz anders gestaltet sich das Bild der Landwirtschaft
im Mittelalter, wo eine ganze Anzahl neuer Nutzpflanzen in Deutsch-
land eingeführt waren und die verfeinerten Bedürfnisse einen viel-
seitigeren Anbau nötig machten, wo aber auch infolge des gering ent-
wickelten Transportwesens die meisten Kulturpflanzen an Ort und Stelle
oder nicht weit von dem Konsumtionsplatz angebaut werden mußten.
Der Hopfenzusatz zu dem Bier war im 13. Jahrhundert aufgekommen
und wir sehen deshalb im 14 — 16. Jahrhundert an dem Nordrande
des Harzes einen sehr starken Hopfenbau entwickelt, der heute dort
vollständig aufgehört hat, weil in anderen Gegenden der Hopfenbau
lucrativer sich zeigte und der Transport von diesen Gegenden ermög-
licht ist. Die letzten Hopfenanlagen wurden am Nordharz in Wasser-
leben erst 1869 aufgegeben.
Der kirchliche Kultus des Mittelalters machte die Einführung
zweier anderer Betriebszweige an vielen Orten notwendig, nämlich
des Weinbaues und der Fischzucht. Es finden sich an vielen Orten
in Norddeutschland die Spuren früheren Weinbaues. Man mühte sich
1) Langethal, Gesch. d. deutsch. Landwirtsch., Jena 1847, S. 25.
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 327
trotz des schon in damaliger Zeit als „sauer und essigartig" be-
zeichneten Weines mit dessen Gewinnung ab, weil eine Beschaffung
von anderen Gegenden, wie dies heute der Fall ist, nicht möglich war.
Die Fischzucht ist heute ebenfalls nicht mehr so verbreitet wie im
Mittelalter, weil die evangelische Bevölkerung der Fischspeisen nicht
so bedarf wie die katholische des Mittelalters für die Fastenzeit, weil
für sie andere Kulturarten sich rentabler erwiesen.
Weitere Fortschritte zeigen sich im Mittelalter gegenüber der
Urzeit iu der Entwickelung des Obstbaues, der bei den Germanen fast
gar nicht gekannt war, indem diese nur wildes Obst benutzten. Auch
Korbweiden wurden im Mittelalter angebaut.
Eine Uebersicht über die vielerlei Kulturpflanzen, die zu Ende des
Mittelalters, beispielsweise am Rhein, angebaut wurden, giebt Lange-
thal x). Wir erfahren, daß damals am Rhein schon ca. 20 Arten Feld-
lrüchte gebaut wurden, daß ferner eine große Anzahl Küchengewächse,
Arzneikräuter, Wurzelgewächse, Zierpflanzen, Obstarten bekannt waren.
Die Viehzucht hat allerdings keinen vielseitigeren Betrieb gegenüber
den ältesten Zeiten gewannen, da keine neuen Haustierarten hinzu-
gekommen waren. Dagegen hatte man in landwirtschaftlichen Ge-
werben eine Vermehrung der Betriebszweige erhalten. Von Brauereien
bestanden zu Ausgang des Mittelalters und auch in Beginn der Neuzeit
eine große Anzahl in Verbindung mit Landwirtschaftsbetrieben. Die
Klöster hatten dieses Gewerbe überall teils in Verbindung mit den
Klöstern, teils auf ihren Gütern zur Einführung gebracht. Die Einrich-
tung, die sich heute noch in Bayern findet, daß in Dörfern in dem Ge-
meindebrauhaus und auf großen Gütern in dem eigenen Brauhaus
sich die Landwirte den Haustrunk selber herstellen, war früher sehr
viel mehr verbreitet, wurde aber und wird heute immer mehr auf-
gegeben, nachdem die fortschreitende Arbeitsteilung derartige kleine
Betriebe als irrationell erscheinen läßt.
Einen ähnlichen Entwickelungsgang hat das Gewerbe der Brannt-
weinbrennerei genommen. Zu Ende des vorigen Jahrhunderts gab es
in der Grafschaft Wernigerode ca. 60 Branntweinbrennereien, während
1861 nur noch sechs bestanden, von denen bis heute wiederum einige
zum Stillstand gekommen sind. — Müllereien , Ziegel- und Kalk-
brennereien waren in früherer Zeit ebenfalls viel mehr landwirtschaft-
liche Gewerbe als wie heute und waren auch in größerer Zahl, aller-
dings als kleine Betriebe vorhanden.
Recht deutlich ist die vielseitige Gestaltung der Landwirtschafts-
betriebe Deutschlands zu Ende des Mittelalters und Beginn der Neu-
zeit durch die Hausväterlitteratur ersichtlich, wird doch in diesen
Werken, z. B. in dem von v. Münchhausen 2) über die allerver-
schiedensten Dinge geschrieben , die zum Betrieb einer regelrechten
Landwirtschaft nötig sind und wird doch damit zugleich auch dem
Wirtschafter eine solche Vielseitigkeit und solche Zersplitterung zuge-
1) Langethal a. a. 0. S. 202.
2) v. Münchhausen, Der Hausvater. Hannover 1766.
328 Backhaus,
mutet, daß eine gute Leistung in allen Zweigen ausgeschlossen ist.
Da finden sich nicht nur Lehren für den Ackerbau und Viehzucht-
betrieb, sondern auch tausend Rezepte für Hauswirtschaft, für Heil-
kunst, Zauberregeln, Regeln für Beschäftigung als Patriot, Politikus
und Seelsorger, u. a. m.
Es möchte nach dem Geschilderten erscheinen , als ob im Ver-
gleich zu früheren Jahrhunderten der Landwirtschaftsbetrieb ein ein-
facherer geworden und eine vermehrte Arbeitsteilung also einge-
treten sei. Dem ist jedoch durchaus nicht so. Wohl ist nach einzelnen
Richtungen hin eine Vereinfachung erfolgt, namentlich in Bezug auf
landwirtschaftliche Gewerbe und auch in der Viehzucht. Es wurden
doch in frühereu Zeiten auf den meisten Landgütern alle wichtigen
Haustierarten, also Pferd, Rind, Schaf und Schwein gehalten und ge-
züchtet. Ja sogar Ziegenzucht, Eselhaltung, Geflügelzucht, Bienen-
zucht waren damals viel verbreiteter. Trotzdem war aber der Land-
wirtschaftsbetrieb im allgemeinen nicht komplizierter, denn alle die
vielen genannten Kulturpflanzen, die man allerdings schon kannte,
wurden zum größten Teil doch nur in kleinem Maßstabe meist in
Gärten angebaut, während zum Anbau im Großen auf dem Felde nur
ganz wenig Kulturpflanzen kamen, die auch zur Nahrung des Volkes
bei damaligen einfachen Bedürfnissen Abwechselung genug boten. An
einigen Beispielen sei dies noch näher dargestellt.
An anderer Stelle habe ich einmal einen Vergleich gezogen zwischen
dem Landwirtschaftsbetrieb auf einem Gute im Jahre 1529 — 1557,
aus welcher Zeit Nachrichten vorliegen, und dem Betrieb von heute x),
aus dem überraschend hervorgeht, wie sehr durch die heutige inten-
sivere Bewirtschaftung auch eine größere Vielgestaltigkeit in dem Be-
trieb eingetreten ist. Auf dem Gute Schmatzfeld2) war im Jahre
1592 das Ackerland bestellt mit
3.85
Proz.
Weizen
19,38
,,
Roggen
15,38
?j
Gerste
23,85
!)
Hafer
0,23
5?
Erbsen
37,31
J,
Brache
Ein ähnliches Bild zeigt sich von anderen Gütern der Grafschaft
Wernigerode, ein sehr starkes Ueberwiegen der Brache und zwar
meistens mehr als 1/3 der Fläche, Vorwiegen des Haferbaues vor
anderen Kulturpflanzen , ein geringer Weizenbau und ein fast ver-
schwindend kleiner Anbau von Blattpflanzen. Auf Schraatzfeld wurde
z. B. der geringe Anbau von Erbsen während des 17. Jahrhunderts
wiederum vollständig fallen gelassen. Im Jahre 1879 betrug der An-
bau der Ackerfläche dieses Gutes, welches sich in seiner Gesamtgröße
nicht verändert hatte, während allerdings das Ackerland durch Um-
bruch von Weide größer geworden war :
1) Backhaus, Entwickelung der Landwirtsch. auf den Gräfl. Stollberg- Wernigerode'schen
Domänen, Jena 1888, S. 159.
2) Ebendaselbst, S. 186.
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 329
17,77
Proz.
Weizen
0.43 Proz
Kartoffeln
0,06
.,
Roggen
26,13
Zuckerrüben
0,70
,,
Raps
6,31
Luzerne
13-78
Gerste
2,10
Steinklee
14,73
5,
Hafer
6,92
Wickfutter
6,27
,,
Erbsen
1,10 „
Mais
1.12
5'
Wicken
0,93
Lein
0,70
-,
Brache
0,95 .,
verpachtet
Während des 19. Jahrhunderts wurde auf diesem Gut außer den
soeben aufgezählten Kulturpflanzen auch noch in mehr oder weniger
größerer Ausdehnung angebaut : Sommerrübsen , Bohnen , Linsen,
Sommerroggen, Kohl, Futterrüben, Mohrrüben, Rotklee, Esparsette,
Weideklee, Mohn.
Aehnliche Verhältnisse ermittelte ich auf den Stollberg'schen Do-
mänen Ilsenburg und Wasserleben1) und Wendorfl'2) auf den Gütern
Altenrode, Drübeck und Veckenstedt. Es finden sich sogar auf diesen
Gütern noch Kulturpflanzen in der neueren Zeit angebaut, die auf
Gut Schmatzfeld nicht kultiviert wurden, z. B. Buchweizen, Grünroggen,
Dotter.
Selbst in der Viehzucht hat nach verschiedenen Richtungen hin
der Landwirtschaftsbetrieb auf den Gräfl. Stollberg'schen Domänen sich
nicht vereinfacht, sondern kompliziert. Man hatte dort schon im
16. Jahrhundert eine Art Arbeitsteilung in der Viehzucht eingerichtet,
indem auf den administrierten Gütern Schmatzfeld und Veckenstedt
nur Milchkühe gehalten wurden, während in Wernigerode keine Milch-
viehhaltung existierte, dagegen von jenen Gütern die Kälber hinge-
bracht wurden, um sie hier aufzuziehen und dann wieder die Milch-
kühe an jene Güter abzugehen. Auf diese Weise wurde der Vieh-
zuchtsbetrieb ein etwas einfacherer. Auf anderen Gütern war er aller-
dings recht kompliziert, indem man Zucht aller Tierarten betrieb, da-
durch einen großen Bestand von Jungvieh verschiedener Jahrgänge
hatte und auch auf eine vielseitige Nutzung der Haustiere Rücksicht
nahm. Es dienten z. B. die Schafe ganz allgemein im 16. Jahrhundert
nicht nur zur Fleisch- und Wollproduktion, sondern auch zur Milch-
lieferung. Man verstand es aber doch wieder den Viehzuchtsbetrieb
zu vereinfachen durch Verpachtung der Viehhaltung, was in der Graf-
schaft Wernigerode hauptsächlich im 17. und 18. Jahrhundert eintrat.
Der erste Pachtkontrakt über eine Schäferei in Wernigerode fand sich
vom Jahre 1594. Graf Görtz-Wrisberg3) berichtete sogar, daß in der
Provinz Hannover schon im Jahre 1556 Schäfereiverpachtungen statt-
gefunden hatten. Es wurden aber nicht nur die Schäfereien, sondern
auch die Rindviehhaltung auf den Wernigerode'schen Gütern verpachtet.
Eine weitere Vereinfachung der Viehhaltung bestand auf diesen Gütern
darin, daß man in früherer Zeit keine Zugochsen hatte, die erst in
1) Ebendaselbst S. 185 u. 188.
2) Wendorfif, 2 Jahrhund, landwirtsch. Entwickel. Gräfl. Stollb. Wernigerode'schen
Dom., Berlin 1890, S. 72, 78, 82.
3) Görtz-Wrisberg, Die Entwickel. der Landwirtsch. auf den Görtz-Wrisberg'schen
Gütern. Leipzig 1880.
330 Backhaus,
neuerer Zeit aufgekommen sind. Auch Pferde waren auf den Gräfl.
Stollberg'schen Gütern im vorigen Jahrhundert sehr wenig vorhanden,
weil ja die Gespannarbeiten durch die dienstpflichtigen Unterthanen
ausgeführt wurden. Letztere führten auch die meisten Handarbeiten
aus, so daß sehr wenig Gesinde auf den Gütern gehalten zu werden
brauchte und auch dadurch der Betrieb sich sehr vereinfachte.
Wenn trotzdem der Viehhaltungsbetrieb früherer Zeit auf den
Gräfl. Stollberg'schen Gütern ein etwas vielseitigerer war als heute,
wo auf manchen Gütern hauptsächlich Milchwirtschaft, auf anderen
Mast, auf anderen Zucht getrieben und namentlich nicht die
Zucht von allen Haustierarten ausgeführt wird, so ist zu sagen, daß
die ganze Viehhaltung in früherer Zeit viel weniger Arbeit und Auf-
merksamkeit erforderte wie heute. Daß das Vieh sehr spärlich ge-
füttert wurde, erhellt daraus, daß die Viehzahl in den letzten 300
Jahren in der Grafschaft Wernigerode sich nicht bedeutend vermehrte.
Bis zum Beginn dieses Jahrhunderts dachte man gar nicht daran, Rind-
vieh und Schafe mit etwas anderem zu füttern, als Stroh und sehr
wenig Heu im Winter, Weide auf permanentem Weideland und Brach-
feldern im Sommer. An Pferde und Schweine wurden sogar in früherer
Zeit sehr wenig Körnerfuttermittel verabreicht. Dann begann man
im Anfang dieses Jahrhunderts die Umänderung und den Uebergang
zur Stallfütterung, die Vergleichung aller möglichen künstlichen Futter-
mittel. Gleichzeitig verwandte man eine rege Thätigkeit auf Ver-
besserung der Zubereitung des Futters, Verbesserung der Viehzucht
durch Einführung fremder Rassen, durch neue Stalleinrichtungen, durch
bessere Pflege und Haltung, durch Errichtung einer Molkerei zur
besseren Milchverwertung u. s. w., und manches davon geschah nicht
zum Nutzen des Reinertrages der Viehhaltung und zur Bessergestal-
tung mancher Zweige, beispielsweise der Aufzucht.
Recht drastisch ist die Veränderung der Landwirtschaft auf diesen
Gütern während der letzten Jahrhunderte aus den Geldrechnungen
ersichtlich, die dort von einigen Domänen fortlaufend von 200 — 300
Jahren vorliegen. Im 16., 17. und auch im 18. Jahrhundert sind die
Geldeinnahmen der Güter nur aus ganz wenigen Produkten her-
stammend, während heute aus einer 2 — 3fach so großen Anzahl die
Einnahmen und zwar in bedeutend größeren Summen erwachsen.
Noch mehr ist aber dies mit den Ausgaben der Fall. Im Jahre 1536
wurden z. B. von dem Gut Schmatzfeld bezahlt :
14 Gulden 8 Groschen Abgaben,
55 „ I21/2 ,, Gesindelohn,
4 ,, Bau- und Reparaturkosten,
8 „ 16 ,, für Pferde,
während z. B. im Jahre 1880 die Gesamtausgabe von ca. 190045,75
Mark sich auf hunderte und tausende verschiedene Ausgabeposten
verteilte.
Einen ähnlichen Entwickelungsgang , wie er eben von den Gräfl.
Stollberg'schen Gütern kurz skizziert wurde und der zeigt, daß mit
fortschreitender Kultur, wie oft behauptet worden ist, nicht eine
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 331
größere Arbeitsteilung und Vereinfachung des Betriebes in der Land-
wirtschaft eintrat, sondern im Gegenteil eine stärkere Komplizierung,
ist auch von anderen Gegenden nachgewiesen, z. B. von Heisig in
Schlesien l). Im 17. und 18. Jahrhundert wurde dort hauptsächlich
Hafer, Gerste, Roggen und in bedeutend geringerer Ausdehnung Weizen,
Erbsen, Lein gebaut, während heute mindestens doppelt so viel Kultur-
pflanzen zum Anbau kommen. Vor 1646 wurden keine Zugochsen ge-
halten und die Pferde der Güter dienten zu nichtlandwirtschaftlichen
Zwecken. Schweine- und Rindviehzucht wie auch Bienenzucht sind erst
in der neuesten Zeit mächtig aufgeblüht, während allerdings Schaf-,
Ziegen- und Geflügelzucht zurückgegangen sind.
Hanssen 2) beschreibt die landwirtschaftlichen Verhältnisse früherer
Zeiten des Gutes Rundhof in Angeln in Schleswig, wo ein ganz anderes
Wirtschaftssystem als auf den genannten Gegenden am Harz und in
Schlesien seit langer Zeit gebräuchlich ist, nämlich im Gegensatz zu
der Körnerwirtschaft und der Fruchtwechselwirtschaft, die Feldgras-
oder Koppelwirtschaft. Es wurde 1609 daselbst überwiegend nur Hafer
gebaut, Gerste und Roggen in geringer Ausdehnung und Weizen und
Buchweizen in noch geringerer. Auf dem Maierhofe Drüld wurden
1609 aufgemessen 185 Hdsch. Hafer, 44 Hdsch. Gerste, 9 Hdsch.
Roggen. Heute werden in Angeln viel mehr Nutzpflanzen angebaut.
Eine Brauerei wurde im 18. Jahrhundert auf Rundhof eingerichtet,
die aber heute wieder eingegangen ist. Die Viehwirtschaft war in
früheren Zeiten vielseitiger wie heute, wo hauptsächlich Milchwirt-
schaft getrieben wird, aber man vereinfachte auch durch Verpachtung
den Betrieb.
Selbst aus der fruchtbaren Provinz Sachsen, dicht vor den Thoren
von Halle, den Gütern Giebichenstein und Cröllwitz giebt Nobiling 3)
an, daß dort 1685 Roggen, Gerste, Hafer in etwa gleicher Aus-
dehnung gebaut wurde, Erbsen und Weizen in sehr viel geringerem
Maße und Wicken, Rübensaat, Hirse und Lein nur in ganz verschwin-
dender Menge, während heute in derselben Gegend doch ein sehr viel-
seitiger Anbau des Ackerlandes stattfindet.
Jetziger Stand der landwirtschaftlichen Arbeits-
teilung.
Wurde schon soeben im Anschluß an historische Daten erwiesen,
daß eine Arbeitsteilung in der landwirtschaftlichen Produktion heute
viel weniger besteht, als man es nach dem allgemeinen Grundsatz der
fortschreitenden Arbeitsteilung erwarten sollte, so möge dies an einigen
Beispielen noch besonders dargestellt werden.
Daß die berufliche Arbeitsteilung gerade in der Landwirtschaft
eine nicht sehr weitgehende ist, beweisen folgende Zahlen, die ich nach
1) Heisig, Die histor. Entwickel. der landwirtsch. Verhältn. auf Schaffgotschischem
Güterkomplex. Jena 1884.
2) Hanssen, Agrarhistor. Abhandl. Leipzig 1884.
3) Nobiling, Beitr. z. Gesch. d. Landwirtsch. des Saalkreises. Berlin 1876.
332 Backhaus,
Schmoller1) wiedergebe: „Im 1. und 2. weimarischen Verwaltungs-
bezirk weist Hildebrand auf 5577 rein agrarische 11 752 Wirtschaften
nach, die Landwirtschaft mit einem anderen Beruf verbinden. Rümelin
hat für Württemberg gezeigt, daß auf 117 000 landwirtschaftliche
Familien etwa 99 000 kommen, die gemischter Natur sind und 78 000
Parzellenbesitzer in vorwiegend anderen Lebensstellungen. Von 5,2
Millionen landwirtschaftlicher Betriebsleiter, die 1882 im Deutschen
Reiche waren, haben 2,3 Millionen oder 44,6 Proz. noch einen anderen
Beruf.
Ueber die Organisationsverhältnisse deutscher Landwirtschafts-
betriebe und vornehmlich über die Frage, einen wie vielseitigen Charakter
die Produktion trägt, läßt sich aus der allgemeinen Betriebsstatistik
kein Aufschluß entnehmen, weil hier die einzelnen Betriebe nicht zur
Darstellung kommen und eine Angabe, welche Kulturpflanzen in einem
größeren Verwaltungsbezirke gebaut werden, welche Zweige der Tier-
zucht kultiviert werden , hat für unseren Zweck keinen Wert. Eine
persönliche Kenntnisnahme der landwirtschaftlichen Verbältnisse in den
meisten Distrikten Deutschlands hat mich jedoch überzeugt, daß in
sehr vielen Gegenden eine recht große Vielseitigkeit, ja eine sehr
starke Zersplitterung des Betriebes besteht und eine Arbeitsteilung
sehr wenig Platz gegriffen hat.
Ueber die Frage der Zweckmäßigkeit der Arbeitsteilung der Land-
wirtschaft sollen unten noch nähere Ausführungen gegeben werden.
Es sei hier vorweg nur bemerkt, daß ein derartiger vielseitiger Be-
trieb allerdings an manchen Orten wohl ganz zweckmäßig ist, daß
aber auch an sehr vielen Plätzen der alte Hauswirtschaftsbetrieb
früherer Zeiten zu sehr beibehalten worden ist zum Nachteil der be-
treffenden Wirtschafter, zum Nachteil der ganzen Kulturentwickelung.
So findet man auf schwerem Boden Roggen angebaut, während Weizen
einen viel höheren Ertrag geben würde, weil man den Roggen für den
Haushalt zum Brotbacken braucht. Es wird häufig Samenbau z. B.
von Rüben, Klee ausgeführt, um nur den Samen für den eigenen Be-
darf zu erhalten, anstatt viel besseren Samen von solchen Gütern an-
zukaufen, die aus dem Samenbau eine Spezialität machen. Man
findet in Zuckerrübenwirtschaften bei ausschließlicher Stallfütterung
Rindviehaufzucht, weil man die benötigten Milchkühe gern selbst auf-
ziehen will und einen Austausch verschiedener Wirtschaften nicht für
zweckmäßig hält, resp. eine Antipathie dagegen hat, die oft gar nicht
näher erläutert werden kann. Das in vieler Beziehung sehr zu billigende
Bestreben, die Wirtschaft auf Selbstproduktion aller benötigten Dinge
zu basieren, geht in diesen und anderen Fällen zu weit.
Eine solche tadelnswerte Vielseitigkeit und Zersplitterung des
Landwirtschaftsbetriebs findet sich im allgemeinen mehr in kleineren
Wirtschaften, die ja aus natürlichen Gründen mehr zum Hausbetrieb
neigen als größere, aber sie wird doch auch auf größeren Gütern aus-
geführt und es ist namentlich hier das Prinzip der Sicherheit, welches
1) Schmoller a. a. 0. S. 1072.
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 333
man als Grund für solche Vielseitigkeit anführt, das Prinzip, den Er-
trag des Gutes nicht auf eine Karte zu setzen , sondern auf recht
viele Zweige aufzubauen, damit eine möglichste Stetigkeit in den Land-
wirtschaftsbetrieb hineinkomme. Daß dieses Prinzip nicht immer das
richtige ist, soll unten noch näher nachgewiesen werden.
Es ist aber auch die Vielseitigkeit der landwirtschaftlichen Produk-
tion vielfach die Folge einer unrationellen Schematisierung, einer Nach-
ahmung anderer Verhältnisse, obwohl die natürlichen Produktions-
bedingungen ganz andere sind. So hat man im allgemeinen in Deutsch-
land das Fruchtwechselsystem von England eingeführt, hat es aber
vielfach nicht verstanden, auch die englische Einfachheit der Produk-
tion mit zu übernehmen, sondern hat gerade durch die Einführung
des Fruchtwechsels eine große Zahl neuer Kulturpflanzen zum Anbau
gebracht und den Betrieb dadurch viel komplizierter und nicht immer
rationeller gemacht.
Es trägt auch an dieser Vielseitigkeit unsere landwirtschaftliche
Litteratur und die Art der landwirtschaftlichen Belehrung Schuld. Es
wird in Hand- und Lehrbüchern über Pflanzenbau fast von jeder
Kulturpflanze so viel Rühmliches erwähnt, es werden in landwirtschaft-
lichen Zeitschriften immer wieder neue Kulturpflanzen angepriesen oder
die Kultur bekannter Nutzpflanzen so warm empfohlen, daß der Land-
wirt zur Einführung mancher neueren Kulturpflanzen und durch andere
Empfehlungen auch zur Komplizierung des Viehwirtschaftsbetriebes
leicht veranlaßt wird. Es ist mir doch selbst so ergangen, daß ich,
durch die Litteratur und durch Vorlesungen der hohen Bedeutung
mancher Gewächse felsenfest überzeugt, in der landwirtschaftlichen
Praxis auf dem Gute Rudlos in Hessen, woselbst wegen verschiedener
Bodenverhältnisse bereits 16 Kulturpflanzen angebaut wurden , noch
7 neue dazu einführte, womit allerdings auch der Zweck der Be-
lehrung für die daselbst auszubildenden Landwirte im Auge behalten
wurde. Es hat sich aber bald eine derartige Vielseitigkeit des Be-
triebes als unrationell herausgestellt und heute ist die Anzahl der
Kulturpflanzen wieder auf 17 zurückgegangen.
Gerade in der Viehzucht trifft man auf deutschen größeren Land-
gütern eine zu große Mannigfaltigkeit des Betriebes, während eine
Art Arbeitsteilung viel zweckmäßiger wäre. Man hat auf einem Gut
2 — 3 verschiedene Arten Zugtiere, man betreibt die Zucht aller Haus-
tiere, dazu vielleicht noch Mast, Milchwirtschaft, Zuchtviehverkauf.
Man treibt vielfach alles, aber nichts ordentlich.
Wie gerade in dem bäuerlichen Betrieb und besonders in Süd-
deutschland die Zersplitterung in der Produktion einzelner Landgüter
eine weitgehende ist, zeigt sich aus der in Baden angestellten land-
wirtschaftlichen Enquete1). In den 37 Gemeinden, in denen Erhe-
bungen stattfanden, wurden von den wichtigsten Kulturpflanzen (also
nebensächlichere sind hierbei nicht beachtet) angebaut:
1) Erhebungen über die Lage der Landwirtschaft d. Grofsherzogtums Baden, 1883.
334
Backhaus,
einer
Gemeinde
18 \
erschied
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zwei <
11
JJ
11
Gemeinden
17
16
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ii
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einer
11
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einer
11
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ii
zwei
11
5
ii
Ebenso war auch der Viehzuchtsbetrieb in den meisten bäuerlichen
Betrieben, die bei der Erhebung näher untersucht wurden, ein sehr
vielgestaltiger, indem nicht nur in den meisten Gütern fast alle Haus-
tierarten vertreten waren, sondern auch noch verschiedene Betriebs-
zweige der Viehzucht ausgeführt wurden.
Betrachten wir aus der großen Zahl einzelner Bauerngüter, die
in diesem Enquetebericht beschrieben sind, zwei etwas näher. Da ist
aufgeführt ein größeres Bauerngut in der Gemeinde Dittwar, Amts-
bezirk Tauberbischofsheim, 10,52 ha groß, in ca. 130 Parzellen gelegen.
Nach den Kulturarten setzt sich das Gut zusammen aus Krautgarten,
Oedungen mit Bäumen, Anger, Wiesen, Weinbergen, Oedungen, Wald.
Es werden gebaut von Kulturpflanzen Dinkel, Mengfrucht, Roggen, Gerste,
Erbsen, Wicken, Linsen, Hafer, Kartoffeln, Runkeln, Rotklee, Luzerne,
Esparsette, und außerdem sind als besondere Betriebszweige Obstbau,
Wiesenbau und Weinbau vorhanden. Der Viehstand besteht aus 2
Kühen, 2 Rindern, 2 Kälbern, 3 Schafen, 2 Schnittschweinen, 3 Gänsen,
5 Hühnern, 10 Bienenstöcken. Es ist dieses ein verhältnismäßig größeres
Gut. In derselben Gemeinde ist aber auch ein mittelgroßes Gut, 5,91 ha
groß, in ca. 70 Parzellen gelegen, welches ganz dieselbe Anzahl Kultur-
pflanzen mit Ausnahme des Hafers baut und auch dieselben Vieharten
außer Bienen besitzt. Es können natürlich hierbei nur so kleine Flächen
bebaut werden, daß z. B. nur 3,5 Zentner Linsen, 1 Zentner Erbsen,
34 Zentner Kartoffeln, 46 Centner Runkeln geerntet werden. Ob hier
eine Vereinfachung nicht möglich war, erscheint mir doch sehr frag-
lich, könnte doch recht wohl der Linsenbau weggelassen und auch
andere Früchte vielleicht gänzlich fallen gelassen werden.
Ein Gut in der Gemeinde Ichenheim, Amtsbezirk Laar, 13,5 ha
groß, in ca. 58 Parzellen gelegen, baut folgende Kulturpflanzen : Weizen,
Halbweizen, Roggen, Gerste, Hafer, Maisfutter, Welschkorn, Rotklee,
Luzerne, Inkarnatklee, Kartoffeln, Runkeln, Topinambur, Möhren,
Stoppelrüben, Tabak, Hopfen. Außerdem wird Wiesenbau und Obstbau
betrieben. Der Viehstand setzt sich zusammen aus 3 Ackerpferden,
6 Kühen, 2 Kalbinnen, 2 Kälbern, 2 Zuchtschweinen, 4 Mastschweinen,
25 Hühnern, 6 Bienenstöcke. Das in derselben Gemeinde beschriebene
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 335
kleinere BauerDgütchen von 4,86 ha Größe hat dieselben Kulturpflanzen
außer Hopfen und auch der Viehstand besteht aus den gleichen Vieh-
arten mit Ausnahme der Bienen. Weshalb gerade in dieser Ge-
meinde, wo doch Handelsfruchtbau betrieben wird, eine solche Kom-
plizierung des Betriebes vorgenommen ist, ist schwer verständlich.
Daß in dem benachbarten Lothringen ähnliche Verhältnisse wie
in Baden, auch auf größeren Gütern existieren, ist bekannt. Es sei
hier nur noch auf ein Beispiel aufmerksam gemacht, nämlich das Gut
Bellevue1) 93,19 ha groß, bestehend aus den Kulturarten Ackerland,
Hopfenanpflanzungen, Wiesen, Teiche und Gärten, welches in den 70er
Jahren bebaut wurde mit den Kulturpflanzen: Tabak, Zuckerrüben,
Topinambur, Mais zum Grünfüttern und Körnerernte, Luzerne, Klee
mit Timotheegras, Weizen, Mischkorn, Koggen, Hafer, Kopfkohl,
Raps, Karotten, Wicken und Buchweizen.
Eine derartige Vielseitigkeit des Betriebes ist allerdings nur in
günstigem Klima möglich und wir sehen z. B. auch in Baden in den
Schwarzwaldwirtschaften eine verhältnismäßig einfachere Bewirtschaf-
tung. Desgleichen sind in Ostpreußen viel einseitigere Betriebe, weil das
rauhere Klima viele Kulturpflanzen Süddeutschlands dort unmöglich
macht. Auch in Schleswig -Holstein sind die Verhältnisse weit ein-
facher, z. B. werden von Gut Großnordsee2) als angebaute Kultur-
pflanzen genannt: Raps, Weizen, Hackfrucht (Kartoffeln und Rüben),
Gerste, Hafer, Erbsen und Kleegras und Weide.
Aber auch in Norddeutschland kommen Betriebe mit starker Viel-
seitigkeit vor. Es sei als Beispiel hier angeführt das Rittergut Cunrau 3),
welches allerdings durch verschiedene Bodenverhältnisse zu einem viel-
seitigen Betrieb genötigt ist. Es wurden daselbst nach den Veröffent-
lichungen Rimpau's gebaut ca. 20 verschiedene Kulturpflanzen im Großen,
außerdem wurde auch Obstbau und Korbweidenkultur betrieben, ferner
Forstwirtschaft und Fischzucht, von technischen Gewerben Brennerei
und Molkerei, und schließlich auch die Haltung sämtlicher Haustier-
arten.
Beispiele durchgeführter landwirtschaftlicher Arbeits-
teilung.
WTar in dem vorigen Abschnitt auseinandergesetzt worden, wie in
vielen Gegenden der Landwirtschaftsbetrieb sehr wenig nach dem
Prinzip der Arbeitsteilung eingerichtet ist und noch recht oft das
Gepräge des auf vielseitige Produktion arbeitenden Hauswirtschafts-
betriebes trägt, so sind aber auch andererseits Anzeichen und Bei-
spiele genug vorhanden, daß eine Art Arbeitsteilung in der Landwirt-
schaft Platz gegriffen hat.
Ein Zeichen für eine bestehende volkswirtschaftliche, ja weltwirt-
1) Bauer, Wirtschaft!. Stud. in franz. Musterwirtsch., Hannov. 1880, S. 34.
2) Hirschfeld, Beschreibung eines adligen Gutes in Schleswig-Holstein, Kiel 1867, S. 19.
3) Rinipau, Die Bewirtschaftung des Ritterguts Cunrau. Berlin 1887.
336 Backhaus,
schaftliche Arbeitsteilung ist ja schon der starke Austausch in Land-
wirtschaftsprodukten verschiedener Länder, womit bewiesen wird, daß
in vielen Ländern die Landwirtschaft durchaus nicht in dem Verhältnis
des Konsums die Produkte liefert, wie es in früherer Zeit war, sondern
daß nach anderen Prinzipien der Landwirtschaftsbetrieb eingerichtet
ist und hierbei hauptsächlich die dicht bevölkerten Länder die Pro-
duktion mancher Konsumstoffe anderen Ländern überlassen. Krämer x)
hat sehr interessante Zusammenstellungen angefertigt über die großen
Mengen landwirtschaftlicher Produkte, welche zwischen verschiedenen
Ländern in der Neuzeit ausgetauscht werden, z. B. nach den stati-
stischen Erhebungen in den 70er Jahren 150 Mill. Zentner mehlhaltige
Körnerfrüchte und 10 Mill. Zentner Fleisch.
Daß auch innerhalb eines Landes bereits eine weitgehende land-
wirtschaftliche Arbeitsteilung eingeführt ist, ersehen wir an Erhebungen
aus dem Königreich Sachsen 2), worüber in folgender Tabelle einige
Zahlen angeführt sein mögen.
(Siehe Tabelle auf S. 337.)
Man ersieht aus dieser Tabelle, wie große Unterschiede in dem
Anbau der einzelnen Kulturpflanzen in Sachsen herrschen, obwohl die
Konsumtion von den meisten Landwirtschaftsprodukten innerhalb des
Landes ziemlich die gleiche ist. Man hat also dem verschiedenen
Boden und Klima in der Organisation der dortigen Landwirtschaft
weitgehende Rechnung getragen, um nur sichere Früchte erzielen zu
können. Es mag aber auch vielfach das Streben nach Arbeitsteilung,
nach Vereinfachung des Betriebes maßgebend gewesen sein, wie sich
das namentlich aus der Kultur des Flachses, dem Anbau von Klee-
samen, von Kraut und Kohl ergiebt, auf die die natürlichen Verhält-
nisse nicht so von Einfluß sein können. Es zeigt sich das namentlich
an der Verteilung des Schweinebestandes, denn das Schwein ist ein
Haustier, welches verhältnismäßig wenig an natürliche Verhältnisse
gebunden ist.
Diese Zahlen bieten auch einen Beleg dafür, daß heute nicht ledig-
lich die Gunst der Absatzverhältnisse für die Einrichtung des Land-
wirtschaftsbetriebes in erster Linie bestimmend ist, wie es v. Thünen
nachgewiesen und wie es auch früher der Fall war, daß heute viel
mehr die Produktionsverhältnisse grundlegend einwirken.
Interessant sind die in Beschreibung der sächsischen Landwirt-
schaft dargelegten Brennereiverhältnisse. Die Anzahl der Brennerei-
betriebe hat sich nämlich vom Jahre 1836 — 1886 von 1684 auf 629
vermindert, obwohl der Verbrauch von Rohstoffen von 640997 hl auf
2 272 744 hl in derselben Zeit gestiegen ist.
Es ist dies ein trefflicher Beweis, wie sehr man in diesem land-
wirtschaftlichen Gewerbe bestrebt war, eine bessere Konzentrierung,
Großbetriebe, also Arbeitsteilung durchzuführen. Sieht man sich
auf einzelnen Landwirtschaftsbetrieben in Deutschland um in Bezug
1) Krämer, Beiträge z. Wirtschaftslehre des Landbaues. Aarau 1881.
2) v. Langsdorf, Die Landwirtschaft im Königr. Sachsen. Dresden 1889.
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft.
337
Verteilung des Pflanzenbaues, des Schaf- und Schweinebestandes im Königreich
Sachsen nach Amtshauptmannschaften 1883.
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1,5
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19,8
13,3
0,4
2,6
25
355
—
0,6
149
32
Auerbach
28,5 89,5
10,5
56,4
3,3
0,1
9,8
1,1
23-1
0,6
1,5
18
3
—
2,9
104
82
Bautzen
59,1 [8o,c
19,9
69,0
21,1
0,2
11,2
0,2
14,8
1,9
1,8
247
248 33
3.8
240
75
Borna
48,0
71.4
27,6
68,2
26,5
0,5
8,2
0,2
14,3
2.7
3,4
393
15
160
6,7
579
207
Chemnitz
31.1
90.4
9,6
67,7
IO,l
0,I5
10,8
5,3
15,0
1,7
3 2
24
59
—
3-3
309
25
Dippoldiswalde
30,0
87,8
12,2
66,6
3,3
1,3
11,7
10,2
9,4
0,9
2,2
49
523
5
2,4
211
30
Döbeln
48,2
72,8
26.7
80,6
14,2
1,6
10,0
1,4
12,0
2,4
1,1
322
80
424
2,6
470
265
Dresden-A.
61,1
68,5
3M
78,3
9,0
0,4
8.0
0.7
12,2
3,3
1,6
104
3
76
3-0
491
35
Dresden-N.
63,9
93,6
6,0
75,7
20.5
Ol
8,0
0.2
14,8
2,2
2,8
28
25
3
1,9
364
5
Flöha
20.4
87,4
12,6
64,2
13,0
2,0
11,5
7,8
14,0
1,4
2,6
9
11
—
2,2
274
72
Freiberg
20,7
84,7
14,8
64,0
4,9
1,1
10,2
11,3
13,2
1,0
2,4
127
924
—
2.7
277
98
Glauchau
47*9
90,4
9,5
70,6
19-5
0,2
10,6
0.3
15,3
2,2
3-5
6
33
—
5,0
443
8
Grimma
5o,9
76,6
23,4
76,8
18,7
1.4
6,6
1,3
»5,7
2,9
1,4
196
99
11
3,5
497
3X9
Grofsenhain
63,7
91,8
7,9
88,5
10.1
O.i
5,4
0,6
14,6
1,7
0,8
103
46 95
3,3
425
161
Eamenz
68,4
92.0
7,7
77,1
19.5
0,1
9,0
0,1
14,3
1,8
1,6
117
298
1
4,4
347
119
Leipzig
54-6
71.0
28, G
61,0
34,8
0.4
8,1
0,4
13,8
4,2
1,5
534
—
537
4-7
520
297
Löbau
49-5
76,9
23,1
70,3
10.9
0,5
13,6
0,4
14,1
1,7
1,4
150
90
182
5,8
150
121
Marienberg
9,6
94-3
4,7
62,3
3-8
1,7
10,7
18,9
13,6
0,7
3,3
24
156
—
2,4
201
56
Meifsen
53,9
67,9
31,4
82,6
15,1
1,3
8,1
!,1
12,5
2,7
0,8
285
6
187
1,4
59i
296
Oelsnitz
39-3
86,7
12,5
53,3
19,4
O.l
8,7
0,4
19,9
0,8
1,4
39
64
—
7-2
77
120
Oschatz
52,5
75-4
24,6
80,0
18.3
1,2
8,0
2,0
14,2
2,6
0,4
309
—
32
2,7
529
363
Plauen
39,6
83,7
15.4
54,9
31,4
0,1
10,9
1,0
16,0
1,1
1,2
145
73
—
5,2
182
228
Pirna
5o,9
81.7
18.3
69,7
20,5
0,6
14,5
0,8
12,9
1,9
3,3
180
U3 43
2,5
247
94
Bochlitz
42,8
90.1
9,2
73-2
15,6
0,6
10,9
0,6
12,9
2,3
3,o
67
100
2
6,0
375
61
Schwarzenberg
23,6
97,7
2,3
60,6
0,7
0,2
9-4
12,0
19,3
1,0
2,2
—
24
—
3-5
180
8
Zittau
49,6
84.0
15-9
73.o
6,1
0,7
12,1
0,2
9,7
2,2
1,9
35
17
54
4-7
157
9i
Zwickau
41,5
92,1
6,1
66,8
15,9
0,2 IO,7
1,7
16,1
1,3
2,5
68 |
3-8
353
58
im Königreich
47,7
3603
3444
I2105
146
auf die uns beschäftigende Frage, so finden sich viele Beispiele, und
namentlich sind es die rationell wirtschaftenden und fortschreitenden
Güter, die den Betrieb auf möglichste Einfachheit der Produktion ba-
siert haben.
Das Gut Salz münde, welches schon als hervorragendster Wirt-
schaftsbetrieb der ganzen Welt bezeichnet wurde, hat beispielsweise
trotz seines riesigen Areals und seiner starken Industriewirtschaft,
seiner vielen technischen Nebengewerbe, eine verhältnismäßig ein-
fache Organisation. Nach den Angaben von Grouven 1) gebe ich die
Feldbestellung von 1865, nach einer freundlichen Mitteilung des jetzigen
Besitzers die Feldbestellung von 1894:
1) Grouven, Salzjnünde. Berlin, 1866.
Dritte Folge Bd. VIII (LXIII).
22
338
B
ic kba us
1
1865
1894
Morgen
ha
Raps
IOO
—
Weizen
800
584
Koggen
1600
408
Gerste
950
301
Hafer
I200
306
Erbsen
—
IOI
Kartoffeln
1600
400
Rüben
2900
732,5
Klee
1320
368
Wickfutter
—
10
Mais
130
5
Linsen
—
4
Samenrüben
80
div. kleine Saaten 230
—
Wiesen
320
55
Summa II 230 3274,5
Die Viehhaltung ist auch verhältnismäßig einfach und nach dem
Prinzip der Arbeitsteilung eingerichtet, indem der ganze Viehbestand von
1865
1894
Pferden 180
198
Ochsen 450
727
Kühe 250
312
Jungvieh 100
—
Schweine 250
134
Schafe 4000
4505
auf die verschiedenen Güter von Salzmünde so verteilt ist, daß auf
dem einen hauptsächlich Milchwirtschaft, auf dem anderen Mast-, auf
dem anderen Schafhaltung u. s. w. getrieben wird; Kälberaufzucht
findet nicht statt. Alle Kälber werden nach 8 Tagen der Kuh abge-
nommen und sogleich an den Fleischer verkauft, während zum Ersatz
der abgehenden Kühe Rinder direkt aus Holland angekauft werden.
Die technischen Gewerbe des Betriebes dienen nur zur Ver-
arbeitung der Rohprodukte der eigenen Wirtschaft resp. zur Fabrika-
tion der nötigen Hilfsstoffe. Als nicht landwirtschaftliches Gewerbe
tritt nur noch eine Ziegelei und Porzellanerde-Schlemmerei hinzu. Die
übrigen Gewerbe sind Zuckerfabrik, Brennerei, Mühle und früher Dünger-
fabrik.
Einen ähnlichen Betrieb wie Salzmünde hat auch der ca. 8000
Morgen große Besitz Benkendorf ') bei Halle a/S., wo im Jahre 1885/86
das Areal bestellt war mit:
3°, 6 2
"/
fo
Rüben,
25,52
»
Weizen,
12,30
».
Kartoffeln,
8,25
,,
Gerste,
6,7 6
»»
Klee,
6,56
.,
Roggen,
5.39
>,
Erbsen,
3.89
.j
Hafer,
0,71
»t
Mais.
1) Rümker, Benkendorf u. s. Nebengüter. Thiel's Jahrbücher, 1887.
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 339
Die Viehhaltung ist so eingerichtet, daß in Benkendorf nur Kühe
und Pferde, auf dem Gut Delitz nur Ochsen und Schafe, im Schotterey
nur Ochsen, in Lauchstädt und Beuchlitz Pferde, Ochsen, Kühe und
Schafe stehen. Es findet keine Aufzucht von Rindvieh statt. Die
Schafzucht ist verhältnismäßig einfach eingerichtet und die Schweine-
zucht von keiner nennenswerten Ausdehnung.
Selbst in Süddeutschland fehlt es an derartigen, nach dem Prinzip
der Arbeitsteilung eingerichteten Betrieben nicht. Es sei hier genannt
der Rheinfelderhof1) bei Groß-Gerau in Starkenburg, inmitten einer
Gegend gelegen mit vorwiegendem bäuerlichen Betrieb, mit starkem
Handelsfruchtbau, gutem Klima, vorzüglichen Absatzverhältnissen und
deshalb meistens von großer Vielseitigkeit. Von den zu dem Gut ge-
hörigen 210 ha Ackerland werden 50 Proz. bebaut mit Hackfrucht,
Kartoffeln und Zuckerrüben, wovon je nach den Konjunkturen die eine
oder andere überwiegt. Von den übrigen 50 Proz. nimmt der Hafer
das größte Areal ein, da er ganz besonders gut auf diesem Boden ge-
deiht. Ferner wird Gerste augebaut und Winterweizen, dieser jedoch
nicht mehr in großer Ausdehnung, weil die Bestellung im Herbst eine
schwierige ist. Andere als diese 5 Früchte kommen auf dem Rhein-
felderhof nicht zum Anbau. Die Viehhaltung beschränkt sich neben
dem geringen Zugvieh, da die Hauptarbeit durch Dampfpflug und
Feldeisenbahn ausgeführt wird, hauptsächlich auf Milchvieh, das durch
Zukauf ergänzt wird. Eine geringe Anzahl von Schafen wurde für
Händler auf deren Risiko gefüttert, und die Schweinezucht diente nur
für den Hausbedarf. Die Erträge dieses Gutes sind in diesen 5 Haupt-
früchten allerdings ganz enorm und der ganze Betrieb zählt zu den
besten Wirtschaften Süddeutschlands.
Eine Vereinfachung des Betriebs erfolgt auch durch die gänzliche
Auslassung der Viehhaltung, was ja jetzt auf vielen Gütern Deutsch-
lands schon mit gutem Erfolg ausgeführt ist. Es giebt viehlose Wirt-
schaften in den verschiedensten klimatischen Verhältnissen Deutsch-
lands, sowohl auf schwerem wie leichtem Boden, z. B. auf dem Weiler-
hof bei Darmstadt, Gutleuthof bei Frankfurt a. M., Oberwartha bei
Dresden, Maulbeerwalde im Ost-Priegnitzer Kreise, Lupitz in der Mark
u. a. m.
Daß auch auf den großen Herrschaften Oesterreich-Ungarns der
Betrieb möglichst nach dem Prinzip der Arbeitsteilung eingerichtet
ist, ersieht man beispielsweise aus der Beschreibung der Herrschaft
Bellye in Ungarn 2). Der ganze riesige Komplex in der Größe von 109 062
Joch wird hauptsächlich bebaut mit Weizen, Roggen, Gerste, Hafer,
Mais, mit relativ wenig Futtergewächsen, und von Handelsfrüchten
mit Hopfen, Hanf und Wein. Hiervon sind manche Früchte in ge-
ringer Ausdehnung angebaut, z. B. nur 500 Joch Roggen, dagegen
3000—3400 Joch Weizen und 4000—4400 Joch Mais. Der Hanfbau
1) P. Schulze-Röfsler, Ein landw. Betr. i. Grofsh. Hessen. Fühling's Landw. Ztg.,
1889.
2) Die Herrschaft Bellye. Wien, 1883.
22*
340 Backhaus,
wird im Großen auf ca. 400 Joch betrieben, und es ist eine besondere
Hanffabrik etabliert worden. Der Hopfenbau ist erst neu eingeführt
und wurde nach der Berichterstattung nur auf 79 Joch kultiviert. Als
Futterpflanzen dienen hauptsächlich Luzerne, Kleegrasgemenge und
Futterrüben. Für den Weinbau sind 63 Joch bestimmt. Die Vieh-
haltung der Wirtschaft ist so eingerichtet, daß auf den verschiedenen
Gütern verschiedene Haustiere gehalten werden und dadurch alle Vieh-
zuchtszweige im Großbetrieb gehandhabt werden.
Einen Großbetrieb in Böhmen, die Besitzung des Fürstenhauses
Schwarzenberg, beschreibt Krafft 1). Dieser gewaltige Besitz von über
30 Quadratmeilen Größe wird sehr rationell bewirtschaftet und zwar
strenge nach dem Prinzip der möglichsten Ausdehnung lohnender
Pflanzen. Es wird z. B. auf dem Hauptgut, Domäne Lobositz
V3 des ganzen Areals mit Zuckerrüben bebaut, 5/12 mit Halm-
frucht, die sich verteilt auf W7eizen, Roggen, Gerste, Hafer, V«. auf
Klee und 1/12 mit Hülsenfrüchten, Erbsen und Bohnen, sowie etwas
Futtermais. In der Viehzucht sind ähnliche Einrichtungen getroffen,
wie auf den schon erwähnten, anderen Großbetrieben. Es wird von
Krafit ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, wie weitgehend die
Teilung der Produktionsrichtung auf dieser Herrschaft ausgeführt ist'2).
Als ein Land, in welchem die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft
viel weiter gegangen ist, kann Großbritannien gelten, ein Land,
das ja seit langer Zeit in Deutschland als Beispiel gedient hat und
das auch nach mancher Richtung hin noch jetzt für uns ein Beispiel
bieten kann, denn die englischen Landwirte haben es verstanden, trotz
viel ungünstigerer Verhältnisse als in Deutschland sich vor der hart-
drückenden überseeischen Konkurrenz über Wasser zu halten. So
muß es den deutschen Landwirten auch zu denken geben, daß die
praktischen Engländer den Landwirtschaftsbetrieb im allgemeinen viel
mehr nach dem Prinzip der Arbeitsteilung eingerichtet haben als
in Deutschland. Man baut dort fast gar keine Oelfrüchte mehr, weil
das Oel aus anderen Gegenden so billig nach dem englischen Markt
gebracht wird, daß der Oelfruchtbau als nicht lohnend betrachtet wird.
Leinbau wird nur in Irland in nicht sehr großer Ausdehnung betrieben.
Außer Hopfen baut man keine eigentliche Handelsfrucht. Kartoffeln
werden nur für menschliche Nahrung, nicht also für Brennereizwecke
oder Fütterungszwecke angebaut. Es giebt keinen Zuckerrübenbau. Der
Roggen wird als Brotfrucht fast gar nicht kultiviert, nur in sehr
geringer Ausdehnung als Grünfutterpflanze. So bleibt dann schließ-
lich nur der Anbau des Weizens als Brotfrucht, von Gerste und Hafer
als Sommerfrucht, von Bohnen, Erbsen, Rüben, Klee und Gras als
Viehfutter übrig. Auf allen englischen Farmen kommt dieser Betrieb
auch nach außen deutlich zum Ausdruck, denn man merkt es in jeder
Weise, wie außerordentlich viel einfacher und dadurch billiger die
dortige Wirtschaft ist.
1) Krafft, Ein Grofsgrundbesitz der Gegenwart. Wien, 1872.
2) S. 155.
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 341
Trotzdem der Hauptbetrieb der englischen Landwirtschaft auf
Futterbau gerichtet ist und die Viehzucht in diesem Lande über den
reinen Ackerbau überwiegt, findet man aber auch diese auf eDglischen
Landgütern in verhältnismäßig viel einfacherer Weise betrieben als
in Deutschland, indem dort auf den meisten Farmen das Hauptge-
wicht auf die Zucht oder die Haltung einer Viehart nur gelegt wird.
Man spricht sogar von Schaffarmen, Rindviehfarnien, Milchwirtschaften,
Pferdefarmen u. s. w. Allerdings werden auf vielen , ja den meisten
Gütern mehrere Haustierarten gewählt, aber immer prävaliert doch
In der Bedeutung eine weit über die anderen. Gerade durch dieses
Prinzip der Arbeitsteilung hat die englische Viehzucht ihren hohen
Standpunkt erreicht, und dieser bildet einen vortrefflichen Beweis für
die hohen Vorteile, welche in solcher wirtschaftlichen Teilung der
Arbeit liegen.
Man macht in England auch innerhalb einer Nutztierart noch weitere
Unterabteilungen, so z. B. in der Milchwirtschaft, wo man auseinander-
scheidet die Produktion von Milch zum Frischverkauf von der Produktion
von Milch zu Butterbereitung und Produktion von Milch zu Käseberei-
tung. Für jeden besonderen Zweck sind andere Viehrassen und andere
Handhabungen der Viehzucht üblich. Die Pferdezucht teilt sich in
eine ganze Reihe von Unterabteilungen: in die Zucht der allerschwersten
Karrenpferde (Shires), in die Zucht etwas leichterer, zur Ackerarbeit
tauglicher Arbeitspferde (Clydesdales) , in die Zucht von Rennpferden
(Vollblut), von Jagdpferden (Hunters), von eleganten Reit- und Kutsch-
pferden (Hackneys), von reinen Kutschpferden (Norfolk-Traber) , von
gewöhnlichen Kutschpferden (Parkhorses) und von Ponies verschieden-
ster Art. Man teilt weiter ein die Zucht in diejenigen von Gebrauchs-
tieren und von Zuchttieren. Viele Farmen betreiben die erstere, an-
dere die letztere, und es herrscht zwischen beiden ein reger Austausch
ihrer Produkte.
Als ein Beispiel eines englischen Landwirtschaftsbetriebes sei hier
die Farm South- Auchenbrain *) in Ayr in Schottland angeführt. Die
Farm umfaßt 86 ha Land. Davon werden nur 8 ha mit Hafer und
1,5 ha mit Turnips bestellt; alles übrige ist Grasland, teils Wiesen,
teils Ackergrasland, das zum größten Teil mit WTeidegang, zum Teil
auch durch Abmähen benutzt wird. Die Fruchtfolge lautet einfach:
2 Jahre Hafer und dann 8 — 15 Jahre, solange der Ertrag noch gut ist,
Kleegras. Als Zugvieh sind 5 Pferde vorhanden. Die Hauptviehhaltung ist
Rindviehzucht mit Milchwirtschaft ; es werden 40 Kühe sowie die davon
entstehende Nachzucht gehalten; etwas Schaf- und Schweinezucht
wird ebenfalls , jedoch nur in geringer Ausdehnung betrieben. Es ist
dies also reiner Viehzuchtsbetrieb mit Graswirtschaft von mittlerer
Größe.
Welche Verhältnisse aber auch im Ackerbaubetrieb dort herrschen,
ist ersichtlich aus einer Darstellung der Farm East-Barm bei Dunbar
in Schottland. Es wurden daselbst während meines Besuchs im Jahre
1) Backhaus, Deutsche landwirtsch. Presse, 1893, S. 466.
342 Backhaus,
1892 gebaut: 300 acres Kartoffeln, 100 acr. Turnips, 95 acr. Weizen,
65 acr. Hafer, 55 acr. Gerste, 90 acr. Klee. Die Viehhaltung setzte
sich hier zusammen aus den Arbeitspferden, ca. 700 Schafen, von
denen die Nachzucht als Schlachtvieh verkauft wurde, und aus Rind-
vieh, welches mager gekauft und auf der Farm gemästet wurde.
Als das klassische Land einer weit ausgedehnten Arbeitsteilung in
der Landwirtschaft muß Nordamerika gelten, ein Land, in welchem
allerdings die Verhältnisse so ganz anders als in der alten Welt liegen.
Die weitgehende Arbeitsteilung wurde dort hauptsächlich dadurch
herbeigeführt, daß das Land von einer, aus bereits hochentwickelten
Kulturländern kommenden Bevölkerung besiedelt wurde und daß gün-
stige natürliche Verhältnisse, nämlich Boden und Klima, ferner günstige
Transportverhältnisse, teils durch die natürlichen Wasserwege Nord-
amerikas, teils durch angelegte Kanäle und die mit bewundernswerter
Schnelligkeit durch das ganze Land gebauten Schienenwege, eine ganz
andere Einrichtung des Landbaues als in der alten Welt ermöglichten.
Dazu trat noch der Umstand, daß der Amerikaner ein vorzüglicher
Spekulant und rechnender Kaufmann ist, der deshalb den Landwirt-
schaftsbetrieb weniger nach den Grundsätzen der Agrikultur als nach
den Aussichten auf rasch möglichsten Geldertrag einrichtete. Die Land-
wirtschaft hat daher in Nordamerika fast durchweg einen sehr ein-
seitigen Charakter, aber diese Einseitigkeit unterscheidet sich von der-
jenigen, die in der Landwirtschaft Europas in früheren Zeiten herrschte,
dadurch, daß sie nicht die Folge, geringerer Bedürnisse wie hier, son-
dern eben die Folge einer weitgehenden Arbeitsteilung ist.
Selbst in denjenigen Gegenden, in denen europäische landwirt-
schaftliche Verhältnisse noch am getreuesten kopiert sind, in denen
gerade durch Deutsche eine sorgfältigere Kultur mit Rücksicht auf
Stoffersatz und fortschreitende Verbesserung des Bodens eingeführt
ist, herrscht eine viel größere Einfachheit als bei uns.
Auf der Farm Riverside bei Jefferson, Wisc, auf der verhältnis-
mäßig intensiv und vielseitig gewirtschaftet wird, war z. B. die Frucht-
folge :
1) Mais gedüngt.
2) Hafer oder Gerste.
3) und 4) Klee.
5) Winterweizen.
Die Viehhaltung bestand aus den Arbeitspferden, 25 Kühen,
15 Stück Jungvieh und einer nicht unbeträchtlichen Schweinezahl
(15 Sauen, 1 Eber uud 50 — 70 Mast- und jungen Schweinen).
Die Einseitigkeit der amerikanischen Landwirtschaft geht am
weitesten in den reinen Getreidefarmen, wie sie in verschiedenen
Gegenden dort vorkommen und auf denen nur eine Frucht angebaut
wird. Bekannt sind die Weizenfarmen Norddakota's, Besitzungen von
1000 bis 100 000 Morgen groß, auf denen nur Sommerweizen und zwar
jetzt schon bis 20 Jahre lang hintereinander angebaut worden ist. Der
Betrieb ist ein denkbar einfacher, denn zu der Einfachheit des Kultur-
planes treten auch noch technische Vereinfachungen hinzu. Es wird
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 343
kein ständiges Personal gehalten, es werden nur in der Aussaat und
Erntezeit vorübergehend Leute engagiert. Um aber mit den teuren
Arbeitskräften möglichst zu sparen, ist ein sehr starker Maschinen-
betrieb angewandt. In Norddakota sind für die Ernte Selbstbinder
gebräuchlich , während in Californien die sogen. Headers , die nur
die Aehren vom Getreide abschneiden , gebraucht werden. Man hat
sogar komplizierte Ernte- und Dreschmaschinen, wobei die Aehren
direkt nach dem Abschneiden in einer Dreschtrommel entkörnt werden,
die Frucht in Säcken aufgefangen wird und alles übrige auf dem Lande
bleibt.
Es giebt auch im Red-River-Thal kleinere Farmen mit derartigen
Betrieben, und dort rechnet man, daß ein Mann 120 acres = 45 ha
bewirtschaften kann. Bei den Arbeiten, bei denen eine Zusammen-
wirkung vieler Arbeitskräfte nötig ist, z. B. dem Dreschen, wird sich
dann von den verschiedenen kleinen Farmern gegenseitig ausgeholfen,
oder es giebt auch Maschinenunternehmer, die das nötige Arbeitspersonal
auf die Farm mitbringen. Eine Viehhaltung zur Verwertung von
Ackerbauprodukten giebt es auf diesen Farmen meistens nicht; man
treibt also vollständigen Raubbau. Selbst das Zugvieh wird in Cali-
fornien während des größten Teils des Jahres auf Bergweiden , gänz-
lich sich selbst überlassen , ernährt und nur zu den Arbeitszeiten auf
den Farmen verwandt, während in Dakota das Zugvieh das ganze Jahr
hindurch auf den Farmen gepflegt werden muß. Auf den meisten
dieser Landgüter giebt es außer Wohnhaus, primitiven Ställe für das
Zugvieh und Schuppen zur Unterbringung der Maschinen gar keine
Gebäude. Es sind jedenfalls die arbeitsextensivsten Ackerbauwirt-
schaften, die man sich denken kann lebt doch auf manchem Gut von
10000 Morgen Größe während des größten Teils des Jahres nur ein
Verwalter. Der Kapitalbedarf ist allerdings durch die starke Verwen-
dung der Maschinen nicht gering. Wohltmann x) berechnet das tote
Betriebsinventar einer derartigen gut eingerichteten Wirtschaft auf
ca. 20 000 M. pro 1000 Morgen. Nach Semler 2) sollen die Produk-
tionskosten auf den Riesenweizenfarmen im Red-River-Thal sich auf
40 Cents pro Bushel stellen (pro 100 k 6,22 M.).
Daß eine derartige Wirtschaftsweise aus verschiedenen Gründen
vollständig irrationell ist und namentlich für europäische Verhältnisse
nicht in Frage treten kann, wird unten noch näher dargestellt werden.
Es können solche Betriebe überhaupt nur auf kurze Zeit durchgeführt
werden, und die besseren Farmen in Norddakota und Minnesota sind
auch schon mit einer Betriebsumänderung vorgegangen. Man hat mehr
Kulturpflanzen in die Wirtschaft aufgenommen, Gebäude errichtet,
Nutzvieh angeschafft, wenn auch allerdings ein Stoffersatz hierbei zu-
nächst noch nicht gewährt wird. Aber es wird auch dieser nicht mehr
lange Zeit vermieden werden können.
Wie in Dakota und Californien der Weizen und zwar dort Sommer-
1) Wohltmann, Landwirtsch. Reisestud., Breslau 1894.
2) Semler, Nordamerikan. Konkurrenz, Wismar 1887, S. 227.
344 Backhaus,
weizen, hier Winterweizen kultiviert wird, so giebt es in Montana
Landwirtschaftsbetriebe, die die Gerste als alleinige Frucht anbauen,
und der Betrieb ist hier ein ähnlicher wie dort. Wie im Getreide-
bau geht die Einseitigkeit der Produktion in amerikanischen Wirt-
schaften auch bezüglich anderer Kulturpflanzen sehr weit. Interessant
für mich war nach dieser Richtung der Besuch einiger Weinfarmen in
Fresno in Californien. Mr. Butler hat hier eine Farm von ca. 250 ha
Größe. Davon ist fast das ganze Areal zu W'einbau angelegt; das
ganze Areal kann durch künstliche Bewässerung überstaut werden
und die Fruchtbarkeit ist deshalb bei reichem Boden und gutem Klima
eine sehr hohe. Von Tieren werden auf dieser Farm nur Pferde ge-
halten, für die das meiste Futter angekauft wird. 6 Leute ständiges
Personal sind vorhanden und werden das ganze Jahr hindurch mit
Arbeiten in den Weinanlagen beschäftigt. Während der Traubenlese
werden jedoch 300 Arbeiter und zwar hauptsächlich Chinesen auf einige
Wochen engagiert.
Interessant ist nun, daß auf dieser Farm nicht eine Verteilung
der Arbeit vorgenommen wird, indem die Weintrauben teils zur Wein-,
teils zur Rosinenbereitung verwandt werden, welche beide Kulturen
in der Gegend üblich siud, sondern es werden sämtliche Trauben als
Rosinen versandt. Die Trauben werden im Feld auf besonders ange-
fertigten Holzgestellen an der Sonne getrocknet, dann nach den Pack-
häusern gefahren und dort in neue Holzkisten sehr geschmackvoll
verpackt, sodann in ganzen Eisenbahnladungen versandt. Ein Eisen-
bahngeleise führt direkt an die Packhäuser heran ; es werden alljähr-
lich ca. 800 Tonnen Rosinen verschickt.
Benachbart zu diesem Gut ist Mr. Barton's Weinanlage, die
900 acres = 364,5 ha groß ist. Hier wird nun der größte Teil der
Trauben zu Wein verarbeitet. In der Traubenlese werden die Trauben
auf vierspännigen Wagen nach dem Hauptgebäude gefahren , wo mit
maschinellen Vorrichtungen das Mahlen und Pressen der Trauben er-
folgt und dann in großartigen Kellerräumen die Gärung und Lage-
rung des Weines stattfindet. Die jährliche Produktion beträgt ca.
250000 Gallonen WTein.
Interessant ist auch der Obstbau Nordamerikas. Derselbe wird
nicht wie bei uns als Nebenzweig betrieben, sondern auf besonders
dazu eingerichteten Farmen, auf denen deshalb der Anbau und nament-
lich die Verwertung eine recht zweckmäßige ist. Aber auch innerhalb
des Obstbaues geht die Arbeitsteilung weiter. Man hat Pfirsich-
farmen in Pennsylvanien , Delaware und New-Jersey, Apfelfarmen am
Hudson, Zwetschenfarmen in Oregon, Orangefarmen in Florida und
Süd-Californien , Kirsch-, Birnen- und Brombeerfarmen in Mittel-
Californien.
Ich besuchte in Süd-Californien den Ort River-Side in der Nähe
von Los Angelos, wo man durch künstliche Bewässerung aus einer
öden trostlosen Wüste in wenigen Jahren ein wahres Paradies geschaffen
hat. Dort wird in der ganzen Gegend fast nur Orangekultur ge-
trieben und die Großartigkeit der Produktion erhellt z. B. daraus,
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 345
daß allein an der Eisenbahnstation in River-Side alljährlich 2500 Eisen-
bahnladungen Orangen versandt werden sollen. Die Größe der einzelnen
Besitzungen ist hier nur 10—40 acres.
Auch der Gemüsebau wird in Nordamerika auf ähnliche Weise
betrieben. Ich besuchte Gemüsebetriebe in der Nähe von Portland
in Oregon, von denen manche nur 5 acres groß waren, jedoch der be-
treifenden Familie ein reichliches und gutes Auskommen boten. Der
Betrieb ist hier so, daß die betreffenden Farmer nur wenige Sorten
Gemüse kultivieren , diese aber dadurch in größeren Massen produ-
zieren können und dann eine Verwertung durch Versendung im Großen
erzielen. So giebt es Gärtnereien, die sich hauptsächlich mit Anbau
von Erdbeeren befassen und hiervon ganz ungeheuere Quantitäten ver-
schicken, andere Farmen, die z. B. nur Preißelbeeren anbauen, andere
hauptsächlich Melonen oder Bataten u. s. w.
Die Verwertung von Gemüse und Früchten läßt sich bei der-
artigem Großbetrieb, wenn nicht Frischabsatz möglich ist, nur durch
Konservefabrikation ermöglichen und es findet diese in der That in
sehr großem Maße statt.
Auch in der Viehzucht ist der Landwirtschaftsbetrieb in Nord-
amerika ein sehr einseitiger. Bekannt sind die ungeheuren Steppen-
wirtschaften in Texas, Montana, Colorado, Utah, in denen ganz aus-
schließlicher Viehzuchtbetrieb stattfindet und zwar auch meistens
nur die Zucht einer Viehart. Man sieht dort ungeheure Pferdeherden,
hat dann wieder sog. Rindviehranches und an anderen Plätzen vor-
herrschend Schaf züchtereien. Es sind dies allerdings Betriebe, die
durch die besonderen Boden- und Klimaverhältnisse dort bedingt
und kaum anders möglich sind. Aber auch in den intensiver be-
wirtschafteten Gegenden . in denen auch Ackerbau möglich ist,
wird die Viehzucht verhältnismäßig einseitig betrieben. Ich besuchte
die Windsorfarm bei Denver, die 1000 acres groß war; davon wurden
300 acres gepflügt und bewässert, während der Rest als permanentes
Grasland lag. Das kultivierte Land wurde bestellt mit 300 acres
Luzerne, 150 acres Mais, 250 acres Hafer. Der Mais wurde zum Teil
grün gefüttert, zum Teil eingesäuert, um als Winterfutter zu dienen.
Auf der Farm wurden gehalten 40 Pferde, 150 Milchkühe, 350 Stück
Jungvieh und 300 Schweine. Der Hauptbetrieb der Farm war Milch-
wirtschaft und es wurden in der That sehr beträchtliche Quantitäten
Milch produziert. Das Jungvieh diente fast nur zur Ergänzung der
Milchkühe, doch wurden auch einige Tiere gemästet. Die Schweine
wurden als Ergänzung zur Milchwirtschaft gehalten, weil auf dem Gut
Molkerei vorhanden war, wurden jedoch auch auf der Weide ernährt.
Eine Farm, auf der hauptsächlich Milchwirtschaft betrieben war,
lernte ich in Darlington in Pennsylvanien kennen, wo auf 690 acres
Land 300 Milchkühe gehalten wurden und der ganze Betrieb nur auf
Produktion von Milch, die durch Frischverkauf und Verarbeitung in
eigener Molkerei sehr gut verwertet wurde, gerichtet war.
In der Farm Lindenwood fand ich einen Betrieb, dessen Schwer-
punkt in Schweinezucht lag; es wurden auf dem Gut von 760 acres
Größe ca. 400 Schweine gehalten.
346 Backhaus,
Die Farm Wayne in Illinois im Besitz des Mr. Dunham befaßte
sich ausschließlich mit Pferdezucht und zwar Zucht französischer
Kutschpferde wie französischer schwerer Schläge.
Es giebt sogar in Amerika Farmen, die sich ausschließlich mit
gutem Erfolg der Geflügelzucht widmen. Die Arbeitsteilung geht aber
noch weiter, indem auf Hühnerfarmen nur Hühner, auf Truthühner-
farmen nur Truthühner nach vielen Tausenden gezogen werden.
Es wird natürlich auch auf solchen Geflügelfarmen auf Eier-
produktion Gewicht gelegt. Die Ausbrütung erfolgt mit großen Brut-
maschinen.
Farmen, die sich ausschließlich der Bienenzucht widmen, giebt es
ebenfalls in verschiedenen Staaten der Union.
In den Südstaaten, wo die Plantagenwirtschaft zu Hause ist,
findet sich auch ein ganz einseitiger Betrieb, indem auf den einen
Besitzungen Baumwolle, auf anderen Reis, auf anderen Tabak gebaut
wird und gewöhnlich werden für diese Farmen die Hauptmengen an
Lebensmitteln, als Getreide, Vieh, Fleisch, Milch, Butter, Käse etc.
aus den Nordstaaten beschafft.
Semler beschreibt eine Farm in Mittelcalifornien von ca. 10 000
acres Größe, auf welcher nur Oelfrüchte, hauptsächlich Mohn und
Flachs angebaut wurden.
Bezeichnend für die amerikanische Landwirtschaft ist es, daß die
Systematisierung der Landwirtschaftsbetriebe nicht nach Wirtschafts-
systemen in der Weise, wie es bei uns üblich ist, erfolgt, sondern nach
den Produktionsrichtungen. In dem Buch „The Model farms and their
methods", in welchem über 100 Farmen ') Amerikas beschrieben sind,
wird als nähere Bezeichnung der Farmen z. B. gesagt Weizenfarm,
Gerstenfarm, Schaffarm, Milchwirtschaftsfarm u. s. w. Es kommen
allerdings dann auch Getreidefarmen vor, auf denen also mehrere Arten
Getreide gebaut, ferner stock.-farms , auf denen die Zucht mehrerer
Haustierarten betrieben wird und schließlich auch sog. mixed hus-
bandry farms, auf denen also ein gemischter Betrieb ausgeführt wird.
Arbeitsteilung in Hilfszweigen der Landwirtschaft.
Seither wurde nur die Arbeitsteilung in Bezug auf die pflanzliche
und tierische Produktion betrachtet. Es ist aber auch noch eine Art
Arbeitsteilung in den Hilfszweigen der Landwirtschaft möglich und
wir sehen, daß hierin auch außerordentlich verschieden die Verhält-
nisse liegen. Es zeigt sich gerade mit fortschreitender Kultur die
Arbeitsteilung hierin sehr weitgehend.
In primitiven Gegenden fabriziert sich der Landwirt seine nötigen
Geräte selbst; es giebt dort also nicht einmal Handwerker, die sich
diesen Arbeiten widmen. In weiter vorgeschrittenen Gegenden findet
man, wie dies in Deutschland ja meistens üblich ist, Handwerker aller
Art, Schmiede, Stellmacher, Sattler u. s. w., die den Landwirten die
1) Chicago, Knobel & Co. 1881.
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 347
Herstellung ihrer Geräte, Geschirre und andere Hilfsmittel abnehmen.
In Nordamerika ist man aber schon auf so hoher Stufe angelangt, daß
auch der Handwerker auf dem Lande fast gar nicht mehr existiert.
Die Farmer beziehen ihre benötigten Maschinen, Geräte, Geschirre von
großen Fabriken, die durch ihren Großbetrieb außerordentlich billig
herstellen können, so daß gerade Maschinen und Geräte in Amerika,
wo sonst viele industrielle Produkte teurer sind als in Deutschland,
einen bedeutend geringeren Preis haben. Der Landwirt sucht sich
dann in mancherlei Handfertigkeiten so weit auszubilden und die
Agricultural Colleges legen besonderen Wert darauf, den Schüler in
allerlei Holz- und Metallarbeiten zu unterrichten, daß er in der Lage
ist, nötige Reparaturen auszuführen. Außerdem sind die Geräte und
Maschinen so eingerichtet, daß die einzelnen Teile bequem ersetzt
werden können und die Maschinenfabriken versehen den Farmer mit
ausführlichen Katalogen, nach denen derselbe Reserveteile bestellen
kann.
Die Herstellung von Bauten aller Art wird im primitiven Land-
wirtschaftsbetriebe ebenfalls von dem Wirtschafter selbst ausgeführt,
während auf einer höheren Stufe der Volkswirtschaft dies besonderen
Bauhandwerkern überlassen wird.
Eine ganz große Reihe von benötigten Stoffen und Materialien
werden von vielen Landwirten in der eigenen Wirtschaft hergestellt,
während in anderen Gegenden wieder besonderen Industrieen dies
zufällt. Als Beispiel sei die Kunstdüngerbereitung angeführt. Früher
wurde wohl Aufschließung von Knochen, Verarbeitung von Kadavern
auf Landgütern vorgenommen, und noch heute pflegen manche Güter
Chilisalpeter in rohem Zustande zu beziehen und dann zu zer-
kleinern, während meistens doch alle diese Arbeiten von Kunstdünger-
fabriken in die Hand genommen sind und hier auch durch Verwendung
von Maschinen, durch Betrieb im Großen bedeutend besser und wohl-
feiler ausgeführt werden können. So ähnlich geht es mit Medika-
menten und manchen anderen Dingen. Auf der oben erwähnten Herr-
schaft Salzmünde bestand z. B. früher eine Kunstdüngerfabrik. Heute
ist sie aufgegeben.
Sogar in der Aufbewahrung von Produkten ist eine Arbeitsteilung
eingetreten. In Amerika z. B. werden die Getreidevorräte nicht auf
der Farm gelagert, sondern in den Elevators, in denen zugleich auch
die Reinigung des Getreides vorgenommen wird, wo durch sehr sinn-
reiche Einrichtung und maschinelle Hilfskraft die Bereitung und ins-
besondere auch die Verladung des Getreides mit unglaublich geringen
Kosten ausgeführt wird. So ähnlich giebt es in jedem größeren
amerikanischen Ort sogen. „Cold storages", das sind durch Natureis
oder Eismaschinen kühl gehaltene Räume, in denen Fleisch, Wildpret
und andere leicht verderbliche Stoffe gegen eine bestimmte Taxe auf-
genommen und gelagert werden.
Insbesondere ist es die Hauswirtschaft im engeren Sinne
oder die Haushaltung, wie sie gewöhnlich bezeichnet wird, in der
eine weitgehende" Arbeitsteilung eintreten kann. Es ist in der deutschen
348 Backhaus ,
Landwirtschaft fast allgemein üblich , das benötigte Brot selbst zu
backen und Hausschlachtungen vorzunehmen. Die Verfertigung von Be-
kleidungsgegenständen wird auch jetzt noch in vielen Gegenden als
Nebenzweig betrieben. Früher wurde ja ganz allgemein Flachs ge-
baut und im Winter in jedem Landwirtschaftsbetrieb gesponnen, ge-
woben u. s. w. Ja es wurden z. B. Tierfelle gegerbt oder auch durch
einen Gerber zubereitet, um dann in dem Haus durch einen vorüber-
gehend angenommenen Schuhmacher und Sattler oder event. auch
durch den Landwirt und dessen Leute selbst die Herstellung von
Schuhen oder Geschirren auszuführen. In vielen Gegenden hat das
Brotbacken im Haus schon längst aufgehört, weil der Bäcker besseres
und billigeres Brot zu liefern imstande ist. In Amerika habe ich
vielfach gefunden, daß es den Farmern außer Notschlachtungen nicht
einfällt, im Haus zu schlachten, daß sie vielmehr die gemästeten
Schweine und Rinder viele hundert Meilen weit nach den großen
Schlachthäusern verkaufen, um von dort Schinken, Würste, Schmalz
wieder zurückzubeziehen. Sie behaupten hierbei sich viel besser zu
stehen, denn einen Metzger für Hausschlachtungen zu engagieren,
würde bei den dortigen hohen Löhnen etwa 10 — 15 M. pro Tag
kosten ; außerdem hat man gar nicht die Einrichtungen und Vor-
kehrungen zum Schlachten, zum Räuchern, Pökeln etc. Man ist auch
bei dem Mangel an Arbeitskräften so beschäftigt, und namentlich sind
die Hausfrauen, die bei weitem nicht so viel Dienstpersonal haben als
bei uns, so mit Arbeit überlastet, daß man die Mehrarbeit durch Haus-
schlachtungen vermeidet und viel zweckmäßiger fertige Fleischpro-
dukte bezieht, die in den großartigen Schlachthäusern mit außer-
ordentlich geringen Kosten und in vorzüglicher Qualität hergestellt
werden.
In Westdeutschland giebt es Landgüter, die es vorziehen, anstatt
Kraut zu bauen und dieses im Herbst einzumachen, das fertige Sauer-
kraut von Sauerkrautfabriken zu beziehen. Die Fabrik ist aber auch
in der Lage, da die benachbarten Landwirte ihr große Krautlieferungen
machen und sie dann mit Maschinen die Bereitung vornimmt, ein
billiges und gutes Produkt herzustellen.
Die Verfertigung von Kleidungsgegenständen wird auch mit
Recht immer mehr besonderen Industrien von den Landwirten über-
lassen.
Hierher ist auch zu rechnen die Verköstigung von Gesinde und
Tagelöhnern auf größeren Gütern. Früher war es allgemein üblich,
diese Verköstigung auf dem Gute auszuführen, während heute immer
mehr dazu übergegangen wird, die Verköstigung den Arbeitern selbst
zu überlassen. Es könnte dies merkwürdig erscheinen, weil doch das
erstere Prinzip eigentlich mehr der fortschreitenden Arbeitsteilung
widerspricht. Dies ist jedoch durchaus nicht so, weil die verheirateten
Arbeiter doch ihren Haushalt haben und es deshalb eigentlich eine
unnötige Komplizierung ist, wenn noch einmal auf dem Gute Ein-
richtungen für Verköstigungen getrofien werden. Es erscheint dies
auch aus anderen Gründen unzweckmäßig, weil der Arbeiter, wenn
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 349
er sich in seiner Familie verköstigt, weniger Ansprüche stellt, als
wenn ihm die Kost als Lohn verabreicht wird und weil schließlich
auch das Familienleben des Arbeiters durch eine Verköstigung außer
dem Hause leidet. Für Arbeitspersonal, welches nicht einen Haus-
stand besitzt, ist allerdings die Verköstigung auf größeren Gütern
nicht zu vermeiden und es wird diese auch in den Großbetrieben
Amerikas ausgeführt. Doch hat man auch hierin durch Einrichtung
von sogen. Garküchen die Arbeit dem Gutsbetrieb abzunehmen und
besonderen Betriebszweigen zu übertragen gesucht.
Technische Arbeitsteilung.
Es ist einleuchtend, daß in so vielseitigen Betrieben, wie sie von
Baden beispielsweise geschildert wurden, eine technische Arbeitsteilung
fast gar nicht stattfinden kann, daß in derartigen Landwirtschaften
das vorhandene Arbeitspersonal die allerverschiedensten Arbeiten, die
bei der vielseitigen pflanzlichen und tierischen Produktion vorkommen,
während des Jahres ausführen müssen. Tritt aber eine wirtschaftliche
Arbeitsteiluug in der Landwirtschaft ein, vereinfacht sich also der
Betrieb, so kann natürlicherweise auch die technische Arbeitsteilung
mehr angewandt werden; das Personal kann mehr mit der Ausführung
derselben Arbeit für längere Zeit beschäftigt werden und alle die be-
kannten Vorteile der Arbeitsteilung treten hierbei ein.
Diese technische Arbeitsteilung ist im landwirtschaftlichen Groß-
betrieb namentlich weit mehr anzuwenden als im Kleinbetrieb. Dort
hat man besondere Leute für Viehwartung, ja sogar für jede Vieh-
art, die also während des ganzen Jahres sich hiermit beschäftigen.
Ja man ist auf vielen Gütern schon so weit gegegangen, daß man eine
Person anstellt, die nur das Putzen der Tiere auszuführen hat, daß
ein Mann sich fortwährend mit der Bearbeitung des Düngers und
Kompostes auf dem Landgute beschäftigt. Man hat Leute, die fort-
während mit Hofarbeiten, auf Fruchtboden und im Keller etc. thätig
sind; man hat einen Wiesenwärter, der sich fast nur mit Wiesenbau
beschäftigt.
Sehr zweckmäßig ist es, wenn Arbeiter sich auf Arbeiten, die
weniger wie die Ernte und Bestelluugsarbeiten an eine bestimmte
Jahreszeit gebunden sind, spezialisieren. So giebt es z. B. Erdarbeiter,
die die Ausführung von Drainagen übernehmen und es ist erstaunlich,
was solche Leute durch ihre Uebung bedeutend mehr leisten und da-
durch selbst bei beträchtlich höherem Verdienst die Drainierung mit
geringeren Kosten ausführen können, als wenn der Landwirt mit seinen
ständigen Leuten diese Meliorationen ausführen würde. Es giebt
Leute, die sich hauptsächlich mit Wegebau beschäftigen, andere mit
Ziegelbrennen. Arbeiten, wie Obstbaumschneiden, Schafscheren eignen
sich ebenfalls gut für Spezialisierung.
Ja selbst in den Arbeiten der Bestellung und der Ernte hat schon
eine Arbeitsteilung Platz gegriffen, die auch für den kleineren Land-
wirt zugänglich ist, indem z. B. mit Dampfdreschmaschinen, zu denen
350 Backhaus,
eventuell auch die nötigen Arbeitsleute gestellt werden, der Ausdrusch
des Getreides besorgt wird. So ähnlich werden ja von anderen Unter-
nehmern mit Dampfpflügen auch die hauptsächlichsten Bestellungs-
arbeiten dem Landwirt abgenommen und in Amerika giebt es sogar
Unternehmer, die mit Erntemaschinen (Selbstbinder, Headers oder
kombinierten Erntemaschinen) von Farm zu Farm ziehen , um für
kleinere Landwirte das Getreidemähen ausführen.
Wie weit bei deutschen Landwirten die Gedanken an Vereinfachung
der Wirtschaft durch Einrichtung der verschiedenen bisher erwähnten
arbeitsteiligen Momente auf ihren Gütern schon gehen, ersieht man
aus einer Notiz des Besitzers einer viehlosen Wirtschaft *), der nach
seinem Erfolge ein denkender und intelligenter Landwirt sein muß:
„Wenn ich mehr Aufregung und Aerger vertragen könnte, mir auch
der ewige Wechsel mit Leuten nicht unangenehm wäre, eo würde ich
folgendermafsen wirtschaften. Ich bin überzeugt, dafs dies die höchste
Rente einer viehlosen Wirtschaft ergiebt.
Ich würde gar keine Leute in meinen Wohnungen halten , sondern
letztere vermieten oder verkaufen, wozu bei mir gute Gelegenheit ist,
und nur so viel Baum reservieren, dafs ich 60 — 70 Schnitter beherbergen
könnte, die etwa Ende März antreten müfsten.
Zur Bedienung der in diesem Fall nötigen 40 Pferde würde ich mir
fremde Leute aus den benachbarten Bauerndörfern annehmen, hiermit die
Frühjahrssaat besorgen , Kartoffeln pflanzen , hacken und später auch die
Klee-, Heu- und Kornernte verrichten. Alsdann rücken 2 Dampfdresch-
maschinen an, die entweder aus der Hocke oder Miete alles Korn sofort
ausdreschen ; dasselbe wird samt Stroh und Heu sofort zur Bahn abge-
liefert.
Bis Mitte Oktober wäre die Kartoffelernte beschafft und abgefahren,
inzwischen auch die Saatzeit besorgt und die Brache mit Dampf tief
gepflügt. Hierauf werden alle Pferde per Auktion verkauft, so dafs kein
Stück Vieh auf dem Hofe verbleibt.
Im Anfang November würde ich mich meinetwegen nach Italien oder
sonstwohin begeben und auf dem ganzen Gute nur eine zuverlässige Per-
son im Wohnhause, vielleicht den Jäger, zur Beaufsichtigung des Forstes,
des Feldes und Hofes zurücklassen. Ende März würde ich dann wieder
zurückkehren. Somit würde ohne Zweifel ein ganz bedeutendes Futter-
korn für die Pferde und Tagelohn gespart, da gerade die Arbeiten, die
man in den Monaten November, Dezember, Januar, Februar bis Mitte
März mit ihren kurzen Tagen vornimmt, verhältnismäfsig am meisten
Geld kosten. Man ist gezwungen bei Wintertag, wo der Schnee haus-
hoch vor der Thüre liegt, den Leuten, noch dazu in einem viehlosen
Betriebe, Arbeit zu geben, die nichts einbringt. Ich rechne hierbei, wenn
ich die Sache nicht zu hoch veranschlage, mindestens 5000 M. rein weg-
geworfenes Geld resp. Differenz gegen meine jetzige Wirtschaftsmetode
heraus."
1) Wodarg, Fünf Jahre viehlose Wirtschaft in Maulbeerwalde. Deutsche landwirtsch.
Presse, 1893, S. 771.
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 351
Vorteile der landwirtschaftlichen Arbeitsteilung.
Bezüglich der technischen Arbeitsteilung sind schon oft
die Vorteile eingehend auseinandergesetzt worden. Hatte man von
Seiten der Autoren auch haupsächlich die Industrie im Auge, so gelten
doch die meisten angeführten Vorteile auch für die Landwirtschaft.
Es treten namentlich in der Landwirtschaft auch weniger die Nach-
teile der Arbeitsteilung hervor, wie sie von verschiedener Seite dar-
gelegt und besonders von Karl Marx in so düsteren Farben gemalt
wurden.
Die Schilderungen des sozialistischen Schriftstellers über die Nach-
teile der Arbeitsteilung, des Großbetriebs und der kapitalistischen
Landwirtschaft1) machen sich mancher Unrichtigkeit schuldig; er baut
auf den zum größten Teil falschen Raubbaulehren Liebig's auf und kommt
deshalb zu falschen Schlüssen. Bezüglich der Wirkung der Arbeits-
teilung, indem sie den Arbeiter unselbständig macht, ihn zur Maschine
durch die einseitige Leistung herunterdrückt, ist zu bemerken, daß
derartige bedenkliche Folgen in der Landwirtschaft nicht eintreten
können, weil hier die technische Arbeitsteilung doch nie in so ex-
tremer Weise wie in der Industrie vorkommen kann. Man muß auch
Cohn 2) beistimmen, daß durch die Arbeitsteilung der Verdienst so
gehoben wird, daß der Arbeiter sich doch wieder eine angenehmere
Lebensstellung beschaffen kann als wie ohne sie und daß immer noch
die Arbeiter in der Neuzeit, selbst bei einseitiger Beschäftigung eine
bessere Situation haben, als bei den Bauten der ägyptischen Pyramiden,
der römischen Militärstraßen, der Stadtwälle und Burgen des Mittel-
alters. Gerade auf dem Lande ist zu bemerken , wie der sehr ein-
seitig beschäftigte Arbeiter, z. B. der Viehwärter, doch wieder in den
Mußestunden fleißig seinen Garten bestellt, wie er also bei seiner ein-
seitigen Beschäftigung nicht Kenntnis anderer Arbeiter verlernt und
sicherlich nicht schlechter gestellt ist als ein Arbeiter, der bald zu
dieser, bald zu jener Arbeit sich wenden muß. Selbst eine so über-
aus einseitige landwirtschaftliche Arbeit, daß ein Mann Tag für Tag
mit Viehputzen beschäftigt wird, hat durch den während der Arbeit
stattfindenden — man könnte fast sagen zur Freundschaft werdenden —
Verkehr mit Hunderten von lebenden Wesen viel weniger Einförmiges
und Abstumpfendes als die Arbeit eines Nagelschmiedes, der das ganze
Jahr hindurch nur bestimmte Hammerschläge auf ein totes Stück Eisen
richtet.
Mehr wie von der technischen Arbeitsteilung sollen hier von der
wirtschaftlichen Arbeitsteilung die vorteilhaften Momente in Bezug auf
die Landwirtschaft, die in der Litteratur weniger oder gar nicht dar-
gelegt sind, behandelt werden. Den Vorteil, daß durch eine einseitige
Beschäftigung der Landwirt eine hervorragende Fertigkeit
gerade in diesem Betrieb erlangt, möchte ich für den gewöhnlichen
1) Karl Marx, Das Kapital. Hamburg 1867.
2) Cohn, System der Nationalökonomie, Stuttgart 1885, S. 324.
352 Backhaus,
Landwirtschaftsbetrieb nicht so hoch anschlagen. Es zeigt die Erfah-
rung, daß der gute Rindviehzüchter auch recht wohl die Zucht anderer
Haustiere zweckmäßig zu leiten versteht. Der gute Ackerbauer wird
keine Schwierigkeiten haben, den Anbau der allerverschiedensten Kultur-
pflanzen auszuführen. Es besitzen doch alle landwirtschaftlichen Pro-
duktionen eine gewisse Aehnlichkeit und vieles ist aus Erfahrung der
einen Produktion für die andere zu verwenden.
Der Vorteil der höheren Fertigkeit tritt allerdings auch in der
Landwirtschaft deutlich hervor, sowie es sich um Qualitätsleistungen
handelt, sowie also über den gewöhnlichen Landwirtschaftsbetrieb, der
zur Produktion der vegetabilischen und animalischen Nahrungsmittel
dient, hinausgegangen wird. Es erfordert Qualitätsleistung in der
Landwirtschaft so hohe Intelligenz und Aufmerksamkeit, daß man sie
am besten Spezialisten überläßt, also beispielsweise die Produktion
hochwertvoller Zuchttiere besonderen Hochzüchtern, die Hervorbrin-
gung vorzüglichen Samens besonderen Samenbauern, ja sogar die Ver-
besserung der Kulturpflanzen besonderen Saatzüchtern. Der deutsche
Zuckerrübenbau würde nicht so weit gekommen sein, wie er heute ist,
wenn jeder Zuckerrübenbauer den benötigten Samen selbst in der Wirt-
schaft produziert hätte. Dadurch, daß man dies Spezialisten über-
ließ, die nun mit allen Hilfsmitteln der Wissenschaft und Technik vor-
gingen, beispielsweise sorgfältig die einzelnen Rüben, die zur Samen-
gewinnung in den nächsten Jahren ausgesteckt werden sollten, aus der
ganzen Rübenernte auslasen , von jeder einzelnen Rübe durch Porali-
sation eines Probestückchens den Zuckergehalt ermittelten und nur
die zuckerreichsten Rüben zum Samenbau verwandten, ist der wunder-
bare Fortschritt, daß man heute das Dreifache an Zucker in der Rübe
besitzt als früher, erreicht worden.
Mehr noch als den Vorteil der höheren Fertigkeit des Betriebes
möchte ich den Umstand stellen, daß bei einer einseitigen Produktion
die Vorteile des Großbetriebs eintreten und daß es dadurch
dem Mittel- und Kleinbetrieb möglich wird, zu den Vorteilen, die er
gegenüber dem Großbetrieb besitzt, auch noch die Nachteile, die er
wiederum vor diesem hat, außerordentlich zu reduzieren. Wenn der
badische Bauer mit 30 Morgen Land statt 15 Kulturpflanzen, die des-
halb nur in sehr kleinem Maßstabe kultiviert werden können, 5 ver-
schiedene Pflanzen auswählt, so werden die Anbauverhältnisse so-
fort 3m al größer und es ist einleuchtend, daß er auf derselben Fläche
eine Frucht rascher säen, daß er sie schneller abmähen, sie auch mit
weniger Kosten ausdreschen wird als 3 verschiedene Früchte, und
schließlich auf dem Getreideboden von einer Frucht mehr lagern kann,
als von 3 verschiedenen.
Es dürfte auch in einem derartigen einseitigen Betriebe ein ge-
ringerer Kapitalbedarf vorhanden sein , womit allerdings den
Ausführungen Hermann's1) widersprochen wird, welcher sagt: „Die
Umwandlung jedes von Einem betriebenen Geschäftes mit mehreren
1) v. Hermann, Staatswissensch. Untersuchungen, München 1870, S. 205.
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 353
Arbeiten in ein Geschäft mit verteilter Arbeit setzt daher jedenfalls
ein weit größeres Kapital voraus, als wenn es einer betreibt". Es
scheint doch eher hier das Umgekehrte der Fall zu sein. An anderer
Stelle giebt auch v. Hermann zu, daß durch arbeitsteilige Betriebe an
Werkzeugen und Maschinen gespart wird und dies dürfte gerade in
der Landwirtschaft eintreten. Ein rationell wirtschaftender Landwirt
muß heute einen Trieur besitzen, um die Saatfrucht zu präparieren.
Die Anschaflungskosten und Bearbeitungskosten des Trieurs bleiben
sich aber ziemlich gleich, ob derselbe nun für Bearbeitung von 100 Ztr.
oder 1000 Ztr. Getreide dient. Der Landwirt muß eine Häckselmaschine
haben, einerlei, ob er 20 oder 30 Kühe besitzt, und es wird der Kuh-
stall für 30 Kühe, auf das Stück berechnet, auch weniger Baukosten
verursachen als wie der Stall für 20 Kühe. Es wird also, auf die
Einheit berechnet, ein geringerer Kapitalbedarf nötig sein, wenn der
Landwirtschaftsbetrieb ein einfacher ist und deshalb die einzelnen
Zweige im größeren Maßstab betrieben werden können.
In dem vielseitigen Landwirtschaftsbetriebe müssen für die vielerlei
Zweige Kapitalaufwendungen gemacht werden, die gerade durch die
Kleinheit der einzelnen Produktion oft nicht genügend ausgenutzt
werden, sofort aber zur Ausnutzung kommen, wenn der Betriebszweig
größer wird, womit gleichzeitig andere Betriebszweige und die dafür
gemachten Kapitalanlagen in Wegfall kommen. Es ist dies ja auch
ein Vorteil des Großbetriebes.
Freilich kann auch im arbeitsteiligen Betriebe der Kapitalaufwand
ein großer werden, wenn z. B. durch die Einseitigkeit des Betriebs in
■einer Jahreszeit so viel Arbeiten zu überwinden sind, daß hierfür kost-
spielige Maschinenankäufe ausgeführt werden müssen, wie es in den
Weizenfarmen Nordamerikas der Fall ist, wo z. B. auf einer 1500
Morgen großen Farm 21000 M. Kapitalwert in Maschinen vorhanden
sind und die große Dalrymple-Farm allein 180 Selbstbinde-Mäh-
maschinen besitzt.
Es kann auch durch die Einseitigkeit des Betriebs ein größeres
Betriebskapital deshalb nötig sein, weil die Geldeinnahmen dann ge-
wöhnlich zu einer bestimmten Jahreszeit nur kommen, z. B. bei dem
reinen Viehzuchtsbetrieb nur nach dem Verkauf der Jahresnachzucht,
weshalb die Wirtschaftskosten des ganzen übrigen Jahres durch ein
genügend vorhandenes Betriebskapital gedeckt werden müssen.
Ein Vorteil in dem einseitig eingerichteten Landwirtschaftsbetrieb
gegenüber dem Hauswirtschaftsbetrieb ist nicht gering anzuschlagen,
nämlich die größere Sparsamkeit, die dann mit denjenigen Ge-
brauchsstoffen der Wirtschaft, die angekauft werden müssen, eintritt,
anstatt der weniger sparsamen Verwendung, die nachgewiesenermaßen
mit selbstproduzierten Stoffen, Nahrungs- und Futtermitteln ausge-
führt wird. Muß beispielsweise die Milch, Butter und Käse für eine
Hauswirtschaft angekauft werden, so wird damit besser gewirtschaftet,
als wenn diese Produkte in großen Massen in der Wirtschaft selbst
gewonnen werden, wobei sehr oft eine so große Verschwendung ein-
tritt, daß der Wirtschafter am Jahresschlüsse bei rechnungsmäßiger
Dritte Folge Bd. VIII (LXI1I). 23
354 Backhaus,
Prüfung seines Betriebes selbst darüber erstaunt, welche Summen hier
angelaufen sind. — Auch mit selbstproduzierten Futtermitteln wird
oft nicht ökonomisch genug gewirtschaftet.
Eine sehr segensreiche Folge der Arbeitsteilung in der Landwirt-
schaft beruht in der Verbesserung des Absatzes. In dem Ab-
satz für landwirtschaftliche Produkte findet man oft ganz merkwürdige
Erscheinungen. Trotz eines hohen Bedarfs an manchen Produkten
kann der Landwirt für dieselben vielfach keinen Absatz finden. Der
Grund liegt meistens in der Zersplitterung des Betriebes. Der Land-
wirt, der jährlich ein Pferd groß zieht, kann dasselbe meistens nur
sehr schlecht verwerten, wenn nicht der Zufall ihm hierbei behilflich
ist. Er wird auch in diesem Falle von dem Handelsmann gewöhnlich
sehr stark ausgenutzt. Zieht er dagegen jährlich 10 Pferde auf, so
ist die Verwertung des Pferdes meistens eine bessere; es lohnt sich
für diese Zahl zur Ermittelung der besten Absatzwege Aufwendungen
zu machen; man kann größere Händler und Käufer heranziehen. —
Ein Landwirt, der in abgelegener Gegend 5 Zentner Hopfen baut, wird
mit denselben oft nicht viel anfangen können. Ganz anders, wenn er
100 Ztr. Hopfen zum Verkauf besitzt. "Wegen dieser Menge wird schon
ein Händler einen Weg nach dem betreffenden Gute riskieren oder eine
größere Brauerei wird sich auf den Ankauf einer solchen Menge ein-
lassen. Kurz, wenn also in Landwirtschaftsbetrieben einzelne Produkte,
diese aber in großer Menge erzeugt werden, so ist der Absatz und die
Verwertung eine viel bessere.
Noch vorteilhafter gestalten sich die Absatzverhältnisse, wenn
ganze Gegenden einen besonderen Betriebszweig kultivieren und da-
durch einen gewissen Ruf erhalten. Es trägt also die Arbeitsteilung
zwischen verschiedenen Gegenden gerade hierdurch gute Früchte.
Im Großherzogtum Hessen werden z. B. vereinzelt ebenso gute Tiere
der Simmenthaler Rasse gezüchtet als im badischen Oberland, aber
die Verwertung ist eine viel geringere, weil letzteres einen be-
deutenden Ruf in der Zucht der Simmenthaler Rindviehrasse be-
sitzt, dadurch Käufer in Oberbaden stets vorhanden sind und auch
die Tiere, weil sie aus diesem Landstrich stammen, schon besser be-
zahlt werden. So ähnlich ist es mit der renommierten Pferdezucht
Ostpreußens, mit der Schweinezucht in Meißen, mit dem Hopfenbau in
Saatz und Spalt, mit der Saalgerste, mit dem berühmten Saatgut aus
der Probstei, mit dem Schweizer Käse, der Holsteiner Butter u. a. m.
Es lassen sich auch, wenn eine derartige Arbeitsteilung Platz ge-
griffen hat und gerade ein Betriebszweig auf einem Landgut oder in
einer ganzen Gegend besonders betrieben wird, mancherlei Einrich-
tungen zur Erzielung eines besseren Absatzes bilden. Die Gänseleber-
pasteten-Industrie in Straßburg entstand so, ebenso Konservefabrikeu
in Gegenden mit Gemüse- und Obstbau.
Daß in einem arbeitsteiligen Betrieb auch eine große Ersparnis
in der Versendung der Produkte eintritt, ist selbstverständlich. Es
ist eigentlich doch ein Anachronismus, wie Bauersfrauen bei uns mit ein
paar Eiern, etwas Butter und Gemüse auf den Markt ziehen. In Nord-
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 355
amerika kommt derartiges nicht vor, weil selbst der kleinste Farmer
solche Produkte in größerem Maßstabe erzeugt und dann die Ver-
sendung in zweckmäßiger geschmackvoller Verpackung per Wagen oder
Eisenbahn an den Marktplatz ausführt.
Den besten Beweis für die Vorteile der arbeitsteiligen Landwirt-
schaft ist der Umstand, daß solche Gegenden, die einem Betriebszweig
sich mit besonderer Sorgfalt widmeten , gerade hierdurch einen Auf-
schwung zu verzeichnen haben , wie dies in Deutschland an vielen
Beispielen konstatiert werden kann. Aber auch von den einzelnen
Landwirtschaftsbetrieben, in denen man das Prinzip der Arbeitsteilung
anzuwenden gesucht hat, ist zu konstatieren, daß dies mit einem
pekuniär sehr günstigen Erfolg geschehen ist. Von allen den oben
als Beispiel durchgeführter Arbeitsteilung in der Landwirtschaft er-
wähnten Betrieben ist ein recht günstiges Prosperieren zu konstatieren.
Man wird oft finden, daß Landwirte, die sich mehr auf Kultivierung
eines Betriebszweiges warten, bald ihre Fachgenossen mit vielgestaltigem
Hauswirtschaftsbetrieb überflügelten.
An dieser Stelle mag auch darauf hingewiesen sein, daß das
Prinzip der Sicherheit der Erträge, welches man dem sehr viel-
seitigen Betrieb einräumte, durchaus nicht ganz zutreffend ist. Material
hierzu bieten die Untersuchungen Hecke's 1), der ermittelte, daß unter
den verschiedensten Verhältnissen verschiedene Früchte, beispielsweise
Hafer und Weizen, allerdings in einzelnen Jahren verschiedene Erträge
ergeben , wonach es als richtig erscheinen muß, den ganzen Betrieb
nicht auf eine Frucht zu basieren. Es wird aber dann weiter ermittelt,
daß in besserem Klima die Schwankungen in verschiedenen Jahren viel
geringer sind als wie in schlechterem Klima, wonach gerade in günstigen
klimatischen Verhältnissen Einseitigkeit des Betriebes weniger gefähr-
lich erscheint. Dann kommt aber für uns das hochwichtige Resultat,
daß eine überraschende Gleichmäßigkeit der Erträge mehrerer Kultur-
pflanzen im Durchschnitt mehrerer Jahre stattfindet, daß also die Sicher-
heit des Betriebes, die man durch vielseitigen Anbau erreichen will,
gerade so gut erreicht wird, wenn man mit wenigen Kulturpflanzen
den Betrieb auf eine so lange Reihe von Jahren basiert, daß der
Erntedurchschnitt erreicht wird. Es wird also ein Pächter, der nur
auf ganz wenige Jahre Grund und Boden bewirtschaftet, durch eine
einseitige Produktion in großen Schaden kommen können, dagegen
weniger, wenn auf genügend lange Zeit die Pachtung währt, damit
gute und schlechte Ernten sich in dieser Zeit ausgleichen können, wobei
natürlich Vorbedingung ist, daß in guter Zeit für die schlechte Zeit
die nötiven Reserven zurückgelegt werden. Diese Verhältnisse treffen
ebenso für Handelsfrüchte wie Getreide wie Futterpflanzen zu, sind
aber bezüglich der letzteren anders zu betrachten als bezüglich der
beiden ersten, weil eine Stetigkeit in der Futterproduktion behufs
Haltung eines gleichmäßigen Viehstapels sehr wichtig ist. Hiervon
noch später.
t
1) Hecke, Die Schwankung d. Roh- u. Reinertrags einz. Landgüter. Wien 1887.
23*
356 Backhaus,
Ich möchte aber sodann die Ansicht aussprechen, daß im allge-
meinen dem Landwirt bei Beachtung der natürlichen Verhältnisse und
in Rücksicht auf die Absatzverhältnisse so sehr viele Kulturpflanzen
überhaupt nicht eine Garantie für Sicherheit der Erträge bieten, daß
nur verhältnismäßig wenig Kulturpflanzen bei einer strengen Auswahl
als rentabel übrig bleiben. Es giebt Beispiele genug, daß Landwirte,
die auf Grund von Empfehlungen verschiedene neue Kulturpflanzen
einführten, ihren Betrieb durch Aufnahme verschiedener Handels-
früchte etc. recht vielgestaltig und rentabel zu machen suchten und
bedeutend geringere Erträge von ihren Gütern hatten, als wie andere
Landwirte, die bei den, als volltragend und sicher erprobten Früchten
blieben.
Einen Beleg hierfür finde ich in den „landwirtschaftlichen Erfah-
rungen und Einrichtungen eines schlesischen Gutspächters der Neu-
zeit" *). Der betreffende Landwirt berichtet, daß er versuchte, statt des
seither betriebenen Getreide- und Kartoffelbaues Handelsgewächsbau
aller Art einzurichten; er baute außer Zuckerrüben Flachs, der im
Stroh verkauft werden mußte, dann statt des zu billigen Rapses weißen
Senf, ferner blauen Mohn und große Linsen. Die Erträge von diesen
Früchten stellten sich aber bald als ziemlich unsicher heraus bei ver-
hältnismäßig großen Auslagen und es zeigte sich der Anbau so un-
lohnend, daß alle diese Früchte bis auf die Zuckerrüben wieder auf-
gegeben wurden.
Ein weiterer Beleg bietet sich aus dem Göttinger Versuchsfeld.
Dort war von Prof. Drechsler 2) im Jahre 1873 ein Teil des Ver-
suchsfeldes zu Versuchen über verschiedene Fruchtfolge und Wirt-
schaftssysteme eingerichtet worden, womit gleichzeitig auch weitere
Fragen in Bezug auf Statik und Düngung gelöst werden sollten.
Feld B wurde angelegt zu 9 Schlägen ä 10 Ar und sollte nach
einer aus der Dreifelderwirtschaft abgeleiteten rationellen Fruchtfolge
bestellt werden. Als der Zweck des Feldes wird insbesondere ge-
nannt „Erzielung der unter den gegebenen Verhältnissen höchst mög-
lichen Erträge" und die ganze Behandlung dieses Feldes wurde von
vornherein entsprechend diesem Zwecke ausgeführt. Insbesondere
wurden Handelsgewächse gebaut und versucht, den Boden vor der Raps-
bestellung noch möglichst hoch auszunutzen. Wenn die Aussaat des
Rapses mißrät und umgepflügt werden muß, sollte Dotter oder Mohn
gebaut werden. Die Fruchtfolge war:
1) Winterwicken
2) Raps
3) Roggen
4) Erbsen
5) Weizen
1) Deutsch, landwirtsch. Presse 1893, No. 93.
2) Drechsler, Das landwirtsch. Stud. a. d. Univers. Göttingen 1875 u. 1885.
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 357
6) Rüben
7) Gerste
8) Klee
9) Weizen.
Das Feld C, 3 Felder ä 10 Ar, wurde dagegen nach der Frucht-
folge :
1) Brache, besömniert
2) Winterfrucht,
3) Sommerfrucht,
also Dreifelderwirtschaft bebaut, und es kamen hier die Früchte Kar-
toffeln, Roggen, Hafer und in den Jahren 1876, 77, 78 und 80 statt
des Hafers Gerste und Sommerweizen zum Anbau. Im Jahre 1879
und 86 wurde auch noch etwas Sommerweizen, vermutlich für ausge-
gangene Winterfrucht angebaut.
Ich stelle nun eine Berechnung über die Bruttogelderträge dieser
beiden Felder während der Jahre 1874 — 90, von denen mir die Ernte-
erträge nach dem Bestellungs- und Ernteregister des Versuchsfeldes
vorliegen. Als Preise habe ich die Durchschnittspreise der 20 Jahre
1868 — 1887 nach der preußischen Statistik zu Grunde gelegt, weil es
mir richtiger erschien diese Preise zu verwenden , als wie die wirk-
lichen erlösten Preise, indem doch von dem Versuchsfeld die kleinen
Qualitäten nicht in der besten Weise immer verwertet werden können.
Für Mohn war es mir jedoch nicht möglich, Preise aus der Statistik
zu ermitteln, weshalb hierfür die bei dem Verkauf erlösten Preise ein-
gesetzt wurden. Für Dotter ermittelte ich Preise durch Auszug aus
dem, für diese Frucht in der deutschen landwirtschaftlichen Presse in
dem betreffenden Jahre angegebenen Marktpreise. Für Raps wurden
von den Jahren 1881 und 82 die wirklich erzielten Erlöse eingesetzt,
von den Jahren 1876 und 79, von welchem ich die erzielten Geld-
erlöse nicht ermitteln konnte, Marktpreise nach derselben Ermittelung
wie bei dem Dotter. Von Heu und Stroh wurden ebenfalls Markt-
preise eingesetzt und von denjenigen Futtermitteln, die im allgemeinen
keine Marktpreise haben, als Pferdebohnen, Runkeln , Winterwicken
(Körner und Stroh), Erbsenstroh, Grünmais, wurden die Preise nach
der bekannten Surrogatrechnung, indem zunächst der Preis einer Futter-
werteinheit im Heu berechnet wurde und dieser Preis dann für die
Futterwerteinheit in den anderen Futtermitteln eingesetzt wurde. Es
wurde sich hierbei nach den Gehaltszahlen von Wolff gerichtet und
das Verhältnis von verdaulichem Protein zu Fett zu stickstofffreien
Stoffen wie 6:2,5:1 angenommen.
Die Geldertragsrechnung stellt sich danach wie folgt:
(Siehe Tabelle auf S. 358.)
Man ersieht aus diesen Zusammenstellungen , daß bei der vielsei-
tigen Bewirtschaftungsweise des Feldes B, bei dem starken Anbau
von Handelsgewächsen, bei der strengen Einhaltung des Fruchtwech-
sels, absolut nicht die Absicht des Versuchs erreicht wurde, nämlich
den höchst möglichsten Reinertrag zu erzielen, daß vielmehr bei der
Dreifelderwirtschaft des Feldes C ein bedeutend höherer Geldertrag
358
B ackhaus,
Einzelpreis
Erntefeld C.
pro 100 kg
Geldbt
trag
M.
Pf.
M.
Pf.
Roggen
4 608,6 kg Körner
16
50
760
41
II 701.7 „ Stroh und Spreu
4
68
547
63
Hafer
6 242 ,, Körner
15
08
941
29
7 265 „ Stroh und Spreu
4
68
340
—
Gerste
797,7 ,, Körner
15
77
125
79
1 °77,4 >> Stroh und Spreu
4
68
50
42
Sommerweizen 325,0 ,, Körner
20
24
05
78
771 ,, Stroh und Spreu
4
68
36
08
Kartoffeln
38 333 »
5
5i
2112
14
Summa
| 4979
54
Einzelpreis
Ernte
feld B.
pro 100 kg
Geldbetrag
M.
Pf.
M.
Pf.
Dotter
19 kg
Körner
28
38
5
39
I09
Stroh und Spreu
4
68
5
10
Mohn
728 „
532 kg ä 28 Pf. = 148,96
90 „ „ 35 » = 31.50
I 402 „
106 „ „ 36,50 „ = 38.69
4
68
219
65
15
Stroh und Spreu
61
Mais (Grünfutter)
7 700 „
I
16
89
32
Sommerweizen
559 .,
Körner
20
24
113
H
1518 „
Stroh und Spreu
4
68
7i
04
Wintergerste
186 „
Körner
15
77
29
33
942 „
Stroh und Spreu
4
68
44
08
Pferdebohnen
250
Körner
16
19
40
47
260 „
Stroh und Spreu
5
69
H
79
Weizen
9 986,4 ,,
Körner
20
24
2 021
24
24 008 ,,
Stroh und Spreu
4
68
1 123
57
Roggen
5 187.5 „
Körner
16
50
855
93
13988 „
Stroh und Spreu
4
68
654
63
Sommergerste
5°54>8 „
Körner
15
77
797
14
7884.2 „
Stroh und Spreu
4
68
368
98
Hafer
667,0 ,.
Körner
15
08
100
58
2054,5 „
Stroh und Spreu
4
68
96
15
Erbsen
1 475.9 »
Körner
22
13
326
62
3 598 „
Stroh und Spreu
4
54
163
34
Buschbohnen
1 344 »
Körner
30
02
403
46
789 „
Stroh und Spreu
4
68
36
92
Kleegrasheu
11 694 „
6
60
77i
80
Kartoffeln
12 545 ..
5
5i
691
22
Runkeln
131 855 ,.
1
47
1938
26
Winterwicken
1 022,3 ,,
Körner
16
92
172
97
5614 ..
Stroh
4
67
262
17
Raps 835 kg Körner
260 kg ä 24,50 M = 63,70 M.
260 „ „30,58 „ =79.50 „
2960 ,,
315 „ „23,28 „ — 73.33 .,
4
68
216
138
53
Stroh und Spreu
52
Summa | II 837 | 45
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 359
erzielt wurde. Beachtet man, daß das Feld C nur 30 Ar groß ist,
so würde bei dieser Bewirtschaftuugsweise auf einem Feldstück von
der Größe wie B ein Bruttoertrag von 14 938,^2 M. erzielt worden sein,
während auf Feld B nur 11 837,45 M. sich ergeben. Auf die Unkosten der
Produktion braucht man bei derartigen Differenzen gar nicht weiter ein-
zugehen, indem sie das Resultat doch nicht erheblich verändern. Die
Dünguug wurde genau nach dem Nährstoffbedarf der Gewächse gere-
gelt, wie dies Drechsler in seiner „Statik des Landbaues", Göttingen
1869 näher dargelegt hat und es dürften auf beiden Feldern sich
hierin keine großen Verschiedenheiten ergeben. Die Kosten der Bear-
beitung sind jedenfalls auf Feld B noch höher wie auf F'eld C durch
den stärkeren Hackfrucht- und Handelsfruchtbau.
Ich gebe selbst zu, daß gegen Einzelheiten der soeben vorgeführten
Berechnungen sich Einwände erheben lassen, daß es z. B. richtiger
erscheint, die Ernteerträge der einzelnen Jahre nach dem Durchschnitts-
preise desselben Jahres zu bewerten und nicht also die Gesamternte-
erträge nach Gesamtdurchschnittspreisen. Es kann getadelt werden,
daß die Stroh-, Spreu- und Heuerträge nach Marktpreisen berechnet
worden sind. Indessen werden nach angestellter Kalkulation auch durch
andere Berechnungsmodi die Hauptresultate, um die es sich hier han-
delt, nicht irritiert und auch gegen andere Berechnungsmodi liegen
Bedenken vor.
Schwierigkeiten der Arbeitsteilung in der Land-
wirtschaft.
Natürliche uud wirtschaftliche Schwierigkeiten verschiedenster Art
sind es, die der vermehrten Anwendung der Arbeitsteilung in der Land-
wirtschaft, so sehr nach den im vorigen Abschnitt gegebenen Ausfüh-
rungen viele Vorteile dadurch herbeigeführt werden können, sich gegen-
überstellen. Ich will hier hauptsächlich die Schwierigkeiten der wirt-
schaftlichen Arbeitsteilung behandeln, da die technische Arbeitsteilung
nach dieser Richtung hin genügend bekannt und in der Litteratur
eingehender behandelt ist.
Es ist selbstverständlich, daß bei Organisation einer Landguts-
wirtschaft man nur solche Betriebszweige ins Auge fassen kann , die
unter den lokalen natürlichen Verhältnissen gedeihen. In erster Linie
ist hier das Klima ausschlaggebend und beeinflußt die Auswahl der
Kulturpflanzen wie der Haustierarten ; in zweiter Linie ist es die Be-
schaffenheit des Bodens, so sehr man auch durch die neueren Fort-
schritte in der Landwirtschaft das Gedeihen der Kulturpflanzen durch
eine rationelle mechanische und chemische Bearbeitung des Bodens
von der Beschaffenheit desselben unabhängiger als früher machen
konnte.
Sind unter den gegebenen Verhältnissen die zweckmäßigsten Kultur-
pflanzen ausgewählt, so ist es kein Zweifel, daß durch eine sehr ge-
ringe Anzahl derselben, womöglich durch eine einzige Kulturpflanze
eine sehr einseitige Ausnutzung der Bodenkräfte statt-
360 Backhaus,
findet, so daß die Ausgleichung dieser Nachteile entweder ganz unmög-
lich wird oder mit so großen Kosten verknüpft ist, daß der Reinertrag
des betreffenden Anbaues zu sehr reduziert wird. Man ist allerdings
heute durch die künstliche Düngung in der Lage , die Nährstoffe des
Bodens, die durch solche einseitige Produktion entzogen sind, wieder
genügend zurückzuerstatten. Dadurch ist also das chemische Gleich-
gewicht wohl verhältnismäßig leicht herzustellen, aber hierbei muß
doch gerade der Kostenpunkt sehr eingehend in Erwägung gezogen
werden und vielfach wird sich die Kalkulation so stellen, daß durch
Auswahl mehrerer Kulturpflanzen durch eine bessere Ausnutzung der
Bodenstoffe und eine deshalb nur geringere Düngung die Bewirtschaf-
tung eine zweckmäßige ist.
Es kommt ferner in Betracht , daß die Pflanzen ihren Nährstoff-
bedarf aus verschieden tiefen Bodenschichten entnehmen , daß manche
Kulturpflanzen in lukrativer Weise stickstoffsammelnd, andere nur
stickstoffzehrend sind, daß die Ansprüche an die Konzentration und
Lösung der Nährstoffe bei den einzelnen Pflanzen verschieden sind, daß
durch die dichte Belaubung und Beschattung der Blattpflanzen auf
den physikalischen Zustand des Bodens, die Feuchtigkeitsverhältnisse
und die Unkrautvertilgung vorteilhaft eingewirkt wird, durch die Halm-
früchte aber nicht; daß die Rückgabe an humusbildender organischer
Substanz durch Wurzelrückstände und oberirdische Teile bei den
Kulturpflanzen sehr verschieden ist. — Alles dies sind Gründe dafür,
daß durch Anbau mehrerer Früchte eine bessere Bodenausnutzung statt-
findet.
Es ist aber unbestreitbar, daß durch die neuere Landbautechnik
immer mehr eine öftere Wiederkehr der Kulturpflanzen und Aufeinander-
folge ermöglicht wird ; man erkennt dies auffallend daraus, wie ängst-
lich die früheren Landbauschriftsteller in ihren Empfehlungen ähn-
licher Früchte auf demselben Felde waren. Thaer schreibt z. B. l) :
„Weizen in seine eigene Stoppel gesät, mißrät so sehr, daß man fast
nichts Schlechteres bauen kann." „Der Weizen nach Gerste schlägt
sehr zurück." „Weizen nach Lein gerät ärmlich". Man wird heute
solche strenge Regeln im allgemeinen nicht mehr aufstellen.
Ein weiterer Uebelstand ist der, daß bei einem sehr einseitigen
Anbau der Kulturpflanzen die tierischen und pflanzlichen
Parasiten derselben so stark sich vermehren, daß eine öftere Wieder-
kehr dieser Kulturpflanzen auf demselben Feldstücke sich verbietet.
Allerdings hat man in der Bekämpfung dieser Parasiten großartige
Fortschritte in der letzten Zeit gemacht, aber man beherrscht diese
Kalamität absolut sicher nicht.
Für einen einseitigen Anbau von Getreide und von Handelsge-
wächsen in einer Wirtschaft ist sodann der Rückersatz der ent-
nommenen Bodenstoffe ein schwieriges Problem und verbietet viel-
fach ebenfalls die einseitige Durchführung. Man wird nämlich in den
meisten Fällen hierbei zu der Ueberzeugung kommen, daß der Rück-
1) Thaer's, Grundsätze der rationellen Landwirtschaft, Berlin 1880, S. 827.
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 361
ersatz am zweckmäßigsten nicht durch käufliche Düngemittel gegeben
wird, sondern durch die in der Wirtschaft erzielten Duugstoffe, d. h.
man wird es als das Ratsamste erachten, neben Getreide und Handels-
gewächsen auch Futter zu bauen, um eine Viehhaltung zu ermöglichen
und den Stalldünger zur Düngung zu verwenden, womit also die Wirt-
schaft einen vielseitigeren Charakter annimmt. Daß bei dieser Frage
des Wiederersatzes nur diejenigen I'tianzenstotfe berücksichtigt zu werden
brauchen , die wirklich in der Abnahme begriffen sind und nicht die-
jenigen , die auf unabsehbare Zeit hinaus in genügender Quantität im
Boden vorhanden sind, ist selbstverständlich.
WTir kommen zu den wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Wo Ein-
richtungen, wie Flurzwang, übermäßige Feldzerstückelung noch bestehen,
wird natürlicherweise jede freie Bewegung des Wirtschaftens gehemmt
und dort mag auch die Einführung eines arbeitsteiligen Betriebes für
den Einzelnen unmöglich sein, allerdings nicht für die Gesamtheit, die
zunächst jene hindernden Einrichtungen aus dem Weg räumen muß.
Wenn die Landwirtschaft nach den Prinzipien der Arbeitsteilung
eingerichtet ist, so wird dadurch ein größerer Austausch der
Produkte zwischen den einzelnen Landgütern als auch zwischen dem
Land und den übrigen Erwerbszweigen hervorgerufen ; es wird also
der Handel dadurch außerordentlich vermehrt, resp. ein gut einge-
richtetes Handelswesen ist die Vorbedingung für solche Betriebsweise.
Leider ist aber gerade in Deutschland der Handel nicht in der WTeise
entwickelt, daß er der Einführung einer stärkeren Arbeitsteilung in
der Landwirtschaft keine Schwierigkeiten in den Weg legt. Aus allen
Landesteilen hört man Klagen über den schlecht entwickelten, ja un-
reellen Zwischenhandel. Von Baden wird z. B. in der oben erwähnten
Enquete berichtet, wie dort ganz weit verbreitet eine grobe Uebervor-
teilung, ja selbst Bewucherung der Landwirte durch den Zwischen-
handel stattfindet.
Wenn, wie es in Deutschland der Fall ist, das Getreide von dem
kleineren Landwirt durch einen hausierenden Händler aufgekauft, von
diesem dann nach kostspieligem Transport an einen größeren Händler
abgegeben wird, von diesem womöglich noch einmal an ein Engros-
geschäft verhandelt wird, alles mit umständlichen Transporten und
bedeutenden Kosten durch Lagerung in unpraktischen Lagerräumen
verbunden , wenn dann von dem Engrosgeschäft das Getreide an den
Müller geht, von diesem wiederum nach kostspieligen Transporten auf
teuren Eisenbahnen mit unpraktischen Verladevorrichtungen durch eine
oder mehrere Zwischenhändler an den Bäcker, der durch einen ver-
alteten Betrieb und viele unnötige Arbeitskräfte sehr viele Unkosten
in seinem Geschäft hat und diese auf seine Produkte natürlich auf-
schlagen muß, wenn solche Verhältnisse herrschen, so ist es aller-
dings für den Landwirt besser, selbst zu backen, anstatt das Brot von
dem Bäcker zu kaufen oder auch nur Roggen oder Mehl von Händ-
lern zu erstehen. Auch ein Austausch ihrer Produkte unter den Land-
wirten selbst wird durch solche eben skizzierten ungünstigen Handels-
zustände erschwert, weil die Preise des Getreides durch die Art und
362 Backhaus,
Weise dieses Handels beeinflußt und die Landwirte, wenn sie jene
Preise bei ihrem Austausch zu Grunde legen, nicht die thatsächlichen
Werte ihrer Produkte sich gegenseitig vergüten.
In Amerika, wo der Farmer sein produziertes Getreide in dem,
an der nächsten Eisenbahnstation gelegenen Elevator stets nach den
Notierungen der großen Börsenplätze verkaufen kann oder auch das
Getreide dort zum Lagern abliefern und den empfangenen Lagerschein
sodann an jedem Börsenplatz selbst verkaufen kann, wo er anderer-
seits von den Elevators nach den Börsenberichten stets Getreide an-
kaufen kann und dann wieder durch vorzügliche Transporteinrich-
tungen, durch außerordentlich praktisch eingerichtete Mühlen und
Bäckereien die Unkosten bei der Verarbeitung des Getreides verhält-
nismäßig gering sind, dort ist es schon eher möglich, daß der Farmer
nur ganz wenige Produkte in der Wirtschaft erzeugt, diese verkauft
und z. B. das benötigte Brot, falls er selbst keinen Weizen- oder
Roggenbau treibt, wieder ankauft.
Wenn, wie es bei uns vorkommt, hausierende Viehhändler dem
Landwirt etwaiges verkäufliches Vieh zu niederen Preisen abschwatzen,
wenn dann womöglich ein Tier von einem Handelsmann auf den Markt
transportiert wird, also der Transport dadurch ein sehr teurer wird,
und wenn dann das Metzgergewerbe so arbeitet, daß beispielsweise in
einer Göttiuger Schlächterei die Verarbeitungskosten pro Schwein sich
auf 17,96 Mk. stellen, während in einem großen Schlachthaus in Chi-
cago trotz doppelt hoher Arbeitslöhne die Arbeitslohnkosten pro Schwein
nur auf 4,65 M. sich berechnen, dann thut der Landwirt auch besser,
die für seinen Hausbedarf nötigen Schlachtungen selbst vorzunehmen
und ev. die dafür nötigen Tiere in der Wirtschaft selbst zu produzieren,
wenn auch die anderen Verhältnisse hierfür durchaus nicht günstig sind.
An dieser Stelle muß ein schon oben gestreifter Uebelstand der
wirtschaftlichen Arbeitsteilung, nämlich die, durch einseitigen Anbau
bedingten stärkeren Schwankungen im Jahresertrag und Unsicher-
heit des Betriebes noch eingehender berührt werden. Es mag nach
dieser Richtung hin wörtlich ein Urteil angeführt werden, welches in
der badischen Enquete angeführt ist1): „Die Erhebungen haben in
beiden Beziehungen dargethan, bezw. die vorher schon bekannte That-
sache bestätigt, daß je vielseitiger der landwirtschaftliche Betrieb sich
gestaltet und eine je mannigfaltigere Benutzung die Beschaffenheit des
Bodens und des Klimas zuläßt, um so mehr befriedigendere Zustände
für die bäuerliche Bevölkerung sich zu entwickeln pflegen und daß die
prekärsten und unter Uinstäuden kritischsten Verhältnisse sehr leicht
da entstehen, wo alles sozusagen auf eine Karte gesetzt ist. Im
höchsten Grade ist dies bei den Rebgemeinden der Fall."
Dieses Urteil scheint jeder Sympathie für stärkere Arbeitsteilung
in der Landwirtschaft den Todesstoß zu geben. Dem ist jedoch durch-
aus nicht so. Bei näherer Betrachtung der Enqueteresultate zeigt sich
nämlich, daß z. B. für den Rebort Zell-Weiherbach und Efringen die
l) Landwirtschaft!. Enquete von Baden 1883, S. 12.
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 363
Weinerträgnisse der Jahre 1873 — 82 zu Grunde gelegt wurden, in
welche 7 Fehljahre fielen. In zwei anderen Reborten erklärt sich
das ungünstige Resultat der betreffenden Wirtschaft, über die eine
Rentabilitätsberechnung angestellt wurde, dadurch, daß zwei Verwandte
mit zu verköstigen sind mit einem Aufwand von 426 M., daß ferner
durch vorhandenes Kapitalvermögen ein wesentlich besserer Kosttisch
geführt wurde, als er sonst üblich ist. Ueberhaupt sind in den Reb-
orten Badens die Unkosten des Haushalts, insbesondere der Verköstigung
höher als wie an anderen Orten.
Ich habe die Enquetezahl nach letzterwähntem Gesichtspunkt einer
speziellen Berechnung unterworfen und komme dabei zum Resultat,
daß im Durchschnitt von den 61 Wirtschaften ohne Weinbau, über die
Rentabilitätsberechnungen gegeben sind, die Rente vom vorhandenen
Vermögen (Wert des Grund und Bodens und Betriebskapitals) 1,4 Proz.
beträgt, während von den 9 Wirtschaften mit Weinbau die Rente im
Durchschnitt 0,25 Proz. ist.
Rebwirt- Nicht-Reb-
schaften wirtschaften
Es stellt sich der Aufwand der Verköstigung pro Tag und Person 67,1 Pf. 63,7 Pf.
„ „ „ 11 11 für Kleidung „ Jahr „ „ 55,00 M. 52,3 M.
Hierzu ist noch zu bemerken, daß in den Rebwirtschaften man
es mit verhältnismäßig kleineren Betrieben zu thun hat als in den
Nichtreborten, wo doch recht viele große Bauerngüter vorhanden sind,
so daß der Aufwand für Verköstigung und Kleidung in Anbetracht
der Vermögensverhältnisse in den Reborten sich zu hoch stellt. Es
repräsentiert der allein in den Rebwirtschaften im Haushalt gebrauchte
Wein und das sogen. Tresterwasser eine solche Summe, daß dieselbe
0,867 Proz. des Vermögenswertes ausmacht, daß also die Rente sich
durch Ausfall dieser Summe um 0,867 Proz. erhöhen würde, wonach
also zwischen den Reborten und Nichtreborten durchaus kein sehr
großer Unterschied besteht. Bedenkt man dann weiter, daß gerade
die Reborte sehr stark bevölkert sind, daß auch in denselben, wie in
der Enquete nachgewiesen, vielfach überflüssige Arbeitskräfte vor-
handen sind, beachtet man die in der Enquete angenommenen un-
günstigen Ertragsjahre, so muß man sagen, daß durch diese Enquete
eher das Gegenteil bewiesen wird, als in dem oben wörtlich angeführten
Ausspruche des Berichts gesagt wird, nämlich, daß gerade durch den
einseitigen Betrieb des Weinbaues noch ein hoher Ertrag erzielt wird.
Allerdings ist aus den badischen Verhältnissen ersichtlich, daß
bei einem derartigen einseitigen Betrieb und Handelsgewächsbau, wie
es in den Weinwirtschaften der Fall ist, es unbedingt nötig ist, daß
in günstigen Jahren Reserven für ungünstige erspart und daß in solchen
guten Zeiten auch die Lebensverhältnisse nicht über das richtige Maß
gesteigert werden dürfen.
Es scheint mir also auch durch diesen Enquetebericht und durch
ähnliche Ausführungen nicht erwiesen, daß der vielseitige Betrieb im
allgemeinen der vorteilhafteste sei. Ich möchte deshalb auf dem oben
schon erwähnten Standpunkt beharren, nämlich, daß allerdings bei
364 Backhaus,
einseitigerem Kulturpflanzenanbau große Schwankungen in den Jahres-
erträgen vorhanden sind, wie es namentlich in den angeführten Unter-
suchungen von Hecke erwiesen ist, daß jedoch für Getreidebau und
Handelsgewächsbau die Jahresschwankungen keine bedeutende Schwie-
rigkeit für vermehrte Arbeitsteilung in der Landwirtschaft bieten, weil
in einer bestimmten Reihe von Jahren die Erträge doch wieder sich
ausgleichen, daß aber in Bezug auf Futterproduktion andere Ver-
hältnisse herrschen. Hier muß auf Stetigkeit des Futterertrages hin-
gearbeitet werden; es sind deshalb mehrere Futterpflanzen anzubauen
resp. Gemengesaaten auszuführen, um durch die Schwankungen ein-
zelner Kulturpflanzen nicht in Schaden zu kommen.
Ueberhaupt sind sog. Gemengesaaten nach unserer Beziehung hin
wie einfache Früchte zu betrachten, da die Unkosten der Saat, Pflege,
Ernte und Verwertung dieselben sind.
In der landwirtschaftlichen Betriebslehre findet man bezüglich der
Wirtschaftsorganisation von Seiten der meisten Autoren die Empfehlung,
eine möglichste Ausgleichung der landwirtschaftlichen Arbeiten anzu-
streben, d. h. also mit anderen Worten eine verhältnismäßig hohe Viel-
seitigkeit des Betriebes anzustreben, weil ja gerade bei dem einseitigen
Betrieb auch die Arbeiten sich auf bestimmte Jahreszeiten
stark anhäufen. Es liegt allerdings eine der größten Schwierig-
keiten der Durchführung der wirtschaftlichen Arbeitsteilung der Land-
wirtschaft in diesem Punkte. Im allgemeinen muß jedoch eine der-
artige Empfehlung, wie sie eben genannt wurde, nicht als die richtige
bezeichnet werden. Es ist überhaupt schwierig, hierfür allgemeine
Regeln aufzustellen; man muß vielmehr im einzelnen Fall Berechnung
und Kalkulation anstellen. Ein thatsächliches Beispiel liegt vor, daß
auf einem Gut von 300 ha Größe die Einfügung eines Rapsschlages
von 12,5 ha in dem Ackerbaubetrieb sehr zweckmäßig erschien, weil
hierbei die Arbeiten für die Rapsbestellung und auch die Bearbeitung
des Feldes nach Raps während der arbeitsfreien Sommerzeit geschehen
und in der sehr drängenden Herbstbestellungszeit dann ein Pferde-
gespann weniger gehalten werden konnte. Man war in diesem Falle
wohl davon überzeugt, daß z. B. Weizenbau statt Raps einen viel
höheren Ertrag geben würde, daß der Raps auch eine gewisse Viel-
seitigkeit in den Betrieb brachte, weil hauptsächlich als Winterfrüchte
Weizen und Roggen gebaut wurde. Wenn man jedoch berechnet, daß
das für Durchführung des Weizenbaues auf dem betreffenden Schlage
nötige Pferdegespann auch während des übrigen Teils des Jahres un-
produktiv gehalten werden muß und dadurch der Weizenbau bei 2500 M.
Jahreskosten eines Pferdegespanns um 200 M. pro ha sich verteuert,
wenn man weiter beachtet, daß die günstige Vorfruchtwirkung des
Rapses etwa auf 80 M. pro ha anzuschlagen ist, so stellt sich der
Unterschied zwischen Raps und Weizenbau zu gunsten des ersteren
auf 280 M. pro ha, eine Summe, die durch höhere WTeizenernte nicht
eingebracht werden kann, da der Mehrertrag des Weizens höchstens
auf 200 M. pro ha anzuschlagen ist. Wenn aber etwa durch Annahme
von Lohnl'uhrwerk die Weizenbestellung und Bearbeitung des Feldes
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 365
nach dem Weizen in dieser Wirtschaft ohne erhebliche Mehrkosten
ausgeführt werden könnten, so würde der WTeizenbau doch als das
Richtige erscheinen. Es dürften auch wirklich durch den Bestellungs-
und Ernteaufvvaud einige Mehrkosten für den Weizen gegenüber dem
Raps erwachsen und es würde dennoch bei 200 M. Differenz ein Vorteil
gegenüber dem Weizenbau verbleiben können.
Wie mit den Gespannarbeiten verhält es sich auch mit den Hand-
arbeiten. Durch einseitige Wirtschaftsbetriebe werden die Handarbeiten
auf manchen Zeiten zu sehr angehäuft und man muß einen vielseitigeren
WTirtschaftsbetrieb einrichten, um die Arbeiter stets nutzbringend be-
schäftigen zu können. Wenn z. B. in einer Wirtschaft Roggen und
Kartoffeln als rentabelste Früchte betrachtet werden müssen, so wird
doch etwa die Einführung von Kleebau als nötig erscheinen, um die
Arbeitskräfte zwischen Kartoffelbestellung und Roggenernte und anderer-
seits zwischen Roggenernte und Kartoffelernte durch den, in diese
Periode fallenden ersten und zweiten Kleeschnitt beschäftigen zu können.
Diese Verteilung der Arbeit ist also ein wesentlicher Hinderungs-
grund für Anwendung der wirtschaftlichen Arbeitsteilung in der Land-
wirtschaft. Es muß aber darauf aufmerksam gemacht werden, daß
doch mannigfaltige Einrichtungen zur Ueberwindung dieser Schwierig-
keiten existieren.
Um starke Gespannarbeiten in einzelnen Perioden zu überwinden,
können z. B. vorübergehende Ochsenhaltung, Annahme
von Mietfuhrwerk, Zuhilfenahme des Dampf pfluges,
Anlage von Feldeisenbahnen dienen.
Schwieriger wird der Ersatz menschlicher Arbeitskräfte in solchen
Hauptarbeitsperioden. Dazu dient ja einmal die Einrichtung der
Wanderarbeiter oder Sachsengänger. Dies ist jedoch ein sehr frag-
liches Mittel, denn gerade die Wanderarbeiter sind Elemente, die den
Geist der neueren sozialistischen Irrlehren, der Unzufriedenheit und
andere Unzuträglichkeiten in die ländliche Arbeiterbevölkerung hinein-
bringen. Eine ganze Reihe anderer Momente spricht gegen die ver-
mehrte Ausführung der Wanderarbeitereinrichtung und man wird gut
thun, so viel diese Einrichtung zu vermeiden, wie es möglich ist. Ganz
wird dies jedoch nicht der Fall sein. Jedenfalls wird für den Land-
wirt in pekuniärer Hinsicht auch bei höherer Löhnung der Wander-
arbeiter es zweckmäßig sein, für drängende Arbeitsperioden sich solche
zu beschaffen und auch für die Arbeiter kann dieses System, wenn
sie in der anderen Jahreszeit lohnenden Verdienst finden, recht vor-
teihaft sein.
Eine gewisse Verteilung der Arbeiten tritt auch bei einseitigem
Wirtschaftsbetrieb ein, wenn von den ausgewählten Kulturpflanzen ver-
schiedene Varietäten angebaut werden, deren Bestellung und
Erntezeit verschieden ist.
Ein oft genanntes Mittel zum Ersatz menschlicher Arbeitskräfte
während landwirtschaftlicher Hauptarbeitsperiode ist eine stärkere An-
wendung der Maschinenarbeit. In dieser Beziehung ist man in der
deutschen Landwirtschaft gegenüber England und besonders Amerika,
366 Backhaus,
wie jeder, der die Verhältnisse in diesen Ländern kennt, eingestehen
muß, sehr weit zurück. Man ist zum Teil zurück in dem Maschinen-
bau, indem man in Deutschland nicht so billige und zweckmäßige
Maschinen hat als z. B. in Amerika und man ist zurück in der Hand-
habung und der Verwendung der Maschinen, die zum Teil eine außer-
ordentlich große Ersparung an menschlichen Arbeitskräften erlauben 1).
Ein weiteres Mittel zur Ueberwindung dieser Schwierigkeit be-
steht in der Steigerung der Leistungsfähigkeit der vor-
handenen Arbeiter während der Hauptarbeitszeiten. Manchem
Landwirt wird dies unmöglich und derartige Empfehlung vielleicht
lächerlich erscheinen, aber es läßt sich dieselbe doch wohl realisieren.
In der Industrie werden auch bei besonders eiligen Bestellungen Ueber-
stunden gemacht. Der Regierungsbeamte oder der Gelehrte muß auch
zu manchen Zeiten das Zwei- und Dreifache seiner gewöhnlichen Arbeit
leisten. So läßt sich auch in der Landwirtschaft, insbesondere durch
vermehrte Anwendung von Accord- und Prämienlöhnung die Leistungs-
fähigkeit der Arbeiter ganz bedeutend für die drängenden Arbeits-
perioden steigern. Freilich darf eine derartige außerordentliche An-
strengung nicht während der weniger drängenden Arbeitszeit fort-
gesetzt werden, da sonst der Arbeiter bald erschlaffen würde. Wenn
aber der Arbeiter während der wichtigsten Arbeitszeit eine gute Leistung
ausführt, so sollte auch von Seiten der Landwirte nicht so übermäßig
Wert darauf gelegt werden, daß sie in anderen Zeiten immer nutz-
bringend beschäftigt werden. Gerade durch solche fortwährende ängst-
lich überwachte Thätigkeit wird der Arbeiter schließlich abgestumpft
und verliert die Lust, wenn es nötig ist, auch einmal mehr zu leisten.
Für Einseitigkeit in der Viehhaltung besteht eine Schwierigkeit
darin, daß die Viehhaltung sehr oft dazu dienen muß, Abfälle und
Nebenprodukte aller Art zu verwerten und deshalb eine vielseitige
Viehhaltung erwünscht ist. So erscheint sehr oft Schweinehaltung als
notwendig, um die Abfälle der Hauswirtschaft zu verwerten, Schaf-
haltung um die Stoppelweide im Herbst auszunutzen u. s. w. Es ist
aber zu sagen, daß hier auch vielfach falsche Kalkulation zu Grunde
gelegt wird, indem sehr oft besser derartige Abfälle und Nebenprodukte
verderben würden, als mit einer unzweckmäßigen Viehhaltung dadurch
den Landwirtschaftsbetrieb zu beschweren; auch können solche Ab-
fälle vielfach anderweitig verwertet werden.
Die Lehre Roschers 2), daß die Grenze der Arbeitsteilung von der
Ausdehnung des Markts bedingt sei, findet auch in der Land-
wirtschaft ihre Bestätigung. Es kann deshalb die Arbeitsteilung in
der Landwirtschaft nur Platz greifen, wenn ein guter Markt für die
Landwirtschaftsprodukte vorhanden ist und wenn auch ein regerer Aus-
tausch der Produkte zwischen den einzelnen Landwirtschaftsbetrieben
möglich ist. Das letztere trifft für kleinere Distrikte auf keine
1) Vergl. Backhaus , Landwirtsch. aus Chicago u. Am. Hannov. land- und forst-
wirtsch. Zeitg. 1893, No. 38 u. 46.
2) Röscher, Grundlage d. Nation.-Oekon., Stuttgart 1883, S. 130.
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaff. 367
Schwierigkeiten, während eine Arbeitsteilung der Landwirtschaft in
größeren Ländergebieten nur dann möglich ist, wenn ein gutes Trans-
portwesen den Austausch zwischen den einzelnen Landgütern und
auch die Ueberführuug von landwirtschaftlichen Produkten nach Städten
und Industriebezirken ermöglicht. Gerade das schlecht entwickelte
Transportwesen früherer Zeiten war ja die Ursache , daß nur Haus-
wirtschaft betrieben werden konnte, daß man sogar versuchte, in Elbinge-
rode am Harz Weinbau zu betreiben u. dergl. m. Aber die Zeiten
haben sich geändert und das Transportwesen hat unglaublichen Auf-
schwung genommen. — Es dürfte am Platze sein, einige Angaben
Engels1) hierüber anzuführen.
Vergleicht man die Eisenbahntarifsätze von 1878, 1863, 1848 mit
den Kosten der Wagenförderung auf der Landstraße vor Einführung
der Eisenbahn im Jahre 1836, so ergiebt sich ein Verhältnis
der Tarifsätze 1878 1863 1848 1836
wie I : 1,85 : 9 4 : 33,3
Engel berechnet, daß im Jahre 1844 — 1878 in Preußen durch die
Eisenbahn und zwar einmal durch die billige Beförderung von Personen
und Gütern und dann durch Zeitgewinn ein Gewinn für die Nation
von 20317 Mill. Mk. entstanden sei. Der Eisenbahnverkehr zwischen
Dresden und Leipzig, von dem die einsichtigen Begründer der betreffen-
den Eisenbahnlinie schüchtern anführten, daß er sich einmal verdoppeln
könne, hat sich bis zum Jahre 1878 um das 42-fache vermehrt. Ja
sogar der Frachtsatz der Ozeandampfer beispielsweise für Getreide
von New- York nach Liverpool hat sich von 6,'20 — 10,56 penc. in den
70er Jahren bis auf 2,90 penc. im Jahre 1892 pro Bushel Weizen
reduziert 2).
Die Industrie hat von derartigen riesigen Fortschritten des Ver-
kehrs reichlich Anwendung gemacht. Dort wird z. B. die Baumwolle
aus Indien nach Manchester gefahren, dort versponnen, das Garn an
einem anderen Platz gefärbt, wieder an einem anderen Platz gewoben,
worauf Appretur und weitere Verarbeitung zu Kleidungsstücken wie-
der an anderen Orten stattfindet. Eisenerze gewinnt man in Spanien,
unterwirft sie dem Hochofenprozeß am Rhein, verwandelt das Roh-
eisen in den Besseraer Stahlwerken in Essen zu Stahl, der dann in
verschiedenen anderen Orten noch weiter verarbeitet wird. Es dürfte
also an der Zeit sein, daß die Landwirtschaft mehr wie seither von
der Verbesserung des Transportwesens Gebrauch macht und es dürfte
die Verkehrssteigerung, die bei einer vermehrten Anwendung der Ar-
beitsteilung in der Landwirtschaft stattfindet, eine ganz enorme wer-
den können. Andererseits ist auch wohl denkbar, daß wie in der
seitherigen Weise auch weiter eine Vervollkommnung des Transport-
wesens stattfindet und dadurch die Anwendung der Arbeitsteilung
in der Landwirtschaft erleichtert wird. Daß z. B. Deutschland gegen
Amerika in dem Eisenbahnwesen in vieler Beziehung weit zurück ist,
1) Engel, Das Zeitalter d. Dampfes, Berlin 1880, S. 157, 163, 168.
2) Report of the secretary of Agriculture, Washington 1893, S. 470.
368 Backhaus,
steht außer Frage. Der Busbel Weizen, der im Jahre 1870 von
Chicago nach New- York noch für 30 Cents gefahren wurde, wurde im
Jahre 1892 zu 14,25 Cents verfrachtet. Die Fracht pro Tonne be-
rechnet sich danach auf 22,05 M., während nach dem preußischen
Eisenbahntarif und zwar nach dem billigsten Spezialtarif Nr. 3 zu
2,6 Pf: pro Tonne und km und 1,20 M. Speditionsgebühr die Fracht
betragen würde 40,94 M. Die Vorkehrungen der amerikanischen
Eisenbahnen für Viehtransport, Gemüse-, Obst- und Milchversendungen
sind viel besser als die in Deutschland. Die Sorge der Eisenbahnen
um die Hebung des Verkehrs ersieht man z. B. aus dem Umstand,
daß von Eisenbahngesellschaften große Elevatoren eingerichtet werden
u. a. m.
Wie weit läßt sich die Arbeitsteilung in der Landwirt-
schaft durchführen?
Aus der historischen Betrachtung der Entwickelung der Arbeits-
teilung in der Landwirtschaft und nach dem im letzten Abschnitt be-
rührten Grundsatze, daß die Arbeitsteilung in den transportabelsten
Produkten am leichtesten durchzuführen ist, kann man die Lehre auf-
stellen, daß die Arbeitsteilung sich zunächst in den landwirtschaft-
technischen Gewerben entwickelt, dann in Bezug auf die Viehzucht
und zuletzt erst für den reinen Ackerbau. Dies giebt Fingerzeige für
den praktischen Landwirt, wo er mit Einführung des arbeitsteiligen
Betriebes zunächst den Hebel anzusetzen hat. In erster Linie ist sich
zu fragen, ob vorhandene technische Gewerbe am richtigen Platze
sind oder nicht, um event. sie ganz wegfallen zu lassen oder zu ver-
größern, damit sie der Konkurrenz gewachsen sind, denn diese tech-
nischen Gewerbe können eben nur dort bestehen, wo die Vorbedingungen
günstig sind; sie müssen mit Nachteil arbeiten, wo sie es nicht sind
und können auch in letzteren Fällen durch den leicht möglichen Trans-
port ihrer Produkte entbehrt werden. Es sind auch im allgemeinen
bei ihnen die Großbetriebe den Kleinbetrieben überlegen.
In zweiter Linie ist eine Vereinfachung des Landwirtschaftsbe-
triebes in der Viehzucht am leichtesten möglich und der Landwirt
thut wohl, unter den hunderterlei verschieden möglichen Einrichtungen
der Viehhaltung in Hinsicht auf die Art der Haustiere, die Nutzung
derselben und Kombination verschiedener Nutzungen und verschiedener
Haustierhaltungen mit einander sich diejenigen auszuwählen, welche
den natürlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des betreffenden
Gutes am besten entsprechen, wobei nach den früher erwähnten Ge-
sichtspunkten eine möglichste Vereinfachung vorzunehmen ist und nur
diejenigen Zweige zu wählen sind, die unumgänglich beibehalten werden
müssen.
An den Ackerbau kann man erst in letzter Instanz an vermehrter
Anwendung der, Arbeitsteilung denken und zwar kann auch innerhalb
des Ackerbaues eine Stufenleiter aufgestellt werden, nach welcher die
Durchführung der Arbeitsteilung möglich ist.
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 369
Am ehesten durchführbar ist die Arbeitsteilung in dem Handels-
gewächsbau, worunter die Kultur von PflanzeD, die in den Fabriken
weiter verarbeitet werden als Zuckerrüben, Kartofleln, Cichorien, dann
auch Pflanzen wie Hopfen, Wein, Oelfrüchte, ferner Feldgärtnerei,
Gemüsebau, Samenbau etc. zu verstehen ist.
Für die meisten dieser Früchte ist es entschieden ein Vorteil,
falls sie überhaupt zum Anbau kommen, daß sie auch gleich auf einer
größeren Fläche des vorhandenen Kulturlandes angebaut werden. Es
ist auch möglich, auf eine oder mehrere dieser Pflanzen oder dieser
Kulturen (z. B. Gemüsebau) sich hauptsächlich zu werfen, während
andere Landwirtschaftsbetriebe wieder gänzlich deren Kultur aufgeben,
kurz also wirtschaftliche Arbeitsteilung hierin möglichst auszuführen.
In diesem Handelsgewächsbau muß auch dem deutschen bäuer-
lichen Landwirt zur Zeit ein besonders zu beachtender Kulturzweig
genannt werden, da es gerade in diesen Kulturen eines vermehrten Ar-
beitsaufwandes bedarf, der bäuerliche Wirt aber in der Beschaffung
der nötigen Arbeitskräfte so immense Vorteile gegenüber dem Groß-
landwirt besitzt und auch durch derartige Kulturen der Kleinbe-
trieb zum Großbetrieb nach Verhältnis des aufgewendeten Kapitals,
der Arbeit und der Produktion umgewandelt werden kann. Es dürften
auch die im bäuerlichen Betrieb sehr oft vorhandenen überflüssigen
Arbeitskräfte, die aber z. B. als Mitglieder der Familie nicht zum
Verlassen des Hauses sich entschließen können, durch Hackfruchtbau,
Feldgärtnerei, Gemüsekultur und den hierzu nötigen Meliorationen
als Drainage, Bewässerung, Rajolen etc. vorteilhafter ausgenutzt werden,
als wenn z. B. die betreffenden Arbeitskräfte mit der Sichel das Ge-
treide abschneiden, in der Heuernte sich 3mal mehr Arbeit machen
als nötig ist und viele Arbeiten ausführen, die weit billiger und besser
durch Maschinen geleistet würden. Allerdings erlangt derartige Kultur
wie Gemüsebau eine gewisse Energie und kaufmännische Routine. Es
ist dazu unumgänglich nötig, daß der Gemüsebau von vielen Land-
wirten ausgeführt wird, große Mengen vorzüglichen und gleichartigen
Gemüses erzeugt werden, wobei dann, wenn Frischverkauf nicht mög-
lich ist, durch Konserve- und Präservefabriken eine Verwertung mög-
lich ist. Das Gleiche gilt vom Obstbau, der überhaupt als zweck-
mäßige Ergänzung des Gemüsebaues zu betrachten ist, ebenso Beeren-
obstkultur. Die Anfänge solcher Unternehmungen sind in Deutschland
vielfach gemacht.
Nach dem Handelsfruchtbau läßt sich die wirtschaftliche Arbeits-
teilung am stärksten auf den Getreidebau anwenden. Hier aber
machen schon die Ansprüche der Fruchtfolge und der Arbeitsüber-
windung eine Wahl mehrerer Getreidearten und einen Wechsel mit
Handelsfrüchten oder Futterpflanzen nötig. Sowie aber bei Getreide-
bau und Handelsfruchtbau auch Futterstoffe für Viehhaltung in der
eigenen Wirtschaft gewonnen werden und erst recht bei Futterbau
auf dem Ackerland, erscheint eine etwas vielseitigere Auswahl von
Futterpflanzen nötig, um eine möglichst gleichmäßige Futterproduktion
durchzusetzen.
Dritte Folge Bd. VB1 (LXHI). 24
370 Backhaus,
Auch in Verbindung der genannten Hauptzweige der Landwirt-
schaft kann eine Arbeitsteilung eintreten, insbesondere in der Ver-
bindung von Ackerbau und Viehzucht. Es hat sich der viehlose Be-
trieb auf leichtem wie schwerem Boden nach den bisherigen Er-
fahrungen als vollständig durchführbar erwiesen und es kann recht
zweckmäßig sein, wenn auf diese Weise von einzelnen Landwirten nur
Ackerbau betrieben wird und dadurch neben Getreide und Handels-
gewächsen auch Futtermittel produziert werden, die anderen Land-
wirten wieder eine vermehrte Viehhaltung und Viehzucht ermöglichen.
Freilich wird für den viehlosen Betrieb immer nur eine vereinzelte
Anwendung möglich sein, aber jedenfalls eine sehr viel stärkere wie
seither, wie es auch durch die stete Zunahme viehloser Betriebe er-
wiesen ist.
Fragen wir uns nun, nach welchen Prinzipien und Unterschei-
dungen die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft auszuführen ist, so
ist zu bemerken:
1) Nach den verschiedenen natürlichen Verhältnissen, in erster
Linie Klima, in zweiter Linie Boden. Es hat also die Arbeitsteilung
zwischen verschiedenen Klimaten und zwischen verschiedenen Boden-
verhältnissen hauptsächlich zu erfolgen.
2) Nach örtlichen Verhältnissen. Wenn auch nach der seither
erfolgten Entwickelung des Transportwesens die Entfernung von dem
Markte auf die Organisation der Landwirtschaft nicht von dem Ein-
fluß ist, wie es v. Thünen in dem „Isolierten Staat" darzustellen ver-
suchte, so sind doch die Entfernungen von dem Markte für die Or-
ganisation immerhin von Einfluß und es hat eben die Arbeitsteilung
so sich zu gestalten, daß die voluminöseren Produkte in der Nähe des
Marktes, die konzentrierteren in ferneren Gegenden produziert
werden.
3) Nach wirtschaftlichen Verhältnissen. Hier sind anzuführen
die schon im vorhergehenden Abschnitt angedeuteten Einflüsse als
Zwischenhandel, Transportwesen und namentlich noch eine Beziehung,
die seither nicht erörtert wurde, nämlich eine Arbeitsteilung zwischen
Groß- und Kleinbetrieb. Es kann von außerordentlich förderndem
Einfluß sein, wenn Groß- und Kleinbetrieb Hand in Hand gehen und
die Vorteile beider sich so treffend ergänzen, die Nachteile reduziert
werden. Eine solche Verteilung der Arbeit kann z. B. in Bezug auf
Ackerbau und Viehzucht stattfinden. Der Großbetrieb ist in der Lage,
durch Verwendung von Dampfpflug, schweren Arbeitspferden und vor-
züglichen Pflügen besser Tiefkultur zu betreiben wie der Kleinland-
wirt. Drillsaat, Maschinenhacken, Maschinenernte, Verwendung von
Kunstdünger läßt sich auf den großen Feldstücken des Großbetriebes
ebenfalls besser durchführen ; Beschaffung von besserem Saatgut ist
leichter möglich ; kurz, der Ackerbau hat in dem Großbetrieb mancherlei
Vorteile gegenüber dem Kleinbetrieb, namentlich in der Kultur von
Früchten, die weniger Handarbeit beanspruchen, als Getreide und
Futter. Hingegen hat in der Viehhaltung, insbesondere in den Zweigen,
die eine sehr sorgfältige Pflege erfordern, der Kleinlandwirt vieles
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 371
voraus. Z. B. in einem Viehzuchtszweig wie Kuhhaltung mit Milch-
wirtschaft, event. auch mit Zucht, wo aller Erfolg so von der sorg-
fältigen Pflege, von der peinlichen Fütterung, dem guten Melken,
Futterzubereitung abhängt, muß der Kleinlaudwirt, der die Arbeiten
selbst ausführt, dem Großlandwirt überlegen sein. Da ist denn recht
empfehlenswert, wenn ein Zusammenwirken stattfindet, indem der
Großlandwirt das von ihm erzeugte Futter an den Kleinlandwirt ver-
kauft. Ein jeder kann sich bei diesem Modus recht gut stehen. Auch
innerhalb der Viehzucht erscheint eine Arbeitsteilung zwischen Groß-
und Kleinbetrieb vorteilhaft und wird auch in manchen Gegenden so
gehandhabt, indem z. B. der Großlandwirt, dem es für seinen großen
Viehstand leichter möglieb ist, gute Zuchttiere zu beschaffen als dem
Kleinlandwirt, hauptsächlich Zuchttiere, weibliche und männliche hält,
die fallenden jungen Tiere an den Kleinlandwirt verkauft, der nun
die, viele Arbeit und Sorgfalt erfordernde Aufzucht in die Hand nimmt,
worauf die aufgezogenen Tiere wieder von dem Großlandwirt ange-
kauft werden, denn dieser braucht sie zur Ergänzung seines Vieh-
standes und kann auch den Absatz infolge seines größeren Bestandes
und seines größeren Betriebes besser handhaben als der Kleinlandwirt.
Zwar kann der bäuerliche Wirt alle diese Vorteile des Großbetriebes
durch die Association erlangen, aber dieser stellen sich vielfach
mancherlei Hindernisse entgegen.
4) Schließlich sind auch verschiedener Besitz an Kapital, an Ar-
beitskräften und an Intelligenz des Betriebsleiters Momente, die
zweckmäßig zu einer Anwendung der Arbeitsteilung führen.
Wie ist das Verhältnis der wir tschaf tlichen Arbeits-
teilung zu dem für die Landwirtschaft aufgestellten
Wirtschaftssysteme?
Daraufhin ist zu bemerken, daß in allen Wirtschaftssystemen die
wirtschaftliche Arbeitsteilung in mehr oder wenig starker Ausdehnung
angewandt werden kann, allerdings in den intensiveren Systemen mehr
als in anderen. Es dürfte aber gerade durch eine stärkere Aus-
dehnung der wirtschaftlichen Arbeitsteilung in der Landwirtschaft die
ganze bis jetzt aufgestellte Ordnung der Wirtschaftssysteme umge-
staltet werden. Es hält sehr oft außerordentlich schwer, einen
Wirtschaftsbetrieb in eines der bis jetzt bestehenden Wirtschafts-
systeme einzureihen, und es dürfte doch angebracht sein, ein Wirt-
schaftssystem, welches als das vollkommenste hingestellt wird, welches
aber eigentlich gar kein System ist, nämlich das freie Wirtschafts-
system, bei dem mit dem Wort frei gerade so viel Unfug getrieben
wird, als mit dem Wort liberal in der Politik, etwas genauer zu
systematisieren. Es erscheint da eine Einteilung und Bezeichnung
nach Art der Produktionsrichtung, wie dies in der Industrie beispiels-
weise üblich ist und auch von der amerikanischen Landwirtschaft oben
schon geschildert wurde, also Bezeichnung nach Zuckerrüben wirt-
schaften, Getreidewirtschaften, Rindviehzuchtbetrieben, Milchwirtschafts-
24*
372 Backhaus,
betrieben oder Zuckerrüben-, Weizen- und Milchwirtschaftsbetrieben etc.
ganz zweckmäßig sein.
Aufgabe von Privaten, Korporationen und Staat in
Bezug auf Durchführung der landwirtschaftlichen Ar-
beitsteilung.
Von den vielen Aufgaben, die behufs vermehrter Anwendung der
Arbeitsteilung in der Landwirtschaft auszuführen sind, lasten die
meisten auf dem landwirtschaftlichen Unternehmer selbst. Der deutsche
Landwirt sei daran erinnert, daß nach dieser Richtung hin ein großes Feld
der Thätigkeit sich für ihn bietet und daß in Anwendung der Arbeits-
teilung außerordentlich viel zur Hebung des Landwirtschaftsbetriebes
liegen dürfte. Er kann in dieser Beziehung von seinen amerikanischen
Kollegen manches lernen. Der deutsche Landwirt ist ein sorgfältiger
Ackerbauer, guter Viehzüchter und fleißiger Wirt, aber der ameri-
kanische ist mehr rechnender, spekulativer Kaufmann und namentlich
letzteres dürfte dem deutschen Landwirt zur Nachahmung sehr em-
pfohlen sein. Wie leicht sich der Deutsche nach dieser Richtung hin
verändern kann , ersieht man an den in Amerika eingewanderten
Deutschen. Es ist interessant, in Amerika zu beobachten, wie deutsche
Bauern, die doch von Jahrhunderten her durch ihren starren Konser-
vatismus bekannt sind, in der neuen Welt in ganz kurzer Zeit
entsprechend den sie umgebenden gänzlich veränderten Verhältnissen
ebenfalls sich umändern, recht tüchtige Geschäftsleute und intelligente
rechnende Spekulanten werden.
Wie nützlich aber ein solcher Uebergang vom einfachen Hauswirt
zum landwirtschaftlichen Industriellen oder landwirtschaftlichen Kauf-
mann ist, beweist ja der Umstand, daß der amerikanische Farmer
bei doppelt so hohen Arbeitslöhnen als in Deutschland, bei durchaus
nicht besserem Boden, viel geringerer Ernte, ganz bedeutend geringe-
ren Preisen der Produkte, die oft nur die Hälfte der bei uns üblichen
Preise erreichen, mit unseren Landwirten zu konkurrieren vermögen.
Freilich wurde und wird noch in sehr vielen Teilen Amerikas rück-
sichtsloser Raubbau betrieben, aber immer mehr geht man auch dort
zur Ersatzwirtschaft über.
In Deutschland sollte doch bei viel höheren Preisen der Produkte,
bei geringerer Entfernung zum Markt eine vermehrte Anwendung
der Arbeitsteilung viel weniger Schwierigkeiten bieten als in Amerika.
Nicht nur in wirtschaftlicher Beziehung und in der Organisation
seines Betriebes ist aber eine größere Rührigkeit für den deutschen
Landwirt erforderlich, um eine segenbringende Arbeitsteilung in seinem
Berufszweige mehr zu ermöglichen, sondern auch eine Verfolgung aller
technischen Fortschritte und Errungenschaften, um die mancherlei
Schwierigkeiten, die sich nach den obigen Ausführungen der Durch-
führung eines einseitigeren Betriebes, namentlich in Bezug auf den
Ackerbau, in Düngung, Bestellung, Pflege und Ernte der Kultur-
pflanzen entgegenstellen, zu überwinden.
Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft. 373
In vielen Beziehungen ist jedoch der einzelne Landwirt machtlos,
um nach der mehrerwähnten Richtung hin eine wünschenswerte Ver-
besserung durchzuführen. Es bieten sich zunächst da mancherlei
Aufgaben für Korporationen und Associationen. Wir sahen, daß die Ar-
beitsteilung erst dann gute Früchte trägt, wenn in größeren Distrikten
von den Landwirten bestimmte Produktionsrichtungen eingeschlagen
werden. Es ist also nötig, daß ein genossenschaftlicher Zusammen-
schluß stattfindet, damit Vereinbarungen über die auszuführenden
Kulturen getroffen werden und namentlich dann auf genossenschaftlichem
Wege die Verwertung der landwirtschaftlichen Produkte in die Hand
genommen wird. Es sind nach verschiedener Richtung hin dazu be-
bereits Anläufe in Deutschland gemacht, aber die ganze Sache steckt
doch noch in den Kinderschuhen, während man in anderen Ländern
in Bezug auf den genossenschaftlichen Absatz und Verwertung land-
wirtschaftlicher Produkte in mancher Beziehung bessere Einrichtungen
bereits geschaffen hat. Nach verschiedensten Richtungen hin existieren
in dieser Beziehung Genossenschaften, z. B. Saatgutzucht- Konserven-
bereitungs-, Müllerei-, Schlacht-, Viehverkaufs-, Molkerei-, Obstverwer-
tungs-, Sauerkrautbereitungsgenossenschaften u. a. m.
Für den Staat bleiben jedoch auch mancherlei Aufgaben übrig,
die durch Private und Associationen nicht erreicht werden können.
Wir sahen, daß Voraussetzungen für eine stärkere Arbeitsteilung in
der Landwirtschaft ein sehr reger Handel ist und es erscheint deshalb
gerade bei unseren bäuerlichen Verhältnissen zweckmäßig, wenn der
unbehilfliche, wirtschaftlich schwache Bauersmann vor betrügerischem
Zwischenhandel geschützt wird, was bis zu einer höheren Intelligenz
unserer bäuerlichen Bevölkerung nur durch gesetzliches Eingreifen
geschehen kann. Gar manche Auswüchse des Geschäftslebens sind
entstanden und entstehen immer noch, die nur durch staatliches Ein-
greifen bekämpft werden können.
Weiterhin ist es das Transportwesen, welches als eine ganz not-
wendige Voraussetzung einer stärkeren Arbeitsteilung angesehen
werden muß und dessen Förderung ja in Deutschland auch haupt-
sächlich dem Staat untersteht, dessen Hebung aber, wie oben gezeigt
wurde, recht wünschenswert ist.
R e s u m 6.
1) Die Arbeitsteilung in Anwendung auf die Landwirtschaft ist
hauptsächlich von Bedeutung in der Gliederung in verschiedene Pro-
duktionsrichtungen (wirtschaftliche Arbeitsteilung). Dadurch wird auch
eine Teilung der einzelnen Arbeiten (technische Arbeitsteilung) ge-
fördert, doch kann diese immerhin nur in geringem Maße durchgeführt
werden.
2) Eine historische Studie zeigt, daß trotz eines stärkeren Haus-
wirtschaftsbetriebes in früherer Zeit der Landwirtschaftsbetrieb heute
im allgemeinen viel komplizierter ist, also die Arbeitsteilung nicht
mit der Vermehrung der Bedürfnisse und der dadurch verursachten
374 Backhaus. Die Arbeitsteilung in der Landwirtschaft.
Vermehrung landwirtschaftlicher Produktionszweige Schritt gehal-
ten hat.
3) Man muß den deutschen Landwirten den Vorwurf machen,
daß sie die gewaltigen Fortschritte des Transportwesens und der
Technik des Landbaues nicht genügend nach der Richtung ausgenutzt,
daß sie ihre Betriebe vereinfachten und von einem unrationell gewor-
denen Hauswirtschaftsbetrieb sich mehr emanzipierten.
4) Zahlreiche Beispiele aus Deutschland und namentlich auch aus
England und Nordamerika zeigen, daß in der Landwirtschaft eine
weitgehende Arbeitsteilung möglich ist und zwar in den landwirt-
schaftlichen Gewerben, Viehzucht, Ackerbau als auch Hilfszweigen der
Landwirtschaft, sogar, jedoch in geringerem Grade, auch in den ein-
zelnen landwirtschaftlichen Arbeiten.
5) Durch die Anwendung der wirtschaftlichen Arbeitsteilung in
der Landwirtschaft ergeben sich eine ganze Reihe solch bedeutende
Vorteile, daß man hierin ein Förderungsmittel allerersten Ranges zur
Hebung des landwirtschaftlichen Gewerbes erblicken muß.
6) Schwierigkeiten natürlicher und wirtschaftlicher Art setzen
allerdings der landwirtschaftlichen Arbeitsteilung eine bestimmte
Grenze, doch ist recht wohl eine Ueberwindung vieler Schwierigkeiten
zum Teil möglich, zum Teil durch die Fortschritte in der landwirt-
schaftlichen Technik und in dem Wirtschaftsleben zu erwarten.
7) Die Durchführung einer höheren landwirtschaftlichen Arbeits-
teilung, also einseitigere Produktion, läßt sich zunächst ermöglichen
bei den landwirtschaftlichen technischen Gewerben, dann der Vieh-
zucht, dem Handelsgewächsbau, sodann im Getreidebau und erst in
letzter Linie bei dem Futterbau. Die Arbeitsscheidung ist haupt-
sächlich auszuführen zwischen Orten mit verschiedenem Klima und
verschiedenen Bodenverhältnissen, zwischen Wirtschaften mit ver-
schiedenen Absatzverhältnissen, zwischen Groß- und Kleinbetrieb und
Betrieben mit verschiedenem Besitz an Kapital, Arbeitskräften und
Intelligenz des Leiters.
8) Wenn auch die wichtigsten Aufgaben zwecks Durchführung
einer höheren Arbeitsteilung für den einzelnen Landwirt erwachsen,
so lassen sich doch manche notwendigen Hilfsmittel nur durch Asso-
ciation (Verwertung landwirtschaftlichen Produkte) und durch den Staat
(Verbesserung des Zwischenhandels, Hebung des Transportwesens) er-
möglichen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 375
Nationalökonomische Gesetzgebung.
IV.
Die zweite Lesung des Entwurfes eines Bürgerlichen Ge-
setzbuches für das Deutsche Reich.
(Fortsetzung) 1).
Von Amtsrichter Greiff.
XXX.
In dem von den Eheverträgen handelnden dritten Titel blieben
die allgemeinen Vorschriften der §§ 1333 — 1337 im wesentlichen
Vorläufige Zusammenstellung der Kommissionsbeschlüsse. (Fortsetzung.)
II. Vertragsmäfsiges Güterrecht.
1. Allgemeine Vorschriften.
§ 1333. (1333, 1338.) Die Ehegatten können ihre güterrechtlichen Verhältnisse
durch Vertrag regeln , insbesondere auch nach der Eingehung der Ehe den Güterstand
durch Vertrag aufheben oder ändern (Ehevertrag).
Wird durch Ehevertrag die Verwaltung und Nutzniefsung des Mannes ohne Verein-
barung eines anderen Güterstandes ausgeschlossen, so gilt Gütertrennung als vereinbart.
§ 1334. Der Güterstand kann nicht durch Verweisung auf ein nicht mehr geltendes
oder auf ein ausländisches Gesetz bestimmt werden.
Hat der Mann zur Zeit der Eingehung der Ehe oder, falls der Vertrag nach der
Eingehung der Ehe geschlossen wird , zur Zeit des Vertragsabschlusses seinen Wohnsitz
im Auslande, so ist die Verweisung auf ein an diesem Wohnsitze geltendes Güterrecht
zulässig.
§ 1335. Der Ehevertrag bedarf der gerichtlichen oder notariellen Form.
§ 1336. (1336, 1337.) Wird durch Ehevertrag die Verwaltung und Nutzniefsung
des Mannes aufgehoben oder geändert, so können Einwendungen aus der Aufhebung oder
der Aenderung gegen ein zwischen einem Dritten und einem Ehegatten vorgenommenes
Rechtsgeschäft oder gegen ein zwischen ihnen ergangenes rechtskräftiges Urteil dem
Dritten gegenüber nur geltend gemacht werden, wenn die Aufhebung oder die Aende-
rung zur Zeit der Vornahme des Rechtsgeschäfts oder zur Zeit des Eintritts der Rechts-
hängigkeit im Güterrechtsregister eingetragen oder dem Dritten bekannt war.
Das Gleiche gilt, wenn eine im Güterrechtsregister eingetragene Regelung des Güter-
verhältnisses aufgehoben oder geändert wird.
§ 1337 vergl. § 1336.
1) Vergl. S. 232.
376 Nationalökonomische Gesetzgebung.
unverändert. Die Mehrheit lehnte es namentlich ab , den Abschlufs von
Eheverträgen nach Eingehung der Ehe auszuschliefsen oder für solche
Eheverträge die Abschliefsung vor Gericht oder Notar vorzuschreiben oder
endlich zu gestatten, dafs die Eheschliefsenden durch eine vor dem Standes-
beamten abzugebende Erklärung sich einem der im Gesetzbuch geordneten
vertragsmäfsigen Güterstände unterwerfen. Der Abs. 2 des § 1335 wurde
als entbehrlich gestrichen. Die den zweiten Unterabschnitt bildenden Be-
stimmungen der §§ 1338 — 1340 über die Trennung der Güter waren,
abgesehen von dem sachlich nicht beanstandeten § 1338, bereits früher
erledigt.
Als zweiten vertragsmäfsigen Güterstand regeln die §§ 1341 ff. die all-
gemeine Gütergemeinschaft. Während nach dem Entwurf der auf
die Einführung dieses Güterstandes gerichtete Vertrag, falls einer der Vertrag-
sehliefsenden in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, sowohl von diesem
selbst mit Zustimmung seines gesetzlichen "Vertreters als auch in seinem
Namen von dem gesetzlichen Vertreter abgeschlossen werden kann, be-
schlofs die Kommission zur Vermeidung von Kollusionen des Vertreters
mit dem anderen Vertragschliefsenden, die letztere Art des Vertragschlusses
nicht zuzulassen. Das im § 1341 Abs. 2 aufgestellte Erfordernis vor-
mundschaftsgerichtlicher Genehmigung des Vertrages wurde nur für die
Fälle beibehalten, in denen der nicht voll geschäftsfähige Teil unter Vor-
mundschaft, nicht für diejenigen, in denen er unter elterlicher Gewalt
steht, weil es in den letzteren Fällen mit der Stellung des Inhabers der
elterlichen Gewalt nicht vereinbar erschien. Die Bestimmungen der
§§ 1342 — 1345 über die Entstehung des Gesamtguts und das bezüglich des-
§ 1338 vergl. § 1333 Abs. 2.
§ 1339 Abs. 1—3 vergl. %m*, Abs. 4, 5 vergl. §n*.
Anmerkung. Gemeint sind hier und im folgenden die Vorschriften des gesetz-
lichen Güterrechts.
§ 1340 vergl. § 1281c.
2. Allgemeine Gütergemeinschaft.
§ 1341. Ein Ehevertrag, durch welchen die allgemeine Gütergemeinschaft verein-
bart wird, kann nicht durch den gesetzlichen Vertreter eines Minderjährigen , sondern
nur von dem Minderjährigen unter Zustimmung des Vertreters geschlossen werden. Das
Gleiche gilt für einen Volljährigen, der in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist.
Steht die gesetzliche Vertretung einem Vormunde zu, so ist die Genehmigung des
Vormundschaftsgerichts erforderlich.
§ 1342. (1342, 1343.) Das Vermögen des Mannes und das Vermögen der Frau
werden durch die allgemeine Gütergemeinschaft gemeinschaftliches Vermögen beider Ehe-
gatten (Gesamtgut). Zu dem Gesamtgute gehört auch das Vermögen, welches der Mann
oder die Frau während der Dauer der Gütergemeinschaft erwirbt.
Die einzelnen Vermögensgegenstände werden gemeinschaftlich, ohne dafs es einer
Uebertragung bedarf. Dies gilt auch von solchen Gegenständen, zu deren Uebertragung
die Eintragung in das Grundbuch erforderlich ist; jeder Ehegatte kann die Berichtigung
des Grundbuchs verlangen.
§ 1343 vergl. § 1342.
§ 1344. (1344, 1345.) Die Ehegatten können nicht über ihre Anteile an dem
Gesamtgut und an den einzelnen dazu gehörenden Gegenständen verfügen ; keiner der
Ehegatten ist berechtigt, Teilung zu verlangen.
Gegen eine zum Gesamtgute gehörende Forderung kann der Schuldner nur eine
Nationalökonomische Gesetzgebung. 377
selben bestehende Rechtsverhältnis wurden mit den früher beschlossenen
Vorschriften über das Gesellschaftsvermögen und die Gemeinschaft in Ein-
klang gebracht. Von den folgenden auf das Vorbehaltsgut bezüglichen Be-
stimmungen wurde, entsprechend den zu den §§ 1288, 1291 gefafsten Be-
schlüssen, der § 1348 gestrichen, der § 1350 geändert. Als eine zweite
Art von nicht zum Gesamtgut gehörendem Vermögen der Ehegatten kennt
der Entwurf neben dem Vorbehaltsgut das sog. Sondergut, d. i. solches Ver-
mögen, welches für Rechnung des Gesamtguts in der Weise verwaltet
wird, dafs die Nutzungen zu dem Gesamtgut in demselben Umfange ge-
hören, in welchem bei dem gesetzlichen ehelichen Güterstande die Nutz-
ungen des Eheguts dem Ehemann gehören. Sondergut sind nach § 1351
zunächst die durch Rechtsgeschäft nicht übertragbaren, einem Ehegatten
gehörenden Gegenstände (z. B. Lehen, Familienfidcikommisse) ; aufserdem
aber kann Sondergut willkürlich geschaffen werden durch Ehevertrag und
bezüglich der von einem Dritten zugewendeten Gegenstände durch Be-
stimmung des Dritten; endlich sollen die gemäfs § 1414 an die Stelle von
Sondergutsgegenständen tretenden Vermögensbestandteile wieder Sondergut
werden. Die Mehrheit beschlofs, die für das Sondergut des Entwurfs
kennzeichnende rechtliche Gestaltung nur bezüglich der rechtsgeschäftlich
nicht übertragbaren Gegenstände auszusprechen, die gemäfs § 1411 an
die Stelle solcher Gegenstände tretenden Ersatzstücke aber, sofern sie nicht
solche Forderung aufrechnen , deren Berichtigung aus dem Gesamtgute verlangt werden
kann.
Anmerkung. Im Art. 11 des Entwurfes des Einführungsgesetzes soll zum teil-
weisen Ersätze des § 1345 Abs. 1, des § 1373 Abs. 1 Satz 1, des § 1397 Abs. 1, des
§ 1406 Abs. 1, 3, des § 1417, des § 1429 Abs. 1 und des § 1431 Abs. 1 des Entw. I
folgende Vorschrift in die Civilprozefsordnung als § 754 a eingestellt werden :
Bei dem Güterstande der allgemeinen Gütergemeinschaft, der Errungenschaftsge-
meinschaft sowie der Fahrnisgemeinschaft ist der Anteil eines der Ehegatten an dem
Gesamtgut und an den einzelnen dazugehörenden Gegenständen der Zwangsvollstreckung
nicht unterworfen. Das Gleiche gilt bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft von
den Anteilen des überlebenden Ehegatten und der Abkömmlinge.
Nach Auflösung der Gemeinschaft ist der Anteil am Gesamtgute zu Gunsten der
Gläubiger des Anteilsberechtigten der Zwangsvollstreckung unterworfen.
§ 1345 vergl. § 1344.
§ 1345 a. (1351.) Von dem Gesamtgut ausgeschlossen sind die zu dem Vermögen
des Mannes oder der Frau gehörenden Gegenstände, welche nicht durch Rechtsgeschäft
übertragen werden können. Auf solche Gegenstände finden die bei der Errungenschafts-
gemeinschaft für das eingebrachte Gut geltenden Vorschriften, mit Ausnahme des § 1414,
entsprechende Anwendung.
§ 1346. (1346, 1347, 1349.) Von dem Gesamtgut ausgeschlossen ist das Vorbe-
haltsgut.
Vorbehaltsgut ist, was durch Ehevertrag für Vorbehaltsgut eines der Ehegatten
erklärt ist und was von einem der Ehegatten nach Mafsgabe der §§ f, g erworben wird.
§ 1347 vergl. § 1346.
§ 1348 gestrichen.
§ 1349 vergl. § 1346.
§ 1350. Auf das Vorbehaltsgut der Frau finden die bei der Gütertrennung für das
Vermögen der Frau geltenden Vorschriften entsprechende Anwendung ; die Frau hat
jedoch den im §m2 bestimmten Beitrag zur Bestreitung des ehelichen Aufwandes dem
Manne nur insoweit zu leisten, als die in das Gesamtgut fallenden Einkünfte zur Bestrei-
tung des Aufwandes nicht ausreichen.
§ 1351 vergl. § 1345 a.
378 Nationalökonomische Gesetzgebung.
selbst wieder unübertragbar sind, zu Gesamtgut werden zu lassen. Sie
ging bei diesem Beschlufs teilweise von der Absicht aus, entsprechend
vielfachen Wünschen der Kritik die rechtsgeschäftliche Schaffung von
Sondergut auszuschliefsen, während ein anderer Teil der Mehrheit nur
die ausdrückliche Anerkennung der Zulässigkeit von Sondergut dieser Art
für entbehrlich hielt.
Die Vorschriften der §§ 1352 — 1358 über die Verwaltung des Ge-
§ 1352. Das Gesamtgut unterliegt der Verwaltung des Mannes. Der Mann ist ins-
besondere zum Besitze der zu dem Gesamtgute gehörenden Sachen berechtigt und befugt,
über das Gesamtgut zu verfügen, sowie Reehtsstreitigkeiten, die sich auf das Gesamtgut
beziehen, im eigenen Namen zu führen.
Die Frau wird durch die Verwaltungshandlungen des Mannes weder Dritten noch
dem Manne gegenüber persönlich verpflichtet.
§ 1353. (1353 Abs. 1.) Der Mann bedarf der Zustimmung der Frau zur Ver-
fügung über das Gesamtgut als Ganzes, zur Eingehung der Verpflichtung zu einer solchen
Verfügung sowie zu einer Verfügung über Gesamtgut , durch welche eine ohne die Zu-
stimmung der Frau eingegangene Verpflichtung dieser Art erfüllt werden soll.
§ 1353 a. (1353 Abs. 1.) Der Mann bedarf der Zustimmung der Frau zur Ver-
fügung über ein zum Gesamtgute gehörendes Grundstück sowie zur Eingehung einer Ver-
pflichtung zu einer solchen Verfügung.
§ 1353 b. (1353 Abs. 2, 3.) Der Mann bedarf der Zustimmung der Frau zu einer
Schenkung aus dem Gesamtgute , zu einem Schenkungsversprechen sowie zu einer Ver-
fügung über Gesamtgut, durch welche ein ohne die Zustimmung der Frau erteiltes Schen-
kungsversprechen erfüllt werden soll.
Ausgenommen sind Schenkungen, durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf
den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird.
§ 1353 c. Hat der Mann ohne Einwilligung der Frau ein Rechtsgeschäft der in den
§§ 1353 — 1353b bezeichneten Art vorgenommen, so finden die für eine Verfügung
der Frau über eingebrachtes Gut geltenden Vorschriften der §§g* — i1 entsprechende
Anwendung, die Vorschrift des § g1 mit der Mafsgabe, dafs die Verweigerung der Geneh-
migung durch die Frau dem anderen Teile gegenüber unwirksam ist und ihre Genehmi-
gung nur dann als verweigert gilt, wenn der Mann nicht binnen zwei Wochen nach dem
Empfang einer Aufforderung des anderen Teiles diesem die Genehmigung oder eine sie
ersetzende Entscheidung des Vormundschaftsgerichts mitteilt.
§ 1353 d. (1353 Abs. 4.) Ist zur ordnungsmäfsigen Verwaltung des Gesamtguts
ein Rechtsgeschäft der in den §§ 1353, 1353 a bezeichneten Art erforderlich, so kann
die Zustimmung der Frau , wenn sie von ihr ohne ausreichenden Grund verweigert wird,
auf Antrag des Mannes durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden.
Das Gleiche gilt , wenn die Frau durch Krankheit oder durch Abwesenheit an der
Abgabe der Erklärung verhindert und mit dem Aufschübe Gefahr verbunden ist.
§ 1353 e. (1364.) Der Mann ist der Frau für die Verwaltung des Gesamtguts nicht
verantwortlich. Er hat jedoch für eine Verminderung des Gesamtguts, welche er in der
Absicht , die Frau zu benachteiligen , oder durch ein ohne die erforderliche Zustimmung
der Frau vorgenommenes Rechtsgeschäft herbeigeführt hat, zu dem Gesamtgut Ersatz zu
leisten.
§ 1354. Hat der Mann ohne die erforderliche Zustimmung der Frau über ein zu
dem Gesamtgute gehörendes Recht verfügt, so kann die Frau das Recht ohne Mitwirkung
des Mannes gegen Dritte gerichtlich geltend machen. Dies gilt auch von dem Anspruch
auf Berichtigung des Grundbuchs , wenn auf Grund einer solchen Verfügung eine Ein-
tragung in das Grundbuch erfolgt ist.
§ 1355. Zur Annahme oder Ausschlagung einer der Frau angefallenen Erbschaft
oder eines ihr angefallenen Vermächtnisses ist nur die Frau berechtigt ; die Einwilligung
des Mannes ist nicht erforderlich. Das Gleiche gilt von dem Verzicht auf den Pflicht-
teil sowie von der Ablehnung eines der Frau gemachten Vertragsantrags oder einer ihr
gemachten Schenkung.
§ 1356. Wird von der Frau ein Erwerbsgeschäft selbständig betrieben , so finden
die Vorschriften des § q ' entsprechende Anwendung.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 379
samtguts erfuhren nur in § 1353 Abs. 4 und § 1354 Aenderungen, welche
dem zum gesetzlichen Güterrecht gefafsten Beschlüssen entsprechen. Im
§ 1359 wurde die Bestimmung des Abs. 2, derzufolge der Mann für Ver-
bindlichkeiten der Frau, welche Gesamtgutsverbindlichkeiten sind, auch
persönlich haftet, dadurch wesentlich abgeschwächt, dafs die persönliche
Haftung des Mannes für solche Verbindlichkeiten der Frau, die im Ver-
hältnis der Ehegatten zu einander nicht dem Gesamtgut zur Last fallen
(§ 1367), mit der Auflösung der Gütergemeinschaft erlöschen soll. Da
die persönliche Haftung des Mannes im wesentlichen bezweckt, die Gläu-
biger der Frau gegen einen sie gefährdenden Mifsbrauch des dem Manne
während der Dauer der Gütergemeinschaft zustehenden Verwaltungsrechts
zu schützen, erschien es billig, sie bezüglich der bezeichneten Verbind-
lichkeiten der Frau mit der Beendigung der Gütergemeinschaft fortfallen
zu lassen. Von den folgenden Bestimmungen wurden die §§ 1362, 1366,
§ 1357. Zur Fortsetzung eines bei dem Eintritte der Gütergemeinschaft anhängigen
Rechtsstretis bedarf die Frau nicht der Zustimmung des Mannes.
§ 1358. Ist der Mann durch Krankheit oder durch Abwesenheit verhindert, ein auf
das Gesamtgut sich beziehendes Rechtsgeschäft vorzunehmen oder einen auf das Gesamt-
gut sich beziehenden Rechtsstreit zu führen, so kann die Frau, wenn mit dem Aufschübe
Gefahr verbunden ist, im eigenen Namen oder im Namen des Mannes das Rechtsgeschäft
vornehmen oder den Rechtsstreit führen.
§ 1358a. (1370) Steht der Mann unter Vormundschaft, so hat der Vormund ihn
in den Rechten und Pflichten zu vertreten, welche sich aus der Verwaltung des Gesamt-
guts für ihn ergeben. Dies gilt auch dann, wenn die Frau Vormund ist.
§ 1358 b. (1366.) Ist zur ordnungsmäfsigen Besorgung der persönlichen Angelegen-
heiten der Frau ein Rechtsgeschäft erforderlich , welches die Frau mit Wirkung für das
Gesamtgut nicht ohne Zustimmung des Mannes vorzunehmen berechtigt ist , so kann die
Zustimmung, wenn sie von dem Manne ohne ausreichenden Grund verweigert wird, auf
Antrag der Frau durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden.
§ 1359. Die Gläubiger des Mannes können in allen Fällen, die Gläubiger der Frau,
soweit sich nicht aus den §§ 1362 — 1362 b ein anderes ergiebt, Befriedigung aus dem
Gesamtgute verlangen (Gesamtgutsverbindlichkeit).
Für Verbindlichkeiten der Frau, welche Gesamtgutsverbindlichkeiten sind , haftet
der Mann auch persönlich. Die Haftung erlischt mit der Auflösung der Gütergemein-
schaft, wenn die Verbindlichkeiten im Verhältnisse der Ehegatten zu einander nicht dem
Gesamtgute zur Last fallen.
§ 1360 gestrichen; vergl. die Anmerkung zu §w1.
§ 1361 gestrichen.
Anmerkung. Im Art. 13 des Entwurfes des Einführungsgesetzes sollen zum teil-
weisen Ersätze der §§ 1361, 1375, des § 1399 Abs. 2, des § 1406 Abs. 1, 3, des § 1424
Abs. 2, des § 1429 Abs. 1 und des § 1431 Abs. 1 des Entw. 1 folgende Vorschriften in
die Konkursordnung als § 1 a eingestellt werden :
Wird bei dem Güterstande der allgemeinen Gütergemeinschaft, der Errungenschafts-
gemeinschaft sowie der Fahrnisgemeinschaft das Konkursverfahren über das Ver-
mögen des Ehemanns eröffnet, so gehört das Gesamtgut zur Konkursmasse ; eine Aus-
einandersetzung des Gesamtguts zwischen den Ehegatten findet nicht statt.
Durch das Konkursverfahren über das Vermögen der Ehefrau wird das Gesamt-
gut nicht berührt.
Wird über das Vermögen eines der Ehegatten nach der Auflösung der Güter-
gemeinschaft und vor der Auseinandersetzung das Konkursverfahren eröffnet, so
gehört der Anteil dieses Ehegatten an dem Gesamtgute zur Konkursmasse.
Diese Vorschriften finden bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft mit der Mafs-
gabe entsprechende Anwendung, dafs an die Stelle des Ehemanns der überlebende
Ehegatte und an die Stelle der Ehefrau die Abkömmlinge treten.
§ 1362. (1362 Nr. 1.) Das Gesamtgut haftet für Verbindlichkeiten der Frau, die
380 Nationalökonomische Gesetzgebung.
1367 mit Rücksicht auf die bezüglich des gesetzlichen Güterrechte und
des Sonderguts gefafsten Beschlüsse geändert. Insbesondere nahm man
den Satz auf, dafs der eheliche Aufwand dem Gesamtgut zur Last fällt.
Die dem § 1868 neu hinzugefügte Vorschrift des § 1368 Abs. 1 der 2.
nach dem Eintritte der Gütergemeinschaft aus Rechtsgeschäften oder gerichtlichen Ent-
scheidungen entstanden sind, nur dann, wenn die Vornahme des Rechtsgeschäfts oder die
Führung des Rechtsstreits mit Zustimmung des Mannes erfolgt oder ohne seine Zustim-
mung ihm gegenüber wirksam ist oder soweit das Gesamtgut bereichert ist.
Für die Kosten eines Rechtsstreits der Frau haftet das Gesamtgut auch dann , wenn
das Urteil dem Manne gegenüber unwirksam ist.
§ 1362 a. (1362 Nr. 2.) Das Gesamtgut haftet nicht für Verbindlichkeiten der Frau,
die infolge des Erwerbes einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses entstanden sind, wenn
die Frau die Erbschaft oder das Vermächtnis nach dem Eintritte der Gütergemeinschaft
als Vorbehaltsgut erworben hat.
§ 1362 b. (1362 Nr. 3.) Das Gesamtgut haftet nicht für Verbindlichkeiten der
Frau , die nach dem Eintritte der Gütergemeinschaft infolge eines zum Vorbehaltsgute
gehörenden Rechtes oder des Besitzes einer dazu gehörenden Sache entstanden sind, es
sei denn, dafs das Recht oder die Sache zu einem Erwerbsgeschäfte gehört, das von der
Frau mit Einwilligung des Mannes selbständig betrieben wird.
§ 1363 gestrichen.
Anmerkung. Der § 1363 des Entw. I soll in den Titel über die Unterhalts-
pflicht eingestellt werden.
§ 1364 vergl. § 1353 e.
§ 1364 a. Der eheliche Aufwand fällt dem Gesamtgute zur Last.
§ 1365 vergl. § 1368 a.
§ 1366 vergl. § 1358 a.
§ 1367. (1367 Abs. 1, 2 Nr. 1, 2, 4.) Im Verhältnisse der Ehegatten zu einander
fallen folgende Gesamtgutverbindlichkeiten demjenigen Ehegatten zur Last , in dessen
Person sie entstanden sind:
1. die Verbindlichkeiten aus einer von ihm nach dem Eintritte der Gütergemeinschaft
begangenen unerlaubten Handlung oder aus einem wegen einer solchen Handlung
gegen ihn gerichteten Strafverfahren ;
2. die Verbindlichkeiten aus einem auf sein Vorbehaltsgut sich beziehenden Rechtsver-
hältnis , auch wenn sie vor dem Eintritte der Gütergemeinschaft oder vor der Zeit
entstanden sind, zu welcher das Gut Vorbehaltsgut geworden ist;
3. die Verbindlichkeiten aus einer gerichtlichen Entscheidung über eine der unter den
Nr. 1, 2 bezeichneten Verbindlichkeiten , einschliefslich der Verbindlichkeit zur Tra-
gung der Kosten.
§ 1367 a. (1367 Abs. 1, 2 Nr. 3, 4.) Im Verhältnisse der Ehegatten zu einander
fällt die Verbindlichkeit der Frau zur Tragung der Kosten des Rechtsstreits zwischen ihr
und dem Manne der Frau zur Last.
Das Gleiche gilt von der Verbindlichkeit der Frau zur Tragung der Kosten eines
Rechtsstreits zwischen ihr und einem Dritten , es sei denn , dafs das Urteil dem Manne
gegenüber wirksam ist oder der Rechtsstreit eine persönliche Angelegenheit der Frau
betrifft und dafs die Aufwendung der Kosten den Umständen nach geboten war.
§ 1368. Im Verhältnisse der Ehegatten zu einander fällt eine Ausstattung , die der
Mann einem nicht gemeinschaftlichen Kinde aus dem Gesamtgute zugesichert oder gewährt
hat, dem Vater oder der Mutter des Kindes, der Mutter jedoch nur insoweit zur Last,
als sie zugestimmt hat oder die Ausstattung nicht das dem Gesamtgut entsprechende
Mafs übersteigt.
Hat der Mann einem gemeinschaftlichen Kinde eine Ausstattung aus dem Gesamt-
gute zugesichert oder gewährt , so fällt die Ausstattung dem Manne insoweit zur Last,
als sie das dem Gesamtgut entsprechende Mafs übersteigt.
§ 1368 a. (1365.) Macht der Mann aus dem Gesamtgut eine Verwendung auf sein
Vorbehaltsgut, so hat er den Wert des Verwendeten zu dem Gesamtgute zu ersetzen.
Macht der Mann aus seinem Vorbehaltsgut eine Verwendung auf das Gesamtgut, so
kann er Ersatz aus dem Gesamtgute verlangen.
NationalökoDomische Gesetzgebung. 381
Lesung entspricht dem Gedanken des § 2161 Abs. 1 des Entwurfs und
dem französischen Kecht.
Das Kecht der Frau, auf Auflösung der Gütergemeinschaft zu klagen,
wurde gegenüber dem § 1372 zwiefach erweitert. Einmal soll im Ealle
§ 1369. Was ein Ehegatte zu dem Gesamtgut oder was die Frau zu dem Vorbe-
haltsgute des Mannes schuldet, ist erst bei der Auflösung der Gütergemeinschaft zu leisten ;
soweit jedoch zur Berichtigung einer Schuld der Frau ihr Vorbehaltsgut ausreicht, hat
sie die Schuld schon vorher zu berichtigen.
Was der Mann aus dem Gesamtgute zu fordern hat, kann er gleichfalls erst bei der
Auflösung der Gütergemeinschaft fordern.
§ 1370 vergl. § 1358 a.
§ 1371 Nr. 1, 3 gestrichener. 2 vergl. § 1372 b.
§ 1372. Die Frau kann auf Auflösung der Gütergemeinschaft klagen:
1. wenn der Mann ein Rechtsgeschäft der in den §§ 1353 bis 1353 b bezeichneten Art
ohne Zustimmung der Frau vorgenommen hat und eine erhebliche Gefährdung der
Frau zu besorgen ist ;
2. wenn der Mann das Gesamtgut in der Absicht, die Frau zu benachteiligen, ver-
mindert hat;
3. wenn der Mann seine Verpflichtung, der Frau und den gemeinschaftlichen Abkömm-
lingen den Unterhalt zu gewähren, verletzt hat und für die Zukunft eine erhebliche
Gefährdung des Unterhalts zu besorgen ist;
4. wenn der Mann wegen Verschwendung entmündigt ist oder wenn er das Gesamtgut
durch Verschwendung erheblich gefährdet;
5. wenn das Gesamtgut infolge von Verbindlichkeiten, die in der Person des Mannes
entstanden sind, in solchem Mafse überschuldet ist, dafs ein späterer Erwerb der
Frau erheblich gefährdet wird.
§ 1372 a. Der Mann kann auf Auflösung der Gütergemeinschaft klagen, wenn das Gesamt-
gut infolge von Verbindlichkeiten der Frau, die im Verhältnisse der Ehegatten zu einander
nicht dem Gesamtgute zur Last fallen, in solchem Mafse überschuldet ist, dafs ein späterer
Erwerb des Mannes erheblich gefährdet wird.
§ 1372b. (1371 Nr. 2 und 1381 Abs. 2.) Die Auflösung der Gütergemeinschaft
tritt in den Fällen der §§ 1372, 1372 a mit der Rechtskraft des Urteils ein. Für die
Zukunft gilt Gütertrennung.
Dritten gegenüber ist die Auflösung der Gütergemeinschaft nur nach Mafsgabe des
§ 1336 wirksam.
§ 1372 c. (1381 Abs. 1.) Wird die Gütergemeinschaft durch Ehevertrag auf-
gelöst , so gilt für die Zukunft Gütertrennung , sofern nicht im Vertrag ein anderes
bestimmt ist.
§ 1373. (1376.) Ist die Gütergemeinschaft aufgelöst, so findet in Ansehung des
Gesamtguts die Auseinandersetzung in Ermangelung einer anderen Vereinbarung nach
den §§ 1377—1380 statt.
§ 1373a. (1373 Abs. 1) Bis zur Auseinandersetzung können die Ehegatten nicht
über ihre Anteile am Gesamtgut und den dazu gehörenden einzelnen Gegenständen ver-
fügen , auch nicht Teilung einzelner Gegenstände verlangen ; für die Aufrechnung gegen
eine zum Gesamtgute gehörende Forderung gilt die Vorschrift des § 1344 Abs. 2.
Die Verwaltung des Gesamtguts steht bis zur Auseinandersetzung beiden Ehegatten
gemeinschaftlich zu; jeder von ihnen ist dem anderen verpflichtet, zu Mafsregeln mitzu-
wirken, die zur ordnungsmäfsigen Verwaltung erforderlich sind.
Anmerkung. Im Art. 11 des Entwurfes des Einführuugsgesetzes sollen zum teil-
weisen Ersätze des § 1374, des § 1406 Abs. 1, 3, des § 1429 Abs. 1 und des § 1431
Abs. 1 des Entw. I folgende Vorschriften in die Civilprozefsordnung eingestellt werden :
§ 671 d. Nach Auflösung der allgemeinen Gütergemeinschaft, der Errungen-
schaftsgemeinschaft sowie der Fahrnisgemeinschaft ist vor der Auseinandersetzung
die Zwangsvollstreckung in das Gesamtgut nur zulässig, wenn beide Ehegatten zu
der Leistung oder der Ehemann zu der Leistung und die Ehefrau zur Gestattung
der Zwangsvollstreckung verurteilt sind.
382 Nationalökonomische Gesetzgebung.
verschwenderischen Verhaltens des Mannes die Klage nicht erst statthaft
sein, wenn die Besorgnis gerechtfertigt ist, dafs der Mann sich oder seine
Familie dem Notstande preisgiebt, sondern es soll genügen, dafs er durch
Verschwendung das Gesamtgut erheblich gefährdet, und die Klage soll
stets gegeben sein im Falle der Entmündigung des Mannes wegen Ver-
schwendung, ohne dafs das Prozefsgericht das Vorhandensein ihrer Vor-
aussetzungen nachzuprüfen hat. Ein Antrag, der Frau die Klage auch
dann zu gestatten, wenn der Mann aus anderem Grunde entmündigt oder
nach § 1757 des vormundschaftlichen Schutzes fiir bedürftig erklärt ist,
wurde abgelehnt. Man gewährte der Frau die Klage zweitens auch dann,
wenn das Gesamtgut infolge von Verbindlichkeiten, die in der Person des
Mannes entstanden sind, in solchem Mafse überschuldet ist, dafs ein spä-
terer Erwerb der Frau erheblich gefährdet wird. Für diesen Beschlufs
war die Erwägung mafsgebend, dafs der im Entwurf durchgeführte
Gedanke, nur wegen Verschuldens des Mannes die Auflösuugsklage zuzu-
lassen, dem praktischen Bedürfnis nach Schutz der Frau und der Kinder
nicht gerecht werde. Das Klagerecht der Frau an die Eröffnung des Kon-
kurses über das Vermögen des Mannes zu knüpfen, erschien namentlich
in den Fällen unbillig, in denen der Konkurs durch Schulden oder un-
wirtschaftliches Verhalten der Frau herbeigeführt wird. Ein entsprechendes
Recht, auf Auflösung zu klagen, gab man endlich bei Vermögensverfall
der Frau dem Manne. Die Vorschriften über das Rechtsverhältnis nach
§ 671 e. Ist die Auflösung der allgemeinen Gütergemeinschaft, der Errungen-
schaftsgemeinschaft oder der Fahrnisgemeinschaft nach der Beendigung eines Rechts-
streits eingetreten , so finden auf die Erteilung einer in Ansehung des Gesamtguts
gegen die Ehefrau vollstreckbaren Ausfertigung des gegen den Ehemann erlassenen
Urteils die Vorschriften der §§ 665—668, 671 entsprechende Anwendung.
§ 671 f. Die Vorschriften der §§ 671 d, 671 e finden nach Auflösung der fort-
gesetzten Gütergemeinschaft mit der Mafgabe entsprechende Anwendung , dafs an
die Stelle des Ehemannes die überlebende Ehefrau und an die Stelle der Ehefrau
die Abkömmlinge treten.
§ 1373 b. (1373 Abs. 2.) Was vor der Auseinandersetzung auf Grund eines zu
dem Gesamtgute gehörenden Rechtes oder als Ersatz für die Zerstörung , Beschädigung
oder Entziehung eines zu dem Gesamtgute gehörenden Gegenstandes oder durch ein
Rechtsgeschäft erworben wird, das sich auf das Gesamtgut bezieht, wird Gesamtgut.
§ 1374 gestrichen.
§ 1375 gestrichen.
Anmerkung. Vergl. die Anmerkung zu § 1361.
§ 1376 vergl. § 1373.
§ 1377. (1377 Abs. 1, 1378 Abs. 1.) Aus dem Gesamtgute sind zunächst die Ge-
samtgutsverbindlichkeiten zu berichtigen. Fällt eine Gesamtgutsverbindlichkeit im Ver-
hältnisse der Ehegatten zueinander einem der Ehegatten allein zur Last, so kann dieser
die Berichtigung aus dem Gesamtgute nicht verlangen.
Zur Berichtigung der Gesamtgutsverbindlichkeiten ist das Gesamtgut, soweit erforder-
lich, in Geld umzusetzen.
§ 1377 a. (1377 Abs. 2 — 4.) Der nach der Berichtigung der Gesamtgutsverbind-
lichkeiten verbleibende Ueberschufs gebührt den Ehegatten zu gleichen Teilen.
Was einer der Ehegatten zu dem Gesamtgute zu ersetzen verpflichtet ist , mufs er
sich auf seinen Teil anrechnen lassen. Soweit die Ersatzleistung nicht durch Anrechnung
erfolgt, bleibt der Ehegatte dem anderen verpflichtet.
§ 1378. (1378 Abs. 2.) Die Teilung des Ueberschusses erfolgt nach den Vorschriften
über die Gemeinschaft. Jeder Ehegatte kann jedoch die ausschliefslich zu seinem persön-
lichen Gebrauche bestimmten Sachen, insbesondere Kleider und Schmucksachen , sowie
Nationalökonomische Gesetzgebung. 383
Auflösung der Gütergemeinschaft und die Auseinandersetzung erfuhren
eine erhebliche Ergänzung zum Schutze der Gläubiger, deren Forderungen
vor der Teilung des Gesamtguts unter die Ehegatten aus dem Gesamtgut
hätten berichtigt werden müssen, aber nicht berichtigt sind. Nach dem
Entwurf und dem zu § 1359 gefafsten Beschlüsse könnte ein solcher
Gläubiger des Mannes sich nur an den Mann und an dessen Vermögen,
einschliefslich der demselben zugeteilten Gesamtgutsgegenstände und des
demselben etwa gegen die Frau zustehenden Anspruchs auf Herausgabe
der ihr zugeteilten Gesamtgutsgegenstände halten; ein solcher Gläubiger
der Erau könnte sich an die Erau halten, an den Mann dagegen nur in-
soweit, als dieser nach dem Beschlufs zu § 1359 auch nach Auflösung
der Gütergemeinschaft ihm noch persönlich haltet. Die Mehrheit war
der Ansicht, dafs durch diese Regelung die Gläubiger nicht genügend ge-
schützt seien, und hielt es namentlich für bedenklich, wenn den Ehe-
gatten die Möglichkeit gegeben werde, durch den vom Willen der Gläubiger
unabhängigen Akt der Teilung denselben den Zugriff auf das als Kredit-
grundlage angenommene Gesamtgut zu entziehen oder doch zu erschweren.
diejenigen Gegenstände gegen Ersatz des Wertes übernehmen , welche er in die Güter-
gemeinschaft gebracht oder während derselben durch Erbfolge oder Vermächtnis oder mit
Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht durch Schenkung oder als Ausstattung erworben hat.
§ 1378 a. Sind die Ehegatten geschieden und ist nur einer von ihnen für schuldig
erklärt, so kann der andere Ehegatte verlangen, dafs ihm der Wert desjenigen, was er
mehr als der schuldige Ehegatte in die Gütergemeinschaft eingebracht hat, als Voraus
zugeteilt wird, sofern der Wert des Gesamtguts den Wert des von den beiden Ehegatten
Eingebrachten erreicht. Ist der Wert des Gesamtguts geringer , so kann der nicht für
schuldig erklärte Ehegatte Teilung in der Art verlangen, dafs jedem Ehegatten der Wert
des von ihm Eingebrachten nach Abzug der Hälfte des Fehlbetrages zurückerstattet wird.
Der Wert des Eingebrachten bestimmt sich nach der Zeit des Einbringens. Als
eingebracht ist anzusehen, was eingebrachtes Gut gewesen sein würde, wenn Errungen-
schaftsgemeinschaft bestanden hätte.
Die gleichen Rechte hat ein Ehegatte, wenn die Ehe wegen seiner Geisteskrankheit
geschieden worden ist.
§ 1379. Wird die Gütergemeinschaft auf Grund des § 1372 oder des § 1372 a auf-
gelöst, so kann der Ehegatte, welcher das Urteil erwirkt hat, verlangen, dafs die Aus-
einandersetzung so erfolgt, wie wenn der Anspruch auf Auseinandersetzung mit der Er-
hebung der Klage auf Auflösung der Gütergemeinschaft rechtshängig geworden wäre.
§ 1379a. Wird das Gesamtgut geteilt, bevor die Gesamtgutsverbindlichkeiten be-
richtigt worden sind, so haftet jeder Ehegatte für eine nicht in seiner Person entstandene
Gesamtgutsverbindlichkeit dem Gläubiger persönlich. Die Haftung beschränkt sich jedoch
auf die ihm zugeteilten Gegenstände.
Anmerkung. Der in der Anmerkung zu § 362 (II. Lesung) gemachte Vorbe-
halt gilt auch für die Vorschrift des § 1379 a.
§ 1380. Ist die Berichtigung einer Gesamtgutsverbindlichkeit unterblieben , die im
Verhältnisse der Ehegatten zu einander dem Gesamtgut oder dem Manne zur Last fällt,
so hat der Mann dafür einzustehen, dafs die Frau von dem Gläubiger nicht in Anspruch
genommen wird. Die gleiche Verpflichtung hat die Frau dem Manne gegenüber , wenn
die Berichtigung einer Gesamtgutsverbindlichkeit unterblieben ist , die im Verhältnisse
der Ehegatten zu einander der Frau zur Last fällt.
§ 1381 vergl. §§ 1372 b und 1372 c.
Anmerkung. Es wird vorausgesetzt, dafs in das für erforderlich erachtete Reichs-
gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit eine Vorschrift aufge-
nommen wird, nach welcher das zuständige Amtsgericht auf Antrag eines Ehegatten durch
Verhandlung mit den Ehegatten die Auseinandersetzung des Gesamtguts im Falle der
Auflösung der Gütergemeinschaft zu vermitteln hat.
384 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Man beschlofs daher, in dem vorausgesetzten Falle jeden Ehegatten für
eine nicht in seiner Person entstandene Gesamtgutsverbindlichkeit per-
sönlich haften zu lassen, so jedoch, dafs die Haftung sich auf die ihm zu-
geteilten Gesamtgutsgegenstände beschränkt; indes behielt man, entsprechend
dem Beschlüsse zu § 319, sich vor, erst nach der Beratung des Inventar-
rechts zu entscheiden, ob der Ehegatte nur mit den zugeteilten Gegen-
ständen oder bis zu deren Werte mit seinem ganzen Vermögen haften
soll. Durch eine dem Entwurf fremde, für das Gesetz über die freiwillige
Gerichtsbarkeit in Aussicht genommene Vorschrift soll den Ehegatten ge-
stattet werden, bei der Auseinandersetzung sich der Vermittelung des zu-
ständigen Amtsgerichts zu bedienen. Abweichend vom § 1382 erschien
es in dem Falle, wenn die Gütergemeinschaft durch Ehevertrag aufgelöst
wird, dem mutmafslichen Willen der Ehegatten entsprechend, Güter-
trennung eintreten zu lassen; und ebenso sah man keinen Grund, im
Falle der Auflösung durch Urteil der Frau die Wahl des gesetzlichen
Güterstandes an Stelle der Gütertrennung offen zu halten.
Die Regelung der gütergemeinschaftlichen Erbfolge,
welcher der Entwurf sich mit § 1382 zuwendet, gestaltet sich verschieden
für die Fälle der beerbten und der unbeerbten Ehe, d. h. je nachdem
beim Tode des einen Ehegatten ein gemeinschaftlicher Abkömmling vor-
handen ist oder nicht. Bei unbeerbter Ehe regelt sich die Erbfolge in
den Nachlafs des verstorbenen Ehegatten , zu welchem insbesondere
dessen Anteil am Gesamtgut gehört, nach den allgemeinen Vorschriften ;
der überlebende Ehegatte wird also, falls gesetzliche Erbfolge eintritt,
neben (nicht gemeinschaftlichen) Abkömmlingen des Verstorbenen zu x/4
der Erbschaft berufen , neben Eltern des Verstorbenen oder deren Ab-
kömmlingen oder Grofseltern zu 1/2, in Ermangelung solcher Verwandten
allein. Dem gegenüber lagen zwei Anträge vor, welche es nur im Falle
des Vorhandenseins nicht gemeinschaftlicher Abkömmlinge beim Entwurf
belassen, beim Vorhandensein anderer Verwandten aber teils deren Erb-
recht zu Gunsten des überlebenden Ehegatten beseitigen, teils diesem an
den Erbteilen derselben einen Niefsbrauch einräumen wollten. Die Mehr-
heit billigte jedoch den Standpunkt des Entwurfs.
Bei beerbter Ehe wird nach dem Entwurf (§ 1384) der überlebende
§ 1382. (1382, 1383 Abs. 1.) Wird die Ehe durch den Tod eines Ehegatten auf-
gelöst und ist ein gemeinschaftlicher Abkömmling nicht vorhanden , so gehört der Anteil
des verstorbenen Ehegatten am Gesamtgute zum Nachlasse. Die Beerbung des Ehegatten
erfolgt nach den allgemeinen Vorschriften.
§ 1383. (1383 Abs. 2 Satz 1, 1384.) Sind bei dem Tode eines Ehegatten gemein-
schaftliche Abkömmlinge vorhanden, die zur gesetzlichen Erbfolge berufen sind, so wird
zwischen ihnen und dem überlebenden Ehegatten die Gütergemeinschaft fortgesetzt. Der
Anteil des verstorbenen Ehegatten am Gesamtgute gehört in diesem Falle nicht zum
Nachlasse ; im übrigen erfolgt die Beerbung des Ehegatten nach den allgemeinen Vor-
schriften.
Sind neben den gemeinschaftlichen Abkömmlingen nicht gemeinschaftliche Abkömm-
linge vorhanden , so bestimmen sich ihr Erbrecht und ihr Erbteil , auch im Verhältnisse
zu den gemeinschaftlichen Abkömmlingen, in gleicher Weise, wie wenn fortgesetzte Güter-
gemeinschaft nicht eingetreten wäre.
§ 1384 vergl. § 1383.
§ 1385 gestrichen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 385
Ehegatte zu der (den Anteil am Gesamtgut mitumfassenden) Erbschaft
des Verstorbenen, falls nur gemeinschaftliche Abkömmlinge vorhanden
sind, als Alleinerbe, falls auch nicht gemeinschaftliche Abkömmlinge des
§ 1386. Der überlebende Ehegatte kann die Fortsetzung der Gütergemeinschaft ab-
lehnen. Auf die Ablehnung finden die für die Ausschlagung einer Erbschaft geltenden
Vorschriften des § 2028 Abs. 2, 3 und der §§ 2029 — 2033, 2035, 2036, 2039, 2041,
2043 entsprechende Anwendung.
Lehnt der Ehegatte die Fortsetzung der Gütergemeinschaft ab , so gilt das Gleiche
wie im Falle des § 1382.
§ 1387. Jeder Ehegatte kann die Fortsetzung der Gütergemeinschaft unter den Vor-
aussetzungen ausschliefsen, unter welchen er berechtigt sein würde, dem anderen Ehe-
gatten den Pflichtteil zu entziehen oder auf Auflösung der Gütergemeinschaft zu klagen.
Auf die Ausschliefsung finden die Vorschriften über die Entziehung des Pflichtteils ent-
sprechende Anwendung.
Schliefst ein Ehegatte die Fortsetzung der Gütergemeinschaft aus, so gilt das Gleiche
wie im Falle des § 1382.
§ 1388. Jeder Ehegatte kann für den Fall, dafs die Ehe durch seinen Tod aufgelöst
wird, einen gemeinschaftlichen Abkömmling von der fortgesetzten Gütergemeinschaft durch
Verfügung von Todeswegen ausschliefsen. Der Pflichtteil des ausgeschlossenen Abkömm-
lings ist der gleiche wie im Falle des § 1382.
§ 1389. (1389 Abs. 1.) Jeder Ehegatte kann für den Fall, dafs mit seinem Tode
fortgesetzte Gütergemeinschaft eintritt, den einem anteilsberechtigten Abkömmlinge bei
der Auflösung der fortgesetzten Gütergemeinschaft gebührenden Anteil am Gesamtgute
durch Verfügung von Todes wegen bis auf die Hälfte herabsetzen. Er kann einem an-
teilsberechtigten Abkömmlinge durch Verfügung von Todeswegen auch das Recht ein-
räumen , das Gesamtgut oder einzelne dazu gehörende Gegenstände gegen Ersatz des
Wertes zu übernehmen.
§ 1389 a. (1389 Abs. 2.) Jeder Ehegatte kann für den Fall, dafs mit seinem Tode
die fortgesetzte Gütergemeinschaft eintritt, einem anteilsberechtigten Abkömmlinge den
ihm bei der Auflösung der fortgesetzten Gütergemeinschaft gebührenden Anteil am Ge-
samtgute durch Verfügung von Todeswegen entziehen, wenn die Voraussetzungen vorliegen,
unter welchen er berechtigt sein würde, dem Abkömmlinge den Pflichtteil zu entziehen.
Liegen die Voraussetzungen vor, unter welchen der Ehegatte berechtigt sein würde,
den Abkömmling nach § 2002 zu beschränken, so kann er eine entsprechende Beschrän-
kung in Ansehung des Anteils anordnen.
Die Vorschriften der §§ 2006—2008 finden auf die Entziehung oder die Beschrän-
kung entsprechende Anwendung.
§ 1389 b. (1389 Abs. 2.) Ueber den einem Abkömmlinge in Gemäfsheit des § 1389
Satz 1 oder des § 1389 a Abs. 1 entzogenen Betrag kann der Ehegatte auch zu Gunsten
eines Dritten von Todeswegen verfügen.
§ 1390. Zur Wirksamkeit der in den §§ 1388— 1389 b bezeichneten Verfügungen
eines Ehegatten ist die Zustimmung des anderen Ehegatten erforderlich. Die Zustim-
mung bedarf der gerichtlichen oder notariellen Form ; sie ist unwiderruflich.
§ 1391. Die Vorschriften über den aufserordentlichen Pflichtteil finden zu Gunsten
eines anteilsberechtigten Abkömmlings entsprechende Anwendung ; die Auflösung der fort-
gesetzten Gütergemeinschaft gilt als Erbfall, der dem Abkömmlinge zur Zeit der Auf-
lösung gebührende Anteil am Gesamtgut als der gesetzliche Erbteil und die Hälfte des
Wertes dieses Anteils als Pflichtteil.
§ 1392. Liegen die Voraussetzungen vor, unter welchen ein gemeinschaftlicher Ab-
kömmling erbunwürdig ist, so ist er auch der ihm am Gesamtgute der fortgesetzten
Gütergemeinschaft zustehenden Rechte unwürdig. Die Vorschriften über die Erbunwür-
digkeit finden entsprechende Anwendung.
§ 1393. Zur Wirksamkeit eines Vertrags, durch den ein gemeinschaftlicher Ab-
kömmling einem der Ehegatten gegenüber für den Fall, dafs die Ehe durch dessen Tod
aufgelöst wird, auf seine Rechte am Gesamtgute der fortgesetzten Gütergemeinschaft ver-
zichtet, ist die Zustimmung des anderen Ehegatten erforderlich. Die Zustimmung bedarf
der gerichtlichen oder notariellen Form ; sie ist unwiderruflich. Die für den Erbverzicht
geltenden Vorschriften finden entsprechende Anwendung,
Dritte Folge Bd. TIH (LXIII). 2 5
386 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Verstorbenen vorhanden sind , insoweit als Erbe berufen, als er und
die gemeinschaftlichen Abkömmlinge nach den allgemeinen gesetzlichen
Vorschriften berufen werden würden, wenn Gütergemeinschaft nicht be-
standen hätte. Zugleich entsteht kraft Gesetzes zwischen dem über-
lebenden Ehegatten und den nach den allgemeinen Vorschriften als
gesetzliche Erben berufenen gemeinschaftlichen Abkömmlingen das in
den §§ 1396 — 1409 näher geregelte Rechtsverhältnis der fortgesetzten
§ 1393 a. (1392 Abs. 2.) Ist ein gemeinschaftlicher Abkömmling durch Verfügung
von Todeswegen von der fortgesetzten Gütergemeinschaft ausgeschlossen oder ist er der
ihm am Gesamtgute der fortgesetzten Gütergemeinschaft zustehenden Rechte für unwürdig
erklärt oder hat er nach § 1393 auf seine Rechte verzichtet, so gilt er in Ansehung der
fortgesetzten Gütergemeinschaft als vor dem Erbfalle gestorben.
§ 1394 gestrichen.
§ 1395 gestrichen.
§ 1396. (1396 Abs. 1, 5, 1397 Abs. 1.) Das Gesamtgut der fortgesetzten Güter-
gemeinschaft besteht aus dem ehelichen Gesamtgute, soweit dieses nicht nach § 1383
Abs. 2 oder nach § 1388 an einen nicht anteilsberechtigten Abkömmling fällt, und aus
dem Vermögen , welches der überlebende Ehegatte aus dem Nachlasse des verstorbenen
Ehegatten oder nach dem Eintritte der fortgesetzten Gütergemeinschaft erwirbt.
Das Vermögen , welches ein gemeinschaftlicher Abkömmling zur Zeit des Eintritts
der fortgesetzten Gütergemeinschaft hat oder später erwirbt, gehört nicht zu dem Ge-
samtgute.
Auf das Gesamtgut finden die Vorschriften des § 1342 Abs. 2 und des § 1344 ent-
sprechende Anwendung.
§ 1396 a. (1396 Abs. 2—4.) Vorbehaltsgut des überlebenden Ehegatten ist, was
er bisher als Vorbehaltsgut gehabt hat und was er nach Mafsgabe der §§ f, g erwirbt.
Gehören zu dem Vermögen des überlebenden Ehegatten Gegenstände, die nicht durch
Rechtsgeschäft übertragen werden können, so finden auf sie die bei der Errungenschaftsge-
meinschaft für das eingebrachte Gut des Mannes geltenden Vorschriften , mit Ausnahme
des § 1414, entsprechende Anwendung.
§ 1397. (1397 Abs. 2.) Stirbt ein anteilsberechtigter Abkömmling, so gehört sein
Anteil am Gesamtgute nicht zu seinem Nachlasse. Hinterläfst er Abkömmlinge, welche
anteilsberechtigt sein würden, wenn der verstorbene Ehegatte gleichzeitig mit ihm gestorben
wäre, so treten sie au seine Stelle. Hinterläfst er solche Abkömmlinge nicht, so wächst
sein Anteil den übrigen anteilsberechtigten Abkömmlingen des verstorbenen Ehegatten und,
wenn solche nicht vorhanden sind, dem überlebenden Ehegatten an.
§ 1398. (1398 Abs. 1 — 3.) Ein anteilsberechtigter Abkömmling kann auf seinen
Anteil am Gesamtgute der fortgesetzten Gütergemeinschaft verzichten. Der Verzicht ist
dem für den Nachlafs des verstorbenen Ehegatten zuständigen Gerichte gegenüber in
öffentlich beglaubigter Form zu erklären. Das Nachlafsgericht soll die Erklärung dem
überlebenden Ehegatten und den übrigen anteilsberechtigten Abkömmlingen mitteilen.
Der Verzicht kann auch durch Vertrag mit dem überlebenden Ehegatten und den
übrigen anteilsberechtigteu Abkömmlingen erfolgen. Der Vertrag bedarf der gerichtlichen
oder notariellen Form.
Der Verzicht hat die gleichen Wirkungen , wie wenn der Verzichtende zur Zeit des
Verzichts ohne Hinterlassung von Abkömmlingen gestorben wäre.
§ 1398 a. (1398 Abs. 4.) Ist dem anteilsberechtigten Abkömmlinge für den Ver-
zicht eine Abfindung gewährt worden, so können der überlebende Ehegatte und die
übrigen anteilsberechtigten Abkömmlinge vereinbaren , in welcher Weise die Abfindung
bei der Auseinandersetzung berücksichtigt werden soll. Die Vereinbarung bedarf der
gerichtlichen oder notariellen Form. Die Vereinbarung ist auch denjenigen Abkömm-
lingen gegenüber wirksam, welche erst später in die fortgesetzte Gütergemeinschaft ein-
treten.
Ist eine solche Vereinbarung nicht getroffen, so wird die Abfindung bei der Ausein-
einandersetzung in das Gesamtgut eingerechnet und auf die den Ankömmlingen gebüh-
rende Hälfte angerechnet.
§ 1399. (1399 Abs. 1.) Die Rechte und Verbindlichkeiten des überlebenden Ehe-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 3g7
Gütergemeinschaft. Darin, dafs diese besondere yütergemeinschaftliche Erb-
folge bei der allgemeinen Gütergemeinschaft stets Platz greifen soll, falls
sie nicht durch Ehevertrag besonders ausgeschlossen ist, fand der Entwurf
gatten sowie der anteilsberechtigten Abkömmlinge in Ansehung des Gesamtguts der fort-
gesetzten Gütergemeinschaft bestimmen sich nach den §§ 1352 bis 1354, 1368 a; der
überlebende Ehegatte hat die rechtliche Stellung des Mannes, die anteilsberechtigten Ab-
kömmlinge haben die rechtliche Stellung der Frau.
Was der überlebende Ehegatte zu dem Gesamtgute der fortgesetzten Gütergemein-
schaft schuldet oder aus dem Gesamtgute zu fordern hat, ist erst bei der Auflösung der fort-
gesetzten Gütergemeinschaft zu leisten.
§ 1399 a. (1384 Abs. 1, 1399 Abs. 2.) Gesamtgutsverbindlichkeiten der fortgesetzten
Gütergemeinschaft sind alle Verbindlichkeiten des überlebenden Ehegatten sowie solche
Verbindlichkeiten des verstorbenen Ehegatten , welche Gesamtgutsverbindlichkeiten der
ehelichen Gütergemeinschaft waren.
§ 1399 b. (1384 Abs. 1, 1399 Abs. 2.) Für die Gesamtgutsverbindlichkeiten der
fortgesetzten Gütergemeinschaft haftet der überlebende Ehegatte persönlich. Er kann
jedoch diese Haftung, soweit sie ihn nur infolge des Eintritts der fortgesetzten Güter-
gemeinschaft trifft, nach den für das Inventarrecht des Erben geltenden Vorschriften auf
den Bestand des Gesamtguts zur Zeit des Eintritts der fortgesetzten Gütergemeinschaft
beschränken.
Eine persönliche Haftung der anteilsberechtigten Abkömmlinge für die Verbindlich-
keiten des verstorbenen oder des überlebenden Ehegatten wird durch die fortgesetzte
Gütergemeinschaft nicht begründet.
§ 1400. (1400 Abs. 1, 2 Nr. 1, 2, Abs. 3, 1401 Abs. 2.) Im Verhältnisse des
überlebenden Ehegatten zu den anteilsberechtigten Abkömmlingen fallen dem überleben-
den Ehegatten zur Last :
1. die ihm bei dem Eintritte der fortgesetzten Gütergemeinschaft obliegenden Gesamt-
gutsverbindlichkeiten, für welche das eheliche Gesamtgut nicht haftete oder welche
im Verhältnisse der Ehegatten zu einander ihm zur Last fielen ;
2. die nach dem Eintritte der fortgesetzten Gütergemeinschaft entstandenen Gesamt-
gutsverbindlichkeiten, welche, wenn sie während der ehelichen Gütergemeinschaft in
seiner Ferson entstanden wären, im Verhältnisse der Ehegatten zu einander ihm zur
Last gefallen sein würden ;
3. eine Ausstattung , die er einem anteilsberechtigten Abkömmling in einem dem Ge-
samtgute nicht entsprechenden Mafse oder die er einem nicht anteilsberechtigten
Abkömmlinge gewährt oder zugesichert hat.
§ 1400 a. (1400 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3, 4, 1402 Abs. 2.) Verbindlichkeiten des
verstorbenen Ehegatten, die ihm im Verhältnisse der Ehegatten zu einander zur Last
fielen, müssen sich die anteilsberechtigten Abkömmlinge bei der Auseinandersetzung auf
ihren Anteil insoweit anrechnen lassen, als nicht der überlebende Ehegatte von den Erben
des verstorbenen Ehegatten Deckung hat erlangen können.
In gleicher Weise haben sich die anteilsberechtigten Abkömmlinge anrechnen zu
lassen, was der verstorbene Ehegatte zu dem Gesamtgute zu ersetzen hatte.
§ 1401 vergl. § 1400 Abs. 2.
§ 1402 Abs. 1 gestrichen, Abs. 2 vergl. § 1400 a Abs. 2.
§ 1403. (1403 Nr. 4, 5.) Der überlebende Ehegatte kann die fortgesetzte Güter-
gemeinschaft jederzeit durch seine einseitige Erklärung auflösen. Die Erklärung ist dem
für den Nachlafs des verstorbenen Ehegatten zuständigen Gerichte gegenüber in öffentlich
beglaubigter Form abzugeben. Das Nachlafsgericht soll die Erklärung den anteilsberech-
tigten Abkömmlingen und, wenn der überlebende Ehegatte gesetzlicher Vertreter eines
Abkömmlings ist, dem Vormundschaftsgerichte mitteilen.
Die Auflösung kann auch durch Vertrag zwischen dem überlebenden Ehegatten und
den anteilsberechtigten Abkömmlingen erfolgen.
§ 1404. (1403 Nr. 1, 2, 1404.) Die fortgesetzte Gütergemeinschaft wird durch den
Tod sowie durch die Wiederverheiratung des überlebenden Ehegatten aufgelöst.
Will der überlebende Ehegatte zu einer neuen Ehe schreiten , so hat er dies, wenn
ein anteilsberechtigter Abkömmling minderjährig oder bevormundet ist, dem Vormund-
schaftsgericht anzuzeigen , ein Verzeichnis des Gesamtguts einzureichen und unter Auf-
25*
388 Nationalökonomische Gesetzgebung.
die Zustimmung der Mehrheit. Dagegen entschied sich diese für eine
andere juristische Konstruktion des bei beerbter Ehe eintretenden Rechts-
verhältnisses. Es erschien ihr unnatürlich, dafs die gemeinschaftlichen
lösung der Gütergemeinschaft die Auseinandersetzung herbeizuführen. Das Vormund-
schaftsgericht kann jedoch gestatten, dafs die Auflösung der Gütergemeinschaft bis zur
Eheschliefsung unterbleibt und dafs die Auseinandersetzung erst später erfolgt.
§ 1404a. Die Auflösung der fortgesetzten Gütergemeinschaft tritt, wenn der über-
lebende Ehegatte für tot erklärt wird, mit dem Zeitpunkt ein, welcher als Zeitpunkt des
Todes gilt.
§ 1405. (1403 Nr. 3, 1405 Abs. 1.) Ein anteilsberechtigter Abkömmling kann
gegen den überlebenden Ehegatten auf Auflösung der fortgesetzten Gütergemeinschaft
klagen :
1. wenn der überlebende Ehegatte ein Rechtsgeschäft der in den §§ 1353 bis 1353 b
bezeichneten Art ohne Zustimmung des Abkömmlings vorgenommen hat und eine
erhebliche Gefährdung desselben für die Zukunft zu besorgen ist;
2. wenn der überlebende Ehegatte das Gesamtgut in der Absicht, den Abkömmling
zu benachteiligen, vermindert hat;
3. wenn der überlebende Ehegatte seine Verpflichtung, dem Abkömmling den Unterhalt
zu gewähren, verletzt hat und für die Zukunft eine erhebliche Gefährdung des
Unterhalts zu besorgen ist ;
4. wenn der überlebende Ehegatte wegen Verschwendung entmündigt ist oder wenn er
das Gesamtgut durch Verschwendung erheblich gefährdet ;
5. wenn der überlebende Ehegatte die elterliche Gewalt über den Abkömmling ver-
wirkt hat oder, sofern sie ihm zugestanden hätte, verwirkt haben würde.
§ 1405 a. (1403 Nr. 3, 1405 Abs. 2.) Die Auflösung der fortgesetzten Gütergemein-
schaft tritt in den Fällen des § 1405 mit der Rechtskraft des Urteils ein. Sie tritt für
alle Abkömmlinge ein, auch wenn das Urteil nur auf die Klage eines Abkömmlings er-
gangen ist.
§ 1406. (1406 Abs. 1.) Ist die fortgesetzte Gütergemeinschaft aufgelöfst, so findet
in Ansehung des Gesamtguts die Auseinandersetzung in Ermangelung einer anderen Ver-
einbarung nach den §§ 1406 a, 1406 b statt.
Bis zur Auseinandersetzung bestimmt sich das Rechtsverhältnis der Teilhaber am
Gesamtgute nach den §§ 1373 a, 1373 b.
§ 1406a. (1406 Abs. 1, 2, 4, 6, 1407 Abs. 1.) Auf die Auseinandersetzung finden
die Vorschriften der §§ 1377, 1377 a, des § 1378 Satz 1 und der §§ 1379 bis 1380 mit
der Mafsgabe entsprechende Anwendung, dafs an die Stelle des Mannes der überlebende
Ehegatte, an die Stelle der Frau die anteilsberechtigten Abkömmlinge treten. Die im
§ 1377 a Abs. 2 Satz 2 bezeichnete Verpflichtung besteht nur für den überlebenden Ehe-
gatten, nicht für die Abkömmlinge.
§ 1406 b. (1406 Abs. 5, 1407 Abs. 2.) Der überlebende Ehegatte ist berechtigt,
das Gesamtgut oder einzelne dazu gehörende Gegenstände gegen Ersatz des Wertes zu
übernehmen. Das Recht geht nicht auf die Erben über.
Wird die fortgesetzte Gütergemeinschaft auf Grund des § 1405 durch Urteil aufge-
löst, so steht dem überlebenden Ehegatten das im Abs. 1 bestimmte Recht nicht zu.
Die anteilsberechtigten Abkömmlinge können in diesem Falle diejenigen Gegenstände
gegen Ersatz des Wertes übernehmen, welche der verstorbene Ehegatte nach § 1378 zu
übernehmen berechtigt gewesen wäre. Das Recht kann von ihnen nur gemeinschaftlich
ausgeübt werden.
Anmerkung. Vorausgesetzt wird, dafs die in der Anmerkung zu § 1381 be-
zeichnete Vorschrift auf die Auseinandersetzung bei der fortgesetzten Gütergemeinschaft
erstreckt wird.
§ 1407 Abs. 1 vergl. § 1406 a, Abs. 2 vergl. § 1406 b Abs. 2.
§ 1408. Mehrere anteilsberechtigte Abkömmlinge teilen die .ihnen zufallende Hälfte
des Gesamtgutes unter sich nach dem Verhältnisse der Anteile, zu welchen sie als ge-
setzliche Erben des verstorbenen Ehegatten berufen sein würden, wenn dieser erst zur
Zeit der Auflösung der fortgesetzten Güfergemeinschaft gestorben wäre.
Das Vorempfangene kommt nach den für die Ausgleichung unter Abkömmlingen des
Erblassers geltenden Vorschriften insoweit zur Ausgleichung, als die Ausgleichung nicht
bereits bei der Teilung des Nachlasses des verstorbenen Ehegatten erfolgt ist.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 389
Abkömmlinge yom Erbrecht des erstversterbenden Ehegatten ausgeschlossen
sein sollen ; insbesondere erblickte man in der Art, wie der Entwurf
(§ 1395) die Rechte dieser Abkömmlinge bezüglich eines Vorbehaltsguts
des Verstorbenen regelt, eine erhebliche Gefährdung derselben. Zu einer
einfacheren, leichter verständlichen und dem Wesen der allgemeinen Güter-
gemeinschaft besser entsprechenden Gestaltung des Verhältnisses glaubte
man zu gelangen, indem man im Anschlufs an die deutschrechtliche An-
schauung davon ausging, dafs mit dem Tode des einen Ehegatten das Recht
des anderen an sich kraft des in dem Gemeinschaftsverhältnisse begründe-
ten Anwachsungsrechts sich auf das ganze Gesamtgut erstrecke, dafs aber
vermöge der Natur des Gesamtguts als Hausvermögens die bis dahin
zwischen den Ehegatten bestehende Gemeinschaft nunmehr von dem Ueber-
lebenden mit den gemeinschaftlichen Abkömmlingen fortgesetzt werde.
Während hiernach bezüglich des Anteils des Verstorbenen am Gesamtgut
für den Ueberlebenden und die gemeinschaftlichen Abkömmlinge eine Erb-
folge überhaupt nicht eintritt, sollen bezüglich des Vorbehaltsgutes des
Verstorbenen für diese Personen und bezüglich der Beerbung des Ver-
storbenen durch die nicht gemeinschaftlichen Abkömmlinge die allgemeinen
erbrechtlichen Vorschriften Platz greifen. Zufolge der beschlossenen Aen-
derung der Grundauffassung wurden die §§ 1385, 1394, 1395, der § 1402
Abs. 1 und der § 1409 als entbehrlich gestrichen, der § 1386 und der
§ 1399 Abs. 2 umgestaltet.
Von den zu den übrigen Bestimmungen dieses Abschnitts gefafsten
Beschlüssen sind noch folgende hervorzuheben: Während nach § 1389
einem anteilsberechtigten Abkömmling der ihm bei der Auflösung der fort-
gesetzten Gütergemeinschaft gebührende Anteil nur zu Gunsten eines
anderen anteilsberechtigten Abkömmlings durch letztwillige Verfügung
eines Ehegatten ganz oder teilweise entzogen werden kann, gestattete man,
um die Verfügungsfreiheit der Ehegatten nicht zu sehr zu beschränken,
dem Ehegatten auch, zu Gunsten eines Dritten über den dem Abkömmling
entzogenen Betrag von Todeswegen zu verfügen. Abweichend vom § 1389
Abs. 2 soll ferner jeder Ehegatte auch unter den Voraussetzungen der
sog. Enterbung in guter Absicht gemäfs § 2002 eine dieser Vorschrift
entsprechende Beschränkung bezüglich des Anteils eines anteilsberechtigten
Abkömmlings anordnen dürfen. — Im Anschlufs an § 1389 gelaugte auf
Grund mehrerer Anträge die Frage zu eingehender Erörterung, ob, ab-
weichend vom Entwurf, den anteilsberechtigten Abkömmlingen bei dem
Eintritt der Volljährigkeit oder bei der Verehelichung oder sonstigen Be-
gründung eines selbständigen Haushalts ein Recht auf Abschichtuug d. h.
§ 1408 a. Soweit die anteilsberechtigten Abkömmlinge nach § 1379 a den Gesamt-
gutsgläubigern haften, sind sie im Verhältnisse zu einander nach der Gröfse ihres Anteils
am Gesamtgute verpflichtet. Die Verpflichtung beschränkt sich auf die ihnen zugeteilten
Gegenstände.
Anmerkung. Der in der Anmerkung zu § 362 gemachte Vorbehalt gilt auch
für die Vorschrift des § 1408 a.
§ 1409. (1383 Abs. 2 Satz 2). Die Ehegatten können die fortgesetzte Gütergemein-
schaft durch Ehevertrag ausschliefsen ; sie sind jedoch nicht berechtigt, durch Ehevertrag
oder durch Verfügung von Todeswegen sonstige Anordnungen zu treffen, die mit den
Vorschriften der §§ 1383 bis 1408 a im Widerspruche stehen.
390 Nationalökonomische Gesetzgebung.
auf Auszahlung des auf seinen Anteil am Gesamtgut fallenden Geldbetrages
oder wenigstens ein Recht auf eine angemessene Ausstattung aus dem
Gesamtgut gewährt werde solle. Die Kommission machte sich vor-
her über die vom Entwurf in § 1500 berührte Frage schlüssig, inwie-
weit im allgemeinen und ohne Rücksicht auf das im einzelnen Falle be-
stehende Güterrecht eine Rechtspflicht der Eltern zur Ausstattung der
Kinder anerkannt werden solle und entschied sich, abweichend vom Ent-
wurf, für die Anerkennung einer solchen Pflicht der Eltern gegenüber
einer sich verheiratenden Tochter. (Das Nähere hierüber wird später mit-
geteilt werden.) Ein über diesen allgemeinen Ausstattungsanspruch der
Tochter hinausgehendes Ausstattungsrecht oder ein Abschichtungsrecht der
anteilsberechtigten Abkömmlinge lehnte die Mehrheit dagegen ab. Die
Gewährung des letzteren Rechts hielt sie für nicht vereinbar mit dem
Grundgedanken der fortgesetzten Gütergemeinschaft, dem mutmafslichen
Willen der Ehegatten bei Vereinbarung der allgemeinen Gütergemeinschaft
und dem berechtigten Interesse des überlebenden Ehegatten. Eine Be-
einträchtigung dieses Interesses befürchtete sie aber auch von dem vor-
geschlagenen Ausstattungsanspruch, gegen welchen aufserdem die Unmög-
lichkeit hinreichend bestimmter Begrenzung seines Umfangs ins Gewicht
fiel. Der § 1398 selbst wurde, von weiteren Aenderungen abgesehen,
durch die dispositive Vorschrift des § 1398 a Abs. 2 der 2. Lesung er-
gänzt. Der neu autgenommene § 1404 a entspricht dem Beschlüsse zu
§ 21. Der § 1405 Abs. 1 Nr. 5 des Entwurfs ist im § 1405 Nr. 5 der
2. Lesung ergänzt. Durch den oben erörterten § 1379 a ist die Aufnahme
des neuen § 1408 a notwendig geworden. Die Beschlüsse über die fort-
gesetzte Gütergemeinschaft waren zunächst nur als eventuelle gefafst; die
Mehrheit entschied sich jedoch schliefslich endgültig für die Aufnahme des
Instituts.
Die folgenden Vorschriften über die vertragsmäfsigen Güterstände
der Errungenschaftsgemeinschaft (§§ 1410 — 1430) und der
3. Errungenschaftsgemeinschaft.
§ 1410 gestrichen.
§ 1411. (1411 Abs. 1, 1417.) Was der Mann oder die Frau während der Errungeu-
schaftsgemeinschaft erwirbt , wird gemeinschaftliches Vermögen beider Ehegatten (Ge-
samtgut).
Auf das Gesamtgut finden die für die allgemeine Gütergemeinschaft geltenden Vor-
schriften des § 1342 Abs. 2 und der §§ 1344, 1352 bis 1356, 1358, 1358 a An-
wendung.
§ 1412. Eingebrachtes Gut eines Ehegatten ist, was ihm bei dem Eintritte der Er-
rungenschaftsgemeinschaft gehört.
§ 1412 a. (1415.) Eingebrachtes Gut eines Ehegatten sind solche Gegenstände,
welche nicht durch Rechtsgeschäft übertragen werden können, sowie solche Rechte, welche
mit seinem Tode erlöschen oder deren Erwerb durch den Tod eines der Ehegatten be-
dingt ist.
§ 1413. Eingebrachtes Gut eines Ehegatten ist, was durch den Ehevertrag für ein-
gebrachtes Gut erklärt ist.
§ 1413 a. (1412.) Eingebrachtes Gut eines Ehegatten ist, was er von Todeswegen
oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht, durch Schenkung oder als Ausstattung
erwirbt. Ausgenommen ist ein Erwerb, der den Umständen nach zu den Einkünften zu
rechnen ist.
§ 1414. Eingebrachtes Gut eines Ehegatten ist, was er auf Grund eines zu se'nem
Nationalökonomische Gesetzgebung. 391
Gemeinschaft des beweglichen Vermögens und der Er-
rungenschaft (§§ 1431 — 1434) erfuhren im wesentlichen nur die-
jenigen Aenderuugen, welche sich aus den Beschlüssen zum gesetzlichen
eingebrachten Gute gehörenden Rechtes oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung
oder Entziehung eines zu dem eingebrachten Gute gehörenden Gegenstandes oder durch
ein Rechtsgeschäft erwirbt, das sich auf das eingebrachte Gut bezieht. Ausgenommen
ist der Erwerb aus dem Betriebe eines Erwerbsgeschäftes.
§ 1415 vergl. § 1412 a.
§ 1415 a. (1411 Abs. 2, 1417.) Das eingebrachte Gut wird für Rechnung des Ge-
samtgutes in der Weise verwaltet, dafs die Nutzungen, welche nach den für den Güter-
stand der Verwaltung und Nutzniefsung geltenden Vorschriften dem Manne zufallen, zu
dem Gesamtgute gehören.
Auf das eingebrachte Gut der Frau finden im übrigen die Vorschriften der §§ k bis
u, b1 bis c2 entsprechende Anwendung.
§ 1416. (1416, 1417 Abs. 1.) Vorbehaltsgut der Fran ist, was durch Ehevertrag
für Vorbehaltsgut erklärt ist oder was von der Frau nach Mafsgabe der §§ f, g erworben
■wird. Für das Vorbehaltsgut gilt das Gleiche, wie nach § 1 350 für das Vorbehaltsgut
bei der allgemeinen Gütergemeinschaft.
Vorbehaltsgut des Mannes ist ausgeschlossen.
§ 1416a. (1421 Abs. 1.) Es wird vermutet, dafs das vorhandene Vermögen Gesamt-
gut sei.
§ 1416 b. (1422.) Jeder Ehegatte kann verlangen, dafs der Bestand seines eigenen
und des dem anderen Ehegatten gehörenden eingebrachten Gutes durch Aufnahme eines
Verzeichnisses unter Mitwirkung des anderen Ehegatten festgestellt wird. Auf die Auf-
nahme des Verzeichnisses finden die für den Niefsbrauch geltenden Vorschriften des § 945
Anwendung.
Jeder Ehegatte kann den Zustand der zu dem eingebrachten Gute gehörenden Sachen
auf seine Kosten durch Sachverständige feststellen lassen.
Anmerkung. Es wird vorausgesetzt, dafs die in der Anmerkung zu § 944
(II. Lesung) in das Reichsgesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit
verwiesenen Vorschriften auf diesen Fall erstreckt werden.
§ 1417 vergl § 1411 Abs. 2, 1415 a Abs. 2, 1416 Abs. 1 Satz 2.
§ 1418. (1418, 1419.) Der eheliche Aufwand fällt dem Gesamtgute zur Last.
Das Gesamtgut trägt auch die Lasten des eingebrachten Gutes beider Ehegatten ;
der Umfang des Lasten bestimmt sich nach den bei dem Güterstande der Verwaltung
und Nutzniefsung für das eingebrachte Gut der Frau geltenden Vorschriften der §§ v
bis y.
§ 1419 vergl. § 1418 Abs. 1.
§ 1420 vergl. § 1427 a.
§ 1421 verg. §§ 1416 a und 1427 b.
§ 1422 vergl. § 1416 b.
§ 1423. (1423 Abs. 1, 4.) Das Gesamtgut haftet für alle Verbindlichkeiten des
Mannes, für die Verbindlichkeiten der Frau nur in den Fällen der §§ 1423 a bis 1423 d
(Gesamtgutsverbindlichkeiten).
Für Verbindlichkeiten der Frau, die Gesamtgutsverbindlichkeiten sind, haftet der
Mann auch persönlich. Die Haftung erlischt mit der Auflösung der Errungenschafts-
gemeinschaft, wenn die Verbindlichkeiten im Verhältnisse der Ehegatten zu einander nicht
dem Gesamtgute zur Last fallen.
§ 1423 a. (1423 Abs. 2 Nr. 1.) Das Gesamtgut haftet für Verbindlichkeiten der
Frau, die zu den im § 1418 Abs. 2 bezeichneten Lasten des eingebrachten Gutes gehören.
§ 1423 b. (1423 Abs. 2 Nr. 2, 3, Abs. 3.) Das Gesamtgut haftet für Verbindlich-
keiten der Frau, die nach dem Eintritte der Errungenschaftsgemeinschaft aus Rechtsge-
schäften oder aus gerichtlichen Entscheidungen entstanden sind :
1. wenn die Vornahme des Rechtsgeschäfts oder die Führung des Rechtsstreits mit
Zustimmung des Mannes erfolgt oder ohne seine Zustimmung ihm gegenüber wirk-
sam ist oder soweit das Gesamtgut bereichert ist ;
2. wenn ein von der Fran mit Einwilligung des Mannes selbständig betriebenes Erwerbs-
geschäft die Vornahme des Rechtsgeschäfts oder die Führung des Rechtsstreits mit
sich bringt.
392 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Güterrecht und zur allgemeinen Gütergemeinschaft ergabeu. Termino-
logisch wich man darin ab, dafs für das vom Entwurf als Sondergut be-
zeichnete Vermögen der Ausdruck , eingebrachtes Gut" gewählt wurde,
§ 1423 c. (1423 Abs. 2 Nr. 4.) Das Gesamtgut haftet für Verbindlichkeiten der
Frau, die nach dem Eintritte der Errungenschaftsgemeinschaft infolge eines ihr zustehen-
den Rechtes oder des Besitzes einer ihr gehörenden Sache entstanden sind, wenn das
Recht oder die Sache zu einem Erwerbsgeschäfte gehört, das von der Frau mit Einwilli-
gung des Mannes selbständig betrieben wird.
§ 1423 d. (1425.) Das Gesamtgut haftet für Verbindlichkeiten der Frau, die ihr
auf Grund der gesetzlichen Unterhaltspflicht ihren Verwandten gegenüber obliegen.
§ 1424 gestrichen.
Anmerkung. Vergl. die Anmerkungen zu § w1 und zu § 1361.
§ 1425 gestrichen.
Anmerkung. Der § 1425 des Entw. I soll, soweit er nicht durch den § 1423 d
erledigt ist, in den Titel über die Unterhaltspflicht eingestellt werden.
§ 1426. (1426 Abs. 2, Nr. 1, 5.) Im Verhältnisse der Ehegatten zu einander fallen
folgende Gesamtgutsverbindlichkeiten demjenigen Ehegatten zur Last, in dessen Person
sie entstanden sind :
1. die Verbindlichkeiten aus einem auf sein eingebrachtes Gut oder sein Vorbehaltsgut
sich beziehenden Rechtsverhältnis, auch wenn sie vor dem Eintritte der Errungen-
schaftsgemeinschaft oder vor der Zeit entstanden sind, zu welcher das Gut einge-
brachtes Gut oder Vorbehaltsgut geworden ist;
2. die Verbindlichkeiten aus einer gerichtlichen Entscheidung über eine der unter Nr. 1
bezeichneten Verbindlichkeiten, einschliefslich der Verbindlichkeit zur Tragung der
Kosten.
§ 1426 a. (1426 Abs. 2 Nr. 2 — 5.) Im Verhältnisse der Ehegatten zu einander
fallen dem Manne zur Last:
1. die vor dem Eintritte der Errungenschaftsgemeinschaft entstandenen Verbindlichkeiten
des Mannes ;
2. die Verbindlichkeiten des Mannes , welche der Frau gegenüber aus der Verwaltung
ihres eingebrachten Gutes entstanden sind , soweit nicht das Gesamtgut zur Zeit der
Auflösung der Errungenschaftsgemeinschaft bereichert ist ;
3. die Verbindlichkeiten des Mannes aus einer von ihm nach dem Eintritte der Errungen-
schaftsgemeinschaft begangenen unerlaubten Handlung oder aus einem wegen einer
solchen Handlung gegen ihn gerichteten Strafverfahren ;
4. die Verbindlichkeiten des Mannes aus einer gerichtlichen Entscheidung über eine der
unter den Nrn. 1 bis 3 bezeichneten Verbindlichkeiten , einschliefslich der Verbind-
lichkeit zur Tragung der Kosten.
§ 1426 b. (1426 Abs. 2 Nr. 1, 2, 5.) Die Vorschriften des § 1426 und des § 1426 a
Nr. 1, 4 finden insoweit keine Anwendung, als die Verbindlichkeiten nach § 1418 Abs. 2
von dem Gesamtgute zu tragen sind.
Das Gleiche gilt von den Vorschriften des § 1426 insoweit, als die Verbindlich-
keiten durch ein für Rechnung des Gesamtguts betriebenes Erwerbsgeschäft oder infolge
eines zu einem solchen Erwerbsgeschäfte gehörenden Rechtes oder des Besitzes einer
dazu gehörenden Sache entstanden sind.
§ 1427. Hat der Mann einem Kinde eine Ausstattung zugesichert oder gewährt, so
finden die Vorschriften des § 1368 entsprechende Anwendung.
§ 1427 a. (1420.) Soweit das eingebrachte Gut eines Ehegatten auf Kosten des
Gesamtguts oder das Gesamtgut auf Kosten des eingebrachten Gutes eines Ehegatten zur
Zeit der Auflösung der Errungenschaftsgemeinschaft bereichert ist, mufs aus dem bereicherten
Gute zu dem anderen Gute Ersatz geleistet werden. Weitergehende, auf besonderen
Gründen beruhende Ansprüche bleiben unberührt.
§ 1427b. (1421 Abs. 2.) Sind verbrauchbare Sachen, die zu dem eingebrachten
Gute eines Ehegatten gehört haben, nicht mehr vorhanden, so wird zu Gunsten des
Ehegatten vermutet, dafs die Sachen in das Gesamtgut verwendet seien und dieses um
den Wert der Sachen bereichert sei.
§ 1428. Was ein Ehegatte zu dem Gesamtgut oder was die Frau zu dem einge-
brachten Gute des Mannes schuldet, ist erst bei der Auflösung der Errungenschaftsgemein-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 393
weil dieses Vermögen dem im gesetzlichen Güterrecht mit dem letz-
teren Ausdruck benannten Traueugut entspricht. Von der Bestim-
schaft zu leisten; soweit jedoch zur Berichtigung einer Schuld der Frau ihr eingebrachtes
Gut oder ihr Vorbehaltsgut ausreicht, hat sie die Schuld schon vorher zu berichtigen.
Was der Mann aus dem Gesamtgute zu fordern hat, kann er gleichfalls erst bei der
Auflösung der Errungenschaftsgemeinschaft fordern.
§ 1429. (1429 Abs. 2.) Die Auflösung der Errungenschaftsgemeinschaft tritt mit
der Rechtskraft des Beschlusses ein, durch welchen der Konkurs über das Vermögen des
Mannes eröffnet wird.
§ 1429 a. (1429 Abs. 2.) Die Auflösung der Errungenschaftsgemeinschaft tritt,
wenn ein Ehegatte für tot erklärt wird, mit dem Zeitpunkt ein, welcher als Zeitpunkt
des Todes gilt.
§ 1429 b. (1429 Abs. 1, 3.) Die Frau kann in den Fällen des § d2 Nr. 1, 3, 4
und des § 1372, der Mann kann in dem Falle des § 1372 a auf Auflösung der Errungen-
schaftsgemeinschaft klagen.
Die Auflösung tritt mit der Rechtskraft des Urteils ein.
§ 1429 c. (1429 Abs. 1, 2.) Wird die Errungenschaftsgemeinschaft nach den §§ 1429
bis 1429 b aufgelöst, so gilt für die Zukunft Gütertrennung.
Wird die Errungenschaftsgemeinschaft durch Ehevertrag aufgelöst , so tritt für die
Zukunft gleichfalls Gütertrennung ein, sofern nicht im Vertrag ein anderes bestimmt ist.
Dritten gegenüber ist die Auflösung der Errungenschaftsgemeinschaft auch in den
Fällen des Abs. 1 nur nach Mafsgabe des § 1336 wirksam.
§ 1429 d. (1417, 1429 Abs. 1, 4.) Ist die Errungenschaftsgemeinschaft aufgelöst,
so findet in Ansehung des Gesamtguts die Auseinandersetzung in Ermangelung einer
anderen Vereinbarung nach den §§ 1377 bis 1378, 1379 bis 1380 statt. Bis zur Aus-
einandersetzung bestimmt sich das Rechtsverhältnis der Ehegatten nach den §§ 1373 a,
1373b.
Für das eingebrachte Gut der Frau gelten die Vorschriften der §§ g2 bis i2.
Anmerkung. Die nach der Anmerkung zu § 1381 in Aussicht genommene Vor-
schrift soll auch für die Errungenschaftsgemeinschaft gelten.
§ 1430. (1430 Abs. 1, 2.) Ist die Errungenschaftsgemeinschaft durch die Eröff-
nung des Konkurses über das Vermögen des Mannes aufgelöst worden, so kann die Frau
auf Wiederherstellung der Gemeinschaft klagen. Das gleiche Recht steht, wenn die Ge-
meinschaft durch die Todeserklärung aufgelöst ist, dem für tot erklärten Ehegatten zu,
falls er noch lebt.
Ist die Gemeinschaft auf Grund des § d2 Nr. 3, 4 aufgelöst worden, so kann der
Mann unter den im §k2 Abs. 1 bezeichneten Voraussetzungen auf Wiederherstellung der
Gemeinschaft klagen.
§ 1430 a. (1430 Abs. 3.) ' Die Wiederherstellung der Errungenschaftsgemeinschaft
tritt mit der Rechtskraft des Urteils ein. Die Vorschriften des § g2 Abs. 2 finden ent-
sprechende Anwendung. Dritten gegenüber ist die Wiederherstellung nur nach Mafsgabe
des § 1336 wirksam.
Im Falle der Wiederherstellung wird dasjenige Vermögen der Frau Vorbehaltsgut,
welches ohne die Auflösung der Gemeinschaft Vorbehaltsgut geblieben oder geworden
sein würde.
4. Fahrnisgemeinschaft.
§ 1431. Auf die Gemeinschaft des beweglichen Vermögens und der Errungenschaft
(Fahrnisgemeinschaft) finden die für die allgemeine Gütergemeinschaft geltenden Vor-
schriften Anwendung, soweit sich nicht aus den §§ 1432 bis 1434 ein anderes ergiebt.
§ 1431a. (1431 Abs. 1, 1432 Abs. 1.) Von dem Gesamtgut ausgeschlossen ist das
eingebrachte Gut eines Ehegatten.
Auf das eingebrachte Gut finden die bei der Errungenschaftsgemeinschaft für das
eingebrachte Gut geltenden Vorschriften Anwendung.
§ 1432. Eingebrachtes Gut eines Ehegatten ist das unbewegliche Vermögen, welches
er bei dem Eintritte der Fahrnisgemeinschaft hat oder während der Gemeinschaft durch
Erbfolge, Vermächtnis oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht, durch Schenkung
oder als Ausstattung erwirbt.
394 Nationalökonomische Gesetzgebung.
mung des § 1412, derzufolge Sondergut eines Ehegatten ist, was er
während der Dauer der Errungenschaftsgemeinschaft durch Schenkung
oder als Ausstattung erwirbt, wurde derjenige Erwerb ausgenommen,
der den Umständen nach zu den Einkünften zu rechnen ist. Man
hatte hierbei z. B. Schenkungen im Auge, die ein Ehegatte in Be-
ziehung auf seine Erwerbsthätigkeit oder aus Anlafs derselben erhält,
namentlich Trinkgelder, ferner solche Schenkungen, welche zur Tra-
gung eines an sich dem Gesamtgut zur Last fallenden Aufwandes oder
zur Befriedigung laufender an sich aus dem Gesamtgut zu bestreitender
Bedürfnisse des Haushalts einem Ehegatten gemacht werden, z. B. jähr-
liche Zuschüsse der Eltern. Bezüglich derartiger Zuwendungen nahm man
an, dafs sie nach dem Grundgedanken der Errungenschaftsgemeinschaft in
das Gesamtgut fallen müfsten. Abweichend vom § 1416 beschlofs man
ferner, Vorbehaltsgut nur für die Frau, nicht für den Mann zuzulassen.
Für ein besonderes Vorbehaltsgut des Mannes sah man kein Bedürfnis,
da es dem Ehegatten freistehe, gewisse Einkünfte durch Vereinbarung dem
Manne zuzuweisen. Zu § 1429 Abs. 2 Satz 1 wurde auch die Todes-
erklärung der Frau als Grund der Auflösung der Errungenschaftsgemein-
schaft anerkannt und demgemäfs in Ergänzung des § 1430 Abs. 1 auch
der Frau ein Recht, auf Wiederherstellung der Gemeinschaft zu klagen,
eingeräumt. Der Satz 2 des § 1430 Abs. 2, nach welchem die Frau im
Falle der Auflösung der Gemeinschaft durch Eröffnung des Konkurses über
das Vermögen des Mannes den Anspruch auf Wiederherstellung der Ge-
meinschaft verliert, wenn der Anspruch nicht vor Beendigung des Kon-
kurses rechtshängig gemacht wird, wurde in der Erwägung gestrichen, dafs
die Frau oft zu dieser Zeit noch nicht in der Lage sei, zu entscheiden,
ob sie ohne Gefährdung ihres künftigen Erwerbs die Wiederherstellung
der Gemeinschaft herbeiführen könne. — Bei den im Entwurf 2. Lesung
Zu dem unbeweglichen Vermögen im Sinne dieser Vorschrift gehören die Grundstücke
nebst Zubehör, die Rechte an Grundstücken, mit Ausnahme der Hypotheken, Grund-
schulden und Rentenschulden, sowie Forderungen, welche auf die Uebertragung des Eigen-
tums an Grundstücken oder auf die Begründung oder Uebertragung eines der bezeich-
neten Rechte oder auf Befreiung des Grundstücks von einem solchen Rechte gerichtet sind.
§ 1432 a. (1432 Abs. 1.) Eingebrachtes Gut eines Ehegatten sind solche Gegen-
stände, welche nicht durch Rechtsgeschäft übertragen werden können.
§ 1432 b. (1432 Abs. 1.) Eingebrachtes Gut eines Ehegatten ist:
1. was durch Ehevertrag für eingebrachtes Gut erklärt ist;
2. was er nach Mafsgabe des §f erwirbt, sofern die Bestimmung dahin getroffen ist,
dafs der Erwerb eingebrachtes Gut sein soll.
§ 1432 c. (1432 Abs. 1.) Eingebrachtes Gut eines Ehegatten ist, was er in der
im § 1414 bezeichneten Weise erwirbt. Diese Vorschrift findet keine Anwendung auf
Gegenstände, die nur deshalb eingebrachtes Gut sind, weil sie nicht durch Rechtsgeschäft
übertragen werden können.
§ 1432 d. (1431 Abs. 1, 1346.) Vorbehaltsgut des Mannes ist ausgeschlossen.
§ 1433. Erwirbt ein Ehegatte während der Fahrnisgemeinschaft durch Erbfolge,
Vermächtnis oder mit Rücksicht auf ein künftiges Erbrecht , durch Schenkung oder
als Ausstattung Gegenstände, die teils Gesamtgut, teils eingebrachtes Gut werden, so
fallen die infolge des Erwerbes entstandenen Verbindlichkeiten im Verhältnisse der Ehe-
gatten zu einander dem Gesamtgut und dem Ehegatten, welcher den Erwerb macht, ver-
hältnismäfsig zur Last.
§ 1434. Fortgesetzte Gütergemeinschaft tritt bei der Fahrnisgemeinschaft nur ein,
wenn sie durch Ehevertrag vereinbart ist.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 395
als Fahrnifsgemeinschaft bezeichneten Güterstande der Gemeinschaft des be-
weglichen Vermögens und der Errungenschaft wurde Vorbehaltsgut des
Mannes gleichfalls ausgeschlossen. Aufserdem liefs man, abweichend vom
§ 1434, die vertragsmäfsige Einführung der fortgesetzten Gütergemeinschaft
zu. Bei der nahen Verwandtschaft der Fahrnifsgemeinschaft mit der all-
gemeinen Gütergemeinschaft sah man zum Ausschlufs der fortgesetzten
Gütergemeinschaft keinen Grund. Da jedoch der hier fragliche vertrags-
mäfsige Güterstand wesentlich darauf berechnet ist, in dem bisherigen
Geltungsgebiet der Mobiliargemeinschaft, also namentlich in dem Gebiete
des französischen Rechts, die Beibehaltung des bisherigen Rechts zu er-
möglichen, dem französischen Recht aber die Fortsetzung der Gemeinschaft
fremd ist, glaubte man den Eintritt derselben von einer besonderen auf
ihn gerichteten ehevertraglicheu Vereinbarung abhängig macheu zu ßollen.
Dagegen fand ein Antrag, welcher auch bei der Errungenschaftsgemein-
schaft die Vereinbarung der Fortsetzung der Gemeinschaft zulassen wollte,
nicht die Billigung der Mehrheit.
Von den Vorschriften des vierten Titels über das eherechtliche
Register erfuhren nur der § 1435 Abs. 1 und der § 1437 sachliche
Aenderungen, welche sich aus dem § 1435 Abs. 2 Satz 2 und den §§ 1437,
1437a der 2. Lesung ergeben.
III. Güterrechtsregister.
§ 1435. (1435, 1436 Abs. 2.) Ist zur Wirksamkeit eines Ehevertrags oder einer
anderen Thatsache Dritten gegenüber die Eintragung in das Güterrechtsregister erforder-
lich, so hat die Eintragung in das Register des Bezirks zu erfolgen, in welchem der
Mann seinen Wohnsitz hat.
Das Register wird von den Amtsgerichten geführt. Durch Anordnung der Landes-
justizverwaltung kann die Führung des Registers für mehrere Amtsgerichtsbezirke einem
Amtsgericht übertragen werden.
§ 1436 vergl. § 1435 Abs. 1, § 1437 a.
§ 1437. (1437, 1438.) Die Eintragung soll nur auf Antrag und nur insoweit er-
folgen, als sie beantragt ist. Der Antrag ist vor dem Amtsgerichte zu Protokoll zu er-
klären oder dem Gericht in öffentlich beglaubigter Form einzureichen.
Die Eintragung erfolgt in den Fällen des § 1275 a Abs. 2 und des § q1 auf Antrag
des Mannes. In den anderen Fällen ist der Antrag beider Ehegatten erforderlich ; jeder
Ehegatte ist dem anderen zur Mitwirkung verpflichtet. Es genügt jedoch zur Eintragung
eines Ehevertrags oder einer auf einer gerichtlichen Entscheidung beruhenden Aenderung
in den vermögensrechtlichen Verhältnissen der Ehegatten der Antrag eines Ehegatten,
wenn mit dem Antrage der Ehevertrag oder die mit dem Zeugnisse der Rechtskraft ver-
sehene gerichtliche Entscheidung vorgelegt wird.
§ 1437 a. (1436 Satz 2.) Verlegt nach der Eintragung der Mann seinen Wohnsitz
in einen anderen Bezirk, so mufs die Eintragung im Register dieses Bezirkes wiederholt
werden. Der Antrag eines der Ehegatten genügt, wenn mit dem Antrag eine nach der
Aufhebung des bisherigen Wohnsitzes erteilte Abschrift der früheren Eintragung vorge-
legt wird. Die Abschrift mufs öffentlich beglaubigt sein.
Ist die Eintragung nicht binnen sechs Wochen nach der Begründung des neuen
Wohnsitzes beantragt worden , so verliert die frühere Eintragung ihre Kraft ; sie wird
wieder wirksam, wenn der Mann den Wohnsitz in den früheren Bezirk zurückverlegt.
§ 1438 vergl. § 1437 Abs 2 Satz 2.
§ 1439. Das Amtsgericht soll jede Eintragung durch Einrückung in das für seine
Bekanntmachungen bestimmte Blatt unverzüglich veröffentlichen. Ist eine Aenderung
des Güterstandes eingetragen , so hat sich die Bekanntmachung auf die Bezeichnung des
Güterstandes und, wenn dieser abweichend vom Gesetze geregelt ist, auf eine allgemeine
Bezeichnung der Abweichung zu beschränken.
39g Nationalökonomische Gesetzgebung.
In dem von der Auflösung der Ehe handelnden fünften Titel
regelt der erste Abschnitt die Scheidung und Trennung von Tisch
und Bett. Man entschied sich auf Anregung eines Mitgliedes dahin, die
Vorschriften dieses Titels wiederum zunächst durch eventuelle Abstim-
mungen festzustellen und über die Aufnahme des ganzen Titels erst in
einer Schlufsabstimmung Beschlufs zu fassen. Der in § 1440 Abs. 1 an
die Spitze gestellte Grundsatz, dafs die Auflösung der Ehe vor dem Tode
eines der Ehegatten, abgesehen von dem in § 1464 geregelten Falle der
Auflösung infolge Todeserklärung, nur durch gerichtliches Urteil erfolgen
kann, wurde, entsprechend der Beurteilung, welche das Scheidungsrecht
des Entwurfs auch anderweit vom katholisch-konfessionellen Standpunkte
aus, insbesondere durch den Beschlufs der 35. Generalversammlung der
Katholiken Deutschlands in Freiburg 1888, erfahren hat, insoweit ange-
fochten, als die Scheidung danach stets die Auflösung der Ehe dem Bande
nach zur Folge haben soll, und es wurde beantragt, zusätzlich zu be-
stimmen, dafs für den der katholischen Kirche angehörenden Ehegatten
die Scheidung nur die Auflösung der häuslichen und ehelichen Gemein-
schaft bewirke, nicht aber ihn berechtige, während des Lebens des anderen
Ehegatten eine neue Ehe zu schliefsen. Die weit überwiegende Mehrheit
der Kommission hielt jedoch an ihrer früher gekennzeichneten Grundauf-
fassung von der Aufgabe und der Stellung des staatlichen Eherechts gegen-
über dem kirchlichen fest und lehnte den Antrag ab. Im übrigen fand
der Grundsatz des § 1440 Abs. 1 Billigung, namentlich auch insofern, als
er ein landesherrliches Scheidungsrecht verneint. Während der Abs. 3
des § 1440 beständige Trennung von Tisch und Bett ausschliefst und zeit-
weilige Trennung nur in den Fällen des § 1444 für zulässig erklärt, em-
pfahl ein Antrag, beim Vorhandensein jedes Scheidungsgrundes dem schei-
dungsberechtigten Ehegatten auch eine Klage auf dauernde Aufhebung
der häuslichen und ehelichen Gemeinschaft zu geben und weiter zu be-
stimmen, dafs der beklagte Ehegatte statt der Aufhebung der Gemeinschaft
Scheidung verlangen könne, sowie dafs auf Grund des auf Aufhebung der
Gemeinschaft erkennenden Urteils jeder Ehegatte, solange das eheliche
Leben nicht wiederhergestellt sei, auf Scheidung klagen könne. Der Au-
trag wurde jedoch abgelehnt. Die Mehrheit erwog namentlich, dafs der-
selbe seinen hauptsächlichen Zweck, dem scheidungsberechtigten Ehegatten
ein Zuwarten mit der Scheidungsklage zu ermöglichen und dadurch die
Aussöhnung der Ehegatten zu erleichtern, nicht erreiche, dieser Zweck sich
vielmehr auf anderem Wege besser und einfacher erreichen lasse (vergl.
die Beschlüsse zu § 1444 und § 1447), und dafs, soweit der Antrag den
gegen die Scheidungsklage obwaltenden konfessionellen Bedenken begegnen
§ 1439 a. (1435 Abs. 2.) Das Register ist öffentlich. Die Einsicht des Registers
ist während der gewöhnlichen Dienststuuden jedem gestattet. Von den Eintragungen kann
gegen Erlegung der Kosten eine Abschrift gefordert werden ; die Abschrift ist auf Ver-
langen zu beglaubigen.
Sechster Titel.
Scheidung der Ehe.
§ 1440. Eine Ehe kann nur durch gerichtliches Urteil geschieden werden. Die
Scheidung ist nur aus den in den §§ 1441 bis 1445 a bestimmten Gründen zulässig.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 397
wolle, er hierzu teils nicht nötig, teils nicht geeignet sei. Der Satz 1 des
§ 1440 Abs. 3 wurde jedoch als entbehrlich gestrichen, weil er sich ledig-
lich gegen den reichsrechtlich bereits beseitigten früheren Rechtszustand
wende. Der Satz 2 kam durch den zu § 1444 gefafsten Beschlufs in
Wegfall.
Die Vorschriften der §§ 1441 — 1443, welche die absoluten Scheidungs-
gründe, d. h. die unbedingt zur Scheidung berechtigenden Gründe regeln,
blieben unverändert; der Vorschlag, die bösliche Verlassung (£ 1443) als
absoluten Scheidungsgrund fallen zu lassen , erschien schon im Hinblick
auf das geltende Recht unannehmbar. Neben die absoluten stellt der
§ 1444 relative Scheidungsgründe, d. h. solche, die nur dann zur Schei-
§ 1441. Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte sich
des Ehebruchs oder einer nach den §§ 171, 175 des Strafgesetzbuchs strafbaren Hand-
lung schuldig gemacht hat.
Das Recht des Ehegatten auf Scheidung ist ausgeschlossen , wenn er dem Ehebruch
oder der strafbaren Handlung zugestimmt oder sich der Teilnahme schuldig gemacht hat.
§ 1442. Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte ihm
nach dem Leben getrachtet hat.
§ 1443. Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte ihn
böslich verlassen hat.
Bösliche Verlassung liegt nur vor:
1. wenn ein Ehegatte zur Herstellung der häuslichen Gemeinschaft rechtskräftig ver-
urteilt worden ist und ein Jahr lang gegen den Willen des anderen Ehegatten in
böslicher Absicht dem Urteile keine Folge geleistet hat;
2 wenn ein Ehegatte sich ein Jahr lang gegen den Willen des anderen Ehegatten in
böslicher Absicht von der häuslichen Gemeinschaft fern gehalten hat und die Vor-
aussetzungen für die öffentliche Zustellung seit Jahresfrist gegen ihn bestanden
haben.
Die Scheidung ist im Falle der Nr. 2 unzulässig, wenn die Voraussetzungen für die
öffentliche Zustellung am Schlüsse der mündlichen Verhandlung, auf welche das Urteil
ergeht, nicht mehr bestehen.
§ 1444. Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte durch
schwere Verletzung der durch Ehe begründeten Pflichten oder durch ehrloses oder unsitt-
liches Verhalten eine so tiefe Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses verschuldet hat, dafs dem
Ehegatten die Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet werden kann. Als schwere Ver-
letzung der Pflichten gilt insbesondere eine grobe Mifshandlung.
Anmerkung. Im Artikel 11 des Entwurfes des Einführungsgesetzes soll zum
teilweisen Ersätze des § 1444 der § 580 der Civilprozefsordnung durch folgende Vor-
schriften ersetzt werden :
§ 580. Hat der Kläger die Aussetzung des Verfahrens über eine Ehescheidungs-
klage beantragt, so darf das Gericht auf Scheidung nicht erkennen, bevor die Aus-
setzung stattgefunden hat. Das Gleiche gilt, wenn die Scheidung auf Grund des
§ 1444 des Bürgerlichen Gesetzbuchs beantragt ist und die Aussicht auf Aussöh-
nung der Parteien den Umständen nach nicht ausgeschlossen erscheint.
Auf Grund dieser Bestimmungen darf die Aussetzung im Laufe des Rechtsstreits
nur einmal und höchstens auf zwei Jahre angeordnet werden.
§ 580 a. Die Aussetzung des Verfahrens über eine Klage auf Herstellung des
ehelichen Lebens kann das Gericht von Amtswegen anordnen, wenn es die Aus-
söhnung der Parteien tür nicht unwahrscheinlich erachtet. Auf Grund dieser Be-
stimmung darf die Aussetzung im Laufe des Rechtsstreits nur einmal und höch-
stens auf ein Jahr angeordnet werden.
§ 1445 gestrichen.
§ 1445a. Ein Ehegatte kann auf Scheidung klagen, wenn der andere Ehegatte in
Geisteskrankheit verfallen ist, die Krankheit während der Ehe mindestens drei Jahre
gedauert und einen solchen Grad erreicht hat, dafs die geistige Gemeinschaft zwischen
den Ehegatten aufgehoben , auch jede Aussicht auf Wiederherstellung derselben ausge-
schlossen ist.
398 Nationalökonomisehe Gesetzgebung.
düng führen, wenn sie im einzelnen Falle eine so tiefe Zerrüttung des ehe-
lichen Verhältnisses verursacht haben, dafs dem anderen Ehegatten die
Fortsetzung der Ehe nicht zugemutet werden kann ; als relativen Schei-
dungsgrund in diesem Sinne bezeichnet der § 1444 jedoch, nicht nur be-
stimmte einzelne Handlungen, sondern im allgemeinen jede schwere Ver-
letzung der dem einen Ehegatten gegen den anderen obliegenden ehelichen
Pflichten sowie ehrloses oder unsittliches Verhalten. Gegenüber dieser
Regelung wurde, wie in der Kritik, so auch in der Kommission das Be-
denken erhoben, dafs sie dem richterlichen Ermessen zu weiten Spielraum
lasse und daher zur Rechtsunsicherheit führe, und es wurde empfohlen,
statt dessen den absoluten Gründen die Verurteilung wegen eines während
der Ehe begangenen entehrenden Verbrechens mit einer Freiheitsstrafe
von mindestens 3 Jahren hinzuzufügen, als relative Gründe nur fortge-
setzte gesundheitsgefährdende Mifshandlung und absichtliche hartnäckige
Nichterfüllung der ehelichen Pflichten aufzustellen und daneben die Schei-
dung auf Grund gegenseitiger Einwilligung zuzulassen. Die Mehrheit war
jedoch der Ansicht, dafs die grundsätzliche Bestimmung der relativen
Gründe, wie sie der § 1444 enthalte, dem Bedürfnisse des Lebens besser
gerecht werde; sie billigte auch im einzelnen die Voraussetzungen des
§ 1444, nur erschien es teils überflüssig, teils irreführend, wenn der Ent-
wurf als Beispiel ehrlosen oder unsittlichen Verhaltens die Begehung eines
entehrenden Verbrechens oder Vergehens nach Schliefsung der Ehe be-
zeichnet, und man liefs diese Exemplifikation daher weg. Der Vorschlag,
als Beispiel solches zur Scheidung berechtigenden Verhaltens die schuld-
hafte Verweigerung der kirchlichen Trauung anzuführen, wurde abgelehnt;
man hielt den Zusatz zum Teil für unvereinbar mit der Stellung des staat-
lichen Eherechts zur kirchlichen Trauung, teilweise für überflüssig, da,
soweit er richtig sei, er sich von selbst verstehe.
In den Fällen des § 1444 kann nach dem Entwurf nur ausnahms-
weise sofortige Scheidung verlangt werden, wenn nämlich nach den Um-
ständen des Falles die Aussicht auf Herstellung des ehelichen Verhältnisses
ausgeschlossen ist. Regelmäfsig kann der unschuldige Ehegatte nur Tren-
nung von Tisch und Bett verlangen und erst, wenn die in dem hierauf
ergehenden Urteil bestimmte Trennungszeit abgelaufen ist, kann er auf
Grund des Urteils in einem zweiten Prozefs auf Scheidung klagen. Die
Bestimmungen bezwecken, eine Aussöhnung der Ehegatten zu befördern.
Die Mehrheit nahm jedoch an, dafs dieser Zweck durch den Entwurf nicht
erreicht werde, weil durch die dem Trennungsurteil vorangehende gericht-
Anmerkung. Im Artikel 11 des Entwurfes des Einführuugsgesetzes soll folgende
Vorschrift in die Civilprozefsordnung als § 581 a eingestellt werden :
Auf Scheidung wegen Geisteskrankheit darf nicht erkannt werden , bevor das
Gericht einen oder mehrere Sachverständige über den Geisteszustand des Beklagten
gehört hat.
Die Entscheidung der Frage, ob die Unanwendbarkeit des § 369 Abs. 4 der Civil-
prozefsordnung auf die von Amtswegen erfolgende Zuziehung von Sachverständigen in
Scheidungsprozessen ausdrücklich auszusprechen ist, bleibt der Beratung des Einführungs-
gesetzes vorbehalten.
§ 1446. Das Recht auf Scheidung erlischt in den Fällen der §§ 1441 bis 1444
durch Verzeihung.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 399
liehe Erörterung der die Klage begründenden Thatsachen die Zerrüttung
des ehelichen Verhältnisses eher gesteigert werde; auch sah sie in dem
Erfordernis einer zweiten auf Scheidung gerichteten Klage eine unzweck-
mäßige Formalität. Man beschlofs daher, das Institut der Klage auf zeit-
weilige Trennung von Tisch und Bett ganz fallen zu lassen und auch in
den Fällen des § 1444 dem unschuldigen Ehegatten die Scheidungsklage
zu geben, im Interesse thunlichster Aufrechterhaltung der Ehe aber die
Vorschriften des § 580 der Civilprozefsordnung dahin zu ändern, dafs im
Ehescheidungsprozesse das Verfahren auf Antrag des Klägers stets und
bei einer auf § 1444 gestützten Scheidungsklage auch von Amtflwegen
dann auszusetzen sei, wenn die Aussicht auf Aussöhnung der Parteien
den Umständen nach nicht ausgeschlossen erscheint. Infolge dieses Be-
schlusses erledigten sich alle folgenden Vorschriften über die Trennung
von Tisch und Bett.
Man kam hierauf zur Erörterung der Frage, ob die Scheidungsgründe
des Entwurfs einer Ergänzung bedürften. Es lagen in dieser Beziehung
zunächst zwei Anträge auf Zulassung der Scheidung auf Grund gegen-
seitiger Einwilligung der Ehegatten vor; die erforderliche Gewähr gegen
Mifsbrauch dieses ScheiduDgsgrundes wollte der eine der Anträge im An-
schlufs an das französische Recht durch erschwerende Formvorschriften,
der andere dadurch schaffen, dafs er neben der Einwilligung eine die
Fortsetzung der Ehe ausschliefsende Zerrüttung des ehelichen Verhält-
nisses als Voraussetzung aufstellte. Die Kommission lehnte jedoch beide
Anträge ab, weil sie dieselben, namentlich den ersten, mit der dem Ent-
wurf zu Grunde liegenden Auffassung der Ehe als einer über dem indivi-
duellen Belieben der Ehegatten stehenden höheren sittlichen und recht-
lichen Institution für nicht vereinbar hielt, während nach dem zweiten
aufserdem der Hauptvorteil der Scheidung auf Grund gegenseitiger Ein-
willigung, dafs nämlich eine gerichtliche Feststellung des wahren Grundes
vermieden werde, verloren gehe. — Es war weiter zu der Frage Stellung
zu nehmen, ob Geisteskrankheit als Scheidungsgrund anerkannt werden
solle. Der Standpunkt des Entwurfs, welcher unter strengem Festhalten
an dem Grundgedanken, dafs nur wegen schweren Verschuldens eines Ehe-
gatten Scheidung zuzulassen sei, die Scheidung wegen Geisteskrankheit
verwirft, hat in der Kritik überwiegend Widerspruch erfahren. Die Mehr-
heit der Kommission ging davon aus, dafs gegenüber dem geltenden Kecht,
welches den fraglichen Scheidungsgrund in weitem Umfange anerkennt,
und angesichts der unverkennbaren wirtschaftlichen Nachteile und sitt-
lichen Gefahren, die aus der Aufrechterhaltung der Ehe für den gesunden
Ehegatten und die Kinder nicht selten erwüchsen, eine Abweichung von
dem bezeichneten Grundgedanken des Entwurfs gerechtfertigt und geboten
erscheine, sofern es gelinge, die Voraussetzungen der Scheidung aus diesem
Grunde angemessen und bestimmt genug festzustellen. Unter den zahl-
reichen zu der Frage gestellten Anträgen bestand darin im wesentlichen
Uebereinstimmung, dafs nur in besonders gearteten Fällen der Geistes-
krankheit die Scheidung zuzulassen sei. Für die Bestimmung dieser Fälle
erblickte die Mehrheit den leitenden Gesichtspunkt darin, dafs die geistige
Krankheit gewissermafsen den geistigen Tod des einen Ehegatten zur Folge
400 Nationalökonomische Gesetzgebung.
haben müsse; nur unter dieser Voraussetzung rechtfertige sich die Auf-
lösung der Ehe entsprechend der Auflösung durch den leiblichen Tod.
Man erforderte demgemäfs einen solchen Grad der Geisteskrankheit, dafs
durch diese die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten aufgehoben
sei. Als weitere Voraussetzung stellte man daneben Unheilbarkeit der
Geisteskrankheit auf und, um bei der Schwierigkeit der Feststellung dieses
Moments möglichste Gewähr für die Richtigkeit derselben zu schaffen,
forderte man weiter eine mindestens dreijährige Dauer der Krankheit
während der Ehe. Der Vorschlag, zu diesem Zweck eine längere Beob-
achtung des Kranken in einer öffentlichen Irrenanstalt oder einer landes-
gesetzlich den öffentlichen Anstalten in dieser Hinsicht gleichgestellten
Privatirrenanstalt vorzuschreiben, wurde abgelehnt, teils wegen der mit
einer solchen Vorschrift verbundenen Kostenbelastung, namentlich aber
deswegen, weil die Voraussetzungen der Unterbringung in eine Irrenan-
stalt der landesgesetzlichen Regelung unterliegen und von dieser daher
mittelbar die Durchführung der reichsrechtlichen Vorschrift abhängen
würde. Zweckmäfsig erschien es endlich, dem Prozefsgericht die Ver-
nehmung von Sachverständigen über den Geisteszustand des beklagten
Ehegatten zur Pflicht zu machen.
Nach § 1447 Abs. 1 ist in den Fällen der §§ 1441, 1442, 1444 die
§ 1447. (1447 Abs. 1—4.) Die Scheidungsklage mufs in den Fällen der §§ 1441
bis 1444 binnen sechs Monaten von dem Zeitpunkt an erhoben werden, in welchem der
Ehegatte von dem Scheidungsgrunde Kenntnis erlangt hat. Die Klage ist ausgeschlossen,
wenn seit dem Eintritte des Scheidungsgrundes zehn Jahre abgelaufen sind.
Die sechsmonatige Frist läuft nicht ab, solange die häusliche Gemeinschaft der Ehe-
gatten aufgehoben ist. Wird jedoch der zur Klage berechtigte Ehegatte von dem anderen
Ehegatten aufgefordert , entweder die häusliche Gemeinschaft herzustellen oder die Schei-
dungsklage zu erheben, so läuft die Frist von dem Empfange der Aufforderung.
Der Erhebung der Klage steht die Ladung zum Sühnetermine gleich. Die Ladung
verliert ihre Wirkung, wenn der zur Klage berechtigte Ehegatte im Sühnetermine nicht
erscheint oder wenn er nicht binnen drei Monaten nach der Beendigung des Sühnever-
fahrens die Klage erhebt.
Auf den Lauf der Fristen finden die für die Verjährung geltenden Vorschriften der
§§ 169, 171 entsprechende Anwendung.
Anmerkung. Im Artikel 11 des Entwurfes des Einführungsgesetzes sollen die
Vorschriften der §§ 571, 572 der Civilprozefsordnung dahin geändert werden:
§ 571. Der Kläger hat bei dem Amtsgerichte, vor welchem der Ehemann seinen
allgemeinen Gerichtsstand hat, die Anberaumung eines Sühnetermines zu beantragen
und zu diesem Termine den Beklagten zu laden.
§ 572. Die Parteien müssen in dem Sühnetermine persönlich erscheinen; Bei-
stände können zurückgewiesen werden.
Erscheint der Kläger oder erscheinen beide Parteien im Sühnetermine nicht, so
mufs der Kläger die Anberaumung eines neuen Sühnetermins beantragen und den
Beklagten zu dem Termine laden Erscheint der Kläger, aber nicht der Beklagte,
so ist der Sühneversuch als mifslungen anzusehen.
§ 1447 a. (1447 Abs. 5.) Ein Scheidungsgrund kann nach dem Ablaufe der für
seine Geltendmachung im § 1447 bestimmten Frist in einem anhängigen Rechtsstreite
geltend gemacht werden, sofern die Frist zur Zeit der Erhebung der Klage noch nicht
abgelaufen war.
§ 1448. Thatsachen, auf die eine Scheidungsklage nicht mehr gegründet werden
kann, dürfen zur Unterstützung einer auf andere Thatsachen gegründeten Scheidungsklage
geltend gemacht werden.
§ 1449. Wird die Ehe aus einem der in den §§ 1441 bis 1444 bestimmten Gründe
geschieden , so ist in dem Urteil auszusprechen , dafs der Beklagte die Schuld an der
Scheidung trägt.
Nationalökonomische Gesetzgebung. -IQl.
Scheidungsklage ausgeschlossen, wenn sie nicht binnen sechs Monaten er-
hoben wird, nachdem der unschuldige Ehegatte von dem Scheidungsgrunde
Kenntnis erlangt hat. Diese Vorschrift erachtete man für insofern be-
denklich, als sie den unschuldigen Ehegatten zu schleuniger Erhebung der
Klage drängt. Anknüpfend an die Thatsache, dafs der Ehegatte es oft
vorzieht, sich zunächst nur thatsächlich von dem schuldigen Teil zu trennen
und dafs solche Trenuuug nicht selten zur Aussöhnung der Gatten führt,
bestimmte man daher, dafs, solange die häusliche Geraeinschaft der Ehe-
gatten aufgehoben ist, die sechsmonatige Ausschlufsfrist nicht laufen soll,
gab dem schuldigen Ehegatten aber das Hecht, den anderen aufzufordern,
dafs er entweder die häusliohe Gemeinschaft herstelle oder die Scheidungs-
klage erhebe, mit der Wirkung, dafs vom Empfange der Aufforderung die
Frist wieder zu laufen beginnt. Diese Bestimmungen dienen zugleich als
ein weiterer Ersatz für die beseitigte Klage auf Trennung von Tisch und
Bett. Die im § 1447 Abs. 2 bestimmte absolute Ausschlufsfrist von
30 Jahren wurde auf 10 Jahre herabgesetzt. Man dehnte endlich die
Vorschriften des § 1447 auch auf den Fall der böslichen Verlassung
(§ 1443) aus. Abweichend vom § 1450 soll bei Scheidung wegen Ehe-
bruchs die Person des mitschuldigen Dritten nicht notwendig in der Ur-
teilsformel, sondern nur im Urteil festgestellt zu werden brauchen, weil
die Möglichkeit von Irrtümern eine minder schroffe Form der Feststellung
ratsam erscheinen liefs.
Bezüglich der Vermögensauseinanderselzung der geschiedenen Ehe-
gatten beläfst es der Entwurf bei den allgemeinen, für den betreffenden
Güterstand geltenden Vorschriften, insbesondere, abweichend vom über-
wiegenden Teil der geltenden Rechte, auch in den Fällen, in denen all-
gemeine oder partikulare Gütergemeinschaft bestanden hat. Die Kom-
mission war dagegen, in Uebereinstimmung mit mehrfachen Aeufserungen
der Kritik, der Ansicht, dafs in diesen Fällen die Anwendung der allge-
meinen Vorschriften grofse Härten für den unschuldigen Ehegatten zur
Folge habe, dem schuldigen Teil aber Vorteile gewähre, in denen unter
Umständen ein Anreiz liegen könne, einen Grund zur Scheidung zu
schaffen. Als das Ziel der Regelung sah man an, zu verhindern, dafs der
schuldige Ehegatte aus der Scheidung Gewinn ziehe ; nicht dagegen bc-
Ist von dem Beklagten Widerklage erhoben und wird auch diese für begründet
erkannt, so sind beide Ehegatten für schuldig zu erklären. Ohne Erhebung einer Wider-
klage ist auf Antrag des Beklagten im Falle der Scheidung auch der Kläger für schuldig
zu erklären, wenn Thatsachen vorliegen, die den Beklagten berechtigen würden, auf
Scheidung zu klagen, oder wenn das Recht des Beklagten auf Scheidung zwar durch
Verzeihung oder durch Zeitablauf ausgeschlossen ist , aber zur Zeit des Eintritts des von
dem Kläger geltend gemachten Scheidungsgrundes noch bestanden hat.
§ 1450 gestrichen.
Anmerkung. Im Artikel 11 des Entwurfes des Einlührungsgesetzes soll zum
Ersätze des § 1450 des Entw. I folgende Vorschrift in die Civilprozefsordnung als § 581 b
eingestellt werden :
Wird wegen Ehebruchs auf Scheidung erkannt, so ist in dem Urteile die Person
festzustellen , mit welcher der Ehebruch begangen worden ist , wenn sie sich aus
den Verhandlungen ergiebt.
§ 1451 vergl. die Anmerkung zu §§ 1254—1256.
§ 1452. Die Auflösung der Ehe tritt mit der Rechlskraft des Scheidungsurteils ein.
Dritte Folge Bd. VHI (LXII1). 26
402 Nationalökonomische Gesetzgebung.
zweckte man die Einführung einer Art. Ehescheidungsstrafe, vielmehr billigte
man, dafs der Entwurf solche grundsätzlich verwirft. Yon diesen Er-
wägungen aus gelangte man zu den neuen Vorschriften des § 1453 a der
2. Lesung. Den gleichen Schutz, wie bei Scheidung wegen Verschuldens
eines Ehegatten dem anderen Ehegatten , glaubte man bei Scheidung
wegen Geisteskrankheit dem geisteskranken Ehegatten gewähren zu sollen.
Der in § 1454 geregelte Unterhaltsanspruch des unschuldigen Ehe-
§ 1453. Ist ein Ehegatte allein für schuldig erklärt, so kann der andere Ehegatte
Schenkungen, die er ihm während des Brautstandes oder während der Ehe gemacht hat,
widerrufen. Die Vorschriften des § 477 finden Anwendung.
Der Widerruf ist ausgeschlossen, wenn seit der Rechtskraft des Scheidungsurteils
ein Jahr verstrichen oder wenn der Schenker oder der Beschenkte gestorben ist.
§ 1453 a. Sind die Ehegatten geschieden und ist nur einer von ihnen für schuldig
erklärt , so kann der andere verlangen , dafs ihm der Wert desjenigen , was er mehr als
der schuldige Ehegatte in die Gütergemeinschaft eingebracht hat, als Voraus zugeteilt
wird, sofern der Wert des Gesamtguts den Wert des von beiden Ehegatten Eingebrachten
erreicht Ist der Wert des Gesamtguts geringer, so kann der nicht für schuldig erklärte
Ehegatte Teilung in der Art verlangen, dafs jedem Ehegatten der Wert des von ihm
Eingebrachten nach Abzug der Hälfte des Fehlbetrags zurückerstattet wird.
Der Wert des Eingebrachten bestimmt sich nach der Zeit des Einbringens. Als
eingebracht ist anzusehen , was eingebrachtes Gut gewesen sein würde , wenn Errungen-
schaftsgemeinschaft bestanden hätte.
Die gleichen Rechte hat ein Ehegatte , wenn die Ehe wegen seiner Geisteskrankheit
geschieden worden ist.
§ 1454. Der allein für schuldig erklärte Mann hat der geschiedenen Frau den
standesmäfsigen Unterhalt insoweit zu gewähren , als sie ihn nicht aus den Einkünften
ihres Vermögens und, sofern bei Ehefrauen ihres Standes Erwerb durch eigene Arbeit
üblich ist, aus dem Ertrag ihrer Arbeit zu bestreiten vermag.
Die allein für schuldig erklärte Frau hat dem geschiedenen Manne den standes-
mäfsigen Unterhalt insoweit zu gewähren, als er aufser Stande ist, sich selbst zu unter-
halten.
§ 1454 a. (1454 Abs. 1.) Ist der allein für schuldig erklärte Ehegatte bei Berück-
sichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen aufser Stande, ohne Gefährdung seines eigenen
standesmäfsigen Unterhalts dem anderen Ehegatten den Unterhalt zu gewähren , so ist
er berechtigt, von den zu seinem Unterhalte verfügbaren Einkünften zwei Dritteile oder,
wenn diese zu seinem notdürftigen Unterhalte nicht ausreichen, so viel zurückzubehalten,
als zu dessen Bestreitung erforderlich ist.
Der Mann ist der Frau gegenüber unter den Voraussetzungen des Abs. 1 von der
Unterhaltspflicht ganz befreit, wenn die Frau den Unterhalt aus dem Stamme ihres Ver-
mögens bestreiten kann.
§ 1454 b. (1454 Abs. 1.) Der Unterhalt ist durch Entrichtung einer Geldrente nach
Mafsgabe des § 702 zu gewähren. Ob, in welcher Art und für welchen Betrag der
Unterhaltspflichtige Sicherheit zu leisten hat, bestimmt sich nach den Umständen des
Falles. Statt der Rente kann der Berechtigte eine Abfindung in Kapital verlangen, wenn
ein wichtiger Grund vorliegt.
Im übrigen finden die für die Unterhaltspflicht der Verwandten geltenden Vorschriften
der §§ 1487, 1488, des § 1490 Abs. 1, des § 1492 und für den Fall des Todes des
Berechtigten die Vorschriften des § 1496 entsprechende Anwendung.
§ 1454 c. (1454 Abs. 1, 2.) Die Unterhaltspflicht erlischt mit der Wiederverhei-
ratung des Berechtigten.
Im Falle der Wiederverheiratung des Verpflichteten finden die Vorschriften des § 1482 a
entsprechende Anwendung.
§ 1454 d. (1454 Abs. 1.) Die Unterhaltspflicht erlischt nicht mit dem Tode des
Verpflichteten.
Die Unterhaltspflicht der Erben unterliegt nicht den Beschränkungen des § 1454 a.
Der Berechtigte mufs sich jedoch die Herabsetzung der Rente bis auf die Hälfte der
Nationalökonomiscbe Gesetzgebung. 403
gatten gegen den schuldigen wurde in mehrfacher Hinsicht für den erste-
ren günstiger gestaltet. Währeud nach dem Entwurf eine den Anspruch
begründende Bedürftigkeit des Berechtigten nur anzunehmen ist, wenn
dieser wegen Vermögenslosigkeit und Erwerbsunfähigkeit aufser Staude ist,
sich selbst zu unterhalten, soll es nach dem Beschlufs der Kommission,
falls die Frau der unschuldige Teil ist, schon genügen, dafs 6ie ihren
standesmäfsigen Unterhalt nicht aus den Einkünften ihres Vermö-
gens und, sofern bei Ehefrauen ihres Standes Erwerb durch Arbeit üblich
ist, aus dem Ertrag ihrer Arbeit zu bestreiten vermag. Mafsgebend für
die Aenderung war der Gesichtspunkt, dafs der unschuldige Ehegatte
bezüglich des Unterhaltsanspruchs durch die Scheidung nicht un-
günstiger gestellt werden solle. Unter dem gleichen Gesichtspunkt beliefs
man es für den Mann beim Entwurf. — Nach diesem ist eine weitere
Voraussetzung des Unterhaltsanspruchs, dafs der schuldige Ehegatte bei
Berücksichtigung seiner anderweitigen Verpflichtungen im Stande ist, den
Unterhalt ohne Beeinträchtigung seines eigenen standesmäfsigen Unterhalts
zu gewähren. Die Kommission hielt demgegenüber die in § 1454 a der
2. Lesung getroffene Regelung für der Billigkeit besser entsprechend. —
Nach dem Entwurf erlischt der Unterhaltsanspruch mit dem Tode des
Verpflichteten. Dies erschien dem leitenden Gedanken insofern wider-
sprechend, als der unschuldige Ehegatte, falls zur Zeit des Todes des
Verpflichteten die Ehe noch bestanden hätte, zwar auch den Unterhalts-
anspruch verloren, dafür aber ein Erbrecht gehabt haben würde. Ande-
rerseits war eine Begrenzung des Anspruchs gegenüber den Erben des
Verpflichteten geboten, weil ohne sie der Berechtigte unter Umständen
mehr erlangen würde, als wenn die Ehe erst durch den Tod aufgelöst
worden wäre. Bezüglich der Begrenzung folgte man dem Vorbilde des
preufsischen Rechts (vergl. § 1454 d der 2. Lesung). Auch in Betreff
des Unterhaltsanspruchs gab man im Falle der Scheidung wegen Geistes-
krankheit dem kranken Ehegatten die gleichen Rechte wie in anderen
Fällen dem unschuldigen Ehegatten ; man erblickte hierin auch einen ge-
wissen Schutz gegen mifsbräuchliche Geltendmachung dieses Scheidungs-
grundes.
In betreff des Namens der geschiedenen Frau hielt die Kommission
im Anschlufs an verschiedene Stimmen der Kritik für geboten , von der
Regel des § 1455, nach welcher die Frau den Familiennamen des Mannes
Einkünfte gefallen lassen, welche der Verpflichtete zur Zeit des Todes aus seinem Ver-
mögen bezog.
§ 1454 e. Ist die Ehe wegen Geisteskrankheit eines Ehegatten geschieden, so hat
ihm der andere Ehegatte den Unterhalt in gleicher Weise zu gewähren, wie ein allein
für schuldig erklärter Ehegatte.
§ 1455. Die geschiedene Frau behält den Familiennamen des Mannes.
Ist die Frau allein für schuldig erklärt, so verliert sie den Familiennamen des
Mannes und erhält ihren Familiennamen wieder, wenn der Mann ihr die Fortführung
seines Namens untersagt und der zuständigen Behörde hiervon Anzeige macht.
Ist die Frau nicht oder nicht allein für schuldig erklärt, so kann sie durch eine der
zuständigen Behörde gegenüber abzugebende Erklärung ihren Familiennamen oder, sofern
sie vor der Eingehung der geschiedenen Ehe Witwe war, ihren Witwennamen wieder
annehmen.
§ 1456. Solange die geschiedenen Ehegatten leben , steht die Sorge für die Person
26*
404 Nationalökonomische Gesetzgebung.
behält, im Interesse sowohl des an der Scheidung unschuldigen Mannes
als der unschuldigen oder nicht allein schuldigen Frau Ausnahmen dahin
zuzulassen, dafs dem Manne das Recht zustehen soll, der Frau die Füh-
rung seines Familiennamens zu untersagen, der Frau das Recht, den
Familiennamen des Mannes abzulegen. — Von den Vorschriften über das
Rechtsverhältnis zwischen den geschiedenen Ehegatten und den gemein-
schaftlichen Kindern erfuhr nur der § 1458 AenderuugeD, welche 6ich
an die Bestimmungen des § 1339 anschliefsen. Die Verpflichtung der
Frau, zum Unterhalt eines gemeinschaftlichen Kindes beizutragen, soll nicht
schlechthin dann wegfallen, wenn dem Manne die Nutzniefsung an dem
Kindesvermögen zusteht, sondern nur insoweit, als die Kosten des Unter-
halts durch die Nutzniefsung gedeckt werden; die Frau soll ferner unter
den Voraussetzungen des § 1458 Abs. 2 der 2. Lesung den Beitrag zur
eigenen Verwendung zurückbehalten können.
Die §§ 1459 — 1461, welche die Wirkungen der einstweiligen Tren-
nung von Tisch und Bett regeln, kamen infolge des zu § 1444 gefafsten
Beschlusses in Wegfall. Im § 1462, welcher die während des Scheidungs-
prozesses zulässigen einstweiligen Verfügungen betrifft, wurde bezüglich
der Regelung der Unterhaltspflicht der Ehegatten das vom Entwurf aner-
kannte freie richterliche Ermessen dadurch beschränkt, dafs die Regelung
nach Mafsgabe des § 1461 Abs. 2 — 4 oder des sachlich übereinstimmenden
§ 1281a der 2. Lesung erfolgen soll. Während ferner der Abs. 2 des § 1462
gewisse Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Antrags auf Erlassung
der einstweiligen Verfügungen aufstellt, erschien es richtiger, nur die Zu-
der gemeinschaftlichen Kinder, wenn nur einer der Ehegatten für schuldig erklärt ist,
dem anderen Ehegatten zu. Sind beide Ehegatten für schuldig erklärt, so steht die Sorge
für die Söhne unter sechs Jahren und für die Töchter der Mutter, für die Söhne über
sechs Jahre dem Vater zu. Das Vormundschaftsgericht kann eine abweichende Anord-
nung treffen, wenn eine solche im Interesse der Kinder durch besondere Umstände ge-
boten ist ; die Anordnung kann aufgehoben werden, wenn sie im Interesse der Kinder
nicht mehr erforderlich ist.
Die Sorge für die Person der Kinder im Sinne des Abs. 1 umfafst nicht die gesetz-
liche Vertretung.
Im übrigen werden die aus der elterlichen Gewalt sich ergebenden Rechte und Pflichten
durch die Scheidung nicht berührt.
§ 1457. Der Ehegatte, welchem nach § 1456 die Sorge für die Person eines Kindes
nicht zusteht, behält die Befugnis, mit dem Kinde persönlich zu verkehren. Das Vor-
mundschaftsgericht kann diesen Verkehr näher regeln.
§ 1458. Die Frau ist verpflichtet, dem Manne aus den Einkünften ihres Vermögens
sowie aus dem Ertrag ihrer Arbeit oder eines von ihr selbständig betriebenen Erwerbs-
geschäfts einen angemessenen Beitrag zur Bestreitung des einem gemeinschaftlichen Kinde
von ihm zu gewährenden Unterhalts zu leisten, soweit nicht die Kosten des Unterhalts
durch die ihm an dem Vermögen des Kindes zustehende Nutzniefsung gedeckt werden.
Der Anspruch des Mannes ist nicht übertragbar.
Steht der Frau die Sorge für die Person des Kindes zu und ist eine erhebliche Ge-
fährdung des Unterhalts des Kindes zu besorgen, so kann die Frau den Beitrag zur
eigenen Verwendung insoweit zurückbehalten, als dies zur Bestreitung des Unterhalts
erforderlich ist.
§ 1459 gestrichen.
§ 1460 gestrichen.
§ 1461 gestrichen.
§§ 1462, 1463 vergl. die Anmerkung zu §§ 1254—1256 unter 2.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 4' '5
lässigkeit der einstweiligen Verfügungen selbst von jenen Vor-
aussetzungen abhängig zu macheu, den Antrag aber schon vorher zuzu-
lassen.
Die §§ 1464, 1465 behandeln die Auflösung der Ehe infolge
Todeserklärung. Die Todeserkläruug eines Ehegatten läfst an ßich
die Ehe fortbestehen, giebt aber dem anderen Ehegattin das Recht, eine
neue Ehe zu schliefsen (§ 1235), und mit der Eingehung der neuen Ehe
wird die frühere aufgelöst, es sei denn, dafs der wiederheiratende Ehegatte
bei der Eingehung der zweiten Ehe weifs, dafs zu dieser Zeit der für tot
erklärte Ehegatte noch lebt. Diese vou einem grofsen Teile der geltenden
staatlichen Ehegesetze, namentlich aber vom katholischen und gemeinen pro-
testantischen Eherecht abweichende Regelung hat in der Kritik lebhaften
Widerspruch hervorgerufen, insbesondere deshalb-, weil sie im Falle der
Rückkehr des für tot erklärten Ehegatten zu schweren Gewissenskonflikten
führe, indem der wiederheiratende Ehegatte nach staatlichem Rechte an
seine zweite Ehe, nach kirchlichem an die erste gebunden sei. Auch die
Kommission hielt in dieser Hinsicht Abhülfe für geboten. Es erschien
hierzu aber nicht notwendig und mit Rücksicht auf die wünschenswerte
Sicherung der zweiten Ehe nicht ratsam, diese Ehe grundsätzlich als
nichtig zu behandeln und sie nur gültig werden zu lassen, wenn die
erste Ehe vor Erhebung der Nichtigkeitsklage aufgelöst werde. Vielmehr
entschied sich die Mehrheit dahin, in den Fällen, in denen der für tot er-
klärte Ehegatte noch lebt, jedem Ehegatten der zweiten Ehe ein Anfech-
tungsrecht zu geben, sofern er nicht bei der Eheschliefsung die Unrich-
tigkeit der Todeserklärung gekannt habe. Um aber den gutgläubigen
neuen Ehegatten im Falle der Anfechtung der zweiten Ehe durch den
wiederheiratenden Ehegatten für den Verlust seiner erbrechtlichen Aus-
Siebenter Titel
Auflösung der Ehe im Falle der Todeserklärung.
§ 1464. Ist einer der Ehegatten für tot erklärt, so wird die Ehe dadurch aufgelöst,
dafs der andere Ehegatte sich wieder verheiratet. Die Ehe bleibt auch dann aufgelöst,
wenn die Todeserklärung infolge einer Anfechtungsklage aufgehoben wird oder wenn
die neue Ehe nach den §§ 1259 a bis 1259 e anfechtbar ist und angefochten wird.
Die Auflösung tritt nicht ein , wenn beide Ehegatten bei der Eheschliefsung gewufst
haben , dafs der für tot erklärte Ehegatte die Todeserklärung überlebt hat oder wenn
die neue Ehe aus einem anderen Grunde nichtig ist.
§ 1464 a. Ist der für tot erklärte Ehegatte noch am Leben, so kann jeder Ehegatte
der neuen Ehe diese aufechten, es sei denn, dafs er bei der Eheschliefsung wufste , dafs
der für tot erklärte Ehegatte noch lebte. Die Anfechtung mufs binnen sechs Monaten
von dem Zeitpunkt an erfolgen , in welchem der anfechtende Ehegatte erfahren hat, dafs
der für tot erklärte Ehegatte noch lebt.
Die Anfechtung ist ausgeschlossen , wenn die neue Ehe durch den Tod eines Ehe-
gatten aufgelöst ist.
§ 1464 b. Macht der Ehegatte der früheren Ehe von dem ihm nach § 1464 a zu-
stehenden Anfechtungsrechte Gebrauch, so hat er dem anderen Ehegatten nach Mafsgabe
der §§ 1454 bis 1454 d Unterhalt zu gewähren, sofern nicht der andere Ehegatte bei der
Eheschliefsung wufste, dafs der für tot erklärte Ehegatte noch lebte.
§ 1465. Ist die Ehe nach § 1464 aufgelöst, so bestimmt sich die Sorge für die
Person der gemeinschaftlichen Kinder nach den Vorschriften, welche gelten, wenn die
Ehe geschieden ist und beide Ehegatten für schuldig erklärt sind. Auf die Unterhalts-
pflicht finden die Vorschriften des § 1458 Anwendung.
406 Nationalökonomische Gesetzgebung,
sichten zu entschädigen, gewährte man ihm einen entsprechenden Unter-
haltsanspruch wie dem unschuldigen geschiedenen Ehegatten. Zu Gunsten
des wiederverheirateten Ehegatten erschien eine gleiche Bestimmung ent-
behrlich, weil für ihn infolge der Anfechtung die erste Ehe und damit
der Unterhaltsanspruch gegen seinen ersten Ehegatten wieder auflebt.
Abgesehen von den auf das Anfechtungsrecht bezüglichen Zusätzen erfuhr
der § 1464 noch zwei Aenderungen. Während nach dem Entwurf durch
die zweite Ehe die erste dann nicht aufgelöst wird, wenn der wieder-
heiratende Ehegatte bei der Eheschliefsung weifs, dafs sein erster Gatte
noch lebt, soll nach den Beschlüssen der Kommission nur der böse Glaube
der beiden die zweite Ehe schliefsenden Ehegatten der zweiten Ehe
die auflösende Wirkung nehmen, böser Glaube aber schon angenommen
werden, wenn diese Ehegatten wissen, dafs der für tot erklärte Ehegatte
die Todeserklärung überlebt hat.
Man kam schliefslich zu der früher vorbehaltenen, endgültigen Ab-
stimmung über die Frage der Aufnahme oder Ablehnung des ganzen Titels ;
bei derselben entschied sich die grofse Mehrheit der Kommission für die
Aufnahme.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 407
V.
Das Gesetz über die Abzahlungsgeschäfte l ).
Von Rechtsanwalt Dr. Ludwig Fuld in Mainz.
Nachdem die Frage, in welcher Weise die Gesetzgebung gegen die
mit den Abzahlungsgeschäften verbundenen Mifs- und Uebelstände ein-
zuschreiten habe , die öffentliche Diskussion seit langer Zeit beherrscht
hatte, nachdem in einer reichen und wertvollen Litteratur die Einzel-
heiten des Vorgehens von sachverständiger Seite besprochen worden waren,
sahen sich die verbündeten Regierungen veranlafst, umfassende Erhebungen
darüber zu veranstalten , ob ein Bedürfnis für die Regelung des Abzah-
lungshandels vorhanden sei. Das Ergebnis dieser Erhebungen war die
Bejahung der Frage und es wurde demgemäfs dem Reichstag am 23. De-
zember 1892 der Entwurf eines Gesetzes betreffend die Abzahlungsge-
schäfte vorgelegt.
Der Reichstag verwies denselben an eine Kommission, die ihn einer
eingehenden Beratung unterzog und mit verschiedenen Aenderungen und
einigen Zusätzen annahm; infolge der Auflösung des Reichstags gelangte
die Vorlage nicht mehr zur Erledigung. Am 13. Dezember 1893 wurde
ein neuer Entwurf vorgelegt , der zwar im allgemeinen dem ersten ent-
sprach, jedoch die von der Reichstagskommission beschlossenen Zusätze
und Aenderungen berücksichtigt hatte; von einer Verweisung desselben
au eine Kommission sah der Reichstag ab und beschlofs die Beschlufs-
fassung im Plenum vorzunehmen. Ohne sachliche Abänderungen wurde
die Vorlage genehmigt , die Annahme derselben erfolgte durch eine aus
sämtlichen Parteien mit alleiniger Ausnahme der deutsch-freisinnigen be-
stehenden Mehrheit. Das Gesetz ist am 29. Mai 1894 als Reichsgesetz
verkündet worden.
Während es bei der Erörterung der gegen den Abzahlungshandel
gerichteten Vorschläge nicht an mafslosen und unvernünftigen Projekten
gefehlt hatte , deren Verwirklichung das Fortbestehen des Abzahlungs-
handels in Frage gestellt hätte, war es das Bestreben der verbündeten
Regierungen, jede zu weit gehende Regelung zu vermeiden und sich nur
auf das unbedingt Notwendige zu beschränken. Die eminente sozial-
politische Bedeutung des Abzahlungsgeschäftes wurde von ihnen voll und
ganz anerkannt und sie waren mit nichten gewillt, die Gesetzgebung in
den Dienst derjenigen zu stellen, welche aus Gründen der Geschäftskon-
1) Diese Ausführungen dienen gleichzeitig zur Ergänzung des Artikels „Abzahlungs-
geschäfte" im „Handwörterbuch der Staatswissenschaften" I. Bd. S. 14 fg.
408 Nationalökonomische Gesetzgebung.
kurrenz die schärfsten repressiven Mafsregeln dagegen verlangten. Nach
Ausicht der verbündeten Regierungen war die Hauptursache der berechtig-
ten Klagen über die Abzahlungsgeschäfte in der Bedrückung der Käufer
durch harte Vertragsbestimmungen Beitens der Verkäufer zu suchen, denen
dieserhalb durch besondere gesetzliche Bestimmungen entgegenzutreten
war. Damit war der Inhalt des in Betracht kommenden Gesetzes für die
Reichsgesetzgebung von selbst gegeben ; zu weitaus dem gröfsten Teile
mufste derselbe dem bürgerlichen Rechte angehören und nur vereinzelt
kam das Straf- und Gewerberecht dabei ergänzend in Betracht. Zu einer
Erweiterung der strafgesetzlichen Bestimmungen lag um so weniger ein
Anlafs vor, als durch die Novelle zu dem Wuchergesetz vom 19. Juni
1893, welche den Begriff der wucherlichen Ausbeutung auf alle zweisei-
tigen Verträge ausgedehnt hat, die Möglichkeit gegeben ist, auch ein wuche-
risches Verhalten in dem Betriebe der Abzahlungshändler unter Strafe zu
stellen. Der Reichstag war in der Hauptsache mit dieser grundsätzlichen
Ansicht der verbündeten Regierungen einverstanden , eine Erweiterung
des Gesetzes durch die Ausschliefsung des Abzahlungshandels von dem
Gewerbebetriebe im Umherziehen wurde zwar angeregt, jedoch im Hin-
blick auf die seitens einer Bundesregierung ohnehin schon dem Bundes-
rate vorgeschlagene weitere Beschränkung dieses Gewerbebetriebes nicht
weiter verfolgt.
Vor allem schreitet das Gesetz gegen die Verwirkungsklausel
ein, hierunter versteht man die Verabredung, dafs, wenn der Verkäufer
sich das Rücktrittsrecht von dem Vertrage wegen der Nichterfüllung der
dem Käufer obliegenden Verpflichtungen vorbehalten hat und von dem-
selben Gebrauch macht, er nicht nur die verkaufte Sache wieder an sich
nehmen, sondern auch alle von dem Käufer gezahlten Beträge unverkürzt
behalten darf; in dieser Klausel wird nicht mit Unrecht ein Beweis dafür
erblickt, dafs das geltende Recht unter dem Deckmantel der sog. Vertrags-
freiheit die schlimmste Ausbeutung der wirtschaftlich schwachen Klassen
gestattet; freilich bedient sich nicht nur der Abzahluugshandel der Ver-
wirkungsklausel, auch in dem Versicherungsrecht spielt dieselbe eine grofse
Rolle und man wird nicht in Abrede stellen können, dafs die Art und
Weise ihrer Anwendung auch hier oft genug eine harte genannt werden
mufs, jedenfalls hat aber bislang nur der Gebrauch derselben im Abzah-
lungshandel die öffentliche Aufmerksamkeit in besonderem Mafse auf sich
gezogen. Das Gesetz verbietet dieselbe schlechthin ; tritt der Verkäufer
auf Grund des vorbehaltenen Rücktrittsrechts von dem Vertrage zurück,
oder macht er von dem Eigentumsvorbehalte Gebrauch und nimmt auf
Grund desselben die verkaufte Sache wieder an sich, so haben beide
Teile, der Verkäufer und der Käufer, die Pflicht, dem anderen die auf
Grund des Vertrags empfangenen Leistungen zurückzugewähren, der Ver-
käufer gelangt 6omit wieder in den Besitz der verkauften Sache , der
Käufer in den Besitz der von ihm gezahlten Teilzahlungen mit Ausnahme
des Betrags , auf welchen der Verkäufer dem Gesetze zufolge Anspruch
hat; dieser Betrag besteht aber einmal aus dem Ersatz für die infolge
des Vertrags gemachten Aufwendungen, ferner aus dem Ersatz für die
Beschädigung und Verschlechterung der Sache, aus der Vergütung für
Nationalökonomiische Gesetzgebung. 409
die Wertminderung, die seit der Uebergabe an den Käufer eingetreten
ist und 6chlief8lich aus der Vergütung für den Gebrauch oder die Nutz-
ung , welche der Käufer in der Zeit von der Uebergabe bis zu der
Kücknahme gehabt hat; Vereinbarungen, durch welche sich der Verkäufer
eine bessere und höhere Vergütung sichern will, bind ungiltig, wenn sie
vor Ausübung des Rücktrittsrechtes getroffen worden sind. In diesen
Bestimmungen, welche den Inhalt der §§ 1 und 2 des Gesetzes bilden,
liegt der Schwerpunkt der neuen Regelung, der Praxis werden dieselben
jedenfalls am meisten zu schaffen macheu. An abfälligen Kritiken der-
selben hat es nicht gefehlt, man hat insbesondere geltend gemacht, dafs
durch diese Vorschriften der Käufer jederzeit den Verkäufer zwingen könne,
die verkaufte Sache an sich zu nehmen und bezüglich der von ihm begehrten
Vergütung einen Prozefs zu beginnen, bei welchem die Aussichten, in den
B:-sitz der ihm zustehenden Vergütung zu kommen , vielfach nicht be-
sonders günstige seien. Dieser Vorwurf kann in der allgemeinen Form,
in welcher er erhoben worden ist, nicht als begründet erachtet werden,
digegen ist zuzugeben, dafs in manchen Fällen die erwähnten Bestimmungen
allerdings von böswilligen Schuldnern in der bezeichneten Weise niifs-
braucht werden können. Der solide Abzahlungshandel wird durch den
Erlafs des Gesetzes zu gröfserer Vorsicht veranlafst, er wird sich die
Person der Käufer etwas genauer ansehen und prüfen müssen , ob die-
selben so gestellt sind, dafs eine Zwangsvollstreckung unter Umständen
gegen sie mit Aussicht auf Erfolg eingeleitet werden kann. Mag die
Passung der in Frage kommenden Bestimmungen auch nach mehreren
Richtungen hin als eine mangelhafte zu bezeichnen und immerhin zuzu-
geben sein , dafs eine bessere Regelung des allerdings recht schwierigen
Punktes wohl möglich gewesen wäre, so darf doch den übertriebenen
Befürchtungen nicht zugestimmt werden, denen zufolge der Betrieb des
Abzahlungsgeschäftes für verschiedene Industriezweige kaum mehr auf-
rechterhalten werden könnte. Wenn der Käufer 6ich den von dem Ver-
käufer beanspruchten Betrag nicht abziehen läfst, mufs dieser bei dem
ordentlichen Richter Klage erheben und seinen Schaden nachweisen. Die
freie Stellung, welche der deutsche Richter auf Grund der Civilprozefs-
ordnung gegenüber Schadensersatzklagen hat, ermöglicht es den Gerichten,
in vielen Fällen von der Erhebung eines sachverständigen Gutachtens
Umgang zu nehmen und nach ihrer Personen- und Sachkenntnis über die
Höhe des Anspruchs zu entscheiden.
Eine weitere Bestimmung des Gesetzes beschäftigt sich mit der Ver-
einbarung einer Konventionalstrafe; es ist in dem Abzahlungs-
geschäft bisher vielfach üblich gewesen, dafs die Erfüllung der dem Käufer
obliegenden Verpflichtungen durch die Vereinbarung einer hohen Kon-
ventionalstrafe erzwungen wird, dies gilt vor allem von der Verpflichtung
des Käufers, die Teilzahlungen pünktlich zu leisten. Das Gesetz giebt dem
Richter das Recht, solche Strafen, wenn sie unverhältnismäßig hoch sind,
auf Antrag des Käufers durch Urteil auf einen angemessenen Betrag herab-
zusetzen, vorausgesetzt, dafs eine Entrichtung der Strafe noch nicht statt-
gefunden hat. Diese Erweiterung der richterlichen Befugnisse steht in
Einklang mit der heutigen Rechtsentwickelung; nach Einführung des
410 Nationalökonomische Gesetzgebung.
bürgerlichen Gesetzbuchs wird der Richter jeder Konventionalstrafe gegen-
über ein unbeschränktes Ermäfsigungsrecht besitzen.
Die Termi n s verf al 1 kla usel bildet den Gegenstand einerweiteren
Bestimmung; in zahlreichen bei den Abzahlungsgeschäften gebräuchlichen
Vertragsformularen rindet sich die Bestimmung, dafs die Nichtbezahlung,
welcher die unpünktliche, d. h. verspätete Zahlung gleichgestellt wird, einer
fälligen Rate die Fälligkeit des ganzeu noch ausstehenden Schuldbetrags
zur Folge hat; eine solche Vereinbarung kann in Zukunft rechtsgiltig nur
unter der Voraussetzung getroffen werden, dafs der Käufer mit mindestens
zwei aufeinander folgenden Teilzahlungen ganz oder teilweise im Verzuge
ist und der Betrag, mit dessen Zahlung er in Verzug ist, mindestens dem
zehnten Teile des Kaufpreises gleichkommt; die Verfallklausel wird hier-
nach in doppelter Beziehung beschränkt, wodurch die Möglichkeit ihrer
Anwendung vermindert ist.
Die bisher erörterten Bestimmungen erleiden auf alle Abzahlungs-
geschäfte Anwendung, gleichviel in welche Rechtsform dieselben ge-
kleidet sind. Das Gesetz erwähnt besonders der Rechtsform der Miets-
verträge und bezeichnet es als bedeutungslos, ob dem Empfänger der
Ware ein Recht eingeräumt ist, später das Eigentum an der Sache zu
erwerben oder nicht. Vielfach wird das Abzahlungsgeschäft in einer Rechts-
form abgeschlossen, welche nicht die des Kaufes ist, besonders beliebt ist
die Form der Miete; das Gesetz legt auf diese juristischen Unterschiede
keinen Wert; mafsgebend ist lediglich, ob ein Rechtsgeschäft in Frage
steht, durch welches die wirtschaftlichen Zwecke des Abzahlungsgeschäftes
erreicht werden sollen; sobald diese Frage zu bejahen ist, finden die neuen
Bestimmungen Anwendung; der wirtschaftliche Zweck des Abzahlungsge-
schäftes besteht aber in der Verschaffung des den ordnungsgemäfsen Ge-
brauch ermöglichenden Besitzes gegen Bezahlung der dafür vereinbarten
Gebühr in periodischen Teilbeträgen, der Käufer wird in die Lage gesetzt,
mit einer Sache schalten und walteu zu können , wie es der Eigentümer
kann. Die privatrechtlichen Unterschiede zwischen Kauf, Miete und Ge-
brauchsleihe haben hiernach für die Entscheidung der Frage, ob Veran-
lassung vorliegt, ein Rechtsgeschäft der Beurteilung durch das neue Gesetz
zu unterstellen, keinen Wert.
Während es sich bei den bisher besprochenen Bestimmungen um
privatrechtliche Vorschriften handelte, welche sich mit dem Inhalte des
Vertrags bei dem Abzahlungsgeschäfte beschäftigen, ist nunmehr einer
Vorschrift zu gedenken, welche gewerbe- bezw. polizeirechtlichen Inhaltes
ist. Der Verkauf von Lotterielosen oder Inhaberpapieren mit Prämien
oder von Bezugs- oder Anteilscheinen auf solche Lose oder Inhaberpapiere
mit Prämien gegen Teilzahlungen ist bei Strafe von fünfhundert Mark
verboten; dem Verkaufe steht jede auf die gleichen Zwecke abzielende
Veräufserung gleich. Für das Verbot und die Strafverhängung bildet es
keinen Unterschied, ob die Uebergabe des Papiers vor oder nach der
Zahlung des Preises erfolgt ist. Bei den Beratungen des Reichstags war
beantragt worden, das Verbot auf die Veräufserung von Wertpapieren jeder
Art zu erstrecken, indessen wurde der Antrag abgelehnt, nachdem sich der
Vertreter des Bundesrates dagegen ausgesprochen hatte mit der Begründung,
Nationalökonomische Gesetzgebung. 411
dafs durch diese Erweiterung auch das 6olide Bank- und Anlagegeschäft
eine Schädigung erfahren werde. Ob diese Begründung auf Beifall An-
spruch erheben kann, mufs dahingestellt bleiben.
Da die Gründe, welche es der Gesetzgebung angemessen erscheinen
liefsen, durch besondere Bestimmungen gewisse bei dem Abzahlungsgeschäft
vorkommende Vertragsklauseln zu verbieten oder doch ihre Rechtswirksam-
keit von besonderen Voraussetzungen abhängig zu machen, für das Gebiet des
kaufmännischen Verkehrs im engeren und eigentlichen Sinne nicht als vor-
handen anerkannt werden können, so ist die Anwendbarkeit des Gesetzes in
denjenigen Fällen ausgeschlossen, in welchen als Empfänger der Ware ein in
das Handelsregister eingetragener Kaufmann figuriert. Als zweifelhaft ist
es zu bezeichnen, ob auch das Verbot der Veräufserung von Lotterielosen
und Inhaberpapieren mit Prämien dem eingetragenen Kaufmann gegenüber
nicht zur Anwendung kommen soll. Aus der Entstehungsgeschichte des
Gesetzes läfst sich ein bestimmtes Urteil nicht gewinnen , da die Absicht
des Gesetzes jedenfalls dahin gegangen ist, den auf diese Klassen von
Wertpapieren gerichteten Abzahlungshandel, der erfahrungsgemäfs mit den
gröfsten Uebervorteilungen und Schwindeleien verbunden war, gründlich
zu beseitigen, so verdient die Ansicht den Vorzug, welche dieses Verbot
auch dem eingetragenen Kaufmann gegenüber zur Anwendung gebracht
wissen will. Endlich ist zu erwähnen, dafs der im Privatrecht allgemein
anerkannte Rechtssatz, wonach neuen Gesetzen die rückwirkende Kraft
versagt bleibt, auch für das Gebiet der Abzahlungsgeschäfte ausdrücklich
anerkannt ist; Verträge, welche vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes
abgeschlossen sind, unterliegen seinen Vorschriften nicht; dies bezieht sich
sowohl auf die bedingt wie die unbedingten vor dem gedachten Zeitpunkte
abgeschlossenen Verträge.
Aus dem Vorstehenden ist zu ersehen, dafs das Gesetz nach ver-
schiedenen Richtungen hin die Vertragsfreiheit der Kontrahenten ein-
schränkt — zum Vorteile der wahren Vertragsfreiheit; die Vertragsklauseln,
welche verboten oder nur unter besonderen Voraussetzungen als rechts-
wirksam anerkannt werden, sind lediglich von den Abzahlungshändlern
in ihrem eigenen Interesse in die Verträge aufgenommen worden, der
Käufer mufs sich damit einverstanden erklären, wenn er überhaupt Waren
gegen Abzahlung erwerben will. Bei dieser Sachlage ist es vollkommen
gerechtfertigt, wenn die Gesetzgebung die formelle Vertragsfreiheit be-
schränkt; die formelle Beschränkung ist mit einer Sicherung der materiellen
Vertragsfreiheit gleichbedeutend.
Von Interesse ist es, dafs fast zu derselben Zeit, in welcher der
Reichstag mit der Beratung des vorstehend dargestellten Gesetzes be-
schäftigt war, auch das österreichische Abgeordnetenhaus sich mit der
Erörterung der gleichen Materie befafste ; auch in Oesterreich steht das
Einschreiten der Gesetzgebung gegen die Abzahlungsgeschäfte schon seit
Jahren auf der Tagesordnung und bereits im Jahre 1890 wurde von der
Regierung der Entwurf eines Gesetzes betreffend die Veräufserung be-
weglicher Sachen gegen Ratenzahlung vorgelegt, der im wesentlichen dem
entspricht, welcher jetzt das Abgeordnetenhaus beschäftigt hat. Der In-
halt desselben ist wesentlich verschieden von dem des deutschen Gesetzes;
412 Nationalökonomische Gesetzgebung.
zu erwähnen ist insbesondere, dafs Hausierern der Abschlufs von Ab-
zahlungsgeschäften sowie die Einladung zum Abschlufs solcher Geschäfte
untersagt ist, sowie dafs derjenige mit Geldstrafe bedroht wird, welcher
bei der Veräufserung beweglicher Sachen gegen Ratenzahlung den Leicht-
sinn, die Yerstaudes6chwäche oder Unerfahrenheit des Erwerbers dadurch
ausbeutet, dafs er diesen zu Anschaffungen beredet, welche den wirtschaft-
lichen Verhältnissen desselben offenbar nicht entsprechen. Man darf wohl
behaupten, dafs die letztere Bestimmung entschieden zu weit geht und das
Abzahlungsgeschäft, wenn sie strenge gehandhabt wird, teilweise unmöglich
macht; der Gesetzgeber mutet in dieser Bestimmung dem Abzahlungsver-
käufer eine Prüfung der Verhältnisse des Käufers zu, die derselbe bei
bestem Willen nicht erfüllen kann.
Natior.alökonomische Gesetzgebung. 413
VI.
Das Reichs Stempelgesetz vom 27. April 1894.
Die durch Reichsgesetze vom 1. Juli 1881 und 29. Mai 1885 einge-
führten Verkehrsteuern *) lasten auf Aktien, Renten- und Schuldverschrei-
bungen, auf Kauf- und sonstigen Anschaffungsgegenständen über gewisse
gesetzlich näher bestimmte Gegenstände und auf Lotterielosen. Der im
November 1893 vorgelegte Entwurf wegen Aenderung des Reichsstempel-
gesetzes enthielt eine Erhöhung der Steuersätze unter Tarifnummer 1 — 5
(Verdoppelung der Abgabe für inländische Effekten, Verdreifachung für
ausländische, Verdoppelung des Umsatzstempels, Erhöhung der Abgabe für
Lotterielose) und beabsichtigte Einführung eines neuen Stempels auf
Quittungen, Checks, Giroanweisungen und Frachtbriefe. Bei den Be-
ratungen der Kommission wurden letztere neuen Steuern abgelehnt,
während anderenfalls einige Bestimmungen des Entwurfs und Tarifs ein-
schneidende Aenderungen erfuhren. Nachstehende Uebersicht enthält eine
Zusammenstellung der Grundprinzipien.
Das neue Reichsstempelgesetz zerfällt in 4 Abschnitte : Wertpapiere,
Kauf- und sonstige Anschaffungsgeschäfte, Lotterielose und allgemeine Be-
stimmungen.
1) Steuer von Aktien und für den Handelsverkehr be-
stimmter Renten- und Schuldverschreibungen einschl. der aus-
gegebenen Interimsscheine. Gegenstand der Besteuerung ist bei inlän-
dischen Werten die Ausgabe (Emission), bei ausländischen deren Eintritt
in den inländischen Verkehr (Veräufserung , Verpfändung, Leistung der
Zahlung, Aushändigung u. s. w. [Tarif Nr. 1 b]). Verpflichtet zur Ent-
richtung der Steuer ist im ersten Falle die Ausgabestelle, im zweiten alle
diejenigen Personen, welche beim Geschäft beteiligt sind (Ausgabe, Ver-
äufserung. Verpfändung u. s. w.).
Befreit von der Abgabe sind u. a. alle vor dem 1. Juli 1881 bereits
ausgegebenen inländischen Aktien, Renten- und Schuldverschreibungen, dann
die Anlehen des Reichs und der Bundesstaaten, inländische von Aktien-
gesellschaften für gemeinnützige Zwecke für die minder begüterten Volks-
klassen ausgegebenen Wertpapiere unter bestimmten Voraussetzungen.
Alle vor dem 1. Mai 1894 ausgegebenen inländischen und die abgestempelten
ausländischen Wertpapiere werden nach dem Gesetze vom 1. Juli 1881
beurteilt. Vor diesem speziell ausgestellte ungestempelte ausländische
Werte sind, wenn sie bis zum 1. November 1894 zur Stempelung vor-
gelegt werden, nach dem früheren Gesetz, später nach dem neuen Tarif
für inländische zu stempeln. Eine Erweiterung der Steuerpflicht aus-
ländischer Werte tritt insofern ein, als die Zusendung und Abholung
1) Ueber die Vorgeschichte dieser beiden Gesetze und über dieselben vergl. diese
Jahrbücher 45. Band (N. F. 11. Bd.) S. 33 fg.
414 Nationalökonomische Gesetzgebung.
aus dem Auslände auf Grund eines Geschäftsabschlusses im Auslande, der
Aushändigung im Inlande gleich geachtet wird (Anlage zur Tarifnummer 1).
Das Reichsstempelgesetz bestimmt (§§ 2 — 6, 7. Nummer 1 — 3) nun-
mehr für Wertpapiere sechs Steuersätze, nämlich: 1 pro Mille (10 Pf. von
je 100 M.) für inländische auf den Inhaber lautende, auf Grund staat-
licher Genehmigung auegegebene Renten- und Schuldverschreibungen der
Kommunalverbände und Kommunen; 2 pro Mille (20 Pf. von je 100 M.)
für gleiche Werte der Korporationen ländlicher oder städtischer Grund-
besitzer, Grundkredit- und Hypothekenbanken oder Transportgesellschaften
(früher nur 1 pro Mille); 4 pro Mille (40 Pf. von je 100 M.) bei ander-
weiten Renten- und Schuldverschreibungen (früher 2 pro Mille); 6 pro
Mille (60 Pf. von je 100 M.) für solche Werte ausländischer Staaten,
Korporationen, Aktiengesellschaften oder industrieller Unternehmer und für
sonstige für den Handelsverkehr bestimmte ausländische Werte; 1 Prozent
(1 M. von je 100 M.) für inländische Aktien (früher 5 pro Mille des Nenn-
wertes); l1/2 Prozent (1,50 M. von je 100 M.) für ausländische Aktien.
Für Genufsscheine ist eine feste Abgabe (50 Pf., 3 M. und 5 M. für
jede einzelne Urkunde) festgesetzt.
2) Steuer von Kauf- und Anschaffungsgeschäften.
Gegenstand der Besteuerung sind wie bisher a) Kauf- und sonstige An-
schaffungsgeschätte , d. i. auf den Erwerb von Eigeütum gerichtete ent-
geltliche Verträge über ausländische Banknoten, ausländisches Papiergeld,
ausländische Geldsorten und über folgende Wertpapiere: Aktien, Aktien-
anteilscheine, Interimsscheine, Reuten- und Schuldverschreibungen; b)
Kauf- und sonstige Anschaffungsgeschäfte, welche uuter Zugrundelegung
von Usancen an einer Börse geschlossen werden (Loco-, Zeit-, Pix-,
Termin-, Prämien- u. s. w. Geschäfte), über Mengen von Waren, die
börsenmäfsig gehandelt werden , d. h. für welche Terminpreise notiert
werden (7, Nummer 4a, b). Der Steuerpflicht unterliegen: 1) im Inlande
abgeschlossene Geschäfte unbedingt; 2) im Auslande oder durch Korre-
spondenz zwischen einem Orte des Inlandes und einem Orte des Aus-
landes abgeschlossene Geschäfte. Die Abgabepflicht besteht für bedingte
und unbedingte Geschäfte, als solches gilt auch die Verabredung der Ver-
schiebung auf einen späteren Termin. Bei Geschäftsabschlufs durch Kom-
missionäre ist das Geschäft zwischen Kommissionär und Dritten, wie
zwischen Kommissionär und Kommittenten steuerpflichtig. Wenn jemand
im Arbitrageverkehr unter Tarifnummer 4a 1 und 2 fallende Gegenstände
derselben Gattung im Inlande gekauft und im Auslande verkauft hat und
umgekehrt, oder an dem einen Börsenplatz des Auslandes gekauft und an
dem anderen verkauft hat, so ermäfsigt sich die Stempelabgabe um 1/.?0
vom Tausend, wenn die beiden Geschäfte zu festen Kursen an demselben
oder an zwei unmittelbar folgenden Börsentagen abgeschlossen sind.
Gleiches gilt, wenn An- und Verkäufe von ausländischen Banknoten oder
Papiergeld, Geschäfte über Kontanten und Wechsel gegenüberstehen. Eine
Abgabe wird weiter nicht erhoben:
a) Falls der Wert des Geschäftsgegenstandes nicht mehr als 600 M.
beträgt ;
b) falls die börsenmäfsigen Waren von einem der Vertragsschliefen-
den im Inlande hergestellt sind ;
Nationalökonomische Gesetzgebung. 415
c) für Ausrechnung der Schuldverschreibungen der Pfandbriefinstitute
und Hypothekenbanken an den kredituehmeuden Grundbesitzer;
d) für sog. Kontantgeschäfte über die Gegenstände unter No. 4 a 1
des Tarifs, sowie ungemünztes Gold oder Silber ;
e) von Geschäften zur Versicherung von Wertpapieren gegen Aus-
lösung.
Endlich bleiben bestimmte Tauschgeschäfte und unentgeltliche Leih-
geschäfte steuerfrei ^§§ 7 — 13 Reichsgesetz).
Die Steuer berechnet sich vom Werte des Gegenstandes des Ge-
schäftes, und zwar in Abstufungen von 20 bezw. 40 Pf. für je 1000 M.
oder einen Bruchteil dieses Betrages. Der Wert wird nach dem verein-
barten Kauf- und Lieferungspreis, sonst durch den mittleren Börsen- und
Marktpreis am Tage des Abschlusses bestimmt.
Für das abgabepflichtige Geschäft besteht der Schlufsnotenzwang
(§§ 9, 10); die Schlufsnote ist vom zur Abgabe zunächst Verpflichteten
(§ 9) doppelt auf mit Stempelmarken versehenen Formularen auszustellen.
Die Schiufsnoten werden, nach der Reihenfolge numeriert, die gesetzlich
bestimmte Zeit (5 bezw. 1 Jahr) aufbewahrt (§ 14).
3) Gegenstand der Besteuerung von Lotterielosen ist die
Veranstaltung öffentlicher Lotterien und Ausspielungen im Reichsgebiet,
sowie die Einführung ausländischer Lose oder Ausweise über Spieleinlagen.
Die Stempelabgabe beträgt 10 Prozent, die Erhebung erfolgt bei deutschen
Unternehmungen vom planmäfsigen Preise (Nennwerte) sämtlicher Lose
oder Ausweise, bei ausländischen von dem Preise der einzelnen Lose in
Abstufungen von 50 Pf. für je 5 M. oder einen Bruchteil dies Betrags.
Die Pflicht zur Steuerentrichtung liegt dem Veranstalter der Lotterie bezw.
dem Einführer aus dem Auslande oder Empfänger ob. Sie hat jedenfalls
vor Beginn des Vertriebs, bei ausländischen Losen und Ausweisen über
Spielanlagen spätestens binnen 3 Tagen nach Einführung oder Empfang
zu geschehen. Den Spieleinlagen stehen die Wetteinsätze bei öffentlichen
Rennen und ähnlichen Veranstaltungen gleich. Auch die Lose der in
einzelnen Bundesstaaten bestehenden Staatslotterien unterliegen der Ab-
gabe. Befreit sind Lose der behördlich genehmigten Ausspielungen uud
Lotterien, sofern der Gesamtpreis der Lose einer Ausspielung die Summe
von 100 M. und bei Ausspielungen zu ausschliefslich mildthätigen Zwecken
25 000 M. nicht übersteigt.
4) Die Erhebung geschieht durch die Steuerbehörden der Einzel-
staaten. Der Ertrag fliefst wie bisher, nach Abzug der Erhebungs- und
Verwaltungskosten zu 2 Prozent, in die Reichskasse und wird den Staaten
nach Mafsgabe der Bevölkerungsziffer überwiesen (§§ 44, 45). Ueber die
Verpflichtung zur Entrichtung der reichsgesetzlich festgestellten Abgaben
ist der Rechtsweg zugelassen.
5) Zur Verhütung von Defraudationen und Zuwiderhandlungen sind
Geld- und Ordnungsstrafen vorgesehen (§§ 3, 4, 19 — 21, 26 — 34); eine
Verwandlung in Freiheitsstrafen bei Unvermögenheit findet nicht statt *).
1) Siehe A. Reisenegger (Oberverwaltungsrat im Bayr. Staatsministerium der Finanzen),
Das Reichsstempelgesetz vom 27. April 1894.
416 Mis zellen.
Miszellen.
vi.
Die Allmenden in Baden.
Von Willy Wygodzinski.
Litter atur.
Laveleye, Das Ureigentum. Deutsch von Bücher. Leipzig 1879.
Buchenberger, Agrarwesen und Agrarpolitik. I. 1892.
Riidt v. Collenberg, Die landwirtschaftlichen Verhältnisse des Grofsherzogtums
Baden. (Aus: Festschrift für die Mitglieder der XXI. Versammlung deutscher Land-
und Forstwirte. Beiträge zur Kenntnis der Land- und Forstwissenschaft in Baden.
Heidelberg 1860.)
Beiträge zur Statistik der inneren Verwaltung des Grofsherzogtums Baden. Heft 9.
Die Gemeinden des Grofsherzogtums Baden, deren Vermö'gonsverhältnisse , Einnahmen
und Ausgaben. 1858/59. Heft 37. Die landwirtschaftlichen Haushaltungen des Grofs-
herzogtums Baden nach der Aufnahme vom 10. Januar 1873. Karlsruhe 1878. Heft 40.
Uebersicht der Hauptergebnisse der Forsteinrichtung in den Domänen-, Gemeinde-
und Körperschaftswaldungen nach dem Stande vom 1. Januar 1876. Karlsruhe 1878.
Erhebungen über die Lage der Landwirtschaft im Grofsherzogtum Baden 1883, ver-
anstaltet durch das Grofsherzogliche Ministerium des Inneren. 3 Bände.
Buchenberger, Das Verwaltungsrecht der Landwirtschaft und die Pflege der Land-
wirtschaft im Grofsherzogtum Baden. Tauberbischofsheim 1887.
Die Erhaltung und Verbesserung der Schwarzwaldweiden. Amtliche
Darstellung, gefertigt im Auftrage des Grofsherzogl. Badischen Ministeriums des Inneren.
2 Bände nebst Anlagen. Karlsruhe 1889/90.
Wieland t, Die badische Gemeindegesetzgebung. 2. Aufl. I. Heidelberg 1883.
Seit Haxthausen und Maurer das Gemeineigentum an Grund und
Boden wiederentdeckten , dessen Kenntnis bei den Volkswirten der indi-
vidualistischen Schule, die damit nichts anzufangen wufsten , so ziemlich
verloren gegangen war, ist eine grofse und wertvolle Litteratur über
diesen Gegenstand erwachsen. Es ist aber fast ausschliefslich die geschicht-
liche Entwickelung des Grundeigentums, die darin Behandlung gefunden
hat, während die Untersuchung seiner gegenwärtigen Gestalt und Wir-
kung etwas vernachlässigt wurde. Nur über Bufsland und die Schweiz
sind wir näher unterrichtet. Ueber die im Südwesten Deutschlands noch
in grofsem Umfange vorhandenen Allmenden ist seit der grundlegenden
Darstellung, die Bücher im neunten Kapitel seiner Bearbeitung von
Laveleye's „Propriete primitive" gab, eine spezielle Untersuchung noch
M i 3 z e 11 en. 417
nicht erschienen. Die neuesten Darstellungen der Allmende von Bücher
im „Handwörterbuch der Staatswissenschaften" und von Buchenberger in
seinem „Agrarwesen" mufsten ihrem Zwecke gemäfs das Eingehen auf
die speziellen Verhältnisse der einzelnen Länder vermeiden.
Es soll nun im folgenden der Versuch gemacht werden, unter direktem
Anschlufs an Bücher die neueste Entwickelung und Gestaltung der All-
mendenverhältnisse in Baden zu schildern. Benutzt sind an Material
hauptsächlich die badische Landwirtschaftsenquete von 1883, die Erhe-
bungen über die Schwarzwaldweiden von 1889/90 und das ausgezeichnete
„Verwaltungsrecht der Landwirtschaft" in Baden von Buchenberger,
als dessen "Werk wohl auch die beiden Enqueten zu betrachten sind.
Die badische Gemeindeordnung von 183 1, welche die
Nutzung des Gemeindevermögens eingehend regelt, scheidet zwischen dem
Kämmereivermögen , das für öffentliche Gemeindezwecke gebraucht wird,
und der eigentlichen Allmende , deren Eigentum der Gemeinde , deren
Nutzung aber den Bürgern angehörig ist.
Die Verteilung des Kämmereivermögens ist vom Gesetz mög-
lichsteingeschränkt: zuvor mufs jeder Gemeindebürger einen halben Morgen
Acker oder einen halben Morgen Wiesen oder einen Morgen Ackerland
oder einen Morgen Wiesen zum Allmendgenusse erhalten ; der Ertrag des
zu veräufsernden Grundstückes mufs zur Bestreitung sämtlicher Gemeinde-
bedürfnisse entbehrlich sein ; drei Viertel der Stimmen aller Bürger müssen
in die Teilung willigen , und schliefslich ist Staatsgenehmigung erforder-
lich. Die Gemeinden sollten auf diese Weise auf eine sichere finanzielle
Basis gestellt werden, eine Absicht, die vollkommen erreicht worden ist.
Wo man vor der Gemeindeordnung von 1831 das Gemeindegut an die
damaligen Bürger verteilt hat, ist es überall zu einer Verarmung der
Gemeinde, Anwachsen der Gemeindeschulden u. s. w. gekommen *). Dabei
ist es den neuen Eigentümern selten gelungen, öich im Besitz zu halten.
Bei den Gemeinden ohne eigenes Vermögen sind die Steuern nicht unbe-
trächtlich gestiegen. Das zum Teil sehr bedeutende Vermögen an Liegen-
schaften , das die Gemeinden zum Vorteil ihrer Kasse verwalten , besteht
nach Rüdt v. Collenberg2) in der Kheinthalebene zum Teil aus ehema-
ligen Gemeindeweiden, die durch die Rektifikation des Rheins und der
kleineren Gewässer kulturfähig geworden sind; auch Verbindungen längs
des Rheins und Waldausstockungen haben es vermehrt. Die Art der
Nutzung regelt sich naturgemäfs so, dafs das Ackerland verpachtet, das
Wiesengelände und der Wald selbstverwaltet und ihr Ertrag jährlich ver-
kauft wird. Wie die Grenzen zwischen der Nutzung als Gemeindeland
und der Austeilung zur Allmend zu ziehen ist, das ist eine quaestio facti.
Entscheidend ist die finanzielle Sicherstellung der Gemeinde. In einzelnen
Orten ist der Gemeindebesitz so grofs, dafs nicht nur sämtliche Ausgaben
gedeckt werden können, sondern die Bürger auch noch bar Geld heraus-
1) Vgl. Erhebungen über die Lage der Landwirtschaft in Baden 1883. Bericht über
Sulzfeld (X, S. 22) und über Neulufsheim (XI, S. 1).
2) Die landwirtschaftlichen Verhältnisse in Baden, Heidelberg 1860, S. 148.
Dritte Folge Bd. VHI (LXTfl). 27
418 M isz eil en.
bekommen; dem dürfte die Zuweisung eines Stück Landes, wobei die
zu leistende Arbeit eine Gegenleistung darstellt, aus psychologischen Gründen
weitaus vorzuziehen sein. In der Enquete von 1883 *) wird von der
Gemeinde Eichen berichtet, dafs bei den Verpachtungen der Gemeinde-
grundstücke jeder Pächter das von ihm beliebte Gelände durch gegensei-
tiges Einvernehmen zu einem billigen Pachtpreise erhält, dafs sogar ein-
zelne Familien ortsüblich im Pachtbesitze dieser Grundstücke verbleiben.
Hier liegt die Gefahr sehr nahe, dafs sich ein Interessentenring bildet, der
sich durch systematische Niederhaltung der Pachtpreise auf Kosten der
Gemeinde bereichert. Wenn die Gemeinde in die private Konkurrenz
eintritt, so sollte sie den üblichen Pachtzins fordern, zumal sie schon durch
die blofse Thatsache der Verpachtung ihrer ausgedehnten Ländereien den
Pachtpreis niederdrücken mufs. Will sie ihren ärmeren Mitgliedern Land
verschaffen , so geschieht das besser in der Form der Allmende gegen
eine kleine Abgabe.
Der Sondernutzung durch die einzelnen Gemeindemitglieder unter-
liegt Gemeindebesitz von Wald, Weide, Acker und Wiese.
Nach einer Aufnahme von 1876 2) nehmen die Waldun gen 34,65 Proz.
der gesamten Landesfläche des Grofsherzogtums Baden ein; davon gehören
47,io Proz. den Gemeinden. Der Wald selbst ist nicht Allmend, sondern
Kämmereivermögen ; die Beförsterung der Gemeindewaldungen unterliegt
den Forstpolizeigesetzen. Die Sondernutzung des Waldes besteht haupt-
sächlich in Weide-, Holz- und Streunutzung.
Schon in dem Forstgesetz von 1833 wurde im Interesse der Wald-
kultur das besonders schädliche Weiden der Schafe und Ziegen in Wal-
dungen gänzlich untersagt, die Mastberechtigung der Schweine für ablösbar
erklärt. Jetzt spielt die Waldweide kaum noch eine gröfsere Bolle.
Ueber die sehr wichtige Holznutzung liegt zunächst die von
Bücher bereits ausgiebig benutzte Statistik von 1854 3) vor; dann eine
Statistik von 1874 4). Nach dieser wurden unter 175 144 Berechtigte
690 000 Ster Brennholz, 7,2 Millionen Wellen, 2,5 Millionen Torfstücke
im Gesamtwert von 2,7 Millionen Mark verteilt. Der Wert der Holz-
nutzungen ist im einzelnen sehr verschieden, von noch nicht 1 Gulden
bis gegen 120 Gulden. In einzelnen Gemeinden wird nicht nur der ganze
Brennbedarf der Gemeindemitglieder gedeckt, sondern auch noch Holz zum
landwirtschaftlichen Gebrauch, wie Bohnenstangen und Bebstäbe, selbst
Bauholz geliefert. Bisweilen knüpft sich die Berechtigung, besonders zum
Bauholzbezug, an bestimmte Höfe; auch wo dies nicht der Fall ist, haben
die Beicheren natürlich gröfseren Vorteil davon.
Der Enquetebericht hebt an mehreren Stellen 5) die hohe Bedeutung
der Bürgernutzungen hervor. Die Art, wie sich die Verteilung in der
1) Erhebungen IX, S. 3.
2) Beiträge zur Statistik der inneren Verwaltung des Grofsherzogtums Baden, Heft 40,
Karlsruhe 1878.
3) Beiträge zur inneren Statistik Badens, Heft 9, Karlsruhe 1858/59.
4) Buchenberger, Agrarwesen, Bd. I, S. 301.
5) Erhebungen XXVII (Griefsen) S. 3, XXXIV (Wasser) S. 4, XXXVI (Main-
wangen), S. 3.
M i sz eil e n. 419
Praxis regelt, möge durch zwei Beispiele aus der Enquete illustriert werden.
In Mainwangen (Erhebungen XXXVI) ruht auf 27 der dortigen 44 Wohn-
häuser eine Gabholzberechtigung in Beträgen von 12, 16, 28 und 32 Ster
Scheit- und Prügelholz nebst den daran abfallenden Keisigwellen. Die
Gabholzberechtigung kann nicht mit der Erlangung des Gemeiudebürger-
rechtes erworben werden , sondern ruht lediglich auf den betreffenden
Wohnhäusern, sofern sie vom Eigentümer bewohnt werden. Sie deckt den
durchschnittlichen Bedarf der berechtigten Wohnungen an Heizmaterial.
Die Gesamtverpflichtung des Gemeindewalds beträgt 500 Ster Scheit- und
Prügelholz nebst Wellen. — Die Gemeinde Oberbichtlingen (Erhebungen
XXXIV) verteilt an die
I. Klasse mit 3 Berechtigten 39 Ster Mischholz und 66 Wellen,
II« » » 8 » l^1/2 » n » 33 „
■H-t- »> )) ** » ' >» » >> *■" tt
Die Auflage auf den Bürgernutzen beträgt bei der
I. Klasse 51 M. 38 Pf.» , „„ _. TT . , _ _ B.
jr , q 1 q ' dazu 80 Pf. Holzmacherlohn pro Ster und
ii. „ iy „ iö „ > 2 M 6() pf prQ 10Q WelleQ
In Bezug auf die Streunutzung1) kollidieren die Interessen der
Land- und der Forstwirtschaft aufs schärfste. In den Gegenden mit vor-
wiegendem Kleinbesitz, also vor allem in der Bheinthalebene, wo die ein-
zelne Parzelle einen sehr hohen Wert hat, tritt naturgemäfs der Getreide-
bau hinter dem Kartoffel- und Gemüsebau einerseits, dem Handelsgewächs-
und Kebbau andererseits zurück. Ein grofser Teil der angebauten Hack-
früchte wird von der Familie selbst konsumiert, so dafs die Viehfütterung
viel von dem wenigen Stroh erfordert, wie auch für die übliche Stroh-
bedachung grofse Mengen von Langstroh alljährlich verbraucht werden.
Die Folge ist ein Mangel an Strohstreu und ein besonders in futterarmen
Jahren wie im vorigen dringendes Verlangen nach Abgabe von Waldstreu.
Die Regierung hat auf jede Weise versucht2), der übergrofsen Ausnutzung
des Waldes entgegenzuwirken, durch Verbote, durch kontrollierte Streu-
nutzungspläne, selbst durch Abgabe von Streu aus den Domänenwaldungen
zu ermäfsigtem Preise, ohne dafs es ihr gelungen wäre, des Uebels Herr
zu werden. Sehr treffend bemerkt der Enquetebericht der Gemeinde Unter-
scheidenthal 3) über die allzu starke Inanspruchnahme des Waldes zu Streu-
zwecken : „Ob wir hierfür dem Landwirt einen unbedingten Tadel aus-
sprechen sollen, erscheint uns zweifelhaft. Derselbe weifs recht gut, dafs
die Streunutzung dem Walde schadet; aber die Not drängt ihn, auf dessen
höchste Holzrente zu verzichten , weil er Streu für sein Vieh und Stoff-
ersatz für seine Ernten braucht. Auf der anderen Seite weifs er, dafs
der nebenanliegende Grofsgrundbesitzer reichlich für die Erziehung grofser
und billiger Holzvorräte sorgt und selbst nicht für Geld gern Streumaterial
abgiebt. Kurz : Streu ist ihm mehr wert als Holz, und deshalb wird er
1) Buchenberger, Das Verwaltungsrecht und die Pflege der Landwirtschaft im Grofs-
herzogtum Baden, passim. Bücher geht auf die Frage nicht ein.
2) Wielandt, Badisches Gemeinderecht, Bd. I, 1883, S. 179.
3) Erhebungen VII, S. 4.
27*
420
Mi sz e 11 en.
besonders insolange taub bleiben gegen jede Mahnung bezüglich der Streu-
nutzung, als es ihm an barem Gelde fehlt zur Beschaffung von Surrogaten
von Streu oder Dünger." Die naturale Waldnutzung ist also gerade für
den kleinen Mann eine Lebensfrage, um so mehr, je intensiver die Wirt-
schaft wird, d. h. Einschränkung des Halmfruchtbaus und stärkere Kapital-
zuführung verlangt. — Festzuhalten ist unter allen umständen an dem
Gemeinde-, bezw. Staatsbesitze des Waldes. Der Privatwald wird, wie
derselbe Enquetebericht1) sagt, oft nur als das Mittel betrachtet, den
Besitznachfolger in den Stand zu setzen, seinen Verpflichtungen gegen
den Besitzvorgänger oder dessen Rechtsnachfolger Genüge zu leisten.
„Der Wald und die von auswärts kommende Frau müssen die Lücke aus-
füllen, welche die Abfindung der Miterben in das Vermögen des Haupt-
erben gerissen hat."
Die Weiden beschränken sich fast ausschliefslich auf das Gebirge.
Während in ganz Baden nach der Statistik der landwirtschaftlichen Haus-
haltungen von 1873 2) 7,8 Proz. der landwirtschaftlich benutzten Fläche
auf die Weiden entfällt, sinkt diese Verhältniszahl im Kreise Mannheim
auf 0,2, in den Kreisen Karlsruhe und Heidelberg sogar auf 0, 1 Proz. und
steigt in den Gebirgskreisen Lörrach, Freiburg und Villingen auf 18,7 bis
22,4 Proz. Von der Weide entfallen auf die Allmend 3) : im ganzen Grofs-
herzogtum 19,9 Proz., in Heidelberg 0, in Waldshut 55,8, in Lörrach
69,8 Proz. Die Prozentzahlen für alle Kreise in ihrer Zusammenstellung nach
Kulturarten überhaupt und nach der Besitzart ihrer Weiden sind folgende:
Zusammensetzung nach der
Zusammensetzung der
Weide
Kulturart
in Proz.
nach der Besitzart in
Proz.
Kreis
9
M
u
<
0
0
0
a
3
a
Ol
1°
S
□
s
0
CS
Cm
□
0
a
<
Dienstland
und Nutz-
niefsung
Constanz
75,o
22,1
1,6
1,3
56.0
28,5
15,4
0,1
Villingen
53,i
24,5
. —
22,4
90,1
4.5
5.2
0,2
Waldshut
6l,2
28,3
0,8
9>?
39,5
3-8
55-8
0,9
Freiburg
50,1
25,1
4,8
2O,0
87,5
4-4
7,6
0,5
Lörrach .
48,9
28,4
4,0
18,7
29,6
0,5
69,8
0,1
Offenburg
58,0
28,1
3,1
10,8
98,8
0,4
0,7
0,1
Baden .
62,9
3*i»
3,8
2,2
90,9
1,1
5,i
2,9
Carlsruhe
78,0
19,6
2,3
0,1
36,6
55,8
7,5
0,1
Mannheim
79-8
18,7
1,3
0,2
3!>o
59,i
9,9
—
Heidelberg
86,8
10,9
2,2
0,1
60,4
38,6
—
1,0
Mosbach
84,0
12,0
3,1
0,9
69,1
30,4
0,1
0,4
Grofsherzogtum
Ba
len
67,7
21,9
2,6
7,8
75,3
4,*
19,9
0,4
Für die an Wichtigkeit überwiegenden Schwarzwaldweiden
liegt nun eine amtliche Darstellung vor4), die im Auftrage des Ministe-
1) Erhebungen VII, S. 5.
2) Beiträge zur Statistik der inneren Verwaltung des Grofsherzogtums Baden, Heft 37 :
Die landwirtschaftlichen Haushaltungen nach der Aufnahme vom 10. Januar 1873, Karls-
ruhe 1878, S. XIV.
3) Statistik von 1873, S. 153.
4) Die Erhaltung und Verbesserung der Schwarzwaldweiden im Amtsbezirk Schönau.
Mi s ze 11 e n. 421
riums des Inneren nach einer im Jahre 1887 aufgenommenen Enquete
angefertigt wurde. Die Erhebungskommission bestand aus den Vorständen
der Kulturinspektion Freiburg, sowie der Bezirksforsteien Schönau und
Todtnau; die Leitung der Arbeiten war dem Zentralbureau für Meteoro-
logie und Hydrographie übertragen. Diese Zusammensetzung der Kom-
mission entsprach der Beteiligung von wasserwirtschaftlichen und forst-
wirtschaftlichen Interessen neben solchen der Landwirtschaft an der Frage
der Neuregelung der Weideverhältnisse. Ihr Bericht , an den sich die
folgenden Ausführungen anschliefsen, kommt zu wesentlich ungünstigeren
Resultaten über die Gemeinweiden als Bücher, der übrigens bei Baden
nicht speziell auf die Weiden eingeht.
Der Amtsbezirk Schönau, auf den sich dieser Bericht bezieht,
umfafst 26 Gemeinden mit 59 Gemarkungen ; er liegt im Kreise Lörrach,
mitten im Gebirge, südlich vom Feldberg. Klima und Bodengestaltung
weisen, wenigstens im nördlichen Teile des Bezirks, die Bevölkerung auf
die Viehzucht als landwirtschaftlichen Haupterwerbszweig hin. Der spär-
liche Ackerbau in den tiefgelegenen geschützten Thalgründen vermag nicht
die zur Ernährung der Bewohner nötigen Feldfrüchte zu produzieren.
Im südlichen Teile dagegen, wo das Klima milder ist, übertrifft das Acker-
feld die dem Weidgange überlassene Fläche. Von den 20 413,7 ha Ge-
samtfläche der Gemarkungen entfallen 34,7 Proz. auf Weiden, 12,4 Proz.
auf Wiesen, 40,7 Proz. auf Wald, 12,3 Proz. auf Ackerfläche und son-
stiges; scheidet man den Wald aus, so entfallen nach der Statistik von
1873 l) auf die Weide 60,6 Proz., auf Wiese 23,7 Proz., auf Acker
15,7 Proz. In der nördlich gelegenen 1744 ha grofsen Gemarkung Todt-
nau sind bei 526 ha Weide und 1052 ha Wald nur 25 ha oder 1,4 Proz.
der Gesamtfläche Ackerland und sonstiges Gelände vorhanden, während
sich in der südlichsten Gemeinde Zell nur 4,7 Proz. Weiden gegen
30,2 Proz. Acker finden. Von den 7088 ha Weiden sind nur rund 274 ha
Privatbesitz; alles übrige ist Eigentum der Gemeinde. Die Weideberech-
tigung ist durchaus demokratisch geordnet; jeder kann gegen Erlegung
eines Weidegeldes pro Stück Vieh so viel auftreiben, wie er will. So-
lange die Bauern die Alleinherrscher in dieser Waldeinsamkeit waren,
hielten sie im allgemeinen kaum mehr Vieh, als sie für die Zwecke ihres
eigenen Wirtschaftsbetriebes brauchten, zumal eine Absatzmöglichkeit nach
aufserhalb nicht gegeben war. Das änderte sich mit einem Schlage, als
um die Mitte des Jahrhunderts die Industrie ihren Einzug in das Wie-
senthal hielt und zahlreiche Arbeiter sich häuslich niederliefsen. „Die
Entfernung der Bauernhöfe, der tiefe Schnee des Winters, und die Un-
zulänglichkeit der Produktion erschwerten den die Thalsohle bewohnen-
den Angestellten, Handwerkern und Fabrikarbeitern den Bezug von
Milch, Butter und Käse und nötigten sie, diese fast unentbehrlichen
Nahrungsmittel im Hause zu erzeugen, bezw. eigenes Vieh zu halten,
nachdem sie ein kleines Wiesenstück erworben hatten. Zur selben Zeit
Amtliche Darstellung, gefertigt im Auftrage des Grofsherzogl. Badischen Ministeriums des
Inneren. Karlsruhe 1889. Nebst Anlagen, bearbeitet im Ministerium des Inneren. Karls-
ruhe 1889.
1) Beiträge zur Statistik der inneren Verwaltung Badens. Heft 37, S. 150.
422 M i s z e 1 1 e n.
zogen die Vieh- und Fleischpreise an und stiegen auf eine bis dahin noch
nicht erreichte Höhe. Milch und Molkereiprodukte, Fleisch und Vieh
waren auf einmal gesuchte Produkte, zu deren Erzeugung der Bauer
durch tägliche Nachfrage und klingende Münze mehr und mehr angeregt
wurde. Es trat somit auch eine Vergröfserung der bäuerlichen Viehbe-
stände ein." Nach einer dem Bericht beigefügten Statistik, die auf den
Weidprotokollen beruht, hat sich in dem Bezirk Schönau die Zahl des
Rindviehes von 3656 Stück im Jahre 1818 auf 8317 Stück im Jahre
1855 vermehrt; die letztere Zahl ist seitdem nicht mehr wesentlich über-
schritten worden. Diese starke Vermehrung war nur durch die Allmend-
weiden ermöglicht. Im Sommer sucht das Vieh sein Futter in der Haupt-
sache auf der Weide, und nur im Winter, von Oktober bis Mai, wird es
im Stalle gehalten. So säumten denn die neuen, an Wiesenbesitz armen
Viehhalter nicht, viele Tiere auf die Weide zu schicken, was denn die
gröfseren und eingesessenen Viehbesitzer wiederum ihrerseits veranlafste,
mehr Vieh zur Herde zu senden. Dies fortgesetzte gegenseitige Ueber-
bieten hat zu einer Uebersetzung der Ställe geführt, und heute wird
etwa ein Drittel Vieh mehr gehalten, als aus dem Futtererträgnisse des
Bezirks ernährt werden kann. Die Folgen dieser unvorsichtigen Vieh-
haltung zeigten sich nach zwei Seiten hin, in der Verschlechterung der
Qualität des Viehes und in der Zerstörung der Weiden.
Die Uebersetzung der Ställe mit Vieh ist so grofs, dafs in langen
Wintern das Dachstroh als Futter dienen mufs. Sobald im Frühjahr an
den sonnigen Hängen der Schnee schmilzt, wird das Vieh ausgetrieben,
und dann kommt die Weide bis zum nächsten Winter nicht mehr in
Buhe. Die Entwickelung der Pflanzen wird gestört, die Basenbildung
verkümmert, die vom Vieh unberührten Gräser und Unkräuter nehmen
überhand, also einerseits Verheidung, andererseits Entblöfsung des Bodens
von der gegen die Angriffe des Wassers schützenden dichten Basendecke
und Abschwemmung, dann Bildung von Butschungen , Schrunden und
Bunsen, bis schliefslich an die Stelle des berasten Weidefeldes die nackte
Trümmerhalde getreten ist.
Eine weitere Verschlechterung des Bodens bewirkt der ganz primi-
tive Reutfeldbetrieb, zu dem der Maugel an Ackerland zwingt. Bei Be-
ginn der Brache wird bisweilen Gras angesät, gewöhnlich aber geschieht
gar nichts. Von manchen jetzt ertraglosen Weidfeldern ist bekannt, dafs
sie ihre vegetabilische Pflanzendecke durch wiederholtes Schorben völlig
eingebüfst haben. Im Jahre 1887 kam dieser höchst verderbliche Reut-
feldbetrieb in 25 von den 59 Gemarkungen des Bezirks vor, dem 39,34
Proz. der Gesamtfläche der Weide von 3202,5 ha unterlag. Irgendwelche
erhebliche Anstrengungen zur Verbesserung dieser Uebelstände haben die
meisten dieser Gemeinden nicht gemacht. Nur 18 Proz. der Hoch weiden,
von den Thalweiden sogar nur 3 Proz. konnte die Untersuchungs-
kommission als gut bezeichnen. Es seien im Amtsbezirk Schönau, so
sagt der Bericht, grofse Flächen vorhanden, deren Zustand das öffentliche
Interesse gefährdet und der Betrieb der Weidewirtschaft sei ein derarti-
ger, dafs in nicht ferner Zeit weitere ausgedehnte Flächen in denselben
Zustand herunterkommen müfsten. Der gegenwärtige Weidefeldbetrieb
Mis zellen. 423
sei nicht eine Nutzniefsung, sondern ein allmähliges Aufzehren des Ge-
meindevermögens zum Schaden der späteren Generationen und zum Schaden
der Allgemeinheit.
Im Jahre 1889 wurde die Untersuchung der Weidverhältnisse auf
die Amtsbezirke Staufen, Freiburg, Neustadt und St. Blasien
ausgedehnt1). Die Ergebnisse waren hier ebenso unbefriedigend.
Die Allmendweiden sind noch iu 28 Gemarkungen, welche das nördliche
Wiesenthal umrahmen, in einer Flächenausdehnung von 5111 ha vor-
handen. Soweit jene Orte in das Zentrum des Gebirgslandes fallen, be-
herrscht der Weidebetrieb und die Viehaufzucht noch ganz das wirt-
schaftliche Leben wie im Amtsbezirk Schönau, wo aber die Nähe des
Khein- und Dreisamthaies auch für andere Produkte als Vieh einträgliche
Absatzgebiete erschlossen hat, oder wo das flacher und geschützter liegende
Gebäude eine ausgedehntere Ausnutzung als Ackerland gestattet, ist die
Bevölkerung freiwillig oder unfreiwillig zu einer anderen Wirtschaftsweise
übergegangen. In beiden Fällen haben die Weidefelder sich verschlechtert,
in dem einen durch zu starke Ausnutzung, in dem anderen durch Ver-
nachlässigung. Die wirtschaftlichen Resultate der Viehhaltung lassen sich
in dem zusammenfassen, was eine der untersuchten Gemeinden, Witten-
schwand, bereits in dem Enquetebericht von 1883 2) sagt: Die Benutzung
der Weide hat nur für die Aufzucht und Haltung von Jungvieh Bowie
für die Ziegenhaltung wirklichen Wert, während die durch den Austrieb
der Kühe gemachte Futterersparnis durch den Verlust von Milch und
Dünger aufgehoben wird. Demnach hat die Benutzung der Weide auf
die Lage der ansässigen Bevölkerung den Einflufs, dafs eine regelmäfsige
Sommerstallfütterung keinen Eingang hat finden können und infolgedessen
eine genügende Düngererzeugung unmöglich gemacht wurde, die Felder
und Wiesen, mit Ausnahme der den Ortschaften zunächst liegenden, ver-
armten und die Viehzucht selbst in ihrer Entwickelung und Ertragsfähig-
keit zurückgehalten wurde.
Die gegebene Schilderung zeigt, zu welchen Konsequenzen die unbe-
grenzte reale Nutzung der Gemeindeweide führt. Die natürliche Bevölke-
rungsausdehnung hat hier zerstörend auf die alte Wirtschaftsgemeinschaft
gewirkt. Die von der Kommission vorgeschlagenen Abhilfmafsregeln
laufen zum Teil auch darauf hinaus, die ungemessenen Nutzungen in ge-
messene zu verwandeln ; sie wollen vor allem eine sachgemäfse Beschrän-
kung der Weidefläche und Weidezeit sowie die Bestimmung der Maxi-
malzahl des aufzutreibenden Viehes 3). Dabei könnten wohl die kleinen
Leute schlecht wegkommen, aber doch nicht schlechter als jetzt, wo sie
zum gröfsten Teile Verlustwirtschaft treiben. Auch köunten sie ja da-
1) Die Erhaltung und Verbesserung der Schwarzwaldweiden in den Amtsbezirken
Staufen, Freiburg, Neustadt und St. Blasien. Amtliche Darstellung, gefertigt im Auf-
trage des Grofsherzoglich Badischen Ministeriums des Innern. Karlsruhe 1890.
2) Erhebungen XXIX, S. 3, 4.
3) Wo die Weiden nicht im Besitze der Gemeinde, sondern von Genossenschaften
sind, findet eine Uebersetzung mit Vieh nicht statt, demgemäfs auch keine Deterioration
der Weiden. Vgl. Erhaltung und Verbesserung der Schwarzwaldweiden in den Amtsbe-
zirken Staufen, Freiburg u. s. w. S. 33.
424
M i s z e 11 en.
durch begünstigt werden, dafs jedem Besitzer mindestens eine Kuh oder
die entsprechende Anzahl Ziegen aufzutreiben gestattet würde. Zum Teil
haben die vorgeschlagenen Mafsregeln die Tendenz, den nach Ansicht der
Sachverständigen unvermeidlichen Untergang der Gemeindeweide zu be-
schleunigen; der geringere Boden solle aufgeforstet, die flachen sonnige-
ren Stücke in Allmendfeld als Acker oder Wiese umgewandelt werden,
um den allgemeinen Uebergang zum Futterbau und zur Stallfütterung zu
ermöglichen. Diese Mafsregeln scheinen doch zu radikal : ein grofser Teil
der Gemeinweiden besteht aus Gelände, dessen Entfernung vom Dorfe eine
Nutzung als Acker oder Wiese unmöglich macht ; und eine vollständige
Aufteilung der Weide schädigt, wie die Erfahrungen im östlichen Preufsen
ergeben haben, die landwirtschaftlichen Arbeiter und auch die kleineren
Bauern empfindlich, von den Industriearbeitern, Dorfhandwerkern etc.
ganz abgesehen. Immerhin scheint es, dafs die Viehwirtschaft im badi-
schen Schwarzwald einen Grad der Intensität erreicht hat, der ein Fort-
bestehen der Gemeindeweide in ihrer bisherigen Nutzungsweise und
ihrem bisherigen Umfange nicht rätlich erscheinen läfst.
Nach der Statistik von 1873 bestehen 49,2 Proz. des Allmendlandes
aus Acker, 23,1 Proz. aus Wiesen, die zur Sondernutzung verteilt
werden. Auf das Rebland entfällt nur 0,5 Proz. Die Allmend bildet mit
61 954 Morgen 4,1 Proz. des gesamten Ackerlandes, mit 29 157 Morgen
6 Proz. der Wiesen. Der Hauptteil entfällt auf die Bheinebene von Lahr
bis Weinheim. Die Prozentzahlen der Zusammensetzung von Acker und
Wiese nach der Betriebsart in den einzelnen Kreisen sind folgende:
Zusammensetzung der
Acker
Zusammensetzung der Wiesen
nach der Besitzart in
Proz.
nach der Besitzart in
Proz.
Kreis
S
s
"a
ja
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0
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SD
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W
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5 g ö
W
3
q 3 a
Constanz
78,9
17,8
2,7
0,6
78,0
15,7
5,3
1,0
Villingen .
81,1
8,8 9,4
0,7
84,9
8,3
5,6
1,2
Waldshut .
91,5
5,1
2,8
0,6
93-2
5.0
0,7
1,1
Freiburg .
77,5
15,5
4,9
2,1
85,8
8,2
4,3
1,7
Lörrach
82,5
9,4
6,1
2,0
89,2
8,2
0,2
2,4
Offenburg .
73a
17,5
6,8
2,6
83,7
7,2
6,9
2,2
Baden .
74-5
13,7
7,7
4,1
75,2
9,0
12,2
3,6
Karlsruhe .
71,8
19,1
5.8
3,3
68,7
12,5
16,0
2,8
Mannheim
57.1
33,1
7,4
2,4
74-4
9.5
15,3
0,8
Heidelberg
65,7
3°, 3
1,6
2,4
66,6
23,7
7,4
2,3
Mosbach .
86,1
12,3 0,7
0,9
86,3
11,6
0.6
1,5
Grofsherzogtum Baden |
77.5
16,6
4.1
1,8
82,0
10,2
6,0
1,8
Soweit zu ersehen ist, kommt die Allmend den kleineren Besitzern
reichlich zu gute; in der Wirtschaftsklasse von 0 — 5 Morgen bestehen
13,3 Proz. des bewirtschafteten Areals aus Allmend, während der Prozent-
anteil in der Klasse von 50 — 100 Morgen auf 0,6 Proz. sinkt. Ueber
Zahl und Gröfse der GenuMose liegt nur die bereits von Bücher benutzte
Statistik von 1854 vor. Nach dieser betrug die Gesamtzahl der im Ge-
Miszellen. 425
nusse stehenden Bürger und Bürgerwitwen 90 098 in 727 Orten; der
Durchschnitt eines Genufsloses betrug 1,104 Morgen. Allerdings konnte
mehr als die Hälfte der Gemeinden nur Anteile unter und bis zu
einem Morgen ausgeben; indessen genügt diese Fläche doch, um bei sorg-
fältiger Bearbeitung dem Tagelöhner oder Handwerker Kartoffeln und Ge-
müse zu liefern. Nach der Statistik von 1873 umfassen sogar 10 Proz.
aller landwirtschaftlichen Haushaltungen nicht mehr als 1 Morgen, 143
Gemeinden gaben Lose von 2 — 10 Morgen; das will etwas heifsen, denn
über 71 Proz. aller landwirtschaftlichen Haushaltungen umfassen nach der-
selben Statistik nicht mehr als 10 Morgen. In vielen Gemeinden reicht
eine Ackerfläche von 5 — 10 Morgen zur Ernährung einer Familie aus;
rechnet man dazu die Waldnutzungen, so ergiebt sich, dafs die Existenz
vieler tausender Familien in Baden sich ganz oder hauptsächlich auf die
Allmende gründet. Und das ist kein entwürdigendes Almosen, welches
den Empfänger der Arbeit überheben soll, sondern ein gutes Recht, das
überdem die Arbeit des Berechtigten verlangt, wenn er daraus Nutzen
ziehen will. So ist auch der Enquetebericht von 1883 des Lobes voll1),
ein Beweis, dafs sich die Allmende auch jetzt noch bewährt. Ueberall
wird hervorgehoben, dafs sie ein Herabsinken der kleinsten Wirte in das
Proletariat hindern, während die Gemeinden, die keinen Allmendbesitz
mehr haben, dies auf das lebhafteste bedauern.
Die Verteilung der Allmendstücke innerhalb der gesetzlichen Vor-
schriften ist sehr verschieden. Selbst periodische Neuauslosung kommt
noch vor, so in der Gemeinde Hutterheim 2). Dort ist der Allmendbesitz
ziemlich bedeutend; er nimmt 27,19 Proz. der gesamten landwirtschaftlich
benutzten Fläche ein. Es giebt Teilallmende, die alle 10 Jahre wieder
verteilt wird, uud Allmendstücke auf Lebensdauer; letztere überwiegen.
207 Bürger haben zur Zeit Allmendstücke auf Lebensdauer, 103 Bürger
nur Teilallmende. Von dieser erhält jeder Bürger den gleichen Anteil
der zur Verteilung kommenden Fläche; in den Genufs der Allmendstücke
auf Lebensdauer rücken die jüngeren Bürger auf Absterben in der Weise
ein, dafs die jeweilig durch den Tod freigewordene Allmend unter die 25
nächsten Anwärter verteilt wird. So kann es 20 bis 25 Jahre dauern,
bis der Bürger in den Genufs der vollen Allmend tritt. — In der Ge-
meinde Mingolsheim 3) beträgt die Allmend 258,85 ha bei einem land-
wirtschaftlichen Gesamtareal von 859 ha. Das Allmendland ist in 2 Klassen
eingeteilt, die in eine Anzahl Lose mit gleichmäfsig verteilter Bodenfläche
zerfallen, und zwar enthält Klasse I 235 Lose von je 65 ar, Klasse II
164 Lose von je 30 ar. Das Allmendland wird auf Lebensdauer verteilt;
die Witwe des Berechtigten tritt bei dessen Ableben in den Genufs ein
und verliert ihn nur bei Wiederverheiratung. Stirbt ein Mingolsheimer
Bürger, ehe er allmendberechtigt geworden ist, so rückt seine Witwe zu
derselben Zeit in den Allmendgenufs ein, in welcher der Verstorbene allmend-
berechtigt geworden wäre. Der junge Bürger tritt mit dem 25. Lebens-
1) Vgl. z. B. Erhebungen XII S. 6, XIII S. 5, XVIII S. 3, XXI S. 2, XXV S. 2.
2) Erhebungen XIII, S. 3 ff.
3) Erhebungen XIV, S. 3.
426
Mi szell e n.
jähre in den Rang um Bewerbung seines Allmeudteils ein, vorausgesetzt
dafs die gesetzlichen Erfordernisse (eigene Haushaltung oder Gewerbebetrieb
auf eigene Rechnung) vorhanden sind. Infolge der Zuteilung auf Lebens-
dauer ist die Bewirtschaftung des Allmendlandes im allgemeinen eine nahezu
ebensogute wie die des eigenen Grundbesitzes, vollständig beim Ackerland,
weniger beim entfernt liegenden Wiesland. Dasselbe Urteil über die Be-
handlung der Allmende fällen übereinstimmend alle Berichte1); es ist
auch kein Grund vorhanden, warum bei einer Zuteilung auf Lebenszeit
Raubbau wie bei kurzfristigen Pachtungen eintreten sollte. Auch Land
im Privateigentum wird unter Umständen vernachlässigt, ohne dafs sich
etwas dagegen thun liefse, während bei der Allmend die Gemeinde stets
das Recht hat, einem schlechten "Wirte seinen Anteil zu entziehen 2). Un-
günstig liegen die Verhältnisse dort, wo bei einem an und für sich rich-
tigen System des Aufsteigens in höhere Klassen der Berechtigte stets ein
neues Grundstück erhält, wie es in Hemsbach3) der Fall ist. Der an-
gehende junge Bürger erhält zunächst nur Bürgerholzabgabe ohne Grund-
besitz; dann rückt er auf Absterben in die 5 höheren Klassen ein, die ihm
einen Grundbesitz von 4 — 160 ar gewähren. Doch behält er das ihm
bereits zugeteilte Grundstück nur beim Aufsteigen in die dritte Klasse ;
von da an giebt er es ab, wenn er ein gröfseres erhält. Es ergiebt sich
dabei folgendes Bild4):
CG
CS
Berechtigte
Nutzung
Auflage (Abgabe an Rente)
1
Die 57 jüng-
sten Bürger
Eine Holzgabe im Werte von 16 Mark
nach Abzug der Holzmacherlöhne. Sie
begreift a) Weichholz aus 18-jährigem
Schlage, b) Eichenschälprügelholz aus
demselben Schlage, c) Eichennutzholz
von älteren Eichen zu Weinbergsholz
bestimmt.
2
Die 75 nächst
älteren Bürger
Dieselbe Holzgabe und an Liegenschaften
k 4 a 71 m Wiese
Auflage — M. 7 Pf.
3
Die 29 nächst
älteren Bürger
Dieselben Bezüge wie Klasse 2, aufserdem
noch k 42 a 44 m Wiesen (die sogen
Waidstücke)
Auflage ä 5 „ 35 „
4
Die 125 nächst
älteren Bürger
An Acker und Wiesen ä 76 a 40 m unter
Verlust der Bezüge von Klasse 3.
Auflage ä 16 „ 74 „
24 Becher Korn k — „ 48,,
5
Die 19 nächst
älteren Bürger
An Acker und Wiese k 98 a 57 m
unter Verlust der Bezüge von Klasse 4.
Auflage ä 22 „ 74 „
44 Becher Korn k— „ 88 „
6
Die 125 älte-
sten Bürger
An Acker und Wiesen k I ha 60 a
59 m, unter Verlust der Bezüge von
Klasse 5-
Auflage a 63 „ 8 ,,
144 Becher Korn k 2 „ 88 „
Summa : 430 Be-
rechtigte
1) Erhebungen XIV S. 3, XXI S. 3, XXXV S. 2.
2) Gemeindeordnung § 110. Fraglich ist nur, wie weit die Bauern geneigt sind,
dieses Recht gegen einen der Ihrigen auszuüben.
3) Erhebungen XII S. 5, 31.
4) Vgl. dazu die Schilderung, die Bücher über die Hemsbacher Verhältnisse in den
70er Jahren giebt. (üreigentum S. 204 ff.)
M i s z e 1 1 e n. 427
Ist die Zahl der Bürger gröfser als 430, so beziehen die Ueberzähligen
keine Holzgabe und rücken auf Absterben ein.
Hier sind die Unzuträglichkeiten der Pacht in Beziehung auf die
Produktion noch vermehrt, da der Bauer nicht einmal weifs, wie lange er
das Grundstück behalten wird. Es ist der Allmondberechtigto hier gleich-
sam tenant at will, nur dafs der Tod noch unberechenbarer ist als ein
irischer Landlord. Aber diese Art der Zuteilung häogt mit dem WeBen
der Allmende durchaus nicht zusammen, und es hindert nichts, ein an-
deres System anzuwenden, das die Vorzüge der beiden geschilderten Sy-
steme vereinigt: den lebenslänglichen Besitz derselben Parzelle wie in
Mingolsheim und die Vergröfserung des Anteils mit wachsendem Alter
wie in Hemsbach. Dies ist der Fall zum Teil in Huttenheim, ferner z. T.
in Ichenheim x). Dort erhält jeder in den Genufs eintretende Bürger zu-
erst 1, dann 2 bis 6 Lose a 9 a, zusammen also schliefslich 54 a an ver-
schiedeneu Stellen der Gemarkung. Nicht nur, dafs diese Art des Auf-
rückens nach dem Alter dem Wachsen der Familie und der Einsicht des
Wirts entspricht, nach dem übereinstimmenden Zeugnis aller Berichte 2)
hat sie auch die Wirkung, die Lage der älteren Familienmitglieder zu er-
leichtern. Es ist bekannt, zu welchen überaus häfslichen Konsequenzen
das System des Altenteils fast durchweg geführt hat ; der alte Bauer, der
seinen Hof dem Sohne abtrat, gilt als unnützer Esser, und man läfst es
ihn fühlen. Hier ist es umgekehrt. Die Alten werden von ihren Kin-
dern oder sonstigen Verwandten sehr gern ins Haus genommen, da sie die
ziemlich beträchtliche Allmendnutzung mitbringen. Sie werden, wie der
charakteristische Ausdruck lautet, „um die Allmend gehalten". Die All-
mend spielt hier die Rolle einer ausgezeichneten Altersversicherung.
Die Vorteile der Allmend sind unzweifelhaft grofse. Trotzdem oder
gerade deshalb darf man es sich nicht verhehlen, dafs unter den ob-
waltenden Umständen ihre weitere Fortdauer in der bisherigen Form und
Nutzungsweise gefährdet ist. Es handelt sich dabei um das Grundproblem
der ganzen Volkswirtschaft, um die Bevölkerungsvermehrung. Wie diese
durch den Zwang zu intensiver Wirtschaft die Gemeindeweide allmählich
vernichtet, so mufs es mit der Zeit dahin kommen, dafs auch die Acker-
und Wiesenparzellen der Allmende zu einem Umfange herabsinken , wo
ihr Wert minimal wird , oder dafs die Anzahl der Berechtigten die Zahl
der Genufslose soweit übersteigt, dafs diese nur noch von verhältnismäfsig
wenigen genützt werden kÖDnen. Dafs diese Befürchtungen nicht rein
theoretischer Natur sind, sondern ihre sehr reale Unterlage in den Er-
scheinungen der letzten Jahrzehnte haben, beweist unter anderen das Bei-
spiel der Gemeinde Hemsbach. In dieser betrug die Zahl der im Allmend-
genufs befindlichen Bürger nach der Statistik von 1854 360, in den siebziger
Jahren nach Bücher3) gegen 400 und im Jahre 1883 4) bereits 430. Ob
diese kolossale Steigerung, die sogar trotz teilweisen Rückgangs der Be-
völkerungsziffer5) vor sich gegangen ist, durch eine Verkleinerung der
1) Erhebungen XXI S. 2.
2) üreigentum S. 226. Erhebungen VIII S. 3, XII S. 5.
3) Üreigentum, S 204.
4) Erhebungen XII, S. 4.
5) Erhebungen XII, S. 12.
428 M i s z e 1 1 e n.
einzelnen Lose oder durch Inanspruchnahme des Kämmereivermögens er-
möglicht wurde, ist nicht zu ersehen ; doch ist dem letzteren Wege auf
die Dauer durch die gesetzlichen Bestimmungen vorgebeugt. Die Allmend
hat sogar selbst die Tendenz , das natürliche Abströmen der Bevölkerung
in ungesunder Weise zu hindern1). Die mannigfachen Vorteile, welche
die Allmendberechtigung verheilst, fesseln die jungen Burschen und Mädchen
ans Dorf; so werden allzu frühe Heiraten hervorgerufen (der Eintritt in
die Zahl der Berechtigten setzt eigenen Hausstand voraus) , und da die
Allmend doch immer erst spät zufällt, meist auch nicht genügt, den für
eine Familie nötigen Lebensunterhalt allein zu produzieren, so wird die
an und für sich schon allzu grofse Nachfrage nach freien Ländereien und
Pachtland mit allen daraus folgenden weiteren Nachteilen noch gesteigert.
Bücher erklärt es für einen Vorzug der Allmendgemeinden, dafs in ihnen
„jenes ungesunde Andrängen der ärmeren Landbevölkerung nach den
Städten und in die Fabrikdistrikte, welches die Landwirtschaft der Arbeits-
kräfte beraubt und eine so grofse Masse unsicherer Existenzen schafft",
in geringerem Mafse stattfinde2). Unzweifelhaft richtig, wenn nämlich
wirklich auf dem Lande noch viel Arbeitskräfte gebraucht werden wie im
östlichen Deutschland. Für Baden dagegen , insbesondere in der Rhein-
thalebene, dürfte für viele Dörfer das Ende der Aufnahmefähigkeit von
Menschen gekommen sein oder doch in absehbarer Zeit kommen. Es er-
heben sich auch Warnungsstimmen in diesem Sinne. So sagt Wörishoffer
in seinem Berichte über die soziale Lage der Zigarrenarbeiter im Grofs-
herzogtum Baden (S. 83) trotz aller Anerkennung der Vorteile der All-
mend: „Diese Wirkung (das Hinausschieben des Zeitpunkts des Eintritts
in den Genufs) ist aber nur eine günstige, weil sonst der Hang am Orte
zu bleiben unter den jungen Leuten noch mehr zunehmen würde, als es
ohnedem schon seit der durch die Zigarrenfabriken vorhandenen Verdienst-
gelegenheit gewachsen ist. Mit diesem Hange, am Ort zu bleiben, bezw.
mit der Möglichkeit ihn zu befriedigen, ist überall auch die Unternehmungs-
lust und das Selbstvertrauen unter der Bevölkerung zurückgegangen, die
das Risiko scheut, sich unter fremden Verhältnissen eine bessere Existenz
zu gründen." Und in dem Enquetebericht3) heifat es: „Es kann nicht
in Abrede gestellt werden , dafs ein so grofser Allmendnutzen, wie er in
Huttenheim besteht, den nicht zu leugnenden Nachteil im Gefolge hat,
dafs die Bevölkerung es an intensivem Fleifse und regem Arbeitsgeiste
im allgemeinen fehlen läfst; auch den Gewerbebetrieb läfst der grofse
Allmendnutzen auf eine hohe Stufe nicht gelangen, weil die jungen Leute
nur kurze Zeit aufserhalb des Ortes sich aufzuhalten pflegen, vielmehr
zeitig wieder nach Hause streben, um so rasch als möglich in den Ge-
nufs der Allmend zu gelangen."
In der Mehrzahl der Fälle wird wohl immer noch die alte Nutzungs-
1) Erhebungen XIII, 5, 15; XIV, S. 3, 7.
2) Ureigentum, S. 227. Buchenberger schliefst sich in seiner „Agrarpolitik" der
Auffassung Büchers an, obgleich er bei einer früheren Gelegenheit scharfe Worte gegen
die Schollenkleberei gesprochen hat. Vgl. Schriften des Vereins für Sozialpolitik XXVIII,
1884, S. 35.
3) Erhebungen XIII, S. 5.
Miszellen. 429
weise der Allmend (Zuteilung an die Bürger mit Aufrücken der Berech-
tigten; Beginn der Berechtigung mit dem 25. Jahre) beibehalten werden
können; wo dagegen die Bevölkerung über den Nahrungsspielraum des
Dorfes hinausgewachsen ist, wird man eich zu einer Aenderung der
Nutzungsweise entschliefsen müssen, um die Allmend überhaupt zu retten.
Freilich ist dabei jede Schablouisierung zu vermeiden. Man kann daran
denken, die Allmend ganz oder zum Teil zum Kämmereivermögen zu
schlagen, um das Dorf finanziell zu sichern, eine Politik, wie sie nament-
lich in Württemberg verfolgt worden ist. Oder man macht, wie das in
Elsafs-Lothringen vorkommt, mit der sozialpolitischen Bedeutung der
Allmende ernst und teilt sie den Aermsten an Stelle der Armenunterstützung
zu. Der dritte Weg endlich, der sich wohl am gangbarsten erweisen
würde, ist die Heraufsetznng der Altersgrenze für den Eintritt in den
Genufs, die natürlich bei jeder Gemeinde in Beziehung zu der Zahl und
Gröfse der vorhandenen Allmendlose gesetzt werden müfste.
430
Miszellen.
VII.
Selbstmordstatistik der wichtigsten Länder Europas.
Tab. I.
1. Deutschland.
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(Durchschn.)
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1879—86
(Durchschn.)
1887
1888
1889
1890
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(Durchschn.)
1887
1888
1889
1890
1891
1892
1893
1872—85
(Durchschn.)
1886
1887
1888
1889
1890
1891
5054 4096
6028 481 1
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1) Der starke Rückgang gegenüber den Vorjahren erklärt sich aus der 1890 erfolgten Einstellung
einer besonderen Berufsklasse „persönliche Dienstleistungen".
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—
—
14.
Dänemark.
528
415
27
132
210
167
265
139
106
91
34
392
70
3i
—
—
—
529
428
27
137
206
155
279
130
in
102
6b
417
55
25
—
—
—
57i
447
43
139
213
175
286
175
128
92
42
405
88
47
—
—
—
544
426
28
135
209
171
263
159
90
102
40
409
75
22
—
—
—
53i
408
23
122
220
166
276
130
116
IOI
48
400
75
22
—
—
—
5,8
5,9
5,2
II
12,1
11,3
2,9
2.8
2,8
2,9
2,7
2,4
2,3
25,3
25,2
26,8
25,T
24,2
Dritte Folge Bd. VIII (I.XIII).
28
434 M i s z e 1 1 e n.
VIII.
Der Stand der Eisenbahnfrage in Californien.
Eine Kritik der Methode der Eisenbahnverwaltung.
Von Prof. Dr. F. C. Clark.
Der gegenwärtige Stand der Eisenbahnfrage in Californien ist inter-
essant, eigentümlich und in mancher Hinsicht einzig in seiner Art.
Wer durch den Staat reist, kann nicht umhin die scheinbare
Einheit der Organisation des Eisenbahntransports zu bemerken, aber
wenn er länger yerweilt, wird er auch das verhältnismäfsige Zurückbleiben
industrieller Unternehmungen gewahr und hört von allen Seiten unzählige
Klagen über Unterdrückung und Eisenbahntyrannei. In einem Staate,
welcher sich mit Recht der Menge, Gröfse und Verschiedenartigkeit seiner
Produkte rühmt, wird man natürlich eine grofse Mannigfaltigkeit der
Industrie, besonders der Fabriken, vereinigt mit einer Anzahl unabhängiger
Transportgesellschaften zu finden erwarten. Was jedoch die letzteren
betrifft, so ist hier die Anzahl durch Gröfse ersetzt, und es zeigt sioh ein
entschiedener Mangel an Verschiedenartigkeit.
Während die Mehrzahl der Staaten östlich der Rocky Mountains
lange unter der übergrofsen Konkurrenz der Eisenbahnen gelitten hat, ist
Californien andererseits durch den Mangel derselben geschädigt.
Pas Geschäft des Transports von Gütern und Personen durch die
Eisenbahn liegt in Californien absolut in der Hand einer einzigen Gesell-
schaft. Diese Gesellschaft, The Southern Pacific Company (der
Titel ist zu beachten) wurde im Staat Kentucky im März 1885 gesetzlich
anerkannt zu dem vorgeblichen Zweck, „an der Pacific-Küste und im Süd-
westen Eisenbahnen zu besitzen , in Betrieb zu setzen , sie zu pachten
und zu verwalten"; aber hinzugefügt mufs werden, auch zu dem Zweck,
gewisse Bestimmungen der Verfassungen und Gesetze der Staaten und
Territorien, in welchen Eisenbahnstrecken lagen, zu umgehen.
Die ganze Route, auf welcher diese Gesellschaft ihre Thätigkeit
erstreckte, und die sie grofsenteils auch besafs, betrug am 31. Dezember
1892 6525,98 engl. Meilen. Dieses kolossale Eisenbahnnetz ist in 2 Teile
geteilt: die Pacificabteilung und die atlantische. El Paso ist der Scheide-
punkt. Zu der Pacificstrecke gehören : die südliche Pacific- Eisenbahn von
Californien , die südliche Pacific- Eisenbahn von Arizona , die südliche
Pacific-Eisenbahn von Neu-Mexiko , die südliche Pacifio-Küsteneisenbahn,
M i s z e 1 1 e n. 435
die nördliche Eisenbahn, die nördliche Californien-Eisenbahn, die Central-
Pacific-Eisenbahn, die Oregon-Eiseubahn, die Portland- und Yamhill-Eisen-
bahu und die Californien-Central-Eisenbahn. Zu dem atlantischen Teile ge-
hören : die Morgans Louisiana- und Texas-Eisenbahn, die westliche Louisiana-
Eisenbahn, die Eisenbahn von Texas und New Orleans, die Golf-, westliche
Texas- und Pacific- Eisen bahn , die Eisenbahn von Galveston, Harrisburg
und San Antonio, die Eisenbahn von New- York, Texas und Mexico, und
die Texas-Transport-Gesellschaft. Wenn man auch die Dampferlinien
berücksichtigt, welche diese Gesellschaft in Händen hat, z, B. die Pacific
Mail S. S. Co. ; die occidentale und Orientale S. S. Co., die Linie zwischen
Panama und New- York, und die Linie zwischen Galveston und New-York,
so bekommt man einen Begriff von der Gröfse und der Macht des Mono-
pols dieser Gesellschaft. So seltsam wie es auch scheinen mag, steht doch
diese Ausdehnung im direkten Verhältnis zu dem industriellen Verfall
San Franeiscos seit 1885.
Weiter nördlich sind die Verkehrsmittel verhältnismäfsig besser und
daher lenken Portland, Tacoma und Seattle den Orienthandel in den letzten
Jahren stetig von San Francisco ab und daher kommen auch die reichen
natürlichen Hilfsmittel von Oregon und Washington zur Entwickelung;
während diese Staaten früher nach San Francisco wie nach einem Markt
und Einschiffungspunkt tendierten. Wenn auch der augenblickliche Mangel
an Konkurrenz in San Francisco nicht der alleinige Grund ist, so ist der-
selbe doch der hauptsächlichste für die veränderte Pachtung des Verkehrs
und hat den Fortschritt des Staates wesentlich gehemmt. Jedes Jahr
dehnen die Kaufleute aus Portland im nördlichen Californieu ihren Detail-
verkauf östlicher Produkte immer mehr nach San Francisco hin aus.
Auf einer genauen Eisenbahnkarte von Californien erkennt man auf
den ersten Blick die Lage der Transportverhältnisse. Wie vorher bemerkt,
besitzt und verwaltet die Southern Pacific Company alle Verkehrsmittel
nach San Franzisco zu Land und zum Teil auch zu Wasser. In der That ist
es fast unmöglich von San Francisco in die Nähe oder Ferne zu ver-
reisen, ohne erst einen bedeutenden Beitrag an die Gesellschaft zu zahlen.
Wenn man ein Billet nach Chicago über Ogden hat, nimmt die Southern
Pacific 46 Proz. vom Preise des Billets; nimmt man seinen Weg über
Mojave, ferner über die Atchison, Topeka und Santa Fe, so fallen 18 Proz.
davon der Southern Pacific nach dem gegenwärtig geltendem Ueberein-
kommen zu. Ist das Billet für nördlich nach Chicago laufende Eisen-
bahnlinien giltig, so sind die Prozentsätze folgende : Ueber Portland, dann
über die Northern Pacific oder Great Northern fallen 36 Proz. auf die
Southern Pacific; führt der Weg über Cauadian Pacific, dann wird der
ganze Lokaltarifsatz nach Portland von der Southern Pacific in Anspruch
genommen, das beträgt zwanzig Dollar oder 32 Proz. des Fahrgeldes nach
Chicago , obgleich die Passagiere nur ein Fünftel der Strecke darauf be-
fördert werden. Aber das ist noch nicht alles. Ob man sich für den
Küstendampfer über Los Angelos entscheidet oder den längeren Weg über
Panama vorzieht, die Southern Pacific sichert sich in jedem Falle einen
oder mehrere Coupons des Passagierbilletes. Wenn man bei der „Sunset
Route", d. i. über El Paso, reist, so benutzt man eine Eisenbahnlinie
28*
436 Mis zellen.
dieser Gesellschaft auf die gröfsere Strecke, und diese nimmt einen
entsprechenden Anteil von jedem Billet für sich in Anspruch, gleichviel
ob man nach Chicago, New- York oder Europa fährt. Neben den Eisen-
bahn- und Dampferlinien besitzt und verwaltet diese Gesellschaft auch die
bedeutendsten Drahtseilbahnen von San Francisco und für diese mufs man
auch beisteuern. Die Oaklandfähren und die Pacific Güterspeditionsgesell-
schaft dürfen auch nicht bei einer detaillierten Darstellung übersehen
werden. Es würde in der That schwer sein, ein strenger durchgeführtes
Monopol als dieses zu finden. Ein Studium der Lage der Strafseneisen-
bahn und der Fährenfrage würde augenblicklich vom ökonomischen so-
wohl als auch vom sozialen Gesichtspunkte aus sehr interessant sein, an-
gesichts der wachsenden Aussichten auf erfolgreiche Konkurrenz; doch
wir müssen uns auf die Eisenbahnfrage beschränken.
Zuerst möchte ich bemerken, dafs die Ursachen der momentanen Ver-
kehrslage im Gegensatz zu dem, was man wohl zuerst vermutet, unseres
Erachtens nach ebenso der Schlaffheit des Publikums, wie dem offensiven Vor-
gehen der betr. Aktiengesellschaft zuzuschreiben sind. Die Kaufleute
von San Francisco , durch die vierziger und fünfziger Jahre an einen
Profit von 75 bis 100 Proz. gewöhnt, sind nicht geneigt, sich jetzt für
so geringen Gewinn anzustrengen, wie moderne industrielle Unternehmungen
ihnen bieten. Wenn man die soziale Apathie und die hier herrschende
undurchdringliche Gleichgiltigkeit gegenüber neuen Bedingungen unter
denen sieht, deren grofser Einflufs am leichtesten die Fesseln der Tyrannei
brechen könnte, so ist man geneigt, mit dem calabrischen Mönche zu
sagen : „The people is a beast of muddy brain." Jedoch ist der Gesell-
schaft die Lage der Dinge von Anfang an wohl bekannt gewesen , und
sie war sehr beflissen sich den Vorteil zu wahren, welche die natürliche
Lage der Verhältnisse ihr bot.
Diese Lage ist vom sozialen Gesichtspunkt aus betrachtet weder un-
bekannt noch unnatürlich. Das Transportwesen aller grofsen modernen
Unternehmungen hat die gröfsteu Fortschritte gemacht und macht sie
noch ferner. In der That liegt es in der Natur derselben und in den
Umständen, dafs dieses bestimmend für das Schicksal von anderen Unter-
nehmungen, Städten und Staaten ist, die alle vollständig von den Trans-
portanstalten abhängig sind. Die Verbindung von 3 oder 4 Eisenbahn-
systemen zu einem grofsen Verbände unter einer Verwaltung würde in
der herrschenden Tagesmeinung für ein Zeichen des Fortschrittes ge-
halten werden ; aber bei solcher Berechnung sollte man nicht versäumen
das abzuziehen, was doch entschieden abgezogen werden mufs, nämlich
die zahlreichen Unternehmungen, die dadurch belastet oder völlig zu Grunde
gerichtet werden. Wir finden hier ein Prinzip der Eisenbahnökonomie,
nämlich das , dafs die Transportmittel, bei denen sich durch Lage und
Natur der Sache der Einflufs des Fortschrittes zuerst bemerkbar macht,
die industrielle Gesellschaft entweder zu unterstützen oder zu hemmen
imstande sind.
Gemäfs der jetzigen Organisation der Aktiengesellschaften hat ein
einzelner Beamter oder mehrere Beamte die ganze Macht und Initiative
in der Hand. Infolge dessen ist die industrielle Thätigkeit der Ge-
Miszellen. 437
samtheit in einem solchen Falle, wie er für unsere Betrachtung vor-
liegt, ganz von ihrer Willkür abhängig. Sie entscheiden, ob eine in-
dustrielle Unternehmung gegründet werden darf oder nicht. Will sich
ein Konkurrent niederlassen, so wird er selbstverständlich abgewiesen.
Ist es aber ein Günstling, so wird die Erlaubnis erteilt. Ohne Ueber-
treibuug kann gesagt werden, dafs bei den bestehenden Umständen ein
einziger Mann in San Francisco in der Lage ist, jedes grofse Etablisse-
ment an der Marktstrafse in 30 Tagen zu schliefsen und den Handel im
Hafen von San Francisco in 3 Monaten zu zerstören. Er kann das mit
der ihm verliehenen Macht, bevor Staat und Gemeinde durch die
Mittel, welche sie zur Verhinderung einer sozialen Tyrannei geschaffen
hat, einschreiten könnte. Dies erklärt nicht nur die kritische Lage in
Californien , sondern beweifst auch die allgemeine Gefahr der unbe-
schränkten, ungeordneten Macht solcher Gesellschaften, und zu gleicher
Zeit giebt es Aufschlufs darüber, wer die Verantwortung trägt. Diese
Macht über die Industrie, von der hier die Rede ist, ist die Macht
der Tarifregulierung. Aber bei näherer Betrachtung enthält jede
Eisenbahnfrage dieser Art auch ein politisches Moment, welches zu dem
volkswirtschaftlichen oder industriellen Moment hinzutritt. Man hat
in Pennsylvanien, in New- York dieselbe Beobachtung zu Anfang der 70er
Jahre gemacht; 10 Jahre später in Jowa und Minnesota. Die Geschichte
der Eisenbahnmonopole der Vergangenheit, sowie die Beobachtungen in der
Gegenwart haben ergeben, dafs ein Privateisenbahnmonopol unter einer
demokratischen Regierung nicht existieren kann, ausgenommen durch Um-
gehung des Gesetzes oder Bestechung der Gerichtsbarkeit. Eine Eisen-
bahngesellschaft ist eine Schöpfung des Staates und es liegt in der Natur
der Sache, dafs sie, um ihre Unabhängigkeit gegen Einmischungen zu
wahren, gezwungen ist, der Gewalt, d. h. der Gesetzgebung zu trotzen,
die sie geschaffen hat.
Die Lage in Californien ist in dieser Hinsicht typisch. Californien
ist der einzige Staat, dessen Eisenbahnbehörde direkt durch die Ver-
fassung eingerichtet wurde und deren Rechte und Pflichten ausdrücklich
gesetzlich normiert wurden. Unter den verliehenen Rechten und aufer-
legten Pflichten ist besonders hervorzuheben :
„Tarife festzustellen für den Passagier- und Frachtverkehr durch die
Eisenbahn- oder Transportgesellschaften und von Zeit zu Zeit dieselben
mit den etwaigen Veränderungen zu veröffentlichen." Dem Wortlaut der
Verfassung nach ist die Behörde unbedingt hierzu verpflichtet. Unge-
achtet dieser Thatsache hat die gegenwärtige Kommission, die aus drei
Männern ohne besondere Fachbildung besteht, die Verfassung ignoriert,
und der Staatssenat, durch die Eisenbahnen beeinflufst, hat ausdrücklich
ihr Vorgehen gebilligt. Im Anfang des Jahres 1893 wurde eine Bill bei
dem gesetzgebenden Körper beantragt, welche die Kommissionsmitglieder
wegen Versäumnis, Unzuverlässigkeit und Vernachlässigung der Pflichten
ihres Amtes entsetzen sollte. Die Bill ging im Unterhaus mit der
notwendigen 2/3 -Majorität durch, aber sie wurde nicht vom Senat bestätigt
infolge des Druckes, den die Eisenbahngesellschaften in gewohnter Weise
ausübten. In Bezug darauf bemerkte eine San Franciscoer Zeitung vom
1. März 1893:
438 M i s z e 1 1 e n.
„Das Vorgehen des Senates bekundet klar die Stellung seiner Mit-
glieder zu den Eisenbahnen. Die Wahl blieb nur zwischen dem Volk
und der Eisenbahn. Es war in dieser Beziehung keine Möglichkeit einer
Meinungsverschiedenheit. Jeder Senator wufste, dafs die Kommissions-
mitglieder sich geweigert hatten, ihre Pflicht zu thun, welche die Ver-
fassung ihnen auferlegt. Dies hat jeder in Californien klar erkannt, der
bemüht war, diesen Vorgängen zu folgen. Dies wird von der Kommission
in ihrem offiziellen Berichte zugestanden".
Nachdem die Bill abgelehnt war, galt die Sache für erledigt; die
Kommission bezog weiter ihre Einnahmen von 4000 Doli, jährlich, und
der Buchstabe wie der Geist der Verfassung sind in den Augen des
ganzen Volkes verletzt. Wo, mufs man fragen, liegt nun eigentlich der
Fehler? Wer ist verantwortlich für diese Lage der Dinge? Die Antwort
auf diese beiden Fragen ist dieselbe ; sie lautet : hauptsächlich das Volk
selbst. Die öffentliche Meinung hat sich nicht bestimmt gegen ein
solches Verfahren ausgesprochen. Das Wahlrecht ist von denen nicht
treulich ausgeübt, welche es ausüben könnten und sollten.
Die Schilderung der Lage in New York, die wir in einem Artikel
von Prof. Hart in der P.olitical Science Quarterly (1892) finden, gilt auch
für Californien. Das Volk versteht nicht, wie die Eisenbahnen es thun,
wie sehr das Gesamtwohl in industrieller sowohl, als auch in politischer
Beziehung von der Volksvertretung abhängt, noch viel weniger versteht
es , dafs das Allgemeinwohl nicht gleichbedeutend ist mit dem über-
mäfsigen Wachstum einer einzigen Aktiengesellschaft. Bis das Volk von
Californien überzeugt wird, dafs es seine industriellen Interessen mit dem-
selben Eifer verteidigen müsse, den es bewiesen hat in der Gewährung
der wertvollen Privilegien und Konzessionen, mufs es darauf gefafst sein,
die Frucht seiner Gleichgültigkeit zu ernten. Es ist undenkbar zu glauben,
und es wäre Verrat zuzugeben, dafs solche Uebel bei einem Regie-
rungssystem wie das amerikanische nicht ausgerottet werden können. Das
Mittel mufs aber nicht in einer neuen Gesetzgebung gefunden werden,
sondern vielmehr in der Befolgung der Gesetze, welche schon in dem
Gesetzbuch enthalten sind.
Aber andererseits verdient das Volk nicht den ganzen Tadel, wenn
auch die Initiative einer Verbesserung der Uebelstände schon bei der
Wahlurne beginnen mufs. Eine unbefangene Behandlung des Gegen-
standes mufs also den Schwerpunkt der Mifsstände in der Natur der
Aktiengesellschaft selbst sehen. Die Ziele derselben sind sowohl volks-
wirtschaftlich wie privatwirtschaftlich in wenigen Worten charakterisiert:
rücksichtslose und selbstsüchtige Vergröfserung ihrer Macht.
Das Wohl der Gesamtheit, wovon ihr eigener dauernder Wohlstand
abhängt, wird geopfert, wie es bei vielen ähnlichen Gesellschaften der
Fall ist, um augenblickliche Dividenden zu erzielen. Die Privatgesell-
schaften können sich wohl Befreiung von politischer Kontrolle erkaufen,
sie können aber nicht das soziale Gleichgewicht, die gegenseitige Hilfe
und die Gerechtigkeit über den Haufen werfen, ohne schliefslich ihre
eigene ökonomische Wohlfahrt dadurch zu schädigen.
Betrachtet man die Frage der Tarifierung, so sieht man, dafs zwischen
Misz eilen. 439
der Einführung eines Tarifs, welcher eine landesübliche Dividende sichert,
und der Auferlegung eines höchstmöglichen Tarifs ein grofser Unterschied
ist. Aber das ist nicht der einzige Unterschied — jenes ergiebt sich
naturgemäfs aus den Verhältnissen, dieses dagegen ist Willkür; jenes ist
beständig, dieses ist fortdauernd schwankend. Es ist gar keine Frage,
dafs es für alle Beteiligten, Direktoren, Aktionäre, Angestellte, Produzenten
wie Konsumenten viel besser ist, wenn eine Eisenbahn eine einheitliche
und mäfsige Tarifierung annimmt, als eine die das Publikum ausbeutet.
Oft werden die ökonomischen Interessen ganz vergessen über der Gier nach
industrieller Macht. Liegt dieseMacht in Privathänden, so mufs sie demo-
kratische Institutionen in autokratische verwandeln und dadurch alleiniger
Richter bei der eignen Tyrannei werden. Die Existenz eines solchen
Monopols lähmt den Unternehmungsgeist und den Fleifs ; der unvernünf-
tige Gebrauch solcher Macht erschüttert das Vertrauen des Volkes und
hat dauernde Mifsstände zur Folge.
Das Vorhergehende ist nicht eine Kritik der Menschen, sondern der
Methoden. Ein Beispiel soll uns die Methode, wie man in Californien
Tarife festzustellen pflegt, erhellen. Wir wollen ein typisches nehmen:
Ein kleiner Produzent in R. — einer Station 50 — 60 engl. Meilen von
San Francisco entfernt — wollte sein Einkommen erhöhen durch den
Verkauf seiner Produkte auf dem Markt von San Francisco. Er ging zu
dem dortigen Betriebsdirektor der Eisenbahngesellschaft, um sich über die
Höhe des Tarifs zu unterrichten. Nachdem der Direktor sich genau nach
der Art und der Quantität seiner Produkte, deren Preis in R. und der
Zeit des Abschickens erkundigt hatte, antwortete er, dafs er den Tarif nicht
angeben könnte, er sich aber darüber informieren und ihm am folgenden
Tage Nachricht zukommen lassen wolle. Darauf telegraphierte er in dieser
Angelegenheit an die Eisenbahndirektion in San Francisco ; diese erkun-
digte sich auf dem dortigen Markte nach dem Verkaufspreis der betreffenden
Waren und telegraphierte dann den Tarifsatz nach R. Der angegebene
Frachtsatz betrug den Unterschied zwischen dem Marktpreis in R. und
dem zu Sau Francisco, so dafs jede Steigerung des Profites für unseren
Produzenten ausgeschlossen war. Auf diese Weise machte sich die Eisen-
bahngesellschaft zum „residuary legatee" — indem sie den ganzen Profit
einzog und somit das Aufblühen des Unternehmens hemmte, statt es zu
pflegen und zu begünstigen. Ist es zu viel gesagt, wenn man solche Me-
thode als despotisch und kurzsichtig bezeichnet und ihr vorwirft, die
Geschäfte und Verkehrsunternehmungen zu zerstören ? Nicht selten sieht
man das Getreide in Säcken neben dem Eisenbahngeleise in San Joaquin
Thal aufgeschichtet, um da monatelang — selbst die Regenzeit über —
zu lagern, bis ein angemessener Tarif den Verkauf auf dem Markt er-
möglicht. Viele der unerschöpflichen landwirtschaftlichen Hilfsmittel
Californiens schlummern jetzt aus Mangel an Absatz, weil es an ver-
nünftiger Tarifierung fehlt. Solange bei der gegenwärtigen Organisation
unbeschränkte Macht, ohne im einzelnen verantwortlich zu sein, in der
Hand eines einzigen Beamten liegt, dessen einzige Sorge ist, bei den
Direktoren in Gunst zu stehen, was ihm auch gelingt auf Kosten des
Publikums, dessen Interessen er mit Füfsen tritt, statt wie er vernünf-
440 M i s z e 1 1 e n.
tigerweise thun sollte, ihm zu dienen, bleibt es nur eine Frage der
Zeit, wann die Grenze der Toleranz, die in jeder menschlichen Gesellschaft
existiert, erreicht sein und die öffentliche Meinung sich geltend machen
wird. Dafs dies nicht schon in Californien geschehen ist, haben wir oben
gesehen. Dafs es aber nicht mehr lange ausbleiben wird, zeigen mannig-
fache Vorboten, vor allem das energische "Wachsen der Konkurrenz. In
der Nordamerikanischen Navigationgesellschaft ist kürzlich der Pacific Mail
S. S. Co. ein Konkurrent auf dem Wege nach Panama erwachsen ; in
der Davies Ferry Transfer Co. ein Konkurrent für den Oaklandverkehr,
während die Atchison Topeka und Santa Fe erfolgreich mit der Southern
Pacific nach Los Angeles konkurriert hat; und für den internationalen
Verkehr und für längere Strecken bestimmt the Canadian Pacific jetzt die
Tarife nach New York und Liverpool. Vom Osten kommt allmählich die
Konkurrenz durch die Ausdehnung der drei gröfsten Eisenbahnnetze : der
Burlington-Bahn, der Rock-Island-Bahn, und der Chicago- und Northwestern-
Bahn. Es ist nur eine Frage der Zeit, dafs jede dieser Linien ihren
eigenen Weg nach der Pacificküste haben und eigene Zweiglinien bilden wird.
Zum Schlufs möchte ich noch bemerken, dafs die Eisenbahnfrage in
Californien einer falschen ökonomischen Auffassung entspringt. Die in
Amerika allgemein angenommene Theorie der Eisenbahnen, dafs die Inter-
essen einer Privatgesellschaft notwendig das wirtschaftliche Wohl der Ge-
samtheit fördern, ist vielmehr falsch und wird nicht durch Thatsachen be-
stätigt, weder in Californien noch sonstwo. Aber andererseits ist es richtig,
dafs wenn eine solche Aktiengesellschaft die Interessen der Gesamtheit be-
günstigt, sie dadurch auch ihren eigenen Vorteil wahrnimmt. Dies ist be-
sonders von einer Eisenbahngesellschaft zu sagen wegen des öffentlichen
Charakters ihrer Funktionen. Nicht ein dem Publikum entgegenkommendes
Vorgehen seitens der Eisenbahn wird einen Bankrott verursachen. Eine
Eisenbahngeseilschaft ist wesentlich eine volkswirtschaftliche Institution.
Das Benehmen des Publikums aber gegen solche Institutionen, sowie das
Vorgehen derselben gegen die Gesamtheit beweist, dafs man sich noch
nicht klar ist über die tiefe Bedeutung dieser für die soziale Welt. Die
obige Kritik weist auf die Thatsache hin, dafs die Eisenbahnpolitik vor
allem das Gesamtwohl im Auge haben mufs. Sie sollte auf ein höheres
soziales Niveau erhoben werden.
Miszellen. 441
IX.
Die Preise des Jahres 1893 verglichen mit den
Vorjahren.
Auf Grund des Materials in „Hamburgs Handel und Schiffahrt" haben
wir im Anschlufs an unsern vorjährigen Artikel und nach derselben Methode
in den folgenden Tabellen die Preise für das vorige Jahr dargestellt.
Das arithmetische Mittel der Preise für 163 Waren ergiebt fast die-
selbe Ziffer wie die Vorjahre, im Verhältnis zu dem Durchschnitt von
1847 — 80 gleich 100, 92,8, gegenüber dem Durchschnitt von 1871 — 80
83,06. Die Kolonialwaren sind auf 102 gestiegen, gegenüber dem Durch-
schnitt von 1847 — 80 stehen sie sogar auf 129. Auch Baumwolle ist
gegen das Vorjahr eine Kleinigkeit gestiegen, um 5 Proz., ebenso Indigo,
Salpeter, Palmenöl, aber Baumwolle sowohl wie diese letzteren Artikel stehen
beiden Grundperioden gegenüber noch immer aufserordentlich tief, auf ca.
65. Dasselbe ist von den Hauptmetallen zu sagen. Namentlich das Blei
ist seit dem vorigen Jahre erheblich zurückgegangen, von 16,7 auf 13,13 M.
Auch die Steinkohle hat den Preis von 1892 nicht halten können, steht
aber immerhin noch höher, als während der achtziger Jahre, gegenüber
den Siebzigern allerdings nur wie 100 zu 77.
Hoch bedeutender war der Bückgang der Getreidepreise. War in dem
vorigen Jahre das Verhältnis noch gegenüber der Periode von 1847 — 80
wie 100 zu 78,5 so in dem letzten Jahre wie 100 zu 61,4 und gegenüber
der Zeit von 1871 — 80 wie 100 zu 60.
Die 19 von uns besonders herausgegriffenen Artikel ergeben in dem
letzterwähnten Verhältnis 65,5 gegen 77 im Jahre 1892 und 89 im Jahre
1891. Das Ergebnis ist mithin ein wesentlich anderes als das des arith-
metischen Mittels der gröfseren Eeihe von Waren, welche einen Stillstand
in der Preisreduktion annehmen läfst.
442
Misz e 1 1 en.
Tabelle I.
Die Preisentwickelung im Hamburger Handel während der letzten
Dezennien.
Durchschnittswert verschiedener Handelsartikel in Mark pro Centner
nach der nach den Hamburger Börsenpreisen deklarierten Einfuhr.
Durchschnittspreise
der Jahre
1-.'
Ware
1847
—50
1851
—60
1861
—70
1847
— 70
1871
—80
1881
—85
1886
—90
1890
1891
1892
1893
1
Kaffee, Brasil
35»io
45,io
54,88
47,51
73,70
45,66
68,64
8l, 80
76,53
69,74
78,73
2
Kakao
64,86
47,94
56,49
54,32
63,30
74,61
67,69
66,05
7L90
71,16
74-50
3
Thee
144,48
152,31
I56,19
152,62
132-13
106, 08
99,04
99,23
107,37
81,29
79,46
4
Zucker, roher
22,83
26,11
23,78
42,56
26,81
20,97
14,69
13,24
15,09
—
—
5
Korinthen
23,97
31,02
18,58
24,66
22,07
20,54
19,08
18, 46
19,97
17,40
11,81
6
Rosinen
21,36
29,05
26,71
26,79
26,66
26,19
21,03
24,38
23,42
18,68
15,77
7
Mandeln
56,28
64,50
67,14
64,23
71,24
71,79
71,09
83,90
86,40
67,25
6l, 38
8
Pfeffer
27,54
41,28
35,9i
36,75
5!,58
64,40
70,05
56,66
43,70
33,57
30,86
9
Kokosöl
45-93
44,10
48.12
46,08
41,07
34,48
28,69
29,02
30,63
28,80
28,70
10
Palmöl
32,73
39.01
38,37
37,70
37.87
3L 63
21,93
23,32
24,06
21.74
24,62
11
Indigo
431-25
587,08
750,87
629,35
701,13
637,26
537,92
463,82
534,59
450,86
547,80
12
Mahagoniholz
10,95
12,04
11,97
11,83
10,95
9.62
9,59
12,20
9,56
8,56
7,35
13
Baumwolle
55-68
53,08
119,68
8l, 26
65,87
52,83
48,80
49,86
47,19
39,49
42,17
14
Seide
I93L82
1773,46
2069,53
1923,22
1975-25
1553,69
1295,07
1107,76
1005,93
—
—
15
Flachs
47,40
50,58
75-01
60,2 3
6l, 78
64,09
45,^5
39,19
36,79
—
—
16
Hanf
35,91
36,46
35,oi
35.76
35.05
30,82
30,36
28,06
28,73
28,05
29,67
17
Reis
16, 83
13,03
11,60
13,03
10,61
9,26
8,50
8,81
9,08
8,83
7,21
18
Weizen
9,72
11,47
IO,93
10,95
11,43
9,34
7,36
7,40
9,23
8,03
6,01
19
Roggen
6,12
8,49
8,29
7,99
8,49
7,65
5,54
6.36
8,65
8,44
5,ii
20
Gerste
7,17
8,20
8,71
8,24
10,53
8,86
5,93
5,53
6,40
4,99
4.7S
21
Hafer
5.58
7,74
7.59
7,32
8,05
7,25
5,83
6,35
6,70
5.72
6,13
22
Hopfen
44,88
90,99
108,31
90,52
136,24
159,50
85,22
124,05
167,46
—
—
23
Kleesaat
32,61
53,02
56,46
51,05
58,72
54,82
45,24
39,51
44,56
49,6 0
51,53
24
Raps u. Rübsaat
12,96
15,25
15.78
15-09
H.77
13,65
12,00
12,68
12,58
10,45
IO,9S
25
Rüböl
36,27
40,60
39,78
39,54
33.94
30,67
27,47
30,43
28,37
—
—
26
Leinöl
29,19
34.30
36,75
34.47
31.21
25,83
22,07
24,42
24,20! 20,77
22,45
2 7
Kalbfelle
78,00
110,92
123,28
111,42
114,76
96,60
71,47
64,18
67,75 64,71
56,04
28
Borsten
177,73
242,93
241,14
231,62
358,53
399.92
275,30
199,33
237,70233,13
216,96
29
Pferdehaare
138,24
186,42
174,61
173,47
178,93
168,59
145,05
140,41
120,691 —
—
3d
Wachs
x34>04
153,93
152,83
150,16
115,60
91,08
71,43
67,29
70,72 75,54
78,11
31
Talg
41,07
49,68
44.10
45.92
41,21
39,63
28,37
27,95
27,95 28,75
31,93
32
Thran
28,05
35,59
38,68
35.62
29,27
28,58
18,88
16,42
19,65 l6,S9
15,61
33
Butter
60, 9 6
79,08
93,94
82,25
IIO,35
106,72
71,94
49,75
74,78
—
—
34
Schmalz
46,56
56,23
55,27
54-22
47,13
47.60
37,25
33,84
33,25
37,35
46,91
35
Heringe
8,49
10,89
11,41
10,72
13,06
13,42
9,97
9,98
II, 67
10,00
10,19
36
Eisen, rohes
3.72
3>87
3,45
3.67
4,32
2,90
2,72
3,20
2,78
2,71
2,84
37
Zink, rohes
I5.54
21,39
19,99
19,83
22,36
16, 85
13,87
18, 15
19,04
—
—
38
Zinn
80,10
120,4 6
111,15
109,85
105,81
93,4 2
92,71
88,60
87,10
86,06
88,3s
39
Kupfer
85,98
105,88
87,39
94.86
83,50
65,02
56,22
55.24
57,69
53,15
50,85
40
Blei
18,24
21,69
20,05
20,43
22,92
14,12
20,11
20,63
23,23
16,71
13,1s
41
Quecksilber
418,14
236,74
225,35
362,20
339,65
192,13
245,21
297,10
241,37
214,97
187,4«
42
Steinkohlen und
Koks
0,78
0,84
0,7 9
0,81
0,89
0,6 3
0,63
0,79
0,81
0,74
0,6$
43
Salpeter
12,81
15,99
13,17
14,28
13,81
11,83
9,22
8,01
8,33
8,46
8,9«
44
Eisen in Stangen
engl.
9,66
9,97
9,2 2
9,61
IO,91
7,04
6,87
8,49
7,75
6,94
6,1s
45
Baumwollengarn
90,42
95.82
209,40
142,24
164,43
137,43
162,37
136,86
131,71
146,81
159,21
46
Wollen- u. Halb-
wollengarn
308,07
269,49
355,78
311,87
316 32
233,40
203,05
201,38
197,15
193,98
201,12
47
Leinengarn
155.85
157,33
162,30
159.15
128,19
151,64
IÖO, 84
185,85
186,91
183,30
180,5s
Mi s zellen.
443
Prozentverhältnis gegen der
Durchschnitt
Nr.
Ware
der
Jahre 1847—70
= 100
1847
1871
1881
1886
—70
—80
—85
— 90
1890
1891
1892
1893
1
Kaffee, Brasil
IOO
I55»i3
96,11
144,47
172,17
l6l, 08
146,77
165,71
2
Kakao
IOO
116,53
137,35
124,61
121,59
132,36
131,00
137,15
3
Thee
IOO
86,5 7
69,51
64,89
65,01
70,35
53,26
52,06
4
Zucker, roher
IOO
109,16
85,38
59,81
53,91
61,44
—
—
5
Korinthen
IOO
89,50
83,29
77,37
74-86
80,98
70,56
47,89
6
Rosinen
IOO
99,51
97,76
78,50
91,00
87,42
69,73
58,87
7
Mandeln
IOO
IIO,91
111,77
110,68
130,62
!34,52
104,70
95,56
8
Pfeffer
IOO
140,35
175,24
190,61
!54,18
118,91
91,35
83,97
9
Kokosöl
IOO
89,13
74,83
62,26
62,98
66,4 7
62,50
62,28
10
Palmöl
IOO
100,45
83,90
58,17
61,86
63,82
57,67
65,31
11
Indigo
IOO
111,41
IOI,26
85.47
73,70
84,94
71,64
87,1.4
12
Mahagoniholz
IOO
92,56
82,16
84,11
103,13
80,8 1
72,36
62,13
13
Baumwolle
IOO
81, 06
65,01
60,05
6l, 36
58,07
48,60
52,02
14
Seide
IOO
I02, 71
80,79
67,34
57,59
52,34
—
—
15
Flachs
IOO
102,57
106,41
75-63
65,07
6l, 08
—
16
Hanf
IOO
98,01
86,19
84,90
78,47
80,34
78,44
82,97
17
Reis
IOO
81,43
71,07
65,23
67,61
69,68
67,77
55,33
18
Weizen
IOO
104,38
85,30
67,21
67,58
84,29
73,36
54,88
19
Roggen
IOO
IOO, 26
95>74
69,34
79,60
108,29
105,63
63,96
20
Gerste
IOO
127,79
107,52
71,97
67,11
77,67
60, 5 6
57,28
21
Hafer
IOO
109,97
99,04
79>64
86,7 5
91,52
78,14
83,74
22
Hopfen
IOO
!50,51
176,20
94,15
137-04
185,00
—
—
23
Kleesaat
IOO
H5-02
107,38
88,62
77,39
87,29
97,16
100,92
24
Raps u. Riibsaat
IOO
97,88
90,46
79,52
84,03
83,37
69,25
72,83
25
Rüböl
IOO
85,84
77,57
69,46
76,96
71,75
—
—
26
Leinöl
IOO
90,54
74,93
64,03
70,84
70,21
60, 26
65,13
27
Kalbfelle
IOO
103,00
86,70
64,14
57,50
60,81
58,08
50,30
28
Borsten
IOO
155-22
172,66
118,86
86,06
102,62
IOO,65
93,67
29
Pferdehaare
IOO
103,15
97,19
83,62
80,94
69,57
—
30
Wachs
IOO
76,98
60, 66
47,57
44,81
47,10
50,31
52,02
31
Talg
IOO
89,74
86,30
6t, 78
60, 87
60.87
62,61
69,53
32
Thran
IOO
82,17
80,24
53,00
46,15
55,17
47,42
43,82
33
Butter
IOO
134,16
129,75
87,47
60,49
90,92
— '
34
Schmalz
IOO
86,92
87,79
68,70
62,41
61,27
68,89
86,52
35
Heringe
IOO
121,94
125,30
93,00
93,10
108,86
93-28
94,49
36
Eisen, rohes
IOO
IX7,71
79-02
74,11
87,19
75,75
73,84
77,38
37
Zink, rohes
IOO
112,76
84,97
69,94
91,53
96,02
—
—
38
Zinn
IOO
96,32
85,04
84,40
80,66
79,29
78,34
80,40
39
Kupfer
IOO
88,02
68,54
59,27
58,23
60, 82
56,03
53,61
40
Blei
IOO
112,19
69,11
98,43
145,03
113,70
81,79
64,27
41
Quecksilber
IOO
I29.54
73,28
93,52
113,31
92,25
81,99
71,50
42
Steinkohlen und
Koks
IOO
109,88
77,78
77,77
97,53
100,00
91,36
85,19
43
Salpeter
IOO
96,71
82,84
64,57
56,09
58,33
59,24
62,81
44
Eisen in Stangen
engl.
IOO
113,53
73,26
71,49
88,35
80, 6 4
72,22
63.78
45
Baumwollengarn
IOO
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114,15
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92,60
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111,93
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wollengarn
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IOO
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446
MiszelleD.
X.
Die neueste Entwickelung der Gründungsthätigkeit
in Deutschland.
Von R. van der Borght.
Im Heft 4 des VI. Bandes der III. Folge dieser Jahrbücher, S. 586
u. ff., ist die Zahl der in den Jahren 1884 — 1892 in Deutschland ge-
gründeten Aktiengesellschaften mitgeteilt worden auf Grund der Veröffent-
lichungen im Centralhandelsregister für das Deutsche Reich. Diese Zahlen
bis Mitte des laufenden Jahres zu ergänzen, ist die Absicht der nach-
folgenden Zeilen. Dabei sollen nur für die beiden letzten Semester ein-
gehende Angaben gemacht werden.
Als gegründet wurden im Centralhandelsregister veröffentlicht:
im II. Sem. 1893 im I. Sem. 1894
Gruppe:
1) Bäder, Hotels, Gesellschafts- u. Vergnügungs-
lokale
2) Bau- u. Terrainspekulations-Gesellschaften
3) Bergwerks-Gesellschaften
4) Chem. Industrie (spez. Sprengstoffe u. Verw.)
5) Druck und Verlag
6) Elektrizitätsgesellschaften
7) Gemeinnützige Gesellschaften
8) Lederfabrikation
9) Metallverarbeitung
10) Maschinenbauaustalten, Schiffswerfte, Apparate-
herstellung (exkl. Nähmaschinen) ....
11) Nähmaschinenfabrikation
12) Nahrungs- und Genufsmittelindustrie :
a) Brauereien .
b) Konservenfabriken
c) Mühlen
d) Eiswerke
e) Stärkefabriken
f) Weingesellschaften
g) Zuckerfabriken
h) Sonstige
13) Industrie der Steine und Erden:
a) Baumaterial-, Cement-, Oefen-, Ziegelei-
Asphaltfabriken ctc
b) Glasfabriken
14) Spinnereien und Webereien
15) Verkehrsgesellschaften:
a) Eisenbahnen (einschl. Kleinbahnen) . .
b) Strafsenbahnen
c) Schiffahrtsgesellschaftcn
d) Lagerhäuser
16) Verschiedenes
Sa. 34
17) Versicherungsgesellschaften 2
18) Banken, Sparkassen u. sonstige Kreditinstitute 5
Zusammen 41
Zahl
Nominal-
Zahl
Nominal-
der
aktien-
der
aktien-
Gesell-
kapital
Gesell-
kapital
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M.
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4
1 720 OOO
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2 865 000
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I
450 000
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393 000
3
1 824 000
—
—
223 000
1
I OOO OOO
450 000
—
—
30000
—
—
2 800 000
1
90000
150000
—
—
900000
1
300 OOO
1 000 000
2
I 180000
9
4 23I7SO
1
96 OOO
—
—
2
2 720 OOO
2
2 850000
4
5 100 000
3
4 467 000
1
I 100 000
2
420000
1
135000
—
—
1
60000
1
1 583 000
2
I 320000
—
—
35535000
1 500 000
2 185 OOO
46 35 894 350
7 30 960 000
39220000 53 66854350
M i s z e 1 1 e n. 447
Das Durchschnittskapital stellte sich hiernaoh im II. Semester 1893
auf 956 600 M. und im I. Semester 1894 auf 1 261 403 M.; im I. Semester
1893 *) wurden dagegen 55 Gesellschaften mit 63 555 500 M. Kapital
(oder 1191918 M. im Durchschnitt) gegründet, darunter u. a.
Baugesellschaften u. Verwandte 4 Gesellschaften mit 3720000 M.
Bergbau u. Hüttenwesen I „ ,, 650 000 „
Chem. Industrie 3 „ ,, 4 850 OOO „
Elektrizitätsgesellschaften I „ „ 40 OOO „
Metallverarbeitung I ., ,, 3 OOO OOO „
Maschinenbau etc. 2 „ ,, 5 500 000 „
Textilindustrie I ,, ,, 450 OOO ,,
Brauereien 7 ,, „ 1755000 „
Zuckerfabriken I „ „ 1 200 OOO „
Eisenbahnen 5 ,, ,, II 230 OOO ,, u. s. w.
Im ganzen halten sich die Kapitalien nach wie vor sehr niedrig.
Gröfsere Kapitalien kommen nur vor im II. Semester 1893 bei der Aktien-
gesellschaft Thiederhall (Salzbergwerk) mit 4 Mill. M. und bei der Elek-
trizitäts-Aktiengesellschaft vorm. Schuckert & Co. mit 12 Mill. M., und im
I. Semester 1894 bei den Hamburger Elektrizitätswerken mit 6 Mill. M.,
der westdeutschen Bodenkreditanstalt zu Köln mit 8 Mill. M. und der
Rhein. -Westfälischen Bodenkreditbank zu Köln mit 20 Mill. M. ; dabei
ist aber zu berücksichtigen , dafs vou dem Kapital der beiden letzt-
genannten Gesellschaften nur 25 Prozent eingezahlt sind. Das niedrigste
Kapital war im I. Semester 1894 25 000 M. bei der Aktiengesellschaft
Logenhaus zu Reutlingen und im II. Semester 1893 1000 M. bei dem
katholischen Gesellenhaus in Andernach. Wie sehr im übrigen die kleinen
Kapitalien überwiegen, ist aus der nachstehenden Uebersicht zu erkennen
(die GruppenzifFern entsprechen der ersten Tabelle dieses Artikels).
Das Kapital betrug a) im II. Semester 1893:
bis über über über über über über über über
Gruppe 10 000 10 000— 100 000— 250 000— Y2— 1 1— 21/2 21/,,— 5 5—10 10 Mill.
M. 100 000 M. 250 000M. 500 000 M. Mill.M. Mill.M. Mill.M. Mill.M. M.
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1) Nach Hergenhahn's Berechnungen in der Wochenschrift für Aktienrecht und
Bankwesen, II. Jahrg., No. 15.
448 Mis zellen.
b) im I. Semester 1894:
bis über über über über über über über über
Gruppe 10000 10000— 100000— 250000— 7S— 1 x~ 2V9 2V2— 5 5—10 lOMill.
M. 100 000M. 250 000M. 500 000M. Mill.M. Mill.M. Mill.M. Mill.M. M.
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Ueber 500 000 M. gingen hiernach nicht hinaus
im II. Semester 1893 22 Gesellschaften = 53,7 % der Gesamtzahl
» I- „ 1894 29 „ = 54,7 0/0 „ „ .
über 1 Hill, kamen nicht hinaus
im II. Semester 1893 31 Gesellschaften = 75,6 % der Gesamtzahl
„ I. „ 1894 39 „ _ 73,6 0/0 „ „
Die rückläufige Bewegung der Gründun gsthätigkeit, die nach 1889
einsetzte, hat seitdem ununterbrochen fortgedauert, wie folgende Ueber-
sicht zeigt. Es wurden gegründet
Kapital
Gesellschaften im ganzen pro Gesellschaft
Mill. M. Mill. M.
1884 153 111,24 0,72
1885 70 53,47 0,76
1886 113 103,94 0,92
1887 168 128,41 o,76
1888 184 193,68 1,05
1889 360 402,54 1,12
1890 236 270,99 1,16
1891 160 90,24 0,56
1892 129 80,50 0,62
1893 96 102, 78 1,07
Von den gegründeten Gesellschaften ist — wie überhaupt in den
letzten Jahren — ein starker Bruchteil durch Umwandlung von Privat-
unternehmungen mäfsigen Umfanges entstanden. Ein Teil der Umwand-
lungen von Privatunternehmungen in Gesellschaftsunternehmungen mit
geteiltem Risiko ist allerdings auf die Form der Gesellschaft mit be-
schränkter Haftung abgeleitet worden ; aber der Form der Aktiengesell-
schaften wird doch noch in vielen Fällen der Vorzug gegeben, vermutlich
in erster Linie deshalb , weil die Verfügung über das angelegte Kapital
bei der Aktiengesellschaft wesentlich leichter ist.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 449
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen
Philipp ovich, Eugen von, Grundrifs der politischen
Oekonomie. Erster Baud : Allgemeine Volkswirtschaftslehre. (Aus
„Handbuch des öffentlichen Hechts der Gegenwart", hgg. von Marquardsen
und Seydel, Einleitungsband.) Ereiburg i. B. und Leipzig. 1893. gr. 8°.
VIII und 348 SS.
Das hier genannte Lehrbuch hat Philippovich vor etwa 1 1/2 Jahren
veröffentlicht, ohne ihm ein begleitendes Vorwort mit auf den Weg zu
geben. Vielleicht hat der Verfasser längere Zeit geschwankt, ob er einige
Worte dem Werke voranschicken solle oder nicht und ist dann schliefs-
lich zu dem Ergebnis gekommen : es sei besser, nichts zu sagen. Wäre
er in seinen Erwägungen zu dem anderen Resultat gelangt, dann würde
er wohl in der einleitenden Vorbemerkung auf das grofse Bedürfnis nach
einem erweiterten Grundrifs, einem knapp gefafsten Lehrbuch hingewiesen,
auf der anderen Seite aber jener zahlreichen Schwierigkeiten gedacht
haben, die sich der Abfassung eines solchen Werkes in den Weg stellen.
Unsere grofs augelegten nationalökonomischen Lehr- und Handbücher sind
für die Mehrzahl unserer Studierenden zu kostspielig, die kleineren Grund-
risse — soweit sie überhaupt wissenschaftliche Bedeutung haben — bieten
in der Regel zu wenig. Seitdem das vortreffliche Rausche Lehrbuch ver-
altet ist, ist diese Lücke in unserer Litteratur immer empfindlicher her-
vorgetreten. Und dennoch scheuten viele vor dieser Aufgabe, die sich
hier bot, zurück. Das Unfertige unserer Wissenschaft und die mit Vor«
liebe getriebene Spezialforschung hemmten in gleicher Weise. Man zog
die Detailuntersuchung, die zu neuen Aufschlüssen führte, der zusammen-
fassenden Darstellung, die zumeist mit den Forschungsergebnissen Anderer
sich begnügen mufste, vor. Wenn Philippovich trotz alledem — ■ vielleicht
mit einiger Selbstüberwindung — an jene andere Aufgabe herantrat und
den gegenwärtigen Stand des Wissens in diesem Grundrifs darzulegen sich
bemühte, so wird ihm die Wissenschaft, zumal er seine Aufgabe in so
ausgezeichneter Weise gelöst hat, zu aufrichtigem Dank verpflichtet sein.
Indem ich in eine Besprechung des Werkes eintrete, mag es mir ge-
stattet sein, zunächst den Plan des ganzen kurz mitzuteilen. Die Dar-
stellung soll in drei Teile zerfallen. Der erste in diesem ersten Bande
Dritte Folge Bd. VÜI (LXIH). 29
450 L'ebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
gebotene Teil legt das Wesen der wirtschaftlichen Erscheinungen und
ihrer Zusammenhänge in der verkehrswirtschaftlichen Organisation der
Volkswirtschaft der Gegenwart klar (Allgemeine Volkswirtschaftslehre) ;
ein zweiter Teil wird die Darstellung der Entwickelungsbewegung um-
fassen, in der sich diese Organisation unter dem bestimmenden Einflüsse
der Interessen der einzelnen Gesellschaftsgruppen wie des Staates befindet
(Volkswirtschaftspolitik) ; daran soll sich ein die wirtschaftliche Organisa-
tion der öffentlichen Gemeinwirtschaften und ihre Entwickelungsbewegung
umfassender Teil (Finanzwissenschaft) anschliefsen. Der zweite Band —
Teil 2 und 3 umfassend — liegt noch nicht vor. Hier kommt also nur
der erste Teil, die sog. „Allgemeine Volkswirtschaftslehre", in Betracht.
Die Behandlung derselben schliefst sich an die grofsen Kategorien des
wirtschaftlichen Verkehrslebens an: Produktion und Erwerb in
ihren Elementen und in ihrer Organisation: das Wesen der Produktion,
die Produktionsfaktoren (Land, Kapital, Arbeit) ; die verkehrswirtschaft-
lichen Produktionsformen, die Produktionsformen der verkehrslosen Wirt-
schaft; Grofs- und Kleinbetriebe; extensive und intensive Wirtschafts-
betriebe; endlich das regelnde Prinzip der Produktion und des Erwerbs
(2. Buch). Verkehr und Verkehrsmittel: Die Organisation des
Verkehrs; das Wertproblem; die Preisbildung; das Geld; der Kredit
(3. Buch). Einkommen und Einkommens bildung: Unter-
nehmereinkommen ; Besitzeinkommen ; Arbeitseinkommen. Versicherung ;
Armenversorgung. Güterverbrauch (4. Buch). Dieser systematischen
Darstellung der wirtschaftlichen Thatsachen und Zusammenhänge nach
den vier angegebenen Bichtungen (Buch 2 — 4) geht in der Einleitung eine
Erörterung über Wesen und Probleme der Volkswirtschaft
und im ersten Buche eine Untersuchung der Entwickelungsbedin-
gungen der Volkswirtschaft voraus. Den Abschlufs des Werkes
mit Buch 5 bildet eine Kennzeichnung der wirtschaftspolitischen
Parteien, die sich auf der Grundlage einer Beurteilung der Wirtschafts-
verfassung der Gegenwart gebildet haben.
Soviel über den Plan des Werkes. Betrachten wir die Ausführung,
so kann ich natürlich — dies sei sofort bemerkt — nicht alles hervor-
heben, was mir bei der Lektüre aufgefallen ist; nur auf einige Punkte
möchte ich aufmerksam machen.
Und da will ich beginnen mit dem Titel des Buches. Warum in
aller Welt ist wieder die Bezeichnung „Politische Oekonomie" gewählt?
Es kann nur wegen der internationalen Gebräuchlichkeit geschehen sein.
Aber ist dies wirklich ein ausschlaggebender Grund? Weil dieser Grund-
rifs, wie ich zuversichtlich hoffe, in Vieler Hände kommen wird, gerade
deshalb bedauere ich, dafs auch in ihm an diesem unbestimmten und
nichtssagenden Ausdruck festgehalten ist.
Ueber die Gruppierung des Stoffs will ich mit dem Verfasser nicht
rechten. Ein derartiges kurz gefafstes Lehrbuch, das vornehmlich den
Studierenden als Unterlage bei ihren volkswirtschaftlichen Studien dienen
soll, kann, ja darf die einmal übliche Einteilung nicht verlassen, mufs
sich wenigstens im wesentlichen an sie anschliefsen. Aber mir ist
doch zweifelhaft, ob es bei Beibehaltung des Philippovich'sohen Planes
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 451
geboten war, im 3. Buch das Geld- und Kreditwesen, im 4. Buch die
Versicherung und die Armenversorgung so ausführlich zu behandeln, wie
dies geschehen ist. Die allgemeinen Erörterungen über Wesen des Geldes
und Kredits etc. sind hier natürlich nicht zu entbehren, aber die speziellen
Ausführungen über die staatliche Ordnung des Geldwesens, über Währung
und Münze, die Angaben über den Stand des Notenbankwesens etc. etc.
fallen m. E. nicht in eine Darstellung des „Wesens der wirtschaftlichen
Erscheinungen und ihrer Zusammenhänge". Daran halte ich fest, trotz-
dem ich den Bemerkungen des Verfassers auf S. 154 am Ende beipflichte.
Die Betrachtungen über Versicherung und Armenversorgung sind aller-
dings kürzer. Aber warum werden hier die neuen deutschen Arbeiter-
versicherungsgesetze behandelt? An dieser Stelle ist zu viel gesagt, im
ganzen meines Dafürhaltens zu wenig! Gerade hier vermisse ich dann
auch weitere statistische Angaben, welche der Verfasser sonst in so zweck-
mäfsiger Weise einschaltet.
Weun ich in diesen Abschnitten somit das eine und andere streichen
möchte, um es in den zweiten Band zu verweisen, der doch einmal um-
fangreicher werden mufs, so würde ich in dem 1. Buche, welches über
„die Entwickelungsbedingungen der Volkswirtschaft" handelt, hie und da
eine gröfsere Ausführlichkeit wünschen. Zu kurz vor allem sind die Aus-
führungen über Eigentum und Erbrecht. Diese Institutionen erheischen
eine viel eingehendere Begründung. Dasselbe gilt im Hinblick auf
die Geschichte der Nationalökonomie. Philippovich kommt auf dieselbe
zu sprechen in der Einleitung unter „Litteratur" S. 26 fg. und vornehm-
lich im letzten Buch; allein im wesentlichen handelt es sich um eine
Charakterisierung der heutigen wirtschaftlichen und sozialen Parteien.
Nun gebe ich gern zu, dafs auf eine Kennzeichnung der verschiedenen
modernen Richtungen und Bestrebungen der Schwerpuukt zu legen ist,
auch bin ich weit davon entfernt, einer oberflächlichen literarhistorischen
Darstellung das Wort zu reden, allein einige wenige Betrachtungen über die
antike und mittelalterliche Volkswirtschaft und über die in jener Zeit ver-
tretenen volkswirtschaftlichen Lehren wären in einem solchen dem Unterricht
dienenden Werke wohl am Platze gewesen. Auch die wenigen Bemerkungen
über die merkantilistische Wirtschaftspolitik können nicht befriedigen.
Doch genug! Es ist wahrlich nicht schwer, weitere Wünsche zu
äufsern. Es lassen sich auch einige Unrichtigkeiten, welche mit unter-
laufen sind, hervorheben, auf Wiederholungen, die vielleicht hätten ver-
mieden werden können, welche aber in einem solchen "Werke nie ganz zu
vermeiden sind, kann man aufmerksam machen. — Allein, was besagen
derartige Ausstellungen, wenn man sich die grofsen Vorzüge des Buches
vergegenwärtigt: die übersichtliche Behandlung des Stoffs, die Klarheit in
der Ausführung, die wohlthuende Objektivität der Darstellung, die Sorg-
falt in den Litteraturangaben und in den statistischen Belegen ! Ich habe
den Grundrifs häufiger zur Hand genommen und stets mit gröfster Befrie-
digung in ihm gelesen. Wir haben kein ähnliches kurzes Kompendium,
welches den Bedürfnissen des Unterrichts in so ausgezeichneter Weise
Rechnung trägt und die einschlagenden Fragen so scharf und klar be-
handelt. Das mufs anerkannt und mufs ausgesprochen werden!
29*
452 Uebersicht über die neuesten Publikationen Öeutschlands und des Auslandes.
Einzelne Partien scheinen mir, wie dies in der Natur der Dinge
liegt, ganz besonders gelungen. Ich denke vornehmlich an einzelne Ab-
schnitte des 1. und 3. Buches, dann an das soeben schon genannte 5. Buch
über die wirtschaftspolitischen Parteien. Endlich einmal in einem der-
artigen Lehrbuche eine sachgemäfse, zusammenhängende Ausführung über
den heutigen Sozialismus! Wer sich z. E. nach dem Schönberg'schen
Handbuch über den modernen Sozialismus unterrichten will, dürfte schwer-
lich eine richtige Vorstellung erhalten; in der 3. Auflage findet sich m.
W. noch nicht ein "Wort über die materialistische Geschichtsauffassung.
Ueber Lassalle wird auf nahezu drei Seiten gebandelt, über Marx auf
etwa einer Seite! Der grofse Unterschied zwischen dem Sozialismus
Marxistischer Richtung und allen früheren sozialistischen Systemen, Las-
salle's Bestrebungen eingeschlossen, tritt dort so gut wie gar nicht hervor.
Ganz anders bei Philippovich, der eine durchweg befriedigende Darstel-
lung giebt.
Indes, was mich vor allem an dem Grundrifs so sympathisch berührt
hat und worin auch wohl nicht die geringste Bedeutung desselben liegt,
sind die allseitige Berücksichtigung und glückliche Vereinigung der
Forschungsergebnisse der deutschen historischen und der abstrakten öster-
reichischen Schule. In dem Abschnitt über die Wertlehre, in welchem
dieses schwierige Problem in äufserst klarer Weise behandelt worden ist,
folgt er — was ich mit Freuden begrüfse — den Lehren Menger's, Wiesers,
Böhm Bawerk's. Ebenso in dem Kapitel über den Preis. Hier freilich
würde ich gern, wenn ich doch noch einmal einen Wunsch äufsern soll,
einiges eingehender behandelt gesehen haben ; auf die Kleinhandelspreise,
auf die Einwirkung dieser auf die Grofshandelspreise etc. hätte mehr Rück-
sicht genommen werden können. Gerade wenn man sich auf den Stand-
punkt des Lernenden stellt, erscheint dies m. E. geboten.
Kann somit die österreichische Schule mit Befriedigung auf diese und
manche andere Kapitel des Buches blicken, so werden doch auch anderer-
seits die Anhänger der historischen Richtung dem Werke ihre Anerken-
nung nicht versagen können. Philippovich ist sichtlich bemüht, zwischen
beiden Richtungen zu vermitteln, eine Verständigung herbeizuführen, der
wir uns auch thatsächlich, wenn manche Anzeichen nicht trügen, mehr
und mehr nähern. „Die Beschreibung wirtschaftlicher Thatsachen und
die Darstellung ihres geschichtlichen Werdegangs", so führt er aus, „sind
die unmittelbare Voraussetzung sowohl eines theoretischen Verständnisses,
wie einer politischen Beurteilung. Nur aus der Kenntnis der Erschei-
nungen erwächst die Erkenntnis und nur das Verständnis des Gewordenen
ermöglicht das des Werdenden. Aber als letzte Aufgabe der Wirtschafts-
wissenschaft erscheint doch die theoretische und die politische Behand-
lung." Das ist der Weg, den wir gehen müssen, wollen wir uns vor
Einseitigkeit bewahren ! Nicht Theorie allein und nicht Geschichte allein,
sondern Geschichte und Theorie. Von dieser Auffassung durchdrungen,
hat der Verfasser seinen Grundrifs geschrieben, dem ich gerade deshalb
auch die weiteste Verbreitung wünsche.
Und wenn der verehrte Kollege, nachdem er jetzt seine Kräfte wieder
in den Dienst seiner Heimat gestellt hat, in seinem neuen Wirkungskreise
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 453
in diesem Geiste weiter arbeitet und sich bemüht, die Beziehungen zwischen
Deutschland und Oesterreich zu pflegen und zu möglichst innigen zu ge-
stalten, so kann dies der Wissenschaft nur zum Segen gereichen.
Breslau. Ludwig Elster.
Hildebrand, Richard, Ueber das Problem einer allgemeinen
Entwicklungsgeschichte des Rechts und der Sitte. Inaugurationsrede.
Graz 1894. 8°. 33 SS.
Das Problem, welches in dieser Rektoratsrede erörtert wird, ist das
Problem der Sozialgeschichte überhaupt. Denn Recht und Sitte sind
Aeufserungen gesellschaftlichen Lebens ; ihre Entwickelung ist mit der
Entwickelung der Gesellschaft aufs engste verknüpft , und da letztere
wieder durch die Entwickelung der Wirtschaft bedingt ist, so wird sich
eine vergleichende Rechts- und Sittengeschichte auf der Grundlage einer
allgemeinen Wirtschaftsgeschichte aufzubauen haben. Der Verf. folgt
nicht diesem Gedankengange; aber er gelangt doch zu dem gleichen
Resultate.
Er bespricht zunächst den Unterschied zwischen den älteren und den
neueren entwickelungsgeschichtlichen Untersuchungen; erstere bewegen
sich im nationalen Rahmen, letztere suchen das allen Völkern Gemein-
same ; erstere beschäftigen sich mit der Vergangenheit der Kulturvölker,
letztere wenden die vergleichende Methode an und studieren insbesondere
auch die Einrichtungen kulturarmer Völker der Gegenwart; erstere lassen
geschichtsphilosophische Ideen wirken, letztere suchen nach der Weise
der Naturforscher die Thatsachen zu erklären, welche übereinstimmend
bei allen oder doch vielen Völkern hervortreten. Die nationalen Unter-
schiede in Recht und Sitte sind ihnen zum gröfsten Teile nur Unterschiede
in der Entwickelungsstufe. Bei ihrer Erklärung hat man sich vor aprio-
ristischen Voraussetzungen wie derjenigen einer „sittlichen Bestimmung
des Menschengeschlechts" zu hüten ; sie kann auch nicht auf dem Wege
„juristischen Denkens" gefunden werden. Um Aufschlufs zu gewinnen
über die Entstehung der Lebensformen, mufs man auf die Natur der
Lebensprozesse eingehen. Aus dieser Erkenntnis sind Versuche ent-
sprungen, die verschiedenen Völker und Zeiten nach Kulturstufen zu
ordnen. Allein die „Kultur" ist zu mannigfaltig; das Leben der Völker
schreitet bald mehr in der einen, bald in der anderen Richtung vorwärts;
einen in gleicher Richtung sich fortbewegenden Entwicklungsgang weist
nur das Teilgebiet der wirtschaftlichen Kultur auf, weil ihr
Fortschreiten auf der elementaren Thatsache der Bevölkerungszunahme
beruht. Die Unterscheidung ökonomischer Entwicklungsstufen ist zu-
gleich eine Altersbestimmung der den ökonomischen Erscheinungen parallel
laufenden Erscheinungen des Rechts und der Sitte und ermöglicht es, die
Verursachung der letzteren aufzufinden. Der Verf. versucht dies an
einigen dem Gebiete des Familienrechts entnommenen Beispielen zu ver-
anschaulichen, in welchen er eine von den seitherigen Annahmen ab-
weichende Aufeinanderfolge aus wirtschaftsgeschichtlichen Gründen an-
nehmen zu müssen glaubt, und schliefst mit wenigen allgemeinen metho-
dischen Bemerkungen. Im einzelnen hätte ich gegen die Darlegungen
H.'s manches einzuwenden. So ist eine Behandlung der Eigentums-
454 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
formen (S. 11) nicht weniger logisch-aprioristisch als die der Juristen,
und seine Erklärung des Mutterrechtes (S. 28 f.) kann nach keiner
Seite befriedigen. Allein ich habe durch derartige Ausstellungen mir
die Freude an der knappen, klaren und geistvollen Behandlung der ganzen
Frage nicht trüben lassen und möchte sie auch den Lesern nicht nehmen,
die ich der gehaltvollen Schrift in grofser Zahl nicht blofs unter den
Nationalökonomen, sondern auch unter den Juristen, Historikern und
Ethnographen wünsche.
Leipzig. K. Bücher.
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Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 455
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456 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
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4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Festschrift zur Feier des 75-jährigen Bestehens der
Oldenburgischen Landwirtschafts-Gesellschaft. Hgg. vom
Centralvorstande. Bearbeitet vom Generalsekretär Dr. Wilhelm Rode-
wald. Berlin 1894.
In einem starken Bande werden viele interessante Mitteilungen über
Landwirtschaft und Kulturentwickelung in Oldenburg gemacht, wobei
namentlich gezeigt wird, wie das landwirtschaftliche Vereinswesen förder-
lich und hebend in vieler Beziehung für das Oldenburger Land gewesen
ist. Die Oldenburgische Landwirtschafts-Gesellschaft glänzt sowohl durch
ihren langen Bestand , wie auch durch eine gute Verbreitung , denn sie
zählte in dem Jahre 1893 3176 Mitglieder, während noch im Jahre 1853,
also 35 Jahre nach der Gründung, nur 418 Mitglieder existierten. Aller-
dings ersieht man aus einer beigefügten Karte über das Verhältnis der
Anzahl der Mitglieder der Oldenburgischen Landwirtschafts-Gesellschaft zu
der selbständiger Betriebsleiter, dafs in dem weitaus gröfsten Teil des
Landes auf 100 landwirtschaftliche Betriebsleiter von Wirtschaften über
5 ha Gröfse nur 10 — 20 Mitglieder entfallen und sogar einige Distrikte
unter 10, einige gar keine Mitglieder aufweisen.
Der erste Teil der Festschrift behandelt die Geschichte der Olden-
burgischen Landwirtschafts-Gesellschaft vom 1. Mai 1818, vom Tage der
Gründung, bis zum Jahre 1893. Ist auch an anderen deutschen Orten
das landwirtschaftliche Vereinswesen schon älter, z. B. die Königl. Land-
wirtschafts-Gesellschaft zu Celle schon 1764 gegründet, so ist die Olden-
burgische Landwirtschafts- Gesellschaft doch eine der ersten landwirtschaft-
lichen Vereine Deutschlands. Sie wurde in das Leben gerufen durch
einen trefflichen Aufruf in den Oldenburgischen Blättern vom 10. November
1817, in denen das Prinzip der Selbsthilfe und des vereinigten Vorgehens
in kräftigen Zügen geschildert wird. Das Beispiel englischer Verhältnisse
mag, wie in sehr vielen anderen Beziehungen, hier förderlich auf die Ent-
wickelung in Oldenburg gewesen sein. Auf der 1. Generalversammlung
der Gesellschaft im Jahre 1821 wurde eine grofse Zahl Medaillen für
verdienstvolle Leistungen ausgeschrieben und zwar für Einführung der
Stallfütterung in Verbindung mit einem zweckmäfsigen Feldsystem, Auf-
findung des Mergels, Veredelung der Schafzucht, Neuanbau auf unkulti-
viertem Lande, Beförderung der Obstbaumzucht, Beförderung des Hanf-
baues, Beförderung des Hopfenhandels, Bewässerung der Wiesen, Be-
förderung des Wühlens in der Marsch und verschiedene andere Dinge.
Die verschiedensten Mafsnahmen wurden von der Gesellschaft in den
nächsten Jahren mit und ohne Erfolg versucht oder unterstützt, z. B.
Einführung von Kunstdünger, Einführung des Tabakbaues, der Seiden-
raupenzucht, Unterstützung des Tierschauwesens u. s. w.
Im allgemeinen war der Wirkungskreis der Gesellschaft in den ersten
Decennien kein sehr grofser, wogegen in den 1850er Jahren ein frischer
Aufschwung zu konstatieren ist, besonders nach der Reorganisation der
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 457
Gesellschaft im Jahre 1859. Vermittelung der Wissenschaft mit der prak-
tischen Landwirtschaft, Belehrung und Verständigung der Landwirte, Ver-
tretung der landwirtschaftlichen Interessen wurden jetzt als die allge-
meinen Ziele der Gesellschaft bezeichnet. Neue Statuten wurden aus-
gearbeitet und eine ganze Reihe von hochwichtigen Förderungsmafsregeln
in die Hand genommen. Namentlich wurde sich der Hebung der Vieh-
zucht angenommen und die hohe Blüte, welche die Oldenburger Viehzucht
heute besitzt, ist jedenfalls mit auf das thätige Eingreifen der Landwirt-
schafts-Gesellschaft zurückzuführen, wenn diese auch bescheiden ihr Blühen
und Gedeihen dem Eingreifen der verschiedenen Landesfürsten zuschreibt.
Stierkörungen wurden als wesentlichstes Mittel zur Hebung der Rindvieh-
zucht in Oldenburg auf Betreiben der Landwirtschafts-Gesellschaft ein-
geführt, die Einführung staatlicher Stammregister für das Oldenburger
Kutschpferd eingeleitet , die Hebung der Schaf- und Schweinezucht durch
Import bewährter Kulturrassen gehoben. Auch mit der Organisation von
Viehversicherungs - Gesellschaften beschäftigte man sich eingehend. In
dieser Zeit fanden auch die ersten Beratungen über Einführung einer
Hagelversicherungs-Gesellschaft statt. Um der Drainage, welche bereits
in damaliger Zeit beträchtliche Fortschritte gemacht hatte, ausgedehntere
Einführung im Herzogtum zu verschaffen, bewilligte die Gesellschaft
Unterstützungen in Höhe von 5 Thalern per Jyck drainierten Landes. Im
Jahre 1860 wurde sich energisch mit Begründung einer Ackerbauschule
in Oldenburg befafst.
Ein sehr vorteilhafter Fortschritt jener Epoche war die Reorganisation
des Tierschauwesens und es wurde im Jahre 1868 die erste Landes-
ausstellung in Oldenburg eröffnet, die seitdem öfter wiederholt und mäohtig
zum Fortschritt anregte. Der Förderung des Molkereiwesens wurde sich
ebenfalls von der Gesellschaft angenommen. Wichtige Gründungen der
Neuzeit war die Einrichtung eines chemischen Laboratoriums unter Lei-
tung des Herrn Dr. Petersen , einer 3000 Bände starken landwirtschaft-
lichen Bibliothek, die Begründung eines Landwirtschafts-Blattes für das
Herzogtum Oldenburg, welches in einer Auflage von 3300 Exemplaren
erscheint.
Der zweite Teil des Werks beschäftigt sich mit Beschreibung der
Landwirtschaft und ihres Betriebes im Herzogtum Oldenburg. Es finden
sich hier eine Menge landwirtschaftlich und volkswirtschaftlich inter-
essanter Angaben. Im allgemeinen ersieht man hieraus, auf welche
hohe Stufe die Landwirtschaft in diesem von der Natur allerdings mit
guten, aber auch mit bösen Gaben ausgestatteten Land gelangt ist.
Allgemeinere Kapitel dieses Teils sind: „Die Kulturentwickelung in
den Marschen", ,,Zur Geschichte der Deichordnung" und „Deiche und
Siele".
Ausführliche statistische Angaben werden ' durch den Vorstand des
herzoglichen statistischen Bureaus, Dr. Kollmann, in den Kapiteln: „Die
Bevölkerung in ihrer Ausbreitung und ihrem Wachstum" und „Umfang
und die Beschaffenheit der Viehhaltung auf Grund der Viehzählung" ge-
macht. Ebenso bieten die Angaben über landwirtschaftliche Arbeitslöhne
in den verschiedenen Abteilungen des Herzogtums wertvolle statistische
Unterlagen.
458 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Es kommen sodann einige Spezialabteilungen von verschiedenen
Autoren über den landwirtschaftlichen Betrieb in den Weser- und Moor-
marschen, im Jeverland, auf der Oldenburger Geest, im Münsterland.
Ueber die hochentwickelte Oldenburger Pferde- und Kindviehzucht
berichtet Rodewald selbst in 2 Kapiteln eingehender. Schaf- und Schweine-
zucht, Ziegen-, Geflügel-, Bienen- und Fischzucht werden in anderen
Kapiteln dargestellt. Auf allen diesen Gebieten hat man in Oldenburg
rege gearbeitet und dadurch eine recht hohe Stufe im Vergleich zu
anderen Ländern erlangt. Ja sogar im Obst- und Gartenbau sind trotz
des ungünstigen Klimas nach den diesbezüglichen Berichten in Oldenburg
von jeher grofse Anstrengungen gemacht worden. Auch eine Konserve-
Fabrik besteht in der Stadt Oldenburg, so dafs ein feldmäfsiger Gemüse-
bau daselbst für viele Landwirte zur Möglichkeit geworden ist.
Von landwirtschaftlichen Nebengewerben spielt die Molkerei in Olden-
burg die gröfste Rolle, bestanden doch daselbst im Jahre 1891 34 Molke-
reien mit ca. 2500 Milchlieferanten. Allerdings berechnet der Referent
über diesen Gegenstand, Oekonomierat Petersen-Eutin , dafs nur von
10 000 Kühen die Milch in Molkereien verarbeitet wird, während im
Herzogtum 80 000 Kühe gehalten werden, so dafs immer noch iür die
Bildung -von Molkereigenossenschaften ein weites Feld offen ist.
Das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen ist in Oldenburg recht
gut entwickelt und wird in der Neuzeit namentlich mit allen Mitteln ge-
fördert, nachdem v. Mendel während der Zeit seines Generalsekretariats
in Oldenburg energisch die Hebung desselben in die Hand genommen
hatte. Die Oldenburgische Land wirtschafts- Gesellschaft hat auf jede
Weise die Bildung landwirtschaftlicher Genossenschaften unterstützt.
Es existieren in Oldenburg eine grofse Anzahl landwirtschaftlicher
Konsumvereine, die sich zu einer Centralgenossenschaft vereinigt haben
behufs gemeinschaftlichen Bezugs von Waren. Im Jahre 1892 betrug
der Gesamtumsatz der Konsumvereine 535 410 M. Auch die Molkerei-
genossenschaften haben sich zu einem Verband vereinigt, der einen ge-
meinsamen Verkauf von Butter betreibt, eine beratende Kontrolle über
den Betrieb der Meiereien ausübt, Vertretung gemeinsamer Interessen, Auf-
findung von Absatzquellen sich zur Aufgabe gestellt hat, gleichmäfsige
Packung etc. verfolgt.
Aufserdem ist das Genossenschaftswesen in Oldenburg noch realisiert
durch eine Hengstversicherungs-Genossenschaft, durch den Löninger Pro-
duzentenverein und durch zahlreiche Hengst- und Bullenhaltungsgenossen-
schaften.
Das landwirtschaftliche Kreditwesen ist nach den Darstellungen des
Oberfinanzrats Bucholz in vorliegendem Werke von Bedeutung durch die
Bodenkredit-Anstalt, die in den 10 Jahren 1883—1893 564 Darlehen
mit 1746 298 M. verausgabte, ferner durch verschiedene andere Bank-
und Kreditinstitute in den einzelnen Aemtern des Herzogtums. Zahl-
reiche Spar- und Darlehnskassen , Gewerbebanken, Vorschufsvereine,
Pfennigsparkassen werden aufgezählt.
Auch des Versicherungswesens hat man in Oldenburg zur Förderung
der Landwirtschaft sich eifrig bedient. Es werden in der Festschrift
Uebersicbt über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 459
Daher beschrieben : Lebensversicherung, Feuerversicherung, Hagelversiche-
rung , welche letztere mit Erfolg durch die Oldenburgische Hagelver-
sichungs-Gesellschaft ausgeführt wird. Sogar das Viehversicherungswesen
ist sehr stark ausgebildet. Es bestanden z. B. im Jahre 1891 139 Kuh-
kassen, 8 Pferdeversicherungen, 11 Schweineversicherungs-Gesellschaften
und 1 Kasse zur Versicherung von Rindvieh und Schafen. Sodann ist aber
im Jahre 1893 auf Einrichtung der Oldenburgischen Landwirtschaft noch
eine allgemeine Viehversioherungs-Gesellschaft für das ganze Herzogtum
begründet worden.
In besonderen Kapiteln werden in der Festschrift noch behandelt
„Die Anwendung landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte von 1818 — 93",
„Die Hufbeschlagsschule in Oldenburg", „Das Veterinärwesen im Herzog-
tum Oldenburg", „Die öffentlichen Verkehrswege", „Betrachtung über die
bisherige und fernere Entwickelung der heimischen Schiffahrt".
Das Werk ist durch verschiedene Abbildungen und durch einen An-
hang mit graphischen Darstellungen über die Entwickelung der Landwirt-
schafts-Geseilschaft und durch kartographische Uebersichten über ver-
schiedene landwirtschaftliche Verhältnisse vorzüglich ausgestattet. Es
leidet an dem Fehler aller Sammelwerke, dafs die einzelnen Teile nicht
gleichmäfsig bearbeitet sind. Es bildet jedoch ein, mit grofsem Fleifs und
Sachkenntnis zusammengestelltes wertvolles Nachschlagebuch für landwirt-
schaftliche und volkswirtschaftliche Spezialstudien und stellt zugleich ein
Stück Kulturgeschichte im Nordwesten Deutschlands während der letzten
75 Jahre in ausführlicher Weise dar.
Göttingen. Prof. Dr. Backhaus.
Agrarkonferenz, die, vom 28. Mai bis 2. Juni 1894. Bericht über die Ver-
handlungen der von Sr. Exzellenz dem kgl. preufsischen Minister für Landwirtschaft,
Domänen und Forsten zur Erörterung agrarpolitischer Mafsnahmen einberufenen Konferenz.
Berlin. Parey, 1894. Lex.-8. XVIII— 368 SS. M. 8.—. (A. u. d. T. : Landwirtschaft-
liche Jahrbücher. Hrsg. von (GORegR ) H. Thiel, Band XXIII [II. Ergänzungsband].)
Christiani, J. G., Ueber die Waldarbeiterverhältnisse auf dem badischen Schwarz-
wald in Vergangenheit und Gegenwart. Karlsruhe, Gutsch, 1894. gr. 8. III — 127 SS.
mit 1 graph. Tafel. M. 2.— .
Dahlen, H. W. (Generalsekret, des Deutschen Weinbauvereins), Bericht über die
Verhandlungen bei Gelegenheit der Generalversammlung des Deutschen Weinbauvereins
in Neuenahr am 14. und 15. Sept. 1893. Mainz, Druck von v. Zabern, 1894. 8. 111 SS.
Frank el, H., Der Kampf gegen die Margarine. Mit besonderer Berücksichtigung
der Anträge des „Bundes der Landwirte". Weimar, R. Wagner Sohn, 1894. 8. 47 SS.
Fürst, H. (OForstR.) , Chronik der kgl. bayerischen Forstlehranstalt Aschaffen-
burg für die Jahre 1844 — 1894. Zu Ehren ihres 50-jähr. Bestehens herausgegeben.
Aschaffenburg, Krebs, 1894. gr. 8. VI— 119 SS. geb. M. 3. — .
Hertzog, A., Was der Landwirt wissen soll. Eine kurze Darstellung der theo-
retischen Grundlagen der heutigen Landwirtschaft. Zabern, Fuchs, 1894. 8. VIII — 148 SS.
M. 1,80.
Rotar, M. S., Die Wahrheit über den Wiener Saatenmarkt, offen dargelegt. Wien,
A. Schulze, 1894. gr. 8. 16 SS. M. 0,60.
Wittenberg, H. (Pastor), Woran leidet der Landarbeiterstand in den östlichen
Provinzen und wie ist ihm zu helfen? Preisschrift aus dem Wettbewerb der Zeitschrift:
„Das Land". Berlin, Trowitzsch & Sohn, 1894 gr. 8. 36 SS. M. 0,80.
Z u n s , J., Eine Verminderung der Schattenseiten des Anerbenrechts. Frankfurt a/M.,
Bechhold, 1894. gr. 8. 11 SS. M. 0,50.
Zwicky, C. (Prof.), Wasserversorgung für ein gröfseres, isoliertes Landgut. Zürich,
Speidel, 1894. gr. 8. 36 SS. mit Figuren. M. 0,80.
460 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
de B o i x o , P. (inspecteur des forets), Les forets et le reboisement dans les Pyrendes-
Orientales. Poitiers, impr. Blais, Roy & O , 1894. 8. 48 pag.
Brichemin, L. (secretaire de la Society nationale d'aviculture de France), Elevage
moderne des animaux de bassecour. Poules et poulaillers ; Elevage naturel et artificiel ;
monographie de toutes les races. Paris, Dentu, 1894. 4. VII — 383 pag. av. fig.
Broilliard, C. (ancien prof. ä l'Ecole forestiere), Le traitement des bois en
France ; estimation, partage et usufruit des forets. Nouvelle edition. Nancy et Paris,
Berger-Levrault & O , 1894. 8. XIII— 687 pag. fr. 7,50.
Effere, Les mines du Goldberg au moyen-äge. Paris, imprim. Chaix, 1894. 8.
23 pag. (Extrait du Journal : „le Genie civil".)
Larbaletrier (prof. d'agriculture), Petit dictionnaire d'agriculture, de zootechnie
et de droit rural. Paris, A. Colin & C>e , 1894. in-18 Jesus, relie toile. fr. 2,50.
Voeux de l'assemblee generale de la Socidte des agriculteurs de France (1868 —
1893), recueillis et mis en ordre par M. le comte de Lucay (vice-president) et P. Senart
(secretaire). 2e rirage. Paris, impr. Noizette, 1894. 8. XXVIII— 257 pag.
Zolla, D. (prof. d'economie rurale et de 16gislation ä l'Ecole nationale d'agricul-
ture de Grigoon), Code-manuel du proprietaire agriculteur. Paris, Giard & Briere, 1894.
in-18 Jesus. 312 pag. fr. 3,50. (Petite encyclopedie sociale, economique et financiere,
tome 10.)
Abraham, F., The new era of the goldmining industry in the Witwatersrand.
Translated by H. S. Simonsen. London, E. Wilson, 1894. crown-8 1/. — .
Agriculture. Organisation of Departments of agriculture in foreign countries,
and the nature of the assistance rendered by the State in the interests of agriculture.
Reports from H. Maj's Representatives abroad. London, printed by Eyre & Spottiswoode,
1894. 8. (Parliamentary paper.)
Comes, O, La coltivazione sperimentale dei tabacchi nell' anno 1893. Roma, tip.
nazionale di G. Bertero, 1894. 8. VI — 122 pp. (Pubblicazione del Ministero delle
linanze: direzione generale delle privative.)
Fazio, C., L'agricoltura nella legislazione italiana : saggio storico-giuridico. Portici,
stab. tip. Vesuviano, 1893. 8. 81 pp. 1. 2. — .
Rocca, P., La piccola proprietä; come nasce, come muore : studio sulla piccola
proprietä fondiaria nel Monferrato. Milano, 1894. 16. 15 pp. 1. 0,10. (Estr. dalla
„Critica sociale", anno IV, N° 6.)
5. Gewerbe and Industrie.
Schulze-Gävernitz, v., Der Grofsbetrieb, ein wirtschaftlicher
und sozialer Fortschritt. Eine Studie auf dem Gebiete der Baumwoll-
industrie. Leipzig 1892. 281 SS.
Das vorliegende Werk stellt sich als das ökonomische Korollar der
sozialpolitischen Anschauungen dar, welche der Verfasser in seinem 1890
erschienenen gröfseren Werke, „Zum sozialen Frieden" betitelt, niederge-
legt hat : die zuerst von Brentano und der historischen Schule mit Nach-
druck vertretene Auffassung von der günstigen Wirkung völlig ent-
wickelter Grofsindustrie auf die Hebung der lohnarbeitenden Klassen soll
hier für ein Hauptgebiet des englischen Grofsgewerbes, die Baumwoll-
industrie, ihren induktiven Beweis finden. Der Verf. nimmt seinen Aus-
gangspunkt von dem Zwiespalte , der in der Frage nach dem volks-
wirtschaftlichen Nutzen hoher Löhne die ganze ältere ökonomische
Litteratur Englands durchzieht; das richtige Urteil könne hier nur dann
gewonnen werden, wenn man die widersprechenden, theoretischen An-
sichten als die natürlichen Glieder einer Entwickelung auffasse, die
parallel läuft mit der zu Grunde liegenden Entwickelung der Produktions-
verhältnisse. Denn nur als der Ausdruck historischer Wirtschaftsformen
sind die jeweils herrschenden ökonomischen Theorien richtig zu ver-
stehen. Darum bedeutet Ricardo's Lohntheorie einen wissenschaftlichen
XJebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 461
Rückschritt gegenüber der Ansicht Tucker's von dem Nutzen hoher Löhne :
praktisch aber war erstere der natürliche AusÜufs der jugendlichen in-
dustriellen Entwickelung Englands zu Beginn des 19. Jahrhunderts.
Für diese ist, wie Verf. ausführt, das eherne Lohngesetz begründet,
aber auch nur für diese : die Fortbildung und Vollendung grofsindustrieller
Produktion bringt als Gegenbild notwendig die Hebung der lohnarbeiten-
den Klassen hervor.
Die englische Baumwollindustrie als die Grundlage und der Typus
moderneu Grofsgewerbes verdankt ihre Entstehung dem Zusammentreffen
mehrerer Faktoren : der hohen Blüte des englischen Handels, dem grofaen
Ausmafse persönlicher Freiheit und Sicherheit des Eigentums, als den
Ergebnissen der nationalen historischen Entwickelung, endlich der That-
sache, dafs die Baumwollindustrie als neues Gewerbe von Anfang an frei-
geblieben ist von den Hemmnissen zunftmäfsiger Gewerbepolizei. Die
weitere Entwickelung erfolgt nun unter dem Drucke internationaler Kon-
kurrenz. Der Prozefs, der sich dadurch vollzieht, trägt zweifachen
Charakter: er bewirkt einerseits eine steigende Produktivität der Arbeit,
hervorgerufen durch unaufhörliche technische Verbesserung, und die Folge
davon, Sinken der Arbeitskosten und Verbilligung des Produktes, gleich-
zeitig aber auf der anderen Seite ein Steigen des absoluten Arbeitsver-
dienstes bei fortgesetztem Fallen des Stücklohnes und Verminderung der
Arbeitszeit. Die Konkurrenz selbst mit den niedrigsten Löhnen des Fest-
landes wird hierdurch möglich, so dafs die technische Verbesserung zu-
gleich mit ungeheuerer Steigerung der Produktion in demselben Mafse
Erweiterung des Absatzgebietes bewirkt. Im Zusammenhange damit steht
das dauernde Sinken der Anschaffungspreise des Rohmaterials, gefördert
durch die steigende Technik und Arbeitsteilung des Handels.
Welcher Art ist nun der Einflufs dieses wirtschaftlichen Prozesses
auf Lohn und Lebenshaltung der englischen Baumwollarbeiter gewesen?
ist die pessimistische Auffassung von der notwendigen Zorreibung der
Mittelstände, der Proletarisierung grofser Schichten der Bevölkerung zu
gunsten weniger Kapitalbesitzer und die daran geknüpfte weitere Theorie
im Einklang mit den Thatsachen? Der Verf. will auch hier den Wider-
spruch der Meinungen evolutionistisch lösen. Jener ersten Periode der
Industrie, die sich durch hohe Produktionskosten, geringe Technik und
Monopolstellung charakterisiert, entspricht das eherne Lohngesetz und
entspringt die intransigente Arbeiterpartei, wie sie die Chartistenbewegung
darstellt; letztere aber als erste soziale Wirkung wachsender Grofsin-
dustrie löst die soziale Beformbewegung aus, die ihrerseits durch Arbeiter-
schutzgesetzgebung, Verbot der Kinderarbeit, Verminderung der Arbeits-
zeit die technisch-ökonomische Entwickelung vorwärts treibt. Das nächste
Resultat ist ein Steigen des Lohnes und der Lebenshaltung der Arbeiter,
damit aber zugleich der Konsumtion, die nun befruchtend auf die Massen-
erzeugung zurückwirkt. So zeigt die grofsindustrielle , nationale Pro-
duktion und Konsumtion das Bild des geschlossenen Kreislaufes des
Lebens. Die endliche soziale Folge dieser Entwickelung ist Ausgleich
der Vermögensgegensätze, Bildung neuer Mittelklassen. — Auch in der
deutschen Baumwollindustrie, deren Verhältnisse zum Vergleiche dienen,
462 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
sieht der Verf. den gleichen Prozefs sich vollziehen. Allerdings ist die
deutsche Industrie heute noch durchaus rückständig gegenüber dem Stande
der Dinge in Lancashire, da ja selbst noch iu der Spinnerei, vornehmlich
aber in der Weberei die hausindustrielle Arbeit bedeutenden Anteil an
der Produktion hat ; jedoch auch hier werden dieselben Erscheinungen
wie in England sichtbar, die Tendenz zum Ersatz von Arbeit durch
Kapital, zur Zusammenfassung und Arbeitsteilung, die Accumulation des
Kapitals und die dadurch bewirkte Erhöhung der Durchschnittsspindelzahl.
Es erscheint somit der Schlufs zwingender Natur, dafs auch die sozialen
Wirkungen in Deutschland die gleichen sein müssen; eine Steigerung
der Löhne tritt denn auch nach des Verf. Ansicht aus den Ergebnissen
der Reichsenquete deutlich hervor. Andererseits scheint Schulze-Gävernitz
die geringe Bedeutung dieser Lohnsteigeruug nicht zu verkennen, sofern
man dies seinen Ausführungen über die geringe Konsumtionskraft der
deutschen Arbeiter für Textilartikel entnehmen darf.
Nur in wenigen grolsen Zügen konnte der reiche Inhalt der treff-
lichen Monographie angedeutet werden; die anschauliche, durch historische
und wirtschaftliche Einzelausführungen belebte Darstellung eines bedeut-
samen Gebietes englischer Grofsindustrie verdient volle wissenschaftliche
Anerkennung. Die Beantwortung der Frage, ob des Verf. Schlufsfolge-
rungen auch in allen Punkten zu folgen wäre, bedürfte allerdings eines
weiteren Rahmens der Besprechung, als hier geboten scheint; jedenfalls
aber ist der gelungene Nachweis , dafs der technische Fortschritt der
Baumwollindustrie eine dauernde Hebung der arbeitenden Klassen in
England zur Folge gehabt, als ein wertvolles Ergebnis der Forschung
festzuhalten, wenn man auch dabei nicht wird vergessen dürfen, neben
dem Typischen stets das Besondere im Auge zu behalten, die spezifische
Entwickelung der Sozialpolitik und des sozialen Bewufstseins der herrschen-
den Klassen Englands stets als Faktoren von allergröfster Bedeutung an-
zusehen.
Wien. Dr. Josef Redlich.
B ö 1 1 g e r , H., Der Bauschwindel und das Pfandvorrecht der Bauhandwerker, Liefe-
ranten u. s. w. Braunschweig, Limbach, 1894. gr. 8. 48 SS. M. 1. — .
Centralmarkenregister des k. k. Handelsministeriums 1894. Heft 5. Wien,
Hof- und Staatsdruckerei. S. 37—488 mit Abbildungen. M. 3,50.
Fall Seeger, der. Ein Notschrei des rechtlosen Bauhandwerkes. (Von Kassandra.)
Leipzig, R. Werther, 1894. gr. 8. 46 SS. M. 0,60.
Häntzschel, W. (Civil-lng.), Der Patentschwindel. Ein offenes Wort über das
Patentgeschäft im In- und Auslande, Teil I. Leipzig 1894. gr. 8. 40 SS. (Selbst-
verlag.) M. 0,50.
Marabini, E., Bayerische Papiergeschichte. Nach archivalischen Quellen verfafst.
Teil I. Nürnberg, Raw, 1894. 8. (A. u. d. T. : Die Papiermühlen im Gebiet der wei-
land freien Reichsstadt Nürnberg. 147 SS. mit 100 Abbildgn., 6 Tafeln und 1 Karte.)
M. 4,50.
v. Posanner, Benno (Frh.), Technologie der landwirtschaftlichen Gewerbe,
nebst einer kurzen Abhandlung über Mineralöle etc. 4. Aufl. Band I. Wien, Hof- und
Staatsdruckerei, 1894. gr. 8. XI— 390 SS. Mit zahlreichen Textholzschn., 70 Tafeln,
17 Farbendruckbildern und 12 Orig.-Dispositionsplänen. M. 10. (Inhalt: Das Wasser
und die Wärme. — Die Stärkefabrikation. — Die Bierbrauerei.)
Stammer, K., Der Dampf in der Zuckerfabrik. (Zusatzband.) Unter Mitwirkung
von Fachmännern herausgegeben. Magdeburg, A. Rathke, 1894. gr. 8. VIII — 303 SS.
mit 152 Figuren, geb. M. 10. — .
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 463
C assin, E. (ingenieur des mines), Historique du plncement des ouvriers. Paris,
impr. Cliaix, 1894. 8. 14 pag.
Couhen, C 1. (avocat ä la Cour d'appel de Paris), La propri^te" industrielle,
artistique et litteraire. Tome I. Paris, Larose, 1894. 8. fr. 10. — . (Der II. und Schlufsbd.
erscheint im November.)
Description des machines et proccdüs pour lesquels des brevets d'invention ont
ete pris sous le regime de la loi du 5 juillet 1844. Tome LXXVIII (li*re et 2'^m« par-
ties). Nouvelle s^rie, 2 vols. Paris, imprim. nationale, 1894. in-4. 479 pag. et 94 planches,
526 pag. et 73 planches.
Milhaud, L., Les questions ouvrieres. Les rßformes possibles et pratiques dans
les questions ouvrieres. Paris, Giard & Briere, 1894. in-18 j^sus. 203 pag. fr. 2,50.
Pill et, J. (ingenieur des arts et manufactures) , Causeries sur le dessin industriel.
Annde 1894. Guise, imprim. Bare, 1894. 8. 476 pag. av. planches et vignettes.
Sagnier, U. (ingenieur des arts et manufactures), Du gazogene et de Ses appli-
cations. Lille, imprim. Danel, 1894 8. 46 pag. av. figures. (Publication de la „Societe
industrielle du nord de la France".)
Hörne, H. P., The binding of books : an essay on tbe bistory of gold-tooled
bindings. New York, Scribner's Sons, 1894. 8. XIII — 224 pp., illustrated. $ 2,50.
Hooper, W. H. and W. C. Phillips, A manual of marks on pottery and
porcelain. A dictionary of easy reference. New edition, with corrections and additions.
London, Macmillan & C°, 1894. 16. 228 pp. 4/.6.
Tuit, J. E., The Tower bridge : its history and construction from the date of the
earliest project to the present time. London, „Engineer" Office, 1894. 4. 100 pp. 5/. — .
Unwin, W. C, On the development and transmission of power from central stations.
Being the Howard lectures, 1893. London, Longmans, 1894. 8. 10/. — .
Zoppetti, V. (prof.), Manuale di siderurgia (fabbricazione della ghisa, del ferro
e dell* acciaio), pubblicato e completato per cura dell' ingegn. Eg. Garuffa. Milano, U.
Hoepli, 1894. 16. IV— 368 pp. c. fig.
6. Handel und Verkehr.
Schanz, Georg, Die Kettenschleppschiffahrt auf dem Main. 8°.
101 SS. Bamberg, 1893, C. C. Buchner.
Derselbe, Der Donau-Main-Kanal und seine Schicksale. 8°. 190 SS.
(mit einer Karte). Bamberg, 1894, C. C. Buchner.
Schanz hat sich durch diese beiden „Studien über die bayerischen
Wasseratrafsen" ein wirkliches Verdienst erworben. Beide zeichnen sich
durch eine ruhige und nur von sachlichen Erwägungen geleitete Beur-
teilung der in Betracht kommenden Fragen aus und bieten überdies eine
Fülle geschichtlichen und statistischen Materials, das mit kritischer Sorg-
falt ausgewählt ist.
Der Schwerpunkt der erstgenannten Schrift liegt in der Besprechung
der wirtschaftlichen Bedeutung und den Aussichten der geplanten und als
Staatsunternehmung gedachten Kettenschleppschiffahrt von Aschaffenburg
bis Kitzingen. Der Verf. hält eine Rentabilität dieser Unternehmung für
möglich, wenn der Staat ihr einen beträchtlichen Teil der Dienstkohlen
überläfst; im übrigen kann das gröfsere Projekt der Mainkanalisierung
nach seiner Anschauung der Einführung der Kettenschleppschiffahrt nicht
entgegenstehen. Der Ausdehnung der Kettenschleppschiffahrt von Kitzingen
bis Bamberg steht er dagegen skeptisch gegenüber.
Die zweite Schrift schildert Vorgeschichte und Entstehung des jetzigen
Donau-Main-Kanals und legt weiterhin dessen Unzulänglichkeit dar. Als tem-
poräre Mafsregel zur Hebung des Kanalverkehrs empfiehlt der Verf. eine
Ermäfsigung der Kanalgebühren. Ueber das grofse Projekt eines voll-
464 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
ständigen Umbaus des Kanals stellt Schanz eine besondere Studie in Aus-
sicht, von der man wohl eine sorgfältige Behandlung des Gegenstandes
erwarten darf.
Aachen. R. van der Borght.
Eisenbahnschematismus für Oesterreich-Ungarn. Jahrgang XX pro 1894/95
Wien, Manz, 1894. gr. 8. XII— 522 SS. geb. M. 6.
Handbuch für die deutsche Handelsmarine auf das Jabr 1894. Herausgegeben
im Reicbsamt des Innern. Berlin, G. Reimer, 1894. gr. 8. VI, 128; 164 u. 175 SS.
M. 7.—.
Handelskammer des Kreises Eupen. Jahresbericht für 1893. Eupen , Druck
von C. J. Mayer, 1894. Folio. 24 SS.
Handelskammer Metz. Jahresbericht über ihre Thätigkeit vom 1. April 1893
bis 31. März 1894. Metz, Buchdruckerei P. Even, 1894. gr. 8. 71 u. 71 SS. nebst
6 statistischen Tabellen in quer-folio. (Mit französischer Uebersetzung.)
Handelskammer zu Mülhausen im Elsafs. Jahresbericht für 1893. 2 Teile.
Mülhausen, Druck von Wwe Bader & Cie , 1894. 4. (Teil I: Ansichten, Gutachten,
Wünsche, Mitteilungen 63 SS.; Teil II: Statistik XCVI SS.)
Jahresbericht der Handelskammer für die Kreise Arnsberg, Meschede und Brilon
für das Jahr 1893. Arnsberg, Druck von F. W. Becker, 1894. Folio. 14 SS. (einschl.
Verzeichnis der eingetragenen Handelsfirmen).
Jahresbericht der Handels- und Gewerbekammer zu Chemnitz 1893. Teil I.
Chemnitz, Ed. Focke, 1894. Roy.-8. XXXIX— 189 SS. (Inhalt. Ansichten, Gutachten
und Wünsche: 1. Einrichtungen für Handel und Industrie (mit Ausschlufs der Verkehrs-
anstalten). 2. Verkehrseinrichtungen (Eisenbahn-, Post- und Telegraphenwesen. Schiffahrt.
Bericht über die Sitzungen des sächsischen Eisenbahnrates , Sitzung vom 2. II und vom
6. VI. 1893). — 3. Oeffentliche Lasten und Abgaben: Zoll- und Steuerwesen. Handels-
verträge. — )
Jahresberi cht des Vorsteheramtes der Kaufmannschaft zu Danzig über seine
Thätigkeit im Mai 1893/94 und über Danzigs Handel, Gewerbe und Schiffahrt im Jahre
1893. Danzig, Druck von E. Groening, 1894. Folio. 131 SS.
Bericht der Handels- und Gewerbekammer zu Dresden 1893. Dresden, Druck
von C. Heinrich, 1894. gr. 8. X— 231 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für den Stadtkreis Duisburg über das Jahr
1893. Duisburg, gedruckt bei F. H. Nieten, 1894. gr. 8. 89 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für die Stadt und den Kreis Görlitz auf das
Jahr 1893. Görlitz, Druck von Hoffmann & Reiber, 1894. 8 101 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Göttingen für das Jahr 1893. Göttingen,
Druck der Dieterich'schen Univ. -Buchdruckerei, 1894. 8. V — 108 SS. mit 3 tabellarischen
Beilagen.
Jahresbericht der Handelskammer zu Hannover für das Jahr 1893. Hannover,
Druck von W. Riemschneider, 1894. gr. 8. VIII— 236 SS. (Mit Getreidepreistabelle
für 1893 und Tabelle über die Marktpreise verschiedener landwirtschaftlicher Gegenstände
zu Hannover, Hameln und Celle.)
Jahresbericht der Handelskammer des Kreises Iserlohn für das Jahr 1893.
Iserlohn, Druck von A. Heine, 1894. 8. 24 u. 24 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für die Kreise Karlsruhe und Baden für
1893. Karlsruhe, Braun'sche Hofbuchdruckerei, 1894. 8. VIH— 234 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Kiel für 1893. Jahrg. XXII. 3 Teile.
Kiel, Druck des Verlags der Nord-Ostsee-Zeitung, 1894. gr. 8. XXII— 147 u. 106 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Krefeld für 1893. Nebst einem Anhang.
(S. 105 — 22) : Die Zollsätze auswärtiger Staaten für die Erzeugnisse der Krefelder In-
dustrie. Krefeld, Druck von Kramer & Baum, 1894. Folio. VIII— 122 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Lauban für das Jahr 1893. Lauban,
Druck von C. Goldammer, 1894. Folio. 25 SS.
Jahresbericht der bergischen Handelskammer zu Lennep. Umfassend die Kreise
Gummersbach, Lennep, Remscheid, Wipperfürth und die Bürgermeistereien Kronenberg,
Velbert, Wülfrath. 1893. Remscheid, Druck von H. Krumm, 1894. 8. VI — 55 SS.
Jahresbericht der Handelskammer in Limburg a. d. Lahn für 1893. Limburg,
Schlinck'sche Buchdruckerei, 1894. gr. 8. 57 SS. mit statistischer Tabelle in qu.-folio.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 465
Jahresbericht der Handelskammer zu Lüneburg vom Jahre 1893. Lüneburg,
Druck der v. Stern'schen Buchdruckerei, 1894. Folio. 30 SS.
Jahresbericht per Handelskammer zu Minden für das Jahr 1893. Minden i W.,
Druck von Leonardy & C°, 1894. gr. 8. 135 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu M.Gladbach pro 1893. M.Gladbach,
Druck von W. Hütter, 1894. Folio. 51 SS.
Jahresbericht der Handels- und Gewerbekammer zu Plauen auf das Jahr 1893.
Teil I. Plauen, W. Wieprecht, 1894. gr. 8. IV— 280 SS. (S. 98—196 Erzeugnisse
der Textilindustrie.)
Jahresbericht der Handelskammer zu Schweidnitz umfassend die Kreise Reichen-
bach, Schweidnitz, Striegau und Waidenburg für das Jahr 1893. Schweidnitz, Buch-
druckerei von Ad. Schreyer, 1894. Folio. 79 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für den Kreis Solingen pro 1893. Solingen
1894. Folio. 87 SS. (S. 74 u. ff. Nachweisung der handelsgerichtlich eingetragenen
Firmen und Gesellschalten des Kreises Solingen, welche bis zum 1. Mai 1894 einschl.
zur Eintragung gelangt sind.)
Jahresbericht der Handelskammer zu Stolberg (Rheinland) für 1893. Aachen,
Druck von C. H. Georgi, 1894. Folio. 30 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Stralsund für 1893. Stralsund, Druck
der k. Regierungsdruckerei, 1894. 8. 64 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für den Kreis Thorn für das Jahr 1893.
Thorn, Buchdruckerei Thorner Ostdeutsche Zeitung, 1894. gr. 8. 96 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Trier für das Jahr 1893. Trier, Fr.
Lintz'sche Buchdruckerei, 1894. Folio. 54 SS.
Jahresbericht der Handels- und Gewerbekammer für Unterfranken und Aschaffen-
burg 1892/93. Würzburg, Druck der Kohl, und Hecker'schen Buchdruckerei, 1894.
gr. 8. V11I— 304 SS. (S. 104—267; Berichte über die wirtschaftliche Lage: Gutachten,
Ansichten und Wünsche aus Interessentenkreisen.)
Jahresbericht der Handelskammer zu Wesel mit den Wahlbezirken Wesel,
Emmerich und Bocholt für das Jahr 1893. Jahrg. LVI. Wesel, Buchdruckerei von
Fincke & Mallinckrodt, 1894. 8. 94 SS. Mit graphischer Darstellung in gröfst quer-
folio: Preise für ,,good average Santos Caffee" in Hamburg am Sonnabend einer jeden
Woche in den Jahren 1881 — 1892.
Kandt, Mor. , Ueber die Entwickelung der australischen Eisenbahnpolitik, nebst
einer Einleitung über das Problem der Eisenbahnpolitik in Theorie und Praxis. Berlin,
H. Mamroth, 1894. gr. 8. XXXIV— 263 SS. M. 4,50.
Weissenbach, Placid, Rückkauf oder Expropriation ? Ein Beitrag zur Ver-
staatlichung der schweizerischen Eisenbahnen. Basel, B. Schwabe, 1894. gr. 8. 58 SS.
M. 1.—.
Winter, P., Ueber die Gewinnabsicht als ein wesentliches Merkmal des Begriffes
,, Handelsgeschäft". Breslau, W. Koebner, 1894. 8. 40 SS. (Dissertation.)
Annuaire de la marine de commerce francaise. Guide du commerce d'importation
et d'exportation. 1894 (11« annee). Paris, A. Challamel, 1894. gr. in-8. cartonne"
toile. fr. 16 — .
Francois, G., Le commerce. Paris, L. Chailley, 1894. 8. cart. en toile fr. 4.
(Bibliotheque des sciences sociales et polit. dirigöe par Ch. Benoist et A. Liesse.)
Cr and all, C. L., Railway and other earthwork tables. New York, J. Wiley &
Sons, 1894. 8. cloth. $ 1,50.
Davies, G. C, Cruising in the Netherlands: a handbook to certain of the rivers
and canals of Holland, Friesland, and the North of Belgium. London, Jarrold, 1894.
8. 210 pp. 1./6.
Maclay, E. Stanton, A history of the United States navy from 1775 to 1893;
with technical revision by Roy C. Smith. (2 vols.) Vol. I. New York, Appleton, 1894.
8. XXXH — 575 pp. with illustrations, diagrams of important battles and maps of the
scenes of naval Operations. £ 3,50.
Cereseto, G. C. (avvocato), Le strade vicinali. Torino, Unione tipograf.-editrice,
1894. 8. 150 pp. 1. 2. — . (Contiene: Legislazione delle strade vicinali. — Le strade
agrarie. — Gli elenchi delle strade vicinali. — Condizione giuridica delle strade vicinali.
— La manutenzione delle strade vicinali ; riunione degli utenti ; consorzio permanente. —
Dritte Folge Bd. VDI (LX11I). 3Q
466 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Fondo speciale per la conservazione delle strade vicinali. — Attribuzioni di vigilanza
dei comuni sulle strade vicinali. — Legge sui lavori pubblici delle strade ordinarie. — )
Cresto, G. B., La nostra legislazione sui francobolli, con cenni storici dal 1818
ai nostri giorni. Milano , tip. G. Gussoni, 1894. 16. 197 pp. 1. 2,50. (Contiene :
Fogli carta postale bollata. — Francobolli. — Officina carte valori. — Francobolli ita-
liani ,,Estero". — Francobolli di Stato. — Segnatasse. — Regno lombardo-veneto. — Stato
della chiesa. — Ducato di Modena. — Parma. — Toscana. — Napoli e Sicilia. —
Romagne. — Repubblica di S. Marino. — Monaco. — Sui francobolli nuovi dei cessati
governi italiani. — )
Di Martire, R. (ingegn.) , L'equitä nei contratti d'appalto di lavori pubblici in
relazione con la questione sociale ed economica. Roma, tip. dell' Unione cooperativa
editrice, 1894. 8. 35 pp. (Estr. dal „Bollettino delle finanze, ferrovie e lavori pubblici,
industrie e commercio, anno XXVII: 1894.)
Perron e, Fr. (avvocato), L'idea sociale nel diritto commerciale. Napoli, L. Pierro
edit., 1894. 16. 52 pp.
Tabella indicante i valori delle merci nell' anno 1893 per le statistiche commer-
ciftli, approvata con decreto ministeriale 10 marzo 1894. Roma, tip. nazionale di G.
Bertero, 1894. 8. 74 pp. (Pubblicazione dei Ministero delle finanze: direzione generale
delle gabelle.)
7. Finanzwesen.
Ergänzungssteuergesetz, das, vom 14. Juli 1893, nebst Ausführungsan-
weisung des Finanzministers vom 3. April 1894 und technische Anleitung vom 26. Dezember
1893 für die erstmalige Schätzung des Wertes der Grundstücke behufs Veranlagung der
Ergänzungssteuer. Leipzig, Pfeffer, 1894. gr. 8. 77 SS. M. 1,10.
Gauss, F. G. (Wirkl. Geh. OFinR.), Die Ergänzungssteuer in Preufsen nach dem
Gesetze vom 14. Juli 1893. 2 Teile. Berlin, Heymann, 1894. Roy.-8. IV— 332 u.
315 SS. M. 18.—.
Generalzolltarif aller Staaten und Kolonien, nach dem bis Mai 1894 er-
schienen amtlichen Material zusammengestellt. Berlin, Stankiewicz, 1894. gr. 8. 271 SS.
M. 5. — . (Aus „Exporthandadrefsbuch von Deutschland".)
v. Metterhaüsen, W., Die direkten Landessteuern im Grofsherzogtum Mecklen-
burg-Schwerin seit dem landesgrundgesetzlichen Erbvergleich vom 18. April 1755.
Güstrow, Opitz & C°, 1894. gr. 8. VIII— 119 SS. M. 2.—.
Dominion of Canada. Estimates for fiscal year ending 30th June, 1895. Quebec
1894. Folio.
Hunt er, W. W. (Sir), Bengal MS. records : a selected list of 14136 letters on the
Board of revenue , Calcutta 1782—1807. 4 vols. London, W. H. Allen, 1894. 8.
30/.—.
Alessio, G. (prof.), La funzione dei tesoro nello stato moderno. Padova, fratelli
Drucker edit., 1894. 8. 142 pp. 1. 2,50.
Raccolta delle disposizioni di massima, relative al riordinamento dell' imposta fon-
diaria. Anni 1889 — 1891. Volume II — III. Roma, tip. Elzeviriana , 1889—93. 8.
594 e 383 pp. (Pubblicazione dei Ministero delle finanze: giunta superiore dei catasto.)
van der Feen, R., De bedrijfsbelasting. Practiche verklaring der wet met het
oog op het invullen der biljetten, met voorbeelden opgehelderd. Amsterdam 1894. kl. 8.
fl. 0,25.
Typaldos-Basias, A., ÜEpl tsXcoviocxgüIv SaafJioXoYtav , Orcö A. TunaXSov-
Mrcaaia. 'A^Tjvai?, A. Konstantinides, 1893. 8. (Die Zolltarife.)
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
F ritsch, Th., Zwei Grundübel: Bodenwucher und Börse. Eine gemeinverständ-
liche Darstellung der brennendsten Zeitfragen. Leipzig, Beyer, 1894. gr. 8. 299 SS.
M. 2.—.
Handbuch der süddeutschen Aktiengesellschaften: Bayern, Württemberg und Baden.
Jahrgang XII: 1894/95. Mit Anhang: ,,Die bayerischen Staats- und Kommunalanleihen"
und einem Bankierverzeichnis, bearbeitet von F. Bonschab. München, G. Franz, 1894.
gr. 8. XXIV— 431 SS. M. 6.—.
Jahrbuch der Berliner Börse, 1894 — 1895. XVI. Ausgabe. Eine Nachschlage-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 467
buch für Bankiers und Kapitalisten. Herausgegeben von der Redaktion des „Berliner
Aktionär". Berlin, Mittler & Sohn, 1894. gr. 8. XLVI— 691 SS. geb. M. 10.—.
v. Neumann, V. (Montanindustrieller), Die Versicherungstecbnik in Bruderladen-
gesetz und Musterstatut. Eine versicherungstechnische Studie von einem Nichtversiche-
rungstechniker. Wien, Perles, 1894. gr. 8. III — 50 SS. M. 1,20.
Schenk, C. (RegAss.). Die Invaliditäts- und Altersversicherung der Hausweber und
Hauswirker nach der Bekanntmachung vom 1. März 1894. Für den Bezirk des herzogl.
Landratsamts Altenburg zusammengestellt. Altenburg, Geibel, 1894. gr. 8. 16 SS.
M. 0,20.
Zakrzewski, C. A. , Die Organisation des landwirtschaftlichen Kreditwesens.
Als Korreferat für „Die Grundkreditkommission" des „Bundes der Landwirte" gedruckt
und herausgegeben. Berlin, G. Schuhr, 1894. gr. 8. VII — 52 SS. M. 1. — .
Queant (anc. Doyen Abbe), L'assurance et la religion, une question d'economie
politique. Traduit de l'allemand. Trier, Stephanus, 1894. 8. 23 SS. M. 0,40.
Chadwyck-Healey, C. E. H., A treatise on the law and practice relating to
Joint stock companies under the Acts of 1862 — 1890. 3rd edition. London, Sweet & M.,
1894. Roy.-8. 1200 pp. 40/.—.
George, E. M., The silver and Indian currency questions. Treated in a practical
manner. London, E. Wilson & C°, 1894. crown-8. 1/.3.
Helm, E., The Joint Standard : a piain exposition of monetary principles and of
the monetary controversy. London, Macmillan, 1894. crown-8. 220 pp. 3/6.
Schraut, M., Currency and international banking. London, E. Wilson, 1894.
8. 1/.-.
Albanese, C, Lo stato assicuratore. Palermo, R. Sandron edit., 1893. 8. 35 pp.
Belloli, C. G., Del disegno di legge sulle imprese di assicurazione. Milano, tip.
A. Rancati, 1894. 8. 40 pp.
Strenna dell' assicurazione (a cura di V. Bario.) Roma, tip. dell' Unione coopera-
tiva editrice, 1894. 16°M. 120 pp. c. fig.
A(sser), (H. L.), Uitvoerbaar bimetallisme ? Schets eener internationale munt-
conventie. Amsterdam, J. Claussen, 1894. gr. 8. 23 pp. fl. 0,25.
Ferguson, J. Helenus, Het bimetallisme en de jongste muntverordening van
Britisch-Indie. Eene schets op het gebied der staathuishoudkunde. Amsterdam, L. J. Veen,
1894. gr. 8. 8 en 81 blz.
9. Soziale Frage.
Bericht über die 28. Generalversammlung und die Delegiertenversammlung des
Vaterländischen Frauenvereins am 22. und 23. Mai 1894. Berlin, Buchdruckerei „Die
Post", 1894. 8. IV— 273 SS.
Effner, E., Das platte Land und die Sozialdemokratie. Berlin, Verlag des „Vor-
wärts", 1894. gr. 8 32 SS. M. 0,20.
Mügel, H (Pfarrer in Bischweiler), Religion und Sozialdemokratie. Strafsburg,
Heitz, 1894. kl. 8. 40 SS. M. 0,50.
Natorp, P. (Prof), Pestalozzis Ideen über die Arbeiterbildung und soziale Frage.
Eine Rede. Heilbronn, E. Salzer, 1894. 8. 34 SS. M. 0,40.
von der Passer, A., Eva aus dem Mittelstande. Die Bedeutung der Frau im
gesellschaftlichen Kampfe der Gegenwart. Leipzig, Bacmeisters Verlag, 1894. 8. 60 SS.
M. 0,50.
Charlier, J., La question sociale resolue, prec^dee du testament philosophique
d'un penseur. Paris, Lecene, Oudin & O-, 1894. 8. fr. 3,50.
C h r i s t i a n i s m e , le, et la question sociale. Conferences donnees dans la salle
de la Reformation, ä Geneve, sous les auspices de la Societe chr^tienne suisse d'econo-
mie sociale. Paris, Fischbacher, 1893. 8. fr. 1,50. (Sommaire : Le christianisme et la
reforme soiciale, par Lacheret. — Le protestantisme et la reTorme sociale, par Allier.
— Le socialisme chretien en Allemagne, par Stoecker. — )
Rochetin, E., La caisse nationale de prevoyance ouvriere et l'intervention de
l'Etat. Paris, Guillaumin & Ci« , 1894. in-18. fr. 3,50. (Sommaire: Historique, defi-
nition et avantages du principe mutuel. — Critique du projet de la commission du tra-
30*
468 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
vail. Rapport de M. Guiyesse. — Expose1 d'un projet nouveau sans charges pour le
budget — )
Sa hl er, L., La Cooperation au pays de Montbeliard et ses rapports avec la ques-
tion sociale. Paris, Fischbacher, 1894. gr. in-8. fr. 2. — (Sommaire : Considerations
generales. — Quelques mots sur certaines causes d'inegalite. — Le cooperativisme ou
collectivisme cooperatif. — Examen des doctrines du cooperativisme. — De la production.
- — De la production cooperative. — Des societes cooperatives de consommation. —
Debüts de l'industrie dans le pays de Montbeliard. — Les sociei^s cooperatives aux en-
virons de Montbeliard. — )
Drage, G., (Secretary to the Labour Commission), The unemployed. London,
Macmillan, 1894. 8. 388 pp. 3./6. (Contents: On the agencies dealing with the unem-
ployed, on what has been done to solve the problem, nature and causes of the present
distress, with suggestions and remedies.)
Jeans, J. Stephen, Conciliation and arbitration in labour disputes: An histo-
rical sketch and brief Statement of the present position of the question at home and
abroad. London, Crosby Lockwood & Son, 1894. crown-8. XIV — 194 pp. 2/. 6.
Peters, Madison, C. (Rev), Wrongs to be riglited : fearless speeches on live
questions. New York, L'Artiste Publication C°, 1894. 12. 152 pp. $ 0,25. (Discussions
on social and political questions : Rum and rogue rule in New York. — Police black-
mailing. — The pope and the public schools. — Tenement-house landlordism. — The
Chinese question. — Utah and Statehood. — The dissipations of fashionable life. —
The crimes against our naturalization laws. — etc.)
Socialism or protection : Which is it to be ? a question for the classes and the
masses, by M. H. London, Leadenhall Press, 1894. 8. 80 pp. 1/. —
Towards Utopia : being speculations in social evolution, by a free lance, author
of „the cry of the children", etc. London, Swan Sonnenschein, 1894. crown-8. VI — 249
pp. 3/6.
Tuckwell, Gertrude M., The State and its children. London, Methuen,
1894. crown-8. VI — 164 pp. 2/.6. (Social questions of to-day.)
C u r c i o , F. P. (avvocato), Seguitemi : parole di pace fra le classi sociali. Napoli,
tip. del Tasso, 1893. 8. 96 pp 1. 1. — . (Contiene : Ricchezza e sue fonti. — Pauperismo
e sue cause. ■ — Ricerche storiche sul pauperismo. — Attuale guerra del pauperismo alla
ricchezza. — Analisi sommaria delle questione sociale. — Azione dello stato. — Possibile
conciliazione. — )
Dessi-Magnetti, V., Sulla questione sociale: opinione. Roma, tip. Regniani,
1894. 8. 11 pp.
Siotto Pintor, M., La riforma sociale in Italia: tentativo di critica e di rico-
struzione. Firenze, R. Bemporad & figlio, 1894. 8. 450 pp. 1. 8. —
Kempe, A, Jets over de ongelijkheid in stand en over sociale toestanden. Rotter-
dam, Nijgh & v. Ditmar, 1894. gr. 8. 29 blz. fl. 0,40.
10. Gesetzgebung.
Becker, G. (Rechtsanw), Das Reichsgesetz betreffend die Abzahlungsgeschäfte,
vom 16. Mai 1894, gemeinverständlich dargestellt. Berlin, Thiele, 1894. 8. II — 47 SS.
M. 0,60.
Curti, A., Pfändungspfandrecht und Gruppenpfändung. Studien aus dem Gebiete
des schweizerischen Betreibungsrechtes. Zürich, E. Speidel, 1894. gr. 8. IV — 145 SS.
M. 2.— .
Honemann, W. (Refer.), Das Verhältnis zwischen der Defraudation der Zölle
und Verbrauchssteuern und dem Betrüge nach deutschem Reichsrecht. Halle a/S., 1894.
8. VI— 44 SS. (Dissertation.)
Jan us, P., (Referend), Der Erwerb des Eigentums am Wildergut. Breslau 1894.
8. 76 SS. Dissertation. (S. 13 — 33 : Geschichtliche Entwickelung des Jagdrecbts in
Deutschland.)
v. S c h i 1 g e n (OLGerichtsR.), Das Gesetz betr. die Fischerei der Ufereigentümer
in den Privatflüssen der Provinz Westfalen vom 30. Juni 1894, nebst den übrigen für die
Provinz Westfalen ergangenen, die Fischerei betreffenden Gesetzen und Verordnungen.
Hamm, Griebsch, 1894. 8. IV— 82 SS. M. 1.—.
Schmid, R., Die strafrechtliche Verantwortlichkeit für Prefs vergehen. Zürich,
Schulthefs, 1894. gr. 8. VH— 145 SS. M. 2.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 469
Schwarz, C. (LandesgerR.), Das österreichische Konkursrecht. Bd. I : Materielles
Konkursrecht. Wien, Mauz, 1894. gr. 8. X— 295 SS. M. 7,20.
S t o e p e 1, P. (weiland JustizR , Potsdam), Preufsischer Gesetzkodex. Supplement
1892—1893 mit Register zur 3. Aufl. (Hrsg. von (GerichtsAss.) Brach.) Frankfurt u./O.
Trowitzsch & Sohn, 1894. gr. 8. 674 SS. mit Porträt. M. 7. — .
Besson, E. (sous-chef ä la Direction generale de l'enregistrement, membre de la
Soci^te de legislation comparee), La legislation civile de l'Algerie. Etüde sur la condition
des personnes et sur le regime des biens en Algdrie. Paris, Chevalier-Marescq & Cie ,
1894. 8. fr. 6. — . (Ouvrage couronne par la faculte de droit de Paris, prix Rossi
de 1893).
Bouvier-Bangillon (pro! de droit commercial a la faculte de droit d'Aix,
etc.), La legislation nouvelle sur les societes. Loi du 1er aoüt 1893. Commentaire
theorique et pratique. Paris, Larose, 1894. 8. fr. 5. — .
Cypres, L., Droit romain : De la curie au Bas Empire; droit francais : l'assurance
sur la vie etudiee au point de vue e'conomique (these). Paris, Chevalier-Marescq & Cie ,
1894. 8. 352 pag.
Drucker, G. (avocat ä la Cour d'appel), De la protection de l'enfant contre les
abus de la puissance paternelle, en droit romain et en droit francais (these.) Paris,
Rousseau, 1894. 8. 427 pag.
Gallier, A. (medecin veterinaire), Jurisprudence commerciale. Traite des vices
redhibitoires dans les ventes ou echanges d'animaux domestiques ; commentaire de la loi
du 2 aoüt 1894. 2e edition. Paris, Asselin & Houzeau, 1894. 8. XI— 779 pag.
La cava (Ministre de l'agriculture, de l'industrie et du commerce), La legislation
des accidents du travail en Italie. Projet de loi presente par M. Lacava et modifie par
la commission de la Chambre des deputes. Analyse et traduction par E. Grüner (ingenieur
civil des mines.) Bar-le-Duc, impr. Contant-Laguerre, 1894. 8. 16 pag.
Robinet, E, (avocat), Droit romain: De l'acceptilation ; droit francais: Des
liberalites testamentaires en faveur des personnes morales (these.) Grenoble, Baratier &
Dardelet, 1894. 8. 217 pag.
Rousseau, G. (avocat), Droit romain: Du partage ä Rome ; droit francais: De
l'effet declaratif du partage (these). Saint-Dizier, impr. St.-Aubin & Thevenot, 1894. 8.
293 pag.
H edder wick, T. C. H., The sale of food and drugs : the Acts of 1875 and 1879.
With notes. London, Eyre & Spottiswoode, 1894. 8. 3/. — .
Servants and masters : the law of disputes, rights, and remedies, in piain language,
by a barrister. London, H. Cox, 1894. 8. 36 pp. 1/.— .
T y s e r , C. R., The law relating to losses under a policy of marine insurance.
London, Stevens & S., 1894. crown-8. 10/.6.
11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Acta borussica. Denkmäler der preufsischen Staatsverwaltung im 18. Jahrhundert.
IV. Berlin, Parey, 1894. gr. 8. 143 u. 843 SS. geb. M. 21.—. (A. u. d. T. : Die
Behördenorganisation und die allgemeine Staatsverwaltung Preufsens im 18. Jahrhundert.
Band I: Akten von 1701 bis Ende Juni 1714, bearbeitet von G. Schmoller und O.
Krauske. Mit einer Einleitung über Behördenorganisation, Amtswesen und Beamtentum
von G. Schmoller.)
Backhaus, W. E., Vom rechten Staate. 6 staatsphilosophische Abhandlungen.
Braunschweig, Limbach, 1894. gr. 8. 48 SS. M. 1. — .
Beamtengesetz, das badische, und die Gehaltsordnung, diese in der Fassung
vom 9. Juli 1894 nebst Ergänzungsvorschriften. Karlsruhe, J. Lang, 1894. 12. III— 186
SS. geb. M. 1,20.
Brieg. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten der Stadt
Brieg pro 1. April 1891/92 und teilweise bis Ende 1892. Brieg, O. Falchs Buchdruckerei,
1894. 8. IV— 82 SS.
Folkerts, H, Die Verfassungswidrigkeit des § 36 der revid. Geschäftsordnung
des Deutschen Reichstags vom 10. Febr. 1876, betr. die Oeffentlichkeit der Reichstags-
verhandlungen. München, J. Schweitzer, 1894. gr. 8. 30 SS. M. 0,80.
Halley, A. (Minist. R), Die neue Gemeindeordnung für Elsafs-Lothringen ver-
glichen mit den Bestimmungen der geltenden Gemeindegesetzgebung. Strafsburg, Trübuer,
1894. 8. VII— 228 SS. geb. M. 4.—.
470 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Hannover. Haushaltungspläne der kgl. Haupt- und Residenzstadt Hannover für
das Rechnungsjahr vom I. IV. 1894 bis Ende März 1895. Hannover, Druck von Th.
Schäfer, 1894. 4. 223 SS.
Hof- und Staatshand buch des Königreichs Württemberg. Herausgegeben von dem
Kgl. statistischen Landesamt, 1894. Stuttgart, Druck von W. Kohlhammer, 1894. gr. 8.
XXXII— 891 SS.
Liegnitz. Bericht über Stand und Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten der
Stadt Liegnitz für das Etatsjahr 1893/94. Liegnitz, Druck von Heinze, 1894. gr. 4.
100 SS.
Luckenwalde. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegen-
heiten der Stadt Luckenwalde pro 1892/93. Luckenwalde, Druck von H. Kobisch, 1894.
gr. 4.
Mülheim a. d. Ruhr. Haushaltsplan für das Jahr 1894/95. Mülheim a. d. Ruhr
1894. kl. 4. 134 SS.
L'Al s a c e -L o r r ai n e devaut l'Europe. Essai de politique positive, par Patiens
(ps). Saint-Denis, impr. Bouillant, 1894. in-18 Jesus. XI — 586 pag. fr. 3,50.
Guillaume (le baron, conseiller de la legation de Belgique ä la Haye), Le mariage
en droit international prive" et la confeVence de la Haye. Bruxelles, Muquardt, 1894. 8.
560 pag. fr. 7,50.
Borgeaud, C, The rise of modern democracy in old and New England; tr. by
(Mrs.) Birkbeck Hill. New York, Scribner's Sons, 1891. 12. XVI— 168 pp., cloth.
#1—
Douglas, J, Canadian independence, annexation and British imperial federation.
London, Putnam's Sons, 1894. crown-8. 3/.6.
Lund, J. Keighley, England and the Continental powers : a consideration of some
questions of foreign policy. London, Swan Sonnenschein , 1894. crown-8. IV — 95 pp.
2/.6.
Stevens, C. Ellis, Sources of the Constitution of the United States considered
in relation to colonial and English history. New York, Macmillan & C°, 1894. 12.,
cloth. $ 1,50.
White, A., The English democracy: its promises and perils. London, Swan Son-
nenschein, 1894. 8. 248 pp. 7| 6.
Codice di pubblica sicurezza: raccolta di leggi, regolamenti, circolari, istruzioni
ministeriali, etc. Napoli, tip. E. Pietrocola, 1893. 16 1303 pp. 1 6. — .
Guidotti, G., Un anno di dittatura in Italia. Palermo-Torino, C. Clausen edit.,
1894. 16. 222 pp. 1 2,50.
NeppiModona, L. (avvocato), La pubblica amministrazione considerata nelle
sue linee generali e piü particolarmente in rapporto alla giustizia amministrativa. Firenze,
tip. di Mar. Ricci, 1894. 8. 207 pp. 1. 3. — . (Contiene: La pubblica amministrazione
e la giustizia amministrativa. — Cenni storici sull' ordinamento degli istituti di giustizia
amministrativa nei vari stati. — La giustizia amministrativa in Italia. — Legge organica
sul consiglio di stato, 2 giugno 1889, N° 6166. — )
Raccolta generale sistematica di tutta la legislazione vigente nel regno d'Italia,
ordinata a cura di una societä di funzionari dell' amministrazione centrale dello Stato.
Parte I: Organizzazione dello Stato. Napoli, tip. della casa edit. E. Pietrocola, 1895.
8. X— 573 pp. 1. 6. — . (Contiene: CostituZione, confinazione, capitale del regno. —
Stemma, bandiera, festa nazionale. — II re e la famiglia reale. — Ordini cavallereschi ;
titoli nobiliari. — Precedenze e dignita. — II parlamento. — Diritti civili e politica. —
Atti del governo. — Feste civili. — II potere esecutivo. — Consiglio di Stato. — Corte
dei conti. — Contenzioso amministrativo. — Conflitti di attribuzioni comunali e provin-
ciali. — Stato degli impiegati. — Istituzioni comunali e provinciali. — )
12. Statistik.
Deutsches Reich.
Jahrbuch, statistisches, für das Grofsherzogtum Baden. Jahrg. XXV: 1892.
Karlsruhe, Macklot, 1894. Lex.-8. XVIII— 399 SS. M. 7,50.
Kalender und statistisches Jahrbuch für das Königreich Sachsen, nebst Markt-
verzeichnissen für Sachsen etc. auf das Jahr 1895. Dresden, Heinrich, 1894. gr. 8.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes 47 1
IV — 92 und XI — 272 SS. M. 1. — . (Herausgegeben vom statistischen Bureau des k.
sächsischen Ministeriums des Innern.)
Statistik des Deutschen Reichs. Neue Folge, Band LXXIII. A. u. d. T. : Aus-
wärtiger Haudel des deutschen Zollgebiets im Jahre 1893. Teil 1: Der auswärtige
Handel nach Menge und Wert der Warengattungen und der Verkehr mit den einzelnen
Ländern. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1894. Roy. -4. IV—494SS. M. 6.—
(Herausgegeben vom kais. statistischen Amt.)
Statistik des Herzogtums Sachsen-Meiningen. Band V, Nr. 7 : Jagdstatistik nach
dem Stande vom 1. Februar 1894 Meiningen, Druck der Keyfsnerschen Hof buchdruckerei,
1894. 4. (Beilage zum Meininger Regierungsblatt Nr. 122 vom 3. August 1894.)
Uebersichten, tabellarische, des Hamburgischen Handels im Jahre 1894 zusam-
mengestellt von dem handelsstatistischen Bureau. 4 Teile. Hamburg, Druck von Schröder
& Jeve, 1894 Imp.-4. 78 u. 110 u 134 u. 23 SS. (Inhalt : Seeschiffahrt. — Flußschiffahrt. —
Wareneinfuhr. — Warenausfuhr. — Seeversicherungen. — Auswandererbeförderung über
Hamburg. — Banken, Wechsel- und Geldverkehr.)
Zusammenstellung, übersichtliche, der wichtigsten Angaben der deutschen
Eisenbahnstatistik, nebst erläuternden Bemerkungen und graphischen Darstellungen, bear-
beitet im Reichseisenbahnamt. Band XII: Betriebsjahr 1892/93. Berlin, Mittler & Sohn,
1894. gr. 4. 91 SS. mit 1 färb. Karte. M. 3. — .
Statistique generale des assurances ouvrieres en Allemagne de 1885 ä 1893,
suivi d'un apercu sur l'organisation interieure de l'office imperial des assurances ; par E.
Grüner (ingenieur civil des mines). Bar-le-Duc, impr. Contant-Laguerre, 1894. 8. 55 pag.
(Extrait du Bulletin du comite permanent du congres des accidents du travail, 5e annee,
1894.)
O esterrei eh.
Oesterreichisches statistisches Handbuch für die im Reichsrate vertretenen
Königreiche und Länder. Nebst einem Anhang für die gemeinsamen Angelegenheiten
der österreichisch-ungarischen Monarchie. Herausgegeben von der k. k. statistischen
Centralkommission. Jahrg. XII: 1893. Wien, Gerold & Sohn, 1894. gr. 8. IV— 330 SS.
Frankreich.
Enquetes et documents relatifs ä l'enseignement superieur, L: Rapports des con-
seils generaux des facultes pour l'annee scolaire 1892 — 1893. Paris, impr. nationale,
1894. 8. 223 pag. (PublicatioD du Ministere de l'instruction publique, des beaux-arts
et des eultes.)
Statistique des incendies et des sauvetages pour lesquels le regiment de sapeurs-
pompiers a ete appele pendant l'annee 1893. Paris, impr. nationale, 1894. 8. 36 pag.
et planches en noir et en coul. (Publication de la prefecture de police.)
Statistique penitentiaire pour l'annee 1891. (40e annee ) Expose general de
la Situation des Services et des divers etablissements , präsente ä M. le ministre de
l'interieur par Duflos (directeur de l'administration penitentiaire). Melun , imprim. admi-
nistrative, 1894. 8. CXXXIII— 457 pag.
Statistique du port de Marseille (22e annee, 1893). Marseille, impr. Barlatier &
Barthelet, 1894. gr. in-4. V — 58 pag. et plan. (Publication faite par le service du
port.)
R u fs 1 a n d.
Beiträge zur Statistik des Rigaschen Handels. Jahrgang 1892. Abteilung 2:
Rigas Handelsverkehr auf den Eisenbahnen. Herausgegeben im Auftrage der handels-
statistischen Sektion des Rigaer Börsenkomitees. Riga, Ruetz Buchdruckerei, 1894.
Imp-4. X— 121 SS.
Italien.
Statistica gindiziaria civile e commerciale per l'anno 1892. Roma, tipografia
Bertero, 1894. Roy in-8. CXXIII— 156 pp. 1. 2,50. (Pubblicazione della Direzione
generale della statistica.)
Statistica giudiziaria penale per l'anno 1892. Roma, tipogr. Bertero, 1894.
472 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Roy. in-8. 24 — CCXXIX — 370 pp. 1. 4. — . (Pubblicazione della Direzione generale
della statistica.)
Amerika. (Argentinien.)
Anuario estadfstico de la ciudad de Buenos Aires. Ano III: 1893. Buenos
Aires 1894. Roy. in-8. XXXIII — 338 pp. (Publicaciön de la Direcciön general de
estadistica municipal.)
— (Uruguay.)
Comercio exterior y movimento de navegaciön de la Republica oriental del
Uruguay y varios otros datos correspondientes al ano 1893 comparado con 1892. Monte-
video 1894. gr. in-8. 32 pp. (Publicaciön de la Direcciön de estadistica general.)
— (Jamaica.)
Jamaica. Annual report of the Registrar-General for the year endiug 31st.
March, 1893. Jamaica 1894. Folio.
— (Mexico.)
N o t i c i a s del movimiento maritimo exterior y interior de la Republica Mexi-
cana durante 1892 — 93. Mexico 1894. Folio. (Publicaciön de la Direcciön general de
estadistica.)
13. Verschiedenes.
Hochstädt, Max, Die Sünden unserer Gesellschaft. Berlin, Steinitz, 1894. gr.
8. 154 SS. M. 2.—. (A. u. d. T. : Moderne Sünden. IV.)
Loewenthal, E., Der Anarebismus und das Recht der Schwachen oder die 3
Grundübel unserer Zeit. Berlin, Brieger, 1894. gr. 8. 22 SS.
Tittel, E., Die natürlichen Veränderungen Helgolands und die Quellen über die-
selben. Leipzig, Fock, 1894. gr. 8. IV — 155 SS. M. 2,50.
Bourdeau, L., Histoire de l'alimentation. Paris, F. Alcan, 1894. 8. fr. 5. — .
(Sommaire: Substances alimentäres. — Procedes de conservation. — Histoire de la
cuisine. — Pain. — Boissons. — Service des repas. — )
Gourgeot, F., (interprete prineipal de l'arm^e d'Afrique en retraite), La domi-
nation juive en Algerie. Alger, imprim. Fontana & C»« , 1894. 8. 179 pag. fr. 1,75.
Picaud, A., Conferences d'hygiene, r^digees conformement aux programmes offi-
ciels, classe de philosophie (enseignement classique) classe de premiere (enseignement
moderne), ecoles normales primaires, 6coles primaires supeVieures. Paris, librairie artistique,
H. Falque, 1894. 8. fr. 6.—.
Aspects of modern study: being University Extension addresses by Lord Play-
fair, Canon Browne, Mr. Goschen, Mr. John Morley, Sir James Paget, etc. etc. London,
Macmillan, 1894. crown-8. VIII- 187 pp. 2/.6.
Dubois, F., The anarchist peri). Translated edited, and enlarged with a supple-
mentary chapter by Ralph Derechef. London, Unwin, 1894. 8. 275 pp. 5/. — .
D y m o n d , J , Essays on the principles of morality, and on the rights and obli-
gations of mankind. 9*1* edition Dublin, Eason, 1894. 8. 302 pp. 1/. — .
Sala, G. A., Things I have seen and people I have known 2 vols. London,
Cassell, 1894. crown-8. 580 pp. 21/.—.
War in g, G. E., Modern methods of sewage disposal, for towns, public institutions,
and isolated houses. London, Low, 1894. crown-8. 252 pp. 10./6.
World 's Columbian Exposition. International Congress of charities, correction,
and philanthropy. Hospitals, dispensaries, and nursing : papers and discuSsions in the
International Congrefs of charities, etc., section III, Chicago, June 12 to 17, 1893 ; ed.
by J. S. Billings and H. M. Hurd (M. Drr.). Baltimore, John Hopkins Press, 1894. 8.
XIV — 719 pp. with diagrams, cloth. $ 5. — .
Die periodische Presse des Auslandes. 473
Die periodische Fresse des Auslandes.
A. Frankreich.
Bulletin de l'Office du travail. Ire annee, 1894, N° 6 et 7, Juin et Juillet :
Mouvement social en France: Le chomage professionnel. Mouvement syndical. Les
greves. Conciliation et arbitrage : Le nouveau tarif des bonnetiers de Falaise ; La greve
des cochers de Londres. Institutions de prevoyance. Situation industrielle. Correspon-
dances regionales. Vlieme congres du credit populaire. Les asiles de nuit ä Paris. Chroni-
que legislative, etc. — Mouvement social äl'etranger: Les conditions du travail dans les
travaux publics (Hollande). Le regime des boissons spiritueuses en Suede et Norvege.
Allemagne; Autriche (l'Etat et la petite industrie, etc ) ; Grande-Bretagne (Greve des
mineurs ecossais, etc.); Norvege; Russie ; Suisse ; Etats-Unis. — Loi sur les caisses de
secours et de retraite des ouvriers mineurs. — etc.
Bulletin de statistique et de legislation comparee. XVIIIieme annee, 1894, Juillet:
A. France, colonies, etc. : Loi sur les caisses de secours et de retraites des ouvriers
mineurs. — Loi relative aux contributions directes et aux taxes y assimilees de l'exercice
1895. — La commission de l'impot sur les revenus. — Les bons du Tregor. Les con-
tributions directes et les taxes assimilees. Les revenus de l'Etat. — Le commerce
exterieur pendant le 1er semestre 1894. — Statistique des fabriques, entrepöts, magasins
de vente en gros et magasins de vente en dt'tail soumis aux exercices des agents des
contributions indirectes. — Achats de rentes effectu^s par la Caisse des d^pots et consig-
nations pendant le 1er semestre de 1894. Achats et ventes de rentes effectues pour le
compte des departements. — Les recettes des chemins de fer, ler semestre 1894.) —
Algerie: La vente des poudres a feu. — B. Pays etrangers: Situation des principales
banques d'emission ä la fin du 2e trimestre de 1894. — Allemagne: La dette hypo-
th^caire de Prusse. La Bourse de Berlin (Bourse des produits). — Angleterre : Le tabac.
— Autriche-Hongrie : Les caisses d'epargne. — Belgique : La Caisse generale d'epargne
depuis 1865. — Espagne : Le projet de budget pour l'exercice 1894/95. — Italie :
Les rectifications du budget de 1893/94. — Grece : Les droits de timbre. Les impots
directs. — Norvege: Resultats budgetaires des exercices 1889/90, 1890/91 et 1891/92. —
Etats-Unis: Le caisses d'epargne depuis 1820. Le commerce exterieur depuis 1845. —
Chine: Le commerce exterieur en 1893. —
Journal du droit international prive1 et de la jurisprudence comparee. Annee
XXI (1894) Nos 1/2, 3/4: La Conference de la Haye relative au droit international prive,
par A. Laine (prof. ä la faculte de droit de Paris). — De la retroactivite de la loi
francaise du 26 juin 1889 sur la nationale, par P. Esperson (prof. ä l'Universitö de
Pavie). — L'arbitrage de la mer de Behring, par H. Fromageot (avocat ä la Cour de
Paris). — De la protection des creanciers d'un Etat etranger, par Kebedgy. — De la
condition juridique des Etrangers d'apres les lois et traites en vigueur sur le territoire de
l'Empire d'Allemagne, par J. Keidel (attache au gouvernement d^partemental de la Haute-
Baviere). — Des crimes ou delits commis par des Francais ä l'etranger. Observations
critiques, par A. Le Poittevin (prof. adjoint a la faculte de droit de Paris). De l'influence
que peut exercer sur la validite d'une Substitution un changement de nationale du greve\
par G Diena (avocat a Florence). — Le proces d'espionnage de Leipzig et la loi alle-
mande du 3 juillet 1893 sur la divulgation des secrets militaires, par J Trigant-Geneste
(conseiller de prefecture de Saöne-et-Loire). — Des droits en Roumanie d'un Etat etranger
appele par testament ä recueillir la succession d'un de ses sujets (affaire Zappa) Reponse
a M A. Desjardins, par G. G. Flaischlen (ler president du tribunal de Galatz). —
Arrangement greco-bulgare relatif aux questions de nationalite' pendantes entre les deux
pays, par N Yantcheff (juge au tribunal de premiere instance ä Philippopoli). — etc.
Journal des Economistes. Revue mensuelle. Lille annee (1894) N° 15: Juillet
1894: Les banques aux Etats-Unis, par G. Francois. — Revue des principales publi-
cations economiques de l'etranger, par Maur. Block. — Le developpement d'une colonie
francaise : La Guyane, par D. Bellet. — L'Alge>ie appreciee par un anglais , par D. B.
— Souvenirs de voyage : I. Borneo. II Les Anglais dans l'Inde, par Meyners d'Estrey.
Necrologie : Guillaume Röscher, par Maur. Block. — Bulletin : Loi sur les caisses de
secours et retraites pour les ouvriers mineurs. Circulaire relative a l'application de cette
474 Die periodische Presse des Auslandes.
loi. La defense du commerce ext6rieur dans le Parlement. Programme economique et
social de l'oeuvre des cercles catholiques d'ouvriers. — Societe d'economie politique.
Reunion du 5 juillet 1894: Convient-il de denoncer l'Union monetaire latine le 31 ddceinbre
prochain? — Chronique economique. — etc.
Journal de le Societe de statistique de Paris. XXXVieme annee, 1894, N° 7,
Juillet: Proces-verbal de la seance. du 20 juin 1894. — Impot sur les revenus. Kapport
et decret relatifs ä l'institution d'une commission extraparlementaire. — L'archeologie,
son domaine et son influence sur les progres materiels et moraux du XIX e siecle, par
Aug. Nicaise. — La statistique du travail en Allemage, par A. Liegeard. — Bibliographie :
,,R. dalla Volta, Les formes du salaire." Compte rendu par E. Rochetin — etc.
Re forme sociale. Bulletin de la Societe d'economie sociale. Ille serie, N° 82 et
83: 16 Mai et 1er juin 1894: La vraie Amerique, par Raphael G. Levy (prof.). — De
la succession testamentaire et legitime en Portugal, par F. Lepelletier. — Un nouvel
etat social dans l'Inde et ses consequences au point de vue European, par Barbe (avec
discussion). — ■ Une famille ouvriere d'Orleans, pr^cis de monographie, par R. Gilbert. —
Le mouvement social en Belgique, par (le baron) J. d'Anethan. — Chronique du mouve-
ment social, par A. Fougerousse. — Charit^ et oeuvres sociales , discours de G. Picot
(de l'Institut). — Souvenirs d'un voyage au Congo, par Maur. Barrat. — Enseignement
primaire et instituteurs, par H. Joly. — Une enquete patronale a propos des logements
ouvriers ä Berlin, per E. Dubois (prof. ä l'Universite de Gand). — Comment on fonde
de nouveaux villages francais au Canada ; Montmartre, Notre Dame de Lourdes et Saint-
Claude. — Une nouvelle institution de patronage ä Paris, par L. N. Rozet. — etc.
Revue d'economie politique (Paris). 8e annee, 1894, Nos 7/8: Juillet-Aoüt: Travail
des femmes et des enfants a New York, par (Mme) A. S. Daniel. — Reformes fiscales en
Angleterre, par E. Fournier de Flaix. — L'enseignement technique, par G. Francois. —
L'economie politique et la question sociale, par J. E. Blondel. — Etüde sur la duree de
la garantie d'intörets promise par l'Etat aux compagnies des chemins de fer du Midi et
de l'Orleans. Appendice, par H. St. -Marc. — Chronique legislative. — etc. — etc.
Revue maritime et coloniale. Livraison 393 et 394, Juin et Juillet 1894: Influence
de la puissance maritime sur l'histoire (1660 — 1783") [„Influence of sea power upon
history"], par A. T. Mahan [Captain, United States Navy] traduit par Boisse (suite 1
et 2). — Le port et le quartier maritime de La Seyne, par Vinson. — Statistique des
naufrages et autres accidents de mer , pour l'annee 1892. Rapport au Ministre par
E. Fabre (administrateur de l'etablissement des invalides de la marine. — La guerre du
Paraguay, par Chabaud-Arnault. — Chronique du port de Lorient de 1803 ä 1809, par
Lallemand (suite 1). — Vocabulaire des poudres et explosifs (suite 16). — Chronique.
— Peches maritimes : La grande peche et les secours medicaux aux pecheurs, par Du
Bois de Saint-Sevrin. Le budget des peches en Norvege. Pisciculture, marine en Ecosse,
par E. Canu. Projet de creation d'une ecole professionnelle regionale des peches maritimes,
par P. Gourret. Les pecheries de la Corse. Rapport du departement des pecheries de
Terre-Neuve pour 1893. La peche ä Boulogne-sur-mer, par Sauvage. — Etat et de>e-
loppement des flotilles de peche ä l'6tranger, par E. Canu. Situation de la peche et de
l'ostr&culture pendant les mois d'avril et de mai 1894. — etc.
B. England.
Board of Trade Journal. Vol. XVII, N° 96, July 1894: The Royal Commission
on labour. — Foreign exhibitions. — The French sugar duties. — Licorice-root trade
in Trans-Caucasia. — Proposed establishment of a Department of commerce in the United
States. — Florida as a field for emigration. — New gold mining law of Mexico. — The
foreign trade of China in 1893 — Canadian tarifF changes (continued). — Tariff changes
and customs regulations. — Extracts from diplomatic and consular reports. — General
trade notes. — State of the skilled labour market, etc. — Statistics of trade, emigration,
fisheries, etc. —
Contemporary Review, the. August 1894: Sir William Hareourt's budget, by
(Lord) Farrer. — The witch of Endor and Professor Huxley , by A. Lang. — Wby not
municipal pawnshops , by R. Donald. — The federation of the English-speaking people.
A talk with Sir G. Grey, by J. Milne. — The home or the barrack for the children of
the State, by (Mrs.) Barnett. — The policy of labour, by Clem. Edwards. — etc.
Economic Journal. (Journal of the British Economic Association) edited by
Edgeworth, Vol. IV N° 14, June 1894 : Results of the retail liquor trafic without private
Die periodische Presse des Auslandes. 475
profits, by J. Graham Brooks. — Banking in Canada, by B. E. Walker. — Ricardo in
Parliament, by E. Cannan (part. 1). — The Indian currency question , by F. C. Harri-
son. — etc.
Economic Review, the. Published quarterly for the Oxford University brauch
of the Christian Social Union. Vol. IV, N° 3, July 1894 : The co-partnership of labour,
by H. Vivian and A. Williams. — Tricks with textiles , by one in the trade. — Two
dialogues on socialism, by J M. Ludlow. — Wage-earners in Western Queensland, by
(Archdeacon) G. M. L. Lester. — The Church and her elemeutary schools , by (Rev.)
G. W. Gent. — Co-operative credit, by H. W. Wolff. — Town life in the XVth Cen-
tury, by Alice Law. — Legislation, parliamentary inquiries and official returns, by E.
Cannan. — etc.
Fortnightly Review, the. July and August 1894: Socialism and natural selection,
by K. Pearson. — A lesson from the „Chicago" (by Nauticus). — Notes ou England,
by P. Verlaine. — The King, the Pope, and Crispi, by (the Rev.) H. R. Hawais. — Working-
class Settlements, by Ch. Hancock. — Silver and the tariff at Washington, by (Lord)
Farrer. — Rejoinders, by Moreton Frewen (Prof.), Nicholson, and F. J. Faraday. —
The Boer question, by H. H. Johnston. — A visit to Corea , by A. H. Savage-Landor.
— A week on a labour settlement, by John Law. — Bookbinding, its processes and
ideal, by T. J. Cobden-Sanderson. — Government life insurance, by (Sir) Julius Vogel.
— The gold Standard, by Brooks Adams — etc.
Human itari an. A monthly magazine, edited by Victoria Woodhull Martin. Vol. V,
N° 2, August 1894: The federation of the Anglo-Saxon race, by (Sir) G. Grey. — Basis
of physical life, by the editor. — International arbitration and peace, by (Sir) J. Lub-
bock. — The new Hedonism, by (the Rev. Prof.) Bonney. — The position of Japanese
women, by Douglas Sladen. — Some fruits of vivisection , by (Surgeon-General) Ch. A.
Gordon. — etc.
New Review, the. August 1894: The evicted tenants, by T. W. Russell. — The
grievances of railway passengers, by L. A. Atherley Jones. — Secrets from the Court of
Spain, IV. — The chaos of marriage and divorce laws , by J. Henniker Heaton. — A
woman's doss house, by T. Sparrow. — The race to the polar region, by H. Ward. —
The possibilities of the metropolitan parks, by (the Earl) of Meath. — etc.
Nineteenth Century. A monthly review edited by J Knowles. N° 209 July 1894:
Carnot, by A. Ch. Swinburne. — The failure of the Labour Commission, by (Mrs.) Sidney
Webb — The partition of Africa, by A. Silva White. — Delusions about tropical culti-
vation, by (Sir) W. Des Voeux — Religion in primary schools, by J. G. Fitch. —
Competitive examinations in China, by T L. Bullock. — Proposed overthrow of the
Church in Wales, by Lewis T. Dibdin (Chancellor of the dioceses of Durham, Exeter,
and Rochester). — College discipline, by L. A. Selby-Bigge (ex-Proctor). — A land of
incredible barbarity [Morocco], by (the Earl of) Meath. — The centenary of E. Gibbon,
by Fr. Harrison. — etc.
C. Oesterreich-Ungarn.
Deutsche Worte. Monatshefte herausgegeben von Engelbert Pernerstorfer. Jahr-
gang XIV, 1894, 7. u. 8. Heft, Juli und August: Das soziale Elend und „die Gesell-
schaft" in Oesterreich, von T. W. Teisen (IV. [Schlufs]). — Genossenschaftliche Selbst-
hilfe. Vortrag, gehalten am Verbandstag der ostschweizerischen landwirtschaftlichen Ge-
nossenschaft zu Brugg, den 20. Mai 1894, von (Prof.) J. Platter (Zürich). — Ein Hand-
buch der Kriminalanthropologie („Naturgeschichte des Verbrechers" von Kurella), von
(Prof.) F. Tönnies (Kiel). — Agrarisches, von Max May (Heidelberg). — Ein ponophysio-
kratisches System der Volkswirtschaftslehre (mit besonderer Bezugnahme auf „Arbeit und
Boden, Grundlinien einer Ponophysiokratie, von O. Effertz"), von L. Pohle (Leipzig). —
Die Frauenfrage im Lichte der ethischen Entwickelung, von Irma v. Troll-Borostyani
(Salzburg). — Von der Zukunft der Philosophie. Mit apologetisch-kritischer Berücksich-
tigung der Inaugurationsrede von Ad. Exner : „Ueber politische Bildung", von Fr. Bren-
tano. — etc.
O e s ter r e i c h - Ungarische Revue. Herausgegeben und redigiert von A. Mayer-
Wyde Jahrgang IX (1894) Band 16, Heft 3 : Der Dakoromanismus, von (Prof.) J. H.
Schwieker. — Geburt und Taufe, Tod und Begräbnis in Oberösterreich, von Fr. P. Piger.
— Geistiges Leben in Oesterreich und Ungarn: Referate über: ,, Frachtporto , von J.
Wilhelm" ; „Rechtsurkunden der österreichischen Eisenbahnen , von R. Schuster (Edler)
476 Die periodische Presse des Auslandes.
v. Bonnott und A. Weeber" ; „Zur Nebenbahnfrage in Oesterreich, von S. Sonnenschein".
— etc.
Statistische Monatsschrift. Herausgegeben von der k. k. statistischen Central-
kommission. Jahrgang XX, 1894, Heft 7. Juli: Kritische Bemerkungen über Statistik
der landwirtschaftlichen Bodenbenutzung und der Ernten , von J. (Ritter) Lorenz v.
Liburnau. — Anbauflächen der Zuckerrüben nach dem Stande vom 1. Juni 1894. Zusam-
mengestellt im k. k. Ackerbauministerium. (Mit 1 Karte.) — Zur Frage der Perioden-
bildung in der Verwaltungsstatistik, von J. — Der Verkehr auf der oberen Donau im
Jahre 1893, von Pizzala. — Der Schiffs- und Warenverkehr auf der Elbe im Jahre
1893, von Pizzala. — Arbeitsstatistik in den Niederlanden. — Aus den Sitzungen der
k. k. statistischen Centralkommission. — etc.
D. Rufsland.
Bulletin russe de statistique financiere et de legislation. Ire annee, N° 4, Juin
1894 : Projet de Convention commerciale entre la Russie et l'Autriche-Hongrie. — Com-
merce de la Russie avec l'Autriche-Hongrie. — Principales exportations et importations de
la Russie en 1893 et pendant la periode quinquennale 1888 ä 1892 — Cours de fonds
russes or et credit 1887 ä 1894. — Dette fonciere. Progression de l'endettement du sol
de 1889 ä 1893 et ä 1894. — Obligations foncieres en circulation au ler janvier 1894.
— Bilans comparatifs (1873 — 1893) de la Banque centrale de credit foncier de Russie. —
L'impöt foncier (propri^te rurale). — Quantites de vins etraugers consommees en Russie
depuis 1865. — Exportation et importation de l'or et de l'argent pendant les sept annees
1887 — 93, production pendant la periode sexennale 1887 — 1892. — Salaires agricoles
au printemps de 1894. — Recettes et depenses du Tresor pendant les 2 premiers mois
de 1894. — Banques russes d'escompte et de credit mobilier. Capital social, reserves,
prix des actions au 31 mai n. s. 1894. — Production et exportation des pricipales
cereales. — etc.
E. Italien.
Giornale degli Economisti. Rivista mensile. Luglio e Agosto 1894: La espor-
tazione dei principali prodotti agrari dall' Italia nel periodo 1862 — 92, per L. Einaudi. —
L'emigrazione italiana nell' Europa centrale e Orientale, per P. Sitta. — II massimo di
utilita dato dalla libera concorrenza, per V. Pareto. — Nota: II laboratorio di economia
in Torino. — Previdenza, per C. Bottoni. — L'indirizzo teorico nella scienza finanziaria,
per C. A. Conigliani. — II riordinamento delle Börse di commercio , per G. Valenti. —
Nota : Di una confederazione fra i monti di pietä del regno e di un ufficio centrale di
collegamento , per A. Fanelli. — Atti dell' Associazione economica liberale italiana,
adunanca del 29 Maggio — adunanca del 6 Luglio 1894. — La situazione del mercato mone-
tario, per X. — Cronaca, per V. Pareto. — Supplemente- al Agosto 1894: La parteci-
pazione degli operai al profitto. Saggio bibliografico, per L. Cossa. —
Rivista della beneficenza pubblica e di igiene sociale. Anno XXII, 1894, N° 6,
30 Giugno : II nuovo ospedale militare di Roma al Monte Celio, per (Colonnello) L.
Ricciardi. — Una casa di lavoro a Bruxelles , per G. C. Calvi. — L'assicurazione degli
operai contro le malattie nel 1892 in Austria. — Le istituzioni di beneficenza e l'imposta
sulla ricchezza mobile, per E. Stelluti Scala. — La societä di previdenza fra gli ufficiali
del regno esercito e della regio marina, per (avvocato) C. Peano. — Cronaca della bene-
ficenza, della previdenza, della cooperazione e di fatti sociali interessanti i lavoratori. —
Pareri del Consiglio di Stato. — etc.
G. Belgien und Holland.
Revue sociale et politique, publiee par la Societe d'etudes sociales et politiques
(fondateur: A. Couvreur) [Bruxelles]. IVteme annee, 1894, N° 3: Le monopole d'alcool,
par E. Alglave. — Les progres de l'instruction primaire publique en Grande-Bretagne
et en Irlande, par E. L. Stanley. — Informations diverses : Belgique : Congres international
sur la legislation douaniere et la reglementation du travail ; Congres international pour
l'etude des questions relatives au patronnage des condamn^s, des enfants moralemeut
abandonnes, des vagabonds etc. Allemagne : Le congres international des mineurs Etats-
Unis : Le stock de l'or. France : Les projets d'impot sur le revenu ; La session de Paris
de l'Institut de droit international. Grande-Bretagne: Les trades-unions en 1892. Suisse:
Congres international de Zürich pour la protection ouvriere. — etc.
Die periodische Presse des Auslände*. 477
Economist, de, opgericht door J. L. de Bruyn Kops. XLIII. jaargang, 1894,
Juli — Augustus. (Deutsche Uebersetzung der Titelangabe in holländischer Sprache): Das
Verhältnis zwischeu Einkommen und Wohnungsmiete in Amsterdam, von C. T. Knotten-
belt. — Bestimmungen enthaltender Gesetzentwurf zur Verhütung übermäfsiger Arbeits-
leistung in holländischen Brot-, Zwieback- und Kuchenbäckereien und in holländischen
Brotfabrikeu, von H. Pyttersen. — Revision des holländischen Gemeindewesuns, von J.
Sickenga. — Zwei bimetalli.sti.sche Konferenzen: 2. u. 3. Mai 1894 im Mansion Ilouse
zu London und 18. Juni 1894 im Haag (letztere einberufen von der Holländischen Laud-
wirtschaftsgesellschaft), von G. M. Boissevain. — Wirtschaftschronik. — Handelschronik.
— etc.
H. Schweiz.
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Redigiert von 0.
Wullschleger. Jahrg. II, 1894. Nr. 12—16, 15. Juni— August 1894: Zur Monopolisie-
rung der Wasserkräfte in der Schweiz, von O. Wullschleger. — Bastiat redivivus, von
A. Mülberger. — Staatliche Unterstützung der Landwirtschaft im Kanton Zürich. — Die
gegenwärtige Lohnbewegung in der Schweiz (Schlufs). — Die Bodenverschuldung im
Kanton Luzern, von J. Schwendimann. — Die Versicherung gegen die Folgen der Arbeits-
losigkeit im Kanton St. Gallen, von Ferd. Stolz. — Die Arbeitslosenversicherung der
englischen Gewerkvereine, von (Prof.) G. Adler. — Der achtstündige Arbeitstag, von
J. Rahm (Aarburg). — Tirolische Bauernnot, von (Prof.) J. Platter (Artikel 1 u. 2). —
Zur eidgenössischen Verwaltungsreform, von J. Litschi. — Gewerbliches Bildungswesen.
Förderung der Berufslehre beim Meister. Befähigungsnachweis im Handwerk. Gewerbliche
Fachschulen. (Die darüber von der Delegiertenversammlung des schweizerischen Gewerbe-
vereins am 7. u. 8. VII. in Herisau angenommenen Thesen.) — Die Leistungen des
schweizerischen Arbeitersekretariats, von Hans Müller. — Eisenbahnverstaatlichung in
der Schweiz; Bauerntag am 22. Juli in Zürich; Vollzug des schweizerischen Fabrik-
gesetzes. — Der soziale Krieg in den Vereinigten Staaten von Amerika. — Die Berufs-
verhältnisse in der Schweiz. — etc.
L' Union postale. XIXe volume, 1894, N° 8, Berne, ler aoüt: Extraits des rapports
de l'administration des postes suisses sur ia gestion et sur le resultat de ses comptes en
1893. — La caisse d'epargne postale des Pays-Bas en 1892. — La caisse d'epargne
postale de Hongrie en 1892. — etc.
K. Spanien.
El Economist a. Ano 1894. N°s 418 — 427: Conferencia internaciönal bimetalica
de Londres. — La crisis econömica en la isla de Cuba. — La crisis monetaria. — El
banco hipotecario en 1893. — La rivelacion del presupuesto del 1893 — 94. — El problema
de los ferrocarriles. — El optimismo en la Hacienda. — Los presupuestos de 1894/95. —
Los bancos y las bolsas en el primer semestre de 1894 — La riqueza industrial de
Espana. — El reinado del dinero. — Espana comercial. — Situaciön general de los
tratados de comercio en Europa. — Una invencion fiscal. — Situaciön econömica del
Brasil. — El alza de los cambios. — El banco de Hespana en 1891 y 1894. — Re-
forma monetaria en Puerto Rico. —
L. Amerika.
Bulletin of American Geographical Society (published quarterly). Vol. XXVI, N°2,
June 30, 1894 : The Japanese life and customs as contrasted with those of the Western
World. (With the treaty question), by Kinza Riuge M. Hirai. — The sacred Symbols
and numbers of aboriginal America in ancient and modern times, by Francis Perry. —
Washington letter. — Geographical notes, by G. C. Hurlbut. — etc.
Political Science Quarterly. Edited by the University faculty of political science
of Columbia College. Volume IX, June 1894, N° 2: The Pacific Railroad telegraphs,
by L. C. Merriam — Giffen's case against bimetallism, by R. Hazard and Ch. B. Spahr.
— The railway gross receipt tax, by (Prof.) F. J. Goodnow. — Origin of standing com-
mittees, by (Prof.) J. E. Jameson. — British local finance, II., by G. H. Blanden. —
Rccord of political events, by (Prof.) W. A. Dunning. — etc.
478 *-*'e periodische Presse Deutschlands.
Die periodische Fresse Deutschlands.
Arbeiterfreund, der. Zeitschrift für die Arbeiterfrage. Herausgegeben von
(Proff. D".) Viktor Böhmert und R. v. Gneist. Jahrg. XXXII, 1894, 2. Vierteljahrs-
heft: Wilhelm Roschers Stellung zur Volkswirtschaftslehre und Arbeiterfrage, von V.
Böhmert. — Nochmals der Arbeitsnachweis, von K. Möller. — Ferd. Lassalle im Licht,
der heutigen Sozialdemokratie, von Wilhelm Böhmert. — Deutsche Arbeitsstätten in ihrere
Fürsorge für das Wohl der Arbeiter, von Max May. — Der XII. deutsche Kongrefs für
erziehliche Knabenhandarbeit. — Wirtschaftlich-soziale Vierteljahrschronik , April bis
Juni. — etc.
Archiv für Post und Telegraphie. Nr. 13 und 14, Juli 1894: lieber Vielfach-
umschalter und deren Verwendung bei den Fernsprechvermittelungsanstalten (Schlufs). —
Die Einheitsbewegung im Verkehrswesen Australasiens (Schlufs). — Die englischen Post-
sparkassen im Jahr 1892. — Ueber die Induktion in Fernsprechleitungen. — Der Betriebs-
fonds der preufsischen Postverwaltung und der Reichs-, Post- und Telegraphenverwaltung,
1727 — 1893. — Siams Handels- und Verkehrsverhältnisse im Jahr 1892. — etc.
Ch ris tli ch -soziale Blätter. Katholisch-soziales Centralorgan. Jahrgang XXVH :
1894. Heft 11/12 u. 13/14: Die schweizerische Fabrikinspektion 1892 und 1893. —
Die politische Oekonomie, einst und jetzt. — Der 21. Juni 1894 in Budapest, von A.
Tr. — Denkschrift über die Lage der Landwirtschaft und die Organisation des Bauern-
standes für den VI. (Wirtschafts-)Ausschufs der bayerischen Abgeordnetenkammer erstattet
von dem Abgeordneten Jaeger. — Die Wertdefinitionen der volkswirtschaftlichen Lehr-
bücher. — Das neue Sozialprogramm der katholischen Sozialreformer Frankreichs. —
Ein katholisch-soziales Programm (mit Fortsetzung 1 und 2). — Sozialpolitische Rund-
schau V., VI. und VII. —
Deutsche Revue über das gesamte nationale Leben der Gegenwart, herausgegeben
von R. Fleischer. Jahrg. XIX, 1894, Juli und August: Die wunderbarsten Phänomene
des Nichtbewufstseins, von C. Lombroso. — Blicke auf die ärztliche Thätigkeit in der
Vorzeit und in der Gegenwart, von A. Graefe. — Fortleben, von (Prof.) L. Büchner. —
Theater und Gesellschaft, von (Prof.) H. Bulthaupt. — Protektionismus und Isolierung,
von A. Naquet. — Der Berlin-Ostseekanal, von (Vizeadmiral) Batsch. — Ungedruckte
Briefe des Grafen Cavour (I. und IL). — Erinnerungsblätter, von Johanna Kinkel (IV.
und V ). — Fürst Bismarck und die Parlamentarier, von H. v. Poschinger (I. und IL). —
Erinnerungen aus dem Leben von Hans Viktor von Unruh, von H. v. Poschinger (IV.
und V.). — Prinz Bernhard von Sachsen-Weimar : Erinnerungen von einer Reise um die
Welt 1887/88 (IV. und V.). etc.
Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich.
Jahrg. XVHI (1894). Herausgegeben von Gustav Schmoller. Heft 3, erste Abteilung:
Der deutsche Beamtenstaat vom 16. — 18. Jahrhundert. Rede gehalten auf dem deutschen
Historikertag zu Leipzig am 29. März 1894, von G. Schmoller. — Die Lage der deutschen
Seefischerei, von (GORegR.) L. Bartels. (Vortrag gehalten in der Berliner Staatswissen-
schaftlichen Gesellschaft.) — Die Kleinbahnen und die Mittel ihrer Förderung. (Vortrag
gehalten in der Berliner Staatswissenschaftlichen Gesellschaft)", von (GORegR.) Gleim. —
Die geschichtlichen Ursachen der irischen Agrarverfassung , von Moritz Jaffe. — Die
amtliche Arbeiterstatistik des Deutschen Reichs, von H. v. Scheel. — Die Reform unserer
Sozialversicherung, von W. Kulemann. — Oesterreichische und deutsche Arbeiterversiche-
rung, von P. Köhne. — Die preufsische Agrarkonferenz, von M. Sering. — Statistik der
jugendlichen Fabrikarbeiter, von K. Oldenberg. — Die Neuordnung der staatswissen-
schaftlichen Prüfungen in Belgien. —
Journal für Landwirtschaft. Im Auftrage der k. Landwirtschaftsgesellschaft zu
Hannover herausgegeben und redigiert von G. Liebscher. Bd. XLII , Heft 2 , Juli
1894: Ueber den Bau der Samenschale einiger Brassica- und Sinapisarten, von O. Burchard-
(Hamburg.) Mit 4 Tafeln. — Untersuchungen über das Rind der Wahima (Watussi-)
Stämme (Bos Zebu africanus Watussi), von L. Adametz (o. ö. Prof., Krakau). Mit 1 Tafel.
— Kritische Geschichte der Lehre von der Fettbildung, von Selik Soskin. (Von der
k. Landwirtschaftlichen Hochschule zu Berlin gekrönte Preisschrift.) — Ergänzungsheft:
Gedächtnisrede auf G. Drechsler und W. Henneberg, von Liebscher. —
Neue Zeit, die. Revue des geistigen und öffentlichen Lebens. Jahrg. XII, Band 2
Die periodische Presse Deutschlands. 479
(1893 — 94), Nr. 33 bis Nr. 43: Die Lage in Oesterreich und der sozialdemokratische
Parteitag, von Viktor Adler. — Zur Naturgeschichte des politischen Verbrechers von
Fr. Grofse (Leipzig-Reudnitz). — Die Feldarbeiterbewegung in Ungarn. — Lombroso und
sein Verteidiger, von K. Kautsky. — Die Prefszustände in Oesterreich, von J. Ingwer.
— Eine neue Geschichte der Trade Union-Bewegung in England (,,Uowell , Trade
Unionism old and new"), von Ed. Bernstein. — Der Schutz der jugendlichen Arbeiter,
von H. Rohrlack. — Commonweal and industrial armies , von Ph. Kappaport. — Die
Judenausweisungen in Rufsland und die polnische Frage, von Rezawa. — Für zahlen-
rechtes Wahlverfahren, von Peter Braun. — Einiges vom Neuen Unionismus in England,
von E. Aveling. — Zur Frage der Geschlechtscharaktere bei den Menschen, von Ed. Bern-
stein. — Das Spiritusmonopol. — Wie in Rumänien die Bojaren und Klöster die Wälder
erworben haben, von Joan Nadejde. — Mann und Weib, vou H. B. Adams-VValther. —
Die Berliner Dainenmäntelkonfektion, von B. Heymann. — Auf nach Washington ! (Ueber
die Coxey- Bewegung) von G. A. Hoehn. — Briefe aus England. — Die französischen
Sozialisten in der Kammer, von Ch. Bonnier. — Beiträge zur Eutwickelungsgeschichte
der Grofsindustrie in Deutschland. — Die Krisis in der sozialistischen Bewegung Hollands,
von H. Polak. — Zwei Kapitel aus dem dritten Bande des „Kapital" , von Karl Marx.
— Eine Schwergeburt (über den polnischen Demokratismus seit 1863), von Rezawa —
Zur neueren Rodbertus-Litteratur , von F. Mehring. — Die Ergebnisse der Gewerbe-
aufsicht in Bayern, Württemberg und Hessen, von Max Quarck. — etc.
Preufsische Jahrbücher. Herausgegeben von Hans Delbrück. Band LXXVII,
Heft 2, August 1894: Die Akademie zu Münster und ihr katholischer Charakter, von
Cajus. — Ueber die Vereinfachung der Arbeiterversicherung, von R. v. Landmann
(k. bayer. Bevollmächtigter zum Bundesrat). — Der neue österreichische Entwurf einer
Zivilprozeßordnung, von K. Schneider (Landrichter, Kassel). — Das Testament Leo XIII.,
von (Prof.) A. Harnack. — etc.
Vereinsblatt für deutsches Versicherungswesen. Redigiert von J. Neumann.
Jahrg. XXII, 1894, Nr. 7: Die Verhandlungen der bayerischen Abgeordnetenkammer
vom 14. u. 15. III. 1894 bezgl. der darin von dem Abgeordneten Ratzinger angegriffenen
„Aachener und Münchener Feuerversicherungsgesellschaft" — Feuerversicherungsgeschäft
in England in den Jahren 1889 bis 1893. — etc.
Verhandlungen, Mitteilungen und Berichte des Centralverbandes deutscher
Industrieller. Herausgegeben von H. A. Bueck. Nr. 62, August 1894: Ein neues Logier-
haus auf der Krupp'schen Gufsstahlfabrik zu Essen. — Zur Arbeiterbewegung. — Kosten
der letzten grofsen Streiks in Nordamerika. — Der Achtstundentag in England. — Mit-
teilungen über die Ausfuhr deutscher Waren nach Südafrika. — Mitteilungen über die
Einfuhr von Maschinen in Indien. — Ueber einige wirtschaftliche Erscheinungen und Streit-
fragen der Gegenwart. — Die Entwickelung der Augsburger Industrie im 19. Jahrhundert.
— etc.
Verwaltungsarchiv. Zeitschrift für Verwaltungsrecht und Verwaltungsgerichts-
barkeit. Herausgegeben von M. Schultzenstein und A. Keil. Band III, Heft 1/2, August
1894: Die polizeilichen Verfügungen zur Verhütung strafbarer Handlungen (oder Unter-
lassungen) und deren Durchführung nach preufsischem Recht, von (AGerR.) E. Neukamp
(Göttingen). — Gerichte und Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preufsen. III. Artikel,
von (GJustR. Prof.) E. Loening. — Die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die öffentlichen
Rechte, von (Prof.) K. (Frh.) v. Stengel (Würzburg.) — etc.
Zeitschrift des k. preufsischen statistischen Bureaus. Herausgegeben von dessen
Direktor E. Blenck. Jahrg. XXXIV", 1894, 2. Vierteljahrsheft: Die preufsischen Spar-
kassen im Rechnungsjahre 1892 bezw. 1892/93. Im amtlichen Auftrage bearbeitet von
G. Evert (RegR.). — Statistische Korrespondenz. — Besondere Beilage: Wirkliche und
Mittelpreise der wichtigsten Lebensmittel für Menschen und Tiere in den bedeutendsten
Marktorten der preufsischen Monarchie während des Kalenderjahres 1893 bezw. des Ernte-
jahres 1892/93. — etc.
Zeitschrift für Kleinbahnen. Herausgegeben im Ministerium der öffentlichen
Arbeiten. Jahrg. I, 1894, Heft 8: August: Die Plattformbahn, von Klinke (k. Eisen-
bahnbau- und Betriebsinspektor). — Die Brölthaler Eisenbahn, von (RegBauM.) Lauer
(Schlufs). — Zur Spurweitenfrage, von Peters (k. Eisenbahnbau- und Betriebsinspekt.). —
Gesetzgebung. — Kleine Mitteilungen. — etc.
Zeitschrift für Litteratur und Geschichte der Staatswissenschaften. Heraus-
gegeben von Kuno Frankenstein. Band III, 1894, Heft 1 bis 3: Auf dem Wege zur
480 Die periodische Presse Deutschlands.
Gewerbefreiheit in Preufsen, von Kurt v. Rohrscheidt (Fortsetzung; Abschnitt 7—9). —
Lehrsätze über die ökonomischen Kategorien, von Cort van der Linden (Prof., Amster-
dam). — Der soziale Kongrefs zu Prankfurt a/M. am 8. und 9. Oktober 1893, von
Rud. Grätzer. — Zur Biographie des Stifters der Physiokratie , Francois Quesnay, von
(Prof.) Oncken. — Bibliographie des Arbeiterversicherungswesens im Deutschen Reiche,
von K. Frankenstein (III und IV). — etc.
Zeitschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Herausgegeben von Dn- St.
Bauer, C. Grünberg, L. M. Hartmann, E. Szanto. Band II Heft 3, 1894: üeber den Ein-
flufs der Grundherrlichkeit und Friedrichs des Grofsen auf das schlesische Leinengewerbe.
Eine Antwort an meine Kollegen Grünhagen und Sombart in Breslau, von L. Brentano.
— Der dänische Staatsbankerott im Jahre 1813, von M. Rubin. — etc.
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft. Hrsg. von (Proff . D"-)
F. v. Liszt und K. v. Lilienthal. Band XV, Heft 1 : Die Abstimmung in Strafgerichten.
Abstimmung nach Gründen oder dem Gesamtergebnis ? von (RAnw.) H. Heinemann. —
Der Stoofssche Entwurf eines schweizerischen Strafgesetzbuches, von (Prof.) v. Lilienthal
(Marburg). — Die Autorität der reichsgerichtlichen Entscheidungen in Strafsachen, von
(Landrichter) K. Schneider (Kassel). — Dolus eventualis und Gefährdung, von (Prof.)
C. Stoofs (Bern). — Beiträge zur Lehre von der Teilnahme, von (LandGerR.) Haupt
(Leipzig). — Internationale Strafrechtschronik: Oesterreich 1890 — 1893. Redigiert von
(Prof.) Friedmann (Wien). — etc.
Krommannsche buchdruckerei (Hermann Fohle) in Jena.
Kurt von Rohrscheidt, Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang etc. 481
IV.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und
Gewerbefreiheit.
Von
Kurt von Rohrscheidt,
Regierungsassessor.
(Schlufs.)
III. Abschnitt.
Die allgemeinen Innungsverhältnisse nach Einführung
der Gew erbefreihei t.
Wie wir bereits gesehen haben, gewann die Gewerbefreiheit
in der preußischen Monarchie immer mehr gesetzgeberischen Boden
und wurde schließlich, abgesehen von dem Herzogtum Sachsen und
dem Stralsunder Regierungsbezirk, überall herrschend. Teils be-
stand sie neben den Zünften in denjenigen Landesteilen, welche 1810
zum Staate gehört hatten, gemäß dem Edikte vom 7. September 1811,
teils war sie unbeschränkt in den ehemals französischen und west-
fälischen Territorien, wo alle Zünfte aufgehoben waren. Wenn also
ein Lehrling bei einem Unzünftigen auslernte, so erwuchs ihm nur der
Nachteil, daß er im Herzogtum Sachsen und in Neuvorpommern sein
Gewerbe nicht selbständig ausüben durfte, da ihn eine Zunft nicht in
ihre Mitte aufnahm. Ueberhaupt war ein Dutzend Jahre nach Ein-
führung der Gewerbefreiheit in Preußen die Zunft Verfassung in
ganz Deutschland so durchlöchert, daß ein wandernder Ge-
selle, mit dem Zeugnis seiner Ortspolizeibehörde versehen, fast überall
Arbeit fand, ohne daß sich jemand um seine zünftige oder unzünftige
Eigenschaft bekümmerte. Wir können dem Ausspruche Meier' s1)
ohne Bedenken zustimmen , daß es im Wesen jeder Reformgesetz-
gebung liege, in der Anwendung der neuen Prinzipien zu weit zu
gehen. Eine Reform, die Erfolg haben will , wird stets im Eifer des
1) Meier, Die Reform der Verwaltungsorganisation unter Stein und Hardenberg (Berlin
1881), S. 136.
Dritte Folge Bd. VIII (LXIII). 31
482 Kurt von Rohrscheidt,
Vorwärtsstrebens zunächst über das Ziel hinauseilen. Nur mit solchem
impulsiven Vorgehen wird etwas erreicht werden, ja man kann wohl
sagen, daß nicht genug erzielt werden würde, wenn nicht zuerst
zuviel gethan worden sei. Das „Zuviel" geht später am Schleifstein
der praktischen Erfahrung von selbst ab. So steht es auch mit der
Hardenberg'schen Gewerbereform. Von unserem Standpunkte aus
können wir ohne weiteres sagen, daß sie damit einen Fehler beging,
auf die vollständige Auflösung der Innungen hinzuarbeiten und
die Neubildung solcher im allgemeinen zu verbieten. Allein es wäre
kaum möglich gewesen , bei dem Bruche mit dem veralteten Zunft-
zwange einen anderen Standpunkt einzunehmen. Die obligatorischen
Innungen hatten sich als schädliche, den gesamten Staatsorganismus
störende Elemente erwiesen. Als Zwangsverbände mußten sie daher
fallen, und man duldete die bestehenden noch als freie Genossen-
schaften lediglich deshalb, um nicht zu sehr und mit einem Male
wohlerworbene privatrechtliche Verhältnisse zu vernichten. Das Fort-
bestehen und die Weiterbildung freiwilliger Innungen zu begünstigen,
dazu lag keine Veranlassung vor, da kein Grund war, zu hoffen, daß
solche Verbände dem Staat wie den einzelnen Gewerbetreibenden wieder
von Nutzen sein könnten.
In anderen Staaten, die gleichfalls zeitweise unter französischer
Gesetzgebung gestanden hatten, wurde dagegen das alte Zunftwesen
wieder hergestellt. So erließ z.B. die „Königliche Großbrit an -
nisch-Hannöve rsche Pr o vinzialregier un g von Ostfries-
land" zu Aurich am 11. August 1819 eine Bekanntmachung1), durch
welche die von der holländisch-französischen Gesetzgebung im Fürsten-
tum Ostfriesland und dem Harrlingerlande (1809) eingeführte allge-
meine Gewerbefreiheit eingeschränkt und die aufgehobenen Zünfte,
Aemter und Innungen wieder hergestellt wurden. Man bezeichnete
genau die einzelnen Städte und Flecken, in denen die früheren
Zünfte wieder aufleben und neue sich bilden sollten, und gab nur für
gewisse Handwerke, die für die Bauern unentbehrlich waren,
das platte Land frei. Letztere umfaßten die Grobschmiede, Zimmer-
leute, Rademacher, Schneider, Schuster, Weiß- und Grobbrotbäcker,
Böttcher, Maurer, Tischler, Dachdecker, Drechsler und Lichtzieher.
Diese Handwerker mußten auch, falls in dem Amte, wo sie sich an-
setzten, eine Zunft ihres Gewerbes sich befand, ihr Geschäft erlernt
und ein Meisterstück gemacht haben, während sonst es der Ortsobrig-
keit überlassen blieb, sich von ihrer Geschicklichkeit zu überzeugen.
Wer in die Rechte der Zünfte unbefugterweise eingriff, dem sollte
das Handwerkszeug genommen und zum Besten der Zunft-
kasse an den Meistbietenden verkauft werden. Bei Fortsetzung solcher
Eingriffe konnte der Pfuscher aus dem Zunftdistrikt entfernt
werden.
Die Beschränkung der Gewerbe auf die Städte geschah wohl an-
änglich notgedrungen, weil dort die größte Sicherheit zu er-
1) Kamptz, Annalen, III, S. 1029.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 483
hoffen war, bis nach und nach teils auf dem Wege der Veräußerung
teils zum Dank für geleistete Hilfe der Landesherr den Städten die
Rechte des Gewerbebetriebes als ausschließliche verlieh. Diese
Privilegien bildeten sich immer weiter aus und festigten sich in dem
Maße, als die Städte durch ihre steigende Einwohnerzahl^ ihre
wachsenden Geldmittel und durch ihre steuerlichen Leistungen an Be-
deutung au sich wie für den Staat gewannen. Daher kam es, daß
die Landhandwerker zunächst spärlich sich fanden und auch da,
wo sie geduldet wurden, manchen Beschränkungen unterworfen waren.
Sie standen entweder außerhalb der Zunftordnung uud durften keine
Lehrlinge oder Gesellen annehmen, oder, wenn sie für zünftig aner-
kannt wurden, mußten sie sich den Innungen der benachbarten Städte
anschließen und hatten dann Umstände und Kosten, aber keinen Nutzen
vom Verbände. Die städtische Kommune beruhte im Mittelalter so
sehr auf den Gewerken, daß der Verband der letzteren gleich-
bedeutend mit dem der Stadt war und daher jeder Bürger Mit-
glied einer Innung sein mußte. Wenn also Nichthandwerker wie Ge-
lehrte, Künstler, Rentner, das Bürgerrecht ausüben wollten, so traten
sie einem Gewerk als Ehrenmitglieder bei. Der Magistrat hatte
zum Teil Beisitzer aus den Gewerken und fungierte seinerseits wieder
als nächste Aufsichtsbehörde, indem er Vertreter als Gewerks-
patrone in die Versammlungen der Innungen entsandte. Später
wurde wenigstens, wie noch in der Städteordnung von 1808, der Grund-
satz festgehalten, daß niemand berechtigt sein solle, die vorzugs-
weise den Städten beigelegten Gewerbe selbständig in der Stadt-
gemeinde zu betreiben, der darin nicht auch das Bürgerrecht erlangt
hätte. Aus diesen Verhältnissen erklärt sich das Bestreben der Ort-
schaften Stadtrechte zu erlangen , sobald dies die Einwohnerzahl nur
irgend, zu rechtfertigen schien. So entstanden eine Menge kleiner Städte,
denen alle Vorbedingung für eine gedeihliche Ausbildung wirklich
städtischen Lebens vollkommen fehlte, die aber, weil man Bedenken
trug, einmal verliehene Stadtrechte zu entziehen, immer nur ein halbes
Leben fristeten. In solchen behielten die räumlichen Verhält-
nisse über die persönlichen durchaus das Uebergewicht. Es ent-
schied für die Entnahme des Bedarfs im allgemeinen nicht die Quali-
tät der Ware, sondern die Nachbarschaft des Gewerbetreibenden.
Solcher durch die lokalen Verhältnisse bedingte Ausschluß der Kon-
kurrenz war natürlich für die Ausbildung der Handwerke so ungünstig
wie möglich. Wenn man die preußische Statistik vom Jahre 1837
betrachtet, so erstaunt man über die große Anzahl dorfartiger
Städte, denn von 972 Ortschaften, die bei den landständischen Ver-
sammlungen als Städte zugezogen wurden, hatten nicht weniger als
162 nur 1000—1500 Einwohner, 77 nur 600—1000 und 24 unter 600
bis herab auf 252 Einwohner.
Soweit die Gewerbefreiheit die bestehenden Zünfte geschont hatte,
waren dieselben nun nicht etwa von der früheren Verfassung freige-
worden, sodaß die künftige Gestaltung ihrer eignen Verhältnisse ihnen
selbst überlassen wurde. Sie blieben vielmehr an ihre Privilegien und
31*
484 Kurt von Rohrscheidt,
Artikel, wie bisher, vollständig gebunden, und keine Innung (auch
Mittel oder Amt genannt) durfte daran eigenmächtig etwas ändern.
Der Lehrling wurde also gewöhnlich nach Vollendung des vierzehnten
Lebensjahres, nachdem er die Elementarschule absolviert hatte, in den
Zunftverband aufgenommen. Hatte er keinen hinreichenden Unter-
richt erhalten, so mußte während der Lehrzeit das Versäumte nach-
geholt werden. Der Lehrling sollte bei seinem Meister nicht nur das
Handwerk lernen, sondern auch seine Erziehung vollenden. Er
stand daher unter der väterlichen Zucht des Meisters. Das
Uebereinkommen über die Aufnahme des Lehrlings wurde in die Re-
gister des Gewerkes eingetragen, und dieser Akt hieß das Ein-
schreiben. Die Lehrzeit betrug drei bis fünf Jahre, nur selten
dauerte sie bei gewissen Handwerken oder nach den Umständen des
Lehrverhältnisses länger. Der Lehrling war Mitglied der Hausgenos-
senschaft seines Meisters, von dem er neben dem Unterricht auch Woh-
nung und Kost erhielt. Dafür war ein gewisses Lehrgeld zu
entrichten, und wenn dies wegen Armut des Lehrlings nicht ganz oder
nur teilweise gezahlt werden konnte, lohnte der Lehrling durch eine
bestimmte Dienstzeit in späteren Jahren die von dem Meister
getragene Mühe und Ausgabe. Da die Handwerkerfamilien vielfach
kein Gesinde für die persönlichen Bedürfnisse hielten, letztere viel-
mehr von den Mitgliedern des Hauses, namentlich den weiblichen,
selbst erfüllt wurden, so war der Lehrling, der eben innerhalb der
Hausgenossenschaft stand, gehalten, an den häuslichen Verrich-
tungen teilzunehmen und sich dabei auch den Anordnungen der
Meistersfrau zu fügen.
Nach der Lehrzeit trat der Lehrling durch den feierlichen Akt
des Lossprechens oder Ausschreibens in den Stand der
Gesellen über. Zum Ausweis darüber, daß er genügende Kennt-
nisse und Fertigkeiten erlangt hatte, erhielt er vom Gewerbe einen
Lehrbrief ausgefertigt. Die Zunftgewohnheit nahm es für anstän-
dig an, daß der junge Geselle nunmehr noch einige Zeit bei seinem vor-
maligen Lehrherrn arbeite, indem dadurch beide Teile bekundeten,
daß sie wohl mit einander zufrieden gewesen seien und sich nur un-
gern trennten. Hierauf, und zwar spätestens nach einem Jahre,
war der Geselle verpflichtet, auf die Wanderschaft zu gehen,
in der Regel drei Jahre lang. Meistens aber wurde diese Wanderzeit
aus Neigung oder aus Veranlassung der besonderen Lebensverhält-
nisse erheblich verlängert. Während der Wanderjahre sollte der
Geselle die Ortschaften aufsuchen, wo sein Gewerbe von hervorragend
geschickten Meistern ausgeübt wurde, ja hin und wieder waren
die einzelnen Städte, wo der betreffende Handwerkszweig ausnehmend
in Blüte stand, genau vorgeschrieben. Die wandernden Gesellen waren
zum Zwecke ihres Fortkommens wesentlich auf die Unterstützun-
gen ihrer Zunft angewiesen, welche ihnen zunächst nach Handwerks-
gebrauch, dann aber nach ausdrücklicher Vorschrift der Privilegien
gereicht werden mußten. Bei den sogenannten geschenkten Zünf-
ten lag es den Meistern ob, den Gesellen , welchen sie keine Ar-
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 485
beit geben koünteD, ein Nachtlager mit Kost, sowie einen Zehrpfennig
zu verabreichen, während sonst die am Orte in Arbeit stehenden Ge-
sellen das Geschenk zu gewähren hatten. Die einwandernden Gesellen
meldeten sich auf der Herberge, wo auch die Meister ihre Gehilfen
suchten, wo überhaupt alles, was die Gesellen anging, bekannt gemacht
und verhandelt wurde. Lehrbrief und die erhaltenen Kundschaften
wiesen den neuen Gesellen bezüglich seiner Tüchtigkeit und seines
Wohlverhaltens aus. Meister und Gesellen hatten gegenseitig das Recht,
sich nach kurzer Frist die Arbeit zu kündigen , was gewöhnlich am
Ende jeder Woche geschehen konnte. In früheren Zeiten war es
allgemein, daß der Geselle seine Wohnung und Kost beim Meister
hatte; dies Prinzip war in der Zeit, von welcher wir jetzt sprechen,
nämlich in der nach 1811 und vor 1845, schon sehr durchbrochen.
Bei den meisten Gewerken, namentlich in den größeren Städten, wohn-
ten die Gesellen nicht mehr beim Meister und beköstigten sich selbst.
Anders war es im allgemeinen nur da, wo die Betnebsverhaltnisse
des Gewerbes, wie z. B. bei den Bäckern, ein Wohnen des Ge-
sellen beim Meister durchaus nötig machten. Keine Vorschrift bestimmte,
wie lange die Gesellen an einem und demselben Orte in Arbeit stehen
sollten. Daher kam es, daß in den ersten Jahren des stärkeren Wander-
triebes häufiger Wechsel vorkam, während die älteren Gesellen
sich nach Arbeitsstellen umsahen , die ihnen eine längere sichere Be-
schäftigung versprachen. Nach der mittelalterlichen Zunftverfassung
war es oft geradezu verboten, daß der Geselle sich als solcher bereits
verheiratete; wo es geschah, wurde der Betreffende hinter seinen
unverheirateten Genossen zurückgesetzt, ja in gewisser Weise als un-
ehrlich angesehen. Das Landrecht verbot zwar, den Gesellen aus
diesem Grunde das Meisterrecht zu versagen, allein es war gewöhn-
lich, daß Gesellen, welche sich verheirateten, auch freiwillig den An-
spruch aufgaben, zünftige Meister zu werden. Sie arbeiteten entweder
ihr Leben lang als Gesellen , oder traten , wenn sie ein Gewerbe auf
eigene Rechnung unternehmen wollten, ganz aus der Zunft.
Wer auf solche Weise sein Handwerk vorschriftsmäßig erlernt
hatte und unbescholten war, besaß einen rechtlichen Anspruch,
von einer Innung als Meister aufgenommen zu werden, so bald er das
Meisterstück gemacht und die bestimmten Kosten gezahlt hatte.
Oft wurde auch verlangt, daß der Geselle bereits ein Jahr bei Meistern
desjenigen Gewerks gearbeitet hatte, bei welchem er sich nachher als
Meister wollte aufnehmen lassen (aufs Jahr arbeiten, Mutjahr). Die
Vorschriften über das anzufertigende Meisterstück waren in jedem
Privileg enthalten. Das Meisterrecht, welches von einem Gewerke
erteilt war, mußte von allen Gewerken der Zunft beachtet
werden. Besondere Verpflichtungen für den jungen Meister bestanden
nur noch in der Erwerbung des Bürgerrechts, sowie in der Ent-
richtung eines Eintrittsgelds und laufender Beiträge bei
solchen Innungen, welche im Besitze besonderer Anstalten sich befanden.
Jeder in das Gewerk aufgenommene Meister hatte die Befugnis, sein
Gewerbe mit Gesellen und Lehrlingen für eigene Rechnung zu betreiben,
486 Kurt von Rohrscheidt,
den Gewerksversamtnluugen beizuwohnen und an den Beratungen mit
Stimmrecht teilzunehmen. Die Gewerke bildeten besondere Korpo-
rationen, hatten Aelteste und Beisitzer, welche die Aufsicht über die
gemeinsamen Anstalten ausübten , das Vermögen verwalteten und in
gewerblichen Angelegenheiten ein Schiedsrichteramt bekleideten. Viele
Gewerke hatten Einrichtungen zur Pflege kranker Gesellen und Lehr-
linge, zur Unterstützung verarmter oder altersschwach gewordener
Meister, zur Besorgung eines anständigen Begräbnisses verstorbener
Angehöriger des Gewerks, zur Fortsetzung des Gewerbes für Rech-
nung der Meisterwitwen und zur Bevormundung verwaister Kinder.
Manche Gewerke, wie die der Bäcker, Schuster, Fleischer u. s. w.,
besaßen besondere Gebäude zum Feilhalten und Ausstellen ihrer
Waren. Jeder Meister hatte seinen besonderen Stand , und die Zahl
der ersteren war durch die Zahl der letzteren bedingt. Der Inhaber
eines solchen Standes konnte diesen vererben oder verkaufen, nur durfte
ihn kein anderer als ein vom Gewerk aufgenommener Meister wirk-
lich in Gebrauch nehmen. Andererseits mußte jeder, der ein solches
Gewerbe ausüben wollte, nicht nur von der Innung aufgenommen, son-
dern auch in den Besitz eines derartigen Standes, einer Bank, ge-
kommen sein. Diese Bänke wurden mit der Zeit sehr beliebt, weil
ihr Wert mit der Zunahme der Bevölkerung und Wohlhabenheit einer
Stadt ständig stieg. Zur Aufhebung und Ablösung der Bankgerechtig-
keiten, welche an manchen Orten ein Haupthindernis für die Ausbrei-
tung der Idee der Gewerbefreiheit waren, hatte das Gewerbepolizei-
edikt v. 7. Sept. 1811 Versuche gemacht, die allerdings vielfach nicht
in Wirklichkeit traten. Wenngleich schon durch den Reichstags-
Abschied vom 22. Juni 1731 alle Verbindungen unter den ein-
zelnen Innungen, in der Zunft, bei strengen Strafen untersagt waren,
so erhielten sie sich thatsächlich doch bis in das Zeitalter der Gewerbe-
freiheit hinein. Sie beruhten wesentlich auf einer gegenseitigen Aner-
kennung der von den zugehörigen Gewerken angefertigten Lehr-
briefe, Gesellenkundschaften und Zeugnissen über ein
nach Zunftgebrauch erlangtes Meisterrecht. Namentlich die wan-
dernden Gesellen, welche auf Grund ihrer Lehrbriefe und Kund-
schaften an dem Genüsse aller Gewerksvorteile theilnahmen, hatten
die Sicherheit, nicht nur von jedem Meister, der Gehilfen brauchte,
ohne Bedenken aufgenommen zu werden, sondern auch, falls keine
Arbeit für sie vorhanden war, überall die übliche Unterstützung,
nötigenfalls auch Verpflegung in Krankheitsfällen, zu erhalten. Wurde
in einem Gewerke der Handwerksbrauch verletzt, so betrachteten die
andern Gewerke dasselbe nicht mehr als zur Zunft gehörig
und versagten den von ihm ausgestellten Lehrbriefen , Kundschaften
und Meisterrechtsbescheinigungen den Glauben. Trotzdem diese Selbst-
hilfe auch in Preußen streng untersagt war, wurde sie doch fortwäh-
rend unter Formen ausgeübt, welche sich der gesetzlichen Ahndung
entzogen.
In vorstehender Uebersicht sind wir im allgemeinen der Darstel-
lung gefolgt, welche der bekannte Direktor des statistischen Bureaus
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 487
in Berlin, J. G. Hoffmann, welcher als gründlicher Kenner des
Gewerbewesens einen hervorragenden Anteil an der Ausgestaltung der
gewerblichen Reformgesetze , insbesondere des Gewerbepolizeiedikts
vou 1811, gehabt hat, giebt *). Hoffmann steht durchaus auf dem
Standpunkte der Gewerbefreiheit, allein er nimmt doch die Innungen
in ihrer damaligen Gestaltung gegen manchen Tadel in Schutz, der
gegen ihre Verfassung laut geworden war, und meint, daß die meisten
Vorwürfe nicht das Innungswesen selbst, sondern die offenbaren
Mißbräuche oder den Unverstand träfen, der an sich sehr
zweckmäßige Anordnungen im einzelnen unrichtig anwende. Wohlver-
standen , es handelt sich hier nicht mehr um eine Verteidigung der
obligatorischen, sondern der damals noch erhaltenen, in-
mitten der Gewerbefreiheit neben den unzünftigen Gewerbetreibenden
auf ihrer alten Basis stehenden Innungen. Wir lehnen uns auch im
folgenden an die Hofifmann'schen Ausführungen an, da sie am besten
hinüberleiten zu dem Standpunkte der späteren Gesetzgebung wegen
Wiederzulassung fakultativer Innungsverbände, sowie
zu der großen Tagesfrage der Jetztzeit, der erneuten Einführung
des Zunftzwanges.
In erster Linie sagt Hoflfmann, würde die lange Dauer der
Lehrzeit getadelt, und es wäre wohl richtig, daß die Handgriffe,
welche der Lehrling gewöhnlich erlernte, meistens in ebensoviel Wochen
oder Monaten eingeübt werden könnten, als nach der Zunftverfassung
dazu Jahre nötig wären. Hierbei übersehe man aber, daß der Lehr-
ling eben dem Meister nicht nur zur Erlernung des Handwerks, son-
dern auch zur Vollendung der Erziehung übergeben werde.
Die meisten Handwerke forderten zu ihrem Betriebe maunigfaltige
Anwendung der Körperkräfte, welche der Mensch dann am sichersten
erlerne, wenn er aus der Kindheit in das Jünglingsalter übertrete,
wo der Körper noch bildsam genug, aber doch schon zum Ertragen
ungewöhnter Anstrengungen hinreichend erstarkt sei. Selbst Hand-
werker, bei denen es sehr wenig auf Körperkraft anzukommen scheine,
bedürften einer frühen Uebung, um gewisse Stellungen des
Leibes oder gewisse Bewegungen der Gliedmaßen zehn, zwölf und gar
mehr Stunden des Tages mit der Leichtigkeit auszuhalten, womit
ein für die ganze Lebensdauer gewähltes Geschäft betrieben werden
müsse, wenn es den Menschen nicht unglücklich machen solle. Es
wäre aber nicht zweifelhaft, daß Menschen, die eben nur der Kindheit
entwachsen seien, bloß dadurch, daß sie die zum Handwerksbetriebe
erforderlichen Kunstgriffe erlernt hätten, noch keineswegs als zur
Selbständigkeit herangereift gelten könnten. Die Regel, daß der
für die Wissenschaften erzogene Jüngling im allgemeinen erst nach
Vollendung des 18. Lebensjahres reif sei, zur Universität ent-
lassen zu werden, gelte auch für den Uebergang des Lehrlings zum
Gesellenstande, und zwar für diesen um so sicherer, als das unstäte
Wanderleben noch mehr Anlaß zu Verirrungen enthalte als die aka-
1) J. G. Hoffmann, Die Befugnisse zum Gewerbebetriebe (Berlin 1841) S. 86 ff.
jqq Kurt von Rohrscheidt,
demische Freiheit. Die längere Dauer der Lehrzeit sei auch nicht
einmal ein Nachteil, sondern vielmehr eine Wohlthat, welche für die
ersten 3 bis 5 Jahre nach vollendeter Kindheit Unterhalt, Auf-
sicht und nachhaltige Bildung für ein lohnendes Gewerbe
der großen Anzahl derjenigen zusicherten, welche sich sonst in Gesinde-
diensten oder Fabrikarbeiten kümmerlich forthelfen müßten, ohne da-
durch Anspruch auf eine bessere Zukunft erwerben zu können.
Als zweiten Vorwurf mache man den Innungen, daß sie den
Lehrlingen mancherlei häusliche, Wirtschaft lieh e Verrich-
tungen auftrügen. Allein es liege die Sache häufig so, daß ein
Waisenknabe von einem Meister aufgenommen werde, der ihm gegen
Leistung von Gesindediensten völligen Unterhalt gewähre und ihm
nebenbei noch das Handwerk lernen lasse. Ein solcher Knabe könne
sich doch nur glücklich schätzen. In anderen Fällen aber, wo die
Ausbildung im Handwerk der eigentliche Zweck des Lohnverhält-
nisses sei, und der Lehrling nur nebenbei häusliche Dienste zu
verrichten habe, werde letzterer vom Gesetze geschützt. Das Land-
recht bedrohe diejenigen Meister mit Strafe, welche ihre Lehrburschen
mit Verrichtungen für die persönliche Bequemlichkeit der Familie
überbürdeten, und denen es nur darauf ankomme, sich durch Annahme
von Lehrlingen wohlfeile Gesindedienste zu verschaffen. Trete keine
Ueberbürdung ein, so könne man es als einen sehr löblichen
Brauch ansehen, den Lehrling in der Familie wie den eigenen Sohn
zu behandeln. Ein solches Verhältnis sei freilich nicht passend für
Jünglinge aus gebildeten Ständen, die ein Handwerk erlernen
sollten. Diese würden nicht zur Vollendung ihrer Erziehung in die
väterliche Zucht des Meisters gegeben, auch mute man ihnen zu
Hause keine Dienste zu. Allein solche Fälle kämen doch nur ganz
vereinzelt vor. Daran hätte die alte Zunftverfassung gedacht,
wenn sie den Meistern erlaubte, ihre eigenen Söhne von ihrem
Gewerke an einem und demselben Tage als Lehrlinge ein-
und auszuschreiben, d. h. sie zu Gesellen erklären zu lassen, ohne
ihnen vorher die zunftmäßige Lehrzeit aufzuerlegen. Dieser Brauch
habe den Meistern die Möglichkeit gegeben, ihren Söhnen während
der Zeit, die nicht zur Ausbildung im Handwerk verbraucht würde,
noch anderen Unterricht und eine edlere Erziehung angedeihen zu
lassen, als es beim Durchmachen der gewöhnlichen Lehrzeit in der
Werkstätte möglich gewesen wäre. Hoffmann meint, daß der Weg-
fall dieserBegünstigung manche wohlhabende Handwerker
veranlasse, ihre Söhne trotz vorhandener guter Anlagen nicht dem
Gewerbe zu widmen, sondern sie für ein akademisches Studium, für
die Kaufmannschaft oder Landwirtschaft zu bestimmen. Es mag dies
mit als ein Neben gr und für die Entvölkerung des Handwerks durch
mangelnden Nachwuchs aus Handwerkskreisen gelten, aber doch wohl
nur als ein solcher. Meistens werden andere Veranlassungen aus-
schlaggebend gewesen sein. Die Stellung eines Staatsbeamten fing
namentlich unter Hardenberg mehr und mehr an an Bedeutung und An-
sehen zu gewinnen. Sein Beruf umgab ihn mit einem Schimmer der
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 489
Autorität, der auch auf das elterliche Haus zurückstrahlte. Und
weDn die Gehaltsverhältnisse nicht glänzend waren, nun so reichte
der väterliche Erwerb eines arbeitsvollen Lebens, der seit Generationen
aufgesparte Familienfonds vollkommen aus, den jungen Beamten auch
nach dieser Seite zu sichern. Die Landwirtschaft erschien ebenfalls
als ein fruchtbares Versuchsgebiet. Die Güter waren nach den Kriegen
erstaunlich billig geworden, und es war sicher ein verlockender Ge-
danke, die Nachfolger der alten Gutsherrn zu spielen. Endlich ver-
sprach auch die Kaufmannschaft einen lohnenden Gewinn, nachdem
alle hemmenden äußeren und inneren Schranken gefallen waren, und
Handel und Verkehr zu wachsen begannen. Das naturgemäße Be-
streben des Vaters, dem Sohn eine vorteilhaftere und be-
quemere Laufbahn anzuweisen, wurde durch die neue Gesetz-
gebung erleichtert und begünstigt. Da man jederzeit die Möglichkeit
hatte, in den alten Stand zurückzutreten, das Handwerk der Vorfahren
wieder aufzunehmen, schien ein Versuch nicht schädlich, ob nicht doch
ein anderer Lebensberuf, als der des Vaters, mehr Ehre und Vorteil
verspräche. Jedenfalls kam aber durch solche Verhältnisse das Hand-
werk in eine schiefe Lage. Schon früher waren die Gewerke auf
einen bestimmten Kreis der Bürgerschaft angewiesen,
sie bildeten in sich ein abgeschlossenes Ganze, waren fast erbliche
Verbindungen. Der Landmann fand als Leibeigener oder Höriger
des Gutsherrn in ihnen keine Aufnahme, Ritter und Patrizier
schlössen sich als eine höhere Kaste von ihnen ab, die katholische
Geistlichkeit war ehelos, und Kaufleute und Künstler
sonderten sich als Großbürger von den Handwerkern als Kleinbürger
vollständig. Selbst den Zufluß aus ihren eigenen Kreisen beschränkten
die Zünfte noch dadurch, daß sie uneheliche Kinder oder Per-
sonen, die durch irgend welche Umstände, z. B. durch Verkehr mit
unehrlichen Leuten, durch Verletzung von Bräuchen und Vorschriften
einen Makel an sich hatten, nicht in die Innung aufnahmen oder
sie ausstießen. Diese Zustände wurden dadurch noch schwieriger,
daß die Nachkommen wohlhabender Handwerker anfingen, in den
höheren Mittelstand überzugehen und das Handwerk zum Schaden
der Gewerbsamkeit und der Sittlichkeit meist Zufluß von armen
und schlecht erzogen en Lehrlingen erhielt, während die seit
Jahrhunderten im Handwerk gewonnenen Kapitale und Kenntnisse ab-
gezogen wurden.
Weiter tadelte man an den Einrichtuügen des Gesellenstan-
des, daß sie den Handwerker verhinderten, sich so zeitig häuslich
niederzulassen, als es für die allgemeine Wohlfahrt wünschenswert
wäre. Wenn aber ein Lehrling mit vollendetem 14. Lebensjahre Auf-
nahme fand, so wurde er bei 5-jähriger Lehrzeit nach dem 19. Jahre
Geselle. Hielt er dann anstandshalber noch 1 Jahr bei seinem
früheren Meister aus, wanderte 3 Jahre und arbeitete endlich noch
1 Jahr an dem Orte, wo er das Handwerk betreiben wollte, so ver-
gingen 5 Gesellenjahre. Er war also vollkommen imstande, mit
Vollendung des 24. Lebensjahres, also mit erlangter Voll-
490 Kurt von Rohrscheidt,
jährigkeit nach damaligen Vorschriften, einen selbständigen Gewerbe-
betrieb zu beginnen, und Hoflmann meint mit völligem Recht, daß dies
um so mehr frühe genug sei, als mit minderjährigen Hausvätern der
öffentlichen Wohlfahrt wenig gedient wäre.
Ein noch allgemeinerer Vorwurf traf die Wanderpficht der
Gesellen, und Hoffmann erkennt an, daß die Gewerbsamkeit und Sitt-
lichkeit dabei mehr wage als gewinne. Die meisten Gesellen zögen
nicht mit einem bestimmten Plane wegen Verbesserung ihrer
Handwerkskenntnisse aus, sondern auf gut Glück, auf unsichere Ge-
rüchte hin, unter oft ganz irrigen Vorstellungen und durch zufällige
Bekanntschaften bewogen. Auch sei es ein reiner Zufäll, wenn der
einwandernde Geselle eine Werkstätte treffe, in der er etwas lernen
könne, da er ja seinen Meister sich nicht selbst aussuchen dürfe,
sondern den nehmen müsse, der an der Reihe sei, Gehilfen zu
bekommen. Diese Einrichtung, die dem Zwecke, Belehrung zu suchen,
so grell widerspreche und nur getroffen sei, um Streitigkeiten unter
den Meistern zu vermeiden, erschwere die Bildung eines tüch-
tigen Gesellenstandes. Denn wenn der Geselle mit seinem
Lohnherrn, den er erhalten, nicht zufrieden sei, könne er zwar aufkün-
digen, aber er dürfe sich keinen andern Meister wählen, sondern
müsse weiter wandern. So entstehe, auf diese Weise begünstigt,
ein unstätes Wanderleben, dem sich die Gesellen oft halbe Jahre lang
auf Kosten ihrer Gewerbsgenossen hingäben. Aber dennoch sei es
wünschenswert, das Wandern beizubehalten und nur seine Formen zu
verbessern. Es bedeute eine große Wohlthat für den jungen Gesellen,
einige Jahre vom Hause entfernt zu sein, denn durch diese Unter-
brechung des täglichen Sehens und Beobachtens werde erst recht klar
und deutlich, welche Fortschritte er in seiner ganzen inneren Ent-
wickeluug gemacht habe. Er erhalte eher die Anerkennung der er-
langten Reife, als man sie ihm gebeu würde, wenn er daheim
geblieben wäre. Die Notwendigkeit schon, in der Fremde mehr Auf-
merksamkeit auf sich und seine Handlungen zu haben, als zu Hause,
beschleunige die Fortschritte in der Ausbildung des Charakters. Auch
dem Handwerke selbst komme das Wandern zu gute, indem
der Geselle die Zustände an den einzelneu Orten vergleiche und aus
diesem Vergleiche erheblich lerne. Schließlich kehrten nicht alle
Gesellen wieder in den Heimatsort zurück, namentlich in
den größern Städten ließen sich viel Fremde nieder, und gerade diese
Mischung aus Einheimischen und Angezogenen trage viel dazu bei,
sich von dem Banne örtlicher Gewohnheiten freizumachen
und nicht einseitig zu werden. Thatsächlich seien es auch nicht die
Bräuche örtlicher Gewerke, sondern die in der ganzen Zunft
eingewurzelten Vorurteile, die so schwer auszurotten seien, daß
über den Starrsinn unter den Handwerkern mit Grund geklagt werden
könne.
Ganz besonders aber verurteile man die Formen, unter denen das
Meisterrecht erworben werde, namentlich das Anfertigen kostbarer
und unverkäuflicher Meisterstücke und die durch Schmausereien
Vor- und Rückblicke auf Zuuftzwang und Gewerbefreiheit. 491
und viele Nebenausgaben verursachte Schröpfung der jungen Mei-
ster. Diese Mißbräuche seien wohl längst1) bei hoher Strafe ver-
boten worden, beständen aber dennoch ruhig fort. Namentlich liege
eine Gefahr in der Kleinheit der Gewerke, denn, wo wenige Meister
vorhanden seien, erhielten persönliche Rücksichten leicht das Ueber-
gewicht, Verwandtschaft, Verschwägerung, Gunst oder Ungunst, un-
lautere Privatvorteile, Sorge von Abbruch an Nahrung, das seien häufig
mehr die Beweggründe für ihre Handlungen, als das Bewußtsein
derP fliehten, die sie den Ortsgemeinden und dem Staate schul-
dig seien. Von diesen Aufgaben gegen den Staat beständen überhaupt
nur sehr dunkle Begriffe und Vorstellungen. Hoffmann klagt
hierüber laut: „Die Zunftverfassung bewegt sich gegenwärtig in einem
Wirbel, worin sie — wie das Schiff im Meeresstrudel — notwendig
untergehen muß, wenn nicht Rettung durch eine höhere Macht er-
scheint. Den Gewerken entziehen die gebildeten Stände ihre
Achtung und die Regierungen ihr Vertrauen, weil der bemerkbare
Mangel an edler Bildung weder Achtung noch Vertrauen auf-
kommen läßt: und dieser Mangel dauert fort, weil jene Geringschätzung
und jenes Mißtrauen nicht nur Menschen von besserer Bildung abhält,
in die Zunft einzutreten, sondern derselben sogar auch diejenigen Bil-
dungsmittel entfremdet , welche durch den Betrieb zünftiger Gewerbe
gewonnen wurden. Der wohlhabend gewordene Handwerker schämt
sich des Meistertitels und nennt sich Fabrikant. Seine
Söhne werden Kaufleute, Gutsbesitzer oder Staatsbeamte ; seine Töchter
locken durch ihre Mitgift Freier aus höheren Ständen und verschmähen
zünftige Bewerber. Sind irgend Gründe vorhanden , die Zunftverfas-
sungen wegen eines edleren Kernes, der in ihnen liegt, zu retten, so
vermögen das nur die gebildeten Stände und die Regierungen, indem
sie mit Achtung und Vertrauen den Zunftgenossen entgegenkommen
und der gegenwärtigen Generation derselben Nachsicht wegen des
Mangels an Bildung bezeigen, der als Rest der Vergangenheit noch
an ihnen haftet. Damit eine solche Vorbereitung besserer Tage für
die Zünfte möglich werde, ist es unvermeidlich, fortan nur solchen
gewerblichen Korporationen die Befugnis zur Erteilung des
Meisterrechts zu belassen, welche durch die Zahl ihrer Mitglieder,
durch den Umfang und das Geschick, womit wenigstens ein Teil der-
selben sein Gewerbe betreibt, und durch ein kenntliches Bestreben der
Besten nach gründlicher Bildung, Achtung und Vertrauen bei milder
Beurteilung zu wecken wohl geeignet sind."
Hoff mann spricht sich entschieden für Beibehaltung zweck-
mäßiger Meisterstücke aus. Zwar könne kein Meisterstück,
wenn es auch noch so trefflich sei, verbürgen, daß der Verfertiger
auch Zeit und Material so zu sparen wisse, daß er wohlfeile Arbeit
zu liefern vermöge, ferner garantiere es nicht die redliche Gesin-
nung, auch für Kunden, die nicht Sachkenner seien, dauerhaft und
1) Der Regensburger Reichstagsabschied v. 22. Juni 1731 und das Edikt König
Friedrich Wilhelms I. v. 6. August 1732.
492 Kurt von Rohrscheidt,
billig zu arbeiten. Aber, wenn auch die Meisterstücke, ebensowenig
wie die Prüfungen der Beamten, Lehrer, Aerzte, den Besitz aller
der Eigenschaften nachweisen könnten, welche zur glücklichen Führung
der Geschäfte gehörten, so bekundeten sie doch den Besitz sehr
wesentlicher Teile dieser Eigenschaften. Ferner erweckten öffent-
lich abgelegte Beweise von Geschicklichkeit ein Selbstgefühl, welches
den Menschen erhebe und ein wirkliches Bildungsmittel für ihn
werde. Freilich müßten, um der "Willkür Schranken zu setzen, all-
gemeine Gesetze bestimmen, welche Beweise für die erlangte
Geschicklichkeit zur Aufnahme Gewerbetreibender jedenfalls hinreichend
seien.
Ein großer Fehler der alten Zunftverfassung wäre es gewesen,
auch nahe verwandte Gewerbe bezüglich ihrer Verrichtungen und
Verfertigung von Waren scharf voneinander zu trennen,
zumal die fortschreitende Kultur stets neue Bedürfnisse aufgefunden
habe, für deren Befriedigung die Zuständigkeit der einzelnen Innungen
zweifelhaft geworden sei. Man habe freilich in einzelnen Fällen den
Ausweg gefunden, die streitige Arbeit für eine beiden Parteien
erlaubte zu erklären, im allgemeinen aber habe die Neigung vor-
gewaltet, scharfe Grenzlinien zu ziehen. Es war durch nichts zu recht-
fertigen, aus den Stuhlmachern ein besonderes Gewerk zu bilden,
und da, wo sie bestanden, den Tischlern zu verbieten, Stühle an-
zufertigen und umgekehrt. So trennte man die Pantoffelmacher
welche nur Fußbekleidungen ohne Hackeuleder herstellen durften, von
den Schustern, die Kleinbinder, die nur hölzerne Gefäße mit
einem Boden machten, von den Böttchern, die Losbäcker,
welche lediglich mit Hefen bereitetes Backwerk aus Weizen- und Roggen-
mehl verfertigten, von den Fast- oder Festbäckern, die sich des
Sauerteigs bedienten, die Sporer von den Kleinschmieden,
die Schwertfeger von den Gürtlern, sogar die Tuchbereiter von
den Tuchscherern u. s. w. Diese überflüssigen, für die Gewerb-
samkeit schädlichen und iür das Publikum höchst unbequemen Schei-
dungen suchte die spätere Gesetzgebung, für Preußen namentlich das
Gewerbepolizeiedikt von 1811, aufzuheben und verwandte Gewerbe unter
einem Gewerbeschein betreiben zu lassen. Die „Stuhlmacher haltens
mit den Tischlern", „die Zeugschmiede mit den Schlossern", so lautete
hierfür später die Bezeichnung.
Als einen wirklichen , das ganze Zunftwesen durchziehenden und
durchsetzenden Mißstand bezeichnet es Hoffmann, wenn allen gegen-
teiligen Verordnungen und Gesetzen zum Trotze die Verbindung
der örtlichen Gewerke untereinander , was mit dem Worte
„Zunft" im eigentlichen Sinne angedeutet wurde, weiter fortbestand.
Dieser Zustand habe es verschuldet, daß seit Jahrhunderten verpönte
Mißbräuche dennoch unausrottbar geblieben seien und eine davon
gereinigte Zunftverfassung sich durchaus nicht wolle herstellen lassen.
Selbst wenn die Gewerke eines Staates den guten Willen hätten,
sich den Landesordnungen zu fügen und die alten Uebelstände zu
beseitigen, so würden sie dennoch dazu unvermögend sein. Denn da
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit 493
der Zunftverband sich weit über die Grenzen eines Territoriums aus-
dehne, würde ein solches Vorgehen von den andern Mitgliedern der
Verbindung damit beantwortet werden, daß man den fügsamen auf-
kündigte und die von ihnen ausgestellten Lehrbriefe, Kundschaften
und Meisterrechtsbescheinigungen nicht mehr als gültig anerkenne.
Diese Innungen kämen dann in Gefahr, keinen Gesellen mehr zu er-
halten, was den Anfang von ihrem Untergange bilden würde. Anderer-
seits habe der Zusammenhang unter den Innungen thatsächlich so
lange nicht entbehrt werden können, als die Wanderpflicht all-
gemein und in der üblichen Form bestanden, weil in der gegenseitigen
Anerkennung der ausgestellten Kundschaften uud Lehrbriefe die Basis
für die ganze Wanderschaft gegeben war.
— , Ebenso wie die Verbindungen unter den Gewerken, hatten Reichs-
und Landesgesetze danach gestrebt, die Gesellenverbände, welche
Korporationen neben oder innerhalb der Innungen bildeten, auf-
zuheben. Aber auch hier verfuhr man nicht durchgreifend genug.
Denn während man ihnen die besonderen Kassen und Laden nahm,
wollte man doch das Gute nicht zerstören und hielt es für nützlich,
daß die Gesellen sich zur Verpflegung erkrankter und Unterstützung
dürftiger und arbeitsloser Gewerbsgenossen zusammenthaten , ohne zu
bedenken, daß an letzterer Vereinigung sich der ganze Gesellenverband
wieder aufrichtete und festhielt.
Hoffmann kommt daher zu dem Schlüsse, daß nicht in der
äußeren Gestaltung des damaligen Zunftlebens, sondern in seinen
Grundlagen der Quell seiner Mängel zu suchen sei. Er meint, daß
zwar Handwerkerarbeit besser als gemeine Tagelöhnerarbeit bezahlt
werde, aber keineswegs so gut, daß die Verrichtungen eines ein-
zelnen Mannes hinreichen könnten, um eine Familie so zu ernähren,
wie es der Anstand in einer ehrsamen Bürger- und Handwerkerfamilie
erfordere. Vielmehr müsse sowohl innerhalb als außerhalb der Zunft-
verfassung der Meister neben dem Ertrage seiner eigenen Arbeit auch
einen Teil dessen beziehen, was seine Gehilfen durch ihre Arbeit
erwürben. Könne man sich doch einen anständigen Bürger und Meister
in den städtischen Gewerken gar nicht anders denken, als in einer mit
Gesellen und Lehrlingen besetzten Werkstätte! Man müsse im allge-
meinen annehmen, daß ein Meister für einen auskömmlichen Lebens-
unterhalt etwa noch zwei Gesellen und einen Lehrling nötig
habe. Danach müßten , wie schon früher ausgeführt ist , etwa drei-
mal soviel Gehilfen als Meister vorhanden sein. Die Gewerbestati-
stik1) vom Ende des Jahres 1837 ergebe aber für den preußi-
schen Staat folgendes Resultat:
(Siehe Tabelle auf S. 494.)
Die Tabelle läßt ersehen, daß, außer in den 40 größten Städten
der preußischen Monarchie , die Zahl der Gehilfen überall kleiner
war, als die der Meister. Aus diesen Verhältnissen, wie sie das
1) Es ist interessant, diese Statistik vom Jahre 1837 mit der am Schlüsse des 1. Ka-
pitels angegebenen vom Jahre 1828 zu vergleichen.
494
Kart von Rohrscheid t.
Es gab
i.d.
lOgröfsten
i. d. 30
i. d.
auf dem
Zu-
bei den :
Städten :
nächsten:
übrigen :
Lande:
sammen
Schneidern
j
2846
3188
18 399
34 772
59 205
Meister
j
5671
2892
10 240
9 HO
27913
Gehilfen
Schustern
i
5554
5020
31 319
31815
73 708
Meister
I
6550
4842
20 193
8031
39616
Gehilfen
Grobschmieden
|
325
400
4 524
27329
32 578
Meister
I
1049
717
4 246
10 619
16 631
Gehilfen
Schlossern und
{
1194
1047
8 282
7098
17 621
Meister
Kleinschmieden
2498
1338
6293
5028
15*57
Gehilfen
Tischlern
j
2824
2017
10372
15643
30856
Meister
j
5205
2555
8503
5231
21 494
Gehilfen
Rad- und Stell-
)
247
256
2978
11 689
15 I70
Meister
machern
/
5°i
348
1805
2 664
5 318
Gehilfen
Böttchern
1
77i
747
4907
6812
13 237
Meister
988
728
2 605
I274
5 595
Gehilfen
Bäckern
}
1174
1268
9 802
II 193
23 437
Meister
/
2034
1581
5291
I 546
10452
Gehilfen
Fleischern
I
1121
1143
7770
6819
16853
Meister
I
1200
863
3720
I 204
6987
Gehilfen
praktische Leben gestaltet hatte, geht hervor, daß die Zunftver-
fassung sich mit sich selbst in einem offenbaren Widerspruch
befand, wenn sie ihren Mitgliedern einmal die Garantie bieten wollte,
in angemessenen Lebensjahren selbständig zu werden, andererseits
aber auch einen auskömmlichen Lebensunterhalt zu gewinnen.
Denn entweder waren genügend Gehilfen vorhanden, um den Meister-
familien eine anständige Existenz zu sichern; dann durften bei wei-
tem nicht alle Gesellen darauf hoffen, im normalen Lebensalter
selbständig werden und einen eigenen Hausstand gründen zu können.
Oder aber, es gab gerade so viel Gesellen, daß sie voraussichtlich etwa
im 30. Lebensjahre Meister werden konnten, so war ihre Anzahl viel
zu gering, als daß der Bedarf gedeckt worden wäre. Es mußten unter
letzteren Verhältnissen viele Meister nur ein kümmerliches Da-
sein fristen oder als Gesellen bei anderen Meistern arbeiten. Waren
zu viel Gehilfen vorhanden, so war die unausbleibliche Folge, daß
eine größere Anzahl von ihnen auch sehr spät an die Gründung eines
eigenen Haushalts heranging und nach ihrem Ableben Söhne und Töchter
in noch unversorgtem jugendlichen Alter hinterließ. Letzterer Zu-
stand war früher überall da eingetreten, wo die Zünfte sich gegen den An-
drang zum Gewerbebetriebe dadurch wehrten, daß sie eine Schließung
des Gewerks auf eine bestimmte Anzahl Meister durchsetzten, bez.
ein derartiges Privilegium um bedeutende Summen vom Landesherrn
erkauften. Solche Rechte zu erteilen, war man ehemals um so mehr
bereit, als sie ein geeignetes Mittel zu sein schienen, den Bestand
wohlhabender Bürger zu erhalten. Es trat nunmehr ein Ueberfluß
an Gesellen ein, welche auf das Freiwerden von Meisterstellen warten
mußten, ehe sie selbst Meister werden konnten. Wenn sie nicht auf
die Gründung einer Familie vollständig verzichten wollten, verheirateten
sie sich als Gesellen und suchten ihren Unterhalt, wie es kam,
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 495
auf rechtlichem oder unrechtlichem Wege. Vielfach erhielten sie bei
zünftigen Meistern keine Arbeit mehr, wurden auch nicht weiter unter
den Gesellen auf der Herberge geduldet, und so suchten sie dann das
Gewerbe für eigene Rechnung heimlich zu betreiben. Dazugab
es immer Gelegenheit, weil bei den Wachstum der Städte die Bedürf-
nisse wuchsen, während bei der Geschlossenheit der Zünfte die Anzahl
der Meister nicht zunahm. Diese Pfuscher flüchteten auch unter
den Schutz der Gerichtsbarkeit der geistlichen Stifte und der Ritter-
gutsbesitzer und wurden den Zünften um so gefährlicher, als sie alles
daran setzen mußten, durch Güte der Arbeit und Billigkeit des Preises
Kunden zu gewinnen. Ein anderer Teil der Gesellen, der diesen Weg
nicht einschlug, ergab sich einem unstäten Gesellenleben und verwil-
derte auf der Wanderschaft. Er kam sittlich herunter , verlor
den Geschmack an der ehrlichen Arbeit und zog es vor, mit Hilfe
der zunftmäßigen Unterstützungen ein beschäftigungsloses Wanderleben
zu führen. Es war für solche Gesellen von Reiz, die jüngeren Genossen zu
beherrschen, ihre gesammelten Erfahrungen gaben ihnen von vornherein
ein entschiedenes Uebergewicht, und vielfach triumphierte ihre gewis-
senlose Verführungskunst über den schwächlichen Widerstand des
harmlosen Muttersöhnchens. Wurden die verheirateten Pfuscher arbeits-
unfähig, so fielen sie der öffentlichen Armenpflege zur Last,
während alte Wanderburschen stets von den Gewerken versorgt werden
mußten, bis sie vom Elend ihres Vagabondenlebens aufgerieben wurden
oder wegen Diebstahls oder sonstiger Verbrechen in die Gefängnisse und
Zuchthäuser gerieten. Trotzdem schreckte ein solcher Ausgang selten
jemand ab , seine Kinder dem Handwerk zu widmen , weil man den
Untergegangenen die Schuld allein und nicht auch den Verhältnissen
beimaß und weil man ferner zunächst nur darauf sah, daß der Unter-
halt des Sohnes bis zum beginnenden Mannesalter gesichert sei.
Hoffmann hält nun die Reformation des Gesellenwesens
für einen der wesentlichsten Punkte, wenn man an Stelle der durch
gehäufte Mißbräuche unhaltbar gewordenen Zunftverfassung etwas
anderes, Lebensfähiges setzen wolle. Der wahrhaft tüchtigen, ge-
schickten und fleißigen Gesellen seien keineswegs zu viele vorhanden,
das Bestreben der Meister, sich einander gute Gesellen abspenstig zu
machen, könne vielmehr als ein Beweis des Gegenteils gelten. Es sei
daher durch Anordnungen, welche die Zahl der Gesellen zu vermin-
dern trachteten, der Gewerbsamkeit nicht aufzuhelfen, vielmehr komme
es nur darauf an, demjenigen Teile der Gesellen, welcher nicht die Hoff-
nung haben könne, als Meister einen anständigen Unterhalt für
eigene Rechnung zu finden, eine Stellung anzuweisen, wobei ihm die
Führung eines Hausstandes ohne drückende Nahrungssorgen
möglich bleibe, Ein verheirateter Geselle befinde sich bei gleicher
Geschicklichkeit, Thätigkeit und Sittlichkeit offenbar besser als ein
Meister, der so wenigsichereArbeit habe, daß er es nicht wagen
könne, einen Gehilfen anzunehmen. Bleibe ein Teil seines Verdienstes
auch in den Händen des Meisters, der ihn beschäftige, so habe er doch
wiederum keine Auslagen für Material, keine Verluste bei unsicheren
496 Kurt von Rohrscheidt,
Kunden und keine Versäumnis durch Arbeitsbestellungen. Anstands- oder
Gemeindepflichten, die auch den ärmeren Meister träfen, lägen dem Ge-
sellen nicht ob. Dazu komme, daß der Geselle, namentlich in den an-
sehnlichen Städten, nicht mehr in Kost und Wohnung beim
Meister stehe, und so falle ein Haupthindernis der Verheiratung fort.
Ferner erspare die größere Zuverlässigkeit älterer erfahrener Gesellen
dem Meister manchen Verlust, den ihm der Leichtsinn jüngerer manch-
mal bereite. So werde es möglich sein, dem verheirateten Gesellen
einen höheren Lohn zu bewilligen, während dessen Frau auch selbst
noch einen Zuschuß zur Wirtschaft verdienen könne. Aus diesen
Gründen erstände bereits allmählich bei manchen Handwerkern ein
Stamm verheirateter Gesellen, und diese fingen schon an, eine be-
sondere Abteilung unter den Gehilfen zu bilden, indem sie nicht
mehr auf die Wanderschaft gingen, nicht zur Unterstützung
wandernder Gesellen beitrügen, die Herberge mieden und so dem
Unfuge, der bisweilen von dort ausgehe, fern blieben.
Aber auch für die unverheirateten Gehilfen seien die bestehen-
den Gesellenverbände recht wohl entbehrlich. Da sie in der Regel kein
anderes Einkommen als den Arbeitslohn besäßen, so sei es ein
unnützer Umweg, wenn milde Anstalten zur Verpflegung kranker und
bedürftiger Gesellen nicht von den Meistern unmittelbar,
sondern durch die Beiträge der bei ihnen in Arbeit stehenden Gesellen
unterhalten würden. Es wäre zwar entschieden von einer gewissen
sittlichen Bedeutung, wenn diese Leistungen, obwohl aus den
Taschen der Meister stammend, doch durch die Hände der Gesellen
gegeben würden, aber dieser Vorteil stände doch nicht im Verhältnis
zu den vielfachen Nachteilen, die durch die Zusammenkünfte erwüchsen,
zu welchen die gemeinsamen Auflagen den Vorwand abgäben. Bei
diesen Monats- oder Quartalversammlungen werde erwiesenermaßen
das Doppelte und Dreifache von dem vertrunken und verzehrt, was
die Abgabe bilde. Solchen Zechausgaben, die eben auch als Ehren-
sache gälten, könne sich selbst der nicht entziehen, der sie vermeiden
möchte. Schlimmer sei es aber noch, daß sich bei diesen Zusammen-
künften die Gesellen als Körperschaft betrachteten, welche über
sich selbst Polizei auszuüben und gemeinsame Rechte zu verteidigen
habe. Bei solchen Gelegenheiten würden neue Gesellen gehänselt,
Uebertretungen von Handwerksbräuchen bestraft, und es helfe selbst
nichts, die Versammlungen unter die Aufsicht eines angesehenen
Meisters oder einer obrigkeitlichen Person zu stellen, da der Einzelne
wenig unter einer Menge junger Leute vermöge und sich daher kluger-
weise zurückziehen werde, wenn das Auflegen vorüber sei, ohne weiter
darauf zu dringen , daß die Versammelten gleichzeitig auseinander-
gingen. Selbst wenn die Beiträge aus den Werkstätten durch Boten
abgeholt würden, ließe es sich nicht vermeiden, daß die Gesellen
wenigstens einmal im Jahre zur Rechnungslegung zusammenkämen.
Eine solche Vereinigung, die nicht gut verboten werden könne, würde
dann noch viel zahlreicher besucht und festlicher gefeiert werden, weil
sie seltener stattfände. Nur wenn die Meister sich entschlössen, die
Vor- und Rückblicke auf Zünftzwang und Gewerbefreiheit. 497
milden Anstalten zur Verpflegung und Unterstützung von Gesellen
unmittelbar zu unterhalten, ohne den in Arbeit stehenden Ge-
sellen deshalb förmlich einen Abzug zu machen, werde es
möglich sein, den Gesellenverband, der dann zwecklos wäre, gänz-
lich aufzulösen. Trotz der neuen Ausgabe würden aber dennoch
die Meister keinen Verlust erleiden, da sie auch wieder mehr von den
Gesellen fordern könnten, und der Grundsatz, den der kurzsichtige
Eigennutz gewöhnlich zu seinem großen Schaden übersehe, werde sich
auch hier bestätigen, nämlich, daß die bestbezahlte Arbeit unter ver-
ständiger Leitung zugleich die wohlfeilste sei.
Was die Wanderp flicht der Gesellen betreffe, so habe sie, wie
bereits ausgeführt ist, ebenso ihre unleugbaren Vorteile wie unver-
kennbaren Nachteile, und es sei daher nur darauf zu wirken,
letztere nach Möglichkeit zu beseitigen. Alle verständigen Väter in
den mittleren und höheren Ständen unterließen es nicht, ihre Söhne
eine Zeitlang abseits von alten Freunden und Gönnern in die Welt
zu schicken, sei es in eine bestimmte Anstalt, Fabrik, Oekonomie,
Universität oder überhaupt nur auf Reisen. Andererseits läge in den
jungen Leuten, wenn sie gesund an Leib und Seele wären, schon selbst
der Trieb, sich an fremden Orten umzusehen und ihre Kunst, deren
sie sich bewußt geworden, allein ohne väterliche Hilfe und Obhut zu
versuchen. Daher sei es nicht erforderlich, bei den Handwerkern die
Wanderschaft zu einer gesetzlichen Verpflichtung zu machen.
Man könne sie um so mehr in das Belieben eines jeden setzen, als
zum Wandern ein gewisser Grad von Bildung sowohl wie einige
Mittel gehörten, die nicht alle, welche zum Wandern verpflichtet
würden, besäßen. Und ohne die erforderliche Bildung und die nötigen
Mittel seien die Gefahren der Wanderschaft zu groß , als daß diese
Hoffnung auf Erfolg rechtfertigte. Ueberhaupt befinde sich ein Teil
der Handwerksgesellen offenbar in einer Lage, in der ihm die Wander-
schaft mehr Schaden als Nutzen bringen müsse. Man möge
sie daher nur gestatten, nicht gebieten. Werde die Ver-
pflichtung zum Wandern aufgehoben, so schwinde auch die Notwendig-
keit, dasselbe durch Verpflegung des Gesellen, Darreichung des Zehr-
pl'ennigs u. s. w. zu befördern. Der reisende Handwerksgeselle trete
in die Reihe der Reisenden anderer Stände, er werde gleich diesen
in Gasthöfen und Wirtshäusern nach dem Maße seiner Bildung und
Mittel Unterkommen suchen und auf Unterstützung nur insoweit
Anspruch machen können, als dies wegen besonderer Unfälle von
anderen Reisenden ebenfalls geschehen dürfe. Hoffmann spricht hierbei
die allerdings unerfüllt gebliebene Erwartung aus, daß alsdann nicht
mehr Tausende von jungen kräftigen Männern planlos im Lande
umherirrten und einen großen Teil ihrer Zeit unter dem Vorwande,
Arbeit zu suchen, in verderblichem Müßiggange verschwendeten. Der
Handwerkerstand werde allmählich die bisher gewöhnliche Wander-
schaft entbehren lernen, und der Geselle sich nur dann auf Reisen
begeben, wenn er einen hinreichenden Zehrpfennig besitze. Er werde
Dritte Folge Bd. VIII (LXIII). g2
498 Kurt von Rohrscheidt,
eicht mehr ziellos umherstreifen, sondern nur solche Orte aufsuchen,
wo er Erwerb oder Belehrung zu finden hoffe.
Es könne überhaupt nur nach gänzlicher Auflösung des
Gesellenverbandes und Abschaffung der bestehenden Form des
Wanderns dahin kommen, daß Vermögen undBildung sich wieder
dem Handwerkerstand zuwendeten und darin verblieben. Solange der ent-
lassene Lehrling ohne Rücksicht auf seine Bildungsstufe genötigt werde,
die Herbergen zu besuchen und mit jedem Gesellen seiner Zunft
Brüderschaft zu trinken, ferner wandern zu müssen und da Arbeit
anzunehmen, wie es die Reihe vorschreibe, solange sei nicht daran
zu denken, daß junge Leute von edlerBildung sich dem zünftigen
Handwerk würden widmen wollen. Es werde viel zu wenig erkannt,
wie sehr daran gelegen sei, daß die sogenannten gemeinen Handwerke
auch von wohlhabenden und gebildeten Männern betrieben und zu
Ehren gebracht würden. Wohlhabende Käufer wendeten sich deshalb
nur zur Fabrik, weil das Handwerk ungeschickt und teuer zugleich
aus Mangel an Einsicht und Verlag sei. Würde dasselbe von Männern
betrieben, die mit den Bedürfnissen der gebildeten Stände durch ihr
eigenes Leben vertraut, guten Geschmack mit der lebendigen Kenntnis
der Materialien, Werkzeuge und Handgriffe vereinigten, so könne man
sehr viel bessere Handwerkerarbeiten zu verhältnismäßig billigen
Preisen erhalten. Hierdurch werde auch der Sinn für ein eigentüm-
liches Gepräge der Bedürfnisse weiter in den Mittelstand hinein ver-
breitet, und dadurch der flachen Modesucht entgegengearbeitet,
welche das gedankenlose Nachahmen zum Gotte des Tages erhebe.
Viele Söhne der mittleren Stände würden das Handwerk zum Lebens-
berufe wählen , wenn es erlernt und betrieben werden könnte, ohne
daß sie genötigt wären, den Anspruch auf das gesellige Verhältnis auf-
zugeben, an das sie durch Erziehung und Umgang gewöhnt seien.
Bisher beschränke eine leidige Schicklichkeit ihre Wahl auf die so-
genannten liberalen Beschäftigungen, worin nur entweder mit
seltenen Naturgaben oder bedeutendem Vermögen etwas zu erreichen
sei. Die Handwerke sänken dadurch, daß sich ihnen die ihnen zu-
kommenden Anlagen entzögen, zur Tagelöhnerarbeit herab,
während in die liberalen Beschäftigungen durch diejenigen Elemente,
welche eigentlich durch ihre Naturanlagen zur Ausübung eines Ge-
werbes bestimmt seien, etwas H an dwerks mäßiges sich eindränge.
Durch solche Zustände litten beide Berufsarten auf gleiche Weise.
In nachstehendem soll noch mit einigen Worten darauf einge-
gangen werden, welche Stellung die Gesetzgebung und die
Verwaltungspraxis nach 1811 den erhalteuen Innungen gegen-
über einnahm. Letztere fingen an, sich lediglich als geduldete
Privatgesellschaften und nicht mehr an die früheren Zunftgesetze ge-
bunden anzusehen, das heißt, sie nahmen das Gute aus ihrer zünftigen
Stellung und aus der Gewerbefreiheit, wie es ihnen beliebte, und er-
laubten sich die größten Willkürlichkeiten. Die Regierungen
hatten daher mehrfach Anlaß, ausdrücklich bemerklich zu machen,
daß die Innungen auch jetzt noch den bezüglich der Zunftverbindung
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 499
erlassenen Verordnungen aufs strengste nachkommen müßten. So
schärfte eine Verordnung der Königsberger Regierung vom
13. Mai 1819 *) den Innungen wieder ein, daß einem Meister, der
die vorschriebenen Bedingungen erfüllt habe (§ 249 T. II Tit. 8 A. L. R.),
auch dann nicht die Aufnahme in die Zunft verweigert werden könne,
wenn er bereits früher das Gewerbe selbständig zunftfrei betrieben
habe. Die Zünfte dürften es sich ferner nicht beikommen lassen,
Gewerbetreibende aus anderen Orten, wo solche Verbindungen eben-
falls beständen, aufzunehmen , am wenigstens aber, wie der Fall vor-
gekommen sei, es ihnen zur Pflicht machen, sich am Orte der
Aufnahme nicht niederzulassen. Was die Meisteraufnahme
anbetreffe, so hätten die Zünfte weder hinsichtlich des Meister-
stücks noch der Gebühren mehr zu fordern, als in den Privilegien
vorgeschrieben sei. Wolle ein bereits aufgenommener Meister seinen
Wohnort verändern und sich der Zunft am Platze seiner neuen
Niederlassung anschließen, so müsse seine Aufnahme gegen die gewöhn-
lichen Gebühren und nach den Nachweise guter Führung unweiger-
lich geschehen. Sodann wurde die Vorschrift aus dem Gewerbepolizei-
edikt in die Erinnerung zurückgerufen , daß zünftige Gesellen , ohne
eine Aenderung ihrer Zunftverhältnisse zu erleiden, auch bei zunft-
freien Meistern arbeiten dürften.
Auch im Marktverkehr hatten sich die zünftigen von den un-
zünftigen Meistern streng geschieden, und noch im Jahre 1837 trugen
z.B. die Schuhmacher zu Star gar d darauf an, diese Einrichtung
wiederherzustellen und jede gemischte Budenstellung zu unter-
sagen. Der Minister des Innern beschied sie unter dem 15. Juni 1837 2),
daß die Zunfteinrichtung mit dem Marktverkehr gar nichts gemein habe.
Die Vorschriften über die Anorderung der Budenplätze seien rein
polizeilicher Natur, und man könne nicht absehen, weshalb ein
zünftiger Meister auf dem Markte in polizeilicher Hinsicht vor einem
unzünftigen begünstigt oder auch nur von ihm unterschieden werden
solle. In denjenigen Landesteilen, welche noch die alte Zunftverfassung
besaßen, blieben natürlich auch die Landhandwerker verpflichtet,
das Meisterrecht bei irgend einer inländischen Innung zu erwerben
und sich zu einer solchen Innung zu halten3).
Mehrfach wurde es zweifelhaft, inwieweit frühere gewerbliche Vor-
schriften nach Einführung des neuen freiheitlichen Systems noch Gültig-
keit hatten, oder mit anderen Worten, ob das Gewerbepolizeiedikt vom
7. September 1811 der Inbegriff der gesamten Gewerbepolizeigesetz-
gebung sei oder nicht. Dies war nicht der Fall 4). Das Edikt ent-
schied nur die Frage, ob und unter welchen Bedingungen der Betrieb
eines Gewerbes einem Individuum gestattet sein solle. Es enthielt
aber keine Bestimmungen darüber, wie das gestattete Gewerbe von
den Konzessionierten auszuüben sei. Mithin blieben die über die Art
1) Kamptz' Annalen Bd. III, S. 537.
2) Ebenda Bd. XXI. S. 526.
3) Ebenda Bd. XXI, S. 526.
4) Ebenda Bd. II, S. 856.
32*
500 Kürt von Rohrs cheidt,
des Betriebes einzelner Gewerbe vorhandenen Reglements, soweit sie
sich hierauf beschränkten, erhalten. Dies galt z. B. auch von dem
Trödlerreglement vom 21. Oktober 1788. Das Edikt vom 7.
September 1811 nannte in § 131 unter den Gewerben, wobei die
öffentliche Sicherheit Gefahr lief, die Trödler, d. h. solche Leute,
welche mit alten Sachen handeln, und machte ihr Recht zum Gewerbe-
betriebe von der Genehmigung der mit der örtlichen Sicherheit be-
auftragten Polizeibehörde abhängig, deren Erteilung lediglich dem Er-
messen der letzteren in § 133 anheimgestellt wurde. Die Behörde
hatte die Pflicht, diese Genehmigung zu versagen, wenn sie überzeugt
war, daß der Antragsteller die Verbindlichkeiten zu erfüllen unfähig
sei, welche im sicherheitspolizeilichen Interesse gefordert
werden müßten. Der Handels- und der Polizeiminister entschieden
daher unter dem 26. September 1818, daß mit Recht die Genehmigung
zum Trödelhandel einem jeden nicht erteilt werde, der nicht
schreiben und lesen könne und daher unfähig sei, die vorgeschriebenen
Bücher zu führen, welche nicht aus kaufmännischen, sondern aus
sicherheitspolizeilichen Gründen angelegt werden und dazu dienen
sollten, gestohlenen Sachen und Dieben auf die Spur zu kommen.
In denjenigen Landesteilen, welche noch ihre alte gewerbliche
Verfassung behalten hatten, blieben auch provinzialrechtliche Sonder-
gesetze bestehen. So galt in dem vormals sächsischen Gebiete
noch das Mandat vom 16. August 1746, durch welches den Juden
der Hausierhandel untersagt war, als Gesetz. Dies hatte zur
Folge, daß nicht nur den in diesem Territorium ansässigen Juden,
sondern auch solchen aus anderen Bezirken, welche in den altsäch-
sischen Distrikten hausieren wollten, der Gewerbeschein versagt
wurde 1). Eine mildere Auslegung der Bestimmungen durch Ministerial-
reskript vom 29. April 1831 2) ging dahin, daß das Mandat kein all-
gemeines und unbedingtes Verbot beabsichtige , sondern sich
nur auf die Erlaubnis zum Jahrmarktshandel beziehe und
lediglich in dieser Beziehung anordne, daß derselbe nicht auf den
einzelnen Vertrieb und das Hausieren erstreckt werden solle. Es sei
der den Juden zu verstauende Handel bloß von dem Inhalte der den-
selben erteilten speziellen Konzessionen abhängig gemacht worden,
weshalb, falls eine solche Konzession einen Juden zum Gewerbebetrieb
im Umherziehen berechtige, das sächsische Gesetz weiter nicht ent-
gegenstehe, vielmehr werde dadurch dem überall hervortretenden
Grundsatz desselben, strenge Aufsicht über den jüdischen Handel
zu führen, vollkommen genügt. Diese Auffassung hat sich jedoch,
wenn sie überhaupt jemals praktisch geworden ist , nicht lange ge-
halten, da ein Ministerialreskript vom 19. April 1837 genau wieder
auf dem entgegengesetzten Standpunkte steht. In diesen Landesteilen
zog man auch sonst noch alle Konsequenzen der alten Gewerbever-
fassung. So entschied z. B. ein Ministerialerlaß vom 10. April
1) Kamptz' Annalen, Bd. XIII, S. 620; Bd. XXI, S. 533.
2) Ebenda Bd. XV, S. 396.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 501
1837 x), daß, wenngleich die Befugnis zum selbständigen Betriebe eines
zünftigen Gewerbes nach sächsischer Verfassung durch Gewinnung des
zünftigen Meisterrechts erlangt werde, letzteres doch nur mit voller
Wirkung bei solchen Innungen erworben werden könne, deren Privi-
legien entweder von dem Landesherrn selbst oder in seinem
Auftrage von der Landesregierung als höchsten Verwaltungsbehörde
erteilt oder anerkannt seien. Mithin wären nur diejenigen, welche bei
einer solchen Innung Meister geworden, zur Aufnahme an anderen
Orten ohne weiteres geeignet. Meister dagegen, welche das Meister-
recht bei Innungen erworben, deren Artikel nur mit Genehmigung
ihrer Ortsmagistrate versehen seien, hätten, da diesen Statuten eine
rechtliche Wirkung über die Grenzen der Stadt und ihres Weichbildes
hinaus nicht beiwohnen, auf eine gleiche Befugnis keinen An-
spruch, weshalb die Innung eines anderen Orts die Aufnahme
solcher Meister ablehnen könne.
Ueber die Qualifikation zum selbständigen Gewerbebetriebe
wurden mehrere interpretierende Reskripte erlassen. In einer Cirkular-
verfügung vom 15. November 1833 2) ordnete der Handelsminister v.
Schuckmann an, daß, da nach dem damaligen Zustande der allgemeinen
Bildung Fertigkeit im Lesen und Schreiben, sowie Kenntnis der
ersten Elemente der Rechenkunst bei jedem Individuum, das ein
Gewerbe ausüben wolle, vorausgesetzt werden könne, in allen Fällen,
wo eine Prüfung als Bedingung gemacht sei, diese auf Lesen, Schreiben
und Rechnen zu richten wäre, und das Zeugnis verweigert werden solle,
wo der Kandidat solche Fertigkeiten nicht besitze.
Was die Unbescholtenheit als Voraussetzung zum selb-
ständigen Gewerbebetrieb betrifft, so wechselten die Gesetzesvorschriften
hierüber den Standpunkt. Das Edikt vom 2. November 1810 hatte in
§ 19 angeordnet, daß im allgemeinen niemandem der Gewerbeschein
versagt werden solle, der ein Attest der Polizeibehörde seines Ortes
über seinen rechtlichen Lebenswandel beibringe. Hieraus war zu
folgern, daß bei allen Gewerben die Zulassung zum Gewerbebetriebe
von einem solchen Zeugnisse abhängig sei. Später hatte § 2 des Ge-
setzes vom 7. September 1811 bestimmt, wem wegen Bescholtenheit
das Recht, Bürger oder Gemeindemitglied zu sein, gesetzlich versagt
werde, der dürfe auch auf Grund eines Gewerbescheines kein Gewerbe
selbständig treiben, dessen Ausübung das Bürgerrecht oder
den Beitritt zur Gemeinde erfordere. Danach durfte der
Bescholtene ebenfalls solche Gewerbe treiben, die der letzten Beschrän-
kung nicht unterlagen. Weiter aber sollte nach der Allerhöchsten
Kabinetsordre vom 6. April 1823 die Versagung des Bürger-
rechtes und die Ausschließung von dem schon gewonnenen in allen
durch die Städteordnung bezeichneten Fällen nur den Verlust der
Ehrenrechte nach sich ziehen, auf Grundbesitz und Gewerbebetrieb
aber von keinem Einflüsse sein. Somit konnten also jetzt die
1) Ebenda Bd. XXI, S. 511.
2) Kamptz' Annalen, Bd. XVII, S. 1043.
502 Kurt von Rohrscheidt,
polizeilichen Moralitätsatteste nur von denjenigen noch gefordert
werden, welche nach § 21 des Gewerbesteuesediktes vom 2. November
1810 und §§ 82 ff. des Gewerbepolizeiediktes vom 7. September 1811
den Nachweis ihrer besonderen Qualifikation zu erbringen
hatten1). Wo nach § 131 des letzteren Gesetzes Unbescholtenheit für
den Gewerbebetrieb Voraussetzung war2), da sollte diese zwar nach
den im Einzelfalle vorwaltenden Umständen beurteilt werden, jedoch
wurde für wissenswert erachtet, dabei bestimmte allgemeine Ge-
sichtspunkte festzuhalten. Als solche bezeichnete das Ministerial-
reskript vom 16. Dezember 1834 nicht nur die Vorschriften über Ver-
lust und Wiederverleihung der Nationalkokarde, sondern auch
die in § 600 der Kriminalordnung aufgeführten Bestimmungen über
die Verjährung der geringeren Verbrechen. Wenn das
Gesetz die Bestrafung gewisser Verbrechen nach einem Zeiträume von
5 Jahren nicht mehr für erforderlich halte, so würde es unbillig und
hart sein, nach dieser Zeit an die Erinnerung des Verbrechens ge-
werbliche Nachteile in einem solchen Falle knüpfen zu wollen,
in welchem der Verbrecher wirklich gestraft worden, und wenn durch
sein nachheriges Betragen nachgewiesen sei, daß die Strafe ihren Zweck,
die Besserung, erreicht habe.
Mit dem Lehrlingswesen hat sich die Verwaltungsthätigkeit
der damaligen Periode sehr wenig befaßt. Es kam nur zu einzelnen
Erlassen, wenn die Zünfte begannen, sich auch auf diesem Gebiete
Uebergriffe zu erlauben. So wies der Handelsminister in einem
Reskripte vom 18. Juni 1831 3) darauf hin, als eine Innung einen
unzünftigen Lehrling mit einem Lehrbriefe ausgestattet hatte, daß
nur solche Lehrlinge von einer Zunft losgesprochen werden dürften,
welche bei einem der Zunft angehörenden Meister gelernt hätten. Die
Befähigung eines unzünftigen Lehrlings aber, als Gehilfe zu arbeiten,
habe nach den §§11 und 12 des Gesetzes vom 7. September 1811
zu erfolgen, und die Zünfte seien auch zur Fassung eines abändernden
Beschlusses nicht berechtigt. Es müsse daher der erteilte Lehrbrief
für unwirksam erklärt werden. Ferner wurde durch einen mini-
steriellen Erlaß vom 12. September 1835 4) festgestellt, daß die
vom Staate bestätigten Innungen bei Kindern von Personen, denen
das Armenrecht zugestanden sei, sowie bei Lehrlingen, die sich in
Ermangelung der Mittel zur Entrichtung des Lehrgeldes zu einer
längeren Lehrzeit verbindlich gemacht hätten, analog zur unent-
geltlichen Verrichtung der aus der Zunftverfassung entspringenden
Handlungen des Aufdingens und Lossprechens angehalten werden
könnten.
Auf dem Gebiete des Gesellen wesens dagegen, das allerdings
einer Reform besonders bedürftig erschien, sind die ergangenen Regle-
ments und Entscheidungen ziemlich zahlreich. Durch gemeinsamen
1) Ebenda Bd. XVII, S. 490, 492; Bd. XIV, S. 819.
2) Ebenda Bd. XVIII, S. 1100.
3) Ebenda Bd. XV, S. 379.
4) Ebenda Bd. XX, S. 221.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 503
Erlaß des Handelsministers und des Ministers des Innern vom
24. Oktober 1820 1) wurde zunächst festgestellt, daß sich die
Gesindeordnung vom 8. November 1810 nur auf solche Personen be-
ziehe, welche zu häuslichen oder wirtschaftlichen Diensten gedungen
würden, daher also auf G ewerbsgehilfen keine A n wen dun g
finde. Für letztere, soweit sie unzünftig, wären lediglich die Vor-
schriften des 8. Abschnittes Teil. I Tit. II A. L. R. in Geltung. Da
sich die zünftigen Gewohnheiten im wesentlichen erhielten, wurden
auch alle Mißbräuche, die auf der Wanderschaft, beim Zusprechen
oder beim Aufgeben der Arbeit üblich waren, wohl konserviert. Ein
besonderer Mißstand war es, daß die Gesellen häufig ohne die vor-
herige vierzehntägige Aufkündigung die Meister verließen, oder daß
sie sich auch an Werktagen, namentlich an den blauen Montage n,
der Arbeit entzogen. Mehrfach sahen sich daher die Regierungen
veranlaßt2), auf die einschlägigen Vorschriften des allgemeinen
Landrechts mit Strenge hinzuweisen. Dieses bedrohte auch jeden
Herbergsvater, der an einem Werktage, insbesondere am Mon-
tage, einen in Arbeit stehenden Gesellen während der gewöhnlichen
Arbeitszeit bei sich duldete, oder ihm Speisen und Getränke verabfolgte,
mit einer Strafe von 2 — 5 Thalern. Einzelne Gewerke leisteten be-
sonders viel in solchen Unordnungen, und namentlich galt dies von
den Müllern, bei welchen die Kontrolle wegen der Zerstreutheit
ihrer Wohnsitze so wie so schon schwer genug war. Bei den Ver-
sammlungen der Müllergewerke im Königreich Preußen hatte
sich der Brauch ausgebildet, daß hierzu außer den in Arbeit stehen-
den Gesellen auch eine Menge von Feierburschen sich einfanden,
und zwar nicht nur aus preußischem, sondern sogar aus fremdem Ge-
biete. Diese ließen sich tagelang auf gemeinschaftliche Kosten unter-
halten und gaben zu vielen Unruhen Veranlassung. So vereitelten sie
die guten Zwecke der Versammlung, die auf Schlichtung von Streitig-
keiten, Rechnungslegung, Meister- und Gesellensprechen, Annahme der
Lehrburschen, Ablieferung der Beiträge, Bekanntmachung neuer Ge-
setze u. s. w. gerichtet waren und verleiteten außerdem noch or-
dentliche Gesellen zu Müßiggang und Ausschweifungen. Schon durch
Verfügung der Gumbinner Kriegs- und Domänenkammer vom
25. Januar 1806 war daher angeordnet worden, daß kein Feierbursche,
der nicht wenigstens 9 Monate im Jahre in Arbeit gestanden habe
oder schuldlos außer Diensten gewesen sei, keine Verpflegung und
kein Geschenk aus der Lade erhalten solle. Zu den Hauptversamm-
lungen der Provinz, die alle am Montage nach Johanni stattzufinden
hatten, wurden nur bestimmte Gesellen und Altgesellen zugelassen,
insbesondere stellte man den Feierburschen, die sich einzudrängen be-
absichtigten, sofortige Arretierung in Aussicht. Den Meistern verbot
man die Aufnahme solcher Gesellen, die an den Versammlungen teil-
zunehmen nicht berechtigt waren, und machte allen Ratsassessoren und
1) Ebenda Bd. IV, S. 874.
2) Kamptz' Annalen Bd. VII, S. 942.
504 Kurt von Rohrscheidt,
Altmeistern nachdrückliche Strenge zur Pflicht. Namentlich sollte
auch mit Ernst darauf gehalten werden, daß keine verbotenen Zechen
und Schmausereien der Gesellen stattfänden, daß sich letztere von den
losgesprochenen Lehrlingen kein Freibier oder Geld zum Verzehren
geben ließen. Wie sehr diese Verordnung das Schicksal aller Besse-
rungsversuche teilte, nämlich nichts zu nützen, geht wohl schon
daraus hervor, daß die Gumbinner Regierung sie unter dem 15. März
1823 x) von neuem in Erinnerung bringen mußte. Sowie das viele
lästige Ansprechen der Müllergesellen als eine Last empfunden wurde,
so drückend war namentlich in Berlin ein anderer Brauch bei Ge-
sellen und Lehrburschen vieler Gewerke, nämlich der der Neujahrs-
gratulation. Der Minister des Innern erklärte sich daher auf An-
trag des Magistrats unter dem 15. Januar 1825 2) damit einverstanden,
daß diese Sitte abgeschafft wurde.
Vor allen Dingen aber richtete man ein scharfes Auge auf die wan -
dernden Gesellen. Viele Umstände wirkten zusammen , in einzelnen
Regierungsbezirken geradezu einen Notstand herbeizuführen. Da
manche Landesteile durch die Kriege völlig ausgesogen waren, ferner
kurz danach im Jahre 1817 viele deutsche Gebiete unter einem em-
pfindlichen Getreidemangel litten, der große Teurung der ersten
Lebensbedürfnisse hervorrief, so kam es, daß die Handwerksburschen
sich nach den wohlhabenderen Landesteil e n hinzogen und
hier in ungewöhnlich großer Zahl auftraten. Diese wurde noch da-
durch vermehrt, daß die aus den neuen Provinzen der Monarchie
stammenden Gesellen, welche sonst in fremde Staaten gewandert waren,
nun als zum Kriegsdienst Verpflichtete auf den Umfang des preußischen
Staates beschränkt blieben. Bei der Ueberfüllung einzelner Gebiete
nötigte die Unmöglichkeit, bei ihren Zunftgenossen Arbeit und damit
Unterkommen und Verdienst zu bekommen, viele, das Mitleid anderer
anzusprechen, und so nahm stellenweise die Bettelei erschreckend
überhand. Es erschien nun ebenso unbillig als unausführbar, der-
gleichen beim Betteln betroffene Gesellen ohne weiteres und ohne allen
Unterschied in Straf- oder Zwangsarbeitsanstalten zu stecken, da sie
in der Regel nicht in die Klasse der mutwilligen Bettler ge-
hörten, sondern nur aus Mangel an Arbeit und Unterstützung aus den
Gewerksladen zum Ansprechen der Einwohner gezwungen wurden.
Die Regierungen machten daher, wie unter dem 18. August 1817 die
zu Frankfurt a./0. 3), die Magistrate darauf aufmerksam, die Ge-
werke an ihre Verpflichtungen zu erinnern und nötigenfalls aus der
Ortsarmenkasse angemessene Zehrgelder zur Fortsetzung der
Wanderung in die nächste Stadt den Bedürftigen zu verabfolgen.
Die angebliche Unzulänglichkeit der städtischen Armeufonds könne
keinen Grund abgeben, sich von dieser Verpflichtung loszusagen, da
mancher Bürger gern einen erhöhten Beitrag zur Armenkasse zahlen
1) Ebenda Bd. VII, S. 159.
2) Ebenda Bd. IX, S. 217.
3) Kamptz' Annalen Bd. I, S. 210.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 505
werde, wenn er dadurch von der lästigen Hausbettelei befreit würde,
und für die Mitglieder solcher Gewerke, deren wandernde Gesellen
herkömmlich weder von den Meistern, noch aus der Gewerkslade ein
Geschenk erhielten, sei es um so mehr Pflicht, reichlichere Beiträge
zu diesem Behufe zur städtischen Armenkasse zu leisten. Wenn diese
Einrichtungen erst getroffen wären, so dürfe man auch erwarten, daß
niemand durch eine unzeitige Mildthätigkeit in Spendung
von Gaben den Zweck der Polizeibehörden vereitle, sondern jeder die
Ansprechenden an die OrJsarmen- oder Gewerkskassen verwiese.
Die bisherigen Verordnungen bez. der wandernden Gesellen er-
schienen immer mehr einer Revision bedürftig zu werden, vornehm-
lich meinte man die Wanderschaft als Verpflichtung im Interesse
des Handwerks entbehren zu können. Eine Allerhöchste Kabi-
netsordre vom 1. August 1831 1) hob daher die in den Innungs-
artikeln zwangsweise vorgeschriebene Wanderpflicht gänzlich auf.
Da jedoch mit der Bestimmung gewisser Wanderjahre beabsichtigt
und der noch bestehende Zunftverband wesentlich darauf gerichtet
sei, daß die Lehrlinge eines zünftigen Handwerks nach ihrer Los-
sprechung noch eine festgesetzte Zeit hindurch die erlernte Profession
als Gesellen betrieben, so solle kein zünftiger Handwerksgeselle vor
Ablauf der zum Wandern bestimmten Zeit ohne ausdrück-
liche Genehmigung der Provinzialregierung zur Erlangung des
zunftmäßigen Meisterrechts zugelassen werden. In letzterer
Bestimmung lag zugleich die Absicht, zum Besten der Meister die
Zahl derGesellen nicht unter das Maß herabzudrücken,
welches die Zunftverfassung selbst angab, und zum Besten der Ge-
sellen ein vorzeitiges Drängen zum Meisterrechte vor Abschluß
der gewerblichen Bildung zu verhindern.
Ein Ministerialreskript vom 1. September 1832 2) spricht sich
ausdrücklich dahin aus, daß diese Kabinetsordre nicht die Absicht
gehabt habe, die Befugnis zum selbständigen Gewerbebetriebe zu be-
schränken und damit eine wesentliche Bedingung der bisherigen Ge-
setzgebung zu vernichten. Ob es besorglich sei, die Zahl der un-
zünftigen Gewerbetreibenden zu vermehren, könne unerörtert bleiben,
denn durch die Aufhebung der Wanderpflicht werde der Zunftverband
nicht erschwert, vielmehr von einer lästigen Bedingung des Eintrittes
befreit, die manchen habe abhalten können, demselben beizutreten,
oder vielleicht bestimmen müssen, den Zunftverband zu verlassen und
unzünftig zu werden.
Durch Cirkularerlaß vom 24. April 1833 3) übersandte der
Minister des Innern an sämtliche Regierungen ein „Regulativ in
betreff des Wanderns der Gewerbsgehülfen" vom gleichen
Tage zur Verhütung des zwecklosen Umherschweifens mittelloser und
arbeitsscheuer Handwerksburschen, da trotz der genannten Kaoinets-
1) Ebenda Bd. XVI, S. 472.
2) Kamptz' Annalen, Bd. XVI, S. 690.
3) Ebenda Bd. XVII, S. 185 ff.
506 Kurt von Rohrscheidt,
ordre noch eine große Anzahl von Gesellen durch Mißbräuche beim
Wandern das Publikum belästige und die öfientliche Sicherheit ge-
fährde. In diesem Regulativ wurde bestimmt, daß Wanderpässe
oder Wanderbücher nur solchen Inländern erteilt werden
sollten, welche eine Kunst oder ein Handwerk trieben, bei welchem
das Wandern allgemein üblich und zur Vervollkommnung an-
gemessen sei. Ferner mußten die Nachsuchenden unbescholten
und körperlich gesund, sowie außer den erforderlichen Kleidungs-
stücken und Wäsche im Besitze von wenigstens 5 Thalern Reise-
geld sein. Sie durften endlich das 30. Lebensjahr noch nicht
überschritten, auch nicht schon vorher 5 Jahre mit oder ohne
Unterbrechung auf der Wanderschaft zugebracht haben. Die Dauer
der Wanderpässe sollte 5 Jahre nicht überschreiten. Für die aus-
ländischen Gesellen galten noch besondere Bestimmungen. Der
Wandernde konnte zwar die Orte, die er besuchen wollte, beliebig
selbst wählen, mußte aber zunächst der den Paß ausstellenden Behörde
und dann weiter der jedesmaligen Polizeibehörde des Ortes, wo er
Rast machte, den nächsten Bestimmungsort bezeichnen. Von
dieser selbst gewählten Route durfte der Wandernde nicht ab-
weichen; wollte er es doch thun oder erkrankte er auf dem Wege
oder fand Arbeit, so mußte er der nächsten Polizeibehörde, bezw. der
des Ortes, Anzeige machen, damit das Wanderbuch oder der Paß be-
richtigt wurde. Wollte der Wandernde am Bestimmungsorte keine
Arbeit annehmen oder fand er keine, so durfte er nicht über die von
der Polizei festgesetzte Zeit dort verweilen ; die Dauer etwaiger Arbeit
wurde dagegen im Passe vermerkt. Die Fortsetzung der Wan-
derung wurde untersagt und der Geselle mit Zwangsroute zu-
rückbefördert, wenn er von dem Wege abwich, in den Verdacht
zwecklosen Umhertreibens kam, wenn er, abgesehen vom Falle einer
Krankheit, 8 Wochen arbeitslos gewesen war, wenn er um Unter-
stützung angesprochen hatte, und endlich, wenn er ein Verbrechen
beging. Gesellen ohne Legitimation war das Wandern überhaupt
nicht gestattet, solchen, welche schon einmal an den Ausgangsort
zurückgewiesen worden, durfte ein neuer Wanderpaß erst nach Ablauf
von 6 Monaten ausgestellt werden. Bei nochmaliger Zurückweisung
erhielten sie einen Reisepaß überhaupt nicht wieder. Durch Erlaß
vom 19. März 1833 *) wurde bestimmt, daß die sogenannten Frei-
knechte (Knechte der Scharfrichter und Abdecker) überall nicht
zu denjenigen Personen zu rechnen seien, welchen förmliche Wander-
pässe erteilt werden dürften, vielmehr sollten denjenigen von ihnen,
welche sich von einem Orte zum andern begeben wollten, nur gewöhn-
liche, auf ein bestimmtes Reiseziel lautende Reisepässe ver-
abfolgt werden. Ein späteres Reskript vom 30. November
1833 2) führte aus, daß das frühere Wandern der Freiknechte zu
mannigfachen Belästigungen des Publikums und Beschwerden Veran-
1) Kamptz Annalen, Bd. XVII, S. 190.
2) Ebenda Bd. XVII, S. 1060.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 507
lassung gegeben, ja selbst die öffentliche Sicherheit gefährdet habe.
Deshalb und, da diese Leute nicht zu wandern brauchten, um sich in
ihrem Gewerbe zu vervollkommnen, könnten sie keine Wanderpässe er-
halten, und es müsse den Scharfrichtern überlassen bleiben, auf wel-
chem Wege sie sich ihre Knechte verschaffen wollten.
Die Rücksendung des Handwerksburschen an den Ort der
Ausstellung des Wanderpasses war nicht nur zur Vermeidung weit-
läufiger Ermittelungen über die Heimat des Betreffenden angeordnet,
sondern man wollte dadurch auch vermeiden, daß die Erteilung von
Pässen als ein Mittel zur Entfernung lästiger Subjekte be-
nutzt wurde. War dieser Ort der Ausfertigung des Passes nicht auch
zugleich Heimatsort, so verstand es sich von selbst, daß der Wandernde
demnächst dahin verwiesen werden konnte (Min.Reskr. v. 23. Juli
1833 1). Aus diesem Grunde erschien es wünschenswert, daß die aus-
stellende Behörde stets, ev. durch Korrespondenz mit der Heimats-
behörde, die heimatlichen Verhältnisse des Handwerksburschen vorher
feststellte und letzteren so lange zurückhielt, damit später nicht
Umständlichkeiten und unnütze Kosten erwüchsen 2).
Eine Folge der Kabinetsordre vom 1. August 1831 , welche eben
bezweckte, daß nur solche Gesellen das Wandern betrieben, die im
Besitze genügender Geldmittel waren und daher weder ihren Gewerbs-
genossen noch anderen zur Last fielen, war es, daß nunmehr die mit
der Wanderpflicht in Zusammenhang stehende Verbindlichkeit zur
Verabreichung von Unterstützungen an Wanderburschen
wegfiel. Die fernere Aufrechterhaltung dieses Zwanges würde, wie
ein Minis terialresk rip t vom 30. September 1833 3) aus-
führte, zur Folge gehabt haben, daß auch ferner noch mittellose Ge-
sellen zur Wanderschaft angelockt wären und so der Erreichung des
beabsichtigten wohlthätigen Zweckes zum Nachteile der Gewerbe-
treibenden störend entgegengewirkt hätten. Ein späterer Erlaß vom
27. Mai 1834 4) lehnt eine Abänderung der Bestimmungen ab, da
etwa dadurch eintretende Verlegenheiten durch die von fast allen
Provinzialbehörden anerkannten wohlthätigen Folgen aufgewogen wür-
den. Namentlich die Vorschrift, daß niemand , der bereits das 30.
Lebensjahr überschritten oder schon vorher 5 Jahre gewandert habe,
einen Wanderpaß erhalten solle, sei sehr mit Vorbedacht erlassen,
weil der eigentliche Zweck der Wanderschaft, die Vervollkomm-
nung im Gewerbe, nur bei jüngeren Handwerksgesellen vorausge-
setzt und erreicht werden könne, während bei den älteren, wie die
Erfahrung lehre, das fortdauernde Wandern ebenso oft die Ursache
als die Folge einer vorherrschenden Neigung zum müßigen Umher-
treiben sei. Als in demselben Jahre Mühlenbesitzer darum eiukamen,
die Müllergesellen von dieser Vorschrift zu dispensieren, wurde dies
1) Ebenda Bd. XVII, S. 508.
2) Ebenda Bd. XVTI, S. 797.
3) Ebenda Bd. XVII, S. 800.
4) Ebenda Bd. XVIII, S. 519.
508 Kurt von Rohrscheidt,
durch Ministerialerlaß vom 6. Oktober 1834 l) rundweg ab-
geschlagen, weil gerade die Gehilfen dieses Gewerbes die Befugnis
zum Wandern mißbrauchend, in großer Anzahl das Land durchzögen
und belästigten.
Zum Schlüsse dieses Abschnitts wollen wir in Kürze die Hoff-
mann'schen Vorschläge zur Wiederbelebung der Handwerke an-
führen, welche um so interessanter sind, als sie sich mit Bestrebungen
der Gegenwart berühren. Achtbare Gewerke, so meint der geist-
volle Theoretiker, der aber alle seine Theorien auf gründlichen prak-
tischen Erfahrungen aufbaute2), seien vor allem der einzige sichere
Grundstein einer achtbaren Zunftverfassung. Letztere könne da nicht
vorhanden sein, wo nur eine sehr geringe Anzahl an Kenntnissen
und Vermögen gleich dürftige Handwerker ein Gewerk bildeten. Sollte
das Innungswesen vom Verfall zu einem würdigeren Leben gerettet
werden, so wäre es unerläßlich, die Wirksamkeit dieser großen
Anzahl kraftloser Gewerke gänzlich aufzuheben und
Korporationen dagegen einzusetzen, welche eine bessere
Stellung im bürgerlichen Leben behaupten könnten. Freilich scheine
es bedenklich, alle diejenigen Gewerke sofort aufzuheben, denen es an
Kräften fehle, sich in eine solche Korporation zu verwandeln, denn
viele besäßen ein Eigentum, das nicht sogleich nach seinem wahren
Werte veräußert werden könne, andere hätten Schulden, die nur
allmählich abzutragen seien, wieder anderen liege die Unterhaltung
gemeinnütziger Anstalten ob, die nicht ohne Vorbereitung
oder Ersatz aufgehoben werden dürften, und so habe jeder einzelne
dieser Fälle eine eigentümliche, sorgfältige Behandlung nötig. Sicherer,
wenn auch langsamer, werde die Verbesserung des Zustandes der zünf-
tigen Handwerker erreicht, wenn den aufzulösenden Gewerken zunächst
nur die Befugnis entzogen würde, das Meisterwerk zu ver-
leihen und neue Mitglieder aufzunehmen. Während ein
solches Gewerk auf diese WTeise allmählich aussterbe, setzten sich neue
Meister nur mit Genehmigung der Ortsbehörde an, und der veränderte
Zustand des Handwerks werde so allmählich eingeleitet. Gewerke, welche
bedeutend genug seien, um in verbesserter Gestalt erhalten und selbst
mit größeren Befugnissen ausgestattet zu werden, müßten eine be-
trächtliche Anzahl selbständiger Mitglieder haben, die an sich
um so kleiner sein könne, je angesehener und vermögender die ein-
zelnen Meister wären. Hoffmann will bei den so verschieden gearteten
Gewerksverhältnissen keine bestimmte Anzahl vorschlagen, stellt aber
in Frage, ob etwa 24 selbständige, vom Betriebe ihres Gewerbes
wirklich lebende Meister als Mindestzahl genügen dürften. Im allge-
meinen sollten die Mitglieder eines Gewerks auch Mitglieder einer
Ortsgemeinde sein. Handwerke, welche nur auf zerstreut im Lande
umherliegenden Anstalten betrieben werden könnten, wie z. B. die
Müllergewerke, würden allerdings, falls auf dieser Regel streng be-
1) Kamptz' Annalen, Bd. XVIII, S. 1104.
2) Hoffmann, Befugnis z. Gewerbebetrieb, S. 153 ff., S. 206 ff.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 509
standen würde, fast niemals Korporationen bilden können. Da jedoch
für diese ein Verband besonders nützlich wäre, so sei als Ausnahme
den etwa einen landrätlichen Kreis bewohnenden Meistern die Ver-
einigung in eine Korporation zu gestatten.
Solchen Korporationen will Hotfmann ein besonderes Beglau-
bigungsrecht in Gewerksangelegenheiten beilegen, sie sollten für
Verwaltungsbehörden und Gerichte Gutachten abgeben. Ferner ge-
steht er ihnen ein schiedsrichterlichesErkenntnis in Streitig-
keiten ihrer Mitglieder unter sich oder mit ihren Gehilfen und Lehr-
lingen in Gewerbesachen zu, überträgt ihnen die Fürsorge für die
Witwen und Waisen der Korporationsangehörigen und die Er-
haltung milder Stiftungen zu Gunsten der Gewerbsgenossen.
Um diesen Verpflichtungen vollständig zu genügen, müsse außer Zweifel
sein, daß die Mitglieder rechtliche und mit angemessenen Kenntnissen
versehene Männer wären. In Bezug hierauf gebühre ihnen die Be-
fugnis, nach zweckmäßiger Prüfung, namentlich nach Vorlegung eines
probehaltigen Meisterstücks, das Meisterrecht zu erteilen.
Dieses Recht solle einen Anspruch zur Aufnahme in die Korpo-
ration bez. einer andern inländischen Korporation, an deren Sitze sich
der Inhaber niederlassen wolle, verleihen. Wer das Meisterrecht be-
sitze, sei befugt, möge er nun Mitglied einer Gewerbskorporation ge-
worden sein oder nicht, seine Lehrlinge nach beendeter Lehrzeit einer
solchen Korporation zur Prüfung vorzustellen, um ihnen ein Zeugnis
über ihre Fertigkeiten, also einenLehrbrief, zu verschaffen. Letz-
terer diene seinem Inhaber innerhalb des ganzen Staates zum Beweise,
daß er zum Dienste als Geselle gehörig vorbereitet sei. Bei Ver-
leihung des Meisterrechts könne es nur auf eine Entscheidung
darüber ankommen, ob hinlängliche Gewerbskenntnis vor-
handen sei, dagegen bleibe es gleichgültig, auf welchem WTege
dieselbe erlangt worden. Aber keiner Korporation dürfe gestattet
werden, jemanden zur Bewerbung um das Meisterrecht zuzulassen,
der einen anstößigen Lebenswandel führe oder sich durch
schlechte Handlungen öffentliche Verachtung zugezogen habe.
Hoflfmann glaubt, daß in den Vorrechten, welche die Handwerker-
korporationen auf diese WTeise erhielten, Reiz genug liege, die
Aufnahme darin nachzusuchen, daß ihnen ferner ein hinreichender
Einfluß damit zugewiesen wäre, um alles das Gute zu bewirken,
was die Zunftverfassung zu schaffen versuche, und daß dennoch auch
Freiheit genug bleibe, um den üblen Folgen von Anmaßung vor-
zubeugen, welche von den gewerblichen Korporationen mißbräuchlich
versucht werden könnte. Menschen, welche mit Neigung und Kenntnis
an gleichen Orten das gleiche Gewerbe ausübten, würden sich einander
so nahe gebracht, daß sie sich entweder freundlich oder feind-
lich berührten. Es müsse daher jeder Regierung angelegen sein, gute
Beziehungen unter den Gewerbetreibenden derselben Art hervorzurufen
und sorgsam zu pflegen, Anlaß zu Zwiespalt hinwegzuräumen und offenen
Hader oder heimlichen Haß nirgends aufkommen zu lassen. Hierin
liege ein Grund, Genossenschaften, welche sich unter Gewerbe-
510 Kurt von R o hrsch eidt ,
treibenden derselben Art bildeten, zu begünstigen und beson-
ders zur Veredlung der Mittel zu benutzen, wodurch jeder einzelne
Teilnehmer seinen Erwerb zu vermehren trachte. Hieraus folge in-
dessen keineswegs, daß für jedes Gewerbe zunftartige Verbände
mit ausschließlichen Berechtigungen gebildet werden müßten. Wo nicht
besondere Verhältnisse vorlägen, wirkten freieVereine, denen bei-
zutreten niemand genötigt sei, viel wohlthätiger. Solche Vereine,
welche sich nach den wechselnden Bedürfnissen bildeten und auflösten,
zeitweise neue Mitglieder aufnähmen und alte entließen, anerkannt
Besseres freudig ergriffen und, was sich nicht als tüchtig bewähre,
willig aufgäben, seien ganz besonders geeignet, den Fortschritten
an Kenntnis und Bildung Bahn zu brechen, Verirrungen des Gewerbe-
fleißes vorzubeugen und unedle Richtungen desselben durch zeitiges
Ausscheiden auf unbedeutenden Erfolg zu beschränken. Gemeinsame
Anstalten zur Verbreitung von Kenntnissen, zu milden Zwecken, zur
Förderung einer anständigen Geselligkeit seien die natürlichen
Mittelpunkte solcher Vereinigungen. Die Regierung möge zunächst
durch den Vorstand der Orts- und Kreisgemeinden die Freiheit hierin
überall aufrecht erhalten , der Zucht der öffentlichen Meinung Unbe-
fangenheit und Achtung sichern, und entschiedener Unsittlichkeit und
Unlauterkeit strengstes Beharren auf Recht und Ehre ent-
gegensetzen: dann aber ohne Aengstlichkeit und übereiltes Einmischen
der Macht des gesunden Verstandes und der guten Natur freier und
glücklicher Menschen vertrauen. Was in Berlin infolge der Einholung
des Königs und der Huldigung im Herbste des Jahres 1840 durch
gewerbliche Genossenschaften bewirkt worden sei, möge als
Beispiel einer glücklichen Benutzung der Kräfte solcher Vereine in
gesegnetem Andenken bleiben, aber es möge auch nie gemißbraucht
werden, um darauf eine Verteidigung unhaltbarer Mißbräuche
und dem Aufblühen der Gewerbsamkeit feindseliger Anstalten
zu gründen.
IV. Abschnitt.
Die Wünsche der Handwerker; Aufgaben und Pflichten
der Innungen in der Gegenwart.
In meinen früher in dieser Zeitschrift veröffentlichten Aufsätzen *)
sind in ausführlicher Weise die Gründe dargelegt, weshalb in Preußen
zu Anfang dieses Jahrhunderts die alte Zunftverfassung, das Innungs-
wesen alsZwangsanstalt, fallen mußte. Solange die Zünfte des
Mittelalters von sozialer Bedeutung waren, solange nicht nur das Stadt-
regiment, sondern selbst die Staatsgewalt mit ihnen als einer ansehn-
lichen Macht zu rechnen hatte, waren sie ein Gebilde von Saft und
Kraft. Nicht nur allein von dem Streben nach Erwerb und Gewinn
erfüllt, waren sie sich ihrer bürgerlichen Aufgabe voll bewußt. Sie
1) Dritte Folge, Bd. V, Heft 3. 4. 5 u. 6 dieser Jahrbücher: Kurt v. Rohrscheidt,
Unter dem Zunftzwange in Preufsen während des 18. Jahrhunderts.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 511
fühlten sich als Repräsentanten des ehrbaren und wohlhäbigen Bürger-
turas, und wenn sie trotzig den starken Nacken hoben gegen das
städtische Regiment, gegen Rittertum oder bischöfliche Gewalt, so er-
füllten sie im Haushalte des 14., 15. und 16. Jahrhunderts ihre Mission
und brachten die Städte in Flor und Blüte. Der vielverzwei^te Bund
der Zünfte ragte weit über die einzelnen Staatswesen Deutschlands
hinaus, ja erstreckte sich in das deutsche Ausland und bildete einen
eigentümlichen Organismus in und neben dem Staate. Freilich, das
Bewußtsein der inneren Kraft, das Gefühl der eigenen Bedeutung ver-
führte die Zünfte nicht selten zu offenem Widerstand gegen
die Staats- und Reichshoheit, namentlich, wenn es sich um Wahrung
ihrer Sonderstellung, ihrer Bräuche und Eigentümlichkeiten handelte.
Solche Widersetzlichkeit, die sogar in Tumult und Aufruhr ausartete,
wurde um so gefährlicher, je mehr die Staatsregierungen erstarkten
und in Erfüllung ihrer Aufgaben das natürliche Bestreben zeigten, die
Interessen aller Staatsbürger miteinander in Einklang zu bringen,
also die früher notwendig gewesene besondere Bevorzugung ein-
zelner Klassen derselben, soweit sie für andere zu einem Druck
und einer Gefahr wurde, nach Möglichkeit abzuschwächen. Namentlich
begann auch eine Anschauung zum Durchbruch zu kommen, die man
in der Neuzeit eine sozialpolitische nennen würde, daß es nämlich
angezeigt sei, nicht nur im allgemeinen das Publikum gegen zu hohe
Warenpreise zu schützen, sondern insbesondere im Interesse der
Armen eine übermäßige Verteuerung der notwendigen Lebensbedürf-
nisse, also in erster Linie des Brotes und des Fleisches, zu
verhindern. Diese Auffassung ließ zunächst die obrigkeitlichen Preis-
festsetzungen und endlich das große System der Polizeitaxen ent-
stehen, welches sich über den ganzen gewerblichen Verkehr, über
Waren wie Lohnverhältnisse ausbreitete. Wenn man einen Beweis
dafür brauchte, daß das bloße Erwerbsleben auf die Dauer ebenso-
wenig im stände ist, eine ganze Gesellschaftsklasse wie einen einzelnen
Menschen auf der Höhe seiner Aufgabe zu erhalten, so würde die
Geschichte der Zünfte uns diesen Beweis nicht schuldig bleiben. Sie
belegt von neuem die Wahrheit, daß nur die idealen Güter, nur
das Bewußtsein einer großen, nicht rein materiellen Bestimmung, nur
der Gedanke der Pflichterfüllung gegen die Mitmenschen, gegen Fa-
milie oder Volk, dem Individuum sowohl wie einem ganzen Stande
den innern Halt giebt durch das Leben, wie durch die Jahrhunderte
hindurch. Dieser sittliche Kern begann bei den Zünften zu faulen,
als sie keinen Beruf nach außen mehr zu erfüllen hatten , da die
Staatsgewalt stark genug wurde, ohne die eigenmächtige
und eigenwillige Hilfe diesen Korporationen ihrer Bestimmung gerecht
zu werden. Die Zünfte verstanden es nicht, sich in die neue Wen-
dung zu schicken , ihren inneren Beruf zu erfassen , und so kam es,
daß sie sich bald überall in Gegensatz zur Staatsordnung brachten,
daß sie, statt hilfreich und förderlich in der Entwickelung des Ganzen
zu sein, zum steten Hemmschuh wurden.
Je mehr die alten Zünfte an idealen Werten verloren, um so
512 Kurt von kohrscheidt,
mehr zogen sie sich zurück auf das Gebiet, welches ihnen nun allein
noch verblieb, auf den nüchternen Boden des Egoismus. Ihre
Selbstsucht wuchs iu erschreckender Weise, und bald begannen unter
derselben nicht nur die Konsumenten, sondern auch die eigenen Ge-
nossen, sowie das Handwerk selbst zu leiden. Die Innungen setzten
die Preise für ihre Waren genau fest und banden an deren Einhal-
tung die einzelnen Meister. Letztere konnten sich dieser Anordnung
nicht entziehen, wenn sie nicht Gefahr laufen wollten, wegen dieser
Sünde gegen den Zunftgebrauch für unehrlich erklärt zu werden
und künftig weder Gesellen noch Lehrlinge zu erhalten, also der
Verkümmerung und dem schließlichen Ruin anheimzufallen. Dem Pub-
likum half keine Klage gegen solche Teuerung, denn es war ja
genötigt, lediglich bei zünftigen Meistern seine Bedürfnisse zu be-
friedigen, und nur bei einem geringen Teile des Haushaltsbedarfes
konnte wohl gewartet werden, bis ein Markt oder eine Messe Ge-
legenheit zu Einkäufen bot, die wenigstens in gewissem Maße den
Vorteil einer wenn auch beschränkten Konkurrenz genossen. Und selbst
wo Taxen bestanden, halfen dieselben meist nicht viel, da die Meister
sie entweder zu umgehen wußten oder es verstanden, bei ihrer Auf-
stellung eine für sie günstige Norm zu erwirken. Die Taxen waren
daher gewöhnlich höher, als die Preise bei einer freien Konkurrenz
sich gebildet haben würden. Unter diesem Zwange litt auch der
Rechtszustand des Staates selbst, denn in dem Bestreben, billigere
Waren zu erhalten, begünstigten die Abnehmer das Emporkommen
des an sich verbotenen Pfuschertums. Sie gaben ihre Aufträge
und Bestellungen heimlich an sogenannte Pfuscher und Störer,
die die Waren fertigten, ohne als unzünftige und vielleicht nicht ein-
mal handwerksmäßig ausgebildete Leute dazu berechtigt zu sein.
Diese Pfuscher rekrutierten sich gewöhnlich aus Gesellen, die bei
der Ueberzahl der Meister nie hoffen durften, je einmal einen selb-
ständigen Gewerbebetrieb zu beginnen oder aus solchen Gehilfen,
welche sich gegen den Zunftgebrauch als solche verheiratet
hatten und, nun mit dem Makel der Unehrlichkeit behaftet, weder
von einem Meister Arbeit erhielten noch selbst Meister werden konnten,
aber doch eine Familie zu ernähren hatten. Die Zünfte boten freilich
alles auf, diesen heimlichen Gewerbebetrieb zu stören, die wegen ihrer
Billigkeit nicht ungefährliche Konkurrenz zu vernichten. Sie erlaubten
sich eigenmächtige Gewaltthätigkeiten gegen die Pfuscher,
so sehr auch die Gesetze solche Selbsthilfe verboten, und schädigten
dadurch wieder die Rechtsordnung des Staates. Alle obrigkeitlichen
Mahnungen und Drohungen konnten die Bitterkeit nicht tilgen, mit
welchem die Zünfte heimlich und öffentlich ihre Mitbewerber ver-
folgten.
Ebenso wie die Innungen sich in einen Gegensatz zu den Interessen
des Publikums setzten, ebenso mehrte sich ihr Egoismus, ihr Brotneid
gegen den Andrang anderer zum selbständigen Gewerbebetrieb.
Es ist ein ganzes scharfsinniges System von Bedrückungen, Aus-
saugung und:_ Schikanen, durch welches jemand abgeschreckt werden
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 513
sollte, in den Zunftverband einzutreten und den vorhandenen Meistern
und ihren Nachkommen das Brot zu kürzen. Geradezu unfaßbar er-
scheint es uns jetzt, welchen Quiilereien sich ein junger Mann zu unter-
ziehen hatte, der ein Handwerk ergreifen wollte, unter welchem Bann er
stand, ehe er das ersehnte Ziel erreichte. Da wurde die Ehrlichkeit und
Reinheit des Handwerks als Vorvvand gebraucht, Söhnen von unehe-
licher Geburt, Kindern von Verbrechern und von solchen Eltern,
deren Stand mit einem Makel des Vorurteils behaftet war, den Ein-
tritt in die Zunftgenossenschaft überhaupt zu versagen. Dem Auf-
genommenen nahm man ein hohes Lehrgeld ab, legte ihm eine
oft übermäßig lange Lehrzeit auf und verlängerte letztere noch
ungebührlich, wenn der Knabe zu arm war, um das gauze Lehr-
geld zu entrichten. Während der Lehrzeit hatte er sich manche
Hänseleien und oft eine geradezu grausame Behandlung
von Meister und Gesellen gefallen zu lassen, er wurde nicht selten
mit häuslichen Verrichtungen, häufig auch unwürdiger Art,
überbürdet, und wenn er endlich losgesprochen wurde, zahlte er dafür
hohe Gebühren und gab Trinkgelage und Schmausereien, wie sie die
Zunftsitte oder Unsitte für anständig hielt. Der junge Geselle
mußte bei den Zusammenkünften aufwartende Dienste verrichten, war
überall an bestimmte Formen und Formeln bei Ansprache und
Antwort gebunden, mußte auch auf der Wanderung in den Her-
bergen genau den vorgeschriebeneu Handwerksgruß bringen, wollte
er nicht Strafe zahlen oder gar an den Ort seines letzten Aufenthalts
zurückgeschickt werden, um den Gruß von neuem und richtig zu holen.
Er durfte nicht bei einem Meister, der in Verruf erklärt war,
Arbeit nehmen, wollte er nicht selbst in Gefahr kommen, unehrlich
zu werden und die Zunftgenossen meiden zu müssen. Er hatte die
feindseligen und gehässigen Gebräuche zu beobachten, die
ganz verwandte Gewerke in zwei getrennte Lager schied , bloß weil
man vielleicht eine bestimmte Verfertigungsart einer Ware aus thö-
richtem Vorurteil für unpassend hielt. Er durfte sich nicht beikom-
men lassen, einen Selbstmörder abzuschneiden oder aus dem Wasser
zu holen oder ihn zu Grabe zu bringen, wenn er diese menschen-
freundliche That nicht mit den Verlust seiner „Ehrlichkeit" bezahlen
wollte. Wenn seine Mittel ihm nicht erlaubten, eine Bankgerech-
tigkeit zu erwerben oder, wenn er wegen Geschlossenheit der Zunft
oder Ueberfüllung an Meistern nicht daran denken konnte, einen
selbständigen Gewerbebetrieb zu beginnen, mußte er des eigenen
Hausstandes entbehren. Denn wenn er sich als Geselle verheiratete,
traf ihn der Fluch der Unehrlichkeit, der das Zunftmitglied überall-
hin verfolgte, wenn es nur um ein weniges von den Bräuchen und
Mißbräuchen der Gesellschaft abwich. Dagegen mußte er an vielen
Orten , wenn er sich um die Meisterschaft bewarb , dem Gewerke zu-
gleich seine künftige Hausfrau benennen können. Diese in ihrer
ursprünglichen Veranlassung löbliche Sitte wurde mit der Zeit dadurch
verwerflich, daß sie Veranlassung bot, denjenigen den Eintritt in die
Zunft leicht zu machen , welche eines Meisters Tochter oder Witwe
Dritte Folge Bd. VIIJ (LXII1). 33
514 Kurt von Rohrscheidt,
ehelichen wollten , anderen dagegen die Aufnahme noch Möglichkeit
zu erschweren. Waren die Gesellenjahre endlich überstanden, das
„Mutjahr" abgearbeitet, so hatte der Geselle, welcher sich selbständig
machen wollte, ein Meisterstück zu fertigen. Dies sollte ursprüng-
lich sowohl von der Kunstfertigkeit als dem Geschmack des jungen
Handwerkers Zeugnis ablegen , später aber artete diese Prüfung zu
einer raffinierten Quälerei des Stückmeisters aus. Man gab ihm auf,
die seltsamsten, altertümlichsten Gegenstände anzufertigen, die ebenso
ungeheuer kostspielig als unverkäuflich waren, so daß der
Bewerber um die Meisterschaft vielleicht sein ganzes erspartes Kapital
daran zusetzte.
Eine der ergötzlichsten Zunftschikanen in dieser Hinsicht erzählt
Raum er in seinen Lebenserinnerungen (Bd. I, S. 49 fi.), und zwar aus
seiner Referendarzeit in Berlin. Er berichtet; „Eines Tages erschien
der Altmeister der Maurerinnung, um Auskunft über die Beschwerde
eines Gesellen zu erteilen. Man hatte diesem, als er sich um die
Meisterschaft bewarb, aufgegeben: er solle den Plan entwerfen zu
einem Schlosse, worin drei fürstliche Familien wohnen könnten,
ohne sich in die Quere zu kommen ; und zwar solle dies Schloß auf
einem P'ünfeck erbaut werden. Der Altmeister konnte die Schikane
nicht leugnen , welche in der Aufgabe zu Tage lag, schlug aber mit
der Hand auf seinen Bauch und rief: „Meine Herren, wir Meister
haben nicht das liebe Brot!" Da der Mann ungeheuer dick war, ent-
stand ein ungeheures Gelächter, in welches er zuletzt einstimmte."
Auch bei der Anfertigung des Meisterstückes war der Bedrückung
Thür und Thor geöffnet, da die gemachten Fehler entweder mit
Geld abgebüßt werden konnten oder die Zurückweisung zur Folge
hatten. War dieser Engpaß glücklich zurückgelegt, so erwartete den
jungen Meister neue Drangsal, denn während er vorher die beauf-
sichtigenden Meister gehörig hatte bewirten müssen, so mußte er nun
ein Gelage dem ganzen Gewerke, den sämtlichen Meisterfamilien
zurichten, und wie manchem Gesellen sind hierfür die letzten Bar-
mittel draufgegangen , die er zur Ausstattung und Eröffnung seiner
Werkstatt so nötig gehabt hätte! Wie mancher mag mit Schulden
und Seufzen seiu Handwerk begonnen haben, weil er sah , daß er noch
für Jahre hinaus an der Last zu tragen haben würde. Aber dies war
ja das Ziel der ganzen Bedrückung, ein junger Meister in solchen
ärmlichen Verhältnissen war kein gefährlicher Konkurrent, die Menge
der Sorgen und der Mangel an Betriebsmitteln hielten ihn kräftig
nieder. Dagegen wurde den Meistersöhnen nach jeder Richtung
der Weg geebnet, ihnen konnte der Lehrlingsstand ganz erlassen werden,
ihnen wurden überall die größten Erleichterungen zu teil. Man sieht,
die Form des Zunftwesens wurde nach und nach lediglich auf Sicher-
stellung der Meister und ihrer Familien zugehauen.
Das Schwinden der allgemein-sittlichen, nicht individuell-egoi-
stischen, Triebkraft mußte einen Rückgang der Handwerke selbst zur
Folge haben. Die Meister hatten ja das nur auf sie angewiesene Publi-
kum völlig in der Hand, die Bedürfnisse des Menschen traten ein,
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 515
wiederholten und steigerten sich mit der Notwendigkeit eines Natur-
gesetzes, und zu ihrer Befriedigung mußte man sich an die zünf-
tigen Gewerbetreibenden wenden, unter denen keine große Wahl war.
Was Wunder, wenn ein erheblicher Prozentsatz von ihnen es bequemer
fand, die bestellte Arbeit sowohl zu der Zeit, die ihnen paßte, wie
in der Güte, die sie für hinreichend hielten, zu liefern, als die
Wünsche des Auftraggebers zu berücksichtigen. Letzterer mußte auch
mit geringerer Qualität unzufrieden sein, war doch keinerlei Konkurrenz,
in welcher der Antrieb zur bestmöglichen Befriedigung des Kunden
liegt, vorhanden. Ja, man schränkte selbst auf Messen und Märk-
ten, die doch für sie einen, wenn auch spärlichen Ersatz bieten
sollten, die Freiheit des Einkaufens öfter noch dadurch ein, daß man
zu Beginn des Marktes während einer gewissen Zeit nur die Orts-
meister feilbieten ließ. Selbstverständlich kam nun diesen der
erste ungestüme Andrang der Kauflust, die um so ungestümer ist,
weil sie fürchtet, später nicht befriedigt zu werden, allein zu gute.
Auch die gegen Ueberteuerung des Publikums erlassenen Preistaxen
übten wieder ihren Rückschlag auf die Güte der Produkte. Was lag
dem Bäcker, was dem Fleischer an der Güte seiner Waren,
da sein Verdienst für deu Scheffel Mehl oder für jeden Ochsen genau
feststand! Und was hatte wieder der Landmann für ein Interesse,
gutes Schlachtvieh aufzuziehen, da das schlechte und geringe minde-
stens denselben Absatz fand! Ebenso stand es mit den Getränken.
Mußte es dem Brauer nicht ganz gleichgültig sein, wenn sein Bier
nur eine mittlere Güte gewonnen hatte, da es um so sicherer getrunken
wurde, als unter der Herrschaft der Zwangs- und Bannrechte viel-
leicht ein ganzer Distrikt auf seine Produktion angewiesen war? Ein
weiteres Hemmnis in der Entfaltung der Handwerke waren die be-
stimmten Grenzen, die einem jeden gezogen waren, und die Eifer-
sucht, mit der jedes verwandte Gewerk ein etwaiges Ueberschreiten
der gezogenen Schranken belauerte. Die Begriffe verkehrten sich, ein-
ander nahestehende Gewerke, Nachbarn im gewerblichen Sinne, waren
geborene Feinde. Dieser an sich unnatürliche, aber durch die ganze
Zunftorganisation bedingte Zustand verwickelte erklärlicherweise die
Gewerke in eine endlose Reihe von Streitigkeiten, und es wird
uns als Beispiel berichtet1), daß in Frankreich die Schneider
und Trödler mehr als 250 Jahre über die Frage prozessiert hätten,
welche Kleider zu den alten und welche zu den neuen zu rechnen
seien, und obgleich darüber vom Jahre 1500 — 1776 etwa 30 000
Erkenntnisse gefällt wären, so sei der Streit auch 1776 noch nicht
entschieden gewesen.
So verlor sich allmählich die einst inhaltreiche und hochbedeutende
Zunftverfassung in einem Gewirr von Mißbräuchen aller Art, gegen
die der Staat lange, wenn auch vergeblich, kämpfte. Ein Leben ohne
die idealen Güter der Vergangenheit, nur ausgefüllt von den Regungen
1) Lotz, Revision der Grundbegriffe der Nationalwirtschaftslehre (Koburg und Leip-
zig 1813) Bd. III, S. 35, Änm.
33*
516 Kurt von Rohrscheidt,
des Egoismus, hatte der zünftige Meister zu führen. Läppisch ge-
wordenes und oft unchristliches Ceremonienwesen ohne geistigen In-
halt zog seine nüchterne und drückende Fessel um die einzelnen Mit-
glieder des Verbandes. Die früher für Geist und Gemüt bedeutungs-
vollen und erhebenden Formen wurden zu banalen Formeln oder
zur gefährlichen Hemmung in der Entwickelung der Einzelnen wie des
Ganzen. Eine unbehagliche Stimmung lag über der gesamten zünftigen
Organisation. Das Standesgefühl, das Bewußtsein der Meister-
ehre, nach außen hin aufrecht erhalten, schwächte sich nach
innen und daher in seinem eigentlichen Werte ab. Das Gefühl einer
großen Mission , einer Bestimmung für die Allgemeinheit , für den
Staat ging verloren, und der reine Erwerbstrieb, der sehr
niedriger Art ist, sobald er allein den Menschen erfüllt, beherrschte
alle Bewegungen und Bestrebungen. So kam eine Schlaffheit
und Lauheit über die Innnngen, wie sie bei einem Menschen hervor-
tritt, der eine Aufgabe seines Lebens erfüllt hat und die Ziele noch
nicht erkennen kann, für welche ihn die Zukunft bestimmt hat. In
dem bald leisen, bald stärkeren Drängen der Staatsbehörden zu einer
Reform sahen sie nichts weiter als einen Angriff auf ihre geheiligten
Rechte, als einen unerlaubten Versuch, sie dem Untergange zu weihen.
Daher hielten sie mit einer uns fast unverständlichen Starrheit an
den Traditionen der Vergangenheit fest und glaubten unter dem zer-
fetzten Banner ihrer alten Institution auch die neuen Kämpfe sieg-
reich auszufechten. Aber so wenig die Ritterrüstung des Mittelalters
vor der Waffe der Neuzeit standhielt, so wenig schützten das Zünftler-
tum seine von Geschlecht zu Geschlecht vererbten Gewohnheiten vor
den mit Gewalt sich Bahn brechenden modernen wirtschaftlichen An-
schauungen.
Es kam hinzu, daß dem Handwerk immer weniger gesundes
und edleres Blut zufloß. Die Achtung der gebildeten Stände
fehlte ihm, und so zogen diese es vor, ihre Kinder lieber anderen
Berufsarten zuzuwenden, als sie, selbst wenn sie besondere Anlagen für
irgend ein Handwerk zeigten, den Quälereien und der Erniedrigung einer
zünf tierischen Ausbildung auszusetzen. Auch boten die Innungen,
mochten sie nun geschlossen oder nicht geschlossen sein , keine Ge-
währ dafür, daß der junge Mann, wie bereits früher ausgeführt ist,
zu einer naturgemäßen Zeit selbständiger Meister werden konnte, und
ein Leben mit einer überlangen Gesellenzeit eröffnete ihm gerade
keine günstigen Aussichten. Es war aber ganz natürlich, daß eine
Täuschung über die Sicherheit des künftigen Lebeusberufs , die
geradezu durch die Zunftverfassung hervorgerufen worden war, bei
weitem niederschlagender und gar demoralisierender auf den in seiner
Hoffnung Betrogenen wirken mußte, als wenn er ohne andere Hoff-
nungen als die auf seine eigene Kraft und Tüchtigkeit seine Bahn
allein bestimmt und die Gefahr des Gelingens oder des Mißglückens
selbst auf sich genommen hätte.
Aber trotz alledem war der Staat mit einer übermäßigen Geduld
während eines langen Zeitraumes bemüht gewesen, erst durch einzelne
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 517
Verwaltungsakte, dann mittels einer durchgreifen den Reform
(1732 — 1774) die alten Zünfte mit ihren Zwangsrechten zu er-
halten. Es stellte sich jedoch bald heraus, daß man durch Beschnei-
den der Auswüchse nicht den siechen Organismus heilen konnte. Die
Krankheit steckte im Blute, da konnten äußere Mittel keine neue
Lebenskraft geben. Auch kein Elixier aus der Hand des Staates wollte sich
als Verjüngungstrank erweisen, der alte Zunftkörper sank unrettbar
dahin, und der Druck der Zeitumstände traf mit der neuen Weltan-
schauung zusammen , ihm das Grab zu bereiten. Dem Anfang dieses
Jahrhunderts schien es undenkbar, daß das Handwerkswesen in neuer
Gestalt, eine Geburt der neuen Zeit, sich phöuixgleich aus der Asche
erheben könnte. Die Behörden betrachteten, von einem kräftigen Ueber-
druß an allem, was Zunft hieß, erfaßt, die Innungen als abgethan
und überwunden, und die Tendenz der Gesetzgebung ging auf ihre
völlige Auflösung hinaus. Damals schrieb ein Mitglied der Düssel-
dorfer Regierung, der Regierungsrat Freiherr v. Ulmenstein1): „Wir
haben diese Genossenschaften , diese Zünfte gekannt, wir haben unter
ihnen gelebt, wir haben sie in ihren mannigfaltigsten Verzweigungen
und Gestaltungen zu beobachten Gelegenheit gehabt, aber wir müssen
doch der wohlbegründeten Meinung sein, daß sie bloß deshalb vermißt
werden, weil teils die Macht der Gewohnheit sie uns befreundet,
teils, weil seit der Zeit, als diese Institute aufgehört haben, zu leben,
manches sich ereignet, manches sich neu gebildet hatte, was uns fremd-
artig und selbst lästig und unbequem sein mußte. Wir machten als-
dann den Fehlschluß , daß , weil beides , das Aufhören des alten und
das Eintreten des neuen Verhältnisses , so ziemlich gleichzeitig war,
weil das Neue gerade die Stelle des Alten eiunahm, nun auch zwischen
beiden eine Kausalverbindung vorhanden, daß von Ursache und Wir-
kung die Rede sein müsse Jedes Institut von historischer
Begründung, wie die Zünfte, zerfällt auch in der Regel mit der
Zeit, welcher es seine Bildung verdankt. Haben die Zwecke aufgehört,
so bleiben gewöhnlich nur die Mißbräuche übrig, oder diese
bilden vielmehr ein ganz neues, der früheren Bestimmung ganz frem-
des Institut. Wenn der Kern der Frucht verschwunden oder von dem
Wurme zernagt ist, so braucht die Schale nicht länger aufbewahrt zu
werden. Daß die kriegerische Bestimmung der Zünfte aufgehört
habe, wird uns jeder zugestehen, die frühere gewerbliche ist auch
nicht mehr vorhanden. Die Gewerbe bedürfen nicht ferner eines be-
sonderen Schutzes in der Verbindung ihrer Genossen; es sind keine
Geheimnisse mehr zu wahren, kein Gewerbe ist mehr auf mühsamem
Wege zu erlernen. Die Theorie jedes Handwerkes ist längst bekannt
und beschrieben, und es kommt nur auf die Erlernung der mechani-
schen Fertigkeiten, der Handgriffe und auf die Anwendung der Ma-
schinen an. Bloß mit dem staatsrechtlichen oder staatswirtschaft-
lichen Zwecke wird noch ein Spiel getrieben, durch welches gewisser-
1) Frhr. v. Ulmenstein, Die preufsische Städteordnung und die französische Kommu-
nalordnung (Berlin 1829), S. 97 ff.
518 Kurt von Rohrscheidt,
maßen in die gewerblichen Verhältnisse etwas Aehnliches gebracht
werden soll, was man durch die veraltete Rittertümlichkeit des Mittel-
alters unter den höhereu Ständen wieder einzubürgern beab-
sichtigt.
Wir möchten vorab bestreiten, daß das genossenschaftliche
Aneinanderschließen Gewerbetreibender ein so natürliches
Bedürfnis sei. Das Anschließen des Menschen an die Familie, an die
Kommune, an den Staat liegt tief in ihm begründet; die Natur, die
Religion und das Bedürfnis, seiner höheren Bestimmung zu genügen,
drängen ihn hierzu ; was noch dazwischen eingeschoben wird, ist Menschen-
werk und muß besonders in unserer Zeit störend und hindernd ein-
wirken. Es ist auch durchaus unwahr, daß die meisten und wichtig-
sten Gewerbe, aller Störungen ohnerachtet, in einer Verbindung geblie-
ben seien. In den östlichen Provinzen des preußischen Staates
wurden die Zünfte gar nicht aufgehoben, als die Staatsverwaltung die
Gewerbefreiheit aussprach ; sie bestehen noch und haben gerade durch
ihr Bestehen der guten Sache der Gewerbefreiheit sehr gescha-
det. Im Besitze von Vermögen, Häusern, gemeinschaftlichen Kassen,
Fundationen, und was die Hauptsache ist, im Besitze von ausgebrei-
teten Verbindungen unter sich, üben sie noch eine sehr große Ge-
walt über diejenigen Handwerker aus, welche, ohne ihnen beizutreten,
ein Gewerbe treiben wollen. Wir können , auf gute Autoritäten ge-
stützt, hier selbst die Stadt Berlin als Beispiel anführen. Die so-
genannten Pfuscher, deren Zurückgehen und Verarmen gewöhnlich
als ein Beweis gegen die Freiheit der Gewerbe angeführt wird, sind
häufig durch den Zunftgeist unterdrückte Handwerker.
Es ist daher durchaus nicht befremdend, daß da, wo man die Zünfte
nicht aufhob, wo man ihnen sogar die W'afl'en zum Kampfe gegen die
Gewerbefreiheit belies, die Gewerbe in einer Verbindung, ähnlich der
früheren, verblieben sind. In den westlichen Provinzen dagegen,
wo unter der französischen Herrschaft die vollständige Aufhebung der
Zünfte erfolgte, sind auch keine Spuren der letzteren zurückge-
blieben, denn die Gesellenhandwerksladen, welche noch in mehreren
Städten des vormaligen Großherzogtums Berg bestehen, und woran
alle Gesellen des In- und Auslandes, sie mögen zünftig oder nicht
zünftig sein, teilnehmen, und die damit verbundeneu Gesellenherbergen
sind durchaus nicht dahin zu rechnen. Gerade in diesen Provinzen
war auch bereits früher teils gar kein , teils ein sehr gemilderter
Zunftzwang vorhanden, und eben diese Freiheit des Gewerbes hat so
wesentlich zu der gewerblichen Aufnahme der Grafschaft
Mark und des eigentlichen Großherzogtums Berg beigetragen, daß,
wenigstens in der früheren Zeit, man sehr wohl diejenigen Bezirke,
in welchen die meiste Gewerbefreiheit anzutreffen war, an ihrer indu-
striellen Betriebsamkeit und der Vorzüglichkeit ihrer Gewerbeerzeug-
nisse erkennen konnte. Die Grafschaft Mark hatte noch in dem letzten
Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts geschlossene Zünfte , und das
platte Land war in dieser Beziehung der Städtetributär, als die oberste
Verwaltungsbehörde mit Zustimmung der damaligen Landstände es
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 519
auswirkte, daß die städtische Thoraccise der Hauptsache nach auf-
hörte, das platte Land es übernahm, einen bedeutenden Teil des da-
durch in den Landeskassen entstehenden Ausfalles zu decken und sich
dadurch Freiheit des Handels und der Gewerbe zu erkaufen. Noch
nicht sehr lange hatte aber diese Einrichtung bestanden , als m;in
schon bei vielen Gewerben die geschickteren Arbeiter und ein reges
gewerbliches Leben auf dem platten Lande, da aber, wo
die städtischen Zünfte noch geblieben waren , gerade das Gegenteil
antraf. Die bereits früher begründeten Fabrikenverhältnisse
sind hierbei gar nicht in Anschlag gebracht worden.
Gegenseitige Mitteilungen über Stand, Fortschritte, Hindernisse
und Bedürfnisse des Gewerbes sind durch die Zünfte eher gehemmt
als befördert worden ; Geheimniskrämerei, Handwerksneid und ein An-
kleben an den alten Formen waren die charakteristischen Kennzeichen
der Gilden und Innungen, und die Geschichte der Gewerbe hat es
erwiesen, daß gerade diejenigen Kunstfertigkeiten, deren Erlernung und
Betrieb größtenteils unabhängig von dem Zunftverbande war, sich
vorzugsweise vervollkommnet haben oder doch wenigstens nicht
zurückgeblieben sind. Wir wollen als solche nur die Uhrmacher, die
Gold- und Silberarbeiter, wenigstens in den meisten Städten, und die
sogenannten Mechaniker — Verfertiger von mathematischen Instru-
menten u. s. w. — hier namhaft machen. Für die Kontrolle der Ge-
sellen, für die Zurechtweisung der Faulen und Sittenlosen war auch
nicht zum besten gesorgt, wenn es erlaubt ist, von den Her-
bergsgelagen, von den blauen Montagen, dem Fechten und Betteln der
Handwerksgesellen und dem rohen Pennalismus — wenn wir dies Wort
hier gebrauchen dürfen — welche in diesen Verbindungen herrschten,
einen Schluß zu ziehen. Alle diese Ausgeburten sind eben Schöpfungen
der Zünfte und konnten nur mit diesen fallen. Die Erziehung durch
die Körperschaft scheint uns die mangelhafteste zu sein, welche
es nur irgend geben kann. Durch das Leben muß der Mensch erzogen
werden, das Leben in der Körperschaft ist aber kein freies, son-
dern ein höchst befangenes Treibhaus- oder Mistbeetleben. Gesetz-
mäßige Freiheit in dieser Beziehung ist das höchste Gut des Menschen.
Die Geschichte aller enggeschlossenen und keine freie Bewegung ge-
stattenden Körperschaften, sie mochten geistliche oder weltliche sein,
hat gezeigt, wohin der Geist der Klausur, der Geist der Kaste führt:
zur Entnervung, zur Abstumpfung des Volkes
Möge doch in dem Gebiete der staatswirtschaftlichen Politik nur
immer das Klare, das Einfache, das Natürliche und Unverkünstelte
seine wohlerworbenen Rechte behaupten und das Verkünstelte , Ver-
schrobene und in ein mataphysich-mystisches Dunkel Gehüllte ver-
drängen ! Die neueste Zeit hat uns so manches wiedergebracht , was
besser der Vergessenheit übergeben gewesen wäre ; wir haben uns vor
unserem eigenen Schatten gefürchtet, wir haben es bitter bereut, ein-
mal etwas kühn und frei gedacht und geschrieben zu haben, wir haltei.
es für einen Fieberparoxismus, unsere Vernunft und bloß diese ge-
braucht zu haben ! . . . . Das heilige Interesse der Menschheit undades
520 Kurt von Rohrscbeidt,
Staates bindet inniger als eine Zunft. In der Stuben luft der ge-
schlossenen Korporation artet der Mensch aus, er bedarf der freien
Luft, des Lichtes, der Wärme, wenn er gesund bleiben soll. Der
Egoismus der Korporation ist der furchtbarste , den es geben
kann, aus ihm ist die Intoleranz aller Jahrhunderte hervorgegangen,
Ströme Blut sind durch ihn vergossen worden; durch ihn aufgereizt,
hat die Inquisition ihre Scheiterhaufen erbauet, und aus seiner
Hand die Mordfackel empfangen, um Andersdenkende dem Feuertode
zu weihen."
Aus diesen Worten spricht der ganze Widerwille, den die
Behörden aus der auf Erfahrung beruhenden Ueberzeugung gewonnen,
daß nämlich alle Reformversuche nichts genützt hatten, die Zünfte einer
ihrer Vergangenheit würdigen Zukunft entgegenzuführen. Man betrach-
tete es vielmehr noch als einen großen Fehler, daß die Gesetzgebung
von 1810 und 1811 nicht das ganze Zunftwesen mit Stumpf und Stil
vertilgt, sondern die bestehenden Innungen neben dem freien
Gewerbebetriebe erhalten hatte. Bald danach änderte sich allerdings
der Standpunkt erheblich, als man sah, daß von der Auflösungs-
befugnis, welche den Innungen das Gesetz gab, so gut wie gar
nicht Gebrauch gemacht wurde, als die Zünfte ihre Existenzberech-
tigung zu einer Zeit bewiesen, da der Staat sie zu vernichten trach-
tete. Man kann freilich kaum beurteilen, wie die Verhältnisse sich
würden gestaltet haben, wenn im ganzen Staate wie in den westlichen
Provinzen die alten Verbäude durchweg beseitigt worden wären.
Daß man die alten Zünfte, wenn auch ohne Zwangsrechte, gleichwie
eine Erinnerung an die Vergangenheit und eine Ermunterung für die
Zukunft, bestehen ließ, gab der Situation ein eigentümliches, etwas
unklares Gepräge. Man kann nicht wissen, ob die Gewerbetreibenden
sich nicht doch in den neuen Zustand der Dinge hineingefunden hätten,
wenn ihnen nicht immer die Wahrzeichen der alten Zeit vor Augen
standen. Jedenfalls lag etwas Widerspruchsvolles in der Er-
haltung der bisherigen Verbände und in dem Verbot von Neubildungen.
Wenn jene dem Staatswohle nicht gefährlich waren, was sollten neue
Vereinigungen schaden , da man ihnen ja die drohende Kralle des
Zwanges beschnitten hatte. Man kam daher bald genug zu der Ueber-
zeugung, daß diese Inkonsequenz abzustellen und die Neugründung
fakultativer Innungen zu gestatten sei. Sah man doch die
Uebelstände, welche im Gefolge der Gewerbefreiheit eingezogen waren,
namentlich Vagabundentum und vielfach mangelnde Ausbil-
dung der Lehrlinge und Gesellen. Beide Uebel wären voraussicht-
lich von den Innungen, auch in ihrer loseren Verbindung, erheblich
abgeschwächt worden, und die Pflege der Standesehre und des berech-
tigten Handwerksstolzes konnte in ihnen wieder eine Heimstätte finden.
Dies war die veränderte Stellung, welche schon, wie wir bereits früher
ausgeführt haben, Hoffmann einnahm, als er vorschlug, die mit nur
einergeringenAnzahlvon Meistern besetzten alten Zünfte, die
bloß als ein Ballast für das Handwerk erschienen, aufzulösen, dagegen
neue, größere und wohlhabende Korporationen aus den
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 521
Ortsmeistern eines Gewerbes zu bilden und ihnen gewisse wichtige
schiedsrichterliche, erzieherische und andere Befugnisse zuzuweisen.
Er nannte solche Verbände jedenfalls nur deshalb Korporationen und
nicht Innungen, um den Irrtum zu vermeiden, daß sie wieder
mit Zwangsrechten ausgestattet werden sollten. In der späteren
Zeit ist das Innungswesen von neuem mehr und mehr in die Mitte des
Gewerberechts eingerückt und zum Kernpunkt der Gewerbegesetze
geworden.
Sehen wir uns noch kurz die jetzige Gestaltung des Inuungs-
wesens an! Was Hoffmann noch 1840 für die Innungen wünschte
und zu ihrer Reformation für nötig hielt, genossenschaftliche Verei-
nigung, Zufluß aus den gebildeten Ständen, das Wohlwollen der Regie-
rung, alles das haben sie jetzt erreicht und genießen die Früchte
davon. Der Zusammenschluß in neue Verbände ist befördert, und
letztere selbst sind mit den wertvollsten Vorrechten ausgestattet, die
Meister vereinigen sich zu gemeinsamer Produktion und werden da-
durch leistungsfähig selbst gegenüber dem außerhalb der Innung ste-
henden Großkapital. Das Handwerk steht wieder durch seine erwor-
bene Bildung und Leistungsfähigkeit hochgeachtet da, und das Wohl-
wollen der Regierung für dasselbe ist ein unbestreitbares. Auch das
Mißverhältnis zwischen der Anzahl der Meister und Gesellen ist nicht
mehr von der Bedeutung, wie sie noch Hoffmann erwähnen mußte,
seitdem die menschliche Hilfe und Arbeitskraft im Kleinbetriebe viel-
fach durch Maschinen ersetzt und ergänzt werden kann. Und
doch hat sich in der Lage wenig geändert! Die Klagen des Hand-
werks sind dieselben geblieben wie ehemals, und wenn die Prophe-
zeiungen, welche bei Erlaß jedes Gewerbegesetzes im Laufe des Jahr-
hunderts ausgesprochen wurden , sich auch nur teilweise bewahrheitet
hätten, so wäre das Fahrzeug des Handwerks längst rettungslos dem
Abgrunde zugetrieben. Worau liegt es also, daß alles Wohlwollen
des Staats, alle genossenschaftlichen Bestrebungen so rein erfolg-
los sollen gewesen sein? Es sind zwei Punkte, auf welche sich die
Klagen konzentrieren: das immer noch darniederliegende St and es -
bewußtsein, teilweise resultierend aus einer mangelhaften Aus-
gestaltung des Lehrlingswesens, und der nicht genügende
materielle Gewinn aus dem Handwerksbetriebe. Daß es
notwendig ist, daß es auch im Gange der ganzen Gesetzgebung
liegt, einesteils dem Meistertitel wieder zu seinem alten Rechte
zu verhelfen, andererseits größere Garantien gegen die oft oberfläch-
liche, ja gewissenlose Ausbildung der Lehrlinge zu schaffen,
muß ohne weiteres zugestanden werden. Es ist auch sicherlich richtig,
daß der Eintritt in die Innung Rechte verleihen muß, welche be-
gehrenswert sind , damit nicht alle kapitalkräftigen Unternehmer,
welche den Anschluß an einen Verband materiell nicht brauchen und
aus Standesrechten sich nichts machen, außerhalb der Innung bleiben.
Wenn aber jetzt darüber Klage geführt wird, daß nicht alle
Handwerker einen ausreichenden Gewinn erzielen, so wird das
wohl eine Klage sein, die in Ewigkeit nicht verstummen kann. War
522 'Kurt von Rohrscheidt,
es denn zur Zeit der alten Zünfte mit ihren gemeinsamen Zwangs-
rechten anders? Man lese nur die Berichte aus dem vorigen und zu
Anfang dieses Jahrhunderts über die Ueberfüllung der Gewerbe
in vielen Städten. Oft war nur die Hälfte der vorhandenen Meister
imstande, sich einigermaßen von ihrem Gewerbe zu nähren, während die
andere Hälfte Gesellendienste verrichtete oder sich als gewöhnliche Arbeiter
verdung, um nur ihre Existenz zu fristen. Wo die Zünfte geschlossen
waren, da wurde allerdings den einmal vorhandenen Meistern ein ausgie-
biges Einkommen gesichert. Wie stand es aber um die Gesellen, die in das
Mannesalter eintraten und sich vergeblich nach einer offenen Meister-
stelle umsahen. Sie konnten keinen Hausstand sich schaffen, zogen
unstät auf der Wanderschaft umher und verlotterten und verbummelten.
Die besseren trugen die Knechtschaft langjährigen oder ewigen Ge-
sellentums mit sich herum, ohne die belebende Aussicht, das Ziel des
normalen Menschen, die Gründung einer Familie, zu erreichen. Die
kräftigsten Elemente befreiten sich auch wohl gewaltsam von der nach-
schleppenden Kette, solche Gesellen verheirateten sich ; und da sie dann
meist kein Unterkommen bei einem Meister fanden, machten sie sich
notgedrungen kein Gewissen daraus, ins Handwerk zu pfuschen.
Und glauben denn die Handwerker Jetzt ein besseres materielles
Resultat zu erreichen, wenn alle, welche das Gewerbe betreiben,
genötigt würden, in die Innung einzutreten? Würden die reichen Meister
nicht immerfort in der Lage sein, größere Quantitäten Rohmaterial
anzukaufen, mehr Waren auf Lager herzustellen und so je nach den
Konjunkturen der Zeitverhältnisse besser und billiger zu verkaufen?
Oder denkt man etwa auch hier wieder an die alten Zunftmittel: Fest-
setzung der Warenpreise für alle Mitglieder und Be-
schränkung der Produktion. Möglich, daß auch an die Wieder-
einführung solcher Unmöglichkeiten geglaubt wird! Nein, es ist auch
den heutigen Innungen der Vorwurf nicht zu ersparen, der ihnen schon
von Hoflfmann gemacht wurde, daß sie nur ganz unvollkommene und
dunkle Begriffe von ihren Pflichten gegen die Ortsgemeinden und
gegen den Staat besäßen, derentwegen ihnen doch eigentlich nur die
Rechte einer Korporation beigelegt seien. Wie alle anderen Berufs-
klassen und Stände, so sind auch die Handwerke nur insoweit zu
fördern, als letzteres im Interesse des Gemeinwohls liegt.
Nicht um einzelne Personen zu begünstigen, sondern weil es für den
Staat und das Volk notwendig war, wohlhabende und den Anforde-
rungen der Zeit gewachsene Bürger zu schaffen, deshalb gründete
man die Zünfte, gab ihnen ausschließliche Berechtigungen, Zwangs- und
Bannrechte und schränkte sie ein auf eine bestimmte Anzahl von
Meistern. Es ist daher eine Phrase und nichts als eine Phrase, wenn
jetzt verlangt wird, das Handwerk den Handwerkern wieder-
zugeben, es heißt dies mit anderen Worten nur, das Publikum den
Gewerbetreibenden ohne die Schutzmittel früherer Jahrhunderte auf
Gnade und Ungnade zu überliefern. Aber wir müssen mit gegebenen
Größen rechnen: es ist eine Thatsache, daß das Handwerk die W ieder-
einführung des Zunftzwanges verlangt und daß letztere
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 523
das Ziel der ganzen derzeitigen Bewegung ist. Daß der Zunftzwang
das ganze Heer der polizeilichen Vorsichtsmaßregeln, insbesondere das
ausgedehnteste Taxwesen, wohl oder übel wieder ins Feld rufen
würde, wird zunächst nicht beachtet und soll hier auch nur angedeutet
werden. Alle anderen gewerblichen Fragen, so wichtig sie an sich
sind, wie die des Befähigungsnachweises, die Errichtung von
Handwerkerkammern, spielen doch nur eine Neben rolle gegen-
über der Hauptfrage des Zunftzwanges. In letzterem würde allerdings
der Befähigungsnachweis von selbst enthalten sein. So wünschenswert
es erscheint, aus Rücksichten der Allgemeinheit für gewisse Ge-
werbe, z. B. das Baugewerbe, den Nachweis der zur Ausübung des-
selben erforderlichen Eigenschaften zu verlangen , namentlich wo
die jetzige Spekulation häufig nur den Verlust fremden Kapitals
aufs Spiel setzt und dadurch um so rücksichtsloser wird, so wenig
kann der Befähigungsnachweis als gewerbliche Institution durchweg
zugestanden werden. Die hierüber gemachten Erfahrungen liegen ja
vor. Es würde schon seine äußerlichen Schwierigkeiten haben, bei
dem immer häufigeren Ineinandergreifen verschiedener H mdwerke
zur Hervorbringung eines Produkts den Nachweis der Qualifikation
zu erbringen, noch mehr aber, die Grenze festzusetzen, innerhalb der
er gefordert werden könnte, da der Meister, der auch Arbeiten eines
anderen Gewerbes verrichtet, dies doch nur als Hilfsgewerbe
benutzt und nicht alle Produkte desselben anfertigt. Andererseits
darf auch nicht die Möglichkeit verschlossen werden, daß jemand, der
nicht das Handwerk erlernt hat, aber durch Kapital und Unter-
nehmungsgeist hervorragt, Gesellen oder Meister zur Ausführung
seiner Ideen in seinen Dienst nimmt und so vielleicht nützliche Er-
findungen, deren Ausführuns dem Handwerker ein zu gewagtes Unter-
nehmen sein würde, zum Vorteil des Publikums verbreitet. Die Ge-
schichte des Zunftwesens lehrt auch dem ernsthaftesten und wahr-
haftigsten Freunde des Handwerks oder vielmehr gerade ihm,
daß eine Neubelebung des Zunftzwanges sowohl im Interesse des
Publikums wie der Innungen selbst außer dem Bereiche der
Möglichkeit liegt. Dagegen ist zu wünschen eine fortdauernde Kräfti-
gung der Innungen, um sie lebensfähig zu erhalten und in ihnen den
guten alten Geist wieder zu wecken, der ursprünglich in ihnen
lebendig war, und der unabhängig ist und unabhängig macht von dem
Wandel und den Einflüssen der Zeit, den Geist der Gottesfurcht, der
Vaterlandsliebe, der Meisterehre und des Handwerkstolzes. Möglich
ist es, daß das jetzt wieder mächtig auflebende Standesbewußtsein
künftig in diesem Bette ruhig und segenspendend dahinfließen wird,
wenn es sich erst überzeugt hat, daß es ihm nicht gelingen wird,
die von der Staatsgewalt aufgerichteten Dämme zu durchbrechen und
das Land feindselig zu überfluten.
Das Handwerk steht an einem Wendepunkte, und es fragt sich,
ob es seine Bestimmung endlich erfassen, seine neue geschichtliche
und soziale Aufgabe erfüllen oder innerlich zu Grunde gehen will. Das
Tagelöhnern um den täglichen Erwerb erfüllt nicht den Beruf eines
524 Kurt von Rohrscheidt,
ganzen Standes, und so wird es von den Innungen und nur von ihnen
abhängen, ob man auch auf sie das Wort des Dichters anwenden
kann: „Neues Leben blüht aus den Ruinen." Als nach den Reform-
gesetzen im Anfange dieses Jahrhunderts die Zünfte und, als ihre An-
wälte, die städtischen Behörden fortgesetzt um Wiederaufrichtung
der alten Schranken, um Zurückdrängung der Gewerbefrei-
heit petitionierten, schrieb Hardenberg einmal am 18. März 1817
wörtlich an den Minister des Innern v. Schuckmann1): „Ew.
Excellenz beehre ich mich anliegend abschriftlich mitzuteilen, was ich
an die hiesige Regierung wegen der von dem Magistrate hierselbst ge-
äußerten Besorgnisse über die Wirkungen der Gewerbefreiheit erlassen
habe, indem ich Ihnen ganz ergebenst anheimstelle, überhaupt in Er-
wägung zu nehmen, wie dem Geiste der städtischen Korpo-
rationen eine edlere Richtung zu geben sein dürfte.
Es wird hier allerdings weniger von positiven Vorschriften als von
der Benutzung einzelner Vorfälle und Anträge und von dem Sinne,
in welchem die bestehenden Gesetze gedeutet und ausgeführt werden,
zu erwarten sein." Dies war das rechte Wort! Auch jetzt gilt es,
dem Streben der gewerblichen Verbände eine edlere Richtung zu geben.
Der genossenschaftliche Zusammenschluß zur Förderung des materiellen
Wohls, so wichtig er ist, thut's freilich nicht allein, ein heiliges, sitt-
liches Prinzip muß die Adern des Handwerks durchfließen, die Weihe
der Idee muß sich in neuer Kraft auf dasselbe herabsenken. Selbst-
hilfe thut wahrlich not, nicht bei allem und jedem sollte die Staats-
hilfe als das Allheilmittel angesehen werden. Die alten Zünfte
waren von einer sittlichen Grundgewalt durchdrungen und beherrscht,
so beherrscht, daß sogar ihre Fehler und Schwächen zu Zeiten des
Verfalls auf ursprünglich ehrenwerte Anschauungen zurückzuführen
sind. Abgesehen von ihrer Mission im staatlichen Leben fühlten sie
das Bedürfnis, den Verband so rein, so makellos zu erhalten, als „ob
ihn die Tauben geleseu" hätten. Nicht der Schatten eines Vorwurfs
sollte zum Unheil des Ganzen ein Mitglied treffen können. So war
die „Ehrbarkeit" das unerschütterliche Fundament, auf dem sich
der Zunftbau aufrichtete, und in allen Bräuchen und Formen spiegelt
sich das Bestreben wieder, dieses Fundament unverrückt zu erhalten
und auf dasselbe immer und immer die Handwerksgenossen hinzu-
weisen. „Gott grüße die Ehrbarkeit! Gott grüße das ehrbare
Handwerk! Gott grüße die eh rbaren Meister u. s. w.", das war die
Anrede, wenn ein Geselle ins Gewerk trat. Wenn er wanderte, bekam
er als Unterstützung den Wandergroschen, damit er unehrliche Meister
vermeiden könne. Auf ehrenhaften Umgang wurde strenge gesehen ;
Stände, die im Urteil oder Vorurteil der Zeitgenossen nicht die volle
bürgerliche Ehre genossen, konnten mit den Zünften in keinerlei Be-
rührung kommen. Ferner wurde den jungen Leuten, den Gesellen und
Lehrlingen, bei jedem Akte, den das Gewerk vornahm, die hohe
Stellung seines Berufes, die Bedeutung seines Handwerks eindringlich
zum Bewußtsein gebracht.
1) A. N. I, Vol. IL
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 525
Die leibliche Nahrung trägt viel dazu bei, den Körper des Men-
schen gesund und kräftig aufzubauen, aber seinen eigentlichen Lebens-
odeui verleihen ihm die geistigen Güter, die er sich selbst er-
wirbt, die er allein zu hüten hat und die ihm seine Aufgabe zuweisen
inmitten der Gemeinschaft, in die ihn Gott gestellt hat. Genau so
steht es mit allen engeren Verbänden innerhalb des Staates, nicht
vielen aber ist in der Neuzeit von der Natur selbst eine wichtigere
Stellung angewiesen als den modernen Inuungen. Freilich ist bei
ihnen die Existenzfrage so wenig gleichgültig als beim einzelnen Men-
schen, da ihre befriedigende Beantwortung die Vorbedingung ist
für die Lösung höherer Aufgaben. Daher muß alles mit Freuden be-
grüßt werden, was die Regierungen thun können, um die Handwerker
vor einer übermächtigen Konkurrenz des Großkapitals zu sichern, ihren
genossenschaftlichen Zusammenschluß zu erleichtern. Alle ein-
zelnen einschlägigen Fragen, wie z. B. auch die Vermeidung der Pro-
duktion der Strafanstalten, können hier nicht besprochen werden, sind
aber wohl durchweg diskutierbar. Auch die bessere Ausgestaltung
des Le h r lings wesen s, die Erziehung und Unterrichtung der Lehr-
linge, Hebung des Standesbewußtseins, Führung des Mei-
stertitels lediglich von ordentlich ausgebildeten Handwerkern, alles
dies sind Wünsche, deren Erfüllung nicht nur berechtigt, sondern nötig
erscheint.
Eher aber werden die Innungen sich nicht gewöhnen, den Blick
vorwärts auf die Aufgaben der Gegenwart und Zukunft fest und un-
erschütterlich zu richten, ehe ihnen der Staat nicht gründlich die
Hoffnung auf eine künstliche Wiederbelebung des Zunftzwanges
genommen hat. Es gilt jetzt, nicht ewig mehr zurückzuschauen, son-
dern das Auge abzulenken von den Traumbildern, die die freie Aus-
sicht versperren. Hinter dieser Fata Morgana liegt die Wüste und
keine Oase mit ihren rieselnden Brunnen. Dort lauert in Wahrheit
die Vernichtung, und alle die verheißungsvollen Phantome sind Trug
und nichts als Trug. Lernt die hohen Aufgaben erfassen, die euch
das Leben vorhält, ihr Handwerker, füllt euer Dasein wieder mit
Idealen, strebt und ringt um Schätze, die Motten und Rost nicht
fressen, und ihr werdet euern Handwerksstand hoch halten und lieb
haben als einen Beruf, der Zufriedenheit giebt selbst dann, wenn der
erwartete materielle Lohn ausbleibt. Die Handwerker und ihre
Verbände sind ihrem innersten Wesen nach staatserhaltend, ihre
Weltanschauung geht dahin, quieta non movere, denn eine ruhige Ent-
wickelung des Staatswesens befördert, Umsturz und Unruhe vernichten
sie. Das Spruch wort: „Friede ernährt, Unfriede verzehrt", findet auf
sie eine besondere Anwendung. Die Handwerker sind somit die natur-
gemäßen Gegner der Feinde der Gesellschaftsordnung, sind geborene
Kämpfer gegen die Sozialdemokratie. In solchem Kampfe ist
den Handwerkern wieder eine Aufgabe nach außen hin erwachsen,
würdig derjenigen, welche die alten Zünfte im mittelalterlichen Städte-
und Staatswesen zu erfüllen hatten. Sie können wesentlich helfen
mit ihrer geschlossenen Phalanx, den Staat vor den Gefahren zu
526 Kurt von Rohrscheidt,
schützen, die ihn mit einer neuen Barbarei bedrohen, und erhöhtes
Ansehen, gesteigerte Achtung nur können die Frucht sein, welche das
Haudwerk dabei erntet.
Weiter wäre dringend zu wünschen, daß die Innungen ihre neuen
Aufgaben wieder mit gewissen Formen verbänden, die eine Bedeu-
tung haben, wie dies in den besten Zeiten der alten Zünfte der Fall
war. Man verstehe dies nicht falsch ! Es sollen nicht wieder leere
und öde Spielereien ins Leben gerufen werden, wie sie das ganze vorige
Jahrhundert erfüllten. Vielmehr soll ein neuer Geist in neue For-
men gesenkt werden und durch letztere dem Lehrling wie dem Ge-
sellen und Meister stets von neuem zum Bewußtsein kommen, welche
höhere staatsbürgerliche Aufgabe seiner wartet. Stets soll ihm
seine Bestimmung ebenso wie die Bedeutung seines Handwerks vor
Augen steheD, das Handwerk muß ihm mit der Summe seiner Auf-
gaben nicht nur die Quelle seines Erwerbes, sondern der Quell seines
ganzen irdischen Glückes, kurz das höchste sein, das er kennt. Seine
Pflichten gegen Gott, gegen sein Vaterland und seinen Herrscher
stehen dann nicht mehr außerhalb seines Berufs, er erfüllt sie
zugleich, indem er seinen Handwerkspflichten nachkommt. Sie durch-
dringen ihn völlig mit ihrem sittlichen Wesen und, um dies zu er-
reichen, helfen die Formen mit, denen man sich bei besonderen Ge-
werksakten, z. B. beim Annehmen und Lossprechen der Lehrjungen
bedienen mag. Viele Zünfte haben bereits solche Bräuche, und ich
will aus dem mir vorliegenden Material nur 2 Proben mitteilen von
Ansprachen, wie sie bei einer Innung des Merseburger Regie-
rungsbezirkes üblich sind. Die erste enthält Verhaltungs-
maßregeln, die bei Aufnahme von Lehrlingen gegeben werden,
und lautet:
Bei der Aufnahme als Lehrling wirst Du mit den Pflichten
eines Lehrlings bekannt gemacht, wie folgt :
Wir erwarten mit Recht, dafs Du dem gefafsten Entschlufs, ein
tüchtiger Gesell zu werden, treu bleibst und durch Fleifs,
Aufmerksamkeit und Treue den Grund zu Deinem dereinstigen
Wohle legen wirst. Vergifs niemals, dafs die Lehrzeit nie wieder-
kehrt und Du später schmerzlich bereuen würdest, wenn Du dieselbe
nicht gut angewendet hättest.
Die erste Pflicht ist: Achtung und Liebe zu Deinem
Lehrmeister, denn er ist nun Dein Erzieher und Vater zugleich,
und nur dann wird er es mit Freuden sein, wenn Du durch gutes
Betragen Dich ihm dankbar erweist.
Sei fleifsig! Nur durch Fleifs ist es Dir in Zukunft möglich,
das tägliche Brot auf ehrlichem Wege zu erwerben, denn, wie Du
Dich jetzt gewöhnst, bleibst Du Dein Leben lang. Vergeude nicht
auf Geschäftswegen durch müfsiges Herumtreiben dem Lehrmeister
zum Schaden, jedem Vorübergehenden zum Aerger, die kostbare Zeit.
Müfsiggang ist aller Laster Anfang.
Sei treu! Denke stets, dafs bei der kleinsten Veruntreuung
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 527
der Verräter nie schläft, dafs Gott Dich sieht, wenn Du auch glaubst,
ganz unbemerkt zu sein, und dafs das eigne Gewissen Dich selbst
bestraft.
Brauchst Du irgend etwas Notwendiges, so wende Dich mit Ver-
trauen an Deine Angehörigen oder an Deinen Lehrmeister; sehen
diese die Notwendigkeit ein, so wird man Dir, wenn möglich, dazu
verhelfen; bleibe treu und redlich, ohne dies ist kein Lebens-
gliick denkbar!
Sei bescheiden! Durch Zuvorkommenheit, Willig-
keit und F r e u u d 1 i c h kei t gegen den Lehrmeister, gegen Familie,
Gesellen, überhaupt gegen jedermann, so wirst Du Dir wohlwollende
Freunde erwerben, und Dein Lehrmeister wird bei Dir gewifs und
gern Vaterstelle vertreten.
Sei vorsichtig im Sprechen! Vermeide alles, wo durch
Wiedersagen des Gehörteu Aergernis und Schaden erwachsen könnte;
nur dann ist es Pflicht zu sprechen, wenn Du Schaden verhüten und
Gutes befördern kannst.
Vergifs den Religionsunterricht nicht! Besuche die Kirche,
wenn sich hierzu Gelegenheit bietet; denn ohne Religion giebt es
keinen Trost im Unglück, keinen Frieden in der Seele.
Dem durch gesetzliche Bestimmung gebotenen Foitbildungs-
unterricht komme freudig nach; zeichne Dich gegen den Lehrer
durch anständiges Betragen vor allen anderen aus und sei aufmerk-
sam und fleifsig, denn dieser Unterricht ist von grofsem Nutzen für
Dein späteres Leben, da der Lehrling sonst wenig Gelegenheit und
Veranlassung hat, sich geistig weiter zu bilden.
Wenn Du noch Eltern hast, sei dankbar gegen sie durch
Fleifs, gutes Betragen und erworbenes Lob des Lehr-
meisters; vergelte so einigermafsen die Sorgen und Mühen, die Sie
um Dich gehabt; es ist schwarzer Undank, durch Faulheit und
schlechte Führung der Eltern Leben zu verbittern und Sie um Ihre
Hoffnungen, die Sie für Dich hegten, zu bringen.
Du aber, der Du keine Eltern hast, ehre Ihr Andenken durch
ehrenhaften Lebenswandel; es ist das einzige, was Du
thun kannst, da Sie die Worte des Dankes nicht mehr vernehmen
können.
Schliefslich ermahnen wir Dich, während Deiner Lehrzeit Dir
die gröfste Mühe zu geben, das Handwerk gut zu erlernen und Dir
diejenigen Kenntnisse anzueignen, welche von einem tüchtigen
Gesellen erwartet und verlangt werden.
Gott segne Deinen Lehrlings-Beginn!
Und eine Mitgabe bei Beförderung zum Gesellen lautet:
„Als Lehrling — nun der Lehr' entlassen,
So schrieben wir Dich heute aus ! —
Doch Deinen Stand auch recht zu fassen,
Nimm Du dies Wort noch mit hinaus:
„Wohl hast Du wirklich so Dein Probestück bestanden,
Dafs Dich die Meister reif jetzt zum Gesellen fanden.
528 Kurt von Rohrscheidt,
Hast Dich moralisch gut geführt,
Wie auf dem Zeugnis hier zu lesen;
Du bist mit einem Wort gewesen
Was einem Lehrling wohl gebührt.
So könnten wir denn auch wohl hoffen,
Dafs Du die rechten Wege gehst;
Und dafs Du da die Augen offen,
Wo Du vor einem Kreuzweg stehst,
Dann wohl bedenkst, was Du uns feierlich versprochen,
Dafs Du entehrt, wenn Du Dein Wort gebrochen;
Dran denke stets und leb' gerecht,
Dann fehlt Dir nie der frohe Mut!
Bedenke, dafs, „Wer Sünde thut,
Der ist der Sünde Kneoht!"
Doch ist es schwer, gerecht zu leben
Und niemals wohl aus eigner Kraft!
Drum halt' zu Gott, Er ist es eben,
Der nur das Gute in Dir schafft.
Verleugne nimmer Du den Christenglauben,
Dann kann Dir niemand Deine Krone rauben.
Gehst so als Mann auf rechtem Wege,
Durch Beispiel Du das Handwerk ehrst!
Und wo den Eintritt dann begehrst,
Bist Du willkommen als Kollege."
Gott segne den Beginn deines Gesellen -Lebens!
Solche Worte, einfach und schlicht, werden nicht ganz ohne Ein-
druck am Ohr vorübergehen, sie werden ohne Zweifel das Standes-
gefühl bei den Mahnenden wie bei den Ermahnten rege machen und
im Augenblick der feierlichen Handlung die freudig- stolze Empfindung
bei dem jungen Gesellen erregen: „Diese Rechte und Pflichten empfange
ich als ehrbarer Handwerksgeselle" und es kommt nun auf ihn selbst
an, ob sie ein Gut fürs Leben bilden werden oder nicht. Nur das
eine wäre zu wünschen, daß in diesen Ansprachen die soziale, Staats -
erhaltende Bestimmung des Handwerkers schärfer und eindring-
licher zum Ausdruck gelangte.
Die Einführung des Zunftzwanges wäre auch eine Gefahr für
die Innungen in jeder Beziehung. An Stelle des Vertrauens und
der Achtung würde das Mißtrauen der Mitbürger treten, welche
sich ganz in die Hände der Zünfte gegeben fühlen müßten und keinen
Glauben an deren gute Absichten, die Konsumenten so billig als mög-
lich zu versorgen, haben könnten. Sie würden vielmehr fürchten, daß
die Warenpreise beim Mangel irgendwelcher für die Preisregulierung
bestimmender Faktoren lediglich nach Willkür und zum Schaden
der Abnehmer festgesetzt werden, während die Konkurrenz ein solches
Mißtrauen von selbst beseitigt. Die schiefe Stellung aber, in welche
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 529
die Zünfte durch den Zunftzwang gerieten, müßte ihnen die Erfüllung
ihrer sozialen Aufgaben, die eben nur unter den Gestirnen der
Achtung und des sittlichen Einflusses denkbar ist, völlig unmöglich
machen. Und die Befürchtung der Abnehmer, daß die Zünfte ihre
Macht zur Bedrückung und Uebervorteilung des Publikums unbedenk-
lich gebrauchen würden, wäre nicht ohne Berechtigung. Vermag auch
die Wachsamkeit der Polizei, die Strenge der Rechtspflege und vor
allem die sittliche Bildung des Zeitalters von strafbarer Unrechtlich-
keit zurückzuhalten , so gehört doch eine seltene Kraft dazu , um die
Versuchung zum Gebrauche zwar gesetzlich erlaubter, aber un-
edler Mittel auch dann noch von sich abzulehnen, wenn die Pflicht
der Selbsterhaltung ihn zu rechtfertigen scheint. In den bei weitem
gewöhnlichsten Fällen, sagt Hoffmann x), bleibt das ängstliche Ringen
um einen Anteil am gewerblichen Gewinn nicht unbefleckt von der
Anwendung unedlerMittel, und zuweilen sind diese vorherrschend
in solchem Maße, daß die Gewerbsamkeit im ganzen durch Entsitt-
lichung mehr verliert, als sie durch den geringen Aufwand besser ge-
leiteter Geistes- und Körperkräfte gewinnt, der neben diesem unheim-
lichen Treiben etwa noch besteht.
Auch für die Fortbildung der Handwerker wäre der Zunftzwang
eine Gefahr, das Fehlen des Beitrittszwanges wird dagegen für den
Innungsmeister ein ewiger Sporn sein, seine Produkte so gut und
so billig, als es das Erwerbsbedürfnis nur erlaubt, herzustellen. Er
wird ferner seine soziale Aufgabe mit größerer Freiheit und Unbe-
fangenheit, mit mehr Vertrauen und Ansehen beim Publikum und
darum wirksamer erfüllen, als wenn der Mangel an Kon-
kurrenz ein erklärliches Mißtrauen erzeugte. Nach alledem kann man
sich der Ueberzeugung nicht verschließen, daß, wollte der Staat wirk-
lich dem Drängen nachgeben und die Zünfte wieder obligatorisch ge-
stalten, nicht 10 Jahre vergehen würden, bis er genötigt würde,
diese Einrichtung rückgängig zu machen. Es ist durchaus nicht ein Er-
fordernis, daß überall sämtliche Handwerker Innungsmeister sind2),
ist das Publikum doch schon unter den jetzigen Verhältnissen an
Orten, wo ein besonderer Mangel an Mitbewerb vorhanden ist, manchen
Willkürlichkeiten der Gewerbetreibenden ausgesetzt, die es einfach
dulden muß.
Im alten Reich lebten und starben die alten Zünfte, das neue
Reich legt den neuen Innungen neue Pflichten in seinem Dienste auf.
Es ist zu billigen und es ist notwendig, wenn die Innungen das mit
in die neue Zeit hinübernehmen, was der alten Zünfte bestes Teil
war und was unvergänglich ist, nämlich den Sinn für die Ehr-
barkeit des Handwerks, was Stein zusammenfaßt in die Worte: Er-
ziehung, Meisterehre und Jugendzucht. Es ist freilich von
der Geschichte nicht alles zu lernen, aber doch recht viel. Und aus
1) J. G. Hoffmann, Die Befugnis zum Gewerbebetriebe (Berlin 1841), S. 279.
2) Auf diesem Standpunkte stehen auch die extremsten Zünftler, welche lediglich für
die Innungen das Recht verlangen, die ihnen passenden Handwerker zum Eintritt
in den Verband zwingen zu dürfen.
Dritte Folge Bd. Vin (LXHT). 34
530 Kurt von Rohrscheidt,
der Geschichte der alten Innungen ist wenigstens die eine Erfahrung
zu ziehen, daß, wenn man den neuen Verbänden der Gegenwart
Zwangsrechte beilegen wollte, man damit den Keim der Entartung
in die Innungen hineintragen und den Staat bald genug wieder in
die Notwendigkeit versetzen würde, gegen sie einzuschreiten. Der
menschliche Egoismus, freigegeben und begünstigt wie sonst nie, würde
notwendigerweise zu Schikanen gegen die Konsumenten führen. Der
Zunftzwang müßte außerdem eine professionelle Inzucht und
einen Stillstand oder gar eine Herabminderung der Hand-
werksfertigkeiten im Gefolge haben, da das Publikum ja mit dem zu-
frieden zu sein hätte, was ihm geboten wird. Die modernen Innungen
haben an einer großen staatsei haltenden Aufgabe mitzuarbeiten, aber
um sie erfüllen zu können, sollten sie endlich aufhören, ihre Augen,
wie hypnotisiert, rückwärts zu wenden und mit allem ihrem Sinnen und
Trachten lediglich in der Vergangenheit zu verweilen. Vielmehr sollten
sie vorwärts blicken und begreifen lernen, daß die alten Zwangszünfte
tot sind, und daß es nicht wohlgethan ist, die alten Schläuche hervor-
zuholen, um den neuen Most darein zu thun.
Schon im Jahre 1878 hielt es der damalige Oberbürgermeister von
Osnabrück, Dr. Miquel, für nötig, die Innungen mehr auf ihre
ethischen Zwecke hinzuweisen, und so entstand das von ihm ent-
worfene Statut der dortigen Schuhmacherinnung, das unter dem Namen
des Osnabrücker Statuts weiter bekannt geworden ist1). Nach
demselben sollte die Innung die gemeinschaftlichen gewerblichen Inter-
essen fördern, als besondere Aufgabe war ihr aber zugedacht, durch
Aufstellung und Beobachtung gleichmäßiger Grundsätze auf eine tüch-
tige allgemeine und fachliche Ausbildung der Lehrlinge und
deren gute moralische Führung hinzuwirken; ein gutes Ver-
hältnis zwischen Meistern und Gesellen durch geeignete Maß-
regeln zu fördern und zu erhalten; den Gemeingeist unter den
Meistern zu pflegen, das Bewußtsein der Standesehre, der Rechte
und Pflichten selbständiger Meister gegenüber den Lehrlingen und Ge-
sellen, den Mitmeistern und dem Publikum zu pflegen und lebendig
zu erhalten.
Um also das Gesagte noch einmal kurz zusammenzufassen, so
würden zur Belebung und Erhaltung des Handwerks folgende Wünsche
auszusprechen sein: Nach der materiellen Seite möglichste Be-
förderung der Verbandesbildung, Erleichterung der Darlehnsgeschäfte,
nach der ethischen und idealen Richtung Sicherung der völligen
Lehrlingsausbildung, Verhinderung des Vagabundierens der Hand-
werker, Hebung des Wertes der Meisterschaft, Festigung des Standes-
bewußtseins, endlich aber völlige Durchdringung der ganzen Innung
von dem Bewußtsein ihrer wichtigen Mission im bürgerlichen Leben.
Zu diesem Behufe und zur gleichzeitigen Belebung des Handwerks-
gefühls sind die einzelnen wichtigen Akte im Innungsleben in einer
bedeutungsvollen Form und mit einer gewissen Feierlichkeit zu
1) Hugo Böttger, Das Programm der Handwerker (Braunschweig 1893), S. 133.
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 531
begehen, die Meistern, GeselleD und Lehrlingen das Herz erwärmt in
dem Gefühle, einem geachteten Stande anzugehören, die ihren Geist
erhebt und ihn willig und lebendig macht, sich auch den höheren
Zielen entgegenführen zu lassen. Es ist auch nichts dagegen einzu-
wenden, wenn sich als sichtbares Abzeichen für die Verbände
wieder ein neues, mit dem Geiste ihrer sozialen Bestimmung durch-
setztes und erfülltes, daher inhaltsreiches Ceremonial herausbildet,
das für den Handwerker nicht einen Druck, sondern einen stets be-
lebenden Zuruf, eine kräftige Mahnung bedeutet. Diese Reorganisation
der Innungen muß natürlich im wesentlichen aus diesen selbst heraus-
dringen, muß eine innere Wiedergeburt sein. Allein auch die
Staatsbehörden können dabei viel thun. Ihre Kommissare, kenntnis-
reich und gebildet und von Liebe zum Handwerk erfüllt, werden in
direkter Verbindung mit ihnen bleiben , werden den Versammlungen
beiwohnen und ebenso in der Lage sein, in trägen Geistern die schlum-
mernde Kraft und das scheinbar tote Interesse zu wecken, wie
über das Ziel hinausgehende Bestrebungen auf ihr richtiges Maß
zurückzuführen. Vermöge ihrer Bildung werden sie imstande
sein, bei Formalien etwaige Geschmacklosigkeiten oder Rückfälle in
alte, läppische, schädliche oder bedeutungslos gewordene Bräuche zu
verhindern. Man darf diese Einwirkung nicht unterschätzen, wenn es
gleich eine gewöhnliche Verirrung nicht nur der Gewerbetreibenden ist,
das Eingreifen der Beamten und Behörden mit Mißtrauen zu betrachten
und die Gründe, welche letztere bewegen, nicht allen ihren Anträgen
unbedingt nachzugeben, nicht in deren Einseitigkeit und Unvereinbar-
keit mit den allgemeinen Zwecken des Staatsverbandes, sondern in der
Unwissenheit, den Vorurteilen, der Trägheit oder wohl gar der Eitel-
keit der Beamten, welchen deren Prüfung obliegt, zu suchen. Schon
Hoffmann1) bezeichnet es als eine Frechheit, mit der so häufig
jeder, der im Dienste der Staatsregierung angestellt sei, als ein ver-
ächtliches Werkzeug einer selbstsüchtigen Willkür dargestellt werde,
und betont mit Recht, daß der bei weitem größte Teil der Verbesse-
rungen des Zustandes der Völker, soweit er von der Gesetzgebung ab-
hänge, aus dem Kopfe und dem Herzen tüchtiger Beamten
gekommen sei.
Zur Zeit sind von dem preußischen Handels mini st erium
Vorschläge zu einer Reorganisation des Innungswesens ausge-
arbeitet worden, welche den Innungen vorgelegt worden sind. Sie sind selbst
als ein unverbindliches Ergebnis vorläufiger Erwägungen bezeichnet,
und es ist daher angemessen, weitere Entschließungen abzuwarten.
Da aber der Entwurf der öffentlichen Diskussion unterbreitet ist, so
wird auch an dieser Stelle mit einigen kurzen Worten darauf einzu-
gehen sein. Die Vorschläge sind im wesentlichen die folgenden:
Zur Wahrnehmung der Interessen des Kleingewerbes sind Fachgenossenschaften
und Handwerkskammern zu errichten.
Die Errichtung der Pachgenossenschaften erfolgt innerhalb der Bezirke der
1) J. G. Hoffmann, Die Befugnis zum Gewerbebetriebe (Berlin 1841), S. 382 u. 384.
34*
532 Kurt von Rohrscheidt,
Handwerkskammern. Die Abgrenzung dieser Bezirke wird nach Anhörung beteiligter
Gewerbetreibender von der Landescentralbehörde bestimmt.
Mit Ausnahme des Handels und der in §§ 29 — 30, 31 — 37 der Gewerbeordnung
aufgeführten Gewerbe, aber einschliefslich des Musikergewerbes, soweit es höhere künst-
lerische Interessen nicht verfolgt, gehören den Fachgenossenschaften alle Gewerbetreibenden
an, welche ein Handwerk betreiben oder regelmäfsig nicht mehr als 20 Arbeiter be-
schäftigen. Durch Beschlufs des Bundesrats kann für bestimmte Gewerbe die Be-
schäftigung einer geringeren Zahl von Arbeitern als Grenze festgesetzt werden. Durch
Beschlufs des Bundesrats können bestimmte Gewerbe von der Zugehörigkeit zu den Fach-
genossenschaften ausgenommen werden. Der Beschlufs kann auch für örtlich begrenzte
Bezirke erlassen werden.
Errichtung.
Die Fachgenossenschaften sind, soweit einzelne Gewerbszweige im Bezirke der Hand-
werkskammer hinreichend stark genug vertreten sind, für diese, soweit dies nicht der Fall, für
mehrere Gewerbszweige unter thunlichster Berücksichtigung der verwandten Gewerbe zu
bilden. Die Bildung der einzelnen Fachgenossenschaft erfolgt in ähnlicher Weise wie die
Bildung der Berufsgenossenschaften bei der Unfallversicherung. Jeder Gewerbetreibende
gehört kraft Gesetzes der Genossenschaft seines Faches an. Gewerbtreibende, in deren
Betrieb mehrere Gewerbszweige vereinigt sind, sind der Fachgenossenschaft ihres Haupt-
gewerbszweiges zuzuweisen.
In den Generalversammlungen der Fachgenossenschaft ist stimmberechtigt, wer das
25. Lebensjahr vollendet und seit mindestens einem Jahre im Bezirk der Handwerks-
kammer ein der Fachgenossenschaft angehörendes stehendes Gewerbe betreibt. Personen,
welche zum Amt eines Schöffen unfähig sind, sind nicht stimmberechtigt.
Aufgabe der Fachgenossenschaften ist (obligatorisch) : 1. die Pflege des Gemeingeistes
sowie die Aufrechterhaltung und Stärkung der Standesehre unter den Genossen ; 2. die
Förderung eines gedeihlichen Verhältnisses zwischen Meistern und Gesellen, sowie die
Fürsorge für das Herbergswesen der Gesellen und für die Nachweisung von Gesellenarbeit;
3. die nähere Regelung des Lehrlingswesens und die Fürsorge für die technische, ge-
werbliche und sittliche Ausbildung der Lehrlinge, der Erlafs von Vorschriften über das
Verhalten der Lehrlinge, die Art und den Gang ihrer Ausbildung, die Form und den
Inhalt der Lehrverträge, sowie über die Verwendung von Lehrlingen aufserhalb des Ge-
werbes ; 4. die Entscheidung über die zwischen den Mitgliedern der Fachgenossenschaft
und ihren Lehrlingen entstehenden Streitigkeiten, welche sich auf den Antritt, die Fort-
setzung oder Aufhebung des Lehrverhältnisses, auf die gegenseitigen Leistungen aus dem-
selben, auf die Erteilung oder den Inhalt der Arbeitsbücher oder Zeugnisse beziehen ;
5. die Bildung von Prüfungsausschüssen für einzelne Gewerbe oder Gewerbegruppen zu
dem Zwecke, Lehrlinge und Gesellen auf ihren Antrag einer Prüfung zu unterziehen und
über den Erfolg derselben ein Zeugnis auszustellen.
Die Fachgenossenschaften sind befugt (fakultativ) : 1. Veranstaltungen zur Förderung
der gewerblichen, technischen und sittlichen Ausbildung der Gesellen, Gehilfen und Lehr-
linge zu treffen und Fachschulen zu errichten und zu leiten; 2. über den Besuch der
von ihnen errichteten Fortbildungs- und Fachschulen Vorschriften zu erlassen , soweit
dieser Besuch nicht durch Statut oder Gesetz geregelt ist.
Die Handwerkskammern haben folgende (obligatorische) Aufgaben :
1. die Aufsicht über die Fachgenossenschaften und Innungen ihres Bezirks zu führen,
2. die Durchführung der für das Lehrlingswesen geltenden Vorschriften in den Betrieben
der zu den Fachgenossenschaften gehörenden Gewerbetreibenden zu beaufsichtigen , 3. die
durch das Gesetz auf dem Gebiet des Lehrlingswesens ihnen sonst übertragenen Ob-
liegenheiten und Befugnisse wahrzunehmen, 4. bei der Ueberwachung der auf den Ar-
beiterschutz bezüglichen Bestimmungen der Gewerbeordnung mitzuwirken, 5. für Ar-
beitsnachweis und Herbergswesen zu sorgen, 6. auf Ansuchen der Behörden Berichte
und Gutachten über gewerbliche Fragen zu erstatten.
Die Handelskammern sind befugt (fakultativ): 1. die zur Förderung des Kleingewerbes
geeigneten Einrichtungen und Mafsnahmen zu beraten und bei den Behörden anzuregen ;
2. Veranstaltungen zur Förderung der gewerblichen, technischen und sittlichen Ausbildung
der Gesellen, Gehilfen und Lehrlinge zu treffen und Fachschulen zu errichten.
Die Fachgenossenschaften wählen aus ihrer Mitte die Mitglieder der Handwerks-
kammern. Die Zahl der von den einzelnen Genossenschaften zu wählenden Mitglieder
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang and Gevverbefreiheit. 533
wird nach Anhörung. Gewerbetreibender (Innungen, Gewerbevereine u. s. w.) durch die
höhere Verwaltungsbehörde bestimmt.
Die Fachgenossenschuften und Handwerkskammern können unter ihrem Namen Rechte
erwerben und Verbindlichkeiten eingehen, vor Gericht klagen und verklagt werden. Für
die Verbindlichkeiten der Fachgenosseusehaft und der Handwerkskammer haftet den
Gläubigern nur das Vermögen der Genossenschaft und der Handwerkskammer.
Die den Innungen gesetzlich übertragenen Befugnisse werden insoweit aufgehoben,
als sie sich über den Kreis der Innungsmitglieder erstreckten (§§ e, 100 f ff. der Gewerbe-
ordnung). Die von den Innungen erlassenen Vorschriften dürfen nicht im Widerspruch
mit den von den Handwerkskammern und Fachgenossenschaften in Erfüllung ihrer gesetz-
lichen Aufgaben getroffenen Bestimmungen und Anordnungen stehen. Die Innungen
unterliegen der Aufsicht der Handwerkskammern.
Die bestehenden Gewerbekammeru treten unter entsprechender Aenderung ihrer Ver-
fassung an die Stelle der Handwerkskammern.
Vorschläge für die Re ge 1 u n g des Lehrli n gs w e sens imHandwerk.
Die Befugnis, Lehrlinge zu halten oder anzuleiten, steht solchen Personen nicht zu, welche
1. sich nicht im Besitze der bürgerlichen Ehrenrechte befinden, oder 2. infolge gericht-
licher Anordnung in der Verfügung über ihr Vermögen beschränkt sind. Die Be-
fugnis zur Anleitung von Lehrlingen steht nur denjenigen Personen zu, welche 1. das
24. Lebensjahr vollendet, und 2. entweder in dem Handwerk, in dem die Ausbildung der
Lehrlinge erfolgen soll oder in einem gleichartigen Fabrikbetriebe eine ordnungsmäfsige
Lehrzeit zurückgelegt und im Anschlufs daran eine Gesellenprüfung bestanden oder
mindestens 3 Jahre hindurch jenes Handwerk selbständig betrieben haben. Nach näherer
Bestimmung der Landescentralbehörde wird die Zurücklegung der ordnungsmäfsigen
Lehrzeit durch den Besuch einer staatlich anerkannten Lehrwerkstätte und die Ablegung
der Gesellenprüfung durch das Prüfungszeugnis dieser Lehrwerkstätte ersetzt.
Die ordnungsmäfsige Lehrzeit soll nicht unter 3 und nicht über 5 Jahre dauern.
Die Lehrzeit wird innerhalb der angegebenen Grenzen durch die Handwerkskammer
nach Anhörung der Fachgenossenschaft festgesetzt.
Die Gesellenprüfung erfolgt durch die Innung oder durch einen Prüfungsausschufs der
Fachgenossenschaft ; ist dieser seiner Zusammensetzung nach hierzu nicht geeignet (ge-
mischte Fachgenossenschaft), so erfolgt die Prüfung durch eine von der Handwerkskammer
aus Fachgenossen zu berufende Prüfungskommission. Der Prüfung hat ein von der Auf-
sichtsbehörde bestellter Kommissar beizuwohnen , welcher den Beschlufs der Prüfungs-
kommission mit aufschiebender Wirkung beanstanden kann. Ueber die Beanstandung be-
schliefst die Handwerkskammer. Die Prüfung hat sich auf den Nachweis zu beschränken,
dafs der Lehrling eingehende Kenntnis der im fraglichen Handwerk allgemein gebräuch-
lichen Handgriffe besitzt, diese mit genügender Sicherheit ausübt und über das Wesen
und den Wert der zu verarbeitenden Rohmaterialien unterrichtet ist. Wird die Prüfung
nicht bestanden, so hat die Prüfungskommission gleichzeitig den Zeitraum zu bestimmen,
vor dessen Ablauf die Prüfung nicht wiederholt werden darf.
Die Befugnis, Lehrlinge zu halten oder anzuleiten, kann solchen Personen überhaupt
oder für bestimmte Zeit untersagt werden, welche sich grober Pflichtverletzungen gegen
die ihnen anvertrauten Lehrlinge schuldig gemacht haben oder, gegen welche Thatsachen
vorliegen, welche sie in sittlicher Beziehung zum Halten oder zur Anleitung von Lehr-
lingen ungeeignet erscheinen lassen. In gleicher Weise kann die Befugnis zur Anleitung
von Lehrlingen solchen Personen untersagt werden, welche wegen geistiger oder körper-
licher Gebrechen die fachgemäfse Unterweisung und Erziehung eines Lehrlings nicht
selbständig zu leiten vermögen. Die üntersagung wird auf Antrag dei Fachgenossenschaft
oder der Ortspolizeibehörde, im letzteren Falle nach Anhörunng der Fachgenossenschaft
durch die Handwerkskammer, verfügt. Durch die Landescentralbehörde oder eine von ihr
zu bestimmende Behörde kann die entzogene Befugnis zum Halten oder zur Anleitung
von Lehrlingen nach Ablauf eines Jahres wieder eingeräumt werden.
Durch den Bundesrat können für bestimmte Handwerke Vorschriften über die zu-
lässige Zahl von Lehrlingen im Verhältnis zu den in einem Betriebe beschäftigten Ge-
sellen erlassen werden. Solange solche Vorschriften nicht erlassen sind, sind die Hand-
werkskammern zu deren Erlafs mit Genehmigung der höheren Vorwaltungsbehörde befugt.
Wer den selbständigen Betrieb eines Handwerks anfängt, darf den Meistertitel nur
führen, wenn er eine Gesellen- und eine Meisterprüfung eines Handwerks bestanden hat.
Die Meisterprüfung kann vor einer Innung, vor einer Fachgenossenschaft oder vor einer
534 Kurt von Rohrscheidt,
von der Handwerkskammer aus Fachgenossen bestellten Prüfungskommission abgelegt
werden. Vorsitzender ist in jedem Fall ein von der Aufsichtsbehörde zu bestellender
Kommissar. Die Prüfung darf sich nur auf den Nachweis der Befähigung zur selb-
ständigen Ausführung der gewöhnlich vorkommenden Arbeiten des Gewerbes oder Ge-
werbezweiges und auf das Vorhandensein der zum selbständigen Betriebe des Gewerbes
notwendigen gewerblichen Kenntnisse erstrecken (Bach- und Rechnungsführung). Die
unbefugte Führung des Meistertitels ist strafbar.
Zunächst muß es mit Freude begrüßt werden, daß die Regierung
den Forderungen nach Zunftzwang und Befähigungsnachweis gegen-
über ihren ablehnenden Standpunkt beibehalten und dies in den
Motiven auch ausdrücklich betont hat. Auch die Vorschläge zur Besser-
gestaltung der Verhältnisse der Lehrlinge erscheinen durchaus an-
nehmbar. Diese Fürsorge für den jungen Nachwuchs ist um so nötiger
und dringender, als im Gegensatz zu früher zum Vorteile des Staates
sich sowohl die Söhne der Handwerker selbst, wie Angehörige
der besseren und gebildeteren Bürgerkreise wieder mehr dem Handwerks-
beruf zuzuwenden beginnen. Die schlechten Aussichten, welche
in wirtschaftlicher Hinsicht die gelehrten Beschäftigungen
fast durchgehends bieten, halten viele Eltern davon ab, ihre Söhne
auf die Universität zu schicken, wenn nicht ganz besondere Anlagen
darauf verweisen, da alles in allem genommen das Handwerk bei dem
Erfordernis eines geringeren Kapitals für die Ausbildung einen bei weitem
„goldeneren" Boden hat, als der Gelehrten- oder Beamtenstand. Wenn
daher weitere Garantieen geschaffen werden sollen für die Quali-
fikation der Lehrherrn, ferner für eine genügende Ausbildung
durch Bestimmung der Lehrzeit, durch Anordnung einer Ge-
sellenprüfung, endlich durch ev. Festsetzung der zulässigen
Zahl von Lehrlingen im Verhältnis zu den in einem Betriebe
beschäftigten Gesellen, so können alle diese Vorschriften, im einzelnen
vielleicht noch zu ergänzen, nur rückhaltslose Zustimmung finden. Auch
die Errichtung von Hand werk er kammern kann man, da diese viel-
fach gewünscht worden sind, sich gefallen lassen und dabei abwarten,
ob und welchen Nutzen sie bringen. Das Verbot der Führung
des Meistertitels seitens solcher Personen , welche keine
Gesellen- und Meisterprüfung eines Handwerks abgelegt haben,
muß als ein fördersames Mittel zur Nährung des Standesbewußt-
seins bezeichnet werden. Die geplanten Fachgenossenschaften
sind von einer Seite für nichts anderes erklärt worden , als
die vielbegehrten obligatorischen Innungen, denen vorläufig
noch der Befähigungsnachweis mangele, in welche er aber sehr leicht
eingefügt werden könne. Allerdings kommt nur Unkenntnis und Kurz-
sichtigkeit zu einem solchen Urteil, das die Beitrittspflicht zur Fach-
genossenschaft mit dem Zunftzwange verwechseln kann. Wenn die
Fachgenossenschaften mit etwas Aehnlichkeit haben, so haben sie sie
mit den Korporationen, welche nach § 31 des Gewerbepolizei-
edikts vom 7. Septbr. 1811 gebildet werden konnten, der lautet:
„Wird von Landespolizeiwegen in besonderen Fällen zu einem gemein-
nützigen Zwecke für nötig erachtet, Gewerbetreibende gewisser Art
in eine Korporation zu vereinigen, so ist jeder verpflichtet, dieser
Vor- und Rückblicke auf Zunftzwang und Gewerbefreiheit. 535
Korporation beizutreten, solange er dieses Gewerbe treibt.11 Ferner
haben die Fachgenossenschaften viel Verwandtschaft mit den von
Hoffmann vorgeschlagenen Korporationen, über welche schon
früher gesprochen ist und, welchen er ähnliche Befugnisse zu-
weisen wollte, wie sie der vorliegende Organisationsplan in Aussicht
nimmt. Mit dem Zunftzwange selbst haben die Fachgeuossen-
schaften absolut nichts gemein.. Die Korporationen nach § 31
des Gesetzes von 1811, welche übrigens nur in sehr vereinzelten
Fällen gebildet wurden, waren freilich, ebenso wie die nach dem Hoft-
mann'schen Plane, an Stelle der Innungen und nicht neben denselben
gedacht. Auch hebt Hoflmann ausdrücklich hervor, daß sie in der
Regel aus den Meistern einer Ortsgemeiude zusammengesetzt werden
sollten. Jedenfalls hatte er dabei den Gedanken, daß die gewerblichen
Verbindungen auf lokalem Boden am besten gedeihen könnten, und
daß es daher im Interesse des Staates wie der Innungen sei, letzteren
ihren Nährboden nicht zu entziehen. Wenn die jetzt in Aussicht ge-
nommenen Fachgenossenschaften neben den örtlichen Innungen er-
richtet werden sollen, so wird jedenfalls zu überlegen sein, ob die
letzteren nicht dadurch an Anziehungskraft verlieren und so geschwächt
werden müssen. Ein solches Resultat könnte im gewerblichen
wie im politischen Interesse nicht erwünscht sein. Der Schwer-
punkt einer Innung wird immer die Ortsgemeinde bleiben, da nur mit
dem kräftigsten Lebensgeist erfüllte und inmitten der lokalen Inter-
essensphäre gedeihende Verbände ihre soziale Aufgabe voll erfüllen
können. Wie aber auch das Ergebnis der bevorstehenden Organisation
ausfallen wird, möge es für das gesamte Handwerk mit seinem Ver-
bandswesen wie für das Wohl des Staates heilsam sein, und so rufen
wir zum Schluß den alten Gruß im neuen Siune:
„Gott grüße das ehrbare Handwerk ! !"
536 H. Neumann,
V.
Die jugendlichen Berliner unehelicher Herkunft.
Von
Dr. med. H. Neumann,
Privatdozent an der Berliner Universität.
In Bd. VII der III. Folge dieser Jahrbücher habe ich versucht, die
Lebensverhältnisse der unehelich in Berlin Geborenen zu schildern.
Dieser Versuch mußte sich wesentlich auf die Kindheit der Unehe-
lichen beschränken, da für ihr späteres Lebensalter so gut wie kein
Material vorliegt. Es war dies insofern zu bedauern, als man ver-
muten durfte, daß die eigenartigen Verhältnisse, unter denen die Un-
ehelichen von ihrer Erzeugung an stehen, noch auf das Schicksal der
Erwachsenen eine gewisse Fernwirkung ausüben, und es nicht ohne
Interesse sein konnte, der Bedeutung nachzugehen, welche für die
Funktionen des gesellschaftlichen Organismus die uneheliche Herkunft
eines, wenn auch nur kleinen Teiles seiner Glieder hat. Diese Auf-
gabe läßt sich vorläufig nicht lösen, und ich mußte mich im folgen-
den damit bescheiden , einen kleinen Schritt in dieser Richtung zu
thun, indem ich die Verhältnisse der männlichen Unehelichen bis zum
Beginn der zwanziger Lebensjahre in einigen Punkten aufzuklären ver-
suchte.
Herr Geh.-Rat Prof. Conrad hatte die Güte, mich darauf aufmerk-
sam zu machen , daß in den militärischen Aushebungslisten ein für
unsere Zwecke wertvolles Material zu finden sei, und durch das Ent-
gegenkommen des Herrn Civilvorsitzenden der Ersatzkommission wurde
mir in dankenswerter Weise gestattet, aus den Listen die bezüglichen
Auszüge zu machen 1).
Untersuchungen ähnlicher Art sind meines Wissens nur in Frank-
reich angestellt2). Ihr Ergebnis soll später erwähnt werden, obgleich
1) Ich bin den Herren Rechtsanwalt Holz und Gerichtsassessor Dr. Levinstein in
Berlin, sowie dem Herrn Oberstabsarzt Dr. Villaret in Spandau für ihre freundlichen
Ratschläge zu bestem Danke verpflichtet.
2) Chenu, Recrutement de l'armäe et population de la France 1867 ; Ely „Recrute-
ment" p. 642. Dictionn. encycloped. des sciences medic. — Citiert nach G. Lagneau. De
l'influence de l'illegitimite' sur la mortalite. Annal. d'Hygiene publ. 1876, T. 45, p. 70 ff.
Die jugendlichen Berliner unehelicher Herkunft. 537
es bei der Verschiedenheit der zu Grunde liegenden Verhältnisse nicht
zum unmittelbaren Vergleich herangezogen werden kann.
Zunächst wäre Einiges über das statistische Material zu sagen,
welches für diese Studie benutzt ist. Die Militärbehörde führt über
alle männlichen Individuen in deren Heimatsbezirk Grundlisten, welche
nach den kirchlichen Taufregistern (von 1874 an nach den standes-
amtlichen Registern) aufgestellt werden. Der nachträgliche Eintritt
von Todesfällen und anderen Beurkundungen des Personenstandes wurde
(vor 1874) z. T. durch die Kirchen mitgeteilt, z. T. wird er sonst
amtlich ermittelt. Ueber Bestrafungen erfolgen zu diesen Listen seitens
der kgl. Staatsanwaltschaft Mitteilungen, die zwar nur für das militär-
pflichtige Alter (21. — 23. Lebensjahr) vorgeschrieben sind, thatsäch-
lich jedoch mit wenigen Ausnahmen auch schon für die vorhergehen-
den Lebensjahre gemacht werden. — Auch wenn die Stellung aus-
wärts erfolgt, wird in die Listen des Heimatsbezirkes über das Ergeb-
nis derselben Eintragung gemacht.
Es geben also für die unehelich, sowie — zum Vergleich — für
die ehelich Geborenen die militärischen Listen über die folgenden
Punkte, die uns interessieren, Auskunft: Zahl der Lebenden —
Beruf — Bildungsgrad, gemessen, soweit es sich nicht schon
aus dem Beruf ergiebt, an der Berechtigung zum Einjährig-Freiwilligen-
dienst — Gesundheitszustand — Moralität.
Die Ausdehnung, in der das Material der Listen zur Verwertung
kam, wurde durch die private Natur dieser Studie bestimmt: ich
mußte mich begnügen, Zahlenreihen zu gewinnen, welche die angeregten
Fragen im allgemeinen beantworten ; nur eine amtliche Statistik wäre
in der Lage über viele Jahre hinaus die Verhältnisse im einzelnen
festzustellen; der Zweck dieser Studie könnte als erreicht gelten,
wenn sie hierzu eine Anregung gäbe. Es wurden nur die Listen der
in den Jahren 1868, 1869, 1870 in Berlin Geborenen — z. T.
nur in Stichproben — verarbeitet ; die gewählten Jahrgänge sind die
jüngsten, welche abgeschlossen und daher für unsere Zwecke verwend-
bar waren.
Zahl der Unehelichen im militärpflichtigen Alter *).
Man könnte daran denken , aus den Listen eine Mortalitätstabelle für
die Ehelichen und Unehelichen bis zum Alter von 20 Jahren auf-
zustellen. Doch dürften hierzu die Uebertragungen aus den Kirchen-
registern — besonders bezüglich der im Säuglingsalter Verstorbenen —
zu lückenhaft sein; auch findet sich in den militärischen Listen eine
freilich nur kleine Zahl von Personen vor, deren Verbleib bei der Aus-
hebung nicht festzustellen war, und die daher wegen Verletzung der
Wehrpflicht in contumaciam verurteilt wurden (s. später) ; ein Teil
von ihnen muß als verstorben betrachtet werden. Aber abgesehen von
der Unmöglichkeit, die Zahl der Todesfälle genau festzustellen, ver-
hindert noch ein zweiter Punkt die genaue Berechnung der Sterblich-
1) Militärpflichtig ist jeder Wehrpflichtige vom 1. Januar des Kalenderjahres an, in
welchem er das 20. Lebensjahr vollendet.
538
H. Neumann,
keit. Die Legitimierung der Unehelichen läßt eine große Zahl
von ihnen schon in ihren ersten Lebensjahren in die Reihen der Ehe-
lichen übertreten. In dieser Richtung zeigten sich die Beurkundungen
der Listen so unzuverlässig, daß sich nur ein verschwindend kleiner
Teil der Legitimierungen, die thatsächlich stattgefunden haben müssen,
angemerkt fanden; vielmehr figurieren die Legitimierten meistens als
Ehelichgeborne. Wenn ich daher im Folgenden die Ehelichen den
Unehelichen gegenüberstelle, so sind unter den ersteren stets eine
Anzahl legitimierter Unehelicher; doch dürfte die hierdurch bedingte
Ungenauigkeit kaum ins Gewicht fallen. Hingegen geben die Listen
genaue Auskunft darüber, wie viele von den in einem bestimmten
Kalenderjahr in Berlin unehelich Geborenen — nach Abzug der Summe
von Legitimierten und Verstorbenen — in das militärpflichtige Alter
traten oder, richtiger gesagt, zur militärischen Stellung kamen.
Es waren im Jahre 1869 (bez. 1870) in Berlin in der Ehe 12 380
männliche Kinder lebend geboren (bez. 13 436), außer der Ehe 1991
(bez. 2166). Von diesen stellten sich in den Kalenderjahren, in denen
sie 20 Jahre alt wurden, 6676 (bez. 6818) Eheliche und 279 (bez. 292)
Uneheliche. Von dem Geburtsjahrgang 1868, für welchen ich die ehe-
lichen Militärpflichtigen nicht ausgezählt habe, stellten sich auf 2032
lebend geborene Uneheliche 276.
Diese Zahlen ergeben sich in folgender Weise:
Geburts-
jahr
Militär-
pflichtig
Es gehen ab wegen
Auswanderung oder
fremder Staats-
angehörigkeit
Verletzung der
Wehrpflicht
Es bleiben
Ehelich
1869
6921
jj
1870
7030
Jnehelich
1868
320
!>
1869
320
?)
1870
331
27
56
2
218
156
42
30
6676
68l8
276
279
292
Es waren also von 1000 im Jahre 1869, bez. 1870 ehelich Ge-
borenen 539, bez. 507, von 1000 in den Jahren 1868, 1869 und 1870
unehelich Geborenen 136, 140 und 135 militärpflichtig. Während bei
dem Geburtsjahrgang 1869 (bez. 1870) unter den in Berlin lebend-
geborenen Männlichen 13,85 (bez. 13,88) Proz. unehelich waren, befanden
sich in den gleichen Geburtsjahrgängen zur Zeit ihres ungefähr zwanzig-
sten Lebensjahres nur noch 4,01 (bez. 4,11) Proz. Uneheliche. Es hatte
sich also die Zahl der Unehelichen in der männlichen Gesamtbevölke-
rung bis dahin um das 3,45 — (bez. 3,38)fache verkleinert1).
1) In Frankreich überlebten von den Geburtsjahrgängen 1832 — 1843 ein Alter von
21 Jahren nach den Rekrutierungslisten 654 Proz. Eheliche und 260 Proz. Uneheliche
(nach Chenu, 1. c.) und in den folgenden 4 Jahrgängen 668 Proz. Eheliche und 257 Un-
eheliche. Doch entziehen sich die Grundlagen dieser Zahlen für mich der kritischen
Würdigung.
Die jugendlichen Berliner unehelicher Herkunft 539
Es bedarf keiner Erörterung, dafs sich unsere Zahlen nicht in direkte
Beziehung zu den Sterblichkeitstafeln der Stadt Berlin setzen lassen; im
Gegensatz zu letzteren beziehen sich u. a. unsere Zahlen auf alle in
Berlin Geborenen, ei n schli efslich der aufserhalb Berlins Wohnhaften.
Wie viele von den in den Jahren 1869 und 1870 in Berlin Geborenen
ein Alter von 20 Jahren überlebten, ist überhaupt vorläufig noch nicht
statistisch ermittelt. Nehmen wir z. B. für das Jahr 1869 die Zahl aller
männlichen Geburten (einschliefslich Totgeburten) mit 15 152 und die Zahl
der Militärpflichtigen mit. 7241, bez. nach Abzug der Ausgewanderten und
ausgetretenen Heerespflichtigen mit 6955, so würden n;tch den militärischen
Listen zwischen 477,89 und 459,02 vom Tausend zu 20 Jahren überleben.
Es kamen von den Ehelichgeborenen des Geburtsjahrgangs 1869
sowie von 1000 Ehelichen der Jahrgänge 1868 und 1870 jedesmal
außerhalb Berlins 27,5 Proz. zur Stellung, hingegen von den
Unehelichen der Jahrgänge 1868—1870 40 Proz., und es erscheint
hiernach wahrscheinlich, daß verhältnismäßig mehr Uneheliche als Ehe-
liche dauernd außerhalb Berlins ihren Wohnsitz haben. Immerhin
zeigen uns Zahlen, welche sich weiter unten bei der Besprechung der
Kriminalität finden, daß die uneheliche wie die eheliche Bevölkerung
Berlins schon in der Jugend stark fluktuiert: es muß sich von denen,
die sich außerhalb stellten, eine erhebliche Anzahl mindestens vorüber-
gehend in Berlin aufgehalten haben.
Die Wahl des Berufes pflegt sich nach der sozialen Stellung
und der Vermögenslage der Eltern zu bestimmen. Bei den ärmlichen
Verhältnissen, in denen der größere Teil der Unehelichen aufwächst,
darf man daher von vornherein erwarten, ;daß sie ; besonders zahlreich
in dem Arbeiterstande zu finden sind — und zwar unter denjenigen
Arbeitern, die sich ohne berufliche Vorbildung durch die grobe Ver-
wendung ihrer Körperkraft erhalten. In der That sehen wir die Un-
ehelichen, verglichen mit den Ehelichen, besonders in dieser Klasse vor-
wiegen, während sie hingegen im Handels- (und Hausier-)gewerbe, in der
Post, Telegraphie und Eisenbahn, sowie in den eine höhere Bildung er-
fordernden Berufen entsprechend zurücktreten. (Siehe Tab. auf S. 540.)
Für die Beurteilung der sozialen Stellung ist es von Bedeutung,
ob ein Beruf in abhängiger oder unabhängiger Thätigkeit getrieben
wird; doch ist diese Frage für das Lebensalter, mit dem wir es zu
thun haben, eine müßige, da hier nur ausnahmsweise schon eine selb-
ständige Stellung errungen ist. Z. B. waren von allen Stellungs-
pflichtigen des Jahrgangs 1869 nur 22 Eheliche unabhängig (von ihnen
15 im Handels- und [Hausier-]gewerbe).
Die Berechtigung zum Einjährig- Fr ei willigen dienst
findet sich bei 6736 Ehelichen des Geburtsjahrgangs 1869 in 8,2 Proz.,
bei 481 Ehelichen des Jahrgangs 1868 in 11,4 Proz., hingegen bei 561
Unehelichen der Jahrgänge 1868 und 1869 nur in 1,6 Proz.
Bevor wir zu den Resultaten der ärztlichen Untersuchung über-
gehen, machen wir ersichtlich, wie viele von den in den Listen der
Ersatz-Kommission Geführten, überhaupt zur Untersuchung gelangten ;
die Prozentzahlen sind berechnet für 6904 Eheliche des Geburtsjahres
540
H. Neumann,
Eheliche
Uneheliche
Beruf
Proben aus
1868 und
1870
Proz.
alle Ehe-
liche 1869
Proz.
1868
1869
1870
Proz.
1. Arbeiter (ohne nähere Angabe)
104
10,8
659
9,8
191
22,4
2. Professionisten
347
35.9
2608
38,7
343
40,2
3. Feineres Handwerk1). Berufe
mit einiger technischer Vorbil-
dung 2)
81
8,4
338
5,o
27
3.2
4. Nahrungsmittel , Beherbergung,
Erquickung, Schaustellungen,
Verkehr
67
7,o
469
7,o
63
7,4
5. Land- u. Fortwirtschaft, Jagd,
Gärtner, Fischer, Seefahrt
14
1,3
104
1,5
12
1,4
6. Handels- und Hausiergewerbe
174
18,0
1107
16,4
89
lO,4
7. Schreiber, Verwalter, Zahntech-
niker, Heilpersonal
11
1,1
114
1,7
II
1,3
8. Persönlicher Dienst
25
2,6
146
2,2
32
3-8
9. Post, Telegraphie, Eisenbahn
16
1,7
144
2,1
5
0,6
10. Bildhauer, Maler, Musik, Theater
5i
5,3
316
4.7
36
4,2
11. Aerzte, Beamte, Lehrer, Geist-
liche, Architekten, Apotheker
14
1,3
125
1,9
9
1,1
12. In Berufsvorbereitung s) (hierbei
Studenten)
38
(26)
3-9
269
(I8l)
4,o
8
0,9
13. Almosenempfänger; in Wohl-
thätigkeitsanstalten
1
0,1
17
0,3
1
0,1
14. Ohne Berufsangabe4)
23
2,4
320
4-7
25
2,9
966
6736
852
1869 und für 1000 Eheliche
Uneheliche der Geburtsjahre
der Jahre 1868 und 1870, sowie für 971
1868, 1869 und 1870.|
Eheliche
Uneheliche]
1869
1868, 1870
1868—1870
Untersucht
94,6
92,7
85,8
Dienstunwürdig
0,3
0,6
1,1
Hierzu : bestraft wegen Verletzung der Wehr-
pflicht
3,2
3-3
11,6
Noch ohne endgiltige Entscheidung
1,5
2,4
0,5
Im Besitz einer fremden Staatsangehörigkeit
oder ausgewandert
o,4
1,0
1.1
1) z. B. Uhrmacher, Graveure, Juweliere, Photographen.
2) z. B. Mechaniker, Techniker, Landmesser.
3) Aufser Studenten meist Kadetten.
4) Traten meist unmittelbar von der Schule zum Militär ein.
t>ie jugendlichen Berliner unehelicher Herkunft.
541
Die Verschiedenheit dieser Zahlen bei Ehelichen und Unehelichen
erklärt sich leicht. Es haben mehr Eheliche als Uneheliche noch
keine endgiltige Entscheidung erhalten, weil hierbei meist Einjährig-
Freiwillige in Betracht kommen. Da von den Unehelichen ein be-
sonders großer Teil verschollen ist — ein großer Teil von ihnen wird
verstorben sein — so sind dementsprechend auch von ihnen mehr wegen
Verletzung der Wehrpflicht verurteilt. Die häufigere Dienstunwürdig-
keit der Unehelichen findet an späterer Stelle ihre Erläuterung.
Das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung der Kekruten
wäre in Hinsicht auf die Frage zu prüfen, ob die Ungunst der Ver-
hältnisse, welche die Gesundheit der Unehelichen im Kindesalter außer-
ordentlich schwer schädigt, noch im Beginn des Mannesalters eine
Nachwirkung erkennen läßt. Die folgende Tabelle trennt in Taugliche,
Ersatzreserve, Landsturm und dauernd Untaugliche. Während in die
beiden letzten Gruppen im allgemeinen nur solche gestellt werden, welche
in höherem Maße körperlich minderwertig sind, wurden der Ersatz-
reserve auch durchaus kräftige Leute überwiesen, welche vorübergehend
krank oder mit geringen Fehlern behaftet waren oder nicht das nötige
Körpermaß hatten. Zuweilen werden „nach dem Ergebnis der ärzt-
lichen Untersuchung Taugliche" später wegen bürgerlicher Verhältnisse
reklamiert und daraufhin der Ersatzreserve oder dem Landsturm über-
wiesen: diese sind in unserer Tabelle sachgemäß als Taugliche mit-
gezählt.
Eheliche
1868, 1870 (Stich-
proben)
I Proz.
1869 (sämtlich)
| Proz.
Uneheliche
1868 1869 1870
| Proz.
I. Dauernd untaug-
lich
II. Dem Landsturm
überwiesen
III. Der Ersatzreserve
überwiesen
IV. Diensttauglich
im ganzen
8i
8,8
627
9-6
102
368
39,7
2731
41,7
308
165
17,8
1126
17,2
I70
313
33-8
2065
31.5
25I
927
6549
831
12,3
37,1
20,5
3°, 2
Nehmen wir bei den Ehelichen das Ergebnis der Aushebung vom
Jahrgang 1869 (der vollständig verarbeitet ist) und die Summe der
Stichproben aus den Jahrgängen 1868 und 1870, so schwankt der
Prozentsatz der Tauglichen zwischen 31,5 und 33,8 (bei Zurechnung
der Ersatzreserve zwischen 48,7 und 51,6), beträgt also im Mittel 32,7
(bezw. 50,2). Bei den Unehelichen ist der Prozentsatz der Tauglichen
in den Jahrgängen 1868—1870 30,2 (zuzüglich der Ersatzreserve 50,7).
Es besteht also in dem Prozentsatz der Tauglichen eine kleine
Differenz zwischen Ehelichen und Unehelichen, die sich übrigens bei
Zuzug der Ersatzreserve sofort ausgleicht; eine wesentliche Bedeutung
möchte ich ihr nicht beimessen und muß es von Untersuchungen, die
542 Ö- N e u m a n n ,
in größerem Maßstabe vorzunehmen wären, abhängig machen, ob
eine derartige geringe Verschiebung zu Ungunsten der Unehelichen
als konstant zu betrachten ist. Hierbei würde im besonderen die Taug-
lichkeit der Ehelichen und Unehelichen, getrennt nach Berufen, zu unter-
suchen sein, um den Einfluß der Berufstätigkeit auf die körperliche
Tüchtigkeit auszuschalten *).
Die Analyse der körperlichen Fehler, welche die Ausmusterung
nach sich zogen , läßt ebensowenig eine deutliche Nachwirkung der
ungünstigen Verhältnisse der Kindheit bei den Unehelichen erkennen.
Die hohe Sterblichkeit der unehelichen Kinder läßt vermuten, daß die
am Leben bleibenden in ihrer Gesundheit häufig dauernd schwer ge-
schädigt sind, und es wäre daher nicht überraschend, wenn sich bei
der militärischen Untersuchung der Unehelichen häufig noch schwacher
Knochen- und Muskelbau, schwache Brust und überhaupt eine schwache
Körperkonstitution fände ; aber die Thatsachen entsprechen dieser An-
nahme so wenig, daß im Gegenteil die Körperschwäche seltener als
bei den Ehelichen einen Grund zur Ausmusterung giebt. Erinnern
wir uns, daß die Unehelichen nur ausnahmsweise die Mutterbrust er-
halten und unter dem Zusammenwirken einer mangelhaften Nahrung
und Pflege die schwereren Formen der Rachitis zeigen werden, so
könnte man denken, bei der Aushebung auch hiervon Folgezustände
zu finden, und trotzdem ist weder Verkrüppelung und Mißgestaltung,
noch Mindermaß bei den Unehelichen häufiger, als bei den Ehelichen.
Schließlich sind bei den Unehelichen auch Nerven- und Geisteskrank-
heiten nicht häufiger, als bei den Ehelichen, obgleich die bei jenen viel
häufigere vererbte Syphilis zu Erkrankungen des Nervensystems eine
Prädisposition schafft. Statt dessen sind die Unehelichen in der
Rubrik „sonstige Fehler" stärker beteiligt, in die wir alle solche Fehler
zusammengenommen haben, die mehr zufällig sind und nicht durch be-
sondere Lebensverhältnisse bedingt sein können.
Es wurden als dauernd untauglich ausgemustert bezw. zum Land-
sturm überwiesen:
(Siehe Tabelle auf S. 543.)
Dies Ergebnis der ärztlichen Untersuchung lässt sich wohl nur
so deuten , daß die Natur vor der Aushebung schon ihrerseits eine
gründliche Ausmusterung vornimmt: in der That sind die schweren
Formen konstitutioneller Erkrankungen (einschließlich der Syphilis)
ganz gewöhnlich die Veranlassung zu einem ungünstigen Ausgang von
selbst an und für sich gutartigen Erkrankungen im Kindesalter und
werden auf diese Weise, soweit sie nicht schon unmittelbar zum
Tode führten, gelegentlich eliminiert. Wenn die Unehelichen bezüg-
lich der Fehler, welche zur Ausmusterung führten, sogar noch günstigere
Verhältnisse als die Ehelichen zu zeigen scheinen, so liegt die An-
nahme nahe, daß bei ihnen unter der Ungunst der äußeren Verhält-
l) Von den 277 militärpflichtigen Unehelichen des Jahrgangs 1870, welche dem
Arbeiter- und Handwerkerstande angehörten, waren 90, von einer gleich grofseu Stichprobe
aus den Ehelichen des gleichen Jahrgangs 95 diensttauglich — also allerdings auch hier
eine kleine Verschiebung zu Ungunsten der Unehelichen.
t>ie jugendlichen Berliner unehelicher Herkunft.
543
Eheliche
Uneheliche
1869
1868
1870
1868
— 1870,
I
Verkrüppeluug oder Mifsgestuliung
(Anl. 4b 1)
25
0,7
7
1,6
6
1,5
II
Verkrümmung des Rückgrats, Mifs-
bilduDg des Brustkastens (Anl.
4 b 32, 33)
78
2,3
6
1,3
IO
2.4
III
Verlust, Verunstaltung oder chro-
nische Verscbwärung der Nase
(Anl. 4 a 14, 15, Anl. 4 b 22)
6
0,2
IV
Chron. entzündl. Leiden der Knochen
(Anl. 4 b 6)
4
0,2
—
2
0,5
V
Krankheiten der Sinnesorgane (Anl.
4a 11, Anl. 4b 20, 21, 27)
68
2,0
11
2,4
9
2,2
VI
Chron. Nerven-, und Geisteskrank-
heiten, Epilepsie (Aul. 4 a 4, Anl.
4 b 14, 15, 16, 17)
67
2,0
9
2,0
3
0 .7
VII
Chron. Leiden der Atmungsorgane
(Anl. 4 a 19, 20, 21, Anl. 4 b
29, 34, 35)
53
1,6
7
1,6
4
1,0
VIII
Herzfehler (Anl. 4 b 36)
65
1,9
3
0,7
5
1,2
IX
Schwacher Knochen- und Muskel-
bau, schwache Brust, schwache
Körperkonstitntion, Körper-
schwäche (Anl. 4 a 1, 18)
1826
54,4
246
54,8
188
45-9
X
Mindermafs (unter 1,57 m)
48
1,4
10
2,2
8
2,0
XI
Zeitige Fehler
33
1,0
8
1,8
1
—
XII
Sonstige Fehler
755
22,5
102
22,7
142
34-«
XIII |
Kleinere Fehler
330
9,8
40
8,9
32
7,8
3358
449
410
nisse die natürliche Auslese noch schonungsloser vor sich geht als bei
den Ehelichen; unser Material reicht aber leider nicht aus, um diese
Auffassung genauer zu prüfen.
Während in Frankreich von 1000 Ehelichen nur 32,5 wegen Minder-
mafs ausgemustert wurden, ist die Zahl der entsprechenden Unehelichen
64,0. Wenn 1863 — 1868 von 1000 Ehelichen 197,3 ausgemustert wurden,
waren von 1000 Unehelichen 253 dienstuntauglich. Hier hat es also
den Anschein, als ob die Unehelichen körperlich sehr ungünstig stehen.
Schon aus meiner ersten Arbeit ließ sich die Häufigkeit von Ver-
wahrlosung in der Kindheit bei den Unehelichen Berlins erkennen.
Es erschien daher wichtig, die Kriminalität der Jugendlichen
an der Hand der militärischen Listen genauer zu studieren ; die letz-
teren geben, wie es scheint, mit annähernder Vollständigkeit — wobei
jedenfalls statistische Fehler Eheliche und Uneheliche gleich häufig
544 ^- Neumann,
treffen — die mit dem Eintritt des strafmündigen Alters (12 Jahre)
bis zum Alter von 22 Jahren begangenen Strafthaten, soweit sie zur
Verurteilung führten. Freilich geben diese Verurteilungen nur ein un-
gefähres Bild von der Kriminalität des jugendlichen Alters; ein ge-
wisser Teil der Jugendlichen muß freigesprochen werden, weil er bei
Begehung der strafbaren Handlung die zur Erkenntnis ihrer Strafbar-
keit erforderliche Einsicht nicht besaß1).
Es seien hier noch zwei Punkte erwähnt, welche die Möglichkeit
der Straffälligkeit für die Unehelichen in gewissem Grade einschränken:
sowohl die Zwangserziehung, wie die Einstellung zum Militär kann bis
zum 22. Jahre auf mehr oder weniger lange Zeit die freie Bewegung und
hiermit den Anreiz zu Strafthaten vermindern; beides trifft wesentlich
auf die Unehelichen zu, im besonderen erhalten Ausstand fast nur Ehe-
liche, die sich zu Beginn der Militärpflichtigkeit noch in Berufsvorberei-
tung befinden. — Die jugendlichen Straffälligen, welche vor dem Eintritt
in das militärpflichtige Alter verstarben , sind weder bei den Ehelichen,
noch Unehelichen berücksichtigt.
Zum Vergleich mit den von den Unehelichen der Geburtsjahrgänge
1868 — 1870 begangenen Strafthaten wurden die von je 500 Ehelichen
der gleichen 3 Jahrgänge begangenen herangezogen. Auf die Art und
Dauer der Bestrafung, die bekanntlich im Alter von 12 bis 18 Jahren
anders als später bemessen wird, gingen wir nicht ein. Die wegen Ver-
letzung der Wehrpflicht Bestraften wurden, soweit sie nicht auch au6
anderen Gründen bestraft wurden, weder unter den Bestraften, noch bei
der Gesamtzahl, auf welche die Bestraften prozentisch berechnet wurden,
in Ansatz gebracht, ebensowenig ferner bei den letzteren die Ausgewan-
derten, deren Zahl hier nur wenig in Betracht kommen kann.
Wenn schon der höhere Prozentsatz der wegen entehrender Straf-
thaten vom Militärdienst Ausgeschlossenen die moralische Minder-
wertigkeit der Unehelichen andeutete, so geben die folgenden Zahlen
ein viel schärferes Bild. Es sind im Alter von 12 — 22 Jahren von
1444 Ehelichen 200, von 850 Unehelichen 199 bestraft worden und
zwar wegen Vergehen und Verbrechen von den ersteren 138 = 9,6
Prozent, von den letzteren 166 = 19,5 Prozent, nur wegen Ueber-
tretungen von jenen 62 = 4,29 Prozent, von diesen 33 = 3,9 Prozent.
Hierzu kommt, dass die Unehelichen ein viel längeres Strafregister
haben: sie waren 521mal abgeurteilt (wegen Vergehen und Verbrechen
356mal, wegen Uebertretungen 165mal), also jeder Bestrafte im Durch-
schnitt 2,62mal, während die Ehelichen 354mal verurteilt waren (230-
mal wegen Vergehen und Verbrechen, 124mal wegen Uebertretungen),
also jeder im Durchschnitt nur l,77mal. Berechnet man, wie viele
einzelne Verurteilungen auf 100 sämtlicher Ehelichen bezw. Unehe-
lichen kommen, so entfallen auf die ersteren 15,9, auf die letzteren
1) Dafs wir die Strafthaten demjenigen Lebensjahr zurechnen müssen, in dem die
Verurteilung, nicht immer jedoch auch die That erfolgte, dürfte von keiner erheblichen
Bedeutung sein.
Die jugendlichen Berliner unehelicher Herkunft. 545
41,9 Vergehen und Verbrechen, sowie außerdem auf jene 8,6, auf diese
19,4 Uebertretungen. Es haben also die Unehelichen 2,64mal so viel
Vergehen und Verbrechen und 2,26mal so viel Uebertretungen be-
gangen als die Ehelichen 1).
Von den Uebertretungen dürften uns wesentlich nur die Bettelei,
die Arbeitsscheu und das Landstreichen interessieren, inso-
fern derartige Uebertretungen auf das Fehlen einer gesicherten sozialen
Stellung hinweisen. Im folgenden werden wir deshalb die Trennung
nach Verbrechen und Vergehen einerseits, nach Uebertretungen an-
dererseits aufgeben und alle Strafthaten zusammenfassen, indem wir
aber hierbei von den Uebertretungen nur die soeben besonders er-
wähnten in Betracht ziehen.
Schon mit Beginn der Strafmündigkeit treffen wir verhältnismäßig
mehr Uneheliche als Eheliche vor dem Richterstuhl; schon im Alter
von 12 — 14 Jahren sind von den Unehelichen 2,4 Proz., hingegen von
den Ehelichen nur 1 Proz. bestraft2).
Die Summe der erstmaligen Strafthaten verteilt sich in ähnlicher
Weise bei Ehelicheu und Unehelichen über das ganze Jugendalter,
von 100 Ehelichen bezw. Unehelichen wurden zum erstenmale be-
straft im Alter von 12—14 Jahren 10,2 bezw. 11,2, im Alter von 15
—17 Jahren 22,1 bezw. 17,4, im Alter von 18 — 22 Jahren 67,8 bezw.
71,4 Proz. Im Durchschnitt fand bei Ehelichen wie Unehelichen die
erste Bestrafung im Alter von 18,1 Jahren statt.
Beginnt sich also die Kriminalität überhaupt erst am Schluß der
jugendlichen Altersperiode, die wir hier betrachten, stärker zu ent-
wickeln, so ist es um so bemerkenswerter, daß schon in der Jugend
die Kriminalität der Unehelichen mit so großen Zahlen einsetzt und
sogar schon hier häufig zum gewohnheitsmäßigen Verbrechertum ge-
führt hat. Fast 1fA der bestraften Unehelichen war bis zu seinem
22. Jahr schon 4 — 13 mal verurteilt worden. Im einzelnen sind von
100 ehelichen, bez. unehelichen Verurteilten verurteilt:
Ehel. Unehel.
1 mal
6l
50
2 mal
16
18
3 mal
II
9
4 mal
6
7
5— 13 mal
6
16
IOO
Es wäre noch die Art der Delikte in Betracht zu ziehen. Zu
diesem Zweck haben wir die Vergehen und Verbrechen in 3 Haupt-
gruppen zusammengefaßt, denen die hiernach noch verbleibenden
Vergehen und Verbrechen als 4. Gruppe angeschlossen sind; in einer
5. Gruppe finden sich die Bestrafungen wegen Bettelei. In der
folgenden Tabelle giebt nun die 2. Kolumne die Zahl der in einer Gruppe
1) Jede Strafsache ist auch dann nur einmal gerechnet, wenn sie gleichzeitig meh-
rere Delikte in sich schlofs ; sie wurde dann unter dem Hauptdelikt rubriziert.
2) Allerdings nicht ganz richtig auf die Zahl der Militärpflichtigen berechnet.
Dritte Folpe Bd. VJH (LXI11). 35
546
H. N
p 11 m a n n
Bestraften und die 3. Kolumne die Summe ihrer Strafthaten; in der
4. Kolumne ist die Verteilung der Delikte bei den bisher nur einmal
Bestraften ersichtlich. Hieraus läßt sich leicht berechnen, wie viele
Delikte in den einzelnen Gruppen auf mehrfach wegen dieser Delikte
oder wegen dieser und anderer Delikte Bestrafte fallen. So haben z. B.
115 uneheliche Jugendliche 225 Vermögensdelikte begangen und zwar
blieb bei 45 von ihnen das Vermögensdelikt zunächst die einzige Straf-
that, während sich 180 Vermögensdelikte auf 70 Personen verteilen,
welchen wiederholte Vermögensdelikte oder neben Vermögensdelikteu
noch andere Delikte zur Last fallen. — Da eine Anzahl Bestrafter in
verschiedenen Gruppen Delikte begangen hat, so ist die in der
zweiten und fünften Kolumne unten angegebene Zahl sämtlicher Be-
straften kleiner als die Summe der in den einzelnen Gruppen Bestraften.
Eheliche
Uneheliche
Bestrafte
Summe
der
Strafthaten
hiervon
nur
Bestr.
Summe
der
Strafthaten
hiervon
nur
Pers.
einmal
bestraft
Pers.
einmal
bestraft
I. Vermögensdelikte
84
136
41
115
225
45
II. Del. gegen Leben
und Gesundheit
28
31
19
27
33
9
III. Del. gegen die
Sittlichkeit
9
9
4
1 1
11
6
IV. Andere Vergehen
und Verbrechen
45
55
20
59
87
21
V. Bettelei etc.
27
46
8
42
105
8
152
277
92
178
461
89
Hiernach sind von 100 bestraften Personen wegen der einzelnen
Deliktsgruppen bestraft :
Eheliche
Uneheliche
I.
55
64
II.
18
15
III.
6
6
IV.
30
33
V.
18
24
Es sind also unter den Bestraften sowohl wegen Vermögensdelikte
wie wegen Bettelei Uneheliche prozentisch etwas häufiger als Eheliche
bestraft. Die Delikte gegen Leben und Gesundheit, sowie gegen die
Sittlichkeit sind nicht sehr häufig, was z. T. in dem jugendlichen
Alter seine natürliche Begründung finden dürfte. Ein Vorwiegen der
Unehelichen ist bei diesen Zahlen nicht zu bemerken, wobei wir uns
allerdings nicht verhehlen dürfen, daß die absoluten, besonders der
3. Gruppe zu Grunde liegenden Zahlen nur klein sind.
Bei wiederholten Bestrafungen des gleichen Individuums
handelt es sich ebenfalls besonders oft um Delikte gegen das Eigentum
und um Bettelei; bei den Ehelichen sind unter 152 Bestraften 43
Personen = 28 Proz., welche wiederholt Eigentumsdelikte oder auch
Die jugendlichen Berliner unehelicher Herkunft.
547
ein Eigentumsdelikt neben anderen Delikten begingen ; unter 178 be-
straften Unehelichen beträft ihre Zahl hingegen sogar 70 = 39 Proz.
Ebenso ist der Prozentsatz derer, welche wiederholt wegen Bettelei
oder wegen Bettelei und anderer Delikte bestraft sind, bei den Ehe-
lichen 13 Proz., hingegen bei den Unehelichen 19 Proz.
Es wäre nunmehr der Versuch zu machen, die Ursachen für
die erhöhte Kriminalität der Unehelichen aufzudecken.
Betrachten wir zunächst den Beruf der ehelichen und unehelichen
Verbrecher. Am meisten Neigung zum Verbrechen zeigt hier wie
dort der Arbeiterstand: da er bei den Unehelichen stärker vertreten
ist, so muß schon hierdurch ihr Anteil an den Verbrechen größer sein.
Es kommt aber hinzu, daß die unehelichen Arbeiter und zwar im Be-
sonderen die gemeinhin sogenannten Arbeiter auch eine größere Neigung
zum Verbrechen haben. Eine bezügliche Berechnung zeigt, daß von
den ehelicheu Arbeitern (Gruppe I) 15,4, hingegen von den unehelichen
27,2 Proz. straffällig sind1). Aus der Zusammen Wirkung dieser Mo-
mente ergiebt sich als Resultat, daß unter 100 ehelichen Straffälligen
17,4 Proz., unter 100 unehelichen 29,2 Proz. Arbeiter sind.
Außerdem haben einen etwas zu hohen Anteil an den Strafthaten
bei Ehelichen und Unehelichen die Dienstboten.
Eheliche
Uneheliche
Beruf des
Beruf
Bestrafte
Jahrg. 1869
überhaupt2)
Bestrafte
über-
haupt 2)
1) Arbeiter (ohne nähere Angabe;
17,4
9,8
29,2
22,4
2) Professionisten
48,3
38,7
43-8
40,2
3) Feinere Handwerker etc.
2,7
5-o
2,8
3,2
4) Nahrungsmittel etc.
7,4
7,o
7,3
7,4
5) Landwirtschaft etc.
0,7
1,5
1,7
1,4
6) Handel etc.
8,1
16,4
6,2
IO,4
7) Schreiber etc.
3,4
1,7
0,6
1,3
8) Persönl. Dienst
8,1
2,2
6,2
3.8
9) Bildhauer etc.
3,4
4,7
1,7
4,2
10) Aerzte etc.
1,9
0,6
1,1
11) In Berufsvorbereitung
0,7
4,0
12) Ohne Berufsangabe
4.7
1,1
2,9
Man konnte daran denken, daß die größere Häufigkeit von Bette-
lei und ähnlichen Uebertretungen bei den Unehelichen in einer ge-
ringeren Arbeitsfähigkeit ihre Ursache habe — eine Ver-
mutung, die freilich nach den Ergebnissen der ärztlichen Untersuchung
der Militärpflichtigen nicht viel für sich hat. Thatsächlich sind weder
bei den Unehelichen noch bei den Ehelichen, welche wegen Bettelei und
dergleichen bestraft sind, körperliche Mängel, welche die Erwerbsfähig-
keit beeinträchtigen, im jugendlichen Alter besonders häufig; von 26 Ehe-
lichen 3) bzw. 40 Unehelichen3) waren 16, bzw. 23 dienstuntauglich.
1) Auf die Zahl der Militärpflichtigen des gleichen Berufes berechnet.
2) Aus Tabelle der Seite 540.
3) Ein Ehelicher stellte sich nicht, 2 Uneheliche kamen als dienstunwürdig nicht zur
ärztlichen Untersuchung.
35*
548 H. Neu mann ,
Die Verhältnisse der Großstadt begünstigen überhaupt und im
besonderen bei den Unehelichen die Kriminalität. Obgleich sich nur
60 Proz. von diesen in Berlin stellten (von den Ehelichen hingegen
73 Proz.), wurden von den straffälligen Unehelichen i n Berlin 84 Proz.
(von den Ehelichen 87 Proz.) abgeurteilt. Im besonderen kamen von
den Bestrafungen wegen Bettelei 76 Proz. bei den Ehelichen, 81 Proz.
bei den Unehelichen in Berlin zur Aburteilung x).
Fassen wir zusammen, in welcher Weise sich uns das Schicksal
der männlichen Unehelichen Berlins bis zu dem Alter von 22 Jahren
in den Listen der militärischen Ersatzkommission entrollt. Ein großer
Teil der Unehelichen unterliegt in der frühesten Kindheit nach kurzem
Kampf der Tücke ihres Schicksals, ein anderer Teil geht noch in den
nächsten Jahren zu Grunde, weil seine Konstitution über das Durch-
schnittsmaß hinaus geschwächt ist, nur ein kleines Häuflein rettet sich
in die Jugendzeit hinüber: körperlich unterscheidet es sich nicht oder
nicht wesentlich mehr von den gleichaltrigen Ehelichen. In ärmlichen
Verhältnissen aufgewachsen, hat eine besonders große Zahl der Un-
ehelichen keine Berufsvorbildung irgend welcher Art erhalten, sodaß
sie auf der untersten Stufe der sozialen Leiter stehen bleiben. Die
in dieser und den benachbarten Gesellschaftsklassen an und für sich
größere Neigung, mit der bürgerlichen Ordnung in Zwiespalt zu kommen,
findet sich bei den Unehelichen ganz besonders entwickelt. Be-
günstigend wirkt noch der Einfluß der Großstadt. Aus dem Gefängnis
entlassen, kehrt der Uneheliche noch seltener als der Eheliche auf die
Dauer oder überhaupt zu geordneten Verhältnissen zurück. Schon
mit dem Eintritt in das Mannesalter ist er häufig Gewohnheitsver-
brecher.
Weiter reicht die Auskunft nicht, welche uns die Militärlisten geben ;
wir wissen nicht, wie viele von den bisher Unbestraften noch straffällig,
wie viele von den zunächst nur einmal Bestraften später noch rückfällig
werden 2), wie viele von den Unehelichen es bis zur Gründung eines
Familienstandes bringen und was aus ihren Kindern wird u. s. f. —
Fragen, deren Beantwortung eine wichtige Erweiterung der Gesichts-
punkte mit sich bringen würde.
Aus unserem bescheidenen Material läßt sich eine Beanlagung der
Unehelichen zu einer spezifischen Kriminalität nicht erkennen; in
1) Die vom Landgericht II Berlin Verurteilten sind in Hinsicht auf den Ort der
Strafbegehung als aufs er halb verurteilt betrachtet worden.
2) Wenn von den Geburtsjahr^ängen 1869 und 1870 im 20. — 22. Lebensjahr
96 Proz. ehelich und 4 Proz. unehelich sind und auf die ersteren 9,6 Proz., auf die
letzteren 19,5 Proz. Vergehen und Verbrechen kommen, so verhalten sich die bestraften
ehelichen zu den bestraften unehelichen Militärpflichtigen wie 92,2:7,8 oder wie 11,8:1,0.
Obgleich kein unmittelbarer Vergleich erlaubt ist, dürfte es interessieren, dafs unter den im
J. 1892/93 in den preufsischen Zuchthäusern Internierten das Verhältnis der männlichen
Ehelichen zu den männlichen Unehelichen wie 9 : 1 war. (Statistik des zum Ressort d.
kgl. Preufs. Min. d. Innern gehörenden Straf- und Gefangenenanstalten f. 1. April 1892/1893
[Berlin 1894].) Für die preufsischen Gefängnisse läfst sich dies Verhältnis nicht be-
rechnen.
Die jugendlichen Berliner unehelicher Herkunft. 549
ihrer Jugend wenigstens zeigen sie zunächst nur einen überhaupt größeren
Hang zu Delikten, der bei den an und für sich häufigsten Gruppen — den
Eigentumsdelikten und der Bettelei — besonders stark zur Geltung
kommt. Wir sind außer stände zu sagen, ob hierfür mehr eine ange-
borene moralische Minderwertigkeit, das schlechte Beispiel oder die
besonders gearteten Lebensverhältnisse verantwortlich zu machen sind ;
will man das Uebel mit praktischen Maßnahmen angreifen, so kommen
jedenfalls hierfür nur die beiden letzten Punkte in Betracht. Die
mangelnde Zucht in der Familie oder der fehlende Anhalt in der
Familie wird das uneheliche Kind leicht fallen und sich von seinem
Fall schwer wieder moralisch erholen lassen ; ferner erlauben die mangeln-
den Mittel oft ebensowenig die Auswahl einer geeigneten Pflegefamilie
wie eine Vorbildung zu dem Beruf, so daß der Uneheliche schwer in
bessere Verhältnisse kommen kann. In dieser Richtung hätte also
die behördliche Fürsorge bei uns einzusetzen : sie muß — zum Nutzen
des Unehelichen nicht weniger als zu dem der Gesellschaft — dem
unehelichen Kind von Geburt an ein größeres Interesse zuwenden; sie
muß die Pflege, Erziehung und Berufsvorbereitung des unehelichen
Kindes in umsichtiger Weise unterstützen und überwachen (was sie
vorläufig nur in recht geringem Grade thut), und sie kann dann
— nach den Ergebnissen vor allem der russischen und französischen
Findelpflege zu schließen — eines gewissen Erfolges ziemlich sicher
sein 1).
1) Es dürfte — nach den Andeutungen in meiner ersten Arbeit zu schliefsen — von
nicht geringerem Interesse sein, das Schicksal der weiblichen Unehelichen, für wel-
ches mir bisher kein Material zugänglich ist, einer genaueren Untersuchung zu unter-
ziehen. Auch die Zuchthausstatistik läfst vermuten , dafs die unehelichen Weiber eine
sehr bedeutende Kriminalität haben ; sowohl die ehelich, wie die unehelich geborenen
Weiber machen 14,4 — 14,5 Proz. aller ehelichen bez. unehelichen Zuchthäusler aus; die
ehelichen Weiber verhalten sich ihrer Zahl nach zu den unehelichen Weibern im Zucht-
haus ebenso wie die Männer, nämlich ungefähr wie 9:1.
550 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
VII.
Die zweite Lesung des Entwurfes eines Bürgerlichen Ge-
setzbuches für das Deutsche Reich.
(Fortsetzung) 1).
Von Amtsrichter Greiff.
XXXI.
An die Spitze der Bestimmungen über die eheliche Abstammung,
welche den ersten Titel des von der Verwandtschaft handelnden
zweiten Abschnitts des Familienrechts bilden, stellt der Entwurf den
Grundsatz, dafs ein eheliches Kind nicht nur dasjenige ist, welches die
Ehefrau während der Ehe von dem Manne empfangen hat, sondern auch
dasjenige, welche sie vor Schliefsung der Ehe von dem Manne empfangen
und nach Schliefsung der Ehe geboren hat. Die Frage, ob die Frau das
Kind von dem Manne empfangen hat, wird jedoch nicht der Entscheidung
nach den allgemeinen Beweisregeln überlassen. Vielmehr wird zunächst
in § 1467 eine gesetzliche Empfängniszeit bestimmt, d. h. derjenige Zeit-
Vorläufige Zusammenstellung der Kommissionsbeschlüsse. (Fortsetzung.)
Zweiter Abschnitt.
Verwandtschaft.
Erster Titel.
Eheliche Abstammung.
§ 1466 gestrichen.
§ 1466 a. (1468 bis 1470.) Ein von der Frau nach der Schliefsung der Ehe ge-
borenes Kind, das von ihr vor oder während der Ehe empfangen worden ist, gilt als
ehelich, wenn der Mann innerhalb der Empfängniszeit der Frau beigewohnt hat, sofern
es nicht den Umständen nach offenbar unmöglich ist, dafs die Frau das Kind von dem
Manne empfangen hat.
Es wird vermutet, dafs der Mann während der Empfängniszeit, soweit sie in die Ehe
fällt, der Frau beigewohnt hat. Das Gleiche gilt, soweit die Empfängniszeit in die Zeit
vor der Ehe fällt, wenn der Mann, ohne die Ehelichkeit angefochten zu haben, ge-
storben ist.
§ 1467. Als Empfängniszeit gilt die Zeit von dem einhunderteinundachtzigsten bis
1) Vergl. S. 375.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 551
räum vor der Geburt des Kinde9, innerhalb dessen kraft absoluter, einen
Gegenbeweis aus der Beschaffenheit des Kindes ausschliefsender Vorschrift
die Empfängnis des Kindes als eingetreten anzunehmen sein soll, uud
wenn diese Empfäugniszeit ganz oder teilweise in die Zeit während der
Ehe fällt, so soll nach §§ 1468, 1469 eine nur durch einen sehr be-
schränkten Gegenbeweis widerlegbare Vermutung für die Vaterschaft des
Mannes streiten, wenn die Empfängniszeit dagegen in die Zeit vor
Schliefsung der Ehe fällt, so soll der Mann als Vater des Kindes gelten,
falls er während der Empfängniszeit der Frau beigewohnt hat. Gegen
die Bestimmung der Empfäugniszeit sind in der Kritik von ärztlicher
Seite vielfache erhebliche Bedenken geäufsert worden, welche sich zum
Teil gegen die Angemessenheit des vom Entwurf bestimmten Zeitraumes
vom 300. bis 181. Tage vor der Geburt richten, zum Teil aber auch
gegen die absolute gesetzliche Bestimmung der Empfängniszeit und
den Ausschlufs des Gegenbeweises aus dem Reifegrade des Kindes. In
der Kommission wurde gleichfalls den letzteren Bedenken entsprechend
empfohlen, die absolute Vorschrift des § 1467 zu einer blofsen Ver-
mutung abzuschwächen. Demgegenüber glaubte die Mehrheit, grundsätz-
lich an dem Standpunkt des Entwurfs festhalten zu müssen, beschlofs aber,
in zwiefacher Hinsicht den Beanstandungen der Kritik Rechnung zu
tragen : erstens wurde die höchste Dauer der gesetzlichen Empfängniszeit
in Uebereinstimmung mit einem grofsen Teil des geltenden Rechts auf
den 302. Tag vor der Geburt hinaufgesetzt; ferner soll mit Rücksicht
auf das Interesse des Kindes, die Ehre der Frau uud den Ruf der Fa-
milie auch der Beweis zulässig sein, dafs das Kind noch vor dem 302.
Tage vor seiner Geburt empfangen ist, und die gesetzliche Empfängnis-
zeit soll dann für die Anwendung der §§ 1468 — 1470 entsprechend er-
weitert werden. Während man so den Nachweis der Ehelichkeit eines
Kindes erleichterte, erschien es andererseits durch die Gerechtigkeit ge-
boten, dem Ehemann in erweitertem Umfang die Anfechtung der Ehe-
lichkeit eines von der Ehefrau geborenen Kindes zu gestatten. Nach dem
Entwurf kann der Mann, wenn die Empfängniszeit eines Kindes ganz
oder teilweise in die Zeit während der Ehe fällt, seine Vaterschaft nur
durch den Nachweis ablehnen, dafs er während der Empfängniszeit, so-
weit sie in die Ehe fällt, der Frau nicht beigewohnt hat, und wenn die
Empfängniszeit in die Zeit vor Schliefsung der Ehe fällt, so genügt der
Nachweis, dafs der Mann der Frau innerhalb derselben beigewohnt hat,
zur Begründung der unwiderlegbaren Anuahme seiner Vaterschaft. Die
Kommission beschlofs dagegen, in beiden Fällen dem Manne trotz er-
folgter Beiwohnung die Anfechtung der Ehelichkeit des Kindes zu ge-
zu dem dreihundertundzweiten Tage vor dem Tage der Geburt des Kindes, mit Einschlufs
sowohl des einhunderteinundachtzigsten als des dreihundertundzweiten Tages.
Steht fest, dafs ein Kind innerhalb eines Zeitraums empfangen worden ist, der weiter
als dreihundertundzwei Tage vor der Geburt zurückliegt, so gilt dieser Zeitraum zu gunsten
der Ehelichkeit des Kindes als Empfängniszeit.;
§ 1468 vergl. § 1466 a.
§ 1469 vergl. § 1466 a.
§ 1470 vergl. § 1466 a.
552 Nationalökonomische Gesetzgebung.
statten, wenn es den Umständen nach offenbar unmöglich ist, dafs die
Frau das Kind von dem Manne empfangen hat. Man dachte dabei nament-
lich an die Fälle einer Rassenverschiedenheit zwischen dem Ehemanne
und dem Kinde oder einer schon vor der Beiwohnung des Ehemannes
eingetretenen Schwangerschaft der Frau. (Der auf den letzteren Fall
bezügliche Abs. 2 § 1467 wurde hiernach entbehrlich.)
Im übrigen erfuhren die Vorschriften dieses Titels nur weniger er-
hebliche Aenderungen. Namentlich fand die Art, wie der § 1471 die
Voraussetzungen der Geltendmachung der Unehelichkeit regelt, gegenüber
einem auf Erweiterung des Kreises der Anfechtungsberechtigten gerichteten
Antrage die Billigung der Mehrheit. Die in § 1472 behandelte Aner-
kennung der Vaterschaft wurde dadurch erleichtert, dafs man das Erfor-
dernis einer ausdrücklichen Willenserklärung fallen liefs und auch die
Anerkennung in einer Verfügung von Todeswegen für zulässig erklärte.
Der § 1474 wurde mit den Beschlüssen zu § 1265 in Einklang gesetzt.
In § 1476 strich man die Vorschrift, dafs mit der Zurücknahme der An-
fechtungsklage das Anfechtungsrecht des Mannes erlischt.
§ 1471. (1471 Abs. 1.) Die Unehelichkeit eines während der Ehe oder innerhalb
dreihundertundzwei Tagen nach der Auflösung der Ehe geborenen Kindes kann nur gel-
tend gemacht werden, wenn der Mann die Ehelichkeit angefochten hat oder, ohne das
Anfechtungsrecht verloren zu haben, gestorben ist.
§ 1472. Die Anfechtung der Ehelichkeit ist ausgeschlossen, wenn der Mann das
Kind nach der Geburt als das seinige anerkennt. Die Anerkennung kann auch in einer
Verfügung von Todeswegen erklärt werden.
Eine Anerkennung, die unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung erfolgt, ist
unwirksam.
§ 1473. Die Anfechtung der Ehelichkeit mufs innerhalb eines Jahres nach Erlan-
gung der Kenntnis von der Geburt des Kindes erfolgen.
Auf den Lauf der Frist finden die für die Verjährung geltenden Vorschriften der
§§ 169, 171 entsprechende Anwendung.
§ 1474. Die Anfechtung sowie die Anerkennung der Ehelichkeit kann nicht durch
einen Vertreter erfolgen. Ist der Mann in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so bedarf
er nicht der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters.
Für einen geschäftsunfähigen Mann kann sein gesetzlicher Vertreter mit Genehmi-
gung des Vormundschaftsgerichts die Ehelichkeit anfechten. Hat der gesetzliche Ver-
treter die Ehelichkeit nicht rechtzeitig angefochten , so kann gleichwohl der Mann nach
dem Wegfalle der Geschäftsunfähigkeit die Ehelichkeit in gleicher Weise anfechten , wie
wenn er ohne gesetzlichen Vertreter gewesen wäre.
§ 1475. (1475 Abs. 1, 1471 Abs. 2, 1476 Satz 2, 3.) Die Anfechtung der Ehe-
lichkeit erfolgt, solange das Kind lebt, durch Erhebung der Anfechtungsklage. Die Klage
ist gegen das Kind zu richten.
Solange der Rechtsstreit nicht erledigt ist, kann die Unehelichkeit in anderer Art
nicht geltend gemacht werden.
Die Zurücknahme der Klage bewirkt, dafs die Anfechtung als nicht erfolgt anzu-
sehen ist. Das Gleiche gilt, wenn der Mann vor der Erledigung des Rechtsstreits das
Kind als das seinige anerkennt.
§ 1475 a. (1475 Abs. 2.) Nach dem Tode des Kindes erfolgt die Anfechtung der
Ehelichkeit durch Erklärung gegenüber dem Nachlafsgerichte. Das Nachlafsgericht soll
die Erklärung sowohl denjenigen mitteilen, welche im Falle der Ehelichkeit, als auch
denjenigen, welche im Falle der Unehelichkeit die Erben des Kindes sind.
§ 1476 Satz 1 gestrichen, Satz 2, 3 vergl. § 1475.
Anmerkung. Im Artikel 11 des Entwurfes des Einführungsgesetzes soll zum
teilweisen Ersätze des § 1476 Satz 1 des Entw. I der § 627 u der Civilprozefsordnung
folgenden zwischen dem ersten und zweiten Satz einzuschaltenden Zusatz erhalten :
Nationalökonomische Gesetzgebung. 553
lu dem die Unterhaltspflicht regelnden zweiten Titel wurde
zunächst die im § 1480 mit Rücksicht auf die öffentliche Armenpflege
anerkannte gegenseitige Unterhaltungspfiicht der Geschwister, entsprechend
vielfachen Wünschen der Kritik uud den fast einstimmigen Aeufserungen
der Bundesregierungen, widerspruchslos fallen gelassen. Die übrigen Be-
stimmungen des Titels wurden mit wenigen Aenderuugeu sachlich ge-
billigt. Zu § 1482 erleichterte man die Geltendmachung des Unterhalts-
Der Ehemann ist, auch wenn er in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist, prozefs-
fähig. Für den geschäftsunfähigen Ehemann wird der Rechtsstreit durch den
gesetzlichen Vertreter geführt. Der gesetzliche Vertreter kann die Anfechtungs-
klage nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erheben.
§ 1477 gestrichen.
Anmerkung. Im Artikel 11 des Entwurfes des Einführungsgesetzes soll zum
Ersätze des § 1477 des Entw. I folgende Vorschrift in die Civilprozefsordnung als § G27 c
(der bisherige § 627 c wird 627 d) eingestellt werden:
Das auf die Anfechtungsklage in den Fällen der §§ 627 a, 627 b ergangene
Urteil wirkt, wenn es während der Lebenszeit des Ehemannes und des Kindes
rechtskräftig geworden ist, für und gegen Alle.
§ 1478. Ist die Anerkennung der Ehelichkeit anfechtbar, so finden die Vorschriften
der §§ 1474 bis 1474 a und im Falle des § 99 auch die Vorschrift des § 169 Abs. 1
entsprechende Anwendung.
§ 1479. Wird von einer Frau, die sich nach der Auflösung ihrer Ehe wieder ver-
heiratet hat, ein Kind geboren, das nach den Vorschriften der §§ 1466 a bis 1475 a ein
eheliches Kind sowohl des ersten als des zweiten Mannes sein würde, so gilt das Kind,
wenn es innerhalb zweihundertsiebenzig Tagen nach der Auflösung der früheren Ehe geboren
ist, als Kind des ersten Mannes, wenn es später geboren ist, als Kind des zweiten Mannes.
Zweiter Titel.
Unterhaltspflicht.
§ 1480. Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu ge-
währen.
§ 1481. Unterhaltsberechtigt ist nur, wer aufser stände ist, sich selbst zu unter-
halten.
Ein minderjähriges, unverheiratetes Kind kann von seinen Eltern, auch wenn es
Vermögen hat, die Gewährung von Unterhalt insoweit verlangen, als die Einkünfte des
Vermögens und der Ertrag seiner Arbeit zum Unterhalte nicht ausreichen.
§ 1482. Unterhaltspflichtig ist nicht, wer bei Berücksichtigung seiner sonstigen
Verpflichtungen aufser stände ist, ohne Gefährdung seines eigenen standesmäfsigen Unter-
halts den Unterhalt zu gewähren.
Eltern sind, auch wenn die Voraussetzungen des Abs. 1 vorliegen, ihren minder-
jährigen, unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem
und der Kinder Unterhalt gleichmäfsig zu verwenden. Diese Verpflichtung tritt nicht
ein, wenn ein anderer Unterhaltungspflichtiger Verwandter vorhanden ist; sie tritt auch
nicht ein gegenüber einem Kinde, dessen Unterhalt aus dem Stamme seines Vermögens
bestritten werden kann.
§ 1482 a. (1313, 1363, 1425, 1431 Abs. 1.) Soweit die Unterhaltspflicht einer
Frau ihren Verwandten gegenüber davon abhängt, dafs sie zur Gewährung des Unterhalts
im stände ist, kommt die dem Manne an dem eingebrachten Gute zustehende Verwaltung
und Nutzniefsung nicht in Betracht.
Besteht allgemeine Gütergemeinschaft , Errungenschafts- oder Fahrnisgemeinschaft,
so bestimmt sich die Unterhaltspflicht des Mannes oder der Frau Verwandten gegenüber
so, wie wenn das Gesamtgut dem unterhaltspflichtigen Ehegatten gehörte. Bei der Be-
messung des von einem Ehegatten aus dem Gesamtgute zu gewährenden Unterhalts sind
die unterhaltsberechtigten Verwandten des anderen Ehegatten in gleicher Weise zu berück-
sichtigen, wie wenn sie zu ihm in demselben Verwandtschaftsverhältnisse ständen.
§ 1482 b. (1529.) Soweit die Unterhaltspflicht eines minderjährigen Kindes seinen
554 Nationalökonomische Gesetzgebung.
anspruchs dadurch, dafs dem Berechtigten der Beweis der Leistungsfähig-
keit des Verpflichteten abgenommen und diesem der Beweis seiner
Leistungsunfähigkeit auferlegt wurde. Der § 1487 Abs. 2 enthielt einen
Zusatz bezüglich des B,ückgriffsrechts des den Unterhalt gewährenden Ver-
wandten gegen den vor ihm verpflichteten Verwandten, da man annahm,
dafs die allgemeinen Grundsätze, bei denen der Entwurf es in dieser Be-
ziehung bewenden lassen will, zum Schutze des zunächst Leistenden nicht
ausreichten. In § 1488 Abs. 1 sah man von der besonderen Hervor-
Verwandten gegenüber davon abhängt, dafs es zur Gewährung des Unterhalts im stände
ist, kommt die elterliche Nutznießung an dem Vermögen des Kindes nicht in Betracht.
Anmerkung. Im § 1280 Abs. 3 hat der Satz 2 zu lauten:
Die für die Unterhaltspflicht der Verwandten geltenden Vorschriften der §§ 1482 b,
1492 bis 1496 finden entsprechende Anwendung.
§ 1483 vergl. § 1487 b.
§ 1484 vergl. § 1487 a.
§ 1485. (1485 , 1486.) Die Abkömmlinge sind vor den Verwandten der auf-
steigenden Linie unterhaltspflichtig. Unter den Abkömmlingen bestimmt sich die Unter-
haltspflicht nach der gesetzlichen Erbfolgeordnung und nach den Verhältnissen der Erbteile.
Unter den Verwandten der aufsteigenden Linie haften die näheren vor den entfern-
teren, mehrere gleich nahe zu gleichen Teilen. Der Vater haftet jedoch vor der Mutter;
steht dieser die elterliche Nutzniefsung zu, so haftet die Mutter vor dem Vater.
§ 1486 vergl. § 1485.
§ 1487. Soweit ein Verwandter in Gemäfsheit des § 1482 nicht unterhaltspflichtig
ist, hat der nach ihm haftende Verwandte den Unterhalt zu gewähren.
Das Gleiche gilt , wenn die Rechtsverfolgung gegen einen Verwandten im Inland
ausgeschlossen oder erheblich erschwert ist. Der gegen einen solchen Verwandten be-
gründete Unterhaltsanspruch geht, soweit ein anderer Verwandter den Unterhalt gewährt
hat, auf diesen über; zum Nachteil des Unterhaltsberechtigten kann der Uebergang nicht
geltend gemacht werden.
§ 1487 a. (1484.) Der Ehegatte des Bedürftigen haftet vor dessen Verwandten.
Das Gleiche gilt von einem geschiedenen unterhaltspflichtigen Ehegatten sowie von einem
Ehegatten, der nach § 1464 b unterhaltspflichtig ist.
Soweit jedoch der Ehegatte bei Berücksichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen
aufser stände ist, ohne Gefährdung seines eigenen standesmäfsigen Unterhalts den Unterhalt
zu gewähren , haften die Verwandten vor dem Ehegatten. Die Vorschriften des § 1487
finden entsprechende Anwendung.
§ 1487 b. (1483.) Kann ein Unterhaltspflichtiger die Ansprüche mehrerer Bedürf-
tiger nicht sämtlich befriedigen, so gehen unter den Bedürftigen seine Abkömmlinge den
Verwandten der aufsteigenden Linie, unter den Abkömmlingen diejenigen , welche als
seine gesetzlichen Erben berufen sein würden, den übrigen Abkömmlingen, unter den
Verwandten der aufsteigenden Linie der nähere dem entfernteren vor.
Der Unterhaltsanspruch des Ehegatten steht dem Unterhaltsanspruch eines minder-
jährigen unverheirateten Kindes gleich ; er geht dem Unterhaltsanspruch eines anderen
Kindes und eines anderen Verwandten vor. Das Gleiche gilt von dem Unterhaltsanspruch
eines geschiedenen Ehegatten sowie eines Ehegatten, der nach § 1464 b unterhaltsberech-
tigt ist.
§ 1488. (§ 1488 Abs. 1 bis 3.) Der Unterhalt ist nach der Lebensstellung des
Bedürftigen zu bemessen (standesmäfsiger Unterhalt). Er umfafst den gesamten Lebens-
bedarf, bei einer noch der Erziehung bedürftigen Person auch die Kosten der Erziehung
und der Vorbildung zu einem Berufe.
§ 1489 gestrichen.
§ 1490. Wer durch sein sittliches Verschulden bedürftig geworden ist, kann nur
den notdürftigen Unterhalt verlangen.
Das Gleiche gilt, wenn sich der Bedürftige einer Verfehlung schuldig gemacht hat,
die den Unterhaltspflichtigen berechtigen würde, ihm den Pflichtteil zu entziehen. Liegen
Grofseltern oder weiteren Voreltern gegenüber die Voraussetzungen vor , unter welchen
Kinder berechtigt sein würden, ihren Eltern den Pflichtteil zu entziehen , so beschränkt
Nationalökonomische Gesetzgebung. 555
hebung der Taufkosten ab, davon ausgehend, dafs diese selbstverständlich
in den Erziehungskosten einbegriffen seien. Die Art der Unterhaltsge-
währung und die Frist, für welche die Vorausleistung erfolgt, soll nach
§ 1491 Abs. 4 der Unterhaltuugspflichtige dann frei bestimmen können,
wenn ihm das Erziehungsrecht gegen den Berechtigten zusteht, uud nach
Abs. 5 sollen Eltern dieses Bestimmungsrecht auch gegenüber nicht ihrer
Erziehungsgewalt unterworfenen Kindern haben; eine Aenderung der ge-
troffenen Bestimmung soll im Falle des Abs. 4 durch das Vormundschafts-
gericht, im Falle des Abs. 5 durch das Prozefsgericht erfolgen können.
Diese Vorschriften wurden dahin vereinfacht, dafs man das fragliche Be-
stimmungsrecht nur Eltern gegenüber ihren unverheirateten Kindern gab
und die Befugnis zu einer Aenderung der Bestimmung ohne Unterschied
dem Vormundschaftsgerichte beilegte. Der § 1493 war durch die als
§ 293 b der Civilprozefsordnung früher beschlossene zusammenfassende
Vorschrift (vergl. Bd. LVII S. 724) gedeckt.
Von den allgemeinen Vorschriften, mit welchen der auf
das Rech t s v er häl tni s zwischen Eltern und ehelichen Kin-
sich die Unterhaltspflicht der Abkömmlinge ihnen gegenüber auf die Gewährung des not-
dürftigen Unterhalts. Der Bedürftige kann nicht wegen einer nach diesen Vorschriften
eintretenden Beschränkung seines Anspruchs andere Unterhaltspflichtige in Anspruch
nehmen.
§ 1491. Haben Eltern einem unverheirateten Kinde Unterhalt zu gewähren, so
können sie bestimmen , in welcher Art und für welchen Zeitabschnitt der Unterhalt ge-
währt werden soll. Aus wichtigen Gründen kann das Vormundschaftsgericht auf Antrag
des Kindes die Bestimmung der Eltern ändern.
In allen anderen Fällen ist der Unterhalt durch Entrichtung einer Geldrente zu
gewähren. Der Verpflichtete kann verlangen, dafs ihm die Gewährung des Unterhalts
in anderer Art gestattet wird, wenn besondere Umstäude es rechtfertigen.
Im übrigen finden die Vorschriften des § 702 Anwendung.
§ 1492. Für die Vergangenheit kann der Berechtigte Erfüllung oder Entschädigung
wegen Nichterfüllung nur von der Zeit an fordern, zu welcher der Verpflichtete in Verzug
gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist.
§ 1493 gestrichen.
§ 1494 gestrichen.
Anmerkung. Im Artikel 13 des Entwurfes des Einführungsgesetzes soll zum
Ersätze des § 1494 des Entw. I der § 2 der Konkursordnung folgenden Abs. 2 erhalten:
Unterhaltsansprüche, die nach den §§ 1280, 1454 a bis 1454 f, 1464 b, 1480,
1571 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gegen den Gemeinschuldner begründet sind,
können im Konkurse für die Zukunft nicht geltend gemacht werden ; dies gilt
auch für die im voraus zu bewirkenden Leistungen , die bei der Eröffnung des
Konkursverfahrens bereits fällig waren.
§ 1495. Für die Zukunft kann auf den Unterhalt nicht verzichtet werden.
Durch eine Vorausleistung wird der Verpflichtete bei erneuter Bedürftigkeit des Be-
rechtigten nur insoweit befreit, als er die Leistung für den im § 702 Abs. 2 bestimmten
Zeitabschnitt oder , wenn er selbst den Zeitabschnitt zu bestimmen hatte , für einen den
Umständen nach angemessenen Zeitabschnitt bewirkt hat.
§ 1496. (1496, 1488 Abs. 4.) Der Unterhaltsanspruch erlischt mit dem Tode des
Berechtigten oder des Verpflichteten , soweit er nicht auf Erfüllung oder Entschädi-
gung wegen Nichterfüllung für die Vergangenheit oder auf solche im voraus zu bewir-
kende Leistungen gerichtet ist, die zur Zeit des Todes des Berechtigten oder des Ver-
pflichteten fällig waren.
Im Falle des Todes des Berechtigten hat der Verpflichtete die Beerdigungskosten
insoweit zu tragen, als ihre Bezahlung von dem Erben nicht zu erlangen ist.
556 Nationalökonomische Gesetzgebung.
dem bezügliche dritte Titel beginnt, wurde die Bestimmung des § 1498
über die Verpflichtung des Kindes zu kindlichem Gehorsam als eines er-
zwingbaren rechtlichen Inhalts entbehrend gestrichen. Eine Ergänzung
erfuhr der Entwurf in betreff des Verhältnisses der Eltern zu volljährigen
Kindern, welche dem elterlichen Hausstande angehören. Nach dem Ent-
wurf hört mit der Volljährigkeit des Kindes die elterliche Gewalt und
damit die elterliche Nutzniefsung am Kindesvermögen auf; behält der
Vater oder die Mutter die Verwaltung des Vermögens, so kann das Kind,
auch wenn es im elterlichen Haushalte verbleibt, Eechnungslegung über
die Nutzungen des Vermögens verlangen , wogegen der Vater oder die
Mutter ihre Aufwendungen für den Unterhalt des Kindes in Gegenrechnung
stellen kann. Diese Regelung , welche zu unerquicklichen Streitigkeiten
zwischen Eltern und Kindern Anlafs geben kann, ist in der Kritik mehr-
fach als der deutschen Rechtsanschauung widersprechend angefochten
worden. Die Kommission glaubte diesen berechtigten Bedenken am zweck-
mäfsigsten Rechnung zu tragen durch Aufnahme einer ähnlichen Vor-
schrift, wie sie der § p2 der S. 71 mitgeteilten Zusammenstellung über
die Rechtsstellung des Mannes im Falle der Gütertrennung bezüglich des
ihm überlassenen Frauenvermögens enthält. Ebenso wurde auch der
ebenda mitgeteilte § o2 auf das hier fragliche Verhältnis entsprechend
übertragen (vergl. unten § 1499 a).
Im Zusammenhang mit § 1500 wurden ferner, wie schon früher
Dritter Titel.
Rechtsverhältnis zwischen Eltern und ehelichen Kindern.
I. Allgemeine Vorschriften.
§ 1497. Das Kind erhält den Familiennamen des Vaters.
§ 1498 gestrichen.
§ 1499. Das Kind ist, solange es dem Hausstande der Eltern angehört und ent-
weder unter ihrer Erziehungsgewalt steht oder von ihnen unterhalten wird , verpflichtet,
in einer seinen Kräften und seiner Lebensstellung entsprechenden Weise den Eltern in
ihrem Hauswesen und Geschäfte Dienste zu leisten.
§ 1499 a. Hat ein dem elterlichen Hausstand angehörendes volljähriges Kind zur
Bestreitung der Kosten des Haushalts aus seinem Vermögen etwas verwendet oder den
Eltern überlassen, so ist im Zweifel anzunehmen, dafs die Absicht, Ersatz zu verlangen,
gefehlt hat.
§ 1499 b. Hat ein dem elterlichen Hausstand angehörendes volljähriges Kind sein
Vermögen ganz oder teilweise der Verwaltung des Vaters überlassen, so kann, wenn das
Kind nicht ein Anderes bestimmt hat, der Vater die während seiner Verwaltung bezogenen
Einkünfte nach freiem Ermessen verwenden, soweit sie nicht zur Bestreitung der Kosten
der ordnungsmäfsigen Verwaltung und zur Erfüllung solcher Verpflichtungen des Kindes
erforderlich sind, die bei ordnungsmäfsiger Verwaltung aus den Einkünften des Vermögens
bestritten werden.
Das gleiche Recht steht der Mutter zu, wenn das Kind ihr die Verwaltung seines
Vermögens überlassen hat.
§ 1500. Der Vater ist verpflichtet, seiner Tochter bei ihrer Verheiratung zur Ein-
richtung des Haushalts eine angemessene Aussteuer zu gewähren , soweit er bei Berück-
sichtigung seiner sonstigen Verpflichtungen ohne Gefährdung seines eigenen standesmäfsigen
Unterhalts dazu im stände ist und die Tochter ein zur Beschaffung der Aussteuer aus-
reichendes Vermögen nicht besitzt. Die gleiche Verpflichtung hat die Mutter, wenn der
Vater zur Gewährung der Aussteuer aufser stände oder wenn er verstorben ist.
Die Vorschriften des § 1482 u und des § 1487 Abs. 2 finden entsprechende An-
wendung.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 557
(S. 390) erwähnt worden ist, Bestimmungen über die Ausstattungspflicht
der Eltern gegenüber Töchtern neu aufgenommen. Der Entwurf hat, im
Gegensatz zu einem Teil der geltenden Rechte, eine Rechtspflicht der
Eltern zur Ausstattung ihrer Kinder zum Zweck der Verheiratung oder
der Errichtung eines eigenen Hausstandes nicht anerkannt, sondern nur
in § 1500 der sittlichen Verpflichtung der Eltern insofern rechtliche Be-
deutung beigelegt, als auf die freiwillige Gewährung oder Zusicherung
einer derartigen Ausstattung nicht die Vorschriften über die Schenkung
und über die Rückforderung einer Nichtschuld Anwendung finden sollen.
Die Kommission hielt die Gründe, aus denen der Entwurf eine Rechts-
pflicht der Eltern verneint hat, für nicht so schwerwiegend, dafs sie
nötigten, von der Erhebung der gegenüber heiratendeu Töchtern in
der deutschen Sitte begründeten sittlichen Pflicht zu einer Rechtspflicht
abzusehen ; die Anerkennung einer solchen rechtlichen Verpflichtung
erschien insbesondere geboten, damit die Eltern nicht nach der vor-
muudschaftsgerichtlichen Ergänzung der grundlos verweigerten Einwilligung
zur Eheschliefsung diese mittelbar durch Versagung der Ausstattung un-
möglich machen könnten. Ein Hauptbedenken der Motive gründet sich
in der Schwierigkeit, das Mafs der Ausstattung zu bestimmen. In dieser
Beziehung hielt die Kommission es jedoch für genügend , die Eltern zur
Gewährung einer angemessenen Ausstattung zu verpflichten; die Be-
stimmung des im einzelnen Falle Angemessenen glaubte sie ebenso wie
im Falle des § 1339 dem Richter unbedenklich überlassen zu können.
Neben den neuen Vorschriften über die Austattungs pf li ch t wurden die
Bestimmungen des § 1500 beibehalten. Während aber die Ausstattung,
zu deren Gewährung die Eltern verpflichtet sein sollen , nur die für die
Einrichtung des Haushalts bestimmten beweglichen Sachen umfassen soll,
ging die Kommission abweichend von der in den Motiven vertretenen
Ansicht davon aus, dafs die Vorschriften des § 1500 für alles dasjenige
gelten müfsteu, was dem Kinde zur Begründung und Erhaltung einer
selbständigen Wirtschaft von dem Vater oder der Mutter zugesichert oder
§ 1500 a. Der Vater oder die Mutter kann die Gewährung der Aussteuer verweigern,
wenn sich die Tochter ohne die erforderliche elterliche Einwilligung verheiratet hat.
Das Gleiche gilt, wenn sich die Tochter einer Verfehlung schuldig gemacht hat,
welche den Verpflichteten berechtigen würde, ihr den Pflichtteil zu entziehen.
§ 1500b. Die Tochter kann eine Aussteuer nicht verlangen, wenn sie bei einer
früheren Eheschliefsung von dem Vater oder der Mutter eine Aussteuer erhalten hat.
§ 1500c. Der Anspruch auf die Aussteuer ist nicht übertragbar; er verjährt in
einem Jahre von der Eheschliefsung an.
§ 1500 d. Was einem Kinde mit Rücksicht auf seine Verheiratung oder auf die
Erlangung einer selbständigen Lebensstellung von dem Vater oder der Mutter zur Begrün-
dung oder Erhaltung der Wirtschaft oder der Lebensstellung gegeben oder versprochen
wird (Ausstattung), gilt auch insoweit, als eine Verpflichtung nicht besteht, nicht als
Schenkung, sofern nicht die Ausstattung das den Umständen, insbesondere den Vermögens-
verhältnissen des Vaters oder der Mutter, entsprechende Mafs übersteigt. Die Gewähr-
leistungspflicht des Ausstattenden bestimmt sich jedoch nach den für die Gewährleistungs-
pflicht des Schenkers geltenden Vorschriften.
§ 1500 e. Hat der Vater einem Kinde, dessen Vermögen der elterlichen oder der
vormundschaftlichen Verwaltung des Vaters unterliegt, eine Ausstattung gewährt, so wird
vermutet, dafs er sie aus diesem Vermögen gewährt habe. Diese Vorschrift findet auf
die Mutter entsprechende Anwendung.
558 Nationalökonomische Gesetzgebung.
gewährt worden ist, also namentlich auch für einen als Ausstattung ver-
sprochenen Geldbeitrag. (In der neuen Fassung ist daher terminologisch
unterschieden zwischen „Aussteuer" und „Ausstattung".)
Der § 1501, welcher die Regelung der elterlichen Gewalt ein-
leitet, fand widerspruchslose Billigung; weder die Beendigung der elter-
lichen Gewalt mit der Volljährigkeit noch die Anerkennung einer elter-
lichen Gewalt der Mutter wurde aus der Mitte der Kommission bean-
standet. Bezüglich der in der elterlichen Gewalt einbegriffenen Sorge
für die Person und das Vermögen des Kindes erklärt der
§ 1503 eine Reihe von Vorschriften des Vormundschaftsrechts für ent-
sprechend anwendbar. Die Uebertragung dieser Vorschriften auf das hier
vorliegende Verhältnis ist teilweise als der natürlichen Stellung der Eltern
nicht entsprechend angefochten worden. Die Kommission hielt gleichfalls
in gewissen Beziehungen eine freiere Behandlung des Verhältnisses der
Eltern zu den gewaltunterworfenen Kindern für angemessen ; sie beschlofs
nämlich, den Inhaber der elterlichen Gewalt nur für diejenige Sorgfalt
haften zu lassen, die er in eigenen Angelegenheiten anzuwenden pflegt,
und ferner, die Vorschriften des § 1697 und des § 1698 Satz 2 nicht
hierher zu übertragen. Vollends lehnte sie es ab, in der Annäherung an
das Vormundschaftsrecht über den Entwurf noch hinauszugehen und den
Gewalthaber auch eine dem § 1659 entsprechende Verpflichtung zur Er-
reichung eines Verzeichnisses des dem Kinde gehörenden Vermögens bei
dem Vormundschaftsgerichte aufzuerlegen. Im übrigen wurde aber der
§ 1503, namentlich auch bezüglich der Verweisung auf die §§ 1664,
1665, 1667, mehreren Abänderungsanträgen gegenüber gebilligt.
II. Elterliche Gewalt.
§ 1501. Das Kind steht, solange es minderjährig ist, unter elterlicher Gewalt.
Die elterliche Gewalt wird von dem Vater, in den Fällen der §§.... von der
Mutter ausgeübt. Nach dem Tode des Vaters steht die elterliche Gewalt der Mutter au.
1. Elterliche Gewalt des Vaters.
§ 1502. (1502, 1503, 1649, 1651.) Die elterliche Gewalt begründet das Recht und
die Pflicht des Vaters, für die Person und das Vermögen des Kindes zu sorgen, insbe-
sondere das Kind zu vertreten.
Dem Vater steht die Vertretung des Kindes insoweit nicht zu, als nach § 1651 der
Vormund von der Vertretung des Mündels ausgeschlossen ist.
§ 1503. (1503, 1650.) Das Recht und die Pflicht des Vaters, für die Person und
das Vermögen des Kindes zu sorgen, erstreckt sich nicht auf Angelegenheiten des Kindes,
für die eine Pflegschaft besteht.
§ 1503 a. (1503, 1653.) Steht die Sorge für die Person oder für das Vermögen
des Kindes einem Pfleger zu, so entscheidet bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen
dem Vater und dem Pfleger über die Vornahme einer sowohl die Person als das Ver-
mögen des Kindes betreffenden Handlung das Vormuudschaftsgericht.
§ 1503 b. (1503, 1696, 1702.) Der Vater hat bei der Ausübung der elterlichen
Gewalt dem Kinde gegenüber nur für diejenige Sorgfalt einzustehen, welche er in eigenen
Angelegenheiten anzuwenden pflegt.
Der Vormundschaftsrichter haftet dem Kinde wegen Verletzung seiner Amtspflicht
in demselben Umfange wie einem Mündel.
§ 1503 c. (1503, 1698.) Werden von dem Vater zum Zwecke der Ausübung der
elterlichen Gewalt Aufwendungen gemacht oder Verbindlichkeiten eingegangen, so stehen
ihm die gleichen Rechte zu, wie nach § b1 dem Manne gegenüber der Frau.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 559
Die §§ 1504 — 151 ö blieben im wesentlichen unverändert, abgesehen
davou, dai's der Abs. 2 des § 1565 als dem öffentlichen Recht angehörig
gestrichen wurde. Auch in betreff der in § 1508 (und § 1658) behan-
§ 1504. Die Sorge für die Person des Kindes umfafst das Recht und die Pflicht,
das Kind zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.
Der Vater kann auf Grund des Erziehungsrechts angemessene Zuchtmittel gegen das
Kind anwenden. Das Vormundschaftsgericht hat den Vater auf Antrag in der Ausübung
des Rechtes durch geeignete Zuchtmittel zu unterstützen.
§ 1505. Die Sorge für die Person des Kindes umfafst das Recht des Vaters, die
Herausgabe des Kindes von jedem zu verlangen , der ihm das Kind widerrechtlich vor-
enthält.
§ 1506 vergl. § 1509 a.
§ 1507. Zu dem Antrage des Vaters auf Entlassung des Kindes aus dem Staats-
verbande ist die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich, es sei denn, dafs
der Vater gleichzeitig für sich die Entlassung beantragt.
Anmerkung. Es bleibt vorbehalten, den § 1507 in den Art. 23 des Entwurfes
des Einführuugsgesetzes zu verweisen.
§ 1508 gestrichen.
Anmerkung. In den Entwurf des Einführungsgesetzes soll geeigneten Ortes fol-
gende Vorschrift aufgenommen werden :
Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften über die religiöse Erziehung
der Kinder.
§ 1509. Steht eine verheiratete Tochter unter elterlicher Gewalt, so beschränkt sich
das Recht und die Pflicht des Vaters, für die Person der Tochter zu sorgen, auf ihre
Vertretung in den ihre Person betreffenden Angelegenheiten.
§ 1509 a. (1506.) Neben dem Vater hat während bestehender Ehe die Mutter das
Recht und die Pflicht der Sorge für die Person des Kindes; zur Vertretung des Kindes
ist sie jedoch nicht berechtigt. Bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen den Eltern
entscheidet der Vater.
§ 1510. Das Recht und die Pflicht, für das Vermögen des Kindes zu sorgen (Ver-
mögensverwaltung), erstreckt sich nicht auf das Vermögen, welches das Kind von Todes-
wegen erwirbt oder welches ihm unter Lebenden von einem Dritten unentgeltlich zuge-
wendet wird , wenn der Erblasser durch Verfügung von Todeswegen, der Dritte bei der
Zuwendung bestimmt hat, dafs der Erwerb der elterlichen Verwaltung entzogen sein soll.
Was das Kind auf Grund eines zu diesem Vermögen gehörenden Rechtes oder als
Ersatz für die Zerstörung , Beschädigung oder Entziehung eines zu diesem Vermögen
gehörenden Gegenstandes oder durch ein Rechtsgeschäft erwirbt, das sich auf dieses
Vermögen bezieht, ist gleichfalls der elterlichen Verwaltung entzogen.
§ 1510a. (1503, 1660.) Was das Kind von Todeswegen erwirbt oder was ihm
unter Lebenden von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, hat der Vater nach
den Anordnungen des Erblassers oder des Dritten zu verwalten, wenn die Anordnungen
von dem Erblasser durch Verfügung von Todeswegen, von dem Dritten bei der Zuwen-
dung getroffen worden sind. Der Vater darf von den Anordnungen insoweit abweichen,
als nach § 1660 ein Vormund abweichen darf.
§ 1510 b. (1503, 1661.) Der Vater kann auf Grund seines Verwaltungsrechts
Schenkungen nicht machen. Ausgenommen sind Schenkungen, durch die einer sittlichen
Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird.
§ 1510 c. (1503, 1664, 1665, 1667.) Das zu dem Vermögen des Kindes gehörende
Geld hat der Vater nach den für die vormundschaftliche Verwaltung geltenden Vorschriften
der §§ 1664, 1665, 1667 für das Kind verzinslich anzulegen, soweit es nicht zur Bestrei-
tung der für die ordnungsmäfsige Verwaltung erforderlichen Ausgaben bereit zu halten ist.
Anmerkung. Der §o Abs. 2 erhält folgeuden Schlufs :
soweit es nicht zur Bestreitung von Ausgaben bereit zu halten ist, die zur ord-
nungsmäfsigen Verwaltung erforderlich sind und der Frau zur Last fallen.
§ 1511. (1511, 1513, 1514.) Der Vater bedarf zu Rechtsgeschäften, die er für
das Kind vornimmt , der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts in den Fällen, in
welchen nach § 1674 Nr. 1 bis 3 a, 6, 9 bis 12, 14 (nach einer vorläufigen Zusammen-
stellung der Beschlüsse der Kommission) ein Vormund derselben bedarf. Die Vorschriften
der §§ 1675, 1681 bis 1681 c (vorl. Zusst.) finden entsprechende Anwendung.
fjßO Nationalökonomische Gesetzgebung.
delten Frage der religiösen Erziehung der Kinder wurde am Standpunkte
des Entwurfs, welcher dieselbe den Landesgesetzen überläfst, festgehalten.
In der Kritik ist von verschiedenen Seiten eine reichsrechtliche Regelung
der Frage im Bürgerlichen Gesetzbuche lebhaft befürwortet worden.
Ebenso bestand auch in der Kommission bei nicht wenigen Mitgliedern
Geneigtheit, eine solche Regelung zu versuchen. Um für die Vorberei-
tung von Anträgen Zeit zu gewähren, setzte man die Entscheidung der
Frage aus bis nach der Durchberatung des Familienrechts. Es wurde
denn auch der Kommission eine ganze Anzahl eingehender Vorschläge
unterbreitet. Man machte sich zunächst im Anschlufs an eine allgemeine
Erörterung der für und gegen die reichsrechtliche Regelung sprechenden
Gründe darüber schlüssig, ob in eine Einzelberatung der Vorschläge ein-
getreten werden solle. In jener Erörterung ergab sich Einverständnis
darüber, dafs der Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuche im Hinblick auf
den vorwiegend privatrechtlichen Charakter der Frage Zuständigkeitsbe-
denken nicht entgegenständen, sowie darüber, dafs mit Rücksicht auf die
bestehende Rechtsverschiedenheit und die teilweise vorhandene Rechtsun-
sicherheit die Schaffung einheitlichen und klaren Rechtes sehr wünschens-
wert sei. Dagegen waren die Ansichten geteilt über die Frage, ob sich
eine für die Angehörigen der verschiedenen Konfessionen annehmbare
Regelung finden lassen werde. Die Mehrzahl glaubte, diese Frage ver-
neinen zu müssen. Vor allem aber befürchtete sie von der Aufnahme
bezüglicher Vorschriften in den Entwurf für die weiteren gesetzgeberischen
Stadien Schwierigkeiten, durch die möglicherweise das Zustandekommen
des ganzen Gesetzgebungswerks gefährdet werden könne. Dazu kam die
Rücksicht auf die Stellungnahme der Bundesregierungen , welche mit
wenigen Ausnahmen den Standpunkt des Entwurfs gebilligt hatten. Auf
Grund dieser Erwägungen gelangte die Mehrheit zur Verneinung der ge-
§ 1512. Der Vater kann Gegenstände, zu deren Veräufserung er der Genehmigung
des Vormundschaftsgerichts bedarf, dem Kinde nicht zur Erfüllung eines von diesem ge-
schlossenen Vertrags oder zu freier Verfügung überlassen.
§ 1513 vergl. § 1511.
§ 1514 vergl. § 1511.
§ 1515. Der Vater soll nicht ohne Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ein
neues Erwerbsgeschäft im Namen des Kindes beginnen.
§ 1515 a. Erwirbt der Vater mit Mitteln des Kindesvermögens Inhaberpapiere oder
mit Blankoindossament versehene Orderpapiere oder andere bewegliche Sachen , so geht
mit dem Erwerbe das Eigentum auf das Kind über, es sei denn, dafs der Vater nicht
tür Rechnung des Kindesvermögens erwerben wollte.
Diese Vorschrift findet entsprechende Anwendung , wenn der Vater mit Mitteln des
Kindesvermögens ein Recht an Sachen der bezeichneten Art oder ein anderes Recht er-
wirbt, zu dessen Uebertragung der Abtretungsvertrag genügt.
§ 1515 b. (1553.) Die Verwaltung des Vaters endigt mit der Rechtskraft des Be-
schlusses, durch welchen der Konkurs über das Vermögen des Vaters eröffnet wird.
Nach der Aufhebung des Konkurses kann das Vormundschaftsgericht die Verwaltung
dem Vater wieder übertragen.
§ 1515 c. (1503, 1700 Abs. 1.) Nach der Beendigung der elterlichen Verwaltung
hat der Vater dem Kinde das Vermögen herauszugeben und über die Verwaltung Rechen-
schaft abzulegen.
§ 1515 d. (1502.) Die elterliche Gewalt begründet das Recht der Nutzniefsung am
Vermögen des Kindes.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 561
stellten Vorfrage, so dafs auf die Einzelheiten der Anträge nicht weiter
eingegangen wurde. Die auf die elterliche Vermögensverwaltuug bezüg-
lichen Vorschriften erfuhren eine Ergänzung durch die Bestimmung des
§ 1515a der 2. Lesung, welche sich den §r der Vorschriften über das
gesetzliche eheliche Güterrecht anschliefst (vergl. S. 66). Ohne die Ver-
schiedenheit der elterlichen Verwaltung von der ehemänulichen zu ver-
kennen, hielt man doch die Gründe, welche zu den Bestimmungen des
§r geführt haben (vergl. S. 240), im wesentlichen auch bezüglich der
elterlichen Verwaltung für zutreffend und eine weitergehende »Sicherung
der Kinder für geboten.
Die §§ 1516 — 1537, welche die elterliche Nutzniefsung regeln, wur-
§ 1516. Von der Nutzniefsung ausgeschlossen (freies Vermögen) sind die ausschließ-
lich zum persönlichen Gebrauche des Kindes bestimmten Sachen, insbesondere Kleider
und Schmucksachen.
§ 1517. (1517 — 1519.) Freies Vermögen ist:
1. was das Kind durch seine Arbeit oder durch den ihm vom Vater nach § 86 ge-
statteten selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts erwirbt;
2. was das Kind von Todeswegen erwirbt oder was ihm unter Lebenden von einem
Dritten unentgeltlich zugewendet wird, wenn der Erblasser durch Verfügung von
Todeswegen, der Dritte bei der Zuwendung bestimmt hat, dafs das Vermögen der
Nutzniefsung entzogen sein soll.
Die Vorschriften des § 1510 Abs. 2 finden entsprechende Anwendung.
§ 1518 vergl. § 1517.
§ 1519 vergl. § 1517.
§ 1520. (1520, 1521, 1526.) Der Vater erwirbt die Nutzungen des seiner Nutz-
niefsung unterliegenden Vermögens in derselben Weise und in demselben Umfange wie
ein Niefsbraucher.
§ 1521 vergl. § 1520.
§ 1521 a. (1531.) Der Vater hat die Lasten des seiner Nutzniefsung unterliegen-
den Vermögens zu tragen. Seine Haftung bestimmt sich nach den für den Güterstand
der Verwaltung und Nutzniefsung geltenden Vorschriften der §§ v bis x, z. Zu den
Lasten gehören auch die Kosten eines für das Kind geführten Rechtsstreits , sofern sie
nicht dem freien Vermögen zur Last fallen, sowie die Kosten eines gegen das Kind
gerichteten Strafverfahrens, vorbehaltlich der Ersatzpflicht des Kindes im Falle seiner
Verurteilung.
§ 1522 gestrichen.
§ 1523. (1523, 1525.) Der Vater darf v«rbrauchbare Sachen, die zu dem seiner
Nutzniefsung unterliegenden Vermögen gehören, für sich veräufsern oder verbrauchen,
Geld jedoch nur mit Genehmigung des Vormttndschaftsgerichts. Macht der Vater von
der Befugnis Gebrauch, so hat er den Wert der Sachen nach der Beendigung der Nutz-
niefsung zu ersetzen ; der Ersatz ist schon vorher zu leisten, wenn die ordnungsmäfsige
Verwaltung des Kindesvermögens es erfordert.
§ 1524 gestrichen.
§ 1525 vergl. § 1523 Satz 2.
§ 1526 vergl. § 1520.
§ 1527. Gehört zu dem der Nutzniefsung unterliegenden Vermögen ein Erwerbs-
geschäft, das von dem Vater im Namen des Kindes betrieben wird, so hat der Vater nur
Anspruch auf den aus dem Betriebe sich ergebenden jährlichen Reingewinn. Ergiebt
sich in einem Jahre ein Verlust, so verbleibt der Gewinn späterer Jahre bis zur Aus-
gleichung des Verlustes dem Kinde.
§ 1527 a. (§ 1532.) Steht dem Vater die Verwaltung des seiner Nutzniefsung unter-
liegenden Vermögens nicht zu, so kann er auch die Nutzniefsung nicht ausüben und die
Herausgabe der Nutzungen nur insoweit verlangen, als sie nicht zur Fortführung einer
ordnungsmäfsigen Verwaltung und zur Bestreitung der Lasten der Nutzniefsung erforder-
lich sind.
Ruht die elterliche Gewalt oder ist dem Vater die Sorge für die Person und das
Dritte Folge Bd. VIII (LXHI). 36
562 Nationalökonomische Gesetzgebung.
den mit den über die eheliche Nutzniefsung gefafsten Beschlüssen in
Einklang gesetzt. Insbesondere vermied man auch hier die Gestaltung
des Nutzniefsungsrechts als Niefsbrauch und die in § 1520 enthaltene
allgemeine Verweisung auf die Vorschriften über den Niefsbrauch;
Vermögen des Kindes durch das Vormundschaftsgericht entzogen , so können die Kosten
des Unterhalts des Kindes aus den Nutzungen insoweit vorweg entnommen werden , als
sie dem Vater zur Last fallen.
§ 1527 b. (1533.) Ist der Vater von der Ausübung der Nutzniefsung ausgeschlossen,
so hat er eine ihm dem Kinde gegenüber obliegende Verbindlichkeit, die infolge der
Nutzniefsung erst nach deren Beendigung zu erfüllen sein würde, sofort zu erfüllen. Diese
Vorschrift findet keine Anwendung, wenn die elterliche Gewalt ruht.
§ 1527 c. (1534.) Die Rechte, welche dem Vater auf Grund seiner Nutzniefsung
an dem Vermögen des Kindes zustehen, sind unveräufserlich.
Das Gleiche gilt von den nach den §§ 1527, 1527 a dem Vater zustehenden An-
sprüchen, solange sie nicht fällig sind.
Anmerkung. Im Artikel 11 des Entwurfes des Einführungsgesetzes sollen zum
teilweisen Ersätze der §§ 1534, 1535 des Entw. I. folgende Vorschriften in die Civil-
prozefsordnung als § 749c eingestellt werden:
Die Rechte, welche dem Vater oder der Mutter auf Grund der elterlichen Nutz-
niefsung an dem Kindesvermögen zustehen, sind der Pfändung nicht unterworfen.
Das Gleiche gilt von den ihnen nach den §§ 1527, 1527 a des Bürgerlichen Ge-
setzbuchs zustehenden Ansprüchen, solange die Ansprüche nicht fällig sind.
Auf die Pfändung der von dem Vater oder der Mutter auf Grund der elterlichen
Nutzniefsung erworbenen Früchte finden die Vorschriften des § 749 b mit der
Mafsgabe entsprechende Anwendung , daf» die im Abs. 1 bezeichneten Ansprüche,
wenn sie fällig sind, den erworbenen Früchten gleichstehen.
§ 1528. Die Gläubiger des Kindes können ohne Rücksicht auf die elterliche Nutz-
niefsung Befriedigung aus dem Vermögen des Kindes verlangen.
Hat der Vater verbrauchbare Sachen nach § 1523 veräufsert oder verbraucht, so
tritt an die Stelle der Sachen der Anspruch des Kindes auf Ersatz des Wertes. Der
Vater ist den Gläubigern gegenüber zum sofortigen Ersätze verpflichtet.
Anmerkung. Im Artikel 11 des Entwurfes des Einführungsgesetzes soll zum
Ersätze des zweiten Halbsatzes des § 1528 des Entw. I folgende Vorschrift als § 671g
in die Civilprozefsordnung eingestellt werden :
Zur Zwangsvollstreckung in das der elterlichen Nutzniefsung unterliegende Kindes-
vermögen ist ein gegen das Kind erlassenes Urteil genügend.
§ 1529 vergl. § 1280 Abs. 3, § 1482 b.
§ 1530. Im Verhältnisse des Vaters und des Kindes zu einander finden in Ansehung
der Verbindlichkeiten des Kindes die für den Güterstand der Nutzniefsung und Verwal-
tung geltenden Vorschriften des §a2, des § ba Abs. 1 und des § c* entsprechende An-
wendung.
§ 1531 vergl. § 1521 a.
§ 1532 vergl. § 1527 a.
§ 1533 vergl. § 1527 b.
§ 1534 vergl. § 1527 c.
§ 1535 gestrichen.
§ 1536. Verheiratet sich das Kind, so endigt die Nutzniefsung, es sei denn, dafs
die Ehe ohne die erforderliche elterliche Einwilligung geschlossen worden ist.
§ 1537. Der Vater kann auf die Nutzniefsung verzichten. Der Verzicht ist dem
Vormundschaftsgerichte gegenüber in öffentlich beglaubigter Form zu erklären.
§ 1537 a. (1520.) Hat der Vater auf Grund seiner Nutzniefsung ein zu dem Ver-
mögen des Kindes gehörendes Grundstück vermietet oder verpachtet, so finden, wenn
das Miet- oder Pachtverhältnis bei der Beendigung der Nutzniefsung noch besteht, die
Vorschriften des § 965 entsprechende Anwendung.
Gehört zu dem der Nutzniefsung unterliegenden Vermögen ein landwirtschaftliches
Grundstück, so findet die Vorschrift des § 532, gehört zu dem Vermögen ein Landgut,
so finden die Vorschriften der §§ 532, 533 entsprechende Anwendung.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 563
hierdurch wurde eine Anzahl späterer Bestimmungen (§§ 1521, 1522,
1523 Abs. 1, 1524, 1526) entbehrlich. Von sonstigen Aenderungen sei
hervorgehoben, dafs der Abs. 2 des § 1527 gestrichen wurde, weil man
in ihm eine ungerechtfertigte Strafvorschrift erblickte.
Nach § 1538, mit welchem sich der Entwurf zu den besonderen Be-
stimmungen über die elterliche Gewalt der Mutter wendet, soll
das Vormundschaftsgericht der Mutter aufser auf Anordnung des Vaters
und auf ihren eigenen Antrag einen Beistand von Amtswegen bestellen,
wenn es die Bestellung wegen des Umfanges oder der besonderen Schwierig-
keiten der Vermögensverwaltung oder nach Mafsgabe der §§ 1546, 1547
im Interesse des Kindes für nötig erachtet. Die Kommission hielt es im
Hinblick darauf, dafs das Institut der elterlichen Gewalt der Mutter für
grofse Teile des Reichs eine Neuerung enthält , für ratsam , in noch
weiterem Umfange die Bestellung eines Beistandes von Amtswegen zuzu-
lassen, nämlich in allen Fällen, in denen das Vormundschaftsgericht aus
besonderen Gründen, also namentlich auch mit Rücksicht auf die subjek-
tive Befähigung der Mutter, die Bestellung im Interesse des Kindes für
nötig erachtet. Ein Antrag, welcher umgekehrt die Beistandsbestelluug
nur unter den Voraussetzungen der §§ 1546, 1547 zulassen wollte, wurde
demgemäfs vollends abgelehnt. In der gleichen Richtung wie der soeben
erwähnte bewegte sich ein fernerer Beschlufs, nach welchem das Vor-
muudschaftsgericht die Vermögensverwaltung auf Antrag der Mutter auch
ganz oder teilweise dem Beistande soll übertragen können. Man
ging davon aus, dafs thatsächlich die Vermögensverwaltung in nicht
seltenen Fällen wegen der Unfähigkeit der Mutter vom Beistande werde
geführt werden, und erachtete es in Uebereinstimmung mit mehreren
Aeufserungen der Kritik für richtiger, in solchen Fällen auch rechtlich
der Mutter die Verantwortlichkeit auf ihren Wunsch abzunehmen. Weiter
verpflichtete man die Mutter im Falle der Beiordnung eines Beistandes für
die Vermögensverwaltung zur Aufnahme eines Verzeichnisses des ihrer
Verwaltung unterworfenen Kindesvermögens und zur Einreichung des
Verzeichnisses bei dem Vormundschaftsgerichte. Im übrigen fanden die
Bestimmungen dieses Unterabschnitts Billigung. Der § 1543 erhielt nur
noch den Zusatz, dafs ein auf Verlangen der Mutter bestellter Beistand
auf ihr Verlangen auch wieder zu entlassen ist, wenn nicht die Beibe-
haltung im Interesse des Kindes nötig erscheint.
Von den folgenden Vorschriften über die Fürsorge und Auf-
sicht des Vormundschaftsgerichts und der Beschränkung
der elterlichen Gewalt blieben die §§ 1544, 1545 unbeanstandet.
§ 1538 vergl. § 1561 f.
§ 1539 vergl. § 1561 g.
§ 1540 vergl. § 1561h.
§ 1541 vergl. §§ 1561k, 15611.
§ 1542 vergl. § 1561 1.
§ 1543 vergl. § 1561 n.
§ 1544. (1544, 1545.) Das Vormundschaftsgerieht hat, wenn der Vater verhindert
ist, die mit der elterlichen Gewalt verbundenen Pflichten zu erfüllen, die im Interesse
des Kindes erforderlichen Mafsregeln zu treffen.
36*
564 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Eine ausgedehnte Erörterung knüpfte sich an den § 1546, welcher sich
auf den Schutz des Kindes gegen Gefährdung seines leiblichen oder
geistigen Wohls durch den Inhaber der elterlichen Gewalt bezieht. Der
Entwurf macht das Einschreiten des Vormundschaftsgerichts stets von
einem Verschulden des Gewalthabers abhängig, mag dasselbe in einem
Mifsbrauch der dem letzteren bezüglich der Person des Kindes zustehen-
den Rechte oder in einer Vernachlässigung des Kindes oder in ehrlosem oder
unsittlichen Verhalten des Gewalthabers bestehen. Die Kommission be-
schlofs dagegen, dafs das Vormundschaftsgericht auch dann einzugreifen
verpflichtet sein soll, wenn das Kind, auch ohne Verschulden der Eltern,
sittlich verwahrlost und nach der Persönlichkeit und den Lebensverhält-
nissen des Gewalthabers anzunehmen ist, dafs die elterliche Erziehuugs-
gewalt zur Besserung des Kindes nicht ausreicht. Man liefs sich von der
Erwägung leiten, nachdem die in Anknüpfung an § 55 des Strafgesetz-
buches erlassenen Landesgesetze in der staatlichen Fürsorge für ver-
wahrloste Kinder aus gewichtigen sozialpolitischen Gründen über den vom
Entwurf eingenommenen Standpunkt vielfach hinausgegangen seien, dürfe
das Bürgerliche Gesetzbuch weder für das Gebiet jener Landesgesetze
einen Rückschritt herbeiführen, noch Rechtsverschiedenheit bestehen
lassen, sondern müsse sich den vorgeschrittenen Standpunkt jener Landes-
gesetze aneignen. Infolge dieses Beschlusses sah man kein Bedürfnis und
hielt es im Interesse der Rechtseinheit nicht für angängig, den Laudes-
gesetzen, abgesehen von den Fällen des § 56 des Strafgesetzbuches, noch
unter weiteren als den in § 1546 bestimmten Voraussetzungen die Ein-
leitung einer öffentlichen Zwangserziehung minderjähriger Kinder zu ge-
statten ; man erhielt daher die auf die Zwangserziehung bezüglichen
Läfst der Vater die für ihn verbindliche Anordnung eines Dritten unbefolgt, so hat
das Vormundschaftsgericht das zur Sicherung der Befolgung Erforderliche anzuordnen.
§ 1545 vergl. § 1544.
§ 1546. Wird das geistige oder leibliche Wohl des Kindes dadurch gefährdet, dafs
der Vater das Recht der Sorge für die Person des Kindes mifsbraucht oder dafs er das
Kind vernachlässigt oder sich eines ehrlosen oder unsittlichen Verhaltens schuldig macht,
so hat das Vormundschaftsgericht die zur Abwendung der Gefahr erforderlichan Mafs-
regeln zu treffen. Das Gleiche gilt, wenn das Kind sittlich verwahrlost und nach der
Persönlichkeit und den Lebensverhältnissen des Vaters anzunehmen ist, dafs die elter-
liche Erziehungsgewalt zur Besserung des Kindes nicht ausreicht.
Das Vormundschaftsgericht kann insbesondere anordnen, dafs das Kind zum Zwecke
der Erziehung in einer geeigneten Familie oder in einer Erziehungs- oder Besserungsan-
stalt untergebracht wird.
Verletzt der Vater das Recht des Kindes auf Gewährung des Unterhalts und ist für
die Zukunft eine erhebliche Gefährdung des Unterhalts zu besorgen , so kann ihm auch
die Verwaltung des Kindesvermögens sowie die Nutzniefsung entzogen werden.
Anmerkung. 1. In den Entwurf des Einführungsgesetzes soll geeigneten Ortes
folgende Vorschrift eingestellt werden.
Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften über die öffentliche Zwangs-
erziehung minderjähriger Kinder ; die Zwangserziehung ist jedoch, unbeschadet der
Vorschriften des § 56 des Strafgesetzbuchs, nur zulässig, wenn sie von dem Vor-
mundschaftsgericht auf Grund des § 1546 des Bürgerlichen Gesetzbuchs für er-
forderlich erklärt wird.
2. Im Artikel 16 des Entwurfes des Einführungsgesetzes sollen die Sätze 2, 3 des
§ 55 des Strafgesetzbuchs gestrichen werden.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 565
landesgesetzlichen Vorschriften nur mit der Einschränkung aufrecht, dafs
die Zwangserziehung nur zulässig sein soll, wenn sie von dem Vormund-
schaftsgericht auf Grund des § 1546 für erforderlich erklärt wird. Neben
diesem Vorbehalt für die Landesgesetze und dem § 1546 erschienen die
Sätze 2, 3 des § 55 des Strafgesetzbuchs (vergl. das Einführungsgesetz
Art. 16) entbehrlich und irreführend.
Eine fernere Aenderung erfuhr der Satz 3 des § 1546, nach welchem
das Vormundschaftsgericht, sofern das Interesse des Kindes es erfordert,
auch die elterliche Gewalt mit Ausnahme der elterlichen Nutzuiefsung
ganz oder teilweise entziehen kann. Dafs der Entwurf die Entscheidung
dem Vormundschaftsgericht überträgt, wurde zwar gegenüber Anträgen,
die nur eine Entziehung der elterlichen Gewalt durch richterliches Urteil
zulassen oder doch die Anfechtung des vormundschaftsgerichtlichen Be-
schlusses im Wege der Klage gestatten wollten, von der Mehrheit ge-
billigt unter der selbstverständlichen Voraussetzung, dafs das in Aussicht
genommene Verfahrensgesetz in den hier fraglichen Fällen die erforder-
liche Gewähr für hinreichenden Schutz der Rechte der Eltern schaffen
werde. Ebenso fand der Entwurf darin die Zustimmung der Mehrheit,
dafs die Entziehung der elterlichen Gewalt sich in den Fällen des § 1546
nicht auf die elterliche Nutzniefsung erstrecken soll. Dagegen erschien es
bedenklich, dafs es unter den Voraussetzungen des § 1546 auch allgemein
in das Ermessen des Vormundschaftsgerichts gestellt sein soll, dem In-
haber der elterlichen Gewalt die Vermögensverwaltung zu entziehen.
Diese Mafsregel hielt man nur dann für gerechtfertigt, wenn der Gewalt-
haber das Recht des Kindes auf Gewährung des Unterhaltes verletzt und
für die Zukunft eine erhebliche Gefährdung des Unterhalts zu besorgen
ist; in einem solchen Falle erschien es andererseits mit Rücksicht auf
den inneren Zusammenhang des Nutzniefsungsrechts mit der Unterhaltungs-
pfiicht der Eltern angezeigt, dem Vormundschaftsgericht auch die Ent-
ziehung jenes Rechts anheimzustellen. Nach dieser Einschränkung des
§ 1546 Satz 3 glaubte man, seinen übrigbleibenden Inhalt neben Satz 1
nicht besonders aussprechen zu brauchen. — Die übrigen Bestimmungen
dieses Unterabschnitts (§§ 1547 — 1553) wurden mit unerheblichen
Aenderungen gebilligt.
§ 1547. (1547 Abs. 1.) Wird das Vermögen des Kindes dadurch gefährdet, dafs
der Vater die mit der Vermögensverwaltung und Nutzniefsung verbundenen Pflichten ver-
letzt oder in Vermögensverfall gerät , so hat das Vormundschaftsgericht die zur Abwen-
dung der Gefahr erforderlichen Mafsregeln zu treffen.
Das Vormundschaftsgericht kann insbesondere anordnen, dafs der Vater ein Ver-
zeichnis des Vermögens einreicht, dafs er über seine Verwaltung Rechnung legt, dafs er
Kostbarkeiten und Wertpapiere, mit Einschlufs der Hypotheken-, Grundschuld- und Renten-
schuldbriefe, nach den für die vormundschaftliche Verwaltung geltenden Vorschriften des
§ 1670 hinterlegt oder Inhaberpapiere auf den Namen des Kindes umschreiben oder in
Buchschulden des Reiches oder eines Bundesstaats umwandeln läfst. Nach der Hinter-
legung, Umschreibung oder Umwandlung finden die Vorschriften des § 1671 entsprechende
Anwendung.
§ 1547 a. (1547 Abs. 2, 1549 Abs. 2, 1551 Satz 2.) Erscheinen die nach §1547
Abs. 2 zulässigen Mafsregeln nicht ausreichend , so kann das Vormundschaftsgericht den
Vater anhalten , für das seiner Verwaltung unterliegende Vermögen Sicherheit zu leisten.
566 Nationalökonomische Gesetzgebung.
In dem letzten Unterabschnitt, welcher von dem Ruhen und der
Beendigung der elterlichen Gewalt handelt, wurde der Abs. 1
des § 1554 nur insoweit beanstandet, als er auch in den Fällen des
Ruhens der Gewalt dem Gewalthaber die elterliche Nutzniefsung beläfst ;
die Mehrheit erklärte sich aber auch hierin mit dem Entwürfe einver-
standen. Nach Abs. 2 soll der Gewalthaber, wenn die Gewalt wegen
seiner Minderjährigkeit ruht, in beschränktem Mafse zur Fürsorge für
die Person des Kindes berechtigt und verpflichtet bleiben. Diese Vor-
schrift wurde in der Beschränkung auf die minderjährige Mutter nicht
angefochten, während sie in der Anwendung auf den Vater durch den
Beschlufs, die Ehemündigkeit der Männer erst mit der Volljährigkeit ein-
treten zu lassen, im wesentlichen gegenstandslos geworden war. Dagegen
erschien es in den übrigen Fällen, in deoen die Gewalt wegen Beschrän-
kung der Geschäftsfähigkeit des Gewalthabers ruht, also in den Fällen
der Entmündigung wegen Verschwendung oder Trunksucht u. s. w., der
Die Art und den Umfang der Sicherheitsleistung bestimmt das Vormundschaftsgericht
nach seinem Ermessen. Bei der Bestellung und der Aufhebung der Sicherheit wird die
Mitwirkung des Kindes durch die Anordnung des Vormundschaftsgerichts ersetzt.
§ 1548. Will der Vater zu einer neuen Ehe schreiten, so hat er dies dem Vor-
mundschaftsgericht anzuzeigen, ein Verzeichnis des seiner Verwaltung unterliegenden
Vermögens einzureichen und, soweit in Ansehung dieses Vermögens eine Gemeinschaft
zwischen ihm und dem Kinde besteht, die Auseinandersetzung herbeizuführen. Das Vor-
mundschaftsgericht kann jedoch gestatten, dafs die Auseinandersetzung erst nach der Ehe-
schliefsung erfolgt.
§ 1549. Die Kosten der Aufnahme und Einreichung des Vermögensverzeichnisses,
die Kosten der Hinterlegung , Umschreibung oder Umwandlung sowie die Kosten
der Sicherheitsleistung sind in den Fällen der §§ 1547 bis 1548 von dem Vater zu
tragen.
§ 1550. Werden von dem Vater die nach den §§ 1547, 1547 a getroffenen Anord-
nungen nicht befolgt oder die nach § 1548 ihm obliegenden Verpflichtungen nicht erfüllt,
so kann ihm das Vormundschaftsgericht die Vermögensverwaltung entziehen. Andere
Mafsregeln zur Erzwingung der Sicherheitsleistung sind unzulässig.
§ 1551. Das Vormuudschaftsgericht kann während der Dauer der elterlichen Ge-
walt die von ihm getroffenen Anordnungen jederzeit ändern, insbesondere die Erhöhung.
Minderung oder Aufhebung der geleisteten Sicherheit anordnen.
§ 1552. Die Gemeindewaisenräte haben dem Vormundschaftsgericht unverzüglich
Anzeige zu machen, wenn ein Fall zu ihrer Kenntnis gelangt, in welchem es zu einem
Einschreiten berufen ist.
§ 1553 vergl. § 1515 b.
§ 1554. (1554 Abs. 1 Satz 1, Abs 2.) Die elterliche Gewalt des Vaters ruht,
wenn er geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist.
Ist der Vater in der Geschäftsfähigkeit beschränkt , so steht ihm neben dem gesetz-
lichen Vertreter die Sorge für die Person des Kindes in gleicher Weise zu wie nach
§ 1509 a der Mutter neben dem Vater.
§ 1554 a. (1554 Abs. 1 Satz 2.) Die elterliche Gewalt des Vaters ruht, wenn von
dem Vormundschaftsgerichte festgestellt ist , dafs der Vater auf längere Zeit an der Aus-
übung der elterlichen Gewalt thatsächlich verhindert ist und der Sorge für die Person
und das Vermögen des Kindes durch Anordnung einer Pflegschaft nicht genügt werden
kann.
Das Ruhen endigt, wenn von dem Vormundschaftsgerichte festgestellt ist , dafs der
Grund nicht mehr besteht.
§ 1554 b. (1554 Abs. 1.) Dem Vater verbleibt, auch wenn seine elterliche Gewalt
ruht, unbeschadet der Vorschrift des § 1561 b Satz 3, die Nutzniefsung am Vermögen
des Kindes.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 567
natürlichen Auffassung entsprechend, dem Gewalthaber das Recht und die
Pflicht zur Fürsorge für die Person des Kindes in dem in § 1506 Abs. I
bestimmten Umfange zu belassen. Nach § 1555 soll, wenn die elterliche
Gewalt des Vaters ruht, regelmäfsig die Gewalt mit Ausnahme der dem
Vater verbleibenden Nutzniefsung der Mutter zustehen (Abs. 1 Satz 1) ;
dies soll aber nicht gelten, wenn die Gewalt des Vaters infolge der Ent-
mündigung desselben wegen Verschwendung ruht, oder wenn die Ehe auf-
gelöst ist (Abs. 2). Die Kommission stimmte dieser Regelung mit zwei
Abweichungen zu: erstens soll der Entmündigung wegen Verschwendung
die Entmündigung wegen Trunksucht gleichgestellt werden ; zweitens soll
der Mutter auf ihren Antrag auch nach Auflösung der Ehe die elterliche
Gewalt durch das Vormundschaftsgericht eingeräumt werden, wenn keine
Aussicht besteht, dafs der Grund, dessentwegen die elterliche Gewalt
des Vaters ruht, wieder wegfallen werde, und in diesem Falle soll dann
der Mutter auch die elterliche Nutzniefsung zustehen. Man nahm an,
dafs unter den zuletzt gedachten Voraussetzungen die Uebertragung der
vollen elterlichen Gewalt auf die Mutter ebenso vom Standpunkte des
Interesses des Kindes unbedenklich sei, wie sie den natürlichen Verhält-
nissen entspreche. Diese Regelung erschien insbesondere auch für den
Fall passend, wenn die Ehe wegen Geisteskrankheit des Vaters ge-
schieden ist. Der Satz 2 des Abs. 1 kam als gegenstandslos in
Wegfall.
Den § 1556 ersetzte man durch einen Zusatz zu § 1633, nach
welchem ein Minderjähriger auch dann einen Vormund erhalten soll, wenn
Bein Familienstand nach der Feststellung des Vormundschaftsgerichts nicht
zu ermitteln ist. Der § 1557 wurde sachlich nur insoweit geändert, als
die der Todeserklärung im allgemeinen beigelegte deklaratorische Be-
deutung auoh hier durchgeführt wurde. Die §§ 1558, 1559 fanden unter
Verwerfung abweichender Anträge Billigung. Das Recht und die Pflicht
der Mutter zur Fürsorge für ihr Kind erkannte man auch für die Fälle an,
in denen das Erziehungsrecht des Vaters nach § 1546 beschränkt und
deshalb ein Pfleger bestellt ist oder die elterliche Gewalt des Vaters
ruht oder verwirkt ist, nicht aber auf die Mutter übergeht, vielmehr ein
Vormund bestellt ist. Die §§ 1560, 1561 wurden als selbstverständlich
§ 1555 vergl. § 1561 c.
§ 1556 gestrichen.
§ 1557. Die elterliche Gewalt des Vaters endigt, wenn er für tot erklärt wird, mit
dem Zeitpunkte, welcher als Zeitpunkt des Todes gilt.
Lebt der Vater noch, so erlangt er die elterliche Gewalt dadurch zurück , dafs er
dem Vormundschaftsgerichte gegenüber eine hierauf gerichtete Erklärung abgiebt.
§ 1558 vergl. § 1561 q.
§ 1559. (1559 Abs. 1.) Der Vater verwirkt die elterliche Gewalt, wenn er wegen
eines an dem Kinde begangenen Verbrechens oder vorsätzlich verübten Vergehens zu
Zuchthausstrafe oder zu einer Gefängnisstrafe von mindestens sechs Monaten ver-
urteilt wird. Ist wegen des Zusammentreffens mit einer anderen strafbaren Handlung
auf eine Gesamtstrafe erkannt, so entscheidet die Einzelstrafe, welche für das an dem
Kinde begangene Verbrechen oder Vergehen verwirkt ist.
Die Verwirkung der elterlichen Gewalt tritt mit der Rechtskraft des Urteils ein.
§ 1560 gestrichen.
§ 1561 gestrichen.
568 Nationalökonomische Gesetzgebung.
gestrichen. Eine Ergänzung erfuhr der Entwurf endlich durch den § 1561 a
der 2. Lesung, welcher sich dem Grundgedanken nach dem § 1709 des
Entwurfs anschliefst.
§ 1561 a. Der Vater ist auch nach der Beendigung der elterlichen Gewalt zur
Fortführung der mit der Sorge für die Person und das Vermögen des Kindes ver-
bundenen Geschäfte berechtigt, bis er von der die Beendigung bewirkenden That-
sache Kenntnis erlangt hat oder diese Thatsache hätte kennen müssen. Ein Dritter
kann sich auf diese Berechtigung nicht berufen , wenn er bei der Vornahme eines
Rechtsgeschäfts die Beendigung der elterlichen Gewalt gekannt hat oder hätte kennen
müssen.
Endigt die elterliche Gewalt infolge des Todes des Kindes , so hat der Vater die-
jenigen Geschäfte, mit deren Aufschübe Gefahr verbunden sein würde, zu besorgen,
bis die Erben anderweit haben Fürsorge treffen können.
2. Elterliche Gewalt der Mutter.
§ 1561b. (1557 Abs. 2, 1559 Abs. 2.) Der Mutter steht die elterliche Gewalt zu,
wenn der Vater die elterliche Gewalt verwirkt hat und die Ehe aufgelöst ist. Das Gleiche
gilt, wenn die elterliche Gewalt des Vaters durch Todeserklärung beendigt ist.
§ 1561c. (1555.) Solange die elterliche Gewalt des Vaters ruht, wird die elter-
liche Gewalt von der Mutter ausgeübt, es sei denn, dafs der Vater wegen Verschwendung
oder wegen Trunksucht entmündigt oder die Ehe aufgelöst ist. Im Falle der Auflösung
der Ehe hat jedoch das Vormundschaftsgericht der Mutter auf ihren Antrag die Ausübung
der elterlichen Gewalt zu übertragen, wenn keine Aussicht besteht, dafs der Grund, aus
welchem die elterliche Gewalt des Vaters ruht, wegfallen wird ; mit der Uebertragung
der elterlichen Gewalt erlangt die Mutter in diesem Falle auch die Nutzniefsung am Ver-
mögen des Kindes.
§ 1561 d. Wird für das Kind ein Vormund bestellt, weil die elterliche Gewalt des
Vaters ruht oder verwirkt ist, oder erhält das Kind in einem Falle des § 1546 wegen
Beschränkung des Erziehungsrechts des Vaters einen Pfleger, so steht der Mutter die
Sorge für die Person des Kindes neben dem Vormund oder dem Pfleger in gleicher
Weise zu wie nach § 1509 a neben dem Vater.
§ 1561 e. Auf die elterliche Gewalt der Mutter finden, soweit sich nicht aus den
§§ 1561 f bis 1561 q ein Anderes ergiebt, die für die elterliche Gewalt des Vaters gelten-
den Vorschriften entsprechende Anwendung.
§ 1561 f. (1538.) Das Vormundschaftsgericht hat der Mutter einen Beistand zu
bestellen :
1. wenn der Vater durch Verfügung von Todes wegen die Bestellung nach Mafsgabe
des § 1636 angeordnet hat;
2. wenn die Mutter die Bestellung beantragt;
3. wenn das Vormundschaftsgericht aus besonderen Gründen , insbesondere wegen des
Umfangs oder der Schwierigkeit der Vermögensverwaltung oder in den Fällen der
§§ 1546, 1547, die Bestellung im Interesse des Kindes für nötig erachtet.
§ 1561g. (1539.) Der Beistand kann für alle Angelegenheiten, für gewisse Arten
oder für einzelne Angelegenheiten bestellt werden.
Ueber den Umfang seines Wirkungskreises entscheidet die Bestellung. Ist der Um-
fang nicht bestimmt, so fallen alle Angelegenheiten in seinen Wirkungskreis.
Hat der Vater die Bestellung angeordnet, so sind dessen Anordnungen über den
Umfang des Wirkungskreises für das Vormundschaftsgericht mafsgebend.
§ 1561 h. (1540.) Der Beistand hat innerhalb seines Wirkungskreises die Mutter
bei der Ausübung der elterlichen Gewalt zu unterstützen und zu überwachen , auch dem
Vormundschaftsgericht jeden Fall , in welchem es zu einem Einschreiten berufen ist, an-
zuzeigen.
§ 1561 i. Ist der Mutter für die Vermögensverwaltung ein Beistand bestellt, so
hat sie ein Verzeichnis des ihrer Verwaltung unterliegenden Vermögens unter Zuziehung
des Beistandes aufzunehmen und dem Vormundschaftsgericht einzureichen.
§ 1561k. (1541 Abs. 3.) Auf die Anlegung des zu dem Vermögen des Kindes
gehörenden Geldes finden , soweit sie in den Wirkungskreis des Beistandes fällt , die für
die vormundschaftliche Verwaltung geltenden Vorschriften der §§1666, 1668 entsprechende
Anwendung.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 569
§ 1561 I. (1541 Abs. 1, 2, 1542.) Die Mutter bedarf der Genehmigung des Bei-
standes zu jedem in dessen Wirkungskreis fallenden Rechtsgeschäfte, zu welchem ein
Vormund der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts oder des Gegenvormundes bedarf.
Ausgenommen sind Rechtsgeschäfte, welche die Mutter nicht ohne die Genehmigung des
Vormundschaftsgerichts vornehmen kann. Die Genehmigung des Beistandes wird durch
die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ersetzt.
Das Vormundschaftsgericht soll vor der Erteilung der Genehmigung zu einem in
den Wirkungskreis des Beistandes fallenden Rechtsgeschäft in allen Fällen den Beistand
hören.
Die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts, zu welchem die Mutter der Genehmigung
des Beistandes bedarf, bestimmt sich nach den Vorschriften des § 1681.
§ 1561m. Das Vormundschaftsgericht kann auf Antrag der Mutter dem Beistande
die Vermögensverwaltung ganz oder teilweise übertragen ; soweit dies geschieht, hat der
Beistand die Rechte und Pflichten eines Pflegers. Die Uebertragung kann mit Zustim-
mung der Mutter wieder aufgehoben werden.
§ 1561 n. (1543.) Für die Berufung, Bestellung und Beaufsichtigung des Beistan-
des, für seine Haftung und seine Ansprüche , für die ihm zu gewährende Vergütung und
für die Beendigung seines Amtes gelten die gleichen Vorschriften wie bei dem Gegen-
vormunde.
Das Amt des Beistandes endigt auch dann, wenn die elterliche Gewalt der Mutter
ruht.
§ 1561 o. Das Vormundschaftsgericht kann in den Fällen des § 1561 f Nr. 2, 3
die Bestellung des Beistandes jederzeit wieder aufheben, im Falle des § 1561 f Nr. 2
jedoch nur mit Zustimmung der Mutter.
§ 1561p. (1554 Abs. 2) Ruht die elterliche Gewalt der Mutter wegen Minder-
jährigkeit, so hat sie das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen.
Sie ist jedoch nicht berechtigt, das Kind zu vertreten. Der Vormund des Kindes hat
ihr gegenüber die Stellung eines Beistandes nach Mafsgabe des § 1561h.
§ 1561 q. (1558.) Die Mutter verliert die elterliche Gewalt, wenn sie sich wieder
verheiratet. Sie behält jedoch unter den im § 1561p bestimmten Beschränkungen das
Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen.
570 Nationalökonomische Gesetzgebung.
VIII.
Reform der deutschen Armengesetzgebung.
(Reichsgesetz vom 12. März 1894, betreffend die Aenderung des Gesetzes
über den Unterstützungswohnsitz und die Ergänzung des Strafgesetz-
buchs) l).
Von Prof. Edgar Loening.
Binnen kurzem werden es 25 Jabre sein, dafs das öffentliche
Armenrecht im Deutschen Reiche (mit Ausnahme von Bayern, Elsafs-
Lothringen und Helgoland) in seinen Grundzügen durcb das Reicbsgesetz
über den Unterstützungswohnsitz vom 6. Juni 1870 einbeitlich geordnet
ist. Wie aber das Gesetz bei seiner Entstehung und seiner Ausdehnung
auf die süddeutschen Staaten mancben Widerstand gefunden hat, so ist
es ihm auch in der Zeit seiner Herrschaft nicht gelungen, eine allgemeine
Anerkennung zu erringen. Bestrebungen, die auf eine Aenderung seiner
Grundlagen gerichtet sind, machten sich schon sehr früh geltend und sie
sind im Laufe der Zeit nicht abgeschwächt worden , sondern haben viel-
mehr fast ununterbrochen an Stärke zugenommen. Zwar ist der oberste
Grundsatz, von dem unser gesamtes öffentliches Armenrecht ausgeht, in
Deutschland kaum bestritten. Mögen auch die Ansichten über die wissen-
schaftliche Begründung auseinandergehen, es ist eine in Deutschland all-
gemein herrschende Rechtsüberzeugung, dafs der Staat so berechtigt wie
verpflichtet ist, dafür Sorge zu tragen, dafs alle hilfsbedürftigen Personen,
die sich selbst zu erhalten nicht imstande sind, aus öffentlichen Mitteln
unterstützt und erhalten werden. Die gesetzliche Verpflichtung zur öffent-
lichen Armenpflege aller Hilfsbedürftigen wird, wie sie von dem Reichs-
gesetz nicht neu begründet, sondern den früher geltenden Landesrechten
entnommen worden ist, auch in Zukunft einen unveräufserlichen Bestandteil
unseres öffentlichen Rechtes bilden. Um so lebhafter wird dagegen der
Streit geführt über die Verteilung der schweren Last, welche das deutsche
1) Eine ausführliche Darstellung der bisher in Deutschland geltenden Armengesetz-
gebung giebt das Handwörterbuch der Staatswissenschaften in dem Artikel „Armenwesen"
Bd. I, S. 842 u. ff. — Kommentare zu dem Reichsgesetz vom 12. März 1894 sind bisher
erschienen: E. Kelch, Das Reichsgesetz vom 12. März 1894 (mit einer Geschichte der
auf die Reform des Armenwesens gerichteten Bestrebungen); J. Krech, Die Reichs-
gesetze über den Unterstützungswohnsitz, 3. Aufl., 1894; Koppe, Das Gesetz über den
ünterstützungswohnsitz, 1894; G. Eger, Das Reichsgesetz über den Unterstützungswohn-
sitz, 3. Aufl., 1894.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 571
Volk durch Anerkennung der gesetzlichen Armenpflege auf sich genom-
men hat. Das Reich oder die einzelnen Bundesstaaten können diese Last
nicht unmittelbar übernehmen. Dadurch würde eine sachgemäfse und zweck-
entsprechende Armenpflege unmöglich gemacht; die Ausgaben würden
binnen wenigen Jahren zu einer unerträglichen Höhe anwachsen. Eine
Verteilung der Armenlast auf kleinere KreiBe, Kommunalverbände, welche
die Armenpflege selbst auszuüben und die Kosten selbst aufzubringen
haben, ist, wie die Erfahrung erwiesen hat, zur Durchführung der gesetz-
lichen Arraenfürsorge notwendig. Vor dem Jahre 1870 bestanden in Bezug
hierauf in Deutschland zwei Systeme. In den alten Provinzen Preufsens
war nach den Gesetzen vom 31. Dezember 1842 die Ortsgemeinde (oder
der selbständige Gutsbezirk) zur öffentlichen Armenpflege derjenigen Per-
sonen verpflichtet, welche innerhalb derselben einen Unterstützungswohn-
sitz erworben hatten. Der Unterstützungswohnsitz wurde begründet durch
dreijährigen Aufenthalt nach erlangter Grofsjährigkeit oder aber durch
einjährigen Aufenthalt nach Begründung des "Wohnsitzes und nach poli-
zeilicher Anmeldung. Die Verpflichtung der Gemeinde erlosch, wenn die
betreffende Person nach erlangter Grofsjährigkeit 3 Jahre lang aus dem
Ortsarmenverband abwesend war. Personen, die keinen Unterstützungs-
wohnsitz in einem Ortsarmenverband besafsen , mufsten im Falle der
Hilfsbedürftigkeit von dem Landarmenverband, in dessen Gebiet sie hilfs-
bedürftig wurden, unterstützt werden. Im übrigen Deutschland lag die
Pflicht der öffentlichen Armenpflege, so verschieden auch im einzelnen
die Gesetzgebungen gestaltet waren , doch überall derjenigen Ortsgemeinde
ob, in welcher der Hilfsbedürftige heimatsberechtigt war. Land-
arme konnte es hier nicht geben, da das Heimatsrecht in einer Gemeinde
nur durch Begründung des Heimatsrechts in anderer Gemeinde verloren
ging. Der Hilfsbedürftige mufste , auch wenn er seit vielen Jahren aus
seiner Heimatsgemeinde entfernt und derselben gänzlich entfremdet war,
in sie zurückgebracht werden, um dort eine widerwillig gegebene und
aufs kärglichste bemessene Unterstützung in Empfang zu nehmen. Das
Gesetz vom 6. Juni 1870 schlofs sich dem Systeme des Preufsischen Rechts
an, indem es dessen Vorschriften vereinfachte und verallgemeinerte. Da
damals in dem gröfsten Teile des Norddeutschen Bundes noch mit dem
vollendeten 24. Jahre die Volljährigkeit eintrat, so bestimmte das Gesetz
(§§ 10, 22), dafs nach vollendetem 24. Jahre der Unterstützungswohnsitz
durch zweijährigen Aufenthalt in einem Ortsarmenverband erworben,
derselbe aber auch durch zweijährige Abwesenheit verloren werde. Per-
sonen , die den Unterstützungswohnsitz verlieren , ohne einen neuen zu
erwerben, sind im Falle der Hilfsbedürftigkeit Landarme und fallen dem
Landarmenverband anheim. Schon das preufsische Gesetz von 1842 war
bei dieser Verteilung der Armenlast unter die Ortsgemeinden und die
Landarmenverbände (die meist mit den Provinzialverbänden zusammen-
fielen) davon ausgegangen , dafs diejenige Gemeinde, „deren gesellschaft-
liche Zwecke der Verarmte früher fördern half", zunächst verpflichtet sei
und auch das meiste Interesse an seiner Unterstützung habe, dafs der
Arme in ihr wohl am ersten Freunde, Gönner und Beschützer finden
572 Nationalökonoinische Gesetzgebung.
werde1). In demselben Sinne ward bei Beratung des Gesetzes von 1870
für dieses System geltend gemacht, dafs diejenige Gemeinde, in welcher
eine Person geraume Zeit vor dem Eintritt der Hilfsbedürftigkeit sich
aufgehalten, auch wesentliche wirtschaftliche Vorteile von seiner freien
Thätigkeit genossen habe, und dafs es deshalb eine Forderung der Gerech-
tigkeit sei, dafs dieser Gemeinde auch die Verpflichtung zur öffentlichen
Armenpflege auferlegt werde. Diejenigen Hilfsbedürftigen aber, welche nicht
mindestens 2 Jahre nach vollendetem 24. Jahre an einem und dem-
selben Orte ihre Arbeitskraft verwertet haben , sollen von dem gröfseren
Verbände, dem in der Regel die wirtschaftliche Thätigkeit das Verarmten
vor Eintritt der Hilfsbedürftigkeit zu gute gekommen sein werde, unter-
stützt werden 2). Die Verteilung der Armenlast sollte demnach erfolgen
nach dem Grundsatze, dafs die Pflicht zur Armenunterstützung ein Aequi-
valent bilde für die wirtschaftlichen Vorteile, welche der Verarmte wäh-
rend der Zeit, wo er arbeiten konnte, dem Verbände gewährt habe. Dieser
Grundgedanke ist aber im Gesetze nicht durchgeführt worden und gar
nicht durchführbar, weil ein solches Verhältnis der Aequivalenz vielfach
nicht besteht und, wo es besteht, kaum nachweisbar ist. Der Vorteil,
welchen die Gemeinde aus dem zweijährigen Aufenthalt einer Person
gezogen hat, ist nicht abzuschätzen, häufig ist ein solcher überhaupt nicht
vorhanden. Der Landarme aber, der von Ort zu Ort zieht und der unter-
stützt werden mufs, wo seine Hilfsbedürftigkeit hervortritt, hat dem Land-
armenverband, dem er nun zur Last fällt, keinen Vorteil, sondern meist nur
Nachteil gebracht. Der Grundgedanke, von dem das Gesetz ausging, führte
deshalb nicht zu einer gerechten Verteilung der Armenlast, sondern meist
zu einer willkürlichen Belastung der Gemeindeu und Armenverbände, die
deshalb nur widerwillig sich der ihnen auferlegten Verpflichtung unter-
ziehen und nur allzuhäufig durch Abschiebung der Personen , die unter-
stützungsbedürftig sind oder es zu werden drohen, sich der Erfüllung ihrer
gesetzlichen Pflicht zu entziehen suchen.
Es is deshalb erklärlich , dafs schon sehr bald , nachdem das Gesetz
in Kraft getreten war, Bestrebungen sich geltend machten, die eine Ab-
änderung desselben bezweckten, und als vor etwa 20 Jahren auf eine
Zeit grofsen wirtschaftlichen Aufschwungs ein Rückschlag eintrat und
damit auch die Anforderungen an die öffentliche Armenpflege wuchsen
mufsten die Angriffe auf das geltende Armenrecht sich mehr und mehr
steigern 3). Indes so verbreitet die Unzufriedenheit mit dem Gesetze
war und noch gegenwärtig ist, so besteht unter seinen Gegnern doch nur
hierin Uebereinstimmung , während die Ansichten über die anzustreben-
den Reformen weit auseinandergehen. Der Grofsgrundbesitz, die Land-
1) Vgl. über die Geschichte der Armengesetzgebung in Deutschland und insbeson-
dere in Preufsen meine Abhandlung über Armenwesen in Schönberg, Handbuch
der politischen Oekonomie (3. Aufl.) III, 974 u. ff.
2) S. Bericht der Kommission des Reichstags des Norddeutschen Bundes über den
Entwurf des Gesetzes v. 6. Juni 1870. Stenographische Berichte 1870, IV, 563 u. ff.
3) Vgl. über diese Bestrebungen meine angeführte Abhandlung S. 993 u. ff., ferner
Handwörterbuch der Staatswissenschaften I, S. 855 u. ff. (Reform der deutschen Armen-
gesetzgebung von A dickes); Kelch , S. 17 u. ff.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 573
gemeinden , die kleineren und mittleren Städte , die Grofsstädte , sie alle
verlangen eine Reform der Armengesetzgebung, um ihre Armenlasten
möglichst zu erleichtern und damit die der anderen Verbände möglichst
zu erhöhen. Es hat sich ein noch heute fortdauernder Kampf ent-
sponnen, in welchem die einzelnen Gruppen das wahre Ziel — die ge-
rechte Verteilung der Armenlast — fast völlig aus dem Auge verloren
haben und nur die möglichste Verminderung der eigenen Armenlast an-
streben. Gerade dieser Widerstreit der Ansichten ist es aber auch, welcher
eine grundsätzliche Aenderung der Armengesetzgebung gegenwärtig aufser-
ordeutlich erschwert. So oft die Frage auch in dem Reichstage zur Ver-
handlung gelangte, es zeigte sich immer wieder, dafs die schroffen Gegen-
sätze, die hierbei hervortraten, einen Ausgleich unmöglich machten. Der
Bundesrat konnte und wollte aber seine Hand nicht dazu bieten , eine
Aenderung des Gesetzes im Sinne einer augenblicklichen Mehrheit des
Reichstags unter Verletzung der Interessen und Ueberzeugungen einer
grofsen Minderheit herbeizuführen. Die Reform selbst in die Hand zu
nehmen, hält die Reichsregierung noch für verfrüht. Sie geht davon aus,
dafs, erst wenn die Arbeiterversicherungsgesetzgebung ihre Wirkungen in
vollem Umfange ausüben werde , die Zeit zu einer Umgestaltung der
Prinzipien , auf denen unser öffentliches Armenrecht ruht, gekommen
sein werde. Dann werde auch der Streit um das Prinzip der Armenunter-
stützung an Heftigkeit verlieren und eine Verständigung herbeizuführen sein.
Schon gegenwärtig lasse sich nachweisen, dafs unsere sozialpolitische
Gesetzgebung auf die Belastung der Armenverbände einen recht erheb-
lichen Einflufs ausübe. In Zukunft werde sich dieser Einflufs in noch
viel höherem Mafse geltend machen. Es dürfe angenommen werden, dafs
die Beschwerden über eine zu hohe Belastung sich beträchtlich vermin-
dern werden, wenn insbesondere das Gesetz über die Invaliditätsversicheruug
erst längere Zeit seine Wirkungen ausgeübt haben werde. Gegenwärtig
gestatten die Erfahrungen nach keinen genügenden Ueberblick über das
Mafs dieser Einwirkung; vielmehr werde eine Vervollständigung des
Materials durch längere Beobachtung erforderlich sein, bevor dasselbe
für eine grundlegende Aenderung der Armengesetzgebung als ausreichend
angesehen werden dürfe 1).
Doch hat der Staatssekretär des Innern, der Minister Dr. von Böt-
ticher, am 17. März 1893 im Reichstage in sehr interessanter Weise
seine Ansicht über die Richtung, welche künftighin eine Reform des
Armenrechts zu nehmen habe, dargelegt. „Ich bin der Meinung", erklärte
er, „dafs wir, wenn unsere sozialpolitische Gesetzgebung ihre Schuldigkeit
gethan haben wird, zu dem radikalen Prinzip werden übergehen können,
das heilst, dafs wir dazu gelangen, dafs jeder Unterstützungsbedürftige
da unterstützt wird , wo die Notwendigkeit seiner Unterstützung hervor-
tritt. Ich verkenne gar nicht die Schwierigkeiten, die die Durchführung
dieses Prinzips hat und verkenne namentlich auch nicht das Gewicht der
Bedenken, die der Herr Abgeordnete Dr. Baumbach hervorgehoben hat,
1) Begründung des dem Reichstage am 25. Febr. 1893 vorgelegten Gesetzentwurfs.
Drucksachen des Reichstags 1892/93 Nr. 130.
574 Nationalokonomische Gesetzgebung.
indem er darauf hinwies, wie schwer es sein werde, einen Schutz gegen
das Bestreben , den Unterstützungsbedürftigen abzuschieben, zu gewinnen.
Allein, meine Herren, denken Sie sich einmal die Sache so reguliert, dafs
(wozu man ja in Preufsen schon durch ein neueres Gesetz übergegangen
ist) ein grofser Teil der zu versorgenden Unterstützungsbedürftigen auf
weitere Verbände gewiesen wird ; nehmen Sie an , dafs wir sämtliche
Blinde, sämtliche Taubstumme, sämtliche Idioten, sämtliche Irre den Pro-
vinzial- und Landarmenverbänden zur Fürsorge überweisen, nehmen Sie
dann weiter an, dafs wir die Leistungspfiicht des einzelnen Ortsarmen-
verbands begrenzen , etwa dahin, dafs wir vorschreiben : keine Gemeinde
ist verpflichtet, für einen Armen mehr als einen bestimmten Betrag im
Jahre aufzuwenden — ich will einmal sagen: 50 M. oder 100 M. —
und dafs wir alles übrige, was darüber hinaus noch notwendig ist, auch
dem weitern Verband überlassen, dann wird das Bestreben der einzelnen
Gemeinden, den zu Unterstützenden abzuschieben , ihn fernzuhalten , sehr
viel geringer sein. Ich gaube, wenn man sämtliche Unfallinvaliden, sämt-
liche Arbeitsinvaliden, sämtliche alte Leute, sämtliche Kranke von dem
Armenbudget ferngehalten hat, so bleibt nur noch ein geringes Kesiduum
übrig, von dem ich mir nicht denken kann, dafs die Gemeiude dann noch
ein gröfseres Interesse daran besitzt, der Sucht zum Abschieben nachzu-
geben. Kommt es ferner dazu, dafs, wie es im Plane unserer sozial-
politischen Gesetzgebung liegt, demnächst auch die Fürsorge für die Witwen
und Waisen in Angriff genommen und durchgeführt wird, dann wird das
Ziel, das ich im Auge habe, um so leichter und um so sicherer zu erreichen
sein. Man hat — und namentlich scheint das ein Gedanke der sozialdemo-
kratischen Partei zu sein — es als erstrebenswert bezeichnet, die Armen-
pflege zu centralisieren. Man hat, um der ganz unzweifelhaften Verschie-
denheit in der Belastung der Gemeinden abzuhelfen, gesagt, man solle
die ganze Armenlast entweder zur Reichssache machen oder man solle
sie doch wenigstens den einzelnen Staaten zuweisen. Ich glaube doch
nicht, dafs dieser Gedanke, wenn man ihm näher tritt, auf Beifall in
weiten Kreisen stofsen wird. Gerade bei der Armenfürsorge kommt es
auf nichts mehr an, als auf die Erforschung und Beurteilung der indivi-
duellen Verhältnisse des einzelnen Mannes , der unterstützt werden soll.
Man mufs bei der Präge, wie man unterstützen soll und in welchem
Umfange man unterstützen soll, wenn man seine Aufgabe als Armen-
pfieger gewissenhaft auffafst, in die individuellen Verhältnisse der Leute
hineinsteigen. Und weil man das mufs, weil man der Gefahr, die es
haben würde , wenn man schablonenmäfsig auf diesem Gebiet vorgeht,
begegnen mufs, deshalb bin ich der Meinung, dafs man an sich die Armen-
pflege nicht genug lokalisieren kann. Man mufs die Entscheidung dar-
über, ob ein Unterstützungsfall vorliegt und wie dabei zu verfahren ist,
der Lokalbehörde überlassen. Die Last kann man nachher für gewisse
Kategorien auf weitere Schultern legen 1)."
Es wäre verfrüht, diese Beformgedanken, wie sie von dem Staats-
1) Sitzung des Reichstags vom 17. März 1893. Stenographische Berichte 1892/93,
S. 1698 u. f.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 575
sekretär des Innern entwickelt worden 6ind, einer Prüfung zu unterziehen.
Ihre Verwirklichung ist von einer ganzen Reihe von Voraussetzungen
abhängig gemacht, deren Erfüllung eine geraume Zeit noch in Anspruch
nehmen wird. Nur auf einzelue Punkte sei hingewiesen. Erst die Zukunlt
wird lehren , in welchem Umfange durch die Arbeiterversicherung die
öffentliche Armenpflege entlastet wird. Gegenwärtig lassen sich hierüber
nur Vermutungen aufstellen oder aus ungenügenden vereinzelten That-
sachen Schlüsse ziehen, die einen wissenschaftlichen Wert nicht bean-
spruchen können. Man wird in dieser Beziehung die weitere Entwickelung
abwarten müssen. Schon gegenwärtig aber läfst sich der andere, in der Rede
des Ministers enthaltene, wenn auch nicht zu vollem Ausdruck gekommene
Gedanke verwirklichen , dafs die gesamte geschlossene Armenpflege den
gröfseren Verbänden übertragen werde, vorbehaltlieh des Rechts der Orts-
armenverbände , die geschlossene Armenpflege oder eigene Zweige der-
selben auch weiterhin auf eigene Kosten zu verwalten. Schon das preufsische
Gesetz vom 11. Juli 1891 hat in dieser Richtung einen wichtigen Schritt
gethan x) und auf diesem Wege kann in noch umfassenderem Mafse eine
Entlastung der Ortsarmenverbände erfolgen, ohne dafs den durch die Er-
fahrung als allein richtig erwiesenen Grundsätzen der Armenpflege zuwider-
gehandelt wird. Mit Recht hat der Staatssekretär von Bottich er die Er-
forschung und Beurteilung der individuellen Verhältnisse der einzelnen
Hilfsbedürftigen als die erste Voraussetzung einer ihrem Zwecke ent-
sprechenden Armenpflege bezeichnet und damit die Notwendigkeit, die
Armenpflege zu lokalisieren, begründet. Jedoch ist hierbei wohl zwischen
der geschlossenen und der offenen Armenpflege zu unterscheiden. Insoweit
es sich um die Armenpflege von Personen handelt, die infolge körper-
licher oder geistiger Krankheit der Aufnahme in eine Anstalt bedürfen,
kann sie sehr wohl von gröfseren Verbänden übernommen werden , ohne
dafs es erforderlich wäre, die Ortsarmen verbände zu verpflichten, einen
Teil der Koston für die Verpflegung der in die Anstalt autgenommenen
Ortsarmen zu tragen. Dem Mifsbrauche, dafs ein Ortsarmenverband sich
durch Verbringung eines Hilfsbedürftigen in eine Anstalt des gröfseren
Verbandes von der ihm gesetzlich obliegenden Last zu befreien suchen
werde, kann und mufs vorgebeugt werden durch eine in der Anstalt aus-
zuübende strenge Kontrolle. Ueber die Frage , ob für einen Hilfsbe-
dürftigen die Aufnahme in eine Heilanstalt erforderlich ist, ob nicht
Simulation u. s. w. vorliegt, können nur die Anstaltsärzte und Anstalts-
behörden eine sachgemäfse Entscheidung geben. Aber auch über die
andere Frage, ob der Kranke nicht aus eigenen Mitteln die Kosten der
Anstaltspflege bestreiten könne, wird in der Regel die Anstaltsbehörde
sich ebenso gut Gewifsheit verschaffen können, wie die Ortsarmenbehörde.
Die Ansicht des Staatssekretärs aber, dafs nach Durchführung der
Arbeiterversicherung und nach Uebernahme der geschlossenen Armenpflege
durch die gröfseren Armenverbände, sowie nach gesetzlicher Begrenzung
1) Vgl. hierüber meine Erläuterungen zu diesem Gesetze in den Jahrbüchern
3. Folge III, S. 256 u. ff. Der Text des Gesetzes ist in den Jahrbüchern 3. Folge II,
S. 575 zum Abdruck gelangt.
576 Nationalökonomische Gesetzgebung.
der den Ortsverbänden verbleibenden Armenlast diese letzteren kein be-
sonderes Interesse mehr daran haben würden, die Unterstützungsbedürf-
tigen abzuschieben, dürfte doch als eine optimistische sich erweisen.
Wir würden es selbst nach Durchführung aller Keformen für höchst be-
denklich erachten, die Vorschriften über Begründung des Unterstützungs-
wohnsitzes aufzuheben und jede Gemeinde, in deren Gebiet die Hilfsbe-
dürftigkeit eintritt, für verpflichtet zu erklären, den Armen für die ganze
Dauer der Hilfsbedürftigkeit, d. h. vielfach auf Lebenszeit zu unterstützen.
Die Verteilung der Armenlast würde dadurch noch weit willkürlicher
werden, als sie gegenwärtig ist. Vor allem aber würde das Bestreben der
Gemeinden, Hilfsbedürftige abzuschieben, nicht gemindert, sondern aufser-
ordentlich gesteigert und aufserordentlich erleichtert werden.
Doch steht, wie gesagt, eine Umgestaltung unseres Armenrechts nach
diesen Ideen zunächst nicht in Frage. Aber die Reichsregierung konnte
sich der Einsicht nicht verschliefsen, dafs, auch wenn das Prinzip des
Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz aufrecht erhalten werde, doch
wohl schon gegenwärtig einige Bestimmungen abgeändert werden können,
um manche in der Praxis hervorgetretenen Uebelstände zu beseitigen
oder wenigstens abzuschwächen, ohne dafs dadurch einer künftigen Um-
gestaltung der Armengesetzgebung nach irgend einer Richtung hin vor-
gegriffen würde. Der Entwurf einer solchen Novelle zu dem Gesetze vom
6. Juni 1870 wurde auf Beschlufs des Bundesrates am 28. Februar 1893
dem Reichstage vorgelegt1) und dessen Kommission erstattete über ihn
einen ausführlichen Bericht 2). Bevor jedoch der Reichstag selbst dar-
über in Beratung treten konnte , erfolgte seine Auflösung. Unter Be-
rücksichtigung und Verwertung der von der Kommission des Reichstags
gefafsten Beschlüsse ward der Entwurf in einigen Bestimmungen umge-
arbeitet und am 21. November 1893 von neuem dem Reichstage vorge-
legt 3), der ihn mit einigen wenigen formellen Aenderungen annahm 4).
In dieser Gestalt ward der Entwurf vom Bundesrat sanktioniert und vom
Kaiser als Reichsgesetz, beireffend die Aenderung des Gesetzes über den
Unterstützungswohnsitz und Ergänzung des Strafgesetzbuches am 12. März
1894 unterzeichnet. Das Gesetz zeifällt in drei Artikel, von denen der
erste die Abänderungen des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz,
der zweite eine Ergänzung des Strafgesetzbuches enthält, der dritte aber
bestimmt, dafs das Gesetz am 1. April 1894 in Kraft treten soll und der
Reichskanzler ermächtigt wird, den Text des Gesetzes über den Unter-
stützungswohnsitz in der Gestalt, welche derselbe durch das neue Ge-
setz erhalten hat, in dem Reichsgesetzblatt bekannt zu machen 6).
1) Drucksachen des Reichstags 1892/93. Nr. 130.
2) Drucksachen des Reichstags 1892/93. Nr. 227.
3) Drucksachen des Reichstags 1893/94. Nr. 57.
4) Die erste Beratung des Entwurfs fand am 4. Dezember 1893, die 2. am 26. Januar
1894, die dritte Beratung und die Annahme des Entwurfs am 1. und 8. Februar 1894
statt. Stenogr. Berichte S. 251 u. ff, S. 893 u. ff., S. 977 u. ff., S. 1101. Die Kom-
mission erstattete unter Hinweis auf den ausführlichen Kommissionsbericht, der über den
ersten Entwurf erstattet worden war, nur mündlichen Bericht.
5) Demgemäfs ist das Gesetz über den Unterstützungswohnsitz in seiner gegenwärtig
geltenden Gestalt in dem Reichsgesetzblatt 1894 S. 262 u. ff. bekannt gemacht worden.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 577
Die wichtigste Aenderung, welche das Gesetz herbeigeführt, (Art. 1. I).
besteht darin, dafs, während bisher der Unterstützungswohnsitz erst nach
vollendetem 24. Lebensjahr durch zweijährigen Aufenthalt selbständig
erworben werden und durch zweijährige Abwesenheit verloren gehen
konnte, die Altersgrenze hierfür auf das vollendete 18. Lebens-
jahr herabgesetzt wurde (Gesetz über den Unterstützungswohnsitz in
der Fassung vom 12. März 1894 § 10, 22). Schon im Jahre 1870
waren in dem Reichstag die Ansichten über die Altersgrenze aus-
einander gegangen und in dessen Kommission war der Antrag, dieselbe auf
das vollendete 21. Jahr festzusetzen, nur mit geringer Mehrheit abgelehnt
worden. Für den Bundesrat wie für die Mehrheit des Reichstages war
hierfür die Erwägung entscheidend gewesen, dafs einerseits in dem gröfs-
ten Teil des Bundesgebiets damals noch mit dem vollendeten 24. Jahre
die Volljährigkeit begann, und andererseits, dafs man dies Lebensalter als
solches glaubte annehmen zu müssen, mit welchem in der Regel die
wirtschaftliche Selbständigkeit erreicht werde. Durch Reichsgesetz vom
17. Februar 1875 ist aber der Beginn der Volljährigkeit auf das voll-
endete 21. Lebensjahr im ganzen Reiche verlegt worden. Der zweite der
oben angeführten Gründe erwies sich in der Praxis als unrichtig. Gerade
in denjenigen Klassen, aus welchen fast ausschliefslich das Heer der
Hilfsbedürftigen sich rekrutiert, beginnt die wirtschaftliche Selbständigkeit
nicht erst mit dem vollendeten 24. Lebensjahr, sondern weit früher. Die
Erfahrung des täglichen Lebens zeigt, wie in der Begründung des Gesetz-
entwurfs ausgeführt wird, dafs der Arbeiter von dem ihm nach dem Frei-
zügigkeitsgesetze zustehenden Rechte, sich den Ort seines Aufenthalts und
seines Erwerbs uneingeschränkt zu wählen, oft schon sehr zeitig, in
manchen Landesteilen bald nach der Einsegnung, Gebrauch macht. That-
sächlich beginnt die wirtschaftliche Selbständigkeit, welche grundsätz-
lich für den Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes mafsgebend
sein soll, in dem Arbeiterstand mit dem Eintritt in eine selbständige Ar-
beitsthätigkeit (als landwirtschaftlicher oder Fabrikarbeiter, Dienstbote
u. s. w.). Zu der Grofsjährigkeit oder gar zu dem 24. Lebensjahre steht
dieselbe in keiner Beziehung. Es ist ein Mifsstand, welcher von der Be-
völkerung schwer empfunden wird, wenn für einen solchen Arbeiter im
Falle der Verarmung die Heimatsgemeinde bis zu seinem vollendeten
26. Lebensjahre aufkommen mufs, zumal diese Belastung sich nicht nur
auf den Hilfsbedürftigen selbst bezieht, sondern auch auf dessen Ehefrau
und Kinder, bei weiblichen Personen auf die uneheliche Descendenz, da
Ehefrauen und Kinder den Unterstützungswohnsitz des Ehemannes, bezw.
der Eltern teilen. Stirbt das Kind vor dem 26. Lebensjahre mit Hinter-
lassung von Kindern, so folgen letztere dem Unterstützungswohnsitz der
Großeltern, wenn diese auch inzwischen verstorben sein sollten. Es
können demnach Gemeinden in die Lage kommen, noch nach 30 oder
mehr Jahren nach dem Tode oder Abzug eines Gemeindeangehörigen
für dessen Familienglieder Armenunterstützung gewähren oder erstatten
zu müssen, ohne dafs sie diese Personen vielleicht jemals gesehen haben.
Die Unterstützungen sind unter Umständen, namentlich wenn es sich um
Kosten langwieriger Krankheiten handelt, sehr erheblich. Diese Mifs-
Dritte Folge Bd. VIH (LXIÜ). 37
578 Nationalökonomische Gesetzgebung.
stände machten sich vor allem auf dem Lande in den östlichen Provinzen
Preufsens geltend und riefen dort schon bald, nachdem das Gesetz in
Geltung getreten war, laute und immer wieder erneute Beschwerden her-
vor. Und sie wurden um so fühlbarer, je mehr die ländlichen Arbeiter
der dortigen Gegenden in die Städte, in die Industriebezirke, in die west-
lichen Provinzen zogen. Das platte Land hatte nicht nur durch den da-
durch verursachten Mangel an Arbeitern zu leiden, sondern hatte auch
dio Last der Armenversorgung für sie zu tragen, wenn sie vor dem voll-
endeten 26. Jahre hilfsbedürftig wurden. In immer wiederkehrenden
Petitionen, Vereinsbeschlüssen, Interpellationen ward es als eine Forderung
der Gerechtigkeit bezeichnet, dafs der Arbeiter von dem Zeitpunkt an
einen Unterstülzungswohnsitz müsse erwerben können, wo er zufolge des
Grundsatzes der Freizügigkeit thatsächlich sich den Ort seines Aufenthalts
und Erwerbes frei wählen könne. Hiergegen wurde allerdings von den
Vertretern der süddeutschen Interessen geltend gemacht, dafs durch die
Herabsetzung der Altersgrenze nicht nur der Zusammenhalt der Familie,
die elterliche und väterliche Autorität geschwächt und die Zahl der Land-
armen vermehrt werden, sondern dafs dadurch auch ein ungünstiger Ein-
flufs auf die Verhältnisse der Arbeiter, insbesondere des ländlichen Ge-
sindes, ausgeübt werde. Indem die Arbeitgeber suchen würden , durch
häufigen Wechsel der Arbeiter der Begründung eines Unterstützungswohn-
sitzes vorzubeugen, würde dadurch gerade der jugendliche Teil der Ar-
beiterbevölkerung bei einer Herabsetzung der Altersgrenze mehr und mehr
zu einem unsteten Leben gezwungen und der Landstreicherei zugetrieben.
Mufs auch zugegeben werden, dafs dieses letztere Bedenken nicht ohne
Begründung ist, so sind doch die Gründe, welche für eine Herabsetzung
der Altersgrenze sprechen, überwiegend, und die Aenderung des Gesetzes
mufs als eine Verbesserung bezeichnet werden. Auch darf die in Ueber-
einstimmung mit dem Entwürfe des Bundesrats erfolgte Festsetzung der
Altersgrenze auf das vollendete 18. Lebensjahr wohl als eine ange-
messene bezeichnet worden. Von entgegengesetzten Seiten waren das
vollendete 16., 19. oder 21. Lebensjahr in Vorschlag gebracht worden.
Wie alle derartigen Altersbestimmungen, so kann auch die unseres Ge-
setzes nur die Regel des Lebens berücksichtigen , von der mehr oder
weniger Abweichungen in den einzelnen Fällen vorkommen. Ist es auch
richtig, dafs heute vielfach die Jugend der Arbeiterbevölkerung schon
bald nach der Schulentlassung und der Einsegnung in selbständige Arbeits-
verhältnisse eintritt, so ist es doch auch hier die Regel, dafs eine Lösung
von dem elterlichen Hause erst nach mehreren Jahren erfolgt und es
kann nicht ratsam erscheinen, durch Festsetzung der Altersgrenze auf
das vollendete 16. Jahr diese Lösung von Familie und Heimat dem Arbeiter
noch mehr zu erleichtern und sie zu befördern. Andererseits konnte dem
Hauptgrund, mit welchem der Vorschlag, das vollendete 21. Lebensjahr
als Grenze zu bestimmen, gestützt wurde, kein ausschlaggebendes Gewicht
beigemessen werden. Damit wäre allerdings diese Grenze mit der der
Volljährigkeit zusammengefallen. Damit hätte nur eine Rückkehr stattge-
funden zu dem Prinzipe, von dem aus das Gesetz von 1870 die Grenze
auf das vollendete 24. Jahr gelegt hatte. Indes besteht ein innerer Zu-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 579
sammenhang, der dies rechtfertigt, dooh nicht. Mit der Volljährigkeit
erwirbt allerdings der Mensch für den privatrechtlichen Vermögens-
verkehr erst volle Selbständigkeit. Der Minderjährige bedarf der Ge-
nehmigung des Vaters oder des Vormundes, um in Dienst oder Arbeit zu
treten. Aber wenn diese Erlaubnis für einen Fall erteilt ist, so gilt sie
als allgemeine Erlaubnis zur Eingehung oder Aufhebung von Dienst- und
Arbeitsverhältnissen derselben Art und der Minderjährige bedarf nicht der
Zustimmung seines Vertreters zu Rechtsgeschäften, die sich hierauf oder
auf die Erfüllung der aus einem solchen Verhältnisse sich ergebenden
Verpflichtungen beziehen 1). Damit hat für die arbeitende Klasse (von
Ausnahmen abgesehen) die Volljährigkeit tatsächlich fast gänzlich ihre
Bedeutung verloren. Die jugendlichen Arbeiter sind rechtlich selbständig,
sobald sie mit Erlaubnis des Vaters oder Vormundes in ein Arbeitsver-
hältnis eingetreten sind. Allerdings kann nach der Gewerbeordnung
§ 119 a durch Ortsstatut bestimmt werden, dafs der von minderjährigen
gewerblichen Arbeitern verdiente Lohn an die Eltern oder Vormünder
und nur mit deren schriftlicher Zustimmung oder nach deren Bescheini-
gung über den Empfang der letzten Lohnzahlung unmittelbar an die
Minderjährigen gezahlt werde, oder aber, dafs die Gewerbetreibenden den
Eltern oder Vormündern innerhalb gewisser Fristen Mitteilung von den
an minderjährige Arbeiter gezahlten Lohnbeträgen zu machen haben.
Indes sind derartige Statute, soviel bekannt, bisher nur ganz vereinzelt
erlassen worden und es ist nicht wahrscheinlich, dafs sich dies in Zukunft
ändern werde. Die Volljährigkeit hat demnach in der Regel auf die
Arbeits- und Erwerbsverhältnisse der Arbeiter gar keinen Einflufs und
es ist deshalb auch nicht gerechtfertigt, die Frist für Erwerb und Ver-
lust des Unterstützungswohnsitzes erst mit erlangter Volljährigkeit be-
ginnen zu lassen. Damit ist zugleich dem Vorschlage, die Altersgrenze
auf das vollendete 19. Lebensjahr zu setzen, der Boden entzogen, da auch
er nur darauf sich stützte, dafs bei einer solchen Festsetzung der Erwerb
oder Verlust des Unterstützungswohnsitzes nach Ablauf der zweijährigen
Frist mit dem Beginne der Volljährigkeit zusammenfallen würde.
Zwischen diesen nach beiden Seiten hin abweichenden Vorschlägen
dürfte das Gesetz mit Festsetzung der Grenze auf das vollendete 18. Lebens-
jahr die richtige Mitte getroffen haben2).
1) Es ist dies fast überall teils durch die Gesetzgebung (Preufsen, Allg. Land-
recht II, 5, § 6, 8, Vormundschaftsordnung vom 12. Juli 1875 § 6, Württemberg, Ge-
setz vom 30. Juli 1865, Art. 3 Ziff. 2), teils durch die Praxis der Gerichte anerkannt.
Ebenso Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich (Zweite
Lesung) § 87.
2) Nach Art. 3 des Gesetzes vom 12. März 1894 trat dasselbe am 1. April 1894
in Kraft. Der Berichterstatter erklärte in der Sitzung des Reichstags vom 26. Januar
1894, dafs es die übereinstimmende Ansicht des Bundesrats sowohl als der Kommission
sei, dafs von diesem Tage ab alle Rechtsverhältnisse nur noch nach dem neuen Gesetze
zu beurteilen seien, derart, dafs allerdings von diesem Tage ab in Bezug auf den Unter-
stützungswohnsitz Veränderungen eintreten können, ohne dafs unter der Herrschaft des
neuen Gesetzes noch etwas Neues zu geschehen haben werde. Insbesondere beziehe sich
dies auf den Fristenlauf für Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes. Es sei
nicht erforderlich, dafs erst von dem 1. April 1894 ab ein neuer Fristenlauf stattfinde.
(Stenogr. Berichte S. 900). Hiergegen ward in dem Reichstage von keiner Seite Wider-
37*
580 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Eine andere Bestimmung des Gesetzes (Art. 1. II) bezweckt, einer
Vorschrift des Gesetzes über den Unterstützungswohnsitz von 1870 eine
folgerichtige Gestaltung und Verallgemeinerung zu geben. Nach § 29
des Gesetzes von 1870 hatte der Ortsarmenverbaud des Dienstortes er-
krankten Dienstboten, Gesellen, Gewerbegehilfen und Lehrlingen während
6 Wochen Kur und Verpflegung zu gewähren, ohne hierdurch einen
Anspruch auf Ersatz gegen den Orts- oder Landarmenverbaud, dem der
Unterstützte angehörte, zu erwerben. Auch diese Vorschrift beruhte auf
dem Grundsatze der Wechselwirkung zwischen wirtschaftlicher Leistung
und Unterstützungspflicht und erfolgte hauptsächlich zu dem 'praktischen
Zwecke, um Streitigkeiten über Erstattung der Verpfleguugskosten und
die Uebernahme Hilfsbedürftiger gerade in Bezug auf solche Personen,
bei denen ein besonders häufiger Ortswechsel vorkommt, möglichst vor-
zubeugen. Der erste, im Februar 1893 dem Reichstage vorgelegte Ent-
wurf des Bundesrates bezweckte diese Vorschrift auf land- und forstwirt-
schaftliche Arbeiter auszudehnen und — in Uebereinstimmung mit dem
Gesetze über die Krankenversicherung der Arbeiter — die Zeit, während
welcher der Dienstort zur endgültigen Unterstützung verpflichtet ist, von
6 auf 13 Wochen auszudehnen. In Uebereinstimmung mit den von der
Kommission des Reichstages gefafsten Beschlüssen hat der zweite Ent-
wurf diese Vorschrift einerseits erweitert, andererseits beschränkt und in
dieser Gestalt ging sie, nur mit einigen vom Reichstage beschlossenen
Spruch erhoben. Trotzdem ist K r e c h (Mitglied des Bundesrats für Heimatwesen) der
Ansicht, dafs dem Art. 3 diese Bedeutung nicht zukomme, dafs es vielmehr einer aus-
drücklichen Vorschrift im Gesetze bedurft hätte, wenn perfekt gewordene Rechtsverhält-
nisse, wie der am 1. April 1894 begründete Unterstützungswohnsitz einer Person unter
24 Jahren, ohne weiteres hätte geändert werden sollen. Personen, die am 1. April 1894
zwischen 18 und 24 Jahren alt waren, erwürben oder verlören den Unterstützungswohn-
sitz durch Aufenthalt oder Abwesenheit erst mit Ablauf des 31. März 1896. Die Errech-
nung der Zeit vor dem 1. April 1894 sei ausgeschlossen, weil bis dahin die Fähigkeit
zum selbständigen Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes gemangelt habe
(a. a. 0. S. 34, 38, 44, 64). Diese Ansicht kann jedoch nicht als richtig anerkannt
werden. Durch Erwerb und Verlust des Unterstützungswohnsitzes werden keine subjek-
tiven Rechte und Pflichten begründet und aufgehoben, weder für die betreffende Person
noch für einen Armenverband. Wir können hier von der bestrittenen Frage, ob über-
haupt das Gesetz ein subjektives Recht auf Armenunterstützung begründet, absehen.
Aber auch die Pflicht des Armenverbandes entsteht nicht durch Erwerb und geht nicht
unter durch Verlust des Unterstützungswohnsitzes. Durch Erwerb wird nur eine der ge-
setzlichen Voraussetzungen hergestellt, unter denen die Pflicht zur Unterstützung ent-
steht, sobald Verarmung eintritt. Es ist damit nur die rechtliche Möglichkeit für
Entstehung einer Verpflichtung gegeben, ebenso wie durch Verlust des Unterstützungs-
wohnsitzes nur diese rechtliche Möglichkeit beseitigt wird. Es lagen demnach für Per-
sonen, die am 1. April 1894 zwischen 18 und 24 Jahre alt waren, perfekt gewordene
Rechtsverhältnisse noch nicht vor, sofern sie nicht damals Armenunterstützung erhielten.
War aber dies letztere der Fall, so ruhte der Lauf der zweijährigen Frist für sie (Ge-
setz § 14, 27). Da es aufserdem der ausgesprochene Wille der gesetzgebenden Faktoren
war, dafs vom 1. April 1894 ab alle Rechtsverhältnisse in Bezug auf den Unterstützungs-
wohnsitz nur nach dem neuen Gesetz beurteilt werden und eine ausdrückliche Vorschrift
dieses Inhaltes nur deshalb in das Gesetz nicht aufgenommen wurde, weil sie als selbst-
verständlich betrachtet wurde, so mufs dem Gesetze auch diese rückwirkende Kraft zuge-
schrieben werden. Es steht zu hoffen, dafs das Bundesamt für das Heimatwesen trotz
der abweichenden Ansicht eines seiner Mitglieder die richtige Auslegung des Gesetzes zur
Geltung bringen wird.
Nationalökonomiscbe Gesetzgebung. 581
formellen Verbesserungen, in das Gesetz vom 12. März 1894 über. Nach
der gegenwärtigen Fassung des § 29 des Gesetzes über den Unterstützungs-
wohnsitz ist nicht der Orts- oder Landarmenverband, welchem der Hilfs-
bedürftige angehört, verpflichtet, dem Erkrankten die erforderliche Kur
und Verpflegung zu gewähren, sondern der Ortsarmenverband des Dienst-
oder Arbeitsortes, sofern Personen, welohe gegen Lohn oJer Gehalt in
einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis stehen, oder deren ihren Uuter-
stützungswohnsitz teilende Augehörige oder endlich Lehrlinge am Dienst-
oder Arbeitsort erkranken, d. h. infolge von Erkrankung au diesem Orte
hilfsbedürftig werden. Diese Verpflichtung zur Unterstützung ist jedoch
nur auf einen Zeitraum von 13 Wochen beschränkt. Mufs die
Krankenpflege länger als 13 Wochen fortgesetzt werden, so wird
ein Anspruch auf Erstattung der Kur- und Verpflegungskosten für den
über diese Frist hinausgehenden Zeitraum , bezw. auf Uebernahme des
Hilfsbedürftigen gegen den Armenverband, dem derselbe angehört, be-
gründet.
Die Ausdehnung der Bestimmung des § 29 auf alle Personen, welche
in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis gegen Lohn oder Gehalt stehen,
ist nur eine folgerichtige Verallgemeinerung des bisher geltenden Rechts-
satzes, da kein stichhaltiger Grund vorliegt, seine Anwendung nur auf
bestimmte Klassen der arbeitenden Bevölkerung zu beschränken. Prak-
tische Bedeutung wird die Vorschrift namentlich für diejenigen Klassen
der arbeitenden Bevölkerung erhalten, die der gesetzlicheu Krankenver-
sicherung nicht unterliegen, insbesondere für die in der Land- und Forst-
wirtschaft beschäftigten Arbeiter. Zugleich wird darin aber auch ein
Ansporn für die Gemeinden liegen, durch statutarische Bestimmung die
obligatorische Krankenversicherung nach § 2 des Gesetzes über die Kranken-
versicherung auf sie auszudehnen. Nicht ohne Bedenken ist dagegen
die Ausdehnung der Unterstützungspflicht auf die Familienangehörigen
der Personen, welche in einem Dienst- oder Arbeitsverhältnis stehen, so-
fern sie am Dienst- oder Arbeitsorte des Familienhauptes erkranken und
dessen Unterstützungswohnsitz teilen. Die Reichstagskommission ging bei
der Annahme dieser Bestimmung von der Erwägung aus, dafs es dem
von dem Gesetze festgehaltenen Grundsatze der Familienzusammengehörig-
keit widersprechen würde , wenn in den vorausgesetzten Fällen ver-
schiedene Armenverbände für die an einem Orte vereinigten Familien-
glieder zu sorgen hätten. Doch erscheint dies nicht ganz zutreffend.
Die Vorschrift des § 29 bildet auch in der gegenwärtigen Fassung eine
Ausnahme von den allgemeinen Bestimmungen des Gesetzes über die Be-
gründung der Verpflichtung zur endgültigen Armenunterstützung und er-
scheint nur durch das Arbeitsverhältnis der Arbeiter selbst gerechtfertigt.
Die Vereinigung der Familienmitglieder an einem Orte ist aber nach den
anderweiten Bestimmungen des Gesetzes weder für die Ortsarmen noch
für die Landarmen von rechtlicher Bedeutung. Zur Unterstützung des
Antrags wurde in der Kommission hervorgehoben, dafs seine Annahme
in der Praxis schwerlich sehr weittragende Folgen haben werde, da, wenn
der Beschäftigungsort mit der Verpflichtung zur Fürsorge für den be-
schäftigten Arbeiter selbst zugleich auch diejenige für dessen mitziehende
582 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Ehefrau und Kinder zu übernehmen haben würde, er sich gegen die
Aufnahme solcher mit Familien behafteter Personen wehren werde. Der
Bundesrat nahm diese Bestimmung in den zweiten Entwurf auf, nament-
lich auch mit Rücksicht darauf, dafs sie in der Praxis keine bedeutenden
Folgen haben werde. Indes kann die Sache auch noch eine andere Seite
haben, die von dem Reichstag und dem Bundesrat nicht beachtet worden
ist. Es ist allerdings vorauszusehen, dafs infolge dieser Bestimmung
Arbeiter, die ihre Frauen und Kinder mitführen, schwerer in der Fremde
Arbeit finden werden als bisher, dafs die Arbeitgeber sie aus dem Dienste
entlassen werden, wenn sie ihre Familie zu sich kommen lassen, bevor
sie an dem Aufenthaltsort ihren Unterstützungswohnsitz erworben haben.
Die Folge davon wird aber die sein, dafs der Mann sich von seiner
Familie trennt und sie in der Heimat zurückläfst. Das wird nur allzu-
häufig zur Zerrüttung und Auflösung des Familienlebens, zum sittlichen
und wirtschaftlichen Verderb führen. Die gesetzliche Bestimmung, die
formell zur Wahrung des Familienzusammenhangs bestimmt ist, wird viel-
fach thatsächlich dessen Zerstörung herbeiführen.
Nach einer von der Kommission des Reichstags beantragten, in das
Gesetz aufgenommenen Vorschrift liegt jedoch dem Dienst- oder Arbeits-
ort diese Verpflichtung zur Unterstützung der in ihm beschäftigten, aber
erkrankten Personen nicht ob, wenn das Dienst- oder Arbeitsverhältnis,
durch welches der Aufenthalt an dem Orte bedingt wird, nach seiner
Natur oder im voraus durch Vertrag auf einen Zeitraum von einer Woche
oder weniger beschränkt ist. In diesem Falle hat zwar der Dienst- oder
Arbeitsort ebenfalls nach den allgemeinen Grundsätzen des Gesetzes (§ 28)
die Fürsorge zu übernehmen, aber nur vorläufig und vorbehaltlich des
Anspruchs auf Erstattung der Kosten und Uebernahme des Hilfsbedürftigen
durch den endgültig verpflichteten Armenverband. Diese durch das Ge-
setz eingeführte Beschränkung ist gerechtfertigt durch die kurze Dauer
der Beschäftigung und steht im Einklang mit der Bestimmung des Kranken-
versicherungsgesetzes § 1, wonach die Arbeiter, deren Beschäftigung ihrer
Natur nach nur eine vorübergehende oder durch den Arbeitsvertrag im
voraus auf einen Zeitraum von weniger als einer Woche beschränkt ist,
der gesetzlichen Krankenversicherung nicht unterliegen. Nur eine kleine,
aber beabsichtigte Verschiedenheit beider Gesetze findet sich. Während
die Freiheit von der Krankenversicherung nur dann eintritt, wenn die
Beschäftigung durch den Arbeitsvertrag auf einen Zeitraum von weniger
als einer Woche beschränkt ist, ist die Verpflichtung des Dienst-
oder Arbeitsortes auch dann nicht begründet, wenn der Arbeitsvertrag
auf eine Woche abgeschlossen wird. Mit Rücksicht darauf, dafs die
Arbeitsverträge auf dem Lande sehr häufig auf die Dauer einer Woche
abgeschlossen werden, sollte durch diese Fassung die Wirkung der
neuen Vorschrift für die ländlichen Ortsarmenverbände abgeschwächt
werden.
Vielfache Beschwerden, und nicht unberechtigte, sind gegen das Ge-
setz über den Unterstützungswohnsitz erhoben worden, weil dasselbe zu
zahlreichen und langwierigen Streitigkeiten zwischen den einzelnen
Armenverbänden und damit zu einer sehr lästigen Vielschreiberei und zu
Nationalökonomische Gesetzgebung. 583
einem unnötigen Aufwand von Arbeitskraft und Kosten Veranlassung
gebe. Das Gesetz vom 12. März 1894 hat einzelnen dieser Boschwerden
Abhilfe zu schaffen gesucht. Nach dem Gesetze § 28 ist ein Ortsarmen-
verbaud, in dessen Bezirk die Hilfsbedürfti^keit eintritt, zur Unter-
stützung des Hilfsbedürftigen verpflichtet. Er hat aber einen Anspruch
auf Ersatz der Kot-ten und auf Ueberuahme des Hilfsbedürftigen gegen den
Landarmen verband, sofern der Hilfsbedürftige keinen Unter>tützungs-
wohnsitz besitzt. Nach dem Gesetz von 1870 § 30 hatte der Ortsarmen-
verband, der einen solchen Anspruch geltend machen wollte, den Nach-
weis zu erbringen, dafs der Hilfsbedürftige einen Unterstützungswohnsitz
nicht besitzt. Konnte er diesen Nachweis nicht erbringen, so ward nach
konstanter Praxis des Bundesamts für das Heimatwesen der Anspruch
abgewiesen, selbst wenn der Beweis dieser Negative sich als unmöglich
darthun liefs, z. B. wenn es sich um die Fürsorge von Findlingen, unbe-
kannten Taubstummen, Blödsinnigen, deren Herkunft nicht zu ermitteln
war, handelte J). Durch diese Praxis wurden nicht nur zahlreiche und
langwierige Rechtsstreitigkeiten hervorgerufen, sondern die Ortsverbände
dazu verführt, durch gesetzwidrige Abschiebung fremder Personen der
Gefahr vorzubeugen, endgültig die Kosten für deren Fürsorge tragen zu
müssen. Wie schon der erste Entwurf vorschlug, hat zur Beseitigung
dieser Uebelstände das Gesetz vom 12. März 1894 bestimmt (Art. 1. III),
dafs der Ersatzanspruch schon dann begrüudet ist, wenn ein Unter-
stützungswohnsitz des vorläufig Unterstützten nicht zu ermitteln
ist, und dafs der Beweis hierfür schon dann als erbracht gilt, wenn der
klagende Armenverband nachweist, dafs er alle diejenigen Erhebungen
vorgenommen hat, welche nach Lage der Verhältnisse als geeignet zur
Ermittelung eines Unterstützungswohnsitzes anzusehen waren. Sollte sich
trotzdem später der Nachweis führen lassen, dafs der Hilfsbedürftige
einen Unterstützungswohnsitz gehabt hat, so ist der Ortsarmenverband
desselben schon nach allgemeinen Kechtsgrundsätzen — das Gesetz be-
stimmt es aber auch ausdrücklich — nachträglich zur Rückerstattung
der Kosten an den Landarmenverband verpflichtet.
Demselben Zwecke, Streitigkeiten unter Armenverbänden vorzubeugen
und sie, soweit solche entstehen, zu vereinfachen, dient die weitere
Vorschrift des neuen Gesetzes (Art* 1 IV), dafs alle Erstattungs- und
Ersatzansprüche, welche auf Grund des Gesetzes über den Unterstützungs-
wohnsitz erhoben werden, in 2 Jahren vom Ablauf desjenigen Jahres
ab, in welchem der Anspruch entstanden ist, verjähren. Endlich hat
das Gesetz noch eine Bestimmung aufgenommen, welche die Rechts-
sprechung vor einem Abweg zu bewahren bestimmt ist. Nach dem Ge-
setze von 1870 § 30 hat der Ortsarmenverband, der einen Hilfsbedürf-
tigen, welcher in einem anderen Armenverband seinen Unterstützungs-
wohnsitz hat, vorläufig unterstützt, einen Ersatzanspruch gegen den
Ortsarmenverband des Unterstützuugswohnsitzes. Durch Landesgesetz, ins-
besondere durch das preufsisohe Gesetz vom 11. Juli 1891 sind aber
1) Vgl. die Rechtsprechung des Bundesamtes bei Wohlers, Das Reichsgesetz über
den Unterstützungswohnsitz (5. Aufl. 1892).
584 Nationalökonomische Gesetzgebung.
einzelne Zweige der geschlossenen Armenpflege, auch insoweit es 6ich
um Ortsarme handelt, den Landarmenverbänden übertragen worden. In
der Kommission des Reichstages ward die Befürchtung ausgesprochen, dafs
die Rechtssprechung auch in diesen Fällen sich an den Buchstaben des
Gesetzes halten und nur Ersatzansprüche an Ortsarmenverbände zulassen
werde, auch wenn diesen nach der Landesgesetzgebung gar nicht mehr
die Fürsorgepflicht obliege. Um einer solchen Praxis vorzubeugen, wurde
(Art. 1 V), die Aufnahme eines neuen Paragraphen (§ 32a) in das Ge-
setz beschlossen, wonach die Rechte und Pflichten der Ortsarmenver-
bände auf die Landarmenverbände übergehen, soweit nach Bestimmung
der Landesgesetze diesen einzelne Zweige der öffentlichen Armenpflege
übertragen sind.
Während die bisher besprochenen, in Art. 1 des Gesetzes vom
12. März 1894 enthaltenen Bestimmungen Abänderungen und Ergänzungen
des Gesetzes vom 6. Juni 1870 bringen und demnach auch nur für
dessen Geltungsgebiet erlassen sind, hat Art. 2 dem im ganzen Reichs-
gebiete geltenden Strafgesetzbuche einen Zusatz eingefügt. Das Straf-
gesetzbuch hat aus dem preufsischen Strafgesetzbuch von 1851 § 119
in § 361 Nr. 5 die Vorschrift übernommen, dafs mit Haft Personen zu
bestrafen sind, welche sich dem Spiel, Trunk oder Müfsiggang dergestalt
hingeben, dafs sie in einen Zustand geraten, in welchem zu ihrem Unter-
halte oder zum Unterhalte derjenigen , zu deren Ernährung sie ver-
pflichtet sind, durch Vermittelung der Behörde fremde Hilfe in Anspruch
genommen werden mufs. Nach § 362 können Personen, die hiernach
verurteilt werden, zu Arbeiten, welche ihren Fähigkeiten und Verhält-
nissen angemessen sind, innerhalb und, sofern sie von anderen freien
Arbeitern getrennt gehalten werden, auch aufserhalb der Strafanstalt an-
gehalten werden. Bei der Verurteilung kann zugleich erkannt werden,
dafs die verurteilte Person nach verbüfster Strafe der Landespolizeibehörde
zu überweisen sei. Letztere erhält dadurch die Befugnis, die verurteilte
Person entweder bis zu 2 Jahren in ein Arbeitshaus unterzubringen
oder zu gemeinnützigen Arbeiten zu verwenden.
Das preufsische Strafgesetzbuch hatte aber eine sehr wichtige Er-
gänzung in dem Gesetz vom 21. Mai 1855 Art. 13, 14 gefunden.
Hiernach konnten Ehemänner, welche ihre Frauen, Eltern, welche ihre
noch nicht 14 Jahre alten Kinder dergestalt hilflos lassen, dafs sie der
Armenpflege anheimfallen, durch Verfügung der Verwaltungsbehörde auf
solange, als das Bedürfnis der Armenpflege für ihre Angehörigen fort-
dauert, in eine Arbeitsanstalt untergebracht werden, sobald der Versuch,
sie im Verwaltungs- oder gerichtlichem Wege zur Unterstützung ihrer
Angehörigen exekutivisch anzuhalten, fruchtlos geblieben war.
Es erhoben sich nach Erlafs des Strafgesetzbuches Bedenken , ob
diese landesgesetzlichen Bestimmungen nicht durch § 362 des Strafge-
setzbuches aufgehoben seien, und da auch die preufsische Staatsregierung
diese Bedenken teilte, so wurde das Gesetz von 1855 durch das Gesetz
vom 8. März 1871 § 74 ausdrücklich für aufgehoben erklärt. Allerdings
hatte das Herrenhaus diese Bedenken nicht geteilt, vielmehr zunächst be-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 585
schlössen, die erwähnten Bestimmungen des Gesetzes von 1855 in das
neue Gesetz mit herüber zu nehmen, und auch in dem Abgeordnetenhause
hatte diese Ansicht Vertreter gefunden, ohne jedoch hier durchdringen
zu können. Selbst Männer, welche sachlich jene Bestimmungen für ge-
boten erachteten und es aussprachen, dafs durch deren Beseitigung eine
höchst bedauerliche Lücke in der Gesetzgebung entstanden sei, wie der
Abgeordnete Miquel, hielten sie doch mit dem Reichsgesetze für unver-
einbar. Diese Lücke ist auch durch die Vorschrift der §§ 65 — 67 des
Gesetzes vom 8. März 1871 nicht ausgefüllt worden, wenn dadurch auch
der Verwaltungsbehörde (dem Kreis- oder Stadtausschufs nach Zuständig-
keitsgesetz von 1883 § 43) das Recht erteilt ist, auf Antrag des Armen-
verbandes, der eine Ehefrau oder ein Kind unterstützen mufs, den Ehe-
mann oder die Eltern anzuhalten, nach Mafsgabe ihrer gesetzlichen
Verpflichtung die erforderliche laufende Unterstützung zu gewähren, und
wenn auch deren zu diesem Zwecke erlassenen Verfügungen vorläufig
vollstreckbar sind (vorbehaltlich des ordentlichen Rechtswegs). Dies
Verfahren hat sich in der Praxis als wenig wirksam erwiesen, weil da-
durch weder das Familienhaupt genötigt werden kann, zu seiner Familie
zurückzukehren oder sie zu sich zu nehmen, noch auch ein Zwang zur Ar-
beit gegen dasselbe zulässig ist. Infolgedessen machen die Armenver-
bände von dem ihnen zustehenden Rechte, derartige Anträge zu stellen,
wenig Gebrauch, vielfach auch nicht in solchen Fällen, in welchen auf
diesem Wege das Familienhaupt zur Erfüllung seiner Pflichten angehalten
werden könnte.
Personen, welche nicht nach dem angeführten § 361 Ziff. 5 straf-
rechtlich verfolgt werden konnten, waren demnach jeder Bestrafung ent-
zogen, selbst wenn sie in gewissenloser Weise ihren Lohn vergeudeten,
Frauen und Kinder sich selbst überliefsen und vernachlässigten und da-
durch die Armenbehörden in die Notwendigkeit versetzten, die verlassenen
und dem Elende preisgegebenen Familienangehörigen aus öffentlichen
Mitteln zu unterstützen. Die Erfahrung hat erwiesen, dafs die Behörden
gegeiiüber einem derartigen rechtswidrigen und pflichtvergessenen Verfahren
nur allzuhäufig machtlos waren, namentlich wenn das zur Unterstützung
verpflichtete Familienhaupt häufig den Ort seiner Beschäftigung wechselte.
Beschwerden über diesen dem Rechte wie den Grundsätzen einer rationellen
Armenpflege Hohn sprechenden Mifsbrauch wurden aus den verschiedensten
Gegenden Deutschlands wiederholt und mit steigendem Nachdruck er-
hoben. In seinen Entwürfen hatte der Bundesrat deshalb vorgeschlagen,
hinter Nr. 5 des § 361 des Strafgesetzbuches unter Nr. 5 a folgende Be-
stimmung aufzunehmen : „(Mit Haft wird bestraft), wer, obschon er in
der Lage ist, diejenigen , zu deren Ernährung er verpflichtet ist , zu
unterhalten , sich der Unterhaltspflicht trotz der Aufforderung der zu-
ständigen Behörde derart entzieht, dafs durch Vermittelung der Behörde
fremde Hilfe in Anspruch genommen werden mufs." Damit wären zu-
gleich die oben angeführten Vorschriften des § 362 des Strafgesetzbuches
über den gegen den Verurteilten zulässigen Zwang zur Arbeit, sowie über
dessen Ueberweisung an die Landespolizeibehörde und Unterbringung in
586 Nationalökonomische Gesetzgebung.
ein Arbeitshaus nach verbüfster Haft für anwendbar erklärt worden *).
Jedoch war die Mehrheit des Reichstags der Ansicht, dafs im Gegensatze
zu dem in § 361 Ziff. 5 mit Strafe bedrohten Thatbestand die blofse
"Weigerung, der Unterhaltspflicht Genüge zu leisten , nicht immer mit
Haft zu bestrafen sei, sondern dafs es dem Ermessen des Richters über-
lassen worden müsse, je nach der Lage des einzelnen Falles statt der
Haft auf Geldstrafe bis zu 150 M. zu erkennen. Auch ward es nicht
für richtig erachtet, die schweren Folgen, welche nach § 362 des Straf-
gesetzbuches mit einer Yerurteilung auf Grund des § 361 Ziff. 5 ver-
bunden werden können, eintreten zu lassen. Es ward mit Recht darauf
hingewiesen, dafs durch die neue Strafbestimmung Personen, welche ihrer
Arbeit nachgehen und ihren Lebensunterhalt verdienen, nur deshalb mit
Strafe bedroht werden, weil sie sich weigern, ihre Angehörigen zu unter-
halten. Durch Unterbringung in ein Arbeitshaus würde ihnen die Mög-
lichkeit, zu arbeiten und damit ihrer Pflicht zu genügen, auf längere Zeit
entzogen, abgesehen davon, dafs nicht selten der Aufenthalt in einem
Arbeitshaus eine entsittlichende Wirkung ausübe. Auf Antrag der sozial-
demokratischen Partei 2) ward deshalb von dem Reichstage zwar die
Vorschrift in dem angeführten Wortlaut des Entwurfs angenommen, aber
nicht als Nr. 5 a, sondern als Nr. 10 des § 361 des Strafgesetzbuches
und zugleich bestimmt, dafs statt der Haft auf Geldstrafe erkannt werden
könne. Die veränderte Stellung der Vorschrift hatte zugleich die Folge,
dafs auf Zwangsarbeit und auf Ueberweisung an die Landespolizeibehörde
nicht erkannt werden kann.
Die Verpflichtung zum Unterhalt der Familienangehörigen , deren
Kreis in den einzelnen Rechtsgebieten Deutschlands durch das Recht ver-
schieden begrenzt ist, hat als familienrechtliche zunächst einen privatrecht-
lichen Charakter und kann demgemäfs von denen, die auf Unterhalt An-
spruch erheben, durch eine Klage im ordentlichen Rechtswege geltend
gemacht werden. Durch das Reichsgesetz vom 14. März 1894 ist die
Verletzung dieser Pflicht unter den soeben angeführten Voraussetzungen
auch mit öffentlicher Strafe bedroht. Wie hierdurch reichsgesetzlich die
öffentlich-rechtliche Bedeutung der Unterhaltspflicht anerkannt ist, so
hatte schon früher die Landesgesetzgebung um dieser öffentlich-recht-
lichen Bedeutung willen bestimmt, dafs zur Erfüllung der Unterhaltspflicht
unter bestimmter gesetzlicher Voraussetzung polizeiliche Zwangsgewalt
angewandt werden könne, vorbehaltlich des ordentlichen Rechtsweges.
Die Vorschriften des preufsischen Rechts hierüber sind schon oben (S. 585)
angeführt worden. Da Personen, die zum Unterhalt ihrer Angehörigen
verpflichtet sind, als für ihre eigene Person unterstützt angesehen werden,
wenn ihre Angehörigen der öffentlichen Armenpflege anheimfallen , so
können sie, soweit dies nach Landesgesetz zulässig ist, in diesem Falle,
abgesehen von der strafrechtlichen! Verfolgung, durch die Armenpolizei-
1) Nach dem § 362 findet derselbe Anwendung auf Personen, welche nach Vor-
schrift des § 361 Nr. 3 bis 8 verurteilt werden.
2) Auch der nationalliberale Abgeordnete Pieschel hatte sich in der Sitzung vom
1. Februar 1894 entschieden im Sinne dieses Antrags ausgesprochen. Stenogr. Berichte
S. 989 u. ff.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 587
behörde in ein Armen- oder Arbeitshaus verbracht werden. So können
sie in Sachsen nach der ArmenordnuDg vom 22. Oktober 1840 § 27,
28 so lange in einem Arbeitshaus untergebracht werden, bis sie für sich
und die Ihrigen ein gesichertes Fortkommen nachweisen. In Württem-
berg können nach dem Gesetz vom 2. Juli 1889 Art. 14 Personen, die
in der Person ihrer Ehefrau oder ihrer noch nicht 14 Jahre alten Kinder
öffentliche Unterstützung empfangen, in eine Armenanstalt verbracht und
dort zur Arbeit angehalten werden. Diese landesgesetzlichen Bestimmungen
sind durch das Reichsgesetz nicht aufgehoben worden, wie dasselbe auch
nicht im "Wege steht, dafs künftighin in den einzelnen Bundesstaaten
den Armen- und Polizeibehörden derartige Befugnisse übertragen werden.
Die Verbringung in ein Armen- oder Arbeitshaus unterscheidet sich aber,
wenn sie als Verwaltungsmafsregel angewandt wird, wesentlich von der
Unterbringung in ein Arbeitshaus, die infolge der Ueberweisung an die
Landespolizeibehörde nach § 362 des Strafgesetzbuches erfolgt. Letztere
ist eine Nebenstrafe und kann nach Ermessen der Landespolizeibehörde
bis zu 2 Jahren fortdauern. Erstere darf überhaupt nicht den Charakter
einer Strafe annehmen, sie ist eine Mafsregel der Armenpflege und an
keine bestimmte Zeitdauer gebunden. Die Entlassung aus dem Armen-
oder Arbeitshause mufs erfolgen, sobald der Aufgenommene nachweist,
dafs er für sich und seine Angehörigen der öffentlichen Unterstützung nicht
mehr bedarf.
588 M i s % e 1 1 e n.
Miszellen.
XL
Die Ergebnisse der deutschen Kriminalstatistik
1882—1892.
Von G. Lindenberg,
Erstem Staatsanwalt in Ratibor.
Obgleich das deutsche Strafgesetzbuch seit dem Beginne des Jahres
1872 in allen Staaten des geeinigten Reiches Geltung hatte, tauchte doch
der Gedanke an eine gemeinschaftliche Kriminalstatistik erst viel später
auf. Einzelne Gliedstaaten hatten schon längere Zeit justizstatistische Er-
hebungen gesammelt, und in Preufsen wurden Mitteilungen über die Ge-
schäfte der Justizbehörden von 1851 an bis 1878 veröffentlicht, denen
sich eine Statistik der preufsischen Schwurgerichte (1854 — 1880) anschlofs.
Erst als Gerichtsverfassung und Strafprozefs für das ganze Reich in ein-
heitlicher Weise geregelt waren, erfolgte im Jahre 1880 eine Verständigung
der Bundesstaaten zu gemeinsamem Vorgehen auf dem Gebiete der Ge-
schäftsstatistik betreffend streitige Gerichtsbarkeit und auf dem Gebiete
der Statistik rechtskräftig erledigter Strafsachen.
Für die letztere wurde das Prinzip der Zählkarte aufgestellt. Preufsen
begann schon mit dem 1. Januar 1881 die Zählung. Die Ergebnisse für
1881 wurden bei dem preufsischen statistischen Bureau gesammelt und
in dessen Zeitschrift veröffentlicht1). Erst mit dem Jahre 1882 tritt die
deutsche Kriminalstatistik als eine Angelegenheit des Reiches ins Leben.
Sie beschränkt sich auf Verbrechen und Vergehen gegen Reichsgesetze.
Solche Strafgesetze, welche nur in einzelnen Gliedstaaten gelten, haben
für das Reich kein unmittelbares Interesse, entbehren auch der
statistischen Vergleichbarkeit und betreffen unwichtigere Ausschreitungen.
Aufser Betrachtung bleiben ferner alle Uebertretungen, also auch die gegen
Reichsgesetze. Diese Einschränkung beruht offenbar auf der Erwägung,
dafs eine Zählung der Uebertretungen das Material zu sehr anhäufen
würde. Immerhin wird es mit Recht bedauert, dafs einzelne Ueber-
tretungen sozialpathologischer Natur (namentlich Betteln , Landstreichen,
1) Ergänzungsbeft XIV, 1888. Der juristische Leiter der bahnbrechenden Arbeit
war Starke.
*Mis zellen. 589
Prostitution) von der kriminalstatistischen Betrachtung ausgeschlossen sind.
Zu erwähnen ist noch, dafs die Urteile der Militärgerichte nicht ge-
zählt werden und dafs auch alle Zoll- und Steuersachen keine Berück-
sichtigung finden.
Die Zählkarten werdeu vierteljährlich von den Justizbehörden an das
Kaiserliche statistische Amt gesandt. Dort und im Reichsjustizamte wird
das Zahlenmaterial verarbeitet. Die Ergebnisse werden alljährlich in
einem grofsen Tabellenwerke mit vielfachen Erläuterungen bekannt gegeben.
Die Schwierigkeit der Arbeit bringt es mit sich, dafs erst geraume Zeit
nach Abschlufs eines Jahrganges dessen Resultate veröffentlicht werden
können. So ist die Kriminalstatistik für 1891 erst im Juni 1894 er-
schienen. Unsere Absicht, nunmehr dem Jahrzehnt 1882 bis 1891 eine
Betrachtung zu widmen , ist aber dadurch vereitelt worden , dafs gleich-
zeitig mit der Kriminalstatistik für 1891 das vollständige Tabellenwerk
des Jahrganges 1892 — ohne Erläuterungen — ausgegeben wurde. Jetzt
handelt es sich also, da die sehr hohen Zahlen des Jahres 1892 gerade
das gröfste Interesse in Anspruch nehmen, nicht mehr um ein Jahrzehnt,
sondern um elf Jahrgänge, deren Ergebnisse offen liegen, wenn wir auch
für 1892 noch der kundigen Führung entbehren, welche die im Reichs-
justizamte und Kaiserlichen Statistischen Amte ausgearbeiteten Erläuterungen
bei Durchmusterung der übrigen Jahrgänge bieten. Wer weifs, ob nicht,
bevor die fehlenden Erläuterungen veröffentlicht sind, die Zahlen des Jahres
1893 als „vorläufige Mitteilung" in den Vierteljahrsheften der „Statistik des
Deutschen Reiches" erscheinen und durch ihre Existenz das zu betrachtende
Gebiet wieder erweitern werden. Denn in der Statistik ist das Neuste
der Feind des Neuen. Darum wollen unsere Leser es uns nicht verargen,
dafs wir die offiziellen Erläuterungen für 1892 nicht abwarten.
Die Rundschau über die 11 Jahre wird sich im wesentlichen mit
der Frage beschäftigen, ob und inwieweit die Kriminalität sich vermehrt
hat, und wir werden dabei in die Lage kommen, den Ursachen der
Steigerung nachzuforschen. Vorweg sei bemerkt, dafs wir zur Verein-
fachung des Verfahrens davon absehen, uns mit den Zahlen der abge-
urteilten Personen und der zur Anklage stehenden Handlungen zu
beschäftigen. So wichtig diese Feststellungen für die Zwecke der Justiz-
verwaltung sein mögen , berühren sie doch das allgemeine Interesse nur
in geringem Mafse. Es kommt wesentlich darauf an, wie viele Personen
verurteilt worden sind. Die Freigesprochenen müssen ausscheiden,
sobald es sich nicht lediglich darum handelt, über die Beschäftigung der
Gerichte oder über Mängel des Strafverfahrens Material zu sammeln. Auch
bei Zählung derjenigen Handlungen, wegen welcher Verurteilung er-
folgt ist, wird die strafrechtliche Technik, die sehr verschieden gehand-
habt werden kann (wir wollen uns an das sog. fortgesetzte Delikt erinnern),
ein brauchbares Ergebnis nicht liefern. Daher zählen wir hier nur die
verurteilten Personen l).
1) Schon früher haben wir diesen Standpunkt verteidigt (s. Jahrbücher, Dritte Folge
Bd. I, S. 259). Das Kais. Statistische Amt hat übrigens seit 1891 in den grofsen Ab-
teilungen II u. IV des Tabellenwerkes sich ebenfalls auf die Verurteilten beschränkt.
590
Miszellen.
|I. Das Wachsen der Kriminalität in der Gesamtzahl der
Verurteilten.
In der beigefügten Tabelle haben wir die Gesamtzahlen der in den
elf Berichtsjahren erfolgten Verurteilungen zusammengestellt. Die Ein-
tragungen in Spalte 2 beruhen durchweg auf den Mitteilungen der
Kriminalstatistik. Auch in Spalte 3 sind bis 1891 einschliefslich die
offiziellen Zahlen eingestellt. Wie die letzteren gefunden sind , ent-
zieht sich der Nachprüfung. Der aufmerksame Beobachter wird aber be-
merken, dafs die Steigerung der Gesamtzahl (Spalte 2) von 1890 zu 1891
viel bedeutender ist, als nach der geringen Erhöhung der Verhältniszahl
in Spalte 3 angenommen werden kann. Offenbar haben die Ergebnisse
der Volkszählung vom 1. Dezember 1890 in Jahre 1891 die Verhältnis-
zahl herabgedrückt. Denn nach den dankenswerterweise mitgeteilten Er-
gebnissen der Volkszählungen hat die über 12 Jahre alte, also straf-
mündige Civilbevölkerung des Deutschen Reiches betragen:
am 1. Dez. 1885 32 679 037 Personen
am 1. Dez. 1890 34795 167 Personen
also in fünf Jahren 2 116 130 Personen oder 6,4 Proz. mehr. Dies er-
giebt für ein Jahr 423 226 Personen mehr. Wer aber aus den Zahlen
der Spalten 2 und 3 für 1890 und 1891 die Einwohnerzahl, von welcher
ausgegangen worden ist, zurückberechnet, der wird finden, dafs bei 1891
794 844 Einwohner mehr in Rechnung gezogen worden sind, als bei
1890, was den regelmäfsigen Jahreszuwachs erheblich überschreitet. Die
Zahl in Spalte 3, 4 b und 4 d für 1892 haben wir, da offizielle Mitteilungen
fehlen, nach dem Verhältnisse des von 1885 bis 1890 beobachteten An-
wachsens annähernd festgestellt.
Jahr
Gesamt-
zahl der
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Prozentsatz des Unterschiedes gegen
das Vorjahr
absolut
4a
unter Berück-
sichtigung der Zu-
nahme der Be-
völkerung
4b
das Ausgangsjahr 1882
absolut
4c
unter Berück-
sichtigung der Zu-
nahme der Be-
völkerung
4d
1882
1883
1884
1885
1886
1887
1888
1889
1890
1891
1892
329968
330 128
345 977
343 087
353 °°o
35Ö357
35o655
369 644
381 450
391064
422327
1043
1036
1077
1060
1082
1084
1056
IIOI
1122
1124
»981)
+
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5,57 „
7,57 „
7,76 „
14,86 „:
Das Gesamtergebnis der Uebersicht ist ein recht betrübendes. Ab-
gesehen von den beiden Jahren 1885 und 1888 ist die Kriminalität seit
1) Annähernd.
M i s z e 11 en. 591
1883 stetig gestiegen, 1889 beginnt ein Anlauf, welchem von 1891 auf
1892 ein Sprung folgt, wie er noch nie dagewesen ist und hoffentlich
auch nie sich wiederholen wird 1).
Es ist keine dankbare Aufgabe , den Gründen dieser Zunahme der
Kriminalität nachzuforschen. Ein bestimmtes Gesetz, nach weichem in
dem langen durchmusterten Zeiträume irgend welche Regelniäfsigkeit der
Erscheinungen zu Tage tritt, wird das kühnste Kombinationstalent in den
Ziffern unserer Tabelle nicht zu entdecken vermögen, auch eine Gruppierung
nach gröfseren Zeiträumen würde dem Laufe der Kurve den Schein
nicht verleihen, als liefse derselbe sich kontrollieren. Deshalb kann eine
Kritik kriminalistischer Ergebnisse an den Gesamtzahlen nicht haften,
eine Zergliederung aller Einzelheiten setzt aber ein Uebermafs an Zeit
und Geduld des Schreibenden wie des Lesenden voraus. So kommt es
denn, dafs Darstellungen der Kriminalität eines Volkes im grofsen und
ganzen auf Einzelbildern beruhen , bei deren Auswahl und Gruppierung
die Tendenz des Schildernden eine sehr mafsgebende Rolle spielen kann.
Es ist nicht schwer, durch bestimmte Streiflichter einen gähnenden Ab-
grund sichtbar zu machen , der in Wirklichkeit nicht gar so tief ist,
andererseits erscheint es auch möglich, die Steigerung der Kriminalität
etwa so zu erklären, wie einen ganz natürlich verlaufenden nicht bedroh-
lichen Krankheitsprozefs. Der lange Zeitraum, auf welchen unsere
Messungen sich erstrecken und das immer exakter gewordene Verfahren
des statistischen Amtes bürgen aber doch wohl dafür, dafs der einst von einem
hochangesehenen Juristen erhobene Vorwurf, mit unserer damaligen Kriminal-
statistik lasse sich Alles beweisen und Alles widerlegen, was man wolle 2),
seine schon damals fragwürdige Berechtigung immer mehr verloren hat.
Die hauptsächlichsten Gründe, welche die Zunahme der Verurteilungen
auf Faktoren zurückführen wollen , die unabhängig sind von einer zu-
nehmenden Entsittlichung, werden etwa in Folgendem gefunden:
1) Die Grundlage und Technik der Strafverfolgung habe zu einer
schärferen Tonart geführt.
Richtig ist, dafs die strenge Handhabung des Legalitätsprinzips in
der Strafprozefsordnung die Anklagen vermehrt hat. Aber dies Prinzip
hat sich seit 1880 nicht geändert und kann nur ins Feld geführt werden,
wenn es sich um Vergleichung mit einer noch früheren Zeit handelt, auf
die Steigerung der Kriminalität seit 1882 ist es einflufslos. Richtig ist
ferner, dafs die bessere Registrierung der Vorstrafen (seit 1882) zu einer
sicheren Anwendung der Rückfallsstrafen führt, welche früher wohl viel-
fach umgangen wurde, allein diese Verbesserung kann an sich die Zahl
der Verurteilungen nicht steigern und was die Art derselben betrifft, so
sind bei dem seit 1888 beobachteten starken Anwachsen der Diebstähle
gerade die Rückfallsdiebstähle in weit geringerem Mafse beteiligt, als die
1) Inzwischen ist die Geschäftsstatistik der preufsischen Gerichte für 1893 er-
schienen (Justizministerialblatt 1894, S. 187 ff.). Mann kann aus ihr folgern, dafs das
Jahr 1893 eine weitere Erhöhung der Kriminalität gebracht hat, dafs aber die Steigerung
gegen das Vorjahr eine unerhebliche ist.
2) Mittelstadt bei der Besprechung des Starke'schen Werkes „Verbrechen und Ver-
brecher in Preufsen". Siehe Zeitschrift f. d. gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd. 4, S. 413
(1884 erschienen).
592 Miszellen.
übrigen Diebstähle. Verglichen mit 1882, sind die einfachen Diebstähle
im Rückfalle in dem kriminalistisch sehr beiasteten Jahre 1892 nur um
6 Proz. zahlreicher, die schweren Rückfallsdiebstähle dagegen um fast
1 Proz. geringer.
Mit besserem Erfolge kann man darauf hinweisen , dafs die Ein-
richtung der Strafregister die Auffindung vagierender Verbrecher wesent-
lich erleichtert. Da alle Strafnachrichten über eine Person bei der Register-
behörde ihres Geburtsortes gesammelt werden, so braucht die suchende
Behörde nur bei dem Strafregister einen Vermerk niederlegen zu lassen,
um sofort, wenn aus einem noch so weit entlegenen anderen Orte nach
den Vorstrafen des Gesuchten angefragt wird, Nachricht über den augen-
blicklichen Aufenthalt desselben zu erhalten. Diese Methode, verbunden
mit Verbesserung und gröfserer Verbreitung der Spähblätter, mit häufigerer
Anwendung der Photographie, ja auch die wichtige telephonische Ver-
ständigung haben unzweifelhaft die Eestnahme der Verbrecher in den
letzten 10 Jahren sehr erleichtert. Für die Statistik in dem jetzigen
Gewände interessiert nur der abgeurteilte Verbrecher. Alle Fälle , in
denen er noch gesucht wird, bleiben aufser Rechnung. Trotzdem kann
die verbesserte Technik der Behörden die Erhöhung der kriminalstatistischen
Zahlen nur in ganz geringem Mafse beeinflussen. Die Fälle, in denen
der Frevler flüchtig wird, verschwinden geradezu gegenüber der grofsen
Mehrheit normal verlaufender Strafverfahren, und diejenigen Delikte,
welche die statistischen Tabellen am erheblichsten füllen, Körperverletzung,
Beleidigung, Hausfriedensbruch, Widerstand gegen die Staatsgewalt, sind
höchst selten so geartet, dafs der Thäter die Unbequemlichkeiten der
Flucht seiner ordentlichen Aburteilung vorzieht.
2) Ferner wird angeführt, dafs gröfsere Energie, gröfsere Genauig-
keit, vielleicht auch gröfsere Spitzfindigkeit der verfolgenden Organe die
Zahl der Untersuchungen und damit auch der Verurteilungen vermehrt
habe. Nachweisen läfst sich dies zwar nicht, denn man kann die
Delikte nicht zählen , die in früheren Jahren unverfolgt geblieben sind,
aber es beruht doeh auf Erfahrung, dafs die Polizeibehörden den Kampf
gegen das Verbrechertum infolge von Stellenvermehrung, gröfserer Erfah-
rung, auf dem Lande zum Teil als Abwehr des Gesindels mit gesteigerter
Thatkraft und wachsendem Erfolge führen. Allein es hiefse Ursache und
Wirkung verwechseln, wenn man das Steigen der Kriminalitätsziffern auf
den Einflufs der Polizei zurückführen wollte. Die Erhöhung der polizei-
lichen Kräfte und Bemühuugen ist doch wohl eine Folge der wachsen-
den Kriminalität. Dafs eine Vermehrung der Gendarmerie eine gewisse
Vermehrung der von Gendarmen eingereichten Anzeigen herbeiführt, ist
kaum zu bestreiten, nur wird die Gendarmerie erst vermehrt, wenn sich
zeigt, dafs mit den vorhandenen Kräften gegen das wachsende Ver-
brechertum nicht auszukommen sei.
3) Gröfsere Bedeutung hat das Argument, dafs die Kenntnis der
strafrechtlichen Bestimmungen und das Interesse an Strafprozessen sich
auf breitere Volksschichten erstreckt, als früher und dafs deshalb die
Fertigkeit, dem Mitmenschen strafrechtliche Unbequemlichkeiten zu be-
reiten, gewachsen ist; dafs also mehr die Denunzianten, als die Verur-
Mis Zellen. 593
teilten für die Steigerung der Kriminalität verantwortlich zu machen sind.
Als Beleg für diese Ansicht dient das Delikt der Bedrohung mit einem
Verbrechen. Anzeigen die^erhalb sind in den meisten Fällen rabulistisch zu-
gestutzt, um einer Privatzänkerei ein gefahrdrohendes Aussehen zu geben1).
Diesem seltsamen Delikt schenkte man früher wenig Beachtung, und in
den statistischen Tabellen ist es sogar von dem anders gearteten Ver-
gehen der Nötigung nicht getrennt 2), welches an der Gesamtzahl viel-
leicht mit 12 Proz. beteiligt sein mag. Mit der einzigen Ausnahme des
Jahres 1887 zeigt diese Deliktsgruppe ein geradezu unheimliches Wachs-
tum von Jahr zu Jahr. Bei Beginn unserer Statistik (1882) werden 3623
aus §§ 240, 241 Stgb. Verurteilte gezählt, 1887 schon 6602 und 1892
gar 8802 Das ist eine Vermehrung um 143 Proz. in 10 Jahren, die
ihres gleichen nicht hat. Es wäre völlig verfehlt, anzunehmen, dafs die
Lust, den Nächsten mit Mord oder Todschlag zu bedrohen, in diesem Mafse
gewachsen sei. Hier zeigt sich lediglich, dafs Bedensarten, die früher nur als
Beleidigungen aufgefafst oder gar nicht beachtet wurden, jetzt ausgebeutet
werden, um den Gegnern eine öffentliche Klage auf den Hals zu laden.
Wenn nun aber auch Chikane und Babulisterei gestiegen sind, so
kann man doch das Anwachsen der Kriminalität nur in sehr beschränktem
Mafse auf diese Erscheinung zurückführen. Giebt es doch nur wenige
Deliktsgruppen — wir rechnen aufser der Bedrohung noch die Beleidi-
gung und den Hausfriedensbruch hierher — welche von dieser Argu-
mentation getroffen werden können. Jedenfalls fehlt es an thatsächlichen
Unterlagen dafür, dafs der Bestohlene, Betrogene, Mifshandelte in früheren
Zeiten toleranter gewesen als jetzt. Und schliefslich mufs doch die
Kunstfertigkeit, einen Gegner auf die Anklagebank zu bringen, im Laufe
der Zeiten Gemeingut der Winkelkonsulenten geworden sein, deren unheil-
volle Thätigkeit in den Anfangsstadien der strafrechtlichen Untersuchungen
eine so bedeutende Bolle spielt.
4) Auch die Entwickelung der Gesetzgebung kann von Einfiufs auf
die Vermehrung der Kriminalität sein. Nulla poena sine lege. Der Gesetz-
geber kann Handlungen, die bisher straflos waren, durch Gesetz für straf-
bar erklären. Aber es ist auch möglich, dafs neue Staatseinrichtungen
die dem allgemeinen Wohle dienen, einen guten Nährboden für die Aus-
bildung von Unredlichkeit bilden.
Die Veränderungen der Gesetzgebung innerhalb des zu besprechenden
Zeitraumes von 1882 bis 1892 sind zahlreich, greifen aber nicht erheb-
lich in die Bechtsmaterien ein , mit denen sich unsere Statistik beschäf-
tigt. Erweitert ist deren Gebiet durch das Gesetz v. 3. Mai 1890, wonach
verabschiedete Offiziere der Militärgerichtsbarkeit nicht mehr unterworfen
sind. Es versteht sich von selbst, dafs bei der geringen Zahl und beson-
ders bei der Lebensstellung der dadurch dem Bereiche der Kriminalstati-
stik zugeführten Personen der Zuwachs für die Ergebnisse der Zählung
1) Näheres darüber in des Verf. Besprechung der Kriminalstat. v. 1886, Bd. 19,
S. 74 dieser Jahrbücher.
2) Erst seit 1890 hat die Bedrohung mit einem Verbrechen in der Tabelle I die be-
sondere Nummer 67 a, vielleicht infolge diesseitiger Anregung. (Bd. 19, S. 74 dieser
Zeitschrift.)
Dritte Folge Bd. VIII (LXDI). gg
594 Misz eilen.
ohne jeden Belang ist. Höchstens wäre die Folgerung zulässig, dafs da-
durch die stratmündige Civilbevölkerung um ein Geringes gewachsen ist
und bei der Ehrenhaftigkeit des Zuwachses die Verhältniszahl der Be-
straften zu der Gesamtsumme sich um eine — kaum mefsbare — Kleinig-
keit günstiger gestellt haben mufs.
Die territoriale Erweiterung des Gebietes durch Vereinigung der Insel
Helgoland mit dem Deutschen Beiehe kann bei der geringen Zahl und
der Friedfertigkeit der dortigen Bevölkerung von keinem steigernden Einrlufs
auf die Kriminalität sein, und auch die Ausdehnung des Gesetzes über die
Konsulargerichtsbarkeit auf die deutschen Schutzgebiete ist beider Gering-
fügigkeit der von dort gemeldeten Zahlen ohne jeden Belang geblieben.
Die Aenderungen des Reichsstratgesetzbuch.es, weiche in der Zeit von
1882 bis 1891 vorgenommen worden sind, betreffen Spezialbestimmungen,
die an und für sich keine Roile in der Kriminalstatistik spielen.
Von anderweiten Veränderungen der Strafgesetze seien folgende er-
wähnt: die neuen Straf testimmungen des Genossenschaftsgesetzes, in Kraft
seit 1. Okt. 18S9; dieselben sind offenbar einflufslos auf die Statistik,
denn die allerdings mit andereu ähnlichen Delikten in den statistischen
Uebersichten zusammengefallen Zahlen dieser Gruppe haben sich, seit
1889 vermindert.
Aenderungen der Gewerbeordnung in Kraft seit dem 1. Jan. 1884
sind insofern von Bedeutung, als die Zahl der aus § 146 Verur-
teilten gegen 174 aus dem Jahre 1882 auf 437 im Jahre 1891 gewachsen
ist. Im Jahre 1892 würde diese Zahl auf 417 gesunken sein, wenn nicht
die sehr eingreifenden seit dem 1. April 1S92 geltenden Bestimmungen
über die Sonntagsruhe zu der Verurteilung von 1590 Personen auf Grund
jenes § 146 geführt hätte, welche früher gar nicht oder nur wegen Ueber-
tretung zu bestrafen waren. Diese Erweiterung des Begriffs eines mit
Geldstrafe bedrohten Vergehens wird in Zukunft die kriminalstatistischen
Zahlen noch mehr steigern.
Ein Einffufs der veränderten Strafbestimmungen des Patentgesetzes
und des neuen Gesetzes über den Schutz der Gebrauchsmuster (beide seit
1. Okt. 1891 in Kraft) ist nicht nachzuweisen; auch das Gesetz betr.
Kunstbutter (seit 1. Okt. 1887), welches nur für den Bückfall Ver-
gehensstrafe androht, wird die statistische Zahlen nur ganz unerheblich
vermehrt haben.
Folgende Strafgesetze haben bisher nur präventiv gewirkt, indem
trotz mehrjähriger Geltung niemand auf Grund derselben bestraft worden ist.
Unfallversicherungsgesetz vom 8. Juli 1884 (unbefugte Offenbarung
von Betriebsgeheimnissen seitens der Genossenschaftsvorstände);
Gesetz vom 25. Mai 1885, betr. Schutz des zur Anfertigung von
Reichskassenscheinen verwendeten Papiers — weil die Zuwiderhandlung
wohl immer erst entdeckt wird, wenn das Delikt bereits den Charakter
des Münzverbrechens angenommen hat — ;
Gesetz zum Schutze unterseeischer Telegraphenkabel vom 21. Xovember
1887 — auch hier wird meist das Strafgesetzbuch anwendbar sein — ;
Gesetz vom 5. April 1888 (unbefugte Mitteilung über geheim zu
haltende Gerichtsverhandlungen).
M i s z e 1 1 e n. 595
Dagegen haben folgende neuere Gesetze Einflufs auf die Statistik geübt:
a) Betr. Krankenversicherung der Arbeiter (in Kraft seit 1. Dezember
1884, später ausgedehnt auf Staatsbetriebe, Transportgewerbe, Forstwirt-
schaft).
An Arbeitgebern, welche den Arbeitern zu hohe Beträge für die
Krankenkasse in Abzug brachten, sind im Jahre 1885 74, im folgenden
Jahre 130 verurteilt worden. Seitdem sinkt die Zahl von Jahr zu Jahr,
und für 1892 werden nur noch 29 Verurteilte gezählt, ein Beweis dafür,
wie das Gesetz sich Geltung geschaffen hat.
b) Das Gesetz, betr. Regelung der Fischerei in der Nordsee vom
30. April 1884 (im ganzen 4 Verurteilte).
c) Das Gesetz, betr. Anfertigung von Zündhölzern vom 13. Mai 1884
(60 Verurteilte im ganzen, Gipfel im Jahre 1888).
d) Das Gesetz, betr. Sprengstoffe vom 9. Juni 1884, dessen schwerere
Straf bestimmungen ^Gefährdung von Eigentum oder Gesundheit nur 104 mal,
am meisten im Jahre 1885) zur Anwendung kamen, während aus § 9
wegen verbotswidriger Herstellung, Einführung, Besitzes von Sprengstoffen
im ganzen 940 Personen verurteilt worden sind, am meisten (190) im
Jahre 1886, am wenigsten (85) im Jahre 1 889 1).
e) Gesetz über Feingehalt der Gold- und Silberwaren, seit 1. Januar
1888 in Kraft, wirksam geworden gegen 66 Verurteilte, von denen aliein
im Jahre 1888 49 bestraft wurden.
f) Die Strafbestimmungen des Aktiengesetzes vom 18. Juli 1884 (im
ganzen 19 Verurteilte, durch welche übrigens zum Teil die Gruppe Be-
trug und Untreue entlastet wird.
g) Das Altersversicherungsgesetz, in Kraft seit 1. Januar 1891, aufgrund
dessen im Jahre 1891 92 Personen, im Jahre 1892 schon 265 bestraft wurden.
Dieser Vermehrung der strafgesetzlichen Unterlagen steht nur das
Erlöschen des Gesetzes gegen die Sozialdemokratie gegenüber, dessen
Geltungszeit am 1. Oktober 1890 ablief, was ein Zurückgehen der Verur-
teilungen von 1889 bis 1892 nachfolgenden Ziffern bewirkte: 286, 270, 41, 5.
Vorstehende Darlegung ergiebt deutlich, dafs die neuere Gesetzgebung
direkt nur einen sehr geringen Einflufs auf die Erhöhung der kriminal-
statistisehen Zahlen gehabt hat. Dennoch sind wir überzeugt davon, dafs
die grofsen und segensreichen sozialpolitischen Neuerungen des letzten
Jahrzehnts notwendigerweise auch die Kriminalität gefordert haben, indem
sie indirekt Gelegenheit und Anlafs zu Delikten gewähren. Durch die
Kranken-, Unfalls-, Invaliditäts-, Altersversicherung sind Volkskreise, die
in patriarchalischer Einfachheit ihrer rechtlichen Beziehungen lebten, in
komplizierte pekuniäre Verbindung mit Kassen, Genossenschaften, Versiche-
rungsanstalten getreten. Die Möglichkeit, sich Krankengeld, Pensionen,
Renten zu erschwindeln, fehlte früher, jetzt ist sie ausgiebig vorhanden.
Hinzu kommt das psychologische Moment, dafs viele Leute, die ihrem
Mitmenschen gegenüber das peinlichste Rechtsgefühl beobachten, wenig
1) Das statistische Amt rechnet § 9 des Sprengstoffgesetzes zu den Vergehen gegen
die öffentliche Ordnung, die übrigen Verletzungen des Gesetzes zu den Delikten wider
das Vermögen. Letzteres erscheint bei § 5 Abs. 2 und 3 bedenklich, wo ein Verbrechen
gegen die Person bedroht wird.
38*
596 Mi s zellen.
skrupulös sind, sobald sie auf Kosten des Staates, der Kommune oder an-
derer wirtschaftlicher Verbände etwas herausschlagen können. Man denke
nur an die Zolldefraudationen, deren sich Personen von sonst unantast-
barer Moral oft sogar rühmen, an die Kinderbeförderung auf den Eisen-
bahnen, an die Steuererklärungen, an die Wertsangaben bei Brandschäden
u. s. w. Für solche Neigungen des Volks geben aber die sozialpolitischen
Versicherungseinrichtungen einen guten Nährboden. Die geradezu er-
schreckende Steigerung von Betrug und Urkundenfälschung wird dadurch
einigermafsen erklärt. Das Licht, das die neuen Institutionen ausstrahlen,
hat auch den Schatten vermehrt.
Wer den Ursachen der Ausbreitung der Kriminalität nachforschen
will, wird wohl daran thun, an der Hand der statistischen Nachweisungen
(Tabelle IV) der einzelnen Jahrgänge zu prüfen, innerhalb welcher Be-
rufsarten sich das Uebel am meisten entwickelt hat. Die Stastistik
unterscheidet Landwirtschaft — Industrie — Handel und Gewerbe —
Arbeiter ohne bestimmten Erwerbszweig — Dienstboten für häusliche
Zwecke — die s. g. freien Berufsarten, endlich Verurteilte ohne Berufs-
angabe. Innerhalb der einzelnen Abteilungen werden wieder sinngemäfs
selbständige Leiter, Gehülfen und Angehörige unterschieden. Eine Ver-
gleichung der Jahrgänge ergiebt in der Zeit von 1882 bis 1892 eine
Verminderung der Kriminalität der häuslichen Dienstboten und der b. g.
freien Berufsarten. In beiden Kategorieen macht sich allerdings 1892
eine erhebliche Steigerung gegen die Vorjahre geltend. Bei den in der
Landwirtschaft selbstständig Thätigen ist eine kaum merkliche Vermehrung
der Kriminalität, von 1885 ab sogar eine Besserung eingetreten. Auch
bezüglich der in der Industrie selbständig Thätigen ist eine Verschlimme-
rung nicht zu registrieren. Dagegen steigt die Zahl der verurteilten selb-
ständigen Handel- und Gewerbetreibenden von Jahr zu Jahr. Das Ver-
hältnis betrug im Jahre 1892 gegen 1882 -f- 36 Proz., gegen 1885 noch
31 Proz. Was die Gehülfen in jenen Berufsarten anlangt, so ist es be-
denklich, vom Jahre 1882 auszugehen, weil damals offenbar die Unter-
scheidung der Kategorieen noch im argen lag, wie die bedeutende Zahl
der verurteilten Arbeiter „ohne Augabe eines bestimmten Erwerbszweiges"
— über 67 000 — erkennen läfst. Vergleichen wir das Jahr 1892 mit
1885, so ergiebt sich eine Steigerung der Kriminalität hinsichtlich der
Gehülfen bei Landwirtschaft um 6 Proz., bei Industrie um 36 Proz., bei
Handel und und Gewerbe um 51 Proz., ohne Berücksichtigung der „An-
gehörigen" (von denen man nicht weifs, ob sie dem Leiter oder dem Ge-
hülfen anzurechnen sind). Wenn nun auch das Wachsen der Kriminalität
bei Industrie und Handel gewifs mit der gröfseren Ausbreitung dieser
Berufsarten zusammenhängt, und die Zahl der ländlichen Arbeiter sich
etwas vermindert haben mag, die statistische Vergleichbarkeit der Kate-
gorieen mit einander also bedenklich erscheint, so führt unsere Be-
trachtung doch zu dem Ergebnisse, dafs bei der Steigerung der Krimina-
lität innerhalb der einzelnen Abteilungen die Landwirtschaft nur wenig
beteiligt ist, während die Handeltreibenden und ihre Gehülfen sowie in
der Hauptsache die Arbeiter für industrielle Zwecke die Zahl der Be-
straften vermehren halfen. Klar geht dies aus folgender Uebersicht hervor :
M i s z el 1 e d.
597
Jahr
Verurteilte
Personen
Davon gehörten an
der Landwirtschaft
Zahl Prozent
der Industrie
Zahl Prozent
dem Handel und
Gewerbe
Zahl
Prozent
1885
1892
343 087
422327
107 938
112 I24
31,4
26,5
133 843
174 003
39.33
39, 36
37068
51885
10,8
12,3
Von Bedeutung für unsere Untersuchung wird ferner die Frage sein,
ob die Zunahme der Kriminalität in den 11 Jahren sich in den einzelnen
Gebieten gleichmäfsig vollzogen hat oder nicht. Die für die 28 Ober-
landesgerichtsbezirke des Reichs berechneten Zahlen lassen von 1882 bis
1892 mit alleiniger Ausnahme des Bezirks Kassel, welcher 1892 um
17 Proz. besser steht als 1882, eine Steigerung erkennen, dieselbe ist
aber von der seltsamsten Uugleichmäfsigkeit. Im Bezirk Hamburg hat
sich die Zahl der Verurteilten um 111 Proz. vermehrt, dann folgen Kiel
mit 62 Proz., Zweibrücken (bayrische Pfalz) mit 57 Proz., Köln mit
51 Proz., Rostock mit 50 Proz., Naumburg mit 49 Proz., Darmstadt mit
48 Proz., Berlin mit 45 Proz., Braunschweig und Hamm mit je 44 Proz.,
Stettin und Breslau mit je 31 Proz. Die übrigen Bezirke halten sich
unter dem für das ganze Reich berechneten Durchschnitte von fast 28 Proz.
und es folgen mit einer Vermehrung von 26 Proz. Augsburg und München,
mit 22 Proz. Frankfurt a. M., mit 21 Proz. Bamberg und Jena, mit 20
Proz. Celle und Karlsruhe; — Marienwerder mit 19 Proz., Oldenburg
mit 8 Proz., Stuttgart und Dresden mit 6 Proz., Posen mit 4 Proz.,
Königsberg mit 3 Proz., Colmar mit 2 Proz. und endlich der schon ge-
nannte Bezirk Kassel mit der grofsen Verminderung seiner Kriminalität.
Aus dieser Zusammenstellung ergiebt sich folgendes : Die kriminell schwer
belasteten Bezirke des Ostens, welche immer noch die höchsten Kriminali-
tätsziffern aufweisen, haben die aufsteigende Berechnung nicht mitgemacht.
In den Provinzen Ostpreufsen und Posen ist die Vermehrung der Verurteilten
weit hinter der natürlichen Zunahme der Bevölkerung zurückgeblieben.
Welche Steigerung der Kriminalität dagegen in den Hansestädten , am
Rhein, in Westfalen, aber auch in Schleswig-Holstein (Nord-Ostseekanal).
Sollte nicht hier wie in Brandenburg und Schlesien das Emporblühen
von Handel und Industrie die Steigerung der Kriminalität beeinflussen?
Das wenig industrielle Mecklenburg mit seiner auffallenden Vermehrung
der Verurteilten und das Königreich Sachsen mit seiner bei grofsem Ge-
werbefleifs niedrigen Kriminalitätsziffer bilden allerdings Ausnahmen von
der Regel. Die Steigerung der Kriminalfälle in der preufsischen Provinz
Sachsen (Bezirk Naumburg) kann übrigens mit der in den letzten Jahren
beobachteten Invasion ostdeutscher und polnischer Arbeiter (Sachsen-
gänger) im Zusammenhange stehen und würde dann den Osten entlastet haben.
II. Die einzelnen Deliktsgruppen.
1) Verbrechen und Vergehen gegen Staat, öffentliche
Ordnung und Religion.
Die Verurteilungen in dieser Gruppe sind in den 11 von unserem
Bericht umfafsten Jahren von 51623 auf 66392, also um 28,6 Proz. —
598 Mis zellen.
etwas mehr als die Gesamtsteigerung — angewachsen. Etwa 36 Proz.
aller Bestrafungen erfolgen aus § 140 des Strafgesetzbuches wegen Ver-
letzung der Wehrpflicht durch Auswanderung. Für unsere Untersuchungen
hat dies Delikt nur die Bedeutung, dafs es durch seine grofsen Zahlen
stört. Denn die in Abwesenheit verurteilten Auswanderer, welche vielleicht
gar nicht mehr leben und schwerlich wiederkehren, das Delikt auch zu
unbekannter Zeit begangen haben, können nicht interessieren, nicht ein-
mal in der Geschäftsstatistik der Gerichte, welche oft durch ein Urteil
Hunderte solcher Personen mit mäfsigen Geldstrafen belegen 1).
Um weniges geringer sind die Zahlen des Hausfriedensbruchs,
die von 13 826 (im Jahre 1882) auf 17 725 (1892), also auch um 28 Proz. in
die Höhe gegangen sind. Ein Interesse hat dies Delikt als Gradmesser
für die Chikane. Etwa die Hälfte aller Verurteilten kommt mit Geld-
strafe davon, die in den seltensten Fällen 30 M. überschreitet. Auch die
etwa eintretende Freiheitsstrafe ist meist äufserst gering, natürlich abge-
sehen von den Fällen des qualifizierten Hausfriedensbruches (§ 123 Abs. 3
Strafgesetzbuch), deren besondere Zählung leider nicht erfolgt.
Der Widerstand gegen Beamte und Jagdberechtigte und mit dem
Forstschutz Betraute ist von 11948 auf 13 985 gestiegen, also nur um
17 Proz. Im Jahre 1882 nahm dies Delikt 23 Proz. der ganzen Gruppe in
Beschlag, 1892 nur noch 21 Proz. Die im Jahre 1888 eingetretene schein-
bare Besserung hat nicht angehalten 2). Das Delikt wird übrigens
meist mit milden Gefängnisstrafen, vielfach sogar mit Geldstrafe gesühnt.
Die Vergehen gegen die Gewerbeordnung, zum Teil oben
bereits abgehandelt, haben sich sehr vermehrt. Die Zuwiderhandlungen
gegen § 147 (Konzessionspflicht) sind in den 11 Jahren von 3816 auf
5550, also um 45 Proz. gestiegen. Da es sich zumeist um unbefugten
Branntweinausschank handelt, ist das an sich nur mit Geldstrafe be-
drohte Delikt insofern wichtig, als es auf Zunahmeder Völlerei hinweist.
Die Zahlen der vier erwähnten Deliktskategorien machen 93 Proz.
der ganzen Gruppe aus. Was übrig bleibt, sind Verbrechen und Ver-
gehen mit kleinen Zahlen. Eigentümlich ist die Verminderung des Arrest-
bruchs, der von 1882 (2483 Verurteilte) bis 1892 (1978) um 20 Proz.
zurückgegangen ist' und 1891 (1726) sogar erheblich besser stand.
Auch Meineid (von 1011 auf 771 gesunken) zeigt eine entschieden
günstige Tendenz während der fahrlässige Falscheid schwankt und
seit 1886 sich langsam vermehrt. Den geringsten Stand hat das Jahr 1883
mit 313 Verurteilten, den höchsten 1891 mit 526*). Jedenfalls ist die
1) Nur in Bayern überwiegen Freiheitsstrafen.
2) Unsere bei der Besprechung des Jahrgangs 1888 (Jahrb. Dritte Folge Bd. I,
S. 261) aufgestellte Ansicht, dafs die preufsische Amnestie des Jahres 1888 die Zahlen
beeinflufst habe, die vom Stat. Amt in der Krim. -St. v. 1889 (II 6) als nicht erwiesen
erachtet wurde, wird jetzt (Kr.-St. v. 1891 II 13) als durch die späteren Ergebnisse
„immerhin mehr wahrscheinlich gemacht" bezeichnet.
3) Der diesseits Bd. I, S. 210 besprochenen Erscheinung, dafs die Schwurgerichte
sehr geneigt seien, in Meineidsprozessen nur fahrlässigen Falscheid anzunehmen, hat das
Kais. Stat. Amt seine Aufmerksamkeit geschenkt und unserem Vorschlage gemäfs aus
den Aktenzeichen festgestellt, dafs von den in Preufsen im Jahre 1889 wegen fahr-
lässigen Falscheides verurteilten 320 Personen 123 durch das Schwurgericht abgeurteilt
Miszellen. 599
allgemeine Klage über die Zunahme der Verletzungen der Eidespflicht nach
den Ergebnissen der Statistik nicht begründet. Auch die unternommene
Verleitung zum Meineide (1892: 263 Verurteilte) ist gegen 1882
(204), noch mehr gegen 1886 (186 Verurteilte) angewachsen, zeigt indes
seit 1890 (297 Verurteilte) rückläufige Bewegung.
Das in seinen Zielen dem Meineide nahestehende Vergehen der
wissentlich falschen Anschuldigung ist von 1882 bis 1887 ziem-
lich auf demselben Standpunkte (etwa übers 500 Verurteilte) geblieben, 1888
und 1889 gewachsen, hat sich aber in den letzten Jahren nicht vermehrt
(1892: 553 Verurteilte). Ganz eigentümlich ist die Verteilung dieses
perfiden Delikts auf die einzelnen Gegenden. Von 554 im Jahre 1891
wegen wissentlich falscher Anschuldigung Verurteilten entfallen 121 auf die
Provinz Schlesien (davon 72 auf den Regierungsbezirk Oppeln !), dann
folgt Ostpreufsen mit nur 57, Brandenburg mit 52, Provinz Sachsen mit
32, Westpreufsen und Posen mit nur je 27 Verurteilten, alle übrigen
Bezirke haben kleine Zahlen, in einzelnen glücklichen Gegenden (Olden-
burg, Mecklenburg) ist das Delikt eine Seltenheit.
Die Zahl der Majestätsbeleidigungen sinkt von 1882 bis 1885,
steigt dann bis 1888. In diesem für das Kaiserhaus so traurigen Jahre
wird der Höhepunkt (552 Verurteilte) erreicht.
Bei Münzverbreehen ist bis 1890 eine entschiedene Besserung zu
verzeichnen; erst 1891 und 1892 wachsen die Zahlen und stehen jetzt
mit 157 Verurteilten dem Ergebnisse des Ausgangsjahres 1882 ungefähr
gleich. Die kleinen absoluten Zahlen der Münzvergehen schwanken, eine
Verschlimmerung ist nicht festzustellen.
Das Delikt der Befreiung von Gefangenen, dessen typische Form
die Vereitelung einer begonnenen Verhaftung ist, hat sich ohne bedeutende
Schwankungen erheblich vermehrt. (1892: 1086 Verurteilte, 1882 nur
650.) Die Bezirke Berlin, Köln und Breslau stehen weit voran.
Kein Delikt schwankt so, wie die Teilnahme an verbotenen
Verbindungen (§§ 128, 129 Strafgesetzb.). Im Jahre 1883 fällt es ganz
aus, 1888 werden 108 Verurteilte gezählt (Bezirk Dresden 26, Marien-
werder 21), seitdem kommen nur spärliche Verurteilungen vor.
Bei Aufruhr und Auflauf (mit unbedeutenden Zahlen) liegt der
Höhepunkt in dem Jahre 1890.
Vergehen, welche sich auf die Religion beziehen, sind
nicht gerade häufig und schwanken innerhalb der einzelnen Jahrgänge.
Am besten steht 1885 mit 250 Verurteilten, am schlechtesten 1891 mit 372.
worden sind. Da nun diese Personen nicht vor das Schwurgericht gestellt worden
wären, wenn die Voruntersuchung nicht nach richterlicher Ansicht den dringenden Ver-
dacht des wissentlichen Meineides ergeben hätte, so läfst sich annehmen, dafs bei
einer anderen Prozefsform ein grofser Teil dieser 123 Personen wegen wissentlichen
Meineides bestraft worden wäre. Dies war freilich in früheren Jahren der Statistik nicht
anders. Ob nicht aber die Abneigung. Meineidssachen vor das Schwurgericht zu bringen
aus den gemachten Erfahrungen resultieren und mehr um sich greifen mag ?
(Schlufs folgt.)
600
Miszellen.
XII.
Englands Außenhandel im Jahre 1893 1).
Von M. Diezmann.
Der englische Aufsenhandel hat im Jahre 1893 die sinkende Be-
wegung fortgesetzt, welche für die Ausfuhr im Jahre 1890, für die Ein-
fuhr 1891 begonnen hatte. Auf die verschiedenen Handelsgebiete verteilte
sich der Verkehr in folgender Weise :
Werte in Tausenden £
Einfuhr:
„ Englische Verein.
^ Besitzungen Staaten
Andere
Länder lm SaDZen
Waren
Edelmetalle
Durchfuhr
Ausfuhr:
Waren, englische
,, fremde und koloniale
Edelmetalle
Durchfuhr
Einfuhrüberschuß
Ausfuhrüberschuß
Warenausfuhr in Proz. d. Einfuhr
Desgl. einschl. Edelmetalle
179406
6978
7981
91 76g2) 1 91 784
10595 II 500
I 154 1 725
41 729
7675
1686
404 688
36 748
11 546
194365
103 518 1 104009
51090
452982
77 573
37 791
10004
1993
127 361
57004
64,30
67,27
72015 1
23957
44550
218 095
6586
II 758
2 9O8
59 043
II 803
5920
5 365
33 092
2579
5254
I 72O
II 546
92983
10535
85,65
88,32
46889 I 54543
57 120
38.91
40.31
3 453
113,73
106,92
321776
131 206
68,48
70,28
Im Vergleich mit den Vorjahren hat die Waren einfuhr um 18 106 000 ü£
abgenommen, hauptsächlich, um 16 402 000 j£, die aus den Vereinigten
Staaten und, um 5 997 000 £, die aus den englischen Besitzungen, während
die aus Europa um 4 327 000 £ zugenommen und die aus anderen Ländern
nur um wenig mhr als 1 Mill. £ abgenommen hat.
Die von der Abnahme betroffeneu Artikel waren hauptsächlich folgende:
Getreide etc.
Vieh
Baumwolle
1893
55 797
6770
30685
Tausende £
1892
63 955
9819
37 888
1) Ueber die Vorjahre sind Mitteilungen gegeben in den Jahrb. 3. F. Bd. III,
S. 423, Bd. V, S. 444 und Bd. VII, S. 294.
2) Außerdem Diamanten vom Kap für 3 669 584 £.
Miszellen.
601
Bei dem „Getreide und anderen mehligen Nahrungsstoffen"
ist die Wertabnahme in der Hauptsache durch Preissenkungen veranlafst,
denn bei den Preisen des Vorjahres würden Getreide und Mehl an-
statt einer Abnahme von 7 553 000 £ nur eine solche von 265 000 £
ergeben haben ; Reis hat allerdings auch eine verhältnismäfsig nicht un-
bedeutende Mengenabnahme erfahren, dieselbe trifft jedoch fast ausschliefs-
lich den Zwischenhandel.
Die Abnahme der Vi eh einfuhr wird nur zum kleinen Teil dadurch
ausgeglichen, dafs die Einfuhr von Nahrungsmitteln tierischen Urprungs
von 50 873 000 £ auf 52 302 000 £, den höchsten je erreichten Betrag,
gestiegen ist; in der Hauptsache ist sie durch verminderte Zufuhr von
Rindvieh aus den Vereinigten Staaten veranlafst.
Die Einfuhr von Baumwolle und der durch Abzug der Wieder-
ausfuhr sich ergebende Verbleib im Inland war 1893 kleiner, als in irgend
einem Jahre .seit 1880, allerdings nur um einen geringen Betrag kleiner,
als in dem so ungünstigen Jahre 1885.
Verhältnismäfsig beträchtlich stärker als die Einfuhr von Waren hat
deren Ausfuhr abgenommen, im ganzen um 14 502 000 £, wovon jedoch
nur 8 982 000 £ auf die englischen Waren fallen. Der Absatz der
letzteren hat verhältnismäfsig am stärksten gelitten in den Vereinigten
Staaten, am wenigsten in Europa. Die Ausfuhr der wichtigsten Waren
stellte sich wie folgt (in Tausenden £) :
Garne und Zwirne *)
Textilfabrikate
Gegenstände der Metallindustrie
Maschinen und Instrumente
Eisenbahnfahrzeuge
Brennstoffe
Chemische Fabrikate
Anderes
1890
1891
1892
1893
22 677
21 545
19 646
19 966
9987I
94 503
89 725
84887
43 182
37227
31 180
29403
19 466
18526
16 354
16 250
3030
1 774
827
919
19 020
18895
16811
H375
II 096
11 232
10456
IO 126
45 189
43 533
42 078
42079
263531
247235
227 077
218 095
Von den Garnen etc. entfielen auf:
1890
1891
Tausende
1892
£
1893
Baumwollene Garne
12 341
II 177
9 693
9056
Baumwollene Nähzwirne
2991
3 254
2868
3005
Wollene Garne
5 261
5046
5 277
5 931
Andere
2084
2 068
1 808
1 974
22677 21545 19646 19966
Der andauernde Rückgang der Ausfuhr baumwollener Garne ist
durchaus nicht blofs durch Preissenkung veranlafst, denn den Mengen nach
gingen aus :
Tausende engl. Pfd.
258 291 245 259 233 322 206 546
1) Gegen die in Bd. VII, S. 296 angegebenen Zahlen sind die obigen durch Mitberück-
sichtigung der Jutegarne etwas berichtigt; der Betrag für 1889 stellt sich auf 22 059 000 £
anstatt 21 649 000 £.
602 Miszellen.
Der Verlust des letzten Jahres trifft zahlreiche Länder, besonders aber
die Türkei und Japan.
Von den Textilfabrikaten fielen auf:
1890
1891 1892
Tausende £
1893
Baumwollene Web- und Wirkwaren
59 099
56 976 53 398
51694
Wollene
20418
18447 17 907
16 404
Anderes
20 354
19080 18420
16789
99871 94503 89725 84887
Ueber die Hälfte der Abnahme fällt auf die nicht gefärbten und be-
druckten Baumwollstoffe, deren Ausfuhr den Werten nach betrug :
Tausende £
34 327 33OI4 29597 26979
den Mengen nach aber
1890
1891
in Tausen
1892
den Yards
1893
3 58l 715
3 433 424
3 329037
3 043 206
Davon nach
Ostindien
China
1807353
503881
1 627 186
462 829
I 625 836
426 136
1 593 189
309 163
An M e tal 1 art
kein aller
Art gingen
aus:
1890
1891
Tau
1892
sende £
1893
Eisen
Anderes
34 330
8852
29 405
7 822
23960
7 220
22639
6 404
43 182 37 227 31 180 29043
Der Rückgang des Ausfuhrwertes der Brennstoffe ist in der
Hauptsache durch Preisrückgang veranlafst.
Die Wiederausfuhr fremder und kolonialer Waren hat nach
allen Handelsgebieten mit Ausnahme der englischen Besitzungen eine Ab-
nahme erfahren, im ganzen um 5 520 000 £. Der Hauptteil davon fällt
auf Schafwolle, deren Wiederausfuhr nach Deutschland, den Vereinigten
Staaten etc. ansehnlich abgenommen hat, im ganzen um 3 508 000 £,
Von der Gesamtabuahme der Wareneinfuhr entfallen nicht weniger
als rund 86 %, von der der Ausfuhr englischer Waren immerhin rund
29 % auf die Vereinigten Staaten. Dagegen stellt sich nach beiden Ver-
kehrsrichtungen der Anteil Europas höher als im Vorjahre. Der pro-
zentuale Anteil der einzelnen Handelsgebiete an der englischen Einfuhr
war nämlich folgender:
Europa Engl. Besitzungen Verein. Staaten Andere Länder
1891 42,96 22,84
1892 41,30 23,08
1893 44,33 22,68
Für die Ausfuhr englischer Waren
folgendermafsen :
Europa Engl. Besitzungen "\
1891 34,65 34.77
1892 34,75 32,87
1893 35,57 33,02
23,98
IO,22
25,53
IO,09
22,68
IO,31
stellten
sich
die Verhältnisse
ärein. Staaten
Andere Länder
11,14
19,44
11,69
20,7 0
IO, 9 8
20,43
Mi s zellen. 603
XIII.
Die Preise von Waren und Barrensilber in Hamburg.
Von A. B a y e r d ö r f f e r.
Nach der grofsen Veränderung, welcher der Silberpreis im Jahre 1893
unterworfen war, ist es vielleicht von Interesse, einen Blick auf die Ent-
wicklung dieses Preises zu werfen und damit die Bewegungen der Waren-
preise zu vergleichen, weil man schon den Versuch gemacht hat, den
Gang der Notierungen für Silber und Waren in Zusammenhang zu bringen.
Diese Versuche haben aber ergeben, dafs die Bewegungen beider Preise
nicht genau zusammenfallen ; jedoch können Folgerungen aus solchen
Untersuchungen erst dann mehr und mehr gezogen werden, wenn eine
breitere Grundlage gewonnen ist, und einen weiteren Beitrag dafür zu
liefern, ist der Zweck unserer Tabelle.
Wir haben seit d. J. 1876 die Hamburger Warenpreise nach der auf
Veranlassung der Handelskammer herausgegebenen Preisliste in der Weise
berechnet, dafs wir aus 12 Notierungen vom Anfang jeden Monats den
Jahresdurchschnitt zogen. Aus diesem eine grofse Zahl von Waren um-
fassenden Verzeichnis haben wir 24 der wichtigsten ausgewählt und für
die Jahre 1876 — 1893 die Jahresdurchschnittspreise zusammengestellt. In
gleicher Weise ist auch der Preis von Barrensilber aus den Hamburger
Notierungen berechnet worden; allerdings wird dieser in der Hauptsache
mit dem Londoner Preise übereinstimmen1); aber eine Aufstellung der
Hamburger Notierungen in deutscher Währung pr. Kilogramm dürfte des-
halb noch nicht überflüssig sein, weil sie jedenfalls für manchen von uns
in Deutschland ein klareres Bild gewährt, als die Londoner Notierungen
in Pence pr. Unze.
Auch unsere Tabelle zeigt bei den meisten Waren ein Fallen der
Preise, wie ein solches schon auf Grund mancher anderer Untersuchungen
dargelegt worden ist. Dieses Sinken geht aber nicht in gleichmäfsiger
Weise vor sich. Ueberblicken wir die Verhältniszahlen, so sehen wir,
dafs die Preise bei einigen Waren nur mit kleinen Unterbrechungen fast
ununterbrochen herabgehen, dafs bei anderen das Sinken unter ziemlich
heftigen Schwankungen stattfindet, dafs ferner gewisse Waren mehr fallen
als andere, und dafs endlich eine Anzahl sogar gestiegen ist. — Wollen
1) Die Preisbewegung in London finden wir in diesen Jahrbüchern Bd. 62, 1894,
S. 133.
604
Mi s z e 1 1 e n.
Roheisen,
schottisch
No. 1.
100 kgl Verh.
M. Zahl
2.
Stahl,
deutscher
oo XV« DZ.
p. Kistl Verh.-
M. Zahl
Tabelle I.
3.
Blei,
deutsches,
in Mulden
lOOkgiVerh.-
M. Zahl
Kupfer-
blech,
englisches
lOOkgl Verh.-
M. Zahl
5.
Zink,
schlesisches,
in Platten
100 kgi Verh.-
M. Zahl
6.
Zinn,
Banca, in
Blöcken
100 kgl Verh.-
M. Zahl
1876—79
(Durchsihn.
1880
1881
1882
1883
1884
1885
1886
1887
1888
1889
1890
1891
1892
1893
7,52
= IOO
20,19
= IOO
39,7i
7,46
99
21,08
104
34,58
6,52
«7
l8,08
90
30,60
7,26
97
19,67
97
29,84
7-05
94
19,32
96
27,32
6,59
88
18,22
90
23,92
6,18
82
17,27
«5
24,98
5,57
74
l6,~
79
28.74
5,9*
79
14,58
72
27,34
5,70
76
I5--
74
30,06
6,5t2
«7
15 —
74
29,70
7,89
105
15 —
74
30,88
7,21
96
15-
74
29 —
6,26
«3
—
—
24,93
6,22
«3
—
—
23,63
168,75
159 —
157, —
170,74
160,34
148,6s
122,34
110,66
112,50
188,50
132 ,-
H7,—
I40,—
127, —
I25-
94
93
101
95
88
73
66
67
112
78
87
83
75
74
40,85
39,-
32>45
35 —
31.87
30,18
28,50
29,52
31,10
39,40
40,30
50,70
49,70
46,20
38,70
96
80
86
78
74
70
72
76
97
99
124
122
"3
95
158,-
189,17
200,4 0
227,50
209,92
185,50
I92,33
2l8,—
236,75
264,—
205,—
2IO,—
199 —
I98,—
197 —
IOO
120
127
I44
132
"7
122
138
149
167
130
133
126
125
I25
13.
14.
15.
16.
17.
18.
Mandeln,
Pfeffer,
Reis,
Rosinen,
Schinken,
Hamburger.
geräuchert
Schmalz,
süfse,
Avola
Singapore
Rangoon
Kieme
Hamburger
100 kg
Verh.-
100 kg
Verh.-
100 kgi Verh.-
100 kgi Verh.-
100 kgl Verh.-
100 kgl Verh.-
M.
Zahl
M.
Zahl
M. 1 Zahl
M. | Zahl
M. | Zahl
M. 1 Zahl
1876—79
1
(Durchschü.)
180, —
= IOO
74,-
= IOO
20, —
= IOO
43 —
= IOO
194 —
= IOO
HO,—
■= IOO
1880
202,—
112
88,-
119
20,—
IOO
49 —
114
184,—
95
97,-
88
1881
I8l,—
IOO
108,—
I46
18 —
90
56.-
130
184 —
95
126 —
115
1882
149 —
83
109,—
H7
16 —
80
53,—
123
184 —
95
127,-
115
1883
169,—
94
129, —
x74
17,-
85
42,—
98
182,—
94
119,—
108
1884
164, —
91
143,-
193
17 —
85
32 —
74
181,—
93
107,—
97
1885
159,-
88
149 —
201
'5,-
75
51 —
119
169,—
87
99,-
90
1886
153>—
85
147 —
199
14-
70
46,-
107
175 -
90
86,-
78
1887
149.—
83
153 —
207
14,—
70
30-
70
165,-
85
85,-
77
1888
147 —
82
148,—
200
14 —
70
28.—
65
161 —
83
99,—
90
1889
166,—
92
134,-
181
15-
75
26 —
60
176, —
9i
114,-
104
1890
185-
!03
105,-
142
15 —
75
41,—
95
186 —
96
109, —
99
1891
206,—
114
80 —
108
16-
80
48,-
IT2
'77 —
9i
94 —
85
1892
154 —
86
61,—
82
16 —
80
39 —
91
171 —
88
103,—
94
1893
I46 —
81
58-
78
13 —
65
34 —
79
I85,-
95
128,-
116
wir nun mit diesen Bewegungen die Veränderungen des Silberpreises ver-
gleichen, so ergiebt sich, dafs, während der gröfsere Teil der Preissenkung
bei den meisten Waren auf die erste Periode, etwa bis zum Jahre 1885,
entfällt, der Silberpreis bis zu diesem Jahre nur wie 100 : 92 gefallen
war, in der Periode 1885 — 1894 aber in viel grö'fserem Mafse sank, als
M i s 7. e 1 1 e h.
605
7.
8.
9.
10.
11.
12.
Wolle,
Butter,
Baumwolle,
Hanf,
Cap Snow
Kaffee,
Korinthen,
Holsteiner
Middline
Manila
white mittel
Santo
i, ord.
Zante
Bauer-B.
100 kgj Verh-
100 kg
Verh.-
100 kg
Verh.
lOOkgl Verh.-
100 kg
Verh.-
100kg
Verh.-
Bf.
Zahl
M.
Zahl
M. | Zahl
M.
Zahl
M.
Zahl
M 1 Zahl
1876 — 79
(Durchsehn.)
I23,—
= IOO
68,27
= IOO
34°.-
= IOO
123,32
= IOO
43-öo
IOO
205. -
= IOO
1880
J33--
108
72,60
107
3/0- —
109
H3,30
92
46.-
106 214,—
104
1881
122.—
99
96.10
141
341 —
IOO
90.90
74
44,-
101 214,—
104
1882
129,—
105
105,70
154
335 -
99
71.30
58
41,20
94
205,-
IOO
188:;
IO9,—
89
HO, —
162
33i.—
97
74.80
60
44-30
101
206,—
IOO
1884
II4,-
93
102,70
150
320 —
94
80,90
66
38,00
88
200,—
98
1885
I II,—
90
87-
128
292, —
86
69,50
56
35,80
82
174,-
85
1886
98,-
80
76,50
112
265.—
78
74,30
60
46,30
106
I6l.—
79
1887
I05 —
85
73.30
107
292, —
86
142.60
"5
39,40
90
—
—
1888
IO7,—
87
88 —
129
290. —
85
1 18.60
96
42,80
98
—
—
1889
112.—
9i
124,—
182
3J3r
92
142,80
"5
31,25
72
194 —
95
1890
"5-
94
92.—
135
319,-
94
157.50
128
37,-
85
172 —
84
1891
91.-
74
99 —
H5
290,-
85
148.20
120
42,20
97
183-
89
1892
79-
64
—
—
268-
79
i35-3o
1 10
36--
83
l86, -
9i
1893
89,-
72
—
—
287,-
84
146,50
119
17,-
85
172,—
84
19
20.
21.
22.
23.
24.
Sprit,
Leder,
Petroleum,
Soda,
roh, Kartoffel-
Talg,
Chlorkalk
deutsch. Sohl-
raff. Stand.
calciniert,
100 Ltr.
ä lOOO/o
Verh.-
Zahl
Harnt
100 kg
urger
Verh.-
100 kg
Verh.-
u Wi
100kg
dleder
Verh.-
wl
100 kg
jite-
Verh.-
48-52°
100 k gl Verh-
M.
M.
Zahl
M.
Zahl
M.
Zahl
M.
Zahl
M. Zahl
1876 — 79
(Durchschn )
41, -
= IOO
82,—
= IOO
15,82
= IOO
297,-
= IOO
25,12
= IOO
19,22
= IOO
1880
52 —
127
74 —
90
15,90
IOO
286 —
96
17,30
79
18, 80
98
1881
48,-
117
83,-
IOI
11,20
71
286,-
96
16.10
64
14,60
76
1882
41,-
IOO
92,—
112
11,20
71
281,—
94
14,70
59
14,10
73
1883
43-
105
94,—
115
16,20
102
292, —
98
15-60
62
14.40
75
1884
39-
95
82,—
IOO
21.40
136
295 —
99
15,90
63
14.—
73
1885
32,-
78
68,—
83
16,90
107
295 —
99
14,90
59
13,™
70
1886
26,—
63
59,-
72
16,70
106
262,—
88
13-60
54
13.-
67
1887
25--
61
61,—
74
18,70
118
229, —
77
12,60
5°
13 —
67
1888
21,50
52
64,-
78
19,60
124
250 —
84
14,70
59
12,70
66
1889
22, —
54
80 —
98
22,70
144
250.-
84
14,—
56
11.90
62
1890
25 —
61
72 —
88
16. 60
105
227, —
76
x3,40
53
11.50
60
1891
37-
90
7h—
87
16, 70
106
219 —
74
12,80
5i
11,50
60
1892
28,-
68
73-
89
20,80
!3i
195.-
66
11,56
46
11,50
60
1893
23 -
56
78,-
95
21, —
133
199,—
67
9,84
39
11,50
60
die "Warenpreise. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Be-
wegungen beider Preise ist also aus diesen Zahlen kaum abzuleiten.
Wir fügen in der Tabelle II noch eine Zusammenstellung des Wert-
verhältnisses von Gold und Silber in jedem der Jahre von 1876 — 1894
bei, welches bekanntlich bei einem Silberpreise von 180 \f. per kg
606
M is z e 1 1 e n.
Tabelle II.
pr. kg
fein
Silber in
Barren
Verhältnis-
Zablen
Wertver-
bältnis
von Gold
und Silber
Silber in
Barren
höchster] niedrig-
Preis jsterPreis
Unser Thaler
hätte, um voll-
wertig zu sein,
enthalten müssen:
Gramm Feinsilber
Diel62/3 Gramm
Feinsilber des
Thalers hatten
einen Wert
von
1876
1877
156,50
16 2, —
\ 1876—79
\ i. Durchschnitt
1 : 17,8
1 : 17,2
171 —
172,50
140,75
158-
19.2
18.5
M. 2,61
„ 2,70
1878
!55<70
| M. 156,55
; = 100
1 : 17,9
161,75
147 —
19,3
„ 2,59
1879
152 —
1: 18,3
158,50
145,10
19,7
„ 2,53
1880
i54'50
99
1 : 18,0
158,-
152,20
19,4
,, 2.57
1881
153,20
99
1 : 18,2
155,50
151,50
19,6
,, 2,55
1882
153,30
98
I : 18,2
154,60
146,75
19,6
„ 2.55
1883
149,10
95
1 : i8'f
151,25
147,50
20,1
„ 2,48
1884
149-70
95
1 : 18,7
152,35
146,25
20,0
>, 2,49
1885
143,90
92
1 : 19.3
148 —
137,—
20,9
„ 2,40
1886
133,-
85
1 : 20,9
I39i—
123,30
22,6
,» 2,22
1887
131,50
84
1 : 21,2
138,80
126,—
22,8
„ 2,19
1888
126,50
81
1 : 22,0
I3li.50
122,50
23,7
„ 2,11
1889
125,80
81
1 : 22,0
130,70
124,10
23,8
,, 2,10
1890
139,40
89
1 : 20,0
160,—
I29,—
21,5
„ 2,32
1891
132,90
85
1 : 20,9
142,—
m —
22,6
„ 2,21
1892
117,50
75
1 :23,7
127,50
112,—
25,5
„ 1,96
1893
103,60
66
1 : 26,9
"3,50
86.50
29,0
„ 1,73
Juni 94
84,-
54
i:33>2
—
35-7
„ 1,40
1 : 15 x/2 beträgt; ferner eine Zusammenstellung der höchsten und
niedrigsten Preise von Silber in jedem Jahre, um zu zeigen, wie schwierig
es bei diesen Schwankungen sein würde, Münzen mit solchem Gehalt
an Feinsilber auszuprägen, dafs der innere Wert dem Nennwerte stets
annähernd gleich ist. Die darauf folgende Reihe zeigt uns, wieviel Gramm
Feinsilber der Thaler, welcher bekanntlich 16 2/3 g enthält, hätte haben
müssen, wenn man ihm einen wirklichen Wert von 3 M. hätte geben
wollen. — In der letzten Reihe endlich stellen wir den Wert zusammen,
welchen die 162/3 g Feinsilber des Thalers (bei einer Relation von
1 : lö1/^ und einem Silberpreise von 180 M. per kg ist dieser = 3 M.)
nach den von uns berechneten Durchschnittssilberpreiseu in jedem Jahre
gehabt haben.
Litteratur. 607
Litteratur.
ii.
Zur Handelspolitik.
Von W. Lexis.
Litteratur.
Die Handelspolitik Nordamerikas, Italiens, Oesterreichs, Belgiens, der Niederlande,
Dänemarks, Schwedens und Norwegens, Rufslands und der Schweiz in den letzten Jahr-
zehnten, sowie die deutsche Handelsstatistik in den Jahren 1880 — 1890. Berichte und
Gutachten, veröffentlicht vom Verein für Sozialpolitik. Leipzig 1892. 8°. X u. 645 SS.
(Schriften des Vereins für Sozialpolitik, XLIX.j
Walther Lotz, Die Ideen der deutschen Handelspolitik von 1860 bis 1891. Leipzig
1892. 8°. VIII u. 210 SS. (Schriften des V. f. S., L.)
Die Handelspolitik der Balkanstaaten Rumänien, Serbien, Bulgarien, Spaniens
und Frankreichs. Berichte und Gutachten, veröffentlicht vom V. f. S. Leipzig 1892.
8°. VIII u. 208 SS. (Schriften des V. f. S., LI.)
C. J. Fuchs, Die Handelspolitik Englands und seiner Kolonien in den letzten Jahr-
zehnten. Leipzig 1893. 8°. X u. 358 SS. (Schriften des V. f. S., LVII.)
Die Herausgabe eines Sammelwerks über die Handelspolitik der wich-
tigeren Kulturstaaten in den letzten Jahrzehnten wurde vom Ausschufs des
Vereins für Sozialpolitik im September 1890 beschlossen, und zwar in der
Absicht, bis zu der Erneuerung der Handelsverträge im Jahre 1892 so-
wohl für wissenschaftliche wie praktische Zwecke eine wohlgeordnete und
bequeme Uebersicht der handelspolitischen Erfahrungen zu liefern , die in
dem letzten Menschenalter teils in freihändlerischer, teils in schutzzöllne-
rischer Richtung gemacht worden sind. Schmoller übernahm die Redaktion
des Gesamtwerks, das über den ursprünglich beabsichsigten Umfang be-
deutend hinauswuchs. Es gelang aber, wenigstens die beiden ersten Bände,
in denen sich die Oesterreich-Ungarn, Italien, Belgien, die Schweiz und
Deutschland selbst betreffenden Arbeiten befinden, gerade zu der Zeit zu
veröffentlichen, in der sie die besten praktischen Dienste leisten konnten,
nämlich gleichzeitig mit dem Bekanntwerden der neu abgeschlossenen
mitteleuropäischen Handelsverträge, die nun der öffentlichen Diskussion in
Presse und Parlamenten unterzogen wurden. Der dritte Band erschien
erst später, besafs aber ebenfalls wegen der schwebenden Verhandlungen
über die Verträge mit Rumänien, Serbien und Spanien noch eine aktuelle
Bedeutung. Am längsten verzögerte sich das Erscheinen der Schrift von
608 Litterattif.
Fuchs über die englische Handelspolitik ; aber dieser Gegenstand hatte
keine unmittelbare Beziehung zu den für Deutschland praktisch in Betracht
kommenden Fragen, und es kam daher weniger darauf an, ob er einige
Monate früher oder später behandelt wurde. So sind im ganzen 4 Bände
zustande gekommen, von denen Schmoller in einer Vorrede mit Becht
sagen konnte, dafs sie für längere Zeit das wichtigste Werk bleiben werden,
um sich über die europäische Handelspolitik von 1860 bis 1892 zu orien-
tieren.
Wenn gesagt wird, dafs die Wirtschaftswissenschaft sich von der
Naturwissenschaft durch das Fehlen der Experimente unterscheide, so ist
dies nur bei einer engen Fassung des Begriffes des Experimentes richtig.
Denn ein grofser Teil der wirtschaftlichen Gesetzgebung hat in Wirklich-
keit einen experimentellen Charakter und vor allem gilt dies von den
Veränderungen des Zolltarifs, die oft in ganz kurzen Zwischenräumen ver-
schiedene Grundsätze gleichsam probeweise zur Anwendung bringen. Ueber-
blickt man nun die Ergebnisse dieser handelspolitischen Experimente, wie
das vorliegende Werk sie uns darstellt, so wird man wohl im ganzen den
Eindruck erhalten, dafs die staatlichen Eingriffe mit Zollmafsregeln und
ähnlichen Mitteln, wie ich dies schon mehrfach bei anderen Gelegenheiten
bemerkt habe, in ihrer Wirkungsfähigkeit leicht überschätzt werden, und
dafs sie nicht imstande sind, auf den allgemeinen Gang der Volkswirt-
schaft einen entscheidenden Einflufs auszuüben. Sie sind vorteilhaft für
gewisse Interessen, für andere aber schädlich, und selbst wenn die Vor-
teile bedeutend überwiegen, kann doch nicht verhindert werden, dafs die
ganze Volkswirtschaft wie die Hebungen, so auch die Senkungen mit durch-
macht, die ihr unlöslicher Zusammenhang mit der Weltwirtschaft in man-
nigfaltiger Grofse und Dauer hervorbringt. So war der wirtschaftliche
Aufschwung der Jahre 1872 und 1873 ebenso unabhängig von dem da-
maligen Freihandelssystem in Deutschland, wie von der Schutzzollpolitik
der Vereinigten Staaten und ebenso verbreitete sich die Depression von
1873 bis 1879 unterschiedslos über die freihäudlerischen und schutzzöllne-
rischen Länder. Die dann eintretende zeitweilige Besserung war in Deutsch-
land nicht etwa die Folge der Tarifänderung von 1879, denn sie nahm
schon vorher ihren Anfang in Amerika und England. Die kurze Hebung
von 1889/90 war wiederum eine allgemein internationale Thatsache, uud
die deutsche Handelsvertragspolitik von 1892 hat bisher ebensowenig wie
die McKinley-Bill in Amerika die erwarteten Früchte gebracht, weil eben die
allgemeinen weltwirtschaftlichen Verhältnisse einem günstigen Erfolge ent-
gegenwirkten. Welches auch das Tarifsystem sein mochte, es lag nahe,
dafs man bei anhaltend gedrückter Geschäftslage ihm die Verantwort-
lichkeit zuschob und wieder einmal mehr oder weniger weitgehende Ver-
suche im Sinne des gegenteiligen Systems machte. Nicht anders wird es
auch in der Zukunft sein, und da Depressionen unzweifelhaft von Zeit
zu Zeit wiederkehren, so wird auch fernerhin eine Abwechselung von mehr
freihändlerischen und mehr protektionistischen Tarifen zu erwarten sein.
Die Wandlungen der deutschen Handelspolitik seit 1860 werden von
W. Lotz in interessanter Weise mit besonderer Bücksicht auf die Stim-
mung geschildert, die bei der Bevölkerung und den Interessenten hervor-
Litte rat ur. 609
trat. Die „Ideen", von denen auf dem Titel des Buches die Hede ist,
sind also nicht theoretische Ansichten, sondern die praktischen Motive,
durch die die jeweilig vorherrschenden Interessengruppen sich leiten liefsen,
um einmal zu eiuem fast vollständigen Freihandelssystem und dann wieder
zu einem stark ausgeprägten Industrie- und Agrarschutzsystem zu gelangen.
Es fehlte allerdings in Deutschland seit den fünfziger Jahren nicht an einer
geschickten theoretischen Vertretung der Freihandelslehre durch Männer wie
Priuce-Smith , Faucher, Michaelis, Böhmert, M. Wirth u. a., und in dem
1857 gegründeten Volkswirtschaftlichen Kongresse spielten diese Theore-
tiker die leitende Rolle. Aber sie würden ebensowenig, wie ihre Gesin-
nungsgenossen Say, Bastiat, Dunoyer u. s. w. in Frankreich, einen erheb-
lichen Einflufs auf die Handelspolitik des Zollvereins erlangt haben, wenn
ihre Agitation nicht mächtige Interessen als Stütze hinter sich gehabt hätte.
Lotz bezeichnet als ihre Hilfstruppen den deutschen Handel, den Libe-
ralismus und die norddeutsche Landwirtschaft. Die Mitwirkung des Libe-
ralismus diente indes nur zur Verstärkung der von den beiden anderen
Faktoren, die wirtschaftliche Interessengruppen darstellen, ausgehenden
Tendenzen, indem dadurch namentlich die nicht unmittelbar an der Sache
beteiligten gebildeten Kreise gewonnen wurden. Selbst mancher Fabrikant,
der nicht ohne heimliche Sorge an die Verminderung des Zollschutzes
dachte, liefs sich durch seine Zugehörigkeit zu der politisch liberalen
Partei auch in das freihändlerische Fahrwasser hineinziehen. Auch in
den höheren Beamtenkreisen war, namentlich seit dem Beginn der „neuen
Aera", der wirtschaftliche Liberalismus zu grofsem Einflufs gelangt. Indes
würde die freihändlerische Bewegung schwerlich so bald zu irgend einem
Resultate geführt haben, wenn nicht die Bismarck'sche Politik am Anfang
der sechziger Jahre sie sich für ihre Zwecke zu nutze gemacht hätte.
Lotz betont bei der Besprechung der damaligen politischen Konstellation
hauptsächlich nur den Gegensatz Preufsens zu Oesterreich in dem Ver-
hältnis der beiden Staaten zum Zollverein. Wahrscheinlich aber hatte
das Einlenken Preufsens in die Bahnen der neuen französischen Handels-
politik auch noch einen tieferen politischen Grund, der sich auf die Vor-
bereitung der künftigen Entscheidung der deutschen Frage bezog. Wie
dem auch sein mag, die Periode der freihändlerischen Politik begann für
den Zollverein mit dem Handelsvertrage mit Frankreich von 1862, der
Fortschritt aber nahm erst nach 1866 ein rasches Tempo an, nachdem
in dem Zollparlament ein Organ geschaffen war, durch welches die mafs-
gebenden politischen Parteien einen unmittelbaren Einflufs auf die Han-
delspolitik des Zollvereins ausüben konnten. Nationalliberale und Konser-
vative wirkten mit Eifer zusammen zur freihändlerischen Umgestaltung
des Tarifs und die letzteren gingen, soweit sie die agrarischen Interessen
vertraten, noch über den Standpunkt der liberalen Handels- und Industrie-
kreise hinaus, die ihr Organ in dem deutschen Handelstage hatten. Ein
norddeutscher Grundbesitzer erklarte im Zollparlament, wie Lotz in
Erinnerung bringt, dafs er, weil konservativ, naturgemäfs Freihändler
sei. Die östlichen preufsischen Provinzen waren eben bis dahin noch
Ausfuhrgebiete für Getreide, andererseits aber wünschten die Grundbe-
sitzer billige Fabrikate, namentlich billige Maschinen und Werkzeuge.
Dritte Folge Bd. VIII (LX11I). gg
610 Litteratur.
Von ihnen ging daher auch 1873 der Antrag aus, der die Eisenzölle
fast vollständig beseitigte, nach seiner vollen Durchführung aber auch den
Hauptanstofs zu dem Umschwünge auf dem Gebiet der Industriezölle ge-
geben hat. Lotz hebt übrigens mit Recht hervor, dafs der Vorteil, den
die Landwirtschaft aus der Verbilligung des Eisens ziehen kann, verhält-
nismäfsig gering ist, da nur ein sehr mäfsiger Prozentsatz des Eisenver-
brauchs — nach der Schätzung eines allerdings an den Eisenzöllen
interessierten Sachverständigen nur 6 — 7 Prozent — auf die Landwirt-
schaft entfällt. Unter den Gründen, die jene radikale Mafsregel von 1873
herbeiführten, wäre auch noch die damalige enorme Höhe des Eisenpreises
— er stand doppelt so hoch als in den sechziger Jahren — zu erwähnen
gewesen.
Der nach dem Krach von 1873 eintretende Niedergang der In-
dustrie und die in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre sich vollziehende
Umgestaltung der weltwirtschaftlichen Konkurrenzverhältnisse im Getreide-
handel führte eine neue Konstellation der Parteien und einen vollständigen
Wechsel der leitenden handelspolitischen Grundsätze herbei. Wenn die
Notwendigkeit der Aufhebung der Eiseuzölle, wie 1873 ein konservativer
Abgeordneter sagte, ein Axiom war, das man nicht zu beweisen habe,
so war es in den Augen nicht nur der Freihändler, sondern auch der
industriellen Schutzzöllner ein noch weit fester begründetes Axiom, dafs
Getreidezölle für alle Zeit eine Unmöglichkeit geworden seien, und selbst
die konservativen Agrarier wagten lange Zeit nicht, gegen diesen Grund-
satz offen Widerspruch zu erheben. Man sprach zuerst verschämt von
der Vermehrung der Finanzzölle auf Konsumtionsgegenstände oder von
der Rückkehr zu dem Grundsatze des Tarifs von 1818, nach dem alle
Einfuhrwaren der Zollpflicht unterworfen sein sollen , sofern sie nicht
ausdrücklich ausgenommen sind. Diesen Grundsatz stellte auch der Reichs-
kanzler voran, als er 1878 mit seinem Schreiben an den Bundesrat das
Signal zu der neuen handelspolitischen Wendung gab. Welche Motive
der inneren Politik dabei mit im Spiele waren, möge dahingestellt
bleiben; für die protektionistische Umbildung des Tarifs an sich war jeden-
falls der Boden genügend vorbereitet, da die Koalition der Industriellen
und der Agrarier ohne Schwierigkeit eine Majorität ergab. Die Getreide-
zölle erregten allerdings trotz ihres geringen Betrags selbst noch bei vielen
Konservativen Skrupel und eine Anzahl von ihnen stimmte in den beiden
ersten Lesungen gegen die Erhöhung des Roggenzolles auf 1 M., nahmen
aber in der dritten Lesuug doch die ganze Vorlage an, indem sie sich
auf die Notwendigkeit beriefen, dem Reiche durch Finanzzölle Einnahmen
zu verschaffen. Bei den Getreidezöllen bewährte sich glänzend das Wort :
„Ce n'est que le premier pas qui coute". Die spätere Erhöhung derselben
auf 3 M. rief weit weniger Bedenken hervor, als die Einführung des ur-
sprünglichen Satzes von 1 M. und noch leichter ging die weitere Steige-
rung auf 5 M. von statten. Die Solidarität der Industrie und der Land-
wirtschaft in der Schutzzollpolitik blieb völlig unerschüttert bis zu der
Entscheidung über die neuen Handelsverträge, insbesondere über den
deutsch-russischen. Zu einem Bruche zwischen den beiden Gruppen ist
es jedoch nicht gekommen, denn jede mufste fürchten, wenn sie die der
L i tt er at u r. ßH
anderen vorteilhaften Schutzzölle zu weit herabsetzen Hefa, dafs diese
ihre Revanche nehmen würde. Lotz vermutete schon in betreff der da-
mals zunächst in Frage kommenden Verträge mit Oesterreich und Italien,
dafs auch bei dieser wie bei den früheren Gelegenheiten Politik und
Wissenschaft eng verknüpft sein würdeu. In noch höherem .Mafse aber
hat dieser Zusammenhang bei dem Abschlufs des Vertrags mit Kufsland
bestanden, und man darf wohl annehmen, dafs dieser gegenüber dem
aufserordentlich heftigen Widerstände der agrarischen Partei nicht durch-
zusetzen gewesen wäre, wenn die Mehrheit des Reichstags nicht die
Ueberzeugung von der ganz ungewöhnlichen politischen Tragweite desselben
gewonnen hätte. Voraussichtlich steht die deutsche Handelspolitik jetzt
vor einem Jahrzehnt der Stabilität, da Zollerhöhungen im wesentlichen
durch die Verträge ausgeschlossen, Herabsetzungen aber nicht zu er-
warten sind. Die Getreidezölle bleiben trotz ihrer Ermäfsigung auf einer
Höhe, die man 1879 für ganz undenkbar gehalten hätte und mit der die
Landwirtschaft sich begnügen lernen mufs; die industriellen Zölle sind
zum Teil bei der anerkannten Konkurrenzfähigkeit der betreffenden Fabri-
kationszweige auf dem Weltmarkt an sich unnötig, doch finden sie alle
eine gewisse Rechtfertigung in den bedeutenden Lasten, die der Industrie
durch die sozialpolitische Gesetzgebung auferlegt sind. — Zur Vervoll-
ständigung der Schrift von Lotz dient die bereits in dem ersten Bande
des Sammelwerks erschienene Arbeit von H. v. Scheel, die die Ergebnisse
der deutschen Handelsstatistik von 1880 — 1889 in sorgfältiger systematischer
Bearbeitung vorführt.
Während Deutschland in den hier betrachteten Jahrzehnten eine
dreimalige handelspolitische Wendung aufweist, hat die englische Handels-
politik, wie Fuchs im Eingange seines Werkes mit Recht bemerkt, in
diesem Zeitraum eigentlich keine Geschichte. Sie ist konsequent in der
Bahn geblieben, die sie schon in den zwanziger Jahren mit einigem Zagen,
mit voller Zuversicht aber in den vierziger Jahren eingeschlagen hatte,
und das Freihandelsprinzip gilt noch immer in so breiten Schichten der
Bevölkerung so sehr als Axiom, dafs die verschämten Gegner desselben
es nicht offen anzugreifen wagen, sondern es nur unter Hinweis auf
die Herzenshärtigkeit der nichtenglischen Menschheit für die praktische
Anwendung zu dem „fair trade"-Prinzip modifizieren wollen. Und doch
hat die Freihandelspolitik tür England keineswegs alle die reichen Früchte
getragen, die einst die Manchesterpartei mit Sicherheit verheifsen zu können
glaubte. Vor allem hat sich die Prophezeiung nicht bestätigt, dafs die
Staaten des Kontinents dem englischen Beispiele folgen würden, vielmehr
hat sich bei diesen, nachdem sie sich eine Reihe von Jahren mehr oder
weniger weit auf Versuche im freihändlerischen Sinne eingelassen, überall
wieder eine schutzzöllnerische Reaktion herausgestellt. Auch ist es Eng-
land nicht gelungen, sein früheres industrielles Uebergewicht zu bewahren.
Wie Fuchs zeigt, behauptet der englische Aufsenhandel zwar auch am
Ende der betrachteten Periode noch die erste Stelle im Welthandel, aber
sein prozentualer Anteil an demselben ist bedeutend geringer geworden
und in langsamem, aber stetigem Sinken begriffen. Das Freihandelssystem
selbst trägt freilich nicht die Schuld daran, sondern die Ursache liegt in
39*
612 Litteratur.
der erfolgreichen Entwickelung der Industrie in den übrigen Ländern.
Ueberhaupt kommt auch Fuchs zu dem Resultate, dafs die Folgen der
verschiedenen Phasen der internationalen Handelspolitik, soweit sie sich
statistisch erkennen lassen, auffallend gering sind und dafs sie jedenfalls
gegenüber den tiefer liegenden Momenten der Weltwirtschaft von unter-
geordneter Bedeutung sind. So findet er auch, dafs die britische Ausfuhr
nach den streng schutzzöllnerischen Ländern infolge dieser Schutzzoll-
politik nur wenig oder gar nicht gesunken sei, aber allerdings sei sie
an der sonst zu erwartenden Zunahme gehindert worden.
"Wenn aber in England trotz so mancher fehlgeschlagenen Rechnungen
und trotz der zunehmenden Empfindlichkeit des kontinentalen Mitbewerbes
die öffentliche Meinung noch ganz überwiegend am Freihandel festhält,
so ist dieses schwerlich auf die Herrschaft der Smith'schen Lehre oder
überhaupt irgend einer Theorie zurückzuführen, sondern einfach daraus
zu erklären, dafs die englischen Interessen noch grösstenteils auf seiten
des Freihandels liegen und vielleicht immer liegen werden. In keiner
anderen Volkswirtschaft nimmt der Handel und die Schiffahrt einen so
breiten Raum ein wie in der englischen und für diese pafst natürlich
stets nur eine freihändlerische Politik. Die freie Eiufuhr von Rohstoffen
und Lebensmitteln bleibt für England auch dann noch vorteilhaft, wenn
die betreffenden Ausfuhrländer Schutzzollschranken gegen die englischen
Fabrikate errichtet haben. Getreidezölle insbesondere werden schwerlich
jemals wieder in England möglich werden, da sie zu offenkundig aus-
schliefslich einer kleinen reichen Minderheit zu gute kommen und mehr
als zwei Drittel des Weizenbedarfs des Landes vom Auslande bezogen
wird. Nur in Bezug auf die Einfuhr von Fabrikaten aus den schutz-
zöllnerischen Industriestaaten könnte man vom englischen Standpunkte
aus zweifelhaft sein, ob das einseitige Freihandelssystem den nationalen
Interessen entspreche und nicht etwa Ausgleichungszöüe, wie sie die Ver-
treter der ,,fair trade" vorschlagen, am Platze seien. Aber auch hier
entscheidet die Macht der Handelsinteressen zu guusten der bestehenden
Politik ; denn ein grofser Teil der von Eugland übernommenen kontinen-
talen Fabrikate geht durch englische Vermittelung nach den Kolonien
und den neutralen überseeischen Märkten, und wenn auch ein anderer
Teil in England selbst verbraucht wird, so vermindert sich dadurch ent-
sprechend die Konkurrenz der Kontinentalstaaten in den aufsereuropäischen
Ländern. Im ganzen dürfte also das bestehende System für England das
relativ vorteilhafteste sein, wenn auch die von Fuchs betonte grofse Ab-
hängigkeit der Volksernährung vom Auslande unzweifelhaft eine bedenk-
liche Künstlichkeit des volkswirtschaftlichen Zustandes erkennen läfst.
Gewisse protektionistische Zugeständnisse an die Landwirtschaft und In-
dustrie sind allerdings in versteckter und indirekter Weise gemacht
worden. Wenigstens ist es schwer anzunehmen — obwohl Fuchs diese
Frage nicht für entschieden hält — dafs die angeblich nur aus veterinär-
polizeilichen Gründen erlasseneu Vieheinfuhrverbote, die oft mit besonderer
Härte Deutschland trafen, nicht auch den Zweck einer handelspolitischen
Schutzmafsregel für die Landwirtschaft haben sollten und noch offen-
kundiger erscheint der protektionistische Nebenzweck — der freilich that-
Litteratur. 613
sächlich nicht erreicht wurde — in den Bestimmungen und der Art der
Handhabung des neuen Markeuschutzgesetzes.
Sehr verschieden von der Handelspolitik des Vereinigten Königreichs
hat sich die der selbständig gestellten englischen Kolonien gestaltet, die
nicht nur gegen das Ausland, sondern in gleicher Weise auch gegen
das Mutterland ein entschiedenes Schutzsystem im Interesse ihrer jungen
Industrie durchgeführt haben. Da diese Verhältnisse aufserhalb Englands
in ihren Einzelheiten noch wenig bekannt sind, so bietet der zweite Teil
der Fuchs'schen Arbeit ein besonderes Interesse dar. Derselbe giebt zu-
nächst einen Ueberblick über die geschichtliche Entwicklung der Han-
delspolitik des Mutterlandes gegenüber den Kolonien und die heutige
politische und handelspolitische Verfassung der letzteren im allgemeinen
und bespricht dann im einzelnen die Verhältnisse sowohl der selbstän-
digen Kolonien, nämlich Kanadas, Australasiens und des Kaplandes, als
auch des von der Handelspolitik des herrschenden Landes abhängigen
Kaiserreichs Indiens und der übrigen unselbständigen Kronkolonien. Daran
schliefst sich eine statistische Darstellung der Entwickelung des Handels
der wichtigsten Kolonien in den Jahren 1860 — 1890 und in dem letzten
Kapitel finden die neueren Bewegungen lür politische und handelspoli-
tische Föderation des britischen Reiches eine ausführliche Besprechung.
"Während die Freihändler vom alten Schlage die Kolonien als eine Last
betrachteten und in der politischen Lostrennung derselben vom Mutter-
lande eher einen Vorteil als einen Schaden gesehen haben würden, hat
sich in den letzten dreifsig Jahren in betreff der politischen Wichtigkeit
der Kolonien und ihres Zusammenhangs mit dem Mutterlande allmählich
ein vollständiger Umschwung in der öffentlichen Meinung vollzogen, der
1884 seinen Ausdruck in der Gründung der „Imperial Föderation League"
fand, an der sich sowohl konservative wie liberale und radikale Staats-
männer und Politiker beteiligten. Sie will mittels einer Bundesverfassung
eine engere politische Verbindung aller Glieder des britischen Reichs
herstellen , bei der aber die bestehenden Rechte der lokalen Parlamente
in den Kolonien hinsichtlich der lokalen Interessen unangetastet bestehen
bleiben sollen. Insbesondere soll eine gemeinschaftliche militärische Ver-
teidigung des Reiches, ein „Kriegsverein", wie Lord Salisbury sich aus-
drückte, geschaffen werden. Ein Zollverein aber wird nach diesem Pro-
jekt fürs erste nicht beabsichtigt; das Ziel ist wesentlich ein politisches,
die kommerzielle Föderation soll erst in Frage kommen, wenn die poli-
tische gelungen ist. Dagegen hat eine andere Vereinigung, die United
Empire Trade League, gerade die handelspolitische Verbindung des Mutter-
landes und der Kolonien zu ihrem Programm gemacht. Ueber die Art,
wie dies geschehen soll, ist man freilich noch durchaus nicht im klaren,
zumal auch diese Liga zwischen Freihandel und Fair Trade mit Schutz-
zöllen zu lavieren sucht. Im allgemeinen hat die Idee eines Zollver*
bandes des britischen Reiches mit Vorzugszöllen für die Glieder desselben
auch in England Boden gewonnen, aber da nach den betreffenden Vorschlägen
von den nicht britischen Nahrungsmitteln und sogar von manchen Roh-
stoffen, wie z. B. von Wolle, Zölle erhoben werden müfsten , so würden
sich bei jedem Versuche der Ausführung eines solchen Projekts sofort
614 Litteratur.
ungeheure Schwierigkeiten erheben. Auch ist nicht daran zu denken,
dafs die selbständigen Kolonien ihr Schutzsystem aufgeben würden , also
ein britischer Reichszollverein mit freiem inneren Verkehr entstehen könnte;
es würde sich nur darum handeln können, von den britischen Waren
niedrigere Zölle zu erheben, als von den Fremden, Am einfachsten er-
scheint der Vorschlag Hofmeyr's, des Führers der kapländischen Afrikan-
der-Partei , nach dem in allen Teilen des Reiches , wie auch ihr Zoll-
system sonst beschaffen sein mag , ein Reichszuschlagszoll von einigen
Prozent des Wertes von den aus fremden Ländern kommenden Waren
zu erheben wäre, dessen Ertrag für den Unterhalt der britischen Flotte
verwendet werden soll. Dieses Projekt steht allerdings mehr auf dem
Boden der politischen Bestrebungen der Imperial Federation League, als
auf dem des Programms einer handelspolitischen Organisation des briti-
schen Reiches. Eine gröfsere Tragweite im letzteren Sinne würde es
allerdings erlangen , wenn dieser Reichszoll in England auch von bisher
zollfreien Waren, wie Weizen und Wolle erhoben würde, was aber, wie
gesagt, schwerlich durchzusetzen sein würde.
Der Handelspolitik der übrigen Staaten sind in dem Sammelwerk
nur kürzere Darstellungen gewidmet. A. Peez (Bd. 49) skizziert die
handelspolitische Entwickelung Oesterreich-Ungarns, die bereits 1878 ihren
Wendepunkt erreichte, und zwar, wie der Verfasser glaubt, infolge der
ungünstigen Wirkungen der Handelsverträge von 1868. Da er aber zugiebt,
dafs diese schlimmen Wirkungen erst mehrere Jahre später fühlbar ge-
worden seien, 60 liegt es doch wohl näher, anzunehmen, dafs man in
Oesterreich wie in Deutschland den Zolltarif für die Depression verant-
wortlich gemacht hat, die in Wirklichkeit eine Nachwirkung der Krisis
von 1873 war. Wenn Oesterreich-Ungarn durch die Handelsverträge mit
England und Deutschland geschädigt worden wäre, so hätte man doch
erwarten müssen , dafs diese letzteren Länder sich dabei wohl befunden
hätten, thatsächlich aber ging in ihnen die wirtschaftliche Entwickelung
in derselben Zeit auf und nieder , wie in Oesterreich. Uebrigens findet
Peez, dafs der österreichisch-ungarische Tarif vor 1878 weit zaghafter
und weniger entschieden und systematisch zum Zollschutze zurückgekehrt
sei, als der deutsche von 1879. Durch die angeführten Proben wird dies
indes schwerlich bewiesen und jedenfalls haben die österreichischen Tarif-
erhöhungen von 1882 und 1887 das ursprünglich etwa Versäumte reich-
lich nachgeholt.
Ueber die italienische Handelspolitik berichtet Sombart vom Stand-
punkt einer kühl abwägenden , dem Unternehmergemüt wenig zusagenden
Kritik, der für die wissenschaftliche Beurteilung der neueren handels-
politischen Reaktion der allein berechtigte ist. Als hauptsächlich in Betracht
kommende Punkte sind zu nennen: der Tarif vom 30. Mai 1878, der
von der Cavour'schen Freihandelspolitik wieder zu einem gemäfsigten Schutz-
zollsystem abschwenkte ; der diesen Generaltarif wieder in manchen Punk-
ten mildernde Tarif des Handelsvertrags mit Frankreich von 1881, der
im wesentlichen auch den übrigen in der nächsten Zeit abgeschlossenen
Handelsverträgen zu Grunde gelegt wurde; die Zollenquete von 1885
und 1886 und der daraus hervorgegangene Generaltarif vom 14. Juli
Li tt er a t u r. ßl5
1887, der bedeutende Getreidezölle einführte und den Industrieachutz ver-
stärkte; die neuen Handelsverträge mit Oesterroich und der Schweiz, die
nur wenig Ermäfsigungen des neuen Genoraltarifs enthielten, der 1888
begonnene und bis zur Stunde noch fortdauernde Zollkrieg mit Frankreich.
Deutschland aber hat seitdem durch den 1892 in Kraft getretenen Ver-
trag eine Anzahl nicht unerheblicher Zugeständnisse erhalten. In dem
zweiten Abschnitt seiner Arbeit sucht der Verfasser die ursächlichen
Beziehungen der italienischen Handelspolitik zu der Volkswirtschaft stati-
stisch zu ermitteln. Die Hauptfrage ist für ihn : besitzt das heutige
Italien hinreichende produktive Kräfte und Fähigkeiten , um eine natio-
nale Iudustrie grofsen Stils heranzubilden und sind die zu diesem Zweck
zu bringenden Opfer im Vergleich mit dem möglichen Vorteil nicht zu
grofs ? In der Beantwortung dieser Frage ist er sehr zurückhaltend; er
will hauptsächlich nur die wesentlichen Produktionselemente im einzelnen
prüfen und es dem Leser überlassen, sich das endgiltige Urteil zu bilden;
doch glaubt er im grofsen Ganzen die neuen handelspolitischen Mafsregeln
als einen notwendigen und gesunden Fortschritt begrüfsen zu können.
Entschieden ungünstig dagegen lautet seine Beurteilung der Agrarzölle.
Die Handelspolitik Frankreichs wird im 51. Bande in einer franzö-
sisch geschriebenen Abhandlung von A. Devers behandelt. Der Verfasser
entwirft in grofsen Zügen ein Bild der Zustände unter dem starren Prohi-
bitivsystem, das aus der Revoiutionsperiode herübergenommen wurde und
mit geringen Milderungen bis zum Abschlufs des französisch-englischen
Handelsvertrags von 1860 in Kraft blieb. Genauer werden dann die
Reformmafsregelu des Kaiserreichs in der nunmehr eröffneten relativ
freihändlerischen Periode besprochen. Weiter folgt die Darstellung der
Reaktionsbestrebuugen unter Thiers in den ersten Jahren der Republik,
der mehrere Jahre umfassenden Vorbereitung des neuen Generaltarifs von
1881, des Abschlusses der Handelsverträge von 1882, der neuen Agrar-
schutzmafsregeln und den Schlufs bildet ein ausführlicher Bericht über
das Zustandekommen des Maximal- und Minimaltarifs von 1892, die beide
einen neuen Sieg der Schutzzollpolitik bezeichnen. Die Arbeit bildet eine
wertvolle Ergänzung zu dem bekannten Werk von Arne, das nur bis
187 5 reicht; theoretische Betrachtungen hat der Verfasser mit Recht aus-
geschlossen, doch spricht er die Ueberzeugung aus, dafs verfehlte handels-
politische Mafsregeln zwar einen gewissen Schaden verursachen können,
aber nicht imstande seien, ein Land, wie Frankreich, mit so aufserordent-
lichen Produktivkräften und Hilfsquellen wesentlich in seiner wirtschaft-
lichen Stellung zu erschüttern.
Die Darstellung der russischen Handelspolitik hat V. Wittschewsky,
ein sach- und sprachkundiger Livländer geliefert (Bd. 49). Die älteren
Verhältnisse werden in Kürze berührt; aus der neuesten Zeit aber sind
als Hauptthatsache hervorgehoben: der Tarif von 1857, der den Sieg
einer relativ gemäfsigten Schutzzollpolitik bekundete; der Tarif von 1868,
der denselben Charakter noch bestimmter trug, die Umkehr zu einer ver-
schärften Schutzzollpolitik seit 1877; die Tarifrevision von 1882, die die
neuen Zölle erhöhte; endlich der Tarif von 1890, der die zahlreichen
vorangegangenen Zolländeruugen und die Zuschlagszölle von 1885 und
616 Litteratur.
1890 in sich aufnahm und das neue hochprotektionistische System zu
einem gewissen Abschlufs brachte. Die Milderungen dieses Tarifs durch
den Handelsvertrag von 1894 bilden für Deutschland einen Erfolg, den
man nach den Schlufsworten des Verfassers schwerlich erwartet haben
sollte.
Den Bericht über die Niederlande (Bd. 49) haben die Herren H. de
Heus und G. S. Endt geliefert. Dieses Land ist seit 1862 wieder zu
der Ereihandelspolitik zurückgekehrt, die es bis zur zweiten Hälfte des
vorigen Jahrhunderts befolgt hatte, und es hat sich auch durch die in der
neuesten Zeit in fast allen anderen Ländern eingetretene rückläufige Be-
wegung nicht beeinflussen lassen, sondern den Tarif von 1877, der noch
eine weitere Anzahl zweckloser Schutzzölle beseitigte, aufrecht erhalten.
Eine liberale Reform der Schiffahrtsgesetzgebung datiert schon von 1850,
die frühere Keglementierung der Seefischerei wurde 1858 mit günstigen
Folgen aufgehoben, die Differentialzölle zu gunsten der niederländischen
Waren in Indien sind seit 1874 beseitigt.
In Belgien, dessen Handelspolitik von E. Mahaim dargestellt ist
(Bd. 49), erhielt die Ereihaudelspartei Ende der fünfziger Jahre die Ober-
hand und ihr Sieg wurde durch den belgisch-französischen Handelsvertrag
von 1861 bestätigt. Die beibehalteneu Reste von Schutzzöllen waren sehr
mäfsig und wurden teilweise später noch verringert oder beseitigt. Auch
unter den seit 1880 bestehenden Verhältnissen ist keine wesentliche Aende-
rung dieses Systems eingetreten, aber der Protektionismus hat doch wieder
Boden gewonnen und die strengen Ereihaudelsprinzipien finden, wie der
Verfasser sagt, bei ihren Verteidigern nicht mehr die feuerige Ueber-
zeugung, die einst zu einem absoluten Glauben geworden war. Einen Er-
folg der Protektionisten bildete das Gesetz vom 8. Juni 1887, das mäfsige
Vieh- und Fleischzölle einführte. Die früheren geringen Getreidezölle
waren 1872 aufgehoben worden und ein 1885 gemachter Versuch zur Er-
neuerung derselben mifslang.
Den Artikel über Dänemark (Bd. 49) hat Scharling bearbeitet. Es
steht dort noch immer der Tarif von 1863 in Kraft, der einen überwiegend
fiskalischen Charakter besitzt und nur mäfsige Schutzzölle (bei Industrie-
erzeugnissen durchschnittlich etwa 14 Proz. des Wertes) aufweist. Die
erste wirkliche Aenderung, die dieser Tarif durch das Ges. v. 1. April
1891 erfahren hat, betrifft die Herabsetzung der Zölle auf Zucker, Choko-
lade und Petroleum, hat also nur finanzielle Bedeuturjg.
Schweden und Norwegen (Bd. 49) hat Fahlbeck behandelt. In
Schweden erhielt ebenfalls der Freihandel in den siebziger Jahren das
Uebergewicht, im Jahre 1888 aber fand ein entschiedener Systemwechsel
statt, der nicht nur den Industrieschutz bedeutend verstärkte, sondern auch
beträchtliche landwirtschaftliche Schutzzölle einführte. Der norwegische
Tarif hat seit 1876 keine wesentlichen Aenderungen erfahren; er ist im
wesentlichen ein Finanztarif und enthält nur unbedeutende Schutzzölle.
Die protektiouistische Bewegung hat sich in den letzten Jahren verstärkt,
auch sind die aus früherer Zeit vorhandenen niedrigen agrarischen Zölle
teilweise um ein geringes erhöht worden.
Der von E. Frey erstattete Bericht über die Schweiz (Bd. 49) be-
Litteratur. ß^7,
ginnt mit dem ersten Bundeszolltarif, der 1849 an die Stelle des früheren
Kantonzollwesens trat und grundsätzlich vom Freihandelsstandpunkt aus-
ging; er bespricht die Handelsverträge von 1850 — 1863, ferner den wichtigen
Handelsvertrag mit Frankreich von 1864, dem sich Verträge mit dem Zoll-
verein, Oesterreich , Italien und anderen Ländern anschlössen und geht
dann zur Darstellung des Umschwungs der schweizerischen Handelspolitik
über, dessen Anfänge schon in der Tarifrevision von 1878 gefunden werden
können. Der Tarif von 1878 kam indes nie zum vollen gesetzlichen Ab-
schlufs und bildete nur eine theoretische Basis bei den Verhandlungen
über die neuen Handelsverträge. Erst 1884 wurde ein neuer Generaltarif
mit zahlreichen bedeutenden Schutzzöllen erlassen, die freilich für die
Staaten, denen vertragsmäfsig der Konventionaltarif zustand , noch keine
Geltung hatten. Auch die noch weiter gehenden Zollerhöhungen von 1887
und 1891 sind für mehrere Staaten durch Handelsverträge gemildert worden,
doch bleibt in vielen Fällen eine erhebliche Verstärkung des Schutzes
übrig.
Dafs die Aufstellung des Generaltarifs von 1891 eine von der Schweiz
sehr ernst gemeinte Mafsregel war, hat sie Frankreich gegenüber bald be-
wiesen, und die Vorwürfe, die man gegen die deutsche Reichsregierung
wegen zu weitgehender Rücksicht auf jenen Tarif erhoben hat, erscheinen
daher nicht gerechtfertigt.
In Spanien, über dessen Handelspolitik A. Gwinner (Bd. 51) be-
richtet, kam die relativ freihäudlerische Reform durch den Tarif von 1869
zum Abschlufs. Die Zuschläge und neuen Zollsätze hatten überwiegend
fiskalische Bedeutung und der in die Periode der neuen Handelsverträge
fallende Generaltarif von 1882 enthielt viele Ermäfsigungen. Seit 1889
aber hat die Schutzzollbewegung wieder bedeutend an Macht gewonnen,
was sich sowohl in der 1890 erfolgten starken Erhöhung der landwirtschaft-
lichen Zölle, als auch in dem schliefslichen Scheitern des deutsch-spanischen
Handelsvertrags bekundet.
Eine Uebersicht der neueren Handelspolitik Rumäniens, Serbiens und
Bulgariens giebt Dr. M. Ströll (Bd. 51). Das Uebergewicht, das Oester-
reich-Ungarn viele Jahre im Handel mit diesen Balkanländern behauptet
hat, ist in der neuesten Zeit mehr und mehr zu gunsten nicht nur Eng-
lands und Frankreichs, sondern auch Deutschlands vermindert worden.
In Rumänien , dessen wirtschaftliche Entwickelung der Verfasser sehr
günstig beurteilt, machten die auf Industrieschutz gerichteten Bestrebungen
sich in den achtziger Jahren immer mehr geltend und sie gelangten in
dem Generaltarif von 1891 zu einem wesentlichen Erfolge. In den später
mit Deutschland und anderen Staaten abgeschlossenen Handelsverträgen
jedoch sind wieder vielfach ermäfsigte Konventionalzollsätze bewilligt
worden. In Serbien ist bisher noch kein genügender Boden für irgendwie
wirksame Industrieschutzmafsregeln zu finden, wenn es auch an Ansätzen
zu solchen nicht fehlt. In noch höherem Grade gilt dies von Bulgarien,
das noch durchaus auf der Stufe des Agrikulturstaates steht.
Was endlich die Vereinigten Staaten betrifft, so ist der sie betreffende
(englisch geschriebene) Abschnitt des 49. Bandes von den Herren R.
Mayo-Smith und Edwin R. A. Seligman verfafst. Nach einem Ueber-
6X8 Litteratur.
blick über die frühereu Wandlungen des Zolltarifs werden der unmittelbar
vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs erlassene Morilltarif und die zahl-
reichen Zollerhöhungen während des Krieges besprochen. Der erstere kehrte
nach einer kurzen Periode relativ freihändlenscher Handelspolitik wieder
zu einem strengen Schutzsystem zurück und in den Kriegszöllen trat
neben dem finanziellen Zwecke die protektionistische Tendenz immer stärker
auf. Einen gewissen Abschlufs bildete der Tarif vom 30. Juni 1864, der
das Maximum der Zollsätze erreichte und die Grundlage für die ganze
folgeüde Entwickelung bildete. In den Jahren 1865 — 1883 fanden
mancherlei Aenderungen und Reformversuche statt, die zwar einige
finanzielle Erleichterungen brachten, aber die Herrschaft des Hochschutz-
zollsystems unangetastet liefsen. Auch der Tarif von 1883 bedeutete im
gauzeu noch einen Sieg der Protektionisten, da einige Zollermäfsigungen
durch die Erhöhung anderer Sätze mehr als ausgeglichen wurden. Bei
der Präsidentenwahl von 1888 bildete die Handelspolitik einen Haupt-
unterscheidungspunkt der beiden grofsen Parteien. Der Sieg der Republi-
kaner galt als ein Triumph des Protektionismus, der nun 1890 in dem
Mc. Kinley- Tarif seine extremste Ausbildung erreichte. Aber die voraus-
gesagten segensreichen Wirkungen dieses Tarifs blieben aus , dagegen
wurde er, wenn auch nur teilweise mit Recht, für die Krisis von 1893
verantwortlich gemacht und so konnte unter der zweiten Präsidentschaft
Clevelands die demokratische Partei einen Reformfeldzug unternehmen,
der freilich nur einen bescheideuen Erfolg gehabt hat, da der im August
1894 zustande gekommene sogenannte Gorman'sche Tarif hinter dem ur-
sprünglichen Wilson'schen Entwurf in wichtigen Punkten weit zurück-
geblieben ist.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 619
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen
Cantillon, (Eichard), Essai sur le commerce. (Reprinted for
Harvard University). Boston 1892. V u. 436 SS.
Von Cantillon's „Essai sur la nature du commerce en ge'neral" liegt
in obiger Ausgabe ein vortrefflicher Neudruck vor, den wir der Harvard
University verdanken. Bekanntlich hat dieses Werk, welches 1755 er-
schien und mit den Worten anhebt: „La terre est la source ou la matiere
d'oü Ton tire la richesse", einen grofsen Einflufs ausgeübt auf Quesnay,
Mirabeau, Turgot, Condillac, Mably, Graslin; es ist eine der wenigen
Schriften, auf welche Adam Smith Bezug nimmt (1. Buch, 8. Kap.) und
Jevons nennt diessen Essai ,,the first treatise on economics". Jedenfalls
ist eine Neuausgabe dieser Publikation, welche in der Geschichte der Volks-
wirtschaftswissenschaft eine besonders beachtenswerte Stelle einnimmt, dank-
bar zu begrüfsen.
Der Vorbemerkung entnehme ich die folgenden Angaben, welche die
Notizen über Cantillon im „Handwörterbuch der Staatswissenschaften"
(II. Bd. S. 808) ergänzen und zum Teil berichtigen mögen.
Cantillon war wahrscheinlich zwischen 1680 und 1690 in Irland ge-
boren. Er liefs sich 1716 als Bankier in Paris nieder, verliefs aber Frank-
reich schon im Jahre 1719, da er es wegen seiner Stellungnahme gegen
Law, dessen Unternehmungen er bekämpfte, nicht für ratsam erachtete, in
diesem Lande länger zu verbleiben. Während er sein Pariser Geschäft
durch einen Neffen fortführen liefs, siedelte er nach London über, wo er
am 15. V. 1734 durch einen ehemaligen Diener ermordet wurde.
Der Essai war von Cantillon in englischer Sprache geschrieben und
von ihm selbst in der vorliegenden Form für den Gebrauch eines fran-
zösischen Freundes übersetzt. Die englische Originalausgabe mit ihrem
statistischen Supplement wurde nie veröffentlicht. Wahrscheinlich aber hat
Philipp Cantillon — ein Vetter von Richard C. — dieselbe benutzt
bei Abfassung seines Werkes: The analysis of trade, commerce etc.
London 1759. Die Druckangabe in der Ausgabe des Essai von 1755
„A Londres, Chez Fletcher Gyles, dans Holborn" ist fingiert; dieselbe Be-
zeichnung erscheint auf dem Titelblatt der Turgot'schen Uebersetzung von
Tucker's „Reflexions on the expediency of a law for the naturalization of
foreign protestants". (Questions importantes sur le commerce etc. 1755.)
620 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Von Cantillons Essai sur le commerce existieren im ganzen drei Aus-
gaben. Zunächst die bereits erwähnte von 1755; dann eine in kleinerem
Format, wahrscheinlich, auch in einer anderen Druckerei hergestellt, ans
dem Jahre 1756; endlich ein Abdruck in Mauvillon's Uebersetzung von
Hume's „Discours politiques", Vol. III (Amst. 1756).
Die hier vorliegende neue Ausgabe schliefst sich in allem an die
erste von 1755 an, so im Format, in der Paginierung, im Druck, selbst
die alten Druckfehler sind beibehalten.
Breslau. Ludwig Elster.
Mancke, Walther (Chef-Redakteur der Bank- und Haudels-Zeitung
sowie des landwirtschaftlichen Anzeigers) , Ein Kompromifs des Agrar-
staats mit dem Industriestaat. Berlin 1894, Verlag von Trowitzsch und
Sohn, 134 SS.
Der Verf. will zeigen, auf welchem Wege es sich ermöglichen läfst,
dauernd die Wahrung der Interessen der Konsumenten und Produzenten
der wichtigsten Lebensmittel mit einander zu verbinden, und einen Kom-
promifs angeben, um die streitenden Parteien mit einander zu verständigen.
Die Vorschläge, welche er macht, um ein Zusammenwirken von Handel,
Industrie und Landwirtschaft herbeizuführen, fafst er am Schlüsse seiner
Arbeit kurz zusammen. Sie zielen darauf ab, eiue Ertragssteigerung der
deutschen Landwirtschaft durch Vermehrung der mittleren und kleineren
Betriebe und durch Verbesserungen, sowie grö'fsere Preisstetigkeit durch
Gewährung von Zollschutz in der Höhe, wie er durch unsere neueren
Handelsverträge bestimmt wird, sowie durch Magazinierung mit ent-
sprechender Lombardierung, feiner durch umfangreiche Errichtung grofser
Genossenschaftsbäckereien auf dem Lande mit Verkaufsstellen in den
Städten zu bewirken. Die Verwirklichung des Gedankens, einen gewissen
Prozentsatz des Bedarfs an Brotgetreide zum Zweck der Aufspeicherung
in Zeiten oder in Ländern mit niedrigen Preisen nur im allgemeinen In-
teresse, also ohne Gewinnabsicht und unter öffentlicher Kontrolle aufzu-
kaufen, dürfte wohl auf allzugrofse Schwierigkeiten stofsen. Bei mehreren
Vorschlägen des Verfassers vermisse ich die nötigen Angaben über die
Ausführung, so wenn einfach verlangt werden: Beform des gesamten
Zwischenhandels, ISchutz des Verkehrs an der Börse gegen Mifsbrauch zu
egoistischen Zwecken, Zuführung des jetzt ausschliefslich Handel und In-
dustrie befruchtenden beweglichen Kapitals an die Landwirtschaft, kauf-
männischer Betrieb der letzteren unter vorzüglicher Stützung auf den
Personal- statt auf den Hypothekarkredit, Verhütung eines Ueberwiegens
des Industriestaates über den Agrarstaat dadurch, — dafs Landwirtschaft,
Industrie und Handel gemeinsame Zwecke verfolgen etc.
München. J. Lehr.
Geschichte des Sozialismus in Einzeldarstellungen. Band I. Die Vorläufer des
Sozialismus. Redigiert von E. Bernstein und K. Kautsky, Heft 1. Stuttgart, Dietz, 1894.
gr. Lex. -8. 32 SS. M 0,20. (Das vollständige Werk ist auf 4 Bände ä 40 Druck-
bogen gr. Lexikonformat berechnet.)
v. Wenckstern, A., Le Play. Berlin, Druck von Preufs , 1893. 8. 62 SS.
(Dissertation.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 621
Martin-Ginouvier, F., La Solution du pret gratuit, alimente par une dime
sociale, voloutaire et facultative. Paris, 1894. 8 IX — 44 pag. fr. 0,50.
Brassey (Lord), Papers and addresses. Work and wages. Edited by J. Potter.
With an introduction by G Howell. London, Longmans, Green & C°, 1894. crown-8.
5/. — . (Contents: Trades Uuious and the cost of labour. Speech, H. of Commons, 1869.
— Wages in 1873. Address, Trades Union Congress, Norwich 1873. — Co-operative
production. Trades Union Congress, Halifax 1874. — Price of labour in England.
Reprint ,, International Review", New York 1876. — Trades Unions. Paper read at
Trades Union Congress, Leicester, 1877. — Comparative elficiency of English and foreign
labour. Address et Hawkstone Hall, 1878. — On rise of wages in building trades of
London. Paper at R. Institute of British Architects, 1878. — On the depression of
trade. Reprint ,,Nineteenth Century, 1879. — Comparative efficiency of English and
foreign labour. Address at Edinburgh Philosophical Institution, 1879. — Motion for
Commission on agricultural distress, H. of Commons, 1879. — Agricultural holdings.
Letter to „Times", 1879. — Agriculture in England and the U. States. Address as
President of the Statistical Society, 1879. — Arbitration award : Staffordshire potteries,
1880. — British trade and british workmen : Church Congress, Newcastle, 1881. —
Industrial remuneration Conference, 1885. — Institution of civil engineers. Speech at
annual dinner, 1888. — Arbitration award: Lightermen of London, 1889. — Attitüde
of the church towards labour combinations : Church Congress, Folkestone, 1892. —
Social scheme of General Booth, Hastings 1892. — Address to Wolverhampton Chamber
of commerce, 1893. — )
Schloss, D. F. , Report on profit-sharing, London, printed by Eyre & Spottis-
woode, 1894. gr. in-8. VIII — 198 pp. (Publication of the Board of Trade , Labour
Department. Contents : Scope of inquiry. — The share system. — Industrial co-operation.
— History of British profit-sharing. — Epitome of leading facts and figures. — General
observations on the present position of profit-sharing in this country. — etc.)
Spagnoletti, O., Post prandium : saggi letterari e scientific]. Trani, V. Vecchi
edit, 1894. 16. VI — 344 pp. 1. 2. — . (Contiene : Ferdinando Lassalle. — Giordano
Bruno. — Omicidio e suicidio. — Questione di diritto internazionale. — La prostituzione.
— Dinamite e miolite. — II socialismo di Edmondo. — etc.)
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
Beiträge zur Geschichte des Niederrheins. Jahrbuch des Düsseldorfer Geschichts-
vereins. Band VIII. Düsseldorf, Lintz , 1894. 261 SS. nebst 3 Lichtdrucktafeln.
M. 4. — . (Aus dem Inhalte: Ordnung des Rather Oberhofs, von A. Koernicke. — Die
Schätze der herzoglichen Silberkammer zu Düsseldorf im 17. Jahrb., von O. R. Red-
lich. — Bestellung von Brüsseler Kunstwirkereien für das Düsseldorfer Schlofs (1701),
von J. Th. de Raadt (Brüssel) — Errichtung einer regelmäfsigen direkten Dampfschiff-
fahrt zwischen Köln, Düsseldorf und London resp. Hamburg und Havre, von F. Wächter.)
— Zur Geschichte des Handels mit Andernacher Steinen nach Holland im 17. Jahrh.,
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Kahler, O., Die Grafschaften Oldenburg und Delmenhorst in der ersten Hälfte des
XV. Jahrhunderts. Marburg (Druck von Stalling in Oldenburg) 1894. 8. 112 SS.
(Dissertation.)
Küntzel, G., Ueber die Verwaltung des Mafs- und Gewichtswesens in Deutsch-
land während des Mittelalters. Leipzig, Duncker & Humblot, 1894. 8. 33 SS. (Berliner
Dissertation.)
Württembergische Geschichtsquellen im Auftrage der Württembergischen
Kommission für Landesgeschichte herausgegeben von Dietrich Schäfer. Band I. Stutt-
gart, Kohlhammer, 1894. gr. 8. VIII— 443 SS. M. 6. (A. u. d. T. : Kolb, Chr. (Prof.),
Geschichtsquellen der Stadt Hall, Band I. Aus dem Inhalte : Johann Herolts Chronika.
(322 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
— Stadtschreiber Hermann Hoffmans Bauernkrieg um Schwäbisch-Hall. — Wolfgang
Kirschenessers, Pfarrheren zu Frickenhofen, Urgicht. — Colloquium militare 1544. —
Herolts Gült- und Zehentbüchlein über die Pfarr Reinsberg. — etc.)
Reveillere (Contre-amiral), La conquete de l'Ocean. Paris et Nancy, Berger-
Levrault & O , 1894. in-18 Jesus. XIII— 320 pag. fr. 3,50. (Table des matieres:
Civilisation mediterraneenne. — Civilisation atlantique. — Epoque ocdanique. — Colonies.
— Protectionnisme. — Paquebots. — L'Ocean. — etc.)
Thomas, G., En Egypte. Paris et Nancy, Berger-Levrault, 1894. gr. in-8.
174 pag. fr. 3,50. (Table des matieres : Thebes et les Pharaons. — Le Nil et la
Haute-Egypte. — Le Caire et Memphis. — etc.)
Edwards, H. S. , Old and new Paris: its history, its people , and its places.
Vol. II. London, Cassell, 1894. Roy.-8. 360 pp. 9/.—.
Handbook, the, of Jamaica for 1894: published by authority comprising historical,
Statistical and general information concerning the island. XIVth year of publication.
Compiled from official and other reliable records by S. P. Musson and T. Laurence
Roxburgh (of the Colonial Secretary's Office). London, E. Stanford, and Jamaica, Govern-
ment printing Office, 1894. gr. in-8. VII — 555; IX pp. With map of the island of
Jamaica, cloth. 8/. — .
3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung und Kolonisation.
Kandt, M. , Ueber den Ursprung des Staatsbahnsystems der Kolonie Victoria
(Australien). Göttingen 1894. 8. 53 SS. (Dissertation.)
Corre, A., L'ethnographie criminelle d'apres les observations et les statistiques
judiciaires recueillies dans les colonies francaises: Paris, C. Reinwald & C'e , 1894.
in-12 X— 521 pag. fr. 5.—.
Janssens, E. (inspecteur en chef de la division d'hygiene de la ville de Bruxelles),
Annuaire demographique et tableaux statistiques des causes de deces , dans la ville de
Bruxelles. 32e annee : 1893. Bruxelles, imprim. de ve J. Baertsoen, 1894. 8. 41 pag.
avec plan et diagramme en Chromolithographie.
Chadwick, J. O, Three years with Lobengula, and experiences in South Africa.
London, Cassell, 1894. 8. 156 pp. 3/.6.
Carrasco, G. (Ministro de agricultura etc.), La colonizaciön agrfcola de la provincia
de Sante-Fe. Cuadro general conteniendo el nombre, situaciön, extensiön, fecha y funda-
dor, de la colonias existentes hasta el 1° de Junio de 1893. Santa-Fe, imprenta „El
Progreso, 1893. Roy. in-8. 55 pp.
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
Abraham, F., Die neue Aera der Witwatersrand-Goldindustrie. Berlin, Simion,
1894. 8. 51 SS. Nebst einem authentischen Grubenfelderplan in Imp. obl.-folio. M. 2.
Bericht über das Veterinärwesen im Königreiche Sachsen für das Jahr 1893.
Jahrg. XXXVIII. Dresden, G. Sehönfeld, 1894. gr. 8. IV— 208 SS. M. 3,50.
Hollmann, Hans, Kurlands Agrarverhältnisse. Eine historisch-statistische Studie.
Riga, Hoerschelmann, 1894. gr. 8. 55 SS. mit Tabelle in 4.
Jahresbericht des Oberschlesischen Knappschaftsvereins für das Jahr 1893.
Kattowitz O/S., Druck von Gebr. Böhm, 1894. 4. 58 SS.
v. Kanitz-Podangen (Graf), Die Festsetzung der Mindestpreise für das aus-
ländische Getreide. Pr. Holland, Druck von H. Weberstädt, 1894. 8. 34 SS.
v. Koerber, A., Reform der Bodenverschuldung. Eine volkswirtschaftliche Studie.
Berlin, Gergonne & C*e , 1894. 8. 37 SS.
Sohnrey, H. (Herausgeber der Zeitschrift „Das Land"), Der Zug vom Lande
und die soziale Revolution. Leipzig, Werther, 1894. gr. 8. XVI — 138 SS. M. 3.—.
Benevent, B., Depoisement et reboisement dans les Basses-Pyrenees. Pau, impr.
Broise, 1894. in-18 Jesus. 30 pag.
Gourret, P. , Les pecheries et les poissons de la Mediterranee. (Provence.)
Paris, Bailliere, 1894. 12. Avec 109 figures. fr. 4. — .
Vintejoux, F. (prof.), Etüde sur le boisement de nos montagnes, considere au
point de vue de l'amelioration du climat et du regime des eaux. Tülle, impr. Crauffon,
1894. 8. 43 pag.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 623
Carrasco, G., La producciön y el consumo del azüear de la Repüblica Argen-
tina. Buenos Aires, imprenta de J. Peuser, 1894. 8. 76 pp y 3 cuadros graficos.
Pochini, L., Pollicultura moderna. Chiavari, tip. Chiavaiese, 1894. 8. fig. 56 pp.
(Contiene : Impianto — Riproduttori. — Riproduzione. — Alimentazione dei polü. —
Prodotti del pollaio. — )
5. Gewerbe und Industrie.
Handels- und Gewerbeadrefsbuch vom Königreich Sachsen. Nach amtlichen
Quellen herausgegeben von Th. Weber. Leipzig, Th. Weber, 1894 — 95. gr. 8. 396 SS.
geb. M. 10.—.
Jahresbericht der kgl. preufsischen Regierungs- und Gewerberäte und Bergbe-
hörden für 1893. Amtliche Ausgabe. Berlin, W. T. Bruer, 1894. gr. 8. XXXIX— 555 SS.
M. 7,95.
Marschall, F. (Kassel), Gegen die Konsumvereine, Offiziers- und Beamtenwaren-
häuser etc. im Sinne des Bauern-, Handels- und Gewerbestandes. Ein Mahnruf au die
Regierungen. Populär gehaltene volkswirtschaftliche Studie. 2. Aufl. Stuttgart,
Zahn & Seeger Nachfolger, 1894. gr. 8. 16 SS. M. 0,40
Müller, Hans, Die Leistungen des schweizerischen Arbeitersekretariats. 2. Aufl.
Basel, H. Müller, 1894. gr. 8. 32 SS. M. 0,50.
Rollfufs, J. (Sekretär der Handels- und Gewerbekammer zu Zittau), Die Innungen
im Bezirke der Handels- und Gewerbekammer zu Zittau im Jahre 1892. Im Auftrage
der Kammer bearbeitet und zusammengestellt. Zittau, Druck von R. Menzel, 1894. gr. 8.
29 SS.
Schwarz, H. , Adrefsbucb der Schweiz für Industrie, Handel und Gewerbe.
IL Ausgabe: 1894 — 95. Basserdorf und Zürich, H. Schwarz & 0 , 1894. gr. in-8.
1691 pp. geb. fr. 20.—.
Brun, J. L. (avocat ä la Cour d'appel de Lyon), Les marques de fabrique et de
commerce en droit francais, droit compare et droit international. Paris, Larose, 1895.
gr. in-8. XX — 456 pag. fr. 6. — . (Table des matieres : Droit francais : Conditions aux-
quelles doit repondre une marque. Effets de la marque. Perte de la marque. Droit
des e^rangers. Generalites sur les traites et les Conventions. — Droit compare : Allemagne.
Angleterre. Argentine. Autriche-Hongrie. Belgique. Bresil. Bulgare. Canada. Chili.
Danemark. Egypte. Espagne. Etats-Unis. Grece. Italie. Japon. Luxembourg. Pays-
Bas. Portugal. Roumanie Russie. Serbie. Suede et Norvege. Suisse. Tunisie. Turquie.
Uruguay. Venezuela. — Droit international: 1. Nature de la propriet^ des marques.
Naissance et perte de la marque. Effets de la marque. 2. Union internationale de la
propriete' industrielle: Convention du 20 mars. Conference de Rome, 29 avril — 11 mai
1886. Conference de Madrid, 1 ä 14 avril 1890. Protocole determinant l'interpretation
et l'application de la Convention conclue ä Paris le mars 1883. —
Fauconnet, R. (membre de la del^gation ouvriere ä l'Exposition internat. de
Chicago), L'employe aux Etats-Unis, rapport ou gouvernement francais. Rouen, impr.
Cogniard, 1894. 8. 55 pag.
Loppe, F. et R. Bouquet (ingenieurs des arts et manufactures), Traite theorique
et pratique des courants alternatifs industriels. 1er volume. Partie theorique. Paris,
Bernard & Cie , 1894. 8. VIII -280 pag. avec figur. fr. 10 —
duMaroussem, P. , Fermiers montagnards, du Haut-Forez (Loire, France),
ouvriers-chefs de metier , dans le Systeme des engagements momentanes, d'apres les
renseignements recueillis sur les lieux, en aoüt 1892 et aoüt 1893. Paris, Firmin-
Didot & Cje , 1894. gr. in-8. fr. 2. — . (Les ouvriers des deux mondes, publies par la
Societd d'economie sociale, IIe serie, 35e fascicule.)
Annual report, VIII«* , of the Factory Inspector of the State of New York,
Albany, J. B. Lyon printed, 1894. gr. in-8. 828 pp. with plates. (Transmitted to
the legislatury January 31, 1894.)
Calendar of the patent rolls preserved in the Public Record Office. . . . Ed-
ward III. a. D. 1330 — 1334. London, Eyre & Spottiswoode, 1893. 8.
Moli na, R., Esplodenti e modo di fabbricarli. Milans, U. Hoepli edit., 1894. 16.
XX — 300 pp. (Contiene: I. Delle materie prime : Del salnitrio. — Dello zolfo. — Del
carbone. — II. Fabbricazione della polvere : Dosamenti. — Triturazione. — Lavorazioni
successive della polvere da fuoco. — III. Esplodenti speciali e proprietä delle polveri da
fuoco. — IV. I nuovi esplodenti.)
(324 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
6. Handel und Verkehr.
Bericht über Handel und Industrie von Berlin nebst einer Uebersicht über die
Wirksamkeit des Aeltestenkollegiums im Jahre 1893, erstattet von den Aeltesten der
Kaufmannschaft von Berlin. Berlin, Druck von A. Hausmann, 1894. Folio. V — 294 SS.
Bericht, LXIII., der beiden Verwaltungskörper der Ludwigs-Eisenbahngesellschaft
in Nürnberg. Nürnberg, Druck von Stich, 1894 gr. 4. 40 SS. (Die Rechenschaft
über die Geschäftsführung im Jahre 1893 und die Verhandlungen der Generalversamm-
lung vom 1. Febr. 1894 enthaltend.)
Geschäftsbericht, XXII., der Direktion und des Verwaltungsrates der Gott-
hardbahn, umfassend das Jahr 1893. Luzern, Buchdruckerei Keller, 1894. 4. 92; 35;
6; 12; 10 SS. aus graphischen Darstellungen.
Handelskammer zu Kolmar i/Els. Geschäftsbericht für das Jahr 1893/94.
Kolmar, Buchdruckerei Eglinsdörfer & Waldmeyer, 1894. Lex. -8. 82 SS.
Jahresbericht, XXII., über die Verwaltung der Breslau- Warschauer Eisen-
bahn (preufsische Abteilung) für das Jahr 1893. Breslau, R. Nischkowsky, 1894. 4.
38 SS. M. 1.—.
Jahresbericht der Handelskammer zu Bochum für das Jahr 1893. Bochum,
Druck von Hoppstädter & C°, 1894. folio. 67 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Erfurt für das Jahr 1893. Erfurt,
Ohlenroth'sche Buchdruckerei, 1894. Folio. 27 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für den Kreis Essen, 1893. Teil II. Essen,
1894. Folio. 45 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Kassel für 1893. Kassel, Druck von
W. Schlemming, 1894. Folio. VIII— 98 SS.
Jahresbericht, XXXIX., der Handelskammer für den Regierungsbezirk Münster
für 1893. Münster i. W., Buchdruckerei von J. Bredt, 1894. gr. 8. 158— XCI und
7 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Osnabrück über das Jahr 1893 Osna-
brück; Kislings Buchdruckerei, 1894. 8. VIII — 281 SS. mit tabellarischen Beilagen.
Jahresbericht der Handelskammer für Ostfriesland und Papenburg für das
Jahr 1893. Teil I. Leer, Druck von W. J. Leendertz, 1894. Folio 18 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Strafsburg i. E. für das Jahr 1893.
Strafsburg i. E., Strafsburger Druckerei und Verlagsanstalt, 1894. Folio. 92 SS.
Jahresbericht der grofsherz. hessischen Handelskammer zu Worms für die
Jahre 1892 und 1893. Worms, Buchdruckerei E. Kranzbühler, 1894. gr. 8. 194 SS.
Jahresbericht der Handels- und Gewerbekammer zu Zittau für 1893. Zittau,
Druck von R. Menzel, 1894. gr. 8. XII— 304 SS.
Jahresbericht der Zentralkommission für die Rheinschiffahrt, 1893. München,
Druck von F. Straub. 4. IV — 97; 10; 52 SS. nebst 26 Blatt graphischer Darstellungen
der Wasserstandsbewegung des Rheins während des Jahres 1893 an den Pegeln zu
Maxau, Mannheim, Mainz, Bingen, Koblenz, Köln, Ruhrort, Nymwegen und Arnheim.
(Inhalt : Verhältnis des Fahrwassers. — Anstalten und Einrichtungen zur Erleichterung
und Sicherung der Schiffahrt. — Schiffahrt- und Flofspolizei. — Statistik der Schiffahrt
und Flöfserei. — etc.)
Koch, W., Handbuch für den Eisenbahngüterverkehr. I. Eisenbahnstatiousver-
zeichnis der dem Vereine deutscher Eisenbahnverwaltungen angehörigen, sowie der übrigen
im Betriebe oder Bau befindlichen Eisenbahnen Europas (mit Ausnahme der Eisenbahnen
Grofsbritanniens). 25. Auflage. Berlin, Barthol & Cüe , 1894. Lex.-8. XVI— 518 SS.
M. 8 .— .
Mitteilungen, statistische, zum 22. Jahresbericht der Handelskammer für den
Kreis Mülheim a. Rhein 1893. Mülheim a. Rh. 1894. gr. 8
Protokoll der am 25. IV. 1894 in Teplitz abgehaltenen XXXVI. ordentlichen
Generalversammlung samt Geschäftsbericht der k. k. priv. Aussig-Teplitzer-Eisenbahn-
gesellschaft. Rechnungsbeilagen und Statistik für das Jahr 1893. Teplitz, Druck von
O. Weigend, 1894. gr. 4. Mit 11 Tabellen statistischer Anlagen.
Protokoll der XXVII. (ordentlichen) Generalversammlung der Aktionäre der k. k.
privil. Oesterreichischen Nordwestbahu, abgehalten zu Wien am 25. Mai 1894. Wien,
Selbstverlag der Gesellschaft, 1894. gr. 4. 91 SS. und statistische Beilagen. 55 u.
49 SS., darunter 11 Blatt farbige graphische Darstellungen.
Protokoll der XLII. (ordentlichen) Generalversammlung der Aktionäre der k. k.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. g25
priv. Süd-Norddeutschen Verbindungsbahn, abgehalten zu Wien am 26. V. 1894. Wien,
Selbstverlag der Gesellschaft, 1894. gr. 4. 8 ; 63 und (statistische Beilagen) 25 SS.
Schwarze, W. (AGerR ), Zur Abänderung der Konkursordnung. Vorschläge für die
ehrliche Geschäftswelt. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1894. gr. 8. 62 SS. M. 1 .— .
Wermert, G., Pro memoria. 2 Vorträge: 1. Betrachtungen über die agrarischen
Angriffe auf den Handelsstand und die Handelsvertragspolitik der Reichsregierung ;
2. Ueber die Nordseeiusel Helgoland und ihre Bedeutung für das Deutsche Reich Halle,
Kaemmerer & C°, 1894. gr. 8. 130 SS. mit statistischen Tafeln. M. 1,50.
Annuaire 1894 de l'Union des syndicats du commerce et de l'industrie. Paris,
imprim. Leve, 1894. in-18 j^sus. 68 pag.
Compte rendu des travaux de la chambre syndicale de la Societ6 pour la defense
du commerce de Marseille pendant l'annee 1893. Marseille, impr. Barlatier & Barthelet,
1894. 4. 228 pag.
Poor, H. V. and H. W., Manual of the railroads of the United States for 1894.
XXVllth annual number. New York , Effingham Wilson , 1894. gr. in-8. 126; XVI;
1390; 135 pp. with 20 railroad maps of the U. States, cloth. 42/ — . (Contents: Route
and mileage ; Stocks, bonds, debts, cost, traffic, earnings, expenses and dividends of the
railroads of the U. States; their organizations, directors, officers, etc., — A füll analysis
of the debts of the U. States, the several States and the chief counties, municipalities etc.
of the country. — Statements of street railway and traction companies, miscellaneous
corporations, etc. — )
Report by the Board of Trade upon all the railway, canal, tramway, gas, and
water bills and provisional Orders of session 1894. London, printed by Eyre & Spottis-
woode, 1894. folio. 43 pp.
Movimento commerciale del Regno d'Italia nell' anno 1893. Roma, tipogr.
nazionale di G. Bertero, 1894. gr. in-4. XI — 387 pp. (Pubblicazione del Ministero
delle finanze, Direzione generale delle gabelle, Ufficio centrale di revisione e di statistica.
Indice : Parte la: Tavole riassuntive. — Parte 2a: Tavole analitiche. — Appendice :
Movimento commerciale della dogana di Massaua. — )
Movimento della navigazione nei porti del Regno nell' anno 1893. Roma, tipogr.
nazionale di G. Bertero, 1894. XI — 359 pp. gr. in-4. (Pubblicazione del Ministero
delle önanze, Direzione generale delle gabelle. Contiene : Movimento della navigazione
per operazioni di commercio nei dodici porti principali. — Movimento della navigazione
in tutti i porti del Regno : Movimento dei battelli per la grande pesca. — Movimento
generale della navigazione in tutti i porti del Regno, ripartito per i sei grandi tratti del
literale: Ligure, Tirreno, Jonio, Adriatico, Sardo e Siculo. — Movimento dei battelli
partiti per la grande pesca: tasse e diritti marittimi. Movimento della navigazione nei
porto di Massaua.)
Verslag over den toestand van handel, scheepvaart en nijverheid te Amsterdam
in 18S3. Amsterdam, Joh. Müller, 1894. gr. 8. 8 en 368 blz. met 2 platen en 1 tab.
fl. 2,50. (Opgemaakt door de Kamer van koophandel en fabrieken aldaar.)
7. Finanzwesen.
Geyer, H. (RegAssess.) , Soll ich eine Vermögensanzeige abgeben? Kurze Zu-
sammenstellung der wichtigsten Bestimmungen des Ergänzungssteuergesetzes und der dazu
erlassenen Anweisungen des Finanzministers. Hannover, Hahn, 1894. gr. 8. 56 SS.
M. 0,80.
Lan g- (Zürich), O., Alkoholmonopol und Alkoholzehntel. Zürich, E. Speidel, 1894.
8. 31 SS. M. 0,40.
Nach weisung der Rechnungsergebnisse von den Etatsjahren 1. IV. 1890 — 31. III.
1892 und 1. IV. 1892— 31. III. 1893 des Königsreichs Württemberg. 2 Teile. Stutt-
gart 1894. 4. 712 SS.
Nöll, F. (GehORegR.) , Das Kommunalabgabengesetz vom 14. Juli 1893 nebst
Ausführungsanweisung und Uebergangsbestimmungen vom 10. Mai 1894 mit Erläuterungen.
Berlin, Heymann, 1894. gr. 8. 405 SS. gen. M. 9.—.
Wetterhausen. W., Die direkten Landessteuern im Grofsherzogtum Mecklenburg-
Schwerin seit dem landesgrundgesetzlichen Erbvergleich vom 18. April 1755. Marburg
(Druck der Sandmeyerschen Hofbuchdr. in Schwerin) 1894. 8. 119 SS. (Dissertation.)
Dritte Folge Bd. VIII (LXIII). 40
626 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutsehlands und des Auslandes.
Annuaire general des finances publie d'apres les documents officiels sous les
auspices du Ministere des finances. 5« annSe : 1894 — 95. Paris, Berger-Levrault & Cie,
1894. gr. in-8. 480 pag. avec de nombreaux tableaux. fr. 6. — .
Roche, J., L'impöt general sur le reveuu. Discours prononce ä la Chambre de
deputes le 9 juillet 1894. Paris, Flammarion, 1894. in-18 Jesus. 52 pag.
Lely, J. M., Finance Act, 1894. With notes and index and an introduction
specially directed to the death duties. London, Sweet & M., 1894. Roy.-8. 1/. — .
Fazi, F., Le finanze comunali e i provvedimenti proposti dal governo: relazione
della commissione terza , presentata al IV congresso dei sindaci e dei rappresentanti i
comuni e le provincie italiane in Roma. Foligno, tip. cooperativa, 1894. 4. 30 pp-
Girczy, C. (ingegn.) e M. Marini, La perequazione dell' imposta fondiaria ed
il nuovo catasto in Italia Milano, Porati edit., 1894. 8. XVI— 367 pp. con due tavole.
1. 5.—.
Relazione della direzione generale delle imposte dirette e dei catasto per l'eser-
cizio finanziario 1892 — 93. Roma, tip. nazionale di G. Bertero, 1894. 4. 161 pp.
Rubin, Marcus (Chef for Stadens statistiske Kontor), Indkomstforholdene i K/aben-
havn. Kobenhavn, Thieles Bogtrykkeri, 1894. Roy. in-8. 63 pp. (Kebenhavns Kom-
munes Indtaegter og Udgifter etc.)
Cuenta jeneral de las entradas y gastos fiscales de la Republica de Chile. 2 vols.
Santiago de Chile, impr. nacional, 1893. gr. in-8. — Documents de la Cuenta jeneral
de entradas y gastos. Ibidem 1893. gr. in-4.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Adami, J. II., Nicht Bimetallismus sondern Kombinationswährung. Berlin, Putt-
kammer & Mühlbrecht, 1894. 8. 31 SS. M. 0,60.
Bahr, O. (ReichsgerR. a. D.), Das Börsenspiel nach den Protokollen der Börsen-
kommission. Leipzig, Grunow, 1894. 8. 91 SS. M. 1. — .
Bericht über den Geschäftsbetrieb der Hessischen Brandversicherungsanstalt vom
Jahre 1893. Kassel 1894. 4. 127 SS. (Beilage zum Amtsblatt der k. Regierung zu
Kassel.)
Bern dt, R. (Direktor der Magdeburger Feuerversicherungsgesellschaft), Die
Magdeburger Feuerversicherungsgesellschaft im Spiegel einer 50-jährigen Vergangenheit.
Der Gesellschaft gewidmet zu ihrem Jubiläum am 2. Sept. 1894. Magdeburg, Haenelsche
Hofbuchdruckerei, 1894. gr. 8. 156 SS. u. 68 SS. Anlagen, geb.
Bulling, C. (GehJustR.), Die Wirksamkeit der Goldklausel nachgewiesen. Berlin,
Rosenbaum & Hart, 1894. 8. 75 SS. M. 1,50.
Heyn, O. (Hamburgischer AmtsR. a. D), Der indische Silberzoll und die Hebung
des Rubienkurses in ihrer Bedeutung für Europa. Berlin , Puttkammer & Mühlbrecht,
1894. 8. 43 SS. M. 1.—.
Raschke, R. (Assess. bei der Versicherungsanst. für das KR. Sachsen), Bekannt-
machung des Reichskanzlers, betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung von Haus-
gewerbtreibenden der Textilindustrie, vom l. März 1894. Erläutert von Raschke. Leipzig,
A. Berger, 1894. 8. 100 SS. M. 1,60.
Schenck, F. (Verbandsanwalt der deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossen-
schaften), Jahresbericht für 1893 über die auf Selbsthilfe gegründeten deutschen Erwerbs-
und Wirtschaftsgenossenschaften. Leipzig, J. Klinkhardt, 1894. Imp. -Folio. XIX — 140 SS.
M. 9.—.
Stall, B., Internationales Gold — nationales Silber. Berlin, Deutsche Zeitungs-
verlagsanstalt, 1894. gr. 8. 32 SS. M. 1. — . (Aus dem Inhalte: Goldnot und Gold-
überflufs. — Vorschläge und Prüfung derselben zur Befestigung und Hebung des Silber-
wertes.)
Verhandlungen der internationalen bimetallistischen Konferenz in London, ver-
anstaltet von der englischen Bimetallistenliga .... unter Vorsitz des Lord-Mayor am
2. u. 3. Mai 1894. Berlin, H. Walther, 1894. 8. 120 SS. M. 1.—. (A. u. d. T. :
Schriften des Deutschen Vereins für internationale Doppelwährung Heft 19.)
Verwaltungsbericht der Invaliditäts- und Altersversicherungsanstalt Berlin
für das Rechnungsjahr 1893. Berlin, Druck von A. Knickmeyer, 1894. gr. 4. 40 SS.
Bamberger, L., Le metal argent ä la fin du XIXe siecle. Traduit par Raphael-
G. Levy. Paris, Guillaumin & Cie, 1894. 8. XIII— 353 pag., toile. fr. 8.—.
Bressolles, P., Liquidation de la Compagnie de Panama. Commentaire theorique
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 627
et pratique de la loi du 1« juillet 1893. Paris, A. Rousseau, 1894. in-18 Jesus.
IV— 188 pag.
Compte rendu des Operations et de la Situation de la caisse generale d'epargue
et de retraite, acnee 1893. Bruxelles, imprim E. Bruylant, 1894. Folio. 84 — XVIII pag.
Levy, R. G., Mdlanges finauciers. Paris, Hachette &. C'i« , 1894. in-18 ji'sus
IX — 316 pag. fr. 3,50. (Table des matieres : La speculatiou et la banque. L'avenir des
metaux precieux. — Le change. — Le billet de banque: Europe. Asie. Afrique. Arne-
rique du Nord. Amerique centrale et meridionale. Oeeanie. — )
Mahillon, A, ConsideVations pratique» sur l'examen medical en matiere d'assu-
rances sur la vie. Paris, H. Laniertin, 1894. 8. 48 pag. et 2 tableaux. fr. 2,50.
Kiddy, J. G., Tbe couutry bankers' handbook to the rules and practice of, Ist,
tbe Bank of England; 2»d, the London bankers' Clearing House ; 3nd, the stock exchange.
London, Waterlow, 1894. crowu-8. 120 pp. 2/.6.
9. Soziale Frage.
Dabn, C. (Prof.), Ein Sozialstaat der Wirklichkeit. Dem deutschen Volke zu
Schutz und Frommen gewidmet. Braunschweig, Appelhans & Pfenningstorff, 1894. gr. 8.
50 SS. M. 0,60.
G ü m b e 1 (Vorsitzender des evangel. Arbeitervereins Speier), Der rechte evangelische
Arbeiter. Vortrag. Aus den Verhandlungen der VII. Generalversammlung des Evang.
Bundes zu Bochum, 6.-9. August 1894. Leipzig, C. Braun, 1894. 8 9 SS. M. 0,15.
(Flugschriften des evangelischen Vereins, Heft 93.)
Mar, Hans, Ueber die Verwahrlosung der Jugend auf dem Lande. Wien, A. Siegl,
1894. gr. 8. 47 SS. M. 0,80.
Not, die, des vierten Standes. Von einem Arzte. Leipzig, F. W. Grunow, 1894.
gr. 8. VIII — 248 SS. M. 2. — . (Inhalt: Die Lebensverhältnisse der Arbeiter. — Die
Ursachen der Krankheiten. — Die Strafgesetze und der vierte Stand. — Der vierte
Stand und die herrschenden Klassen. — Die Sozialdemokratie. — )
Rincklake, A. (Prof.), Erlösung aus sozialer Not ! ! Durchführbares Lohngesetz !
Berlin, W. Homborg, 1894. gr. 8. 32 SS. M. 0,50.
Schäppi, J. (NationalR), Das Recht auf Arbeit und der Kampf gegen die Arbeits-
losigkeit. Eine eingehende Beleuchtung des Initiativbegehrens. 2. Aufl. Zürich, Speidel,
1894. 8. 39 SS. M. 0,50.
Tob ler, H., Die Grenzgebiete zwischen Notstand und Notwehr. Eine kriminalistische
Studie. Zürich, E. Speidel, 1894. 8. 160 SS. M. 3.—.
Cheysson, E., Le budget de la prevoyance ouvriere, communication faite le 4
mars 1894, ä l'assemblee generale de la Societe francaise des habitations ä bon marchö.
Paris, Chaix, 1894. 8. 16 pag.
Drage, G., Eton and the labour question: an address delivered at Eton College on
May 26, 1894. London, Simpkin, 1894. crown-8. 37 pp. 1/. — .
Stead, W. T., Chicago to-day; or, the labour war in America. London, „Review
of Reviews' Office", 1894. 8. 294 pp. 1/.—.
Boeri, A. (canon.), II socialismo : conferenza tenuta al circolo cattolico di Mon-
dovi 1' 11 marzo 1894. Mondovi, tip. C. A. Fracchia, 1894. 16. 30 pp.
10. Gesetzgebung.
A r a k i , T. (aus Japan), Japanisches Eheschliefsungsrecht. Eine historisch-kritische
Studie. Göttingen, Druck von W. F. Kästner, 1894. 8. 53 SS. (Dissertation.)
Badstübner, P. (AmtsR.), Der Waisenrat als Hilfsorgan des Vormundschafts-
richters und seine Mitwirkung in Erziehungsangelegenheiten. Nach den heutigen gesetz-
lichen Bestimmungen und mit Rücksicht auf seine Organisation kritisch beleuchtet.
Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1894. 8. VI— 57 SS. M. 2.—.
Bolze, A. (ReichsGerR.), Die Praxis des Reichsgerichts in Civilsachen. Band XVII.
Leipzig, Brockhaus, 1894. gr. 8. XI— 464 SS. M. 6.—.
Coulon, C, Ueber das gesetzliche Pfandrecht des Bestandgebers. Eine civilistische
Studie. Wien, Manz, 1894. 12. III— 72 SS. M. 1.—.
Gesetz, das, zum Schutz der Warenbezeichnungen vom 12. Mai 1894 mit den
Ausführungsbestimmuugcn, Erläuterungen und Formularen zur Anmeldung. Berlin, Stan-
kiewicz' Buchdruckerei, 1894. 8. 43 SS. M. 1.—.
40*
628 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Gl um, R., Ueber die Gefahr beim Trödelvertrage nach römischem Rechte. Berlin,
Druck von Preufs, 1893. 8. 78 SS. (Dissertation.)
Göppert, H. (KammerGRef.) , Zur rechtlichen Natur der Personenbeförderung
auf Eisenbahnen. Berlin, Buchdruckerei von G. Schade, 1894. 8. gr. 8. 93 SS.
(Dissertation.)
Herbst, R. (Referendar), Die Beschimpfung Verstorbener. Braunschweig, Druck
von Appelhans & Pfenuingstorff, 1894. 8. 45 SS. (Göttinger juristische Dissertation.)
Jacobson, R. (Rechtsanw., Hamburg), Gesetz zum Schutz der Warenbezeichnungen
vom 12. Mai 1894 mit Ausführungsbestimmungen, erläuternden Anmerk. etc. Berlin,
Vahlen, 1894. 16. 55 SS. M. 0,80.
Olshausen, J. (RGerR.), Die Reichsgesetze betreffend das geistige Eigentum.
Textausgabe mit Anmerkungen und Sachregister. Berlin, Vahlen, 1894. 16. 103 SS.
kart. M. 0,80. (A. u. d. T. : Strafgesetzgebung des Deutschen Reichs, Bd. III.)
Ar nette, R. (avocat k la Cour d'appel), Droit romain : De la condition des en-
fants nes hors des justes noces ; droit public: la Iiberte de reunion en France, son histoire
et sa legislation (these). Orleans, impr. Morand, 1894- 8 250 — IV pag.
Caillaud, F., Droit romain: Des garanties accordees aux pupilles contre la gestion
des tuteurs ; droit francais : Des mesures de protection des mineurs et des interdits en
droit international, etude sur les conflits de lois (these). Orleans, impr. Morand, 1894.
8. 308 pag.
Houyvet, A., Les tribunaux de commerce. Paris, Berger-Levrault, 1894. 8.
VI— 183 pag. fr. 3,50.
I s a u r e-T o u 1 o u s e (avocat) , Manuel des droits de timbre , d'enregistrement et
d'hypotheques. 3 parties. Paris, Flammarion, 1894. 12. fr. 3. — .
Thiebaut, L. (avocat ä la Cour d'appel de Paris), De la responsabilite des pro-
prietaires de navires et des armateurs, et des divers temperaments qui y peuvent etre
apportes tant aux termes de la loi elle-meme qu'ä l'aide de Conventions (article 216 du
Code de commerce). Paris, Rousseau, 1894. 8. VIII — 296 pag.
Bruno, T. (avvocato), La condizione giuridica della donna nella legislazione italiana :
studio teorico-pratico. Firenze, G. Barbera edit., 1894. 16. VIII — 199 pag. 1. 2. — .
(Contiene : I. Parte storica. — II. La donna nel diritto privato : La donna prima del
matrimonio. — La donna durante il matrimonio. — La donna dopo il matrimonio. —
III. La donna nel diritto pubblico : Generalitä. — La donna nel diritto penale. — La
donna nel diritto amministrativo e nel costituzionale. — )
11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Angerburg. Kreishaushaltsetat des Kreises Angerburg für die Zeit vom 1. April
1894 bis 31. März 1895. Angerburg, gedruckt bei H. Priddat, 1894. Folio. 16 SS.
Bericht des Provinzialausschusses der Rhejnprovinz über die Ergebnisse der Pro-
vinzialverwaltung, Etatsjahr vom 1. IV. 1892 bis 31. III. 1893. Düsseldorf, Druck von
Vofs & Cie , 1894. 4. IX— 238 SS.
Bericht über die Verwaltung des Armenwesens der Stadt Köln a/Rh. für den
Zeitraum vom 1. April 1893 bis 31. März 1894. Köln, Druck von Ph. Gehly, 1894.
4. 66 SS.
Dragendorff, E., Ueber die Beamten des Deutschen Ordens in Livland während
des XIII. Jahrhunderts. Berlin, Druck von Goedecke & Gallinek, 1894. 8. 97 SS.
(Dissertation.)
D u n a n t , A., Die direkte Volksgesetzgebung in der schweizerischen Eidgenossen-
schaft und ihren Kantonen. Heidelberg, Hörning, 1894. gr. 8. IV — 82 SS. M. 2. — .
(Dissertation.)
Entscheidungen des Bundesamtes für das Heimatwesen. Im amtlichen Auf-
trage bearbeitet und herausgegeben von J. Krech (k. geh. RegR.). Heft 26, enthaltend
die seit dem 1. September 1893 bis zum 1. Sept. 1894 ergangenen wichtigeren Ent-
scheidungen. Berlin, F. Vahlen, 1894. 8. VIII— 188 SS. M. 2.—.
E 1 b i n g, Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten um-
fassend den Zeitraum für das Verwaltungsjahr 1893/94. Elbing, Druck von R. Kühn,
1894. 4. 82 SS. — Kämmereihauptetat der Stadt Elbing für 1. April 1894/95. Edb.
1894. 4. 180 SS.
Grols-Glogau. Bericht über Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten der Stadt
Grofs-Glogau für das Jahr 1893. Glogau, Druck von C. Flemming, 1894. 4. 32 SS.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. ß29
Königsberg. Entwurf zum Stadthaushalt von Königsberg für das Rechnungs-
jahr 1. IV. 1894/95. Königsberg, Druck von Hausbrand's Nachfolger, 1894. 4.
301 SS.
Laband, P., Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. 2. Aufl. Preiburg i/B.,
Mohr, 1894. Roy. -8 IV— 276 SS. M. 7,50. (A. u. d. T. : Handbuch des Oeffentlichen
Rechts, hrsg. v. H. v. Marquardsen und M. v. Seydel, II, 1 )
Merseburg. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten
der Stadt Merseburg für das Jahr 1893/94. Merseburg, Druck von Th. Röfsner, 1894.
4. 35 SS.
Mühlhausen i. Thür. Haushaltsplan für die Verwaltung der Stadt Mühlhausen
i. Thür. auf das Jahr vom 1. IV. 1894 bis Ende März 1895. Mühlhausen, Druck von
G. Danner, 1894. 4. 47; 10 und 4 SS.
Schönebeck. Bericht über Stand und Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten
der Stadt Schönebeck für das Jahr 1893. Schönebeck, Buchdruckerei Th. Wulfert, 1894.
4. 38 SS.
Thätigkeit, die, des preufsischen Abgeordnetenhauses in der XIX. Legislatur-
periode, I. Session: 1894. Im Auftrage der Nationalliberalen Partei dargestellt. Berlin,
Puttkammer & Mühlbrecht, 1894. gr. 8. IV— 179 SS. M. 1.—.
Trier. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten der
Stadt Trier für das Rechnungsjahr 1893/94 nebst Haushaltsetat pro 1894/95. Trier,
Lintz'sche Buchdruckerei, 1894. 4. 60 SS.
Verhandlungen des XXXVIII. Rheinischen Provinziallandtags vom 27. Mai
bis 2. Juni 1894. Düsseldorf, Druck von Vofs & fjie, 1894. 4. IX— 238 SS. Nebst
der Anlage: Stenographischer Bericht über die Verhandlungen des XXXVIII. Reinischen
Provinziallandtags. Ebd. 1894. IX— 222 SS.
Verhandlungen des XXVIII. Kommunallandtags des Regierungsbezirks Wies-
baden vom 17. IV. bis 28. IV. 1894. Wiesbaden, Druck von C. Ritter, 1894. 4.
XII— 386 SS.
Verwaltungsbericht des Kreises Angerburg für 1893/94. Angerburg, gedruckt
bei H. Priddat, 1894. Folio. 18 SS.
Wygodzinski, W. , Ueber altwürttembergische Gemeindegüterpolitik. Berlin,
Druck von Preufs, 1894. 8. 38 SS. (Dissertation.)
i
Biseuil, Les derniers jours du Parlement de Navarre. Pau, impr. Emperanger,
1893. 8. 30 pag.
Hurson, R., Etüde sur une reorganisation du notariat en France. Paris, Cheva-
lier-Marescq & 0 , 1894. 8. IX — 124 pag. fr. 2.—.
Vers lag van den toestand der gemeente Rotterdam over het jaar 1893. Rotter-
dam, van Waesberge & Zoon, 1894. 8. 331 bzl. en 30 bijlagen, 500 blz.
Memorando al governo italiano per la durevole pacificazione della Sicilia.
Palermo, libr. C. Clausen, 1894. 8. 40 pp.
12. Statistik.
Deutsches Reich.
Konkursstatistik für die Jahre 1891 und 1892. Drittes Vier-
teljahrsheft zur Statistik des Deutschen Reiches. Herausgegeben vom
Kaiserlichen statistischen Amt, Jahrgang 1893. Berlin 1893.
In Band 2 der III. Folge (Jahrgang 1891) dieser Jahrbücher haben
wir die Ergebnisse der Konkursstatistik der wichtigeren Kulturländer
einer eingehenden Besprechung unterzogen. Dabei ergab sich, dafs die
amtliche deutsche Statistik auf diesem Gebiete hinter den Leistungen
fremder Staaten im ganzen zurückgeblieben war. Die Reichsjustizstatistik,
welche u. a. auch über die Konkurse fortlaufende Mitteilungen bringt,
geht über den Rahmen einer blofsen Geschäftsstatistik nicht hinaus, und
wird mit ihren Angaben über die Zahl der alljährlich eröffneten, be-
endigten und schwebenden Verfahren der wichtigen volkswirtschaftlichen
630 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Seite der Konkursstatisik in keiner Weise gerecht. "Wir lassen dahinge-
stellt, ob einer Erweiterung der Justizstatistik nach dieser Richtung hin
unüberwindliche Schwierigkeiten im Wege stehen mochten. Jedenfalls
ist es sehr erfreulich, dafs inzwischen das Kaiserliche statistische Amt
sich entschlossen hat, durch eine auf eigener Grundlage aufgebaute
Statistik der Konkurse jene Lücke nach Möglichkeit auszufüllen. Es
verwertet zu diesem Zwecke die im deutschen Reichsauzeiger regelmäfsig
erscheinenden Veröffentlichungen über die Eröffnungs-, Aufhebuugs- und
Einstellungsbeschlüsse der Konkursgerichte, welche übrigens früher schon
von privater Seite (s. diese Jahrb., N. F. Band IX, X und XI) mit Er-
folg zu statistischen Zusammenstellungen benutzt wurden. Auch in
sonstiger Hinsicht weicht die neue Ermittelung von der justizstatistischen
Erhebung ab, so dafs die beiderseitigen Ergebnisse nicht ohne weiteres
vergleichbar sind.
Ihren ausgesprochenen Zweck, als Material für die sozialwissenschaft-
liche Forschung zu dienen, erfüllt die vorliegende Statistik insofern, als
die Konkurse getrennt nach der Berufs- und Gewerbsaugehörigkeit der
Gemeinschuldner, und zwar im Anschlufs an die Gruppierung der deut-
schen Berufs- und Gewerbestatistik nachgewiesen werden, und als ferner
nicht, wie bei der Justizstatistik, die Gerichtsbezirke, sondern, entsprechend
dem Verfahren bei der sonstigen amtlichen Sozial- und Wirtschafts-
statistik, die politischen Verwaltungsbezirke der Staaten der örtlichen
Verteilung zu Grunde gelegt sind. Im übrigen erstrecken sich die Nach-
weise auf die eröffneten Konkurse (auch nach den Monaten der Eröffnung),
die beendeten Konkurse (auch nach Dauer und Art der Beendigung) und
die schwebenden Konkurse ; diejenigen der Handelsgesellschaften und Ge-
nossenschaften werden noch besonders nachgewiesen. Durch Kombination
jener verschiedenen Gesichtspunkte entsteht ein reichgegliedertes Material,
welches jetzt zum ersten Male für die Jahre 1891 und 1892 vorliegt.
Die eingehende Bearbeitung desselben aus der Feder des Gerichtsassessors
Dr. Klein wird allen Anforderungen gerecht, welche man in formaler
und materieller Hinsicht an eine solche stellen mufs. Recht brauchbar
wird diese Statistik freilich erst dann werden, wenn die Ergebnisse einer
längeren Reihe von Jähen vorliegen und namentlich auch eine neue Be-
rufszählung das Material für weitere Vergleichungen geboten hat. Zu
bedauern bleibt immer, dafs die Grundlagen der Statistik, die Bekannt-
machungen im Reichsanzeiger, keine Aussicht, darauf eröffnen, dafs im
weiteren Verlaufe der Erhebungen nach dem Vorgange der aufserdeutschen
Konkursstatistiken auch die finanzielle Seite der Konkurse, nämlich die
Gröfse der Aktiva und Passiva, die zur Verteilung gelangten Dividenden,
die Kosten des Verfahrens u. s. w. angemessene Berücksichtigung finden
werden. Jedenfalls aber reiht sich die vorliegende Arbeit in ihrer Anlage
wie in ihrer Durchführung den sonstigen vortrefflichen Leistungen des
Kaiserlichen statistischen Amtes würdig an.
Köln. Dr. A. Wirminghaus.
Auszug, statistischer, und verschiedene Nachweise in bezug auf Hamburgs Handels-
zustände im Jahre 1893. Hamburg, Druck von Ackermann & Wulff, 1894. 4. 61 SS.
(Herausgegeben von der Handelskammer in Hamburg.)
Uebersicbt über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. (531
Beiträge zur Statistik Mecklenburgs. Vom grofsherz. statistischen Bureau zu
Schwerin. Band XII, Heft 3, 1. Abteilung. Schwerin, Bärensprung'sche Hof buch-
druckerei, 1894. Roy. -4. 12 SS. mit Karte in qu.-folio. (Inhalt: Die Flächenverhält-
nisse der mecklenburgischen Flufsgebiete, von W. Peltz (Distriktsingenieur zu Grabow).
Bericht, statistischer, über den Betrieb der unter königlich sächsischer Staatsver-
waltung stehenden Staats- und Privateisenbahnen mit Nachrichten über Eisenbahnneubau
im Jahre 1893. Dresden, Druck von Heinrich, 1894. 4. VIII —319 SS. Mit üeber-
sichtskarte vom Bahnnetz und 2 graphischen Darstellungen. Hierzu die Beilage : Nach-
weis trag der am Schlüsse des Jahres 1893 hei den unter k. sächs. Staatsverwaltung
stehenden Eisenbahnen vorhandenen Transportmittel etc. Ebd. 1894. 4. 101 SS.
Bericht des Medizinalrates über die medizinische Statistik des Hainburgischen
Staates für das Jahr 1893. Hamburg, Druck von J. C. H. Riiter, 1894. 4. 70 SS. mit
8 Abbildungen im Text und 8 Tafeln graphischer Darstellungen.
Conrad, J. (Prof.), Die Statistik der Universität Halle während der 200 Jahre
ihres Bestehens. Jena, G. Fischer, 1894. 4. M. 3. — . (Separatausgabe aus der Jubi-
läumsfestschrift.)
Ergebnisse der Zivil- und Strafrechtspflege und Bevölkerungsstand der Gerichts-
gefängnisse und Strafanstalten des Königreichs Bayern im Jahre 1892. München, Kaiser,
1894. gr. 4. XXXIV— 89 SS. M. 3.—.
Jahresbericht, medizinisch-statistischer, über die Stadt Stuttgart im Jahre 1893.
Jahrgang XXI. Herausgegeben vom Stuttgarter ärztlichen Verein. Redigiert von W.
Weinberg. Stuttgart, Metzler, 1894. 8. 98 SS. nebst Plan von Stuttgart.
Mitteilungen des statistischen Bureaus des herzoglichen Staatsministeriums zu
Gotha, Jahrgang 1894, Heft 1 und 2. Gotha, Druck der Engelhard-Reyher'schen Hof-
buchhdlg. 1894. gr. 4. 79 SS (Inhalt: Heft 1 : Statistische üebersicht über die Ver-
anlagung der Einkommen- und Klassensteuer im Herzogt. Sachsen-Koburg in den Etats-
jahren 1874/75 bis 1892/93 und im Herzogt. Sachsen-Gotha in den Etatsjahren 1873/74
bis 1892/93. — Heft 2 : Zusammenstellung des Bestandes an Rindvieh und Schweinen in
Sachsen-Koburg und Gotha nach den Zählungen am 10. I 1883, 1. XII. 1892 und
1. XII. 1893. — Vergleichende Üebersicht über die Ergebnisse der aufserordentlichen
Zählung des Rindviehs und der Schweine am 1. XII. 1893 und der Ergebnisse der all-
gemeinen Viehzählungen am 1. XII. 1892 und am 10. I 1883 in Sachsen-Koburg und
Gotha.)
Neumanns Ortslexikon des Deutschen Reichs. Ein geographisch - statistisches
Nachschlagebuch für deutsche Landeskunde. 3. neu bearbeitete Aufl. von W. Keil.
Leipzig und Wien, Bibliographisches Institut, 1894. Roy. -8. XLII— 1028 SS. M. 13. — .
Preufsische Statistik. (Amtliches Quellenwerk.) Herausgegeben in zwanglosen
Heften vom kgl. statistischen Bureau in Berlin. Heft 128: Die Heilanstalten im preufsischen
Staate während der Jahre 1889, 1890 und 1891. Berlin, Verlag des Bureaus, 1894.
Roy.-4. XXXII— 171 SS. M. 5,20. — Heft 130: Die Irrenanstalten im preufsischen
Staate während der Jahre 1889 bis 1891. Ebd. 1894. Roy.-4. XII— 128 SS. M. 3,60.
Produktion der Bergwerke, Salinen und Hütten des preufsischen Staates im
Jahre 1893. Berlin, Verlag von Ernst & Sohn, 1894. 4. 28 SS. (Sonderabdruck aus
der „Zeitschrift für Berg-, Hütten- und Salinenwesen".)
Statistik der Güterbewegung auf deutschen Eisenbahnen nach Verkehrsbezirken
geordnet. Herausgegeben im k. preufsischen Ministerium der öffentlichen Arbeiten.
Band XLIX : 12. Jahrgang, 1894, 1. Vierteljahr. Berlin, Heymann, 1894. Folio. 364 SS.
geb. M. 11.—.
Statistik des Hamburgischeu Staates. Bearbeitet und herausgegeben von dem
statistischen Bureau der Steuerdeputation. Heft XV, 2. Abteilung. Hamburg, 0. Meifs-
ner, 1894. 4. 166 SS. (Inhalt: Grundsteuergesetzgebung des Hamburgischen Staates
sowie die Katastrierung des landwirtschaftlich benutzteu Grundeigentums und ihre wich-
tigsten statistischen Ergebnisse. — Die Bewegung der Bevölkerung in den Jahren 1878
bis 1891. — Hamburgische Sterblichkeitstafel. — Die Ernteerträge im Hamburgischen
Staate in den Jahren 1878 bis 1892, sowie die Saatenstandsberichte und das Ernteergeb-
nis des Jahres 1893. — Hauptergebnisse der Viehzählungen vom 1. XII. 1892 und 1893
im Hamburgischen Staate.)
Oesterreich-Ungarn.
Jahrbuch, statistisches, der Stadt Wien für das Jahr 1892, Jahrgang X. Be-
arbeitet von (Drr.) St. Sedlaczek und W. Löwy. Wien, Verlag des Wiener Magistrats,
632 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
1894. Roy.-8. XIII— 736 SS. geb. (A. u. d. T. : Mitteilungen des statistischen Departe-
ments des Wiener Magistrates.)
Mataja, V., Die Handelsstatistik des Österreich-ungarischen Zollgebiets. Vortrag.
Wien, 1894. gr. 8. 18 SS. (Sonderabdruck aus der „Wochenschrift des Niederöster-
reichischen Gewerbevereins".)
Oesterreichische Statistik. Herausgegeben von der k. k. statistischen Central-
kommission, Bd. XXXVI, Heft 2: Ergebnisse des Konkursverfahrens (in Cisleithanien)
im Jahre 1889 (A. u. d. T. : Statistik der Rechtspflege (in Cisleithanien) für 1889
Heft 2.) — X— 55 SS. fl. I . Bd. XXXVI, Heft 4: XXII. Statistische Uebersicht der
Verhältnisse der österreichischen Strafanstalten und der Gerichtsgefängnisse im Jahre
1889. XXXII— 109 SS. fl. 2,30. — Bd. XXXVI, Heft 5: Statistische Nachweisungen
über das zivilgericbtliche Depositenwesen, die kumulativen Waisenkassen und über den
Geschäftsverkehr der Grundbuchsämter (Veränderungen im Besitz- und Lastenstande der
Realitäten) im Jahre 1889. (A. u. d. T.: Heft 5 der Statistik der Rechtspflege (in
Cisleithanien) für das Jahr 1889.) XXIV— 106 SS. fl. 2.—. — Bd. XXXVII, Heft 4,
Abteilung 2: Statistik des Verkehrs (in Cisleithanien) vornehmlich für die Jahre 1881
bis 1891 : Seeschiffahrt und Seehandel, Eisenbahnen, Posten, Telegraphen und Telephone,
Aufsenhandel und Handel zwischen Oesterreich und Ungarn. IV — 169 SS. fl. 2,60. —
Bd. XXXVIII, Heft 1 : Statistik der Sparkassen (in Cisleithanien) für das Jahr 1891.
XLV— 57 SS. fl. 1,50 — Bd. XXXIX, Heft 1 : Die Ergebnisse der Civilrechtspflege
(in Cisleithanien) im Jahre 1890. (A. u. d. T. : Statistik der Rechtspflege (in Cisleitha-
nien) für das Jahr 1890, Heft 1.) XLIII— 113 SS. fl. 2,50. — Bd. XXXIX, Heft 3:
Die Ergebnisse der Strafrechtspflege (in Cisleithanien) im Jahre 1890. (A. u. d. T. :
Statistik der Rechtspflege (in Cisleithanien) für das Jahr 1890, Heft 3.) XLII— 167 SS.
fl 3.—. Zusammen 7 Hefte. Wien, C. Gerolds Sohn , 1894 Imp.-4. (Die Hefte
Bd. XXXVI, 2 u. 4 sind vom k. k. Justizministerium, die Hefte Bd. XXXIX, 1 u. 3
sind unter Mitwirkung des k. k. Justizministeriums, die übrigen Hefte sind von dem
Bureau der k. k. statistischen Centralkommission bearbeitet.)
Statistik des böhmischen Braunkohlenverkehrs im Jahre 1893. Jahrgang XXV.
Teplitz 1894. Roy.-8. XLVII— 83; 16 SS. mit graphischer Verfrachtungskarte und
einem Situationsplan der Station Aussig samt Umschlagsplätzen in Imp.-folio. (Heraus-
gegeben von der Direktion der Aussig-Teplitzer Eisenbahngesellschaft.)
Ungarisches statistisches Jahrbuch. Neue Folge I: 1893. Im Auftrage des
k. ungar. Handelsministers verfafst und herausgegeben durch das k. ungarische statistische
Bureau. Budapest, Druckerei der A. -Gesellschaft Athenaeum, 1894. Lex. -8. XII — 355
SS. geb. fl. 5 — . (Amtliche Uebersetzung aus dem ungarischen Originale. Inhalt :
Flächeninhalt, Gebäude und Wohnungsverhältnisse. — Stabile Bevölkerung, Bewegung
der Bevölkerung. — Sanitätswesen. — Urproduktion. — Bergbau und Hüttenwesen. —
Industrie und Handel. — Auswärtiger Verkehr. — Kommunikationswesen. — Geld- und
Kreditwesen. — Feuerschäden. — Kulturelle Verhältnisse. — Kriegsmacht. — Staats-
haushalt. — )
Frankreich.
Resultats statistiques du denombrement (de la France) de 1891. Paris, impri-
merie nationale, 1894. gr. in-8. X — 814 pag. avec 21 diagrammes et 35 cartogrammes
inseres dans le texte. (Publication du Ministere du commerce, de l'industrie, des postes
et des tel^graphes, Office du travail. Table des matieres : Population residente : Variations
de la population de la France. Population et densite des arrondissements et des departe-
ments en 1801 et en 1891. Population agglomeree, eparse et comptee ä part. Popu-
lation urbaine et rurale. Resume du mouvement de la population entre les denombre-
ments de 1886 et de 1891. Classement des communes d'apres le nombre de leurs
habitants. — Population presente : Maisons de logements. Locaux affect^s au commerce
et ä l'industrie. Population d'apres le lieu de naissance. Reparation des Francais par
döpartement et par province d'origine. Echanges de la population entre departements et
provinces. Populations classees par nationalite. Population classee par sexe. Repar-
ation de la population par etat civil. Population classee par äge. Age moyen de la
population. Duree du mariage. Nombre d'enfants par famille, suivant la duröe du
mariage. Nombre moyen d'enfants par famille. Duree moyenne du mariage d'apres le
nombre d'enfants. — Classement de la population par profession et par condition : Popu-
lation professionnelle par äge. Population professionnelle par condition et par departe-
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 633
ment. Population par condition. Reparation geographique de la population par condition.
— Tableaux. — etc.)
Bnfsland.
Cboählih öiOjUieTeHL no ropoay Mockbs 3a 1893 rOÄT>. (Bulletin recapitulatif de
la ville de Moscou, public par le Bureau de la statistique municipal, annee 1893.)
Moskau 1894. gr. 8. 14 pp.
Italien.
Bilanci comunali e provinciali per l'anno 1891 e situazione dei debiti comunali e
provinciali al 31 dicembre 1891. Roma, tipogr. dell' „Opinione" 1894. Lex. in-8.
LXIV — 290 pp. 1. 2,50. (Pubblicazione del Ministero di agricoltura, industria e commercio,
Direzione generale della statistica. Contiene : Introduzione. — Bilanci comunali (Tavole
analitiche ; Riassunti statistici.) — Bilanci provinciali (Tavole analitiche ; Riassunti
statistici.) — )
Popolazione. Movimento dello stato civile (del Regno d'Italia), anno 1892.
Con notizie sommarie per l'anno 1893. Roma, tipogr. Elzeviriana, 1894. Lex. in-8.
XL1X — 186 pp. 1. 3. — . (Pubblicazione della Direzione generale della statistica. Con-
tiene : Matrimoni. — Nati (esclusi i nati-morti). Nati-morti. — Feconditä della popo-
lazione. — Parti multipli. — Morti. — Nati e morti divisi per sesso e matrimoni. —
Figli naturali legittimati per provincie e compartimenti. — Sposi e spose classificati per
anno di nascita, per provincie e compartimenti. — etc.)
Statistica della assistenza dell' infancia abbandonata, anni 1890, 1891 e 1892.
Roma, tipogr. Elzeviriana, 1894. Lex. in-8. 100 pp. 1. 1. — . (Pubblicazione del
Ministero di agricoltura, industria e commercio, Direzione generale della statistica.)
Statistica della emigrazione Italiana avvenuta nell' anno 1893. 2 parti. Roma,
tipogr. cooperativa Romana, 1894. XVI — 87; 125 pp. 1. 2,50. (Pubblicazione del
Ministero di agricoltura, industria e commercio. Parte II, pp. 1 — 125: Leggi e regola-
menti di alcuni Stati d'Europa e d'America sull' emigrazione e sulla immigrazione.)
Holland.
Stati stiek van bet Koninkrijk der Nederlanden. Bescheiden betreffende de
geldmiddelen. XIX<ie stuk (2de gedeelte) 1893: Mededeeling van de opbrengst der be-
lastingen en andere middelen en van verschillende bijzonderheden met de heffing der
belastingen in verband staande. s'Gravenhage, M. Nijhoff, 1894. 4. 119 blz. (Uitge-
geven door het Departement van financien.)
Statistiek van den in-, uit- en doorvoer (van den Koninkrijk der Nederlanden)
over het jaar 1893. I. gedeelte (geordnet nach Warengattungen). 'sGravenhage, gedrukt
bij gebroeders Giunta d'Albani , 1894. Imp. in-folio. XIX— 502 en 12 blz. (Uitge-
geven door het Departement van financien.)
Statistiek van den loop der bevolking van Nederland over 1892. 'sGravenhage,
van "Weelden & Mingelen, 1894. gr. in-8. 246 pp. fl. 0,40. (Uitgegeven door het
Departement van binnenlandsche zaken.)
Serbien.
CiaTHCTHKa KpaBeBime Cpönie. Ktiira HI. Iloirac oöpaieHe 3eMBe y KpaBeBirau
Cp6niH 1889 rOÄHHe. Eeorpaa 1894. gr. in-4. LXIII— 239 pp. (Statistik des König-
reichs Serbien Band III: Statistische Erhebung über das besäete Kulturland Serbiens,
1889. Mit 13 graphischen Tafeln. Veröffentlichung des Ministeriums für Handel, Acker-
bau und Industrie.)
Amerika. (Vereinigte Staaten.)
Compendium of the Census of the United States. 2 parts. Washington, Govern-
ment printing Office, 1894. 4. With coloured maps, cloth. 30/.—. (Contents. Part I.
Population : Introduction. — Report on the progress of the nation — Specimens of
forms of schedule used by enumerators. — Statistics of population for each State and
territory from 1790 to 1890. — Coloured population classified. — Dwellings and fami-
lies. — Statistics of Alaska. — CXL— 957 pp. — Part II. Vital and social statistics :
Educational and church statistics. — Wealth, debt and taxation. — Mineral industries.
— Insurance. — Foreign-born population. — MaDufactures, etc. 1064 pp.)
634 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
F 1 i n t (Weston), Statistics of public libraries in the United States and Canada.
Washington, Government printing Office, 1894. 8. XIII — 213 pp.
Asien (China).
China. Imperial maritime customs. 1. Statistical series, N° 2: Customs gazette,
N° CI: January-March 1894. Shanghai, Kelly & Walsb, and London, King & Son,
1894. 4 214 pp $ 1. — . (Published by order of the Inspector General of Customs,
issued 2ßth May 1894.
China. Imperial maritime customs. I. Statistical series : Nos 3 and 4 : Returns
of trade and trade reports for the year 1893. Part II: Reports and statistics for each
port. With the reports and statistics for Corea (35th issue of China, 29th issue of Corea.)
Shanghai, Kelly & Walsh, and London. King & Son, 1894 4. VII— 688 pp. $ 5 ~.
(Published by order of the Inspector General of Customs.)
China imperial maritime customs. II. Statistical series, N° 2: Medical reports for
the half-year ended 31st March 1891. 41st issue. Shanghai, Kelly & Walsh, aud Lon-
don, King & Son, 1894. 4. VI— 46 pp. $ 1.—. (41st issue.)
Australien (Tasmania.)
Statistics of the Colony of Tasmania for the year 1892. Compiled in the Office
of the Government Statistician from official records.) Tasmania, W. Grahame, jun. prin-
ted, 1893. Folio. VIII — 443; 30 pp. (Parliamentary paper of Tasmania.)
13. Verschiedenes.
Blenck, E., Die Zunahme der Blitzgefahr und die Einwirkung des Blitzes auf
den menschlichen Körper. Berlin, M. Pasch, 1894. gr. 8. 28 SS.
Gerönne (Reg. u. MedR.), Generalbericht über das öffentliche Gesundheitswesen
im Regierungsbezirk Posen in den Jahren 1889, 1890 und 1891. Posen, Jalowicz, 1894.
8. 216 SS. mit tabellarischen Beilagen.
Heller, L. , Selbsthilfe. Ein Roman der Sparsamkeit und Lebenskunst. Real-
sozialistisches Zukunftsbild. Leipzig, Härtung & Sohn, 1894. gr. 8. IV — 196 SS.
M. 1,60.
Hirsch, William, Genie und Entartung. Eine psychologische Studie 2. Aufl.
Berlin, O. Coblentz, 1894. gr. 8. VI— 340 SS M. 6— .
Hughes, Hugh Price, Der atheistische Schuhmacher. Ein Blatt aus der Geschichte
der West-London-Mission. Leipzig, R Werther, 1894. 8. 71 SS. M. 0,60.
Jahrbücher der Hamburgischen Staatskrankenanstalten. Herausgegeben von den
Aerzten dieser Anstalten unter Redaktion von Prof. Th. Rumpf (Direktor des Neuen All-
gemeinen Krankenhauses Hamburg-Eppendorf). Band III, Jahrgang 1891/92. Hamburg,
L. Vofs, 1894. gr. Lex.-8. 9; XXXV; 314; 517 SS. mit 13 Tafeln, geb. M. 20.—.
Kawerau, W., Die Jubelfeier der Universität Halle. Halle a./S., E. Strien. 1894.
8. 62 SS. M. 0,75.
Mut, der, der Kaltblütigkeit gegenüber der anarchistischen Propaganda des Ver-
brechens, von ***. Leipzig, K. F. Pfau, 1894. 8. 26 SS. M. 0,50.
Regen er, F., Schopenhauers Ansichten über Erziehung. Wiesbaden, E. Behrend,
1894. gr. 8. 40 SS. M. 0,60. (A. u. d. T.: Pädagogische Zeit- und Streitfragen
Heft 38.)
Schneidewin, Max (Prof.), Das politische System des Reichskanzlers Grafen
von Caprivi. Danzig, A. W. Kafemann, 1894. gr. 8. VIII— 158 SS. M. 2.—.
Scholz, F., Ueber Fortschritte in der Irrenpflege. Leipzig, E. H. Mayer, 1894.
gr. 8. 63 SS. M. 1,20.
Wer sind die Koreaner? Neuester authentischer Bericht von einem Kenner. Berlin,
H. Lazarus, 1894. 8. 16 SS.
Winkel, G. G., Die Wappen und Siegel der Städte, Flecken und Dörfer der Alt-
mark und Prignitz. Magdeburg, Baensch jun. , 1894. 8. X — 80 SS. mit 30 farbigen
Wappen und 47 Siegelabbildungen auf 5 Tafeln.
Campagnole, E. (Secretaire du Conseil superieur de l'assistance publique),
L'assistance mddicale gratuite (commentaire de la loi du 15 juillet 1893). Paris, Berger -
Levrault & C>e, 1894. gr. in-8. 358 pag. fr. 6 — .
Laurent, O., Les Universites des Etats-Unis et du Canada et specialement leurs
Die periodische Presse des Auslandes. 635
institutions medicales. Paris, H. Lamertin, 1894. 8. 320 paff. av. 22 figures et plans.
fr. 5.—.
Martel, E. A. , Les abimes, les eaux souterraines, les eavernes , les sources, la
spelaeologie. Explorations souterraines effectuöes de 1888 ä 1893 en France, Belgique,
Autriche et Grece. Paris, Ch. Delagrave, 1894. grand in-4. 580 pag avec 4 photo-
typies, 16 planches hors texte, 100 gravures et 20 cartes, plans et coupes. fr 20. — .
Rapport sur le Service des enfants assist^s et de la protection du premier äge
dans le departement du Gard, presente par A. Galand (inspecteur des enfants assist^s).
Nitnes, imprim. Chastanier, 1894. 8. 117 pag.
Annual message (Illrd) 0f E. S. Stuart (Mayor of the city of Philadelphia) with
annual reports of A. M. Beitier (Director of the Department of public safety and of the
Board of Health) for the year ending December 31, 1893. Issued by the city of Phila-
delphia, 1894. Philadelphia, Dunlap printing C°, 1894. gr. in-8 737 pp. With plates
(figures and graphics) cloth
y^enua 3anncKH HMnepaTOpcicaro lOpteBCKaro ymiBepCHTeia. Acta et commen-
tationes Imp. universitatis Jurievensis (olim Dorpatensis). 1893 in 4 Quartalsheften, und
1894, 1. Semester. Jurjew, Matiesen, 1894. gr. 8.
Saggio dei risultati antropometrici ottenuti dallo spoglio dei fogli sanitarii delle
classi 1859 — 1863, eseguito all' ispettorato di sanita militare sotto la direzione dei R. Livi
(Capitano medieo). Roma, E Voghera, 1894. Roy. in-4. 48 pp. con 2 tavole grafiche.
(Presentato ai membri della XIV sezione dei XI Congresso medieo internazionale, Roma
1894.)
Sole, Biagio (avvocato), II divorzio : saggio critico. Potenza, tip lit. A. Pomarici,
1894. 4 439 pp. (Contiene: II problema. — Processo storico dei divorzio. — La
liberta. — II contratto. — II matrimonio. — Dunque ? — L'interesse sociale. — L'interesse
dei figli. — Sofismi dei divorzisti. — II divorzio in Italia. — L'avvenire dei divorzio. — )
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Bulletin du Ministere de l'agriculture. XHIe annee, 1894, Nos 4 et 5 : A. France:
Statistique des forets soumises au regime forestier (forets domaniales, communales et
d'etablissements publics), annee 1892, avec 20 cartes. — Nouvelles etudes sur l'utilisation
des marcs de vendange, par A. Müntz (prof. ä l'Institut national agronomique). —
Rapport sur l'exposition des vins au cencours general agricole de Paris en 1894, par
G. Rabault. — Compte rendu de la foire aux jambons en 1894. — Utilisation des turbes
comme litieres et engrais. — B. Etranger : Documents statistiques sur la viticulture ä
l'etranger. — Espagne : Monographie des vins de Jeres, par M. de Laigue (consul general
de France a Cadix). — Grece : Notes sur l'agriculture en Grece (extraits de rapports
consulaires). — etc.
Bulletin de statistique et de legislation comparee. XVIII>eme ann£e, 1894, Aoüt :
A. Franc, colonies : Reglement d'administration publique concernant les caisses de secours
et de retraites des ouvriers mineurs. — Les bons du Tresor. — La caisse nationale des
retraites pour la vieillesse. — Le commerce exterieur en 1893. Resultats definitifs. —
Produits des droits sur les boissons depuis 1880. — Les revenus de l'Etat, exercice 1894
(France, 7 premiers mois, Algßrie 6 premiers mois). — Le commerce exterieur, mois de
Juillet 1894. — Les exemptions temporaires d'impot foncier dans les departements
phylloxeres pendant l'annee 1893. — Les compagnies d'assurances sur la vie. — B.
Pays etrangers : Pays divers : La produetion de l'or depuis quatre cents ans. — Italie :
Les nouvelles mesures fiscales et financieres. Le budget de l'exercice 1894/95. —
Grece : Les budgets de la Grece depuis 1882. — Russie : Les nouveaux Statuts de la
Banque de Russie. — Etats-Unis : La vente des terres publiques et l'agriculture. —
Republique argen tine : La Situation financiere et economique. — Canada: Le nouveau
tarif douanier. — Japon: Les budgets de l'Empire. La dette publique depuis 1883.
Le commerce exterieur en 1893. — Chili : La Situation financiere et economique. — etc.
636 Die periodische Presse des Auslandes.
Journal des Economistes. Revue mensuelle. 15 Aoüt 1894: L'Etat et la societe\
le socialisme et l'individualisme , par Maur. Block (suite et fin). — La question des
noirs aux Etats-Unis, par G. Tricoche. — Le mouvement agricole, par G. Fouquet. —
Revue des principales publications 6conomiques en langue francaise. par Rouxel. — Les
dettes publiques russes en 1862 ä 1894, par L. Winiarsky. — Le meeting annuel de
Cobden Club. — Les assurances contre les aeeidents en Allemagne, par P. Muller. —
A propos du congres sur la propriete bätie, par Pascal Grivet. — Les impots en Angle-
terre. — Soci^te d'economie politique, röunion du 5 aoüt 1894: Neurologie : H. Schoen-
feld. Discussion : Quelles sont les limites de l'intervention de l'Etat en matiere d'assu-
rances ? — etc.
Journal de la Societe de statistique de Paris. XXXViSme annee, 1894, N° 8,
Aoüt: Proces-verbal de la seance du 18 juillet 1894. — Reparation de la propriete non
bätie en France, par Yves Guyot. — Productivite de l'administration de l'enregistrement,
des domaines et du timbre, par L. Salefranque. — Les conseils de prud'hommes, par
E. Tverne's. — Chronique des transports (2e trimestre 1894), par Beaurin-Gressier. —
Chronique des banques, changes et m6taux precieux, par P. des Essars. — Chronique
de statistique generale, par A. Liegeard. — etc.
Moniteur des assurances. Revue mensuelle. Tome XXVI, 1894, N° 309 et
310, 15 Juin et 15 Juillet: Decisions relatives ä l'assurance-ineendie, par C. Oudiette.
— Decisions relatives ä l'assurance-vie, par L. Regnault. — Decisions relatives ä l'assu-
rance-aeeidents , par E. Pagot. — Projet de loi sur les assurances en Italie. — Les
socie^s de secours mutuels en France. — Assurances sur la vie. Operations des com-
pagnies francaises d'assurances sur la vie en 1893, par P. Sidrac. (Sommaire : I. Assu-
rances. II. Rentes viageres. III. Reserves. IV. Frais gdneraux et commissions.
V. R6sume. Actif des compagnies au 31 decembre 1893.) — Operations r£alisees par
les compagnies d'assurances sur la vie de 1819 ä 1893. — Assurances contre l'incendie :
Les propositions Bourgeois, par A. Thomereau. — Etüde sur le contrat d'assurances
contre les aeeidents, par E. Pagot (suite 1). — L'assurance sur la vie en Angleterre,
1887 — 1893. Assurances ordinaires et assurances industrielles, par H. Scott. — etc.
Revue des deux mondes. LXIVe annee, 4e periode, tome 121, livraison 1, 1er jan-
vier 1894: Le socialisme et la liberte, par A. Desjardins (de PInstitut de France). —
Gladstone et la chambre des Lords, par A. Filon. — Les juifs sous la domination
romaine. — Herode le grand, par E. Renan. — etc.
Revue internationale de sociologie (Paris). 2e annee, N° 7 ä 8: Juillet — Aoüt
1894 : Enquete sur la valeur actuelle du cadastre, par E. Cheysson. — De l'influence
du progres des Communications sur Involution des societes , par H. Decugis. — La
Classification des sciences et la sociologie, par B. Limanowski. — La conf6rence de
Berlin, par Nie. E. Politis. — Les theories sociales de Necker, par G. Weill. — Mouve-
ment social : Espagne, par A. Posada. — etc.
B. England.
Board of Trade Journal. Vol. XVII, N° 97, August 1894: Coal produetion of
the world. — Foreign exhibitions and commercial museums. — Critical condition of the
French woollen industry. — French Chambers of commerce. — Silk industry of Damas-
cus. — Industries of Persia. — Notes on a recent journey trough Corea. — Foreign
trade of Corea. — Coal fields of Mexico. — Cofifee eulture in Honduras. — Import trade
of Costa Rica. — Canadian tariff changes (concluded). - — Tarif? changes and customs
regulations. — Extracts from diplomatic and consular reports. — General trade notes. —
State of the skilled labour market. — Statisties of trade, emigration, fisheries, etc. —
Contemporary Review, the. September 1894: The question of Korea, by H.
Norman. — Britain and the United States : Cost of living, by A. Carnegie. — The new
drift in foreign affairs, by F. Greenwood. — Lotus eating and opium eating, by J. G.
Alexander. — Possible developments in naval armament, by J. Eastwick. — ,,If Christ
came to Chicago", by (Prof.) Goldwiu Smith. — Palestine research, past and future, by
(Major) C. R. Conder. — The American question, III : In Turkey (conclusion), by H.
F. B. Lynch. — etc.
Fortnightly Review, the. September 1894: Some anarchist portraits, by Ch.
Malato. — Politics and science, by K. Pearson. — The work of Mr. Pater, by L. John-
son. — Oxford v. Yale, by W. H. Grenfell. — A journey to the sacred mountain in
China, by A. H. Savage-Landor. — The rajahs of Sarawak , by H. Le Roux. —
Die periodische Presse des Auslandes. 637
Imaginative currency statistics, by J. Barr Robertson. — Prof. Drummond's discovery,
by (Mrs.) Lynn Lioton. — The municipal museums of Paris, by Fr. Harrison. — etc.
H u m a n i t a r i an , the. A monthly magazine, edited by Victoria Woodhull Martin.
Vol. V, M° 3, September 1894: Sunday observance, by W. Ilolman Hunt. — An old-time
humanitarian, by Elisabeth Martyn. — About the new Hebdonism, by Grant Allen. —
Green leaves, by Mabel Collins. — Longevity in London, by Hugh Percy Dünn. —
The oppressed ryots of Behar, by D. N. Reid. — Pawnbroking, by G. W. Moon. —
The redemption of the criminal, by Th. C. Collings. — The bondwoman and the free,
by Zula Maud Woodhull. — etc.
New Review, the. September 1894: China and Japan. I. Ashere, by (Sir) E.
Arnold. II. At sea, by Nauticus. ■ — Dalmeny and Devonshire, by T. H. S. Escott. —
The financial outlook, by H. Withers. — In defence of anarchy, by Wordsworth Donis-
tborpe. — Secrets from the court of Spain (V). — The chaos of marriage and divorce
laws, by J. Henniker Heaton (conclusion). —
Nineteenth Century, the. A monthly review, edited by J. Knowles, N° 210,
August 1894: The place of heresy and schism in the modern Christian church, by W.
E. Gladstone. — The Italian case against France, by (Cav.) W. L. Alden (late American
Consul-General, Rome). — Mutual aid in the mediaeval city, I., by (Prince) Krapotkin.
— The farce of „University Extension", by Ch. Whibley. — The war-chests of Europe,
by (Prof.) Geffcken. — In the Tarumensian woods, by R. B. Cunninghame Graham. —
The labour war in the United States. — Faets from Bihar about the Mud-daubing, by
W. Egerton. — Is our race degenerating ? by H. Percy Dünn. — etc.
Transactions of the Manchester Statistical Society, session 1893 — 94: Strikes
and economic fallacies, by W. Fogg. — The objective causes of pauperism, by J. M.
Rhodes. — The future of the voluntary schools, by E. J. Broadfield. — The Inebriate
Acts of 1879 — 80 in theory and practice, with a suggested amendment, by E. Neild. —
The hours and cost of labour in the cotton industry at home and abroad, by Fr. Merttens.
— etc.
C. O e s te r r ei ch-Un gar n.
Deutsche Worte. Monatshefte herausgegeben von E. Pernerstorfer. Jahrg. XIV,
1894, Septemberheft: Wie ist dem Handwerkerstande zu helfen? Ein Aufsatz von
Rodbertus, mitgeteilt von Moritz Wirth. — Eine naturwissenschaftliche Vernichtung der
Sozialdemokratie, von A. Lampa (Wien). — Der wahre und der falsche Sozialismus,
von Sidney Webb. — Recht und Zweck der Strafe. Eine soziale Studie, von Irma
v. Troll-Borostyäni (Salzburg). — etc.
Ungarische Revue. Mit Unterstützung der Ungarischen Akademie der Wissen-
schaften. Herausgegeben von (Prof.) K. Heinrich. Jahrgang XIV, 1894, Heft 5 — 7 :
Mai bis Juli : LIV. feierliche Jahresversammlung der Ung. Akademie der Wissenschaften.
— Die Entstehung des Magyarentums, von H. Vämbery. — Szdchenyi und die Nationali-
tätenfrage, von Mich. Zsilinszky. — Die Intelligenz in Ungarn und das Ungarntum, von
J. Jekelfalussy. — Zur Geschichte des Friedensschlusses von Szegedin 1444. — etc.
Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung. Organ der Gesell-
schaft österreichischer Volkswirte. Herausgegeben von E. v. Böhm-Bawerk, K. Th. Iuama-
Sternegg, E. v. Plener. Band III, 1894, Heft 3: Zur englisch-schottischen Genossen-
schaftsbewegung, von V. John. — Die Gebührenerleichterung bei der Konvertierung der
Hypothekenschulden, von W. Schiff. — Verhandlungen der Gesellschaft österreichischer
Volkswhte, Plenarsitzung XLV— XLVII, vom 20. III. bis 17. IV. 1894. — Ludwig Gall,
der erste deutsche Sozialist, von R. Singer. — Das Gesetz betreffend die Ausdehnung
der Unfallversicherung. Die Gesetze betreffend die Einlösung von Staatsnoten und die
Herabminderung der schwebenden Schuld in Partialhypothekaranweisungen, von K. Th.
v. Inama-Sternegg. — etc.
D. Rufsland.
Bulletin Russe de statistique financiere et de l^gislation. I^re annde, N° 5,
Juillet 1894: Budget ordinaire et budget extraordinaire (d'apres le „Viestnik Financof".)
— Tableau de emprunts d'Etat et Emissions assimilees dont le service d'interet et d'amor-
tissement s'effectue en roubles-credit. — Importations de la Russie pendant les 4 premiers
mois de 1894. — La flotte marchande ä vapeur. — Monnaies d'or frappees en Russie
depuis le 1er janvier 1886 (imperiales et demi-imperiales nouvelles). — Bilan de la
ß38 ®ie periodische Presse des Auslandes.
Banque de Russie au 13 et au 28 juin 1894. — Classification des societes par actions
banque, commerce, travaux publics et industrie) au ler janvier 1893 [les chemins de fer
non compris]. — Kote sur le mecanisme des patentes. — Rendeinent des patentes de
1863 ä 1891 inclusivement. — Reparation geographique du produit des patentes. —
Repartition du produit des patentes entre les diverses eategories d'assujettis. — Tableau
des societes par actions et associations y assimilees existant en Russie au ler janvier
1893. — Dettes de municipalites russes au ler janvier 1894. — Nouveaux Statuts de la
Banque de Russie, proinulgues le 24 juin (6 juillet) 1894. — Banque centrale du credit
foncier de Russie. — etc.
£. Italien.
Bulletin de l'Institut international de statistique (Rome.) Tome VII, 1894,
livraison 2 et 3 : Movimento della popolazione in alcuni Stati d'Europa e d'America.
Parte I. Matrimoui e nascite negli anni 1874/92. — Appunti statistici sulla emigrazione
dall' Europa e sulla immigrazione in America e in Austraiia. — L'imposta progressiva
e le riforme tributarie di alcuni Stati europei, per G. Ricca-Salerno. Dell' ordinamento
degli uifici centrali di statistica dell' impero di Germania e del regno di Prussia. — La
nouvelle Organisation du Service statistique dans la Republique Argentine. — Organisation
du pouvoir legislatif dans le royaume de Hongrie. — Essai d'anthropometrie militaire,
per Rid. Livi. — Confronti internazionali di statistica delle cause di morte. — Notizie
statistiche sull' alcoolismo in Italia e in alcune altri Stati. — Sülle condizioni demo-
gratiche, edilizie ed amministrative di alcune grandi cittä italiane ed estere. — Les impots
et les dettes hypothecaires sur la propriete fonciere rustique dans quelques Etats d'Europe.
— Necrologies : F. H. W. Edelmann; A. Errera; P. Jordan; G. G. F. Röscher. — etc.
G i o r n a 1 e degli Economisti. Rivista mensile degli interessi Italiani. Settembre
1894: Sulla „consumers rent" , per E. Barone. — La dottrina politico-economica di
Fr. Ferrara , per D. Berardi. — II riordinamento delle borse di commercio , per
G. Valenti. — Cronaca, per V. Pareto. — Previdenza, per C. Bottoni. — Situazione del
mercato monetario, per X. — Supplemente al Giornale degli Economisti : La distribuziene
delle ricchezze. Saggio bibliografico, per L. Cossa. — Saggio di bibliografia economica
italiana (1870 — 90), per A. Bertolini (continuazione). — etc.
G. Belgien und Holland.
Revue sociale et politique publiee par la Societe d'etudes sociales et politiques.
Fondateur: A. Couvreur (Bruxelles). IVe annee, 1894, N° 4: Les hauts salaires aux
Etats-Unis, par E. Waxweiler. — Informations diverses : Belgique : Le legislation sociale
en Belgique ; Habitations ouvrieres ; Societes mutualistes ; Credit agricole ; Caisses d'assu-
rances. Le congres du parti ouvrier. — etc.
de Economist opgericht door J. L. de Bruyn Kops. XLIII. jaargang, 1894.
September. (Deutsche Uebersetzuug der Inhaltsangabe in holländischer Sprache) : China
und Java, von N. P. van den Berg. — Ein schwedischer Arbeiterversicherungsentwurf,
von A. F. van Leijden. — Goldproduktion und Einwanderung in Transvaal. — Grund-
eigentumsverhältnisse und die Staatshypothekenbank Rumäniens. — Wirtschaftliche
Chronik: Arbeitsmangelabhilfe, Statistik der Arbeitervereine, Fabrikinspektion, Reichs-
münze und Ergebnisse des Reichspostsparkassenbetriebs 1893 im KR. der Niederlande.
Das französische Bergarbeitergesetz. Sozialpolitik Belgiens. — Handelschronik. — etc.
K. Spanien.
El Economist a. Madrid. Ano 1894, N° 428 y 429: El emprestito. — Proyecto
del monopolio del acohol en Francia. — La produetiön de oro y plata en 1893. — Los
positos y los bancos agricolos. — Los futuros presupuestos. — Las obligaciones del
Tesoro y el emprestito. — Conferencia internacional bimetälica de Londres. —
L. Amerika.
Ann als of the American Academy of political and social science (issued bimonthly).
Vol. V, N° 2, September 1894: The ultimate Standard of value, by E. v. Böhm-Bawerk.
— Relation of labor organizations to trade Instruction, by E. W. Bemis. — Mortgage
banking in Russia, by D. M. Frederiksen. — Beginning of Utility, by S. N. Patten. —
Present condition of sociology in the U. States, by J. W. Howerth. — Improvement of
country roads in Massachusetts and New York, by E. E. Johnson. — Supplement to the
Die periodische Presse Deutschlands.} 639
Annais, vol. V, N° 2 : Constitution of the kingdom of Prussia, translated and supplied with
an introduction and notes, by J. Ilarvey Robinson. 54 pp.
Quarterly Journal of Econouiics (Boston). April aud Juuy 1894: A universal
law of economic Variation, by J. Bates Clark. — The euglisli railway rate question, by
J. Mavor. (1. II.) — The bitnetatlist committee of Boston aud New Euglaud , by
E. B. Andrews. — Alexander Hamilton and Adam Smith , by E. G. Bourne. — The
anglo-saxon „township", by W. J. Ashley. — The theory of wages adjusted to receut
theories of value, by T. N. Carver. — The civil war income tax, by J. A. Hill. — The
unemployed in american cities, by C. C. Closson, jr. (11.) — The number of the unem-
ployed. — etc.
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— Fürst Bismarck und die Parlamentarier , von H. v. Poschinger (IU. Artikel). —
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Weimar (VI. (Schlufs-jArtikel). — etc.
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eines Grundbesitzers von 35 Ar und 49 Quadratmetern. — Die bevorstehende Organi-
sation des Handwerks. — Der Tierschutz. — Die Büreaukratie in Preufsen. — Die
Leistungsfähigkeit bei der Einkommensteuer, von H. (Frh.) v. Zedlitz. — Das Ministerium
Windischgrätz und die Parteien in Oesterreich. — Die Gerichte und die Justizver-
waltungen. — Das preufsische Landrecht. Zu seinem hundertjährigen Besteben, von
E. Kayser. — Unser Apothekenwesen. — Das Ergebnis der Börsenenquete, von O. Bahr.
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preufsen, von (Prof.) R. Böckh. — Entwickelungstendenzen in der Lage der ostelbischen
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Baden, Hessen für die Jahre 1879/93 — Dampfkesselexplosionen während des Jahres
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geschichte der Frankfurter Lokalbahnaktiengesellschaft in Frankfurt a/M. — VIII Haupt-
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Entwerfen von Kleinbahnen, von v. Cleef (Ingenieur). — Die Rentabilität der Neben-
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Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
L. von Bortkewitsch, Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. 641
V.
Kritische Betrachtungen zur theoretischen
Statistik.
Von
Dr. L. von Bortkewitsch.
Erster Artikel.
Es wird die Aufgabe der vorliegenden Studie sein, die Bedingungen
der Anwendbarkeit der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf die Lehre
von den sozialen Massenerscheinungen etwas eingehender, als es ge-
wöhnlich geschieht, zu prüfen und speziell zu zeigen, daß die Grenzen
für jene Art der Behandlung statistischer Ergebnisse nach bestimmten
Richtungen hin zu eng gesteckt worden sind, wahrem! zugleich die
praktische Bedeutung der Wahrscheinlichkeitsrechnung für die Statistik
vielfach überschätzt wurde.
Meine Untersuchung stützt sich, abgesehen von den Klassikern
der Wahrscheinlichkeitsrechnung, auf die Schriften von W. Lexis
und J. von Kries, auf die ich schon hier ganz allgemein verwiesen
haben möchte, um etwaigen Mißverständnissen vorzubeugen. Denn
solche könnten sich leicht in Fällen einstellen, wo ich, auf einen der
genannten Autoren Bezug nehmend, es für überflüssig erachtete, die
eine oder die andere der originellen Anschauungen, an denen ihre
Werke so reich sind, des näheren zu erörtern x ).
Die erste Frage, welche hier zur Sprache gebracht werden soll,
ist nun die: Was folgt für die wahrscheinlichkeitsrech-
l) Von den Schriften Lexis' kommt in erster Linie in Betracht „Zur Theorie der
Massenerscheinungen in der menschlichen Gesellschaft1', 1877. Aufserdem sind zu nennen:
das Schlufskapitel der „Einleitung in die Theorie der Bevö'lkerungsstatistiü", 1875 ;
ferner die Artikel „Gesetz'1, „Geschlechtsverhältnis bei Geborenen und Gestorbenen1',
„Anthropologie und Anthropometrie" im Handwörterbuch der Staatswissenschaften. In
diesen Jahrbüchern siehe „Das Geschlechtsverhältnis der Geborenen und die Wahrschein-
lichkeitsrechnung" (1876), „lieber die Theorie der Stabilität statistischer Reihen" (1879)
und „Ueber die Wahrscheinlichkeitsrechnung und deren Anwendung anf die Statistik" (1886).
Johannes von Kries, Die Prinzipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung, eine
logische Untersuchung. 1886.
Dritte Folge Bd. VIII (LXITI). 4 j
642 L. von Bortkewitseh,
nerische Behandlung einer statistischen Verhältnis-
zahl aus dem Umstände, daß letze re als eine Durch-
schnittswahrscheinlichkeit anzusehen ist?
Begriff und Wesen der Durchschnittswahrscheinlichkeit ergeben
sich aus nachstehenden Betrachtungen.
Denkt man sich eine Gesamtheit von z gleichmöglichen *) Fällen,
bei der die Wahrscheinlichkeit des Eintretens eines bestimmten Er-
eignisses p ist, in eine Anzahl von Teilgesamtheiten, die aus je
#n #21 zi • • • • Fällen bestehen, zerlegt und ist dann die Wahr-
scheinlichkeit des Eintretens des in Frage stehenden Ereignisses bei
der ersten Teilgesamtheit pu bei der zweiten p2, bei der dritten p3
u. s. f., so ergiebt sich offenbar die Beziehung
Z-, . Sa . Zo
Unter diese Form gebracht, wird die Größe p als eine Total-
wahrscheinlichkeit und im Gegensatz zu ihr die Summanden
— jPi» — Pz,—P3 ••• als Parti alwahrschein lichkeiten be-
zeichnet.
Es fehlt indessen an bestimmten Terminis, um das eigentümliche
Verhältnis der Wahrscheinlichkeit p zu den Wahrscheinlichkeiten pti
Pi, p3 . . . . zu charakterisieren. Man wolle die erste eine General-
wahrscheinlichkeit und die letzteren Spezialwahrschein-
lich kei ten nennen.
Es ist zunächst klar, daß die Zerlegung einer Totalgesamtheit
von z Fällen in so und so viele Teilgesamtheiten in sehr verschiedener
Weise durchgeführt werden kann, und zwar, nicht nur wenn die Zu-
gehörigkeit jedes Einzelfalles zu der einen oder der anderen Teilge-
samtheit durch Zufall bestimmt wird, sondern unter Umständen auch
dann, wenn die Zerlegung planmäßig, d. h. auf Grund bestimmter,
an den Einzelfällen zur Wahrnehmung gelangender Unterscheidungs-
merkmale erfolgt.
Sodann aber leuchtet es ein , daß die Wahrscheinlichkeiten
P\i P21 Pä ? die sich nach der durchgeführten Zerlegung heraus-
gestellt haben, sich durch fortgesetzte Zerlegung ihrerseits unter die
Form von Generalwahrscheinlichkeiten in vielen Fällen würden bringen
lassen und daß diese Operation noch weiter verfolgt werden kann.
Die Art der Zusammensetzung einer Generalwahrscheinlichkeit
1) v. Kries hat im Kap. III (besonders § 6) der „Prinzipien" gezeigt, dafs die
übliche Annahme der Gleichmöglichkeit aller Fälle, deren Zahl als Nenner im
Wahrscheinlichkeitsbruch erscheint, weder für die Fixierung des Begriffs der Wahrschein-
lichkeit und die Ableitung der Sätze der Wahrscheinlichkeitsrechnung notwendig ist,
noch auf die Fälle der Erwartungsbildung bei Zufallsspieleu pafst. Seinen auf diesen
Punkt sich beziehenden geistvollen und höchst wichtigen Ausführungen kann ich meiner-
seits nur beipflichten. Wenn ich aber trotzdem au der überlieferten Hypothese der
Gleichmöglichkeit der in Betracht kommenden Fälle im Text festhielt, so geschah dies
nur, um das Verständnis des dort Entwickelten durch Einführung einer noch wenig ver-
breiteten, zumal etwas komplizierten Anschauung nicht zu erschweren.
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. 643
aus SpezialWahrscheinlichkeiten ist somit keine objektiv feststehende
Thatsache, sondern vielmehr das Ergebnis einer Operation oder einer
Reihe von Operationen, bei deren Ausführung die Willkür nicht aus-
geschlossen ist.
Eine sehr einfache Erwägung zeigt aber, daß es auf die Ver-
schiedenheit bestimmter Arten der Zusammensetzung in solchen Fällen
nicht ankommt, wo einige der (irößen jpn jp8, pB . . . einander gleich
sind. Denn ob man z. B. bei px = p2,
oder aber
p=~rPi + -7-P2 + -fvz +
z z z
Z, -\~Zö . z, .
P=-LT-LP1+ -fp,+
schreibt, ist für die Zwecke der Erkenntnis irrelevant, da ja der obere
Ausdruck im Vergleich zum unteren unser Wissen über die in Frage
stehende Erscheinung in nichts zu bereichern vermag.
Ein überaus wichtiger Fall liegt vor, wenn alle Größen pt, p2,
ps . . . . einander gleich sind. Wir wollen dieses Verhalten so aus-
drücken, daß wir sagen : Die Wahrscheinlichkeit p verhält sich in
Bezug auf die vorgenommene Zerlegung indifferent. Damit ist
aber nicht gesagt, daß sich bei einer anderen Art der Zerlegung das
gleiche Resultat herausstellen würde. Jede gegebene Wahrscheinlich-
keit wird sich vielmehr in Bezug auf sehr viele Arten der Zerlegung
indifferent verhalten, auf andere aber reagieren.
Für den Fall nun, wo sich eine Wahrscheinlichkeit p auf sämt-
liche denkbaren Arten der Zerlegung indifferent verhält, wollen wir
ihr mit v. Kries eine definitive Bedeutung zusprechen1). Hat
man es mit solch einer Wahrscheinlichkeit zu thun, so ist offenbar
jede Zerlegung zwecklos, weil deren Ergebnis im voraus bekannt ist.
Es fragt sich aber, wie man zu der Ueberzeugung gelangt, daß
einer Wahrscheinlichkeit definitive Bedeutung zukomme.
Bei Wahrscheinlichkeiten a priori geschieht es auf die Weise,
daß man die Zerlegung in Teilgesamtheiten bis zur äußersten Grenze
verfolgt, und diese Grenze ist erst dann erreicht, wenn man so viele
Teilgesamtheiten gebildet hat, als Einzelfälle vorliegen. M. a. W. löst
man die Totalgesamtheit in Einzelfälle auf. Findet man dann, daß
für jeden Einzelfall der Wahrscheinlichkeitsansatz der gleiche sein
muß, so ist damit die Bedingung der definitiven Bedeutung der General-
wahrscheinlichkeit erfüllt, weil man gewiß ist, daß bei beliebiger Zu-
sammenfassung der Einzelfälle sich stets Teilgesamtheiten mit gleicher
Wahrscheinlichkeit ergeben werden. Daher kann man sagen, daß der
Generalwahrscheinlichkeit dort eine definitive Bedeutung zukommt,
wo die „Chancengleichheit der Einzelfälle" (v. Kries)
statthat.
Hat man es aber mit einer Wahrscheinlichkeit a posteriori zu
1) Prinzipien S. 110— -112.
41<
(344 k. von Bortkewitsch,
thun, so ist dasselbe einfache und sichere Kriterion nicht mehr an-
wendbar. Stellt hier p' den aus der Erfahrung — also etwa aus n
Versuchen — ermittelten Nährungswert der in Frage stehenden Wahr-
scheinlichkeit p dar und setzt sich die Totalgesamtheit der beobachteten
Fälle n in ähnlicher Weise wie vorhin die Totalgesamtheit aller mög-
lichen Fälle #, die in Teilgesamtheiten zt, z2, £3 zerfiel, aus
entsprechenden Teilgesamtheiten, auf die je wx, w2, n3 . . . . Einzel-
fälle oder Versuche entfallen, zusammen, so besteht die Gleichung
wo P'u P'zi P's • - • • die aus der Erfahrung bestimmten Werte für
Pn P-2i P% • • • • zu bedeuten haben. Sollte nun die Zerlegung nach
einem Prinzip erfolgt sein, dem gegenüber sich die Wahrscheinlichkeit
p indifferent verhält, so brauchten die Größen y ,, p'2, p'3 darum
nicht einander gleich zu sein. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung stellt
aber Regeln auf, nach denen aus dem gegenseitigen Verhalten der
Größen jp'a., jp'2, p\ . . . . darauf zu schliessen ist, ob die Abweich-
ungen letzterer Größen von p' etwaigen Differenzen zwischen pn _p2,
p3 . . . . und p oder aber der Wirkung „zufälliger Ursachen'1 zuzu-
schreiben seien. Die erwähnten Regeln sind jedoch nur unter der
Bedingung anwendbar, daß die Zahlen »,, n2, w3 . . . . bereits „große"
Zahlen seien, und vollends unbrauchbar werden diese Regeln, wenn
sich jene Zahlen auf 1 reduzieren. Es ist dabei zu beachten, daß in
der Gesamtheit beobachteter Einzelfälle n möglicherweise nicht alle
möglichen Fälle, die der Gesamtheit z angehören, vertreten sind.
Daher steht das bei Wahrscheinlichkeiten a priori zur sicheren Ueber-
zeugung von der definitiven Bedeutung der betreffenden Generalwahr-
scheinlichkeit führende Mittel — nämlich die Auflösung der Totalge-
samtheit in Einzelfälle — für den in Frage stehenden Fall nicht zur
Verfügung, und es bleibt hier nichts anderes übrig, als die Totalge-
samtheit der beobachteten Fälle nach verschiedenen Richtuugen hin
in Teilgesamtheiten zu zerlegen und jedesmal zu prüfen, ob die Diffe-
renzen zwischen p\, p'2, p\ . . . und p' die für die Wirkung zufälliger
Ursachen maßgebenden Spielräume nicht überschreiten. Mühsam wie
sie ist, vermag eine solche Prüfungsmethode niemals die volle Sicherheit
zu gewähren, daß man durch Zerlegung den Zustand der Chancengleich-
heit der Einzelfälle innerhalb der erhaltenen Teilgesamtheiten herbei-
geführt hat, weil man sich dem Zweifel nicht wird verschliessen können,
ob nicht vielleicht bei Zusammenfassung der Einzelfälle nach eiuem
neuen Priuzip — und die Zahl der Prinzipien, die sich in Anwendung
bringen lassen, hat nur an der Zahl der Unterscheidungsmerkmale, die
an den Einzelfällen wahrgenommen werden können, eine Grenze — sich
Differenzen zwischen den für einzelne neu gebildete Teilgesamtheiten
zu erhaltenden Wahrscheinlichkeiten ergeben würden, die nicht mehr
auf die Wirkung des Zufalls zurückzuführen wären J ).
1) Ueber die Prüfung der Chancengleichheit bei aposteriorischen Wahrscheinlich-
keiten bei v. Kries, Kap. VI, § 6. Auch Lexis, Einleitung in die Theorie § 79.
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. 645
Speziell also in der Statistik, die ihrer Methode gemäß niemals
in die Lage kommt, Wahrscheinlichkeiten „anzusetzen", sondern solche
erst a posteriori zu ermitteln sucht, wird man den Fall von Wahr-
scheinlichkeiten, denen definitive Bedeutung zukommt — man wolle
solche Wahrscheinlichkeiten Elementarwahrscheinlichkeiten1)
nennen — stets als Ausnahmefall anzusehen haben.
Man wird hingegen sagen dürfen, daß den normalen Fall für die
Statistik Wahrscheinlichkeiten darstellen, denen definitive Bedeutung
nicht zukommt2). In folgendem werde ich solche Wahrscheinlich-
keiten als Durchschnittswahrscheinlichkeiteu bezeichnen.
Es ist wohl denkbar, daß der Mannigfaltigkeit des Geschehens auf dem
Gebiete der sozialen Massenerscheinungen Elementarwahrscheinlich-
keiten zu Grunde liegen. Ich meine nur, daß die Statistik ihre Me-
thoden auf Durchschnittswahrscheinlichkeiten einzurichten hat, denn
vorausgesetzt sogar, daß es ihr einmal gelungen wäre, durch geeignete
Abgrenzung eine Masse herzustellen, innerhalb deren die Bedingung
der Chancengleichheit der Einzelfälle erfüllt wäre (eine absolut gleich-
artige Masse), so würde sie nach den vorstehenden Ausführungen
schwerlich — vielleicht überhaupt nicht — imstande sein, eine feste
Ueberzeugung davon zu gewinnen.
Die üblichste Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf die
Statistik besteht in der Berechnung der sog. Präcision einer Wahr-
scheinlichkeitsgröße, als welche eine statistische Verhältniszahl be-
trachtet wird.
Unter Präcision versteht man eine Konstante h, die, mit der posi-
tiven Größe a multipliziert, das Argument in der Tabelle der Werte
der Funktion Fu5) ergiebt, welch letztere Funktion die Wahrschein-
lichkeit für den a posteriori zu ermittelnden Wert p' der Wahrschein-
lichkeit^?, in den Grenzen von p — a bis p-\-a enthalten zu sein, aus-
drückt.
Die Größe h steht mit dem sog. mittleren Fehler /", d. h.
mit der Quadratwurzel aus der mathematischen Erwartung des Qua-
drates der Abweichung a in der Beziehung
hy/2
1) Leiis, ebenda §§ 93 u. 94, führt den Ausdruck „Elementarmassen" für solche
Gesamtheiten ein, bei denen die Chancengleichheit der Einzelfälle Platz greift.
2) Vgl. A. Cournot, Grundlehren der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Deutsch von
Schnuse, 1849, S. 152.
3) Die numerische Auswertung der Funktion Fu = — ~ \ e dt findet man in
V
den meisten Lehrbüchern der Wahrscheinlichkeitsrechnung.
4) Der ,, mittlere Fehler" in dem im Text angegebenen Sinn ist von der ,,erreur
moyenne" bei Laplace u. a. wohl zu unterscheiden. Laplace versteht darunter die
mathematische Erwartung e der positiven Abweichung p' — p (die math. Erwartung der
1 1
negativen Abweichung p' — p ist — e). Es ist e = -p=~ daher e = — =/.
2ÄK- Vl-z.
*=]4^resp-/=l/-
646 L- VOn Bortke witsch,
Ist der Wahrscheinlichkeitswert p' aus n Versuchen ermittelt
worden und stellt n eine große Zahl dar, so gelten die Gleichungen
m
n
wo j= 1 — p.
Die Berechnung der Präcision oder des mittleren Fehlers bezweckt
den Spielraum für die Wirkung zufälliger Ursachen zu bestimmen.
Hat man z. B. bei einer statistischen Masse von n Fällen m Mal
das Eintreten eines Ereignisses beobachtet, mithin — —p' als em-
n
pirischen Wert der gesuchten Wahrscheinlichkeit^ gefunden, bei einer
anderen Masse aber von n' Fällen dasselbe Ereignis m' Mal eintreten
VYl'
sehen, somit — = p" als zweiten empirischen Wert für die Wahr-
n
scheinlichkeit des Eintretens desselben Ereignisses ermittelt, so fragt
es sich, ob die so erhaltene Differenz aus der Wirkung zu-
n n'
fälliger Ursachen zu erklären ist oder nicht. Im ersten Fall wäre an-
zunehmen, daß den empirischen Wahrscheinlichkeiten p' und p" ein
und dieselbe abstrakte Wahrscheinlichkeit p zu Grunde liegt. Im
zweiten Fall aber wäre solch eine Annahme nicht mehr zulässig uud
man müßte für eine jede 'der beobachteten Massen eine besondere ab-
strakte Wahrscheinlichkeit statuieren.
Die Rechnung zeigt nun, daß für den Fall, wo sowohl bei der
ersten als bei der zweiten Masse die abstrakte Wahrscheinlichkeit p
gelten würde, eine bestimmte Wahrscheinlichkeit Fu für die zu erhaltende
Differenz in den Grenzen von — a bis -+- a enthalten zu sein,
n n'
resp. diese Grenzen nicht zu überschreiten vorhanden wäre. Man hat
hierbei u = h"a zu setzen und die Konstante h", die in analoger Weise
als Präcision der Differenz p' — p" bezeichnet werden mag, berechnet
sich aus der Formel
hh'
h" = — =
wo h resp. h' die Präcisionen von p' resp. p" bedeuten.
Bei großem n und n' ist es eine erlaubte Annäherung,
zu setzen, und man kommt schließlich auf die Formel
nn' V nn'
h" = _ , ==.
1/ 2 \m{n — m) n'3 -|- m' (n' — m') ns\
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. 647
So ließe sich leicht an der Hand einer Tabelle der Werte Fu die
Wahrscheinlichkeit dafür bestimmen, daß eine gegebene Differenz
auf die Rechnung zufälliger Ursachen zu setzen sei1).
Hat man aber statt zwei Verhältniszahlen eine ganze Reihe
P'> P", P'" • • • • solcher Zahlen zu vergleichen , die einer Reihe nach
einem bestimmten Prinzip unterschiedener Massen entsprechen, also
z. B. so, daß jede Masse die Fälle eines bestimmten Jahrganges um-
faßt, so gilt es auch hier, sich ein Urteil darüber zu bilden, ob die
Schwankungen, welche die ermittelten Zahlenwerte aufweisen, aus der
Wirkung zufälliger Ursachen zu erklären seien oder nicht. Bleibt
nämlich bei einer Anzahl l von Versuchsreihen, die aus je n Einzel-
versuchen bestehen, die abstrakte Wahrscheinlichkeit p dieselbe, so
ist nach dem Vorstehenden zu erwarten, daß sich die zu ermittelnden
empirischen Wahrscheinlichkeitswerte, nach ihrer Größe geordnet, in
einer bestimmten Weise um p gruppieren werden. Denn es besteht
eine angebbare Wahrscheinlichkeit Fu für einen empirischen Wert
der gesuchten Wahrscheinlichkeit innerhalb der Grenzen p — a und
und p-\-a zu liegen und demgemäß drückt das Produkt X Fu die Zahl
der Versuchsreihen , bei denen diese P^ehler^reuzen erwartungsmäßig
nicht überschritten werden. Zur Bestimmung der erwartungsmäßigen
Gruppierung der empirischen Wahrscheinlichkeitswerte um den ab-
strakten Wahrscheinlichkeitswert p ist die Kenntnis der Größe p und
der Präcision h, die ihrerseits von p abhängt, erforderlich. Man hilft
sich hierbei mit der Annäherung, die darin besteht, die Unbekannte p
durch einen Mittelwert p0 aus den erhaltenen Werten p', p'\ p'" . . .
zu ersetzen 2). Die so gewonnene erwartungsmäßige Gruppierung ist
nun der effektiven, die in der Reihe p',p",p'" ihren Ausdruck
findet, gegenüberzustellen, was selbstverständlich nur dann einen Sinn
hat, wenn l eine nicht zu kleine Zahl ist.
Zeigt sich dann eine befriedigende Uebereinstimmung der effektiven
Gruppierung mit der erwartungsmäßigen, so ist es ein Zeichen dafür,
daß die in Frage stehende abstrakte Wahrscheinlichkeit konstant ist
und die Schwankungen der empirischen Wahrscheinlichkeitswerte auf
die Wirkung des Zufalls zurückzuführen sind. Dies ist nach Lexis
der Fall der normalen Dispersion.
Lexis greift ferner aus allen denkbaren Arten des Verhaltens der
Zahlenwerte p\p'\p'" .... zwei für die Theorie wichtige Fälle heraus,
die er mit den Namen unternormale Dispersion und über-
normale Dispersion bezeichnet.
Unternormale Dispersion ist vorhanden, wenn sich die Zahlen-
werte p",p",p'" . . . der Funktion Fu entsprechend um p0 gruppieren,
1) Näheres darüber findet sich bei Lexis, Einleitung in die Theorie der Bev.-
Statistik, im letzten Kapitel, und bei Westergaard, Grundzüge der Theorie der
Statistik.
2) Das nähere darüber findet sich unten.
648 L. von Bortkewitsch,
jedoch so, daß die Präcisionskonstante h in Fu nicht mehr gleich,
sondern größer ist als die erwartungsmäßige Präcisionskonstante
y—t resp. V-r^- — , wo q0 = l—p0.
2p q [/ 2^0g0'
Bei übernormaler Dispersion hingegen ist für die Reihe p',p" p'"
ebenfalls die Funktion Fu maßgebend, nur daß für h statt der er-
wartungsmäßigen Präcionskonstante \ -^ ein kleinerer Wert zu
F ZPoVo
setzen ist.
Deutet eine unternormale Dispersion darauf hin, daß eine Ursache
oder ein Ursachenkomplex im Spiel sein muß, der auf die Schwankungen
der empirischen Wahrscheinlichkeitswerte ausgleichend einwirkt, so ist
andererseits eine übernormale Dispersion am besten aus der Annahme
erklärlich, daß den einzelnen Versuchsreihen verschiedene abstrakte
Wahrscheinlichkeiten entsprechen , die sich jedoch so verhalten, als
stellten sie mit zufälligen Fehlern behaftete Ausdrücke einer gemein-
samen abstrakten Wahrscheinlichkeit dar.
Sämtliche Fälle nun, die weder unter die Form der normalen,
noch der unternormalen oder übernormalen Dispersion zu bringen sind,
werde ich als Fälle unregelmäßiger Dispersion bezeichnen.
Letztere ist nur mit der Vorstellung vereinbar, daß die den Zahlen-
werten p',p",p'" .... zu Grunde liegende abstrakte Wahrscheinlich-
keit sich von Versuchsreihe zu Versuchsreihe ändert, und zwar nicht
mehr „zufällig", wie es bei übernormaler Dispersion der Fall ist.
Hier bilden die Werte p\ p", p'" . . . . nach Lexis eine sympto-
matische Eeihe *).
Ob man es also bei zwei Verhältniszahlen oder aber bei einer
längeren Reihe solcher Zahlen zu prüfen unternimmt, inwiefern die zu
Tage tretenden numerischen Differenzen resp. Schwankungen dem Zu-
fall zuzuschreiben seien, beide Male kommt es auf die Berechnung der
erwartungsmäßigen Präcisionskonstante an. Die Folge einer unrichtigen
Berechnung wird nun verschieden sein, je nachdem man die Präcision
zu hoch oder zu niedrig veranschlagt hat. Im ersten Fall wird man
geneigt sein, die Differenzen zwischen zwei empirisch gewonnenen Wahr-
scheinlichkeitswerten oder die Schwankungen bei einer Anzahl solcher
Werte auf Ungleichheit der in Frage stehenden abstrakten Wahr-
scheinlichkeiten , die den einzelnen zu vergleichenden statistischen
Massen entsprechen, schon dann zurückzuführen, wenn jene Differenz
oder diese Schwankungen bei korrekter Berechnung der Präcision noch
als Wirkung zufälliger Ursachen erscheinen würden. Im zweiten Fall
dagegen wird man dazu verleitet sein können, als zufällige solche
Differenzen oder Schwankungen anzusehen, die bei korrekter Berech-
nung der Präcision auf Ungleichheit der abstrakten Wahrscheinlich-
keiten hindeuten würden.
So ist denn die Eingangs gestellte Frage 2) dahin zu präcisieren,
1) Für weitere Ausführungen siehe Lexis, Zur Theorie der Massenerscheinungen.
2) S. 641—42.
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. 649
ob in der Statistik bei Bestimmung der Spielräume für die Wirkung
zufälliger Ursachen nicht dadurch Irrtümer entstehen mögen, daß bei
Berechnung der Präzisionskonstanten von dem Durchschnittscharakter
der in Frage stehenden Wahrscheinlichkeiten abgesehen wird.
Ich erinnere an die früheren Bezeichnungen, wonach einem aus
n Versuchen ermittelten Wahrscheinlichkeitswert
die abstrakte Wahrscheinlichkeit
0-1 , Z !> , Za
P = ~Pi + — P2 4- ->3 +
z z z
entspricht.
Es ist aber vorhin nicht näher angegeben worden , in welcher
Beziehung die Totalgesamtheit n der beobachteten Fälle hinsichtlich
ihrer Zusammensetzung aus einzelnen Teilgesamtheiten zu der Total-
gesamtheit z aller möglichen Fälle steht. Es kommt nämlich in Be-
tracht, ob die n Versuche mit oder aber ohne Rücksicht auf den
Umstand vorgenommen werden, daß die Totalgesamtheit z in Teil-
gesamtheiten mit ungleichen SpezialWahrscheinlichkeiten (px,Pz,p$ )
zerfällt.
Solch eine Rücksichtnahme auf die Ungleichartigkeit der in Frage
stehenden Masse findet z. B. statt, indem im voraus bestimmt wird,
es sollen an jeder einzelnen Teilgesamtheit möglicher Fälle «4, z2,z3 —
so viele, nämlich n1^n2,n3 ... Versuche gemacht werden, als sich aus
den Proportionen
n1 = z1 n2 =^ ^s^^s
n z ' n z ' n z
ergiebt. So werden die Näherungswerte p* 1, p* 2, p' s, der Spezial-
wahrscheinlichkeiten px,p2,p3, ermittelt und der Ausdruck
7-.P1 + 7P2 + 7P's + . ...=!>'
z z z
erscheint als empirischer Wert der in Frage stehenden Wahrschein-
lichkeit p. Setzt man
Zi £2 #3
7- — 9v> 7 — 9 21 7 — 9 z 1
z z z
so erhält man
P'=9iP\ +9*P\ + 9sP\ +
Bei einer zweiten und dritten Reihe von je n Versuchen würde
man, wenn man ähnlich verführe, auf empirische Spezialwahrschein-
lichkeiten p'\, p"2, p" 3 und p"\, p"\-, p" '3 und auf em-
pirische Generalwahrscheinlichkeiten
P" =9iP" '1 + 9iP" 'a + 9%P'" '3 +
und
P'" = 9xP"\ +92P'"* +9&P'"z + • • •
650 k. von Bortkewitsch,
kommen. Wie man sieht, unterscheiden sich die einzelnen empirischen
Werte der Generalwahrscheinlichkeit p von einander durch die em-
pirischen Werte der SpezialWahrscheinlichkeiten, von denen sie ab-
hängen und die unter der Wirkung zufälliger Ursachen sich von Ver-
suchsreihe zu Versuchsreihe ändern. Dagegen bleiben die Koeffizienten
<7i, <72i 9i bei jeder Versuchsreihe dieselben und da nun letztere
Zahlenreihe nichts anderes als die Art der Zusammensetzung der in
Frage stehenden Generalwahrscheinlichkeit aus Spezialwahrscheinlich-
keiten ausdrückt, so nenne ich in diesem Fall die Generalwahrschein-
lichkeit p mit Bezugnahme auf die Art ihrer aposteriorischen Ermitte-
lung eine konstant zusammengesetzte Durchschnitts-
wahrscheinlichkeit.
Wenn nun aber die Bestimmung des Näherungswertes von p aus
der Erfahrung ohne Rücksicht auf die Zusammensetzung der Total-
gesamtheit aller möglichen Fälle z aus Teilgesamtheiten #,, £2, z%
erfolgt, mithin so, daß die n Versuche unmittelbar an der Total-
gesamtheit aller möglichen Fälle z gemacht werden, so ist es im voraus
nicht bekannt, auf welche Teilgesamtheit aller möglichen Fälle sich
jeder Einzelversuch bezieht, und die Zerlegung der Totalgesamtheit w
der beobachteten Fälle in Teilgesamtheiten nx, w2, n3 kann erst
nachträglich durchgeführt werden. Nach demselben Prinzip kann auch
die Gesamtzahl m der dem Eintreten des Ereignisses günstigen Fälle
in Teilgesamtheiten mx, m2, m3 zerlegt werden. Es sei den früheren
Bezeichnungen analog
m w, m9 . m..
n._
Auch hier besteht die Gleichung
P =— lP i H ~ P 2+ P 3 + • * ' •'
aber es leuchtet ein, daß den Gleichungen
nx zx n.f z2 wR z%
n z n z n z
nur mit einer gewissen Annäherung, die um so größer sein wird, je
zahlreicher die Versuche sind, die auf jede Teilgesamtheit entfallen,
entsprochen wird. Die Verhältniszahlen
n, rio n%
= 9 ii =#2» = 9 s •'••
stellen vielmehr in diesem Fall empirische Wahrscheinlichkeitswerte
dar, denen die abstrakten Wahrscheinlichkeiten
9x~ z" 92~ z" 9*~~ z
zu Grunde liegen. Bei einer zweiten resp. dritten Reihe von n Ver-
suchen würde man statt #',, g\, g's . . . . abweichende Zahlen werte
9"i, 9'\, 9'\ resp. g"\, 9"\;j'\ und statt
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. 651
P' = 9'iP'i -\-9\P'° +9'sP's + - • • •
eine neue Größe
P" = 9" iP" t + 9" iP" 2 4- 9" *P" 3 +
resp.
P'" =9"\P'" iJr9"\P"\-\- 9'" *P"\ + ■••
erhalten. Somit sind die numerischen Unterschiede zwischen den ein-
zelnen Werten der Generalwahrscheinlichkeit p sowohl durch die zu-
fälligen Aenderungen, denen die empirischen Werte der betreffenden
SpezialWahrscheinlichkeiten unterliegen, als auch durch ähnliche Aende-
rungen in den Werten der Koeffizienten, mit denen die ersteren ver-
sehen sind, bedingt. Eine Generalwahrscheinlichkeit, deren aposteriori-
sche Bestimmung in gezeigter Weise erfolgt, nenne ich eine Durch-
schnittswahrscheinlichkeit im eigentlichen Sinn.
Die soeben erörterte Einteilung der Durchschnittswahrscheinlich-
keiten in zwei Arten darf nicht als eine erschöpfende angesehen werdpn.
Denn als Einteilungsgrund diente mir dabei die Thatsache der Be-
rücksichtigung oder der Nichtberücksichtigung der Zusammensetzung
der Total Gesamtheit aller möglichen Fälle aus Teilgesamtheiten, denen
verschiedene SpezialWahrscheinlichkeiten zukommen. Nun braucht aber
die Rücksichtnahme auf letzteren Umstand nicht notwendig in der für
den Begriff der konstant zusammengesezten Durchschnittswahrschein-
lichkeit maßgebenden Form zum Ausdruck zu kommen. Es sind viel-
mehr sehr viele Modalitäten des Verfahrens denkbar 1), auf die ich
vorläufig nicht näher eingehen werde. Ein Fall ist jedoch schon hier
besonders hervorzuheben. Man stelle sich nämlich vor, daß bei jedem
Versuch, die Teilgesamtheiten #,, #2, s3 .... aller möglichen Fälle
getrennt vorliegen und daß jedesmal durch Auslosung bestimmt wird,
an welcher Teilgesamtheit aller möglichen Fälle der nächste Einzel-
versuch vorzunehmen sei, wobei q1, g2, g% . . . . die bei jedem Einzel-
versuch geltenden Wahrscheinlichkeiten für die Teilgesamtheiten #,,
#2, £s durch das Los getroffen zu werden, darstellen. Es bedarf
kaum des Beweises (vgl. unten), daß sich in diesem Fall kein anderes
Resultat herausstellen kann, als in dem anderen Fall, wo jeder Einzelver-
such sich unmittelbar auf die Totalgesamtheit aller möglichen Fälle bezieht,
und man kann wohl sagen, daß hier eine bloß scheinbare Rück-
sichtnahme auf den ungleichartigen Charakter der Totalgesamtheit
z stattfindet. Darum hört eine mittels des geschilderten Verfahrens
zur aposteriorischen Bestimmung gelangende Durchschnittswahrschein-
lichkeit nicht auf, eine solche im eigentlichen Sinne zu sein.
Nun gilt es zu zeigen, wie die Präcision resp. der mittlere Fehler
bei einer jeden der beiden charakterisierten Arten der Durchschnitts-
wahrscheinlichkeit zu berechnen sei. Dem Wesen der Aufgabe wird
hierbei die Annahme entsprechen, daß die in Frage stehenden Spezial-
wahrscheinlichkeiten^?,, p2, p3 .... zugleich Elementarwahrscheinlich-
keiten seien. Auch sollen die oben angeführten Formeln der Präcision
1) v. Kries, Prinzipien S. 105 ff.
652 k. von Bortkewitsch,
und des mittleren Fehlers vorläufig als solche angesehen werden, die
bloß für Elementarwahrscheinlichkeiten Giltigkeit haben.
Bezeichnet man mit /",, /"2, f3 .... die mittleren Fehler der aus
nit nt-> n3 Versuchen ermittelten Wahrscheinlichkeitswerte, denen
die abstrakten Wahrscheinlichkeiten pt, p2, p3 .... entsprechen, und
setzt man 1 — p1 = g[i, 1 — P-2==Q.<i-> 1 — Ps—Q.6 — > so erhält man
die Formeln
a-i/«^-, r.-V*^ f,-v**
"1 f '"2 f '"3
Man nenne ferner f0 den mittleren Fehler der konstant zusammen-
gesetzten Durchschnittswahrscheinlichkeit
P=9iPi + 9zP* + 9aPa + • • • •
Die Koeffizienten gx, </2, g3 sind hier als konstante Grössen zu
betrachten und für diesen Fall wird in der Wahrscheinlichkeitsrechnung
die Formel abgeleitet
h-^9\t\Jt'\f\ + 9\f\ +
die sich in
y \n) nx \n) w2 \n ) n3
und schließlich in
9iP\<lx+9*P>2<l2+9zP*<l3 +
verwandelt.
Die angedeutete Art der Ableitung letzterer Formel setzt voraus,
daß nicht nur die Zahl n, sondern auch die Zahlen wn w2, n3
bereits große Zahlen seien. Indessen erweist sich dieselbe Formel in
Poisson's Darstellung als unabhängig von jener Voraussetzung, in-
dem nämlich den Ausgangspunkt der Betrachtung bei ihm der Fall
bildet, wo die Teilgesamtheiten nx, n2, n3 .... aus je einem Versuch
bestehen, so daß beim ersten Versuch die Elementarwabrscheinlichkeit
c, gilt, bei dem zweiten c2, bei dem dritten cs — , bei dem wten c„.
Poisson entwickelt die Formel
1/ Cl(1~Cl) + C2(1~ ^2) + + Cn(l—C»)
/O- n2
aus der die vorhin angeführte Formel direkt ableitbar ist ').
Hätte man nun den mittleren Fehler von p ohne Rücksicht darauf
berechnet, daß man es hier mit einer konstant zusammengesetzten
Durchschnittswahrscheinlichkeit zu thun hat, so würde sich der Ausdruck
1) Poisson, Recherches sur la probabilite" des jugements, 1837, No. 94 — 95, und
L e x i s , Einleitung in die Th. der Bev.-Statistik, § 80, Formel ji.
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. 653
ergeben haben. Es gilt nunmehr f0 mit f zu vergleichen.
Zunächst ist es ein Leichtes, sich von der Richtigkeit folgender
Gleichungen zu überzeugen
P1Q1 =P9 + (p—q) (p—Pi) — {p—PiY
P2Ü2 =pq + {p—s) (p—p*) — (p— JP2)9
#303 =P9 + (p— o) (p— Pi) — (p— Pa)2
Multipliziert man sodann die erste Gleichung mit g^ die zweite mit
gf2, die dritte mit g.s und addiert einmal die linken und ein anderes
Mal die rechten Seiten sämtlicher Gleichungen, so erhält man
9iPi9i + 9iPdL* -\-9sPsQ-s H =P9 — {gÄP—Pi)2 + 9z(P— P*Y
■i~9s(p—Ps)2-\ }
Der in Klammern eingeschlossene Ausdruck ist aber auf jeden
Fall positiv, es sei denn, dass die Bedingung
Pi =Ps =Ps = ■ •• • =P
erfüllt ist, für welchen Fall der gesagte Ausdruck sich in Null ver-
wandeln würde. Dann aber wäre p keine Durchschnittswahrscheinlich-
keit mehr, sondern eine Elementarwahrscheinlichkeit. Mithin hat man
ganz allgemein
S1P1Q1 +92P2Q2 +9^29.3 H <P9
und folglich
U<f.
Einer konstant zusammengesetzten Durchschnitts-
wahr s chein li chkeit komm t also ein kleinerer, mittlerer
Fehler, resp. eine grössere Präcision zu, als einer Ele-
mentarwahrscheinlichkeit von gleicher numerischer
Größe bei gleicher Zahl von Versuchen entsprechen
würde. Eine Reihe empirischer Werte einer konstant zusammen-
gesetzten Durchschnittswahrscheinlichkeit würde daher eine unter-
normale Dispersion aufweisen, falls jedem einzelnen jener Werte die
gleiche abstrakte Wahrscheinlichkeit zu Grunde gelegen hätte x).
Geht man nun zu dem Fall einer Durchschnittswahr-
scheinlichkeit im eigentlichen Sinne über, so gebührt
Poisson das Verdienst, gezeigt zu haben, daß in diesem Fall genau
dieselbe Formel der Präcision gilt, wie bei einer Elementarwahrschein-
lichkeit, und. darin eben besteht die Verallgemeinerung, die er dem
Theorem Jacob Bernouilli's zu Theil weiden ließ. In dieser Ver-
allgemeinerung ist letzterer Satz als „Gesetz der großen Zahlen"
von Poisson verkündet worden und kann wie folgt formuliert werden:
1) Cournot, Die Grundlehren der Wahrscheinlichkeitsrechnung, Siebentes Kapitel,
§§ 77—78; v. Kries, Prinzipien S. 108—109.
654 k. von Bortkewitsch,
„Kommt dem Eintreten des Ereignisses E eine Wahrscheinlichkeit £>
zu, so wird bei n Versuchen das Verhältnis der dem Eintreten von E
günstigen Fälle m zu der Gesamtzahl der beobachteten Fälle, also
das Verhältnis - um so weniger von der Größe p erwartungsmäßig
n
abweichen, je größer n ist, und zwar besteht eine angebbare Wahr-
Wh
scheinlichkeit Fu für — in den Grenzen von
n
u V2pq , . , u V2pg
y n y n
enthalten zu werden, mag dabei p eine Elementarwahrscheinlichkeit
oder aber eine Durchschnittswahrscheinlichkeit im eigentlichen Sinne
sein x)."
Kaum dürfte es einen anderen Lehrsatz geben, der so vielfach
auf Widerspruch gestoßen ist, wie das Gesetz der großen Zahlen na-
mentlich in der ihm von Poisson verliehenen Ausdehnung auf den
Fall einer Durchschuittswahrscheinlichkeit im eigentlichen Sinne. Und
doch beruhen jene Angriffe meistens auf Mißverständnissen und Miß-
deutungen, die sich als solche erweisen müssen, sobald man den wahren
Sinn des in Frage stehenden Lehrsatzes und einiger mit demselben
zusammenhängenden Begriffe richtig und zwar an der Hand der
Poisson'schen Darstellung selbst erkannt hat.
Zuvörderst sind die Ausdrücke „Chance" und „Ursache"
(cause), die bei Poisson überall vorkommen, wo es sich um eine Durch-
schnittswahrscheinlichkeit i. eig. S. handelt, zu erklären. Es genügt
vorläufig zu sagen, daß unter Chance dasjenige zu verstehen ist, was
ich Elementarwahrscheiulichkeit genannt habe. Wäre nun die Teil-
gesamtheit aller möglichen Fälle, auf die sich der vorzunehmende
Einzelversuch jeweils bezieht, im voraus bekannt, so erschiene die
Chance als alleinbestimmender Faktor für die auf Eintreten oder Nicht-
eintreten des Ereignisses E gerichtete Erwartungsbildung. Stellt man
sichs aber als eine ungewisse — bloß mehr oder weniger wahrschein-
liche — Thatsache vor, ob der zu beobachtende Einzelfall zu der
einen oder der anderen Teilgesamtheit aller möglichen Fälle gehöre,
so gewinnt diese Zugehörigkeit mit Rücksicht auf die Ungleichheit
der Chancen, die den einzelnen Teilgesamtheiten zukommen, die Be-
deutung eines zweiten, die Erwartungsbildung mitbedingenden Faktors
und wird in diesem Sinne als „Ursache" bezeichnet.
1) Bewiesen ist der Satz im 4. Kapitel der „Recherches sur la probabilite des
jugements", speziell in No. 109. Die Präcisionsformel für den Fall einer Durchschuitts-
wahrscheinlichkeit ist auf S. 297 (S. 257 der deutschen Ausgabe von Schnuse) angeführt
und stimmt mit der in No. 82 — 83, S. 209 (deutsch S. 175) erhaltenen für den Fall
einer Elementarwahrscheinlichkeit überein. S. auch Lexis, Einleitung u. s. w. § 81.
Die Zahlen der Versuche, die im Fall einer Duichschnittswahrscheinlichkeit im eig. S.
auf einzelne Teilgesamtheiten entfallen, brauchen, genau so wie im Fall einer konstant
zusammengesetzten Durchschnittswahrscheinlichkeit, nicht grofs zu sein, sondern können
sich auf 1 und 0 reduzieren. Vergl. Cour not, Grundlehren S. 115.
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. 655
Der für den Begriff der Durchschuittswahrscheinlichkeit i. eig. S.
maßgebende Vorgang läßt sich demnach in Poisson's Ausdrucksweise
so charakterisieren: das Ereignis E kann einer der Ursachen (7n C2,
C.A . . . . sein Eintreten verdanken, und zwar tritt bei jedem Einzel-
versuch eine und nur eine der genannten Ursachen in die Erscheinung.
Es ist ferner _p, die Chance, die unter der Wirknng der Ursache Cx
für das Eintreten von E besteht, ähnlich entsprechen den Ursachen
C2, C3 . . . die Chancen j92, p$ . . . Ob aber die eine oder die an-
dere Ursache bei einem gegebenen Einzelversuch zur Geltung kommt,
ist im voraus nicht bekannt, sondern mit einer bestimmten Wahr-
scheinlichkeit anzunehmen. Stellen gx, g%, gs . . . . die Wahrschein-
lichkeiten des Eintretens der Ursachen Cn C2, C3 . . . . dar, so er-
giebt sich
P = 9xPx +92P2 +9sPz H
als Ausdruck der in Frage stehenden Durchschnittswahrschein-
lichkeit.
Die Reihe der Worte gx, g%, g3 .... drückt nach Poisson
das „Wahrscheiulichkeitsgesetz der Ursachen*' (la loi de probabilite
des causes) aus und wird als ungeändert für den ganzen Verlauf der
n Versuche angenommen. (Ebenso sind die den einzelnen Ursachen
entsprechenden Chancen als constant gedacht1).) Dies ist namentlich
denjenigen gegenüber hervorzuheben, die da meinen, daß bei Poisson
die Veränderungen der Chancen von Versuch zu Versuch ganz regel-
los vor sich gehen oder die bei einzelnen Versuchen in die Erscheinung
tretenden Ursachen in absolut unbestimmter Weise aufeinanderfolgen
dürften. Eine scheinbare Stütze finden dahin gehende Behauptungen
in einigen Stellen der „Recherches", wo thatsächlich von „Regellosig-
keit1' in der Aufeinanderfolge der Ursachen die Rede ist*). Allein
damit wird nur gemeint, daß jene Aufeinanderfolge durch Zufall
regiert wird, und so der Gegensatz dieses Falles zu jenem markiert,
wo entweder die Aufeinanderfolge der Chancen resp. der Ursachen
oder doch die Zahlen der Versuche, die unter der Wirkung der ein-
zelnen Ursachen vorzunehmen sind, im voraus festgesetzt werden
(der vorhin erörterte Fall einer konstant zusammengesetzten Durch-
schnittswahrscheinlichkeit).
Daß die hier dem Gesetz der großen Zahlen gegebene Deutung
der Auffassung Poisson's selbst genau entspricht, geht aus den zwei
sich bei ihm vorfindenden Beispielen mit hervor 3).
1) S. No. 54, S. 143—144, auch S. 139 und 314, wo die im Text namhaft ge-
machten Bedingungen ausdrücklich ausgesprochen sind. Für das richtige Verständnis
des Gesetzes der grofsen Zahlen ist der letzte Teil des 2. Kapitels (No. 51 — 65), der
wohl auch dem nicht mathematischen Leser keine Schwierigkeiten bieten dürfte, von
gröfster Wichtigkeit.
2) S. 13 behauptet Poisson, sein „Gesetz der grofsen Zahlen" sei auf Dinge an-
wendbar, ,,qui ont, en general, des chances continuellement variables, le plus souvent
dans aucune regularite" ; ähnlich auf S. 7 : „des causes qui varient irregulierement",
oder noch S. 147 : ,,ces chances varient d'une epreuve ä une autre, et le plus souvent
aussi, d'une maniere tout-ä-fait irreguliere."
3) No. 55—56.
656 ^. von Bortkewitsch,
Im ersten Beispiel hat man eine Anzahl von Urnen Cn C2,
C3 . . . . Cv, die mit weißen und schwarzen Kugeln gefüllt sind, und
es soll cx die Chance dafür angeben, daß bei einer aus der Urne Cx
vorgenommenen Ziehung eine weiße Kugel erscheinen wird ; desgleichen
ist c2 die Chance, eine weiße Kugel zu erhalten, wenn man aus der
Urne C2 eine Kugel zieht schließlich ist Cv die der Urne Cv
entsprechende Chance der Ziehung einer weißen Kugel. Man greift
aufs Geratewohl eine Urne aus der ganzen Reihe heraus und ersetzt
sie durch eine ähnliche Urne, d. h. durch eine Urne, welche die gleiche
Chance der Ziehung einer weißen Regel aufweist. Dann nimmt man
in der nämlichen Weise eine zweite Urne heraus und ersetzt sie eben-
falls durch eine ihr ähnliche Urne, dann eine dritte u. s. f. also
immer in der Weise, daß das Urnensystem Cl,C2 Cz .. . Cv unver-
ändert bleibt. (Das entspricht der Bedingung des Konstantbleibens
des Wahrscheinlichkeitsgesetzes der Ursachen.) So bildet man eine
unbestimmt fortgesetzte Urnenreihe jB1,JB2,J?3 — , die nur die ge-
gebenen Urnen Cl,C2,C3 in mehr oder weniger häufiger Wieder-
holung enthalten wird. Es sei b1 die Chance der Ziehung einer
weißen Kugel aus B^b2 die Chance bei B2,b3 bei B3 u. s. f. Als-
dann wird die unbestimmt fortgesetzte Reihe &,, &2, &3 . . . nur die
Chancen cx,c2, c3 . . . enthalten, wobei wiederum die Glieder der zweiten
Reihe mehr als einmal in der ersten werden vorkommen können. Man
ziehe nun eine Kugel aus Bu eine zweite aus _B2, eine dritte aus Bs
u. s. w. bis auf die Urne B^ inclusive. Führt man nun die zwei Be-
zeichnungen ein
hbl + b2+b3 + ... + bv.)=ß
und
-(cx +c2 + c3 + ... + cv)=y
und setzt m für die Zahl der Fälle, in denen eine weiße Kugel er-
schienen ist, so ergiebt sich bei sehr großem /n mit großer An-
näherung
dann aber auch
£-A (i)
?-* ™
Den Gleichungen (1) und (2) kommt aber ein verschiedener Grad
der Annäherung zu, und zwar dürfte man einsehen, schon ohne die
Hilfe der Rechnung in Anspruch zu nehmen, daß die Abweichung der
Relation — von ß erwartungsmäßig kleiner sein muß als von y (immer
fi
in der Voraussetzung, daß die Chancen cltcs,c8... nicht einander
gleich sind). Ein genaues Maß für diesen Unterschied giebt die
Präcisionskonstante ab, die sich bei ß auf
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. G57
= = A?
1
2 (M1-M + MI-M + -
und bei y auf
Y--
!'
2y{l-y)
stellt. Es wäre ein Leichtes, an der Hand eines früher bewiesenen
Satzes zu zeigen, daß der obere Ausdruck erwartungsmäßig größer ist
als der untere. Der Wahrscheinlickheit ß mit der Präzision Aß einer-
seits und der Wahrscheinlichkeit y mit der Präcision Ay andererseits
entsprechen zwei verschiedene Spielmodi. Damit nämlich bei einer
Anzahl von Versuchsreihen, die je aus [t Versuchen bestehen und bei
denen die Zahlen der gezogenen weißen Kugeln m,m',m" . .. sind, er-
vartet werden kann, daß die Relationen ••• gegen 8 kon-
fi fi (i
vergieren und eine der Präcision Aß entsprechende Dispersion auf-
weisen, wäre bei jeder Versuchsreihe an dem Urnensystem BX,B2,
B3... festzuhalten und stets aus einer jeden der genannten Urnen je
eine Kugel zu ziehen. Soll hingegen die Wahrscheinlichkeit y und
die Präcision hy als maßgebend für die zu erwartenden Resultate er-
scheinen, so muß das Spiel dergestalt eingerichtet werden, daß bei
der zweiten Versuchsreihe nicht mehr das Urnensystem Bi,B2,Bä . . .,
sondern ein neues Urnensystem B'u B'2, B\ . . ., das in ähnlicher
Weise wie das erstere aus dem Urnensystem C15 C2J C& ... abzuleiten
wäre, bei der dritten Versuchsreihe ein analoges Urnensystem B'\,
B"2,B"3, . .. u. s. f. benutzt wird. Nur der zuletzt erwähnte Spiel-
modus ist dazu angethan, das Gesetz der großen Zahlen in der ihm
von Poisson gegebenen Erweiterung zu exemplifizieren, während es
sich beim ersten Spielmodus um eine konstant zusammengesetzte
Durchschnittswahrscheinlichkeit handeln würde. Es ist kaum not-
wendig beizufügen, daß in dem angeführten Poisson'schen Beispiel für
jede einzelne Urne dieselbe Wahrscheinlichkeit, nämlich — , bei jedem
Versuch besteht, getroffen zu werden und daß im Fall, wo diese Be-
dingung nicht erfüllt wäre, der Ausdruck für y eine entsprechende
Modifikation zu erfahren hätte.
In dem zweiten Poisson'schen Beispiel handelt es sich um eine
sehr große Anzahl von 5-Francsstücken — es seien dies Au A2,...
Av — die in die Luft aufgeworfen werden und dann entweder mit
der Kopf- oder mit der Schriftseite nach oben gekehrt auf die Erde
zurückfallen. Es sei bei einem beliebigen Stück Ai die Chance des
Erscheinens von „Kopf" a,-. Die in Betracht kommende mittlere
Chance ist
a = -- ( ax + a2 + • • • »vj
Dritte Folge Bd. Vm (LZIfl). 42
ß58 L. von Bortkewitsch,
und bei einer sehr großen Zahl ^ von Würfen bestimmt sich a mit
großer Wahrscheinlichkeit aus
m
a ~ TT'
wo m die Zahl der Fälle angiebt, bei denen „Kopf" erschienen ist.
„Wirft man nun", sagt Poisson, „dieselben 5 Francsstücke oder allge-
meiner (.c andere, aber gleich geartete 5- Francsstücke auf, die aus
derselben Fabrikation hervorgegangen sind, so wird man mit großer
W ahrscheinlichkeit
m' m
f.i' f.i
erhalten müssen." Hier ist m' die Zahl der Fälle, bei denen im zweiten
Fall „Kopf" erschienen ist. „Aber diese Relationen I — und — |
V (.i (i'J
werden im allgemeinen nicht einander gleich sein, wenn die in einer
jeden der beiden Versuchsreihen benutzten Münzstücke verschiedener
Art oder aus verschiedener Fabrikation hervorgegangen sein würden."
Sind in diesem Beispiel die Bedingungen, an welche die Anwend-
barkeit des Gesetzes der großen Zahlen geknüpft ist, nicht ganz streng
formuliert worden, so darf man doch Poisson nicht vorwerfen, im ge-
gebenen Fall die einzuhaltenden Schranken überschritten zu haben.
Denn der wahischeinlichkeitsrechneriscbe Ausdruck für die „gleiche
Fabrikation" liegt auf der Hand. Lassen sich nämlich nach dem
numerischen Werte der einem jeden Münzstücke zukommenden Chance «,-
verschiedene Kategorien von 5-Francsstückeu unterscheiden, so ist bei
jedem herzustellenden oder hergestellten Münzstück mit einer be-
stimmten Wahrscheinlichkeit zu erwarten, daß dasselbe der einen oder
der anderen Kategorie angehöre. Die Reihe solcher Wahrscheinlich-
keiten drückt eben das hier in Betracht kommende „Wahrscheiulich-
keitsgesetz der Ursachen" aus und unter gleicher Fabrikation ist offen-
bar nichts anderes zu verstehen als das Konstantbleiben der Zahlen-
werte, die die genannte Reihe bilden.
So würde sich auch dieses zweite Beispiel unter das allgemeine
Schema bringen lassen, und es dürfte im allgemeinen klar sein, welchen
Sinn Poisson selbst dem Gesetz der großen Zahlen beigelegt hat.
Indessen wird das Gesetz der großen Zahlen sogar in Werken
hervorragender, zumal mathematisch gebildeter Autoren — von „ge-
meinen" Statistikern nicht zu reden — nur gar zu oft in schiefer Be-
leuchtung vorgeführt und dadurch der Name Poisson in Mißkredit
gebracht.
Gegen jede Erwartung findet sich z. B. bei Qu et el et an der
maßgebenden Stelle seiner „Lettres sur la th^orie des probabiliteV' x)
eine Darlegung des Gesetzes der großen Zahlen, die von einer
restringierten Auffassung des Poisson'schen Lehrsatzes zu zeugen scheint.
1) Lettres sur la theorie des probabilites appliqu^e aus sciences morales et politi-
ques. Bruxelles 1846. 30e lettre, p. 213—215.
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. 659
An das zuletzt erwähnte Beispiel Poisson's anknüpfend, sucht
Quetelet das Gesetz der großen Zahlen wie folgt verständlich zu
machen.
„Hat man", meint er, „eine Müuze lOOOmal in die Höhe geworfen
und sind dabei die Fälle, bei denen „Kopf" zu den Fällen , bei denen
„Schritt" erschienen ist, ein Zahlenverhältnis 3:2 vorgekommen, so
wird man auf Grund des Bernoulli'schen Lehrsatzes bei weiteren mit
derselben Münze vorzunehmenden Versuchen dasselbe Verhältnis zu
erwarten berechtigt sein." Dies würde, nach dem Poisson'schen Lehr-
satz, auch dann noch der Fall sein, wenn die Versuche, statt mit dem-
selben, mit verschiedenen Münzstücken gemacht würden, dabei aber
die den einzelnen Müuzstücken zukommenden Wahrscheinlichkeiten des
Eintretens von „Kopf" und „Schrift" um die mittleren, durch die Her-
stellungsart und die physische Beschaffenheit der Münzstücke determi-
nierten Wahrscheinlichkeiten, die sich im gegebenen Fall auf 3/5 und 2/5
stellen, leicht variieren würden. Daß das Bernoulli'sche Prinzip auch
hier anwendbar sei, sei von Poisson mit Hilfe einer gelehrten Analyse
bewiesen worden. „Zum Glück", fährt Quetelet fort, „bedarf es der
Hilfe der Mathematik nicht, um zu begreifen, daß die kleinen Aende-
ruugen, die mau beim Uebergang von dem einen Münzstück zu dem
anderen wahrnimmt, unter die Wirkungen zufälliger Ursachen, die
sich auf die Dauer, bei ausreichender Vermehrung der Versuche gegen-
seitig aufheben, eingereiht werden können , so daß sich ähnliche Er-
gebnisse herausstellen müssen, als wenn man sämtliche Versuche that-
sächlich mit ein und demselben Müuzstück gemacht hätte. In dem
uns beschäftigenden Fall sind die Versuche sehr zu vermehren: und
das ist der Grund, weshalb Poisson die Ausdehnung des Bernoulli'schen
Prinzips das Gesetz der großen Zahlen genannt hat."
Während also bei Poisson, sowohl im allgemeinen, wie im Beispiel
mit den 5-Francsstücken, „das Wahrscheinlichkeitsgesetz der Ursachen"
eine beliebige Form annehmen darf, unterwirft es Quetelet einer be-
stimmten Bedingung, der zufolge die in Betracht kommenden Chancen
nur in gewissen Grenzen, und zwar um einen gegebenen Mittelwert zu
schwanken haben. Diese durch den Wirklichen Sachverhalt nicht ge-
botene Einschränkung des Poisson'schen Lehrsatzes brachte es mit
sich , daß letzterer in die Ausführungen über die Art der Wirkung
zufälliger Ursachen, wohin er gar nicht gehört, von Quetelet einge-
führt worden ist.
Auch in einer anderen Beziehung hat sich Quetelet eine irrtüm-
liche Auffassung des Gesetzes der großen Zahlen zu Schulden kommen
lassen. Er glaubt nämlich, daß unter solchen Bedingungen des Spieles
oder der Erfahrung , wie sie der Poisson'sche Lehrsatz in der ihm
eigentümlichen Erweiterung voraussetzt, sich größere Schwankungen
resp. eine kleinere Konstanz der Resultate, d. h. der bei einzelnen
Versuchsreihen zu erhaltenden empirischen Werte der gesuchten Wahr-
scheinlichkeit, herausstellen müßte als unter Bedingungen, die dem
Bernoulli'schen Theorem entsprechen würden. Dies trifft aber nicht
42*
(360 k. von Bortkewitsch,
zu, weil die in Betracht kommende Präcision nur von der Zahl der
Versuche und von dem Wert der betreffenden abstrakten Wahrschein-
lichkeit, einerlei, ob letztere Elementar- oder Durchschuittswahrschein-
lichkeit ist, abhängt1).
Quetelet dürfte mit seiner Restriktion des Poisson'schen Lehrsatzes
eine ganz exklusive Stellung einnehmen. Sonst besteht die Tendenz,
dem Gesetz der großen Zahlen eine viel größere Tragweite beizulegen,
als der Auffassung dessen Urhebers entspricht.
So liest man bei Bertrand2) folgendes: „Lorsque la probabilite
d'un e\enement est variable d'une epreuve ä l'autre, le theoreme de
Bernoulli n' est plus applicable. La g6u6ralisation propos6e par Poisson
sous le nom deloi des grandsnombres manque non seulement de
rigueur, mais de präcision. Les conditions supposees dans 1' 6nonc6
6chappent par le vague a toute apprßciation mathematique."
Der von Bertrand erhobene Einwand wird aber hinfällig, sobald
man sich vergegenwärtigt, daß, seiner Behauptung zum Trotz, die in
Frage stehende Wahrscheinlichkeit sich von Versuch zu Versuch bei
Poisson nicht ändert. Es wechseln nur die Chancen, die bei jedem
Versuch in Betracht kommen, während die Wahrscheinlichkeit, mit
der vor jedem Versuch das Eintreten des betreffenden Ereignisses zu
erwarten ist, stets dieselbe bleibt.
Um so befremdender erscheint die citierte Aeußerung Bertrand's,
als Poisson selbst mehr als einmal Veranlassung gefunden hat, dies
zu betonen 3).
Dürfte nicht vielmehr die Frage am Platze sein, ob denn der
Poisson'sche Lehrsatz eine Verallgemeinerung des Bernouilli'schen
wirklich darstelle und ob der Fall einer Durchschnittswahrscheinlich-
keit im eigentlichen Sinne eine besondere Beweisführung auch that-
sächlich erheische4)?
Der Urheber des Gesetzes der großen Zahlen hat selbst den Ein-
wand vorgesehen und ihn so zu beseitigen geglaubt. Auf das angeführte
Beispiel mit den Urnen Bezug nehmend, behauptet Poisson, daß, bevor
1) o. c. S. 213. „Les petites variations qui alterent une cause et qui ne s'exercent
que dans des limites tres etroites, peuvent etre regardees comme les efiets de causes acci-
dentelles qui, dejä, pouvaient influer sur le r6sultat final. De sorte qu'en definitive, la
cause variable peut etre consideree comme constante, et les causes accidentelles, devenues
plus nombreuses et plus variees, fönt osciller le re'sultat cherche entre des limites d'erreur
plus larges." Quetelet scheint hier den Fall übernormaler Dispersion angedeutet zu
haben. Diesem Fall würde jedoch nicht die von Poisson im Beispiel mit 5-Franesstücken
angenommene Einrichtung des Spieles entsprechen, sondern die folgende: es wären etwa
1000 Versuche mit der Münze Ay , dann 1000 Versuche mit A2, 1000 mit -4g u. s. f.
zu machen. Uebernormale Dispersion wäre zu erwarten, wenn die Chancen at, a2, as
das sog. Gauss'sche Fehlergesetz erfüllen würden (vergl. oben S. 648).
2) J. Bertrand, Calcul des Probabilites, 1889, p. 94.
3) S. 139 — 140 der „Recherches". wo P. sein Gesetz der grofsen Zahlen unter das
Bernouilli'sche Theorem subsumiert. Vergl. auch S. 146 — 147.
4) Bertrand (o. c, Preface, S. XXXI— XXXII) citiert die von Poison gegebene
Formulierung des Gesetzes der grofsen Zahlen und lügt hinzu: ,,Tel est le rösume fait
par Poisson lui-meme d'une decouverte qui se distingue bien peu des lois connues du
hasard, et ä laquelle il a, ä peu pres seul je crois, attache une grande importance."
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. 661
man das System Bl,B2,B3 gebildet hat, die Wahrscheinlichkeit
des Erscheinens einer weißen Kugel bei irgend einer Ziehung gleich y
sei und für alle Ziehungen konstant bleibe. „Mais quoique eile soit
la meme pour tous les tirages, et que leur nombre /< füt aussi grand
qu' on voudra, nous ne serions pas autorisös ä en conclure, en vertu
de la seule regle du n° 49 (das Theorem Bernouilli's), que le nombre
m des extractions de boules blanches, des urnes Bx, B2, B3 etc-
devra s'ecarter tres probablement fort peu du produit //y; car on ne
doit pas perdre de vue que cette regle est fondee sur la chance propre
de 1' Gvenement que l'on considere, et non sur sa probabilite, ou la
raison que nous pouvons avoir de croire qu'il arrivera1)."
Poisson scheint hier zwischen Chance und Wahrscheinlichkeit einen
begriffliehen Unterschied statuieren zu wollen , der sich vielleicht mit
den Bezeichnungen „objektiv" und „subjektiv" am besten charakteri-
sieren ließe, und außerdem anzunehmen, daß es sich bei Bernouilli um
eine „objektive" Wahrscheinlichkeit handle.
Ohue auf den letzten Punkt näher eingehen zu wollen, erinnere
ich daran, daß jene Unterscheidung zwischen „objektiven" und „sub-
jektiven" Wahrscheinlichkeiten anerkanntermaßen nicht stichhaltig ist,
weil jede gegebene Wahrscheinlichkeit einen bestimmten Wissens- oder
Unwissenheitszustand voraussetzt und in diesem Sinn notwendig sub-
jektiv ist 2). Mit dem Ausdruck Chance wollte Poisson offenbar den
von v. Kries strenger definierten Begriff einer Wahrscheinlichkeit, der
eine definitive Bedeutung zukommt — einer Elementarwahrscheinlich-
keit — treffen. Denn jede Elementarwahrscheinlichkeit bezieht sich
auf einen Wissenszustand, den man, nach gegebenen Bedingungen des
Spieles oder der Erfahrung, nicht zu überschreiten vermag, und besitzt
somit die Eigenschaft der Allgemeingiltigkeit, daher auch den Schein
objektiven Bestehens, während bei einer Durchschnittswabrscheinlichkeit
das Gegenteil statthat. Letztere, oder allgemeiner gefaßt, eine General-
wahrscheinlichkeit bezieht sich notwendigerweise auf einen anderen
Wissenszustand, als die Spezialwahrscheinlicbkeiten, aus denen sie zu-
sammengesetzt ist. So ist im ersten Poisson'schen Beispiel bei der
auf das Erscheinen einer weißen Kugel gerichteten Erwartungsbildung
1
1) Recherches, p. 147.
2) v. Kries, Principien, Kap. IV, § 7 und Kap. V, besonders § 6: Die logische
Gleichartigkeit aller numerischen Wahrscheinlichkeiten. Vergl. auch S. 275 : „Nicht
selten wurden, in direktem Widerspruch mit dem allgemeinen Prinzip, [diese oder ähn-
liche] Wahrscheinlichkeiten als den betreffenden Ereignissen als solchen, ohne jede Rück-
sicht auf unseren Wissenszustand , zukommende erklärt. Als Beleg hierfür möge die
folgende Stelle aus Poisson's Recherches dienen, in welchen der Unterschied zwischen
,, chance" und „probabilite" in einer, wie man wohl sagen darf, sehr wunderlichen Weise
erörtert wird." Diese Stelle lautet: „Dans le langage ordinaire les mots chance et
probabilite sont ä peu pres synonymes. Le plus souvent nous emploierons indifferemment
l'un et l'autre ; mais lorsqu'il sera necessaire de mettre une difference entre leurs accep-
tions, on rapportera, dans cet ouvrage, le mot chance aux eveuements en eux-memes et
independamment de la connaissance que nous en avons, et l'on conservera au mot probabi-
lite sa definition pre'cedente. Ainsi, un evenement aura, par sa nature, une chance plus
ou moins grande, connue ou inconnue; et sa probabilite sera relative ä. nos connaissances
en ce qui le concerne" (Recherches, p. 31). Siehe noch v. Kries, Ueber Poisson, S. 261.
(362 k. von Bortkewitsch,
die Wahrscheinlichkeit y für denjenigen maßgebend, dem das Urnen-
system Cx, C*, C3 bekannt ist, ohne daß oder bevor er davon,
aus welcher Urne die Ziehung zu erfolgen hat, Kenntnis erlangt hat.
Sobald aber letzteres geschehen, muß die Größe y einer der Größen
Cj, c2, c8 weichen. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem zweiten
Beispiel Poisson's und überhaupt mit allen Fällen, wo es sich um eine
Generalwahrscheinlichkeit, resp. eine Durchschnittswahrscheinlichkeit
handelt. In solchen Fällen springt der subjektive Charakter des Wahr-
scheinlichkeitsansatzes in die Augen.
Soviel zur Erklärung des citierten Passus aus Poisson. Es würde
also nach dem Vorstehenden grundfalsch sein, sich mit Poisson einzu-
bilden, er hätte einen Satz, der zuerst nur für „objektive" Wahr-
scheinlichkeiten galt, auf „subjektive" Wahrscheinlichkeiten ausgedehnt.
Das Irrtümliche solch einer Auffassung soll an einem neuen Beispiel,
das ich sofort folgen lasse, noch deutlicher dargethan werden. Das-
selbe Beispiel wird uns, wie ich glaube, dazu führen, eine befriedigende
Antwort auf die Frage zu geben, was denn das quid proprium der
Erweiterung sei, die Poisson dem Bernouilli'schen Theorem zu teil
werden ließ 1).
Die Urne U ist mit s schwarzen, r roten, b blauen Kugeln
gefüllt und es ist
0 = s-\-r-\-b-\
die Gesamtzahl der in U enthaltenen Kugeln. Es sind ferner unter
den schwarzen a, unter den roten q, unter den blauen ß . . . . und im
ganzen £ massive und s — a, resp. r — q, resp. b — ß und im ganzen
z — £ hohle Kugeln da. Zieht man nun eine Kugel aus Z7, wobei die
Ziehung jeder Kugel als gleichmöglich gedacht werden soll, so ergiebt
r
sich-=w als Ausdruck für die Wahrscheinlichkeit des Erscheinens
z
einer massiven Kugel. Andererseits werden die Größen
s r b
die Wahrscheinlichkeiten des Erscheinens einer schwarzen, einer roten,
einer blauen Kugel angeben. Dementsprechend werden die Resul-
tate bei einer Reihe von n Ziehungen nach zwei verschiedenen Rich-
tungen hin ins Auge gefaßt werden können: einmal nämlich wird es
sich um die Zahlen der gezogenen massiven und hohlen Kugeln , ein
zweites Mal um die Verteilung der gezogenen Kugeln nach den ein-
zelnen Farbenkategorien handeln.
1) Indem ich hier und an anderen Stellen das Gesetz der grofsen Zahlen dem
Bernouilli'schen Theorem gegenüber stelle, sehe ich ganz davon ab, dafs bei Bernouilli
das Abhängigkeitsverhältnis zwischen der oberen Grenze der Abweichung eines a porteriori
zu ermittelnden Wertes einer Wahrscheinlichkeit von dem apriorischen Werte dieser
Wahrscheinlichkeit und der Höhe der Wahrscheinlichkeit, mit der eine jene Grenze nicht
überschreitende Abweichung zu erwarten sei, nicht durch die Funktion Fu (s. S. 645 Anm. 3)
ausgedrückt wird, sondern sich ganz anders an der Hand etwas komplizierter Ungleichungen
bestimmt. Vgl. Anm. 1, S. 654.
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. 663
In erster Beziehung wird man bei großem n für das Verhältnis
der gezogenen massiven Kugeln zu der Gesamtzahl der gezogenen
Kugeln einen von p wenig abweichenden Zahlenwert erwarten müssen.
Dabei wird es erlaubt sein, vollständig davon abzusehen, daß es unter
den Kugeln schwarze, rote, blaue giebt, obzwar die Wahrschein-
lichkeit p sehr wohl unter die Form einer Durchschnittswahrscheinlich-
keit gebracht werden kann. Führt man nämlich die Bezeichnungen
a q ß
ein, so geben px, p2, p3 die Wahrscheinlichkeiten an für eine
gezogene Kugel, von der man weiß, daß sie schwarz, oder roth , oder
blau ist, zugleich massiv zu sein. Demnach hätte man
P = 9iPi+9sPs + 9sP3-\
Aehnlich würde in zweiter Beziehung keine Beeinflussung der Er-
gebnisse durch die Thatsache zu erwarten sein, daß es unter den
Kugeln massive und hohle giebt, obschon auch hier die Wahrschein-
lichkeiten <jTn g.i, g3 als Durchschnittswahrscheinlichkeiten sich
darstellen ließen.
Im Gegensatz zu beiden Beispielen Poisson's ist in meinem Bei-
spiel der Durchschnittscharakter der in Frage stehenden Wahrschein-
lichkeiten sozusagen verborgen, gleichsam latent, würde aber etwa in
folgender Weise an den Tag gebracht werden können.
Was p betrifft, so denke man sich neben dem Beobachter J., der
die Kugeln aus der Urne zieht und jeweils in ein und demselben Augen-
blick gewahr wird, daß die gezogene Kugel eine massive oder eine
hohle ist und daß sie eine bestimmte Farbe hat, einen zweiten Beob-
achter B, der dem Spiele bloß zuschaut und ehe er durch die Ver-
mittelung von A oder durch eigene Empfindung sich davon überzeugt,
daß die Kugel eine massive oder eine hohle ist, die Farbe der ge-
zogenen Kugel zu sehen bekommt. Die auf das Erscheinen einer
massiven oder einer hohlen Kugel gerichtete Erwartungsbildung des B
wird sich offenbar vor und nach dem Zeitpunkt, wo er die Farbe-
empfindung hat, verschieden gestalten, und zwar ist für den ersten
Fall die Größe p, für den zweiten aber eine der Größen p1} P21P3
maßgebend. Bei den Wahrscheinlichkeiten gr, g2, g3 hätte man
sich den Vorgang so vorzustellen, daß A die Kugel mit geschlossenen
Augen zieht und auf diese Weise zuerst in die Lage gesetzt wird zu
bestimmen, ob die gezogene Kugel eine massive oder eine hohle sei
und erst nachher deren Farbe wahrnimmt.
Trotzdem man nun in meinem Beispiel zweifelsohne mit Durch-
schnittswahrscheinlichkeiten zu thun hat, so ließe dasselbe sich doch
unter den dem Bernouilli'schen Theorem entspreehenden allge-
meinen Fall bringen, ohne daß es einer besonderen Beweisführung
bedürfte, weil, wie gesagt, von dem den Durchschnittscharakter der
in Frage stehenden Wahrscheinlichkeiten bedingenden Umstände —
d. h. von der Ungleichartigkeit der in Betracht kommenden Total-
gesamtheit aller möglichen Fälle — jeweils abgesehen werden kann.
664 k. von Bortkewitsch,
Um nun recht anschaulich zu zeigen, worin der Unterschied
zwischen den Poisson'schen Beispielen und dem meinen liegt, werde
ich das letztere so modifizieren, daß daraus ein den ersteren gleich-
artiger Fall wird.
Zu dem Zweck nehme man eine zweite, dieselben Füllungsver-
hältnisse wie TJ aufweisende Urne und verteile die darin enthaltenen
Kugeln unter so viele Urnen S, R, B . . . als Farben vertreten sind,
wobei jede Urne nur gleichfarbige Kugeln enthalten soll : S die schwar-
zen, R die roten, B die blauen .... Alsdann werden die Größen
V 11 P21 Ps • • • • die Wahrscheinlichkeiten des Erscheinens einer massiven
Kugel bei einer Ziehung aus S, R, B . . . darstellen. Nun ziehe man
eine Kugel aus der Urne TJ. Je nachdem eine schwarze, oder eine
rote, oder eine blaue Kugel erschienen ist — welche Ereignisse mit
den Wahrscheinlichkeiten gx, g2, g3 . . . zu erwarten sind — nehme
man eine Ziehung aus der Urne S oder R oder B . . . vor und merke
sich, ob man dabei eine massive oder eine hohle Kugel erhalten hat.
Wiederholt man n Mal diesen aus zwei Ziehungen bestehenden Ver-
such — wobei die gezogene Kugel jedesmal wieder in die betreffende
Urne zu legen ist — so wird mancher im Zweifel sein, ob über das
zu erwartende Verhältnis der Zahl der erschienenen massiven Kugeln
m zu n auf Grund des Bernoulli'schen Theorems allein eine bestimmte •
Aussage zulässig sei. Der Fall erfüllt aber in aller Strenge die Be-
dingungen, welche dem Poisson'schen Lehrsatze in der ihm eigentüm-
lichen Erweiterung entsprechen und so erscheint die Behauptung be-
AM
gründet, daß bei großem n die Relation — erwartungsmäßig nahe p
rb
AM
sein wird und zwar gleich große Abweichungen p in diesem Fall
mit gleichen Wahrscheinlichkeiten als bei derjenigen Einrichtung des
Spieles, die der ursprünglichen Form meines Beispieles entspricht, zu
erwarten sein werden.
Allgemein gesprochen besteht die Eigentümlichkeit meines modi-
fizierten Beispiels (und auch der beiden Beispiele Poisson's) im Gegen-
satz zum ursprünglichen darin, daß, während in diesem jeder Versuch
sich unmittelbar auf die in Betracht kommende Totalgesamtheit aller
möglichen Fälle bezieht, in jenem die Teilgesamtheiten aller möglichen
Fälle, von denen jeder einzelnen eine andere SpezialWahrscheinlichkeit
zukommt, getrennt vorliegen, wodurch eine (allerdings nur scheinbare)
Rücksichtnahme auf den ungleichartigen Charakter der genannten Total-
gesamtheit stattfindet.
Von den zwei in gekennzeichneter Weise unterschiedenen Arten
der Durchschnittswahrscheinlichkeit i. eig. S. verlangt höchstens die
zuletzt charakterisierte eine besondere Behandlung, die dazu dient,
die Anwendbarkeit des Bernouilli'schen Theorems auf diesen Fall zu
demonstrieren, was sich hinsichtlich jener anderen Art der Durch -
Schnittswahrscheinlichkeit i. eig. S. aus bloßer Anschauung ergiebt 1).
1) Vgl. oben S. 651.
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. 665
Ist bis hierher stets vorausgesetzt worden, daß die Spezialwahr-
scheinlichkeiten px,p%, pz . . . , aus denen die Durchschnittswahr-
scheinlichkeit
P = 9l Pl + 92 Pl + 03 Ps + • • • •
zusammengesetzt ist, zugleich Elementarwahrscheinlichkeiten seien, so
darf s man nun jene Voraussetzung fallen lassen und demnach an-
nehmen, daß^j,^>2^3 ••• selbst wiederum Durchschnittswahrschein-
lichkeiten i. eig. S. sind. Man könnte so Durchschnittswahrschein-
lichkeiten verschiedener Ordnungen unterscheiden und zwar wären als
Durchschnittswahrscheinlichkeiten erster Ordnung solche die unmittel-
bar aus Elementarwahrscheinlichkeiten, als Durchschuittswahrschein-
lichkeiten zweiter Ordnung solche, die unmittelbar aus Durchschnitts-
wahrscheinlichkeiten erster Ordnung u. s. f. zusammengesetzt siud zu be-
zeichnen 1).
Auf jeden Fall vermag die Thatsache, daß eine ge-
gebene Wahrscheinlichkeit als Durchschnittswahr-
schei u lichkei t i. eig. S., giei c hgiltig welcher Ordnung,
zu betrachten ist, keinen Unterschied in der Berech-
nung derPräcision resp. des mittl ere n Fehler s eines
a posteriori ermittelten Wertes jener Wahrscheinlich-
keit zu begründen2).
1) Wäre p eine Durchschnittswahrscheinlichkeit «ter Ordnung, so würde sie sich
allerdings unter die Form p = yt TCt + Y2 TC2 + Y3 TCs + ■ • • • bringen lassen, bei welcher
Ttp t:2. ti3 • . . Elementarwahrscheinlichkeiten sind, aber die Koeffizienten y , y0, y . . .
würden dann Wahrscheinlichkeiten zusammengesetzter und zwar aus je n einfachen Ereig-
nissen zusammengesetzter Ereignisse resp. Wahrscheinlichkeiten des Zusammentreffens n
verschiedener Merkmale darstellen. Sagt man, dafs eine Durchschnittswahrscheiulichkeit
unmittelbar aus gegebenen Spezialwabrscheinlichkeiten zusammengesetzt ist, so will
es nichts anderes heifsen , als dafs die Koeffizienten, mit denen jene Spezialwahrschein-
lichkeiten versehen sind, Wahrscheinlichkeiten einfacher Ereignisse resp. Merkmale
angeben.
2) Die Bezeichnung des erweiterten Theorems J. Bernouilli's als ,, Gesetz der grofsen
Zahlen" wird von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus beanstandet.
Zunächst kann der nicht ganz gewöhnliche Gebrauch des Wortes „Gesetz" für etwas,
was, wie v. Kries treffend bemerkt, ,,im Grunde ein Theorem der Kombinationslehre ist",
sehr leicht zur unerwünschten Verkennung der mathematischen (unempirischen) Natur des
Lehrsatzes und zur Vorstellung, dafs sich derselbe auf das wirkliche Verhalten der Dinge
beziehe, verleiten. (Darüber sehr gut v. Kries, Prinzipien, Kap. IV § 5, auch die
Anm. auf S. 91, vergl. noch S. 293 gegen Windelband und S. 168 — 169.) Von solch
einer „physikalischen" Deutung des Gesetzes der grofsen Zahlen ist Poisson selbst nicht
freizusprechen, was sich aus Mangel an erkenntnistheoretiseher Einsicht erklärt (Recherches,
S. 7, 144—145).
Sodann aber pflegen namentlich die Statistiker daran Anstand zu nehmen, ein „Ge-
setz" anzuerkennen, das nur für grofse Zahlen von Fällen Giltigkeit hätte, auf Einzel-
fälle aber oder kleine Zahlen keine Anwendung fände. Wollen die Statistiker darin
einen Widerspruch mit dem Wesen eines „Gesetzes" erblicken und weisen sie mit Vor-
liebe auf jenen Widerspruch hin, so scheinen sie in dem Irrtum begriffen zu sein, das
Gesetz der grofsen Zahlen als Naturgesetz aufzufassen. Betrachtet man aber den Poisson-
schen Lehrsatz als Ausdruck eines neben dem Prinzip der Kausalität bestehenden Er-
wartungsprinzips („das Prinzip der Spielräume" nach v. Kries) , so wird man nicht
leugnen können, dafs, obschon die Zahl der Fälle keinen prinzipiellen Unterschied in der
Erwartungsbildung herbeizuführen vermag, das Prinzip namentlich dort eine besondere
Bedeutung erlangt, wo die Erwartung auf die Gesamtergebnisse eine Reihe sehr vieler
(366 k. von Bortkewitsch,
Nun gilt es die angeführten und erläuterten Sätze über Präci-
sionsbestiramungen einmal bei konstant zusammengesetzten Durch-
schnittswahrscheinlichkeiten und ein anderes Mal bei Durchschnitts-
vvahrscheinlichkeiten i. eig. S. für die Statistik zu verwerten.
Es fragt sich vor allem, welchem von jenen zwei Typen die
statistischen Verhältniszahleu, die den Charakter empirischer Werte
von Durchnittswahrscheinlichkeiten haben, angehören.
Die in der Formel der empirischen Durchschnittswahrscheinlich-
keit vorkommenden Koeffizienten — > — > — • • • • sind Ausdrücke für
n n n
die relativen Anteile, die in bestimmter Weise unterschiedene Teil-
massen an einer Totalmasse ausmachen, also z. B. Bruchteile, mit
denen verschiedene Kategorien der Bevölkerung in der Gesamtbe-
völkerung vertreten sind. Damit eine statistische Verhältniszahl als
empirischer Wert einer konstant zusammengesetzten Durchschnitts-
wahrscheinlichkeit betrachtet werden kann, müssen solche Bruchteile
nicht ihrerseits als empirische Werte bestimmter Wahrscheinlichkeiten,
sondern als im voraus festgesetzte Zahlenwerte erscheinen.
Man stelle sich z. B. eine Einrichtung vor, der zufolge in einem
Staate die Präsenzstärke des Heeres in Prozenten der Gesamtbe-
völkerung gesetzlich vorgeschrieben ist. Faßt man in so einem Staate
die Selbstmordfrequenz, die bekanntlich eine sehr viel größere bei der
Militärbevölkerung als bei der Civilbevölkerung ist, ins Auge, so wird
der Quotient, der sich aus der Division der Zahl aller lebenden Per-
sonen in die Zahl der etwa in einem Jahr vorgekommenen Selbstmorde
ergiebt, als empirischer Wert einer konstant zusammengesetzten Durch-
schnittswahrscheinlichkeit aufzufassen sein und demnach wird jenem
Quotienten eine höhere Präcision beizulegen sein, als die, welche dem
Fall gleicher Selbstmordfrequenz in beiden Bevölkerungsteilen ent-
sprechen würde. Bliebe das Zahlen Verhältnis, in dem die Militärbe-
völkerung zur Gesamtbevölkerung steht, für eine Reihe von Jahren
Fälle gerichtet ist, weil nur unter dieser Bedingung sich hohe, der Gewifsheit nahe-
kommende Wahrscheinlichkeiten ergeben (s. v. Rries, S. 264 — 265 und 155).
Aufserdem ist die Forderung einer grofsen Zahl von Fällen oder Versuchen («)
rechnerisch darin begründet , dafs die in der Poisson'schen Fassung des Gesetzes der
grofsen Zahlen (S. 654) vorkommende analytische Beziehung zwischen den bewufsten
Fehlergrenzen und der ihnen entsprechenden Wahrscheinlichkeit unter Benützung der
Stirling'schen Näherungsformel, die ein grofses n voraussetzt, abgeleitet wird.
Eine ganz andere Erwägung hat aber Poisson veranlagst, seinem Lehrsatz die in
Frage stehende Benennung zu geben, worüber eine übrigens wenig überzeugende Stelle auf
S. 146 — 147 der „Recherches" Aufschlufs giebt. Poisson wollte nämlich, indem er seine
,,loi des grauds nombres" dem Theorem J. Bernouilli's gegenüberstellte , mit jener Be-
zeichnung speziell den Fall wechselnder Chancen (den Fall der Durchschnittswahrschein-
lichkeit im eig. S.) treffen. So verstanden, ist die Benennung mit aus dem Grunde nicht
gutzuheifsen, weil sie den falschen Schein zu erwecken imstande ist, als wäre im Falle
wechselnder Chancen im Gegensatz zu dem Fall einer konstanten Chance (Elementar-
wahrscheinlichkeit) eine gröfsere Zahl von Versuchen nötig, damit in beiden Fällen mit
gleicher Wahrscheinlichkeit ein von dem apriorischen Wert der in Frage stehenden Wahr-
scheinlichkeit nicht mehr als um einen bestimmten Betrag abweichender empirischer Wert
erwartet werden könnte. (Vgl. S. 659 — 660, Text und Anm. über Quetelet.)
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. 667
unverändert, und behaupteten sich die abstrakten Wahrscheinlichkeiten,
einen Selbstmord zu begehen, sowohl für einen Angehörigen der Civil-
als für einen Angehörigen der Militärbevölkerung stets auf gleicher
Höhe, so wäre eine Reihe von Werten des genannten Quotienten mit
uuteruormaler Dispersion zu erwarten.
Man wird aber wohl sagen dürfen, daß im allgemeinen solche
konstanten Relationen zwischen Teilmassen gar nicht anzunehmen sind,
es sei denn, daß eben durch Gesetz oder Verordnung für deren Auf-
rechteihaltung gesorgt wird.
Dem Statistiker werden aber derartige besondere Verhältnisse,
wenn sie bei der ihn beschäftigenden Massenerscheinung ausnahms-
weise vorliegen, sicher bekannt sein und man kann daher im gekenn-
zeichneten Umstände eine Quelle falscher Präcisionsberechnungen kaum
erblicken.
Stellen aber die Relativzahlen, welche die numerischen Anteile
einzelner Teilmassen an einer Totalmasse ausdrücken , empirische
Wahrscheinlichkeitswerte1)2) dar, so lassen sich den Durchsehnitts-
wahrscheinlichkeiten resp. ihren empirischen Werten, in denen jene
Relativzahlen als Koeffizienten bei empirischen Werten von Elementar-
wahrscheinlichkeiten oder von Durchschnittswahrscheinlichkeiten niederer
Ordnung auftreten, genau dieselben Spielräume für die Wirkung zu-
fälliger Ursachen zuweisen, wie im Fall von Elementarwahrscheinlich-
keiten gleicher Höhe. Man ist, m. a. W., vollkommen dazu berech-
tigt, vom Durchschnittscharakter der betreffenden Wahrscheinlichkeiten
bei Präcisionsbestimmungen abzusehen. Die Untersuchung der Dis-
persionsverhältnisse bei statistischen Reihen ist also genau in gleicher
Weise zu führen, einerlei, ob den Gliedern, die die Reihe bilden, Ele-
mentarwahrscheinlichkeiten oder Durchschnittswahl scheinlichkeiten be-
liebiger Ordnung zu Grunde liegen 3).
Insbesondere darf aber aus dem Umstände, daß eine Reihe
1) S. Lexis, Zur Theorie ... . S. 29, Anm.
2) Es soll hier, wie im folgenden, mit der Anwendung des Wahrscheinlichkeits-
hegriffs auf statistische Relativzahlen nicht die Vorstellung verbunden werden, dafs es sich
um feste — in der Zeit unveränderliche — Wahrscheinlichkeiten dabei handle. Die
einer statistischen Relativzahl zu Grunde liegende abstrakte Wahrscheinlichkeit ist viel-
mehr wie die Erfahrung lehrt, in den meisten Fällen als eine historische oder „singulare"
(nicht ganz in dem von v. Kries diesem Ausdruck beigelegten Sinne, Prinzipien, S. 129)
zu betrachten. Wenn Lexis, ohne die logische Berechtigung zu dieser Betrachtungs-
weise in Abrede zu stellen, dennoch behauptet, es sei „mit solcher Einführung des Wahr-
scheinlichkeitsbegriffes wenig gewonnen" (Zur Theorie... S. 91) und wenn v. Kries,
sich Lexis anschliefsend , meint, dafs im Gebiete der Massenerscheinungeu der mensch-
lichen Gesellschaft eine zutreffende Angabe numerischer Wahrscheinlichkeit fast nirgends
gemacht werden kann" (Prinzipien, S. 239), so sind die angeführten Aeufserungen dahin
zu deuten, dafs eine singulare Wahrscheinlichkeit keine Uebertragung auf nicht beobachtete
Fälle und insofern keine Voraussagungen zuläfst.
3) „Dafs die aus vielen Versuchsreihen abgeleiteten Möglichkeitskoeffizienten die
Annahme einer konstanten Totalwahrscheinlichkeit rechtfertigen , ist ganz in derselben
Weise erfahrungsmäfsig nachzuweisen , wie wenn man eine einfache Wahrscheinlichkeit
voraussetzt, und auch die oben aufgestellten Kriterien zur Klassifizierung der Massen-
erscheinungen bleiben bei beiden Anschauungen ungeändert." (Lexis , Zur Theorie u. s. w.,
S. 29.)
668 k. von Bortkewitsch,
normale Dispersion aufweist, nicht der Schluß gezogen werden, daß der
in Frage stehenden Verhältniszahl eine Elementarwahrscheinlichkeit ent-
spreche. So ist der bis jetzt fast allein dastehende Fall solchen Ver-
haltens einer statistischen Größe — nämlich der Fall des Geschlechts-
verhältnisses bei den Geburten — sehr wohl mit Thatsacheu und An-
sichten vereinbar, die die Wahrscheinlichkeit einer Knabengeburt bei
verschiedenen Kategorien von Geburten nicht gleich hoch erscheinen
lassen. Es sei p diese Wahrscheinlichkeit bei der Gesamtzahl der
Geburten und p1 resp. p.} bei ehelichen resp. unehelichen Geburten.
Bezeichnet man ferner mit gx die Wahrscheinlichkeit für eine Geburt
ehelich und mit g2 unehelich zu sein, so ergiebt sich die Beziehung
P = 9lPl+9lP^
Man nehme nun an, daß eine Reihe empirischer Werte des p, die
etwa einer Reihe von Jahrgängen entsprechen, normale Dispersion auf-
weisen; darum brauchte offenbar^ nicht = p2 zu sein, aber wenn
bei px und p2 sich ebenfalls normale Dispersion zeigen würde, müßte
das gleiche von gx resp. g2 angenommen werden 1).
Faßt man die Gruppe der ehelichen Geburten für sich ins Auge
und stellen sich hier für einzelne Kategorien von Ehen verschiedene
Werte px, p2, p3 der Wahrscheinlichkeit einer Knabengeburt
heraus, so würde für die Gesamtzahl der Ehen die Wahrscheinlichkeit
P =9iPi + guP.t -+- g3p3 -\
gelten, wo gx, g2, g.s die Wahrscheinlichkeiten für einen Geborenen,
aus einer Ehe bestimmter Kategorie hervorgegangen zu sein, angeben
würden. W7enn hier, ähnlich wie vorhin, sowohl die empirischen Werte
von p als die von px, p2, pz normale Dispersion hätten, so wäre
bei gx, g2, #3 ebenfalls normale Dispersion zu erwarten2).
Die in den angeführten Beispielen angedeutete Operation, die, all-
gemein gesprochen, darin besteht, Durchschnittswahrscheinlichkeiten
1) Es ist leicht möglich, dafs in Wirklichkeit sich sowohl bei p als bei pl und p2
eine der normalen sehr nahe kommende Dispersion wahrnehmen liefse und trotzdem die
empirischen Werte der Wahrscheinlichkeit g2 (die Relativzahlen der unehelichen Geburten)
übernormale oder gar unregelmäfsige Dispersion liefern würden Dann wäre anzunehmen,
dafs letzteres wegen der Kleinheit der Differenz pt — p2 und namentlich auch der Gröfse g2
das Verhalten der empirischen Werte des p nicht in nennenswerter Weise zu beeinflussen
vermocht habe. — Siehe zur Frage des Geschlechtsverhältnisses bei den Geburten nament-
lich von der hier in Betracht gezogenen Seite den Artikel von L e x i s im Handwörter-
buch der Staatswissenschaften, bes. S. 819 Kol. 2 und vergl. die früheren daselbst ge-
nannten Schriften desselben Verfassers, wo er den Standpunkt der (wenigstens näherungs-
weisen) Chancengleichheit der Geburtsfälle oder richtiger der Befruchtungsfälle in Bezug
auf das zu erwartende Geschlecht der Geborenen mit gröfserer Bestimmtheit vertritt.
2) Es kommt aber nicht, wenigstens in erster Linie nicht auf das Zahlen Verhältnis
der Ehen verschiedener Kategorien zu der Gesamtzahl der Ehen — es seien y , y2, yg . . .
die diesen Zahlen zu Grunde liegenden Wahrscheinlichkeiten — wie es Lexis (1. c.) an-
zunehmen scheint, sondern eben auf die Gröfsen gv g2, gs . . . Bezeichnet man mit
Wj, w2, w3 . . . die Wahrscheinlichkeiten für die einzelnen Kategorien der Ehen, etwa im
Laufe eines Jahres eine Geburt zu liefern, so hätte man
y toj
Yi»i + Y2«>2 + Ya>"s +
woraus nur bei «^ = w2 = w3 = . . sich gi = y* ergiebt.
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. (369
höherer Ordnungen in solche niederer Orduungen aufzulösen, ist be-
sonders dazu geeignet, über statistische Zusammenhänge Aufschlüsse
zu geben, und verliert nichts an Interesse dadurch, daß die Dureh-
schnittswahrscheinlichkeit höherer Ordnung, von der ausgegangen wird,
in ihren empirischen Werten normale Dispersion aufweist. Ich kann
mich daher unmöglich der Ansicht Prof. W ester gaa r d's anschließen,
wonach die Spezialisierung des Materials bei ihrem Ziel angelangt sei,
wo man auf Verhältniszahlen mit normaler Dispersion gekommen ist.
„Hat man", meint der genannte Forscher, „den festen Punkt gefunden,
um welchen die Zahlen analog den Glückspielserfahruugen oscillieren,
so wird das weitere Suchen nach Ursachen zwar zu neuen Resultaten
führen können, z. B. wenn man das Material neu bearbeitet, man darf
jedoch auch ohne solche Bearbeitung bei den gewonnenen Resultaten
stehen bleiben. Wenn dagegen die Abweichungen größer sind, als die
für Glücksspiele gefundenen, so i&t dies ein Zeichen dafür, daß das
Material noch nieüt genügend bearbeitet worden ist, und daß, bevor
eine Vorausberechnung vorgenommen werden darf, die betreffenden
Ursachen weiter isoliert werden müssen l)."
Uebrigens glaube ich, daß die im letzten Satz des citierten Passus
ausgesprochene Hoffnung, durch fortgesetzte Zerlegung des Materials
auf Verhältuiszahlen zu kommen, die von einer Zeitperiode zur anderen
nur in Grenzen schwanken würden, welche für die Wirkung zufälliger
Ursachen maßgebend sind, hinsichtlich der meisten Massenerscheinungen
des sozialen Lebens nicht realisierbar sei. In der Statistik wird die
Spezialisierung in der Bildung immer enger determinierter Menschen-
gruppen oder Gruppen menschlicher Handlungen bezw. Ereignisse ihren
Ausdruck finden. Zwei solche Gruppen, die durch einen gemeinsamen
Komplex von Merkmalen determiniert sind, sich aber auf zwei ver-
schiedene Zeitperioden beziehen, werden jedoch nur äußerst selten in
demselben Sinne miteinander vergleichbar sein, wie etwa zwei Reihen
von Ziehungen aus einer Urne, weil, während hier bei beiden Ver-
suchsreihen die Allgemeinbedingungen des Spieles dieselben sind, dort
die Allgemeinbedinguugen der Erfahrung sich höchstens als analoge,
weil in gleicher Weise für beide Gruppen umschriebene, darstellen
würden. Es wäre durchaus irrtümlich, einen hohen Grad der Genauig-
keit bei solcher Umschreibung, d. h. die Aufzählung sehr vieler Merk-
male, für eine bestimmte Angabe des Inhalts jener Allgemein-
bedingungen zu halten, und stets wird verschiedener Inhalt mit gleicher
Umschreibung, mag diese noch so detailliert sein, Hand in Hand gehen
können.
Eine beschränkte Geltung hat Prof. Westergaard's Behauptung
von dem Zweck der Spezialisierung und dem von ihr zu erwartenden
Erfolg bei Untersuchung der Dispersionsverhältnisse statistischer Reihen
allerdings, was ich Gelegenheit haben werde, an einem interessanten
Beispiel zu zeigen, wo bei den empirischen Werten der Durchschnitts-
wahrscheiulichkeit höherer Ordnung unregelmäßige Dispersion obwaltet.
1) Grundzüge der Theorie der Statistik S. 55.
670 k. von Bortkewitsch,
Ehe ich mich aber diesem Fall zuwende, möchte ich die übrigen
Fälle noch kurz erörtern.
Um Dochmals auf den Fall normaler Dispersion zurückzukommen,
so ließe sich eine solche bei empirischen Werten der Durchschnitts-
wahrscheinlichkeit p nicht nur in der vorhin angenommenen Weise
erklären, sondern es wäre auch denkbar, daß bei den empirischen
Werten der Wahrscheinlichkeiten p^p^p3 unternormale Dispersion
vorliegt, während die empirischen Werte der Wahrscheinlichkeiten glt
08, g3 .... übernormale Dispersion aufweisen oder umgekehrt. Sollte
eine dieser zwei Möglichkeiten in Erfüllung gehen, so wäre es freilich
als „Zufall1' zu betrachten.
Aus unter normaler resp. übernormaler Dispersion bei
den empirischen Werten von p wäre auf unternormale resp. über-
normale Dispersion- bei den empirischen Werten der Wahrscheinlich-
keiten jöj, p2, p3 oder der Wahrscheinlichkeiten gt, g2, g3
zu schließen, wobei im ersten Fall die empirischen Werte der gx, g2,
g3 und im zweiten Fall die empirischen Werte der px, p2, p3
unternormale, normale oder übernormale Dispersion aufweisen könnten.
Schließlich deutet der praktisch wichtigste Fall unregel-
mäßiger Dispersion der empirischen Werte von p auf das Vorhanden-
sein unregelmäßiger Dispersion entweder in den empirischen Werten
der Wahrscheinlichkeiten p^ p2, p3 , bei beliebiger Dispersion der
Werte von gx, g2, g3 oder auf das Vorhandensein unregelmäßiger
Dispersion in den empirischen Werten der Wahrscheinlichkeiten gly
g<z, g3 bei beliebiger Dispersion der Werte von pt, p2, p3 —
hin1). In der großen Mehrzahl der Fälle liefert die Beobachtung un-
regelmäßige Dispersion der empirischen Werte sowohl der Wahrschein-
lichkeiten px, p2, p3 .... als der Wahrscheinlichkeiten gu g2, g3
Um so interessanter muß daher ein P'all erscheinen, wo sich für die
Werte von p eine unregelmäßige, höchstens übernormale Dispersion
zeigt, während man nach erfolgter Zerlegung des Materials in zwei
Gruppen für die Werte von px, p2 oder wenigstens für einen derselben
eine normale Dispersion erhält.
Die in dem nunmehr folgenden Beispiel vorkommenden absoluten
Zahlen und die meisten Berechnungen entnehme ich Westergaard's
„Theorie der Statistik" 2). Es handelt sich um das verhältnismäßige
Vorkommen der Selbstmorde durch Erhängen in Dänemark in der
Periode von 1861 — 1886 inkl. Es sei für einen bestimmten Jahrgang
die Gesamtzahl der vorgekommenen Selbstmorde n und m die Zahl
der durch Erhängen erfolgten. Summiert man die Zahlen der 21 Jahr-
gänge, so erhält man 2n als Zahl sämtlicher innerhalb jenes Zeitraums
vorgekommener Selbstmorde und 2m als Zahl derjenigen Menschen,
die sich im selben Zeitraum erhängt haben. Besteht eine feste Wahr-
scheinlichkeit p für einen Selbstmord, durch Erhängen zu erfolgen, so
v
m
wäre — — =»' als der genaueste aus den Daten zu ermittelnde Nähe-
2w
1) Vgl. Cournot, Grandlehren der Wahrscheinlichkeitsrechnung S. 152.
2) S. 44—46.
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. 671
rungswert für p zu betrachten l). Nun handelt es sich darum , zu
m
untersuchen, ob die Verhältniszahlen - der einzelnen Jahrgänge nur
n
solche Schwankungen aufweisen, die durch die Wirkung zufälliger Ur-
sachen zu erklären sind. Man berechnet zu dem Zweck die Reihe
der Zahlen m' = np', welche die erwartungsmäßigen Zahlen der Er-
hängten für einzelne Jahrgänge sind, bildet ferner die Differenzen
+ m' + m = a und schließlich die Quotienten -»> wobei a stets
positiv genommen werden muß und /"den mittleren Fehler = \np'{\ — p')
bezeichnet. Der mittlere Fehler ist wegen der wechselnden Zahl n für
jeden Jahrgang ein anderer. Die Theorie zeigt dann, welcher Teil
jener Quotienten innerhalb bestimmter Grenzen enthalten werden
müßte, falls die Abweichungen a zufälliger Natur wären 2). Folgende
Tabelle giebt die Resultate der Berechnungen wieder.
Entsprechende
Zahl der
a
Jahrgänge
f
Theorie
Erfahrung
1
2
3
unter 0,3
6
3
,, 0,5
10
5
„ 0,7
13
9
„ 1,1
18
15
„ 1,5
22
19
„ 2,1
25
24
An der Hand dieser von mir berechneten Tabelle sieht man so-
fort, daß die Ergebnisse der Erfahrung von den Erwartungen der
Theorie nicht unbedeutend divergieren, und man darf daher mit großer
tyyy
Sicherheit schließen, daß die Schwankungen der Verhältniszahl
n
nicht durch Zufall allein zu erklären sind, sondern die in Frage
stehende Wahrscheinlichkeit eine in der Zeit veränderliche ist. Ob hier
unregelmäßige oder vielleicht übernormale Dispersion vorliegt, kann
man dahingestellt sein lassen.
Es liegt aber nahe, zu einer detaillierteren Ausbeutung des
Materials zu schreiten, und zwar die Selbstmorde nach dem Geschlecht
gesonders ins Auge zu fassen. Es sei gt die Wahrscheinlichkeit für
1) Vgl. ohen S. 647, das nähere über das im Text augewandte Verfahren folgt im
zweiten Artikel.
2) In Westergaard's Grundzügen der Theorie der Statistik findet man auf S. 64 eine
Reihe von Werten angeführt , die die Funktion Fu (siehe oben S. 645 Anm. 3) bei
annimmt (der Bezeichnung / entspricht bei Westergaard die Bezeichnung fji).
/VT
672
L. von Bortkewitsch,
einen Selbstmord von einem Mann und g2 von einer Frau begangen
zu werden, px die Wahrscheinlichkeit für einen Selbstmord bei einem
Mann und p2 bei einer Frau durch Erhängen zu erfolgen.
Demnach hat man
P = 9iPi+9iP*
und es gilt nun die Stabilität der Größen gx und g2 und dann der
Größen px und p2 gesondert zu prüfen1). Beides hat Prof. Wester-
gaard durchgeführt und die Ergebnisse seiner Berechnungen lassen
sich so zusammenfassen.
a
7
Entsprec
Theorie
lende Zah
E
9<l
der Jah
rfahrung
Pt
rgänge :
bei
P2
i.
2.
3.
4.
5.
unter 0,3
6
3
4
6
„ 0,5
IO
6
8
11
„ 0,7
13
10
12
12
„ 1,1
18
IS
17
18
.» 1,5
22
21
20
23
,, 2,1
25
24
24
24
Stellt man die Zahlen der 3. Kol. den Zahlen der 2. Kol. gegen-
über, so wird mau einer nicht unbeträchtlichen Divergenz zwischen
Theorie und Erfahrung gewahr2). Dagegen zeigt sich eine be-
friedigende Uebereinstimmung der Zahlen der 4. Kol. und noch mehr
der 5. Kol. mit den Zahlen der 2. Kol.
Die vorhin erhaltene unregelmäßige Dispersion für das Verhält-
nis der Erhängten zu der Gesamtzahl der Selbstmörder läßt sich also
mit einiger Sicherheit aus der Hypothese erklären, daß jener Verhält-
niszahl zwei getrennte, jedoch konstante Wahrscheinlichkeiten, von
denen die eine für das männliche, die andere für das weibliche Ge-
schlecht gilt, zu Grunde liegen 3), während die Verteilung der Selbst-
1) Die aus den Daten für den ganzen 26-jährigen Zeitraum ermittelten Näherungs-
werte der betreffenden Wahrscheinlichkeiten sind : p = 0,769, px = 0,829, p2 = 0,560,
?l = 0,777, q2 = 0,223.
2) Prof. Westergaard scheint aber keine zu strengen Ansprüche an die Ergebnisse
zu stellen , wenn er zu den Zahlenreihen in Kol. 2 und 3 sagt : „Die wirklichen und
berechneten Zahlen stimmen recht gut überein." (S. 44.) Vgl. auch Lexis im Art.
„Gesetz" im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, III. Bd., S. 848, Kol. 2.
3) Eigentlich wäre ich geneigt, nur beim weiblichen Geschlecht (Kol. 5) normale
Dispersion anzuerkennen, während die auf das männliche Geschlecht bezüglichen Zahlen
(Kol. 4) mich nicht in vollem Mafse zu befriedigen vermögen. Uebrigens bleibt die Be-
urteilung notwendigerweise subjektiv, wenn die Zahl der Versuchsreihen , wie hier, ziem-
lich klein ist. Es kommt auch darauf an, wie man die Spielräume abgrenzt. So würde
eine leise Modifikation in dieser Beziehung die Zahlen der Tabelle auf S. 671 in noch
weniger günstigem Licht für die Hypothese einer konstanten Wahrscheinlichkeit (p) er-
scheinen lassen. Setzt man nämlich in Kol. 1 die Grenze 1,0 statt 1,1 und 2,0 statt
2,1, so erfahren dadurch die Zahlen in Kol. 2 keine Veränderung; dagegen würde sich
in der Kol. 3 die Zahl 15 in 13 und 24 in 23 verwandeln. — Es kann daher bei der-
artigen Untersuchungen nicht genug empfohlen werden, in der von Lexis vorgeschlagenen
Weise die Präcision oder den mittleren Fehler einmal nach „kombinatorischer" und ein
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik.
673
mörder nach Geschlechtern von Jahr zu Jahr solche Schwankungen
aufweist, die mit der Annahme einer auch dieser Verhältniszahl zu
Grunde liegenden festen Wahrscheinlichkeit unvereinbar erscheinen
dürfte, zumal solch eine Annahme die Dispersionsverhaltnisse, die
sich bei Zusammenziehung beider Geschlechter herausstellen, nicht zu
erklären vermöchte.
An dem angeführten Beispiele zeigt sich deutlich, daß die Zer-
legung einer statistischen Masse in Teilmassen bei der Untersuchung
anderes Mal nach ,, physikalischer" Methode zu herechnen und die beiden so erhaltenen
Werte mit einander zu vergleichen. Dann kommt man auf einen einheitlichen numerischen
Ausdruck für das Mafs der Abweichung der effektiven Dispersion von der normalen. Die
Lexis'sche Methode kann jene andere, von Westergaard durchweg benützte, freilich nicht
ersetzen , weil sie zu summarisch ist und in noch geringerem Mafse dazu geeignet er-
scheint, darüber Aufschlufs zu geben , ob im gegebenen Fall übernormale oder unregel-
mäfsige Dispersion vorliegt , denn das Charakteristiken ist das gleiche für beide Fälle.
Es wäre also anzuraten, in Ergänzung solcher tabellarischer Darstellungen, wie sie sich
bei Westergaard und anderswo finden , das Verhältnis der einen Präcision zur anderen
oder des einen mittleren Fehlers (des effektiven) zu dem anderen (dem erwartungsmäfsigen)
zu ermitteln (dieses kombinierte Verfahren wendet Lexis in § 43 der Schrift ,,Zur
Theorie . . ." an). Hat man aber bei Aufstellung der Tabelle die Veränderlichkeit der
Zahl der Versuche (Fälle), aus denen jede einzelne Zahl der Reihe entstanden ist, be-
rücksichtigt und so etwa einem jeden Jahrgang einen besonderen mittleren Fehler zu Grunde
gelegt, so kann man von der Berechnung eines gemeinschaftlichen mittleren Fehlers
nach ,, kombinatorischer" Methode absehen und wie folgt erfahren : Man bilde die Quadrate
der auf den jeweiligen mittleren Fehler reduzierten Abweichungen , d.h. die Gröfsen
(7)'
addiere dieselben und dividiere die Summe durch die Zahl der Versuchsreihen (also
z. B. in unserem Fall durch 26). Aus dem so erhaltenen Quotienten ist die Quadratwurzel
zu ziehen. Man würde im Endresultat 1 oder eine von 1 wenig abweichende Gröfse
erhalten, wenn die Dispersion eine normale wäre. Bei der Wahrscheinlichkeit p (Tabelle
auf S. 671) erhält man den unechten Bruch 1,25. Der effektive mittlere Fehler über-
trifft also um 1/i den erwartungsmäfsigen, oder es verhalten sich die nach kombina-
torischer" und die nach „physikalischer" Methode berechneten Präcisionen zu einander,
wie 5 zu 4. Trotz der verhältnismäfsig kleinen Differenz zwischen den Präcisionen läfst
sich eine übernormale Dispersion kaum annehmen: denn reduziert man die Abweichungen
zu 4,
erhält man für die 3. Kol. der Tab. auf S. 671 die
— im Verhältnis von 5
/
Zahlenreihe: 3, 8, 10, 16, 23, 26, aus der sich nur schliefsen läfst, dafs sehr grofse Ab-
weichungen — d. h. solche, die das 1 Y2-fache resp. das 2-fache des mittleren Fehlers
übertreffen, sehr selten vorkommen, aber bis zur 1 x/2-fachen Gröfse des mittleren Fehlers
scheint zwischen der Grölse der Abweichung und der Häufigkeit ihres Vorkommens die
erwünschte Beziehung nicht obzuwalten. Dies erhellt auch aus folgender Zusammen-
stellung. Die erste Zeile der nachstehenden Tabelle giebt die Grenzen der Abweichungen
an, wobei die letzten auf den mittleren Fehler reduziert sind. Die übrigen Zeilen ent-
halten die Zahlen der Jahrgänge , deren Ergebnisse in die angegebenen Fehlergrenzen
fallen, und zwar entsprechen die Zahlen der 2. Zeile den Erwartungen der Theorie, die
der 3. und 4. den Resultaten der Erfahrung, wobei den Zahlen der 3. Zeile der nach
„kombinatorischer" Methode, den Zahlen der 4. Zeile der nach „physikalischer" Methode
berechnete mittlere Fehler zu Grunde gelegt wurde.
1. I O,0 — 0,4 0,4 — 0,8 0,8 — 1,2 1,2 — 1,6 I 1,6 — 2,0
Dritte Folge Bd. Vffl (LXHI).
43
(374 k- von B or t k ewits c h ,
der Stabilität statistischer Verhältniszahlen wesentliche Dienste zu
leisten imstande ist1)2).
Ich glaube jedoch, daß diese Funktion der Spezialisierung keine
so allgemeine ist, wie es z. B. Prof. Westergaard annimmt, wovon be-
reits die Rede war.
An einer anderen Stelle der „Grundzüge" finde ich aber dieselbe
Frage von einem Standpunkt aus behandelt, der mir einen unlösbaren
Widerspruch zu jener oben erörterten Ansicht des Verfassers zu ent-
halten scheint.
Westergaard will ganz allgemein der Teilung des Materials die
Eigentümlichkeit vindizieren , „den zufälligen Ursachen einen etwas
engeren Spielraum anzuweisen"3) und erläutert diesen Gedanken an
einer Reihe von Beispielen, von denen ich eins anführen werde. Es
ist dies der soeben besprochene Fall der Selbstmorde durch Erhängen
in etwas modifizierter Gestalt. „Unter 500 Selbstmördern", führt
Westergaard aus, „sind durchschnittlich 100 Frauen und 400 Männer.
Unter den männlichen Selbstmördern werden sich gewöhnlich 4/5 er-
hängen, unter den weiblichen 3/5 ; die durchschnittliche Zahl der Er-
hängten ist also 380. W7ie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß die
Zahl zwischen 360 und 400 fallen wird4)?" Um diese Frage zu lösen,
ist die Präcisiou oder der mittlere Fehler f zu berechnen, und zwar
das Produkt np, wo
V = 9iPi+9tP*
4 14 3
und g1 = -, g2 = -, px = -, pt = -, bei einer Zahl von Ver-
O O O ö
6
25
suchen n = 500. Man hat nun f ' = ynp (i ^) oder f== T/500- --=
= 1/91,2. Westergaard will aber anders verfahren : er berechnet
erst den mittleren Fehler fx für die Zahl der sich zu erhängenden
Männer und dann f2 für die Zahl solcher Frauen, und zwar nach den
1) Darin ist allerdings der Hauptwert der Spezialisierung nicht gelegen: letztere
hat vielmehr eine viel allgemeinere Bedeutung und ich mufs mich an dieser Stelle
Prof. Westergaard gegenüber (s. seine gegen mich gerichtete Bemerkung in diesen
Jahrbüchern, Dritte Folge VI Bd., 3. Heft, S. 328—329) dagegen verwahren, die
Wichtigkeit jener Operation irgendwenn in Abrede gestellt zu haben. Freilich bot mir
das in der ,, Mittleren Lebensdauer" behandelte Thema wenig Gelegenheit dazu , die Be-
deutung der Spezialisierung zu betonen. Vergl dagegen ,,Ueber das Moment des Berufes
in der preufsischen Statistik der Bevölkerungsbewegung-' im Bericht über die Thätigkeit
des statistischen Seminars an der k. k. Universität Wien im Wintersemester 1892 — 93,
S. 13 — 17.
2) Vergl. Westergaard, S. 46 : „Wäre das Verhältnis zwischen weiblichen und männ-
lichen Selbstmördern nicht jedes Jahr nahezu dasselbe , so würde hier ein recht deut-
liches Beispiel für die Nützlichkeit einer detaillierten Bearbeitung des Materials vor-
liegen." Thatsächlich liegt aber das Beispiel nicht im Conjunctivus resp Conditionalis,
sondern im Indicativus vor, eben aus dem Grunde oder doch mit aus dem Grunde, weil
die Schwankungen des Verhältnisses zwischen weiblichen und männlichen Selbstmördern
gröfser sind, als dem Zufall entsprechen würde.
3) Grundzüge S. 78.
4) Ebenda S 80—81.
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. 675
100- ■!-.-?-
5 o
Formeln f1 = "|/400- ^~ = V64 und A = 1/
i/24. Für den mittleren Fehler der Zahl der Erhängten beiderlei
Geschlechts giebt er schließlich die Größe f = yß _j_ ft _ y gg
aus. Ist aber diese Berechnungsart, die allerdings stets einen kleineren
mittleren Fehler liefern muß1), der gestellten Frage adäquat? Sie
wäre es nur dann, wenn gt und g2 keine Wahrscheinlichkeiten, sondern
konstante Zahlen darstellen würden. In Wirklichkeit weisen die
Zahlen gx,g2 nicht nur keine Konstanz auf, sondern nicht einmal eine
der Annahme fester Wahrscheinlichkeiten entsprechende Stabilität.
Bei Formulierung der Aufgabe bezeichnet Westergaard selbst die an-
gegebene Verteilung als eine „durchschnittliche". Darum kommt der
mittlere Fehler f = ygg nicht der wirklichen Zahl der Erhängten
unter 500 Selbstmördern, sondern einer Zahl zu, die für jedes Jahr
aus den für dasselbe sich ergebenden Werten von pt und p2 und den
Konstanten gx und g2 künstlich gebildet würde 2).
Bezieht sich also eine statistische Verhältniszahl auf eine Total-
masse und läßt sich diese in Teilmassen, denen verschiedene Werte
jener Verhältniszahl entsprechen , zerlegen , so erblickt Westergaard
darin einen Grund, für die der Totalmasse entsprechende Verhältnis-
zahl eine größere Stabilität, d. h. eine geringere Abhängigkeit von der
Wirkung zufälliger Ursachen, anzunehmen, als in dem Fall, wo sich
jene Verhältniszahl gegenüber der vorgenommenen Zerlegung indifferent
verhielte.
Diese Anschauung, die bei ihm in nicht ganz unzweideutiger
Weise ausgesprochen ist und sogar mit einer gerade entgegengesetzten
gleichsam konkurriert, tritt uns bei einigen anderen Autoren in klarer
Formulierung entgegen.
Bertrand3) äußert sich z. B. dahin, daß die Präcisionberech-
nungen in der Statistik unrichtig seien, weil die statistischen Massen-
erscheinungen einem Spiele mit vielen Urnen, von denen einer jeden
1) Auf Grund des auf S. 653 formulierten Satzes.
2) Vielleicht bat Westergaard in den citierten und ähnlichen Beispielen nicht effektive
Zahlen der Ereignisse , sondern in der That künstlich hergestellte Zahlen im Auge ge-
habt. Ich vermisse aber in den „Grundzügen" die ausdrückliche Aussprechung des Satzes,
dafs bei Berechnung des mittleren Fehlers vom Durchschnittscharakter der in Frage
stehenden Wahrscheinlichkeit abgesehen werden kann, worin , wie oben gezeigt worden
ist, die von Poisson dem Bernouilli'schen Theorem verliehene Erweiterung besteht. Im
historischen Teil der „Grundzüge'1 bemerkt Westergaard (S. 256), dafs „das Bernouilli'sche
Theorem von Poisson auf den Fall erweitert wurde, wo zwei oder mehrere Wahrschein-
lichkeiten obwalten", und verweist auf S. 77 ff. An letzterer Stelle finde ich aber nur
eine Erörterung von Beispielen, die einem allerdings auch von Poisson bewiesenen Satz
(formuliert in No. 112, 7°, bewiesen in No. 94 — 95 der „Recherches") entsprechen, der
aber nicht das erweiterte Theorem Bernouilli's ist. Eine strengere Auseinanderhaltung
jener zwei Sätze, von denen der letzte auf eine Durchschnittswahrscheinlichkeit i. eig. S.,
der erste aber auf eine konstant zusammengesetzte Durchschnittswahrscheinlichkeit sich
bezieht, dürfte in einem Lehrbuch, das für mathematisch weniger geschulte Leser be-
stimmt zu sein scheint, wohl am Platze gewesen sein.
3) Calcul des probabilites, Chap. XII : les lois de la statistique.
43*
676 *-"• von B o r t k'e w i t s cb ,
eine verschiedene Chance des Erscheinens einer weißen Kugel ent-
spricht, gleichkämen, denkt sich aber das Spiel so eingerichtet, daß
die Zahlen der aus den einzelnen Urnen vorzunehmenden Ziehungen
im voraus festgesetzt werden. Warum aber eben dieses Schema für
die Betrachtung statistischer Vorgänge maßgebend sein soll, bleibt
unbewiesen.
Eine tiefere Begründung hat v. Kries dem nämlichen Standpunkt
zu geben versucht1).
Die Präcisionsbestirnmungen haben, nach seiner Auffassung, den
Zweck, einen Maßstab für die Sicherheit derjenigen Schlußfolgerungen
abzugeben, die aus den Veränderungen in den Werten einer Verhält-
niszahl auf das Verhalten der für die untersuchte Massenerscheinung
in Betracht kommenden „allgemeinen Bedingungen" gemacht werden.
Dabei lasse man sich aber stets von der Vorstellung leiten, daß jene
„allgemeinen Bedingungen", wenn sie konstant blieben, normale Dis-
persion zur Folge haben würden. Dies sei nun, so meint v. Kries,
eine ganz willkürliche und in vielen Fällen durchaus unzutreffende
Annahme, wie man's aus folgendem Beispiel ersehen könne.
Handelt es sich um die allgemeine Kriminalität einer Bevölkerung
und wird dieselbe an dem Verhältnis (p) der Zahl der jährlich be-
gangenen Verbrechen und Vergehen zu der Gesamtzahl der straf-
mündigen Bevölkerung (ri) gemessen, so glaubt v. Kries, daß, falls sich
die „allgemeinen Bedingungen", welche lür die Kriminalität von Belang
sind, in der Zeit nicht ändern würden, man bei den Werten von p
von Jahr zu Jahr kleinere Schwankungen erwarten sollte, als bei einer
Anzahl von Versuchsreihen im Fall einer mit schwarzen und weißen
Kugeln im Verhältnis von 1—p zu p gefüllteu Urne, aus der jedesmal
n Ziehungen vorgenommen weiden. Solch eine Erwartung motiviert
er damit, daß die Kriminalität in verschiedenen Kategorien der Be-
völkerung nicht dieselbe Höhe hat, sondern nach Geschlecht, Alter,
Beruf u. s. f. verschieden ist. Die numerischen Anteile aber, die jene
Geschlechts-, Alters-, Berufs- u. s. f. Gruppen an der Gesamtbevölkerung
haben, fallen, nach v. Kries, unter den Begriff der „hier in Rede
stehenden allgemeinen Bedingungen", mithin sei es als eine Verände-
rung der allgemeinen Bedingungen anzusehen, wenn eine Bevölkerungs-
gruppe, die in einem bestimmten Jahre 10 Proz. der Bevölkerung aus-
macht, im darauf folgenden etwa auf 9,99 Proz. sinkt oder auf
10,01 Proz. steigt. Auch für den Fall der Sterblichkeit entwickelt
v. Kries analoge Vorstellungen.
So möchte also v. Kries, genau wie Bertrand, die statistischen
Verhältniszablen nach dem Schema konstant zusammengesetzter Durch-
schnittswahrscheinlichkeiten behandelt wissen, und darum ist ihm die
erwartungsmäßige, d. h. die dem Konstantbleiben der allgemeinen Be-
dingungen entsprechende Dispersion eine unternormale.
Da nun einerseits, wie v. Kries mit Recht anzunehmen scheint,
der Durchschnittscharakter allen statistischen Relativzahlen innewohnt,
1) Prinzipien, Kap. VI, § 8 und Kap. IX, §§ 6—9.
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. 677
und andererseits über die Art der Zusammensetzung einer statistischen
Durchschnittswahrscheinlichkeit ans den sie bildenden Elementarwahr-
scheinlichkeiten eine genaue Kenntnis niemals vorliegt, so ist eine der
v. Kries'schen Autfassung adäquate Präcisionsbestimmungschlechtweg aus-
geschlossen. Mit aus dieser Ueberlegung ergiebt sich dann als folgerichtige
Konsequenz eine ,,allgemeine Verwerfung" derjenigen Anwendungen
der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf den statistischen Stoff, die den
Zweck haben, Spielräume für die Wirkung „zufälliger Ursachen" an-
zugeben.
Das eine, was den angeführten Betrachtungen gegenüber geltend
gemacht werden könnte, wäre dies: Setzt man voraus, daß es gelungen
sein sollte, eine Durchschnittswahrscheinlichkeit p unter die Form
P = 7\n\ + y%n% + r.s^s
zu bringen, wo txx, nt, tt3 . . . . Elementarwahrscheinlichkeiten dar-
stellen, so erscheint die Annahme, daß für die Größen yn /2, ys . . . .
sich bei einer Anzahl von Versuchsreihen, also z. B. bei einer Reihe von
Jahrgängen, identische Zahlenwerte herausstellen würden — worin,
nach v. Kries, die Konstanz der allgemeinen Bedingungen ihren Aus-
druck finden soll — in gleichem Maße unwahrscheinlich und der bis-
herigen Erfahrung widersprechend, wie etwa die Annahme, daß die
empirischen Werte von 7tlt tt2, tcz . . . . von Versuchsreihe zu Ver-
suchsreihe konstant blieben. Denn bei Auflösung von Durchschnitts-
wahrscheinlichkeiten höherer Ordnungen in solche niederer Ordnungen
hat sich bis jetzt etwas Aehnliches bezüglich der Grössen gu #2, g.A . . . .
nie gezeigt. Mithin wäre die Frage nach der Konstanz der allge-
meinen Bedingungen im voraus für alle Fälle im negativen Sinne ent-
schieden und eine vom v. Kries'schen Gesichtspunkte aus geführte Unter-
suchung der Schwankungen, denen statistische Verhältniszahlen in der
Zeit unterworfen sind, würde sich nicht nur als unmöglich, wie v. Kries
behauptet, sondern auch als gegenstandlos erweisen.
Das andere jener Auffassung Entgegenzuhaltende wäre, daß sie
auf eine große Gruppe statistischer Verhältniszahlen gar keine An-
wendung zuläßt. Ich meine solche Zahlen, die nicht mehr die Inten-
sität gewisser Erscheinungen, sondern die Häufigkeit des Vorkommens
bestimmter, an den Einzelfällen einer statistischen Masse wahrnehm-
barer Merkmale zum Ausdruck bringen, z. B. das Verhältnis der Zahlen
der Totgeborenen zu der Gesamtzahl der Geborenen, das Verhältnis
der Zahl der an bestimmten Todesursachen Gestorbeneu zu der Ge-
samtzahl der Gestorbenen, das Verhältnis der Zahl von Verbrechen
besonderer Art zu der Gesamtzahl der Verbrechen u. s. f. Die
mangelnde Chancengleichheit der Einzelfälle wird in den angeführten
und ähnlichen Fällen darin zum Ausdruck kommen, daß sich verschie-
dene Arten der Zerlegung ein und derselben Masse gegenseitig nicht
indifferent verhalten werden, so z. B. bei den Geborenen die Vertei-
lung einmal in Lebend- und Totgeborene und ein anderes Mal in Ehe-
liche und Uneheliche, falls sich z. B. herausstellen sollte, daß in der
Masse der Unehelichen die Totgeborenen verhältnismässig stärker ver-
treten sind, als in der Masse der Ehelichen. Es steht nichts im
ß78 L von B ort k e witsch,
Wege, den größeren oder kleineren Anteil der Unehelichen als eine
der „allgemeinen Bedingungen1', die für die Verteilung der Geborenen
in Lebend- und Totgeborene in Frage kommen, zu betrachten, oder,
ganz allgemein gesagt, die eine der beiden von verschiedenen Gesichts-
punkten aus erhaltenen Verteilungen einer statistischen Masse als be-
dingend für die andere hinzustellen. Sucht man aber nach einem
zahlenmäßigen Ausdruck der als „allgemeine Bedingung" gedachten
Verteilung, so darf man jenen Ausdruck nicht, nach v. Kries'scher Art,
in den sich aus der Beobachtung unmittelbar ergebenden Zahlen er-
blicken, zugleich aber die analogen Zahlen der anderen Verteilung —
der bedingten — als mit zufälligen Fehlern behaftete ansehen.
Dies würde schon wegen des sehr wohl möglichen Ineinandergreifens
der zwei Ursachenkomplexe, durch die die zwei Verteilungen herbei-
geführt werden — Beispiele solchen Verhaltens der Ursachenkomplexe
ließen sich leicht anführen — im höchsten Grade inkonsequent erscheinen.
Tritt bei Betrachtung der soebeu ins Auge gefaßten Art statistischer
Verhältniszahlen das Unnatürliche der v. Kries'schen Auffassung deut-
licher, als in dem Beispiele der Kriminalitäts-, der Sterbeziffer oder
irgend welches Intensitäts- Koeffizienten hervor, so liegt es eben an
dem, wie ich glaube, nebensächlichen Unterschied, daß dort die zwei
in Betracht kommenden Verteilungen sich aus zwei parallel laufenden,
vielleicht sogar durchkreuzenden Erscheinungsreihen ergeben, ja in
denselben Einzelfällen sich gleichsam verkörpern, während hier die
Masse der lebenden Personen in bestimmter Gliederung als etwas Ge-
gebenes vorliegt, bevor die Reihe der verbrecherischen Handlungen, der
Todesfälle oder irgend welcher Ereignisse eröffnet wird.
Eine Analogie zu diesem Modus des statistischen Geschehens bietet
das oben erwähnte Beispiel Poisson's mit den Urnen (S. 656 ff.), wo erst
das Urnensystem Bt, 2?2, B.ä aus dem Urneusystem C^, C2, C3 . . . .
abgeleitet und dann eine Reihe von Ziehungen vorgenommen wird.
Die bei den einzelnen Versuchsreihen benutzten Urnensysteme Bx, B2,
B3 . . . .; B\, B\2, B'3 . . . .; B'\, B"2, B"ä .... entsprechen
den für einzelne Jahrgänge oder sonstige Abschnitte einer Zeitperiode
in Betracht kommenden Massen lebender Personen. Mit solch einem
Vergleich berühre ich aber einen Punkt, der für die ganze Frage von
Wichtigkeit sein dürfte. Sind nämlich im Poisson'schen Beispiel die
einzelnen jB-Systeme in Bezug auf ihre Ableitung aus dem C-System
ganz und gar voneinander unabhängig, so läßt sich das Gleiche von
den Massen lebender Personen, die etwa zwei aufeinanderfolgenden
Jahrgängen entsprechen, nicht behaupten, denn die beiden Massen
bestehen zum großen Teil aus denselben Individuen1). Darum
würde der in Frage stehende statistische Vorgang eher einer Ein-
richtung des Spieles gleicheu, bei der das System B\, B'2, B'3 ....
nicht unmittelbar aus dem System Cx, Cx, C3 . . . ., sondern aus
dem vorhandenen System 2?,, B2, B& . . . . abgeleitet würde, und
zwar in der Weise, daß etwa durch Auslosung eine verhältnismäßig
1) Lexis, Zur Theorie . . . , § 22.
Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik. G79
kleine Anzahl von Urnen aus dem zuletzt erwähnten System entfernt
und durch eine gleiche Zahl neuer, ebenfalls durch Auslosung aus
dem Urnensysteni Cn C2, C3 . . . . hergenommener ersetzt würde.
In ähnlicher Weise wäre aus dem so erhaltenen Urnensysteni B\, B'2,
B's .... das der folgenden Versuchsreihe entsprechende System
B" x, B"2, B"s .... abzuleiten u. s. f. Es ist klar, daß ein in ge-
schildeter Art eingerichtetes Spiel eine unternormale Dispersion würde
erwarten lassen. Damit letztere in dem uns beschäftigenden stati-
stischen Fall auch als erwartungsmäßige gelten könnte, müßten aller-
dings bezüglich der Zu- und Abgänge, die eine Masse lebender Menschen
in der Zeit erfährt, gewisse Bedingungen erfüllt werden, auf deren
nähere Präcisierung ich hier nicht eingehen werde. Diese Bedingungen
könnten aber mit vollem Recht zu den allgemeinen Bedingungen der
Erfahrung gerechnet werden. In einer einzigen Beziehung würde sich
das erwähnte Schema als nicht ganz zutreffend erweisen: es bleibt
nämlich dabei unberücksichtigt, daß ein und dasselbe Individuum in
verschiedenen Jahrgängen nicht derselben Gruppe anzugeböreu braucht,
oder daß, m. a. W., die für ein bestimmtes Individuum geltende Chance
eine wechselnde sein kann. Am deutlichsten macht sich dieser Um-
stand in dem Falle der Gruppierung nach Altersklassen geltend.
Trotzdem muß anerkannt werden, daß die partielle Identität der
den einzelnen Jahrgängen entsprechenden statistischen Massen in bezug
auf ihren Bestand einen störenden Faktor bei Untersuchung der Dis-
persiousverhältnisse statistischer Reihen bildet und zwar die Erwar-
tungen bezüglich der Dispersion nach der Richtung der unternormalen
Dispersion hin zu modifizieren imstande ist.
Es ist andererseits klar, daß jene mangelnde Unabhängigkeit der
Einzelwerte eiuer statistischen Reihe, oder in der Sprache der Wahr-
scheinlichkeitsrechnung ausgedrückt, die mangelnde Unabhängig-
keit der Versuchsreihen dort nichts zu bedeuten hat, wo die
in Frage stehende Wahrscheinlichkeit p eine Elementarwahrscheinlich-
keit ist. Denn wäre z. B. die Chance, ein Verbrechen zu begehen,
für jeden Menschen die gleiche, so würde es vollkommen irrelevant
sein, aus welchen Individuen die betreffenden, den einzelnen aufeinander-
folgenden Jahrgängen entsprechenden Massen bestehen.
So gelange ich auf Umwegen zu einer teilweisen Uebereinstimmung
mit v. Kries, der bei mangelnder Chancengleichheit der Einzelfälle
eine unternormale Dispersion resp. eine höhere Präcision als erwartungs-
mäßige hinstellt. Ich behaupte aber,
daß 1) die Wirkung, welche die mangelnde Chancengleichheit der
Einzelfälle auf die Gestaltung der erwartungsmäßigen Dispersionsver-
verhältnisse ausübt, keine direkte ist, sondern nur unter der Voraus-
setzung der mangelnden Unabhängigkeit der Versuchsreihen zur Gel-
tung kommt1);
1) Aehulich begründet die mangelnde Chancengleichheit der Einzelfälle oder die
Thatsache, dafs die in Frage stehende Wahrscheinlichkeit eine Durchschnittswahrschein-
lichkeit sei, die bekannte Schwierigkeit bei Berechnung von Wahrscheinlichkeiten zu-
sammengesetzter Ereignisse bestimmter Art. Richtig erkannt von Poisson, Uecherches
(380 k. von Bortkewitsch, Kritische Betrachtungen zur theoretischen Statistik.
daß 2) aus dem sub 1) angegebenen Grunde die genannte Wirkung
bei einer umfangreichen Klasse statistischer Verhältniszahlen ausbleibt;
daß 3) aus dem nämlichen Grunde keine Störung durch mangelnde
Chancengleichheit der Einzelfälle herbeigeführt wird, wo die Präcisions-
bestimmung als Orientierungsmittel bei Vergleichungen von Land zu
Land oder von einer Gruppe der Bevölkerung zu einer anderen gleich-
zeitigen Gruppe dienen soll, und
daß 4) die Art, in der v. Kries die von mir in beschränktem
Maße anerkannte Beziehung zwischen mangelnder Chancengteichheit
der Einzelfälle und unternormaler Dispersion zu begründen versucht
hat, eine, nach meiner Meinung, verfehlte sei, weil nichts die Auffassung
zu rechtfertigen vermag, wonach die in Betracht kommenden Ver-
teilungskoeffizienten (gx, g2, gs resp. /,, y2, y3 ) anders, denn
als empirische Werte von Wahrscheinlichkeitsgrößen zu betrachten wären.
v. Kries hat selbst die Denkbarkeit jener der seinigen entgegen-
gesetzten Auffassung, wie es scheint, zugegeben. Er verwirft aber die
letzte aus dem Grunde, weil es „kaum möglich" sei, diejenigen „ent-
fernteren" allgemeinen Bedingungen „bestimmt zu bezeichnen", deren
Konstanz in den eben genannten Verteilungskoeffizienten „noch zu-
fällige Schwankungen zuließe" 3).
Demgegenüber wäre erstens darauf hinzuweisen, daß in sehr vielen
Fällen die den Verteilungskoeffizienten entsprechenden abstrakten Wahr-
scheinlichkeiten — und solche möchte v. Kries nicht gelten lassen —
als analytische Funktionen anderer Wahrscheinlichkeitsgrößen darge-
stellt werden können, die v. Kries selbst keinen Anstand nimmt, in
dieser Eigenschaft anzuerkennen.
Zweiteus aber erscheint eine „bestimmte Bezeichnung" der allge-
meinen Bedingungen, die einer Wahrscheinlichkeit zu Grunde liegen,
in der Statistik überhaupt ausgeschlossen. Man hat hier stets mit
hypothetischen und meistens vagen Vorstellungen zu rechnen und es
giebt in dieser Beziehung zwischen den einzelnen Fällen wohl nur
graduelle Verschiedenheiten, womit ich keineswegs leugnen möchte,
daß die Verteilungskoeffizienten resp. die ihnen entsprechenden ab-
strakten Wahrscheinlichkeiten im allgemeinen etwas ungünstiger als
anders geartete Relativzahlen gestellt seien.
Uebrigens giebt man sich einer Täuschung hin, wenn man glaubt,
aus dem Verhalten statistischer Zahlen unmittelbar auf das Verhalten
der in Betracht kommenden allgemeinen Bedingungen schließen zu
dürfen. In Wirklichkeit beziehen sich die Folgerungen stets auf die
in Frage stehende abstrakte Wahrscheinlichkeit. Es leuchtet aber ein,
daß das Verhalten der letzteren mit dem Verhalten der ihr zu Grunde
liegenden allgemeinen Bedingungen durchaus nicht immerzu koincidieren
braucht: diese können wesentliche Aenderungen erfahren haben, ohne
daß der numerische Wert jener dadurch irgendwie tangiert wäre.
S. 149 — 150, wenn auch im speziellen Teile der „Recherches" nicht genügend berück-
sichtigt. S. La place, Theorie analytique des probabilites, Livre II, Chap. VII und
S. 186—187. Vergl. v. Kries, Kap IV, § 3 und Kap. IX, § 8, S. 242—244.
1) Prinzipien S. 238, vgl. dagegen S. 2S4 (unten) — 235 (oben).
Nationalökonomische Gesetzgebung. ßft ]
Nationalökonomische Gesetzgebung.
IX.
Die zweite Lesung des Entwurfes eines Bürgerlichen Ge-
setzbuches für das Deutsche Reich.
(Fortsetzung)1).
Von Amtsrichter Greiff.
XXXII.
Im vierten Titel des zweiten Abschnitts, welcher das Rechtsver-
hältnis der Kinder aus ungiltigen Ehen regelt, stellt der Ent-
wurf den Grundsatz an die Spitze, dafs Kinder aus einer nichtigen
Ehe, welche bei Giltigkeit der Ehe eheliche Kinder sein würden , als
eheliche Kinder anzusehen sind (§ 1562). Dieser Grundsatz wird in den
§§ 1563 — 1566 bezüglich der Rechtsstellung der Eltern eingeschränkt,
Vorläufige Zusammenstellung der Kommissionsbeschlüsse. (Fortsetzung.)
Fünfter Titel.
Rechtliche Stellung der Kinder aus ungiltigen Ehen.
§ 1562. Kinder aus einer nichtigen Ehe, die im Falle der Giltigkeit der Ehe eheliche
Kinder sein würden, gelten als ehelich, sofern nicht beide Ehegatten die Nichtigkeit der
Ehe bei der Eheschliefsung gekannt haben.
Diese Vorschrift findet keine Anwendung, wenn die Ehe wegen eines Formmangels
nichtig und nicht in das Heiratsregister eingetragen worden ist.
§ 1563. Das Verhältnis der Eltern zu Kindern, die nach § 1562 als ehelich gelten,
bestimmt sich, soweit nicht die §§ 1564, 1565 ein Anderes ergeben, nach den Vor-
schriften, welche für Kinder aus einer geschiedenen Ehe gelten, wenn beide Ehegatten
für schuldig erklärt sind.
§ 1564. War dem Vater die Nichtigkeit der Ehe bei der Eheschliefsung bekannt,
so hat er nicht die sich aus der Vaterschaft ergebenden Rechte. Die elterliche Gewalt
über die Kinder steht der Mutter zu.
§ 1565. War der Mutter die Nichtigkeit der Ehe bei der Eheschliefsung bekannt,
so hat sie in Ansehung der Kinder nur diejenigen Rechte , welche im Falle der Ehe-
scheidung der allein für schuldig erklärten Frau zustehen.
Nach dem Tode des Vaters hat die Mutter nur das Recht und die Pflicht, für die
Person der Kinder zu sorgen ; sie ist jedoch nicht berechtigt, die Kinder zu vertreten ;
der Vormund der Kinder hat ihr gegenüber die Stellung eines Beistandes nach Mafs-
gabe des § 1561 h. Das Gleiche gilt, wenn die elterliche Gewalt des Vaters ruht oder
verwirkt ist.
§ 1566. Gelten die Kinder nicht als ehelich, weil beiden Ehegatten die Nichtigkeit
1) Vergl. S. 550.
I
682 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Je nachdem beide Ehegatten oder einer derselben sich über die Giltigkeit
der Ehe in gutem Glauben oder beide sich in bösem Glauben befunden
haben. Eine Ausnahme von dem Grundsatz macht der Entwurf für form-
ungiltige Ehen. Die Kommission dehnte, entsprechend dem zu § 1252
gefafsten Beschlüsse (vergl. S. 234), den Grundsatz auch auf solche form-
ungiltigen Ehen aus, die in das Heiratsregister eingetragen sind. Anderer-
seits erfuhr der Grundsatz eine dem Entwurf fremde Einschränkung.
Nach dem Entwurf gilt derselbe auch in dem Falle, wenn beide Ehegatten
sich bezüglich der Giltigkeit der Ehe in bösem Glauben befunden haben;
er wird nur durch den § 1566 modifiziert. Die Kommission hielt da-
gegen durch die Rücksicht auf die Würde der Ehe für geboten, in dem
bezeichneten Falle die Kinder grundsätzlich als uneheliche zu behandeln.
Nur in betreff ihres Unterhaltsanspruchs gegen den Vater erschien es an-
gemessen, sie ehelichen Kindern gleichzustellen, weil sie nach § 1252 bis
zu der oft erst nach langer Zeit eintretenden Ungiltigkeitserklärung als
eheliche Kinder gelten und es in ihrem Interesse erforderlich erschien,
ihnen einen Rechtsanspruch auf Fortsetzung der bisherigen Erziehung zu
gewähren. Ihr so bemessener Unterhaltsanspruch soll aber wie der ehe-
licher Kinder mit dem Tode des Vaters aufhören ; auch soll das dem
Vater in § 1491 Abs. 1 gewährte Recht, die Art der Unterhaltsge-
währung und die Zeit der Vorausleistung zu bestimmen, in dem hier frag-
lichen Falle zum Schutze des Kindes gegen Willkür dem Vater versagt
sein. Während der § 1566 durch diese neuen Vorschriften ersetzt
wurde, änderte man die §§ 1563 — 1565 entsprechend dem Beschlüsse zu
§ 1258 dahin, dafs nur wirkliche Kenntnis der Nichtigkeit der Ehe, nicht
aber auf grober Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis die in jenen Vor-
schriften bestimmten Nachteile für die Rechtsstellung der Eltern zur Folge
haben soll. Mit der entsprechenden Aenderung wurde der § 1567 ge-
billigt.
In dem das Rechtsverhältnis der unehelichen Kinder
regelnden fünften Titel blieben die allgemeinen Vorschriften
der §§ 1568 — 1570 unverändert. Ebenso wurde der Grundgedanke, von
der Ehe bei der Eheschliefsung bekannt war, so können sie gleichwohl von dem Vater,
solange er lebt, Unterhalt wie eheliche Kinder verlangen. Das im § 149t Abs. 1 be-
stimmte Recht steht dem Vater nicht zu.
§ 1567. Die Vorschriften der §§ 1562 bis 1566 finden auf Kinder aus einer an-
fechtbaren Ehe, die angefochten ist , entsprechende Anwendung. Wird die Ehe wegen
Drohung angefochten, so steht der anfechtungsberechtigte Ehegatte einem Ehegatten gleich,
dem die Nichtigkeit der Ehe bei der Eheschliefsung unbekannt ist.
Sechster Titel.
Rechtliche Stellung der unehelichen Kinder.
§ 1568. Das uneheliche Kind hat im Verhältnisse zur Mutter und ihren Verwandten
die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes.
§ 1569. Das uneheliche Kind erhält den Familiennamen der Mutter. Führt die
Mutter infolge ihrer Verheiratung einen anderen Namen, so erhält das Kind den Familien-
namen, den sie vor der Verheiratung geführt hat.
§ 1570. Der Mutter steht nicht die elterliche Gewalt über das uneheliche Kind zu.
Sie hat jedoch unter den im § 1565 Abs. 2 bestimmten Beschränkungen das Recht und
die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 683
welchem der Entwurf bezüglich der Stellung des unehelichen Kindes zu
seinem Vater ausgeht, dafs die uneheliche Vaterschaft eine Unterhalts-
pflicht gegenüber dem Kinde, nicht aber weitere familienrechtliche Be-
ziehungen zwischen Vater und Kind begründet, aus des Mitte der Kom-
mission nicht beanstandet ; insbesondere fand der Standpunkt des
französischen Rechts, welches, von wenigen Ausnahmefällen abgesehen, die
Vaterschaftsklage ausschliefst, keine Vertretung. Nach § 1572 Abs. 1
gilt als Vater des unehelichen Kindes derjenige, welcher der Mutter des-
selben innerhalb der (in Abs. 2 bestimmten) Empfängniszeit beigewohnt
hat, es sei denn, dafs innerhalb dieser Zeit auch ein Anderer der Mutter
beigewohnt hat. Die hiermit ausgesprochene Zulassung der sog. exceptio
plurium concumbentium wurde nach eingehender Erörterung der für und
gegen sie sprechenden Gründe von der Mehrheit gebilligt. Für die Aus-
schliefsung der Einrede und die gesamtschuldneriache Haftung derjenigen,
die der Mutter während der Empfängniszeit beigewohnt haben, wurde
von der Minderheit namentlich die Notwendigkeit einer Besserung der
Lage der Unehelichen sowie die Rücksicht auf die Erleichterung der
Armenlast geltend gemacht. Die Mehrheit glaubte dagegen in betreff der
sozialen und volkswirtschaftlichen Wirkung der einen oder anderen Ent-
scheidung dem Umstände besonderes Gewicht beimessen zu müssen, dafs
der Entwurf von seiten der Bundesregierungen nahezu einstimmig ge-
billigt worden ist. Sie hielt ferner die Zulassung der Einrede vom Stand-
punkt des Entwurfs, welcher die Grundlage der Unterhaltspflicht in der
Vaterschaft erblickt, für folgerichtig und vor allem für rechtspolitisch
ratsam, weil durch den Ausschlufs der Einrede die Unsittlichkeit beför-
dert werde. Sowohl bezüglich der als Grundlage des Unterhaltsanspruchs
vorausgesetzten Beiwohnung als bezüglich der zur Begründung der exceptio
plurium dienenden Beiwohnung eines Anderen fügte man aber wie bei
§ 1467 den Satz zu, dafs eine Beiwohnung aufser Betracht bleibt, wenn
es den Umständen nach offenbar unmöglich ist, dafs die Mutter das Kind
aus dieser Beiwohnung empfangen hat. Die Zulässigkeit der hier frag-
lichen Einrede wurde ferner noch dadurch beschränkt, dafs man sie dem-
jenigen versagte, der seine Vaterschaft nach der Geburt des Kindes in
einer öffentlichen Urkunde anerkannt hat. Dagegen lehnte die Mehrheit
es ab, einem solchen Anerkenntnis die weitere Wirkung beizulegen, dafs
sie eine selbständige Grundlage des Unterhaltsanspruchs bilde. Die in
§ 1572 Abs. 2 bestimmte längste Dauer der Empfängniszeit wurde wie
im § 1467 auf den 302. Tag hinaufgesetzt.
Der Unterhaltsanspruch wurde weiter nach mehreren Richtungen für
das Kind günstiger gestaltet. Nach dem Entwurf (§§ 1571, 1573) ist
der Vater zwar vor der Mutter und deren Verwandten zur Gewährung
§ 1571. (1571, 1573, 1574.) Der Vater des unehelichen Kindes ist verpflichtet,
dem Kinde bis zu dessen vollendetem sechszehnten Lebensjahre den der Lebensstellung
der Mutter entsprechenden Unterhalt zu gewähren. Der Unterhalt umfafst den gesamten
Lebensbedarf sowie die Kosten der Erziehung und der Vorbildung zu einem Berufe.
Der Vater ist vor der Mutter und den mütterlichen Verwandten unterhaltspflichtig.
§ 1572 vergl. § 1578 b.
§ 1573 vergl. § 1571.
684 Nationalökonomische Gesetzgebung.
des Unterhalts verpflichtet, aber nur zur Gewährung des notdürftigen Unter-
halts ; was über diesen hinaus zum standesmäfsigen Unterhalt gehört, kann
das Kind nur von den bezeichneten anderen Personen verlangen. "Die
Kommission hielt es dagegen mit Bücksicht auf die gröfsere Erwerbs-
fähigkeit des Mannes für gerechtfertigt und wegen der mit einer Teilung
der Unterhaltspflicht verbundenen Mifsstände und Schwierigkeiten für ge-
boten, den Vater in erster Linie zur Gewährung des standesmäfsigen, d. h.
des der Lebensstellung der Mutter entsprechenden Unterhalts zu ver-
pflichten. Während ferner nach dem Entwurf die Unterhaltspflicht mit
dem vollendeten 14. Lebensjahre endigen soll, dehnte man sie, insbesondere
mit Rücksicht auf die die Erwerbsfähi^keit der jugendlichen Arbeiter be-
schränkenden Vorschriften der Gewerbeordnung, bis zum zurückgelegten
16. Lebensjahre aus. Abweichend vom § 1574 in Verbindung mit § 1492
wurde sodann die Geltendmachung des Anspruchs für die Vergangenheit
ohne Beschränkung zugelassen. Zu § 1575 Abs. 1 stellte man ausdrück-
lich klar, dafs der Unterhaltsanspruch gegen die Erben des Vaters auch
dann geltend gemacht werden kann , wenn der Vater die Geburt des
Kindes nicht erlebt hat. Um aber das Kind im Falle des Todes des
Vaters nicht günstiger zu stellen als ein eheliches, gab man den Erben
das "Recht, das Kind mit dem Betrage abzufinden, welcher ihm, seine
Ehelichkeit vorausgesetzt, als Pflichtteil gebühren würde.
Die Bestimmungen der §§ 1577, 1578 über den Anspruch der unehe-
§ 1574. (1574, 1576 Abs. 2.) Der Unterhalt ist durch Entrichtung einer Geld-
rente zu gewähren.
Die Rente ist für ein Vierteljahr vorauszuzahlen. Hat das Kind den Beginn des
Vierteljahres erlebt, so gebührt ihm der volle auf das Vierteljahr fallende Betrag.
Vorausleistungen befreien den Vater nur insoweit , als sie für das Vierteljahr be-
wirkt sind.
§ 1574a. (1574) Der Unterhalt kann auch für die Vergangenheit verlangt werden.
§ 1575. Der Unterhaltsanspruch erlischt nicht mit dem Tode des Vaters; er kann
auch dann geltend gemacht werden , wenn der Vater vor der Geburt des Kindes ge-
storben ist.
Die Erben des Vaters sind berechtigt, das Kind mit dem Betrag abzufinden, welcher
dem Kinde im Falle seiner Ehelichkeit als Pflichtteil gebühren würde. Sind mehrere unehe-
liche Kinder vorhanden, so wird die Abfindung so berechnet, wie wenn sie alle ehelich
wären.
§ 1575 a. (1574, 1575.) Der Unterhaltsanspruch erlischt mit dem Tode des Kindes,
soweit er nicht auf Erfüllung oder Entschädigung wegen Nichterfüllung für die Ver-
gangenheit oder auf solche im voraus zu bewirkende Leistungen gerichtet ist , die zur
Zeit des Todes des Kindes bereits fällig waren.
Die Beerdigungskosten hat der Vater insoweit zu tragen, als ihre Bezahlung von
dem Erben des Kindes nicht zu erlangen ist.
§ 1576. Eine Vereinbarung zwischen dem Vater und dem Kinde über den Unter-
halt für die Zukunft oder über eine dem Kinde zu gewährende Abfindung bedarf der
Genehmigung des Vormundschaftsgerichts.
Ein unentgeltlicher Verzicht auf den Unterhalt für die Zukunft ist unzulässig.
§ 1577. (1577. 1578.) Der Vater ist verpflichtet, der Mutter die Kosten der Ent-
bindung und die Kosten des Unterhalts für die ersten sechs Wochen nach der Entbin-
dung innerhalb der Grenzen der Notdurft zu ersetzen. Den gewöhnlichen Betrag dieser
Kosten kann die Mutter ohne Rücksicht auf den wirklichen Aufwand verlangen.
Der Anspruch kann auch dann geltend gemacht werden, wenn der Vater vor der
Geburt des Kindes gestorben oder wenn das Kind tot geboren ist.
Der Anspruch verjährt in vier Jahren. Die Verjährung beginnt mit dem Ablaufe
von sechs Wochen nach der Geburt des Kindes.
Natäonalökonomische Gesetzgebung. 685
liehen Mutter gegen den Vater auf Ersatz der Entbindungs- und Wochen-
bettskosten wurde nur darin geändert, dafs die Verjährungsfrist von 2 auf
4 Jahre ausgedehnt wurde; man war der Ansicht, dafs die Mutter die
zweijährige Frist allzu leicht infolge von Heiratsversprechungen u. s. w.
versäumen würde. Der hier fragliche Anspruch der Mütter bezweckt
ebenso wie der Uuterhaltsauspruch des Kindes dessen Erhaltung. Um
diesen Zweck sicher zu erreichen, glaubte die Kommission, die Geltend-
machung beider Ansprüche durch eine neue Vorschrift erleichtern zu
sollen. Nach dem Entwurf können die Ansprüche erst nach der Geburt
des Kindes geltend gemacht werden; zahlt der Vater daher nicht frei-
willig, so kann er immer erst nach Durchführung der Klage, also mehr
oder weniger lange nach der Geburt des Kindes zur Zahlung zwangsweise
angehalten werden. Die Kommission nahm dagegen an, dafs es darauf an-
komme, der Mutter oder dem Vormunde des Kindes für die besonders
schwierige Zeit unmittelbar nach der Geburt sofort verfügbares Geld zum
Unterhalt für Mutter und Kind zu verschaffen. Von dieser Erwägung aus
gelangte sie zur Aufnahme des § 1578a der 2. Lesung, indem sie die
mit Rücksicht auf die Lage des als Vater iu Anspruch Genommenen ob-
§ 1578 vergl. § 1577 Abs. 3.
§ 1578 a. Auf Antrag der Mutter kann schon vor der Geburt des Kindes durch
einstweilige Verfügung angeordnet werden, dafs der Vater die im § 1577 bestimmten
Kosten an die Mutter, die Kosten des dem Kinde für das erste Vierteljahr zu gewähren-
den Unterhalts an die Mutter oder an den Vormund alsbald nach der Geburt zu zahlen
und den hierzu erforderlichen Betrag angemessene Zeit vor der Geburt zu hinterlegen hat.
Zur Erlassung der einstweiligen Verfügung ist nicht erforderlich , dafs eine Gefähr-
dung des Anspruchs glaubhaft gemacht wird.
§ 1578 b. (1572, 1577 Abs. 2.) Als Vater des unehelichen Kindes im Sinne der
§§ 1571 bis 1578 a gilt, wer der Mutter innerhalb der Empfängniszeit beigewohnt hat,
es sei denn, dafs auch ein Anderer ihr innerhalb dieser Zeit beigewohnt hat. Eine Bei-
wohnung bleibt jedoch aufser Betracht, wenn es den Umständen nach offenbar unmöglich
ist, dafs die Mutter das Kind aus dieser Beiwohnung empfangen hat.
Als Empfängniszeit gilt die Zeit von dem einhunderteinundachtzigsten bis zu dem
dreihundertundzweiten Tage vor dem Tage der Geburt des Kindes , mit Einschlufs so-
wohl des einhunderteinundachtzigsten als des dreihundertundzweiten Tages
§ 1578 c. Wer seine Vaterschaft nach der Geburt des Kindes in einer öffentlichen
Urkunde anerkannt hat, kann sich nicht darauf berufen, dafs innerhalb der Empfängnis-
zeit auch ein Anderer der Mutter beigewohnt hat.
Anmerkung. 1. Als § 748a wird folgende Vorschrift eingestellt:
Wer eine Frauensperson durch Anwendung hinterlistiger Kunstgriffe zur Ge-
stattung der aufserehelichen Beiwohnung verleitet, ist ihr zum Ersätze des dadurch
verursachten Schadens verpflichtet.
2. Der § 770 Abs. 2 erhält folgende Fassung:
Ein gleicher Anspruch steht einer Frauensperson zu, gegen die durch Beiwoh-
nung begangen oder die durch Anwendung hinterlistiger Kunstgriffe zur
Gestattung der aufserehelichen Beiwohnung verleitet worden ist.
3. Als § 1228b wird folgende Vorschrift eingeschaltet:
Hat eine unbescholtene Verlobte ihrem Verlobten die Beiwohnung gestattet , so
kann sie, wenn die Voraussetzungen des § 1228 oder des § 1228 a vorliegen,
unbeschadet der dort bestimmten Ersatzansprüche, eine billige Entschädigung in
Geld verlangen, auch wenn sie einen Vermögensschaden nicht erleidet.
Der Anspruch ist nicht übertragbar und geht nicht auf die Erben über , es sei
denn , dafs er durch Vertrag anerkannt oder dafs er rechtshängig geworden ist.
4. Der Eingang des § 1230 hat zu lauten :
„Die in den §§ 1228 bis 1229 . . . ."
(3gß Nationalökonomische Gesetzgebung.
waltenden Bedenken zwar nicht verkannte, aber gegenüber dem Interesse
der unehelichen Kinder nicht für ausschlaggebend erachtete.
Im Anschlufs an die §§ 1577, 1578 wurde 3odann die Frage erörtert,
ob und unter welchen Voraussetzungen auf Grund der aufserehelichen
Beiwohnung der Frau ein Entschädigungsanspruch eingeräumt werden
solle. Der Entwurf erkennt, abgesehen von der Vorschrift des § 1577,
einen solchen Anspruch nur dann an. wenn durch die Beiwohnung gegen
die Frau eine strafbare Handlung begangen ist, lehnt dagegen eine allge-
meine sog. Deflorationsklage der verführten Frau ab. Die Kommission
billigte dies und hielt es für praktisch nicht angängig, in allen Fällen
einer Verführung der Frau einen Entschädigungsanspruch zu geben, weil
der Begriff der Verführung zu unbestimmt erschien. Um dieses Bedenken
zu beseitigen, machte man eine leichter feststellbare besondere Art der
Verführung, nämlich die Verleitung durch arglistige Kunstgriffe, zur
Voraussetzung des Schadenersatzanspruchs. Die Anerkennung eines so
beschränkten Anspruchs erschien ausreichend und notwendig, um für die
das Rechtsgefühl am meisten verletzenden Fälle der Verführung Abhilfe
zu schaffen. Man gab unter dieser Voraussetzung der Frau auch im An-
schlufs an § 728 einen Anspruch auf eine billige Geldentschädigung wegen
eines Anderen als eines Vermögensschadens. Einen gleichen Anspruch be-
schlofs man ferner der unbescholtenen Braut, die dem Verlobten den Beischlaf
gestattet hat, dann zu gewähren, wenn der Verlobte entweder selbst ohne
wichtigen Grund vom Verlöbnis zurücktritt oder durch sein Verschulden der
Braut gerechtfertigten Grund zum Bücktritt giebt. Die beschränkende
Voraussetzung der Unbescholtenheit stellte man deshalb auf, weil der An-
spruch einen Ersatz für die zerstörte oder verminderte Aussieht auf Versorgung
zu schaffen bestimmt ist, Bescholtenheit aber diese Aussicht ausschliefst.
In dem die Legitimation unehelicher Kinder regelnden
sechsten Titel wurde von den Vorschriften über die Legitimation
durch nachfolgende Ehe nur der § 1580 geändert. Er erhielt
Siebenter Titel.
Legitimation unehelicher Kinder.
I. Legitimation durch nachfolgende Ehe.
§ 1579. Ein uneheliches Kind erlangt, wenn der Vater die Mutter heiratet, von
der Zeit der Eheschiefsung an die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes.
§ 1580. Der Ehemann der Mutter gilt als der Vater des Kindes, wenn er ihr inner-
halb der im § 1578 b Abs. 2 bestimmten Empfängniszeit beigewohnt hat, es sei denn,
dafs es den Umständen nach offenbar unmöglich ist, dafs die Mutter das Kind aus dieser
Hei wohnung empfangen hat.
Hat der Ehemann seine Vaterschaft in einer öffentlichen Urkunde anerkannt, so
wird vermutet, dafs er der Mutter innerhalb der Empfängniszeit beigewohnt habe.
§ 1581. Ist die Ehe der Eltern nichtig oder ist sie anfechtbar und angefochten , so
finden die Vorschriften der §§ 1562 bis 1567 entsprechende Anwendung.
§ 1582. Die Eheschliefsung zwischen den Eltern hat für die Abkömmlinge des
unehelichen Kindes die Wirkungen der Legitimation auch dann , wenn das Kind vor der
Eheschliefsung gestorben ist.
II. Legitimation durch Ehelichkeitserklärung.
§ 1583. (1583, 1584.) Ein uneheliches Kind kann auf Antrag seines Vaters ilurch
eine Verfügung der Staatsgewalt für ehelich erklärt werden. Die Ehelichkeitserklärung
steht dem Staate zu, welchem der Vater angehört.
Nationalökonomische Gesetzgebung. f387
einen dem Beschlüsse zu § 1568 entsprechenden einschränkenden Zusatz.
Aufserdem knüpfte man an die vom Ehemann in einer öffentlichen Ur-
kunde erklärte Anerkennung der Vaterschaft die Voraussetzung, dafs er
der Mutter innerhalb der Empfäugniszeit beigewohnt habe. Von den
Bestimmungen über die Legitimation durch Ehelichkeitser-
klärung wurde der Satz 2 des § 1584 als durch § 4 des Bundesge-
setzes vom 1. Juni 1870 gegenstandslos gestrichen. Die §§ 1587, 1588,
1591, 1593, 1595 und der § 1597 Satz 2 erlitten Aenderungen , von
Mit der Ehelichkeitserklärung erlangt das Kind die rechtliche Stellung eines ehe-
lichen Kindes.
§ 1584 vergl. § 1583 Abs. 1 Satz 2.
§ 1585. Die Ehelichkeitserklärung kann nur erfolgen, wenn der Vater das Kind
in dem Antrag als das seinige anerkennt.
§ 1586. Die Ehelichkeitserklärung ist nicht zulässig, wenn zur Zeit der Erzeugung
des Kindes eine Ehe zwischen den Eltern nach § 1236 Abs. 1 wegen Verwandtschaft
oder Schwägerschaft verboten war.
§ 1587. Zur Ehelichkeitserklärung ist die Einwilligung des Kindes, der Mutter des
Kindes und, wenu der Vater verheiratet ist, der Frau des Vaters erforderlich. Der Ein-
willigung der Mutter bedarf es nicht , wenn das Kind das fünfundzwauzigste Lebensjahr
vollendet hat.
Wird die Einwilligung von der Mutter verweigert, so kann sie auf Antrag des Kindes
durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden, wenn das Unterbleiben der Ehelichkeits-
erklärung dem Kinde zu unverhältnismäfsigem Nachteile gereichen würde.
Die Einwilligung der Mutter ist nicht erforderlich, wenn die Mutter zur Abgabe einer
Erklärung dauernd aufserstande oder ihr Aufenthalt dauernd unbekannt ist. Das Gleiche
gilt von der Einwilligung der Frau des Vaters.
Anmerkung. Es bleibt vorbehalten, bei der Beratung des internationalen Privat-
rechts zu prüfen, ob der § 1583 Abs. 1 Satz 2 durch die dort zu treffenden Vorschriften
entbehrlich wird und ob durch diese auch solche Fälle gedeckt werden , in welchen ein
Reichsangehöriger keinem deutschen Staate angehört.
§ 1588. (1588, 1589 Abs. 2 Satz 2.) Der Antrag auf Ehelichkeitserklärung
sowie die Einwilligung der im § 1587 bezeichneten Personen kann nicht durch einen
Vertreter erfolgen.
Ist jedoch das Kind geschäftsunfähig oder hat es das vierzehnte Lebensjahr noch
nicht vollendet, so kann sein gesetzlicher Vertreter die Einwilligung mit Genehmigung
des Vormundschaftsgerichts erteilen.
§ 1589. (1589, 1590.) Ist der Vater in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so bedarf
er zu dem Antrag auf Ehelichkeitserklärung, aufser der Zustimmung seines gesetzlichen
Vertreters, der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts.
Ist das Kind in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so gilt das Gleiche für die Ertei-
lung seiner Einwilligung.
Ist die Mutter des Kindes oder die Frau des Vaters in der Geschäftsfähigkeit beschränkt,
so ist zur Erteilung ihrer Einwilligung die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nicht
erforderlich.
§ 1590 vergl. § 1589 Abs. 3.
§ 1591. Der Antrag auf Ehelichkeitserklärung sowie die Einwilligung der im §1587
bezeichneten Personen bedarf der gerichtlichen oder notariellen Form. Die Einwilligung
kann dem Vater oder der Behörde gegenüber erklärt werden, bei welcher der Antrag
einzureichen ist ; sie ist unwiderruflich.
§ 1592. (1592, 1594.) Die Ehelichkeitserklärung kann versagt werden, auch wenn
ihr ein gesetzliches Hindernis nicht entgegensteht.
Die Ehelichkeitserklärung kann nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestim-
mung erfolgen.
§ 1592 a. (1595.) Die Ehelichkeitserklärung kann nicht nach dem Tode des Kindes
erfolgen.
Nach dem Tode des Vaters ist die Ehelichkeitserklärung nur zulässig, wenn der
Vater den Antrag auf Ehelichkeitserklärung bei der zuständigen Behörde eingereicht oder
(383 Nationalökonomische Gesetzgebung.
deren Hervorhebung aber hier abgesehen werden 'kann. Ebenso wurden
in dem von der Annahme an Kindesstatt handelnden siebenten
bei oder nach der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung des Antrags das Gericht
oder den Notar mit der Einreichung betraut hatte. Die nach dem Tode des Vaters
erfolgte Ehelichkeitserklärung hat dieselbe Wirkung, wie wenn sie vor dem Tode des
Vaters erfolgt wäre.
§ 1593. Die Ehelichkeitserklärung ist unwirksam, wenn ein gesetzliches Erfordernis
fehlt. Auf die Wirksamkeit der Ehelichkeitserklärung ist es jedoch ohne Einflufs , wenn
der Antragsteller nicht der wirkliche Vater des Kindes oder wenn mit Unrecht angenom-
men worden ist, dafs die Mutter des Kindes oder die Frau des Vaters zur Abgabe einer
Erklärung dauernd außerstande oder ihr Aufenthalt dauernd unbekannt sei.
§ 1594 vergl. § 1592 Abs. 2.
§ 1595 vergl. § 1592 a.
§ 1596. Die Wirkungen der Ehelichkeitserklärung erstrecken sich auf die Abkömm-
linge des Kindes, nicht auf die Verwandten des Vaters. Die Frau des Vaters ist nicht
mit dem Kinde, der Ehegatte des Kindes ist nicht mit dem Vater verschwägert.
Die zwischen dem Kinde und seinen Verwandten durch die Verwandtschaft begrün-
deten Rechte und Pflichten bleiben unberührt, soweit sich nicht aus dem Gesetz ein
Anderes ergiebt.
§ 1597. Durch die Ehelichkeitserklärung verliert die Mutter das Recht und die
Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen. Hat sie dem Kinde den Unterhalt zu
gewähren, so treten Recht und Pflicht wieder ein, wenn die elterliche Gewalt des Vaters
beendet ist oder in der Weise ruht , dafs ihm auch die Sorge für die Person des Kindes
nicht zusteht.
§ 1598. Der Vater ist dem Kinde und dessen Abkömmlingen vor der Mutter und
den mütterlichen Verwandten zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet.
§ 1599. Will der Vater eine Ehe eingehen, während er die elterliche Gewalt über
das Kind hat, so finden die Vorschriften der §§ 1548 bis 1552 Anwendung.
§ 1600 Für die Anfechtung des Antrags auf Ehelichkeitserklärung und der Ein-
willigung der im § 1587 bezeichneten Personen sowie für die Bestätigung einer anfecht-
baren Erklärung dieser Art gelten die Vorschriften der §§ 1588, 1589.
Achter Titel.
Annahme an Kindesstatt.
§ 1601. Abs. 1 vergl. § 1619 b Abs. 1, Abs. 2 vergl. § 1611b Satz 1.
§ 1602. Wer einen ehelichen Abkömmling nicht hat, kann einen Anderen an Kindes-
statt annehmen Das Vorhandensein eines angenommenen Kindes steht der Annahme
eines weiteren Kindes nicht entgegen.
§ 1603. (1603, 1604.) Der Annehmende mufs das fünfzigste Lebensjahr vollendet
haben und mindestens achtzehn Jahre älter sein als das Kind.
Von diesen Erfordernissen kann Befreiung gewährt werden, von der Vollendung des
fünfzigsten Lebensjahrs jedoch nur dann, wenn der Annehmende volljährig ist.
§ 1604 vergl. § 1603.
§ 1605 gestrichen.
§ 1606. (1606, 1608, 1611.) Wer verheiratet ist, kann nur mit Einwilligung seines
Ehegatten an Kindesstatt annehmen oder angenommen werden.
Die Einwilligung ist nicht erforderlich , wenn der Ehegatte zur Abgabe einer Erklä-
rung dauernd aufserstande oder sein Aufenthalt dauernd un bekannt ist.
§ 1607. (1607, 1608.) Als gemeinschaftliches Kind kann ein Kind nur von Ehe-
gatten an Kindesstatt angenommen werden.
Ein angenommenes Kind kann, solange das durch die Annahme begründete Rechts-
verhältnis besteht, nur von dem Ehegatten des Annehmenden an Kindesstatt angenom-
men werden.
§ 1608 vergl. § 1607 Abs. 1.
§ 1609 vergl. § 1606 Abs. 1.
§ 1610. (1610, 1611.) Ein eheliches Kind kann nur mit Einwilligung seiner Eltern,
ein uneheliches Kind kann nur mit Einwilligung seiner Mutter an Kindesstatt angenom-
men werden. Die Vorschrift des § 1606 Abs. 2 findet entsprechende Anwendung.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 689
Titel nur weniger erhebliche Abweichungen vom Entwurf zu den §§ 1611,
1613, 1614, 1616, 1618, 1622, 1623, 1626, 1631 beschlossen und die
Die Einwilligung ist nicht erforderlich, wenn das Kind das fünfundzwanzigste Lebens-
jahr vollendet hat.
§ 1611 vergl. § 1606 Abs. 2, § 1610 Abs. 1 Satz 2.
§ 1611a. (1615.) Die Annahme an Kindesstatt kann nicht unter einer Bedingung
oder einer Zeitbestimmung erfolgen.
§ 1611b. (1601 Abs. 2, 1616 Abs. 1.) Die Annahme an Kindesstatt erfolgt durch
Vertrag zwischen dem Annehmenden und dem Kinde. Der Vertrag mufs vor Gericht
oder vor einem Notar geschlossen werden.
§ 1611c. (1617, 1619.) Der Annahmevertrag bedarf der Bestätigung durch das
zuständige Gericht. Die Bestätigung ist nur zu versagen, wenn ein gesetzliches Erforder-
nis der Annahme an Kindesstatt fehlt.
Die Annahme an Kindesstatt tritt mit der Bestätigung in Kraft. Die Vertrag-
schliefsenden sind schon vor der Bestätigung gebunden. Mit der endgiltigen Versagung
der Bestätigung verliert der Vertrag seine Kraft.
§ 1612. Der Annahmevertrag kann nicht durch Vertreter geschlossen werden.
Hat jedoch das Kind das vierzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet, so kann sein
gesetzlicher Vertreter den Vertrag mit Genehmigung des Vormundschaf^gerichts sch:iefsen.
§ 1613. (1613 Abs. 1, 2.) Ist der Annehmende in der Geschäftsfähigkeit beschränkt,
so bedarf er zur Eingehung des Vertrags, aufser der Zustimmung seines gesetzlichen Ver-
treters, der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts.
Das Gleiche gilt für das Kind, wenn es in der Geschäftsfähigkeit beschränkt ist.
§ 1613 a. (1613 Abs. 3, 4.) Will ein Vormund seinen Mündel an Kindesstatt an-
nehmen , so soll das Vormundschaftstfericht die Genehmigung nicht erteilen, solange er
Vormund ist. Will jemand seinen früheren Mündel an Kindesstatt annehmen, so soll das
Vormundschaftsgericht die Genehmigung nicht erteilen , bevor er über seine Verwaltung
des Mündelvermögens Rechnung gelegt und das Vorhandensein des Vermögens nach-
gewiesen hat.
Das Gleiche gilt, wenn ein zur Vermögensverwaltung berufener Pfleger seinen Pfleg-
ling oder seinen früheren Pflegling an Kindesstatt annehmen will.
§ 1614. (1614, 1616 Abs. 2.) Die Einwilligung der in den §§ 1606, 1610 bezeich-
neten Personen bedarf der gerichtlichen oder notariellen Form. Sie kann dem Anneh-
menden oder dem Kinde oder dem für die Bestätigung des Annahmevertrags zuständigen
Gerichte gegenüber erklärt werden ; sie ist unwiderruflich.
Die Einwilligung kann nicht durch einen Vertreter erteilt werden. Ist der Einwilli-
gende in der Geschäftsfähigkeit beschränkt, so bedarf er nicht der Zustimmung seines
gesetzlichen Vertreters.
§ 1615 vergl. § 1611a.
§ 1616. Abs. 1 vergl § 1611b Satz 2, Abs. 2 vergl. § 1614 Abs. 1.
§ 1617 vergl. § 1611c.
§ 1618. Die Bestätigung des Annahmevertrags kann nicht nach dem Tode des
Kindes erfolgen.
Nach dem Tode des Annehmenden ist die Bestätigung nur zulässig , wenn der An-
nehmende oder das Kind den Antrag auf Bestätigung bei dem zuständigen Gericht ein-
gereicht oder bei oder nach der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung des Vertrags
das Gericht oder den Notar mit der Einreichung betraut hatte.
Die nach dem Tode des Annehmenden erfolgte Bestätigung hat die gleiche Wirkung,
wie wenn sie vor dem Tode erfolgt wäre.
§ 1619 vergl. 1611c Abs. 1 Satz 2.
§ 1619 a. Auf die Wirksamkeit der Annahme an Kindesstatt ist es ohne Einflufs,
wenn bei der Bestätigung des Annahmevertrags mit Unrecht angenommen worden ist,
dafs eine der in den §§ 1606, 1610 bezeichneten Personen zur Abgabe einer Erklärung
dauernd aufserstande oder ihr Aufenthalt dauernd unbekannt sei.
§ 1619 b. (1601 Abs. 1, 1621.) Durch die Annahme an Kindesstatt erlangt das
Kind die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des Annehmenden.
Wird von Ehegatten gemeinschaftlich ein Kind angenommen oder nimmt ein Ehe-
Dritte Folge Bd. VJJI (LX1II). 44
690 Nationalökonomiscbe Gesetzgebung.
§§ 1605, 1611 Satz 2, 1622 Abs. 3, 1623 Abs. 2, 4 gestrichen. Neu
aufgenommen wurde der § 1631a der 2. Lesung. Die den achten Titel
gatte ein Kind des anderen Ehegatten an. so erlangt das Kind die rechtliche Stellung
eines gemeinschaftlichen ehelichen Kindes der Ehegatten.
§ 1620. (1620 Abs. 1.) Die Wirkungen der Annahme an Kindesstatt erstrecken
sich auf die Abkömmlinge des angenommenen Kindes, auf einen zur Zeit des Vertrags-
abschlusses schon vorhandenen Abkömmling und dessen später geborene Abkömmlinge
jedoch nur dann, wenn der Vertrag zugleich mit dem schon vorhandenen Abkömmlinge
geschlossen worden ist.
§ 1620 a. (1620 Abs. 2.) Die Wirkungen der Annahme an Kindesstatt erstrecken
sich nicht auf die Verwandten des Annehmenden. Der Ehegatte des Annehmenden ist
nicht mit dem Kinde , der Ehegatte des Kindes ist nicht mit dem Annehmenden ver-
schwägert.
§ 1620 b. (1625.) Die zwischen dem Kinde und seinen Verwandten durch die
Verwandtschaft begründeten Rechte und Pflichten werden durch die Annahme an Kindes-
statt nicht berührt, soweit sich nicht aus dem Gesetz ein Anderes ergiebt.
§ 1621 vergl. § 1619 b Abs. 2
§ 1622. Das angenommene Kind erhält den Familiennamen des Annehmenden.
Wir das Kind von einer Frau angenommen, die infolge ihrer Verheiratung einen anderen
Namen führt, so erhält es den Familiennamen , welchen die Frau vor der Verheiratung
geführt hat. In den Fällen des § 1619 b Abs. 2 erhält das Kind den Familiennamen
des Mannes.
Das Kind darf dem neuen Namen seinen früheren Familiennamen hinzufügen, sofern
nicht in dem Annahmevertrag ein Anderes bestimmt ist.
§ 1623. Der Annehmende hat über das Vermögen des Kindes, soweit es auf Grund
der elterlichen Gewalt seiner Verwaltung unterliegt, auf seine Kosten ein Verzeichnis auf-
zunehmen und dem Vormundschaftsgericht einzureichen. Erfüllt er diese Verpflichtung
nicht, so kann ihm das Vormundschaftsgericht die Vermögensverwaltung entziehen. Eine
solche Anordnung kann jederzeit wieder aufgehoben werden.
Will der Annehmende , während er die elterliche Gewalt über das Kind hat, eine
Ehe eingehen, so finden die Vorschriften der §§ 1548 bis 1552 Anwendung.
§ 1624. Durch die Annahme an Kindesstatt wird ein Erbrecht für den Annehmenden
nicht begründet.
§ 1625 vergl. § 1620 b.
§ 1626. Durch die Annahme an Kindesstatt verlieren die leiblichen Eltern die
elterliche Gewalt über das Kind, die uneheliche Mutter das Recht und die Pflicht, für
die Person des Kindes zu sorgen.
Hat der Vater oder die Mutter dem Kinde den Unterhalt zu gewähren , so treten
das Recht und die Pflicht, für die Person des Kindes zu sorgen, wieder eiD, wenn die
elterliche Gewalt des Annehmenden beendigt ist oder in der Weise ruht, dafs ihm auch
die Sorge für die Person des Kindes nicht zusteht. Das Recht der Vertretung des Kindes
tritt nicht wieder ein.
§ 1627. Der Annehmende ist dem Kinde und dessen Abkömmlingen , soweit sich
die Wirkungen der Annahme auf sie erstrecken , vor den leiblichen Verwandten des
Kindes zur Gewährung des Unterhalts verpflichtet.
Soweit die Vorschriften über die Unterhaltspflicht der Verwandten ein Erb- oder
Pflichtteilsrecht zwischen dem Bedürftigen und dem Verpflichteten voraussetzen, gilt bei
der Anwendung dieser Vorschriften der Annehmende als erb- und pflichtteilsberechtigt.
§ 1628. In dem Annahmevertrage kann die Nutzniefsung des Annehmenden an dem
Vermögen des Kindes sowie das Erbrecht des Kindes dem Annehmenden gegenüber aus-
geschlossen werden.
Im übrigen können, vorbehaltlich der Vorschrift des § 1622 Abs. 2, die Wirkungen
der Annahme an Kindesstatt in dem Annahmevertrage nicht geändert werden.
§ 1629. (1629 Abs. 1, 2, 4, 5.) Das durch die Annahme an Kindesstatt begründete
Rechtsverhältnis kann wieder aufgehoben werden. Die Aufhebung kann nicht unter einer
Bedingung oder einer Zeitbestimmung erfolgen.
Die Aufhebung erfolgt durch Vertrag zwischen den Annehmenden, dem angenommenen
Kinde und denjenigen Abkömmlingen des Kindes, auf welche sich die Wirkungen der
Annahme erstrecken.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 691
bildende Vorschrift des § 1632 über die Feststellung familien-
rechtlicher Verhältnisse wurde sachlich gebilligt.
In dem von der Vormundschaft handelnden dritten Abschnitt
regelt der erste Titel die Vormundschaft über Minderjährige.
Die auf die Anordnung der Vormundschaft bezüglichen Vor-
Haben Ehegatten gemeinschaftlich ein Kind angenommen oder hat ein Ehegatte ein
Kind des anderen Ehegatten angenommen, so bedarf es der Teilnahme beider Ehegatten
an dem Aufhebungsvertrage.
§ 1629 a. (1629 Abs. 3, 4.) Ist das Kind oder ist in den Fällen des § 1629
Abs. 3 einer der Ehegatten verstorben, so bedarf es zur Aufhebung des unter den übrigen
Beteiligten bestehenden Rechtsverhältnisses eines Vertrags nur dieser Personen.
§ 1629 b. (1629 Abs. 5.) Die für den Annahmevertrag und dessen Bestätigung
geltenden Vorschriften der §§ 1611b bis 1613 und des § 1618 gelten auch für den
Auf hebungs vertrag.
§ 1630. Auf die Anfechtung des Annahme- oder des Aufhebungsvertrags, auf die
Anfechtung der Einwilligung der in den §§ 1606, 1610 bezeichneten Personen sowie
auf die Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts finden die Vorschriften der §§ 1612,
1613 und des § 1614 Abs. 2 entsprechende Anwendung.
§ 1631. Sehliefsen Personen, die durch Annahme an Kindesstatt verbunden sind,
der Vorschrift des § 1236 a zuwider eine Ehe, so tritt mit der Eheschließung die Auf-
hebung des durch die Annahme zwischen ihnen begründeten Rechtsverhältnisses ein.
Ist die Ehe nichtig oder ist sie anfechtbar und angefochten, so wird , wenn dem
einen Ehegatten die elterliche Gewalt über den anderen zusteht, diese mit der Ehe-
schliefsung verwirkt Die Verwirkung tritt nicht ein , wenn die Ehe wegen eines Form-
mangels nichtig und nicht in das Heiratsregister eingetragen worden ist.
§ 1631a. Durch die Aufhebung der Annahme an Kindesstatt verlieren das Kind
und diejenigen Abkömmlinge des Kindes , auf welche sich die Aufhebung erstreckt, das
Recht, den Familiennamen des Annehmenden zu führen. Diese Vorschrift findet in den
Fällen des § 1619b Abs. 2 keine Anwendung, wenn die Aufhebung nach dem Tode
eines der Ehegatten erfolgt.
§ 1632 gestrichen.
Anmerkung. Im Artikel 11 des Entwurfes des Einführungsgesetzes soll zum Er-
sätze des § 1632 folgende Vorschrift als § 627 d in die Civilprozefsordnung eingestellt
werden:
Wird die Klage auf Feststellung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines
Eltern- und Kindesverhältnisses zwischen den Parteien oder auf Feststellung des
Bestehens oder des Nichtbestehens der elterlichen Gewalt der einen Partei über
die andere erhoben , so wirkt das Urteil, welches auf eine solche Feststellungs-
klage erlassen und noch während der Lebenszeit der Parteien rechtskräftig ge-
worden ist, für und gegen Alle. Ein das Eltern- und Kindesverhältnis oder
die elterliche Gewalt feststellendes Urteil wirkt jedoch gegen einen Dritten, welcher
das elterliche Verhältnis oder die elterliche Gewalt für sich in Anspruch nimmt,
nur dann, wenn er an dem Prozesse teilgenommen hatte.
Die Vorschriften finden keine Anwendung auf den Rechtsstreit, welcher die
Feststellung des Bestehens oder des Nichtbestehens der unehelichen Vaterschaft
zum Gegenstande hat.
Dritter Abschnitt.
Vormundschaft.
Erster Titel.
Vormundschaft über Minderjährige.
I. Anordnung der Vormundschaft.
§ 1633. Ein Minderjähriger erhält einen Vormund, wenn er nicht unter elterlicher
Gewalt steht oder wenn er zwar unter elterlicher Gewalt steht, den Eltern aber weder
die Vertretung in den seine Person betreffenden Angelegenheiten noch die Sorge für
sein Vermögen zusteht.
44*
692 Nationalökonomische Gesetzgebung.
schritten erfuhren nur geringe Aenderungen in den §§ 1633, 1637 Abs. 1,
1639, 1643 Nr. 5 und 8. Während der in § 1634 ausgesprochene Grund-
Ein Minderjähriger erhält einen Vormund auch dann, wenn sein Familienstand nicht
zu ermitteln ist.
§ 1634. Das Vormundschaftsgericht hat die Vormundschaft von Amtswegen an-
zuordnen.
Anmerkung. Der Artikel 69 des Entwurfes des Einliihruugsgesetzes erhält
folgende Fassung ;
Unberührt bleiben die landesgesetzlichen Vorschriften, nach welchen
!. der Vorstand einer unter staatlicher Verwaltung oder Aufsicht stehenden Er-
ziehuugs- oder Verpflegungsanstalt oder ein Beamter die Rechte und Pflichten
eines Vormundes für diejenigen Minderjährigen hat, welche in der Anstalt oder
unter der Aufsicht des Vorstandes oder des Beamten in einer von ihm ausge-
wählten Familie oder Anstalt erzogen oder verpflegt werden, und der Vorstand
der Anstalt oder der Beamte auch nach der Beendigung der Erziehung oder der
Verpflegung bis zur Volljährigkeit des Mündels Vormund bleibt, unbeschadet der
Belugnis des Vormundschaftsgerichts, einen anderen Vormund zu bestellen;
2. die Vorschriften unter Nr. 1 bei unehelichen Minderjährigen auch dann gelten,
wenn diese unter der Aufsicht des Vorstandes oder des Beamten in der mütter-
lichen Familie erzogen oder verpflegt werden ;
3. der Vorstand einer unter staatlicher Verwaltung oder Aufsicht stehenden Er-
ziehungs- oder Verpflegungsanstalt oder ein von ihm zu bezeichnender Ange-
stellter der Anstalt oder ein Beamter vor den nach § 1635 des Bürgerlichen
Gesetzbuchs als Vormünder berufenen Personen zum Vormunde der unter den
Nr. 1, 2 bezeichneten Minderjährigen bestellt werden kann;
4. im Falle einer nach den Vorschriften unter Nr. 1 bis 3 stattfindenden Bevor-
mundung ein Gegenvormund nicht zu bestellen ist und dem Vormunde die nach
§ 1690 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zulässigen Befreiungen zustehen.
§ 1635. Als Vormünder sind in nachstehender Reihenfolge berufeu :
1. wer von dem Vater des Müudels als Vormund benannt ist;
2. wer von der ehelichen Mutter des Mündels als Vormund benannt ist;
3. der Grofsvater des Mündels von väterlicher Seite;
4. der Grofsvater des Mündels von mütterlicher Seite.
Die Grofsvater sind nicht berufen, wenn der Mündel von einem Anderen als dem
Ehegatten seines Vaters oder seiner Mutter an Kindesstatt angenommen ist. Das Gleiche
gilt, wenn derjenige, von welchem der Mündel abstammt, von einem Anderen als dem
Ehegatten seines Vaters oder seiner Mutter an Kindesstatt angenommen ist und die
Wirkungen der Annahme sich auf den Mündel erstrecken.
§ 1636. Der Vater kann einen Vormund nur benennen, wenn ihm zur Zeit des
Todes die Sorge für die Person und das Vermögen des Mündels auf Grund der elter-
lichen Gewalt zusteht. Das Gleiche gilt für die Mutter.
Der Vater kann auch für ein nach seinem Tode geborenes Kind einen Vormund er-
nennen, wenn er im Falle der vorher erfolgten Geburt hierzu berechtigt gewesen wäre.
Die Benennung des Vormundes kann nur durch Verfügung von Todeswegen er-
folgen.
§ 1637. Wer nach § 1235 als Vormund berufen ist, darf ohne seine Zustimmung
nur dann übergangen werden, wenn er nach den §§ 1640 bis 1642 von der Vormund-
schaft ausgeschlossen ist oder wenn er an der Uebernahme der Vormundschaft verhindert
ist oder die Uebernahme verzögert oder wenn seine Bestellung das Interesse des Müudels
zu gefährden droht.
War der Berufene nur vorübergehend verhindert, so ist er nach dem Wegfalle des
Hindernisses auf seinen Antrag au Stelle des bisherigen Vormundes zum Vormunde zu
bestellen.
Für eine Ehefrau darf der Mann vor den nach § 1635 Berufenen, für ein unehe-
liches Kind darf die Mutter vor dem Grofsvater zum Vormunde bestellt werden.
Neben dem Berufenen darf nur mit dessen Zustimmung ein Mitvormund bestellt
werden.
§ 1638. Ist die Vormundschaft nicht einem nach § 1635 Berufenen zu übertragen,
Nationalökonomische Gesetzgebung. ß93
satz, dafs die Vormundschaft von dem Vormundschaftsgericht von Amts-
wegen angeordnet wird, gebilligt wurde, beschlofs man, den in Art. 79
so hat das Vormundschaftsgericht nach Anhörung des Gemeindewaisenrata eine Person
als Vormund auszuwählen, die nach ihren persönlichen Verhältnissen und ihrer Ver-
mögenslage sowie nach den sonstigen Umständen zur Führung der Vormundschaft ge-
eignet ist. Verwandte oder Verschwägerte des Mündels sind zunächst zu berück-
sichtigen.
In der Regel soll für den Mündel und, wenn mehrere Geschwister zu bevormunden
sind, für alle Mündel nur ein Vormund bestellt werden.
Bei der Bestellung des Vormundes kann dessen Entlassung für den Fall vorbehalten
werden, dafs ein bestimmtes Ereignis eintritt oder nicht eintritt.
§ 1639 vergl. § 1643 a.
§ 1640. (1640 Nr. 1, 1646 Abs. 1.) Zum Vormunde kann nicht bestellt werden,
wer geschäftsunfähig oder wegen Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunksucht ent-
mündigt ist.
§ 1640 a. (1640 Nr. 1 bis 3, 1646 Abs. 2.) Zum Vormunde soll nicht bestellt
werden:
1. wer minderjährig oder nach den §§ 1727, 1737 unter Vormundschaft gestellt ist;
2. wer in Konkurs verfallen ist, während der Dauer des Konkurses;
3. wer der bürgerlichen Ehrenrechte für verlustig erklärt ist, nach Mafsgabe der Vor-
schriften des Strafgesetzbuchs.
§ 1640 b. (1640 Nr. 5, 1646 Abs. 2.) Zum Vormunde soll nicht bestellt werden,
wer von dem Vater oder der ehelichen Mutter des Mündels von der Vormundschaft aus-
geschlossen ist. Der von dem Vater als Vormund Benannte kann von der Mutter nicht
ausgeschlossen werden.
Auf die Ausschliefsung von der Vormundschaft finden die Vorschriften des § 1636
Anwendung.
§ 1641. (1640 Nr. 4, 1641, 1646 Abs. 2.) Zum Vormunde soll nicht eine Frau
bestellt werden. Ausgenommen sind die Mutter und die Grofsmutter sowie eine Frau,
die von dem Vater oder der ehelichen Mutter als Vormund benannt ist.
Eine Frau, die mit einem Anderen als dem Vater des Mündels verheiratet ist, darf
nur mit Zustimmung ihres Mannes zum Vormunde bestellt werden.
§ 1642. (1642, 1646 Abs. 2.) Ein Beamter oder ein Religionsdiener, der nach den
Landesgesetzen einer besonderen Erlaubnis zur Uebernahme einer Vormundschaft bedarf,
soll nicht ohne die vorgeschriebene Erlaubnis zum Vormunde bestellt werden.
§ 1643. Die Uebernahme der Vormundschaft kann ablehnen :
1. eine Frau ;
2. wer das sechszigste Lebensjahr vollendet hat ;
3. wer mehr als vier minderjährige, eheliche Kinder hat ; ein von einem Anderen an
Kindesstatt angenommenes Kind wird nicht gerechnet ;
4. wer durch Krankheit oder durch ein Gebrechen verhindert wird, die Vormundschaft
ordnungsmäfsig zu führen ;
5. wer wegen Entfernung seines Wohnsitzes von dem Sitze des Vormundschaftsgerichts
die Vormundschaft nicht ohne besondere Belästigung führen kann ;
6. wer nach § 1689 zur Sicherheitsleistung angehalten wird;
7. wer mit einem Anderen zur gemeinschaftlichen Führung der Vormundschaft bestellt
werden soll;
8. wer mehr als eine Vormundschaft oder Pflegschaft führt ; die Vormundschaft oder
Pflegschaft über mehrere Geschwister gilt nur als eine ; die Führung von zwei
Gegenvormundschaften steht der Führung einer Vormundschaft gleich.
§ 1643 a. (1639) Jeder Deutsche hat die Vormundschaft, für welche er von dem
Vormundschaftsgericht ausgewählt wird , zu übernehmen , sofern er nicht nach den
§§ 1640 bis 1642 von der Vormundschaft ausgeschlossen oder nach § 1643 zur Ab-
lehnung berechtigt ist.
Lehnt er die Uebernahme ohne Grund ab, so ist er, soweit ihm ein Verschulden
zur Last fällt, für den aus der Verzögerung der Bestellung eines Vormundes dem Mündel
entstehenden Schaden verantwortlich.
Das Vormundschaftsgericht kann den zum Vormund Ausgewählten durch Ordnung»-
694 Nationalökonomische Gesetzgebung.
des Entwurfs des Einführungsgesetzes enthaltenen Vorbehalt für die Landes-
gesetze bezüglich der gesetzlichen Vormundschaft der Vorstände von Ver-
pfiegungsanstalten nach mehreren Richtungen zu erweitern. Man gestattete
den Landesgesetzen insbesondere auch, einem öffentlichen Beamten die
Vormundschaft über solche Minderjährige zu übertragen, die unter seiner Auf-
sicht in einer von ihm ausgewählten Familie oder Anstalt erzogen oder
verpflegt werden, sowie über uneheliche Minderjährige auch dann, wenn
sie unter seiner Aufsicht in der Familie der unehelichen Mutter erzogen
oder verpflegt werden. Der hauptsächlichste Zweck dieser Erweiterungen
war, die au verschiedenen Orten (insbesondere in Leipzig), geschaffenen
Einrichtungen , die auf einen wirksameren vormundschaftlichen Schutz
der Unehelichen abzielen, auch für die Zukunft Raum zu weiterer Ent-
wich eluug und Ausbreitung zu lassen. Zu § 1638 wurde der Vorschlag,
mit der preufs. Vormundschaftsordnung besonders auszusprechen, dafs bei
der Auswahl des Vormundes auf das religiöse Bekenntnis Rücksicht zu
nehmen sei, abgelehnt, weil die Mehrheit von der ausdrücklichen Hervor-
hebung unerwünschte Folgen befürchtete und es für genügend hielt, das
Vormundschaftsgericht zur Auswahl eines nach seinen persönlichen Ver-
hältnissen geeigneten Vormunds zu verpflichten. Dagegen ergänzte die
Kommission den Entwurf später durch die Bestimmung, dafs dem Vor-
munde vom Vormundschaftsgericht die Sorge füi die religiöse Erziehung
des Mündels entzogen werden kann, wenn der Vormund nicht dem Bekennt-
nis angehört, in welchem der Mündel zu erziehen ist. (Bezüglich des
§ 1646 vergl. unten zu § 1707.)
strafen zur Uebernahme der Vormundschaft anhalten. Die einzelne Strafe darf den Be-
trag von dreihundert Mark nicht überschreiten. Die Strafen sind nur in Zwischenräumen
von mindestens einer Woche zu verhängen. Mehr als drei Strafen dürfen nicht verhängt
werden.
§ 1644. Das Ablehnungsrecht geht verloren, wenn es nicht vor der Verpflichtung
bei dem Vormundschaftsgerichte geltend gemacht wird.
Erklärt das Vormundschaftsgericht die Ablehnung für unbegründet, so hat der Ab-
lehnende, unbeschadet der ihm zustehenden Rechtsmittel, die Vormundschaft auf Erfordern
des Vormundschaftsgerichts vorläufig zu übernehmen.
§ 1645. (1645 Abs. 1.) Der Vormund wird von dem Vormundschaftsgerichte durch
Verpflichtung zu treuer und gewissenhafter Führung der Vormundschaft bestellt. Die
Verpflichtung soll mittels Handschlags an Eidesstatt erfolgen.
§ 1645 a. (1645 Abs. 2.) Der Vormund erhält eine BestalluDg. Die Bestallung
soll enthalten den Namen und die Zeit der Geburt des Mündels, die Namen des Vor-
mundes, des Gegenvormundes und der Mitvormünder sowie im Falle der Teilung der Vor-
mundschaft die Art der Teilung. Ist ein Familienrat eingesetzt, so ist auch dies anzugeben.
§ 1646. Abs. 1 vergl. § 1640. Abs. 2 vergl. §§ 1640 a bis 1642.
§ 1647. Neben dem Vormunde kann ein Gegenvormund bestellt werden.
Ein Gegenvormund soll bestellt werden, wenn mit der Vormundschaft eine Ver-
mögensverwaltung verbunden ist, es sei denn, dafs die Verwaltung eine nicht erhebliche
ist oder dafs die Vormundschaft von mehreren Vormündern gemeinschaftlich zu führen ist,
Ist die Vormundschaft von mehreren Vormündern nicht gemeinschaftlich zu führen,
so kann der eine Vormund zum Gegenvormunde des anderen bestellt werden.
Auf die Berufung und Bestellung des Gegenvormundes finden die für die Berufung
und Bestellung des Vormundes geltenden Vorschriften Anwendung.
II. Führung der Vormundschaft.
§ 1648. (1648 bis 1650.) Der Vormund hat das Recht und die Pflicht, für die
Person und das Vermögen des Mündels zu sorgen, insbesondere den Mündel zu ver-
treten. Ausgenommen sind solche Angelegenheiten, für die ein Pfleger bestellt ist.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 695
In den Vorschriften über die Führung der Vormundschaft
wurde zunächst durch den Zusatz des S 1654 Abs. 2 der 2. Lesung
§ 1649 vergl. § 1648 Satz L.
§ 1650 vergl. § 1648 Satz 2.
§ 1651. (1651 Nr. 1 bis 3.) Der Vormund kann den Mündel nicht vertreten:
1. bei einem Rechtsgeschäfte zwischen seinem Ehegatten oder einem seiner Verwandten
in gerader Linie einerseits und dem Mündel andererseits , es sei denn, dafs das
Rechtsgeschäft ausschliefslich in der Erfüllung einer Verbindlichkeit besteht;
2. bei einem Rechtsgeschäfte, welches die Uebertragung oder Belastung einer durch
Pfandrecht, Hypothek oder Bürgschaft gesicherten Forderung des Mündels gegen
den Vormund oder die Aufhebung oder Minderung dieser Sicherheit oder die Be-
gründung der Verpflichtung des Mündels zu einer solchen Uebertragung, Belastung,
Aufhebung oder Minderung zum Gegenstande hat ;
3. bei einem Rechtsstreite zwischen den unter Nr. 1 bezeichneten Personen sowie bei
einem Rechtsstreit über eine Angelegenheit der unter Nr. 2 bezeichneten Art.
Die Vorschrift des § 149 bleibt unberührt.
§ 1651 a. (1651 Nr. 4.) Das Vormundschaftsgericht kann dem Vormunde die Ver-
tretung für gewisse Arten von Angelegenheiten oder für einzelne Angelegenheiten ent-
ziehen.
Die Entziehung soll nur erfolgen, wenn das Interesse des Mündels zu dem Interesse
des Vormundes oder zu dem Interesse eines von diesem vertretenen Dritten oder einer
der im § 1651 Nr. 1 bezeichneten Personen in erheblichen Gegeusatz tritt.
§ 1652. Mehrere Vormünder führen die Vormundschaft gemeinschaftlich. Bei
einer Meinungsverschiedenheit entscheidet das Vormundschaftsgericht , sofern nicht bei
der Bestellung ein Anderes bestimmt worden ist.
Das Vormundschaftsgericht kann die Führung der Vormundschaft unter mehrere Vor-
münder nach bestimmten Wirkungskreisen verteilen. Die Vormundschaft wird in diesem
Falle von jedem Vormunde für den ihm überwiesenen Wirkungskreis selbständig
geführt.
Bestimmungen, welche der Vater oder die Mutter für die Entscheidung von Meinungs-
verschiedenheiten zwischen den von ihnen benannten Vormündern oder für die Ver-
teilung der Geschäfte unter diesen nach Mafsgabe des § 1636 getroffen hat. sind von
dem Vormundschaftsgerichte zu befolgen, sofern nicht ihre Befolgung das Interesse des
Mündels zu gefährden droht.
§ 1653. Steht die Sorge für die Person und für das Vermögen des Mündels ver-
schiedenen Vormündern zu, so entscheidet bei einer Meinungsverschiedenheit zwischen
ihnen über die Vornahme einer sowohl die Person als das Vermögen des Mündels betref-
fenden Handlung das Vormundschaftsgericht.
§ 1654. Der Gegenvormund hat darauf zu achten, dafs der Vormund die Vormund-
schaft pflichtmäfsig führt ; er hat dem Vormundschaftsgerichte Pflichtwidrigkeiten des Vor-
mundes und jeden Fall, in welchem es zum Einschreiten berufen ist, insbesondere den
Tod des Vormundes oder Umstände, die den Vormund von der Vormundschaft ausschliefsen.
unverzüglich anzuzeigen.
Der Vormund hat dem Gegenvormund auf Verlangen über die Führung der Vor-
mundschaft Auskunft zu erteilen und die Einsicht der sich auf die Vormundschaft bezie-
henden Papiere zu gestatten.
§ 1655. (1655, 1657.) Das Recht und die Pflicht des Vormundes, für die Person
des Mündels zu sorgen, bestimmt sich nach den für die elterliche Gewalt geltenden Vor-
schriften der §§ 1504, 1505, 1509.
Zu dem Antrage des Vormundes auf Entlassung des Mündels aus dem Staatsverband
ist die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich.
Anmerkung. Zum teilweisen Ersätze des § 1657 des Entw. I erhält der § 836c
der Civilprozefsordnung (vgl. Anmerkung 1 zu § 9 der 2. Lesung) folgenden Zusatz :
Der gesetzliche Vertreter bedarf zu dem Antrage der Genehmigung des Vor-
mundschaftsgerichts.
§ 1655 a. Die Sorge für die religiöse Erziehung des Mündels kann dem Vormunde
vom Vormundschaftsgericht entzogen werden, wenn der Vormund nicht dem Bekenntnis
angehört, in welchem der Mündel zu erziehen ist.
696 Nationalökonomische Gesetzgebung.
die Stellung des Gegenvormundes näher bestimmt. Der § 1656 wurde
als selbstverständlich weggelassen. Die §§ 1657, 1659, 1660 Abs. 2 Satz 2
erfuhren unbedeutende Aenderungen. Erheblichere Abweichungen vom
Entwurf beschlofs man dagegen in betreff der Vorschriften über die An-
legung des Geldes des Mündels. Dafs unter den zulässigen Anlegungs-
arten auch die Anlegung in sicheren Eentenschulden und in Buchforderungen,
die in das Reichsschuldbuch oder in ein deutsches Staatsschuldbuch ein-
getragen sind, erwähnt wurden, war lediglich eine Folgerung aus früheren
Beschlüssen. Der Entwurf gestattet ferner die Anlegung bei einer in-
ländischen öffentlichen Sparkasse, wenn diese obrigkeitlich bestätigt ist.
Das letztere Erfordernis erschien entbehrlich und unzweckmäfsig. Man
hielt es aber für bedenklich, jede inländische öffentliche Sparkasse als
zulässige Anlegungsstelle anzuerkennen, da unter öffentlichen auch alle
nicht auf die Benutzung durch einen bestimmten Personenkreis beschränkten
Sparkassen verstanden werden könnten. Eine einheitliche reichsrechtliche
Kennzeichnung der geeigneten Sparkassen erschien unthunlich ; man über-
liefs daher der zuständigen Behörde des betreffenden Bundesstaats die
Entscheidung. Der Abs. 2 Nr. 2 — 4 des § 1664 wurde sodann dadurch
§ 1656 gestrichen.
§ 1657 vergl. 1655 Abs. 2.
§ 1658 gestrichen.
§ 1659. Der Vormund hat ein Verzeichnis des bei der Anordnung der Vormund-
schaft vorhandenen oder später dem Mündel zufallenden Vermögens aufzunehmen und
mit der pflichtmäfsigen Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit dem Vormund-
schaftsgericht einzureichen. Ist ein Gegenvormund vorhanden, so ist das Verzeichnis
unter seiner Zuziehung aufzunehmen und auch von ihm mit der pflichtmäfsigen Versiche-
rung der Richtigkeit und Vollständigkeit zu versehen.
Der Vormund kann sich bei der Aufnahme des Verzeichnisses der Hilfe eines Beamten,
eines Notars oder eines anderen Sachverständigen bedienen.
Ist das eingereichte Verzeichnis ungenügend, so kann das Vormundschaftsgericht
anordnen, dafs das Verzeichnis durch eine zuständige Behörde oder durch einen zustän-
digen Beamten oder Notar aufgenommen werde.
§ 1660. Was der Mündel von Todeswegen erwirbt oder was ihm unter Lebenden
von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, hat der Vormund nach den Anord-
nungen des Erblassers oder des Dritten zu verwalten, wenn die Anordnungen von dem
Erblasser durch Verfügung von Todeswegen, von dem Dritteu bei der Zuwendung ge-
troffen worden sind.
Der Vormund darf von den Anordnungen mit Genehmigung des Vormundschafts-
gerichts abweichen, wenn ihre Befolgung das Interesse des Mündels zu gefährden droht.
Zu einer Abweichung von den Anordnungen, welche ein Dritter bei einer Zuwen-
dung unter Lebenden getroffen hat, ist, solange er lebt, seine Zustimmung erforderlich und
genügend. Die Zustimmung des Dritten kann durch das Vormundschaftsgericht ersetzt
werden , wenn der Dritte zur Abgabe einer Erklärung dauernd aufserstande oder sein
Aufenthalt dauernd unbekannt ist.
§ 1661. Der Vormund kann in Vertretung des Mündels Schenkungen nicht machen.
Ausgenommen sind Schenkungen , durch die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den
Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprochen wird.
§ 1662. Der Vormund darf Vermögen des Mündels nicht in eigenen Nutzen ver-
wenden.
§ 1663. Der Vormund soll nicht ohne Genehmigung des Vormundschaftsgerichts
ein neues Erwerbsgeschäft im Namen des Mündels beginnen oder ein bestehendes Erwerbs-
geschäft des Mündels auflösen.
§ 1664 Der Vormund hat das zum Vermögen des Mündels gehörende Geld ver-
zinslich anzulegen, soweit es nicht zur Bestreitung der für die ordnungsmäfsige Verwal-
tung erforderlichen Ausgaben bereit zu halten ist.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 697
verdeutlicht oder erweitert, dafs statt „Schuldverschreibungen" gesetzt
wurde „verbriefte Forderungen". Da es für die Anlegung von Mündel-
geldern nicht auf die Umlaufsfähigkeit, sondern auf die Sicherheit der
Anlagewerte ankommt, sah man keinen Grund, die im Entwurf bezeich-
neten Schuldverschreibungen nur dann zuzulassen, wenn sie Wertpapiere
seien.
Sehr ausführlich wurde die in § 1664 Abs. 3 behandelte Frage
erörtert, ob und in welcher Weise die Voraussetzungen für die mündel-
mäfsige Sicherheit von Hypotheken und Grundschulden näher geregelt
werden solle. Da für die Anlegung von Geldern in weitem Umfang
gesetzlich oder statutarisch mündelmäfsige Sicherheit vorgeschrieben ist,
handelte es sich um eine Entscheidung von grofser Tragweite. Der Ent-
wurf bestimmt im Anschlufs an das in Preufsen und Sachsen geltende
Recht die Beleihungsgrenze bei landwirtschaftlichen Grundstücken auf
zwei Dritteile, bei anderen Grundstücken auf die Hälfte des Wertes des
Grundstücks und gestattet zugleich den Landesgesetzen, für die in ihrem
Geltungsbereich gelegenen Grundstücke die Grundsätze für die Festsetzung
des Wertes der Grundstücke zu bestimmen. Gegen diese Regelung wurden
Bedenken dahin geäufsert, dafs nach der heutigen Lage der Landwirt-
schaft die Beleihungsgrenze für landwirtschaftliche Grundstücke zu hoch
bemessen sei, und es wurde zum Teil schlechthin, zum Teil wenigstens
für den Fall , dafs der Hypothek ein anderes Recht von erheblichem
Betrage vorgeht, die Herabsetzung der Beleihbarkeit auf die Hälfte des
Wertes vorgeschlagen. Ein anderer Antrag ging dahin, den Abs. 3 des
§ 1664 ersatzlos zu streichen und dadurch reichsrechtlich die Bestimmung
der mündelmäfsigen Sicherheit der Prüfung des einzelnen Falles zu über-
lassen. Dieser Vorschlag fand jedoch keinen Anklang, da man für uner-
läfslich hielt, den zur Prüfung der Mündelmäfsigkeit Berufenen einen
gesetzlichen Anhalt zu gewähren. Einverständnis bestand auch darüber,
dafs eine reichsrechtliche Entscheidung der Frage sehr wünschenswert
sei. Die Mehrheit hielt es jedoch für bedenklich, reichsrechtlich an der
vom Entwurf festgestellten Beleihungsgrenze'für^landwirtschaftliche Grund-
Die Anlegung: soll nur erfolgen :
1. in sicheren Hypothekenforderungen, Grundschulden oder Rentenschulden an inländi-
schen Grundstücken ;
2. in verbrieften Forderungen gegen das Reich oder einen Bundesstaat sowie in Buch-
forderungen, welche in das Reichsschuldbuch oder in das Staatsschuldbuch eines
Bundesstaats eingetragen sind ;
3. in verbrieften Forderungen, deren Verzinsung von dem Reiche oder einem Bundes-
staate gewährleistet ist ;
4. in verbrieften Forderungen gegen inländische kommunale Körperschaften oder Kredit-
anstalten solcher Körperschaften, wenn sie entweder von Seiten des Gläubigers kündbar
sind oder einer regelmäfsigen Tilgung unterliegen ;
5. in Wertpapieren, die vom Bundesrat als zur Anlegung von Mündelgeldern geeignet
erklärt sind;
6. bei einer inländischen öffentlichen Sparkasse, wenn sie von der zuständigen Behörde
des Bundesstaats, in welchem sie ihren Sitz hat, zur Annahme von Mündelgeldern
für geeignet erklärt ist.
Die Landesgesetze können für die innerhalb ihres Geltungsbereichs belegenen Grund-
stücke die Grundsätze bestimmen, nach welchen die Sicherheit einer Hypotheken forderung,
einer Grundschuld oder einer Rentenschuld festzustellen ist.
698 Nationalökonomische Gesetzgebung.
stücke festzuhalten, da nach den in der Beratung gemachten Mitteilungen
die Besorgnis nicht ungerechtfertigt sei, dafs diese Regelung zu Verlusten
an Mündelgeldern führen könne. Nicht minder aher trug sie wegen der
Gefahr einer erheblichen Erschütterung des landwirtschaftlichen Kredits
Bedenken, die Beleihungsgrenze reichsrechtlich herabzusetzen. Da aufser-
dem auch die Bestimmung der Grundsätze für die Wertermittelung doch
den Landesgesetzen überlassen bleibeu müsse, infolge dessen aber die
reichsrechtliche Feststellung der Beleihungsgrenze doch nur formelle
Rechtseinheit schaffe, so entschied sich die Mehrheit dahin, auch die
Feststellung der Beleihungsgrenze der Landesgesetzgebung vorzubehalten.
Der § 1666 Abs. 1 erlitt zwei erheblichere Aenderungen. Einer-
seits verpflichtete man den Vormund, zur Anlegung von Mündelgeldern
gemäfs §§ 1664, 1665 ohne Unterschied der Art der Anlegung die Ge-
nehmigung des Gegenvormundes, wenn ein solcher vorhanden ist, einzu-
holen. Andererseits bestimmte man für die Fälle , in denen ein Gegen-
vormund nicht vorhanden ist, dafs der Vormund die Anlegung nur mit
Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bewirken solle. Die zweite
Aenderung bezweckte einen erweiterten Schutz der Mündel mit kleineren
Vermögen, für die ein Gegenvormund nicht bestellt ist. Die zu den
§§ 1669 — 1671 beschlossenen Aenderungen könuen hier übergangen werden.
§ 1665. Kann die im § 1664 vorgeschriebene Anlegung den Umständen nach nicht
erfolgen, so ist das Geld bei der Reichsbank, bei einer Staatsbank, oder bei einer anderen
landesgesetzlich dazu für geeignet erklärten inländischen Bank oder bei einer Hinter-
legungsstelle anzulegen.
§ 1666. Der Vormund soll die in den §§ 1664, 1665 vorgeschriebene Anlegung,
wenn ein Gegenvormund vorhanden ist , nur mit dessen Genehmigung , anderenfalls nur
mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts vornehmen. Die Genehmigung des Gegen-
vormundes wird durch die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ersetzt.
Die nach § 1664 Abs. 2 Nr. 6 und nach § 1665 zulässige Anlegung darf der Vor-
mund nur mit der Bestimmung vornehmen , dafs zur Erhebung des Oeldes die Genehmi-
gung des Gegenvormundes oder des Vormundschaftsgerichts erforderlich ist.
§ 1667. Das Vormundschaftsgericht kann aus besonderen Gründen dem Vormund
eine andere Anlegung als die in den §§ 1664, 1665 vorgeschriebene gestatten.
§ 1668. Der Vormund darf Geld, das zur Bestreitung der für die ordnungsmäfsige
Verwaltung erforderlichen Ausgaben bereit zu halten, aber zunächst nicht zu verwenden
ist, in jeder geeigneten Weise anlegen.
§ 1669. (1669 Abs. 1, 3.) Der Vormund bedarf der Genehmigung des Gegenvor-
mundes zur Verfügung über eine Forderung oder ein anderes Recht, kraft dessen der
Mündel eine Leistung verlangen kann , oder über ein Wertpapier des Mündels sowie zur
Eingehung einer Verpflichtung zu einer solchen Verfügung, es sei denn, dafs nach den
§§ 1671, 1674 die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich ist.
Die Genehmigung des Gegenvormundes wird durch die Genehmigung des Vormund-
schaftsgerichts ersetzt. Ist ein Gegenvormund nicht vorhanden, so tritt an die Stelle der
Genehmigung des Gegenvormundes die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts , sofern
nicht die Vormundschaft von mehreren Vormündern gemeinschaftlich geführt wird.
§ 1669 a. (1669 Abs. 2.) Der Vormund bedarf nicht der im § 1669 vorgeschrie-
benen Genehmigung des Gegenvormundes zur Annahme einer geschuldeten Leistung :
1. wenn der Gegenstand der Leistung nicht in Geld oder Wertpapieren besteht;
2. wenn der Anspruch zu den Nutzungen des Mündelvermögens gehört;
3. wenn der Anspruch auf Erstattung von Kosten der Kündigung oder der Rechtsver-
folgung oder auf andere Nebenleistungen gerichtet ist ;
4. wenn der Anspruch auf Rückzahlung des nach § 1668 angelegten Geldes gerich-
tet ist;
Nationalökonomische Gesetzgebung. 699
Die §§ 1672, 1673 -wurden ah selbstverständlich gestrichen. Den in
§ 1674 aufgezählten Rechtsgeschäften, zu welchen der Vormund der Ge-
I
5. wenn der Gegenstand des Anspruchs den Betrag von dreihundert Mark nicht über-
steigt, es sei denn, dafs Geld zurückgezahlt werden soll, das nach § 1666 Abs. 2
angelegt ist.
§ 1670. (1670 Abs. 1.) Der Vormund hat die zu dem Mündelvermögen gehören-
den Inhaberpapiere nebst den Erneuerungsscheinen bei einer Hinterlegungsstelle oder bei
der Reichsbank mit der Bestimmung zu hinterlegen , dafs die Zurücknahme der Papiere
nur mit Genehmigung des Vormun<lschaftsgerichts erfolgen kann. Die Hinterlegung von
Inhaberpapieren, die zu den vei brauchbaren Sachen gehören, sowie von Zins-, Renten-
oder Gewinnanteilscheinen ist nicht erforderlich. Den Inhaberpapieren stehen Order-
papiere gleich, die mit einem Blankoindossamente versehen sind.
§ 1670 a. (1670 Abs. 1.) Der Vormund kann die Inhaberpapiere, statt sie nach
§ 1670 zu hinterlegen , auf den Namen des Mündels mit der Bestimmung umschreiben
oder in Buchschulden des Reichs oder eines Bundesstaats umwandeln lassen, dafs er
über die umgeschriebenen Papiere oder die Buchforderungen nur mit Genehmigung des
Vormundschaftsgerichts verfügen kann.
Sind Reichsschuldverschreibungen oder solche Schuldverschreibungen eines Bundes-
staats, die in Buchschulden umgewandelt werden können, zu hinterlegen, so kann das
Vormundschaftsgericht anordnen, dafs sie nach Mafsgabe des Abs. 1 in Buchschulden
umgewar delt werden.
§ 1670 b. Gehören Buchforderungen gegen das Reich oder gegen einen Bundesstaat
hei Anordnung der Vormundschaft zum Mündelvermögen oder erwirbt der Mündel solche
Forderungen im Laufe der Vormundschaft, so hat der Vormund in das Schuldbuch den
Vermerk eintragen zu lassen, dafs er über die Forderungen nur mit Genehmigung des
Vormundschaftsgerichts verfügen kann.
§ 1670 c. (1670 Abs. 2.) Das Vormundschaftsgericht kann aus besonderen Gründen
den Vormund von den in den § 1670, 1670 b auferlegten Verpflichtungen entbinden.
§ 1670 d. (1670 Abs. 3.) Das Vormundschaftsgericht kann aus besonderen Gründen
anordnen, dafs der Vormund auch solche zum Mündelvermögen gehörende Wertpapiere,
zu deren Hinterlegung er nach § 1670 nicht verpflichtet ist, sowie Kostbarkeiten des
Mündels in der im § 1670 bezeichneten Weise hinterlegt.
§ 1671. (1671 Abs. 1.) Der Vormund kann die nach § 1670 oder nach § 1670 d
hinterlegten Wertpapiere oder Kostbarkeiten nur mit Genehmigung des Vormundschafts-
gerichts zurücknehmen. Solange sie nicht zurückgenommen sind, bedarf er zu einer Ver-
fügung über dieselben sowie zur Eingehung einer Verpflichtung zu einer solchen Ver-
fügung der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Sind Hypotheken-, Grundschuld-
oder Rentenschuldbriefe hinterlegt, so bedarf es der Genehmigung des Vormundschafts-
gerichts auch zu einer Verfügung über die Hypothekenforderung, Grundschuld oder Renten-
schuld sowie zur Eingehung einer Verpflichtung zu einer solchen Verfügung.
§ 1671a. (1671 Abs. 2.) Sind Inhaberpapiere nach § 1670a auf den Namen des
Mündels umgeschrieben oder in Buchschulden umgewandelt , so bedarf der Vormund zu
einer Verfügung über die aus der Umschreibung oder der Umwandlung sich ergebenden
Stammforderungen sowie zur Eingehung einer Verpflichtung zu einer solchen Verfügung der
Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Auch kann er die Ersetzung der umgeschrie-
benen Papiere oder der Buchforderungen durch Inhaberpapiere nur mit Genehmigung
des Vormundschaftsgerichts verlangen.
Das Gleiche gilt, wenn Buchforderungen des Mündels nach § 1670 b mit dem dort
bezeichneten Vermerke eingetragen sind.
§ 1672 gestrichen.
§ 1673 gestrichen.
§ 1674. (1674 Nr. 1, 2, 5.) Der Vormund bedarf der Genehmigung des Vormund-
schaftsgerichts :
1. zur Verfügung über ein Grundstück oder über ein Recht an einem Grundstücke;
2. zur Verfügung über eine Forderung, die auf Uebertragung des Eigentums an einem
Grundstück oder auf Begründung oder Uebertragung eines Rechtes an einem Grund-
stück oder auf die Befreiung eines Grundstücks von einem solchen Rechte ge-
richtet ist ;
700 Nationalökonomische Gesetzgebung.
nehmigung des Vormund Schaftsgerichts bedarf, wurden hinzugefügt Lehr-
und Dienstverträge, durch welche der Mündel zu persönlichen Leistungen
auf die Dauer von mehr als einem Jahre verpflichtet wird. Der Zusatz
erschien zum Schutze der auf ihre Arbeitskraft angewiesenen Mündel ge-
boten. Um eine Umgehung dieser Vorschrift auszuschliefsen , fügte man
dem § 1677 den neuen Abs. 2 zu. Mit Eücksicht auf den erwähnten
3. zur Eingehung einer Verpflichtung zu einer der unter Nr. 1, 2 bezeichneten Ver-
fügungen ;
4. zu einem Vertrage, der auf den entgeltlichen Erwerb eines Grundstücks oder eines
Rechtes an einem Grundstücke gerichtet ist.
Auf Hypotheken, Grundschulden und Rentenschulden finden diese Vorschriften keine
Anwendung.
§ 1674 a. (1674 Nr. 3, 4, 6 bis 14.) Der Vormund bedarf der Genehmigung des
Vormundschaftsgerichts :
1. zur Verfügung über das Vermögen des Mündels als Ganzes oder über eine Erbschaft
sowie zur Eingehung einer Verpflichtung zu ein^r solchen Verfügung;
2. zu einem Vertrage, der auf den entgeltliehen Erwerb oder die Veräufserung eines
Erwerbsgeschäfts gerichtet ist, sowie zu einem Gesellschaftsvertrage, der zum Betrieb
eines Erwerbsgeschäfts eingegangen wird ;
3. zu einem Pachtvertrag über ein Landgut oder einen gewerblichen Betrieb;
4. zu einem Miet- oder Pachtvertrag oder einem anderen, den Mündel zu wiederkeh-
renden Leistungen verpflichtenden Vertrage , wenn das Vertragsverhältnis länger als
ein Jahr nach vollendetem einundzwanzigsten Lebensjahre des Mündels fortdauern
soll ;
5. zu einem Lehrvertrage, der für längere Zeit als ein Jahr geschlossen wird ;
6. zu einem auf die Eingehung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses gerichteten Ver-
trage, wenn der Mündel zu persönlichen Leistungen für längere Zeit als ein Jahr
verpflichtet werden soll ;
7. zu einem Erbauseinandersetzungsvertrage ;
8. zu einem Vergleich oder Schiedsvertrag, es sei denn, dafs der Gegenstand des Streites
oder der Ungewifsheit in Geld schätzbar ist und den Wert von dreihundert Mark
nicht übersteigt ;
9. zur Ausstellung einer Schuldverschreibung auf den Inhaber oder zur Eingehung einer
Verbindlichkeit aus einem Wechsel oder einem anderen Papiere , welches durch In-
dossament übertragen werden kann ;
10. zur Aufnahme von Geld auf den Kredit des Mündels;
11. zur Uebernahme einer fremden Verbindlichkeit, insbesondere zur Eingehung einer
Bürgschaft ;
12. zur Erteilung einer Prokura;
13. zu einem Rechtsgeschäfte, durch welches die für eine Forderung des Mündels stehende
Sicherheit aufgehoben oder gemindert oder die Verpflichtung dazu begründet wird.
§ 1675. Zur Vornahme von Rechtsgeschäften, zu denen der Vormund nach § 1669
der Genehmigung des Gegenvormundes bedarf, sowie zur Vornahme der im § 1674a
unter Nr. 10 bis 12 bezeichneten Rechtsgeschäfte kann das Vormundschaftsgericht dem
Vormund eine allgemeine Ermächtigung erteilen.
Die Ermächtigung soll nur erteilt werden, wenn sie zum Zwecke der Vermögensver-
waltung, insbesondere zum Betrieb eines Erwerbsgeschäfts, erforderlich ist.
§ 1676 gestrichen.
Anmerkung. Es wird vorausgesetzt, dafs in dem Entwürfe des Gesetzes, betref-
fend die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen, eine Vorschrift aufgenom-
men wird, wonach die Versteigerung zum Zwecke der Aufhebung einer Gemeinschaft von
dem Vormund eines Teilhabers nur mit Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bean-
tragt werden kann.
§ 1677. Der Vormund kann Gegenstände, zu deren Veräufserung er der Genehmi-
gung des Gegenvormundes oder des Vormundschaftsgerichts bedarf, dem Mündel nicht
ohne diese Genehmigung zur Erfüllung eines von diesem geschlossenen Vertrags oder zu
freier Verfügung überlassen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 701
Beschlufs zu § 1674 erfuhr ferner der § 1680 eme Ergäuzung. Die
Aenderungeu , die zu Nr. 1 uud 2 des § 1674 sowie zu den §§ 1676,
1679, 1681 Abs. 4 beschlossen wurden, bedürfen besonderer Hervorhebung
nicht.
Der Vormund kann dem Mündel nicht ohne Genehmigung des Vormundschattsgerichts
die Erlaubnis zur Eingehung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses erteilen , durch
welches der Mündel für längere Zeit als ein Jahr verpflichtet wird.
§ 1677 a. (1679.) Das Vormundschattsgericht soll vor der Entscheidung über die
zu einer Handlung des Vormundes erforderliche Genehmigung den Gegenvormund gut-
achtlich hören , sofern ein solcher vorhanden ist und ein rechtliches oder thatsächliches
Hindernis nicht entgegensteht.
§ 1678. Das Vormundscliaftsgericht soll auf Antrag des Vormundes oder des Gegen-
vormundes, in wichtigen Angelegenheiten auch ohne Autrag, Verwandte oder Verschwä-
gerte des Mündels gutachtlich hören, sofern es ohne erhebliche Verzögerung und ohne
uuverhäitnismäfsige Kosten geschehen kann. Zu den wichtigen Angelegenheiten gehören
insbesondere die Fälle der §§ 13, 1232, 1233 c, 1635 Abs. 2 sowie der Antrag auf Todes-
erklärung des Mündels.
Die Verwandten und Verschwägerten können von dem Mündel Ersatz ihrer Auslagen
verlangen; der Betrag der Auslagen wird von dem Vormundschaftsgerichte festgesetzt.
§ 1679 vergl. § 1677 a.
§ 1680. Das Vormundschattsgericht soll nicht ohne Anhörung des Mündels Ent-
scheidung treffen über die Genehmigung eines Lehrvertrags oder eines auf die Eingehung
eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses gerichteten Vertrags uud , wenn der Mündel über
vierzehn Jahre alt ist, über dessen Entlassung aus dem Staatsverbaude.
Das Vormundschaftsgericht soll den Müudel, falls er das achtzehnte Lebensjahr
vollendet hat, soweit thunlich, auch hören vor der Entscheidung über die Genehmigung
eines der _ im § 1674 Abs. 1 und im § 1674 a Nr. 2 bezeichneten Rechtsgeschäfte und
über die Genehmigung des Beginns oder der Auflösung eines Erwerbsgeschälts.
§ 1681. (1681 Abs. 1.) Das Vormundschaftsgericht kann die Genehmigung zu
einem Rechtsgeschäfte nur dem Vormunde gegenüber erklären.
§ 1681a. (1681 Abs. 2, 3, 5.) Hat der Vormund einen Vertrag ohne die erforder-
liche Genehmigung des Vormundschaftsgerichts geschlossen, so hängt die Wirksamkeit
des Vertrags von der nachträglichen Genehmigung ab. Die Genehmigung sowie deren
Verweigerung ist dem anderen Teile gegenüber nur wirksam, wenn sie ihm durch den
Vormund mitgeteilt wird. Eine Mitteilung der Verweigerung steht es gleich , wenn der
Vormund nicht binnen zwei Wochen nach dem Empfang einer Aufforderung des anderen
Teiles oie Genehmigung mitteilt.
Ist der Mündel inzwischen volljährig geworden , so tritt seine Genehmigung an die
Stelle der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts.
§ 1681 b. (1681 Abs. 2, 4.) Solange der Vormund die Genehmigung des Vormund-
schattsgerichts dem anderen Teile nicht mitgeteilt hat, kann er von dem Vertrage zurück-
treten. Das gleiche Recht steht dem anderen Teile zu, wenn der Vormund ihm gegen-
über die Genehmigung des Vormundschattsgerichts der Wahrheit zuwider behauptet hat,
es sei denn, dafs der andere Teil den Mangel der Genehmigung bei dem Abschlüsse des
Vertrags gekannt hat.
§ 1681 c. (1681 Abs. 2.) Ein einseitiges Rechtsgeschäft, welches der Vormund ohne
die erforderliche Genehmigung des Vormundschattsgerichts vornimmt , ist unwirksam.
Nimmt er mit dieser Genehmigung ein solches Rechtsgeschäft einem Anderen gegenüber
vor, so ist dasselbe unwirksam, wenn die Genehmigung nicht in schrittlicher Form vor-
gelegt und das Rechtsgeschält aus diesem Grunde von dem Anderen unverzüglich zurück-
gewiesen wird.
§ 1682. Nimmt der Vormund ein Rechtsgeschäft ohne die erforderliche Genehmigung
des Gegenvormundes vor, so finden die Vorschriften der §§ 1681 bis 1681 c entsprechende
Anwendung.
HI. Fürsorge und Aufsicht des Vormundschaftsgerichts.
§ 1683. Ist ein Vormund noch nicht bestellt oder ist der Vormund an der Er-
füllung seiner Pflichten verhindert, so hat das Vormundschattsgericht die im Interesse
des Mündels erforderlichen Mafsregelu zu treffen.
702 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Die Vorschriften über die allgemeine Fürsorge und Aufsicht
des Vormundschaftsgerichtes wurden, abgesehen von einem Zu-
satz zu § 1684 und einer geringfügigen Aenderung des § 1687 Abs. 4,
nach dem Entwurf angenommen. Von den folgenden Bestimmungen über
die befreite Vormundschaft wurden die §§ 1690 — 1694, von un-
§ 1684. Das Vormundschaftsgericht hat über die gesamte Thätigkeit des Vormundes
und des Gegenvormundes die Aufsicht zu führen und gegen Pflichtwidrigkeiten durch ge-
eignete Gebote und Verbote einzuschreiten.
Das Vormundschaftsgericht kann den Vormund und den Gegenvormund zur Be-
folgung seiner Anordnungen durch Ordnungsstrafen anhalten. Eine Ordnungsstrafe darf
den Betrag von dreihundert Mark nicht übersteigen.
§ 1685. Das Vormundschaftsgericht kann anordnen, dafs der Mündel zum Zwecke
der Erziehung in einer geeigneten Familie oder in einer Erziehungs- oder Besserungs-
anstalt untergebracht wird. Steht dem Vater oder der Mutter die Sorge für die Person
des Mündels zu, so ist eine solche Anordnung nur unter den Voraussetzungen des § 1546
zulässig.
§ 1686. Der Vormund sowie der Gegenvormund ist verpflichtet, dem Vormund-
schaftsgericht auf Verlangen jederzeit über die Führung der Vormundschaft und über
die persönlichen Verhältnisse des Mündels Auskunft zu erteilen.
§ 1687. (1687 Abs. 1 bis 5.) Der Vormund ist verpflichtet, dem Vormundschafts-
gericht über die Verwaltung des Vermögens des Mündels Rechnung zu legen.
Die Rechnung ist alljährlich zu legen. Das Rechnungsjahr wird von dem Vormund -
schaftsgerichte bestimmt.
Bei einer Verwaltung von geringem Umfange kann das Vormundschaftsgericht, nach-
dem die Rechnung für das erste Jahr gelegt worden ist, anordnen, dafs die Rechnung
für längere, jedoch höchstens dreijährige Zeitabschnitte zu legen ist.
Die Rechnung soll eine geordnete Zusammenstellung der Einnahmen und Ausgaben
enthalten, über den Ab- und Zugang des Vermögens Auskunft geben und, soweit Belege
erteilt zu werden pflegen, mit Belegen versehen sein.
Im Falle des Betriebs eines Erwerbsgeschäfts mit kaufmännischer Buchführung ge-
nügt als Rechnung eine aus den Büchern gezogene Bilanz. Das Vormundschaftsgericht
kann jedoch die Vorlegung der Bücher und sonstigen Belege verlangen.
§ 1687 a. (1687 Abs. 6.) Ist ein Gegenvormund vorhanden oder zu bestellen, so
ist die Rechnung unter Nachweisung des Vermögensbestandes von dem Vormund ihm
vorzulegen und von ihm mit den Bemerkungen zu versehen, zu welchen die Prüfung
ihm Anlafs giebt.
§ 1688. Das Vormundschaftsgericht hat die Rechnung rechnungsmäfsig und sach-
lich zu prüfen und, soweit erforderlich, ihre Berichtigung und Ergänzung herbeizuführen.
Ansprüche, die zwischen dem Vormund und dem Mündel streitig bleiben, können schon
vor der Beendigung des Vormundschaftsverhältnisses im Rechtswege geltend gemacht
werden.
§ 1689. Das Vormundschaftsgericht kann aus besonderen Gründen den Vormund
anhalten, für das seiner Verwaltung unterliegende Vermögen des Mündels Sicherheit zu
leisten. Die Art und den Umfang der Sicherheitsleistung bestimmt das Vormundschafts-
gericht nach seinem Ermessen. Es kann , solange das Amt des Vormundes nicht be-
endigt ist, jederzeit die Erhöhung, Verminderung oder Aufhebung der Sicherheit an-
ordnen.
Bei der Bestellung, Aenderung oder Aufhebung der Sicherheit wird die Mitwirkung
des Mündels durch die Anordnung des Vormundschaftsgerichts ersetzt.
Die Kosten der Sicherheitsleistung sowie der Aenderung oder Aufhebung sind von
dem Mündel zu tragen.
IV. Befreite Vormundschaft.
§ 1690. Der Vater kann, wenn er einen Vormund benennt, die Bestellung eines
Gegenvormundes ausschliefsen.
Der Vater kann anordnen, dafs der von ihm benannte Vormund bei der Anlegung
von Geldern des Mündels den im § 1666 bestimmten Beschränkungen nicht unterliegen
und zu den im § 1669 bezeichneten Rechtsgeschäften der Genehmigung des Gegen vor-
Nationalökonomische Gesetzgebung. 703
erheblichen Abänderungen des § 1691 Abs. 2 und des § 1694 abgesehen,
beibehalten. Einen auf Beseitigung des ganzen Instituts gerichteten An-
trag lehnte die grofse Mehrheit der Kommission iu Uebereinstimmung mit
dem ganz überwiegenden Teil der Aeufserungen der Kritik und der Re-
gierungen aus den dem Entwurf zu Grunde liegenden Erwägungen ab.
Dagegen wurde der auf das Verbot der Offenlegung des Vermögeusver-
zeichnisses bezügliche § 1695 gestrichen. Man erachtete diese Bestim-
mungen für unvereinbar mit der Eücksicht auf die gebotene Sicherung
des Mündels, da sie dem Vormundschaftegericht die Unterlage für eine
wirkames Beaufsichtigung des Vormunds entzögen, und vermochte ein
dieses Bedenken überwiegendes praktisches Bedürfnis für die Beibehaltung
der Vorschriften nicht anzuerkennen.
Die §§ 1696 — 1702, welche von den Verbindlichkeiten
mundes oder des Vormundschaftsgericbts nicht bedürfen solle. Diese Anordnungen sind
in der Ausschließung der Bestellung eines Gegenvormundes als enthalten anzusehen.
§ 1690 a. (1692.) Der Vater kann den von ihm benannten Vormund von der Ver-
pflichtung entbinden, Inhaber- und Orderpapiere zu hinterlegen und den im § 1670 b be-
zeichneten Vermerk in das Reichs- oder Staatsschuldbuch eintragen zu lassen.
§ 1691. Der Vater kann den von ihm benannten Vormund von der Verpflichtung
entbinden, während der Dauer des Vormundschaftsverhältnisses Rechnung zu legen.
Der Vormund hat in einem solchen Falle nach dem Ablaufe von je zwei Jahren
eine Uebersicht über den Bestand des Mündelvermögens dem Vormundsehaftsgericht ein-
zureichen. Das Vormundschaftsgericht kann anordnen, dafs die Uebersicht in längeren
als zweijährigen, aber höchstens fünfjährigen Zwischenräumen einzureichen ist.
Die Uebersicht ist, wenn ein Gegenvormund vorhanden oder zu bestellen ist, diesem
unter Nachweisung des Vermögensbestandes zur Prüfung vorzulegen und von ihm mit
den Bemerkungen zu versehen, zu welchen die Prüfung ihm Anlafs giebt.
§ 1692 vergl. § 1690 a, 1692 a.
§ 1692 a (1690 bis 1692.) Benennt die eheliche Mutter einen Vormund, so kann
sie die gleichen Anordnungen treffen, wie nach den §§ 1690 bis 1691 der Vater.
§ 1693. Auf die nach den §§ 1690 bis 1691 zulässigen Anordnungen finden die
Vorschriften des § 1636 Anwendung.
§ 1694. Das Vormundschaftsgericht kann die Anordnungen des Vaters oder der
Mutter aufser Kraft setzen, wenn ihre Befolgung das Interesse des Mündels zu gefährden
droht.
§ 1695 gestrichen.
V. Verbindlichkeiten zwischen Vormund und Mündel. Haftung des Vormundschafts-
gerichts.
§ 1696. Der Vormund ist dem Mündel für den durch Verletzung seiner Pflichten
verursachten Schaden verantwortlich, soweit ihm ein Verschulden zur Last fällt. Das
Gleiche gilt von dem Gegenvormunde.
Sind für den Schaden mehrere neben einander verantwortlich, so haften sie als Ge-
samtschuldner. Ist neben dem Vormunde für den von diesem verursachten Schaden ein
Gegenvormund oder ein Mitvormuud nur wegen Verletzung seiner Aufsichtspflicht ver-
antwortlich, so ist in ihrem Verhältnisse zu einander der Vormund allein verpflichtet.
§ 1697. Verzögert der Vormund die ihm nach § 1664 obliegende Anlegung des
zum Vermögen des Mündels gehörigen Geldes, so hat er den anzulegenden Betrag für
die Dauer der Verzögerung zu verzinsen, Verwendet er Vermögen des Mündels in
eigenen Nutzen, so hat er den Betrag des zu ersetzenden Wertes von der Zeit der Ver-
wendung an zu verzinsen.
Die Geltendmachung eines weiteren Schadens ist nicht ausgeschlossen.
§ 1698. Werden von dem Vormunde oder dem Gegenvormunde zum Zwecke der
Führung der Vormundschaft Aufwendungen gemacht oder Verbindlichkeiten eingegangen,
so kann er nach den für den Auftrag geltenden Vorschriften der §§ 600, 601 von dem
Mündel Vorschufs oder Ersatz oder Befreiung von den eingegangenen Verbindlichkeiten
704 Nationalökonomische Gesetzgebung.
zwischen Vormund und Mündel und der Haftung des Vor-
mundschaftsrichters handeln, wurden bis auf unerhebliche Aende-
rungen der §§ 1696, 1697 gebilligt. Zu § 1702 wurde beantragt, eine
Haftung des (Staates lür den durch Verletzung der Amtspflichten des
Vormundschaftsrichters verursachten Schaden anzuerkennen, und zwar in
erster Linie die ausschliefsliche Haftung, eventuell wenigstens eine sub-
sidiäre bei Zahlungsunvermögen des Beamten. Der ADtrag wurde jedoch
teils mit Stimmengleichheit, teils mit geringer Stimmenmehrheit abgelehnt.
Man sah in der Besonderheit des Vormundschaftsiüstituts keinen genügen-
den Grund, von dem bei der Beratung des allgemeinen Teils eingenommenen
Standpunkt abzugehen, nach welchem im allgemeinen eine Haftung des
Staates für die von seinen Beamten in Ausübung der ihnen anvertrauten
öffentlichen Gewalt begangenen Versehen nicht anerkannt worden war.
Der die Bestimmungen über die Beendigung der Vormund-
schaft eröffnende § 1703 erfuhr in Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 2
verlangen. Als Aufwendungen gelten auch solche Dienste des Vormundes oder Gegen-
vormundes, welche seinem Gewerbe oder Beruf angehören.
§ 1699. Die Vormundschaft wird unentgeltlich gelührt. Das Vormuudschaftsgericht
sann jedoch dem Vormund und aus besonderen Gründen auch dem Gegenvormund eine
angemessene Vergütung bewilligen ; die Zubilligung soll nur erfolgen, wenn das Vermögen
des Mündels sowie der Umfang und die Bedeutung der vormundschaftlichen Geschälte
es rechtfertigen. Die Vergütung kann jederzeit tür die Zukunft geändert oder entzogen
werden. Vor der Zubilligung, Aenderung oder Entziehung soll der Vormund und, wenn
ein Gegenvormund vorbänden oder zu bestellen ist, auch dieser gehört werden.
§ 1700. (1700 Abs. 1, 2.) Der Vormund hat nach Beendigung seines Amtes das
von ibm verwaltete Vermögen dem Mündel herauszugeben und ihm über die Verwaltung
Rechenschaft abzulegen. Soweit er dem Vormundschaftsgerichte Rechnung gelegt hat,
genügt die Bezugnahme auf diese Rechnung.
§ 1700 a. (1700 Abs. 3.) Ist ein Gegenvormund vorhanden, so ist die Rechnung
von dem Vormund ihm vorzulegen und von ihm mit den Bemerkungen zu versehen, zu
welchen die Prüfung ihm Aulafs giebt. Er hat auch über die Führung der Gegenvor-
munüschaft und, soweit er dazu imstande ist, über das von dem Vormunde verwaltete
Vermögen auf Verlangen Auskunft zu erteilen.
§ 1701. Die Rechnung soll, nachdem sie dem Gegenvormunde vorgelegt worden
ist, dem Vormundschaftsgericht eingereicht werden.
Das Vormundschaftsgericht hat die Rechnung rechnungsmäfsig und sachlich zu
prüfen und sodann unter Zuziehung des Gegenvormundes durch Verhandlung mit den
Beteiligten die Abnahme der Rechnung zu vermitteln. Soweit bei dieser Verhandlung
die Rechnung als richtig anerkannt wird, ist das Anerkenntnis von dem Vormundschafts-
gerichte zu beurkunden.
§ 1702. Ein Vormundschaftsrichter, welcher die ihm obliegenden Pflichten verletzt,
ist, soweit ihm ein Verschulden zur Last fällt, dem Mündel nach dem § 762 Abs. 1 und
dem § 763 verantwortlich.
VI. Beendigung der Vormundschaft.
§ 1703. (1703 Abs. 1 Nr. 2, 3, Abs. 2.) Die Vormundschaft endigt mit dem
Wegfalle der im § 1633 für ihre Anordnung bestimmten Voraussetzungen.
Wird ein Mündel durch nachfolgende Ehe legitimiert, so endigt die Vormundschaft
erst dann, wenn die Vaterschaft des Ehemannes durch ein zwischen ihm und dem Mündel
ergangenes Urteil festgestellt oder die Aulhebung der Vormundschaft von dem Vormund-
schaftsgericht angeordnet wird. Das Vormundschattsgericht hat die Aufhebung anzuordnen,
wenn es die Voraussetzungen der Legitimation für vorhanden erachtet. Solange der Ehe-
mann lebt, soll die Aufhebung nur angeordnet werden , wenn er die Vaterschaft aner-
kannt hat oder wenn er an der Abgabe einer Erklärung dauernd verhindert oder sein
Aufenthalt dauernd unbekannt ist.
§ 1703 a. (1703 Abs. 1 Nr. l.J Ist der Mündel verschollen, so hat daa Vormund-
Nationalökonomisehe Gesetzgebung. 705
Aenderungen, die aber hier nicht der Erwähnung bedürfen. In § 1704
wurde Nr. 2 geändert, nach welcher das Amt des Vormundes mit dem
Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Vormundes beendigt wird. Hieruach
würde die Beendigung nicht nur mit der Entmündigung des Vormundes
wegen Geisteskrankheit eintreten, sondern auch mit dem blofsen Beginn
einer die Geschäftsfähigkeit ausschliefsenden Geisteskrankheit. Letzteres
erschien bedenklich, weil dadurch die Giltigkeit der vom Vormund vorge-
nommenen Rechtsgeschäfte zum Nachteil des Mündels und derjenigen
Personen, die sich mit dem Vormund auf dieselben eingelassen haben, von
einem sehr unsicher feststellbaren Umstände abhängig gemacht werde,
die Bestimmung auch namentlich bei vorübergehender Geisteskrankheit zu
sehr mifslichen Folgen führe. Man beschränkte daher den Entwurf dahin,
dafs nur mit der Entmündigung des Vormundes wegen Geisteskrank-
heit sein Amt endigen soll. Andererseits beschlofs man, auch mit der
Entmündigung des Vormundes aus einem anderen Grunde sein Amt endi-
gen zu lassen, da man es für den Mündel weniger gefährlich erachtete,
gar nicht vertreten zu sein , als durch einen entmündigten Vormund.
Infolge dieses Beschlusses wurde der § 1646 noch nachträglich dahin
geändert, dafs nicht nur die Bestellung eines Geschäftsunfähigen, sondern
auch die Bestellung eines aus anderem Grunde als wegen Geisteskrankheit
Entmündigten zum Vormunde nichtig sein soll. Der § 1705 Nr. 1, 2
und 7 und der § 1709 erlitten minder erhebliche Aenderungen.
schaftsgericht die Vormundschaft aufzuheben , wenn ihm der Tod des Mündels bekannt
wird. Wird der Mündel für tot erklärt, so endigt die Vormundschaft mit der Erlassung
des die Todeserklärung aussprechenden Urteils.
§ 1704. Das Amt des Vormundes endigt mit seiner Entmündigung.
Wird der Vormund für tot erklärt, so endigt sein Amt mit der Erlassung des die
Todeserklärung aussprechenden Urteils.
§ 1705. (1705 Nr. 1, 2.) Das Vormundschaftsgericht hat den Vormund zu ent-
lassen, wenn die Fortführung des Amtes, insbesondere wegen pflichtwidrigen Verhaltens
des Vormundes, das Interesse des Mündels zu gefährden droht oder wenn der Vormund
nach § 1640 a von der Vormundschaft ausgeschlossen ist.
§ 1705a. (1705 Kr. 3, 1707.) Das Vormundschaftsgericht kann eine Frau, die
zum Vormunde bestellt ist, entlassen, wenn sie sich verheiratet.
Das Vormundschaftsgericht hat eine verheiratete Frau , die zum Vormunde bestellt
ist, zu entlassen , wenn der Ehemann seine Zustimmung zur Bestellung oder zur Fort-
führung der Vormundschaft versagt oder die Zustimmung zurücknimmt, es sei denn, dafs
er der Vater des Mündels ist.
§ 1705 b. (1705 Nr. 4.) Ist ein Beamter oder Religionsdiener zum Vormunde be-
stellt, so hat das Vormuudsehaftsgericht ihn zu entlassen, wenn die zur Uebernahme der
Vormundschaft oder zur Fortführung der vor dem Eintritte des Amts- oder Dienst-
verhältnisses übernommenen Vormundschaft nach den Landesgesetzen erforderliche Er-
laubnis versagt oder zurückgnnommen wird oder wenn die nach den Landesgesetzen zu-
lässige Untersagung der Fortführung einer Vormundschaft erfolgt.
§ 1706. Das Vormundschaftsgericht hat den Vormund auf seinen Antrag zu ent-
lassen, wenn ein erheblicher Grund vorliegt; ein erheblicher Grund ist insbesondere der
Eintritt eines Umstandes, welcher den Vormund nach § 1643 Nr. 2 bis 7 zur Ablehnung
der Vormundschaft berechtigt.
§ 1707 vergl. § 1705 a Abs. 1.
§ 1708. Der Vormund hat den Tod eines Mitvormundes oder Gegenvormundes dem
Vormundschaftsgericht unverzüglich anzuzeigen.
Stirbt der Vormund, so liegt die Anzeigepflicht dessen Erben ob.
§ 1709. (1709, 1711.) Im Falle der Beendigung der Vormundschaft oder des vor-
Dritte Folge Bd. Vin (LXDI). 45
706 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Zu den folgenden Vorschriften über den Familienrat lag ein
Antrag auf Beseitigung des ganzen Instituts vor. Die Bestimmungen
wurden daher zunächst durch eventuelle Bestimmungen festgestellt, wobei
nur der § 1714 eine Ergänzung erhielt. Bei der Schlufsabstimmung ent-
vormundschaftlichen Amtes finden die Vorschriften des § 1561a entsprechende An-
wendung.
Der Vormund bat nach der Beendigung seines Amtes die Bestallung dem Vormund-
schaftsgerichte zurückzugeben.
§ 1710. (1710, 1711.) Die Vorschriften der §§ 1704 bis 1709 finden auf den
Gegenvormund entsprechende Anwendung.
§ 1711 vergl. 1709 Abs. 2, 1710.
VII. Familienrat.
§ 1712. Ein Familienrat soll von dem Vormundschaftsgerieht eingesetzt werden,
wenn der Vater oder die eheliche Mutter des Mündels die Einsetzung angeordnet hat.
Die Einsetzung unterbleibt , wenn die erforderliche Zahl geeigneter Personen nicht
vorhanden ist.
Der Vater oder die Mutter kann die Einsetzung eines Familienrats oder die Auf-
hebung des von ihnen angeordneten Familienrats von dem Eintritt oder Nichteintritt
eines bestimmten Ereignisses abhängig machen.
§ 1713. Ein Familienrat soll von dem Vormundschaftsgericht eingesetzt werden,
wenn ein Verwandter oder Verschwägerter des Mündels oder der Vormund oder der
Gegenvormund es beantragt und die Einsetzung von dem Vormundschaftsgericht im
Interesse des Mündels für angemessen erachtet wird.
Die Einsetzung unterbleibt , wenn der Vater oder die eheliche Mutter des Mündels
sie untersagt hat.
§ 1714. (1714 Abs. 1.) Der Familienrat besteht aus dem Vormundschaftsrichter
als Vorsitzendem und aus mindestens zwei, höchstens sechs Mitgliedern.
Anmerkung. Es wird vorausgesetzt, dafs in dem für erforderlich erachteten
Reichsgesetz über die Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit die landesgesetzlichen
Vorschriften vorbehalten werden, nach welchen sich die Führung des Vorsitzes im Familien-
rat in dem Falle bestimmt , dafs das Vormundschaftsgericht in anderer Weise als mit
einem Einzelrichter besetzt ist.
§ 1715. (1715 Abs. 1.) Als Mitglied des Familienrats ist berufen, wer von dem
Vater oder der ehelichen Mutter des Mündels als Mitglied benannt ist. Die Vorschriften
des § 1637 Abs. 1, 2 finden entsprechende Anwendung.
§ 1715 a. (1715 Abs. 2, 3.) Soweit eine Berufung nach § 1715 nicht vorliegt oder
die Berufenen die Uebernahme des Amtes ablehnen , hat das Vormundschaftsgericht die
zur Beschlußfähigkeit des Familienrats erforderlichen Mitglieder auszuwählen. Vor der
Auswahl sind der Gemeindewaisenrat und nach Mafsgabe des § 1678 Verwandte oder
Verschwägerte des Mündels zu hören.
Die Bestimmung der Zahl weiterer Mitglieder und ihre Auswahl steht dem Familien-
rate zu.
Bei der Bestellung eines Mitglieds kann dessen Entlassung von dem Eintritt oder
Nichteintritt eines bestimmten Ereignisses abhängig gemacht werden.
§ 1715 b. (1715 Abs. 4.) Sind neben dem Vorsitzenden nur zwei Mitglieder vor-
handen, so sind ein oder zwei Ersatzmitglieder zu bestellen.
Die Ersatzmitglieder werden, soweit sie nicht nach § 1715 berufen sind, durch den
Familienrat ausgewählt.
Der Familienrat bestimmt die Reihenfolge , in welcher die Ersatzmitglieder bei der
Verhinderung oder dem Wegfall eines Mitglieds in den Familienrat einzutreten haben.
Hat der Vater oder die eheliche Mutter für die von ihnen benannten Ersatzmitglieder die
Reihenfolge des Eintritts bestimmt, so ist diese Anordnung maßgebend.
§ 1715 c. (1715 Abs. 5.) Ist der Familienrat infolge der nur vorübergehenden
Verhinderung eines Mitglieds beschlufsunfähig und ein Ersatzmitglied nicht vorhanden,
so hat der Vorsitzende für die Dauer der Verhinderung eine geeignete Person als Ersatz-
mitglied auszuwählen und zu bestellen.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 707
schied sich die grofse Mehrheit der Kommission für die Beibehaltung des
Instituts. Sie ging davon aus, dafs dasselbe namentlich in Fällen, in
denen grofse Geschäfte oder gewerbliche Anlagen zum Mündelvermögen
gehören, erhebliche Vorteile biete, welchen beachtliche Nachteile nicht
gegenüberständen, und dafs daher zur Beseitigung des geschichtlich ge-
gebenen und im Gebiete des französischen Rechts eingebürgerten Instituts
I
§ 1716. (1716 Abs. 1, 3.) Zum Mitgliede des Familienrats kann nicht bestellt
werden, wer geschäftsunfähig oder wegen Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunk-
sucht entmündigt ist.
§ 1716 a. (1716 Abs. 1, 2 Nr. 1, 2, 4, Abs. 3.) Zum Mitgliede des Familienrats
soll nicht bestellt werden:
1. der Vormund des Mündels;
2. eine Frau ;
3. wer nach § 1640a oder nach § 1640 b von der Vormundschaft ausgeschlossen ist;
4. wer durch eine Anordnung des Vaters oder der ehelichen Mutter des Mündels von
der Mitgliedschaft ausgeschlossen ist.
§ 1716 b. (1716 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3.) Zum Mitgliede des Familienrats soll nicht
bestellt werden, wer mit dem Mündel weder verwandt noch verschwägert ist, es sei
denn , dafs er von dem Vater oder der ehelichen Mutter des Mündels benannt oder
von dem Familienrat oder im Falle des § 1715 c von dem Vorsitzenden ausgewählt
worden ist.
§ 1717 vergl. § 1718 a.
§ 1718. Für die nach den §§ 1712, 1713, 1715, 1715 b, 1716 a, 1716 b zulässigen
Anordnungen des Vaters oder der Mutter gelten die Vorschriften des § 1636.
Die Anordnungen des Vaters gehen den Anordnungen der Mutter vor.
§ 1718 a. (1717.) Niemand ist verpflichtet, das Amt eines Mitgliedes des Familien-
rats zu übernehmen.
§ 1718 b. (1714 Abs. 2.) Die Mitglieder des Familienrats werden von dem Vor-
sitzenden durch Verpflichtung zu treuer und gewissenhafter Führung des Amtes bestellt.
Die Verpflichtung soll mittels Handschlags an Eidesstatt erfolgen.
§ 1719. Der Familienrat hat die Rechte und Pflichten des Vormundschaftsgerichts;
die Mitglieder des Familienrats sind in gleicher Weise verantwortlich wie der Vormund-
schaftsrichter.
Die Leitung der Geschäfte liegt dem Vorsitzenden ob.
Wird ein sofortiges Einschreiten nötig, so hat der Vorsitzende die erforderlichen An-
ordnungen zu treffen , uuverzüglich den Familienrat einzuberufen , ihn von den Anord-
nungen in Kenntnis zu setzen und dessen Beschlufs über die etwa weiter erforderlichen
Mafsregeln herbeizuführen.
§ 1720 vergl. § 1722 a.
§ 1721. (1721 Abs. 1.) Der Familienrat wird von dem Vorsitzenden einberufen.
Die Einberufung hat zu erfolgen, wenn zwei Mitglieder, der Vormund oder der Gegen-
vormund es beantragen oder wenn das Bedürfnis es erfordert. Die Einladung der Mit-
glieder kann mündlich oder schriftlich erfolgen.
§ 1721a. (1721 Abs 2.) Ein Mitglied, das ohne genügende Entschuldigung aus-
bleibt oder die rechtzeitige Anzeige seiner Verhinderung unterläfst oder sich der Teil-
nahme an der Beschlufsfassung enthält, ist von dem Vorsitzenden in die dadurch verur-
sachten Kosten zu verurteilen. Der Vorsitzende kann gegen das Mitglied auch eine
Ordnungsstrafe bis zu einhundert Mark verhängen. Erfolgt nachträglich genügende Ent-
schuldigung, so sind die getroffenen Verfügungen aufzuheben.
§ 1722. Zur Beschlufsfähigkeit des Familienrats ist die Anwesenheit des Vor-
sitzenden und mindestens zweier Mitglieder erforderlich. Die Mitglieder können ihr Amt
nur persönlich ausüben.
Steht in einer Angelegenheit das Interesse des Mündels zu dem Interesse eines Mit-
glieds in erheblichem Gegensatze, so ist das Mitglied von der Teilnahme an der Be-
schlufsfassung ausgeschlossen. Ueber die Ausschliefsung entscheidet der Vorsitzende.
Der Familienrat fafst seine Beschlüsse nach der Mehrheit der Stimmen der An-
wesenden. Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.
45*
708 Nationalökonomische Gesetzgebung.
genügender Grund nicht bestehe. Die Vorschriften des § 1725 über
die Mitwirkung des Gemeindewaisenrats blieben unverändert.
In dem von der Yormundschaft über Volljährige handelnden
zweiten Titel wurden zu S 1727 wesentliche Abweichungen vom Entwurf
§ 1722 a. (1720.) Die Mitglieder des Familienrats können von dem Mündel Ersatz
ihier Auslagen verlangen; der Betrag der Auslagen wird von dem Vorsitzenden fest-
gesetzt.
§ 1723. Das Amt eines Mitgliedes des Familienrats endigt aus denselben Gründen,
aus welchen nach den §§ 1704, 1705, 1706 das Amt eines Vormundes endigt.
Ein Mitglied kann gegen seinen Willen nur durch das dem Vormundschaftsgericht
im Instanzenzuge vorgeordnete Gericht entlassen werden.
§ 1724. Das Vormundschaftsgericht hat den Familienrat aufzuheben:
1. wenn es an der zur Beschlufsfähigkeit erforderlichen Zahl von Mitgliedern fehlt und
eine Ergänzung wegen Mangels geeigneter Personen nicht möglich ist ;
2. wenn der Fall eingetreten ist, für welchen der Vater oder die eheliche Mutter des
Mündels die Aufhebung nach § 1712 Abs. 3 angeordnet hat.
Das Vormundschaftsgericht hat die bisherigen Mitglieder des Familienrats, den Vor-
mund und den Gegenvormund von der Aufhebung in Kenntnis zu setzeu. Der Vormund
und der Gegenvormund erhalten neue Bestallungen ; die früheren Bestallungen sind dem
Vormundschaftsgerichte zurückzugeben.
VIII. Gemeindewaisenrat.
§ 1725 (1725 Abs. 1, 2.) Der Gemeindewaisenrat hat in Unterstützung des Vor-
mundschaftsgerichts die Vormünder der sich in seinem Bezirk aufhaltenden Mündel in
Ausübung der Sorge für die Person der Mündel zu überwachen, die hierbei, insbesondere
in Ansehung der körperlichen Pflege und der Erziehung eines Mündels, wahrgenommenen
Mängel und Pflichtwidrigkeiten dem Vormundschaftsgericht anzuzeigen und ihm auf Er-
fordern über das persönliche Ergehen und das Verhalten eines Mündels Auskunft zu er-
teilen.
Erlangt der Waisenrat von einer Gefährdung des Vermögens eines Mündels Kennt-
nis, so hat er dem Vormundschaftsgericht Anzeige zu machen.
§ 1725a. (1725 Abs. 3) Der Waisenrat hat dem Vormundschaftsgerichte die Per-
sonen vorzuschlagen, welche sich im einzelnen Falle zum Vormunde, Gegenvormund oder
Mitglied eines Familienrats eignen.
§ 1725 b. (1725 Abs. 4, 5.) Das Vormundschaftsgericht hat den Waisenrat des
Bezirkes, in welchem sich der Mündel aufhält, von der Anordnung der Vormundschaft
unter Bezeichnung des Vormundes und des Gegenvormundes in Kenntnis zu setzen, auch
von einem Wechsel in der Person des Vormundes und des Gegenvormundes zu benach-
richtigen.
Wird der Aufenthalt eines Mündels in den Bezirk eines anderen Waisenrats verlegt,
so hat der Vormund die Verlegung dem Waisenrate des bisherigen Aufenthaltsorts anzu-
zeigen und dieser dem Waisenrate des neuen Aufenthaltsorts Mitteilung zu machen.
Zweiter Titel.
Vormundschaft über Volljährige.
§ 1726. Ein Volljähriger erhält einen Vormund, wenn er entmündigt ist.
§ 1727. Ein Volljähriger kann unter Vormundschaft gestellt werden, wenn er infolge
körperlicher Gebrechen, insbesondere weil er taub, blind oder stumm ist, seine Ange-
legenheiten nicht zu besorgen vermag ; die Vormundschaft darf nur mit seiner Ein-
willigung angeordnet werden, es sei denn, dafs eine Verständigung mit ihm nicht mög-
lich ist.
Anmerkung. 1. Im § 14 II. Lesung wird folgende Vorschrift als la einge-
schaltet :
„wegen Geistesschwäche, wenn der Geistesschwache infolge derselben seine An-
gelegenheiten nicht zu besorgen vermag ;"
Nationalökonomische Gesetzgebung. 709
beschlossen. Nach diesem kann ein Volljähriger vom Vormundschafts-
gericht des vormundschaftlichen Schutzes für bedürftig erklärt werden,
wenn er taub, blind oder stumm ist und wegen des Gebrechens seine An-
gelegenheiten nicht zu besorgen vermag; an die Erklärung der Schutz-
bedürftigkeit knüpfen sich als Rechtsfolgen die Einleitung einer Vormund-
schaft und nach § 7 1 der Eintritt beschränkter Geschäftsfähigkeit. Die
Kommission dehnte die Vorschriften des § 1727 einerseits aus auf alle
Volljährigen, die infolge irgend eiues körperlichen Gebrechens ihre Ange-
legenheiten nicht zu besorgen vermögen. Andererseits hielt die Mehrheit
es für nicht gerechtfertigt, die Geschäftsfähigkeit solcher körperlich Ge-
brechlichen zu beschränken, da regelmäfsig ein Schutz dieser Personen
gegen nachteilige Beeinflussung durch Dritte nicht geboten sei. Man kam
ferner bei der Beratung des § 1727 auf den schon bei der Erörterung
des § 28 angeregten Gedanken zurück, die Vorschriften des § 1727 auch
2. Der Eingang des § 88 II. Lesung erhält folgende Fassung:
„Wer wegen Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunksucht entmündigt oder
wer nach § 1737 unter vorläufige Vormundschaft gestellt ist, steht . . . ."
3. Im § d2 unter Nr. 4 und im § n2 Abs. 2 werden die Worte: ,,des vormund-
schaftlichen Schutzes für bedürftig erklärt ist" durch die Worte ersetzt :
,,nach § 1727 unter Vormundschaft gestellt ist".
4. Im § 1554 Abs. 1 hat der erste Satz zu lauten :
„Die elterliche Gewalt des Vaters ruht, wenn er geschäftsunfähig oder in
der Geschäftsfähigkeit beschränkt oder nach § 1727 unter Vormundschaft ge-
stellt ist."
§ 1728. Auf die Vormundschaft über Volljährige finden die für die Vormundschaft
über Minderjährige geltenden Vorschriften Anwendung, soweit sich nicht aus den §§ 1729
bis 1737 ein Anderes ergiebt.
§ 1729. (1729 Abs. 6.) Der Vater und die Mutter des Mündels sind nicht berechtigt,
einen Vormund zu benennen oder jemand von der Vormundschaft auszuschliefsen.
§ 1729 a. (1729 Abs. 1, 2, 3.) Vor den Grofsvätern ist der Vater und nach ihm
die eheliche Mutter des Mündels als Vormund berufen.
Die Eltern sind nicht berufen, wenn der Mündel von einem Anderen als dem Ehe-
gatten seines Vaters oder seiner Mutter an Kindesstatt angenommen ist.
Stammt der Mündel aus einer nichtigen Ehe, so ist der Vater im Falle des § 1564,
die Mutter im Falle des § 1565 nicht berufen. Das Gleiche gilt, wenn die Ehe anfecht-
bar und angefochten ist.
§ 1729 b. (1729 Abs. 4, 5.) Eine Ehefrau kann zum Vormund ihres Mannes be-
stellt werden ; die Zustimmung des Mannes ist nicht erforderlich.
Der Ehegatte des Mündels darf vor den Eltern und Grofsvätern, die uneheliche
Mutter und im Falle des § 1565 die eheliche Mutter dürfen vor den Grofsvätern zum
Vormunde bestellt werden.
§ 1730. Der Vormund hat für die Person des Mündels nur insoweit zu sorgen, als
der Zweck der Vormundschaft es erfordert.
Steht eine Ehefrau unter Vormundschaft, so tritt die im § 1509 bestimmte Be-
schränkung nicht ein.
§ 1731 (1731, 1732.) Der Vormund bedarf zur Gewährung oder Zusicherung einer
Ausstattung der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts.
Zu einem Miet- oder Pachtvertrage sowie zu einem anderen , den Mündel zu
wiederkehrenden Leistungen verpflichtenden Vertrage bedarf der Vormund der Genehmigung
des Vormundschaftsgerichts, wenn das Vertragsverhältnis länger als vier Jahre dauern
soll. Die Vorschrift des § 1674 a Nr. 3 bleibt unberührt.
§ 1732 vergl. § 1731 Abs. 2.
§ 1732 a. (1734.) Will der zum Vormunde bestellte Vater oder die zum Vormunde
bestellte eheliche Mutter des Mündels zu einer neuen Ehe schreiten, so liegen ihnen die
im § 1548 bestimmten Verpflichtungen ob.
710 Natioualökonomische Gesetzgebung.
auf die Geistesschwachen zu erstrecken. Einvernehmen bestand darüber,
dafs der Entwurf diese Personen nicbt genügend schütze, indem er nur eine
Pflegschaft gemäfs § 1739 zuläfst. "Wahrend die Pflegschaft die Geschäfts-
fähigkeit der ihr unterstellten Person unberührt läfst, erachtete man für
unerläfslich, die Geistesschwachen, die ihre Angelegenheiten nicht selbst
zu besorgen vermögen, zum Schutz gegen die nachteiligen Polgen ihrer
eigenen Rechtshandlungen uud gegen Ausbeutung durch Dritte in der
Geschäftsfähigkeit zu beschränken. Dagegen hielt man es für zu weit-
gehend, sie für ganz geschäftsunfähig zu erklären, da namentlich die
Fähigkeit zur Errichtung letztwilliger Verfügungen den fraglichen Personen
einen wertvollen Schutz gewähre. Mit Rücksicht auf die Schwierigkeit
und "Wichtigkeit der Feststellung, ob eine derartige Geistesschwäche vor-
liege, erschien es nicht angängig, diese Feststellung durch das Vormund-
schaftsgericht in dem in § 1727 vorgesehenen Verfahren treffen zu lassen;
man beschlofs vielmehr, eine vorgängige Entmündigung wegen Geistes-
schwäche in dem durcb die Civilprozefsordnuug geregelten Verfahren vor-
zuschreiben. Durch diese Erwägungen gelangte man zu der Aenderung
des zu § 28 gefafsten Beschlusses, dafs neben Geisteskrankheit Geistes-
schwäche, die zur Besorgung der eigenen Angelegenheiten untauglich
macht, als Entmündigungsgrund anerkannt, an die Entmündigung aus
diesem Grunde aber nur Beschränkung der Geschäftsfähigkeit geknüpft
werden soll.
Von den übrigen Bestimmungen dieses Titels, von denen § 1733
Abs. 4 mit Rücksicht auf die Streichung des § 1623 Abs. 1 Satz 2 ge-
strichen wurde, gab nur der § 1737, der von der vorläufigen Vormundschaft
§ 1733. (1733 Abs. 1, 3.) Ist der Vater des Mündels zum Vormunde bestellt, so
unterbleibt die Bestellung eines Gegenvormundes ; auch stehen dem Vater die Befreiungen
zu, welche nach den §§ 1690 bis 1691 angeordnet werden können, vorbehaltlich der
Befugnis des Vormundschaftsgericbts, die Befreiungen aufser Kraft zu setzen, wenn sie
das Interesse des Mündels zu gefährden drohen.
Diese Vorschriften finden keine Anwendung, wenn dem Vater im Falle der Minder-
jährigkeit des Mündels die Vermögensverwaltung nicht zustehen würde.
§ 1733 a. (1733 Abs. 1, 3.) Ist die eheliche Mutter des Mündels zum Vormunde
bestellt, so gilt für sie das Gleiche wie nach § 1733 für den Vater. Der Mutter ist je-
doch ein Gegenvormund zu bestellen, wenn sie die Bestellung beantragt oder wenn die
Voraussetzungen vorliegen, unter welchen ihr nach § 1561 f Nr. 3 ein Beistand zu be-
stellen sein würde. Wird ein Gegenvormund bestellt, so stehen der Mutter die im
§ 1690 bezeichneten Befreiungen nicht zu.
Anmerkung. Der Abs. 4 des § 1733 des Entw. I ist gestrichen.
§ 1734 vergl. § 1732 a.
§ 1735. Die Vormundschaft über einen entmündigten Volljährigen endigt mit der
Aufhebung der Entmündigung.
Die Vormundschaft über einen Volljährigen, der nach § 1727 unter Vormundschaft
gestellt ist, hat das Vormundschaftsgericht aufzuheben , wenn die Voraussetzungen des
§ 1727 weggefallen sind oder wenn der Mündel die Aufhebung beantragt.
§ 1736. Ein Familienrat kann nur nach § 1713 Abs. 1 eingesetzt werden.
Der Vater und die Mutter des Mündels sind nicht berechtigt, Anordnungen über die
Einsetzung oder über die Aufhebung eines Familienrats zu treffen.
§ 1737. (1737 Abs. 1.) Ein Volljähriger, dessen Entmündigung beantragt ist, kann
unter vorläufige Vormundschaft gestellt werden, wenn das Vormundschaftsgericht es zur
Abwendung einer erheblichen Gefährdung der Person oder des Vermögens des Volljäh-
rigen für erforderlich erachtet.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 711
über Volljährige, deren Entmündigung beantragt ist, handelt, zu einer
längeren Erörterung Anlafs, wurde aber mit geringen Abweichungen bei-
behalten. Mit liücksicht auf die tiei'eingreifende Wirkung des Mafsregel
sprach man ausdrücklich aus, dafs die vorläufige Vormundschaft nur an-
zutreten ist, wenn sie zur Abwendung erheblicher, der l'erson oder dem
Vermögen drohender Gefahren notwendig ist. Dagegen wurde sowohl der
Antrag abgelehnt, die Anordnuug der vorläufigen Vormundschaft dem Ent-
mündigungsrichter zu überlassen, wie auch der Vorschlag, nur dann, wenn
die Entmündigung wegen Verschwendung oder Geisteskrankheit, nicht aber
wenn dieselbe wegen Geistesschwäche oder Trunksucht beantragt sei, eine
Vormundschaft zuzulassen.
In dem von der Pflegschaft handelnden dritten Titel wurde zu
§ 1739 die Beschränkung der Pflegschaft auf V er mögen sangelegen-
§ 1737 a. (1737 Abs. 2.) Die Vorschriften über die Berufung zur Vormundschaft
gelten nicht für die vorläufige Vormundschaft. Die Auswahl des Vormundes erfolgt durch
das Vormundschaftsgericht nach Mafsgabe des § 1638
§ 1737 b. (1737 Abs. 3.) Die vorläufige Vormundschaft endigt mit der Zurücknahme
oder der rechtskräftigen Abweisung des Antrags auf Entmündigung
Erfolgt die Entmündigung, so endigt die vorläufige Vormundschaft, wenn auf Grund
der Entmündigung ein Vormund bestellt wird.
Die vorläufige Vormundschaft ist von dem Vormundschaftsgericht aufzuheben, wenn
der Mündel des vorläufigen vormundschaftlichen Schutzes nicht mehr bedürftig ist.
Anmerkung. Der Abs. 4 des § 1737 des Entw. I ist gestrichen.
Der § 89 Abs. 2 II. Lesung enthält folgende Fassung:
,,Die Vorschriften finden entsprechende Anwendung, wenn im Falle einer vor-
läufigen Vormundschaft der Antrag auf Entmündigung zurückgenommen oder rechts-
kräftig abgewiesen oder "
Dritter Titel.
Pflegschaft.
§ 1738. Wer unter elterlicher Gewalt oder unter Vormundschaft steht, erhält für
Angelegenheiten, welche der Gewalthaber oder der Vormund aus einem thatsächlichen
oder rechtlichen Grunde nicht besorgen kann, einen Pfleger. Er erhält insbesondere einen
Pfleger zur Verwaltung des Vermögens, welches er von Todeswegen erwirbt oder welches
ihm unter Lebenden von einem Dritten unentgeltlich zugewendet wird, wenn der Erb-
lasser durch Verfügung von Todeswegen , der Dritte bei der Zuwendung bestimmt hat,
dafs dem Gewalthaber oder dem Vormunde die Verwaltung nicht zustehen soll.
Tritt das Bedürfnis für eine Pflegschaft hervor, so hat der Gewalthaber oder der
Vormund dem Vormundschaftsgericht unverzüglich Anzeige zu machen.
Die Pflegschaft ist auch dann anzuordnen, wenn ein Vormund noch nicht bestellt
ist, die Voraussetzungen lür die Anordnung einer Vormundschaft aber vorliegen.
§ 1739. Ein Volljähriger, der infolge geistiger oder körperlicher Gebrechen ein-
zelne seiner Angelegenheiten oder einen bestimmten Kreis seiner Angelegenheiten nicht
zu besorgen vermag, erhält, auch wenn die Voraussetzungen für die Anordnung einer
Vormundschaft nicht vorliegen, für diese Angelegenheiten einen Pfleger. Die Pflegschaft
darf nur mit seiner Einwilligung angeordnet werden, es sei denn, dafs eine Verständigung
mit ihm nicht möglich ist.
§ 1740. Ein abwesender Volljähriger, dessen Aufenthalt unbekannt ist, enthält für
seine Vermögensangelegenheiten, soweit sie der Fürsorge bedürfen, einen Abwesenheits-
pfleger. Ein solcher Pfleger ist ihm insbesondere auch dann zu bestellen, wenn er durch
Erteilung eines Auftrags oder einer Vollmacht Fürsorge getroffen hat, aber Umstände
eingetreten sind, die zum Widerrufe des Auftrags oder der Vollmacht Anlafs geben.
Das Gleiche gilt von einem Abwesenden, dessen Aufenthalt bekannt, der aber an
der Rückkehr und der Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten verhindert ist.
712 Nationalökonomische Gesetzgebung.
heiten aufgegeben. Aufserdem erfuhr der § 1745 Abs. 2 und die §§ 1747,
1748 Nr. 3 — 5 Aenderungen, von deren Hervorhebung abgesehen werden
kann. — Der Kommission lag endlich noch ein Antrag vor, welcher be-
zweckte, im Anschlufs an das französische Recht eine Verbeiständung von
Volljährigen zuzulassen, die infolge von Geisteskrankheit, Verschwendung
oder Trunksucht die Fähigkeit zur Besorgung ihrer Vermögensangelegen-
heiten nicht vollständig, aber teilweise verloren haben. Der Antrag wurde
jedoch abgelehnt. Man hielt es für bedenklich und sah kein Bedürfnis,
neben der Vormundschaft für Geiseskranke, Verschwender und Trunk-
süchtige noch ein zweites die Fürsorge für sie bezweckendes Institut auf-
zunehmen, dessen Voraussetzungen von den Voraussetzungen der Entmün-
digung wegen Geisteskrankheit, Verschwendung oder Trunksucht nur schwer
§ 1741. Eine Leibesfrucht erhält ein Pfleger zur Wahrung ihrer künftigen Rechte,
soweit diese einer Fürsorge bedürfen. Die Fürsorge steht jedoch dem Vater oder der
Mutter zu, wenn das Kind, falls es bereits geboren wäre, unter elterlicher Gewalt stehen
wüade.
§ 1742. (1742, 1827.) Ist unbekannt oder ungewifs , wer bei einer Angelegenheit
der Beteiligte ist, so kann dem Beteiligten für diese Angelegenheit, soweit eine Fürsorge
erforderlich ist, ein Pfleger bestellt werden. Insbesondere kann einem Nacherben, der
noch nicht erzeugt ist oder dessen Persönlichkeit erst durch ein noch nicht eingetretenes
Ereignis bestimmt wird, für die Zeit bis zum Eintritte der Nacherbfolge ein Pfleger
bestellt werden.
§ 1743. Auf die Pflegschaft finden die für die Vormundschaft geltenden Vorschriften
entsprechende Anwendung, soweit sich nicht aus dem Gesetz ein Anderes ergiebt.
§ 1744. In den Fällen des § 1738 finden die Vorschriften über die Berufung zur
Vormundschaft keine Anwendung.
§ 1745. Wird nach § 1738 Abs. 1 Satz 2 die Anordnung einer Pflegschaft erfor-
derlich, so ist als Pfleger berufen, wer als solcher von dem Erblasser durch Verfügung
von Todeswegen, von dem Dritten bei der Zuwendung benannt ist; die Vorschriften des
§ 1637 finden entsprechende Anwendung.
Der Erblasser kann durch Verfügung von Todeswegen, der Dritte bei der Zuwen-
dung dem von ihm benannten Pfleger auch die in den §§ 1690 bis 1691 bezeichneten
Befreiungen gewähren, vorbehaltlich der Befugnis des Vormundschaftsgerichts, die Befrei-
ungen aufser Kraft zu setzen, wenn sie das Interesse des Pflegebefohlenen zu gefährden
drohen. Zu einer Abweichung von der Anordnung des Dritten ist jedoch, solange er
lebt, seine Zustimmung erforderlich und genügend. Die Zustimmung des Dritten kann
durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden , wenn der Dritte an der Abgabe einer
Erklärung dauernd verhindert oder sein Aufenthalt dauernd unbekannt ist.
§ 1746. Die Bestellung eines Gegenvormundes ist nicht erforderlich, aber zulässig.
§ 1747 gestrichen.
Anmerkung. Im Artikel 11 des Entwurfes des Einführungs^esetzes soll zum
Ersätze des § 1747 des Entw. I folgende Vorschrift als § 51 a in die Civilprozefsordnung
eingestellt werden :
„Wird eine prozefsfähige Person in einem Rechtsstreite durch einen Pfleger
vertreten , so steht sie für den Rechtsstreit einer nicht prozefsfähigen Person
gleich."
2. der § 435 Abs. 2 der Civilprozefsordnung dahin geändert und ergänzt werden :
„Minderjährigen, welche das sechszehnte Lebensjahr zurückgelegt haben , sowie
Volljährigen, welche wegen Geistesschwäche, Verschwendung oder Trunksucht
entmündigt sind, kann für zulässig erklärt wird. Das Gleiche gilt von
einer prozefsfähigen Partei , die in einem Rechtsstreite durch einen Pfleger ver-
treten ist."
§ 1748. (1748 Abs. 1 Nr. 1, 2, 5, 6.) Die Pflegschaft für eine unter elterlicher
Gewalt odee Vormundschaft stehende Person endigt mit der Beendigung der elterlichen
Gewalt oder der Vormundschaft.
Die Pflegschaft für eine Leibesfrucht endigt mit der Geburt des Kindes.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 713
zu unterscheiden seien. Mit den schon früher mitgeteilten Beschlüssen
über die religiöse Erziehung der Kinder endete die Beratung des Familien -
rechts.
Die Pflegschaft zur Besorgung einer einzelnen Angelegenheit endigt mit deren Erle-
digung.
§ 1748 a. (1748 Abs. 2 Satz 1, 2.) Die Pflegschaft ist von dem Vormundschafts-
gericht aufzuheben, wenn der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist.
§ 1748 b. (1748 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 4.) Die nach § 1739 angeordnete Pfleg-
schaft ist von dem Vormundschaftsgericht aufzuheben, wenn der Pflegebefohlene die Auf-
hebung beantragt.
§ 1748 c. (1748 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2 Satz 3.) Die Pflegschaft für einen Abwesen-
den ist von dem Vormundschaftsgericht aufzuheben, wenn der Abwesende an der Besorgung
seiner Vermögensangelegenheiten nicht mehr verhindert ist.
Durch den Tod des Abwesenden wird die Pflegschaft nicht beendigt. Das Vormund-
schaftsgericht hat die Pflegschaft aufzuheben, wenn ihm der Tod des Abwesenden bekannt
wird. Wird der Abwesende für tot erklärt , so endigt die Pflegschaft mit der Erlassung
des die Todeserklärung aussprechenden Urteils.
714
Miszellen
Miszellen.
XIV.
Die Ergebnisse der deutschen Kriminalstatistik
1882—1892.
Von G. Lindenberg,
Erstem Staatsanwalt in Ratibor.
(Schiurs.)
2) Verbrechen und Vergehen gegen die Person.
Bei dieser Deliktsgruppe ist mit alleiniger Ausnahme des Jahres 1888
ein Steigen wahrnehmbar, welches ganz bedeutende Dimensionen ange-
nommen hat, sich aber in seltsamen Sprüngen vollzieht. Die rätselhafte
Progression geht aus folgender Tabelle hervor:
Verbrechen und Vergehen gegen die Person.
Zahl der
Zunahme (Abnahme)
in Proz.
Jahr
Verurteilten
von Jahr zu
Jahr
seit
1882
1882
107 398
—
—
1883
112 237
+ 4.5
+
4.5
1884
125 299
4- 11,6
+
16,9
1885
127865
+ 2
+
19
1886
134019
+ 4'9
+
24.8
1887
137 745
+ 2,8
+
28
1888
134669
— 2,2
+
25
1889
139 639
+ 3-2
+
30
1890
148 096
+ 6
+
38
1891
»49 75°
+ 1,1
+
39,3
1892
157 927
+ 5-5
■f-
47
Welche Unregelmäfsigkeiten trotz der grofsen absoluten Zahlen ! So
wenig sich die gewaltigen Fortschreitungen 1883/84 und 1891/92 er-
klären lassen, so schwer wird es sein, der im Jahre 1888 eingetretenen
und 1889 noch fortwirkenden Hemmung ganz auf den Grund zu kommen.
Es sei uns aber vergönnt, eine unseres Wissens nach nirgends berührte
Miszellen.
715
und doch recht uahe liegende Beobachtung mitzuteilen, welche einiges
Licht in die Abnormitäten des Jahres 1888 bringen dürfte.
Das Gesetz vom 24. Juni 1887 hat im Gebiete der deutschen Brannt-
weinsteuergemeiuschaft den Branntwein verteuert. Nach Berliner No-
tierungen der Großhandelspreise ist für Kartoffelspiritus (10 000 Liter
ohne Fafs) folgende Preisbewegung festzustellen: 1886:37,0, 1887:50,8,
1888:51,8, 1889:54,1, 1890:56,9, 1891:70,9, 1892:58,2 1.) Der Einflufs
der Trunkenheit auf die Delikte wider die Person ist wohl unbestritten.
Nun zeigt 6icb die höchst bemerkenswerte Erscheinung, dafs im Jahre
1888 die Verurteilungen wegen dieser Deliktsgruppe gerade in denjenigen
Gegenden Preufsens abnehmen, in welchen das niedere Volk den Schnaps
bevorzugt, während im Westen Preufsens die Verminderung minimal ist,
und in Bayern, Württemberg, Baden, obgleich das Branntweinsteuer-
gesetz auch dort eingeführt wurde, überhaupt kein Rückgang eintritt
Dies ergiebt folgende Tabelle:
Verurteilungen wegen Verbrechen und Vergehen gegen die Person in
einzelnen Gebieten
1887 1888 I 1889
1890
1891
1892
Ost- und Westpreufsen
Provinz Posen
Regierungsbezirk Oppeln
Rheinprovinz mit Reg.-Bez. Arnsberg und
Fürstentuni Birkenfeld
Bayern rechts des Rheins
Württemberg, Baden und Hohenzollern
12 965
6882
7825
13 315
18855
8 712
11 835 12052
5964 6826
7 372 8181
13 104
19287
8816
14 282
18880
9 124
13687
7 594
8 459
13706
7029
8833
15835 17 144
19 466 19 506
9 138I 9 433
13873
7138
8728
16678
21 700
10 267
Diese Zahlen sind bis 1891 aus der den Wohnort des Verurteilten
angebenden Tabelle IV geschöpft. Da sich in der Statistik für 1892 jener
Nachweis nicht mehr findet, hat für dieses Jahr Tabelle II, die nach dem
Ort der That rechnet, benützt werden müssen. Der Unterschied kann aber
nicht ins Gewicht fallen. Man wolle nun an der Hand der Tabelle
beachten, welcher Umschwung sich 1888 im Osten vollzieht, und damit
die Entwicklung am Rhein , in Bayern , Württemberg und Baden ver-
gleichen. Allerdings liegt der Einwand nahe, dafs die Hemmung im
Osten sich aus den Branntweinpreisen nicht erklären lasse, weil die
Verteuerung fortdauere, die Besserung aber nicht angehalten habe.
Indes ist hierauf zu erwidern, dafs das niedere Volk es gelernt hat, die
vermehrte Ausgabe für den Branntwein einzubringen. Als der Schnaps
teurer wurde, mag mancher den gewohnten Genufs eingeschränkt haben.
Aber gerade den kriminell angelegten Naturen fehlt die Widerstands-
fähigkeit gegen ihre Gelüste. Die Schankwirte haben es verstanden,
ihre Kundschaft wieder heranzuziehen ; der Schnaps ist gewifs schlechter
geworden , der Fusel aber wirkt weiter. Wenn wir recht berichtet
sind, hat selbst der denaturierte Spiritus für Gewohnheitstrinker seine
1) Stat. Jahrbuch f. d. Deutsche Reich 1893, S. 120,
71ß Mis zellen.
Reize. Immerhin fällt noch jetzt ein Vergleich des Entwicklungs-
ganges der Delikte gegen die Person zwischen den scbnapstrinkenden
Gegenden und dem Süden und Westen zum Vorteil der ersteren aus und
es wird sich zeigen, ob die 1891 eingetretene weitere Verteuerung des
Spiritus nicht noch ferner heilsam wirkt. So viel im allgemeinen.
Das Hauptdelikt der Gruppe war im Jahre 1882 noch die Beleidi-
gung mit 38 971 Verurteilten. Das Delikt wächst langsam. Mit 46 458
Verurteilten hat 1892 bisher die höchste Zahl. Die Vermehrung um
19 Proz. ist ernst genug, indes hat das Delikt keine tiefe Bedeutung.
Die Statistik zeigt, dafs mehr als 3/4 aller Bestraften mit Geldstrafe
davonkommen, die wieder in den meisten Fällen recht niedrig ist. So
wurden im Jahre 1891 34 201 Personen wegen Beleidigung mit Geld-
strafe belegt, welche gegen 10 843 im Betrage bis zu 6 M., gegen 7231
im Betrage von 7 — 10 M. verhängt wurde. Die Unerheblichkeit der Aus-
schreitungen geht hieraus deutlich hervor.
Schon 1883 hat die Beleidigung den ersten Platz an die s. g. gefähr-
liche Körperverletzung abgetreten, welche im raschen, nur im Jahre
1888 ein wenig gehemmten Fortschreiten es 1892 auf 65 666 Verurteilte
gegen 38 291 im Jahre 1882 gebracht hat. Also ein Mehr von fast 72 Proz.
bei grofsen absoluten Zahlen! Wenngleich erhöhte Energie der Behörden
an dem Anwachsen der Zahlen dieses von Amts wegen verfolgbaren Ver-
gehens Teil haben mag, so ist es doch nicht fortzuleugnen , dafs Roheit
und Rauflust erheblich gewachsen sind, namentlich unter der Jugend.
Nach den offiziellen Bemerkungen zu der Kriminalstatistik für 1891 ent-
fallen auf je 100 000 Jugendliche (d.h. über 12 und unter 18 Jahre alte
Personen) in den Jahren 1883 — 87 je 75, im Jahre 1891 je 96 wegen Körper-
verletzung Verurteilte. Es ist ein geringer Trost, dafs die Strafen für
gefährliche Körperverletzung in ihrer Milde erkennen lassen, dafs die
Vergehen meist geringfügiger Art sind. So kommt unter 100 im Jahre
1891 Verurteilten auf 29,3 eine Geldstrafe, die fast in der Hälfte aller
dieser Fälle 15 Mark nicht übersteigt, auf 32,9 weitere Prozent eine Ge-
fängnisstrafe unter 30 Tagen und nur 19 Proz. werden mit Gefängnis von
3 Monaten und mehr belegt. Hervorgehoben zu werden verdient, dafs
im Jahre 1888 die gefährlichen Körperverletzungen gegen das Vorjahr in
folgenden Bezirken erheblich abgenommen haben: Posen um 16 Proz.,
Marienwerder 12 Proz., Königsberg 8 Proz., Breslau 7,4 Proz. In allen
bayrischen Bezirken und in Württemberg haben sie in dieser Zeit be-
deutend zugenommen. Für die gröfseren Staaten ergeben sich folgende
Zahlen der wegen gefährlicher Körperverletzung Verurteilten :
1887
1888
1890
Preufsen
32 758
31 072
35 926
Bayern
II 226
II 892
H815
Sachsen
1799
I 740
I 814
Württemberg
1724
1843
2003
Baden
I 921
1937
2 298
Unsere Annahme von der Einwirkung der Branntweinsteuer wird
auch durch diese Reihen bestätigt, welche übrigens aufserdem die Fried-
fertigkeit der Sachsen in helles Licht setzen.
Mi sz eilen. 717
f^5 ]Die einfache Körperverletzung ist — gleichfalls mit Hem-
mungen in den Jahren 1885 und 1888 — langsamer gestiegen und weist
im Jahre 1892 22 821 Verurteilte gegen 16 527 bei Beginn der Stati-
stik auf.
Das Mehr beträgt also 38 Proz. — Geldstrafe tritt bei fast 60 Proz.
an, in etwa 40 Proz. der Verurteilungen ist dieselbe nicht höher als
15 M. Die seh w e re Körp erver letzun g einschliefslich der Körper-
verletzung mit tödlichem Erfolge zeigt geringe , sehr wechselnde Zahlen
und nimmt seit 1885 entschieden ab.
Nötigung und Bedrohung mit einem Verbrechen sind in
Abschnitt I bereits besprochen. Hier sei nur noch erwähnt, dafs der An-
teil der einzelnen Bezirke an der Bedrohung ein sehr verschiedener ist.
Das Delikt ist in den meisten Fällen nichts als rabulistische Ausbeutung be-
stimmter sehr grober, aber landläufiger Redensarten. Von den im Jahre 1892
wegen Bedrohung mit einem Verbrechen 7832 verurteilten Personen ent-
fallen allein 1032 auf Schlesien, darunter 708 auf den Regierungsbezirk
Oppeln, in welchem das niedere Volk seine feindseligen Gefühle sehr rasch
in die Drohung umsetzt, den Gegner zu , .erschlagen". Auch Posen, Ost-
und Westpreufsen, Hamm, Augsburg, Naumburg, München, Karlsruhe,
Köln stellen ein starkes Kontingent, während in den Bezirken Oldenburg,
Kiel, Rostock, Braunschweig, Hamburg das Delikt zu den Seltenheiten
gehört. Dasselbe wird übrigens meist mit Geldstrafe oder geringer Frei-
heitsstrafe gebüfst.
Von gewisser numerischer Bedeutung ist auch das Vergehen der
fahrlässigen Körperverletzung (1892: 2820 Verurteilte, gegen
1192 im Jahre 1882). Diese Steigerung um 137 Proz. läfst sich einerseits
aus dem immer mehr wachsenden Verkehr, sowie aus der stärkeren Ver-
wendung von Maschinen erklären, andererseits aus dem Umstände, dafs die
durch die Arbeiterschutzgesetzgebung eingeführten Unfallsanzeigen auch der
Staatsanwaltschaft zugehen , welche dadurch viel häufiger als in früheren
Zeiten Anlafs zum Einschreiten erhält. Bei dem verwandten Delikt der
fahrlässigen Tötung ist gegen 1882 eine Vermehrung von 32 Proz.,
629 gegen 476 Verurteilte, zu verzeichnen. Die Zahlen schwanken, seit
1890 ist eine geringe Besserung eingetreten.
Die geringen absoluten Zahlen des Mordes bieten kein sicheres
Bild, das anscheinend beste Jahr ist 1890 mit 88 Verurteilten, das schlimmste
1883, in welchem 153 registriert werden. Das Jahr 1892 bringt 144 Ver-
urteilte. Es ist aber nicht zu vergessen , dafs unter allen diesen Zahlen
sich auch die nur wegen Versuchs oder Beihilfe Bestraften befinden. Die
Anzahl der Todesurteile ist weit geringer (1892: 59, 1891 : 40, 1890: 64,
1889: 55, 1888: 37, 1887: 64). Wir können also trotz der seit 1889
häufigen Vollstreckung der Todesstrafe, deren abschreckende Wirkung in
die Augen springt, eine Besserung leider nicht feststellen, — Totschlag
hat mit 172 Verurteilten im Jahre 1892 die höchste Ziffer. Das beste
Jahr 1888 brachte nur 117 Bestrafungen.
Kindesmord, bisher nicht erheblich (von 161 zu 191 Verurtei-
lungen) schwankend, hat im Jahre 1892 die bisher unbekannte Höhe von
221 Bestraften erreicht. Das verwandte, aber schwerer zu ergründende
718 Mis Zeilen.
Verbrechen der Abtreibung der Leibesfrucht, immer mit sehr
divergierenden Jahresresultaten, ist in letzter Zeit zu erheblicher Höhe
angewachsen (1892: 330 Verurteilte gegen 167 im Jahre 1883). Die
Stadt Berlin lieferte im Jahre 1892 48 Verurteilungen, das Königreich
Sachsen 57, die Provinz Schlesien 43.
Zweikampf zeigt im allgemeinen eine absteigende Tendenz. Das
Jahr 1884 brachte noch 170 Verurteilungen, das Jahr 1891 nur 60,
während sich im Jahre 1892 die Zahl auf 77 erhöht.
Wenden wir uns nun zu den Delikten wider die Sittlichkeit, so fällt
in der letzten Zeit die Vermehrung der schweren Geschlechtsverbrechen
(Notzucht und Verwandtes) zuerst ins Auge. Das Jahr 1892 bringt
3450 Verurteilte (darunter 869 Jugendliche) gegen 2737 aus 1883.
Dabei hatte das Jahr 1888 eine Besserung (von 3131 auf 3042 ge-
zeigt und in Preufsen allein waren die Verurteilungen von 1742 auf 1600
zurückgegangen, was wir wieder als einen — leider vorübergehenden —
Segen der Branntweinverteuerung ansehen möchten. Von den im Jahre
1892 verurteilten 2581 Erwachsenen erhielten übrigens nur 906 Zucht-
hausstrafe, den übrigen 1675 müssen mildernde Umstände zugebilligt
worden sein, soweit nicht Versuch oder Beihilfe in Frage kam.
Das sehr erhebliche Anwachsen der Verurteilungen wegen Kuppelei
(1892: 2481, 1882: 1377) erklärt sich durch verschärftes polizeiliches
Vorgehen gegen die Zuhälter. An der bedeutenden Zunahme gegen 1891
(um 523 Bestrafte) ist wesentlich die Stadt Berlin mit einer Vermehrung
um 192 Verurteilte beteiligt, deren sie 1891 nur 494, im folgenden
Jahre aber 686 lieferte. Auffallen müssen hiergegen die Kuppeleizahlen
Hamburgs, welche im Jahre 1891 nur 37, im Jahre 1892 gar nur 31
Verurteilte nachweisen.
Die übrigen Spezialdelikte der grofsen Abteilung Verbrechen und
Vergehen gegen die Person bieten nichts Bemerkenswertes.
3. Verbrechen und Vergehen gegen das Eigentum.
In der Zeit von 1882 bis 1892 sind die Zahlen dieser gröfsten
Deliktsgruppe von 169 334 auf 196 437 gestiegen. Dies macht 16 Proz.
aus und erscheint gegenüber dem Anwachsen der Bevölkerung, das mehr
denn 12 Proz. beträgt, nicht so sehr erheblich. Es ist indes zu bemerken,
dafs es sich um grofse absolute Zahlen handelt, welche sich von 1882
bis 1888 (mit nur 152 652 Verurteilten) in absteigender Richtung bewegen
und dafs von da ab ein rapides Anwachsen eintritt, so dafs wir im Jahre
1890 den Zahlen des Ausgangsjahres schon recht nahe stehen und den
in 6 Jahren errungenen Vorteil einbüfsen. Nun folgt 1891 eine Ver-
mehrung gegen das Vorjahr um 9728 Verurteilte und das Jahr 1892
bringt im Vergleich mit 1891 eine Vermehrung um 18 602 Verurteilte.
Also gegen das Vorjahr 10,46 Proz., gegen das beste Jahr 1888 29 Proz.
Verschlimmerung. Wenn es noch eines Beweises dafür bedürfte, dafs
Faktoren, die unabhängig sind von Religion, Sitte, Treue und Glauben,
die statistischen Zahlen beeinflussen, so wäre dieser Beweis jetzt geführt.
Denn niemand wird im Ernst behaupten wollen, dafs in der Volksseele
sich die Achtung fremden Eigentums von 1882 bis 1888 so vermehrt
Mi s z e 11 e n.
719
und von 1888 bis 1892 so vermindert haben sollte, wie die Zahlen es
ergeben. Wenn 1882 bis 1888 besondere Fortschritte in Moral und Volks-
erziehung zu verzeichnen wären , müfste man darüber staunen , dafs sich
in den folgenden Jahren so plötzlich alles Gute in das Gegenteil ver-
wandelt hat, und wenn man andererseits einen chronischen Krankheits-
prozefs der Volksseele konstruieren wollte, wäre wieder die bis 1888
bemerkbare Besserung unerklärlich. In Wahrheit liegt die treibende oder
hemmende Kraft hinsichtlich der Eigentumsdelikte in den wirtschaftlichen
Verhältnissen der niederen Volksschichten. Der Magen spielt dabei die
Hauptrolle. Wir haben zum Erweise dieser nicht neuen Behauptung
eine Uebersicht über Steigen und Sinken der Eigentumsdelikte im allge-
meinen, des einfachen Diebstahls und des in § 289 Strafgesetzbuchs be-
drohten strafbaren Eigennutzes im besonderen, ferner der Preise des
Boggenmehls und der Speisekartoffeln aufgestellt. Das Delikt gegen
§ 289 Strafgesetzbuchs haben wir gewählt, weil es mehr als jedes andere
die wirtschaftliche Not, namentlich in den Städten, zum Ausdruck bringt.
Die typische Form dieses Delikts ist die Wegschaffung der Möbel des
Mieters, an welchen dem Vermieter ein Zurückbehaltungsrecht zusteht.
Wer seine Miete bezahlen kann, wird schwerlich zu dieser gesetzwidrigen
Handlung schreiten, welche ja nie verborgen bleibt, und wenn noch nach-
träglich der Wirt befriedigt wird, stellt er kaum Strafantrag. Das Roggen-
mehl und die Kartoffeln sind die unentbehrlichsten Nahrungsmittel des
kleinen Mannes. Dafs eine Mifsernte an Kartoffeln die ländliche Krimi-
nalität ungemein steigert, beruht auf Erfahrung. Bei der Durchsicht der
Tabelle wolle man beachten, dafs das Steigen und Sinken der Preise auf
die Höhe der Kriminalität erst im folgenden Jahre einwirkt, zumal die
Strafthaten zum grofsen Teile in dem Kalenderjahre begangen werden,
welches dem der Aburteilung vorausgeht l).
Verbrechen u. Ver-
Einfacher Dieb-
Strafbarer Eigen-
Roggenmehl 2)
Kartoffeln
Jahr
mögen
stahl § 242 StGB.
nutz §
289 StGB.
Berlin 100 kg
1000 kg2) Berlin
%
zum
Verur-
O/o zum
Verur-
O/o zum
O/o zum
0/9 zum
Vorjahr
teilt
Vorjahr
teilt
Vorjahr
Vorjahr
Vorjahr
1883
164 590
—
76 929
1461
—
20,4
—
55,7
—
1884
162898
—
1,03
74293
— 3,43
1450
— 0,75
19,6
— 3,9
39,3
— 29,4
1885
157 275
—
3,45
69 241
— 6,8
1214
— 16,3
19,3
— 1,5
32,2
— 18
1886
I56930
—
0,22
68 479
— 1.1
1239
+ 2,06
17,9
— 7,2
29,9
— 7-1
1887
154 745
—
1,39
65 297
— 4,65
1233
— 0,49
17,1
— 4,4
33,3
+ II
1888
152652
—
1,38
65 060
— 0,36
1345
+ 9,1
18,8
+ 10,0
37,9
+ 13 »
1889
165 621
+
8,49
71 881
+ IO,48
I410
+ 4,8
21,8
+ 16,0
33,3
— IO,8
1890
168 107
+
1,5
70 945
— 0,13
I507
+ 6,4
23,4
+ 7,3
36.4
+ 8,3
1891
177 835
+
5,79
75 256
+ 6,09
2150
+ 42;6
29,1
+ 24,3
63,8
+ 75-3
1892
196 437
+
10,46
82751
+ 9,96
3137
+ 45,9
24,6
— 17,4
54,7
— 14,3
1) Noch klarer läfst sich der EinfluTs der Ernte und des Wetters nachweisen, wenn
man für einen kleinen, abgegrenzten Bezirk Notizen sammelt und die kriminalstatistischen
Zahlen vergleicht. So Damme, Kriminalität in Schleswig-Holstein. Zeitschr. f. Straf-
rechtswissenschaft, Bd. 10, S. 742 ff.
2) Preise nach amtlichen Notierungen. Stat. Jahrbuch f. d. Deutsche Reich, S. 120 f.
720 Miszellen.
Man sieht, dafs, wenn in einem Jahre die Roggenmehl- und Kartoffel-
preise gleichzeitig steigen (1888, 1891), die Kriminalität im folgenden
Jahre (1889, 1892) ganz erheblich emporgeht, während eine Verteuerung
des Roggens bei niedrigeren Kartoffelpreisen (1889) auf das folgende Jahr
minder einwirkt, sogar ein Herabgehen der einfachen Diebstähle nicht
hindern kann. Wenn diese Erscheinung auch künftig zutrifft, dürfen wir
bei den Eigentumsvergehen einer Besserung entgegensehen.
Was die Unterabteilungen der Gruppe anlangt, so ist die Bewegung
des einfachen Diebstahls bereits durch die Tabelle veranschaulicht.
Erwähnt sei noch, dafs der Anteil der Jugendlichen an diesem Vergehen
von Jahr zu Jahr wächst und 1892 mit 20 573 Verurteilten schon 10,4 Proz.
beträgt.
Der einfache Diebstahl im Rückfalle macht zwar die bis 1888
absteigende und von da aufsteigende Bewegung (mit einer kleinen Hemmung
1890) mit, seine schliefsliche Vermehrung gegen das Ausgangsjahr beträgt
aber (bei 12 775 Verurteilten) nur 6 Proz.
Schlimmer steht es mit dem schweren (nicht rückfälligen) Dieb-
stahl, der schon von 1886 an stetig steigt und 1892 mit 10 748 das Aus-
gangsjahr 1882 um 19 Proz. übertrifft. Ganz auffallend ist die starke Be-
teiligung der Jugendlichen an diesem Verbrechen, die schon 1882 25,5 Proz.
betrug, jetzt aber 32 Proz. erreicht hat, eine furchtbare Rekrutierungs-
ziffer. — Schwerer Diebstahl im Rückfalle ist von 1882 zu 1888
erheblich — um 26 Proz. — zurückgegangen und seitdem sehr gestiegen,
die Zahl des Ausgangsjahres ist aber noch nicht erreicht.
Das Vergehen der Unterschlagung macht die absteigende Bewegung
der Eigentumsdelikte nicht mit, sondern hält sich bis 1888 ziemlich auf
derselben Höhe. Dann aber beginnt auch hier die Steigerung, die 1892
zu 18 372 Verurteilungen führt, gegen 1882 26 Proz. mehr. Wir glauben,
dafs gröfsere Ausbreitung von Handel und Verkehr dieses Delikt beein-
flufst, indem sich die Gelegenheit mehrt.
Während das Vergehen der Begün stigun g nicht zugenommen hat,
zeigt die Hehlerei , was nicht wunder nehmen kann, eine ähnliche Kurve
wie der Diebstahl, Abnahme bis 1888 und von da ab eine zuletzt rapide
Zunahme. Immerhin ist die Zahl des Ausgangsjahres durch die Ergebnisse
von 1892 nur um 7 Proz. überboten. G ewe r bsmäfsige Hehler ei mit
kleinen absoluten, also mehr schwankenden Zahlen zeigt einen annähernd
gleichen Verlauf, während Hehlerei im Rückfalle im Gegensatz zu
den anderen Eigentumsdelikten seit 1888 abnimmt.
Betrug geht, abgesehen von einer unbedeutenden, im Jahre 1885
eingetretenen Besserung vorwärts, zuletzt mit Riesenschritten. Er hat mit
18 595 im Jahre 1892 erfolgten Verurteilungen das Ergebnis des Jahres
1882 um 67,7 Proz. überholt und sich unter den Deliktsarten den sechsten
Platz erobert, während er 1882 noch den elften einnahm. Wenn sich auch
dieses Anwachsen zum Teil auf die oben bereits erörterte Steigerung der
Gelegenheit zu fraudulosem Verhalten zurückführen läfst, dürfen wir uns
doch der Ansicht nicht verschliefsen, dafs Treue und Glaube in Handel
und Verkehr abgenommen hat. Das traurige Ergebnis wird allerdings
einigermafsen durch die Thatsache gemildert, dafs fast die Hälfte aller
Miszellen. 721
wegen Betruges Bestraften mit Geldstrafe, Verweis oder Gefängnis unter
8 Tagen fortkommt, was auf Geringfügigkeit des Schadens schiiefsen läfst.
Das Vergehen der Untreue zeigt dieselbe Bewegung wie der Betrug,
nur sind bei den niedrigen Zahlen die prozentualen Schwankungen gröfser.
Den 655 Verurteilungen aus 1892 stehen 267 aus 1882 gegenüber.
Auch die Vermehrung der Urkundenfälschung, welche nur 1885
und 1888 geringen Stillstand zeigt, ist zu beklagen. Das Jahr 1892 mit 4265
Verurteilungen überragt das Jahr 1882 um 47 Proz. Bei diesem Delikt
kommen aber als Ursachen der Steigerung eine sehr strenge Auffassung
des Thatbestandes in der Rechtsprechung des Reichsgerichts und 6odann
der Umstand in Betracht, dafs das Delikt im Laufe der Zeit viel breiteren
Volksschichten zugänglich geworden ist. Die Quittungskarten der Alters-
und Invaliditätsversicherungsanstalten sind in Aller Hand. Auch 6onst
sorgt unser papiernes Zeitalter für die Möglichkeit von Urkundenfälschungen.
In der Statistik werden übrigens die sogen, schweren Urkundenfälschungen,
welche aus Gewinnsucht entspringen und mit Zuchthaus bedroht sind (§ 268,
272 Strafgesetzb.), mit den anderen Urkundenfälschungen zusammengeworfen,
die mehr den Charakter eines Formaldeliktes tragen und nicht eigentlich
zu den Vergehen gegen das Vermögen gehören. Eine gesonderte Dar-
stellung der beiden recht verschiedenen Arten würde interessant genug sein.
Mutmafslich ist das Verbrechen häufiger als das Vergehen.
Raub, ein Verbrechen mit geringen absoluten Zahlen, wächst seit
1887, zuerst langsam, dann erheblicher. Das Jahr 1892 mit 485 Verur-
teilten steht wieder an der Spitze, 19 Proz. höiier als 1882.
Wie alle raffinierten Delikteist die E r p r e s su n g ungemein herange-
wachsen. Wir zählen 1892 6'24 Verurteilte. Das Jahr 1882 war gleich-
falls stark belastet (526 Verurteilte), doch war die Zahl im Jahre 1886
auf 426 zurückgegangen.
Merkwürdige Schwankungen zeigen bei verhältnismäfsig hohen Ziffern
die Jagdvergehen. Der letzte Stand (4632) ist besser als der von
8 Vorjahren, noch günstiger nehmen sich die Jahre 1889 und 1890 aus.
Aehulich verhalten sich die Fischereivergehen.
Sachbeschädigung — mehr ein Rohheits- als ein Eigentumsdelikt —
ist von 1883 bis 1887 langsam gestiegen. Das Jahr 1888 bringt in den
Gesamtzahlen eine kleine Besserung (um 860 Verurteilte), während in
Preufsen, allein betrachtet, sich eine Besserung um 936 herausstellt. Auch
dies kann als Beweis für die günstige Wirkung der Branntweinverteuerung
betrachtet werden, die aber auch bei dem in Rede stehenden Delikt nicht
angehalten hat, indem das Jahr 1892 mit 14 768 Verurteilten alle Vor-
gänger überragt.
Wucher kommt aufserordentlich selten zur Bestrafung. Höchster
Stand 1882 mit 98 Verurteilten, niedrigster 1890 mit 22, letzter 1892
mit 37. Dieses Delikt zeigt so recht deutlich, wie vorsichtig man in der
Deutung der Zahlen sein mufs. Denn wer aus den Ergebnissen der Sta-
tistik schiiefsen wollte, dafs in Deutschland Mord 3 — 4 mal häufiger be-
gangen wurde, als Wucher, der würde sich gründlich täuschen. Der Wucher
arbeitet im Stillen und kommt nicht ans Licht. Die Opfer werden so um-
garnt, dafs sie die Anzeige scheuen, meist müssen sie auch mit Rücksicht
Dritte Folge Bd. VIII (LXM). 46
"J22 Miszellen.
auf die eigene Stellung schweigen. Für die Geschicklichkeit der "Wucherer,
sich aus der Schlinge zu ziehen, spricht der Umstand, dafs trotz der sehr
seltenen Anklagen noch nicht die Hälfte der Angeklagten verurteilt wird
(47,4 Proz ), eine Erscheinung, die bei keinem anderen Delikte hervor-
tritt; selbst Meineid hat eine Verurteilun^squote von 61,8 Proz.
Gegen die reichsgesetzlichen Verbote betr. Glücksspiel, Veranstaltung
von Ausspielungen und Lotterien wird gleichfalls offenbar häufiger ge-
handelt, als die statistischen Zahlen nachweisen, die bei starken Schwankungen
im Jahre 1892 mit 1001 Verurteilten die Vorjahre erheblich übertreffen.
Die Zahlen des betrügerischen Baukerutts, eines schwer zu
erweisenden und vor dem Schwurgericht zu verhandelnden Verbrechens, sind
niedrig und deshalb zu Veigleichuugen nicht geeignet. Bester Stand
1886 mit 135 Verurteilten, schlechtester 1891 mit 186. Der einfache
Baukerutt dagegen zeigt seit 1885 steigende Tendenz und ist 1892 mit
759 Verurteilten gegen 1885 um 72 Proz. gewachsen.
Die Vergehen gegen das Nahrungsmittelgesetz steigen
von 1882 — 1885, in den folgenden zwei Jahren tritt eine geringe Besse-
rung ein, von 1888 ab dagegen weiteres Anwachsen. Hier ist der Grand
der Vermehrung weniger auf das Verhalten der Gewerbetreibenden als auf
die vermehrte Sorge für die Gesundheit, bessere polizeiliche UeberwachuDg,
Einrichtung von Untersuchungsämtern, auch auf scharfes Vorgehen der
Judikatur gegen Mifsbräuche, sowie auf den weiteren gesetzlichen Aus-
bau der Materie (Buttergesetz, Weingesetz) zurückzuführen.
Von den gemeingefährlichen Verbrechen und Vergehen
ist zu berichten, dafs Bra n dsti f t u ng von 1882 bis 1889 stetig und er-
heblich (fast 35 Proz.) abgenommen hat, während sich in den letzten
Jahren 1890 und 1892 wüeder eine Zunahme zeigt, die aber den Stand
der ersten 3 Jahre noch nicht erreicht hat. Sehr bedeufend ist die Neigung
der Jugendlichen zu diesen Verbrechen (z. B. 1891 37,6 Proz.); übrigens
eine alte Erscheinung, aus der man früher die sogen. Pyromanie herleiten
wollte, die jetzt wissenschaftlich und in der Gerichtspraxis als abgethan
gilt. Die f ahr lä s sige In br an d se tzu n g bietet in den einzelnen Jahr-
gängen die sonderbarsten Unterschiede. Am günstigsten steht das Jahr
1884 mit 480 Verurteilten, am schlimmsten wieder 1892 mit deren 1141
und mit einer Steigerung von fast 73 Proz. gegen das schon genug be-
lastete Jahr 1891. Eine Erklärung dieses Wechsels bei einem nur auf
Fahrlässigkeit beruhenden Delikte wird sich kaum findeu lassen. Es fällt
aber auf, dafs 1892 allein 434 Jugendliche, also 38 Proz, an dem Ver-
gehen beteiligt waren, während das Jahr 1891 deren nur 203 zählt, also
30,8 Proz. Ausdrücklich sei bemerkt, dafs erfahruugsgemäfs eine sehr
grofse Anzahl Brände durch Kinder verursacht werden, die weniger als
12 Jahre alt und deshalb strafrechtlich nicht verantwortlich sind.
Die Verletzung von Absperrungsmafsregeln bei Krank-
heiten und Viehseuchen hängt von Faktoren ab, die mit der Kriminalität
wenig zu thun haben, hat sich übrigens seit 1890 erheblich gebessert.
4) Verbrechen und Vergehen im Amt.
Dieser Abschnitt der Kriminalstatistik sei nur der Vollständigkeit
wegen erwähnt. Einen klaren Blick über die Kriminalität der Beamten
M i s zel 1 en. "723
wird er nie gewähren, weil deren Verbrechen und Vergehen zum grofsen
Teil in den früheren Abschnitten mit gerechnet werden und zwar auch
in Fällen, in denen das Amt das Delikt ermöglicht hat (z. B. fahrlässige
Gefährdung eines Eisenbahntransportes durch ßahnbeamte, — die typische
Form dieses Vergehens) oder sogar eine Vorbedinguig der Stratbarkeit
bildet (§ 174 Strafgesetzbuchs Unzucht mit Gefangenen u. s. w.), ferner
weil als Vergehen im Amt auch die sogen, aktive Bestechung erscheint,
die eben von Nichtbeamten ausgeübt wird.
Wir können aber feststellen, dafs, obgleich in den 11 Jahren seit
1882 das Beamtentum im Keiche erheblich zugenommen hat, eine Ver-
mehrung der Amtsdelikte nicht eingetreten ist. Das Jahr 1892 mit
1570 Verurteilten nimmt die sechste Stelle ein, seine Zahl entspricht auch
dem Durchschnitt der 1 1 Jahre. Die Schwankungen innerhalb der Unter-
abteilungen bieten nichts Bemerkenswertes.
III. Kriminalität der Jugendlichen.
Personen, welche eine strafbare Haudlung im Alter von mehr als
zwölf und weniger als achtzehn Jahren begangen haben, können nur ver-
urteilt werden, wenn sie nach richterlicher Ueberzeuguug die zur Er-
kenntnis der Strafbarkeit ihrer Handlung erforderliche Einsicht besessen
haben. Sie werden stets milder bestraft als ältere Delinquenten, Todes-
und Zuchthausstrafe sind unzulässig, dagegen ist der Verweis ein nur
für diese Personenkategorie bestimmtes Stratmittel. Nicht blofs die Aus-
nahmestellung, welche der Gesetzgeber den „Jugendlichen" einräumt,
sondern auch die Erwägung, dafs das Verhalten der Jugendlichen Schlüsse
in die Zukunft gestattet, haben seit Beginn der deutschen Kriminal-
statistik zu einer besonderen Betrachtung dieser Altersstufe geführt.
Leider läfst sich nicht verkennen, dafs in den elf Jahren, über die
wir berichten, sich die Kriminalität der Jugendlichen noch intensiver
vermehrt hat, als die Gesamtkriminalität. Indes sind erst die letzten
Jahre für dieses Ergebnis verantwortlich zu machen. Das Ausgangsjahr
1882 bringt 30 719 verurteilte Jugendliche, das folgende Jahr ist besser
(29 966), 1884 erhöht sich die Zahl und sinkt 1885 um ein Geringes.
Von 1886 zu 1887 zeigt sich die erste nennenswerte Steigerung (31513
zu 33 113), das „gute'' Jahr 1888, in welchem sich die allgemeine Krimi-
nalität um 1,06 Proz. gegen das Vorjahr verminderte, bringt bei den
Jugendlichen eine nur 0,13 Proz. betragende Besserung. Dann gehen die
Zahlen mit grofsen Sprüngen in die Höhe. 36 790, 41003, 42 312 und
46 496 Jugendliche sind in den Jahren 1889 bis 1892 verurteilt worden.
Das letzte Jahr zeigt also gegen das Ausgangsjahr 1882 eine Vermehrung
um 51,3 Proz. Nur ein schwacher Trost ist es, dafs die Altersklasse
der Jugendlichen bei der Vermehrung der strafmündigen Civilbevölkerung
ganz besonders stark vertreten ist. Nach den Ergebnissen der Volks-
zählung waren vorhanden Jugendliche in unserem Sinne:
am 1. Dezember 1885 5 573 545
„ „ „ 1890 6300312
was eine Vermehrung um 13 Proz. bedeutet, während im gleichen Zeit-
räume die gesamte strafmündige Civilbevölkerung nur um 6,47 Proz. ge-
46*
724 Miszellen.
wachsen ist. Diese enorme Steigerung der Gesamtzahl der Jugendlichen
wird aber durch die Erhöhung ihrer Kriminalität bei weitem übertreffen.
Fassen wir nur die ganz feststehenden Bevölkerungszahlen am 1. Dez.
1885 und 1890 ins Auge und vergleichen sie mit den Zahlen der in den
Jahren 1886 und 1891 verurteilten Jugendlichen, so ergiebt sich, dafs auf
je 10000 v orh an de n e Jugendliche im Jahre 1886 565, im Jahre 1891
dagegen 612 verurteilte Jugendliche entfallen.
Hiernach ist selbstverständlich, dafs auch das Verhältnis der verur-
teilten Jugendlichen zu der Gesamtzahl aller Verurteilten sich in den
letzten Jahren verschlechtert hat, und zwar trotz des Steigens der allge-
meinen Kriminalität. Während 1882 unter je 100 Verurteilten nur 9,3
Jugendliche sich befanden und dieser Prozentsatz bis 1886 auf 8,9
zurückging, sind 1889 schon 10 Proz. aller Verurteilten Jugendliche und
im Jahre 1892 wurden 11 Proz. überschritten.
Bei dieser bedeutenden und immer wachsenden Beteiligung der
Jugendlichen an dem Verbrechertum fällt noch erschwerend ins Gewicht,
dals viele Jugendliche, obgleich sie der Strafthat überführt sind, unter
der Feststellung, dafs sie die zur Erkenntnis der Strafbarkeit erforderliche
Einsicht nicht besessen, freigesprochen werden, dafs eine grofse Reihe
von Delikten, die nur auf Antrag verfolgbar sind (Diebstahl, Unter-
schlagung, Betrug gegen Angehörige, Vormüuder, Erzieher, Lehrmeister),
hauptsächlich von Jugendlichen begangen werden, dafs dagegen aus be-
greiflichen Gründen meist Schonung geübt und der Strafantrag nicht ge-
stellt wird, wie man ja überhaupt geneigt ist, Ausschreitungen eines
jungen, unbestraften Menschen nicht erst zur Anzeige zu bringen, um
ihm nicht frühzeitig einen Makel anzuhängen 1). Die Jugendlichen, welche
gegen Strafgesetze gefrevelt haben, befinden sich also fast durchweg in
einer güustigeren Lage als erwachsene Verbrecher, und diese Chance,
unbestraft zu bleiben, wird nicht aufgewogen durch die den Jugendlichen
eigene Bereitwilligkeit, ein offenes Geständnis abzulegen.
Die folgende tabellarische Vergleichung der Gesamtzahlen mit den
Deliktsziffern der Jugendlichen aus den Jahren 1886 und 1892 ergiebt
deutlich, wie sehr sich die Kriminalität der Jugendlichen ausge-
breitet hat.
(Siehe Tabelle auf S. 725.)
Im allgemeinen waltet bei Bestrafung der Jugendlichen grofse Milde.
Von den 42 312 im Jahre 1891 2) bestraften Jugendlichen kamen 6975,
also 16,78 Proz. mit einem Verweise davon, darunter 4686 Diebe. Auf
Geldstrafe wurde gegen 5016, also 11,85 Proz. der Jugendlichen erkannt.
Ins Gefängnis kamen auf weniger als 4 Tage 7397, also 17,47 Proz.,
auf 4—7 Tage 5383, also 12,72 Proz., auf 8—29 Tage 7361, also
17,43 Proz., auf 1—3 Monate 4274, also 10,1 Proz. Man sieht, dafs
nicht 14 Proz. übrig bleiben, welche längere Gefängnisstrafen erleiden
mufsten. Vielleicht will man daraus schliefsen, dafs die Ausschreitungen
1) Siehe v. Scheel, Zur Einfuhr in die Kriminalstatistik (in von Mayr's allgemeinen
statistischen Archiv, Bd. I S. 207.)
2) Die Zahlen für 1892 sind noch nicht bekannt. Das Tabellenwerk ergiebt sie nicht.
M i s z e 1 1 e n.
725
Gesamtzahl
der
Verurteilten
Darunter
Jugendliche
Prozentsatz
der
Jugendlichen
Verbrechen und Vergehen überhaupt
Einfacher Diebstahl (§ 242 StGB.)
Schwerer Diebstahl (§ 243 StGB )
Einlacher Diebstahl im wiederholten Rück-
falle <§ 244 StGB.)
Schwerer Diebstahl im wiederholten Rück-
falle (§ 244 StGB.)
Unterschlagung (§ 246 StGB.)
Betrug (§§ 263, 265 StGB )
Sittlichkeitsverbrechen (§§176— 178StGB)
Gefährl. Körperverletzung (§ 223 a StGB.)
Sachbeschädigung (§§ 303—305 StGB.)
: 1»»6
189^
1006
1»92
1006
353 000422 326
3M98
46488
8,9
68479 82 751
14 439
20 573
21
6658, IO748
2015
3 594
30
II 3O6
12775
615
859
5-44
2373
2 921
197
298
8.3
14 731
18372
1 5'4
2074
10.27
12 360
18595
1 169
1 949
94
3 187
3 45o
622
869
19,5
53759 65606
3 733
5 352
6,94
12798
14768
i639
2562
12,8
löi>2
11.01
24.2
33.4
6,72
10,2
11,29
IO,48
25,2
8.13
17,3
der Jugendlichen im allgemeinen unerheblich waren, immerhin erscheint
es als ein Uebelstand , dafs die Novizen des Verbrechertums nicht von
vornherein durch Strenge des Strafrichters von Fortsetzung ihres bösen
Weges abgeschreckt werden.
Dies Bedenken wird grell beleuchtet durch die Thatsache, dafs
die Rückfälligkeit der Jugendlichen immer mehr zunimmt. Von den im
Jahre 1891 verurteilten 49 312 Jugendlichen waren 7095, also 16,77 Proz.
vorbesraft, während im Jahre 1889 auf 36 790 verurteilte Jugendlichen
nur 5615, also 15,26 Proz. Vorbestrafte kamen. Diese Zahlen fallen um
so mehr ins Gewicht, als alle im jugendlichen Alter Vorbestraften, wenn
sie nach erreichtem achtzehnten Lebensjahr weiter freveln, hier
nicht mehr gezählt werden. Die Statistik für 1892 weist nach, dafs
unter den wegen Rückfalldiebstahls Verurteilten sich 22 Jugendliche be-
fanden, welche mehr als 5 die Rückfalls strafe begründende Vorstrafen
hatten, dafs also diese Personen in der Zeit von höchstens 6 Jahren
mindestens sechs zeitlich immer durch die Verbüfsung der früheren Strafen
getrennte Diebstähle ausgeführt haben.
"Wir glauben, dafs es am Platze ist, durch härtere Behandlung der
jugendlichen Verbrecher die kriminellen Keime zu tödten. Bisher hat
man in dem jugendlichen Gefangenen wohl zu sehr eiu bemitleidenswertes
erziehungsbedürftiges Geschöpf gesehen. Die Erfahrung lehrt, dafs Jugend-
liche sich in Gefängnissen, namentlich Centralanstalten, gar nicht unbe-
haglich fühlen. Sie finden dort Ordnung, Reinlichkeit, Körperpflege,
kräftige Kost und geeignete Arbeit, alles Dinge, die ihnen in der Frei-
heit fehlten. Viele Faktoren, die dem Erwachsenen die Freiheitsentziehung
zur Strafe machen, berühren des Jugendlichen Sinn und Organismus nicht.
Was Wunder, dafs die Rückkehr ins Gefängnis dem entlassenen jugendlichen
Sträfling als ein geringes Uebel erscheint? Wir wollen hier nicht er-
örtern , ob die Einführung der Prügelstrafe für Delikte Jugendlicher em-
pfehlenswert ist. Es wäre unseres Erachtens schon ein grofser Fort-
schritt, wenn in den Gefängnissen gegen Jugendliche als Disziplinar-
strafe jenes bewährte Erziehungsmittel zur Anwendung gelangen könnte.
Was der Vater, Vormund, Lehrherr darf, das sollte auch der Gefängnis-
726 Mis zellen.
Verwaltung erlaubt sein, wenn es sich darum handelt, jugendliche Uebel-
thäter in straffer Zucht zu halten. Falls dann noch die allgemein em-
pfehlenswerte Schärfung kurzer Freiheitsstrafen durch Kostschmälerung
hinzuträte, so würde das heranwachsende Geschlecht mutmafslich mehr
Scheu vor dem Gefängnisse haben.
IV. Vorbestrafangen.
Wie schon in Beziehung auf die Jugendlichen gezeigt, ist es ein
wiohtiges Feld kriminalstatistischer Forschung, festzustellen, inwieweit die
verurteilten Personen früher schon bestraft waren. Hierbei wird Material
zur Lösung der Frage erlangt, ob sich das Verbrechertum konsolidiert,
oder ob die Lebens- und Wirtschaftsverhältuisse in überwiegender Zahl
unbestrafte Personen vor den Richterstuhl führen. Die deutsche Kriminal-
statistik verfährt dabei so , dafs nicht der Rückfall im strengen Sinne
(Verübung eines Delikts nach Bestrafung wegen eines gleichartigen oder
verwandten Delikts) gezählt , sondern nur berechnet wird , ob der Ver-
urteilte überhaupt und zwar durch wie viele Entscheidungen und ob
er zu einer verbüfsten Freiheitsstrafe früher verurteilt war, endlich binnen
welcher Frist nach Verbüfsuug der letzten Strafe er die neue Strafthat
begangen hat. Diese Methode ist allerdings nicht unfehlbar. Denn da
die deutsche Kriminalstatistik sich um Uebertretungen und um Verletzungen
der Landesgesetze überhaupt nicht bekümmert, so treten auch alle dieser-
halb erkannten Vorstrafen aufser Rechnung und es kann vorkommen, dafs
ein alter Landstreicher , der die Hälfte seines Lebens in Haft und in
Arbeitshäusern zugebracht hat, wenn er schliefslicb einen Diebstahl be-
geht, als nicht vorbestraft gezählt werden mufs, oder dafs, wenn er nach
Verbüfsung einer Diebstahlstrafe sein Landstreichen fortsetzt, und aus
einem Gefängnisse in das andere wandert, er doch bei später begangenem
zweiten Diebstahl als ein Mann betrachtet wird, der seit Verbüfsung des
ersten Diebstahls sich jahrelang straflos geführt hat.
Bei der notwendigen Abgrenzung unserer Reichsstatistik mufs man
über diesen Fehler hinwegsehen und sich gegenwärtig halten, dafs die
nach dem gewählten Systeme ermittelten Zahlen eben nur einen Teil der
Kriminalität umfassen sollen und ein gewisses Mindestmafs der Rück-
fälligkeit ergeben, dessen Betrachtung an sich interessant und lehrreich
genug ist. Freilich ist die Rückfallsstatistik Deutschlands und anderer
Länder neuerdings heftig angegriffen worden. Dr. 0. Köbner x) fordert,
dafs, wenn man die Rückfälligkeit (im weiteren Sinne) statistisch ver-
werten wolle, man die Rückfallsfähigkeit feststellen müsse, letztere
sei wieder aus dem Verbrecherkoutingente desjenigen Jahres zu entneh-
men, in dem der Rückfällige seine erste Bestrafung erhalten. Es sei zu
berücksichtigen, dafs die Bevölkerung zunehme, die Zahl der in einem
früheren Jahre Bestraften aber durch Absterben sich verringere und dafs
namentlich früher Bestrafte durch Auswanderung, Geisteskankheit , sowie
1) Methode einer wissenschaftlichen Rückfallsstatistik als Grundlage einer ßeform
der Kriminalstatistik. Zeitschr. f. d. gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd. XIII, Heft 5.
M i s z e 1 1 e d. 727
durch die Strafhaft selbst, die sie an weiteren Verbrechen hindere, aus
der Zahl der in späteren Perioden Rückfallsfahigen ausgeschieden würden.
Ganz verwerflich sei daher die Vergleichung der in einem bestimmten
Jahre überhaupt Bestraften mit den uuter ihnen bifindlichen Rückfälligen.
Köbner's Argumente sind mathematisch richtig, indes ist die Bückfalls-
6tatistik, wie er sie sich denkt, unausführbar. Er will die Strafregister-
behörden zu Sammelstellen für alle möglichen Notizen aus der Laufbahn
des Verbrechers machen. Ueber die Strafverbüfsung, aber auch über die
Strafunterbrechung, über des Verurteilten Tod, aber auch über sein Vorleben
sollen dem Strafregister Nachrichten zugeführt werden, die dann periodisch der
statistischen Zentralbehörde zur Bearbeitung zu übersenden sind. Es ist
schon bedenklich genug, das Strafregister in eine Sammlung von Personal-
akten umzugestalten, deren Richtigkeit und Vollständigkeit doch niemals
garantiert werden könnte (man denke nur an die Ausländer und an die
zeitweise im Auslände weilenden Deutschen). Wie aber eine statistische
Behörde mit dem Riesenmaterial an Zahlen und Daten fertig werden soll,
wie es die Kontingente zusammenstellen, die Ab>terbeordnung berechnen
soll, das weifs man vorläufig noch nicht. Sicher ist aber, dafs, wenn
alles nach Köbner's Methode geht, man immer noch hauptsächlich mit
Wahrscheinlichkeiten arbeiten wird. Dafs die Absterbeordnung der Ver-
brecher von derjenigen der Gesamtbevö kerung himmelweit verschieden
ist, giebt Köbner zu. Wrir meinen aber, dafs es unmöglich ist, alle
Verurteilten hinsichtlich ihrer Mortalität als eine Menschenklasse zu
betrachten, dafs der Mann, der alljährlich wegen Beleidigung bestraft
wird, immerhin behaglicher und sicherer leben kann, als der Wilddieb
und der Strafsenräuber. Wie will man aber weiter spezialisieren ?
Es kann ja auch vorkommen, dafs ganz alte Leute rückfällig werden,
die einem „Kontingente" angehören , da9 statistisch gar nicht mehr
existieren darf. Soll aber die Frage , wie viel Leute einer Alters-
klasse von Verbrechern noch leben, einfach durch Subtraktion der be-
kannt gewordenen Todesfälle entschieden werden, so wird jeder dem
Strafregister nicht gemeldete Todesfall einen Fehler bedeuten, der sich
von Jahr zu Jahr vergröfsert, von der Auswanderung ganz zu schweigen.
Richtig ist der Gedanke Köbner's, dafs es bei Aufstellung einer Rück-
fallsstatistik auch auf die Frage ankommt, wann die erste Verurteilung
erfolgt sei. Wtnn die deutsche Kriminalstatistik dieser Methode aus dem
Wege gegangen ist, so geschah das unseres Erachtens angesichts der Un-
möglichkeit, sichere Antworten auf die Frage zu erlangen. Diese Schwie-
rigkeit schwindet aber von Jahr zu Jahr. Seit dem 1. Oktober 1882
sind die Strafregister eingeführt. Alle Personen, die damals noch nicht
12 Jahr alt waren, können vorher nicht bestraft worden sein. Das Straf-
register ergiebt also die erste Strafe aller Bestraften, die nach dem 30. Sep-
tember 1870 geboren 6ind. Unschwer wird sich für diese Personen die
Frage, „wann zuerst bestraft?" der deutschen Zählkarte einreihen lassen
und damit wäre Material zu gewinnen, das zwar noch nicht in den grofsen
Tabellen verarbeitet werden kann, aber die Grundlage für interessante
Feststellungen geben würde.
Köbner's scharfsinnige Untersuchungen sind übrigens trotz der Un-
728
Mi s z e 1 1 e n.
durchfiihrbarkeit seiner Methode von Bedeutung für die Kritik der stati-
stischen Erscheinungen. Sie weisen nach, dafs bei Vergleichung aller
Bestraften mit den Rückfälligen unter ihm n zu Zeiten eines Steigens der
allgemeinen Kriminalität die Quote der Rückfälligen zu gering erscheint
und dafs, da die Zahl der Rückfallsfähigen immer geringer ist, als die
Zahl der Vorbestraften , die Rückfälligkeit viel intensiver ist , als sie
nach den jetzt gewonnenen Zahlen erscheint *).
Betrachten wir nun vorurteilslos die Ergebnisse der deutschen Kriminal-
statistik hinsichtlich der Vorbestraften, so fällt das ungeheure Anwachsen
der Rückfälligkeit (im weiteren Sinne) auf. Für die Anfangsjahre der
Statistik fehlt sicherer Boden. Damals mö^en viele Vorstrafen unbekannt
geblieben sein. Wenn aber im Jahre 1888 102 912 Verurteilte und im
Jahre 1892 deren 146 991 gezählt werden, so beweist diese Steigerung
um 42,8 Froz. eine bedeutende Zunahme der Rückfälligkeit. Jedenfalls
ist es auch nach Köbner's Ansicht nicht unerlaubt, festzustellen, wie viel
Verurteilte eines Jahres als unbestraft auf die Anklagebank kirnen. Diese
Zahlen sind interessant genug. Sie stellen sich fol^endtrmafsen dar:
Jahr
1888
1889
1890
1891
1892
Verurteilte
überhaupt
35°655
369644
381450
391 064
422327
Darunter
Vorbestrafte
Bisher
Unbestrafte
102 912
115684
125 068
133 065
146 991
247 743
253960
256 382
257 999
275 336
Es ist also das Verhältnis der Verurteilten und Vorbestraften zu den
bisher unbestraften Verurteilten, welches 1888 etwa 5:12 betrug, in
wenigen Jahren so gestiegen , dafs die bisher unbestraften Verurteilten
nicht mehr das Doppelte der Bestraften ausmachen. Bei der Vermehrung
der Verurteilungen von 1890 auf 1891 um rund 10 000 sind die Vor-
bestraften mit ruud 8000 beteiligt; wogegen die Vermehrung der Gesamt-
zahl der Verurteilten von 1891 auf 1892 um 31 263 Köpfe zum über-
wiegenden Teile den bisher Unbestraften zur Last fällt. Letztere Er-
scheinung ist ein trübes Zeichen. Sie beweist, dafs aus den Reihen der
bisher unbescholtenen Personen sich das Verbrechertum in stärkerem Mafse
als früher rekrutiert hat. Sie führt aber auch darauf, dafs ganz besondere
Umstände im Jahre 1892 bei der Erhöhung der Kriminalitätszahlen mit-
gewirkt haben müssen und bestätigt damit die Erklärung, dafs die wirt-
schaftliche Kalamität ihren verderblichen Eiuflufs geübt hat. Zum Schlüsse
möchten wir als Beweis von der Brauchbarkeit unserer kriminalstatistischen
Zahlen eine Tabelle zusammenstellen, welche geeignet ist, die Intensität
des Verbrechertums darzuthun. In ihr handelt es sich um die Rück-
fälligkeit solcher Personen , die eine Freiheitsstrafe verbüfst haben und
doch nach ganz kurzer Frist aufs neue zur Bestrafung gelangen. Hier
1) Die Bedeutung und Schärfe der Köbner'schen Arbeit hat den Verf. dieser Zeilen
veranlagt, sich hier ausfühilicher auszusprechen, als er es in seiner Rezension (Archiv
f. Strafrecht, Bd. 41, S. 326) vermochte.
M i s z e 1 1 e n.
729
dürfte also weder die Absterbeordnung nooh die Detention der Verur-
teilten die Zahlen beeinflussen uud die übrigen nach Köbuer's Theorie
möglichen Fehler bleiben konstant, beeinträchtigten also die Vergleichung
nicht.
Unter den Verurteilten des Jahres
waren vorbestraft
hatten die neue Strafthat bedangen
binnen einer Frist von
überhaupt
2
mit Freibeits
strafe
3
1 Jahr und 1 3 Monate und
darunter darunter
1
seit Verbüfsung der letzten Freiheits-
strafe
4 5
1882
1887
1888
1889
1890
1891
1892
82 395
102839
102 912
115 684
125 068
133 065
146 691
75 852
94 715
94230
105 195
110 985
117 432
128 745
26475 9203
34842 12137
33 402 1 1 226
35606 12272
38 544 13 431
41 563 14 466
44778 15698
Das Jahr 1882 haben wir vorangestellt, weil wir glauben, dafs die
Zahlen der Spalten 4 und 5 bei dem kurzen Zwischenräume zwischen
der letzten und vorletzten Strafthat ziemlich genau sein werden. Spalte 2
und 3 werden allerdings zu geringe Zahlen enthalten. Eine Vergleichung
der späteren Jahrgänge wird eine auffallende Regelmäfsigkeit des Ver-
hältnisses der einzelnen Spalten zu einander ergeben. Eine Betrachtung
der Spalten 3 und 5 wird das traurige Resultat bringen, dafs regelmäfsig
etwa 12 Proz. der mit einer Freiheitsstrafe Belegten binnen drei Monaten
nach Verbüfsung dieser Strafe von neuem gegen das Reichsgesetz freveln.
Die Zahl schwankt zwischen 12,8 Proz. (1887) und 11,7 Proz. (1889)
und beträgt seit 1890 mehr als 12 Proz.
Wir sind am Schlüsse unserer Uebersicht. "Wenngleich das Ergebnis
nicht geeignet ist, optimistische Ansichten zu stützen, ist doch wohl er-
sichtlich geworden, dafs das Anwachsen der Kriminalität nicht lediglich
dem Emporwuchern von Zügellosigkeit und schlechten Sitten zuzuschreiben
ist, sondern dafs äufsere Einflüsse, die von dem Willen der Individuen
unabhängig sind, 6ich als treibende und hemmende Kräfte erweisen. Wenn
ea aber gelänge, die Not der unteren Klassen zu mindern, das Familien-
leben zu stützen, dem Einflüsse des Branntweins zu steuern, der Rück-
fälligkeit durch Fürsorge für entlassene Gefangene vorzubeugen, so
wäre damit viel gewonnen. Und an diesem Werke mitzuarbeiten ist jeder
Gebildete in der Lage.
730
Misz el 1 en.
XV.
Preise in Preufsen
iu Mark
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pro Tonne
pro Metercentner
1816—20
l8l,8
113
91.4
1821—30
109 2
66.2
56,6
1831—40
133,8
83,8
73
1841—50
160,4
106
93-8
1851—60
199.6
143.2
1332
1861 — 70
195
U48
1222
1871 — 75
225
159
I43.8
1876 — 80
202 2
149
139 4
1881 — 85
182,6
149.4
138.2
1886 — 90
165.7
129,8
123,6
1886
I5°,5
121
120,6
1887
154
1 10
108
1888
163.5
121
115
1889
178
148
134
1890
182.5
149
I4O.5
1891
217.5
201.5
157,5
1892
188,5
174
I49
1893
143,5
123,5
127,5
1816—20
1821—30
1831—40
1841—50
1851 — 60
1861—70
1871—75
1876—80
1881—85
1886—90
1886
1887
1888
1889
1890
1891
1892
1893
Provinz
992
60,6
73-8
91,6
130.4
126,2
151,4
136
139 6
125,4
122
102
115,5
140
147,5
160,5
144
141,5
Provinz
Preußen
106,2
73 *
87,8
IO5 8
I46.2
134 4
163 6
1588
167.2
153 7
143.6
132.6
132
178
182.5
183
200 5
170,5
Sachsen
29,2
19,6
23
31 5
45-6
40.6
53-2
56,7
5o,3
5i-4
355
78,6
52,5
49.4
41,2
68,75
60,2
39
136,6
90
98,4
108,4
133,4
1584
204.9
202,8
206
194,3
1945
186
191
199
201
198
204,5
202,5
56,6
63,4
38.4
45
434
53*
46.6
60
60
81,6
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113,6
96 4
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115,2
IO3.6
114
995
112,5
99,6
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107
102
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122,5
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115
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107,2
285
123.4
55
128.4
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95
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130
61.6
157,6
123
108,4
105,8
134,8
33,5
136,6
66,6
203 8
171-6
1492
143-4
186,4
44.4
156,6
76,6
198.2
161. 4
150,6
140.2
l8l
42.6
191,6
95
233-4
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184,8
170.4
248
58,4
248,5
121,3
209 8
170
170
158,4
245.4
57,i
244
114,4
1932
164 8
1586
153
246
50,6
234,4
121. 8
170
148,8
154,2
142,4
20I.8
5i,4
230
126,4
153
137
140
135
199
40
229
123
161
128
140
119
189
44
224
121
171
141
145
136
199
506
225
120
178
164
166
156
208
75,6
238
139
187
174
180
166
214
47
234
129
216
211
173
163
230
62,5
234
132
183
178
161
151
237
63
236
129
150
136
157
164
223
49,5
241
126
91,6
60
66,6
75
86,6
106,6
128,7
123.6
121
124,4
120
117
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132
139
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pro Tonne
pro Metercentner
1816—20
1821 — 30
1831—40
1841—50
1851—60
1861—70
1871—75
1876—80
1881 — 85
1886—90
1886
1887
1888
1889
1890
1891
1892
1893
Rheinprovinz
247
235-4
176,4
147,2
213.2
51.6
—
68.4 1
138
106.4
94,4
86 8
120,4
28,2
100
48.4 1
163
127,6
116. 2
103,4
132.6
28,2
II3. 6
56,6
195,4
152,6
135,6
119
164.6
41.5
121,6
63-4
232.6
188,6
137
150,6
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592
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223.4
169 8
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55,6
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249.4
188,4
189.4
169 4
276,2
68,5
249,3
130-7
230,8
172,6
182,8
162,4
291,6
73,9
242,6
130.6
209.8
172.8
171
153-6
292
73 2
238.4
132.8
189
153.2
159.8
146,4
252,6
63,1
225,2
130,6
174
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152
143
244
52
223
132
180
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148
126
248
62,5
221
128
190
I48
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137
231
214
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167
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168
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232
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164
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156
169
265
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143.1
146,2
145,8
142,8
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135
150
158
150
149
148
Preufsischer Staat
(alten Bestandes)
1816-20
206,2
151. 8
131. 4
129,8
162.4
38.6
146,6
66,6
1821—30
121,4
86.8
76 6
79.8
97
24,8
101,6
46,6
1831—40
1384
100.6
87,6
91,6
107,4
26,4
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51,6
1841—50
167,8
"3
111,2
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130
34
120
56,6
1851 — 60
211,4
165 4
I50.2
144
176
47,4
146,6
70
1861 — 70
204
154.6
I46
140,2
168,2
44-8
178,4
86,6
1871—75
235 2
1792
170,8
I63.2
224.4
60.4
231,3
114,7
1876—80
211,2
166,4
162
1526
231.8
60,6
224
114 8
1881 — 85
189 6
160
1548
I45.8
237 2
52.6
223.6
117,8
1886—90
175,3
!43
138,4
1353
209.4
45.7
211,5
H4,5
1886
157
134
131
133
208
41
2IO
117
1887
164
125
128
113
205
46
207
113
1888
174
135
135
I30
197
46
206
I08
1889
192
154
138
143
214
49,2
217
112
1890
189.7
167
160,2
157.7
223,2
46,2
217,5
122,6
1891
218.75
204.5
164,6
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224 5
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215.25
122.25
1892
188 3
176
155 2
149,4
237,7
61,7
222,6
122,6
1893
146,9
127,8
139 2
150,9
2l8,6
41,1
221,9
Il6,5
78,4
55
61,6
73.6
91,6
105
126
124
124,8
121,8
119
113
112
126
138,8
123,5
1293
126,4
Die Zahlen sind den verschiedenen Jahrgängen der Zeitschrift des preufs. Statist.
Bureaus entnommen und für die ältere Zeit auf das jetzige Mafs umgerechnet. J. C.
732
Miszellen.
Preise in Halle a. S.
in Mark.
a
ö
w'
0
09
• ~
oj ja
= J3
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-0 0
» 0
'S °
Jahreszahl
»
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3
03
pro
Tonne
pro
Metercentner
1731-40
65,8
53,4
46,8
46.2
29,2
29.2
26,9
30,6
1741 — 50
78,6
65.7
504
54,6
299
35
31.2
38,1
—
1751—60
70,4
56.8
47,4
52,2
29,4
30,2
29
33-4
—
1761—70
123.4
98,5
75,6
892
49.2
56
51,6
59.8
—
1771 — 80
9t>,8
88.4
62 6
69,2
38
37,6
42
46 1
—
1781—90
95-2
7M
58,6
66.2
40 4
36.7
44,5
52a
—
1791—1800
in. 2
88,4
75
88,4
48.6
43 4
485
584
—
1801 — 10
188,8
161. 4
130,2
1396
71,6
54,3
77
89,9
—
1811 — 20
189,8
148,4
121,8
!33,4
1821—30
•25
95,2
81,9
93
1831 — 40
134.6
IOI
85
93 4
1841—50
156.6
118,8
98
102,8
76,6
48.1
71,2
83,7
151,4
1851 — 60
201,2
170
H7
144
92,6
53 4
80 1
98
187
1861 — 70
200.2
162 5
143,2
140 2
103,3
683
88.3
100
2IO
1871—75
232,4
189 4
188
177,6
123,9
101,4
115. 8
106.8
262,2
1876—80
200,4
174,6
179,4
161
119
104,9
Il6
ic6,6
201,6
1881—85
1838
163,6
166,4
152,4
Il8
106
118
120
262
1886—90
171,8
149.9
162,4
140,9
126,1
II4. 6
II6.2
123,9
253
1886
158
I42
152
138
126
IIO
Il6
120
252
1887
163,2
126,4
I51- 8
104,4
125
111,3
II5-4
118,3
253.3
1888
171,6
I4I
160
138,2
125
HC
I'5
120
250,9
1889
178
164
174
158
127,6
112 6
"5-6
126,2
255
1890
188
I76
174
166
127
I29
119
*35
254
1891
216,79 |
213,96
174,41
163,87
131,66
134,79
120
'35
247,91
1892
183,6
178,6
I7I.7 1
1525
135
135.6
I20.8
1342
250.8
1893
lS°>9 1
136,2
^SA 1
167,4
139,6
H3,7
129,2
139.6
260
Jahreszahl
a
c
b£
tfl
bD
M
O
pro Tonne
bd
<B ja
X a
Q. C/J
:0 'S
CO
pro Metercentner
gl
ey *"
1731 — 50
1751—70
1771 — 90
1791 — 1810
1811 — 30
1831—50
1851—70
1871—80
1881—85
1886—90
1886
1887
1888
1889
1890
1891
1892
1893
IOO
J34
133
208
218
203
270
300
255
237,9
219
226
261
270,5
286
300 2
254.3
209,0
IOO
IOO
102
140
138
134
2IO
226
204
224
184
194
279
285
305
377
j 275
342
251,9
334-2
241
3'3
212
312
264
342
307'1
37i,8
330
372
359,6
382.3
300,2
353»3
228,7
339,7
IOO
140
134
226
224
194
285
336
302
280
274
207
299
359-3
359
325-1
302.3
332,1
Für die ersten beiden Jahrzehnte ist der
höhung von 12 : 14 berechnet.
*) Durchschnitt von 1841—50.
IOO IOO 100 IOO
103 134 138 132
103 115 142 139
206 152 215 210
259*) 150*) 206*) 233*)
332 189 289 283
4" 321 399 334
401 330 406 349
427.5 357,2 400 360,»
4°8 343 399-3 349
423 347 397,2 344
423 343 395-8 349
437.6 386.2 397,8 367,6
428,8 435.5 409,5 393.»
4463 420.2 4129 393.2
457,6 422,8 4»5 8 390.S
473-2 447-7 441,3 406,4
Münzveränderung entsprechend eine Er-
M iszel len.
733
Jahreszahl
ja
,
a
0)
N
'S
u
s
U
he
o
M
V3
U
O
n
CO
'3
qa
a
.2
CO
et
» ja
Q. vi
2 3
a ja
1.3
P CU
•^ qa
03
UJ
so
CO
1731—40
1741—50
1751 — 60
1761 — 70
1771—80
1781—90
1791 — 180t
1801 — 10
1811—20
1821—30
1831—40
1841—50
1851—60
1861 — 70
1871—75
1876—80
1881 — 85
1886 — 90
1886
1887
1888
1889
1890
1891
1892
1893
Verhältnis zum Roggenpreise
IOO
123
88
87
546
546
504
671
100
119
77
83
455
533
475
580
IOO
124
83
92
5i7
532
5'o
590
IOO
125
72
90
499
568
524
608
IOO
HO
7i
78
441
425
476
522
IOO
I25
76
82
529
480
582
681
IOO
126
85
IOO
550
496
548
661
IOO
117
81
86
463
35i
45i
58i
IOO
128
82
90
—
—
—
—
IOO
131
86
98
—
—
—
—
IOO
133
84
92
—
—
—
—
IOO
132
83
87
645
405
599
705
IOO
118
87
85
545
3'4
47i
576
IOO
123
88
83
636
420
528
615
IOO
122,7
993
93,8
653,5
5355
611,3
561,2
IOO
114,8
102,7
92,2
681,8
600,9
664,6
667,8
IOO
112
102
95
721
640
721
733
IOO
114,6
108,3
94
841,2
764,5
775,2
826,5
IOO
III
107
97
887
774
817
845
IOO
129
120
83
988
881
813
836
IOO
121,7
II3.5
98
886,6
780
815,6
852
IOO
108.5
106,1
96,3
778
686,6
704,9
769,5
IOO
106,8
98.9
94,3
710,2
721,6
675
757,7
IOO
101,32
81,51
76,59
6i5,4
630
560,9
631,-
IOO
102,8
96,1
854
755,9
759,3
676,5
75i,2
IOO
HO,8
121,2
122,9
1024,9
1055,1
948,6
1024 9
1274
IIOO
1292
1384,4
1499,4
1601
1687,8
1755
2004
1779.4
1555-9
1443-2
1158,7
1404,4
1908,9
Die Zahlen sind für die ältere Zeit den Wochenberichten des Lokalblattes , dann
den Magistratsakten, für die achtziger und neunziger Jahre der Zeitschrift des preufsischen
statistischen Bureaus entnommen. S. Bd. XXXIV, S. 83. J. C.
734 Mi s zellen.
XVI.
Die deutsche Silberkommission.
Von W. Lexis.
Als der Reichskanzler seine Absicht kundgab, eine Enquetekommission
einzuberufen, die über Mafsregeln zur Hebung und Befestigung des Silber-
wertes beraten solle, war es wohl ziemlich übereinstimmend die Meinung
aller Parteien, dafs die Regierung mit diesem Schritte den Zweck ver-
folge, die durch den deutsch-russischen Handelsvertrag hervorgerufene
tiefgehende Aufregung und Beunruhigung der agrarischen Kreise einiger-
mafsen zu beschwichtigen. Die Anhänger der Goldwährung hofften, dafs
es sich nur um einen Schachzug handele, der bestimmt sei, der Regierung
in einer besonders schwierigen und kritischen Periode Luft zu verschaffen,
voraussichtlich aber ohne praktische Folgen bleiben werde. Auch die
Bimetallisten waren geneigt, die Sache in diesem Sinne aufzufassen;
sie gaben ihr Mifstrauen indes teilweise auf, nachdem der preufsische
Landwirtschaftsminister am 18. Januar 1894 im Herrenhause eine Er-
klärung abgegeben hatte, die sie als ein wichtiges Zugeständnis in ihrem
Sinne deuten zu dürfen glaubten. Herr v. Heyden erklärte nämlich im
Namen der preufsischen Staatsregierung, „dafs bei der von dem Herrn
Reichskanzler angekündigten Enquete nicht beabsichtigt werde, die ge-
samte Währungsfrage, wie sie sich in den Gegensätzen von Gold- und
Doppelwährung darstelle, nochmals von Grund aus wissenschaftlich pro
et contra zu erörtern; in dieser Beziehung liege schon ein überreiches
Material vor; die Enquete sei vielmehr als ein ernstlicher Versuch zu
betrachten, die Währungsfrage aus dem Gebiet der theoretischen Dis-
kussion auf den Boden praktischer Vorschlage überzuführen".
Graf Mirbach beeilte sich, aus diesen Worten die Konsequenz zu
ziehen, dafs die Staats- und auch die Reichsregierung das Prinzip der
internationalen Festsetzung eines Wertverhältnisses der Edelmetalle aner-
kenne und dafs es sich nur noch darum handele, die gegen die Durch-
führung desselben und in betreff der Wahl der Relation noch bestehen-
den Bedenken zu heben und Uebergangsmafsregeln zu treffeu. Die Ver-
treter Deutschlands auf der Pariser Müuzkouferenz von 1881 hätten ja
bereits erklärt, sie hielten es durchaus für möglich, dafs durch eiue Ver-
einbarung zwischen den grofsen in der Konferenz vertretenen Ländern
eine Relation zwischen Gold und Silber nach festem Verhältnis herbei-
Miszelleu. 735
geführt werde. Als Prinzip genüge das vollkommen und demnach, sollte
die Enquete nach Graf Mirbach's Ansicht nur die Aufgabe haben, „prak-
tische Vorschläge zu machen, um eine international acceptierte Relation
zwischon Gold und Silber anzubahnen". Er hat sich später, nämlich in
der Erklärung seines Austritts aus der Silberkommission, darauf berufen,
dafs seine Ausführungen im Herrenhause keineu Widerspruch von seiten
der Staatsregierung gefunden hätten, doch gab er zu, dafs die darauf
folgenden Aeufserungen des Reichsbankpräsidenten seiner Auffassung uud,
wie er annimmt, auch den Erklärungen der Staatsregierung widersprochen
hätten. Für das unbefangene Urteil aber dürfte es doch völlig klar sein,
dafs in den Worten des Landwirtschaftsministers nichts weniger als das
Zugeständnis liegt, dafs Deutschland prinzipiell einem bimetallistischen
Staatenbunde beizutreten bereit sei und dafs nur noch über die Einzel-
heiten des Vertrags und die Uebergangsmafsregeln zu beraten sei. Am
wenigsten aber Jäfst sich diese Anschauung durch die Erklärungen der
deutschen Delegierten auf der Pariser Münzkonferenz begründen. Diese
Erklärung (in der Sitzung vom 5. Mai 1881) lautete: „Nous reconnaissons
sans re'serve qu'une rdhabilitation de l'argent est ä desirer, et qu'on
pourrait y arriver par le re'tablissement du libre monnayage de l'argent
dans un certain nombre des dtats les plus populeux
repr^sentes a cette Conference, qui, a cette fin, prendraient
pour base un rapport fixe entre la valeur de l'or et celle de l'argent."
Allerdings ist dies ein wichtiges Zugeständnis an die bimetallistische
Theorie, aber schon der obige Wortlaut läfst ahnen, dafs Deutschland
selbst zu der „grofsen Anzahl von Staaten", die das Experiment macheu
könnten, nicht gehören wollte. In der That heifst es dann auch weiter:
„Neanmoins, l'Allemagne, dont la reforme monetaire se trouve ddja si
avance"e et dont la Situation mone'taire geudrale ne semble point inviter
ä un changement de Systeme d'une aussi vaste portee, ne se voit pas a
meme de conceder, pour ce qui la concerne, le libre monnayage de
l'argent. . . . Le gouvernement imperial se voit, d'autre part, tout dis-
pose* a, seconder de son mieux les efforts des autres Puissances,
qui voudraient se reunir en vue d'une rehabilitation de l'argent par le
moyen du libre monnayage de ce rndtal".
Nun werden die Zugeständnisse aufgeführt, die Deutschland zur
Unterstützung der Bestrebungen der übrigen Staaten zu machen bereit
sei. Und wie lauten diese ? Während „einiger Jahre" will das Reich
die Silberverkäufe ganz einstellen und während einer „periode d'une certaine
durde" will es nur eine beschränkte und so geringe Quantität Silber ver-
kaufen , dafs der Markt dadurch nicht belastet werde. Die Feststellung
dieser beiden Fristen soll Gegenstand weiterer Unterhandlungen sein.
Vielleicht würde sich Deutschland entschliefsen, dem Silber mehr Kaum
in seiner Cirkulation zu schaffen und zwar durch Einziehung der goldenen
Fünfmark stücke und der Reich>kassenscheine von 5 Mark und etwa auch
noch durch Umprägung der silbernen Fünf- und Zweimarkstücke nach
einem der Relation 1:15 1/g nahe kommenden Wertverhältnis, während
sie gegenwärtig nach dem Verhältnis von ungefähr 1:14 geprägt sind.
Und zum Schlufs sagen die Delegierten ganz ernsthaft: „Voilä, Messieurs,
736 Mis zellen.
les concessions que le gouvernement imperial vous proposerait et dont
ses Delegues sont prets ä discuter la port^e et les details d'execution."
Zur Beleuchtung dieser „Konzessionen" mufs man sich erinnern, dafs
damals die deutscheu Silberverkäufe thatsächlich schon seit 2 Jahren ein-
gestellt waren, weil man den Preis von 51 — 52 Pence für zu verlust-
bringend hielt. Hätten Frankreich, die amerikanische Union und einige
andere Staaten eine gemeinsame Doppelwährung angenommen , so würde
ohne Zweifel das Wertverhältnis 1:15 '/2 so lange annähernd aufrecht
erhalten worden sein, dafs Deutschland allmählich den Rest seines Thaler-
silbers ohne nennenswerten Verlust hätte verkaufen können. Die goldenen
Fünfmarkstucke hatten sich bereits als unzweckmäfsig erwiesen und wurden
nicht mehr geprägt; die Ersetzung der Reichskassenscheine von 5 M.
durch Zwanzig- und Funfzigmarkscheine wäre ebenfalls kein Opfer ge-
wesen und dasselbe gilt von der Verbesserung des inneren Gehaltes der
Reichssilbermünzen von 2 und 5 M. Trotz der theoretischen Anerken-
nung des bimetallistischen Prinzips liefen also die Vorschläge der deutschen
Delegierten praktisch auf die volle Durchführung der deutschen Goldwäh-
rung unter möglichst günstigen Bedingungen hinaus. Deutschland machte
also in „Bimetallismus für die Ausfuhr", wie England dies ebenfalls seinen
Interessen entsprechend findet. Aber was geschah? Fürst Eismarck fand,
dafs jeue „Zugeständnisse" noch zu weit gegangen seien und er veran-
lafste eine nachträgliche starke Einschränkung der Tragweite derselben.
In der Sitzung vom 17. Mai 1881 sagte Herr v. Thielmann in Bezug
auf die frühere Erklärung: „Cette declaration ne contient point des offres
faites par le Gouvernement imperial aux Puissances representees ici.
M. M. les Delegues de l'Allemague se sont born^s a emettre cette opinion,
que peutetre l'Empire allemand pourrait prendre en consideration des con-
cessions en vue d'un arrangement eVentuel qui serait de nature ä relever
le prix de l'argent. Comme ils l'ont dit, Pinte'ret de l'Allemagne daus
cette question n'e'gale point celui de plusieurs autres Puissances. Les
decisions ulterieures du Gouvernement imperial, ainsi qu'ils l'ont loyale-
ment indique*, ne sont prejug^es ni par sa partieipation ä cette Conference,
ni par les observations de ses Delegues."
Dafs Fürst Bismarck diese berichtigende Erklärung persönlich ver-
anlafst hat, ist am 12. Dezember 1892, wie Bamberger in der Silber-
kommission in Erinnerung brachte, von dem Reichskanzler Grafen Caprivi
aktenmäfsig festgestellt worden. Eigenhändig schrieb Bismarck u. a. über
jene „Verheifsungen": „Sie enthalten nichts, was nicht von uns bewilligt
werden könnte; aber die Kundgebung der Bereitwilligkeit dazu ist ver-
früht und in der Form fast ein Versprechen. Sie ist geeignet, bei den
aufserdeutsechen Delegierten mifsverständliche Meinungen über die Opfer
zu erwecken, welche Deutschland zur Förderung eines Arrangements zu
bringen bereit ist." Diesem Standpunkt entsprechend haben sich denn
auch die Vertreter Deutschlands auf der Brüsseler Müuzkonfereuz von
1892 durchaus passiv verhalten. Schon in der ersten Sitzung erklärte
der deutsche Gesandte, dafs das Reich mit seinem Münzsystem zufrieden
sei und nicht daran denke, es zu ändern. Und nun soll die Reichsregie-
rung oder wenigstens die Regierung des gröfsten Bundesstaates nach der
Mis zellen. 737
Ansicht des Grafen Mirbach im Anfang des Jahres 1894 an die Möglich-
keit gedacht haben, praktisch den Uebergang zum internationalen Bime-
tallismus vorzubereiten! Das äußerste, was man aus der früheren Haltung
der Reichsregierung schliefseu könnte, war doch nur dies, dafs das Reich
bereit sein würde, falls andere Staaten die Doppelwahrung annehmen oder
irgend welche andere Mafsregeln zur Hebung der Silberwährung treffen
wollten, seinerseits diese Bestrebungen durch gewisse Zugeständnisse an
das Silber zu unterstützen, ohne aber von dem Prinzip der einfachen
Goldwährung abzuweichen. Auch unterliegt es keinem Zweifel, dafs die
Reichsregierung ernstlich die Absicht hatte, falls die Beratungen der Silber-
kommission einen gangbaren Weg in diesem Sinne aufweisen sollten, diesen
auch wirklich zu betreten, dafs für sie also die Einberufung der Kom-
mission keineswegs ein blofses Auskunftsmittel in einer momentanen Ver-
legenheit sein sollte.
Die Bimetallisten blieben jedoch bei der Auffassung , dafs die Kom-
mission entweder den Uebergang zur internationalen Doppelwährung vor-
bereiten müsse oder dafs sie überhaupt keinen Zweck habe. Sie waren
daher auch mit der Zusammensetzung der Kommission sehr unzufrieden,
weil sie das Zustandekommen einer biraetallistischen Majorität nicht er-
warten liefs x). Daher nahm Graf Mirbach an der ersten Sitzung der
Kommission (am 22. Februar 1894) nur teil, um zu erklären, dafs er
bei der gegebenen Zusammensetzung der Kommi.-sion seine Beteiligung an
den Arbeiten derselben für zwecklos halte und daher ausscheide. Nach
seiner Meinung dürfte die Kommission nur aus Männern zusammengesetzt
sein, die auf dem Boden 6täuden, dafs sie das Silber als vollwertiges Münz-
metall acceptierten. Herr v. Karrlorff indes erklärte, dafs er und die
übrigen bimetallistischen Mitglieder, wenn sie auch die Gründe des Aus-
tritts des Grafen Mirbach vollständig würdigten, doch den Versuch machen
wollten, die Informationen zu geben, die die Regierung zu haben wünsche,
in der Hoffnung, dafs vielleicht etwas Praktisches und Nützliches aus den
Beratungen der Kommission hervorgehen könne. In der That lag für die
Bimetallisten, wenn sie auch in der Minderheit waren, kein Grund vor,
ihre Mitarbeit zu verweigern, da Mehrheitsbeschlüsse, wie der Vorsitzende,
Reichsschatzsekretär Graf Posadowsky, von vornherein erklärt hatte, über-
haupt nur in Bezug auf den äufseren Gang der Verhandlungen, nicht
aber über das Materielle der Vor&chläge gelafst werden sollten. Jeder
1) Die Mitglieder der Kommission waren : a) Bimetallisten: Abgeordneter Dr. Arendt,
Abg. v. Kardorff-Wabnitz, Geh. Bergrat Leuschner, Bankdirektor Neustadt, Dr. Freiherr
v. Schorlemer-Alst, später durch den Abg. von Schalscha ersetzt, Graf Mirbach, an dessen
Stelle der Fabrikant O. Wülfing trat; b) Vertreter der Goldwährung: Dr. Bamberger,
Generalsekretär Bueck , Bankdirektor Biising, Abg. Dr. Hammacher , Prof. Dr. Lotz,
Kaufmann A. O Meyer (durch Bankdirektor Brüssel ersetzt, der aber ebenfalls austrat
und nicht ersetzt wurde), Generalkonsul Kussell, Bankdirektor Dr. Ströll ; c) in vermit-
telnder Stellung: Bankdirektor Königs und Prof. Dr. Lexis. Als Regierungskommissare
waren bestellt von Seiten des Rnichs die Geheimenräte Dr. v. Glasenapp, Härtung, Her-
zog, von Seiten Preußens die Geheimenräte Dr. Ullmann, Dr. Hauchecorue, ür. Wentzel
und die Regierungsräte Dr. v. Guenther und Lusensky , von seiten Bayerns: Ministerial-
direktor Fihr. von Stengel und Ministerialrat von Landmann, von Seiten Sachsens: Geh.
Bergrat Prof. Dr. Zirkel, von Seiten Württembergs: Bergrat und Münzwardein Dr.
Klüpfel.
Dritte Folge Bd. VIII (LXin). 47
738 Miszellen.
einzelne Vorschlag würde seitens der Reichsregierung zum Gegenstand
eingehender Prüfung gemacht werden.
Was im übrigen deu Inhalt der einleitenden Ansprache des Vor-
sitzenden betrifft, so giebt sie den Standpunkt der Reichsregierung klar
zu erkennen: sie verschliefse sich nicht der Erkenntnis, dafs die seit
etwa 20 Jahren eingetretene fortgesetzte starke Entwertung des Silbers
auch tür Deutschland, namentlich für seine Silbervorräte und Silbermünzen,
für seinen Bergbau und seine Handelsbeziehungen von weittragender Be-
deutung sei. Obgleich Deutschland sich in sicherem Besitz
der Goldwährung befinde, erkenne die Reichsregierung doch in der
zunehmenden Silberentwertung eine ernste wirtschaftliche Frage, die ein-
gehender Prüfung bedürfe. Es sei daher auch schon im vorigen Jahr6
eine Kommission von Vertretern verschiedener Ressorts gebildet worden,
die nach einem vorgeschriebenen Programm die Präge hätte behandeln
sollen. Um aber den aus wirtschaftlichen Kreisen geäufserten Wünschen
entgegenzukommen, habe der Reichskanzler beschlossen, diese Untersuchung
durch die Einberufung einer Kommission von Sachverständigen verschie-
dener Lehrmeinungen und Berufsstände auf eine breitere Grundlage zu
stellen und dieser Kommission insbesondere die Prüfung der Frage zu
übertragen, ob und eventuell durch welche Mafsregeln es ausführbar er-
scheine, den Wert des Silbers wieder zu heben und zu befestigen.
Der sichere Besitz der Goldwährung wird also betont, die
Frage, ob überhaupt Mafsregeln zur Hebung und Befestigung des Silber-
wertes möglich seien, wird keineswegs von vornherein bejaht, sondern
eben als der zu untersuchende Punkt bezeichnet und über die Gröfse der
möglichen Hebung wird gar nichts gesagt, also die Wiederherstellung des
alten Silberwertes keineswegs in Aussicht genommen.
Die Regierung erwartete also, dafs aus dem Schof3e der Kommission
Vorschläge zur Beratung gestellt würden. Daher fand nach der Eröff-
nungssitzung eine Vertagung statt, um den Mitgliedern Zeit zu geben,
etwaige Anträge zu formulieren und einzureichen. Von seiten der Gold-
währungspartei war natürlich nichts von dieser Art zu erwarten ; sie
betrachtete sich überhaupt als den angegriffenen Teil und hielt sich ledig-
lich auf der Defensive. Die Bimetallisten hätten am liebsten purement
et simplement die internationale Doppelwährung mit dem Wertverhältnis
1:15 1/2 beantragt und sie legten daher in der That zunächst nochmals
den von den Grafen Kanitz und Mirbach im Reichstag eingebrachten Ent-
wurf eines Münzgesetzes vor, das die freie Silberprägung nach dem Wert-
verhältuis 1 : 15 1/2 einführt, jedoch erst auf Grund einer vom Kaiser
mit Zustimmung des Bundesrates zu erlassenden Verordnung in Kraft treten
soll, wenn auch andere Grofsstaaten zur freien Silberprägung übergegangen
sind. Jedoch wird schon für die Zwischenzeit eine beschränkte Silber-
prägung auf Rechnung der Bundesstaaten in Aussicht genommen, und
zwar sollen zunächst 75 M. auf den Kopf, d. h. rund 3750 Mill. M. zur
Prägung zugelassen werden! Es würde dann also schon in einigen Jahren
mehr Silber- als Goldgeld im Umlauf sein, ganz abgesehen davon, dafs
in der Uebergangszeit, bevor die übrigen Staaten ebenfalls die Silber-
prägungen aufnähmen — (die aber gar keine Veranlassung hätten, unter
Itfiszellen. 739
solchen Umständen dem deutschen Beispiel zu folgen) das Gold infolge
der Geldinflation abfliefsen würde. Charakteristisch für diesen Entwurf
ist auch, dafs er keinen internationalen Vertrag einschliefst. Deutschland
soll einfach sagen, es werde dieses Gesetz in Kraft setzen, sobald andere
Grofsstaaten ebenfalls die Silberprägung — natürlich nach demselben Wert-
verhältnis — freigäben. Herr von Kardoiff hat in der Kommission wieder-
holt erklärt, dafs auch er die faktische Herstellung der internationalen
Doppelwährung ohne besonderen Vertrag für das richtigere Verfahren
halte.
Da indes dieser radikale Kanitz'sche Antrag in der Kommission und
auch wohl bei der Reichsregierung einen gar zu ungünstigen Boden ge-
funden hätte, so reichten die Herren Dr. Arendt, v. Kardorff, Leuschner
und Wülfing einen Vorschlag zu Uebergangsmafsregeln ein. In demselben
wird erklärt, dafs die Hebung und Festlegung des Silberwertes die Durchfüh-
rung der internationalen Doppelwährung erfordere. Um diese herbeizu-
führen sei seitens des Deutschen Reiches eine internationale Münzkonfe-
renz nach Berlin einzuberufen und dieser ein Doppelwährungsvertrag vor-
zulegen. Die Kommis.-ion habe diesen Vertrag vorzuberaten und dabei
sei zu erwägen, ob derselbe ohne England sofort oder mit England nach
dessen Beitritt in Kraft treten solle. Der Münzkonferenz seien Ueber-
gangsmafsregeln zur Hebung des Silberwertes vorzuschlagen, welche die
Antragsteller später der Kommission vorlegen würden.
Ferner wurde ein halbbimetallistischer Vorschlag, der später eben-
falls als Uebergangsantrag bezeichnet wurde, von dem Bankdirektor Neu-
stadt eingereicht, der u. a. die Bestimmung enthielt, dafs die Vertrags-
staaten die Silberbergwerke in ihren Landesgebieten auf gemeinschaftliche
Rechnung ankaufen und verwalten lassen sollten, oder dafs sie, wenn
diese Erwerbung auf unüberwindliche Schwierigkeiten stiefse, wenigstens
den Ankauf des in ihren Gebieten gewonnenen Silbers monopolisieren
sollten.
Ein Vermittlungsantrag des Bankdirektors König stellte eine Modi-
fikation des von demselben Verfasser ausgegangenen Vorschlags dar, über
den an dieser Stelle vor kurzem (Bd. VII, S. 482) berichtet worden ist.
Nach demselben sollen möglichst viele Staaten sich vereinigen, um die
bisherigen Silberkurant- und gröfseren Scheidemünzen durch Münzen mit
unbeschränkter Zahlungskraft innerhalb des Emissionslandes zu ersetzen,
die naih dem Wertverhältnis 1:24 zu prägen wären. Aufserdem soll
jeder Staat sich verpflichten, von den Silberprägungen einen Schlagschatz
von wenigstens 10 Proz. zu erheben, den er nach Belieben auch jeder-
zeit bis 20 Proz. erhöhen könnte. Die Münzstätten der kontrahierenden
Staaten sollen Silber von Privaten zur Prägung annehmen, jedoch brauchen
sie nicht mehr als jährlich eine Mark für den Kopf der Bevölkerung zu
prägen, und diese Prägung mufs entsprechend der Ablieferung des Münz-
metalls in gleichmäfsigen Monatsraten erfolgen. Die indischen Münz-
stätten müfsten wieder der freien Silberprägung geöffnet werden. Noch
weniger entfernte sich der von mir vorgelegte Antrag von dem beste-
henden deutschen Münzsystem. Deutschland soll hiernach den übrigen
beteiligten Staaten mitteilen, dafs es bereit sei, zunächst 10 Jahre hin-
47*
740 Misz eilen.
durch jährlich eine bedeutende Quantität neues Feinsilber zur Prägung
zu verwenden, wenn die anderen Staaten sich ihrerseits ebenfalls zur
Ausmünzung angemessener, in den Verhandlungen noch näher festzustel-
lenden Silberquantitäten verpflichteten. Dabei sollte jeder Staat in den
näheren Bestimmungen über diese Prägungen , über die Wahl des Wert-
verhältnisses , den etwaigen Schlagschatz u. s. w. völlig freie Hand be-
halten, wenn er sich nicht etwa freiwillig dem von Deutschland ange-
nommenen System anschlösse.
Für Deutschland aber wurde nun empfohlen, mindestens die Thaler
und die silbernen Fünfmarkstücke nach dem Wertverhältuis 1:21 zu
Zweiundeinhalbmarkstücken umzuprägen. Besser wäre es allerdings, wenn
auch die Zweimarkstücke der Umprägung unterworfen würden, in welchem
Falle die neuen schweren Silbermünzen, die man mit einem bereits von
Soetbeer gebrauchten Ausdruck als Hauptsilbermünzen bezeichnen
könnte, den Nennwert von zwei Mark erhalten würden.
Die Hauptsilbermünzen, die als Zweiundeinhalbmarkstücke einen Ge-
halt von 18,817 und als Zweimarkstücke einen solchen von 15,054 g
Feinsilber besitzen würden, sollen von allen öffentlichen Kassen unbe-
schränktangenommen werden, Privaten gegenüber aber gesetzliche Zahlungs-
kraft bis zu 1000 M. besitzen, und im Barvorrat der Reichsbank und
der übrigen Notenbanken als vollgiltiges Deckungsmittel bei der Be-
stimmung der steuerfreien Notenreserve angerechnet werden, wie dies
gegenwärtig ja auch mit den Scheidemünzen geschieht. Ihr Gesamt-
umlauf soll, natürlich nur durch Prägung für Rechnung des Reiches, über
den Gesamtnennwert der einzuschmelzenden Münzen um einen mäfsigen
Betrag hinausgehen, so dafs im ganzen an Hauptsilber- und kleineren Silber-
scheidemünzen 20 M. auf den Kopf der Bevölkerung kommen würden,
und zwar bei der beschränkteren Umprägung 121/2 M. in Münzen der
ersteren und 7 l /2 M. in Münzen der letzteren Art. Nach dem weiter-
gehenden Projekt würde die Kopfquote der ersteren 14x/2 M. die der
letzteren 5 x/2 M. betragen. Wird die Bevölkerung zu 50 Mill., der
Thalervorrat zu 420 Mill. M., der Bestand an Fünfmavkstücken zu
53,3 Mill. M. angenommen, so ergiebt sich für die Prägungen in diesem
Umfange ein Bedarf von 1 950 000 kg Feinsilber, also bei einer Ver-
teilung desselben auf 10 Jahre, von jährlich 195 000 kg. Würden auch
die 111,7 Mill. M. in Zweimarkstücke umgeprägt, so könnte man in
diesem Zeiträume jährlich etwa 216 000 kg neues Feinsilber verwenden.
Das Reich behält sich das Recht vor, iiese Prägungeu zu vermindern
oder einzustellen, wenn der Londoner Silberpreis über 40 Pence hinausgeht.
So weit reicht der eigentlich münzpolitische Vorschlag. Aufserdem
werden aber auch finanzielle Mafsregeln empfohlen, weil voraussichtlich
das Reich nicht geneigt sein würde, grofse Kosten auf die an sich kaum
abweisbare Reform unserer Silbermünzen zu verwenden. Die Kosten der
beschränkteren Umprägung würden sich infolge der Erniedrigung des
Wertverhältnisses für das Silber auf 137, die des weiteren Projektes auf
174 Mill. M. belaufen. Man könnte nun zu diesem Betrage Münzscheine,
etwa in Stücken von 5 und 10 Mark ausgeben, von denen ein grofser
M i s z el I e n. 741
werden könnte. Das Wertverhältnis entspricht dem Londoner Silberpreise
von 44,9 Pence und wenn sich der thatsächliche Preis iuf'olge der inter-
nationalen Mafsregeln auf durchschnittlich 38 Peuce, d h. ungetähr den vor
dem 26. Juni 1893 geltenden Jahresdurchschnitt stellte, so würde sich
aus der in Aussicht genommeneu Prägung in zehn Jahren ein Gewinn
von etwa 39 Mill. M. ergeben. Da die Bevölkerung in diesem Jahr-
zehnt wieder um etwa 4 Mill. Einwohner zugenommen haben würde, so
wäre wieder Kaum für eine weitere Ausmüuzung von 80 Mill. M. ge-
schaffen, die wegen der darin mit enthaltenen stark unterwertigen kleinen
Scheidemünzen einen weiteren Gewinn von 20 Mill. M. liefern würde.
In der Folge würde allerdings der Münzgewinn nnr mäfsig sein, doch
würde das Reich es wohl auch als zweckmäfsig anerkennen, jährlich einige
Millionen zur Beschleunigung der Einziehung dieser ungedeckten Münz-
scheine zuzuschiefsen. Uebrigens würde es sich empfehlen solche Münz-
scheine auch gegen Hinterlegung des gleichen Betrags in Hauptsilber-
münzen auszugeben, um dem Publikum keinen Anlafs zu geben, über
die Unbequemlichkeit dieser Münzen zu klagen. Hinsichtlich ihrer
Zahlungskraft und ihrer Fähigkeit als Notendeckung zu dienen, wären
die Münzscheine den Hauptsilbermünzen gleichzustellen.
Im ganzen müfsten die an dem Vertrage sich beteiligenden Staaten
annähernd die Gewichtsmenge Silber jährlich neu ausprägen, die bis zur
Aufhebung der Sherman-Akte jährlich von den Vereinigten Staaten auf-
genommen wurde. Wenn dann zugleich, was Voraussetzung des ganzen
Systems ist, die indischen Münzstätten wieder für die freie Silberprägung
geöffnet würden, so dürfte man mit genügender Sicherheit die Wieder-
herstellung des Silberpreise* erwarten, der in der letzten Zeit vor der
Einstellung der indischen Prägungen sich behaupten konnte, also etwa
38 — 39 Pence. Das Hecht der Regierung, bei einem Silberpreise von
mehr als 40 Pence die Prägungen zu beschränken oder einzustellen, hat
nur den finanziellen Zweck, einen gewissen Münzgewinn zur Ausgleichung
der durch die Reform entstehenden Kosten sicher zu stellen; wollte man
darauf verzichten , so könnte der Silberpreis vielleicht einmal auch bis
zu der dem Wertverhältnis 1:21 entsprechenden Höhe steigen. Sollte er
sogar darüber hinausgehen, so würden Silbermünzen mit Gewinn einge-
schmolzen werden können, was aber dem Reiche keinen Schaden, sondern
Vorteil bringen würde, da es ja den gröfsten Teil dieser Münze als
Deckung für umlaufende Münzscheine in den Händen haben würde.
Von dem bimetallistischen Uebergangsvorschlag des Dr. Arendt, der
erst später eingereicht wurde, wird unten die Rede sein.
Als die Kommission am 12. April wieder zusammentrat, beschlofs
man den Antrag Lexis zuerst in Beratung zu nehmen. Man begann also
mit dem am wenigsten von dem Bestehenden abweichenden Vorschlag,
während es in der Regel üblich ist, mit dem am weitesten gehenden den
Anfang zu machen. Indes würde auch bei diesem letzteren Verfahren
das Geschick meines Antrags wohl dasselbe geblieben sein. Es war mir
auch selbst von vornherein völlig klar, dafs derselbe weder bei den Ver-
tretern der Goldwährung noch bei den Bimetallisten Anklang oder Zu-
stimmung finden werde, da er den letzteren bei weitem nicht weit genug,
742 Miszellen.
den ersteren aber viel zu weit ging. So haben denn auch in den drei-
tägigen Verhandlungen alle Mitglieder der Kommission aufser dem An-
tragsteller mit mehr oder weniger Entschiedenheit gegen das Projekt ge-
sprochen.
Der Haupteinwand der Gold Währungspartei wurde von den Kosten
abgeleitet, die die Umprägung von 450 — 500 Mill. M. in Thalern und
und gröfseren Silberscheidemüuzen mit sich bringen würde. Mit diesem
Opfer von 137 oder 174 Mill. M. ständen die zu erwartenden Vorteile
in keinem Verhältnis; denn die neuen Silbermünzen blieben doch noch
immer minderwertig, man könne gar nicht wissen, ob der Silberpreis auch
nur bis 38 Pence steigen werde, zumal die Ankäufe nur für 10 Jahre
vereinbart würden; noi:h weniger aber dürfe man eine Befestigung des
Silberpreises erwarten, vielmehr würden dieselben Schwankungen möglich
bleiben, wie sie vor der Schliefsung der indischen Münzstätten trotz der
Sherman-Akte vorgekommen seien. Die Gefahr vollwertiger Nachprägungen
unserer Silbermünzen sei nicht hoch anzuschlagen , jedenfalls sei der
mögliche Verlust durch solche Fälschungen sehr klein im Vergleich mit
mit den Kosten einer Umprägung.
Von Seiten der Bimetallisten dagegen wurde es allerdings für sehr
wahrscheinlich gehalten, dafs mit der Zeit massenhafte Nachprägungen
vollwichtiger Silbermünzen stattfiuden würden, zumal diese allem Anscheine
nach in einigen Staaten, wenn es sich um fremde Münzen handle, nicht
strafbar seien. Auch wurde mit grofser Entschiedenheit die Unhaltbar-
keit des gegenwärtigen Zustandes des deutschen Münzwesens betont, da
die Thaler — etwa 400—420 Mill. M. — 55 Proz. und die Silberscheide-
münzen — 470 Mill. — 60 Proz. unterwertig seien. Aber der Antrag
Lexis könne keine Abhilfe schaffen; er sei nur eine verallgemeinerte
Sherman-Akte, indem statt der Voreinigten Staaten allein eine Reihe von
Staaten Silber ankaufen würden. Mit einem beschränkten Ankauf von
Silber könne aber niemals ein befriedigendes Ergebnis erreicht werden;
es müsse eine unbeschränkte Nachfrage nach Silber geschaffen werden,
wie sie durch die freie Prägung gegeben werde. Aber selbst wenn der
Preis von 38 Pence wieder erreicht würde, so wäre damit doch niemand
zufiiedengestellt. Im Anfang des Jahres 1893 habe dieser Preis be-
standen und doch habe man auch damals allgemein die Wiederherstellung
des Silberwertes verlangt und England habe die indischen Münzen ge-
schlossen, weil es jenen Preis nicht für geuügend erachtet habe.
Auf diese Einwendungen liefs sich freilich manches Berechtigte er-
widern. Einen wirklichen neuen Verlust würde das Reich durch die
Umprägungen der gröfseren Silbermünzen nicht erleiden , denn der Ver-
lust ist infolge der inneren Entwertung dieser Münzen schon da und er wird
bisher nur durch den Slaatskredit verdeckt. Wenn die Reform sich auch
nur auf die Thaler und Fünfmarkstücke erstreckte, so würde sich doch der
in den Silbermünzen und den auszugebenden Münzscheinen enthaltene
Kreditwert um 192 Mill. M. niedriger stellen , als die künstliche Ueber-
wertung des gegenwärtig vorhandenen Silbermünzbeslandes beträgt.
Uebrigens würde der gröfste Teil der Münzscheine, wie wir oben
bemerkt, in den ersten zehn Jahren aus dem wahrscheinlich etwa 15 Proz.
M i s z e 1 1 e n. 743
betragenden Prägungsgewinn getilgt werden und wenn sich das System so
lange bewährt hätte, so würde das Reich auch wohl eher geneigt sein, zur
Verbesserung seiner Scheidemüuzen besondere Aufwendungen zu machen.
Die Leichtherzigkeit, mit der man von Seiten der Goldwährungs-
partei die jetzige enorme iuuere Uuterwertigkeit unserer Silbermünzen
hinnimmt, scheint denn doch nicht gerechtfertigt. Die von den Biraetaliiateu
besonders betonte Gefahr der sogenannten „echten Nachprägung" halte
ich zwar nicht für sehr grofs, doch wäre es immerhin wünschenswert,
genauer festzustellen, ob wirklich in einigen Staaten die vollwertige Nach-
prägung fremder Münzen im Strafgesetz nicht vorgesehen sei. Angeb-
lich sollen sich bei der Rücklieferung der italienischen Scheidemüuzen
viele nachgeprägte vorgefunden haben, doch fehlen darüber noch zu-
verlässige Nachrichten. Die Meldung, die mit den Jahreszahlen 1886 und
1887 versehenen Münzen seien unecht, weil Italien in diesen Jahren über-
haupt keine solchen geprägt habe, war jedenfalls unbegründet, da nach
dem italienischen „Statistischen Jahrbuch" in beiden Jahren, 1887 sogar
ungewöhnlich reichliche Scheidemünzpräguugen stattgefunden haben. Die
eigentliche Gefährlichkeit der stark uuterwertigen Silbermünzen aber
würde sich erst in kritischen Zeiten zeigen, namentlich wenn bei einem
Kriege von längerer Dauer zu der — dann unvermeidlichen — Ausgabe
von uneiclöslichem Papiergeld mit Zwangskurs geschritten werden müfste.
Angenommen, es entstehe dann ein Goldagio von 10 — 15 Proz., so würde
offenbar das innerlich 55 — 60 Proz. unterwertige Silbergeld einfach wie
eine Vermehrung des Papiergeldes wirken, d. h. 1 Mark in Silber würde
nicht gleich dem zehnten Teil einer Goldkrone, sondern einfach ebenso
wie fünf Zwauzigpfeunigstücke in Nickel gleich einer Mark in Papier
gelten. So standen ja auch in Rufsland und Oesterreich die stark unter-
wertigen Silberscheidemünzen immer in gleicher Linie mit dem Papier-
gelde und ebenso erzielt gegenwärtig in Spanien das Gold ein gleiches
Agio gegen Kurantsilber wie gegen Papiergeld. In Italien standen bisher
die Silbermünzen allerdings dem Golde gleich, weil sie in den übrigen
Staaten des Münzbundes zu ihrem Nennwert ausgegeben werden konnten.
In einiger Zeit wird sich dies wahrscheinlich in Bezug auf die italienische
Scheidemünze ändern : wenn mit dem Ausschlufs derselben aus den Nach-
barländern voller Ernst gemacht wird und der Bevölkerung dies allmäh-
lich zum Bewufstsein kommt, so werden diese Münzen sich ebenfalls auf
den Wert des Papiergeldes stellen, da die Ansammlung und die Ver-
wendung desselben im Ausland dann keinen Gewinn mehr bringt. So
würden also auch in Deutschland die 890 Hill. M. Silbergeld von vorn-
herein im gleichen Niveau mit dem Papiergeld stehen und dem Sinken
desselben wenigsten bis zu einer gewissen unteren Grenze folgen. Wenn
freilich das Disagio 40 oder 50 Proz. erreichen sollte, so wäre das Ver-
trauen auf die Staatsfinanzen so sehr erschüttert, dafs dann selbst die
60 Proz. unterwertigen Scheidemünzen wieder einen gewissen Vorsprung
vor dem Papier erhalteu würden, weil sie dann doch wenigstens 40 Proz.
ihres Nennwertes in ihrem Stoffe selbst trügen. In jedem Falle aber würden
die Mafse der stark entwerteten Silbermünzen das Steigen des Goldagios
beschleunigen, da sie den Raum für die Papiergeldemission beengen und
744 M is z eil e n.
die Ausgabe von einer Milliarde der letzteren auf den Goldpreis von vorn-
herein wie die Ausgabe von 1900 Mill. wirken würde. Eine mäfsige
Unterwertigkeit der Scheidemünzen dagegen wird bei Entwertung des
Papiergeldes nicht in Anschlag gebracht: diese Münzen gelten dann dem
Golde gleich und werden wie dieses aus dem Verkehr gezogen. Dies
war 1871 in Frankreich der Fall, wo die Silberscheidemünzen mit 71/2 Proz.
Unterwertigkeit einen höheren Wert behaupteten, als das Papiergeld, ob-
wohl die Goldprämie nur 2 bis höchstens 3 Proz. betrug: diese Münzen
wurden eben wie das Gold als Keserve in den Kassen zurückgehalten und
im Verkehr entstand ein solcher Mangel an ihnen, dafs zwei Bankgesell-
schaften sich entschlossen, private vollgedeckte Noteu von 1 und 2 Frcs.
auszugeben. Nehmen wir nun an, auch die deutschen Silbermünzen seien
nur 10 bis höchstens 15 Proz. unterwertig, so würden sie bei einem Gold-
agio von 5 — 10 Proz. ebenfalls zur Verstärkung der von der Bevölkerung
zurückgehaltenen metallischen Reserve dienen, also dem Steigen des Gold-
aufgeldes entgegenwirken und nicht, wie unter den gegenwärtigen Ver-
hältnissen, neben dem Papier das mögliche Uebermafs der der Entwertung
ausgesetzten Umlaufsmittel vergröfsern. Der im ersteren Falle eintretende
Mangel an Scheidemünzen — vorausgesetzt, dafs alle Silbermünzen um-
geprägt wären — liefse sich leicht beseitigen und wäre jedenfalls das
kleinere Uebel.
Der Anstofs, den die vorläufige Ausgabe ungedeckter Münzscheine
erregte, könnte leicht beseitigt werden, wenn statt solcher Scheine zur
Deckung der Kosten verzinsliche Schatzscheine ausgegeben würden oder
wenn man einfach mit der Ausprägung von jährlich 195 000 kg neuen
Silbers nach dem neuen Wertverhältuis begänne und am Schlüsse jedes
Jahres den Münzgewiun zur Umprägung von Thaleru nach dem neuen
Fufse verwendete. Wenn die Sache im übrigen zehn Jahre lang einen
günstigen Verlauf genommen hätte, würde das Reich dann wohl die
Mittel bewilligen, um jährlich eine gröfsere Summe von Thalern und
alten Silberscheidemünzen umzuprägen und daduich ein zu starkes An-
wachsen des Silberumlaufs zu verhindern. Wenn übrigens jährlich der
Vorrat au Goldmünzen, wie dies fast sicher angenommen werden kann,
um 40 — 50 Mill. M. zunimmt, so kann die Goldwährung durch eine gleich-
zeitige Neuprägung von jährlich 13 Mill. M. in Silber nicht beeinträchtigt
werden. Schliefslich würde man es violleicht auch zweckmäfsig finden,
den Hauptsilbermünzen, die in so beschränkter Menge und natürlich nur
auf Reichsrechnung geprägt würden, die unbedingte gesetzliche Zahlungs-
kraft zu verleihen. Damit wäre dann der Zustand hergestellt, den der
Köuigs'sche Antrag schon sofort schaffen will und den Bamberger mit
Recht als „die Sanktionierung der hinkenden Währung" bezeichnet hat.
Ich habe die Beschränkung der Zahlungskraft der Hauptsilbermünzen auf
1000 M. nur vorgeschlagen, um theoretisch das Prinzip der reinen Gold-
währung aufrecht zu erhalten; praktisch jedoch würden diese Münzen im
Verkehr ganz dieselbe Rolle speien, wie wenn ihnen volle gesetzliche
Zahlungskraft zustände. So denkt ja auch niemand daran, dafs die Reichs-
kassenscheine Privaten gegenüber überhaupt keine gesetzliche Zahlungs-
kraft besitzen. In dieser Frage würde also leicht eine Einigung mit dem
M i sz e 1 1 e n. 745
Königs'schen Autrag möglich gewesen sein, und auch die Bimetallisten
würden natürlich prinzipiell gegen diesen Punkt nichts einzuwenden ge-
habt haben. Das Hauptbedenken gegen den Köuigs'scheu Antrag lag
sowohl für die Vertreter der reinen Goldwährung wie auch für mich
selbst in der Silberprägung auf Privatrechnung, die derselbe, wenn
auch mit gewissen Beschränkungen, zulassen will. Das Maximum der
Prägung, 1 Mark auf den Kopf jährlich, würde aber für Deutschland
schon 50 Hill, ausmachen, und dabei wäre denn doch das dauernde Vor-
walten des Goldumlaufs schon sehr fraglich. Allerdings würde dieses
Maximnm vielleicht nie erreicht werden, da der Königs'sche Antrag auch
einen starken Druck auf den Preis und zugleich auf die Produktion des
Silbers ausüben will. Das vorgeschlagene Wertverhältnis 1 : 24 et-tspricht
nur einem Silberpreise von etwas mehr als 39 Pence und da aufstrdem
10 — 20 Proz. Schlagschatz erhoben werden sollen, so würde sich der Markt-
preis des Silbers nur zwischen 31 und etwas mehr als 35 Pence stellen
können. Sollte trotzdem der Andrang zur Prägung noch zu grofs werden,
so würde durch die längere Hinausschiebung der Ablieferung der Münzen
nach der Reihenfolge der Eiulieferungen des Barreusilbers ein Ziusverlust
entstehen, der einen noch weiteren Kückgang des Marktpreises des letzteren
hervorrufen würde. Man würde auf solche Art allerdings, wenn auch
nicht sofort, so doch mit der Zeit eine bedeutende Verminderung der
Silberproduktion und dadurch ein Gleichgewicht derselben mit dem Ver-
brauch erzwingen können, aber der Zweck der Hebung und der Be-
festigung des Silberwertes würde bei diesem System doch gar zu wenig
erreicht werden.
Wenn von bimetallistischer Seite gegen meinen Antrag eingewandt
wurde, dafs England ihn nicht annehmen würde, weil es den Siiberpreis
von 38 — 39 Pence nicht für genügend halte und eben deswegen die
indischen Prägungen eingestellt habe, so wurde übersehen, dafs England
mittlerweile durch sein indisches Experiment sehr unangenehme Belehrungen
erhalten hat und dafs in der letzteu Zeit nicht nur der Silberpreis auf
28 3/4 Pence, sondern auch die "Rupie auf einem den Silberpreis von 35
entsprechenden Kurse stand. Eine Erhöhung dieses Kurses auf 38 bis
39 Pence würde daher jetzt von England und der indischen Regierung als eine
entschiedene Erleichterung der schwierigen Finanzlage empfunden werdeu.
Dagegen würde ein zwischen 31 und 35 Pence schwankender Silberpreis
für England keinerlei Veranlassung darbieten, sich an einer internationalen
Vereinbarung zu beteiligen. Auch wären Silbermünzen nach dem Wert-
verhältnis 1 : 24 schon recht unhandlich, da sie mehr als 50 Proz. schwerer
sein würden, als die jetzt vorhandenen Münzen von gleichem Nennwert.
Die Schwierigkeit, Frankreich für eine so weitgehende Herabsetzung des
gesetzlichen Silberweites zu gewinnen, schlägt Herr Königs selbst so hoch
an, dafs er in den Erläuterungen zu seinem Antrag Frankreich wie auch
Belgien ganz aus dem Spiele lafst , dagegen der Hoffnung auf den Bei-
tritt Rufslands Ausdruck giebt. Ohne Zweifel wäre Rufsland nach dem
Charakter und der Entwickelungsstufe seiner Volkswirtschaft mehr als
irgend ein anderes Land für die Annahme einer Doppelwährung mit über-
wiegendem Silberumlauf geeignet. Wenn Rufsland einen Teil seines auf
746 M i s z el le n.
mehr als 2000 Mill. Frcs. angewachsenen Goldvorrates dazu verwenden
wollte, etwa 500 Mill. Papierrubel zum Kurse von 220 Pfg. gegen Silber-
rubel einzulösen, so könnte es mit grofsem Vorteil ein durchaus solides
Bargeldwesen und zugleich für das Silber wieder eine dauernde feste
Wertgrundlage schaffen. Nach allem indes, was man über die Stimmung
der leitenden russischen Kreise erfährt, besteht für ein solches Eingreifen
nicht die mindeste Wahrscheinlichkeit und somit würde auch von dieser
Seite her keine Unterstützung des Königs'schen Systems zu erwarten sein.
Ob Oesterreich-Uugarn geneigter 6ein würde, demselben beizutreten, er-
scheint höchst zweifelhaft. Italien wäre vielleicht eher für das Projekt
zu gewinnen, aber die finanziellen Schwierigkeiten eines Vorgehens in
diesem Sinne würden kaum überwindlich sein, da der Austritt des König-
reichs aus dem lateinischen Münzbunde damit verbunden sein müfste.
Die praktischen Aussichten des Königs'schen Vorschlags würden also
sehr ungünstig sein. In der Kommission wurde er von den Bimetallisten
etwas weniger unbedingt zurückgewiesen als der meinige; Herr v. Kar-
doiff meinte sogar, er könnte eine gute Grundlage werden, wenn die
Regierung sich entschlösse, eine internationale Konferenz zur Besprechung
der Währungsfrage einzuladen; dagegen hob er hervor, dafs durch dieses
System weder das Uebergewicht der indischen Ausfuhr beseitigt, noch eine
Hebung des Silberwertes herbeigeführt werde, und noch bestimmter er-
klärte Herr Wülfing mit Rücksicht auf den Absatz europäischer Fabrikate
nach Indien diesen Vorschlag, wie überhaupt jeden, der nicht das Wert-
verhältnis 1 ; 15 1/2 annehme, für ungeeignet, den bestehenden Uebeln
abzuhelfen. Für die Goldwährungspartei dagegen war selbstverständlich
dieser Antrag noch unannehmbarer, als der meinige, da er dem Bime-
tallismus weit mehr entgegenkommt. Namentlich wurde das Mifsverhältnis
der Kosten zu dem Resultate hervorgehoben, das noch gröfer sein würde,
als bei meinen Vorschlag; denn die ersteren würden sich nach Herrn
Königs Berechnung auf 228 Mill. M. , wahrscheinlich aber noch höher
belauten und damit doch nur ein zwischen 30 und 36 Pence schwankender
Silberpreis erzielt werden. Die von Herrn Königs betonte Gefahr , dafs
Indien als Handelsstaat grofse Summen in Gold an sich ziehen könnte,
wurde bestritten; wenn Indien wirklich seine aktive Handelsbilanz wieder
erlange, so werde der Saldo wie früher in Silber ausgeglichen werden, da
dieses Metall dort vorzugsweise thesauriert werde. Dies ist indes sehr
zweifelhaft; im Jahre 1893 ist allerdings die Silberausfuhr nach Indien
trotz der Einstellung der Prägungen noch ungefähr auf ihrer früheren
Höhe geblieben, im gegenwärtigen Jahre hat sie erheblich abgenommen,
und wenn der gesamte Abflufs nach Ostasien sich nicht vermindert
hat, so rührt dies von der vergröfserten Silbereinfuhr Chinas her. Wie
der Vorsitzende in seiner Zusammenfassung am Schlüsse der Verhand-
lungen sagte, waren die Gründe des von der Versammlung gefällten Er-
kenntnisses über den Antrag Königs fast identisch mit denen in betreff
des Antrags Lexis; der zu erreichende Zweck werde nicht erreicht, der
Silberpreis werde nicht befestigt und es sei zweifelhaft, wie weit er ge-
hoben werde; eine erhebliche Unterwertigkeit der Silbermünzen bliebe
bestehen und damit auch die Gefahr der Nachprägung.
Mi szel len. 747
Der Vorschlag Neustadt kam gar nicht zur Verhandlung, sondern
wurde von dem Antragsteller, wohl auf Veranlassung der übrigen bie-
metallistischen Kommissionsmitglieder, zurückgezogen. Jedoch wurde bei
dieser Gelegenheit das Projekt der Verstaatlichung des Silberbergbaues
oder des Handels mit Feinsilber einer kurzen Erörterung unterworfen,
bei der alle Parteien sich in der Ansicht einig zeigten, dafs dasselbe,
wenigstens als allgemeine internationale Mafsregel , gänzlich unausführbar
sei. Herr Geheimer Bergrat Leuschuer erinnerte auch daran , dafs ein
grofser Teil des gewonnenen Silbers in Verbindung mit Blei- und Kupfer-
erzen vorkomme; eine Monopolisierung der Silberproduktion würde daher
auch die Verstaatlichung vieler Blei- und Kupferbergwerke einschliefsen,
wodurch die Schwierigkeiten noch bedeutend vermehrt würden. Die all-
gemeine Monopolisierung des Handels mit Feinsilber wurde ebenso zu-
rückgewiesen und auch für die Möglichkeit der privaten Kartellierung
der Silberproduktion erhob sich keine Stimme. Uuter gewissen Umständen
glaube ich allerdings, dafs eine solche zustande kommen könnte, näm-
lich wenn für alle Silbergrubenbesitzer ein sicherer Gewinn aus einer
zeitweiligen Verminderung ihrer Produktion in Aussicht stände. Wenn
z. B. ähnlich, wie der später zu besprechende Areudt'sche Antrag vor-
schlägt, durch internationale Vereinbarung ein in bestimmten Stufen jähr-
lich steigender Preis des Silbers festgesetzt würde, unter der Bedingung,
dafs der Preis im Laufe des vorhergehend, n Jahres nicht unter den ver-
einbarten gesunken sei, so würde vielleicht nicht einmal ein förmliches
Kartell nötig sein, um eine Beschränkung des Silberangebotes bis zur Her-
stellung des Maximalpreises zuwege zu bringen. Eine solche stillschweigende
oder förmliche Ringbildung seitens der Silberproduzenten würde aber frei-
lich nicht als ein Mittel zur Erleichterung der Währungsschwierigkeiten
erscheinen, sondern diese eher noch erhöhen; denn die befürchtete Ueber-
produktion von Silber würde später, wenn das hohe Wertverhältnis glück-
lich in den Hafen des internationalen Vertrags gebracht wäre, mit um so
gröfserer Wucht zu Tage treten.
Nach der negativen Erledigung der vermittelnden Vorschläge kam
nunmehr bei der Wiederaufnahme der Sitzungen der (am 18. April ver-
tagten) Kommission am 22. Mai der Hauptantrag der bimetallistischen
Gruppe an die Reihe und damit wurde nochmals das ganze Register der
Kontroversen der Währungsfrage eröffnet. Eine ziemlich unfruchtbare
Debatte drehte sich zunächst um den Punkt, ob die englische Enquete-
kommission von 1886 das bimetallistische Prinzip anerkannt habe oder
nicht. In der That haben die 12 Mitglieder jener Kommission theoretisch
anerkannt, dafs durch eine grofse Staatsvereinigung ein festes Wertver-
hältnis der beiden Edelmetalle annähernd aufrecht erhalten werden könnte ;
aber sechs von ihnen erklärten ausdrücklich, dafs sie sich dieses bime-
tallistische Wertverhältnis dem jetzigen Marktwert des Silbers an-
nähernd entsprechend dächten und sie hielten ein praktisches Vorgehen
im Sinne des Bimetallismus für einen sehr gefährlichen (tremendous)
Sprung ins Dunkle; zwei von diesen endlich haben auch noch in einem Sepa-
ratvotum ihre besonderen Bedenken und wegen der grofsen Ungewifsheit
über die künftige Produktion der Metalle ihren Zweifel darüber ausge-
748 Misz eilen.
sprochen, dafs sich auch in der Zukunft ein festes Wertverhältnis dauernd
festhalten lassen werde. Ueberhaupt aber haben auch die eifrigsten eng-
lischen Bimetallisten in ihrer öffentlichen Agitation nie gewagt, offen und
rückhaltslos die Wiedeiherslellung des Wertverhältnisses 1:15 1/2 auf
ihre Fahne zu schreiben. Sie wissen, dafs ein englisches Publikum sich
schwerlich so weit von dem Boden der Realität ablocken läfst , wie dies
die Annahme eines solchen Programms verlangen würde. Auch auf der
letzten internationalen bimetallistischen Konferenz in London am 2. und
3. Mai 1894 ist diese Fra«ie von den englischen Rednern absichtlich
unentschieden gelassen worden. Herr Gibbs machte zwar darauf auf-
merksam, dafs die geschätzten Vorräte an Gold und Silber ihrem Gewichte
nach nahezu dem Verhältnis 1:15 1/2 entsprächen, im übrigen aber erklärte
er, er wolle über die verschiedenen Vorschläge in betreff des Wertver-
hältnisses bei dieser Gelegenheit keine Meinung äufseren. Die Fixierung
eines solchen Verhältnisses und die Schaffung eines doppelten gesetzlichen
Zahlungsmittels sei nicht blofs eine englische, sondern eine internationale
Angelegenheit; die Bestimmungen des abzuschliefsenden Vertrags, die
Einzelheiten der Mafsregeln, die Mittel zur Ausführung derselben seien
Sache internationaler Vereinbarung und müfsten von England in Ueber-
einstimmung mit den anderen Nationen beschlossen werden. So wird also
die wichtigste Frage einfach beiseite geschoben. Auch die deutschen
Bimetallisten erklären in Bezug auf das Wertverhältnis immer zunächst
— und so auch in der Kommission — „das sei keine Prinzipienfrage".
Es mag keine Prinzipien frage sein, aber um so gröfser ist die prak-
tische Bedeutung der Wahl des Wertverhältnisses, auf die ja, wenn es
sich um wirkliche Mafsregeln handelt, alles allein ankommt. Das Wertver-
hältnis 1: 15V2 könnte nach meiner Ansieht bei den Produktionsverhält-
nissen der Edelmetalle, wie sie in den letzten Jahren bestauden, selbst
durch einen die ganze Welt umfassenden bimetallistischen Bund nicht
dauernd aufrecht erhalten werden. Ein Wertverhältnis 1:21 aber
würde sich unter denselben Bedingungen vielleicht 50 Jahre oder noch
länger behaupten lassen.
Diese meine Konzession gegenüber dem bimetallistischen Prinzip ist
freilich rein akademischer Natur; es bleibt dabei nicht nur unentschieden,
ob die gi forderte Bedingung in betreff der künftigen Produktion wirklich
erfüllt werden wird und das bimetallistische System, wenn es auch auf
jener Basis vollständig regelrecht wirksam wäre, nicht doch in Bezug auf
die Preisbildung bedenkliche Folgen nach sich ziehen könnte, sondern es
ist auch der von den orthodoxen Bimetallisten erhobene praktische Ein-
wand als vollkommen berechtigt anzuerkennen, dafs Frankreich und seine
Münzverbündeten und wahrscheinlich auch die Vereinigten Staaten mit
Rücksicht auf ihren kolossalen Vorrat an Silbermünzen auf eine so bedeu-
tende Herabsetzung des Wertverhältnisses nicht eingehen würden. Aber
wenn dieser Weg praktisch nicht gangbar ist, so wird dadurch die Un-
haltbarkeit des Wertverhältnisses l:151/2 nicht aufgehoben, sondern man
wird sich eben überzeugen müssen, dafs bei der gegebenen Lage die
Dinge der Bimetallismus weder mit dem früheren, noch mit einem herab-
gesetzten Wertverhältnis verwirklicht werden kann.
M i sz e 1 1 e n. 749
Das Hauptargument der Bimetallisten zu gunsten des alten Wertver-
hältnisses blieb auch in den Kommissionsverhandlung« n die Thatsache,
dafs dasselbe sich unter dem EinÜufs der französischen Doppelwährung
in den ersten 73 Jahren dieses Jahrhunderts trotz aufserordtntlieh grofser
Schwankungen in der Produktion beider Edelmetalle mit fast vollständiger
Festigkeit im freien Verkehr auf dem Weltmarkt behauptet habe. In der
That hat sich der Londoner Silberpreis in diesem Zeiträume nur zwischen
58ll2 und 62x/4 Pence bewegt, während das Wertverhältnis von lilö'/g
dem Preise von 6013/16 entspricht. Wenn die Goldwährungspartei dar-
auf erwiderte, es seien eben damals die wirtschaftlichen Bedingungen der
Wertbildung von Gold und Silber der Art gewesen, dafs nur geringe Ab-
weichungen von dem gesetzlichen französischen Wertverhältnis vorge-
kommen wären, so wurde damit allerdings auf die positive Einwirkung
der französischen Doppelwährung auf den Weltmarkt zu wenig Rück.^icht
genommen. Andererseits aber liefsen die Bimetallisten wieder die unbe-
queme Thatsache aufser acht, dafs in jener Zeit au der Pariser Börse stets
eine Gold- oder Silberprämie, uud zwar nicht nur für Barren, sondern
auch für Münzen notiert wurde. Es ist eben nicht richtig, was Seyd
und andere behaupteten, dafs für die Wertdiff jrenz des Silbers in Paris und
London nur die Transport-, Versicherungs- und Prägung.-kosten in Betracht
kamen; wenn der Londoner Versender für das Silber Gold haben wollte,
so mufste er für dieses in Paris bis 1850 eine Prämie bezahlen, die
von den Versendungskosten gänzlich unabhängig war; und dasselbe galt
in den fünfziger und sechziger Jahren für den Fall, dafs man gegen Gold
Silber aus Paris nach London ziehen wollte. Die Prämie für 2 0 Francs-
stücke betrug in Paris in den dreifsiger und vierziger Jahren 1 — 2 Proz.,
abgesehen von den ganz exzeptionell hohen Sätzen im Jahre 1848, und
die Silberprämie stieg 1857 und 1864 bis 31/2 Proz. Von diesen Prämien
sind bei Gold nur 0,3 und bei Silber nur 1 Proz. durch die Berücksich-
tigung der Prägungskosten verursacht, der Rest aber entstand einfach
dadurch, dafs das mehr gesuchte Metall aus dem Verkehr zurückgehalten
wurde und dafs insbesondere die Bank von Frankreich ihre Noten immer
nur in dem billigeren Metall einlöste und das gesuchtere eben nur gegen
ein Aufgeld herausgab. Daher war denn auch notorisch das gewöhnliche
Umlaufmittel in Frankreich bis 1850 nur Silber, dann aber bis gegen
Ende der sechziger Jahre Gold. Der Abflufs des gesuchteren Metalls
aus dem Lande wurde durch die Prämie mehr oder weniger gehemmt
und selbst neue Prägungen noch möglich gemacht; aber die Prämie be-
wirkte andererseits, dafs die Wechsler und Banken das wertvoller gewor-
dene Geld aus dem gewöhnlichen Verkehr zogen. Die Regierung sah
sich daher bekanntlich in den sechziger Jahren durch das Verschwinden
der kleinereu Silbermünzen genötigt, an die Stelle derselben Scheidemünzen
mit verringertem inneren Wert zu setzen.
Es kann nun auffallend erscheinen, dafs die prozentmäfsigen Schwan-
kungen des Londoner Silberpreises um den damaligen Normalwert im
ganzen kaum gröfser sind, als der gleichzeitigen Prämie des teuereren
Metalls in Paris entspricht. Wo bleiben da die Versendungskosten r Diese
Erscheinung erklärt sich indes einfach aus der Thatsache, dafs Frankreich
750 Miszellen.
meistens eine günstige Handelsbilanz hatte. Es wurde daher in der
ersten Periode verhältnismäfsig selten Silber aus London nach Paris ge-
schickt, um Gold dafür zu beziehen, sondern die gewöhnliche Art der
Verwertung des Silbers in London bestand darin, dafs es, wenn sein Preis
zu weichen begann, nach Frankreich zur Ausgleichung der Zahlungs-
bilanz geschickt wurde. Damit war dann also keine Nachfrage nach Gold
für die Ausfuhr aus Frankreich verbunden und somit auch keine Ver-
anlassung zur Berücksichtigung der Pariser Goldprämie bei der Bildung
des Silberpreises in London gegeben. In der Periode der hohen Silber-
preise aber kaufte England in Frankreich wirklich fortwährend bedeutende
Silbermengen für die Ausfuhr auf und die Silberprämie stieg daher höher,
als früher die Goldprämie; andererseits bildete sie auch fast die alleinige
Ursache der Erhöhung des Londoner Siiberpreises, da die Transportkosten
wenig in Betracht kamen , nicht sowohl wegen der Verminderung der-
selben nach der vollen Entwickelung des Dampfschiffs- und Eisenbahn-
verkehrs, als vielmehr wegen des Umstandes, dafs das aus Frankreich ge-
führte Silber für Indien bestimmt war und meistens direkt von Marseille
aus verschifft wurde.
Die Goldprämie in der ersten, wie die Silberprämie in der zweiten
Periode würden aber allmählich mehr und mehr gestiegen, also das Markt-
wertverhältuis der beiden Edelmetalle immer mehr von dem gesetzlichen
abgewichen sein, wenn nicht jede dieser Perioden durch einen entschiedenen
Umschwung der Produktionsverhältnisse zum Abschlufs gebracht worden
wäre. Die französische Doppelwährung konnte jene Verschiebung des
Wertverhältnisses allerdings bedeutend verlangsamen, aber nicht dauernd
verhindern. Angenommen z. B. die jährliche Gold- und Silbergewinnung
wäre in dem Verhältnis geblieben, das sie am Ende der fünfziger Jahre
aufwies, als die erstere dem Werte nach dreimal so grofs war, wie die
letztere, so würde die regulierende Wirkung der französischen Doppel-
währung schliefslich einfach dadurch aufgehört haben, dafs Frankreich kein
ausfuhrfähiges Silber mehr besessen hätte, also thatsächlich zur reinen
Goldwährung gelangt wäre. Von 1853 bis 1864 hat Frankreich 1723 Mill.
Frcs. in Silber mehr aus- als eingeführt und dadurch dem Steigen des
Siiberpreises in London kräftig entgegengewirkt; aber die reine Silber-
prämie, nach Abzug der Prägegebühr, war in Paris auch schon auf
2 1/2 Proz. gestiegen, und wenn in den nächsten zehn Jahren nochmals
eine Mehrausfuhr von 1700 Mill. Frcs. stattgefunden hätte, so wäre die
Prämie vielleicht auf 8 — 10 Proz. gestiegen, da die Beaktion gegen den
Silberabflufs um so stärker werden mufste, je mehr der Vorrat sich der
Erschöpfung näherte. Die Entwickelung der nordamerikanischen Silber-
produktion und die Verminderung der Nachfrage für Indien aber brachte
bekanntlich in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre ein Sinken des
Preises hervor, das genügte, um der Silbereinfuhr nach Frankreich wieder
das Uebergewicht über die Ausfuhr zu verleihen.
Ohne Zweifel hätte auch das französische System, zumal nach seiner
Verstärkung durch die Bildung des lateinischen Münzbundes, die Wirkung
der deutschen Münzreform und der aufserordentlich starken Zunahme der
Silberproduktion seit den siebziger Jahren längere Zeit, vielleicht 10 bis
Mi s zellen. 751
15 Jahre hindurch, fast vollständig, etwa bis auf eine Goldprämie von
2 — 3 Proz. neutralisieren können, aber nur unter der Bediugung, dafs dio
Münzbundstaaten mit derselben Bereitwilligkeit Milliarden von Silber
aufgenommen hätten, wie Frankreich, seit 1850 den Goldstrom eingelassen
hatte, und dafs sie dem Abflufs einer grofsen Goldsumme mit Gleichmut
zugesehen hätten. Aber ßohliefslich wäre doch entweder der Goldvurrat
ganz verschwunden und dann hätte die ausgleichende Wirkung der Doppel-
währung von selbst aufgehört, oder — was wohl der wirkliche Verlauf
gewesen wäre — die fühlbare Verminderung des Goldvorrates hätte eine so
hohe Steigerung der Prämie herbeigeführt, dafs der weitere Abflufs ver-
hindert worden , zugleich aber auch eine bedeutende Wertverminderung
des Silbers gegen das Gold definitiv eingetreten wäre.
Weshalb haben sich nun aber Frankreich und seine Münzverbündeten
nach 1873 gegen das Silber weniger günstig verhalten, als früher gegen
das Gold? Weshalb haben sie den Silberzuflufs als ein Uebel betrachtet
und bald ihre Münzstätten gegen derselben gänzlich gesperrt? Die Be-
hauptung, dafs Frankreich sich durch politische Abneigung gegen Deutsch-
land und das Bestreben, die deutsehe Müuzreform zu erschweren, habe
leiten lafsee, ist durchaus unzutreffend. Der erste Schritt zur Beschränkung
der Silberprägungen ist, wie auch Bamberger in der Kommission in Er-
innerung gebracht hat, nicht von Frankreich, sondern von Belgien aus-
gegangen. Als Frankreich 1876 seine Münze dem Silber gänzlich ver-
schlofs , war die deutsche Münzreform schon vollständig gesichert und
selbst wenn Frankreich ursprünglich die ihm zugeschriebene Absicht ge-
habt hätte, so wäre es doch Thorheit gewesen, auch später noch daran
festzuhalten, nachdem sich gezeigt hatte, dafs Deutschland an seinem
Vorgehen nicht verhindert werden konnte und dafs die Entwertung des
Silbers gerade für Frankreich den gröfsten Schaden mit sich bringe. Die
Zurückweisung des Silbers nach 1873 ist einfach ein Beweis dafür, dafs
sich die völkei psychologische Wertschätzung zu Ungunsten dieses Metalls
und zu gunsten des Goldes geändert hatte. Man mag das für irrationell
halten, wie sich ja auch keine rationellen Gründe dafür angeben lassen,
dafs für die Diamanten die thatsächlich geltenden hohen Preise bezahlt
werden; aber jene Aenderung des Werturteils über die beiden Metalle
ist einmal vorhanden, und alle Versuche, durch die Gesetzgebung selbst
auf einer allgemeinen internationalen Basis diese Thatsache wieder auf-
zuheben, werden mifslingen. Auch der internationale Bimetallismus ist
nicht imstande, den Wert des Goldes herabzudrücken, wenn er nach
den Verhältnissen der Nachfrage und der jährlichen Produktion beider
Edelmetalle die natürliche Tendenz hat, zu steigen. Nun stellen aber
gerade die Bimetallisten über kurz oder lang dauernde Abnahme der
Goldproduktion in Aussicht, während die Silberproduktion nach allen Er-
fahrungstatsachen bei dem früheren Preise auf a lle absehbare Zeit
mindestens auf der jetzigen Höhe bleiben würde. Ein nochmaliger Um-
schwung der Produktionsverhältnisse ist also nach dieser Anschauung
nicht zu erwarten und demnach würde das Wertverhältnis l:l51/2, wenn
es auch für die erste Zeit durch eine bimetallistische Vereinigung er-
zwungen werden könnte, unmöglich dauernden Bestand gewinnen können.
752 Miszellen.
Wenn in Europa jährlich drei oder mehr Mal so viel in Silber wie in
Gold geprägt würde so würde bald im gewöhnlichen Umlauf nur Silber
zu fiuden sein , die Goldmüuzen würden ein mehr und mehr steigendes
Agio erzielen und schliefslich würde überhaupt die ganze jährliche Gold-
produktion zu ihrem den gesetzlichen Müuzwert übersteigenden Warenwert
in der Industrie Unterkommen finden.
Aber, sagt Dr. Arendt, dann wäre ja erst recht die Unmöglichkeit
der reinen Goldwährung erwiesen ; bei solcher Knappheit des Goldes müfste
das Silber unbedingt für den Gelddienst zu Hilfe genommen werden. Dagegen
ist zunächst zu bemerken, dafs die Verdrägung des Goldes in die Industrie
unter der Herrschaft der Goldwährung nicht stattfiuden würde, da das Gold
dann auch als Geld seine volle Wertschätzung finden würde; bei der Doppel-
währung mit fortwährender starker Vermehrung des Silberumlaufs würde
es aus ähnlichen Gründen verdrängt, wie das bare Geld bei einer immer
weitergehenden Ausgabe von Zwangspapiergeld. Ferner aber sind allerdings
meiner Ansicht nach nur die reichsten und höchstentwickelten Staaten
imstande , dauernd und mit Nutzen die Goldwährung aufrecht zu erhalten
und für diese besteht während des ganzen nächsten Jahrhunderts und
noch länger keine Gefahr der Goldknappheit, d. h. einer Herabdrückung
des allgemeinen Preisniveaus infolge der Unzulänglichkeit der Umlaufs-
mittel. Auf Spekulationen über die noch fernere Zukunft brauchen wir
uns um so weniger einzulassen, als der Bimetallismus unter den obigen
Voraussetzungen noch weit früher als solcher versagen und der that-
sächlichen Silberwährung Platz machen würde. Die ökonomisch schwächeren,
namentlich aber die stark verschuldeten Staaten werden sich von der Un-
möglichkeit, das Gold bei sich festzuhalten, vielleicht nach noch weiteren
mifslichen Erfahrungen, überzeugen müssen, daun aber wahrscheinlich
nicht zum Silber zurückkehren, sondern zur Papierwährung greifen, die
ja bei richtiger Behandlung die Geldfunktion in sehr befriedigender Weise
verrichten kann.
Es wäre nun ja allerdings denkbar, dafs das Wertverhältnis 1 : 15 1/2
von einer Seite Unterstützung erhielte, von der sie gerade nach der von
den Bimetallistou verkündigten Lehre nicht zu erwarten wäre: es könnte
ja bei Fortdauer der gegenwärtigen oder nur geringer weiterer Zunahme
der Silberproduktion die Goldgewinnung noch längere Zeit in dem seit
einigen Jahren zu beobachtenden Tempo steigen und schliefslich eine
Jahresziffer erreichen, bei der das frühere Wertverhältnis nunmehr infolge
der Entwertung des Goldes wieder haltbar würde. Angenommen, diese
Hypothese würde sich bestätigen, so wäre eine jährliche Elelmetall-
produktiou von 1600 — 1700 Hill. M. und in der abendländischen Kultur-
welt eine jährliche Vermehrung des Metallgeldes um 1000 — 1100 Mill. M.
vorauszusetzen. Nun hat aber bisher die jährliche Geldvermehrung in
diesem Land» rgebiet nie mehr als 400 Mill. M. betragen und jene enorme
Steigerung würde also eine die Grundlage aller volkswirtschaftlichen Verhält-
nisse erschütternde Inflation bewirken, die noch vergröfsert werden würde
durch die bedeutende Entwicklung der neueren Hilfsmittel des Kredit-
umlaufs. In diese Katastrophe würden auch diejenigen Produzenten mit
Mi s zellen. 1&3
fortgerissen werden, die jetzt von einer allgemeinen Steigerung des Preis-
niveaus durch Geldentwertung ihr Heil erwarten.
Was nun die Ausführung des bimetallistischen Antrags im einzelnen
betrifft, so versicherten die Urheber desselben in ihrer Begründung, das
Zustandekommen des internationalen Bimetallismus sei sofort gesichert,
wenn Deutschland sich entsihliefse, die Doppelwährung ohne England
(also nur mit Frankreich, Amerika und einigen anderen Staaten) durch-
zuführen. Der Bimetallismus ohne England aber Bei lür Deutschland eher
vorteilhafter, als mit England, da danu nur 2 Fälle möglich seien: ent-
weder das Wertverhältnis von Gold und Silber würde ohne England
fixiert und dann habe dieses Land keinen Vorteil von seiner Goldwäh-
rung; oder das Gold behielte Agio, dann sei England das einzige Land
mit hochwertiger Valuta und werde im Welthandel von den bimetalli-
stischen Ländern brach gelegt. Uebrigens könnten die bimetallistischen
Staaten durch Differentialzölle gegen Goldwährungsländer — ein iu den
Vereinigten Staaten vielfach erwogener Gedanke — England zum nach-
träglichen Beitritt in den Währungsbund zwingen, und wenn man diesen
Beitritt lür unumgänglich nötig halte, so könne die Politik, die in den
Worten liege : „Wir können England nicht zwingen", angesichts des Ernstes
der wirtschaftlichen Lage nicht aufrecht erhalten werden.
Die Einwendungen gegen diese Sätze sind sehr naheliegend. Dafs
die Vereinigten Staaten, Holland, Spanien, vielleicht auch Italien bereit
wären, ohne England mit Deutschland das Wagnis eines bimetallistischen
Bundes zu unternehmen, kann man allenfalls zugeben; für Belgien aber
trifft dies jedenfalls nicht zu und auch für Frankreich ist es gegenwärtig
in hohem Grade zweifelhaft, selbst wenn Frankreich wirklich, wie die
Bimetallisten behaupten, im Jahre 1881, als die Silberproduktion nur die
Hälfte der jetzigen betrug und der Preis noch über 50 Pence stand, zu diesem
Schritte ernstlich geneigt gewesen sein sollte. Aber selbst wenn dieser
beschränkte bimetallistische Bund wirklich zustande käme, so würde er
bei den gegenwärtigen Produktionsverhältnissen der beiden Edelmetalle
das Wertverhältnis 1 : 15 l/2 (das stillschweigend in dem Antrage als das
allein genügende angenommen wird) nicht dauernd aufrecht erhalten können,
da dies nach dem oben Gesagten selbst einer allgemeinen bimetalli-
stischen Vereinigung nicht genügend gelingen würde, durch das Aufsen-
bieiben Englauds aber noch eine mächtige Ursache der Störung und Ver-
schiebung des angenommenen Wertverhältnisses entstehen würde. Unter
England ist hier das ganze nach Gold rechnende britische Weltreich zu
verstehen, zu dem wahrscheinlich, gerade wenn das beschränkte bime-
tallistische System zustande käme, auch Britisch-Indien gezogen werden
würde. Allerdings wollen die Antragsteller Indien mit in den Verband auf-
genommen sehen; aber England hätte gar kein Interesse daran, auf die
Währungseinheit innerhalb seines gesamten Herrschaftsgebiets zu ver-
zichten, wenn die übrigen Staaten ihm den Gefallen erwiesen, auf eigene
Hand die Hebung des Silberwertes durch eine bimetallistische Mafsregel
zu übernehmen. Der Grund, weshalb England jetzt noch Bedenken trägt,
mit der Einfuhrung der Goldwährung in Indien Ernst zu machen, nämlich
die Furcht vor einem starken, zunächst den englischen Markt selbst tref-
Dritte Folge Bd. VIII (LXIII). 4 g
754 Misz eilen.
fenden Goldabflufs aus Europa, wäre dann weggefallen : es wäre auf jeden
Fall immer (Jold genug vorhanden, um England und sein ganzes Kolonial-
gebiet reichlich zu versorgen, zumal auch die beiden bedeutendsten Gold-
produktionsgebiete, das australische und das südafrikanische, zum britischen
Reich gehören oder wenigstens gänzlich in der handelspolitischen Macht-
sphäre Englands liegen. Eine Rücksicht auf den Goldbedarf der bimetalli-
stischen Staaten hätte England dann gar nicht zu nehmen: es würde
diesen einlach stets Silber bezahlen, wie Frankreich in den dreißiger
und vierziger Jahren ebenfalls von seinen Schuldnern nur Silber erhielt,
und bei einem aufsergewöhnlichen Goldbedarf, etwa für Indien, würde Eng-
land auch stets Gold aus dem bimetallistischen Gebiet heibt iziehen können.
Als Reaktion dagegen würde dort allerdings eine Steigerung der Gold-
prämie eintreten, damit aber wäre wieder der Beweis geliefert, dafs das
kommerzielle Wertverhältnis der beiden Edelmetalle in dem bimetallisti-
schen Gebiete mit dem gesetzlichen nicht in Uebereinstimmung gehalten
werden könnte. Silber würde England in Mexiko und Südamerika im
Austausch gegen seine Waren stets iu genügender Menge erha ten können,
um seine Zahlungsbilanz mit den bimetallistischen Staaten auszugleichen;
denn das Uebergewicht seiner Produktionskräfte, seiner Kapital- und Handels-
macht würde ihm durch Veränderungen der Währungsverhältnisse anderer
Länder nicht geschmälert werden können. Wenn die bimetallistischen
Staaten vollends versuchen wollten, England durch handelspolitische Maß-
regeln zum Beitritt zu ihrem Bunde zu zwingen, so würde England nicht
nur sofort mit der Einführung der Goldwährung in Indien antworten,
sondern es würde dann wahrscheinlich auch der Sipg der grofsen Partei
entschieden sein, die eine engere handelspolitische Verbindung aller Glieder
des britischen Weltreichs verlangt, mit mehr oder weniger erhöhten Zöllen
gegen die übrigen Länder. Was endlich die Schädigung des englischen
Handels durch die hochwertige Valuta betrifft, so ist diese natürlich über-
haupt nur denkbar, wenn das bimetallistische System die erwartete Wir-
kung nicht hat und trotz desselben ein Goldagio in dem Doppelwährungs-
gebiete entsteht. Dies würde nun allerdings ohne Zweifel der Fall sein,
aber gleichwohl würde das Goldagio weder die Ausfuhr der Erzeugnisse
der bimetallistischen Länder erheblich begüustigen, noch die Einfuhr eng-
lischer Waren erheblich erschweren. Die Sache würde daun ganz anders
liegen, als bei den Ländern mit unterwertigen Valuten , mit denen wir
gegenwärtig zu thun haben, Indien oder Rufsland. Die Begünstigung der
Ausfuhr entstand für Indien lediglich dadurch, dtfs die innere Kaufkraft
des Silbers sich dort nicht in demselben Mafse verändert, wie der Wechsel-
kurs sich verändert. In Rufsland findet schon eine etwas raschere Aus-
gleichung zwischen dem Wert des Rubels im inneren und im äufseren
Verkehr statt; in Ländern mit höchstentwickelt m Verkehr dagegen, in
Frankreich, Deutschland, Amerika wird sich die innere Kaufkraft des
Geldes setir schnell der internationalen anpassen und wenn hier die Geld-
menge durch massenhafte Silberpräguugen stark vermehrt würde, so würde
sich auch sehr bald eine allgemeine Preissteigerung entwickeln. Die
Verhältnisse liegen eben hier ganz auders, als in den orientalischen Län-
Miszellen. 755
dem, wo das Geld in grofsen Mengen thesauriert wird und die Einwirkung
der Vermehrung desselben auf die Preise erst nach Jahren bemerklich wird.
Einige Vertreter der Goldwährung, namentlich Dr. Hammacher, zeigten
eich übrigens bereit, auf die bimetallistische Idee näher einzugehen, wenn
England sie acceptiere und Deutschland nur in Gemeinschaft mit England
vorgehen solle. Dr. Arendt betrachtete dies als eiu wichtiges Zugeständnis,
seine praktische Bedeutung ist jedoch sehr gering anzuschlagen. Denn
es ist im höchsten Grade unwahrscheinlich, dafs England sich überhaupt
auf einen bimetallistischen Vertrag einlassen werde und so gut wie gewifs,
dafs es nicht das alte Wertverhältnis annehmen würde , und ohne dieses
würde wieder Frankreich nicht beitreten. Die bimetallistische Agitation
ist ja allerdings in England nicht unbedeutend und unter den 177 Vice-
präsidenten der bimetallistischen Liga befinden sich nicht weniger als
63 Parlamentsmitglieder. Es werden ja viele Interessen durch die iSilberent-
wertung geschädigt und die Vertreter derselben suchen Hilfe im Bimetal-
lismus. Gleichwohl besitzt die Bewegung keinen grofsen Tiefgang; wie
Herr Bueck aus peivönlicher Erfahrung in London berichtete , beklagten
sich die Leiter derselben, dafs ihren Bestrebungen keine Beachtung ge-
schenkt werde und sie gehen sogar mit dem Plane um, von seiten der
bimetallistischen Liga einen hohen Preis für die beste Schrift gegen den
Bimetallismus auszusetzen , um eben diese Nichtbeachtung in der öffent-
lichen Meinung zu überwinden.
Einige Redner, so namentlich Bamberger, sprachen sich grundsätz-
lich gegen jede Art von internationalem Vertrag über die Münz- und
Währungsangelegenheiten aus. Das Geldwesen sei von so fundamentaler
Wichtigkeit für jeden Staat, dafs jeder sich in betreff desselben die Hände
völlig frei halten müsse, um stets nur nach seinen eigenen Interessen
handeln zu können. Auch hätten alle bisher abgeschlossenen Münzver-
träge, insbesondere der deutsch-österreichische von 1857 und der latei-
nische von 1865, Verlegenheiten und Schädigungen einzelner Beteiligten
mit sich gebracht. Die Bimetallisten ihrerseits unterschieden zwischen Münz-
vertrag und Währungsvertrag; ein Münzvertrag, durch den die beteiligten
Staaten sich hinsichtlich der Einzelheiten ihres Münz vvesens, des Münzfufses,
der Stückelung, der Zahlungskratt u. s. w. ihrer Freiheit begäben, sei
allerdings bedenklich; ein Währungsvertrag aber, der nur die freie Prägung
beider Edelmetalle nach einem bestimmten Wertverhältnis bedinge und
im übrigen jedem Staate die Regelung seines Münzweseus freilasse, biete
alle Garantien der Dauer und sei der Gefahr eines Bruches nicht aus-
gesetzt. Wenn das Wertverhältnis wirklich aufrecht erhalten werden kann,
so halte ich diese letztere Ansicht für berechtigt; jedenfalls wäre ein
Vertragsbruch von seiten eines einzelnen Staates um so weniger zu be-
fürchten, je länger er dem System angehört hätte und je gröfser die
Summe der in dieser Zeit mit seinem Stempel geprägten Silbermünzen
wäre.
Mehrfach wurde in der Debatte auch die Frage berührt, welche
Tragweite im Falle ber Einführung des Bimetallismus die sogenannte Gold-
klausel besitze, mittels welcher sich viele Gläubiger gegenwärtig die Rück-
zahlung der Schuldsumme in Gold ausbedingen. Dr. Arendt erklärt diese
48*
756 M i s z e 1 1 e n.
Klausel für illusorisch, während Dr. Bamberger ihr volle Rechtskraft
zusprach. Meiner Ansicht nach wäre zwischen der Zeit vor und nach
dem Inkrafttreten des bimetallistischen Gesetzes zu unterscheiden. Theore-
tisch steht offenbar nichts im Wege, dafs das Gesetz erklärte, alle auf
Goldmark lautenden Schulden sollten auch mit Silberkurantmünzen nach
ihrem gesetzlichen Nennwert bezahlt werden können. Dadurch würden
für die Vergangenheit alle Abmachungen über Rückzahlung der
Schulden in Goldmark unwirksam, aber daraus folgte noch keineswegs,
dafs nicht für die Zukunft unter der Herrschaft des neuen Münzgesetzes
besondere Vereinbarungen über die Goldzahlung zwischen Gläubiger und
Schuldner getroffen werden könnten.
In vielen Papierwährungsländern hat der Staat selbst das Beispiel
gegeben, dafs er sich verpflichtete, gewisse Schulden nicht mit dem sonst
unbeschränkt giltigen Papiergelde, sondern „in klingender Münze", wie
es auf den österreichischen Silberrentenverschreibungen heifst, zurück-
zahlen werde, und ebenso haben Oesterreich und Rufsland, obwohl ihr
Währungsmetall Silber war, in Gold zahlbare Schulden kontrahiert. Ein
Verbot, in der Zukunft Verzinsung und Rückzahlung in Gold zu ver-
einbaren, selbst wenn das Darlehen in Gold gewährt würde, liefse sich
schwerlich in das bimetallische Gesetz aufnehmen und würde sich, falls
dies doch geschähe, leicht umgehen lassen. Der Gläubiger könnte statt
der Rückzahlung etwa die Lieferung einer Anzahl bestimmter Goldstücke,
nötigenfalls ausländischer Goldmünzen, oder einer bestimmten Gewichtsmenge
Gold verlangen oder sich ausbedingen, dafs die Rückzahlung in Silbergeld
erfolgen solle, zugleich aber noch eine dem zur Zeit derselben bestehenden
Goldaufgelde entsprechende Vergütung zu bezahlen sei. Wie weit frei-
lich solche Abmachungen hypothekarisch sicher gestellt werden könnten,
wäre noch besonders zu entscheiden. Eiu Hauptgegenstand der Diskussion
bei Gelegenheit des bimetallistischen Antrags war auch die Frage über
die schädlichen Folgen der Silberentwertung und die Steigerung der
Kaufkraft des Goldes. In der zu den Drucksachen abgegebenen Schlufs-
erklärung der bimetallistischen Kommissionsmitglieder heifst es u. a. :
„Wir erachten es durch Wissenschaft und Praxis und teilweise sogar
durch die Zugeständnisse hervorragender Anhänger der Goldwährung als
erwiesen, dafs die Kaufkraft des Goldes den Waren gegenüber seit der
Verallgemeinerung der Goldwährung (1873) gestiegen ist, heute noch
steigt und fortfahren mufs zu steigen." Ich habe in einer meinerseits
abgegebenen Erklärung die Gründe zusammengefafst, aus denen ich an
der Ansicht festhalte, dafs eine Verteuerung des Goldes an sich nur in
Bezug auf die Erzeugnisse der Silberländer eingetreten ist, insofern nämlich
das Sinken des Silbers gegen Gold nicht von einem entsprechenden Steigen
der Preise der Produkte jener Läuder begleitet gewesen ist. Der von
den Bimetallisten gezogene Schlufs jedoch, dafs das Silber, weil es in den
Silberländern nicht merklich an Kautkraft verloren habe, überhaupt nicht
im Werte gesunken sei , ist durchaus unberechtigt. Das nichtrussische
Europa und Nordamerika einerseits und die von 6 — 700 Mill. Menschen
bevölkerten ostasiatischen Länder andererseits bilden wirtschaftliche Welten
für sich, die nur mit ihren Peripherien in noch wenig tiefgreifender Be-
Mis zellen. 757
rührung stehen und deren innere Preisbildungen sich noch fast gänzlich
unabhängig von einander vollziehen. Für die abendländische Kulturwelt
ist der allein roafsgebende Wert des Silbers der in ihrem eigenen Gebiete
geltende. In Ostasien ist dieser Wert der einheimischen Waren gegenüber
ziemlich stabil geblieben, den abendländischen gegenüber aber ebenfalls
gesunken. Für Europa werden also die ostasiatischen Produkte, auf Gold
bezogen, immer billiger, je tiefer hier der Silberwert sinkt und anderer-
seits wird man auch immer mehr Silber zum Ankauf solcher Produkte
verwenden, je schwerer es wird, das den Markt belastende Metall auf
andere Art zu verwerten. So sind viele wichtige Verbrauchsgegenstände,
Thee, Indigo, Seide, Jute, Baumwolle, Oelsaat, Oele, Zinn, Reis, in Europa
durch die Silberentwertung auf einen niedrigeren Preis gebracht worden,
was für die europäische Volkswirtschaft keinen Schaden, sondern einen
Gewinn bildet; aber die ostindisohe Konkurrenz hat auch zur Verbilligung
des Weizens mitgewirki, und wenn man dies vom Standpunkt des Konsu-
menten auch als einen Vorteil auffassen könnte, so wird dieser doch in
den Ländern mit einer grofsen landwirtschaftlichen Bevölkerung durch
die nachteilige Einwirkung des gesunkenen Weizenpreises auf die Land-
wirtschaft mehr als aufgewogen. Aber der Einüuls der Silberentwertung
auf den Weizenpreis ist doch bei weitem nicht so hoch anzuschlagen, wie
es von bimetallistischer Seite zu geschehen pflegt; denn für die Weizen-
ausfuhr kommt unter den Süberläudern eben nur Ostindien in Betracht,
dieses aber liefert nicht viel mehr als ein Zehntel der von den Einfuhr-
ländern aufgenommenen Weizenmengen und kann also nur einen sehr be-
schränkten Einfluls auf den Weltmarktpreis ausüben. Dafs auch das Sinken
der russischen Valuta zeitweise einen Druck auf die Getreidepreise West-
europas ausgeübt hat, ist zuzugeben, aber dafür kann doch nicht die
Silberentwertung verantwortlich gemacht werden. I eberhaupt ist auf
diese nur ein kleiner Bruchteil der für die Landwirtschaft empfindlichen
Erniedrigung der Preise zurückzuführen. Einen gröfseren Einflufs hat
sie auf die Erschwerung der Ausfuhr des europäischen Fabrikate nach
Silberländern, namentlich nach Indien und China ausgeübt. Allerdings
ist der Prozentanteil, der von der deutschen Gesamtausfuhr auf diese
Länder kommt, an sich nur gering, aber man mufs auch die Rückwirkung
der aus jenem Grunde entstehenden Hemmung der englischen Ausfuhr
nach Asien auf den deutschen Markt in Anschlag bringen. Bei noch
weiterem Sinken des Bupienkurses würde sogar die Konkurrenz indischer
Baumwollfabnkate in Europa möglich. Ein Mitglied der Kommission,
Herr Wü.fing, teilte mit, das am 28. Mai bereits eine Offerte von indischem
Baumwollgarn gemacht worden sei, dafs sich in Chemnitz oder M. -Gladbach
auf 5 2,25 Pfg. das Pfund stellen würde, während dieselbe Qualität gegen-
wärtig am ersteren Platze 58 — 60 und am letzteren 62 — 64 Pfg. kostet.
Mittlerweile ist indes der Rupienkurs wieder etwas gestiegen und er ist ja
überhaupt nicht mehr unmittelbar vom Silberpreise abhängig.
Alle diese Absatzschwierigkeiten und Konkurrenzgefahren für die
europäischen Fabrikate können unter den Gesichtspunkt der Goldverteuerung
gebracht werden, aber wieder nur der Goldverteuerung in den über-
seeischen Silberländern, nicht aber in den abendländischen Staaten, in
758 M i s z e 1 1 e n.
denen das Gold das alleinige Währungsmetall bildet, gleichviel ob zu-
gleich noch gröfsere Suromen in Silberkreditgeld vorhanden sind oder
nicht. Die Bimetallisten aber behaupten, dafs auch in diesen Ländern
Goldverteuerung bestehe, weil die Goldzufuhr nicht ausreiche, um Um-
laufsmittel in solcher Menge zu beschaffen, dafs die Preise sich auf einem
normalen Stande behaupten könnten. Dieser immer wiederkehrenden Be-
hauptung müssen auch immer wieder dieselben Argumente entgegen-
gestellt werden. Deutschland hatte beim Beginne seiner Münzreform
1700 Mill. M. an Edelmetallgeld, gegenwärtig aber an Goldmünzen, Bank-
barren und mit dem Golde den Paristand behauptenden Kreditsilbermünzen
etwa 3380 Mill. M., während die Bevölkerung nur von 40 auf 50 Mill.
gestiegen ist und aufserdem der Giro- und Abrechnungsverkehr seit 1876
eine grofsartige Entwickelung erlangt hat.
Frankreich hat von 1874 bis 1892 1018 Mill. Frcs. in Gold ge-
prägt und um ebenso viel wird sich sein Vorrat an Goldmünzen ver-
mehrt haben, da der Ueberschufs seiner Goldeinfuhr über die Ausfuhr in dieser
Periode über 2 Milliarden Frcs. betrug. Ferner aber stehen die franzö-
sischen Silbermünzen dem Golde vermöge des Staatskredits vollkommen
gleich und die Menge derselben hat sich von 1873 bis 1878 um 362 Mill.
in Fünffrankenstücken vermehrt, während der am Anfange dieser Periode
vorhandene Vorrat ungeändert blieb, da die in der Kriegsentschädigung
an Deutschland bezahlten Silberkurantmünzen bald nach Frankreich zurück-
geflofsen sind. Auch ist daran zu erinnern, was B-imberger mit Recht
auch in betreff Deutschlands hervorgehoben hat, dafs seit der Entwertung
des Silbers das früher häufig vorkommende Einschmelzen von Silbermünzen
in den Ländern mit hinkender Wahrung wegen des damit verbundenen Ver-
lustes aufgehört hat. Da Frankreich ferner bei den Kursverhältnissen der
letzten Jahre auch den gröfsten Teil des italienischen Silbers aufgenommen
hat, so hat sich sein Metallumlauf seit 1873 mindestens um 1500 Mill.
Frcs. vermehrt, während seine Bevölkerung nur wenig zugenommen hat.
England hat von 1873 bis 1892 760 Mill. M. in Gold mehr ein-
geführt als ausgeführt und davon jedenfalls so viel in Geld verwandelt,
als seinen Bedürfnissen entsprach. Dieses Bedürfnis ist aber bekanntlich
wegen des höher entwickelten englischen Kreditmechanismus weit geringer
als der der kontinentalen Staateu.
Die Vereinigten Staaten vollends haben von 1873 bis 1893 ihren
Geldbestand in einem Umfange vermehrt, wie es in keinem Laude jemals
in gleichem Mafse geschehen ist. Die Greenbacks blieben im Betrage von
347 Mill. Doli, als gesetzliche Zahlungsmittel im Umlauf; der Goldvorrat
stieg um 520 Mill. Doli., 416 Mill. wurden in Bland-Dollars und 152 Mill.
Doli, auf Grund der Sherman-Akte in silbergedeckten Schatznoten aus-
gegeben. Also eine Vermehrung des gemünzten oder metallisch gedeckten
Geldes um 4626 Mill. Mark, wozu noch 250 Mill. M. in Silberscheide-
münzen kamen.
In derselben Periode hat der Diskont bei allen Hauptbanken durch-
schnittlich niedriger gestanden als in den Jahren 1850 — 1870 und auoh
die Maximalsätze sind bedeutend hinter den später vorgekommenen zurück-
geblieben. Zugleich ist sowohl der Barvorrat der Banken im ganzen wie
Misz eilen. 759
auch insbesondere ihr Goldvorrat auf ganz unerhörte Ziffern gestiegen.
Die Bank von Frankreich besafs im August dieses Jahres über 1900 Mill.
Frcs. in Gold und über 1260 Mill. Frcs. in Silber. Die Bank von Eng-
land hat seit mehreren Monaten einen Goldvorrat von über 39 Mill. Pfd.
und die Summe ihrer umlaufenden Noten war in dieser Zeit um 12 bis
14 Mill. Pfd. kleiner als der Barvorrat. Ueber den Goldbestand der
Deutschen Reichsbank sind der Kommission einige neuere Mitteilungen
gemacht worden: er erreichte am 23. Februar 1894 einen Höhepunkt
mit 596 455 000 M., ging in den nächsten Monaten einigermafsen zurück,
dürfte aber durchschnittlich zwischen 550 und 600 Mill. M. betragen.
Nun sagt man freilich : diese Goldanpammlung ist ein Beweis für die
schlechten Zeiten; das Gold liegt unbenutzt, weil man nicht imstande ist,
es bei dem niedrigen Stande aller Preise in gewinnbringender Weise zu ver-
wenden. Aber dann darf man doch, wie Bamberger mit Recht bemerkte,
nicht wieder umgekehrt den ungünstigen Stand der Geschäftsaussichten
durch Mangel an Gold erklären ! Die wirklichen Ursachen des niedrigen
Preisstandes vieler — keineswegs aller — Waren liegen in den meisten
Fällen klar zu Tage. Der oben besprochene Einflufs der Valutadifferenzen
hat nur für gewisse Waren, und für die meisten von dieseu nur einen
kleinen Teil der Prei«erniedrigung verursacht, hauptsächlich aber ist sie
durch die Konkurrenz überseeischer Läuder mit geringem Bodenwert und
geringeren Produktionskosten bei billigen Frachten und durch die infolge
der technischen Fortschritte grofsartig entwickelte innere Konkurrenz
herbeigeführt worden.
Dagegen wenden nun die Bimetallisten ein, dafs diese Einflüsse auch
in dem zwanzigjährigen Zeitraum vor 1873 in gleicher Stärke vorhanden
gewesen und doch damals im ganzen ein Steigen der Preise stattgefunden
habe. Aber dieser Zeitraum trug noch den Charakter einer Uebergangs-
periode, erst nachdem die Ausstattung der Kulturstaaten mit den neuen
Hilfsmitteln der Produktion und des Verkehrs einen gewissen Stand erreicht
hatte, begann auf dem industriellen Gebiet der Konkurrenzkampf in seiner
vollen Schärte und mit allen Mitteln des Großkapitals. So erlangte in
Deutschland z. B. die Eisenindustrie erst in den Jahren 1871 — 1873 eine
ungewöhnlich grofse Ausdehnung durch die Gründung mächtiger neuer
Hüttenwerke, die ihre Produktion natürlich auch noch fortsetzten, nach-
dem der aufserordentliche Bedarf jener ersten Jahre nach dem Kriege
befriedigt war. Während in den Jahren 1861 — 1865 in Deutschland
durchschnittlich nur 799 000 Tonnen Roheisen dargestellt wurden, stieg der
durchschnittliche Jahreserzeugnis in der Periode 1871 — 75 auf 1946 000
Tonnen und am Ende der achtziger Jahre überschritt die Produktion schon
4 500 000 Tonnen. Das einzige Mittel, den Absatz diesem enorm steigen-
den Angebot entsprechend zu erweitern, war die Herabsetzung des Preises,
die durch Verminderung der Selbstkosten mittels technischer Verbesse-
rungen ermöglicht wurde. Wie weit dies gelungen ist, beweist der Um-
stand, dafs z. B. im Jahre 1887 4 024 000 Tonnen Roheisen mit einer
nur wenig grofseren Arbeiterzahl (21432 Mann) dargestellt wurden, als
in den Jahren 1861 — 65 für die Durchschnittsproduktion von 799 000 Ton-
nen (20 963 Mann) erforderlich waren. Auch haben viele Eisenwerke trotz
760 Misz eilen.
des gesunkenen Preises seit 1879 wieder sehr befriedigende Dividenden
gebracht. Uebrigens darf für die Beurteilung des Eisenpreises nicht der
ganz abnorme Stand von 1873(143,6 M.) als Ausgangspunkt gewählt werden;
er betrug von 1861 — 1865 durchschnittlich 69,6 M. und von 1866 — 1870
68,4 M., und wenn er 1887 auf 50,4 M. gesunken war, so stellt dies
nur einen Rückgang von etwa 27 Proz. gegen den früheren Preis dar.
Was aber den überseeischen Weizen betrifft, so hat der Ausbau der
Eisenbahnen im fernen Westen Amerikas und in dem Binnenlande Indiens,
der die Konkurrenz dieser Gebiete auf dem europäischen Markt möglich
machte, erst in den siebziger Jahren stattgefunden, wozu um dieselbe Zeit
auch ein starkes Sinken der Seefrachten kam. Die Vereinigten Staaten
exportierten in den Jahren 1866 — 1870, obwohl damals ihre Ausfuhr
durch ein bedeutendes G oldagi o unterstützt wurde, durchschnittlich nur"
17 Mill. Busheis Weizen, 1879 dagegen 122 Mill, 1880 sogar 153 Mill.
und aufserdem hatte sich die Mehlausfuhr verdreifacht. Indien führte
von 1871 — 1875 durchschnittlich jährlich nur 800 000 Ctr. Weizen
aus, seit 1882 aber hat seine Ausfuhr sich zwischen 14 und 22 Mill. Ctr.
bewegt.
Uebrigens sind viele Waren, wie Fleisch, Butter, Eier und andere
mehr dem Lokalverkehr angehörende Erzeugnisse wenig oder gar nicht
im Preise gesunken und die Löhne sind, wenn auch eine Reaktion gegen
die ungewöhnlich hohen Sätze der Jahre 1872 und 1873 eingetreten war,
gegen die frühere Periode erheblich gestiegen. Wenn aber wirklich eine
innere Weitsteigung des Geldes stattgefunden hätte, so hätte diese sich
bei allen Wertbestimmungen, wenn auch durch andere Einflüsse mehr
oder weniger verdeckt, fühlbar machen müssen. Aber selbst die Welt-
handelsartikel sind nicht sämtlich im Preise gesunken; eine bemerkens-
werte Ausnahme macht namentlich der Kaffee, der seit 1887 wieder mehr
und mehr in die Höhe gegangen ist und 1893 etwa 20 — 25 Proz.
teuerer war als im Durchschnitt der Jahre 1867 — 1877, trotzdem die Aus-
fuhr aus dem wichtigsten Produktionslande, Brasilien, durch eine ent-
wertete Papiervaluta begünstigt wurde.
Die Ursache der Silberentwertung soll nach der Behauptung der
Bimetallisten ausschließlich in der Demonetisierung dieses Metalls liegen
und die enorme Produktionsvermehrung keinen wesentlichen Einflufs dar-
auf ausgeübt haben. Nun kann aber von einer Demonetisierung des Silbers
höchstens seit 1893, nämlich seit der Einstellung der indischen Prägungen
und der Aufhebung der Sherman-Akte die Rede sein. Yon 1873 — 1893
aber ist in der Welt weit mehr Silber geprägt worden , als jemals zuvor
in einer gleich langen Periode, doppelt soviel, als in den Jahren 1850
bis 1870 überhaupt an Silber produziert wurde. Allerdings ist der Silber-
umlauf durch die deutschen und skandinavischen Verkäufe um 787 Mill. M.
vermindert worden. Dafür aber wurden neu geprägt an Silberkuraut-
münzen: in den Staaten des lateinischen Münzbundes (1873 — 1879) 746 Mill.
Fres, in Spanien (1876 — 1892) 641 Mill. Pesetas, in Oesterreich-Ungarn
257 Mill. Gulden, in den Vereinigten Staaten mit Einsehlufs der Aus-
gabe der silbergedeckten Schatznoten 568 Mill. Doli. , aufserdem aber
60 Mill. Doli. Silberscheidemünzen, in England 12 Mill. Pfd. Sterl. in Silber-
Miszellen. 7ßJ
Scheidemünzen, in Indien 1360 Hill. Rupien, in Japan 410 Mill. Yens.
Erwägt man ferner, dafs China in dieser Zeit mindestens 1000 Mill. M.
in Silber (nach dem alten Wert) mehr ein- als ausgeführt hat, dafs auch
Mexiko, Peru, Bolivia einen Teil ihres geprägten Silbers zurückgehalten
haben, wenn man auch ihre ausgeführten Münzen nur als Barren rechnet,
dafs auch in Bufslaud ui.d für Canada und andere englische Kolonien
Silber geprägt worden ist, so ergiebt sich, dafs in jenem Zeitraum nach
dem alten Wert durchschnittlich jährlich für etwa 400 Mill. M. Silber in
Geld verwandelt worden ist, fast das Doppelte der gleichzeitigen jährlichen
Durchschnittsvermehrung des Goldgeldes. Entzogen wurde dem Silber
nur die allerdings sehr wirksame, aber doch durchaus künstliche Stütze
seines Wertes durch das Doppelwährungssystem des lateinischen Münz-
bundes. Wenn es aber trotz der enormen Ausdehnung seiner monetären
Verwendung dennoch immer tiefer im Preise gesunken ist, so liegt darin
der Beweis, dafs die Produktion den Absatz immer wieder überholte und
letzterer immer wieder durch eine weitere Herabsetzung des Preises gleich-
sam erzwungen werden müfste. Insofern ist die unausgesetzt wachsende
Produktion unzweifelhaft die Hauptursache der Silberentwertung gewesen.
Allerdings würde ihre Wirkung weit langsamer hervorgetreten sein, wenn
die franzö.-ische Doppelwährung aufrecht erhalten worden oder dieses
System sogar noch auf andere Staaten ausgedehnt worden wäre. Aber
dafs die Produktion selbst bei einer völlig wirksamen Doppelwährung auf
das Wertverhältnis der Edelmetalle Einflufs hat, ist durch die oben er-
wähnten Erfahrungen in Frankreich bewiesen.
Weshalb bestand denn dort noch 1850 statt der früheren Goldprämie
von 1 — 2 Proz. eine Silberprämie von 2 — 3 Proz., wenn nicht infolge
des grofsen Aufschwungs der Goldproduktion ? Man wird sagen, diese
Prämien seien doch sehr niedrig geblieben, aber sie würden, wie oben
schon erörtert worden ist, immer mehr gestiegen sein, je mehr sich in der
Periode vor 1850 der Goldvorrat und in der zweiten der Silbervorrat Frank-
reichs erschöpft hätte. Andererseits aber würde das Silber, trotz der
deutschen Münzreform und der Suspension der lateinischen Doppelwährung
und selbst ohne die Hilfe der Bland Bill auf die Dauer nur wenig ge-
sunken sein, wenn seine Jahresproduktion über die Durchschnittsziffer
von 1861 — 1870 — etwa 220 Mill. M. — nicht hinausgegangen wäre.
So bleibt zweifellos die Frage in betreff der wahrscheinlichen künf-
tigen Gestaltung der Produktion der beiden Edelmetalle der Angelpunkt
der Währungsfrage überhaupt. Die Goldgewinnung hat seit 1887 von
Jahr zu Jahr zugenommen und wird 1894 einen Betrag erreichen, der
vorher niemals, auch nicht in den Jahren der höchsten kalifornischen
und australischen Produktion dagewesen ist. Wenn gleichwohl seit 1890
eine fortschreitende wirtschaftliche Depression zu beobachten war, so lag
die Ursache sicher^ch nicht in dem Mangel an Gold, sondern diese Er-
scheinung war einfach die schlimme Nachwirkung der Exzesse der Speku-
lation in deu Jahren 1889 und 1890. Wird nun die Goldproduktion den
jetzt erreichten Stand noch längere Zeit behaupten oder gar noch über-
schreiten ? Und wird andererseits die Silberproduktion, die selbst im Jahre
1893 im ganzen noch gegen 1892 gestiegen ist, endlich in dem enorm
762 Miszellen.
erniedrigten Preise eine Beschränkung finden? Die Bimetallisten möchten
die erste Frage verneinen und die zweite bejahen und sie hofften eine
Bestätigung ihres Standpunktes zu finden, wenn in der Kommission geo-
logische Sachverständige über diese Punkte vernommen würden. In erster
Linie wünschten sie die Zuziehung von E. Suefs, dessen Ansichten im
allgemeinen schon aus seinen Schriften bekannt sind. Die Reichsregierung
ging auf diesen Wunsch ein, doch wurden auf Antrag der Gegenpartei
auch Prof. Stelzner aus Freiberg und Bergrat Schmeifser, der im Auftrag
der preufsischen Regierung eine Studienreise nach Transvaal unternom-
men hatte, zur Vernehmung eingeladen. Auch befanden sich ja unter
den Regierungskommissaren als geologische und hüttenmännische Sachver-
ständige die Herren Geh. Oberbergrat Hauchecorne, der bereits in einer
wertvollen Denkschrift eine umfassende statistische Uebersicht der Edel-
metallproduktion vorgelegt hatte, Geh. Bergrat Prof. Dr. Zirkel und der
württembergische Hünzwardein Dr. Klüpfel, und aus der Zahl der Kom-
missionsmitglieder reihte sich noch Geh. Bergrat Leuschner den bergmänni-
schen Sachverständigen an.
So wurden nun, nachdem Graf Posadowsky in knapper und streng
unparteiischer Weise die Verhandlungen über den bimetallistischeu Antrag
resümiert hatte, vier Sitzungen hauptsächlich mit technischen Darlegungen
und Erörterungen aufgefüllt, von denen hier nur die allgemeinsten Ergeb-
nisse angeführt werden können. Suefs hielt die Ansicht aufrecht, dafs
allerdings in den nächsten Jahrzehuten die Goldproduktion, hauptsächlich
durch die Ausbeutung Afrikas, wohl noch zunehmen werde; aber wenn
diese neue Welle vorübergegangen sei, so gebe es kein zweites Afrika
mehr. Das Gold der alten Kulturländer sei schon seit langer Zeit, das
brasilianische und das des östlichen Teils Amerikas seit der Mitte des
vorigen Jahrhunderts aufgezehrt. Je rascher man vordränge, um so rascher
zehre man sein Kapital auf, und dann werde die Zeit vorüber sein, wo
man überhaupt noch über Goldwährung diskutieren könne. Wann diese
Zeit kommen werde, könne er nicht sagen, aber er glaube, dafs in der
letzten Zeit ihr Kommen sehr beschleunigt worden sei. Ueber Transvaal
insbesondere äufserte sich Suefs ziemlich skeptisch, vielfach im Gegensatz
mit der von Bergrat Schmeifser vorgelegten Denkschrift. Er hob nament-
lich hervor, dafs die goldführende Konglomeratschicht von Witwatersrand
— die er als eine fossile Seifenbildung betrachtet — wahrscheinlich nicht
die regelmäfsige und gleichmäfsige Ausbreitung habe , die man etwa bei
Kohlenflötzen findet. Daher seien die Schätzungen des Goldgehalts nach
der äufseren Ausdehnung der Mulde und nach dem durchschnittlichen
Gehalt der Schicht in den bearbeiteten Gruben sehr unsicher. Auch sei
es sehr zweifelhaft, ob man die goldführenden Lager in Tiefen von mehr
als 800 m, sogar bis zu 1200 m, wie Bergrat Schmeifser annehme, noch
mit Erfolg und Vorteil ausbeuten könne; bisher sei nur ein Bohrloch
niedergetrieben worden, das annähernd die erstere Tiefe, nämlich 2343
englische Fufs, erreiche. Dafs auch die alten tiefliegenden Alluvien im
Yubagebiet noch eine beträchtliche Goldreserve euthalten, giebt Suefs zu;
aber man arbeite dort jetzt langsam die reichsten Stellen heraus und nach
einiger Zeit würden diese Reserven aufgearbeitet sein. Der wichtigste
Miszellen. 763
Fortschritt aber bestehe darin, dafs man nunmehr gelernt habe, nicht nur
die goldhaltigen Sulfide , die sich in gröfseren Tiefen unter dem soge-
nannten Hut finden, sondern auch die Tailings, das rückständige feinste
Geschlemme auszubeuten. Wenn man hinsichtlich der Sulfide noch in
dem Zustaude wäre, wie vor 17 Jahren zur Zeit des Erscheinens des
Buches über die Zukunft des Goldes, so würde der heutige Abbau in
Witwatersrand nicht stattfinden; man würde nicht unter den Hut hinab-
gegangen sein. Auch hier sei eine Keserve, die jetzt in Angriff genom-
men worden sei. Was das Silber betreffe, so sei die aufserordeutliche
Ausdehnung der Produktion desselben in den Vereinigten Staaten iu den
letzten 6 — 10 Jahren hauptsächlich dadurch befördert worden, dafs man
die in Gängen vorkommenden eigentlichen Silbererze, die sogenannten
Dürrerze, nicht mehr, wie früher mittels der Amalgamation, sondern durch
Schmelzung mit Zuschlag leichtflüssiger Bleierze, namentlich von Weifs-
bleierzen verhüttet habe. Gegenwärtig seien die Lagerstätten dieser Zu-
schlagserze in Colorado gröfstenteils erschöpft und die Einfuhr mexika-
nischer Erze werde durch einen hohen Zoll erschwert. Da nun auch noch
eine enorme Preiserniedrigung des Silbers eingetreten sei, so habe sich
bereits eine Abnahme der Silberproduktion der Vereinigten Staaten her-
ausgestellt und viele Gruben würden nur noch in Betrieb gehalten , um
das Versaufen derselben zu verhindern und in der Hoffnung auf e ne
Besserung des Preises, wobei man aber keine weiteren Aufschlufsarbeiten
mache. Wenn er vor 2 Jahren in seiner Schrift über die Zukunft des
Silbers gesagt habe, der damalige Preis (von etwa 40 Pence) sei noch
nicht niedrig genug, um eine bedeutende Beschränkung der Silberpro-
duktion zu erzwingen, so sei jetzt, bei einem Preise von weniger als
30 Pence, wenigstens in den Vereinigten Staaten das Senkblei auf den
Grund gestossen. Wenn es auch einzelne Gruben geben möge, die Silber
vielleicht mit 30 Cents (etwa 15 Pence) Produktionskosten erzeugten, so
könne doch die grofse Masse der Baue bei dem heutigen Preise nicht
mehr lohnend betrieben werden. Die australische Produktion nehme eben-
falls ab, namentlich habe es sich bestätigt, dafs die Gruben von Brokenhill
ihren Reichtum in der Tiefe nicht bewahrten. In Mtxiko allerdings gehe
die Produktion nicht zurück, was zum Teil damit zusammenhänge, dafs
dort die Silberwährung bestehe, die bewirkt, dafs die Löhne, nach Cold
bemessen, sich weit niedriger stellen, als in den Vereinigten Staaten. Eine
Steigerung des Silberpreises würde allerdings auch wieder eine Vermeh-
rung der Produktion nach sich ziehen, namentlich in Mexiko und Peru.
Im übrigen erklärt Suefs , dafs er nicht für das Wertverhältnis 1:15 1/2
sei und nie dafür gewesen sei. Er würde es für die Produktionsverhält-
nisse entsprechend halten, wenn ein mittleres Wertverhältnis zwischen dem
früheren und dem gegenwärtigen angenommen würde, nämlich l:231/4.
Soetbeer habe sich zuletzt für 1:22 entschieden. Es würde übrigens
vielleicht zweckmäfsiger sein, einen Teil dieser Verschiebung des Wert-
verhältnisses auf den Schlagschatz zu nehmen (also die Münzen nach
einem dem Silber günstigeren Verhältnis auszuprägen, aber eine so hohe
Prägegebühr zu erheben, dafs der Marktwert des Barrensilbers sich dem
vorgeschlagenen Verhältnis entsprechend stellen würde).
764 Misz el len.
Die Herren Leuschner und Zirkel teilten im allgemeinen den Suefs'schen
Standpunkt und fügten zur Begründung desselben manche weitere Mit-
teilungen bei.
Bergrat Schmeifser rechtfertigte mit Hilfe einer grofsen Spezialkarte
des Witwatersrand- Distrikts seine Schätzungen über den künftigen (Jold-
ertrag desselben. Dieselben gehen dahin, dafs der Goldvorrat bis zur Tiefe
yon 800 Metern einen "Wert von 4289 Mill. M. darstelle und wenn man
annehme, dafs die bisherige durchschnittliche Zunahme der Gewinnung
noch zehn Jahre fortdauere und dann ständig auf der erreichten Höhe
bleibe, so würde die Erschöpfung dieser Lagerstätte in 25 Jahren zu er-
warten sein. Bei der Voraussetzung einer Tiefe von 1200 Metern aber
würde der Vorrat 7187 Mill. M. betragen und unter den eben gemachten
Annahmen auf 40 Jahre ausreichen. Ueber die Ertragsfähigkeit und Nach-
haltigkeit der übrigen Minenbezirke Transvaals, der De Kaapschen, Lyden-
burgschen , Klein-Letaba'schen und anderer Goldfelder sowie der süd-
afrikanischen Gebiete im Norden Transvaals läfst sich noch nichts Genaueres
feststellen. Professor Stelzner sprach sich in einer längeren Ausführung
dahin aus, dafs sowohl die Gold- wie die Silberproduktion einer be-
deutenden weiteren Entwickelung fähig sei. Auch in der Zukunft seien
noch „Ueberraschungen" möglich, wie wir sie in Kalifornien und Australien,
Nevada und Transvaal erlebt hätten. Auch auf weitere technische Fort-
schritte dürfe man rechnen, wie man ja erst seit 1890 durch das Cyanid-
verfahren die goldhaltigen Kiese fast vollständig zu verwerten gelernt
habe. Weite Gebiete der Erde, wie z. B. das Innere von Brasilien, seien
geologisch nur oberflächlich oder gar nicht durchforscht und könnten
daher noch bedeutende Edelmetalllager enthalten. Die Ausbeutung der
Silbergruben von Peru und Bolivia würden jetzt erst mit genügenden
Mitteln in Angriff genommen. Vor noch nicht langer Zeit wären in
Bolivia alle Erze und alles Wasser auf dem Rücken der Arbeiter in Leder-
säcken aus den Gruben geschleppt worden und an vielen Punkten sei das
einzige Brennmaterial Lamamist gewesen. Jetzt steige eine Bahn von
Autofagasta 4000 m hoch hinauf und werde bald La Paz erreicht haben.
Dampfer führen auf dem 3800 m hoch gelegenen Titicaca-See und von Puno
aus führe eine zweite Bahn über Arequipa wieder zu dem Stillen Ozean.
Die „Berggeschreie" über fündig gewordene reiche Hüte würden allerdings
in der Zukunft seltener werden , aber wir brauchten uns über die zu-
künftige Produktion von Gold und Silber noch keine Sorge zu macheu.
Uebrigens erklärt der Redner, dafs er nur als Geologe und Bergmann,
ohne Rücksicht auf die Währungsfrage gesprochen habe.
Bergrat Dr. Klüpfel hob die Verminderung der Produktionskosten des
Silbers hervor, zu denen aufser der Einführung des Flammofenprozesses
namentlich auch die Silbertrennung durch Zink gehöre. Dazu komme
noch die Verbilügung der Transportkosten, die weit mehr auf das Silber
als auf das Gold eingewirkt habe. Denn das Gold werde meistens an
den Produktiousstätten auch fast vollständig zu gute gemacht; die grofsen
Silberhütten dagegen befänden sich gewöhnlich nicht in der Nähe der
Gruben, sondern zum Teil in grofsen Städten und sehr fern von den
Produktionsstätten. Durch den Ausbau des Eisenbahnnetzes aber seien
M i s ze 1 1 en. 7Q&
die Kosten des Erztransports in den Vereinigten Staaten in den letzten
Jahren aufserordentlich vermindert worden. Wenn der Kilberpreis gegen
Gold, wenn auch niedrig, nur überhaupt nur einigermafsen fixiert würde,
so wäre eine grofse Vermehrung der Produktion zu erwarten, da diese
gegenwärtig durch die Unsicherheit der Marktlage noch zurückgehalten würde.
Geh. Oberbergrat Hauchecome ist ebenlalls der Ansicht, dafa eine
Hebung des Silberpreises eine Vergrößerung der Produktion veranlassen
werde. Wenn in den Vereinigten Staaten auch die früher bereits bearbeiteten
Weifsbleierz-Lagerstätten grösstenteils erschöpft wären, so sei doch neuer-
dings auch wieder eine Reihe neuer Lager dieser Art gefunden worden.
Ein grofser Teil von Montana, dafs so viel zur Vermehrung der Silber-
produktion beigetragen habe, sei bergmännisch noch nicht untersucht und
auch in den iu Angriff genommenen Teilen stehe der Betrieb noch nicht
auf der Höhe der Technik. In den Vereinigten Staaten seien 1891
40 Proz. des gesamten Silberbetrags aus Bleierzen, 10 Proz. aus Kupfer-
erzen und 50 Proz. aus eigentlichen Silbererzen gewonnen worden. Die
Selbstkosten hätten 1889 bei 155 Gruben, die im ganzen 43 Proz. der
Gesamterzeugnisse lieferten, ohne Kapitalverzinsung durchschnittlich etwa
26 Pence für die Unze betragen und 1890 hätten sich diese Kosten für
32,5 Proz. des ganzen Produkts auf ungefähr 25 Pence gestellt. Für
1892 könne man annehmen, dafs etwa die eine Hälfte des gewonnenen
Silbers mit durchschnittlich 65 Cents (etwa 32,5 Pence nach dem Londoner
Preise) uud die andere Hälfte mit 90 Cents Kosten hergestellt worden sei.
Demnach habe schon damals ein Teil der Werke mit Schaden gearbeitet.
Ueberblickt man das der Kommission vorgelegte Material und zieht
die mittlerweile bekannt gewordenen weiteren statistischen Daten hinzu,
so läfst sich nicht verkennen, dafs gegenwärtig weniger als je von Goldkuapp-
heit die Rede sein kann. Die Produktion hat niemals einen höheren
Stand erreicht als im Jahre 1894 und wahrscheinlich wird sie in den
nächsten Jahren noch weiter zunehmen. Nach dem neuesten Bericht des
amerikanischen Münzdirektors über die Edelmetallproduktion betrug die
Goldgewinnung im Jahre 1894 für die ganze Erde mit Ausschlufs von
China — dessen Ertrag der Münzdirektor auf 8 426 000 Doli, veran-
schlagt — 147 Mill. Doli, oder 617 Mill. M., während sie in den Jahren
1856 — 60, in der sie ihr früheres Maximum erreicht nach Soetbeer jähr-
lich durchschnittlich nur 564 Mill. und in der Periode 1851 — 1855 durch-
schnittlich nur 557 Mill. M. betragen hat. In den ersten acht Monaten
des Jahres 1894 aber hat Witwatersrand bereits 1 317 026 Unzen ge-
liefert und man darf annehmen, dafs die gesamte Produktion Trausvaals
in diesem Jahre 2 Mill. Unzen erreichen wird, 500 000 Unzen mehr als
1893. Dazu kommt nun die in rascher Zunahme begriffene Goldproduk-
tion Westaustraliens, die 1892 erst 59 500 Unzen betrug, 1893 aber schon
auf 110 890 Unzen stieg und 1894 voraussichtlich noch wenigstens
100 000 Unzen mehr ergeben wird. Am wichtigsten ist das Grubenfeld
von Coolgardie, wo ein Quarzgang bearbeitet wird, der im Ausgehenden
bisher 8 — 12 Unzen Gold auf die Tonne Gestein geliefert hat. Auch
Alluvialgoldlager sind vorhanden, die, wie so häufig, anfangs aufserordent-
lich reiche Ausbeuten ergeben haben. Ein schwerer Mifsstand für den
766 Miszellen-
westaustrali sehen Bergbau ist der Wassermangel; doch sind die Gewinn-
aussichten so grofs, dafs sich ohne Zweifel genügende Kapitalien finden
werden, um diesem Uebel abzuhelfen. Auch hat die Kolonialregierung
bereits mit Erfolg Mafsregeln getroffen , um Wasser zuzuführen, das sie
für 2 il2 Shill. die 50 Gallons verkauft.
Wichtig für die Goldproduktion ist auch, dafs nun endlich in Kali-
fornien der hydraulische Betrieb im Yuba Gebiet wieder aufgenommen
werden kann. Der neueste Bericht des amerikanischen Münzdirektors ent-
hält näheres über die Ausführung des im März 1893 vom Kongrefs an-
genommenen Caminetti Act, der unter gewifsen Bedingungen und Be-
schränkungen, durch welche die Einführung des ausgewaschenen Materials
in die schiffbaren Flüsse und die Beschädigung des Landes anderer Eigen-
tümer verhindert werden soll, das hydraulische Verfahren wieder ge-
stattet. Auf Grund dieses Gesetzes ist in Kalifornien eine sogenannte
De'bris-Kommission vom Präsidenten ernanut worden, die ermächtigt ist,
Lizenzen tür diesen Betrieb zu erteilen, wenn die nötigen Schutzanlagen
nach den von der Kommission zu genehmigenden Plänen errichtet sind.
Doch kann die Lizenz auch wieder zurückgenommen werden, wenn die
Anlagen sich als ungenügend erweisen. Noch im Laufe des Jahres 1893
erhielten 20 — 39 grofse hydraulische Unternehmungen nach Errichtung
der erforderlichen Dämme die nachgesuchte Lizenz und viele andere An-
träge waren noch in der Schwebe. Die Wirkung auf die Produktion wird
erst 1894 bemerklich werden und man darf annehmen, dafs der jährliche
Goldertrag Kaliforniens sich in der nächsten Zeit um 2 — 3 Mill. Doli, ver-
mehren werde. Der in den tiefen Placers enthaltene Goldvorrat in den
bisher von dem Verbot des hydraulischen Verfahrens betroffenen Bezirken
wird auf 335 Mill. Doli, geschätzt. In mehreren Grafschaften ist das
Verfahren immer unbeanstandet geblieben, weil dort die Rückstände nicht
in schiffbare Flüsse geleitet wurden.
Im ganzen wird man die Goldproduktion für 1894 mit Ausschlufs
von China auf etwa 670 Mill. M. veranschlagen dürfen und in den nächsten
Jahren ist vermutlich noch eine weitere Steigerung zu erwarten, sowohl
weil Transvaal, Australien und Kalifornien den Höhepunkt ihrer Förde-
rung noch nicht erreicht haben, als auch weil die bessere Verwertung
der goldhaltigen Kiese durch das Cyanid- oder irgend ein anderes Ver-
fahren auch in Amerika und Australien das Ausbringen vermehren wird.
So mag in den nächsten Jahrzehnten eine durchschnittliche Jahresproduk-
tion von 700 — 720 Mill. M. zu erwarten sein, d. h. ungefähr so viel, wie in
den Jahren 1851 — 1865 die Durchschnittspioduktion von Gold und Silber
(nach dem alten Wert) zusammen betrug. Aber Suefs ist andererseits
vollkommen berechtigt zu sagen, dafs die Goldgewinnung sich auf dieser
Höhe nicht dauernd erhalten könne, dafs vielmehr notwendig einmal ein
Zeitpunkt kommen müsse, von dem ab sie dauernd zurückgehen werde
und dafs dieser Zeitpunkt um so näher rücke, je intensiver die Ausbeutung
der erschlossenen Lagerstätten betrieben würde. Es mögen ja immerhin
noch einige neue grofse Produktionsgebiete im Innern von Afrika, Brasilien,
Australien entdeckt werden, aber mit jeder neuen Entdeckung dieser Art
vermindert sich die Wahrscheinlichkeit einer weiteren, während anderer-
Miszellen. 767
seits jedes im Abbau befindliche Goldfeld nach einer verhältnismäfsig
kurzen Zeit notwendig erschöpft sein wird. Reicht ja der Goldgehalt des
Witwatersraud nach der allergünstigsten Schätzung nur noch für einen
Betrieb von 40 Jahren aus. Es ist also keineswegs übertrieben pessimistisch,
wenn mau deu Wendepunkt für die defiuitive Abnahme der Goldproduk-
tion nur um ein halbes Jahrhundert von der Gegenwart entfernt ansetzt.
Aber die Abnahme bedeutet keineswegs das A u fh ö re n dieser Produktion,
es ist sehr wohl möglich, dafs es ein zweites halbes Jahrhundert dauern
wird, bis sie wieder auf den Staud, den sie in den achtziger Jahren ein-
nahm zurückgegangen ist und nichts beweist, dafs sie auch in der ferneren
Zukuüft geringer sein werde als dem Bedürfnis der Kulturwelt entspricht
zumal dann der vorhandene Vorrat noch enorm angewachsen sein wird.
Es ist aber, wie schon früher bemerkt, sehr wahrscheinlich, dafs der Ver-
kehr sich im Laufe des nächsten Jahrhunderts wie jetzt schon vom Silber,
60 auch mehr und mehr vom Golde emanzipieren und rationellere Formen
der TJmlaufsmittel ausbilden werden.
Was die Silberproduktion betrifft, so ist sie in den Vereinigten Staaten
allerdings im Jahre 1893 auf 1866 000 k gegen 1975 500 k im Jahre
1892, also um mehr als 100 000 k gesunken. Dieser Ausfall aber ist
weit mehr als aufgewogen worden durch die Mehrerzeugung in Mexiko,
dessen Produktion von 1229 000 k in 1892 auf 1380000 k in 1893
gestiegen ist. Gerade von bimetallistischer Seite, insbesondere von Dr.
Arendt, ist nachdrücklich hervorgehoben worden, dafs in Mexiko die Silber-
gewinnung von dem Silberpreis wenig beeinflufst werde, weil der giöfste
Teil der Produktionskosten in Silber bezahlt werde. Diese Ansicht ist
bis zu einem gewissen Grade berechtigt und eben deshalb darf selbst bei
dem jetzigen niedrigen Preisstande noch ein weiterer Fortschritt Her mexi-
kanischen Silberproduktion erwartet werden, da der Reichtum dieses Lan-
des an Silbererzen von mäfsigem Gehalt praktisch unerschöpflich ist. Aber
es folgt aus jenem Satze keineswegs, dafs eine bedeutende Erhöhung des
Silberpreises und vollends die Wiederherstellung des früheren Wertver-
hältnisses nicht eine weitere grofse Steigerung der Produktion auch in
den amerikanischen Silberwährungsländern hervorrufen würde. Nament-
lich würde dann unfehlbar europäisches Kapital in grofsen Summen nach
Mexiko fliefsen, um den dortigen Bergbau sowohl durch Eisenbahnbau,
wie durch technische Verbesserungen und konzentrierteren Betrieb zu
einem höheren Aufschwung zu bringen. Dasselbe gilt auch von den süd-
amerikanischen Silberländern, unter deDen Bolivia den ersten Rang ein-
nimmt. Europäische Gesellschaften haben hier bereits mit mehr oder
weniger Erfolg angefangen, einen rationellen Betrieb in Gang zu setzen
und eine nachhaltige Besserung des Silberpreises würde unzweifelhaft auch
hier grofse Kapitalien anlocken. In Australien ist die Silberproduktion
auch im Jahre 1893 nach dem Bericht des amerikanischen Müuzdirektors
noch bedeutend gestiegen, nämlich auf 637 800 k gegeu 418 000 k vom
Vorjahre. Einen Hauptanteil an dieser Zunahme hatte die Mine der
Broken Hill Proprietary Mining Co. (nicht zu verwechseln mit anderen
Broken-Hill-Gruben), deren Ertrag nach der Hauchecorne'schen Denkschrift
von 250 704 k im Jahre 1892 auf 388 729 k stieg. Man prophezeit
768 Misz eilen.
dieser Grube zwar vielfach einen baldigen Rückgang, fürs erste aber ist
der 1892 eingetretene Ausfall im vorigen Jahre durch eine mehr als
doppelt so grofse Zunahme ersetzt worden. Auch bleibt der Prozent-
satz des Bleis an Silber seit 1886, nach dem Abbau der reichsten Erze
des Ausgehenden ziemlich gleichmäfsig und 1893 war er sogar höher,
als in den Vorjahren. Die gesamte Silberproduktion der Erde wird in
dem amerikanischen Bericht für 1893 auf 5 Mill. k veranschlagt, gegen
43/4 Mill. im Jahre 1892. Nach dem alten Werte stellt die erstere Ge-
wichtsmenge 900 Mill., die letztere 855 Mill. M. dar. Die Eirjfuhr von
Silber nach England ist bisher während des Jahres 1894 ungefähr so
grofs geblieben, wie 1893; da aber die Aufspeicherung auf Gruud der
Sherman-Akte — nebenbei gesagt, findet sich im amerikanischen Schatz-
amt die von den Bimetallisten vermifste Ansammlung von nicht oder
schwer verkäuflichem Silber — jetzt aufgehört hat, so wäre eine stärkere
Zufuhr nach England zu erwarten gewesen, wenn die nordamerikanische
Produktion unverändert fortgedauert hätte, und man wird daher bis zum
Einlaufen geuauerer Nachweise annehmen dürfen , dafs die Gesamtgewin-
nung von Silber sich für 1894 als niedriger herausstellen werde, als für
1893. Wann die jetzige niedrige Preislage sich dauernd behauptet, so
wird für die nächsten Jahre ein weiterer Rückgang wahrscheinlich, da viele
Werke, die jetzt in Erwartung besserer Zeiten noch weiter arbeiten, dunn
ihren Betrieb einstellen werden. Iudes darf man den dadurch entstehen-
den Ausfall nicht zu hoch anschlagen ; abgesehen davon, dafs ein solcher
in Mexiko und Südamerika der Silberwährung wegen vielleicht gar nicht
entstehen wird, gilt im allgemeinen die Regel, dafs die mit hohen Pro-
duktionskosten arbeitenden Minen verhältnismäfsig auch nur einen geringen
Teil zu dem Gesamtprodukt beitragen. Dafs aber andererseits eine bedeu-
tende Erhöhuug des Silberpreises und vollends eine solche bis auf dem
früheren Stand eine grofse Steigerung der Produktion auch noch über
die Zahlen von 1893 hinaus verursachen würde, läfst sich bei unbe-
fangener Beurteilung der Thatsachen nicht bestreiten und wird auch in
einem interessanten Bericht des Berginspektors Wimmer in Eisleben, der
der Kommission von bimetallistischer Seite vorgelegt worden ist, offen
zugestanden. So sagt Wiramer von den Erzmassen , die sich lagerförmig
in grofser Ausdehnung zwischen den Schichten der paläozoischen For-
mationen eingedrängt haben, es sei bei ihrer meist flachen Lagerung ein
geradezu unerschöpflicher Silbervorrat , wenn auch meistens in der Eorm
armer Erze, in ihnen enthalten, der auch bergmännisch zugänglich sei und
nicht in unerreichbarer Tiefe stecke. Von den eigentlichen Gängen, so-
wohl den silberhaltige Blei- oder Kupfererze wie den eigentlichen Sil-
bererze (Dürrerze) enthaltenden, werden, wie Wimmer ebenfalls bemerkt,
viele schon in grofsen Tiefen bearbeitet, ohne dafs sie vertauben. Dafs
die Dürrerze der Zusammenschmelzung mit Bleierzen bedürfen, kann der
Ausdehnung der Silberproduktion nicht im Wege stehen, denn an Blei-
erzen ist Ueberflufs vorhanden, wann auch wirklich die besonders geeig-
neten Karbonatlager von Kolorado bald definitiv erschöpft sein sollten.
Es wäre dies nur eine Frage der Erhöhung der Produktionskosten, die
bei einer grofsen Steigerung des Silberpreises ihre Bedeutung verlieren
Misz eilen. 7 t','. i
■würde. Dafs in den gröfseren Tiefen statt des Bleies Zink als Begleiter
des Silbers auftritt ist eiue Schwierigkeit, die durch die neueren Fort-
schritte der Metallurgie als überwunden zu betrachten ist. Geh. Berg-
rat Leuschner hob mehrfach hervor, dafs eine rasche Ausdehnung der
Silberproduktion auch bei bedeutend erhöhtem Preise nicht möglich sei,
weil dazu Aus- und Vorrichtungsarbeiten erfordert würden, die längere
Zeit in Anspruch nähmen , zumal sie jetzt von vielen Gruben , die ihren
Betrieb auf das notwendigste beschränken, unterlassen würden, und dafs
es noch länger dauern würde, bis gänzlich aufgelassene Gruben wieder
ihre Förderung aufnehmen könnten. Aber bei einer Preissteigerung des
Silbers um 50 oder gar 100 Proz. seines jetzigen Marktwertes würde
doch unzweifelhaft alles aufgeboten werden, um die Produktion sofort zu
verstärken, wenn auch das Maximum der Erhöhung derselben erst in
einigen Jahren zu erwarten wäre. Wie weit diese Vermehrung bei Wieder-
herstellung des alten Verhältnisses durch einen bimetallistischen Bund
gehen würde , läfst sich nicht voraussagen , jedenfalls aber hätte man in
diesem Falle von Anfang an mit einer jährlichen Silberproduktion nicht
nur von 43/4 Mill. k, wie ich bisher auf Grund des Ergebnisses von
1892 angenommen habe, sondern von mindestens 5 Mill. k, also 900 Mill. M.
nach dem alten Werte zu rechnen, und eine Steigerung derselben auf
6 — 7 Millionen in den nächsten Jahren würde bei dem möglichen enor-
men Gewinne vieler Gruben keineswegs unwahrscheinlich sein. Eine den
Preis drückende Ueberfüllung des Silbermarktes , wie sie gegenwärtig so
lange bestanden hat (wenn auch das Silber eben durch die Preiserniedri-
gung schliefslich immer Absatz gefunden hat), wäre unter dem bimetal-
listischen System ja nicht mehr zu befürchten ; das Silber wäre unmittel-
bar Geld und um so mehr würde man bestrebt sein, es mit möglichster
Schnelligkeit aus der Erde zu ziehen, da jeder Zeitverlust auch einen
Zinsverlust bedeuten würde. An dem Uebermafs der Silberproduktion,
ganz abgesehen von den übrigen Schwierigkeiten, würde auch der Arendt-
sebe Uebergangsantrag scheitern, mit dem sich die Kommission nach der
Vernehmung der geologischen Sachverständigen in ihren beiden letzten
Sitzungen beschäftigte. Nach demselben sollen möglichst viele Staaten,
jedenfalls aber zunächst England, Deutschland, Frankreich und die Ver-
einigten Staaten sich vertragsmäfsig verpflichten, an bestimmten Stellen
Silberbarren von mindestens 5 k Feingehalt unentgeltlich in Depot zu
nehmen und dafür Certifikate abzugeben , die auch wieder gegen Silber-
barren einlöslich wären. Diese internationalen Silbercertifikate sollen in
jedem beteiligten Staate von bestimmten Kassen gegen Geld zu einem
gleichen Preise angekauft werden. Der Preis wird jedes Jahr auf
einer Konferenz festgesetzt und er darf innerhalb der Vertragszeit zwar
erhöht, aber nicht wieder herabgesetzt werden. In allen vertragsschliefsenden
Staaten sollen die Certifikate ohne Unterschied ihrer Herkunft dem Lan-
desgelde bei der Deckung von Banknoten und Bankdepositen gesetzlich
gleich gestellt werden. Im übrigen sollen sie jedoch keineswegs selbst
als Geld dienen, vielmehr sollen sie Namenspapiere sein und eine Besitz-
übertragung nur mittels Gerierung stattfinden können. Der Vertrag soll
auf fünf Jahre geschlossen und ein Jahr vor Ablauf kündbar sein. Findet
Dritte Folge Bd. VIII (LXIII). 49
770 Miszellen.
keine Kündigung statt, so läuft er auf je fünf Jahre weiter. Für den
Fall der Auflösung aber soll das gesamte bei den Hinterlegungsstellen
aller Staaten vorhandene Silber unter dieselben in der Art verteilt werden,
dafs für die eine Hälfte der Gesamtmenge die durchschnittliche Silber-
produktion der betreffenden Staaten, für die andere aber die Bevölke-
rungszahl als Mafsstab gilt. Die Certifikate sind von den einzelnen Staaten
nach dem letzten Vertragspreis und dem angegebenen Verteilungsmafs-
stabe gegen Geld einzulösen. Jeder Staat hat dann selbst zuzusehen, wie
er das ihm zufallende Silberquantum verwerten könne. Für den Fall
der Zahlungsunfähigkeit eines Vertragsstaates soll dessen Anteil ebenfalls
in obiger Weise zwischen den übrigen Staaten aufgeteilt werden. Aber
eine solche Auflösung hält der Antragsteller für durchaus unwahrschein-
lich, vielmehr glaubt er an ein kontinuierliches Steigen des iSilberpreises
während der Vertragsdauer. Wenn dann, durch dieses ermutigt, ein Ver-
tragsstaat freie und unbeschränkte Silberprägung nach einem festen Wert-
verhältnis zum Golde einführt, so wird er von der Verpflichtung, Silber-
depots zu unterhalten und Certifikate anzukaufen, entbunden, bleibt aber
im Falle der Auflösung für die Depots und Certifikate in dem oben an-
gegebenen Mafse verantwortlich. Andererseits soll er verpflichtet sein,
einen Schlagschatz für die Silberprägungen zu erheben , der dem Unter-
schiede zwischen dem angenommeneu festen Wertverhältnis und dem
jeweiligen Vertragspreis genau entspricht. Erreicht aber der Vertrags-
preis das Wertverhältnis l:15x/2, so soll nur dieses für die dann kosten-
lose Silberprägung in den Vertragsstaaten zulässig sein.
Dieser Vorschlag ist zwar sinnreich genug ausgedacht, aber bei
näherer Betrachtung erweist er sich als höchst verwickelt, so dafs eine
praktische Ausführung noch schwieriger sein würde, als die des verhält-
nismäfsig einfachen reinen Bimetallismus. Auch fand er in der bimetalli-
stischen Gruppe selbst nur eine sehr geteilte Aufnahme und Herr Leuschner
erklärt, dafs wohl die Mehrheit derselben der Ansicht sei, dafs diese Vor-
schläge trotz ihrer theoretischen Bedeutung praktisch nicht zu verwirk-
lichen sein würden. Dr. Arendt nimmt in den Erläuterungen zu seinem
Antrag selbst an, dafs das Quantum des jährlich hinterlegten Silbers 2 Mill. k
betragen könne und nach den gegenwärtigen Aussichten der Silberpro-
duktion wird man die Ziffer bei der vorausgesetzten Preissteigerung als
Minimum betrachten müssen. Schon der Eindruck, den eine solche
jahraus jahrein fortdauernde Ansammlung von gänzlich brach liegen-
dem, für keinen sonstigen Zweck — denn alle möglichen Verwendungen
sind schon in Rechnung gebracht — brauchbarem Silber macht, müfste ein
äufserst ungünstiger sein und könnte leicht die Auflösung des Vertrags veran-
lassen, wie in Amerika die Shermau-Akte hauptsächlich durch das Schau-
spiel der grofseu Silberanhäutung diskreditiert worden ist. Ferner aber
würde sich diese Silberansammlung in sehr ungleichzeitigen Weise ver-
teilen : sie würde sich hauptsächlich konzentrieren auf die Produktions-
länder, also die Vereinigten Staaten und Mexiko, wenn dieses ebenfalls
beitreten sollte. Die Certifikate aber würden nach Europa gehen und
sich hier in den grofsen Banken ansammeln. Für diese würden sie aber
ein keineswegs zweckmäfsiges Notendeckungsmittel bilden , ebensowenig
M is z el 1 en. 771
wie etwa englische Konsols , obwohl deren Sicherheit ja auch unzweifel-
haft ist. Sie könnten eben als Deckungsmaterial nicht dem baren Gelde
gleichgestellt werden, weil sie ja eben kein Geld sein sollen und nicht
die Liquidität und Zahlungskraft des Geldes besäf^eu. Und wie soll der
Ankauf der Certiflkate gegeu Geld bei den Staats- oder Bankkassen ge-
sichert werden ? Nach dem Antrage soll derselbe nicht ausschliefslich
gegen Gold, sondern gegen Landesgeld nach dem gleichmäfsigen Wechsel-
kurs auf London stattfinden. Dann wäre aber England das einzige Land,
das unbedingt die Certifikate in Gold bezahlen müfste , während Frank-
reich, Deutschland, die Vereinigten Staaten auch Silber und andere Län-
der uneinlösliches Papiergeld verwenden könnten. Die Forderung, dafs
die Certifikate ausschliefslich in Gold auszuzahlen wären, würde sich als
unerfüllbar erweisen ; in jedem Falle aber würde England die Hauptein-
lösungsstelle für die Certifikate bilden und jederzeit zu gewärtigen haben,
dafs ihm grofse Goldsummen gegen solche entzogen würde. Namentlich
würde auch Amerika immer imstande sein, aus Europa und in erster
Reihe wieder aus England beliebige Mengen Gold herbeizuziehen. Denn
man könnte dort den Wechselkurs jederzeit zum Umschlagen bringen, indem
man sich gegen Hinterlegung von neuem Silber Certifikate verschaffte, die
unmittelbar mit den Sichtwechseln auf Europa konkurrieren und die schliefs-
lich zur Einlösung gegen Gold nach London geschickt werden würden.
Allerdings bildet auch jetzt England die Centralstelle für die internatio-
nale Goldverteilung, aber es findet dabei seinen Vorteil, während es unter
dem Arendt'schen System in seinem Goldbesitz von den Siiberproduktions-
ländern abhängig sein würde. Es erscheint daher schon deshalb ausge-
schlossen , dafs England sich an diesem System beteiligen sollte. Was
der vertragsmäfsig festzusetzende Preis der Certifikate — und folglich
auch des Silbers — betrifft, so sollte nach dem ursprünglichen Arendt-
schen Antrag zuerst der Durchschnittspreis angenommen werden, den das
Silber in den drei Monaten zwischen der Ratifizierung und dem Inkraft-
treten des Vertrags in London erzielt hätte. Da aber unter solchen Um-
ständen unzweifelhaft ein schwindelhaftes Emportreiben des Silberpreises
stattfinden würde, so schlägt der Verfasser in seinen Erläuterungen in
zweiter Linie vor, etwa mit 40 Pence zu beginnen — um wenigstens
die Wirkung der Schliefsung der indischen Münzstätten und der Aufhe-
bung der Sherman-Akte auszugleichen — und dann jährlich den Vertrags-
preis um 2 Pence zu steigern , wenn die Gesamtdepositen weniger als
1 Mill. k für das Jahr betragen hätten und der Londoner Silberpreis nie
mehr als 1 Penny unter den Vertragspreis gesunken wäre. Aber bei
diesem Verfahren würde es für die Silberminenbesitzer entschieden loh-
nend sein , nötigenfalls mit Beihilfe von selten geldvorschiefsender
Kapitalisten, einen Teil ihres Produktes nicht zu hinterlegen, sondern
zurückzuhalten oder auch ihre Produktion zu beschränken , so dafs die
Bedingung der Preissteigerung jedenfalls erfüllt würde. WTenn dann das
vierte Vertragsjahr ohne Kündigung abgelaufen wäre, so hätten die Silber-
besitzer wenigstens sechs Jahre vor sich, um nicht nur das aufgespeicherte
Metall, an dem sie wenigstens keine Zinsen verloren hätten, sondern auch
die weitere mit aller Anspannung zu betreibende Produktion zu einem
49*
772 Miszellen.
bedeutend erhöhten festen Preise zu verwerten. Ebenso würde es sich
lohnen, worauf Herr Generalkonsul Russell aufmerksam machte, Silber aus
Indien, China u. 8. w. herbeizuschaffen, um es im fünften Jahre des Ver-
trags zu 48 Pence zu verkaufen, mit der Aussicht, nach Auflösung des
Vertrags, es vielleicht zu 20 Pence zurückkaufen zu können. Infolge
solcher Spekulationen könnte auch der die beteiligten Staaten bei der
Auflösung des Verbandes treffende Verlust aufserordentlich viel gröfser
werden, als Dr. Arendt ihn veranschlagt.
So hatte der Arendt'sche Vorschlag kein besseres Geschick als die
übrigen Vermittelungsanträge : aufser seinem Urheber trat niemand für
ihn auf. Da weitere Vorschläge nicht gemacht wurden , so konnte die
Thätigkeit der Kommission mit der 21. Sitzung am 6. Juni abgeschlossen
werden. Der Vorsitzende konstatierte in seinem Schlufswort, dafs in drei
Punkten Uebereinstimmung bestanden habe: in der Anerkennung gewisser
Schädigungen, die für unseren Aufsenhandel wie auch für unser inneres
Gewerbsleben durch den schwankenden und niedrigen Silberpreis ent-
ständen; ferner in der Anerkennung, dafs Deutschland allein nicht in der
Lage sei, wirksame Mafsregeln zur Hebung des Silberwertes zu ergreifen,
und dafs drittens eine solche Hebung auf dem Wege der Monopolisierung,
Kartellierung oder Regalisierung der Silberproduktion jedenfalls nicht zu
erreichen sei. Streitig aber seien die Fragen geblieben, ob und wie eine
Steigerung des Silberpreisea der freien Produktion gegenüber erreichbar
sei, welches Gewicht die durch die Silberentwertung geschädigten Interessen
gegenüber den wirtschaftlichen Gesamtinteressen besäfsen , welches Wert-
verhältnis der beiden Edelmetalle für eine internationale Regelung vor-
zuschlagen wäre und ob nicht die von verschiedenen Seiten vorgeschlagenen
Heilmittel vielleicht gefährlicher seien als die Silberkrankheit selbst. Wie
man auch zu der Währungsfrage stehe, man werde zugestehen müssen,
dafs die Uebelstände auf dem monetären Gebiete schon wegen unseres
internationalen Verkehrs aufserordentlich schwer zu beseitigen seien, selbst
wenn man ihre letzten Ursachen richtig erkannt hätte; dafs man mit
diesen Fragen nicht Mifsstände identifizieren dürfe, die bei vorurteils-
loser Beurteilung nur teilweise auf das Wesen des Geldumlaufs zurück-
zuführen seien; dafs, selbst wenn der Versuch internationaler Vereinigungen
auf entsprechend begrenztem Gebiete Aussicht auf Erfolg bieten sollte,
doch Befürchtungen und Zweifel entstehen könnten, die selbst beim Mangel
jeder sachlichen Berechtigung auf unser Kreditwesen und damit auf unser
Erwerbsleben zurück wirken könnten. Die Frage der Silberentwertung
sei keine parteipolitische, sondern eine rein wirtschaftliche; die Kommissions-
mitglieder würden sich ein Verdienst erwerben, wenn sie in den Kreisen
ihres Einflufses dazu beitrügen, die Ueberzeugung von der Vielseitigkeit
der Silberfrage und den Schwierigkeiten ihrer praktischen Lösung zu ver-
breiten und damit auf deren sachliche, nüchterne Beurteilung hinzuwirken.
Die Reichsregierung werde die der Kommission unterbreiteten Vorschläge
einer eingehenden Prüfung unterziehen.
Dr. Bamberger sprach als ältestes Mitglied der Kommission im Namen
derselben dem Vorsitzenden für die vortreffliche und musterhafte un-
parteiische Leitung der Verhandlungen lebhaften Dank aus und fügte in
Miszellen. 773
launiger Weise hinzu, wenn es Sitte wäre, einem Vorsitzenden eine Denk-
münze zu überreichen, so muffte diese im vorliegenden Falle aus jenem
Elektron — der natürlichen Mischung von Gold und Silber — sein, das
im 5. und 6. Jahrhundert v. Chr. das erste Edelmetallgeld gewesen und
sogar schon die Grundlage eiues Münzvertrags zwischen mehreren klein-
asiatischen Stadtstaaten gebildet habe. Die schlauen Karthager hätten
diese Mischung auch schon künstlich dargestellt, so dafs also auch damals
schon die Gefahr der ,, echten Nachprägung1' bestanden hätte. Ein ähnlicher
Münzreform Vorschlag sei glücklicherweise in der Kommission nicht auf-
getaucht, obwohl sowohl Cernuschi als auch Hertzka in der That die An-
nahme einer Gold- und Silberlegierung zur Lösung der Währungsfrage
empfohlen hätten.
Noch ein anderer Vorschlag ist in der Kommission unberührt ge-
blieben, obwohl er in der Presse auch in der neuesten Zeit noch Ver-
teidiger gefunden hat. Es ist der früher namentlich von A. Eggers, kürz-
lich auch in einer Broschüre ,,Nummus orbis terrarum" (Köln 1894, von
Göcke) , in der Revue des deux Mondes von K. G. Levy und neuestens
auch vom Herzog von Noailles empfohlene Projekt einer silberneu inter-
nationalen Handelemüuze ohne festes Wertverhältnis zum Golde. Es
würde ja an sich wohl nicht schwer sein, alle Kulturstaaten für den Ver-
such zu gewinnen , solche Münzen nach einem gemeinschaftlichen Typus
gegen eine geringe Gebühr oder vielleicht sogar unentgeltlich für jeden,
der Barrensilber einlieferte, iu beliebiger Menge zu prägen; aber wenn
man dem Plane in der Kommission nicht näher getreten ist, so erklärt
sich dies wohl daraus, dafs man der Ansicht war, auf diesen Wege sei
weder eine nennenswerte Hebung noch eine Befestigung des Silberwerts
erreichbar. In den Ländern mit Goldwährung oder Goldrechnung würden
diese Silbermünzen einen veränderlichen Kurswert haben und daher für
den inneren Verkehr gänzlich unbrauchbar sein. Denn von den Funk-
tionen des Geldes ist die als Wertmafs gegenwärtig noch weit wichtiger
als die ah Umlaufsmittel, und der Verkehr verlangt unbedingt die Einheit-
lichkeit des Wertmafses, weshalb er sich in den Staaten mit hinkender
Währung auch die starke üeberwertung des Silberkreditgeldes, durch die
es eben in ein festes Verhältnis zum Golde gebracht wird, gefallen läfst.
Mit dieser notwendigen Einheit des Wertmafses würde es aber auch un-
vereinbar sein, dafs die Geschäfte und Verträge nach dem Belieben der
Beteiligten auf Gold oder Silber abgeschlossen würden. Es handelt sich
für den Zahlungsempfänger überhaupt nicht um das eine oder das andere
Metall, sondern um eine Anzahl von Werteinheiten, deren Uebertragung
übrigens auf mannigfaltige Art stattfinden kann. Auf die frühere Parallel-
währung in Norddeutscbland kann mau sich nicht berufen; denn sie be-
stand einerseits unter weit einfacheren Verkehrsverhältnissen und ist durch
die steigende wirtschaftliche Entwickelung in der ersten Hälfte dieses
Jahrhunderts von selbst allmählich zu Gunsten der einheitlichen Silber-
währung verschwunden ; aufserdem aber war zur Zeit ihres Bestehens das
Wertverhältnis der beiden Edelmetalle nur wenig veränderlich. Was aber
die Verwendung der internationalen Silbermünze für den auswärtigen
Handel betrifft, so kann dabei nur Asien in Betracht kommen, da Mexiko
und Südamerika auf einen regelmäfsieren Ausfuhrüberschufs von Silber
774 Miszellen.
angewiesen sind, Australien effektive reine Goldwährung besitzt und die
europäisch civilisierten Länder Afrikas ebenfalls schon infolge der süd-
afrikanischen Produktion die Goldwährung behalten werden, die Gebiete
mit halbzivilisierter oder halbwilder Bevölkerung aber für Metallgeld über-
haupt nur eine geringe Aufnahmefähigkeit besitzen. Weshalb aber nach
Asien mehr Silber in der Form der neuen Münze als bisher in Barren
und Piastern gehen sollte , ist gar nicht einzusehen und die bisher ge-
machten Versuche haben gezeigt , dafs der Wert des Silbers auf diesem
Wege nicht beeinflufst werden kann. Der amerikanische Trade Dollar
konnte sich neben dem mexikanischen Piaster in China nicht einbürgern,
obwohl er mehr Silber enthielt als dieser, und man mufste diese Münzen
schliefslich wieder einziehen, weil sie massenhaft mifsbräuchlicher Weise
zu dem Kreditwerte des Standard Dollar in den inneren Verkehr der
Vereinigten Staaten eindrangen. England hat die Prägung des Hongkong
Dollars nach wenigen Jahren wieder aufgegeben und läfst in den Straits-
Settlements die mexikanischen Piaster in Umlauf. Gegenwärtig soll es
allerdings beabsichtigen, einen Versuch mit der Prägnng von Silberdollars
zu unternehmen. Die von Frankreich für Ann am und Tonking geprägten
Piaster spielen ebenfalls neben den mexikanischen eine untergeordnete
Rolle und die österreichischen Levantinerthaler können ebenso wenig wie
die Rupien der deutschen Ostafrikanischeu Gesellschaft mehr Silber nach
dem Osten führen , als auch sonst in anderer Gestalt dorthin fliefsen
würde. In China hat sich neben dem noch vorherrschenden Barrensilber
als TJmlaufsmittel nur der mexikanische Piaster wirklich eingebürgert.
Es wäre aber falsch, anzunehmen, dafs ein internationaler Piaster diesen
leicht verdrängen könnte, denn er verdankt seine Bevorzugung nur dem
Umstände, dafs er der unmittelbare Nachfolger des alten ebenfalls aus
Mexiko stammenden spanischen Säulenpiasters ist und die Chinesen sich
schon seit langer Zeit an diesen gewöhnt hatten. Er erzielt jetzt zuweilen
infolge einer zeitweise erscheinenden relativen Seltenheit ein Agio von
einigen Prozent; bei einem von allen Staaten geprägten internationalen
Piaster aber könnte eine solche relative Seltenheit nicht vorkommen und sein
Handelswert würde daher immer, abgesehen von dem Einfiufs der Präge-
gebühr, einfach seinem Barrensilberwert entsprechen. In Niederländisch-
indien und, so lange das Gesetz vom 26. Juni 1893 in Kraft bleibt,
auch in Britisch-Iudien wäre der internationale Piaster nicht zu brauchen,
weil die dort umlaufenden gesetzlichen Silbermünzen einen erhöhten
Kreditwert haben und die Haudelsmünze diesen gegenüber einen veränder-
lichen Kurs erhalten würde. Wenn übrigens die bedeutenderen Staaten
die Ausgabe einer silbernen Handelsmünze, statt wie bisher, vereinzelt,
gemeinschaftlich unternehmen wollten, so wüfste ich nicht, was sich grund-
sätzlich dagegen einwenden liefse. Auf den Silberwert würde diese Mafs-
regel, wie gesagt, keinen oder nur einen höchst geringfügigen Einfiufs
ausüben, aber sie würde vielleicht einen passenden formalen Abschlufs
der Bestrebungen zu einer internationalen Lösung der Silberfrage bilden.
Man könnte doch nicht mehr von einer Aechtung des Silbers reden, wenn
alle Kulturstaaten dem Weltverkehr eine von alleu anerkannte unbe-
schränkt und frei prägbare Münze zur Verfügung stellteu , die aber frei-
lich ihren Wert in sich selbst tragen und sich ohne die Krücke eines
Miszellen. 775
festen gesetzlichen Wertverhältnisses gegen Gold behelfen müfste. Man
könnte ihr auch im Inlande, was sich eigentlich von selbst versteht, ge-
setzliche Zahlungskraft für die etwaigen ausdrücklich auf Silber lautenden
Verpflichtungen verleihen. Wenn sich dann, was ich für zweifellos halte;
dennoch die monetäre Verwendung von Silber nicht wesentlich erweitert,
so wird man die Schuld doch nicht mehr der Goldwährung zuschieben
dürfen, sondern sie in der geringeren Tauglichkeit des Silbers für die Geld-
funktion auf den höheren Stufen der wirtschaftlichen Kultur suchen
müssen.
Erwägt man unbefangen den heutigen Zustand der Dinge, insbesondere
die unerwartet günstigen Aussichten der Goldproduktion für die nächsten
Jahrzehnte, so wird man es für fast gewifs halten, dafs überhaupt keinerlei
internationale Mafsregeln zu Gunsten des Silbers stattfinden werden. Der
Silberpreis ist infolge des japanisch chinesischen Kriegs wieder über 29
und zeitweise sogar bis 30 Pence gestiegen und man darf annehmen, dafs
die gröfsere Silberausfuhr nach China fortdauern und teilweise einen Er-
satz für die zu erwartende Verminderung der Ausfuhr nach Indien liefern
werde. Es ist daher wahrscheinlich, dafs das Silber auch unter den seit
1893 bestehenden Verhältnissen nicht unter 25 Pence sinken, sondern
dafs bei diesem Preise sich ein gewisses Gleichgewicht zwischen Produk-
tion und Konsumtion bilden werde. Ob die Schliefsung der indischen
Münzstätten gegen das Silber sich endgiltig aufrecht erhalten lassen werde,
ist noch abzuwarten; würden sie wieder geöffnet, so würde sich der Silber-
preis dauernd wohl um 3 — 4 Pence höher stellen. Aber auch im anderen
Falle würde das Silber in China, Hinterindien, wahrscheinlich auch in
Japan und in Mexiko Währungsmetall bleiben; in dem abendländischen
Kulturgebiet aber wird es nur noch in untergeordneter Weise für Scheide-
münzen Verwendung finden, und zwar in den international verschuldeten
Ländern nicht neben Gold, sondern neben Papiergeld. Ob diese Lösung
der Währungsfrage die an sich wünschenswerteste ist, soll hier nicht
untersucht werden, aber ich halte sie, wie gesagt, für die wahrschein-
lichste, und zwar keineswegs, wie mir von bimetallistischer Seite vor-
gehalten worden ist, aus Aerger über das Geschick meines Antrags. Alle
Mitglieder der Kommission werden mir bezeugen können, dafs ich dieses
Geschick mit dem besten Humor aufgenommen habe. Ich habe in der
That nie einen praktischen Erfolg dieses Antrags erwartet und daher
auch gleich im Anfange der Diskussion (2. Sitzung, Protokolle S. 38) ge-
sagt, nach der Bemerkung, ich wisse nicht, ob die anderen Staaten bereit
sein würden, auf solche Mafsregeln einzugehen: ,,Ich halte es, offen ge-
standen, nicht für sehr wahrscheinlich. Ich glaube, dafs alle solche
internationale Mafsregeln nach den bisherigen Erfahrungen auf viel gröfsere
Schwierigkeiten stofsen werden, als die Freuude des Silbers annehmen,
was ich meinerseits bedauere; aber die Thatsache wird sich in der Er-
fahrung, sobald neue Versuche gemacht werden, bald herausstellen". Auch
schon früher habe ich mehrfach meine Ueberzeugung ausgesprochen, dafs
aller Wahrscheinlichkeit nach überhaupt nichts in der Silberfrage ge-
schehen werde und alle bisherigen Erfahrungen haben mich in dieser An-
sicht nur befestigen können.
776 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen
Baldwin, F. Spencer, Die englischen Bergwerksgesetze. Ihre Geschichte von
ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart, J. G. Cotta, 1894. gr. 8. XIV — 258 SS.
M. 5. — . (A. u. d. T. : Münchener volkswirtschaftliche Studien. Herausgegeben von
L. Brentano und W. Lotz, Stück 6.)
Biographie, allgemeine deutsche. Band XXXVII (Sturm (Sturmi)-Thiemo.)
Leipzig, Duncker & Humblot, 1894. Roy-8. 795 SS. geb. 14,26.
Ehlers, 0., Volkswirtschaftslehre für Jedermann. Breslau, Preufs und Jünger,
1894. 8. IV— 114 SS. M. 0,60.
Ein Lehrbuch über den Volkswohlstand aus dem Jahre 1723 von einem ungenannten
Deutschen. Leipzig, Duncker & Humblot, 1893. 8. 40 SS. M. 0,80. (A. u. d. T. t
Volkswohlschriften herausgegeben von (Prof.) V. Böhmert, Heft 17.)
Rümelin, G., Reden und Aufsätze. III. Folge. Freiburg i./B., J. C. B. Mohr,
1894. 8. VIII; XX— 495 SS. M. 6. — . (Inhalt: I. Reden: Ueber die Temperamente
(1881). — König Friedrich von Württemberg und seine Beziehungen zur Landesuniversität
(1882). — Die Entstehungsgeschichte der Tübinger Universitätsverfassung (1883). —
Ueber die Lehre vom Gewissen (1884). — Ueber die Arten und Stufen der Intelligenz
(1885). — Ueber die Berechtigung der Fremdwörter (1886). — Ueber die neuere deutsche
Prosa (1887). — Ueber den Begriff der Gesellschaft und einer Gesellschaftslehre (1888).
— Ueber den Zufall (1889). — II. Aufsätze: Justinus Kerner (1862). — Der württem-
bergische Volkscharakter (1863 u. 1884). — Nebst (Prof.) Sigwarts Gedächtnisrede auf
Rümelin. — )
Schäffle, A., Deutsche Kern- und Zeitfragen. Neue Folge. Berlin, Hofmann & Cie ,
1895. gr. 8. VII— 500 SS. M. 10. — . (Aus dem Inhalte: Einige neuzeitliche Be-
völkerungsschiebungen. — Die österreichische Wahlreform — Beschränkungen an dem
für das Deutsche Reich geltenden Stimmrecht und Wahlverfahren. — Politische Zukunft
des Grofsgrundbesitzes. — Die Wirtschaftskammern. — Gesamtreform des Agrarkredits.
— Bodenverstaatlichung der Landrelormer. — Die lex Adickes über Stadterweiterungen.
— Wesen und Bekämpfung des Wuchers. — Der Wälirungsstreit. — Finanzpolitik.)
Staatslexikon. Herausgegeben im Auftrage der Görresgesellschaft zur Pflege
der Wissenschaft im katholischen Deutschland durch A. Bruder (Custos der k. k Uni-
versitätsbibliothek Innsbruck). Heft 32. Freiburg i. B., Herder, 1894. gr. Lex. -8.
Bogen 6 — 10 von Bd. IV. M. 1,50. (Aus dem Inhalte: Papst. — Papsttum und Kaiser-
tum im Mittelalter. — Paraguay. — Parzellenkataster. — Parlamentarismus. — Parteien,
politische. — Patentgesetzgebung. — Patriarchie. — Patronatsrecht. — )
v. Treitschke, H., Deutsche Geschichte im XIX Jahrhundert. Teil V (bis zum
Jahre 1848). Leipzig, Hirzel , 1894. gr. 8. VIII - 774 SS. M. 10.—. (Aus dem
Inhalte: Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft: Erweiterung des Zollvereins.
Luxemburg. Braunschweig. Kampf zwischen Schutzzoll und Freihandel. Eisenbahuen
und Geldmächte. Soziale Unruhen. — Der Vereinigte Landtag. — Der Niedergang des
Deutschen Bundes. — Vorboten der europäischen Revolution. — etc.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 777
Annuaire de l'economie politique et de la statistique fonciü par MM. Guillaumin
et J. Garnier, eontinue depuis 1856 par Maur. Block. 51» annee : 1894. Paris Guillaumin
& O , 1894. 12. 815 pag. fr. 9.—.
Dictionnaire des tinances public sous la direction de Leon Say (membre de
l'Institut) par L. Foyot et A. Lanjalley (au Ministere des ünances) Tome II: E. — Z.
Paris, Berger-Levrault & C>e , 1894. Koy. in-8. XIX— 1571 pag.
Ecole libre des sciences politiques. Organisation et programme des cours pour l'annee
scolaire 1894 — 1895. Renseignemeuts sur les carrieres auxquelles l'Ecole prepare. Paris,
Pichon, 1894. in-18 Jesus. 105 pag fr. 1. — .
Milhaud, L., Les questions ouvrieres. Les reformes possibles et pratiques dans
les questions ouvrieres. Paris, Giard & Briere, 1894. 8. 202 pag. fr. 2,50. (Som-
maire : Apercu sur les idees des deux grandes ecoles ^conomiques. (Introduction.) —
Reformes possibles sous notre Organisation eeonomique actuelle: Intervention indirecte de
l'Etat pour ameliorer la Situation de l'ouvrier. Iutervention directe dans les rapports
des patrons et des ouvriers. — Reformes possibles pour la transformation de l'organi-
sation eeonomique actuelle. — )
Ely, Richard T., Socialism, an examination of its nature, its strength and its
weakuess, with sugtjestions for social reform. London, Swan Sonnenschein, 1894. 8.
XIII — 449 pp., cloth. 6/ — . (Contents: The nature of socialism. — The strength of
socialism. — The weakness of socialism. — The golden mean, or practicable social reform.
Appendix: The Erfurt social democratic program of October, 1891. Basis of the Fabian
Society. — Program of the social democratic federation (of England). — Manifesto of
the Joint committee of socialist bodies (of England). Platform of the socialist labor parti
of the U. States of America. Declaration of principles of the nationalists. Declaration
of principles of the Society of Christian socialists, adopted in Boston, April 15, 1889.
Platform of the central labor union of Clevelaud (Ohio). Statistics of social democracy
in Germany (whith an chart showing the votes received by the four largest political
parties). Socialism in France etc.)
Nicholson, J. S., Historical progress and ideal socialism: an evening discourse
delivered to the British Association at Oxford in .the Sheldonian theatre , August 13,
1894. London, Black, 1894. 8. 66 pp. 1/.6.
Plato's Republic. Translated by Th. Taylor. Edited with an introduction by
Th. Wratislaw. London, W. Scott, 1894. 12. 306 pp. 1/.6.
Arcangeli, F. (avvocato), Le evoluzioni della proprietä: conferenza tenuta alla
lega socialista di Bergamo il 7 giugno 1894. Milano, ,,Critica sociale" edit., 1894.
16. 14 pp.
Ferri, E. (avvocato), Sunto della conferenza sul socialismo, tenuta a Montepulciano
il 13 aprile 1894. Montepulciano, tip. Fumi, 1894. 16. 24 pp.
Mazzini, Gius., Scritti politica ed economica. Vol. I. Milano, tip. E. Sonzogno
edit., 1894. 16. 382 pp. 1. 1. — . (Biblioteca classica economica, N° 100.)
Perrone, Fr. (avvocato), L'idea sociale nel diritto comrnerciale. Napoli, L. Pierro,
1894. 8. 52 pp. 1. 1.
Pozzoni, C., Bilancio e ricchezza nazionale. Genova, tip. A. Ciminago, 1894.
8. 31 pp.
2. Geschichte und Darstellung der wirtschaftlichen Kultur.
v. B e n k o, J. (Frh.), Die Reise S. M. Schiffes „Zrinyi" nach Ostasien (Yang-tsee-kiang
und Gelbes Meer) 1890 — 1891. Wien, C. Gerolds Sohn, 1894. gr. 8. XI— 439 SS.
mit 1 Reiseskizze u. 8 lithogr. Tafeln. M. 6. — .
Middendorf, E. W., Peru. Betrachtungen und Studien über das Land und seine
Bewohner während eines 25-jährigen Aufenthalts. Bd. II: Das Küstenland von Peru.
Berlin, Oppenheim, 1894. gr. 8. XIl-425 SS. Mit 56 Textbildern und 38 Tafeln
nach eigenen photographischen Aufnahmen sowie 2 Karten. M. 12. — .
Radde, G. und E. Koenig, Das Ostufer des Pontus und seine kulturelle Ent-
wickelung im Verlaufe der letzten dreifsig Jahre. Varläufiger Bericht über die Reisen
im kokbischen Tieflande, Adsharien, am Ostufer des Schwarzen Meeres, am Unterlaufe
des Kuban und über die Durchquerung der Hauptkette von Psebai nach Sotschi im
Sommer 1893. Gotha, J.Perthes, 1894. Roy.-8. IV— 120 SS. mit Karte des nordwestl.
Kaukasus und kartographischer Darstellung des gegenwärtigen Vorkommens des Wisents
778 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
(Auer) im Kaukasus. M. 6,40. (A. u. d. T. : Petermanns Mitteilungen etc. Hrsg. von
(Prof.) A. Supan. Ergänzungsheft 112.)
Schmidt, E., Die Vorgeschichte Nordamerikas im Gebiet der Vereinigten Staaten.
Braunschweig, Vieweg & Sohn, 1894. gr. 8. 216 SS. mit 15 Abbildungen u. 1 Tefel.
M. 5.—
Schoost, O. (Pastor zu St. Katharina in Hamburg), Vierlanden. Beschreibung des
Landes und seiner Sitten. Hamburg, Jürgensen & Becker, 1894. 8. 50 SS. mit 17 Ab-
bildungen im Text. M. 1,20
Hagemans (consul general de Belgique) , Situation 6conomique des Etats-Ünis
d'Amerique en 1893. Rapport. Bruxelles, Weifsenbruch, 1894. 8. 114 pag. fr. 1,50
(Extrait du „Recueil consulaire".)
Levasseur, E, Sur l'expansion de la race europeenne hors d'Europe dequis la
decouverte de l'Amerique. Genova, tip. Sordomuti, 1894. 8. 15 pag.
B a x , E. B., German society at the close of the middle ages. London, Sonnen-
schein, 1894. 8. 266 pp. 5/. — .
Coote, C. H., The voyage from Lisbon to India, 1505 — 1506: being an account
and Journal by Albericus Vespuccius. Translated from the contemporary Flemish , and
edited, with prologue and notes. London, B. F. Stevens, 1894. 4. 15/. — .
Er man, A., Life in ancient Egypt described. Translated by H. M. Tirard, London,
Macmillan, 1894. Roy. -8. 574 pp. with 400 illustrations in the text, and 11 plates
21/.-.
Prices and wages in India Xth issue. Calcutta 1893. 4.
3. Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik. Auswanderung nnd Kolonisation.
Bevölkerungswechsel, der, in der Stadt Leipzig im Jahre 1893. Leipzig,
Imp.-quer-folio. 45 Tafeln, bearbeitet im statistischen Amt der Stadt Leipzig.
Brück, F. Fr. (Prof, Breslau), Fort mit den Zuchthäusern! Breslau, W. Koebner,
1894 gr. 8. IV— 67 SS. M. 1,50. (Inhalt: Die Deportation. — Zur Verwaltung der
Strafkolonien. — Die Schutzgebiete des Deutschen Reiches mit Beziehung auf die Depor-
tation. — Die Frauenfrage in den Strafkolonien. — etc.)
Do bl hoff, J., Beiträge zum Quellenstudium Salzburgiscber Landesurkunde, etc.
Heft 4: Zur Emigrationslitteratur , etc. Salzburg, Mayrische Bhdl. , 1894. gr. 8.
4 Bogen. M. 1,20.
Gloy, A., Der Gang der Germanisation in Ost-Holstein. Kiel, Lipsius & Tischer,
1894. Roy 8. 43 SS. mit Karte. M. 1,20.
H e y d e r , F., Beiträge zur Frage der Auswanderung und Kolonisation. Langen-
salza, Wendt & Klauwell, 1894. 8 112 SS. M. 1,50.
Zemmrich, J, Verbreitung und Bewegung der Deutschen in der französischen
Schweiz. Stuttgart, Engelhorn, 1894. gr 8. 45 SS. mit 1 Karte. M. 3.80. (A u. d. T. :
Forschungen zur deutschen Landes- u. Volkskunde, hrsg. v. Kirchhoff, Bd. VIII, Heft 5.)
Annuaire de la Guadeloupe et dependances. Ann^e 1894. Basse-Terre, imprim.
du gouvernement, 1894. 8. 599 pag. fr. 6,50.
Manuel d'hygiene coloniale. Paris, Challamel, 1894. 8. VIII — 88 pag. fr. 1. — .
(Publieations de l'Union coloniale fraucaise, N° 4)
Immigration and passenger movement at ports of the United States during the
year ending June 30 1893. Report of the Chief of the Bureau of statistics. Washington,
Government printing Office, 1894. gr. in-8. 64 pp., cloth. (Publication of the Treasury
Department.)
4. Bergbau. Land- und Forstwirtschaft. Fischereiwesen.
OetkeD, Fr., Die Landwirtschaft in den Vereinigten Staaten von
Nordamerika, sowie die allgemeinen wirtschaftlichen und Kulturverhält-
nisse dieses Landes zur Zeit des Eintritts Amerikas in das fünfte Jahr-
hundert nach seiner Entdeckung. Berlin 1893. Verlag von Paul Parey.
846 SS.
Verfasser stützt sich in seinem Werke sowohl auf eigene Anschau-
ungen und Studien, welche er bereits 1877/9 in zweijähriger Reise in
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 779
Nordamerika gesammelt, als benutzt vornehmlich die bis jetzt mafsgebende
landwirtschaftliche Litteratur, so die bekannten Werke von Heinrich Semler,
von Prof. Dr. Sering, von Prof. Dr. Wilkens, welche er eifrig citiert, und von
anderen. Zudem verwertet er amtliche Berichte und bietet mannigfaltige,
sehr wertvolle statistische Zusammenstellungen, welche bis zum Jahre 1891
zu reichen pflegen.
Das Buch ist in grofsen Zügen angelegt, übersichtlich und geschickt
disponiert und enthält auch viele gelungene Einzeldarstellungen, so dafs
es sich nicht nur zum Nachschlagen, sondern auch zur Lektüre eignet.
Verfasser ist ein grofser Bewunderer nahezu alles Amerikanischen. Er
würde in vielem in seiner Bewunderung nicht so weit gehen , wenn er
mit den intensiven landwirtschaftlichen Betrieben insbesondere West- und
Mitteldeutschlands, sowie Schlesiens vertraut wäre. Dafs dem Verfasser
die Kenntnis unserer rationellsten Landwirtschaft mehr oder minder fehlt,
trägt sehr viel dazu bei, der amerikanischen Landwirtschaft ungebühr-
liches Lob zu spenden. Die landwirtschaftlichen Betriebe der Vereinigten
Staaten sind fast durchweg sehr einseitiger und roher Natur, so dafs ein
Vergleich mit unserer entwickelten vielseitigen und in hohem Grade kunst-
fertigen und wissenschaftlichen Landwirtschaft, wie sie in jenen Teilen
Deutschlands angetroffen wird, überhaupt nicht zulässig ist. Wenn die
amerikanischen Betriebe bis jetzt so sehr prosperierten, so haben sie das
neben der Regierungsfürsorge vornehmlich den hohen Getreidepreisen zu
danken, welche bis 1892 vorlagen. Heute, wo sie nicht mehr sind, hat
der amerikanische Farmer in gleicher Weise mit Sorgen zu kämpfen, wie
der europäische Landmann.
Wenn Verfasser die wirtschaftlichen Fähigkeiten und den wirtschaft-
lichen Charakter der Amerikaner uns als leuchtende Beispiele hinstellt,
so hat das in hohem Grade Berechtigung. Es ist jedoch auch drüben
nicht alles Gold, was glänzt, und es giebt drüben auch sehr viel Bedenk-
liches im Wirtschaftsleben des amerikanischen Volkes. Das lehrt die
immer noch herrschende Geschäftskrisis, welche bereits ein volles Jahr
währt, und zeigen ferner die keineswegs unbedenklichen Arbeiterunruhen
in Chikago und anderen Städten, welche man in Europa als offenen Auf-
ruhr bezeichnen würde. Mir will es scheinen, als ob der Verfasser voll-
ständig verkennt, dafs das amerikanische Volk seit 1879 zwar einen noch
grofsen Teil seiner guten Eigenschaften beibehalten hat, dafs es jedoch
seine weniger vorteilhaften seitdem keineswegs verminderte. Niemand kann
all die rosigen Auffassungen von der amerikanischen Landwirtschaft, welche
Verfasser rühmt, teilen, der 1893 das Land mit genügender Sachkenntnis
bereiste.
Das Buch gliedert sich in folgende 23 Kapitel : Kurzer Abrifs der
Landesgeschichte, wirtschaftliche Entwickelung des Landes, Allgemeines
über die Landwirtschaft. Bodenverhältnisse. Klima. Landeinteilung und
Lage und Form der Farmen. Erwerbung von Farmen als Eigentum und
Pachtung; Landpreise, Staatsheimstättenrecht, Preise von Produkten und
Wirtschaftsrequisiten. Ackerbau. Viehzucht. Molkereiwesen und land-
wirtschaftliches Ausstellungswesen. Obst-, Garten- und Gemüsebau. Forst-
wirtschaft. Geräte und Maschinen. Gebäude. Verkehrsanstalten. Lebens-
780 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
weise auf dem Lande. Soziale Verhältnisse. Arbeitsleistungen. Die ameri-
kanischen Frauen. Vereinswesen. Schulwesen. Steuerverhältnisse. Aus-
wandererverhältnisse. Konkurrenz Nordamerikas. Dazu Nachträge etc.
Trotz mancherlei kurzsichtiger Auffassungen, welche sich in dem Werke
finden, und welche wohl vermieden wären, wenn der Verfasser statt 1879
1892 Amerika bereist hätte, ist das Oetkeu'sche Werk dennoch sehr zu
empfehlen. Es schafft von allen über die amerikanische Landwirtschaft
— und was damit zusammenhängt — geschriebenen Büchern ein recht
umfassendes und eindringendes Verständnis, so dafs ihm eine bleibende
Bedeutung innewohnt.
Bonn. Wohltmann.
v. Hagen, O. (weil. Oberlandforstmeister), Die forstlichen Verhältnisse Preufsens.
3. Aufl. bearbeitet nach amtlichem Material von (Oberlandforstmeister) K. Donner. 2 Bände.
Berlin, J. Springer, 1894. Roy -8. geb. XIII— 310 u. VI— 419 SS.
Handbuch des Grundbesitzes im Deutschen Reiche. Nach amtlichen etc. Quellen
bearbeitet von P. Ellerholz, E. Kirstein , Tr. Müller und G. Volger. I. Das Königreich
Preufsen, Lieferung 4 : Provinz Westpreufsen. 3. Aufl. Berlin, Nicolai, 1894. gr. 8.
XXX — 286 SS. M. 8 — . (Mit Angabe sämtlicher Güter, ihrer Qualität, ihrer Gröfse und
Kulturart, ihres Gruudsteuerreinertrages, der Züchtungen spezieller Viehrassen, Verwertung
des Viehstandes. — etc.)
Jahresbericht üher die Fortschritte auf dem Gesamtgebiete der Agrikulturchemie.
Neue Folge, XVI, 1893 (der ganzen Reihe Jährte. XXXVI). Unter Mitwirkung genannter
Autoren herausgegeben von (Proff. Drr.) A. Hilger und Th. Dietrich. Berlin, Parey,
1894. gr. 8. XXXII— 556 SS. M. 24.—.
Kralic, F. W. (Ritter v. Wojnarowsky) , Die Verbreitung des Stein- bezw. Kali-
salzlagers in Norddeutschland und die geschichtliche Entwickelung der Kaliindustrie.
Martiny, B., Die Milchversorgung Berlins im Auftrag der Deutschen Landwirt-
schaftsgesellschaft auf Grund besonderer amtlicher Erhebungen dargestellt. Berlin, Parey,
1894. 8. 18 SS. mit K.
Meitzen, A. (Prof., kais. GRegR. a.D.), Der Boden und die landwirtschaftlichen
Verhältnisse des preufsischen Staates. Band V. (Nach dem Gebietsumtange der Gegen-
wart.) Berlin, Parey, 1894. gr. Lex.-8. XVIII— 564; 317 SS. M. 15. — . (Im Auf-
trage des k. Ministeriums der Finanzen und des k. Ministeriums für Landwirtschaft.
Domänen und Forsten dargestellt.)
Militärverwaltung, die, in ihrem Verhältnis zur Landespferdezucht. Dresden.
Druck von C. Heinrich, 1894. gr. 8. 6 SS. u. 5 Tafeln
Pf ibil, C-, Die Schälung des Getreides und deren Wert für die Volksernährung.
Wien, Seidel & Sohn, 1894 8. 23 SS. mit 4 Tafeln.
Schmeisser (BergR.), Ueber Vorkommen und Gewinnung der nutzbaren Mineralien
in der Südafrikanischen Republik (Transvaal) unter besonderer Berücksichtigung des Gold-
bergbaues. Bericht über eine im Auftrage des k. preufs. Herrn Ministers für Handel
Gewerbe nach Südafrika unternommene Reise. Berlin, Dietrich Reimer, 1894. Roy.-8.
VII— 151 SS. mit 19 Karten und Tafein.
Schwappach, A., Forstpolitik, Jagd- und Fischereipolitik. Leipzig, Hirschfeld,
1894. gr. 8. XII— 396 SS. M. 10.—. (A. u. d. T. : Hand- und Lehrbuch der Staats-
wissenschaften herausgegeben von Kuno Frankenstein, I. Abteilung: Volkswirtschafts-
lehre, Bd. 10.)
Unger, Th., Kommt der Krach? Ein offenes Wort über die Grundstücks- und
Häuser-Bauspekulation in Hannover, als Beitrag zur Beleuchtung der Immobilienspekulation
in grofsen Städten. Hannover, Manz & Lanjje, 1894. 8. 52 SS. M. 0,60.
Verhandlungen des IV. Oesterreichischen Agrartages 1893. Wien, W. Frick.
1894. gr. 8. 186 SS. M. 4.—.
Verwaltungsbericht über den Betrieb des Vieh- und Schlachthofes der Stadt
Nürnberg für das erste und zweite Betriebsjahr 1892 und 1893. Erstattet durch Direktor
Rogner. 2 Hefte. Nürnberg, Druck von Thümmel, 1893—94. 8.
Verwaltungsbericht über den Betrieb des Vieh- und Schlachthofes der Stadt
Uebersicbt über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 781
Nürnberg für das erste und zweite Betriebsjahr 1892 und 1893. Erstattet durch Direktor
Rogner. 2. Heft. Nürnberg, Druck von Thümmel, 1893 — 94. 8.
Verzeichnis der iun OBergABez. Bre.-dau am 1. I. 1894 betriebenen Bergwerke
und ihrer Schächte. Beuthen O /S., Wylczol & C°, 1894. 4. 46 SS. (Sonderabdruck
aus der „Zeitschrift des Oberschlesischen Berg- und Hüttenmännischen Vereins" , Juli-
Augustheft 1894.)
Werschinger, F. L. (k. bayer. Bezirkshauptmann a. D.) , Die Unfallverhütung
in der Land- und Forstwirtschaft. Vorschläge für Unfallverhütungsvorschriften etc.
München, Schweitzers Verlag, 1894. 8. 192 SS. M. 2,50.
Co 11 et, O., La culture du cafe. Le Liberia. Bruxelles, P. Weissenbruch, 1894.
8. 24 pag. fr. 1,50. (Extrait de la „Revue de Belgique.",)
Girard, A. (de l'lnstitut), Application de la pomme de terre ä l'alimentation du
betail ; production de la viaude. Paris, imprim. nationale, 1894. 8. 41 pag. avec dia-
grammes.
Piret, J., La production agricole indigene et la concurrence etrangere, consequence
necessaire de la lutte. Bruxelles, Weissenbruch, 1894. 8. 72 pag. fr. 1,50. (Extrait
de la ,. Revue de Belgique".)
M i n e s. Reports of H. Maj's Inspectors of mines to the Home Office on their
various districts for the year 1893. 14 parts. London, printed by Eyre & Spottiswoode,
1894. Folio. With maps and diagrams 10/ 10. (Parlianientary paper.)
CpeaHiii c6opT> x.ii6oBt h KapTO-teJi/i 3a aecjrniJriTie 1883 — 92 rr. bt> 60 ry-
öepHiax'B EBponeiicKoä Poccin no othohichüo kt> HapoaHOMy npoÄOBOja>CTBiio C.-IIeTep-
öypri 1894 Lex. in-8. 112 pp. (Getreide- und Kartoffeldurchschnittsemte in [ein-
schliefslich der Weicbselgouvernements] sämtlichen 60 Gouvernements des europäischen
Rufslands. Herausgegeben von der kais. russischen statistischen Centralkommission. A. u.
d. T. : Jahrbücher der kais. russ. Centralkommission im Ministerium des Innern, Heft 34.)
Relazione generale sul servizio minerario nel 1893. Roma, tipogr. Bertero, 1894.
Lex. in-8. 105 pp. (Pubblicazione del Corpo reale delle miniere. Estratto della „Rivista
mineraria" del 1893.)
5. Gewerbe und Industrie.
Weber, 0., Die Entstehung der Porzellan- und Steingutindustrie
in Böhmen. Prag 1894. 128 S.
Der Verf. bietet uns eine sehr gewissenhafte aktenmäfsige Darstellung
der Entstehung und der ferneren Schicksale einer jeden der von 1791
bis 1850 in Böhmen gegründeten Porzellan- und Steingutfabriken, ver-
bunden mit dtn aktenmäfsigen Belegen der aufgeführten Fukta. Obgleich
von anderem (national-historischen) Interesse geleitet, gewährt die Schrift
auch dem Nationalökonomen eine Anzahl interessanter Daten, deren Nutz-
barmachung allerdings völlig der eigenen Arbeit des Lesers überlassen
bleibt. Ist dieseJbe darum auch nicht als anregend zu bezeichnen, so
sind doch andererseits die Nachrichten gerade in dieser durch keine
wissenschaftliche Verarbeitung verwischten Unmittelbarkeit für die eigene
Verwertung durch den Nationalökonomen besonders geeignet. Die Schrift
liefert, abgesehen von monographischem Interesse, insbesondere für das
Verhältnis des Staats zum Wirtschaftsleben um die Wende des 18. und
19. Jahrhunderts, sowie für die Erfordernisse und die Art und Weise
des Autkommens der kapitalistischen Betriebsweise einige interessante
Beiträge, bei welcher Benutzung für allgemeinere Fragen allerdings die
Eigentümlichkeit des behandelten Fabrikationszweiges als eines voll-
kommen neu auftauchenden wird iu Betracht gezogen werden müssen.
So scheint das häufige Hervortreten des Mangels an Betriebskapita], sowie
des Mangels in der technischen Leitung auf Bechnung dieser Eigentüm-
lichkeit gesetzt werden zu müssen, indem die Neuheit des Problems viele
782 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
weder durch kaufmännische Umsicht, noch durch technische Bildung
qualifizierte Männer zum Experimentieren anreizte. Von Interesse ist
unter anderem die hervortretende grofse Bedeutung des Arbeiters für die
Produktion, welche sich in hohen Löhnen und den Versuchen, tüchtige
Arbeiter dem Konkurrenten zu entführen, äufsert, der Zug nach kapi-
talistischer Gestaltung des Gewerbes und das rastlose Streben nach Ver-
besserung des Fabrikats.
Naumburg a. Q. K. Steinitz.
Fabrikgesetzgebung, die, des russischen Reiches. Uebersetzt nach der Aus-
gabe der Gewerbeordnung (Bd. XI, Teil 2 des Codex der Reichsgesetze) von 1887 und
nach den Fortsetzungen von 1890, 1891 und 1893. Riga, N. Kymmel, 1894. 8. 48 SS.
M. 2.—.
Gronert, C. (Ingenieur U.Patentanwalt), Gesetz zum Schutz der Warenbezeichnungen
vom 12 V. 1894 mit Erläuterungen. Berlin, Fischer's technol. Verlag, 1894. 12. 32 SS.
M. 0,60.
Hach, T h. , Zur .Geschichte der Lübeckischen Goldschmiedekunst. Lübeck,
B. Nöhring, 1893. 8. 42 SS. M. 1.—.
Intze, O. (Prof., Aachen), Gutachten erstattet im Juni 1894 über die Nutzbar-
machung erheblicher Wasserkräfte für industrielle Zwecke durch den Masurischen Schiff
fahrtskanal. Berlin, Heymann, 1894. Folio. 12 SS. mit 3 Tafeln.
Jungschläger, W., Quebrachoholzzoll. Seine Bedeutung für den Gerberei- und
Schälwaldbetrieb und für die gesamte Leder verbrauchende Bevölkerung des Deutschen
Reiches. Köln a/Rh., P. Neubner, 1894. kl. 8. 20 SS. (Sonderabdrnck aus der
„Deutschen Gerberzeituug".)
Königsberger, Fr. P. (KammerGRef), Die Kaufmannseigenschaft des Hand-
werkers. Berlin, Driesner, 1894. 8. 34 SS. M. 0,75.
Compte rendu des seances du 17e congres des ingenieurs en chef des associations
de proprietaires d'appareils k vapeur tenu ä Paris en 1893. Nancy, imprimerie Berger-
Levrault, 1894. gr. in-8. IV — 260 pag. avec 7 planches in-imper.-obl.-folio.
Goffaux, F. (cultivateur et fabricant de tabacs ä Obourg), Projet de fondation
d'une societe pour l'exploitation du monopole des tabacs d'Obourg. Rapport et annexes
au rapport. Bruxelles, Weissenbruch, 1894. 8. 16 et 12 pag.
Hirsch, A. (etudiant en droit ä l'Uuiversite libre de Bruxelles), Les lois ouvrieres
en Grande-Bretagne. Bruxelles, H. Lamertin, 1894. 8. 58 pag. fr. 1,50. (Extrait de
la ,, Revue universitäre.")
Jones, Benj., Co-operative production. With prefatory note by A. H. Dyke
Acland. (Vice-President of the Committee of Council on education.) 2 volumes. Oxford,
Clarendon Press, 1894. 8. VIII— 839 pp. , cloth. 15/. — . (Contents: Introductory
sketch of co-operation. — Robert Owen's remedy. — Community experiments. — Labour
exchanges. — Redemption societies. — Christian socialist associations. — Before limited
liability. — With limited liability. — Domestic production. — Com milling. — The
wholesale societies. — Cotton factories. — Woolen factories. — Sundry textile and
kindred societies. — Boot and shoe societies. — Efforts in the iron trades. — Colliery
failures. — Associations in the building and allied trades. — Printing, Publishing, and
paper making. — Success and failure in agriculture. — Profits, and profits-sharing — etc.)
Mac George, G. W., Ways and works in India. London, Constable & C°, 1894.
8. 566 pp. with 4 maps. (Account of the native and european engineering works in
India from the earliest times, with special referenee to canals, railways and bridges.)
N a s m i t h , J., Recent cotton mill construction and engineering London, Hey-
wood, 1894. 8. 270 pp. 4/.6.
Verslagen van de inspecteurs van den arbeid in het koninkrijk der Nederlanden
over 1893. (IV jaargang.) 'sHage, gebr. van Cleef, 1894. 4. 451 blz. fl. 2,50.
Uitkomsten der beroepsstelling (Berufszählung) in het koninkrijk der Neder-
landen op den 31. December 1889. Uitgegeven op last van het Departement van binnen-
landsche zaken. 'sHage, van Weelden & Mingelen, 1894. folio. Provincie Noordholland
(4 en 547 blz.). fl. 2.— Provincie Zuidholland (4 en 691 blz.). fl. 2 .
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 783
6. Handel und Verkehr.
Aus der Praxis der Handelskammern. Beiträge zur praktischen
Nationalökonomie, herausgegeben von Dr. R. Stegemann. Band I,
Oppelu, Eugen Franck's Buchhandlung. 1892. 178 SS. 8°.
Unter obigem Titel hat der Herausgeber eine Anzahl von Arbeiten
zusammengefafst, welche er in seiner Eigenschaft als Sekretär der Oppelner
Handelskammer derselben im Jahre 1891/92 als Berichte vorgelegt hat.
Drei dieser Berichte, Untersuchungen über die Lage der Katscher Weberei,
über die Kleineisenindustrie der Stadt Kieferstädtel und über die Lage
der hausindustriellen Korbmacherei in Oberschlesieu enthaltend, dürfen
bei dem Interesse, welches man monographischen Darstellungen der
Hausindustrie gegenwärtig entgegenbringt, auf allgemeinere Beachtung
Anspruch machen; sie sind in diesen Jahrbüchern, III. Folge, Band VI,
Seite 736 ff. bereits besprochen worden. Die übrigen neun Berichte be-
handeln folgende Gegenstände: Ergebnisse einer Umfrage, betreffend die
Abschaffung der Jahrmärkte in Oberschle^ien ; Uebersicht über die für
die Ausgestaltung der Interessenvertretung in Preufsen gemachten Vor-
schläge; ist die Errichtung obligatorischer kaufmännischer Fortbildungs-
schulen im Regierungsbezirk Oppeln anzustreben ? die Regelung der
Sonntagsruhe im kaufmännischen Gewerbe Oberschlesiens; UeberÜufs an
Kleingeld; Denkschrift, betreffend den Bau einer Eisenbahn Gleiwitz-
Kiet'erstädtel-Nendza; Vorschläge für die Ausgestaltung der Interessen-
vertretung in Preufsen; summarischer Ueberblick über die Wirksamkeit
der Handelskammer im Berichtsjahr 1891; statistische Uebersicht über
die kaufmännischen Vereine Oberschlesiens und die von ihnen ins Leben
gerufenen kaufmännischen Fortbildungsschulen vor dem 1. April 1892.
Diese Berichte mögen in dem Jahresbericht der Oppelner Handelskammer
sehr am Platze sein. Als wissenschaftliche „Beiträge zur praktischen
Nationalökonomie" dargeboten köunen sie teils wegen ihrer lediglich
lokalen Bedeutung, teils wegen ihrer mangelhaften Durcharbeitung nicht
befriedigen.
Sollten übrigens, wie es nach dem Titel des Buches der Wunsch
des Verf.'s sein mufs, die ähnlichen Berichte auch der anderen preufsischen
oder deutschen Handelskammern in diesem Sammelwerk fortlaufend Auf-
nahme finden, so würde damit für die eigentlichen Handelskammerberichte
eine sehr zwecklose Konkurrenz geschaffen, denn es ist nicht einzusehen,
inwiefern die Absicht des Verf's., Wissenschaft und Praxis einander näher
zu bringen, durch jene Veröffentlichung besser erreicht werden könnte,
als durch die Jahresberichte der Handeibkammern. Diese erfreuen
sich auch außerhalb des Kreises der Gewerbetreibenden mit Recht allge-
meiner Beachtung, und je mehr sie durch Mitteilung von Berichten über
volkswirtschaftliche, finanzwirtschattliche und sozialpolitische Einzelfragen
vervollständigt werden, einen umso größeren Nutzen wird auch die
Wissenschaft aus ihnen zu ziehen vermögen. Letzteres könnte dadurch
sehr erleichtert werden, dafs die Ansichten und Wünsche der Handels-
kammern hinsichtlich solcher Fragen ab und zu von wissenschaftlichen
Gesichtspunkten aus übersichtlich zusammengefafst würden. Mehrere Auf-
sätze von Prof. Dr. van der Borjjht in diesen Jahrbüchern bieten in der
784 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Beziehung sehr beachtenswerte Vorbilder, während die Stegemann'sche
Veröffentlichung diesem thatsächlich vorhandenen Bedürfnisse in keiner
Weise Rechnung trägt.
Köln. Dr. A. Wirminghaus.
Hüll, Charles Henry, Die deutsche Beichspaketpost. (A. u.
d. T. : Sammlung nationalökonomischer und statistischer Abhandlungen
des staatswissenschaftlichen Seminars zu Halle a. S., hersgg. von Dr.
J". Conrad, Bd. VIII, Heft 3). 8°. 161 SS. Jena, 1892, Gustav
Fischer.
Die vorliegende Arbeit, deren Besprechung an dieser Stelle sich
durch zufällige Umstände verzögert hat, ist die erste, die sich in ein-
gehender Weise mit der deutschen Paketpost beschäftigt. Eine ganze
Reihe wichtiger Fragen, die sich an diesen Zweig der Post anknüpfen,
werden nach einer guten Uebersicht über die Entwickelung der Paket-
post im In- und Auslande und des Paketportos mit Geschick und vor-
sichtiger Kritik von dem Verf. behandelt. Inbesondere findet die wirt-
schaftliche Bedeutung der Paketpost, ihr Verhältnis zu den Eisenbahnen
und ihr finanzielles Ergebnis eine gründliche Bearbeitung. Das sind ge-
rade die Fragen, die im Vordergrunde des Interesses stehen, aber auch
diejenigen, für die nach der Gestaltung der Verkehrsstatistik die Be-
schaffung zuverlässigen statistischen Materials am schwierigsten ist. Es
ist deshalb durchaus berechtigt, dafs der Verf. die Ergebnisse seiner sehr
fleifsigen Arbeit nicht als unbedingt sicher hinstellt. Wenn seine Be-
rechnungen richtig sind, so ergiebt sich, dafs die Paketpost in Deutsch-
land mit einem Defizit abschliefst; ob sie richtig sind, liefse sich aber
nur feststellen , wenn die Statistik des Postverkehrs eine genaue Aus-
scheidung aller auf die Paketpost entfallenden Einnahmen und Ausgaben
und der durch unentgeltliche Beförderungen entstehenden Kosten und
wenn andererseits die Eisenbahnstatistik eine zuverlässige Ermitteluug
der Kosten der unentgeltlichen Leistungen der Eisenbahnen zu Gunsten
der Post ermöglichen würde. Beide Voraussetzungen fehlen zur Zeit und
werden sich vollständig auch bei anderer Gestaltung der Statistik nicht
schaffen lassen ; aber eine weitergehende Scheidung, als sie jetzt besteht,
ist in der Poststatistik jedenfalls nötig. Es ist ohne Frage sehr wichtig
zu wissen, ob die vom Verf. und von anderen vertretene Ansicht von
dem Defizit der Paketpost zutreffend ist oder nicht. Denn da die
Paketpost nicht zu den monopolisierten Zweigen der Post gehört und
in Konkurrenz zu privaten Verkehrsorganisationen tritt oder doch treten
kann, so würde es nicht zu rechtfertigen sein, wenn sie ihre Leistungen
unter den Selbstkosten anbietet. Hat der Verf. auch diese Seite der
Sache nicht vollständig klar stellen können, so darf er doch das Verdienst
beanspruchen, die Notwendigkeit einer entsprechenden Umformung der
Poststatistik in ein helles Licht gerückt zu haben.
Auch die mühevollen Versuche des Verf.' zu ermitteln, für welche
Warengruppen die Paketpost vorzugsweise in Betracht kommt, sind sehr
dankbar aufzunehmen. Inwieweit seine Schlußfolgerungen den That-
sachen entsprechen, liefse sich nur ergründen, wenn an den einzelnen
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 785
Orten eine genaue Untersuchung der wirtschaftlichen Verhältnisse im all-
gemeinen und des Postpaketverkohrs im besonderen vorgenommen
■würde. Iu der Hauptsache scheint er das Richtige getroffen zu
haben.
Dafs der heutige Paketportotarif der deutschen Reichspost gewisse
Mängel zeigt, ist dem Verf. nicht entgangen. Er macht auch S 31 Ver-
besserungsvorschläge. Dieselben sind nur zum Teil anzuerkennen ; es
würde indes zu weit führen , an dieser Stelle des näheren auf den
Punkt einzugehen.
In einigen Nebenpunkten dürfte die Auffassung des Verfs. wohl an-
zufechten sein ; im ganzen aber verdient seine Arbeit warme Aner-
kennung.
Aachen. R. van der Borght.
Eder, A., Die Eisenbahnpolitik Oesterreichs nach ihren finanziellen Ergebnissen.
Eine vergleichende Studie. Wien, Manz, 1894. gr. 8. V — 124 SS. mit 14 graphischen
Tafeln. M. 5.—.
Generalversammlung, XXXIX. ordentliche, der priv österr. -ungarischen
Staats-Eisenbahngesellschaft zu Wien am 29 Mai 1894: Bericht, Beschlüsse, Rechnungs-
abschluß*, Beilagen. Betriebsjahr 1893. Wien 1894. 4. 93 SS.
Jahresbericht der Handelskammer zu Leipzig, 1893. Leipzig, Hinrichssche
Buchhandlung, 1894. gr. 8. XII — 296 SS. (Aus dem Inhalte: Messen und Märkte. —
Ausstellungen. — Handelsbeziehungen zu fremden Staaten. — Verkehrsanstalten. —
Oeffentliche Lasten und Abgaben. — Börse. — Thätigkeit des Mefsausschusses. — Er-
gebnisse der Fabrikarbeiterzählungen v. 1. V. 1892 und 1. V. 1893 im Handelskammer-
bezirk Leipzig. — Feststehende Dampfkessel und Dampfmaschinen des Handelskammerbez.
Leipzig 1892 und 1893. — Geld- und Kreditwesen. Versicherungswesen. — etc.)
Jahresbericht der Betriebsverwaltung der Oldenburgischen Eisenbahnen für das
Jahr 1893. Oldenburg, Druck von G. Stalling, 1894. 4. 123 SS. mit 17 graphischen
und tabellarischen Anlagen, zum Teil in Imp.-folio.
Jahresbericht der pfälzischen Handels- und Gewerbekammer für das Jahr 1993.
II. statistischer Teil. Ludwigshafen a./Rhein , Baur'sche Buchdruckerei, 1894. gr. 8.
VII— 123 SS.
Jahresbericht der Handelskammer für die Kreise Sagan und Sprottau zu Sagan
für das Jahr 1893. Sagan, Druck von C. Koeppel, 1894. 4. 28 SS.
Jahresbericht, hydrologischer, von der Elbe für 1893. Magdeburg, Druck von
E. Baensch jr., 1894. Imp.-Folio. VI— 275 ; 59 SS. mit 28 Tafeln (graphische Dar-
stellungen etc.). [Auf Grund des Beschlusses der technischen Vertreter der deutschen
Eibuferstaaten vom 17. September 1891 bearbeitet von der kgl. Elbstrombauverwaltung
in Magdeburg ]
Commerce exterieur de la Russie par la frontiere d'Europe et la cote caucasienne
de la Mer Noire, y compris le commerce avec la Finlande pendant les mois de janvier-
decembre 1891, 1892, 1893. St. Petersbourg 1893. 8.
Compte rendu des travaux de la chambre de commerce de Marseille pendant
l'annee 1893. Marseille, imprim. du „Journal de Marseille", 1894. 8. 425 pag.
Quesnel, G. (prof. a l'Ecole des hautes etudes commerciales), Histoire maritime
de la France depuis Colbert. Paris, Challamel, 1894. 8. 274 pag., toile. Fr. 4. — .
Thery, E., Histoire des grandes compagnies de chemins de fer francais dans leurs
rapports financiers avec l'Etat. 5e edition. Paris, „Economiste Europeen", 1894. 8. 232 pag.
fr. 3 — . (Table des matieres : Histoire des chemins de fer francais: I^re periode. — Les
premiers embarras financiers. — Le plan de 1842 et la loi organique du 11 juin. —
Situation des chemins de fer au commencement de l'annee 1848. — La Revolution de
1848. — La formation des six grands reseaux. Resultats de la fusion. — Les Conventions
de 1859. Les chemins d'interet local. — Periode de 1870 a 1876. — La loi de 1865
et la speculation. — La Constitution du reseau de l'Etat. — Le plan Freycinet. — Le
rapport Baihaut sur le rachat. — La Situation financiere en 1882. — Resultats financiers
Dritte Folge Bd. VIII (I.XHI). 50
786 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
des Conventions de 1859 et de 1883. — Position actuelle des actionnaires des grandes
compagnies vis a vis du Tresor et r^numeration du capital engage dans leur exploitation. —
La dur6e des garanties d'intßrets. — Les bönefites de l'Etat dans l'exploitation des cbemins
de fer francais. — )
Van der Heyde, M. F. (consul gdneral de Belgique ä Copenhague), Compte rendu
d'une exploration commerciale au Dänemark. Ire partie. Bruxelles, Weissenbruch, 1894.
8. 66 pag. fr. 1. — . (Extrait du ,,Kecueil consulaire".)
Beresford, Ch. (Captain, Lord), The protection of the mercantile marine during
war. An address to the London Chamber of commerce. London & Aglesbury, Hazell,
Watson & Viney, 1893. 8. 62 pp. /.0,6. (Naval defences series, N° 1.)
Foreign commerce (the) and navigation of the United States for the year ending
June 30, 1893. Prepared by the Chief of the Bureau of statistics. Washington , Govern-
ment printing Oftice, 1894. gr. in-4. CLXX1V— 670 pp., cloth. (Publication of the
Treasury Department. Contents : Report on foreign commerce. — General tables of
commerce. — Principal and all other articles of merchandise imported into and exported
from the U. States in its trade with each foreign country during the years ending June 30,
1889 — '93. — Tables of tonnage movement.)
Statsjernvägarne i Finland. Detaljerad godsstatistik för ar 1892. Helsingfors,
Frenckel & Son, 1893. gr. in-8. 140 — 16 pp. mit graphischer Darstellung und Eisen-
bahnkarte in gr.-folio. (Bildet den Anhang (Bihang) zu ,,Jernvägsstyrelsens i Finland
berättelse".)
Catelani, A., Vita ferroviaria, con prefazione di Nap. Colajanni. Roma, tip. dell'
Unione cooperativa editrice, 1894. 16. 96 pp. 1.0,50. (Contiene : I disastri ferroviari. —
II perno della questione. — 11 personale ferroviario. — II codice penale ferroviario. —
La giornata di lavoro dei ferrovieri. — L'articolo 103 delle convenzioni. — Prima e
ora. — Le stazioni a cottimo. — II personale ferroviario e i tribunali — II personale
ferroviario e la cassa pensioni. — Gli impiegati ferroviari e le assemblee degli azionisti.
— II possibile sciopero ferroviario. — L'intervento del governo. — II dovere dei ferro-
vieri. — L'avvenire. — )
Lusena, Edg. (avvocato), La legislazione dei fallimenti in Italia e i voti del
congresso delle societä economiche a Torino : osservazioni ed appunti Firenze , tip. di E.
Ariani, 1894. 16. 64 pp.
Vecchi, Vit. (Jack La Bolina), La marina mercantile. Milano, tip. della casa
edit. Vallardi, 1894. 16. IV— 165 pp. c. fig. 1. 2.—.
7. Finanzwesen.
Armbruster (OAmtsR. Freiburg i/Br.) , Die kirchliche Besteuerung für den
katholischen Religionsteil des Grofsherzogtums Baden zusammengestellt und mit Einlei-
tung, Anmerkk. etc. herausgegeben Freiburg i/Br, Mohr, 1894. 8. VIII — 147 SS.
M. 1,80.
Jahn, Fr., Die einfache Buchführung nach dem neuen Einkommensteuergesetz be-
arbeitet. Bochum, Ad. Stumpf, 1894. 8. 72 SS. M. 1,35.
Lang, O. (Zürich), Alkoholmonopol und Alkoholzehntel. Zürich-Oberstrafs, Speidel,
1894. 8. 30 SS. M. 0,40.
Annuaire genöral des finances publie d'apres les documents officiels sous les
auspices du Ministere des finances. V'eme annee: 1894 — 1895. Paris et Nancy, Berger -
Levrault & C»e, 1894 gr. in-8. VI— 452 pag fr. 6.
Cohen, E, Rdformes pratiques dans le regime des impots. Paris, Guillaumin, 1894.
in-18 Jesus. XVI — 358 pag. fr. 3,50. (Table des matieres: Theorie et pratique des
impots. — Examen des depenses publiques. — La mission de l'Etat. — Les depenses
irreductibles: La dette publique et les frais de perception. Les depenses militaires. —
Depenses reductibles. — L'emprunt et l'impot. — Les monopoles d'Etat. — La r£forme
des impots: Solutions radicales. L'Income taxe est-il applicable en France? Reforme de
l'impot mobilier. L'eMasticite des impots. Röpartition des impots directs. L'impot foncier.
— L'impot sur les revenus: Les fonds d'Etat. Pensions, traitements. Benefiees in-
dustriels. Les patentes. Professions liberales. Salaires. Reforme des impots indirects.
— etc.)
Legrand (avocat), L'impot sur le capital et le revenu en Prusse, reforme de
1891 — 1893. Bruxelles, Societe beige de librairie, 1894. 16. XII— 104 pag. fr. 2.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 787
(Ecole des sciences sociales et politiques de Louvain. Memoire couronne au concours de
1893—94.)
Finance Act, *the, 1894 (57 & 58 Vict., c. 30), so for as it relates to the Estate
duty and the succession duty. With notes aDd introduction by J. E. C. Munro (barrister-
at-law). London, Eyre & Spottiswoode, 1894. 8. 5/. — .
Report, XXXVllth, of the Commissioners of her Maj.'s Inland Revenue for the
year ended March 31, 1894. London, printed by Eyre & Spottiswoode, 1894. 8. With
appendix /0,6. (Parliameutary paper.)
Cniia äoxojobt. u pacxoÄOBt r. Mockbm Ha 1894 roA"B. MocKBa 1893. Roy.
in-8. 42; 52; 251 pp. (Ueberschlag der Einnahmen und Ausgaben Moskaus für das
Jahr 1894)
Vissering, G., Belastingheffing van buitenwonenden door de gemeente Amsterdam.
Amsterdam, J. H. de Bussy, 1894. gr. 8. fl. 0,30.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen.
Aschendorff, E. A., Die wirtschaftliche und soziale Bedeutung der Währung.
Berlin, Teige, 1894. gr. 8. 51 SS. M. 1,25.
Börsenwerte. Tabellarische Darstellung der Finanzlage aller Staaten, Städte
und Aktiengesellschaften, deren Werte an der Berliner Börse gehandelt werden, nebst
Verzeichnis der Direktoren, Aufsichtsratsmitglieder und Zahlstellen der Aktiengesellschaften
Jahrg. 1894/95. Herausgegeben von H. Arends & C. Mossner. Berlin, Verlag der Kor-
respondenz Gelb, 1894. kl. 8. 141 SS. geb. M. 3.—.
Drechsler, A., Das Recht auf Arbeit und die Arbeiterversicherung. Eine An-
regung zur allgemeinen Volksversicherung. Basel, H. Müller, 1894. gr. 8. 36 SS.
M. 0,75.
Huber, F. C. (Prof. u. Sekretär der Handels- und Gewerbekammer Stuttgart), Der
Unfallversicherungszwang und dessen geplante Ausdehnung auf Handel und Kleingewerbe.
Stuttgart, Strecker & Moser, 1894. Roy.-8. 35 SS. M. 0,60.
Stenographischer Bericht der Beratung über die Verhältnisse der Gold- und
Silberproduktion unter Zuziehung von Sachverständigen (17. — 20. Sitzung). Berlin, Walther,
1894. 8. 197 SS. M. 1,50.
Verhandlungen der deutschen Silberkommission. Stenographischer Bericht der
Beratungen über den bimetallistischen Hauptantrag (8. — 17. Sitzung). Berlin, Walther,
1894. 8. 457 SS. M. 3.—.
Savings banks. Return for the year ended November 20, 1893. London, printed
by Eyre & Spottiswoode, 1894. Folio. 1/. — . (Parliamentary paper.)
Tal bot, W. H. (member of the Committee of the Shanghai brauch of the China
Association), The adverse inöuence of gold appreciation upon the trade of gold-standard
countries with the East, exemplified in China. Shanghai, printed at the „North-China
Herald" office, 1894. 8. 17 pp. (Publication of the Eastern Bimetallic League.)
Wetmore, W. S. (President of the Eastern Bimetallic League), The Eastern Bi-
metallic League (established 1894). Shanghai, printed at the „North-China Herald" Office,
1894. 8. 13 pp. (Ein Protest gegen den Monometallismus.)
B3aHMHoe cipaxoBoeHie otx otuk ryöepHCKoe, 3eMCKoe h ropoRCKoe 1889 — 92
C.-neTepÖyprx 1893. Lex. in-8. 41 pp. (Gegenseitige Versicherung gegen Brandschäden
in Gouvernements, Dörfern und Städten des europäischen Rufslands. A. u. d. T. : BpeMe
HHHKt etc. : Jahrbücher der k. russischen statistischen Centralkommission im Ministerium
des Innern. Heft 27.)
Cooperativa (per una) consumo manifatture in Ravenna. Ravenna, tip. cooper.
Ravegnana, 1894. 8. 118 pp.
Galli, Per. (avvocato), Le societä cooperative di produzione. Milano, tip. Ed.
Sonzogno edit., 1894. 16. 62 pp. (Biblioteca del popolo, N° 252.)
Verslag van de meeting (op uitnoodiging van Hollandsche Maatschappij van
landbouw) gehouden te 's Gravenhage, den 18. Juni 1894, ter besprekiug van het vraag-
Stuk van het bimeUllisme. 's Hage, gebr. Belinfante, 1894. gr. in-8. 69 blz. fl. 0,50.
9. Soziale Frage.
Büchner, P., Der Sozialismus des zwanzigsten Jahrhunderts. Vorschläge zur
Lösung der sozialen Frage. Berlin, Staude, 1894. 8. 96 SS. M. 1.—.
50*
788 Uebersicbt über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Eckart, Studiertenproletariat. Berlin, Lazarus, 1894. 8. 24 SS. M. 0,50.
Rossi, Ad., Die Bewegung in Sizilien. Stuttgart, J. H. W. Dietz, 1894. 8. 114 SS.
Mit illustr. Titelumschlag. M. 0,75.
Sanz y Escartin, Eduardo, El Estado y la reforma social. Madrid 1893.
4. 297 pp.
Wheelbarrow, Articles and discussions on the labor question. Chicago, the Open
Court Publishing Company, 1894. 8. 303 pp. wirth portrait and facsimile of the author.
(ConteDts : Autobiography. — Live and not let live. — Monopoly on strike. — Convict
labor. — Honest and dishonest wages. — Payment in promises to pay. — The working-
man's dollar. — The paper dollar. — The poets of liberty and labor: Gerald Massey.
Robert Bums. Thomas Hood. — Henry George and land taxation. — Words and work.
— Economic Conferences I — III (II: Banking and the social System). — Controversy
with Mr. Lyman J. Gage on the ethics of the Board of Trade. — Controversy with Mr.
Hugh O. Pentecost, and others, on the Single tax question. — etc.)
10. Gesetzgebung.
Buff, E. (k. BergR ), Die Gesetze und Verordnungen betreffend den Betrieb der
Bergwerke und der damit verbundenen Anlagen im preufsischen Staate. 2. Aufl. Essen,
G. D. Bädeker, 1894. gr. 8. XXII— 336 u 12 SS. geb. M. 4.—.
Engels, E. ^OBergR. u. Dozent an der k. Bergakademie in Klausthal), Preufsisches
Bergrecht. Ein Leitfaden für das Studium. 2. Aufl. Leipzig, A. Felix, 1894. gr. 8.
VI— 140 SS. M. 3,20.
Campagnole, E. (secretaire du Conseil super, de l'assistance publique), L'assis-
tance medicale gratuite (commentaire de la loi du 15 juillet 1893). Paris, Berger-Levrault,
1894. 8. 352 pag. fr. 6—.
Hugot, C. (controleur des contributions indirectes), Manuel du droit de dönaturation.
Paris et Nancy, Berger-Levrault, 1894 8. VI— 340 pag. fr. 3,50.
Wauwermans, P. (avocat ä la Cour d'appel de Bruxelles, secretaire de l'Association
artistique et litteraire internationale), Le droit des auteurs en Belgique. Commentaire
historique et doctrinal de la loi du 22 mars 1886. Bruxelles, Societe beige de librairie,
1894. 8. XVI— 468 pag. fr. 7,50.
11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Meyer, Georg, Lehrbuch des deutschen Verwaltungsrechtes. 2. Aufl.*
Teil II (Auswärtige Verwaltung. Militärverwaltung. Finanzverwaltung)'
Leipzig, Duncker und Humblot, 1894, 428 SS.
Die dem Verfasser eigene Gabe bündiger Fassung hat es ermöglicht,
auch diesen zweiten Teil den äufseren Umfang der ersten Auflage nur
um weniges überschreiten zu lassen.
Aus dem Abschnitte über die auswärtige Verwaltung interessiert, dafs
der Verf. eine nähere Darstellung des Rechtes der deutschen Schutzge-
biete ausgeschlossen hat, weil sich die Entwickelung dieses kolonialen
Verwaltungsrechtes noch vollständig im Flusse befindet.
Was die dem Militärrecht gewidmeten Kapitel anlangt, so erfordert
besondere Hervorhebung, dafs der Verf. seine bisherige Auffassung der
rechtlichen Natur des Reichsheeres in jeder Richtung aufrecht erhielt.
Ausführlicher als früher hat sich M. über den Rechtscharakter der
Offiziersernennung geäufsert (S. 103). Er bekämpft die in dieser Rich-
tung in Preuf-en herrschende, von Lab and unterstützte Praxis, welche
in der Offiziersernennuug einen Ausflufs des Oberbefehls sieht und dem-
gemäfs eine ministerielle Gegenzeichnung nicht für erforderlich hält. M.
entscheidet, Gegenstand des Oberbefehls sei nur die Kommandierung zu
einer bestimmten Stellung, die von der Ernennung zum Offizier ebenso
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 789
verschieden sei wie die Uebertragung eines bestimmten Amtes von der
Ernennung zum Beamten. Blofse Versetzungen seien daht r Ausflufs des
Oberbefehls uud erfolgten nicht unter ministerieller Verantwortlichkeit.
Im Gebiete des Finanzrechtes bekämpft M. ausdrücklich die Recht-
sprechung des Reichsgerichtes, die dahin geht, dafa bei Steuersachen im
Zweifel der Rechtsweg zulässig sei (S. 220). Andererseits vermögen wir
dem von M. festgehaltenen Rechtssatze nicht beizustimmen, dafs das Reich
zu anderen Kommunalsteuern als Grundsteuern nicht verbunden sei, da
ihm als dem obersten politischen Gemeinwesen Verpflichtungen nur durch
eigene Gesetze auferlegt werden könnten (S. 294). Diesem Grundsatze
dürfte der andere gegenüberstehen, dafs nach Lage unserer Gesetzgebung
im Zweifel alle juristischen Personen des privatrechtlichen Vermögens-
rechtes steuerpflichtig sind. Bezüglich des Rechtes des Steueruachlasses
bekämpft M. die Laband'sche Gnadentheorie. Er sieht in solchem Erlafs eine
Dispensation, die nur auf ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung erfolgen
darf, und weist die entgegenstehende preufsische Uebung zurück (S. 207).
In der Dispensation selbst erkennt M. nicht eine Aufhebung, sondern
nur ein Aufseranwendungsetzen des objektiven Rechtssatzes für einen ein-
zelnen Fall. Zu betonen ist noch, dafs der Verf. schärfer als in der
ersten Auflage feststellt, dafs der Staat nicht blofs im vermögensrecht-
lichen Privatverkehr, sondern auch als Träger staatsrechtlicher Vermögens-
rechte Fiskus im Rechtssinue ist (S. 177), ferner, dafs der Verf. zwar
nicht dem Namen aber der Sache nach die Ueberweisungen des Reiches
als Dotationen auffdfst (S. 185), die Matrikularbeiträge dagegen ausdrück-
lich als Steuern bezeichnet.
Erlangen. R e h m.
Ball, E. (RAnw. LandG. Berlin I.), Das Vereins- und Versammlungsrecht in Deutsch-
land. Textausgabe mit Anmerkk. Berlin, Guttentag, 1894. 16. 251 SS. M. 2,25.
(A. u. d. T. : Guttentagsche Sammlung deutscher Reicbsgesetze, Nr. 33.)
Bismarck, Die politischen Reden des Fürsten Bismarck. Historisch-kritische Ge-
samtausgabe besorgt von Horst Kohl. Band XI: 1885 — 1886. Stuttgart, Cotta, 1894.
Roy.-8. XXVIII— 489 SS. M. 8.—.
Jastrow, J., Das Dreiklassensystem. Die preufsische Wahlreform vom Stand-
punkte sozialer Politik. Berlin, Rosenbaum & Hart, 1894. gr. 8. IV — 157 SS. M. 3. — .
Lüneburg. Haushaltsplan der Stadt Lüneburg für das Jahr 1894/95. Lüneburg,
v. Stern'sche Buchdruckerei, 1894. 4. 8 SS.
Neumann-Hofer, A., Die Entwickelung der Sozialdemokratie bei den Wahlen
zum Deutschen Reichstage. Statistisch dargestellt. Berlin, C. Skopnik, 1894. gr. 8.
4 Bogen. M. 1. — .
Potsdam. Haushaltsetat der Stadt Potsdam pro 1. IV. 1894 — 95. Potsdam, Krämer-
sche Buchdruckerei, 1894. 4. 331 SS. — Verwaltungsbericht des Magistrates der Resi-
denzstadt Potsdam für das Etatsjahr vom 1. IV. 1892 bis 1. IV. 1893. Spezieller Teil.
Nebst der Beilage : Hauptabschlufs der Stadthauptkasse zu Potsdam und Finalabschlüsse
der von der Stadthaupikasse verwalteten Fonds für das Etatsjahr 1. IV. 1892 bis l.IV.
1893. Ebd., Druck von E. Stein, 1894. 78 u. 56 SS.
v. Ruville, A., Das Deutsche Reich ein monarchischer Einheitsstaat. Beweis für
den staatsrechtlichen Zusammenhang zwischen altem und neuem Reich. Berlin, Guttentag,
1894. gr. 8. VI— 294 SS. M. 6.—.
Seydel, F. (GRegR), Gesetz vom 21. VII. 1852 betreffend die Dienstvergehen
der nichtrichterlichen Beamten, die Versetzung derselben auf eine andere Stelle oder in
den Ruhestand und seine Ergänzungen. 2. Aufl. Berlin, Heymann, 1894. gr. 8. VIII —
375 SS. M. 7.—.
790 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Andreani (chef de division ä la pr^fecture de3 Alpes-Maritimes) , Guide pratique
de radministration francaise. Paris, Guillaumin, 1895. gr. iu-8. IV — 756 pag. fr. 15. — .
(Sommaire: Etat. — Departement. — Commune. — Associations. — Nationalites. — Agri-
culture. — Commerce. — Industrie. — Enseignement. Lettres. Sciences et arts. — Finances.
— Justice. — Cultes. — Travaux publica. — Armee. Marine. — Colonies — Diplomatie.
— Preseances. — etc.)
Compte rendu des seances de la Chambre des deputes du grand-duche de Luxem-
bourg. Session ordinaire du 7 novembre 1893 au 26 juillet 1894. Luxembourg, imprim.
V. Bück, 1894. 8. XX— 958 ; 313— XXVI pag.
Deslandres (agrege ä la faculte de droit de Dijon), De la participation du peuple
au pouvoir legislatif. Du referendum et de l'initiative populaire en Suisse. Dijon, imprim.
Darantiere, 1894. 8. 35 pag.
Guillaume (baron, ministre de Belgique ä Athenes), Code de relations convention-
nelles entre la Belgique et la France. Bruxelles, Th. Falk, 1894. in-4. XX— 812 pag.
fr. 12.—.
Pirard, L., Pour qui dois-je voter, par un electeur ä trois voix. Monographie electorale.
Liege, Vaillant-Carmanne, 1894. 8. 64 pag. fr. 1— .
Jenks, E., An outline of English local government. London, Methueu, 1894. 8.
224 pp. 2/. 6.
Wilkinson, Spencer, The great alternative , a plea for a national policy.
London, Swan Sonnenschein , 1894. gr. in-8. IV— 331 pp., cloth. 7/. 6. (Coutents :
Introduction : National paralysis. The remedy. — The eastern question. — The Union
of Germany. — The partition of Turkey and the triple alliance. — The use of armies.
The secret of the sea. — Egypt. — A warning from Germany. — The expansion of
France. — India. — The great alternative. — The revival of duty. — )
Corsi, A. (prof.), Arbitrati iutemazionali : note di critica dottrinale e storica Pisa,
tip. edit. Galileiana, 1894 8. 310 pp. 1. 6. — . (Contiene : La pace universale fra
gli Stati e condizione, ma non metä ultima del progresso del diritto internazionale. —
L'arbitrato come istituzione giudiziaria permanente fra tutti gli Stati non e attuabile, se
prima non si rende obbligatorio fra Stati singoli, per singole controversie, o per le materie
regolate da ciascun trattato. — Distinzione non giustifieata fra tribunali arbitrali e com-
missioni miste; raffronti inesatti; arbitrium e arbitratio. — Composizione dei tribunali
arbitrali. — ecc.)
Ro s s i , L., I principi fondamentali della rappresentanza politica : introduzione. Bologna,
tip. Fava & Garagnani, 1894. 8. 96 pp.
Scalvanti, O. (prof.), Legislazione e scienza amministrativa in Italia: discorso
pronunziato nell' universita di Perugia inaugurandosi l'auno accademico 1893 — 94. Perugia,
tip. V. Santucci, 1894. 8. 54 pp.
Jo rissen, E. J. P., Codex van de locale wetten der Zuid-Afrikaansche republiek.
Eene proeve. Groningen, erven B. van der Kamp, 1894. 8. 56 en 721 blz. fl. 5,75.
Loef Schuphoven, R. H., De admiuistratie der geldmiddelen van de gemeenten
Handboek voor hh. burgemeesters, raadsleden, secretarissen en gem.-ontvangers. Zutphen,
Thieme & C*e , 1894. 8. 4; 118 blz. fl. 1,25.
12. Statistik.
Allgemeines.
Statistisches Jahrbuch deutscher Städte. In Verbindung mit seinen
Kollegen Dr. H. Bleicher, Dr. R. Böckh, Dr. K. Büchel, H. Edelmann,
Dr. M. Flinger, Dr. E. Hasse, Dr. E. Hirschberg, Dr. G. Koch, Dr. G.
Pabst, F. X. Probst, G. Tschierschky, Dr. E. Würzburger und K. Zimmer-
mann herausgegeben von Dr. M. Neefe, Breslau, Wilh. Gottl. Korn,
III. Jahrgg, 1893, gr. 8°, VIII u. 378 SS.
Das im vorigen Jahre an dieser Stelle (cf. V. Bd. S. 601 ff.) aus-
führlich gewürdigte verdienstliche Unternehmen der Vorstände und wissen-
schaftlichen Mitarbeiter der statistischen Aemter der deutschen Städte,
die wissenswertesten Vorgänge des städtischen Lebens in thunlichst ein-
heitlicher und übersichtlicher Gestalt zur Darstellung zu bringen, hat
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 791
durch die Herausgabe des dritten Jahrganges eine den beiden voraus-
gehenden würdige Fortsetzung erhalten. Die Einrichtung der Veröffent-
lichung ist wesentlich die alte geblieben. Einzelne Abschnitte haben eine
— gegen das Ganze gehalten indessen geringfügige — Erweiterung er-
fahren. So ist bezüglich der Bauthätigkeit eine genauere Unterscheidung
der Aufwendungen mit Hinweis auf die Zwecke, denen die Bauten dienen
sollen, erfolgt, ist beim Feuerlöschwesen die mutmafsliche Entsteh-
ungsursache der Brände berücksichtigt, siud die Preisangaben über Ver-
zehrungsgegenstände vermehrt und hierbei auch mehr nichtpreufsische
Städte herangezogen, sind die standesamtlichen Nachweisungen den ent-
sprechenden Erhebungen aus den Kirchenbüchern gegenübergestellt worden.
Eine schätzenswerte Vervollständigung hat der dritte Jahrgang durch Neu-
aufnahme der von H. Bleicher (Frankfurt a. M.) bearbeiteten Immo-
bili arf euer v ersic he r u n g erhalten. Neben den einschlägigen recht-
lichen Grundlagen sind hier die Zahl der versicherten Gebäude, das ver-
sicherte Kapital, die erhobenen Prämien, die Zahl und der Betrag der
Schadenfälle und der Beitragt-fufs nachgewiesen worden und zwar gesondert
danach, ob direkter, ob indirekter oder teilweiser Versicherungszwang oder
keiner von beiden vorliegt. Einschränkungen sind dagegen dem Abschnitt
über das Unterrichtswesen zu teil geworden und die Ausführungen des
vorigen Jahrganges über Märkte und Messen, über Kranken-, Unfall-,
Alters- und Invaliditäts-Versicherung wie über die — der nächsten Aus-
gabe vorbehaltenen — Gemeindesteuern fortgeblieben. In Bezug auf den
Stand der Bevölkerung, der Grundstücke, Gebäude, Wohnungen und Haus-
haltungen, sind statt der von 1885 erstmalig die Ergebnisse der Volks-
zählung von 1890 verwertet worden, doch hat es diesmal nur gelingen
wollen, die Ergebnisse, die für den Jahrgang 1892 sich auf 43 der 47 Städte
mit über 50 000 Einwohner erstreckten, auf 41 auszudehen. Die gleiche
Sorgfalt der Bearbeitung und Zusammenstellung, die den früheren Bänden
nachgerühmt wurde, ist auch dem vorliegenden zuzusprechen. Alle Mit-
arbeiter und voran der Herausgeber Neefe haben sich durch die fort-
gesetzten Bemühungen um das Zustandekommen des mit vielen Schwierig-
keiten verknüpften, aber ohne Frage einem weitreichenden Bedürfnisse
Kechnung tragenden Werkes den Dank aller derer erworben, die sich für
städtische Statistik interessieren.
Oldenburg. Dr. Paul Kollmann.
Landolt, C, Methode und Technik der Haushaltsstatistik (nebst dem Budget einer
St. Galler Arbeiterfamilie etc ). Freiburg i/B., Mohr, 1894. gr. 8. IV— 104 SS. mit
tabellarischen Anlagen. M. 2,80.
Deutsches Reich.
Beiträge zur Statistik des Grofsherzoejtums Hessen. Herausgegeben von der grofs-
herzoglichen Centralstelle für die Landesstatistik. Band XXXVIII, Heft 2. Darmstadt,
Jonghaus, 1894. 4. 31 SS. (Inhalt: Statistik der Straf- und Gefaugenanstalten im
Grofsherzogtum Hessen für das Jahr vom 1. IV. 1892 bis 31. III 1893)
Jahrbuch für Bremische Statistik. Jahrgang 1893, Heft 2: Zur allgemeinen
Statistik des Jahres 1893 Bremen, G. A v. Halem, 1894. gr. 8. X— 275 SS. (Heraus-
gegeben vom Bureau für Bremische Statistik. Inhalt: Staatsgebiet. — Bevölkerung. —
Grundeigentum. — Landwirtschaft. — Industrie (im engeren Sinne). — Handel und Ver-
kehr. — Geld- und Kreditwesen. — Versicherungswesen. — Preise und Verbrauch. —
Soziale Selbsthilfe. — Oeffentliche Wohlthätigkeit und Armenpflege. — Oeffentlicbe Ge-
792 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
sundheit und Gesundheitspflege. — Schulpflege. — Rechtspflege. — Staats- und Gemeinde-
tiuauzeu etc. — )
Nachweisungen, statistische, aus der Forstverwaltung des Grofsherzogtums
Baden für das Jahr 1892. Jahrgang XV. Karlsruhe, Müller'sche Hofbuchdruckerei, 1894.
gr. 4. 109 SS.
Protokoll über die am 18., 19. und 21. Mai 1894 in Görlitz abgehaltene IX.
Konferenz der Vorstände der statistischen Aemter deutscher Städte. Görlitz, Druck von
Hoffmann & ßeiber, 1894. Folio. 26 SS. (Anlage IV, S. 18 ff. : Arbeitslosenstatistik.)
Uebersicht, statistische, über die freiwilligen Feuerwehren des Feuerwehrver-
bandes für die Provinz Hannover nach dem Stande vom 1. März 1893. Bearbeitet von
H. Schaefer (Lüneburg), o. O. (Lüneburg) 1894. Imp.-folio.
England.
Statistical abstract for the United Kingdom in each of the last fifteen years from
1879 to 1893. XLIst number. London, printed by Eyre & Spottiswoode, 1894. 8. 243 pp.
(Parliamentary paper.)
Year-book of the Imperial Institute of the United Kingdom, the colonies, and India.
A Statistical record of the resources and trade of the colonial and indian possessious of
the British empire. IHrd issue. London, Eyre & Spottiswoode, 1894. gr. in-8. cloth, 10/. — .
Ungarn.
Thirring, G. (Vicedirektor des statistischen Bureaus zu Budapest), Geschichte des
statistischen Bureaus der Haupt- und Residenzstadt Budapest 1869 — 1894. Aus AnlaTs
des 25-jährigen Bestehens des Bureaus geschrieben. Berlin, Puttkammer & Mühlbrechtf
1894. gr. 8 41 SS.
Budapest fövaros statisztikai hivatalänak közlem6nyei. (Publikationen des stati-
stischen Bureaus der Hauptstadt Budapest XIX. Statistik der infektiösen Erkrankungen
in den Jahren 1881 — 1891 und Untersuchung des Einflusses der Witterung, von J. Körösi
(Direktor des kommunalatatistischen Bureaus). Uebersetzung aus dem Ungarischen. Berlin,
Puttkammer & Mühlbrecht, 1894. gr. Lex. -8. VIII— 141 SS mit 5 graphischen Tafeln. M.4,50.
XXV, 1. Die Hauptstadt Budapest im Jahre 1891. Resultate der Volksbeschreibung und
Volkszählung von J Körösi u. G. Thirring (Vicedirektor des kommunalstatistischen Bureaus).
Band I. Ebd. 1894. gr. Lex.-8. 98; 118 SS. mit 7 graphischen Tafeln. M. 5—.
Magyar statisztikai közlemenyek. Uj folyam, VII kötet. Budapest, Buchdruckereides
„Athenäums'1, 1894. Imp. in-4. 79; 139 SS. (Ungarische statistische Mitteilungen, Neue
Folge, Bd. VII: Warenverkehr der Länder der ungarischen Krone im Jahre 1893.) fl. 3. — .
R uf s 1 and.
Cboäx CTaTHCTHieiuixi CBiÄiHiä no >rijiaMT& yro-iOBHLiMt IIpoii3 boähbiuhmch bx
1888 roAy bt. OKpyri BapiuaBCKofi cyÄe6HoönaJiaTi.i. C.-IIeTep6ypri> 1893. Folio. 187 pp.
(Russische Krimiualstatistik im Bereiche des Warschauer Justizbezirks.)
CiaiHCTHKa PoccincKOH HMnepiii XXIV.: ^BiiaceHie Hacejtenifi bx EßponeiicKoii
Poetin 3a 1889 rOAt. C.-IIexep6ypri 1893. Lex. in-8. VI— 211 pp. (Bewegung der
Bevölkerung des europäischen Rufslands. Bearbeitet und herausgegeben von der kais.
russischen statistischen Centralkommission.)
Bidrag tili Finlands officiela Statistik I. Handel och sjöfart. 12: Finlands handel
och sjöfart pä Ryssland och utrikes orter samt uppbörden vid tullverket 1892. VI — 131 ;
96; 80 pp. (Binnen- und Aufsenhandel, Küsten- u. Seeschiffahrt.) — VI. Befolknings-
statistik. 22: Folkmängd den 31. XII. 1890. IV— 168 pp. (Finische Volkszählung von
1890) — VHb. Postsparbanken 7. 20 pp. (Rechenschaftsbericht über das Betriebsjahr
1893) — IX. Elementarläroverkens i Finland, läseäret 1892 — 93. 47 pp. (Mittlerer öffent-
licher Unterricht (Gymnasial- und Reallyceen) im Studienjahr 1892/93.) — X. Statistik
öfver folkundervisningen i Finland 18, 19 u. 20 XIV — 37 ; XV— 39; XIX — 121 pp
(Finischer Volksschulunterricht in den Schuljahren 1890/91, 1891/92, 1892/93) —
XIII. Post-statistik. Ny följd. 8. XXXII — 88 pp. (Postbetriebsstatistik für das Jahr 1892.)
— XIV a. Landtmäteriet. 8. Berättelse för är 1892. 16 pp. (Bericht über das Landver-
messungswesen im Jahr 1892.) — XVIII. Industri-statistik 9. Ar 1892, senare delei:
(2r Teil). XVI-112 pp. (Gewerbe- und fabrikmäßige Betriebsstatistik für das Jahr 1892."
— XIX. Vag- och Vattenbyggnaderna. Berättelse för är 1892. VI — 127 pp. (Bericht über
öffentliche Wege- und Wasserbauten in Finland über das Jahr 1892) 9 Hefte. Helsingfors-
1804. Roy. in-8.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 793
Belgien und Holland.
Statistique de la Belgique. Tableau general du commerce avec les pays etrangers
pendant l'annee 1893. Bruxelles , Mertens, 1894 (aoüt). in-folio. XL — 264 pag. avec
2 graphiques. (Publicatiou du Ministere des finances.)
Bijd ragen tot de statistiek van Nederland. Uitgegeven door de Centrale Commissie
voor de statistiek. I. Statistiek der arbeidersvereenigingen. 's Gravenhage, van Weelden
& Mingelen, 1894. 4. XXXV1I1 — 339 blz. (Holländische Arbeitervereinsstatistik geordnet
nach Provinzen und den Ortssitzen der Vereine.)
Gerechtelijke statistiek van het koninkrijk der Nederlanden, 1893. 's Gravenhage,
1894. 4. XXXVI— 269 pp. (p. 164—207: Miiitärstrafrechtsstatistik, p. 249 sqq.: Konkurs-
statistik.)
Jarcijfers uitgegeven door de Centrale Commissie voor de statistiek. Binnenland
1893 en vorige jaren (1879 sqq.). 's Gravenhage, van Weelden & Mingelen, 1894. gr. in-8.
XXIV— 245 blz.
S ch w ei z.
Mitteilungen, statistische, betreffend den Kanton Zürich, Jahr 1891, Heft 4:
Die Bewegung der Bevölkerung im Jahre 1891 nebst Anhang: Vorlaufige Mitteilungen
über die Bevölkerungsbewegung im Jahre 1893. 77 SS. — Jahr 1892, Heft 2: Gemeinde-
statistik. Nebst Anhang: Die Verteilung der Staatsbeiträge an die Armenausgaben der
Gemeinden vom Jahr 1892. XII — 248 u. 13 SS. mit 1 Karte. Zürich, Druck v. Orell
Füssli, 1894. 8. (Herausgegeben vom Kantonalen statistischen Bureau.)
Schweizerische Handelsstatistik. Jahresbericht 1893. Bern, Buchdruckerei J.
Schmidt, 1894. gr. Lex.-8. 66 SS.
Schweizerische Statistik. Lieferung 98 : Pädagogische Prüfung bei der Rekrutie-
rung im Herbste 1893. Bern, Orell Füfsli, 1884. 4. 28 und 2d SS. Mit graphischer
Karte.
Statistik des Warenverkehrs der Schweiz mit dem Auslande im Jahre 1893.
Bern, Druck von S. Collin, 1894. folio. 233; 87; 33 u. 13 SS. (Herausgegeben vom
schweizerischen Zolldepartement. Inhalt: Einfuhr und Ausfuhr [Spezial-, Effektiv- und
Generalhandel]. — Durchfuhr und spezielle Verkehrsarten: Lagerverkehr; Veredlungs-
verkehr ; Grenzverkehr ; Retourwaren. — Zollerträgnisse. — )
Schweden.
B i d r a g tili Sveriges officiela Statistik. E. Inrikes sjöfart och handel. Kommerskollegii
berättelse för 1892. Stockholm 1894. gr. in-4. XI— 36 pp.
Bi drag tili Sveriges officiela Statistik. K. Helso- och sjukvärden, 11. Ofverstyrelsens
öfver hospitalen. Berättelse för är 1892. (Schwedische Kranken- und Irrenanstaltsstatistik
für 1892.) 25 pp. — L. Statens jernvägstrafik, 31b. (Bericht über das Betriebsjahr 1892
der schwedischen Staatseisenbahnen) 32 u. 33 SS. mit Eisenbahnkarte. — N. Jordbruk
och boskapsskötsel, XXVIII. Berättelser för är 1892 (Anbau-, Ernte- und Viehstands-
statistik der einzelnen Läns für das Jahr 1892.) 27 Teile. — P. Undervisningsväsendet,
20 Läseäret 1890/91. (Mittlerer öffentlicher Unterricht für Knaben nebst Nachrichten
über Schulsparkassen für das Studienjahr 1890/91). 48 u. 40 pp. — Q. Statens domäner.
(Statistik der Domänen- und Staatsforstverwaltung für das Jahr 1892.) XVIII — 70 pp.
— R. Valstatistik, X. (Bericht über die Ergebnisse der schwedischen Reichstagswahlen,
Session 1891/93 u. 1894/96.) IV— 36 pp. — S. Allmänna arbeten, 21. (Statistik der
öffentlichen Weg- und Wasserbauten etc. für das Jahr 1892.) 7 Hefte. Stockholm
1893—94. gr. 4.
Bul ga rien.
JIb aceHHe Ha Hace-zreHiieio Bt Ex^rapcKOio KHHacecTBO npi3t 1891 rojs.. Co*hh
Sophia neiaTHima SlMÖep-B (Buchdruckerei Silber) 1894. 4. 473 pp. (Bewegung der
Bevölkerung des Fürstentums Bulgarien im Jahr 1891. Herausgegeben vom Bulgarischen
statistischen Bureau.)
CTaiHCTHKa TtproBH/iTa Ha BtJirapcKOTO KHaaceciBO et qy^CÄHTÜ ÄT&pacaBH
npi3"L 1893 TOÄHHa (Co*Htf). Sophia, Buchdruckerei Silber. 1894. 4. 307 pp. mit 3
graphischen Anlasen. (Statistik des Handelsverkehrs des Fürstentums Bulgarien mit fremden
Ländern im Jahre 1893. Herausgegeben vom Bulgarischen statistischen Bureau.)
i
794 Uebersicbt über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Amerika (Uruguay).
Anuario demografico de la Repüblica oriental del Uruguay. Ano IV: 1893.
Montevideo 1894. Roy. in-8. XXXIV — 126 pp. y 5 cuadros- (Indice: Demografia com-
parada. — Demografi'a de la Repüblica Orient, del Uruguay: Natalidad. Nupcialidad.
Mortalidad. Morti-natalidad. — Nosologia. — Reconocimientos y legitimaciones. —
Eesumen general. (Publicaciön de la Direcciön general del registro del estado civil,
Director: L. C. Bollo.)
13. Verschiedenes.
Bahr, F., Zur allgemeinen Beurteilung von Unfallverletzungen und ihren Folgen.
Karlsruhe, J. J. Reiff, 1894. 8. 43 SS. M. 0,60.
Bregenzer, J. (LandGR), Tierethik. Darstellung der sittlichen und rechtlichen
Beziehungen zwischen Mensch und Tier. Bamberg, C. C Buchner, 1894. 8. X — 422 SS.
M. 4 — . (Preisschrift. Herausgegeben von dem Verbände der Tierschutzvereine des
Deutschen Reichs )
Dämonen der Unzucht! Notschrei einer deutschen Frau ! Leipzig, G. Uhl, 1894.
gr. 8. 80 SS. (Enthüllungen über das unsittliche Treiben deutscher Juden).
D a h m s , G., Die Frau im Staats- und Gemeindedienst. Berlin, Taendler, 1895.
gr. 8. 31 SS. M 0,60. (A. u. d. T : Der Existenzkampf der Frau. Heft 1.)
Fofs, R. (Prof), Das norddeutsche Tiefland. Eine geographische Skizze. Berlin,
Mittler & Sohn, 1894. 8. VI— 98 SS. M 1.—.
Frey, K., Die Schulaufsicht, ihre Aufgaben und ihre Gestaltung. Köln, Kölner
Verlagsanstalt u. Druckerei, A.-G., 1894 gr. 8. 301 SS. M. 2,50.
Hautzinger, Amelie, Die weibliche Berufswahl. Handbuch für Frauenbildung
und Frauenerwerb. Berlin, H. Steinitz, 1894. 8. VIII— 214 SS. M. 2,80. (Mit einem
Anhange : Studien- und Stipendienf'onds, Unterstützungs- und Pensionsanstalten.)
H o e n i g , Fritz, Die Scharnhorst'sche Heeresreform und die Sozialdemokratie. Berlin,
R. Felix, 1894. gr. 8. 67 SS M. 1,50.
Hygienische Verhältnisse der gröfseren Garnisonsorte der österreichisch-ungarischen
Monarchie. XII. Budweis. Wien, k. k. Hof- und Staatsdruckerei, 1894. 12. 73 SS.
mit Karte in qu.-folio und 5 graphischen Beilagen.
Oelsner, E. , Die Leistungen der deutschen Frau in den letzten vierhundert
Jahren. Auf wissenschaftlichem Gebiete. Guhrau, M. Lemke, 1894. 8. VIII— 234 SS.
M. 3.—.
Roth's Jahresbericht über die Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete des
Militärsanitätswesens. Herausgegeben von der Redaktion der Deutschen militärärztlichen
Zeitschrift. Jahrg. XIX: Bericht für das Jahr 1893. Berlin, E. S. Mittler & Sohn, 1894.
8. VIII— 229 SS. M. 4,80.
Schäfer, Th. , Die weibliche Diakonie in ihrem ganzen Umfange dargestellt.
2. Aufl. Bd. II und III. Stuttgart, Gundert, 1893—94. 8. XII— 344 ; XV-330 SS.
ä M 4,50. (A. u. d. T. : Bd. II: Die Arbeiten der weiblichen Diakonie; Bd. III: Die
Diakonissin und das Mutterhaus. — )
Schaible, K. H. , Die höhere Frauenbildung in Grofsbritannien von den ältesten
Zeiten bis zur Gegenwart. Mit einer historischen Skizze der britischen Erziehung im
Allgemeinen, von der Reformation bis zu unserer Zeit. Karlsruhe, Braun, 1894. 8.
IX— 206 SS. M. 2.—.
Schneidewin, Max, Die jüdische Frage im Deutschen Reich. Versuch eines
unparteiischen und auf die salus publica zielenden Schiedsspruches zwischen Antisemitismus
und Philosemitismus. Hameln, Th. Fuendeling, 1894. 8. X— 162 SS. M. 2,50.
Scholz, Fr., Vorträge über Irrenpflege. 2. Aufl. Bremen, Heinsius Nachfolger,
1895. gr. 8 136 SS. M. 2,80
Schult hei fs, Fr. G., Friedrich Ludwig Jahn. Sein Leben und seine Bedeutung.
Preisgekrönte Arbeit. Berlin, Hofmann & C°, 1894. 8. 198 SS. M. 2,40.
Verhandlungen des schweizerischen Vereins für Straf- und Gefängniswesen und
der interkantonalen Vereinigung der schweizerischen Schutzaufsichtsvereine in St. Gallen
am 9. u. 10 Oktober 1893. XVIII Versammlung. Aarau, Sauerländer & C°, 1893. 8.
75 u. 108 SS. M. 2. — . (Inhalt: Referate: Die Unterstützung der Familien der Ge-
fangenen durch die Schutzaufsichtsvereine. Die Untersuchungsgefängnisse, ihre Beschaffen-
heit und ihre Verbesserung. — Verhandlungsprotokolle nebst Beilagen. — )
Wem ich, A. (Reg.- u. MedR., Berlin) und Weh m er (Reg.- u. MedR., Koblenz),
Die periodische Presse des Auslandes. 795
Lehrbuch des öffentlichen Gesundheitswesens. Stuttgart, Euke, 1894. gr. 8. XX — 788 SS.
M. 18.—.
Weyl, Tb., Die Assanierung Neapels. Reiseskizzen. Braunschweig, Vieweg & Sohn,
1894 gr. 8. 27 SS. mit 3 Plänen in qu.-folio. (Sonderabdruek aus der ,, Deutschen
Vierteljahrsschrift für öffentliche Gesundheitspflege", Bd. XXVI, Heft 2.)
Creighton, Ch., A history of epidemics in Britain. Volume II: From tbe ex-
tinction of the plague to the present time. London, Cambridge University warehouse.
Clay & Sons, 1894. 8. 20/.—.
History of American schools for the deaf, 1817 — 1893. Prepared for the Volta
Bureau by the principles and superintendents of the schools, and published in comme-
moration of the 400th anniversary of the discovery of America. Edited by E. Allen Kay
(Prof. in the National Deaf-mute Collegium). 3 volumes Washington, the Volta Bureau,
1893. gr. in-8. c. 1300 pp. with numerous plates and woodcuts. (Contents: Volume
I. : Public schools in the United States, established 1817 — 1854. — Volume IL: Public
schools in the United States, established 1854 — 1893. — Volume III. : Denominational
and private schools in the United States. Schools in Canada and Mexico. — Schools
wbich have been discontinued. — )
Castelli, L., Fasti di carnefici d'Italia, con lettere, note, pensieri e scritti di
Garibaldi, Mazzini, Cattaneo, Campanella, Saffi, Bovio, Mario, Quadrio, Lemmi, Crispi,
Maffi ecc. Milano, tip. di L. Castelli edit., 1894. 16. 153 pp. 1. 0,50.
Spataro, Donato (ingegniere), Igiene delle abitazioni. Volume III. (Provvista,
condotta e distribuzione delle acque), parte 3 : La distribuzione delle acque, ingegneria
»anitaria. Milano, Hoepli, 1895. 8. XI — 624 pp. con 4 tavole e flg. 1. 20.
Die periodische Fresse des Auslandes.
A. Frankreich.
Bulletin de statistique et de lögislation comparee. XVIII i^ne annee, 1894, Sep-
tembre : A. France, colonies: Les revenus de l'Etat, exercice 1894: France: 8 premiers
mois; Algerie: 7 premiers mois. — Les contributions directes et les taxes assimilees,
Situation au 1er septembre 1894. — Produits des contributions indirectes per(;us et con-
states pendant le 1er semestre des annees 1894 et 1893. — La Situation financiere des
communes en 1893 (France et Algerie). — Le commerce exterieur, mois d'aoüt, 1894. —
B. Pays etrangers : Angleterre : Resultats generaux de l'exploitation des chemins de fer
de la Grande-Bretagne et de l'Irlande (1854 — 1892). — Roumanie: Le commerce exterieur
(1889 — 1892). — Etats-Unis: Le nouveau tarif douanier. Le commerce exterieur, 1891/92
ä 1893/94. — Republique Argentine: Le projet de budget pour 1895 — etc.
Journal des Economistes. Revue mensuelle. 53e annee, 1894, 15 Septembre:
Le capital, par G. du Puynode. — La question des noirs aux Etats-Unis, par G. N.
Tricoche (suite et fin). — La journee de huit heures, par M. LR. — Mouvement
scientifique et industriel, par D Bellet. — Revue de l'Academie des sciences morales et
politiques, par J. Lefort (du 15 mai au 15 aoüt 1894). — L'association britannique ä
Oxford, par E. Castelot. — Le Vlieme congres des banques populaires en France, par
G. Francois. — Une singuliere inegalite en matiere d'impot, par Hubert- Valleroux. Cor-
respondance : Les dettes publiques russes Un monument ä Fr. Quesnay. — Societe
d'economie politique, seance du 5 sept. 1894. Discussion : Le homestead et la röforme
du droit de saisie en France. — Chronique economique. — etc.
Journal de la Societe' de statistique de Paris. XXXVieme annee, 1894, N° 9,
Septembre: Le crime et le criminel devant le Jury, par E. Yvernes. La question des
assurances agricoles au point de vue de la statistique, par A. Thomereau. — Chronique
semestrielle de statistique judiciaire, par E. Yvernes. — Chronique trimestrielle de statistique
generale, par D. Bellet. —
Moniteur des assurances. Revue mensuelle, Nos 311 et 312, 16 aoüt et 16 sep-
tembre 1894 : Assurances agricoles. Le projet Viger, par A. Thomereau. — Du monopole
des assurances sur la vie, par P. Moulin. — Les compagnies fran<jaises d'assurances
contre l'incendie en 1893: I. Operations de 1893. II. Situation au 31 decembre 1893,
par L. Warnier. Assurances contre la grele. Resume des Operations de l'exercice 1893.
796 ^'e periodische Presse des Auslandes.
I. Operations de 1893. II. Situation au 31 decembre 1893. — Difficultes de I'Equitable
des Etats-Unis en Prusse. — Assurances contre l'incendie. Les celluloses nitriques ; leur
fabrication industrielle, par A. Candiani. — Assurances sur la vie: Resume du rapport
du bureau föderal suisse pour l'exercice 1892, par L. Masse. — Les societes francaises
et ötiangeres d'assurances sur la vie. Proposition de loi de M. Guieysse. Un comite
consultatif, par P. Sidrac. — Assurances contre les accidents ; Resume des Operations de
l'exercice 1893, par L. Warnier. I. Operations de 1893. II. Assurances diverses.
III. Situation au 31 decembre 1893. IV. Renseignements speciaux. —
Reforme sociale. Bulletin de la Societe d'economie sociale etc. Hie serie,. tome
VII, livraison 12 et tome VIII livraison 1: 16 juin et 1" juillet 1894: L'evolution et
les trois formes de la feodalite en France, par A. des Cilleuls. — La naissance d'une
industrie: La colonie de San Leucio et le travail de la soie en Italie meridionale, par
Santangelo Spoto. — Le socialisme et J'industrie, par A. Gibon, suivi d'observations de
MM. Limousin & Welche. — Les devoirs et les profits des patrons, par E. Aynard. —
Les monts-de-piete et le trafic des reconnaissances, par J. Chorat. — La legislation beige
sur la repression de la mendicite et du vagabondage, par P. Arminjon. — Les socialistes
et les profits du capital, par P. Lagarosse. — La liberte commerciale au moyen äge, par
Hugon. — Visites industrielles et sociales. — Chronique du mouvement social, par A.
Fougerousse. — Le mouvement social k l'etranger, par J. Cazajeux. — Annales de la
charite et de la prevoyance. — etc.
Revue internationale de sociologie publiee sous la direction de Rene Worms.
2e Annee, 1894, N° 9, Septembre : De la responsabilite en matiere de delit et de son
extension, par P. Dorado. — Une greve au seizieme siecle, par H. Hauser. — L'organi-
sation scientifique de l'histoire, par R. Worms. — Mouvement social: Suisse, par V.
Rossi. — etc.
Revue maritime et coloniale, Livraison 395 et 396: Aoüt et Septembre 1894:
Notice geographique, topographique et statistique sur le Dahomey (3e, 4e et 5e parties).
— La guerre de Paraguay, par Chabaud-Arnault (suite et fin). — Influence de la puis-
sance maritime sur l'histoire, 1660 — 1783 (suite 3 et 4). — Chronique du port de Lorient
de 1803 ä 1809, par Lallemand (suite 2). — Voyages aeriens au long cours. Les aero-
stats et la traversee de l'Afrique australe, par L. Dex et Maur. Dibos. — L'electricite
en Amerique, par J. Leflaive. — Geometrie des diagrammes, par Baills (suite 1) —
L'adoption du pavillon tricolore, par Loir. — Du droit de guerre. Traduit de l'italien.
— Peches maritimes: La peche du maquereau sur les cotes d'Irlande. La peche mari-
time ä l'entree de l'isthme et dans le canal de Suez. Etat des huitrieres du sous-arron-
dissement de Lorient, mai ä juin 1894. L'ostreiculture en Italie. Peche du hareng dans
la mer du Nord et de la Manche. Peche de la morue dans la mer du Nord, pendant
l'annee 1893. Situation de la peche et de l'ostreiculture pendant les mois de juin et
juillet 1894. — etc.
B. England.
Board of Trade Journal. Vol. XVII. N° 98 and 99, September and October 1894 :
Agriculture returns of Great Britain, 1894. — The Russian merchant navy. — German
Commercial Unions. — A permanent consultative commission of commerce and industry
in France. — Establishment of an official Department of labour in Spain. — The
charcoal pig iron industry in the U. States. — The commerce and finances of Latin
America. — Santa Fe as a field for emigration. — The railways of Australia. — The
coal industry of India. — The Manchester ship canal. — German commercial enterprise.
— The foreign trade of Spain. — The salt trade of the Soudan. — Indian mineral pro-
duction. — Emigration from British India. — The cotton industry of Japan. — The
Mexican leather industry. — The trade of British Columbia. — New Brazilian customs
regulations for Port Alegre and Rio Grande do Sul. — New U. States customs tariff. —
Tariff chauges and customs regulations. — Extracts from diplomatic and consular reports.
— General trade notes. — Statistics of trade emigration, fisheries, etc. — State of the
skilled labour market. — etc.
Contemporary Review, the. October 1894: The eight-bours' Bill for miuers,
its economic effect, by E. Bainbridge. — East and West, by E. Reclus. — Cabinet
counsels and candid friends, by T. H. S. Escott. — The work of the beer-money, by
J. Rae. — Our most distinguished refugee, by E. Seilers. — French prisons and their
inmates, by E. R. Spearman. — Joseph Priestley in domestic life, by (Madame) Belloc.
— Weismannism once more, by Herbert Spencer. — etc.
Die periodische Presse des Auslandes. 797
Economic Journal, the, edited by F. Y. Edgeworth. Vol. V, September 1894:
The annual meeting of the association ; Political economy and journaljsm, by (Prof.) J.
S. Nicholson. — Ricardo in Parliament (part 2), by E. Cannan. — Theory of inter-
national value, by (Prof) F. Y. Edgeworth (dart 2). — The report of the Labour
Commission, by L. L. Price. — The commercial supremacy Great Britain, by A. W.
Flux (part 1) — Mr. Charles Booth on the aged poor, by C. S. Loch. —
Edinburgh Review, the, N° 370 (pubiished on October 16, 1894: English towns
in the XV'h Century. — The Lonsdale papers. — The report of the Labour Commission.
— The letters of Edw. Fitzgerald. — Projectiles and explosives in war. — Naval war
in the East. — The educational crisis. — etc.
Fortnightly Review, the. October 1894: The Crimea in 1854 and 1894, by
(General Sir) E. Wood. — Sidelights on the IInli empire (part 2), by W. Graham. —
Our workmen's diet and wages, by Th. Oliver. — The extermination of great game in
South Africa, by H. A. Bryden. — In Syria, by Fr. Carrel. — Madagascar, by Vazaha.
— A pretender and bis family, by A. D. Vandam. — etc.
Humanitarian, the. A monthly magazine. Vol. V, N° 4, October 1894: Village
-ituation in India, by FJorence Nightingale. — The Christ of the past and of the future.
by (the Rev.) A. Momerie. — The position of italian women, by Evelyn M. Lang. —
The painless extinction of life in the lower animals. An interview with (Sir) B. Ward
Richardson. — The necessity of re-establishing the Contagious Diseases Act, by (Surgeon-
General Sir) W. Moore. — The New Hebdonism controversy, by G. Ives. — Higher
powers in man, by H. T. Edge. — etc.
Journal of the Royal Statistical Society. Vol. LVII, part 3, September 1894:
Annual report of the Council. — Statistics of litigation in England and Wales since
1859, by J. Macdonell. — A comparison of the growth of wealth in France and Eng-
land, also of their economic conditions, specially with reference to their agricultur Systems
and their position in case of war , by W. J. Harris, with discussion. — Asymmetrical
correlation between social phenomena, by (Prof.) F. Y. Edgeworth. — Agricultural returns
of the acreage and live stock for 1894. — etc.
National Review, the. October 1894: Shall we degrade our Standard of value V
by (Lord) Farrer. — An country house question, by X. — The invisible government,
by St. Loe Strachey. — Some Oxford memories, by T. H. S. Escott. — An American
utopia, by E. Porritt — The poor man's cow, by H. W. Wolfi. — „Problems of the far
East", by (Captain) Maxse. — A very light railway, by (Miss) J. Barlow. — etc.
New Review, the. October 1894: Ireland and the government, by J. Mc Carthy.
Christianity and communism, by W. S. Lilly. — Country-house parties, by E. F. Ben-
son. — A political bird's-eye view , by Fr. Greenwood — Secrets from the court of
Spain, VI. — Dry-fly fishing, by (Sir) E. Grey. — The East-end and crime, by (Rev.)
A. Osborne Jay. — Women in the colonies, by G. Parker. — etc.
Nineteenth Century, the. A monthly review edited by J. Knowles, N° 211,
September 1894: True and false conceptions of the atonement, by W. E. Gladstone. —
Heresy and schism from another point of view , by Vance Smitb. — „Known to the
police", by E. R. Spearman. — The facts äbout University extension, by M. E. Sadler
and by (Mrs.) James Stuart. — Mutual aid in the mediaeval city, by (Prince) Krapolkin
(concluded). — The Hadramut : a journey in Southern Arabia, by J. Th. Bent. — The
gold question : an appeal to monometallists, by J. P. Heseltine. — Mrs. Sidney Webb's
attack on the Labour Commission, by Geoffrey Drage (Secretary to the Commission). —
The parish priest in England before tbe Reformation, by (the Rev.) Jessopp. — etc.
D. Rufsland.
Bulletin Russe de statistique financiere et de legislation. l^re annee, N° 6, Aoüt
1894: Le nouveau tarif des chemins de fer russes pour les voyageurs et les bagages.
— Statistique du trafic-voyageurs pendant la periode 1888 — 1891. — Tableau des titres
(d'emissions cree'es ou garanties par l'Etat) se trouvant en Russie dans les caisses publi-
ques, des banques, etc. Reparation geographique de ces titres. Caisses dans lesquelles
ces titres sont deposes. — Obligations emises par les compagnies industrielles ou
commerciales et libellees en rbl. -credit (1er janvier 1894). — Production des usines,
fabriques et manufactures russes en 1891. — Tarif conventionnel russe. Valeur des
quantites importees en Russie du 20 mars au 13 juin n. s. — Principales exportations
de la Russie pendant les 4 premiers mois de 1893 et de 1894. — Budgets de l'Empire.
798 ^e periodische Presse des Auslandes.
Donnees diverses concernant l'examen legislatif et l'approbation du budget. — Bilan de
la Banque de Russie. — Les compagnies d'assurances par actions en 1893. — Hotel des
monnaies de St.-Petersbourg : Valeurs des monnaies, lingots et medailles d'or sortis de la
Monnaie pendant les 17 dernieres annees. — La frappe de l'or en Russie pendant les
17 dernieres annees. — etc.
E. Italien.
Giornale degli Economisti. Ottobre 1894: La grande e la piecola industria
armentizia nell* appennino marchigiano, per F. Colletti. — La dottrina politico-economica
di Fr. Ferrara, per D. Berardi (cootinuazione e fine). — Libero scambio, protezione e
trasformazione agraria in Sicilia, per un libero scambista siciliano. — Cronaca: 1 feno-
meni economici e quelii morali. La legge dei contadini del Cremonese, per V. Pareto.
— Previdenza, per C. Bottoni. — La situazione del mercato monetario, per X. —
Supplemento : Saggio di bibliografia economica italiana 1870 — 90, per A. Bertolini (con-
tinuazione). —
R i v i s t a della beneficenza pubblica e di igiene sociale. Anno XXII, N° 7 — 8 :
31 Luglio — 31 Agosto 1894 : L'orfanotrofio femminile di Santa Maria degli Angeli in
Roma. — Un indirizzo di 435 eieebi istruiti italiani al (cav.) D. Barbi-Andriani perche
lo prensenti alle competenti autoriiä. — La Societä Britannica e forestiera in favore dei
ciechi. — Per gli infortuui sul lavoro in Germania. — La pia casa di lavoro di Firenze
ed il contributo per la spesa di mantenimento degli inabili al lavoro. — La legge sulle
casse di pensioni, di soecorso e di previdenza istituite a fovore degli impiegati e operai
in Francia. — Sulla societä di assicurazioni. — L'organizzazione ed il funzionamento di
un servizio modello di chirurgia a Parigi, per C. Gorini. — Cenni statistici ed economici
sulla repartizione della tuberculosi in Italia con speciale riguardo alla grandi citta, per
(ingegn.) A. Raddi. — etc.
G. Belgien und Holland.
Revue de droit international et de legislation comparee (Bruxelles). Tome XXVI,
1894, N° 4: La codification du droit international prive\ Uieme Conference tenue ä la
Haye, du 25 juin au 13 juillet 1894. Communication de T. M. C Asser. — Le differend
entre le Portugal et le Bresil consideree au point de vue du droit international, par
J. B. de Martens-Ferräo. — Du droit de propriete revendique par les Etats-Unis d'Amerique
sur les phoques ä fourrure de la mer de Behring. Etüde critique par E. Engelhardt. —
Observations sur la contrebande de guerre, par L. de Bar. — Solidarite et souverainete,
a propos d'une brochure intitul^e : „L'intervention et la peninsule balkanique", par
Brocher de la Flechere. — etc.
H. Schweiz.
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Jahrg. II, Nr. 17
u. 18: 1. u. 15. September 1894: Die Ausführung des neuen Artikels 39 der schweize-
rischen Bundesverfassung (Banknotenmonopol) , von Wilhelm v. Graffenried (Artikel I
u. II). — Das Recht auf Arbeit und die allgemeine Volksversicherung, von A. Drexler.
— Ein Stück schweizerische Sozialgeschichte, von (Prof.) J. Platter (mit ausschliefslicher
Bezugnahme auf die Schrift: „Der Bauernstand des Kantons Luzern ehemals und heute,
von Joh. Schwendimann"). — Sozialpolitische Rundschau : Die Studentenverbindung
„Zofingia" und die Arbeiterversicherung. Die Volksabstimmung vom 12. August im
Kanton Zürich. Volksversicherung mit Hilfe der eidgenössischen Post. Die Gewerbe-
t'reiheit und die eidgenössische Schulwandkarte. Das eheliche Güterrecht im zukünftigen
eidgenössischen Civilgesetzbuch. — Statistische Notizen : Bedarf und Lebenshaltung der
schweizerischen Bevölkerung. Die Streiks in England in den Jahren 1892 und 1893.
— etc.
L 'Union postale. Vol. XIX, N° 9, Berne, 1er septembre 1894: La caisse d'epargne
postale Autrichienne en 1893. — Le Service postal de Queensland en 1892. — Le coche
de Paris ä Strasbourg ä la fin du XVlIlieme siecle.
K. Spanien.
ElEconomista. N° 434—435. Ano 1894. (Madrid): El credito de Espana
y el credito de Europa. — La legislaciön y las cajas de ahorros y montes de piedad.
— Alza del precio en oro de La Plata. — La situaeiön de los mercados monetarios. —
Los cambios y el patriotismo espanol. — Los ferro-carriles espanoles. —
Die periodische Presse Deutschlands. 799
L. Amerika.
Political Science Quarterly, edited by the University faculty of political science
of Columbia College, Vol. IX, N° 3, September 1894: New York city and the State, by
A. C. Bemheim. — American administrative law, by E. Freund. — Assimilation of
nationalities , by (Prof.) R. Mayo-Smith. — New Wealih , by W. Smart. — Camorra,
malfia and brigandage, by S. Merlino. — Capitalistic monopolies, by (Prof.) J. W. Jenks.
— Universities in France, by Ch. V. Langlois. — etc.
Die periodische Presse Deutschlands.
Annalen des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik. Hrsg.
von G. Hirth und M. v. Seydel. Jahrg. XXVII, 1894, Nr. 10: Reichshaushalt für das
Jahr 1894/95: Berechnung der zur Deckung der Gesamtausgabe aufzubringenden Matri-
kularbeiträge. — etc. — Die neuen Handels- und Zollverträge des Deutschen Reichs:
IV. Handels-, Zoll- und Schiffahrtsvertrag mit Rumänien und Serbien. —
Archiv für Post und Telegraphie. Jahrg. 1894, Nr. 15 u. 16, August: Einige
technische Einzelheiten über die unterirdischen Fernsprechlinien in Hamburg und Leipzig.
— Kulturfortschritte in Japan und China. — Die Donauregulierung am Eisernen Thor. —
Die Insel Formosa. — Zur Geschichte der telegraphischen Verkehrseinrichtungen in
Köln a/Rhein. — Ein alter Postbericht der Residenzstadt Kassel. — Was wissen wir
vom Südpol ? — Korea und die Koreaner. — etc.
Archiv für bürgerliches Recht. Herausgegeben von (Prof.) J. Kohler, (LdRichter)
V. Ring, (Privatdoz.) P. Oertmann. Bd. IX, Heft 1, September 1894: Die russische
Gesetzgebung in den baltischen Provinzen auf dem Gebiete des Privatrechts, vom (Mag. jur.)
Th. v. Bunge (Reval). — Ein Fusionsvertrag zwischen einer Aktiengesellschaft und einer
offenen Handelsgesellschaft , insbesondere die rechtliche Natur eines solchen, die Befugnis
eines Gesellschafters zum Abschlufs des Vertrages namens der Gesellschaft, sowie zur
Wiederaufhebung desselben mit bindender Kraft für die übrigen Teilhaber der offenen
Handelsgesellschaft, von (OLGerR. a. D.) Hergenhahn (+) Eisenach. — Das Recht der
Kunstwerke und Altertümer, von J. Kohler. — Ueber Eigentum an Briefen nach heutigem
gemeinen Recht, von G. Petschek (Prag) — Die Wertangabe im heutigen Frachtverkehr
mit Ausschlufs des Eisenbahn- und Postverkehrs , von K. Friedrichs (Kiel). — Rechts-
grundsätze des Reichsgerichts in systematischer Darstellung, von P. Oertmann. —
Christlich-soziale Blätter. Jahrg. XXVII, 1894, Heft 17 u. 18: Die Vereinigung
schweizerischer Sozialpolitiker , von H. Loretz (apostol. Protonotar u. Domkapitular in
Chur). — Denkschrift über die Lage der Landwirtschaft und die Organisation des Bauern-
standes, für den VI. (Wirtschafts-)Ausschufs der Kammer der Abgeordneten , von dem
Abgeordneten Jäger (2. u. 3. Fortsetz.). — Delegiertentag der katholischen Arbeitervereine
Süddeutschlands (3. u. 4. Sept. 1884 in Augsburg). — Die christliche Sozialreform und
die 41. Generalversammlung deutscher Katholiken zu Köln, 1894. — Sozialpolitische
Rundschau IX u. X. —
Deutsche Revue über das gesamte nationale Leben der Gegenwart. Herausgegeben
von R. Fleischer. Jahrg. XIX: 1894, Oktober: Fürst Bismarck und die Parlamentarier,
von H. v. Poschinger (IV.). — Der Anarchismus , von C. Lombroso. — Ueber das Zu-
sammenwirken von Bessel, Encke und A. v. Humboldt, von W. Förster. — Erinnerungen
aus dem Leben von Hans Viktor v. Unruh, von H. v, Poschinger (VII.). — Einige Worte
über einen Handelsvertrag mit Spanien , von A. Canovas del Castillo. — Wie grofs ist
der Holzreichtum der Erde ? — etc.
Finanzarchiv. Zeitschrift für das gesamte Finanzwesen. Herausgegeben von
G. Schanz. Jahrgang XI, 1894, Band 2: Die neueste Steuerreform in den Niederlanden
im Anschlufs an die Finanzgeschichte des Landes seit der Verfassungsrevision im Jahre
1848, von G M. Boissevain. — Vermögenssteuergesetz für das Königreich der Nieder-
lande, vom 27. IX. 1892. — Niederländisches Gesetz vom 2. X. 1893, betreffend die
Steuer von den Einkünften aus Beruf etc. — Die Heranziehung der Feuerversicherungs-
unternehmungen zu den Kosten des Feuerlöschwesens, von F. Oegg (Würzburg). — Das
Finanzwesen Italiens im Jahre 1893, von L. Sachs (Wien). — Die Staatswohnungssteuer
in Rufsland, von J. v. Keufsler (St. Petersburg). — Das Budgetwesen der Gemeinden im
Grofsherzogtum Hessen, von Zeller (Darmstadt). —
300 Die periodische Presse Deutschlands.
Die Neue Zeit. Jahrg. XII, Bd. II (1893/94 Nr. 44—52: Soziologie, Ethnologie
und materialistische Geschichtsauffassung , von H. Cunow. — Ein Jahrzehnt der öster-
reichischen Gewerbeinspektion, von Dionys Zinner. — Eine neue „Arbeiterfrage1', von
E. Bernstein (Referat über die bezügliche Schrift, von H. Herkner). — Die Wahlen in
Belgien. — Der Klassenkampf in Frankreich, von P. Lafargue. — Die ländlichen Volks-
schulen des Kreises Franzburg in hygienischer Beziehung. — Der Einflufs des Kapitalis-
mus auf die moderne dramatische Kunst, von Erich Schlaikjer. — Beiträge zur Entwicke-
lungsgeschichte der Grofsindustrie in Deutschland. — Ueber Latifundienlandwirtschaft in
Nordamerika, von R. Meyer. — Die erbliche Belastung der Prostituierten, von R Calwer.
— Die russischen und polnischen Juden in London, von M. Beer (London) — Die Ver-
staatlichung der Aerzte. — Die schweizerische Fabrikinspektion, von D. Zinner. — Die
Sozialdemokratie in den deutschen Grofsstädten. Eine statistische Studie , von O. Geck.
— Zur Lage des bayerischen Bauernstandes, von A. Müller. — Der Trade Unions-Kongrefs
von Norwich und die Sozialdemokratie in England, von Ed. Bernstein. — Die industrielle
Politik Rufslands in dessen polnischen Provinzen. — Am Gedenktage der „Internationale",
von Ed. Bernstein. — Die „Internationale" und die Schule. — etc.
Preufsische Jahrbücher. Herausgegeben von Hans Delbrück. Band LXXVIII,
Heft 1, Oktober 1894: Maria Antoinette im Kampf mit der Revolution, von (Prof.) Max
Lenz (I.). — Reformbestrebungen auf strafrechtlichem Gebiete, von (Prof.) A. Merkel. —
Die heutige französische Volksschule, von (GymnasialDir. a. D.) A. Döring. — Rang und
Gehalt in Justiz und Verwaltung, von Sellow. — etc.
Vereinsblatt für deutsches Versicherungswesen. Jahrg. XXII, 1894, Nr. 8 u. 9 :
Zur Statistik der Brände während des Jahres 1893. — Zur Rechtsprechung des Reichs-
gerichts und anderer Gerichtshöfe in Versicherungsangelegenheiten. — Die kleinen Gegen-
seitigkeitsverbände. — Transportversicherungsergebnisse des Jahres 1893. — Geschäfts-
und Vermögensentwickelung der Oesterreich- Ungarischen Lebensversicherungsgesellschaften
im Jahre 1893. — Lebensversicherungsgeschäft in England in 1893. — etc.
Zeitschrift für Kulturgeschichte. Hrsg. von G. Steinhausen (Kustos an der
Universitätsbibliothek in Jena). Bd. II, 1894, Heft 1 : Karl v. Zierotin und sein Tage-
buch vom Jahre 1591, von F. v. Krones (Prof., Graz). — Die Faustsage nach ihrer
kulturgeschichtlichen Bedeutung, von (Prof) K. Biedermann (Leipzig). — Zur Geschichte
der Uniform in Deutschland von G. Liebe (Arehivassistent, Magdeburg). — etc.
Zeitschrift für Litteratur und Geschichte der Staatswissenschaften. Herausgegeben
von K. Frankenstein. Band III, 1894, Heft 4. Zur Biographie Quesnay's von (Prof.)
A. Oncken (Fortsetzung). — Auf dem Wege zur Gewerbefreiheit in Preufsen, von
(RegR ) v. Rohrscheidt (Schlufs). — Kritiken und Referate. — Bibliographie des Arbeiter-
versicherungswesens im Deutschen Reiche, vom Herausgeber (Fortsetzung). —
Zeitschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. Herausgegeben von (Drr.)
St. Bauer (Brunn) und L. M. Hartmann (Wien). Band III, 1894, Heft 1 (Weimar und
Berlin): 1894: Die Goldwährung im Deutschen Reiche während des Mittelalters, von
K. Th. v. Inama-Sternegg. — Der Kommunismus der Huterischen Brüder in Mähren im
XVI. und XVII. Jahrhundert. — Die Aufnahme der Gewerbefreiheit in Preufsen, von
K. v. Rohrscheidt. I: Die Stellung des Ministers Dohna. — Zur Geschichte der Zünfte
im frühen Mittelalter : (I. J. Nicole , Le livre du Prefet. II. Ravenna. III. E. Rodo-
canachi, Les corporations ouvrieres ä Rome). — etc.
Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena.
Willi V arges, Zur Entstehung der deutseben Stadtverfassung. 301
VII.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung.
Von
Dr. Willi Varges.
(Zweiter Teil1).
Kapitel VI.
Die Stadtgemeinde.
Die Bewohner der Städte, die Bürger, bilden eine festgeschlossene
Genossenschaft. In lateinischen Urkunden 'wird diese Genossenschaft
als universitas 2), unanimitas 3) communitas 4) commune 5), communio 6),
auch schlechthin als civitas7 ) oder als burgenses bezeichnet. Zu-
weilen werden, wie das mittelalterlicher Brauch war, auch zwei Aus-
drücke pleonastisch nebeneinander gestellt, so universitas et commu-
nitas8), universitas et civitas 9), civitas universa10). Seltener kommen
1) Vgl. Dritte Folge, Band VI dieser Zeitschrift, S. 161—214. Zur Entstehung
der deutseben Stadtverfassung: Erster Teil. (Citiert als Aufsatz I.)
Ueber die Litleratur vgl. Aufs. I, S. 161. A. 1. Vgl. den Litteraturbericht in
Quidde, Deutsche Zeitschrift für Geschichte, Bd. 10, S. 155 220, 225, S. 228. Besonders
hervorzuheben sind: Pirenne, L'origine des constitutions urbaines du moyen Ige. Extrait
de la Revue historique, Tome LIII, 1893. Knieke, Die Einwanderung in den west-
fälischen Städten bis 1400. Münster 1893. Philipp!, Zur Verfassungsgeschichte der
westfälischen Bischofsstädte. Osnabrück 1894.
Zu meinen auf S. 162 angeführten Arbeiten kommt hinzu: Zur Entstehung der
Stadt Bremen. Ztschr. des Vereins für Niedersachsen, 1893, S. 337 — 367.
2) Urkundenbuch von Wernigerode n. 4, S. 4. Urkundenbuch von Bremen I. n. 275,
S. 205 Urkundenbuch von Erfurt I. n. 100, n. 114, 117. Vgl. auch S. 489. Ich führe
nur einzelne Belegstellen an, die ich wie im ersten Teil hauptsächlich den niederdeutschen
Städten entnehme.
3) Urkundenbuch von Halberstadt I, n. 136, n. 46.
4) Urkundenbuch von Bremen I. n. 144. Urkundenbuch von Erfurt I. n. 213, S. 167.
5) Urkundenbuch von Halberstadt I. n. 40a. Urkundenbuch von Hildesheim I. n. 72,
S. 39.
6) Gengier, Stadtrechte S. 202.
7) Ebenda S. 305, § 5.
8) Urkundenbuch von Erfurt I. n. 555, S."388.
9) Ebenda I. n. 475, S. Vgl. „stad und gemeinde" n. 581, 582, cives et communi-
as. n. 257.
10) Ebenda. I. n. 235.
Dritte Folge Bd. Vni (LXin). 51
802 Willi Varges,
zur Bezeichnung der Bürgergemeinschaft andere Benennungen, wie colle-
giuin civitatis1), consortium civitatis2), civilitas, concivilitas 3)unio4)
vor. Ob sich auch der Name conjuratio, Eidgenossenschaft, in
deutschen Urkunden findet, ist sehr fraglich. Im Freiburger Stadt-
recht von 1120 5) heißt es zwar, die bei Gründung der Stadt heran-
gezogenen Bürger hätten eine conjuratio geschlossen. Es soll dies
aber wohl nichts anderes bedeuten, als daß die zuwandernden merca-
tores den Bürgereid abgelegt haben. Mit Conjuratio 6) wird jede
eidlich geschlossene Einigung, Vereinigung, auch die Verschwörung
bezeichnet. Für die Genossenschaft der Bürger wird man diese Be-
zeichnung ihrer Vieldeutigkeit wegen nicht gewählt haben. Aus ein-
zelnen Urkunden geht klar hervor, daß conjuratio etwas anderes als
die Genossenschaft der Bürger, die Stadtgemeinde ist. So wird in
Trier 1161 eine communio civium Trevirensium, quae et conjuratio
dicitur aufgehoben 7), die Stadtgemeinde bleibt aber bestehen. Wir
haben es hier mit einer besonderen eidlichen Verbindung der Bürger
zu thun, die geschlossen wurde, um einen bestimmten Zweck durch-
zusetzen, kurz, mit einer Vet schwörung zu thun. Solche Verschwö-
rungen und Eidgenossenschaften werden auch in anderen Städten er-
wähnt. Am bekanntesten ist jene Eidgenossenschaft, die im Jahre
1112 in Köln geschlossen wurde. Sie wurde als conjuratio pro liber-
tate bezeichnet 8).
In deutscheu Urkunden wird die Genossenschaft der Bürger
als borgerschap 9), stad 10), stad und gemeinde11), meist als meynheit,
mende, menne, menheyt der stad12). also ebenso wie die Gemein-
schaft der Dorfbewohner als Gemeinde bezeichnet. Wir wollen die
Genossenschaft der Bürger fortan als Stadtgemeinde bezeichnen.
Zuweilen kommt für Stadtgemeinde auch der Ausdruck burscap,
Burschaft13), Laischaft 14), also Nachbarschaft, vicinia15), vor. Am
1) Urkundenbuch von Bremen. I. n. 308, S. 349.
2) Gaupp, Stadtrechte I. S. 97, § 6, 13, 14. (Stadtrecht von Haynau). Vgl. auch
v. Maurer, Städteverfassung II. S. 191 ff Westfäl Urkundenbuch IV, 93. (Paderborn).
3) Gengier, Stadtrechte S. 125 Urkundenbuch von Bremen, I. n. 540, S. 570:
civilitas hat auch die Bedeutung „Bürgerrecht"'. Urkundenbuch von Halberstadt, I, n. 242.
4) Urkundenbuch von Hildesheim II, n. 629, S. 377.
5) Urkundenbuch von Bremen, II. n. 178.
6) Vgl. v. Maurer, a. a. 0. II. S. 177, ff.
7) Ebenda, S. 179, A. 9.
8) v. Maurer, I. S. 179. Hegel, Städte und Gilden. II, S. 327.
9) Vgl. Aufs. I, S. 171 und meinen Aufsatz Stadtrecht und Weichbildsrecht a. s. O.
S. 88.
10) Urkundenbuch von Braunschweig, I. n. 61, S. 119, § 222.
11) Urkundenbuch von Braunschweig, I. n. 2, S. 5, § 13.
12) Urkundenbuch von Wernigerode, n. 301, S. 188.
13) Urkundenbuch von Bremen, II. n. 589, S. 616. Vgl. v. Maurer, II. S. 191.
Philippi, zur Verfassungsgeschichte, S. 80, A. 234.
14) v. Maurer a. a. O. II, S. 193. Ueber Laiscap vgl. unten S. 810. Ferner
Philippi, Zur Verfassungsgeschichte S. 51. Hansische Geschichtsblätter XVIII, (1890),
S. 169 ff. Vgl. auch v. Maurer, a. a. O. II. S. 193.
15) Urkundenbuch von Halberstadt, I. n. 300, n. 684. Vgl. auch n. 630, 920,
1176, 1221, 475.
Zur Entstehung der deutsehen Stadtverfassung. 803
bezeichnendsten ist das Stadtrecht von Höxter ') , welches Stadtge-
meiDde comniunio civitatis und burscap gleichsetzt. Item quicunque
Huxariam intraverit et communionem civitatis, scilicet burscap con-
quisierit illum pro cive debito habere volumus heißt die be-
treffende Stelle.
Der Ausdruck Gilde für die Stadtgemeinde läßt sich in Deutsch-
land urkundlich nicht nachweisen. Gilde heißt ursprünglich Opfer-
schmaus, Opfergemeinschaft, Trinkgenossenschaft, Festversammlung,
geschlossene Gemeinschaft 2). Es nimmt dann die Bedeutung Ge-
meinschaft Brüderschaft, Einigung, Innung an. Es wird aber in
Deutschland m. E. nur für kleinere Verbände, besonders für die ge-
werblichen Genossenschaften der Handwerker 3) , für gesellschaftliche
und religiöse Vereinigungen4) gebraucht. Eine große Gesamtgilde, die
alle Bürger der Stadt umfaßt, laßt sich trotz der angestrengtesten
Forschung namhafter Historiker bisher nicht nachweisen 5). Nitzsch
will in dieser alten Gilde eine Vereinigung der am Verkehr beteiligten
Einwohner sowohl der Kaufleute und Krämer, als auch der Hand-
werker, also eine große Vereinigung für Verkehrsinteressen sehen 6),
aus der sich später die einzelnen gewerblichen Verbände nach Auf-
lösung der Gesamtgilde herausgebildet haben. Nun haben aber, wie
oben gezeigt ist7), alle Bürger der Stadt Teil am Verkehr, am mer-
catus8), an der gratia vendendi 9), denn alle Bürger sind mehr oder
minder mercatores. Die Ur-Gilde würde demnach die gesamte Ge-
meinde umfassen; Gilde würde dann nichts anderes als ein Synonym
von Stadtgemeinde sein. Auf diese Weise würde sich die sogenannte
Gildentheorie * °) leicht lösen lassen , wenn eben der Nachweis
geführt wäre , daß Gilde zur Bezeichnung der Genossenschaft der
Bürger gebraucht wäre. Anders steht es vielleicht mit dem Worte
Innung 1 l). In einzelnen Urkunden wird das allgemeine Verkehrsrecht, die
gratia vendendi 1S), oder die allgemeine Kaufs- und Verkautsfreiheit 18)
i
1) Gengier, Stadtrechte S. 502.
2) Kluge, Etymol. Wörterbuch, 5. A. S. 136. Philippi, zur Verfassung, S. 76.
Hegel, Städte und Gilden, I. S. 4. Vgl. auch den Ausdruck Zeche, so die Richerzeche
in Köln.
3) Andere Bezeichnungen für die gewerblichen Verbände sind Amt, Werk, Innung,
Zunft.
4) So die Theodorigilde in Lüneburg, Reinholdsgilde in Dortmund.
5) v. Below, Die Bedeutung der Gilden. Jahrb. für Nationalökonomie Bd. III,
S. 56 ff. Hegel, a. a. 0. II, S. 344, S. 498.
6) Nitzsch, Ueber die niederdeutschen Genossenschaften des 12. und 13. Jahrhun-
derts. Monatsberichte der Berliner Akademie 1879, S. 4, ff. Nitzsch, Ueber nieder-
deutsche Kaufgilden, ebenda, 1880, S. 370 ff.
7) Vgl. Teil I, S. 195.
8) Vgl. ebenda S. 196.
9) Urkundenbuch von Braunschweig. I, n. 4, S. 9.
10) Vgl. auch Philippi, a. a. O. S. 76.
11) Kluge, Etymol. Wörterbuch, 5. A., S. 177 Die Bezeichnung unio für Stadt-
gemeinde findet sich Urkundenbuch von Hildesheim, II, n. 629, S. 377.
12) Urkundenbuch von Braunschweig, I, n. 4, S. 9.
13) Nitzsch, Monatsbericht 1879, 8. 16. Hegel, Städte und Gilden, II, S. 418.
A. 1.
51*
804 Willi Varges,
als inninge bezeichnet 1 ). So heißt es in einer Urkunde der alten
Wik2) von Braunschweig von 1245: quandam gratiam vendendi que
vulgariter dicitur inninge ex parte domini mei Ottonis ducis bürgen -
sibus de veteri vico perenniter habere porrexi, ita ut dictam gratiam
nullus babeat, nisi tantum sit de consensu et voluntate burgensium
prenominatorum 3). In einer gleichzeitigen vom Herzog selbst aus-
gestellten Urkunde wird diese gratia vendendi, diese Verkehrsfreiheit
näher erläutert4): Damus talem gratiam que vulgariter dicitur inninge
ut possint emere et vendere pannum quem ipsi parant et alia
omnia5)sicut in antiqua civitate Bruneswich. Auch in Lüneburg
wird das Recht, Handel zu treiben, als yndinge, bezeichnet.
Das Verkehrsrecht kann nun nur „Innung", „Einigung" genannt
sein, weil eine Genossenschaft im Besitz desselben ist. Die Genossen-
schaft, die aber im Genuß dieses Rechtes ist, ist, wie oben gezeigt
ist, die Stadtgemeinde. Man könnte daraus vielleicht schließen, daß
die Stadtgemeinde auch einmal als Einigung, Innung, bezeichnet ist 6),
Jedoch haben wir für diese Annahme keine urkundlichen Beweise.
In ähnlicher Weise wird das Verkehrsrecht und die Verkehrs-
abgabe als hansa bezeichnet 7). Hansa oder bense bedeutet ur-
sprünglich nichts weiter als Bund, Gemeinschaft, Einigung8). Das
Wort ist also ein Synonym von Gilde und Innung. In einzelnen
Städten sind diese Wörter vielleicht auch zur Bezeichnung der Stadt-
gemtinde verwendet, denn sie sind nichts anderes als Uebersetzungen
von commune, universitas. Man muß sich immer darin erinnern, daß
Stadtgemrinde und Stadtverfassung völlig neue Erscheinungen sind,
für die sich erst die nötigen Begriffe und Worte bilden müssen.
Später, als sich die gewerblichen Verbände bilden, werden die Worte
Gilde und Innung, auch Hansa, Hanse, zur Bezeichnung derselben
verwendet, ähnlich wie das Wort Burg die ursprüngliche Bedingung von
Stadt verlor und die heute gebräuchliche Bedeutung von Ritterburg er-
hielt, als man die Begriffe Stadt, befestigter Ort, und Burg, befestigtes
Haus, streng unterschied9). Das Wort Hansa, Hanse, Hense hat
auch später die Bedeutung von Bund, Gemeinschaft behalten 10).
1) Ueber das Verkehrsrecht. Vgl. Hegel, a. a. O. II, S. 417.
2) Die alte Wik von Braunschweig ist eins der fünf Weichbilde, aus denen die
Stadt Braunschweig hervorgegangen ist Vgl. meinen Aufsatz Entstehung der Stadt
Braunschweig. Ztschr. des Harzvereins, XXV, S. 118.
3) Urkundenbuch von Braunschweig, I, n. 4. S. 9.
4) Ebenda, n. 5, S. 10.
5) Vgl. dagegen die Interpretation von Hegel, Städte und Gilden, II, S. 418. A. 3.
Hegel hält die Urkunde für ein Privileg der Lakenmacher. Aus der Hervorhebung des
Verkaufs von pannus darf man dies aber nicht schliefsen. Ueber Lüneburg vgl. Hegel
a. a. O., S. 427
6) Vgl. S 803, A. 11.
1) Urkundenbuch von Bremen, I, n. 58, S. 66. Oelrichs, Gesetzbücher S. 54.
Hach, Lübisches Recht S. 565. Gengier, Stadtrechte S. 33. Vgl. Könne, Das Hans-
grafenamt, 110. U.-B. v. Lübeck I, S. 10.
8) Lübben und Walther, Mittelniederdeutsches Wörterbuch. Kluge, Etymologisches
Wörterbuch.
9) Hegel, Lateinische Wörter und deutsche Begriffe, a. a. O. S. 213.
10) So zur Bezeichnung des bekannten norddeutschen Städtebundes.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 805
Was ist nun die Stadtgemeinde? Die Stadtgemeinde ist eine Weiter-
bildung der Landgemeinde, ebenso wie das Stadtrecht eine Weiterbildung
des Landrechtes ist. Die Stadtgemeinde ist also in erster Linie Ortsge-
meinde. Diese Ortsgemeinde ist die Trägerin der besonderen Eigen-
schaften, die aus dem oben dargelegten Wesen der Stadt hervorgehen
und welche Stadt und Land, Stadt und Dorf unterscheiden. Die
Stadtgemeinde ist eine Waffen- und Friedegenossenschaft, sie ist eine
Marktgemeinde, d. h. im Genuß des Verkehrs- und Handelsrechts;
sie ist ferner Gerichtsgemeinde. Die Ortsgemeinde hat diese Rechte
und Eigenschaften nach und nach erwoiben, beziehungsweise durch
Privileg erhalten. Erst durch Erlangung dieser Rechte wird sie zur
Stadtgemeinde.
Die städtische Ortsgemeinde hat sich auf verschiedene Weise ge-
bildet. In der Regel ist sie aus der Land- und Dorfgemeinde hervor-
gegangen. Es ist aber auch vorgekommen, daß die Verleihung des Ver-
kehrsrechtes an ein Kloster, einen Grundherrn oder einen Bischof
erst ein Dorf, also auch erst eine Landgemeinde, die dann später zur
Stadtgemeinde geworden ist, geschaffen hat. Solche Verhältnisse liegen
vielleicht in Osnabrück und Münster vor 1). Es findet sich oft, daß der
Marktplatz neben oder vor einer Stadt liegt, aber eine Marktgemeinde
findet sich nie neben einer Ortsgemeinde; die Marktgemeinde ist immer
zugleich Ortsgemeinde, denn die Ortsgemeinde ist im Besitz des Ver-
kehrsrechtes 2). Als Freiburg als Handelsemporium begründet wird,
treten die Ansiedler sofort zu einer Ortsgemeinde zusammen 3). — Auch
die Besatzung einer Burg kann die Veranlassung zur Bildung einer Oi ts-
gemeinde sein. Nach Widukind 4) hat Heinrich I. bei Anlegung seiner
Grenzfestungen und Burgwarde, die sich in mehreren Reihen, wie
Schwarz gezeigt hat5), an der sächsisch-thüringischen Grenze ent-
lang zogen, in einzelnen Fällen — wohl nicht regelmäßig, denn eine
große Anzahl der Burgwards-Städte sind aus Dörfern hervorgegangen
— milites agrarii, bäuerliche Heerbannleute, in den Festungen ange-
siedelt. Diese Besatzungstruppen haben sich dann zu einer Ortsge-
meinde zusammengeschlossen. Auch später sind vereinzelt ähnliche
Verhältnisse vorgekommen, auf die unten näher eingegangen wird6).
Oefter hat sich neben einer königlichen oder herrschaftlichen Burg
ein Dorf entwickelt 7) , das sich später über die übrigen An-
siedelungen der Umgegend erhob und sich allmählich zur Stadt
entwickelte. Beispiele für diesen Vorgang sind Kaiserslautern 8),
1) Vgl. Philippi, a. a. O. S. 1, ff. Auch in Wernigerode liegen m. E. ähnliche
Verhältnisse vor. Der Ort war im Besitz des Markt-(Verkehrs)rechts", als er Stadtrecht
erhielt.
2) v. Below, Stadtverfassung S. 27 ff. S. 37. ÜB. v. Hildesheim I, S. 104, § 32.
3) Gengier, a. a. O. S. 125.
4) Vgl. Aufs. I, S. 175, Widukind a. a. O. I, c. 35.
5) S. Schwartz. a. a. O. S. 13.
6) Vgl. Kap. VIII
7) v. Maurer, a. a. O. S. 48 ff.
8) v. Maurer, Städteverfassung I, S. 49 u. A. 2.
806 Willi Varges,
Heidelberg1), Weinheim2), Bochholt3), Haltern4), Arnsberg5) und
Blankenburg 6) am Harz, Aschersleben und Ballenstedt 7). Auch
eine Kirche, ein berühmtes Kloster, die Niederlassung eines Bischofs
können eine gleiche Entwicklung hervorgerufen haben. Ich weise
hier auf Münster8), Osnabrück9), und Paderborn10) hin. Hildes-
heim11), Halberstadt12), Quedlinburg13) und Bremen14) gehören
nicht zu diesen Orten. Es befanden sich an diesen Orten wahrschein-
lich ältere Ansiedelungen, neben denen die Bischöfe erst ihre Burg
erhauten. Zur Weiterentwickelung der Dörfer zur Stadt haben selbst-
verständlich die herrschaftlichen und bischöflichen Hofhaltungen sehr
viel beigetragen x 5). Ein gutes Beispiel für den Einfluß, den herr-
schaftliche Haushaltungen auf die Entwicklung eines Ortes gehabt
haben, ist die Stadt Wernigerode am Harz. Wernigerode war ur-
sprünglich als Dorf von viel geringerer Bedeutung als die umliegenden
Dörfer, wie die Ausdehnung der ursprünglichen Stadtflur zeigt. Erst
nachdem sich die Grafen von Hymbere in dem Orte niederließen, be-
ginnt sich der Ort über die anderen Dörfer zu erheben. Er erhält
das Verkehrsrecht und 1227 Stadtrecht16). Aehnliche Verhältnisse
finden sich in Bremen. Der Erzbischof Rembert erlangt für den Ort
Bremen Markt- und Verkehrsrecht, percussuram uumorum et nego-
tiandi usum, der Erzbischof Adaldag Stadtrecht17).
Selten ist ein herrschaftlicher Hof, eine curtis, villa dominica,
indominicata, der Grundstock einer Stadt gewesen. Es mußte sich
hier die Hofgemeinde erst zur Orts- oder Dorfgmeinde entwickeln.
Die alte Wik von Braunschweig x 8) — vetus vicus — , eines der fünf
Weichbilde, die sich später zur heutigen Stadt Braunschweig zu-
sammengeschlossen haben , ist aus einem Dorf hervorgegangen , das
1) Ebenda, S. 51, u. A. 3.
2) Ebenda, S. 57.
3) Ebenda, S. 52. S. 33.
4) Ebenda, S. 52.
5) Ebenda, S. 52 u. A. 5. 6.
6) Zeitschrift des Harzvereins Bd. XII. S. 331.
7) v. Heinemann, Albrecht der Bär S. 1, ff.
8) Philippi, Zur Entstehungsgeschichte der Westfälischen Bischofsstädte.
9) Ebenda. Vgl. auch Philippi, Urkundenbuch n. 118. 1894.
10) Philippi, Zur Verfassungsgeschichte, v. Maurer, a. a. O. I, S. 57 ff.
11) Urkundenbuch von Hildesheim I, n. 206, S. 100.
12) Urkundenbuch von Halberstadt I, n. 4, S. 3. v. Below , Stadtgemeinde
S. 32 ff.
13) Urkundenbuch von Quedlinburg II, S. I ff. v. Below, a. a. O. S. 29.
14) Vgl. meinen Aufs. Zur Entstehungsgeschichte Bremens a. a. O. S. 339.
15) Ebenda, S. 345.
16) Urkundenbuch von Wernigerode n. 4, S. 4. Ein Aufsatz über die Verfassungs-
verhältnisse von Wernigerode erscheint in der Ztschr. f. Kulturgesch.
17) Vgl. meinen Aufs. Zur Entstehungsgeschichte Bremens. Ztschr. d. Vereins für
nieders. Geschichte S. 337 ff. 1893. Urkundenbuch von Bremen I, S. 7, n. 7. S. 11,
n. 12.
18) Vgl. meinen Aufs. Entstehung der Stadt Braunschweig. Ztschr. des Harzvereins.
Bd. 25, S. 117 ff. Vgl. Lenfers, Die Grundzüge des ältesten Wikbeletrechts in den
Städten des Oberstifts Münster. 1883. S. 6. Darpe, Geschichte der Stadt Bochum.
1888. S. 13.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 307
sich neben dem Gutshof der Brunonen gebildet hatte. Dieses Dorf
wurde als Herrendorf, villa indominicata, bezeichnet. Infolge von Ein-
wanderung von Bürgern der anderen Weichbilde Braunschweigs und
von Fremden, namentlich von Holländern und Friesen, entwickelte
sich die Ortsgemeinde weiter und erhielt 1245 Stadtrecht, wurde also
zur Stadtgemeinde l). Aehuliche Verhältnisse finden sich in Brakel 2),
Lüdinghausen8) und anderen kleinen Städten4). In der Regel haben
solche Städte nie eine Bedeutung erlangt.
Die Stadtgemeiude einer selbstgewachsenen Stadt knüpft immer
an die Ortsgemeinde an, denn die Stadt ist aus einem Dorf oder aus
einem Komplex von Dörfern hervorgegangen. Bei neugegründeten
Städten liegen die Verhältnisse anders. Zuweilen war auch hier ein
Dorf oder ein Flecken der Ausgangspunkt der neuen Stadt, die Orts-
gemeinde die Grundlage der Stadtgemeinde, wie wir das von Datten-
ried5), Dorsten0), Nieheim7), Rambstorf 8), Eltville9), Lübeck10)
und anderen Orten wissen. Bei den Gründungen von frischer Wurzel,
wie sie uns namentlich in den Kolonialgebieten, aber auch im Stamm-
lande, z. B. in Freiburg11), im Hagen12) von Brauuschweig ent-
gegentreten, mußte die Stadtgemeinde erst auf künstlichem Wege ge-
schaffen werden. Man bildete die Stadtgemeinden der Gründungen
auf frischer Wurzel den Stadtgemeinden der alten Städte nach.
Die Entwicklung der Landgemeinde zur städtischen Gemeinde
ist auf verschiedene Weise vor sich gegangen. Der einfachste Weg
war der, daß sich eine Dorfgemeinde durch Aufnahme neuer Mit-
glieder und Einzöglinge, die in den Urkunden als advenae bezeichnet
werden, allmählich vergrößerte und sich so zur Stadtgemeinde um-
bildete. Die Einwohnerzahl spielt auch im frühesten Mittelalter eine
gewisse Rolle, wenn auch nicht in dem Maße, wie heute, wo man
einen Ort, der eine gewisse Anzahl von Einwohnern hat, als Stadt
bezeichnet und betrachtet. Dem Prinzip nach kann im Mittelalter
auch ein kleines Dorf Stadtgerechtsame erhalten, aber in der Regel
hat jede Stadt eine größere Zahl von Einwohnern als die Dörfer ihrer
Umgegend. Es liegt das schon im Charakter der Stadt als Festung
und dem der Bürger als Besatzungstruppen dieser Festung begründet.
— Die Einwandernden traten in die alte Gemeinschaft der Dorfbe-
wohner ein und erhielten Teil am Gemeindeeigentum, wie das z. B.
1) Urkundenbuch von Braunschweig I, n. 5. S. 10.
2) v. Maurer, a. a. O I, S. 56.
3) Gengier, Stadtrechte S. 268.
4) v. Maurer, a. a. O. I, S. 56.
5) Gengier, Stadtrechte S. 78.
6) Ebenda, S. 86.
7) v. Maurer, a. a. O. I.
8) Gengler, Stadtrechte, S. 367.
9) v Maurer, a a. O. S. 33.
10) Frensdorff, Stadt- und Gerichtsverfassung von Lübeck S. 8. v. Maurer,
a. O. I. S. 33.
11) Gengier, a. a. O. S. 125.
12) Mein Aufs. Entstehung von Braunschweig, a. a. O. S. 112.
g08 Willi Varges,
das oft citierte Privileg für Radolfszell vom Jahre 1100 zeigt1). In
der Regel kauften sich die Einwandernden in die Gemeinschaft ein.
Es ist dies der Ursprung des Bürgergeldes 2). Die Stadtgemeinde
war in diesem Falle eine einheitliche Burschaft. Erst später sind
diese einheitlichen Stadtgemeinden, wie sie uns in Bremen, Hannover,
Magdeburg entgegentreten, der Verwaltung wegen in mehrere Teile
zerlegt, deren Bezeichnungen schon beweisen, daß wir es mit keiner
ursprünglichen Einrichtung zu thun haben. So finden wir Viertel,
verndel , in Bremen 3) und Magdeburg 4). Hannover wurde durch
die sich kreuzenden Hauptstraßen in 4 plateae, Straßen 5), geteilt6).
Andere Bezeichnungen für die Verwaltungsdistrikte der Stadt sind
die vigiliae, Wachten, die uns besonders in Süddeutschland, so in
Regensburg, entgegentreten7). Auch der Name burschap findet sich
zuweilen für diese künstlich geschaffenen Teile8). Wir gehen auf
diese Bezeichnung der Verwaltungsdistrikte gleich näher ein 9).
Oft ist die Stadtgemeinde durch Synoikismus, d. h. durch Ver-
einigung mehrerer Ortsgemeinden oder durch Zusammenlegen von
Teilen verschiedener Dorfgemeinden entstanden. Ursprünglich bildete
jede dieser Ortsgemeinde auch innerhalb des Mauerringes eine selb-
ständige Gemeinde mit eigener dörflicher Verwaltung und eigener
Allmende. Nur bei allgemeinen Stadtangelegenheiten , wie bei Ver-
leihung von Rechten, bei Verteidigung der Stadt und bei Ausübung
der Heerfolge treten die einzelnen Ortsgemeinden als Allgemeinheit
communio, universitatas inninge, auf. In ähnlicher Weise werden in
Wernigerode in einer Urkunde von 1279 die Bürger, mercatores,
und die innerhalb des Mauerringes wohnenden Ritter , milites , als
universitas bezeichnet10). Erst allmählich verschmelzen diese Sonder-
geraeinden zu einer Stadtgemeinde, doch haben in vielen Städten, so
in Köln ' *), Halberstadt12) und Braunschweig ,3), die Sondergemeinden
eine gewisse Selbständigkeit bewahrt. Diese Sondergemeinden blieben
zuweilen lange mit der Dorfgemeinde, aus denen sie genommen waren,
in Zusammenhang, weil sie und die Dorfgemeinden Anrecht auf
das Gemeindeland des Dorfes hatten. In Hameln ' 4) haben sich bis
1) Ztschr. f. Gesch. des Oberrheins. N. F. V. S. 141.
2) Vgl. Kap. VIII. Ueber das Aufnahmegeld, das in den Landgemeinden bezahlt
wurde, vgl. v. Maurer, Dorfverfassung I, S. 177 ff.
3) Oelrichs, Gesetzbücher. S. 663, § 47.
4) v. Maurer, Städteverfassung I, S. 520. Kathmann, Geschichte Magdeburgs III.
398. 399.
5) Doebner, Städteprivilegien Ottos des Kindes. S. 34.
6) Vgl. auch v. Maurer, a. a. O. I. S. 518. Gengier, Stadtrechtsaltertümer. S. 49 ff.
7) Gengier, a. a. O. S. 54.
8) So in Hildesheim, der Neustadt-Braunschweig, der Wik von Braunschweig.
9) Vgl S. 810.
10) Urkundenbuch von Wernigerode n. 19, S. 12.
11) Vgl. v. Below, Stadtgemeinde S. 38, S. 119 ff.
12) Urkundenbuch von Halberstadt II, S. 519-
13) Vgl. meinen Aufs. Polizeigesetzgebung der Stadt Braunschweig a. a. O. S. 202.
14) Urkundenbuch von Hameln S. XXXXI. u. A. 1.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfas»ung.
in die Neuzeit fünf Genossenschaften erhalten, die Huden, Hüt-
genossenschaften, heißen und nach den Thoren als die Neuthorsche 1),
die Wetthorsche, Ostthorsche, Mühlenthorsche und Brüt'kerthorsche a)
Hude unterschieden werden. Die Berechtigungen bestehen in der Aus-
übung der Vieh- und Schafweide auf einer ihrer Größe entsprechenden
Fläche in der Feldmark und im Forst gelegenen Landes und einem
Anteil an der Fischereigerechtigkeit in der Weser. Die Zahl der Be-
rechtigten ist eine feststehende, nicht sämtliche Einwohner, sondern
nur Reihehäuser in einem bestimmten Stadtbezirk sind berechtigt.
Die Hudegenossen wählen unter Leitung der Obrigkeit sogenannte
Lohnherrn und Rechnungsführer, welche die gewöhnliche Verwaltung
besorgen. Zur rechtlichen Vertretung bedürfen sie eines Syndikats.
Die Nutzungsrechte wurden von ihnen entweder selbst ausgeübt oder
verpachtet. Bis Anfang der 50 Jahre war der Grundbesitz der Huden
ungeteilt. Derselbe wurde zum Viehtreiben benutzt und zwar von
sämtlichen Interessenten der Huden. In gleicher Weise ward die Feld-
marksschäferei genutzt. Die Auskünfte des Hu de- Lachsfanges wurden
von den Lohnherren der Hude an die Interessenten verteilt. In den
Jahren 1850—60 ward eine Specialteilung der Hudegrundstücke vor-
genommen, das übrige Eigentum ist dabei unberührt geblieben3).
An diesen fünf Huden hatten ursprünglich fünf jetzt wüste Dörfer,
die vor der Stadt Hameln lagen, Anteil, so Wedele Vorste vor dem
Neuen- oder Thiethore, Honrodern vor dem Wetthore, Harthem vor
dem Mühlenthore, Kleiu-Afterde vor dem Osterthore, VVenge vor dem
Bi ückenthore 4). Die Hudegenossen die als Ei ben bezeichnet werden
wohnten also anfänglich innerhalb und außerhalb der Stadt. Später
nach dem 14. Jahrhundert zogen auch die in den Dörfern wohnenden
Erben in die Stadt, so daß die Dörfer wüst wurden. Neben diesen
fünf Huden werden im Hameler Stadtbuch nun noch die gemeinen
Bürger, unse meynen borghere, erwähnt, die in agrarischer Hinsicht
auch eine Einheit bilden und eine eigene Allmende besitzen 5). Der
Synökismus Hamelns ist also folgendermaßen vor sich gegangen.
Hameln ist das Urdorf, der älteste Teil der Stadt. Bei Entstehung
der Stadt, d. h. wohl bei Ummauerung und Befestigung des Ortes
wurden Einwohner der fünf Orte innerhalb des Mauerringes angesiedelt,
blieben aber mit den früheren Dorfgenossen in agrarischer Hinsicht
im Konnex. Später wanderten dann auch die in den Dörfern zurück-
gebliebenen Ansiedler in die Stadt ein.
Die Sondergemeinden werden meist als Nachbarschaften oder
Burschaften bezeichnet, so in Braunschweig als burscap6), in Hildes-
heim als beuerschaft 7), in Köln als buyrschaff, geburschafft 8) in
1) Das Neuethor hiefs früher Thiethor.
2) Brücker- oder Weserthor.
3) Ebenda S. XXXXXII.
4) Ebenda S. XXXXIU.
5) Ebenda S. 598, § 187 (Donat).
6) Uürre, Geschichte der Stadt Braunschweig S. 671.
7) Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 56.
8) v. Below, Stadtgemeinde S. 38. v. Maurer a. a. 0., S. II, S. 156.
810 Willi Varges,
Halberstadt als neyberschaft *), in Coesfeld als Kluchten2), in
Osnabrück als Laischaft3). In lateinischen Urkunden tritt für
diese Ausdrücke die Bezeichnung vicinia auf4). Auch der Aus-
druck burscapium findet sich 5). Doch wird das Wort burscap viel-
fach in mehreren Städten auch zur Bezeichnung künstlich ge-
schaffener Verwaltungsdistrikte gebraucht. Man entlehnte einfach
den Namen von den eigentlichen Sondergemeinden. Sehr instruktiv
ist für diese Verhältnisse die Stadt Braunschweig 6). Die heutige
Stadt Braunschweig bestand im Mittelalter aus fünf selbständigen
Weichbilden, der Altstadt, dem Hagen, der Neustadt, der Alten Wik
und dem Sack. Jede dieser Städte zerfiel in Burschaften , aber nur
in Altstadt, Hagen und vielleicht auch in der Neustadt haben wir es
mit wirklichen Sondergemeinden zu thun. Der Sack und die alte Wik,
Vetus vicus, bildete ursprünglich nur je eine Burschaft. Erst später
werden sie in zwei Burschaften, die also reine Verwaltungskörper sind,
zerlegt. Für Köln 7) ist noch nicht sicher festgestellt, was für einen
Charakter die dortigen Burschaften gehabt haben. Die Forscher sind
in Zweifel, ob wir es mit wirklichen Sondergemeinden, also früheren
Landgemeinden oder mit Verwaltungskörpern zu thun haben. Ich
möchte mich der Ansicht anschließen , daß wir es auch in Köln mit
wirklichen Sondergemeinden zu thun haben. Daß in das Weichbild von
Köln andere herumliegende Burschaften und Einzelgemeinden aufge-
nommen sind, beweist ja schon die bekannte Urkunde für die Ein-
wohner der Villa S. Pantaleonis. Dieselben sollen erst als Bürger be-
haudelt werden, wenn sie in den Mauerring aufgenommen sind. — Si
quandoque vallo et muro coadunentur, communi etiam civium jure
teneantur. Hier ist doch von einer Eingemeindung die Rede8).
Aus der Erwähnung mehrerer Burmeister oder Burrichter in eiuer
Stadt darf man nicht gleich auf die Existenz wirklicher Sondergemeinden
schließen. Einmal stehen auch an der Spitze der künstlich als Ver-
waltungsdistrikte geschaffenen Burscbaften Beamte dieses Namens9);
zweitens kommt es aber auch vor, daß in Landgemeinden 1 °) und ent-
1) Urkundenbuch von Halberstadt II, S. 519, S. 540.
2) Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 57
3) Gengier , Stadtaltertümer S. 58 Philippi, Zur Verfassungsgeschichte S. 51.
Hansische Geschichtsblätter XVIII, S. 169 (1890).
4) Urkundenbuch von Halberstadt, n. 300, n. 475.
5) Kindlinger, Hörigkeit S. 342. v. Maurer, a. a O., II, S. 194.
6) Vgl. meinen Aufs Polizeigesetzgebung der Stadt Braunschweig a a. 0. S. 201.
Vgl. auch meinen Aufs. Entstehung der Stadt Brauuschweig a. a. O. S. 102 ff. Dürre,
Geschichte der Stadt Braunschweig S. 671.
7) v. Below, Stadtverfassung S. 81. Stadtgemeinde S. 38. Hegel, Städtechroniken
Bd. 16, Einl. Hegel, Städte und Gilden S. 326 ff. Liesegang, Die Sondergemeinden
Kölns 1885. Höniger , Der Ursprung der Kölner Stadtverfassung. Westdeutsche Zeit-
schrift II, 227—248. (Vgl dazu v. Below, Stadtgemeinde S. 119) Kruse, Die Kölner
Richerzeche. Ztschr. f. Rechtsgeschichte Bd. 22, S. 152.
8) Lacomblet, Urkundenbuch I, S. 263, n. 677. Vgl. Aufs. I, S. 169.
9) So in der Wik und dem Sack von Braunschweig. Urkundenbuch von Braun-
schweig n. 63 (Ordinarius), S 154, cap. 23.
10) Urkundenbuch von Wernigerode n. 246, S. 154. Urkundenbuch von Drübeck
S. 260 ff., n. 6, 7, 10, S. 266, n. 22, S. 243, S. 245, A. S. 249. Urkundenbuch von
Ilsenburg II, S. 374, S. 383, n. 540, n. 532, n. 406.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. gj|
sprechend dann auch in den Städten mehrere Burmeister erwähnt
werden1). In der Gegend der Stadt Wernigerode am Harz treten
in den Dörfern überall zwei Burmeister auf2); folglich treten uns
in der Altstadt und in der Neustadt Wernigerode auch zwei Bur-
meister entgegen 3). Es würde sehr verkehrt sein, wenn man schließen
wollte, daß die beiden Weichbilde von Wernigerode durch Synökismus
je zweier Gemeinden entstanden seien.
Neben der Bezeichnung der Sondergemeinden als Nachbarschaft,
Bauernschaft, Burschaft, treten auch andere Namen auf. In Soest
werden die 6 oder 7 Sondergemeinden ursprünglich als Thies, ty,
tygge, später als hoven bezeichnet4). In späterer Zeit wird die Stadt
in sechs Kirchspiele geteilt, aber diese Einteilung deckte sich nicht
mit der Thie- oder Hoveneinteilung. Thie bedeutet Dingstätte, Ge-
richtsplatz 5). In den Dörfern wird der Platz damit gemeint, auf dem
die Ortslinde, tilia, stand6), unter der sich die Buren zu Spiel und
Tanz und zur Ordnung ihrer Gemeindeangelegenheiten versammelten 7).
Der Thie repräsentiert die Einwohnerschaft des Dorfes, die Burschaft.
Thie ty, tyg, bedeutet also nichts weiter, wie Burschaft8). Auch die
spätere Bezeichnung hoven 9) hat dieselbe Bedeutung, denn die Hove
ist die Genossenschaft der Hofbesitzer, der hovere oder gemein buren.
An der Spitze der Hofschaft stehen die burrichtere, die magistri
civium, oder judices, die in den Thies, d. h. in den Versammlungen
der Bur- oder Hefschaften über unrechtes Gemäß, Diebstahl bis zu
zwölf und Schuldforderungen bis zu sechs Pfennigen richteten 1 ö).
In Münster und Osnabrück werden die Sondergemeinden als Lai-
schaften bezeichnet11). Laischaft, letscop, latinisiert legio, übersetzt
durch collegium 1 2), bedeutet so viel wie Bauerschaft oder Burschaft.
Im Münsterlande und im Osnabrückischen werden auch die ländlichen
Bauerschaften in lateinischen Urkunden als collegia, id est burschap
1) Urkundenbuch von Wernigerode n. 72, S. 38, n. 519, S. 299. Urkundenbuch
von Hildesheim II, n. 629, S. 377, magistri unionis oppidi Alfelde vulgariter dictis de
burmestere.
2) Vgl. S. 810, A. 10.
3) Urkundenbuch von Wernigerode S. 38, n. 72.
4) Gengier, Stadtrechte S. 443, § 37. Hegel, Städte und Gilden II, S. 383.
v. Below, Stadtgemeinde S. 35. Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 60.
5) Schroeder , Rechtsgeschichte S 17, A. 8, pratum, dat thy Urkundenbuch von
Ilsenburg II, S. 402.
6) Urkundenbuch von Ilsenburg II, n. 315, n. 471, II, S. 372, S. 506, S. 401,
S. 402. Urkundenbuch von Langein etc. S. 191 (infra filiam), n. 126, S. 729. Urkunden-
buch von Drübeck n. 151, S. 242. Harzzeitschrift III, 146, IV, 379, IX, 312, XII, 558.
Jacob, Festschrift des Harzvereins 1893, S. 16. Der Platz wird bezeichnet als Thie,
ty, thz, tie, thiet, thidt, auch als tilia, arboc.
7) Jacobs, Festschrift des Harzvereins S. 16.
8) In Wernigerode wird noch 1415 eine Eigentumsübertragung auf dem Thie voll-
zogen. Unde schach upp dem kerkhof under der linden tho sunte Silverster. Urkunden-
buch von Wernigerode S. 171, n. 273.
9) Hegel a. a. O. S. 383. Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 60.
10) v. Below, Stadtgemeinde S. 35.
11) Philippi, Hansische Geschichtsblätter XVIII, S. 169. Zur Verfassungsgeschichte
S. 52.
12) Hansische Geschichtsblätter a. a. 0. S. 169 u. A. 3, 4, 5.
812 Willi Varges,
bezeichnet1). Mit diesen alten Sondergemeinden darf man nicht die
heute noch in Osnabrück bestehenden Laischaften identificieren, die
nichts weiter als rein wirtschaftliche Genossenschaften sind'2).
Die Sondergemeinden sind auf verschiedene Weise entstanden s)
In einzelnen Fällen, und zwar handelt es sich meist um sehr alte
Städte, scheint es vorgekommen zu sein, daß schon bei Entstehung
der Stadt, d. h. bei Ummauerung eines Ortes und Errichtung einer
Festung, mehrere Gemeiuden zusammengelegt wurden, wahrscheinlich
um der neuen Festung eine größere Menge von Verteidigern zu
schaffen. Wir wissen, daß man in ähnlicher Weise in Ungarn mehrere
Dörfer vereinigte, um so widerstandsfähige Orte gegen die Türken
zu schaffen4). Vielleicht hat dieser Vorgang in Köln, in der Altstadt
Braunschweig, in Hildesheim stattgefunden. In diesen Städten sind
von Anfang an mehrere Sondergemeinden vorhanden gewesen. In
Köln und in Braunschweig hat die große Gemeinde die Verleihung
der Gemeindemitgliedschaft von den Sondergemeinden geerbt. Es ist
also nicht denkbar, daß die Sondergemeinden erst4geschaffen sind nach
Entstehung dieser Städte5).
Weit häufiger handelt es sich bei den Sondergemeinden um eine
nachträgliche Einverleibung in eine schon fertige Stadtgemeinde. Bei
der Stadt Hameln haben, wie wir oben gesehen haben 6), solche Ver-
hältnisse stattgefunden. Besonders instruktiv sind diese Vorgänge in
Osnabrück 7). Der älteste Teil der Altstadt Osnabrück ist die Binnen-
burg oder Marktlaischaft, — Burg bedeutet hier so viel wie Stadt 8) — ,
an diese wurde zunächst die Haselaischaft, dann — um 1253 9)
die Butenburg, der Name bedeutet Außenstadt, Vorstadt10) — die
Johanneslaischaft und zuletzt die Neustadt-Laischaft angegliedert. Die
Stadt Osnabrück ist so aus fünf ursprünglich gesonderten und selb-
ständig bestehenden Gemeinden zusammengewachsen ll). In Dortmund
bildet die Burgburschaft den Kern der Stadt. Später sind mit dieser
dann, die Oster- und Westerburschaft vereinigt12). Der Hagen von
Braunschweig bestand ursprünglich, wie die alte Stadtgrenze zeigt,
1) Urkundenbuch von Osnabrück n. 390, S. 310, omnes bis collegiis id est bur-
schap attinentes.
2) Hansische Geschichtsblätter a. a. O. S. 168.
2) Philippi, Hansische Geschichtsblätter S. 171. Zur Verfassungsgeschichte S. 51 ff.
v. Below, Stadtverfassung S. 80.
4) Guthe- Wagner, Lehrbuch der Geographie II, S. 450.
5) Vgl. dagegen G. v. Below , Ursprung der deutschen Stadtverfassung a. a. O.
S. 80, A. 2.
6) Vgl. S. 808.
7) Vgl. Philippi, Zur Geschichte der Osnabrücker Stadtverfassung a. a. O. S. 163 ff.
Zur Verfassungsgeschiche S. 51.
8) Vgl. ebenda S. 164, A. 1. Frensdorff, Dortmunder Statuten S. LI, A. 5. Hegel,
Lateinische Worte a. a. O. S. 212. Waitz , Heinrich I. S. 234. Waitz , Verfassungs-
geschichte Bd. VII, S. 375. Urkundenbuch von Goslar Bd. I, n. 320, S. 354 u.
n. 351, 376.
9) Philippi a. a. O. S. 169, A. 1.
10) buten = aufsen.
11) Philippi a. a. O. S. 168, S. 169.
12) Hegel, Städte und Gilden II, S. 363.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 813
nur aus den Wendenthors- und Steinthorsburschaften. Später gliederte
sich die Fallersleberthorburschaft an1).
Die Zusammenlegung der Burschaften oder die Vereinigung von
Landgemeinden mit einer schon bestehenden S'adtgemeinde kann
auf freiwillige oder auf gezwungene Weise geschehen. Auf ähnliche
Weise, wie Heinrich I milites agrarii, heerbannpflichtige Landsassen
in den Städten ansiedelte, konnte der Stadtherr ganze Gemeinden zur
Ansiedlung innerhalb der Mauern der Stadt veranlassen, um Ver-
teidiger für die Mauern zu schaffen. Oft ist die Verteidigungspflicht,
so wie die Pflicht die Mauern zu unterhalten, nicht bloß den Ein-
wohnern der Stadt, den Bürgern, sondern auch den Bewohnern um-
liegender Orte auferlegt2). Diese Dorfbewohner durften sich dafür
in Kriegsnot in die sicheren Mauern der Städte flüchten. Vielfach
haben nun die Gemeinden, denen diese Pflicht auferlegt war und dieses
Recht zustand, ihre alten Wohnsitze ganz aufgegehen und sich unter
Beibehaltung ihrer Sondergemeindeverfassung innerhalb der Mauern
niedergelassen. Anrecht am Stadtrecht und Stadtfrieden haben diese
Gemeinden wohl meist sofort erhalten, wenn sie in den Manerring auf-
genommen waren, wie die Urkunde für die Vorstadt S. Pantaleon von
Köln zeigt 3). Durch Uebernahme der Stadtlasten erkaufen sich die
Neubürger den Anteil au den Rechten der Stadt. Zuweilen sind diese
Gemeinden aber erst durch besonderen Vertrag oder durch Privileg
des Stadherrn in den Besitz des Stadtrechtes gekommen. Als Bei-
spiel führe ich eine Magdeburger Urkunde von 1372 an, durch welche
das innerhalb des Mauerringes der Neustadt von Magdeburg liegende
Dorf Frose mit der Neustadt vereinigt ist, weil zwischen den Bürger
und Bauern — unse borger der nien Stadt Magdeborch und unse bure
daselbsten zu Frose de in dersulven ringmuren sitten, von deswegen
dat ohre stadtrecht, burschaft und borgerschaft sonderliken und be-
sonderen an beiden seiten von alters wentean dussen taggehat hebben, —
mancherlei Zwistigkeiten geherrscht haben 4). Die Stelle, welche die
Vereinigung betrifft, lautet : dath sie nun furbasz mehr in thokomenden
tyden ewiglichen tho glieken stadtrecht, burschaft und borgerschafft
gehören plieben und ok glike Magdeburger in allen stucken seyn sin
schollen, die arme als de nke, und ok der Stadt köhre und gesette
gliek holden schollen, in alle der wiese, wan de vorbenanten unse borger
in der nienstadt dat von older roente her in dusser jegenwertigen tydt
gehalden und gehat hebben, und schollen ein rat und ein rathaus under
sich hebben, und de uth der nienstadt mögen mit dem rathuse tho
Frose dohn und laten, wat se willen. — Aehnliches berichtet die Radolfs-
zeller Urkunde von 1267 5), durch welche das Stadtrecht, welches bis-
her nur in einem Teile des von der Mauer umschlossenen Gebietes
1) Vgl. den Stadtplan von Braunschweig bei Dürre a. a. 0., Beilage.
2) v Maurer a. a O. I, S. 10, S 491. Schwarz, Die Anfänge des Städtewesens in
den Elb- und Saalegegenden S. 19, 20.
3) Lacomblet, a. a. O. I, n. 380, S- 263.
4) Urkundenbuch von Magdeburg Bd. I, n. 520, S. 331.
5) Ztschr. f. Gesch. des Oberrheins 37, 20 f.
814 Willi Varges,
galt, auf das ganze im Mauerring liegende Terrain ausgedehnt wurde.
Die betreffende Stelle lautet: Adiciens. . . ., quod opidum sicut hactenus
in quadam sui parte jus fori habebat, ita deiuceps per totum fun-
dum suum idem jus plene debeat obtinere.
In späterer Zeit findet die Aufnahme von Sondergemeinden in den
Mauerring und die Stadtgemeinde nur selten in direkter Weise statt. Die
Städte waren besiedelt und ausgebaut, selbst die größtenjPlätze, die Markt-
plätze waren bebaut1); es war also kein Platz füreine neuzutretende
Gemeinde vorhanden. In älterer Zeit konnten die Befestigungen
der Stadt, die, wie schon oben bemerkt ist2), nur aus Schanzenwerk
und Pallisaden bestanden, leicht weiter herausgerückt werden, wie wir,
das z. B. vom Hagen von Braunschweig wissen , aber nach Erbauung
steinerner Mauern mit Thortürmen und Warttürmen und Anlegung
ausgemauerter Gräben konnte dieser Vorgang nicht leicht mehr ein-
treten. Doch sind noch vielfach Sondergemeinden , wenn auch nicht
in den alten Mauerring aufgenommen , so doch mit der alten Stadt-
gemeinde verbunden worden. Es handelt sich hier vor allem um die
sogenannten Neustädte 3).
Die Neustädte sind wohl keineswegs entstanden, weil man in
älterer Zeit nur kleine Gemeinden für möglich hielt, wie G. v. Below
annimmt4). Es sind hauptsächlich zwei Gründe, die zur Entstehung
einer Neustadt führen. In der Regel geht die Bildung von der Altstadt
aus. Bürger, die in der Altstadt keine günstigen W'ohr.stätten finden
oder denen die Wohnungsverhältnisse dort zu teuer sind, lassen sich
vor den Thoren der Altstadt an günstiger Stelle nieder. Meist sind
es Handwerker, die zu diesem Mittel greifen; oft kann man die Neu-
städte geradezu als Handwerkerstädte bezeichnen. Als Beispiel führe
ich die Neustädte von Braunschweig 5), von Leipzig und von Königs-
berg an.
Zuweilen ist es aber vorgekommen , daß Einwohner von Dörfern,
die in der Nähe der Stadt lagen, ihre Wohnsitze verließen und sich
unter dem Schutz der Mauern ansiedelten. In der Regel haben wohl
Stadtbürger und umwohnende Bauern bei Bildung der Neustädte zu
gleichen Teilen mitgewirkt. Die Ansiedler schließen sich allmählich
zu einer Dorfgemeinde zusammen. Später erhielten die meisten Neu-
städte Stadtrechte, gewöhnlich das der Altstadt, wie wir das an vielen
Beispielen nachweisen können. Es findet nun eine allmähliche Assi-
milation zwischen Alt- und Neustadt statt, die nach und nach zur
Verschmelzung der beiden Weichbilde und zur Entstehung einer Stadt-
gemeinde führt. Dieser Prozeß ist zuweilen sehr langsam vor sich
gegangen.
1) Teschenmacher, Annales etc. Cod. dipl., S. 3, n. 4. (Duisburg) domos sive aedi-
fications, quas circa Palatium et Curiam regalem sive supra forum locaverant. Knieke,
Einwanderung in den westfäl. Städten 1873, S. 128.
2) Aufs L, S. 167.
3) Gengier, Stadtrechtsaltertümer, S. 74 ff. v. Maurer, a. a. O. II, S. 131 ff.
4) v. Below, Stadtverfassung, S. 81, A. 2.
5) Vgl. meine Entstehung der Stadt Braunschweig a. a. O., S. 116, 121.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. Slö
Die Neustadt von Wernigerode wird 1279 erwähnt J), erhält 1410
Stadtrecht2) und wird 1521 3) mit der Altstadt vereinigt. Die Neu-
städte Braunschweigs, der Hagen, die Neustadt, der alte Wik und der
Sack haben das ganze Mittelalter hindurch eine selbständige Stellung
gehabt; erst nachdem der Städtebund von Braunschweig, der aus
den fünf Weichbildeu Braunschweigs, der Altstadt, dem Hagen, der
Neustadt, der Wik und dem Sack bestand, in die Gewalt der
Herzöge von Braunschweig gekommen war, findet eine Verschmelzung
der fünf Städte statt. Auch in Hildesheim4), dessen Entstehungs-
geschichte mancherlei Aehnlichkeit mit der von Braunschweig hat. und
wo sich zwischen den einzelnen Weichbilden sehr scharfe Gegensätze
finden, ist die Vereinigung der Neu- uud Nebeustädte mit der Alt-
stadt nur langsam vor sich gegangen. Hier trat noch erschwerend
der Umstand hinzu, daß die Einwohner des einen Weichbilds Flandrer
waren, die nach flandrischem Recht lebten. Auch in dem Hagen und
der Wik von Brauuschweig finden wir Flandrer und Holländer5), die
vielleicht auf die lange Sonderstellung der betreuenden Weichbilde Ein-
fluß gehabt haben.
Oft haben die Nebenstädte auch nach der Vereinigung mit der
Altstadt sich eine gewisse Sonderstellung bewahrt, wie wir das z. B.
von Osnabrück wissen, wo die Neustadt später ein Laischaft bildete 9).
Bei Gründungen von Städten 7) treteu uns in der Bildung der
Stadtgemeinde wieder andere Gesichtspunkte entgegen. Wenn die
Gründung an ein schon bestehendes Dorf eine villa oder an einen
Herrenhof, eine curia, anknüpfte, so tritt uns derselbe Vorgang, wie
bei deu natürlich gewachsenen Städten allerdings oft in beschleunigter
Weise, entgegen. Die Dorf- oder Hofgemeinde erweitert sich durch
Aufnahme neuer Zuzöglinge oder durch Einverleibung anderer Dorf-
gemeinden zur Stadtgemeinde. Anders liegen aber die Verhältnisse,
wenn die Stadt an nichts Vorhandenes anknüpft, wie das z. B. bei
der Stadt Freiburg 8), dem Hagen von Braunschweig9) und vor allem
1) Urkundenbuch von Wernigerode, S. 12, n. 19.
2) Ebenda, S. 194, n. 309. Vgl. auch S. 126, n. 203.
3) Urkundenbuch von Wernigerode, S. 441.
4) Doebner, Stadtverfassung Hildesheims. Hansische Geschichtsbl. 1881, S. 11 ff.
5) Vgl. meine Arbeit Gerichtsverfassung der Stadt Braunschweig, S. 15 u. meinen
Aufs Entstehung der Stadt Braunschweig S. 112.
6) Philippi, Zur VerfassuDgsgeschichte, S. 51 ff. Vgl. Plen. Hansische Geschichts-
blätter a. a. O., S. 165. Vgl. oben.
7) Gengier, Stadtrechtsaltertümer, S. 360 ff.
8) Gengier, Stadrechte, S. 125.
9) Vgl. meinen Aufs., Entstehung der Stadt Braunschweig a. a. O. , S. 114. Ueber
die Gründung des Hagens berichtet die Reimchronik:
Von dissem vursteu gar gemeyt
Ward gewidet und gebreyt
Dhe vesto to Brunswich
Went her urgav dat blich
Daz geheizen is de Hage
Und heiz mit howe unde slagen
Is buwen unde vesten
Daz iz vor argen gesten
Sicher were osten, westen.
Unter dem Fürsten ist Heinrich der Löwe zu verstehen.
giß Willi Varges,
bei den Städten des Kolonialgebietes der Fall ist1). Hier wurde die
Stadtgemeinde aus dem Nichts geschaffen. Der Stadtgründer oder seine
Beauftragten, die locatores 2), erließen einen Autruf zur Ansiedlung in der
neuen Stadt, und verteilten den Grund und Boden in der Stadt, die Hof-
stellen3), deren Größe genau festgestellt wurde4), gegen oder ohne einen
Zins an die Einwanderer. Diese schlössen sich dann zu einer Stadt-
gemeinde, oft unter Ablegung eines Eides, wie das von Freiburg über-
liefert ist5), zusammen und übernahmen gemeinschaftlich die Bürger-
pflichten.
Kapitel VII.
Die städtische Einwanderung.'
Den größten Einfluß auf die Bildung der deutschen Stadtgemein-
den bat die Einwanderung und Ansiedlung einzelner Personen, auf die
wir jetzt eingehen, gehabt 6). Man kann sich die Einwanderung, die im
11. und 12. Jahrhundert in die Städte von außerhalb stattfand, gar nicht
groß genug vorstellen7). Selbst in kleinen Städten, so z. B. in dem
kleinen, unbedeutenden Wernigerode, kommt man in Bezug auf die
Ansiedlung und Niederlassung auswärtiger Leute zu staunenswerten
Ziffern. Der beste Beweis für die Einwanderung sind die Familien-
namen, die Ortsnamen sind 8).
Das größte Kontingent der Einwohnerschaft einer Stadt stammte,
1) Gengier, Stadtrechte S. 277.
2) Genfer, Stadtrechtsaltertümer, S. 381 u. A. 190. v. Maurer, a. a. O. I, 38.
Frensdorff, Stadtverfassung Lübecks, S. 16 ff.
3) Bezeichnungen für die Hofstellen sind area, fundus, spatium , curia, praedium
worth, slovettat. Vgl. Gengier, Stadtaltertümer, S. 372.
4) Gengier, StadtrechtsBltertümer , S. 372. Gengier, Stadtrechte, S. 125. Freiburg
§ 1. singulae areae in longitudine centum pedes habebunt, in latitudine quinquaginta ;
in Thun betrug die Länge 60, die Breite 40 Fufs ; in Sindlfingen die Länge 50, die
Breite 40 Fufs. Ich führe hier zum Vergleich einige Bremische Bestimmungen , welche
die Ansiedlung auf dem Lande betreffen. 1100 erhalten Holländische Ansiedler im Bruch-
land — Hollerland — je eine Hofstelle, mansus, von 720 Ruten Länge und 30 Ruten
(regales virgas) Breite. Bremisches Urkuudenbuch I, n. 27, S. 28. Vgl. S. 63, n 56.
Licet etiam eis hereditatem suam vendere, ingredi, egredi, quod nihil spectat ad iudicem.
S. 50, n. 46. Besiedlung der paludes — Marschen — durch venditor und habitator Bovo.
Vgl n. 53, S. 58. In n. 92, S. 107 werden zwei cultores erwähnt. Vgl. v. Wersebe,
die Niederländischen Kolonien I, S. 27 ff. Gildemeister, Beiträge zur Kunde des vaterländ.
Rechts I, S 186.
5) Genfer, Stadtrechte, S. 325.
6) Vgl. Knieke, Die Einwanderung in den Westfälischen Städten
bis 140 0. Münster 1893 Gengier, Stadtrechtsaltertümer, S. 407 ff.
7) Knieke a. a. O , S. 165. Jacobs, Die Bewegung der Bevölkerung von Wernigerode.
Festschr des Harzvereins, 1893, S. 11. Bücher, Bevölkerung Frankfurts, 1886. Paasche,
Die städtische Bevölkerung früherer Jahrhunderte. Jahrb. f Nationalök. u. Statistik,
Bd. 39. N. F. 5, S. 303 — 387 ; dort findet s. auch die Litteraturangabe. Teschen. Die
Bevölkerung Wismars im Mittelalter und die Wachtpflicht, Hans. Geschichtsbl. 1892,
S. 65 ff.
8) Knieke, a. a. O, S. 166. S. Kleemann, Die Familiennamen Quedlinburgs, 1891,
S. 146 ff. Vgl. auch meinen Aufs. : Entstehung der Stadt Braunschweig, a. a. O., S. 108
u. A.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 317
-abgesehen von den Kolonialgebieten, aus der Umgegend derselben1).
Freie und hörige Landbewohner, Vogtei-, Königs- und Kirchenleute
(homines advocaticii, homines cerocensuales) siedelten sich, nach dem
der Gedanke und das Wesen der Stadt volkstümlich geworden, und
man die großen Vorteile, die die Städte boten, erkannt hatte, in
Menge in den Städten an, wie die Familiennamen zeigen. Die zahl-
reichen Wüstungen — oft handelt es sich bei den Wüstungen nur um
-einen Hof, eine Einzelsiedelung — die sich in der Nähe der Stadt
finden, gehen hauptsächlich auf diese Einwanderung zurück.
Auf die Freizügigkeit2) des vollfreien Landbewohners braucht
hier nicht eingegangen zu werden. Dieselbe ist in Volksrechten und
"Weistümern anerkannt3). Erst die Freilassung mit Freizügigkeitser-
klärung macht den Hörigen zum Vollfreien 4). Ebenso wie der freie
Stadtbürger jederzeit die Stadt verlassen kann 5) , kann sich jeder
Freie in dem Mauerring ansiedeln und Stadtrecht erwerben. Auch
die freien Zinsleute sind im Besitz der Freizügigkeit 6). Erst in späterer
Zeit findet, nachdem ein Teil der freien Landbewohner zu Vogtei-
leuten von den Landesherrn herabgedrückt war, eine Verminderung
der Freizügigkeit statt7).
Ueber die Freizügigkeit der Hörigen in ältester Zeit sind wir
wenig unterrichtet. Wenn auch eine gewisse Beschränkung derselben
vorhanden war, so darf man doch nicht von einem Gefesseltsein an
die Scholle, glebae ascriptio, sprechen8). Für eine ursprüngliche Ver-
pflichtung auf dem Grund und Boden des Herrn für immer zu bleiben,
findet sich kein ausschlaggebendes Zeugnis 9). Auch aus den Formeln
der Freilassungsurkunden kann man mit Sicherheit solche weitgehenden
Folgerungen nicht ziehen. Der Hörige, der in persönlicher Hinsicht
ein freier Mann und nicht etwa leibeigen war, konnte nach Erfüllung
gewisser Bedingungen den Hof verlassen und sich gegen den Willen
seines Herrn anderswo niederlassen10). Diese in gewissem Sinne be-
1) Knieke, a. a. O., S. 166.
2) Gengier, Stadtrechtsaltertümer, S. 366. R. Schröder, Rechtsgeschichte, S. 2. Brun-
ner, Rechtsgeschichte I, S. 98 f., S. 35, 103, 229, 243. Knieke, Einwanderung in den
Westfälischen Städten, S. 40. Vgl. auch Bremisches Urkundenbuch I, n. 56, S 63.
3) Ingelheimer Weistum, Grimm, Rechtsaltertümer, S. 286. Knieke, a a. O., S. 40.
Und ein jeglicher, der in dem riche gesessen ist, mag ziehen und faren, wor er wil und
sol im nieman daran kruden oder hindern.
4) R. Schroeder, Recht>geschichte, S. 256. Brunner, Rechtsgeschichte I, S. 99. Knieke,
a. a. O., S. 41. Westlälisches Urkundenbuch IV, 1410. liberos reddimus et securos dantes
eisdem ubique locorum morandi seque ad diversa loca transferendi .... facultatem. Leibertz,
Urkundenbuch 649. U. v. 1335. habebit liberam facultatem standi, gradiendi , morandi,
proficiscendi, loco quocunque fueret visum expedire.
5) Vgl. die Stadtrechte.
6) Waitz, Verfassungsgeschichte IV, 336, n. 1, V, (Aufl. 2) S. 313.
7) Vgl. unten.
8) So Knieke, a. a. 0., S. 42.
9) Philippi, Zur Verfassungsgeschichte der Westfäl. Bischofsstädte S. 80, S. 81
(2. A.) S. 313.
10) v. Maurer, Fronhöfe I, S. 57, II, 74, III, 137. Waitz, Verfassungsgeschichte V,
S. 281.
Dritte Folge Bd. VIII (LXIII). g 2
glg Willi Varges,
stehende Freizügigkeit ist erst in späterer Zeit beschränkt worden. Bei
Entstehung des Städtewesens muß sie noch in großem Maße bestanden
haben, sonst wäre es gar nicht denkbar, daß eine so starke Einwanderung
von Hörigen in die Stadt stattgefunden habe. Man müßte sonst
geradezu annehmen, daß durch ein königliches Gesetz bei Entstehung
der Städte die Beschränkung der Freizügigkeit der Hörigen aufgehoben
sei. Es ist bezeichnend, daß in einer Urkunde von 1291 verboten wird,
die Freizügigkeit der Hörigen zu beschränken1). Der Hörige, der sich
in der Stadt niederläßt, Grund und Boden erwirbt und die Bürger-
pflichten übernimmt, wird vollfrei. Wer im Stadtfrieden sub eo, quod
wicbilithe vocatur, als Bürger lebt, ist ein freier Mann. Nur durch
die Aussicht auf Erlangung der Freiheit und auf die Lösung von
allen grundherrlichen Lasten und Diensten können bei Entstehung der
Städte die Hörigen in so großer Zahl, wie es wirklich geschehen ist,
augelockt sein, sich in den Städten niederzulassen und die nicht ge-
ringen Stadtlasten wie die Erhaltung und Verteidigung der Stadt-
mauer, auf sich zu nehmen. Die Städte der ältesten Zeit sind keines-
wegs solche begehrungswerte Wohnsitze, wie sie es im späteren Mittel-
alter sind2). Wirtschaftliche Vorteile boten die Städte der ältesten
Zeit nicht. Sie waren ja, wie oben gezeigt ist3), anfänglich nichts
weiter als kleine zum Schutze des Landes angelegte Festungen, für die
man mühselig genut:, wie Widukind4) und lhietmar5) berichten, die
Besatzung suchen mußte. Solche Vorteile, wie sie später die Städte
boten, finden sich in den ältesten Zeiten der städtischen Entwick-
lung nicht.
Es ist bezeichnend, daß sich in den Kolonialgebieten der alte
Satz erhalten hat, daß die Hörigen bei ihrer Niederlassung die volle
Freiheit erhielten. So sagt das alte Schweiiner Stadtrecht, das
aus d^r zweiten Hälfte des 12. Jahrhundert stammt6): Quicunque
autem homo proprie fuerit condicionis, si intra civitatem veuerit ab
impeticione cuj islibet servitatis fuerit über. Aehnlich heißt es im
Recht von Eger7): item quicunque proprii alicujus domini civitatem
subintraverit , quamdiu in civitate mauere voluerit, dominus suus
1) Gengier, Stadtrechtsaltertumer S. 431. Privileg für Olmütz von 1291: ut nullus
nobilium et tetrigenarum nostrorum quemlibet huminem de bonis suis ad dictam civi-
tatem nostram transire voleottm ii.junose retinere aut in aliquo penitus molestare presu-
mat, sed ipsum libere dimittat; et si eidem nobili aat terrigeae contra bominem ipsum
aliqua competit accio, coram judice inratis et universitate civium dicte civitatis Olumu-
censi» prosequatur eandem, qui sibi exhibere plenam justiciam tenebuntur. Vgl. Bischoff,
Deutsches Recht in Olmütz S. 10.
2) Knieke. a. a. O., S. 16 ff., 27. Arnold, Aufkommen des Handwerkerstandes
im Mittelalter S. 18. Heusler, Ursprung der Stadtverfassung S. 102. Gengier, Stadt-
rechtsaltertümer S. 407.
3) S. Aufs. I, S. 165 ff.
4) Widukind, a. a. O., I, c. 35.
5) Thietmar von Merseburg. Waitz. Heinrich I. S. 231 ff.
6; Gengier, Stadtrechte S. 434, § 21. Die deutsche Uebersetzung ebenda ist un-
richtig.
7) Ebenda S. 99, § 15. Vgl. auch § 16. Item quicunque civitatem mansurus
ingreditur per spacium unius anni, non erit dominorum serviciis obligatus.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 819
ipsum de proprietate minime infestabit. Man wollte hier eine tüchtige
waffenfähige Mannschaft — die Hörigen der älteren Zeit sind waffen-
fähig — in die Stadt ziehen. Auch sonst finden sich Rerainiscenzen
an das alte Recht, daß nur Freie im Stadtfrieden wohnen dürfen;
so in dem Recht von Aachen 1).
Ein Lüueburger Privileg vom Jahre 1247 zeigt 2), daß der gegen-
teilige Zustand, daß Hörige bei der Niederlassung in der Stadt und
bei Aufnahme unter die Bürgerschaft nicht die volle Freiheit erhalten,
gegen die Stadtfreiheit verstößt. Der betreffende Passus lautet: Erant
namque in civitate homines quondam, qui propra erant, quorum qui-
dam se nobis recognoverunt, quidam non, et illorum herewede et rade
indifferenter accepimus, in quo jura civitatis infringere vide-
b a m u r.
Nach meiner Ansicht erhalten also die Hörigen sofort bei Nieder-
lassung auf dem freien Boden der Stadt die volle Freiheit. Stadtluft
macht sofort frei. „Eine Henne, d. h. eine hotrechtliche Abgabe, fliegt
nicht über die Mauer, sagt das Sprüchwort" 3).
Verschiedene Forscher nehmen an, daß sich die Hörigen erst nach
der Niederlassung in der Stadt allmählich zur Freiheit emporgear-
beitet haben. Nach Kaufmann 4) „hob die Pflicht, als Genosse der
Freien die Mauer zu bauen, zu bewachen und auch zu verteidigen
auch den eigenhörigen Städter". Wir hätten dann ähnliche Verhält-
nisse, wie wir sie bei der Bildung des Ministerialenstandes sehen.
Gegen diese Ansicht spricht aber die Thatsache, daß der unfreie Ein-
wanderer ursprünglich sofort, und später nach einer Frist von Jahr
und Tag die Freiheit erhält. Von einem allmählichen Aufsteigen von
der Hörigkeit zur Freiheit ist nichts zu merken. Es kommt wohl vor,
daß innerhalb eines Mauerrings auch unfreie Leute wohnen, aber diese
sind keine Bürger und haben keinen Anteil an der Stadtgemeinde.
Werden dieselben Bürger, so erlangen sie damit die Freiheit. Bürger-
recht und Hörigkeit schließen sich aus. Gengier5) leitet den Rechts-
satz aus der allgemeinen privilegierten Stellung der Bürger ab. Des
riches burger sind ewiclich gefriet, sagt das Kaiserrecht. Der unge*
schmälerte Genuß der stadtbürgerlichen Gerechtsame und Freiheiten
1) Privileg von 1314. — ut omnes incole et advene hie inhabitare volentes, presentes
et futuri, sub tuta et libera lege ab omni servili conditione Jiberi vitam agant. Vgl.
Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 42.
2) ürkundenbuch von Lüneburg I, S. 38, n. 67, § 60. Döbner, Städteprivilegien
Otto des Kindes S. 28, n. 10. Kraut, Das alte Stadtrecht von Lüneburg S. 8. Vgl.
auch ürkundenbuch 1, S 40, n. 68.
3) Graf und Diether , Rechtssprüchwörter, S. 62. Vgl. aber auch das Sprüchwort
halshuhn folgt dem halseigenen allenthalben Hillebraud, deutsche Rechtssprüchwörter 17.
Grimm, Rechtsalteriümer 312. Ueber das Halshuhn, Rauchhuhn vgl. Kuieke, a. a 0.,
S. 85. Das Rauchhuhn kommt auch als öffentliche Abgabe vor. Vgl. v. Below, Hist.
Ztschr , Bd 58, S. 209 fif. Handwörterbuch der Staatswissenschaften unter Bürger, S. 790.
Ürkundenbuch von Wernigerode, n. 288, S. 179, n 97. Harzztschr., Bd. XII, S. 340.
Ueber das Rauehhuhn als geistliche Abgabe Vgl. Ürkundenbuch von Ilsenburg II, S. 699.
4) Kaufmann, Zur Entstehung des Städtewesens I. Münster (Iudex Lectionum 1891).
S. 24.
5) Gengier, Stadtrechtsaltertümer, S. 258. Vgl. S. 413, S. 407.
52*
820 Willi Varges,
hat aber den Besitz individueller Freiheit zur notwendigen Voraus-
setzung; „so konnte es nicht fehlen, daß man nach und nach aus
der Freiung eines Ortes für diesen zugleich die Kraft ableitete, Un-
freie durch die bloße Zulassung zur Teilnahme am stadtgemeindlichen
Lebensverkehr in freie Leute umzuwandeln".
Gengier nimmt also an , daß der Satz Stadtluft macht frei , sich
erst nach und nach aus dem Wesen der Stadt entwickelte; doch seine
Ansicht ist nicht haltbar. Ursprünglich erhält der Hörige bei seiner
Niederlassung in der Stadt sofort die Freiheit x). Später wurde dieser
Satz immer mehr beschränkt, bis sich schließlich die Auffassung gel-
tend machte, daß der Hörige bei Niederlassung in der Stadt weder
seine Lage verbessert, noch verschlechtert, wie das z. B. in einem
Privileg für Gehrden vom Jahre 1319 2) ausgesprochen wurde.
Durch die Einwanderung der Hörigen vom flachen Lande in die
Stadt, wurden die Vermögensinteressen der Grundherrn naturgemäß
geschädigt. Die Herren beginnen daher die Freizügigkeit der Hörigen
zu beschränken, sie stellen den Satz auf, daß zur Einwanderung eines
Hörigen in die Stadt die Erlaubnis des Herren, des naturalis domi-
nus3), nötig sei4). Hat ein Höriger die Erlaubnis zur Niederlassung
in der Stadt nicht, so muß er auf Verlangen des Herrn von der Stadt
ausgeliefert werden. Man beginnt den Hörigen also jetzt an die Scholle
zu fesseln. Das alte Recht der Hörigen, nach Erfüllung gewisser Pflichten
freien Abzug zu erhalten 5), wird beschränkt oder beseitigt. Die Hö-
rigen werden grundhörig. Der Sachsenspiegel normiert den neuen
Rechtssitz folgendermaßen; We in Sassen tu tinsgude geboren is, das
is en late, de mack des gudes äne sines herren orlof nicht vortien6).
Einzelne Städte haben das Ausforderungsrecht der Grundherrn bald
anerkannt. Am ersten wird die neue Rechtsauffassung im Stadtrecht
von Freiburg, das aus den 12. Jahrhundert stammt, erwähnt7). Omnis
etiam, qui venit in hunc locura libere hie sedebit, nisi fuerit servus
alieujus et confessus fuerit dominum. Dominus autem servus vel relinquet
in urbe vel deducit, si voluerit. Es ist vielleicht kein Zufall, daß der
neue Rechtssatz zuerst in einem fürstlichen Stadtprivilegium vorkommt.
Eine Anzahl Städte haben den neuen Rechtssatz nicht aufgenommen.
So bestimmt das Aachener Recht8): Eis confirmamus et lege im per-
petuum valitura roboramus scilicet, ut — et omnes incole et advene
1) Vgl. die in Niederländischen Städten vorkommende Bestimmung. Hegel, a. a. O. I,
S. 250
2) Gengier, Stadtrechte, S. 145. Die Niederlassung in der Stadt bringt die Einfah-
renden, eujuseunque conditionis fuerint, videlicet servilis conditionis, que proprie Vulschult
dicitur, vel conditionis cerocensecalis, vel si prebendarii vel prebendarie fuerint, in keine
neue bessere oder schlechtere Lage.
3) Gengier, Stadtrechte, S. 449
4) Ueber die Erlaubnis zum Abzug im Landrecht. Vgl. v. Maurer, Fronhöfe III,
S. 128, 177.
5) v. Maurer, Fronhöfe, III, S 128.
6) Sachsenspiegel, Landrecht ed Homeyer.
7) Gengier, Stadtrechte, S. 126, § 13 Vgl. auch § 34.
8) Gengier, Stadtrechtsaltertümer, S. 412.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. g21
liic inhabitare volentes, presentes et futuri, sub tuta et libera lege ab
omni servili condicione liberi vitam agant. Das Schweriner Stadtrecht
sagt ausdrücklich : Quicunqiie autem homo proprie fuerit condicionis,
si intra civitatem veuerit, ab impeticione servitutis cujuslibet liber
erit x). Im Herzogtum Westfalen scheint wenigstens im Arnsbergschen
nach Knieke der alte Satz allgemeiner in Geltung geblieben zu sein,
und die Neuerung wenig Anklang gefunden zu haben 2). Es hängt
das wohl mit dem zähen Festhalten am Althergebrachten zusammen,
das uns im Rechtsleben der Westfalen vielfach entgegentritt.
In den meisten Städten Deutschlands hat am Ende des 12. Jahr-
hunderts ein Verfahren Eingang gefunden, das zwischeu der alten und der
neuen Rechtsanschauung vermittelte. Dem auswärtigen Grundherrn
wurde gestattet seinen Hörigen zu reklamieren, aber diese Reklamation
mußte innerhalb einer gewissen Frist erfolgen. Versäumte er dieselbe,
so verjährte sein Anrecht, und der Hörige erlangte die volle Freiheit.
Es war so ein Mittelweg gefunden, der sowohl die wirtschaftlichen
Nachteile der Grundherren, als auch unnötige Härten für die Hörigen
mildern konnte 3).
Die Frist hat in der Regel eine Dauer von Jahr und Tag, d. h.
in der Regel von einem Jahr, sechs Wochen und drei Tagen4). Es
ist die Zeit, die drei echte und drei gebotene Dinge umfaßt5). Die
Frist von Jahr und Tag ist die alte germanische Verjährungsfrist, die
im Eigentumsrecht eine Rolle spielt 6). Sie hängt mit der sog. rechten
Gewere zusammen7), wie das das Sächsische Weichbildsrecht andeutet,
wenn es sagt: der Hörige muß zeigen, daß er binnen wicbelde gesez-
zen het ane anspräche jar und tac, damit er auf diese Weise „siner
Friheit eyne gewere irkrigen möge", denn „so ist er niet der gewere
nehir, die er dorane hat, mit syneu gezugen eine Friheit zu behalden,
wen en ymant zu einem eigen beholden möge" 8).
1) GeDgler, Stadtrechte, S. 434, § 21.
2) Knieke, a. a. 0.r S. 154, 155. Vgl. aber S. 156.
3) Vgl. das Stadtrecht von Belecke : Quicunque ipsum oppidum nostrum, cum adhuc
sit novella plantatio, ingressus fuerit ad morandum in eo et oppidanus ibidem effectus eo
ipso, sit Status condicionis aut sexus eunetarumque, sit liber et nulli hominum .... ad
aliqua servitia sit astrictus. Seibertz, Urkundenbuch I, S. 578, n. 466.
4) Schroeder, Rechtsgeschichte, S. 672. Knieke, a. a. O , S. 173. Sachsenspiegel,
Landrecht u. A 63, I, 28, 1, S. Jar und tag ist in jar, sechs Wochen und drei tage. Statut
von Bremen von 1303 binnen jare unde dage, dat is en jar unde ses wehen unde dre
dage. Hillebrand , Rechtssprüchwörter, S. 47. Stadtrecht von Höxter, § 7 anno et die
videlicet sex septimanis. Gengier, Stadtrechte, S 202. Stadtrecht von Nordhausen, § 8,
per annum et sex ebdomadas. Gengier, a. a. O., S. 319. Statut von Minden. 1 Jahr
6 Wochen 1 Tag. Crusius , Jus stat. reipubl. Mind., p. 206. In Lübeck ist Jahr und
Tag 1 Jahr und 4 Wochen.
5) Schroeder, Rechtsgeschichte, S. 672. Nach anderer Anschauung — Knieke, a. a. O.,
S. 173. Hach, a. a. O., S. 263. v. Below. Landstandverfassung II, S. 4, A. 13 Heusler,
Institutionen I, S. 57 — handelt es sich um ein Jahr und die Frist bis zum nächsten echten
Ding.
6) Philippi, Zur Verfassungsgeschichte der Westfäl Bischofsstädte, S. 82.
7) Schroeder, a. a. O., S. 671 und 672, A. 61, S. 668. Heusler, a. a. O., I, S. 57.
Gengier, Stadtrechtsaltertümer, S 414.
8) Gengier, Stadtrechtsaltertümer, S. 411. Sachs. Weichbild IV, 1. Glosse zum
Sachs. Weichb. Sp. 196, Z. 42—54. U.-B. von Mühlhausen S. 631.
822 Willi Varges,
Die rechte Gewere1) ist die legitima possessio 2), der rechtmäßige
Besitz einer Sache. Wer im Genüsse derselben ist, braucht sich auf
keine Anfechtung mehr einzulassen3). Derjenige, der Jahr und Tag
im Besitz seiner Freiheit ist, d. h. wer auf den in diese Frist fallen-
den echten und gebotenen Dingen nicht angesprochen ist, ist ebenso
im unanfechtbaren Besitz seiner Freiheit, wie er im unanfechtbaren
Besitz eines Hauses ist, das er Jahr und Tag inne hat. Die Braun-
schweiger Rechte, Ottonianum und Hagenrecht, stellen nicht ohne Grund
folgende Sätze nebeneinander: Swes eme vrede werd gewarcht, unde
he dar mede beseth iar unde dach, dat ne mach neman gebreken.
Swelich man to brunswich is jar und dach borgere sunder ansprake,
dene ne mach neman gevorderen 4). — Quicunque annum et diem in
civitate manserit sine alicujus impeticione, de cetero über permanebit.
Item quicunque domum aut aream aut quamlibet aliam rem in civitate
emerit et annum et diem pacifice possederit et pax ei secuudum jus
civitatis facta fuerit5), nullus eum de cetero super eadem re poterit
inquietare6). Es handelt sich hier um gleiche Verhältnisse. Der Zu-
sammenhang der Verjährungsfrist mit der echten Gewere zeigt sich
auch im folgenden. Fand bei Eigentumsübertragungen keine Auflas-
sung statt, so trat an Stelle der Frist von Jahr und Tag die alte
Verjährungsfrist von 30 Jahren7). Bei den Sachsen wurde diese Frist
um die Zeit von Jahr und Tag verlängert. Interessant ist nun, daß
sich auch im Stadtrecht diese verlängerte Frist von 31 Jahren 6 Wochen
und 3 Tagen vorfindet. So bestimmt das Herforder Stadtrechtbuch :
„Erst diejenigen Neubürger, welche 31 Jahre 6 Wochen und 3 Tage
ohne jemandes Ansprache gewohnt und tho wege unde tho strate, tho
zenede unde tho vogetdinge gegangen waren, wurden als Vollbürger
angesehen", mithin auch erst dann der städtischen Ehrenämter für
würdig erachtet 8).
Außer der Verjährungsfrist von Jahr und Tag treten auch ver-
einzelt andere Zeiträume auf. In Hildesheim, wo soDSt die allgemeine
Verjährungsfrist von Jahr und Tag in Geltung ist 9), wird durch Ver-
trag 1318 bestimmt10), daß die bischöflichen und stiftischen Hörigen,
1) Gewere bedeutet Besitz.
2) Heusler, a. a. O , II, S. 103 ff.
3) Ebenda. Schroeder, Rechtsgeschäfte, S. 671.
4) Urkuudenbuch von Braunschweig, Bd. I, n. 2 , § 40, 41, S. 6. In älterer
Zeit mufs der Bürger eben auch Grundbesitzer sein. Vgl. unten.
5) Vgl. über Frohnung und Friedewirken Schroeder, a. a. O., S. 671 u. 672, A. 61.
Mein Aufsatz: Autonomie der Stadt Braunschweig, Ztschr. des Harzvereins, XXV.
6) Urkundenbuch von Braunschweig, Bd. 1, n. 1, § 9, 10, S. 2. Vgl. auch Stadt-
recht von Regensburg (a. 1230) § 6, § 7. Gengier, Stadtrechte, S. 374.
7) Schroeder, Rechtsgeschichte, S. 672, S. 352 f. Heusler, Institutionen I, S. 56.
8) Knieke, a. a. O, S. 163. Wigand , Archiv II, S. 7 ff. llgen, Zur Herforder
Stadt- und Gerichtsverfassung. Westfäl. Ztschr., Bd. 49, S. 21. Gengier, Stadtrecht,
S. 193. Vgl. Sachsenspiegel, Ldr. II, art. 22, § 1.
9) Urkundenbuch von HildeNheim, Bd I, n. 209, § 32, S. 105 (s. 1249). Si quis
intrat civitatem ad manendum et manserit anno et die sine requisicione, postea non potest
eum aliquis requirere. Vgl. u. 548, § 49, S. 284. (c. 1300.)
10) Ebenda, n. 695, S. 384.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. g23
late unde eghene man, zwei Jahre ohne Ansprache in der Stadt ihren Sitz
gehabt haben müssen, ehe sie die Freiheit erhalten. We ok de burseap
nu mer wint, de scal to voren sweren uppe de hilghen, dat he en vriy
man si, unde nemen uppe de burseap, de he wunnet hevet, user stat
bref; dene selven bref scal he ok dragen to deme undercustere to deme
dorne unde sin was mit sek bringhen. Dene bref scal eme de under-
custere beseghelen mit eneme ingheseghele, dat dar sunderliken to
ghemaket is, ane gave unde ane rechte wedersprake, unde besit he
tvvey jar darua, dat der breve beseghelet sin, ane rechte ansprake
unde unverbosmet, so scal he en vriy bürgere wesen. Worde he aver
anghesproken binnen dissen twen jaren mit rechter ansprake vor deme
rade, mochte me one bebosmen, des scoldeme one laten volghen deme,
de one bebosmet hedde unde all sin gut; des gudes scal der stad de
dridde del wesen. Hevet he aver lengut ichte latgut, dar en heft de
Stadt nicht mede to donde. — Oefter fiudet sich die Frist von 10 Jahren;
so im Regensburger Stadtrecht vom Jahre 1230: Item quieunque resi-
dens in civitate impetitur de servili conditione, qua teneatur impetenti,
si talis probabit, quod decem annis permanserit a nullo impetitus, deineeps
secursus permanebit a tali impetitione x). In Euskirchen am Nieder-
rhein findet sich 1322 dieselbe Frist 2). Im Hamburger Stadtrecht von
1497 findet sich die Bestimmung 3), daß die Ansprache nachfolgender
Herren 10 Jahre lang rechtliche Verbindlichkeit hat. Eine ähnliche
Festsetzung findet sich auch in Minden4). Auf einen Einfluß des
römischen Rechts 5) möchte ich hier nicht schließen, da die Frist von
zehn Jahren schon sehr früh in Deutschland erwähnt wird 6) und auch
im frisischen Recht vorkommt 7). Tein jeer besittinge is ney da
riueht also gued so en ferdbann, heißt es daselbst. Auch in Rechts-
sprüchwörtern kommt die Frist vor8).
Die Frist von Jahr und Tag wird in einem Stadtrecht in Bezug
auf die Freiheitserwerbung der Hörigen am frühesten 9) in Nieder-
deutschland, und zwar zuerst in den Privilegien Friedrichs Barbarossas
1) Gengier, Stadtrechte, S. 374, § 6.
2) v Below, Landständ. Verfassung I, S. 48 In den Dortmunder Urkunden , auf
die Kuieke hinweist (Knieke, a. a O., S. 163), finde ich keine Spur der zehnjährigen
Frist Vgl. Urkundenbuch von Dortmund I, n. 713, S. 503.
3) Lappenberg, Rechtsaltertümer I, S. 186 , c. XII. Frensdorff, Gerichtsverfassung
Lübecks, S. 194,
4) Vgl. Crusius, Jus statutarium Mindens, S. 71. Knieke, a. a O., S. 163.
5) Knieke, a. a O , S. 163. Vgl. Schröder, Rechtsgeschichte, S. 352.
6) Stadtrecht von Regensburg von 1230. Gengier, Stadtrechte, S. 373, allerdings
ist das Recht von Friedrich II. verliehen.
7) Jus Fris. 36, 11.
8) Graf nnd Dietherr, Rechtssprüchwörter 95. Knieke, a. a. O., S 162.
9) Die Frist Jahr und Tag findet sich schon im Recht von Soest. Gengier, Stadt-
rechte, S. 443, § 34. Quieunque de manu schultheti vel ab eo qui auetoritatem ab eo
habet, domum vel aream vel agros vel mansum vel manse partem reeeperit et peran-
num et diem legitimum quiete possederit, si quis in eum agere noluerit, possessor
tactis reliquiis sola manu obtinebit et sie de cetero sui warandus erit nee amplius supra
predictis gravari poterit , § 52. Quieunque aliquem in judicio convenit de hereditate
vel de herwadio vel de gerathen plenam ei warandiam et fideiussionem ad annum et diem
legitimum prestabit, antequam alter respondere teneatur.
g24 Willi Varges,
für Bremen vom Jahre 1186 J) und für Lübeck vom Jahre 1188 2) er-
wähnt. In älteren deutschen Stadtrechten wird sie nicht genannt.
Im Magdeburger Stadtrecht von 1188 findet dieselbe sich noch uicht 3),
dagegen kommt sie schon 1197 im Lippstadter 4), 1218 im Berner5)
und 1219 im Goslarer Recht vor 6). In England tritt der Rechtssatz
schon in einem Recht Wilhelm des Eroberers auf7). Si servi, heißt
daselbst, permauserint sine calumpnia per annum et diem in civitatibus
nostris vel in burgis vel muro vallatis vel in castris nostris a die illa
liberi efficiautur et liberi a jugo servitutis suae sint in perpetuum. Hegel 8)
nimmt nun an, daß der Rechtssatz aus England und zwar durch Heinrich
den Löwen nach Niederdeutschland, speziell nach Braunschweig gebracht
sei, und sich von dort über das übrige Deutschland verbreitet habe. Die-
Braunschweiger Stadtrechte stammen nun aber, wie ich an anderer Stelle
gezeigt habe 9), erst aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts, entweder aus
dem Jahre 1226 oder 1227. Die Rechte des Hagens, die Jura Indaginis,
gehen zwar teilweise auf eine ältere Urkunde zurück, die wahrscheinlich
von Heinrich dem Löwen herrührt10). Es ist aber sehr fraglich, ob in
dieser älteren Urkunde eine Bestimmung über die Verjährungsfrist
enthalten gewesen ist. Die Hildesheimer Urkunde für die Dammstadt,
Dammo11), in welcher auf das Hagenrecht hingewiesen wird1*), hat
wenigstens keine diesbezügliche Bestimmung. — Möglich könnte es ja
immerhin sein, daß sich bei Eutwickelung des Rechtssatzes englischer
Einfluß zeigt; wahrscheinlich ist aber wohl, daß wir es in England mit
1) Bremisches Urkundeubuch, Bd. I, n. 65, S, 71.
2) Urkundenbuch von Lübeck. Bd. I, n. 7, S. 11.
3) Urkundenbuch von Magdeburg, Bd. I, n. 59, S. 30.
4) Westfälisches Urkundenbuch ll, S. 541.
5) Gengier, Stadtrechtsaltertümer, S. 415.
6) Urkundenbuch von Goslar, Bd. I, n. 401, S 403.
7) Carta regis Willelmi conquistoris de quibusdam statutis c. 17. Vgl. Hegel, Städte
und Gilden I, S. 58 u. A. 4.
8) Hegel, a. a. O., II, S. 506. Im Stadtrecht von Schwerin, das H. anführt, findet
sich keine Bestimmung über die Frist. Vgl. Gengier, Stadtrechte, S. 434.
9) Meine Gerichtsverfassung von Braunschweig, S. 5 ff. Vgl. auch Frensdorff, Ueber
das Alter niederdeutscher Rechtsaufzeichnungen. Hansische Geschichtsblätter , Bd II,
1876, S. 117 ff. Göttinger Gelehrtenanzeiger, 1862, S. 787. Doebner, Die Städteprivi-
legien Ottos des Kindes, S. 7. Hänselmann, Die ältesten Stadtrecbte Braunschweigs.
Hans. Geschichtsblätter, Bd. 20. Separatabdruck. Häuselmann hält am Jahr 1227 fest,
giebt aber zu, dafs das Recht vor 1227 aufgezeichnet ist. Vgl. a. a. O, S. 29
10) Vgl. Eingang der Urkunde, a. a. O. und Urkundenbuch, Bd. I, n. 7, S. 14.
11) Doebner, Urkundenbuch von Hildesheim, Bd. I, n. 79, S. 22.
12) Et in his et in aliis, que longum est enumerare , jus aliorum Flandrensium, qui
morantur Brunswic vel circa Albim prorsus se qui decreverunt advocati accedente con-
sensu. Hänselmann, a. a. O. sieht diese Flanderer jetzt in der Alten Wik, aber die Alte
Wik erhält erst 1240 Stadrechte und zwar Recht der Altstadt Braunschweig. Vgl. Urkun-
denbuch von Braunschweig, n. IV, S. 9, n. V, S. 10. Die Urkunde V ist übrigens die
ältere, sie mufs vor IV. stehen. Am Schlufs der Urkunde IV ist ein quinto ausgefalleu.
Das Original ist verloren. In U. V verleiht Otto der Alten Wik Omnibus nunc manen-
tibus in veteri uico B. et Ulis qui in posterum illuc intrant. Stadtreeht und Innungsrecht }
die Einwohner werden noch nicht als Bürger bezeichnet; in U. IV bestimmt der Vogt,
der in V unter den Zeugen fungiert, im Interesse der Einwohner, die jetzt infolge der
Verleihung von Stadtrecht in V als burgenses bezeichnet werden, im Auftrag des Herzogs,
ex parte domini sui Ottonis das Innungsrecht näher.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 825
einer Analogiebildung zu thun haben. Auch in den Niederlanden zeigt
sich derselbe Rechtssatz ").
Der Rechtssatz ist sehr verschieden gefaßt. Eine bestimmte
Formel hat sich nicht ausgebildet. Ich gebe einige Beispiele 2).
Das Hagenrecht von Braunschweig bestimmt: Quicunque annum
et diem in civitate manserit sine alicuius impeticione, de cetero über
permanebit 3).
Ebenso kurz drückt sich das Münsterer Recht: Qui annum habi-
taverit in wicbilithe nullo eum in servitutem redigente libertati debet
adduci4) — von Hildesheim 5): Si quis intrat in civitatem ad manendum
et manserit anno et die sine requisioue postea non potest eum aliquis
requirere; — von Büren6) Si quis in civitate anno et die sine objec-
tione resedit, ab impulsante se melius potest excusare quam confundi.
Ausführlicher sind die Stadtrechte von Lübeck (1188) 7): si vero
quispiam de terra ipsorum aliquem de libertate pulsaverit et pulsatus
probare poterit, quod anno et die in civitate sine pulsatione substiterit,
pulsatus evadit, — von Lüneburg (1247) 8): item si quis in ipsa civitate
annum et diem transegerit non requisitus a domino suo pro libero
nomine teneatur et a nemine in posterum impetatur, von Hannover9):
Item jus antiquum ; si quis factus fuerit burgensis et in civitate man-
serit per annum et diem sine impeticione post hec pro viro libero
tenebitur — von Helmarshausen 10): Transacto anno et sex hebdoma-
darum spacio jure civis libere perfruetur nee alicui se impetenti deineeps
respondebit, von Bern aus11): alioquin si die et anno non fuerit com-
probatus über in urbe remanebit et de cetero non tenetur ei vel alicui
respondere. Noch ausführlicher sind die Rechte von Goslar * 2) (1219):
Si quis extraneus civitatem ad habitandum intraverit et sie in ea
annum et diem perstiterit, quod de servili conditione numquam fuerit
aecusatus, convictus et confessus communi aliorum burgensium gaudeat
libertate et post mortem suam nullus eum in servum audeat sibi
vendicare; — von Höxter13): Quicunque Huxariam iutraverit et com-
muuionem civitatis, scilicet burscap, eunquisierit, si anno et die vide-
licet sex septimanis absque impetitione alicuius et ineusatione residen-
tiam fecerit, illum pro cive debito habere volumus, — und von
Bremen 14):
1) Hegel, a. a. 0., III, S. 250. Postquam aliquis factus fuerit oppidanus, nulli
tenebitur esse servilis, sed seeundum iura oppidi libertate perfruetur.
2) Vgl. Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 416 ff. Knieke a. a. 0., S. 157 ff.
3) Urkundenbuch von Braunscliweig Bd. I, n. 1, S. 1.
4) Gengier, Stadtrechte S. 307, § 52. Vgl. § 1—7.
5) Urkundenbuch von Hildesheim i, n. 209, § 32, S. 105.
6) Wigand, Archiv III, 3, 31. Knieke, a a. O., S. 159.
7) Urkundenbuch von Lübeck I, n. 7, S. 11.
8) Urkundenbuch von Lüneburg I, n. 67, S. 36. Doebner, Privilegien Ottos des
Kindes S. 27.
9) Doebner, a. a. O., S. 32, § 6.
10) Westfäl Urkundenbuch IV, 572. Knieke, a. u. O., S. 158.
11) Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 115.
12) Urkundenbuch von Goslar I, n. 401. § 9, S. 403.
13) Gengier, Stadtrechte, S. 202.
14) Bremisches Urkundenbuch I, n. 65, S. 71. Vgl. I, n. 514, S. 549.
g26 Willi Varges,
Si quis vir sive mulier in civitate Bremensi sub eo quod vulgo dicitur
wicpilithe per annum et diem nullo impetente permanserit, et si quis
postea libertati ejus obviare voluerit, liceat ei dicti temporis prescrip-
tione libertatem suam probare.
Genauer drückt sich das Stadtrecht von Breisach vom Jahre
1275 l) aus: Quod si forte alicuius proprium hominem receperint, si
ante annum expletum a die receptionis sue a suo domino repetatur
et suus esse iure debito comprobetur, eidem domino suo reddetur;
post annum vero expletum dictus dominus, si in provincia fuerit,
repetendi nullam habebit facultatem.
Andere süddeutsche Stadtrechte machen ebenfalls zur Voraus-
setzung, daß der Herr den Aufenthaltsort seines Hörigen kennt. So
sagt das Recht von Lindau: quicunque extraneus servilis condi-
tionis a praedictis civibus recipitur in concivem, si idem per spatiura
unius anni sine impetitione et repetitione domini sui in dictorum
civium civitate commoratur, ita si ipsum dominus seit in oppido resi-
dentem, deineeps liber et solutus ab omni servitio sui domini penitus
permanebit2). Das Recht von Diessenhofen bestimmt3). Item quem-
eunque in burgensium reeipiunt et ille annum et diem quiete resedit,
a domino suo intra provinciam existente non proclamatus; hie deineeps
fruetur civium libertate. Si autem dominus subterfugii servi sui fuit
ignarus extra provinciam existendo, nihil sibi juris deperibit. Aehn-
lich lautet ein Satz des Privilegs für Frauenfeld4): Ita volumus et
saneimus, ut quicunque in dieta civitate civis existens et propriam
habens aream in eadem sciente domino suo naturali et vero, si quem
habuit, nee repetitus ab ipso residentiam per annum unum et diem
ibidem fecerit liberam et quietam, non teneatur domino suo ad ali-
quid etc. 5).
Von deutschen Rechten soll nur die betreffende Stelle des ältesten
deutschen Stadtrechtes des Braunschweiger Ottonianums 6) angeführt
werden: Swelich man to bruneswich is jar unde dach borgere sunder
ansprake dene ne mach neman gevorderen.
Die Erlangung der Freiheit nach Jahr und Tag ist an die Be-
dingung geknüpft, daß der Hörige während der Verjährungsfrist Bürger
gev\orden ist und bürgerliche Pflichten, vor allem also den Waffen-
dienst ausgeübt hat. Ausdrücklich wird diese Bedingung ausgesprochen
in dem eben citierten Passus des Ottonischen Stadtrechts für Braun-
schweig. Auch die angeführte Stelle des Bremischen Rechtes von
1186 deutet in dem Ausdruck — sub eo quod vulgo wikbelethe voca-
tur — darauf hin 7). Genauer drückt sich ein später Bremisches Ge-
setz über die Bürgeraufnahme vom Jahre 1296 aus 8) : quicunque acquirere
1) Gengier, Stadtrechte S. 44, § 20.
2) Gengier, Stadtrechte S. 253, § 4
3) Ebenda, S 81, § 17
4) Ebenda S. 121, § 1.
5) Vgl. auch Urkundenbuch von Mühlhausen S. 631.
6) Urkundenbuch von Braunschweig Bd. I, n. 2, § 42. S. 6.
7) Vgl. oben S. 826. Bremisches Urkundenbuch Bd. I, n. 65, S. 71.
8) Bremisches Urkundenbuch Bd. I, n. 514, S. 549. Oelrichs Gesetzbücher p. VIII.
Vgl. Urkundenbuch von Hildesheim n. 605, S. 384.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 827
voluerit jus civium in civitate nostra, quod burschap vulgariter apella-
tur, illum consules recipere debent. Quo facto interrogabunt eum, in
quo parrochia fecerit maüsionem. Qua cognita destiuabunt litei as suas
ad sacerdotem dlius parrochie, ut ipse suis parrochianis publice de
ambone tribus diebus dominicis, quod talis ex nomine in civem
Breniensem noviter sit receptus, et si aliquis eum velit impetere super
jure servitutis quod hoc faciat infra annum et diem. Quod si dominus
ejus neglexit, exhunc, elapsis anno et die a tempore receptionis talis
civis, dominus ejus ipsum impetere non valebit et talis pro libero
habebitur sicut decet. Aehnliche Bestimmungen finden sich im Ham-
burger Stadtrecht von 1270 '): Wert en mau Borger in desser stad und
is he hyr bjnnen wonaftich jar unde dach, unde queme iumment, de
eme schult gewen wolde, dat he syn egen were, unde spreke ene an
mit tuge mit syneme busmen ; unde machde, den me ansprekt, tugen
mit twen ratmannen, dat he hyr bynnen iar unde dach heuet borgner
wesen unde wonaftich sunder bysproke, he ne schal van syner an-
sprake nene not liden. In Nordhäuser Recht von 1290 findet sich
ein Satz, der auf ein in den Reichsstädten giltiges Recht hinweist 2) :
Item volumus, ut quicunque se in civitatem Northusensem pro cive
receperit et ibidem cum nostris civibus per annum et sex ebdomadas
sine iusta impeticione permanserit , quod ipsum de cetero repetere
null us possit, cum hoc eciam aliis nostris et imperii civitatibus sit
indultum. In Dortmund gilt folgendes Statut3): Et quod etiam vos
personam quamcunque nomine civis sub forma et cousuetudine civitatis
vestre predicte receptam vobisque sine qualibet impeticione receptam,
vobisque sine qualibet impeticione per annum integrum et diem secun-
dum vestram antiquitatam consuetudinem continue commorantem inantea
tamquam alium et verum civitatis civem tueri, tenere, nostra sutfulti
gratia, sive defensare libere valeatis. Sehr deutlich ist das Recht
von Be'ecke1): Quicunque ipsum oppidum nostrum ingressus fuerit ad
morandum in eo et oppidanus ibidem effectus, eo ipso, sit Status
condicionis aut sexus cunctarumque , sit liber et nulli homini . . .
astrictus. Aehnliche Bestimmungen finden sich in Schüttorf 5) — si
in dicto oppido suscepti fueriut pro oppidanis — , in Brakel — were
ouch dat sie ... . nu vortmer van dieseme dage iemanne to borgere
untfengen — , in Rüden 6) — und aldar he tho eynen borgere ent-
fangen wert u. a. In Süddeutschland finden sich derartige Bestim-
mungen in München 7) — swer och in der stat burchrecht enphaehet
1) Lappenberg, Hamburgische Rechtsaltertümer Bd. I, S. 45, VII, § 7. Vgl. dazu
den Satz des Stadtrechts von 1497: mach de bewisen dat he baven teyn iare sunder-
ansprake hyr vorkeret heft , de schal syner roweliken besittinge geneten unde vurder
ansprake anieh bliven.
2) Gengier, Stadtrecht S. 319, § 8.
3) Urkundenbuch von Dortmund n. 489, S. 340. Lacomblet, ürkundenbuch III,
484. Frensdorff, Statuten S. 198, § 12.
4) Seibertz, Urkundenbuch S. 466.
5) Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 424. Knieke, a. a. 0., S. 159.
6) Genfer, Stadtrechtsaltertümer S. 420.
7) Gengier, Stadtrechte S. 293, § 14.
828 Willi Varges,
und burch recht tut, da sol niemen uf jenen furbaz — in Inns-
bruck1) — si homo alicujus, liber vel servus eandem civitatem intra-
verit et in eadera ius civile adquisierit , in Aarau 2) swer ir
burger ist ald wirt und in der stat veriarit und vertaget an sinns
herren anspräche — , in Lindau3) — quicunque extraneus servilis con-
ditionis recipitur in concivem — , in Dissenhoten — item, quemcunque
in burgensem recipiunt ...., — in Gmünd in Kärnthen 4) — ist das
eyn ausserman burger wierdt in der Stadt ... — , und Annweiler 5) — ut
si quis coüsortium civilitatis adeptus fuerit. Auch in Freiburg i. B.
galt, wie die Urkunde von 1293 zeigt, das Gesetz 6).
Sehr deutlich sind die Rechte von Murten 7) und Ingolstadt 8).
Im ersteren heißt es : Si vero aliquis pro libero se gesserit et voluerit
burgensis fieri nee aliquis contradixerit, tenentur ipsum civis reeipere
in burgensem. Im Ingolstädter Recht finden sich noch genauere An-
gaben : Swer ze Iugolstat sitzet mit geruowe und an ansprach iar und
tach, und purger recht tuot mit stiwer und mit waht
und mit andern dingen, den soll furbash niemant ansprechen.
Im Recht von Regensburg von 1230 wird ebenfalls verlangt, daß der
homo, qui cencualis dicitur, die Stadtpflichten erfüllt: jura civitatis
conservando in dandis collectis et aliis, quae a civibus statuuntur 9).
In einzelnen Städten dagegen hat sich aus der Verjährungsfrist
von Jahr und Tag der Rechtssatz entwickelt, daß ein Höriger seinen
Sitz schon Jahr und Tag innerhalb der Stadtmauern gehabt haben
muß, ehe er das Bürgerrecht erwerben kann. So bestimmt das Recht
von Lippstadt10): Septimum, quicunque infra civitatem sine contra-
dictioue vel objettione anno et die moratus fuerit, in civem reeipi
potest. Et si postea quis eum arguendo pulsaverit, de objeetis, se
potest expurgare salvo jure. Aehnlich ist eine Bestimmung des Stadt-
rechtes von Höxter11): si anno et die videlicet VI. septimanio ab
impeticione et ineusacione residentiam fecerit, illum pro cive debito
habere volumus.
Einzelne Stadtrechte bestimmen, daß ein Höriger nur mit Erlaub-
nis seines Herrn in die Bürgerschaft aufgenommen werden darf. So
sagt das Münster'sche Recht: Cives non recipiunt aliquem in con-
civem suum, qui habet dominum contradicentem 12). Das Herforder
Recht hat ähnliche Bestimmungen13). Das älteste, sehr interessante
Stadtrecht von Mühlhausen in Thüringen setzt fest: Wil aver he
1) Gengler, Stadtrechtsaltertümer S. 421.
2) Ebenda S. 423.
3) Gengler, Stadtrechte S. 253, § 4.
4) Gengler, Stadtrechtsaltertümer S. 425.
5) Ebenda S. 421. Vgl. Recht von Wiener-Neustadt ebenda S. 423.
6) Ebenda S. 424. Urkundenbuch von Freiburg I, 128, § 29: wer aber ane nah-
geschreie und gerüwerlich iar und tag ze friburg burger gesizzet, der ist denne vri.
7) Gengler, Studtrechtsaltertümer S. 422.
8) Ebenda S. 424.
9) Ebenda S. 375, § 21.
10) Gengler, Stadtrechte S. 256.
11) Ebenda, S. 202.
12) Gengler, Stadtrechte S. 304.
13) Wigand, Archiv II. 753.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 329
bürgere werde, so sal man zu burgeri nemi unde sal un vrege, ob he
iminin biste, daz he sin eigen edir sin voytman si. Sprichit he dan
neyn unde besitzet also hinue iar unde tac uugevordiritis dinges vor
den liuten, di inwendic landis sin, so sal man uu balde vier einin
vrien bürgere. Sprichit he abir ia, he si eygen edir vogtruan, so enscal
man sin nicht zu bürgere intpha, sin herre inirloybiz umi dan, an de
he geyt, daz he in biste1). Für Phullendorf wird 1220 von Friedrich II.
festgesetzt: Inhibemus omnino, ne servus alicuius, sive censualis vel
cujuscunque sit conditionis, ministerialium tantummodo nostrorum, in
civitatem ipsam in jus recipiatur, nisi de clomiui sui fuerit voluntate2).
Andere Rechte verlangen, daß der Hörige, der sich in der Stadt
niedergelassen hat, sich mit seinem Herru friedlich auseinandersetzt.
Geschieht das nicht, so muß der Hörige die Stadt verlasseu : So sagt
das alte Soester Recht von 1350 3): Kumet herin eyn eygen man efte
eygen wyf, kumet sin herschop na unde overgeyt sey des also eyn
recht is, dey sulen mit der herschop vorevenen, also dat sey ir de
wonung hyr gunuen; dugt sey des nicht, also ses weken umbe komen
sin, so ne sulen sey hyr nicht langer wonen. In Breckerfeld wird als
Termin Jar und Tag festgesetzt4). In Ulm wird 1296 bestimmt5):
Villici, Ministri, molendinatores, venientes ad civitatem et Civilia recipien-
tes, debentcomputarecum dominissuis, aquibusrecesserunt, computatione
vero non facta super bonis dominorum suorum salva persona sua et
universis rebus suis sub securo conducto exitus civititis et regressus
fideiussoria cautione securissima sibi adhibita et propria ac sola manu
illam computationem, reposita et soluta debita pecunia, debent obti-
nere. Noch andere Rechte setzen eine gewisse Prüfungszeit für den
aufzunehmenden fest. In Kleve beträgt diese Prüfungszeit acht Tage 6):
Decrevimus etiam, ut nullum nisi ad octo dies examinatum recipiant
in concivium. Man wollte in dieser Zeit den Einwanderer in Bezug
auf seinen Stand prüfen. Später dehnte sich die Prüfung auch auf
das Vorleben des Einwanderers aus. Die Einwanderer müssen, wie
es in einem Statut von Coesfeld 7) heißt, den Beweis ihrer frommicheit
und vreyheit beibringen. Interessant ist eine spätere Soester Verord-
nung von 1630, nach welcher der Einwandernde unter anderem auch
nachweisen muß, daß er nicht wegen Zauberei seinen früheren Wohn-
sitz verlassen habe 8).
Nach Einbürgerung des Urkundenbeweises9) verlangen einzelne
1) Urkundenbuch von Mühlhausen S. 631. Vgl. auch den Anfang des betr. Kapitels.
2) Gengier, Stadtrechte S. 355, § 3.
3) Seibertz, Urkundenbuch 719 § 150, 151.
4) Knieke a. a. O. S. 106.
5) Gengier, Stadtrechte S. 503. § 15. Vgl. § 12. v. Below, Ursprung S. 100 A.
6) Lacomblet, Urkundenbuch II 265. Im Mühlhauser Recht. — Urkundenbuch von
Mühlhausen S. 631 heifst es: swilich man verit here zu Miolhusin in dis richis stat unde
sich hi niderleizit, alzo daz he sich hie denkit zu bigene unde bürgere zu werdini, die
mac sich hi woli versuchi ein nuwe unde ein wedil, daz sin vir wochin. Hiernach hat der
Einwanderer das Recht, sich in der Stadt erst 4 Wochen umzusehen, ob er bleiben will,
7) Niesert, Münster'sche Urkundensammlung III 156.
8) Knieke, a. a. O. , S. 142. Vgl. die ähnliche Verordnung von Borgholz von
1651 Westfäl. Ztschr. 45, 92.
9) Schroeder, Rechtsgeschichte S. 655 ff.
830 Willi Varges,
Städte wie Koesfeld x), Boosfeld 2), von dem einwandernden Hörigen
ein urkundliches Zeugnis, daß der Hörige aus seinem früheren Ver-
hältnis entlassen sei. Man nannte eine solche Urkunde einen alscheyds
breyf3). — In Magdeburg4) verlangt man, seit dem Jahrhundert
von dem Einwanderer, der aus einer anderen Stadt stammt, und ins
Bürgerrecht und in eine Innung aufgenommen werden will , einen
Echtebrief, d. h. einen Nachweis seiner echten Geburt. Die Briefe
sind vom Rate der Heimatsstadt des Einwanderers ausgestellt. So heißt
es in einem vom Rate der Stadt Braunschweig ausgestellten Echtebrief
von 1383 6) : We de rad der stad to Brunswik bekennen openbare in
dessen breve voralle den, de one seen eder hören lesen, nemeliken vor den
erliken wysen luden den schepen unde dem rade to Meideborch unde
vor den mesteren unde den ghildebroderen gemeynliken van dem
ammechte der taschenmekere unde der ghordelere dasulves, dat Heine
van Wenden, eyn beweyser dusses breves van erliken, bedderven luden,
Henninghe van Wenden sinem vadere unde Ermgherde dessulven
Henninghes rechten husvruwen siner moder, de use borgher unde bor-
ghersche wesen, vry, recht und echt geboren is. — In einem späteren
Briefe findet sich der Zusatz: unde dat he nicht en sy linewevers
noch schapers offte molners sone 6 ). Später wird diesen Briefen auch
ein Leumundszeugnis beigefügt7): Ok hefft dusse sulve Hinrik syne
handelinge myt uns also geholden, dat we van eynem bederven knechte
to rechte weten mack. In einem von Zerbst ausgestellten Briefe
findet sich ein anderer Wortlaut8): Wy radmanne tu Cerwest be-
kennen in diezem unseu open briffe vor alle den, dy on sien, hören
adir lesen, dat Claus Lepto, disze geinwerdige brieffwiser, unde
medeborger, eyn rechte eekind is unde eliken geborn von vader unde
von müder, unde he sin geruchte bewaret het abze eyn unvorsproken
bedderve man unde gulde unde enninghe mit uns beseten hat.
Der Herr9), naturalis dominus10), muß die Anrechte an seinem
Hörigen auf gerichtlichem Wege und zwar vor dem Stadtgericht11)
nach Stadtrechte12) geltend machen. Er muß dem Unfreien, der sich in
der Stadt niedergelassen hat, nachfolgen, nachjagen, ihn reklamieren,
vindicieren J 3). Es handelt sich um Vindikationsklagen, anevang 14). Mit
1) Wigand, Archiv III, 7.
2) Niesert, Müiistersehe Urkundensammlung III, 156.
3) Knieae, a. a. O., S. 41.
4) Urkundenbuch von Magdeburg S. 548 (unter Echtbrief).
5) Ebenda S. 373, n. 574.
6) Ebenda S 641, n, 773.
7) Ebenda S. 461, n. 773.
8) Ebenda S. 459, n. 767.
9) Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 409. Knieke, a. a. O., S. 111. v. Maurer,
Fronhöfe III, 8. 1 ff.
10) Privileg von Speier, Gengier, Stadtrechte S. 449.
11) Stadtrecht von Herford. Westfäl Urkundenbuch, IV, 1642. Urkundenbuch von
Mühlhausen, S. 631. Gengler, Stadtrechte, S. 10 1, § 2 (Recht von Eisenach.)
12) Urkundenbuch von Goslar I, n. 401, § 3, S. 402.
13) v Maurer, Fronhöfe, III, S. 127. Eichhorn, Rechtsgeschichte, § 339. Kampta,
Provinzial- und Statutenrechte, III, 27. von Below , Landständ. Verfassung etc., I, 62.
Stadtgemeinde, S 24.
14) Recht von Soest. Seibertz, Urkundenbuch, 719, § 151.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 831
Hilfe von Eideshelfern muß der Herr den Beweis führen, daß der be-
treffende Hörige sein Eigenmann sei. Letzterem steht dagegen der Gegen-
beweis zu, daß er von Geburt nicht hörig sei *), oder daß sein Abzug unter
Erfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen vor sich gegangen sei, oder
daß die Frist von Jahr und Tag verstrichen sei. Der Sachsenspiegel
behandelt diese Rechtsverhältnisse ganz allgemein2). Swelik inkomen
man sik vri seget, den sal men vor vi i holden, man ne möge ine mit
getüge verlecgen. Swe sik vri seget unde ander seget dat ne sin egen
si, so dat he sik ime gegeuen hebbe, des mut jene wol unscüldich
werden, it ne si Vorgerichte geschehin. Spriet he aver, dat he sin
ingeboren egen si, he mut ine behalden oppen hillgen mit twen sinen
egenen mannen. Spriet ine en anderer herre an, jegen den mut he
ine behalden selve sevende siner mage oder warhafter lüde. Mach
aver jene selve sevede sin vri behalden die sine mage sin, dre von
vader unde dre von müder, he behald sin vri unde verleget ir aller tüch.
Das älteste Verfahren in den Städten ist, daß der Herr das Zeugnis
der Hufgenossen, der familia, consanguinei, benutzt, um den entlaufenen
Hörigen zu überführen, ihn zu bebosmeu3). Die Zahl der Eideshelfer
ist verschieden. Es treten deren meist sechs, zuweilen auch vier oder
zwei auf. So bestimmt das Freiburger Recht4): Si autem serwus domi-
num negaverit, dominus probabit cum Septem proximioribus coynatis,
esse servum suum, coram domino duce et habeat eum. Das Privileg
von Bern vom Jahre 1218 5) bestimmt: Si autem fuerit servus alicujus
et dominum negaverit, tenetur eum dominus iufra annum et Septem
propmquis consanguineis eius convincere servum suum esse. In einem
späteren Berner Statut werden vier Eideshelfer erwähnt6). In Münsterer
Statut von 1370 werden zwei Eideshelfer genannt: — de ish siner
fryheit neiger tho verstaene und tho beholdene mit twen bederven
mannen, dan em syne fryheit jennich manen afdedingen möge7). In
Bochum treten ebenfalls zwei Eideshelfer auf8).
Naturgemäß suchen die Städte den Hörigen, der sich in ihren
Mauern niedergelassen hat, zu schützen; das Münsterer Recht sagt:
Si quid postea ei, d. i. dem eingewanderten Hörigen, quid gravaminis
subrepserit, in hoc ei tenetur assistere consilio et auxilio 9). So machen
sich bald im Prozeß„'ange Vorteile für den angeklagten Bürger geltend.
In einer Anzahl Städten wird das geboisme, gebusme, d. h. der Be-
weis vermittelst Höriger, die zu derselben Hofgenossenschaft gehörigen,
verboten10). So sagen die Dortmunder Statuten: Ok so is hir ene vrye
staed, hiir en mach nymant den andere bebosmen11). Der Herr ist
1) Urkundenbuch von Lübeck, I, n. 7, S. 11.
2) Sachsenspiegel, Landrecht (ad Homeyer), III, art. 32, § 1 ff., S. 204.
3) Vgl. A. 11.
4) Gengier, Stadtrechte, S. 126, § 13.
5) Gen^ler, Stadtrechtsaltertümer, S. 415.
6) Ebenda, S. 410.
7) Niesert, Beiträge zu einem Münsterschen Urkundenbuche, 1823, III, S. 126.
8) Darpe, Bochumer Urkundenbuch, 2, 1889, S. 7.
9) Gengier, Stadtrechte, S. 305, § 6
10) Sachsenspiegel, a. a. O., §. 3.
11) geboisme, geboseme, gebuseme bedeutet leibliche Verwandtschaft, Zugehörigkeit zu
832 Willi Varges,
auf seinen eigenen, alleinigen Eid angewiesen. Es steht der Eid des
Herrn dem Eid des angesprochenen Hörigen gegenüber. Sehr früh
macht sich nun die Anschauung geltend, daß im Stadtgericht der Eid
des angesprochenen Bürgers höher steht, als der Eid des Klägers 1).
Der Bürger kann daher durch seinen eigenen Eid, der gewissermaßen
als Unschulds- oder Reinigungseid aufzufassen ist, seine Freiheit be-
weisen. Er kann das Zeugnis des Gegners „verlegen", „verlecgen" 2),
denn nach dem Stadtrecht von Lübeck vom Jahre 1188 3) ist der civis
de sua libertate pulsatus vicinior ad obtinendam suam libertatem, sola
manu quam extraneus ad eum convincendum 4). Das Sradtrecht von
Hamm von 1193 5) hat eine ähnliche Bestimmung: contradicendo se
sola manu a proprietate expurget et nequaquam per consanguineos
sustinetur convinci. Nach dem Privileg von Bodenwerder genügt eben-
falls der Eid des Angeklagten zur Reinigung, — liber erit prestito
juramento 6).
In einzelnen Städten ist zwar die Beweisführung des Herrn durch
Leibeigene, verboten; der Angeklagte kann sich aber nicht durch den
eigenen Eid von der Ansprache befreien, sondern er bedarf der Eides-
helfer. So bestimmt das Frankfurter Recht von 1297 7) Preterea
duximus, quod si aliquis aput nos efficitur noster concivis, et aliquis
impingit ei dominus, quod ipse sit eidem ligatus et astrictus, et coget
eum violenter, quod se obliget ei par carceres vel per alia quecunque
tormenta, ita quod fidei iussores statuat, ne recedat ab eo: si ille
horao potest probare et docere per tales personas, que vulgariter dicitur
gebuseme, sicut est consuetudinis civitatis nostre, nos illum civem
juvare tenemur propulsare injuriam sibi irrogatam vel factam pro posse
nostro. Am bezeichnendsten ist die Stelle des Sächsischen Weich-
bildsrechtes, die große Aehnlichkeit mit der oben angeführten Stelle
des Sachsenspiegels hat8). Welk man binnen wikbelde gesezzen hat
ane ansprake iar und tac, der mac siner vri bas behalden silbe sibende
siner nehesten mage, wer di sin, dri von vater unde dri von muter,
dan in ieman zu eigene behalden muse. In Mühlhausen in Thüringen
müssen die Zeugen des Angesprochenen die nächsten mütterlichen Ver-
wandten sein. Di gezuge sulin abir dis mannis nesti nagilmage si
von der muter unde nicht von demi vatir 9). — Zuweilen treten als
einer Hofgenossenschaft. Es gehört zu busem Verwandtschaft, Sippe, Sippschaft; Zuge-
hörigkeit zu einer Familie, Hofgenossenschaft, bebosmen heifst die Verwandtschaft nach-
weisen ; beweisen, dafs jemand zu einer Familie, Hofgenossenschaft, gehört. Vgl. Lübben,
Mittelniederdeutsches Handwörterbuch, S. 29, S. 71, S. 111. Vgl. Gengier, Stadtrechte,
S. 117, § 29. Lappenberg, Hamburgische Rechtsaltertümer, S. 45, c. 17.
1) Frensdorff, Statuten, S. 120, n. 48, n. 161. Knieke, a. a. O., S. 94.
2) Sachsenspiegel, a. a. O., S. 204 § 5.
3) Urkundenbuch von Lübeck, I, n. 7, S. 11. Vgl. auch Richtstieg, Landrecht,
XXIV, 2, S. 175 H. Gengier, Stadtrechtsaltertümer.
4) Vgl. den Satz desselben Privilegs: Item si aliquis de ipsa civitate alicubi pul-
satus fnerit de sua libertate, ubicunque pulsetur, ibi sola manu libertatem suam obtineat.
5) Gengier, Stadtrechte, S. 184, § 8.
6) Ebenda, S. 29, § 19.
7) Gengier, Stadtrechte, S. 117, § 29.
8) Laband, Magdeburger Rechtsquellen.
9) Urkundenbuch von Mühlhausen, VI, S. 632.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 833
Eideshelfer die Ratsherren auf, so in Hamburg. Im Recht von 1270
heißt es1): Mach de, den nie auspickt tagen mit twen ratmannen,
dat he hyr bynnen iar unde dach hevet borgher wesen unde wonaftich
sunder bysprake, he ne schal von siner anspräche neue not liden.
Um unberechtigte Anforderungen zu verhindern oder doch zu er-
schweren, bediente man sich verschiedener Mittel. Man verlangte viel-
fach vor Eröffnung des Gerichtsverfahrens von dem Klager eine Kaution,
welche verfiel, wenn die Ansprache sich als unrechtmäßig erwies.
So bestimmt das Goslarer Stadtrecbt von 1219 2): Quicunque super alium
testimonium voluerit proferre, dabit quinque solidos advocato civitatis
pro rehquiis et pro causidico, ut in eum, super quem probare vult,
seeundum jus civile valeat profiteri. Das Münsterer Recht von 1221
sagt ahnlich 3): Si quis extraneus voluerit civem in servitutem redigere,
primo certificabit judicem de marea, quam dabit, si defecerit in pro-
batione. Das Herforder Recht sagt4): Si quis aliquem prenominate
civitatis civem repetendum duxerit tanquam proprium suum , coram
nullo jus suum poterit prosequi et consequi, nisi coram advocato a nobis
constituto et sub banno, quis vulgariter bannus regis appcllatur, sed
ante litis ingressum actor prestabit cautionem sufficientem , quod si
deficiat in causa, non Valens suam probare intentionem, advocato solvet
sexaginta solidos, scabinis decem , civi quem impetiit viginti; et tunc
demum poterit bominem couvenire. Es kommt ferner vor, daß man
den Kläger, der eine unrechtmäßige Anfrage stellte, mit einer Strafe
belegte. Das alte Soester Recht setzt diese Strafe folgendermaßen
fest5): dey sal deme lichtere wedden vyf mark ande deme menschen
dar up geklaget is eyne mark, na deme rechte als eyn unrecht anevank
is gescheyn. Das Recht von Hannover6), das um 1300 entstanden ist,
geht in den Stratsätzen sehr weit: Sed si quis post hec aliquis sive
sit dominus terre sive miles ipsum requisierit et inpetierit et ei fiet,
quod in vulgo dicitur borst, dabit domino nostro duci pro injusta
requisicione in civitate facta decein marcas auri, burgensi libero et ad-
vocato LX. solidos et illi, cui honorem lesit XII. solidos, duodeeim con-
sulibus civitatis XII. talenta, duobus magistris civium IV. talenta, cuilibet
burgensi V. solidos. Istud est jus antiquum civitatis Hanovere.
In einzelnen Städten , wie in Mühlhausen in Thüringen , sichert
man den ohne Erfolg angesprochenen Hörigen gegen weitere An-
sprache: Wil he dan antwerte demi herrin, des heit he kure. Inwil
he iz abir nicht tu, so sal man un laze inweevare umbikumirtes dinges,
alse he is herikumin. kumit he avir wur din richtere unde wil des
antwerte, des min uffi un sprichit, so sal man ume eine rechte weri
1) Lappenberg, Rechtsaltertümer, S. 45, c. 17.
2) Urkundenbuch von Goslar, I, S. 409, n. 401, § 3.
3) Genfer, Stadtrechte, S. 306, § 34. Vgl. Statut von 1370. Welk man de enen
unser borger, de iar und dach in unser borgeschop gesedden hadde, anspreke vor einen
egen man, de sali verwedden eine mark geldes, ehr he de ansprake dol. Niesert, a.a. O.,
III, S. 126.
4) Westf. Urkundenbuch, IV, 1642
5) Seibertz, Urkundenbuch, S. 719, § 151.
6) Doebner, Städtprivilegien Ottos des Kindes, S. 33. borst = Bruch, Mangel.
Dritte Folge Bd. VIII (LXIII). 53
834 Willi Varges,
tun mit enin man, di alse guit habi unde alse richi si x), alse di man
uifi di min spricht. Inkeit dan di man demi herrin, so muz di man
immirme des mannes weri si, swes min uf un zu sprechine heit ummi
di sache, da he ummi bitedinget is, von des herrin wegin, di sprichit,
daz he umi zuhori.
Hat der Grundherr das Anrecht, das er an den Hörigen hat, zur
rechten Zeit geltend gemacht und ein obsiegendes Urteil erlangt, so
wird der Hörige, auch wenn er bereits das Bürgerrecht gewonnen hat,
nach den meisten Stadtrechten demselben ausgeliefert. Ich führe das
ausführliche Münstersche Recht an2): Cives non recipiunt aliquem in
concivium suum, qui habet dominum contradicentem. Si recipitur,
vadiabit quatuor solidos, et unum denarium dabit in continente. Vadium
in hunc modum relaxatur, si dederit eodem die duos solidos ante occa-
sum solis. Si non dederit, dabit quatuor solidos plenarie. Si aliquo
fuerat obligatus gravamine, antequam reciperetur, de hoc non tenetur
eum eximere civitas. Sed si postea ei gravainiuis subrepserit, in hoc
ei tenetur assistere consilio et auxitio. Si vero infra annum et sex
septimanas dominus suus superveniens eum de Servitute iuste convi-
cerit, sine restitutione denariorum, quos dederat, a concivio alienari
debet. Im Recht von Breisach heißt es: Domino reddetur3). Aehn-
liche Bestimmungen finden sich in Bern, wo es heißt: so sullent die
von Berne den man vürbaz nit schirmen weder sin lip noch sin gutr
unn soll auch von ir bürgerrecht sin4); in Soest, Kolmar, Innsbruck
u. a. m.5). Das Privileg für Gerresheim bestimmt ausdrücklich, daß
man den Hörigen mit all seinem Gut ausliefere 6). Nach dem Recht von
Hameln soll der Hörige in das Gericht ausgewiesen werden, in dem
er geboren ist7).
Einzelne Städte versagten zwar dem überführten Hörigen den
Aufenthalt in der Stadt, aber sie lieferten denselbelben dem Herrn
nicht aus. Der Hörige konnte ebenso frei die Stadt verlassen, wie er
gekommen war. So heißt es im Eisenacher Stadtrecht von 1283 8):
Secundus modus libertatis est, quicunque praedictam nostram civitatem
per annum unum et diem inhabitaverit, non requisitus ab aliquo, cujus
cunque conditionis sit, noster über civis semper habetur. Si autem
infra finitionem illius anni ab aliquo impulsus fuerit, et in forma judicii
coram nostro praefecto et scabinis victus iuerit, secundum, quod dictaverit
ordo juris, tarnen actori nequaquam est praesentandus; sed omnes portae
civitatis aperientur, iu pace recedat, quocunque velit. In Mühlhauser
Recht findet sich der interessante Satz, daß der hörige Mann, bevor
der Vindikationsprozeß beginnt , die Stadt verlassen kann. Wil he
1) Urkundenbuch von Mühlhausen, S. 632.
2) Gengier, Stadtrechte, S. 304, § 1—7.
3) Ebenda, S. 14, § 20.
4) Gengier, Stadtreelitsaltertümer S. 410.
5) v. Maurer, Siädteverfassung, I, S. 380, A. 12 — 14.
6) Ztschr. des Bergischen Geschicht.svereins, 6, S. 83. v. Below, Stadtverfassung,
S. 103, A. 5. Vgl. Urkundenbuch von Hameln, n. 672, S. 472.
7) Urkundenbuch von Hameln, n. 672, S. 476.
8) Gengier, Stadtrechte, S. 103, § 2.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 335
dan antwerde dem herrn, dat heit he kure. Inwil he daz aver nicht,
so sal man un laze in wecvare unbiknnrirtis dinges alse he is heri-
kumin x). Auch in Mülheim gilt dieselbe Bestimmung. In Soest muß
der überführte Hörige binnen sechs Wochen die Stadt verlassen 2).
Das Bürgergeld, das der Hörige eventuell bei seiner Aufnahme
in die Bürgerschaft gezahlt hat, fällt der Stadt anheim, wie das eben
angeführte Recht in Münster3), sowie das Recht von Soest zeigt4).
In Bremen 5) mußte jeder, der das Bürgerrecht erwarb , einen Bürgen
dafür stellen, daß er frei sei. Wurde er mit Erfolg angesprochen, so
verfiel der Bürge in eine Strafe von drei Mark. So we ok sine bur-
scap wint de scal sotten enen borghen, de en borgher si to eme iare dhat
he en vri man si. Wurde he ok wunnen mit rechte uther stad binnen
iare und binnen daghe, sin borghe scal gheven dher stad rire marc.
Aehnliche Bestimmungen finden sich in Lübeck und Hamburg 6). Eiue
Strafe setzt das Braunschweiger Stadtrecht7) für denjenigen fest, der
bei seiner Aufnahme als Bürger verschwiegen hat, daß er hörig sei :
We na desser tyd — c. 1349 — use borghere wert, unde sprikt vor deme
rade, wanne he de burscap wint, he si vry, noch he en besta nemande,
wert he des darna bedraghen, dat he iemendes lat eder eghen is, de
rad wel eme volghen mit ener vestinghe.
Hörige, die freiwillig zu ihrem Herren zurückkehren wollen, dürfen
in der Stadt nicht festgehalten werden. Die Bestimmung des statu-
tum in favorem principum8): Homines proprii, advocaticii, feodales,
qui ad dominos suos transire voluerint, ad manendum per officiales
nostros non artentur, zeigt aber, daß man es mit dieser Bestimmung
nicht so genau nahm.
Bewirkt der Grundherr nicht die Auslieferung seines Hörigen , so
bleibt derselbe als freier Mann in der Stadt sitzen. Der Bürger ist that-
sächlich frei, er leistet dem Herrn keine Abgaben 9). Einzelne Stadt-
rechte bestimmen, daß das Recht des Herrn nickt verjährt, wenn er
nicht im Lande ist, also sein Recht nicht wahrnehmen kann. Andere
Stadtrechte erklären ausdrücklich, wie oben angeführt ist, daß der
Herr den Aufenthalt seines Hörigen kennen muß * °).
1) Urkundenbuch von Mühlhausen, S. 631.
2) Seibertz, Urkundenbuch, 719, § 151.
3) Gengler, Stadtrechte, S. 304, § 7.
4) Seibertz, Urkundenbuch, 719, § 151, an de sal sin geld verloren heben, dat hey
umme burschap geven hevet.
5) Oelrkhs, Stadtrechte, S. 55. Frensdorff, Gerichtsverfassung, S. 193.
6) Frensdorff, Stadt- und Gerichtsverfassung Lübecks, S. 193, A. 18. Mantels,
Lübeckische Bürgematrikeln, S. 12. In Lübeck wird die Bürgschaft auf 5 Jahre über-
nommen. Urkundenbuch von Lübeck, II, n. 31.
7) Urkundenbuch von Braunschweig, Bd. I, n. 39, § 30, S. 46.
8) L. L, II, S. 291, § 23.
9) Stadtrecht von Eger , § 16. Gengler, Stadtrechte, S. 99. Item quieunque
civitatem mansurus ingreditur , per (posi) spatium unius anni non erit dominorum
servitiis obligatus. Urkundenbuch von Mühihausen, S. 631. Sprichit he dann neyn unde
besitzit also hinne iar unde tac ungevordiritis dinges von den luiten, di inwendic laudes
sin, so sal man un halde vor eynin vrien bürgere.
10) Vgl. oben S. 826. Vgl. auch Stadtrecht von Diessenhofen, § 17. a domino suo
intra provinciam existente. Breisach, § 20.
53*
836 Willi Varges,
In einzelnen Städten und Stadtrechten macht sich nun früh ein
vermittelnder Standpunkt in Betreff des Auslieferungsverfahrens gelt» nd.
Der Grundherr, zuweilen auch die Stadt, läßt den im Vindikations-
prozeß überführten Hörigen in der Stadt und im Genuß bürger-
licher Freiheit, wenn dieser sich verpflichtet, die Dienste, Pflichten
und Abgaben , die ihm in seinem hofrechtlichen Verhältnis auferlegt
waren, auch weiter zu erfüllen x). In der Regel trat aber eine Milde-
rung der Leistungen ein. Es wurden auf diese Weise die Interessen
des Grundherren, der nicht auf seine Einnahmen verzichten konnte,
und die der Städte, die die Einwanderung der Hörigen, welche an-
fangs einen großen Teil der Stadtbewohner ausmachten, nicht entbehren
konnten, gewahrt, beziehungsweise ein Ausgleich zwischen beiden ge-
schaffen. Der Hörige bleibt freier Bürger, muß aber seinem
früheren Herrn gewisse servitia, d. h. Zeichen seiner früheren Un-
freiheit, seiner servilis conditio, leisten. Dieser Rechtszustand wird
wie es scheint zuerst 1100 in den bekannten Radolfszeller Ur-
kunden erwähnt. Auf ihn beziehen sich die Privilegien Heinrichs V.
für Worms2) und Speier3) von 1111 und 1114. Die in Speier und
Worms wohnenden Hörigen, so wie die einwandernden Unfreien,
werden von der Zahlung des Heiratsgeldes, buteil, und des Sterbefalls
an auswärtige Herren befreit4). Es wohnen also damals schon Hörige
mit Erlaubnis ihrer Herren und gegen Zahlung einiger hofrechtlichen
Abgaben in den Städten. Daß es sich um Einwanderer handelt, zeigen
die Urkunden deutlich5). — In dem dem 12. Jahrhundert angehörigen
Recht von Freiburg in B. heißt es6): Dominus autem serwum vel
relinquet in urbe, vel deducet, si voluerit. Nach Gotheins Erklärung 7)
bedeutet die nicht klare Stelle, daß der Herr seinen Mann aus der
Stadt zurückholen oder daselbst lassen, aber ihn weiter als seinen
Leibeigenen ansehen dürfe. Gothein geht hier zu weit, von einer
Leibeigenschaft ist keine Rede. Die Stelle bedeutet nichts weiter, als
daß der Herr von seinem überführten , in der Stadt ansässigen, ehe-
maligen Manne auch in Zukunft die Erfüllung der servitia verlangen
kann. Eine genauere Bestimmung findet sich in dem Hagenauer
Privileg von 1164. Nach demselben muß der Unfreie dem Herrn
„domino, cui pertinet, respondere de persona propria 8)". Das Sins-
heimer Recht von 1192 sagt9): si quis autem hominem censuarium in
1) Gengier, Stadtrechte S. 144. v. Below vergleicht dieses Verhältnis mit dem
russischen Institut des Obroks.
2) Gengier, Stadtrechte S. 560.
3) Ebenda, S. 449.
4) Vgl. unten S. 839.
5) omnes qui in civitate Spirense modo habitant vel deinceps habitare voluerint,
undecunque venerint et cujuscunque conditionis fuerint. Gengier, a. a. O., S. 449.
Quicunque aut undecunque sit vir .... aliunde venerit. Gengier, a. a, 0., S. 449.
Vgl. v. Below, Ursprung, S 119.
6) Gengier, Stadtrecht S. 126, § 13,
7) Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes S. 149. v. Below, Ursprung
S. 100
8) Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 408, § 1.
9) Ebenda S. 425.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 837
hoc ipso loco manentem septima manu convicerit, censum, quem
antecessores sui domiuis suis persolvere consueverunt, donet et liber
permaneat. Nach dem Hammer Recht von 11931) bezahlt der hörig
gewesene Bürger eine Abgabe, die als debita pensio bezeichnet wird.
Das Privileg von Münstereifel vom Jahre 1197 bestimmt2): Muncipia
que in prephata villa anni spacium compleverunt, ad extera placita
nee veniant nee citentur; domino suo annuatim et in morte sua de-
bitam persolvant justitiam. Das Recht von Regensburg von 1230 3)
sagt: item si homo qui censualis dicitur continuam fecerit in civitate
residentiam jura civitatis conservando in dandis collectis et aliis, quae a
civibus staiuuutur, nulla postmodum exhibebit domino servitia per coac-
tionem, sed tantummodo persolvat censum, salvum tarnen in his esse
volumus jus ecclesiarum. Nach dem Privileg für Kirchberg4) auf dem
Hunsrücken vom Jahre 1249 5) darf Niemand angesprochen werden, außer
den Unfreien; hominibus propriis exceptis, qui dominis suis servicium
debitum exhibebuut. Eür Überwesel wird 1274 bestimmt6): quod
nullus coneivium habens extra civitatem dominum sive dominos, cui
seu quibus incensu aunuo teneatur, ab ipis domiuis ad aliud quod-
eunque servicium, qua mad censum debitum persolvendum compelli de
cetero debeat aut aretari.
Allmählich findet eine Weiterbildung statt: In einzelnen Stadt-
rechten findet sich die Anschauung, daß der Hörige, der ohne die
Erlaubnis seines Herrn sich in einer Stadt niedergelassen hat, von
seinem Herrn nicht ausgefordert werden darf, wenn er
verspricht, seine schuldigen Dienste zu leisten. So bestimmt das
Recht von Lechnich7): Item quieunque homo eujuseunque condi-
tionis intraverit opidum Lechenich ad manendum et moram fecerit
ibidem continue per annum permanendo nos non permittemus eum
deineeps impugnari, dummodo paratus sit domino suo debitum cen-
sum persolvere vel jus illud, quod hoeftrecht dicitur. Im Jahre
1291 bestimmt König Wenceslaus von Böhmen, daß kein Grundherr
einen Hörigen zurückhalten dürfe. Der Hörige, der sich in der
Stadt niederläßt, muß dem Herrn seine Pflicht erfüllen, wenn eine
Verpflichtung zu derselben vor dem Stadtgerichte nachgewiesen wird,
ut nullus nobilium et terrigenarum nostrorum quemlibet hominem de
bonis suis ad dietam civitatem Olmucensem nostram transire volen-
tem injuriose retinere aut in alique penitus molestare presumat sed
ipsum libere dimittat; et si eidem nobili aut terrigene contra homi-
nem ipsum aliquo competit accio, coram iudice, iuratis, et universitate
1) Gengier, Stadtrechte S. 184, § 8.
2) Gengier, Stadtrechtsaltertümer S 426. Vgl. Privileg für Werden a. Ruhr,
Lacomblet a. a. 0. II, S. 122. Item si homines servilis condiitonis se reeeperint infra
civitatem ad consueta servitia, si requisiti fuerint, suis dominis teneantur.
3) Gengier, Stadtrechte S 375, § 22.
4) Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 426.
5) Ebenda, S. 408 u. A. 8
6) Gengier, Stadtrechte S. 242.
7j Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 431.
338 Willi V arges,
civium dicte civitatis Olmucensis prosequatur eandem, qui sibi exhibere
plene iusticiam tenebuntur.
Dieser Rechtssatz hat, wie es scheint keine allgemeinere Geltung
gehabt. 1350 bestimmt die alte Soester Schrae1): Kumet herin eyn
eygen man efte eyn eygen wpf, kumet sin herschop na unde overgeyt
sey des also eyn recht is, dey sulen mit der herschop vorevenen, also
dat sey en der woninge hyr gunnen; duyt sey des nicht, also ses
weken umbe komen sin, so ne sulen sey hyr nicht langer wonen.
Hedde ouck eyn eygen mensche de burscap hir gewunnen, wurde eme
de van der herschap binnen jar ande dak besproken ande vorwunnen,
also eyn recht is, dey sal sich mit der herschap vorevenen, also dat
sey eme dey woninge hir gunne; dugt hey des nicht, de sal na ses
weken hir nicht langer bliven ande sal sin geld verloren hebben dat
hey umme burscap geven hevet 2).
Die Dienste, Pflichten und Abgaben, die die Herren von ihren
Hörigen verlangen, sind sehr verschieden. Nur in seltenen Fällen muß
der hörig gewesene Bürger dieselben Dienste leisten, die seine frühren
Hofgenossen zu erfüllen haben. Die Gründungsurkunde für Gehrden in
Westfalen von 1312 bestimmt 3), daß die Einwanderer cujuscunque condi-
tionis fuerint, videlicet servilis conditionis, que proprie vulschult dicitur,
vel conditionis cerocensualis, vel si prebendarii vel prebendarie fuerint,
in keine neue, bessere oder schlechtere Lage versetzt werden sollen.
Die Gründungsurkunde für Schwaney 4) bestmmt: Voren Hörige in dit
slot so mochte elich sinen luden unde sinen rechte volgen in ervetael,
in denste und in allem rechte, unde de lüde eumochten ouch
in desen slote eren heren nicht verjaren. Auch betreffs der Ein-
wanderer von Lünen wird bestimmt5): Se solen se behalden in al deme
rechte, alse se ere waren 6). Aus dem Jahre 1287 7) liegt uns ein
Revers vor, den ein Höriger, der in Frankfurt Bürger werden will,
ausstellt. Er verpflichtet sich in demselben, quod . . . non volt nee in-
tendit, se et sua a memorata ecclesia alienare, sed se spontaneo
coram nobis obligavit, quod perpetuo maneat in servitio debito ecclesie
antedicte, et quod melius Caput, quod vulgariter besthaupt nuneupatur
et censum de capite suo debitum et omnia alia jura et servitia de
jure vel de consuetudine competentia temporibus debitis et consuetis
faciet, et ministrabit, tanquam suis dominis, decans et capitulis supra-
dictis. Man vergleiche auch das Privileg für Lechnich.
1) Seibertz, Westfälisches Urkundeubuch 719, § 151.
2) Vgl. die Rechte von Lünen von 1340. Lacomblet, a. a. O. III, 353, von
Horde von 1340. Gengier, Stadtrechte die Gründungsurkunde für Schwaney. Ilgen,
Uebersicht über die Städte des Bistums Paderborn. 1892, S. 107.
3) Gengier, Stadtrechte S. 144. Knieke, S. 100.
4) Ilgen, a. a. O. S. 107. Knieke, a. a. O. S. 103.
5) von Steinen, Westfäl. Geschichte IV, 234 ff. Lacomblet, a. a. O. III, 353.
Knieke, a. a. O. S. 102 u. 99.
6) Vgl. Privileg für Horstmar von 1303: quod nostri et successorum nostrorutn
homines litones sive condicionis servilis in ipso opidulo in vita vel in morte sua ampliora
iura non gaudebunt, quam si rure exterius morarentur.
7) Knieke, a. a. O. S. 99.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 839
In der Regel findet eine Herabsetzung und Milderung der Lasten statt.
"Vor allem macht sich in den Städten eine Aenderung in Bezug auf den
Sterbefall geltend1). Ursprünglich gebührt den Herreu der ganze
Nachlaß der Hörigen; meist werden aber die Sterbefallgebühreo ver-
mindert oder kommen ganz in Wegfall. So bestimmt das Recht von
Lindau'2): Insuper si proprius alicujus domini convictus ad Servituten!
in saepe dictorum civium moretur civitate, domino tertia pars rerum
mobilium cedet, ita si ibi carnales heredes esse videntur; si non, tunc
domino medietas mobilium assignatur. Für Radolfszell wird 1267 be-
stimmt : Declaratum est et innovatum, quod domini extranei servis-
suis infra memoratum oppidum residentibus non debeant ullo casu suc-
cedere amplius quam in tertia parte mobilium bonorum; sie euim
loco ipso at antiquo exstitit observatum 3). In Frauenfeld4) muß
nach dem Tode eines früher hörig gewesenen Bürgers das Besthaupt 5)
gezahlt werden : quod ipso cive defuneto animal optimum, quod idem
civis habet tunc in pecoribus et jumentis, eidem domino pro mor-
tuario assignetur 6). In anderen Städten, z.B. in Hamm7), Reckling-
hausen8), Horstmar 9), Dülmen10) wird nur Heergewäte und Gerade
dem Herrn ausgeliefert. Es zeigt sich hier ein Gegensatz zu dem
sonst in den Städten geltenden Bestimmungen, nach denen das Heer-
gewäte nicht aus der Stadt gegeben werden darf11). Man darf diese
hofrechtliche Abgabe aber nicht mit dem landesherrlichen Heimfall-
recht erbloser Heergewäte und Gerade verwechseln 1 2).
Oft wurde der Sterbefall ganz aufgehoben13). Die ersten diesbe-
züglichen Urkunden sind die bekannten Privilegien für Worms und
Speier Heinrichs V. 14). Als Grund für dieses Verfahren wird im Speirer
Privileg die Verarmung der Stadt angegeben15). Omnes, qui in civi-
tate Spirensi modo habitant vel deineeps habitare volueriut, unde-
eunque venerint vel euiuseunque conditionis fuerint, a lege nequissema
et nefanda, videlicet a parte illa, quae vulgo buteil vocabatur, per
quam tota civitas ob nimiam paupertatem annihilabatur, ipsos suosque
heredes excussimus. Ne vero aliqua persona vel major vel minor, non
1) Schröder, Rechtsgeschichte S. 438. Heusler, Institutionen I, S. 134 ff.
2) Gengier, Stadtrechte S. 254.
3) Ztschr. f. Gesch. d. Oberrheins, N. F. ir, S. 146.
4) Gengier, Stadtrechte S. 122.
5) Ueber das Besthaupt vgl. Schröder S. 439, Heusler, S. 139 u. 141.
6) Schröder, Recbtsgeschichte S. 441, A. 321. Knieke, a. a. 0., S. 99.
7) Gengier, Stadtrechte S. 184, § 9.
8) Lacomblet, a. a. O. II, 204. Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 426.
9) Knieke, a. a. 0. S. 79.
10) Niesert, Beiträge III, 24. Knieke a. a. O. S. 79.
11) Vgl. Urkundenbuch von Braunschweig. Mein Aufs. Anatomie der Stadt Braun-
schweig a. a. O. S. 298. Knieke, a. a. O. S. 80, S. 68. Kindlinger, Gesch. d. Hörig-
keit n. 68, 91, 92. v. Steinen, Westfäl. Gesch. IV, 642.
12) Aufs. I, S. 178.
13) Vgl. die oben S. 836 f. angeführten Urkunden, welche bestimmen, dafs der Hörige
nur einen Zinscensus — bezahlt.
14) Gengier, Stadtrechte, S. 449 u. S. 560 und die entsprechenden Privilegien Fried-
richs I. Ebenda, S. 450 u S. 562.
15) Gengier, a. a. 0., S. 449.
840 Willi Varges,
advocatus, non eorum naturalis dominus, illis morientibus, de eorum
supellectile quicquam auferre presumat, interdiximus J). Es findet sich
dann eine diesbezügliche Bestimmung im Stadtrecbt von Freiburg 2),
das aus dem 13. Jahrhundert stammt: Bur^ensis habens propriam
domum, cuius fatetur esse proprius, cum moritur, uxor eius predicto
domino nihil dabit 3). In der Erhebungsurkunde der Stadt Blanken-
berg am Niederrhein vom Jahre 1245 wird Hauptrecht und Buteil be-
seitigt 4). In Lüueburg 5) wird der Sterbefall 1247 wenigstens teilweise, in
Hageuau 1257 6), in Augsburg 12767), in Frankfurt8) 1297, in Ulm 12979)
abgeschafft. Das Frankfurter Stadtrecbt von 1297 sagt allgemein1"):
Item libertas nostra est talis, quod nullus potest nos vocare ad ad duellum,
nee impugnare nos sub spe duelli, nee etiam potest nos quod
vulgariter dicitur budeilen. Das Ulmer Recht11) drückt sich
präciser aus: ipso (cive) vero mortuo ab heredibus nulla jura mortua-
ria vel ius quod dicitur val, et plane nullum ius idem dominus debet
ab heredibus extorquere.
Sehr interessante Bestimmungen über den Stei befall fiuden sich
im Stadtrecht von Halberstadt x 2) : Utlude de hir komen to Halberstat
erve to vorderne, dat besturwen were, de sallen hir bur unde bürgere
erst werden edder der stad willen hebben , er dan se jenich erve
vorderen, unde scolen des doden sculde ghebden. Unde des enscal
nement von sek don noch andwotden, he endo dat unsen herren erst
witlick, dat se boren, wu dat gescapen is. Unde deme silven gelick
enscal nement budelinge, herwede noch rade utluden von seck don,
he endo dat unsen herren witlick, dat se hören, wu dat gescapen sy.
Die Heiratssteuer der Hörigen, bumede, beddemund, maritagium l3),
wird in den Stadtrechten nur selten erwähnt. Sie scheint in den meisten
Städten irüh abgeschafft zu sein und hat sich nur vereinzelt erhal-
ten14). Ausdrücklich erwähnt wird die Heiratsabgabe u. a. im Recht
von Padberg, wo es heißt15): Spousalia, que vulgo bedemunt dieuntur
nomine, et vogethdingh et frygedingh nullum jus ibi obtinebunt. Das
Minden-Hannoversche Stadtrecht , das etwa 13UO abgefaßt ist * 6), be-
1) Ebenda, S 562, § 5.
2) Ebenda, S. 128, § 34.
3) v. Below, Landst. Verfassung von Jülich und Berg, I, S. 47.
4) Doebner, a. a. O., S. 52. Kraut, Das alte Lüneburger Stadtrecht, S. 8, 9.
5) Gaupp, a. a. O., S. 104. v. Maurer, Stadtverfassung, I, S. 391.
6) v. Maurer, a. a. O , S. 391.
7) Gengier, Stadtrechte, S. 115. Vgl. v. Maurer, Stadtverfassung, Bd. I, S. 392,
A. 48.
8) Gengier, Stadtrechtsaltertümer, S. 408.
9) Gengier, Stadtrechte, S. 500.
10) Gengier, Ebenda S. 115, §. 3.
11) Ebenda S. 503, § 12.
12) ürkundenbuch von Halberstadt, Bd. I, n. 6, 86, § 67, S. 582. Ueber die Ein-
wohner der Vogtei. Vgl. n. 560, S. 445.
13) Schroeder, Rechtsgeschichte, S. 438. Heusler, Institutionen, I, S. 142. Kuieke,
a. a. O, S. 84 ff.
14) Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes.
15) Gengier, Stadtrechte, S. 341.
16) Doebner, a. a. O., S. 32.
Zur EntstehiiDg der deutschen Stadtverfassung. 841
stimmt, daß kein Bürger, der eine Hörige freit, die Heiratsabgabe zu
zahlen hat. Item nullus burgensis aut filius burgensis dabit alicui
militi aut famuto beddemunt, qui carnaliter commisceretur alicui virgini
vel ancille intra muros civitatis, quae esset ipsius proprietaria. Sed
reo datur gratis.
Eine sehr interessante Stelle findet sich in einem Braunschweiger
Huldebrief von 1435 '). Dieselbe lautet: Ok schullen alle de jenne
de der borgere meygere sin, se sin lad edder eghen, edder wat egen-
domes edder behoringe se sin, fry wesen de tijd ouer so alse se ore
meygere sin, utghesecht beddemund unde budeliüghe, de der plichtich
sin. Auf den Heiratszwang Höriger2) deuten die Frankfurter Privi-
legien von 1240 und 1257 3). Ob es sich bei Abschaffung desselben
um ein Recht oder um einen Mißbrauch handelt, ist fraglich. Ich
möchte für das letztere stimmen.
In den meisten Städten bezahlen die hörig gewesenen Bürger an
ihren früheren Herrn nur die Kopfsteuer, den census, pensio, weiter,
wie das aus den oben angeführten Rechten von Sinsheim 4), Hamm 5),
Regensburg6), Oberwesel7), hervorgeht. Nach dem Recht von Ulm
von 1296 beträgt der Zins 12 Denare: Civis qui attinet alicui, domino
suo vel nuutio suo singulis annis duodecim deuarios in die S. Martini
ultra hostiam domus purrigere debet, si requirit illa die, sed si non
requirit, nichil illi solvere tenetur8). Nach dem Recht von Sinsheim
finden sich zwei Möglichkeiten. Der durch einfachen Eid überführte
homo pioprius zahlt dem Herrn jährlich 20 Denare, der mit sechs
Eideshelfern überführte homo censuarius, den früheren Zins. Im
übrigen bleibt er frei — et über permaneat9)
Zuweilen kauften sich die zinspflichtigen Bürger von den Lasten
los l0). 1335 wird ein Bürger von Lippstadt von der Kopfsteuer gegen
eine Zahlung von 6 Maik von aller Hörigkeit befreit11). Im Jahre
1247 befreit Otto das Kind 12) und seine Mutter Mathilde 13) die zins-
pflichtigen Bürger von Lüneburg gegen eine Zahlung von 400 Mark,
die die Stadt giebt, weil die „hörigen" Bürger zu arm sind, um die
Summe aufzubringen, von aller Hörigkeit, Die betreffenden Urkunden
sind sehr wichtig, ich teile die bezüglichen Stellen mit. Otto urkundet:
Civitas nostra Luneborch utens huius privilegii übertäte multas vexa-
tiones pertulit a nobis aliquando. Erant namque in civitate homines
quidam, qui proprii erant, quorum quidam se nobis recognoverunt,
1) Urkundenbuch von Braunschweig, I, n. 82, § 32, S. 218.
2) Heusler, Institutionen, I, S. 143. Knieke, a. a. 0., S. 86. v. Maurer, Fron-
höfe etc., III, S. 328.
3) Gengier, Stadtrechte, S. 113.
4) Vgl. oben S. 836 u. A. 9.
5) Vgl. oben S. 837 u. A. 1.
6) Vgl. oben S. 837 u. A. 3.
7) Vgl. oben S. 837 u. A. 6.
8} Gengier, Stadtrechte, S. 503, § 12.
9) Genfer, Stadtrechtsaltertümer, S. 426.
10) Urkundenbuch von Hameln, S. 474, n. 672, S. 471 ff.
11) Knieke a. a. 0., S. 102.
12) Urkundenbuch von Lüneburg, I, n. 67, S. 37.
13) Ebenda, I, n. 68r S. 40.
342 Willi Varges,
quidam non, et illorum herewede et rade indifferenter accepimus, in quo
iura civitatis et statuta privilegii infringere videbamur. Multis ergo
et rnagnis dilecti nobis burgenses nobis precibus insistentes, ut ab
huius modi injuria cessaremus, instaiitissime supplicamus et tandem
convenimus tali modo, quod pro danda libertate omnibus illis, qui
proprii nostri erant, summam quandam acceptavimus, quam quia
de suis facultatibus habere non poterant, communitas civitatis eis sub-
sidium presti'tit, tum propter hoc, ut nulli in civitate maueuti vel per
nos vel per aliquem heredum nostrorum seu per aliquem advocatorum
nostrorum sive per aliquem de nostra parte nostra violentia vel injuria
inferatur. Acceptis igitur CCC et L marcis puri argenti o m n e s in
civitate manentes, qui nostri proprii fuerunt, damus perpetuo
et per omnia liberos eorumque successores, ita ut nee nos nee filii
nostri .. neque filie nostre neque aliqui successorum nostrorum quiequam
juris in ipsis habeant neque in herewede neque in rade accipieuda
nee in aliquibus bonis eorum, sed liberaliter et totaliter liberi sint a
nobis. Mechthilds Urkunde ist noch deutlicher: quod dilecti burgenses
nostri in L. . . . nobis petitionibus institerunt, ut certara summam peeunie
aeeeptaremus et daremus proprios homines nostros, quoseunque in ipsa
civitate L. haberemus, a proprietate liberos et solutos. Nos itaque ....
ad petitionem quinquagiuta marcas aeeeptantes, .... universos proprios
homines tarn masculos quam feminas, quoseunque et quoeunque modo
eos sive racioue patrimouii sive racione aliorum bonorum nostrorum
in civitate L. manentes, filios quoque et filias ipsorum nee non et
omnes eorum successores ab omni Servitute et proprietate liberos
dimittimus et solutos, dantes eis per omnia et perpetuo integram liber-
tatem ita, quod nee nos nee filii nostri nee filie nostre neque aliquis
successorum nostrorum quiequam iuris in ipsis de cetero habeamus,
neque in hereweda neque in rade aeeipienda nee in aliquibus bonis
ipsorum, sed totaliter liberi sint a nobis.
Entstanden zwischen einem zu Sterbefall, Pflicht, Dienst oder Zins
verpflichteten Bürger und seinem früheren auswärtigen Herrn Streitig-
keiten über die Leistungen, so mußten dieselben vor dem Stadtgericht
entschieden werden. Der Herr durfte den früheren Unfreien nicht vor
sein Hofgericht fordern. Hofgerichtspflichtig ist nur derjenige, der sich
auf Hofrechtsgut niederläßt1). Der Bürger, welcher auf Stadtrechts-
gut sitzt und nach Weichbildsrecht lebt, untersteht dem Stadtgerichte 2).
Der Gerichtsstand vor dem Stadtgericht schließt den Bürger von dem
Landgericht, wie von dem Hofgericht aus. Die Privilegien de non
evocando nehmen zuweilen Bezug auf diese Verhältnisse. Das betref-
fende Privileg für Osnabrück vom Jahre 1171 3) bestimmt, daß die
Bürger vor kein auswärtiges Gericht, also auch vor kein Hofgericht
1) Vgl. Schroeder, Rechtsgeschichte, S. 569 u. A. 237. v. Maurer, Fronhöfe, IV,
96 ff., 140 ff. Lamprecht, Wirtschaftsleben,!, 764 f., 993 ff., 1032 ff. Heusler, Städtever-
fassung, S. 135
2) v. Below, Ursprung der Stadtverfassung, S. 106, 122. Vgl. Privileg v. Reck-
linghausen.
3) Philippi, Osnabrücker Urkundenbuch, I, n. 328, S. 264.
Zur Entstehung der deutscheu Stadtverfassung. 843
gefordert werden dürfen. Statuimus, ne quis judex extrinsecus manens
quemquam ex civibus pro aliqua causa presumat evocare, nisi prius
querimoniam suam in civitate eoram civitatis rectoribus vel coram nobis
exscquatur et secundum civitatis jus consuetudinariam debitam conse-
quatur justiciam.
Das ausführliche Privileg Sigismunds für Braunschweig vom Jahre
1415 *) verleiht den Bürgern das Recht, ut in quibusdam causis
mere civilibus et etiam criminaiibus extra dictum oppidum Brun-
swicence ad quecunque seu qualiacuuque et secularia juditia publica
vel privata in spetie vel in genere, salvo nostre ad majestatis audien-
tiam trahi seu evocari nequeant, quin ymmo ibidem in dicto opido, si
et in quantum actori vel actrici justitia manifeste denegata non fuerit,
juxta dicti opidi municipalia iura et imperialia statuta juri et diftini-
tioui stare debeant 2). Ebenso wie das Stadtgericht über die Krage
entscheidet, ob der eingewanderte Hörige den Sterbefall zu zahlen
hat3), so urteilt es auch bei etwaigen Streitigkeiten, die zwischen dem
hörig gewesenen Bürger, seinem frühern Herrn und deren Rechtsnach-
folgern entstehen. Bei solchen Fallen bedient man sich ebenfalls der
Eideshelfer. Das Privileg für Bochum vom Jahre 1321 bestimmt4),
si aliquis ipsorum, sc. der Bürger, moritur cuiuscunque sexus vel
juris fuerit, quod demonstrator seu expositor hereditatis illius, si fuerit
servilis conditionis, possit tantum cum duabus suum facere iurameututn,
ubicunque fuerit hoc necesse. Zuweilen wird auch ein Schiedsgericht
eingesetzt 5). In Halberstadt 6) übte man gewisse Vorsichtsmaßregeln
bei Auslieferung eines Sterbefalls aus. Im Halberstädter Stadtrecht
(um 1400) wird bestimmt: nement enscal budelinge, herwede nochrade
utluden von sek don , he endo dat unsen hern witlick , dat se hören,
wu dat gescapen sy.
Die Städte haben die Vergünstigungen, die den sich innerhalb
der Mauern niederlassenden Hörigen zu teil werden , auf dem Wege
des Privilegs von Seiten des Landes- oder Stadtherrn erreicht. Die
ältesten diesbezüglichen Verleihungen sind die Privilegien Heinrichs V.
für Worms7) und Speier8). Nur selten, wenigstens in älterer Zeit
haben Städte aus eigener Machtvollkommenheit diesbezügliche Be-
stimmungen aufgestellt. Im Jahre 1290 bestimmen Bürgermeister und
Rat von Brilon 9) bei Festsetzung der statutarischen Rechte und
Gewohnheiten der Stadt: quod cuncti burgenses nostri Brylonenses
opidi habitatores liberi manebunt a pensionibus cerocensualibus et
exactionibus omnibus extraneorum dominorum cuiuscunque juris seu
conditionis fuerint dominio subjugati. In späterer Zeit finden sich
ähnliche Festsetzungen in größerer Zahl.
1) Urkundenbuch von Braunschweig, Bd. I, S. 192, n. 67.
2) v. Below, Ursprung, S. 107, 122. Gothein, Wirtschaftsgeschichte des Schwarz-
waldes, S. 144, A. 1, S. 310 u. A. 1. Städtechroniken, Bd. VIII. Einleitung, S. 17.
3) Gengier, Stadtrechte, S. 27, § 4.
4) Urkundenbuch von Hameln, S. 474, n. 672.
5) Urkundenbuch von Halberstadt, I, n. 686, § 68, S. 582.
6) Gengier, Stadtrechte S. 362.
7) Genfer, Stadtrechte S. 449.
8) Seibertz, Urkundenbuch S. 434, § 6.
844 Willi Varges,
Die Verleihung von Privilegien , durch welche die Verjährungs-
frist eingeführt, wurde oder die Lasten und Pflichten einwandernder
Hörigen vermindert und beschränkt wurden, geht nun keineswegs auf
die Menschenfreundlichkeit der Stadtherrn zurück. Es finden sich
nämlich in den betreffenden Urkunden vielfach Bestimmungen, durch
welche die eigenen Hörigen der Stadtherrn von der Verjährungsfrist
und etwaigen Vergünstigungen ausgeschlossen werden. Man wollte
die Einwanderung fremder Hörigen befördern — ut civitas civibus
repleatur, wie es im Rechtsbrief für Wiener Neustadt von 1277 heißt *) — ,
selbst aber keinen Nachteil leiden. Solche Bestimmungen befinden
sich z. B. im Recht von Nieheim von 1282 a): quod possunt recipere
in cives quoslibet homines, dummodo nobis, canonicis, claustris, ecclesiis
nostre diocesis et ministerialibus seu castellanis nostris non pertinenant,
— in Schüttorf von 1295 3): ipso liberis hominibus ulterius habebuntur,
dummodo nobis — dem Grafen von Beutheim — et nostris successori-
bus, castellanis, ac ministerialibus nostris occasione juris cuiuscunque
non fuerint obligati — im Privileg von Brakel von 1322 4), von Unna
von 1346 5), von Werden von 1317 6) und von Horde von 1340 7). In
letzterem heißt es: Die Jahr und Tag in der Stadt gewohnt haben,
sind frei, ane unse lüde und unses neven, des greven van der Marcke,
und unser beyder borchmanns und ane wastinssighe lüde. Im Recht
von Kleve von 1242 werden ebenfalls Ausnahmen bestimmt8): Decre-
vimus etiam, ut nullum nisi ad octo dies examinatum recipient in
concivem , item ut nulla mancipia servili conditione nobis attinentia,
aut aliquos advocatie nostre pertinentes aut vasallis aut ministerialibus
notris attinentes, nisi de communi tarn nostra quam eorum voluntate
admittant.
Im Stadtrecht von Huissen von 1348 heißt es 9) : Voort willen
wy dat geen eygen man of hoorich man die ons, of onse vaichdie
of onsen mannen of dienstmannen gehoerich is, ontfaen sullen tot eeuen
poorter, ten is den gemeyn willen onsen ende onsen Maunen, en
Dienstmannen die sy gehoorigh weeren. Aehnlich werden im Recht
von Wipperfürth die landesherrlichen Hörigen ausgeschlossen 1 °). In
der Urkunde für Grevenmachern von 1252 wird festgesetzt 1 x) : Scien-
dum insuper, quod aliquem de homininus nostris non retinebunt, nisi
de consensu nostro nee et hominem hominum nostrorum illis exceptis
dumtaxat, qui homines nostros suseipiunt detinentes eosdem. In
1) Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 423.
2) Westfälisches Urkundenbuch IV, 1707. Knieke S. 122. Westfälische Ztschr.
31, S. 9. Schaten, ann. Path., II, 102.
3) Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 424.
4) Wigand, Archiv V, 160 ff.
5) Knieke a. a. O., S. 123.
6) Lacomblet, Urkundenbuch III, S. 121.
7) Gengier, Stadtrechte, S. 198.
8) Lacomblet a. a. O. II, n. 265, S. 137.
9) weschenmacher, Annales Cliviae, Cod, dipl, S. 14. Van Burger te warden.
10) Korth, Wipperfürth.
11) Gengier, Stadtrechte S. 172.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 845
Aschersleben werden die Hörigen von der Befreiung vom Sterbefall,
der hier als Bäcdelinche bezeichnet wird, ausgeschlossen1). In Radolfs-
zell nehmen die unter dem Hofrecht stehenden Leute des Stadtherrn
nicht am Stadtrecht teil2)- Für Pfullendorf 3) wird von Friedrich II.
bestimmt: Inhibemus ommino, ne servus alicuius sive censualis vel
cujuscunque sit condicionis ministerialium tantummodo nostrorum in
civitatem ipsam in jus istud recipietur, nisi de domini sui fuerit
voluutate. Zum Schluß möge das Münchener Rudolfiniuni von 1294 4)
angeführt werden, welches bestimmt : Zw1 och in der Stat Burchrecht
emphaetet und Burchrecht tuot, da sol niemen uf iehen fürbaz, daz
er sin aigen si oder sin Lehen, die weil er unser burgaer ist, und
Burkreht hat, an unser urbors laevt oder vogtlaevt di uf unserm
urbor sizzent oder uf unser vogtay B). — Daß es sich bei diesen Be-
stimmungen um ein allgemein in Deutschland geltendes Recht handelt,
möchte ich bezweifeln. Es giebt viel mehr Städte, in denen sich der-
artige Beschränkungen nicht finden, als solche, in denen die ein-
wandernden Hörigen des Stadtherrn von den Vergünstigungen des
Stadtrechtes ausgeschlossen sind. Man kann auch wohl kaum an-
nehmen, daß der Ausschluß der stadtherrlichen Hörigen vom Stadt-
recht oder von anderen Vergünstigungen das ursprüngliche Verhält-
nis ist, das später in einer Reihe von Städten beseitigt sei. Nach
meiner Ansicht handelt es sich hier um eine Beschränkung der ur-
sprünglichen Stadtgerechtsame und der städtischen Freiheit. In der
Regel finden sich derartige Bestimmungen nur in unbedeutenderen,
grundherrlichen Städten, doch giebt es auch hier zahlreiche Aus-
nahmen. In größeren Städten finden sich solche Beschränkungen selten.
Der Stadtherr konnte sich so, soweit er irgendwelche Macht besaß,
leicht vor dem Nachteil, den ihm eine etwaige Einwanderung seiner
Hörigen in die Stadt brachte, schützen, wie wir gesehen haben. Ganz
anders aber verhielt es sich mit den Grundherrn, die auf eine Stadt nicht
indirekt einwirken konnten, zumal das Vindikationsverfahren, wie wir
gesehen0), für dieselben oft sehr erschwert war. Gab vollends eine
Stadt dem einwandernden Hörigen sofort die Freiheit, wie das in Eger,
Passau, Schwerin der Fall war7), oder lieferte sie den überführten
Eigenmann nicht dem Herrn aus, wie das z. B. in Eisenach und Mühl-
hausen geschah, so stand der Herr vollends wehrlos da 8). Die Herren
haben daher früh zu besonderen Mitteln greifen müssen , um ihre
Interessen zu wahren. Sie haben sich, abgesehen von Anwendung von
Gewalt9), die aber streng verpönt war, zweier Mittel bedient. Ent-
1) Gengier, Stadtrechte S. 12, litonum nostrorum tarnen iure nihilominus observato.
2) Zt>chr. f. Gesch. des Oberrheins N. F. 5, S. 141. Vgl. v. Below, Ursprung S. 120.
3) Genfer, Stadtrechte S. 355.
4) Ebenda S. 295, § 14.
5) Andere Beispiele bei v. Maurer, Städteverfassung, v. Below, Ursprung.
6) Vgl. oben S. 831.
7) Vgl. oben S. 820, 821.
8) Vgl. oben S. 834.
9) v. Maurer, Stadtverfassung I, S. 386 u. A. 36, 37. Ueber Streitigkeiten zwischen
Grundherrn und Städten, vgl. auch Urkundenbuch von Bremen I, n. 90, S. 105. Urkunden-
buch von Erfurt I, n. 277, S. 176. Urkundenbuch von Hameln n. 672, S. 471. Die
846 Willi Varges,
weder veranlaßten sie den Stadtherrn, den Kaiser oder den bezüg-
lichen Landesherren, ein Verbot zu erlassen, ihre Hörigen in die Städte
aufzunehmen, oder sie haben mit den Stadtherren oder den Städten
selbst einen Vertrag geschlossen , durch den sie ihre Interessen zu
schützen suchten.
Schon in dem ältesten Stadtrecht, das die Verjährungsfrist
erwähnt, dem Bremer Recht von 1186, das von Kaiser Friedrich I.
herrührt, findet sich eine Bestimmung, das die Hörigen der Bremer
Kirche von der Verjährung ausschließt. Es heißt daselbst: excepta
omni familia Bremensis ecclesia et omnium ecclesiarum ad eam sue
rationis jure pertinentium *). Es handelt sich hier nicht gerade um ein
offizielles Verbot des Kaisers, die Hörigen mußten nur darauf gefaßt
sein, jeder Zeit zurückgefordert zu werden. Die sog. Gerhardschen
Reversalen von 1248 bestimmen : item litones ecclesie, sive sint domini
archiepiscopi, capituli, ecclesiarum, nobilium, ministerialium , qui de
ecclesia Bremensi debent merito possideri , prescribi non possuut in
civitate Bremensi, nisi singulis annis, singulis diebus, tamquam primo
Bremam intraverint, valeant conveniri 2). Im Stader Recht von 1209,
das einige Teile des Rechtes von Bremen wörtlich übernimmt 3) spricht
Otto IV. im Anschluß an eine Stelle des Bremer Rechts ein solches
Verbot aus: Huic vero conditioni connectimus, ut nullus omnino lito in
vestram civilem justitiam, nisi ex permissione et licentia domini sui,
coram judice et communi vulgo recipiatur 4). Friedlich IL hat diesen
Verhaltnissen größere Sorgfalt zugewendet. 1220 untersagt er in
Pfullendorfer Privileg die Aufnahme von Hörigen der kaiserlichen
Ministerialen 5). Im Jahre 1226 verbietet er in der Stadt Oppenheim
Hörige des Erzbischofs von Mainz aufzunehmen 6). Im Jahre 1220
bestimmt er ganz allgemein zum Besten der geistlichen Fürsten7):
Item homines quocunque genere servitutis ipsis attinentes, quacunque
causa se ab eorum obsequiis alienaverunt, in nostris civibus non
recipiemus in eorum prejudicium, et idem ab ipsis inter se, eisque
a laids omuibus universaliter volumus observari. 1232 bestimmt er
im Statutum in favorem principum 8) : Item principum , nobilium et
ministerialium, ecclesiarium homines proprii in civitatibus nostris non
recipiantur. — Homines proprii, advocaticii, feodales, qui ad dominos
suos transire voluerint, ad manendum per officiales nostros non
artentur.
Herren haben auch vielfach ihre Hörigen eidlich verpflichtet nicht auszuwandern. Vgl.
v. Maurer, Fronhöfe VI, S. 131. Vgl. auch unten S. 848.
1) Bremisches Urkundenbuch Bd. I, n. 65, S. 71.
2) Vgl. Donandt, Bremisches Stadtrecht I, S. 81.
3) Gengler, Stadtrechte S. 450.
4) so § 7, 8.
5) Gengier, Stadtrechte S. 355. § 10.
6) Hessisches Urkundenbuch, II Abt. Bd. I, S. 126, n. 163.
7) LL. II (1837), S. 236, § 3. Vgl. auch Altmanns u. Bernheims Urkunden S. 18,
§ 3. Vgl. Winkelmann, Friedrich II., Bd. I, n. 4.
8) LL. II (1837), S. 291, § 12 u 23. Altmann u. Bernheim, a. a. O., S. 21, 22.
Vgl. Winkelmann, Geschichte Kaiser Friedrichs II. und seiner Reiche I, S. 411, 395 ff.
Zur Entstellung der deutschen Stadtverfassung. 847
Spätere Kaiser haben selten ähnliche Gebote erlassen1); die
meisten Kaiser liaben eine den Städten freundliche Politik getrieben.
Es sind jetzt meist die Laudesherren, die derartige Gebote zunächst
zu ihrem eigenen Vorteil und dem ihrer Dienstmannen, dann auch zu
Gunsten befreundeter oder verbündeter Fürsten und Herren erließen.
Die Gegenseitigkeit der Interessen spielt hierbei eine große Rolle.
Privilegien, in denen Landesherren zu ihrem Nutzen oder dem
ihrer Ministerialen Hörige von der Niederlassung in der Stadt aus-
schließen, sind oben augegeben 8). — Es sollen nur einzelne Ur-
kunden, durch welche Vergleiche diesbezüglicher Art zwischen zwei
Landesherren abgeschlossen werden, angeführt werden.
So besehließen Erzbischof Engelbert von Köln und Graf Heinrich
von Nassau 1224 betreffs der Stadt Siegen3): quod neuter nostrum
civem vel castellanum aliquem sine consensu et volunte alterius
in opido locabit alterius4). Aus dem Jahre 1252 liegt ein ähnlicher
Vertrag zwischen dem Erzbischof von Köln und dem Bischof von
Münster hinsichtlich der Stadt Vreden 5), aus dem- Jahre 1263 ein
solcher zwischen dem Erzbischof von Köln und dem Grafen von Arns-
berg über Neheim vor6). Aus dem Jahre 1277 ist ein solcher Ver-
trag zwischen demselben geistlichen Fürsten und dem Grafen von
Mark erhalten. Es heißt in demselben: et neuter alterius homines
proprios infra suas munitiones retipiet praeter suam voluntatem 7).
1270 verspricht5) der Graf Adolf von Waldeck, dem Edelherrn von
Itter, 1301 Graf Otto von Waldeck dem Herren von Padberg keine
Hörigen derselben in ihren Städten aufzunehmen.
Auch die Privilegien, durch welche geistliche Stifter gegen Ver-
jährung ihrer Rechtsausprüche an ihre Hörigen, die sich in den
Städten angesiedelt hatten, siud zahlreich. Aus dem Jahre 1221 ist
ein solches von Seiten des Grafen von Ravensberg zu gunsten der
Kirche von Herford vorhanden 8) : Cives de Bylefelde jurabunt, quod
non recipient aliquos homines in concives sine licentia abbatisse et
ecclesie. Aus dem Jahre 1224 liegt ein interessantes Privileg für das
Kloster Marienfeld vom Bischof von Münster vor9): Verum quia
ecclesia Dei non solum ab extraneis, sed plerumque etiam a suis
fraudem peipetitur, ut videlicet astuta quadam tergiversatione se ad
alios fines transferant homines ei pertinentes et domicilio sibi in oppi-
dis procurato, se frangaut in libertatem, qui proprietatis jure tenen-
1) v. Maurer, Fronhöfe Bd. III, S. 132, A. 85, statuimus, ut ministeriales, burgenses
sive quicunque alii homines quo vis jure prefato archiepiscopo attinentes cum omni
integritate reddantur eidem et nulli ex hominibus eius ultra in predicto oppido colli-
gautur.
2) Vgl. S. 844.
3) Philippi, Siegener Urkundenbuch n. 8. Knieke a. a. O. S. 119.
4) Westfälisches Urkundenbuch III, 545. Knieke, a. a. O., S. 120.
5) Gengler, Stadtrechtsaltertümer S. 430.
6) Knieke a a O., S. 121. Seibertz, Urkundenbuch S. 327.
7) Gengler, Stadtrechtsaltertümer S. 431.
8) Westfälisches Urkundenbuch III, 173, § 1.
9) Ebenda III, 207.
§48 Willi Varges,
tur, eorumque inique machinationi provide obviamus auctoritate dei
et nostra terribiliter excommunicantes eos, qui se ultra mensuram sue
condicionis extollentes Collum excutiunt a iugo servitutis, qua astricti
sunt campo S. Marie, nee non et illos, qui tales transfugas colligunt et
tenent. Qua propter et signanter inhibemus sub pena exeommuni-
cationis, ne apud civitatem Monasterieusem et Warendorpe, Bekehem,
Alen vel apud queeunque munitionis et presidii loca dyocesis nostre
refugiura habeaut litones vel homines prefate ecclesie, vel quomodo-
libet suseipiantur, quippe cum perfugi sint et patrocinari non debeat
dolus suus.
In dem Privileg für das Kloster Wadenhart vom Bischof von
Osnabrück aus dem Jahre 1239 wird als Grund des Erlasses der Ur-
kunde angegeben, quod dieta ecclesia rure suo in suis litonibus non
privetur 1).
Auch Privilegien, durch welche den Klöstern im Ausnahmefall
der Sterbefall gesichert wurden, liegen zahlreich vor. Es ist hier
auf die Bestimmung Otto des Kindes für die homines des Klosters
Michaelis von Lüneburg2) zu verweisen.
Wichtiger sind die Verträge, die zwischen freien oder doch selb-
ständigen Städten und Grund herren zur Sicherung der Interessen der
letzteren abgeschlossen wurden. So erklärt im Jahre 1277 die Stadt
Kreuznach dem Grafen von Sponheiin3): promittimus etiam presenti-
bus, quod nulluni deineeps hominem predicto domino nostro vel suis
heredibus legitimis attinentem in nostrura reeipiemus nee assumemus
consortium, nisi ipse aut sui heredes eum nostro consortio dederint
et admittant. Die Stadt Neuchatel giebt 1278 dem Herrn von Ar-
berg ähnliche Versprechungen4): Lünen versichert im Jahre 1278 in
Betreff der Rappenberger Wachszinsigen 5): cives oppidi memorati
voverunt nobis . . . quod exnunc nullos reeipiant in ipsorum civile con-
sortium jure cerocensualitatis nobis attinentes, nisi nostra speciali
licentia mediante; si vero contra hoc fecerint, in reeeptis ex nunc vel
ad ipsos intrantibus, nichil juri poterit nostro deperire. Im Jahre 1277
findet eine Vereinbarung6) zwischen den Städten Mindeu, Heiford,
Bielefeld und den Stiftern Minden, Herford und dem Grafen von
Ravensberg statt, in dem erstere erklären: Item homines coniuratis
nostris jure proprietario pertinentes in nostras munitiones vel in loca,
que vulgariter vriheyt dieuntur dominis suis invitis nullatenus reei-
piemus. Im Jahre 1275 7) verglichen Werner, Erzbischof von Mainz,
und Heinrich, Graf von Honstein die Stadt Erfurt mit dem Graten
von Orlamünde, Kevernburg, Gleichen, Ravenswalt, Stolberg und den
1) Westfälisches Urkundenbuch III, 545.
2) Urkundenbuch von Lüneburg, Bd. I, n. 67, S. 39. Vgl. Lacomblet III, 353,
S. 277.
3) Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 431, u. A. 92. Vgl. ebenda S. 418. (Geln-
hausen).
4) Ebenda S. 431 u. A. 94.
5) Kindlinger, Münsterische Beiträge II, 48. Knieke, a. a. 0. S. 122.
6) Westfälisches Urkundenbuch IV, 1458.
7) Urkundenbuch von Erfurt Bd. I, n. 277, S. 176.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 849
Herren von Heldrungen über verschiedene streitige Punkte. In Betreff
der Hörigen wird bestimmt: Quod si homines proprii vel advocaticii
nobilium predictorum hucusque sunt in cives Erfordenses recepti,
ipsique nobiles eos debito modo requisierunt nee potuerint iustitiam
consequi super eos, si adhuc ante diem beati Michaelis proxime nunc
venturam ipsos requisiverint et eos ad se docuerint pertinere, ipsi
cives homines huiusmodi debebunt dimittere vel ipsis facient de eis
justitiam vel amorem. Si autem de cetero aliquos ibidem contigerit
reeipi in coneives ipsique nobiles requisierint et infra spacium anni
illius docuerint, quod eis debeant attinere, Uli penitus dimittentur,
alioquin pro civibus remanebunt. Im Jahre 1318 trifft die Stadt
Hildesheim *) mit dem eigenen Stadtherrn folgende Vereinbarung über
Aufnahme bischöflicher Hörigen: We ratmanne bekennet, dat we mit
unseme ersamen heren biscop H gedeghedinghet hebbet, dat se
vei teyget aller laten unde aller eghenen lüde, de buren unde borghere
sin to Hildensem, se hören on sunderliken eder meynliken eder jenegh-
eme stichte binnen der tolniyge to Hildensem eder Dernkborch,
Exherte, Lammesspringe eder jenegheme stichte dat under unseme
herren deme biscope si an gheysliker unde an wertliker walt. We
scolet ok bewaren bi usen eden alse vorder alse we moghen, dat we
nene laten noch nene eghene man, de on eder ienegheme dere stichte,
de hir vorbenomet sin, bestan, to borghere entvan, se ne hebben sek
erst gheledeghet van orer herscop unde sin dere rede vriy. Die Stadt
schließt also mit ihrem Herrn einen Kompromis. — Sehr interessant
ist auch die Verhandlung2), die 1385 zwischen dem Grafen von
Eberstein und der Stadt Hameln 3) über Hoheitsstreitigkeiten geführt
wird. Der Graf klagte: de van Hameln hebbet sek underwunden und
entholdet uns unse vulschuldighe eghene lüde an orer stad un en-
willet se uns nicht ut geven mit orem gude un doet dessen bynnen
eyner sone, de wy underander gedan hebbet unde bynnen orveyde, de
wy on gedan hebbet. — Der Rat antwortet auf diesen Klagepunkt4):
Hitmeln is eyn vry stad, dar iuwelik man kampt und vord upp sin
eventure. Is dar siner egenen lüde jenicht edder jenige, tegen den
eder tegen de wille wy ome gerichtes unde rechtes staden to Hamelen
und hopet, dat he boven recht uns icht to esschen wille edder möge,
sind syn orveyde, dar he van scrivet, ynne holt, dat he tegen uns
nicht doen en schal, dat uns schedelich sy. Auf dem stattfindenden
Schiedsgerichte wird keine Einigkeit erzielt 5). Der eine Teil der
Schiedsrichter erklärt G) : wat ome de van Hamele mit gewalt nicht
genomen hebt, des en sint se ome nicht schuldich weder to ant-
wordende, und willet se ome dar en boven, eft he dar wene schuldigen
wil, riebtes und rechtes in orer stad staden, so vul doet se ome. Die
1) Urkundenbuch von Hildesheim, Bd. I, S. 384, n. 695.
2) Urkundenbuch von Hameln, n. 672, S. 471.
3) Ebenda, S. 472.
4] Ebenda, S. 473.
5^ EbeDda, S. 474.
6) Ebenda, S. 474.
Dritte Folge Bd. V1I1 (LX1II). 54
g50 Willi Varges,
anderen Schiedsrichter geben ihre Meinung dagegen dahin ab1): Hir
up spreke wy, dat se unses juncheren sine lüde und ore gud weder
ant worden scolen ut orer Stadt und sint des plichtich van ere und
van rechtes weghen to donde uppe der stede, dar se sek vorwille-
kord hebben und alze dat de heren to beden bezeghelt hebt und
scolen dat weder doen myd böte und beteringhe na rechte na dem
male, dat se dit vorsateliken gedan hebben. Der Graf Otto von Hol-
stein und Schaumburg legt den Streit bei und bestimmt2): Vortmer
hebben de van Hameln greven Hermannen lüde eder gud ghenomen
mit ghewolt, dat scholden se eme van rechte wider don und weren
ome böte darumb plichtich. Spreke he ok eghene lüde an, de in
orme slote wonaftich syn, dar he sek eghendumes an vermet, esschet
he dat kunt liken van den van Hamelen, de scholen se ome volghen
laten in dat gerichte, dar se ut gheboren syn, eft he se veleghe uDde
ore vrund in dat ghericbte unde wider to Hamelen in vor allerleye
schaden unde vorrydinghe; welken he dar ghewyunet alze eghener
lüde recht ys, dar scholen ome de van Hamelen dar na rechtes umme
staden in orme slote unde dar se dot se vulan.
Zuweilen verpflichten sich die Städte eine Entschädigung für
einen in die Stadt aufgenommenen Hörigen zu zahlen. So verspricht
die Stadt Frankfurt Reinhard von Hanau 100 Mark Pfennige für jeden in
die Bürgerschaft aufzunehmenden hanauischen Unterthan zu entrichten.
Etiam si contingerit aliquem aliquam vel plures ex suis hominibus
sive rusticis nostre civitatis recipi in concivem , tot centum marcas
denariorum dabimus prefatis R. et suis heredibus, quot recepti iuerint
ex ipsorum R. et heredum hominibus ad nos declinantibus in concives,
volentes nihilominus a prescripto Rennardo super prefata compositione
amicabiliter ordinata suas litteras nobis dari 3). —
Wir kommen jetzt zu der wichtigen Frage, welche Stellung die in
die Stadt einwandernden Hörigen, die ihren Herrn auch ferner Dienst,
Kopfzins, Eheabgabe und Sterbefall leisten oder denselben zu irgend
einer von diesen Leistungen verpflichtet sind, einnehmen. Man ist
leicht versucht, diese Einwohner der Städte als „unfreie" Bürger zu
bezeichnen. Die Urkunden sprechen scheinbar für eine solche An-
schauung; „die Hörig gewesenen" Bürger werden zuweilen in den
Rechtsbriefen als servi, homines condicionis servilis bezeichnet. Es
handelt sich hier um den früheren Personenstand. Wenn Dienste als
servicia, das Leisten von Abgaben und Diensten aber als ein servire,
deservire genannt wird, so haben wir es hier wohl nur mit einer un-
klaren Ausdrucksweise der Urkunden zu thun. Dieselben wollen ein-
fach besagen , daß die betreffenden Bürger ihrem früheren Herren
gegenüber noch Verpflichtungen zu erfüllen haben. Wir haben es hier
mit der Grundbedeutung des Wortes servire zu thun. Aehnlich werden
auch die Leistungen, die der Bürger der Stadt gegenüber zu erfüllen
1) Ebenda, S. 475.
2) Ebenda, S. 476.
3) Hessisches Urkundenbuch, Abteilung II, Bd. I, n. 415, S. 309. (Publ. a. d.
Kgl. Pr. Staatsarchiven Bd. 48 )
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. g5l
hat, als servitia bezeichnet. So heißt es z. B. in einem Osnabrücker
Recht1): Item omnes carnifices et eorum pueri legitimi, qui septi-
mum annum impleverunt, qui concivium servaverint vigiliis
etaliisservitiis, apud majorem ecclesiam sepeliendi sunt. Noch be-
zeichnender ist ein Passus des Magdeburger Rechtsbriefes für Heinrich I.
von Schlesien2); welcher von der Beihilfe im Kriege handelt: Si
etiam forte ad deprimendam aliquorum forte predonum audaciam
aut pro defensione patrie vestram forte indixeritis expeditionem, de
ipsa civitate ad serviendum vobis quadraginta viri bene cum armaturis
suis preparati et servi ipsorum emittentur, et, si necesse fuerit, in
expensa civitatis, alii vero domi remanentes ad defensionis patriae
invigilabunt. Meines Wissens findet sich in den Urkunden niemals
die Bezeichnung proprii cives. Es kann sich wohl im Mauerring ein
Höriger oder eine Hörige als Knecht oder Magd aufhalten 3), dieselben
weiden aber nie im Genuß des Bürgerrechts sein. Sie werden in den
Urkunden als commorantes, medewonre bezeichnet. Bürgerrecht und
Freiheit sind identisch. Nach dem Münster- Bielefelder Recht kann
ein Höriger gegen den Willen seines Herren nicht Bürger werden.
Nach Jahr und Tag erlischt aber das Einspruchsrecht des Herrn und
der Aufnahme des Hörigen als Bürger steht nichts mehr im WTege.
Das Stadtrecht drückt dies nun folgendermaßen aus: Qui annum
habitaverit in Wicpelethe nullo eum in servitutem redigen te libertati
adducitur4). In der bekannten Urkunde vom Jahre 1100 für Radolfs-
zell 5) werden die in der Stadt sich niederlassenden Hörigen vom Stadt-
gericht, also vom Bürgerrecht ausgeschlossen. Es handelt sich hier
aber um einen Ausnahmefall, der indirekt als Regel bestätigt, daß in
dem befriedeten Mauerring der Stadt für Unfreiheit kein Platz ist.
Läßt ein Herr seinen überführten Unfreien in der Stadt und im Be-
sitz des Bürgerrechts, so läßt er ihn auch im Genuß der Freiheit.
Die Abgaben, die der frühere Hörige seinem Herrn zahlt, und die
Dienste, die er demselben leistet, können dieses Verhältnis nicht
alternieren und den Rechtssatz, daß Stadtluft frei macht, nicht brechen.
Sie sind nichts weiter als privatrechtliche Abmachungen, gewisser-
maßen eine auf privatrechtlichem Wege festgesetzte Abfindungssumme;
und zwar sind diese Abmachungen ursprünglich, wie einzelne Stadt-
rechte ausdrücklich betonen, freiwillig6). Der in die Stadt ein-
wandernde Hörige kann ursprünglich nicht zu denselben gezwungen
werden. So bestimmt das Recht von Hamm : quicunque in ad con-
civium oppidi intraverit domino contradicente , cogitur illi non ad
aliam responsionem , nisi vel voluntarius consentiat et debitam
1) Philippi, Zur Verfassungsgeschichte der westfälischen Bischofsstädte S. 49.
2) Urkundenbuch von Magdeburg, Bd. I, n. 100, S. 52.
3) Stadtrecht von Hannover, Doebner, a. a. O., S. 33, § 3.
4) Gengier, Stadtrechte S. 307, § 53.
5) Ztschr. f. Geschichte des Oberrheins, N. F. V, S. 141. v. Below, Stadt-
gemeinde S. 106.
6) Auf die Frage, was den Hörigen zur freiwilligen Recognition trieb, giebt Philippi
treffend Antwort. Vgl. unten S. 853.
54*
g52 Willi Varges,
pensionem solvat1). Aehnlich gilt in Dortmund: Worde wey in unser
staid vor eigen an gesproken, erkennet hey des egendoraes eder nicht,
gelyke wol mach hey unser Stades vriheyt gebruken, wante in unse
staed neyn geboysme geyt2), denn heißt es an anderer Stelle ok so
is hir eyne vrye staed, hiir en mäch nymant den andere bebosmen 3).
Die Freiheit der Stadt in Bezug auf die Niederlassung Höriger be-
tonen, wie wir gesehen, auch die Bürger von Hameln4). —
Die Leistung von Diensten und Bezahlung von Abgaben schmälert
die persönliche Freiheit des Bürgers ebenso wenig, wie die Zahlung
eines Wortzinses. In einem Braunschweiger Huldebriefe wird bestimmt 5) :
Ok schullen alle de jenne de der borgere meygere sin, se sin lad,
edder eghen edder wat eghendomes edder behoringhese sin, fry wesen
de tijd ouer so alse are meygere sin, utghesecht beddemunt unde
budelinghe, de der plichtich sin. Die Zahlung von Heiratsabgabe und
Sterbefall schmälert also die Freiheit dieser Leute nicht. Ihre Frei-
heit verdanken die hörigen Meier dem Umstände, daß sie im Dienste
von Bürgern stehen, also auf freiem Stadtboden wohnen. Verlassen
sie Dienst und Stadtgut, so verfallen sie der Hörigkeit und dem Hof-
recht. Aehnlich ergeht es den Hörigen, die sich mit oder ohne Er-
laubnis des Herren, mit oder ohne Abgabenpflicht auf dem Stadtboden
niederlassen. Sie treten aus der Sphäre des Hofrechtes in die des
Stadtrechtes, denn dem Hofrecht untersteht nur der, der auf holrecht-
lichem Boden seinen Sitz hat; Anteil am Stadtrecht hat ursprünglich
nur, wer in der Stadt wohnt, und zwar buliche und hebliche, d. h.
wer eigenen Besitz und Teil an den Stadtlasten hat 6).
Unfreie oder hörige Bürger, proprii cives oder burgenses werden
in den Urkunden nicht erwähnt. Sie sind ein Unding. In der Ur-
kunde Ottos des Kindes, durch die hörig gewesene Bürger vom
Sterbefall befreit werden, heißt es ausdrücklich: homines, qui proprii
erant7). In Goslar8) und Braunschweig darf kein Höriger ins
Erbe treten. Nen lat eder eghene man scullet hir erve hebben;
heft he it, he scal it vorkopen binnen eneme verndele des jares, ofte
de rad wil es sik underwinden 9) Eine ähnliche Bestimmung findet sich
zu Coesfeld 10). Die angeführten Stellen beweisen doch, daß es in den
1) Gengier, Stadtrechte S. 184.
2) Frensdorff, Dortmunder Statuten S. 120, n. 148.
3) Ebenda.
4) Vgl oben S. 849.
5) Urkuudenbuch von Braunschweig Bd. I, n. 82, S. 218, § 32.
6) Vgl. unten Kap VIII.
7) Urkundenbuch von Lüneburg I, n. 67, S. 38, n. 68, S. 40. Doebner, a. a. 0.,
S. 28.
8) Göschen, Goslarer Statuten S. 13, Z. 30. Wur en erve oder herewede oder
gherade besterft, dar en gast de neyste mack tö were, de nich vri were, de ne scal des
nicht nemen : so scal it nemen de de vri is unde de neyste de sik von bort weghene
dar to ten mach mit rechte.
9) Urkundenbuch von Braunschweig I, n. 44, S. 39. § 8.
10) dat nine eyhene vulschuldige luede nyner hand wicbolde erve hebben sollen
hingen unsen wicbolde tho Cosfelt. Erben kann nur in frier luede hand fallen. Niesert
Urkundensammlung III, S. 176.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 853
Städten keine unfreien Bürger giebt, sonst wäre eine solche Bestimmung
unnütz, denn man kann doch nicht den Mitbürger von der Erbschaft
ausschließen1). Cianz klar und deutlich sagt aber das Recht von Sins-
heim von 1192 2): si quis autem dominum censuarium in hoc ipso
loco manentem septima manu convicerit, censum, quem antecessores
sui dominis suis persolvere consueverunt, donet et liber permaneat.
Auch nach dem Recht von Recklingshausen genießt der Bürger, der
des Sterbefalls pfiichtig ist, die Freiheit: pretatorum civium gaudeat
übertäte3). Es giebt also keine unfreien Bürger.
Nach einzelnen Stadtrechten, so nach dem Hammer Recht 5), kann
ein Höriger nicht zu einem Vergleich mit seinem früheren Herrn ge-
zwungen werden. Der Ausgleich muß freiwillig geschehen. — Quicunque
ad concivium opidi intraverit domino contradicente cogitur 11 11 non ad
aliam responsionem , nisi vel voluntarius consentiat et debitam pensio-
nem solvat. Was ist nun für ein Grund vorhanden, daß ein hörig
gewesener Bürger freiwillig eine solche Last aufnimmt ? Auf diese
Frage giebt Philippi treffend Antwort6): Durch die Zahlung des
geringen Zinses halten sich die früheren Hörigen das Erbrecht an dem
Hote ihrer Familie offen.
Es liegt in der Natur der Sache, daß die hörig gewesenen Bürger
nicht in demselben Ansehen standen , wie die frei geborenen Bürger.
Sie können vielfach nicht, z. B. selbst in dem kleinen Wernigerode 7),
in die Innungen aufgenommen werden 8). Oft können sie keine städti-
schen Ehrenämter bekleiden und vor allem nicht Ratsherren werden 9).
In Bremen10) wird im Jahre 1330 bestimmt: ok ne scal nen man
ratman wesen, de wastins ofte hovettins edder ervedeil ghift. In dem
bekannten Heinrich dem Löwen zugeschriebeneu Lübecker Ratsstatut ll)
heißt es: he scal sin godes ruchtes, echt unde recht unde vry geboren
1) Nach der alten Soester Schroe verliert sogar der Bürger, dar eine Hörige freit,
das Bürgerrecht : Wylich unser borgere neme to echte eyn vulschuldig wyf, de sal sine
burscap dar mede vorloren hebben, aude sal dat wyf vry maken ande winnen dan dey
burscap weder, doyt he es nicht, so scal he vorkopen unsen bürgeren al dat he hevet
in unser stat ande in unser veitmarke binnen jare ande dage. Seibertz, Urkundenbuch
729, § 152.
2) Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 426.
3) Ebenda S. 426.
4) Knieke hält meine Ansicht, dafs die Unfreien kein Teil am Bürgerrecht haben,
die ich mit Frensdorff und Philippi teile, für irrtümlich. Knieke. a a. O., S. 94, A. 2.
5) Gengier, Stadtrechte, S. 184, § 8.
6) Philippi, Zur Verfassungsgeschichte der Westfäl. Bischofsstädte, S. 81.
7) Urkundenbuch von Wernigerode, S. 302, n. 519, S. 111, n. 182, S. 113, n. 183,
be enhebbe de borgerschop unde sy echte und recht geboren. — Unde dat disse sulve
N. leddich unde fry sy geboren unde nemandes late edder eygen sy unde ok neynes
bockmullers, lynewewers, schepers, stoevers, gerndes, noch van Wendescher edder ruder-
scher ard geboren sy.
8) Vgl. v. Maurer, Städteverfassung, II, S. 448.
9) Ebenda. I, S. 614.
10) Bremisches Urkundenbuch, II, n. 312, S. 313.
11) Urkundenbuch von Lübeck, I, n. 4, S. 6, B. Vgl. ebenda A. Wi settet ok,
dat men nemene te in den rat, he ne si echt, van vrier bort unde nemans eghen, unde
ok nin ammet hebbe van heren unde ok si van godeme ruchte unde van ener vrier
moder gheboren, dhe nemens egen si.
*354 Willi Varges,
unde besetten bynnen der stat vri torfachtig egen. Eine ähnliche Be-
stimmung findet sich in Hildesheim *).
Wir wenden uns jetzt zu den Vogteileuten2), den pfleghaften
Schatzleuten, homines advocaticii 3). In späteren städtischen Urkunden
werden die Yogteileute oft mit den Hörigen und hörig gewesenen
Bürgern zusammen genannt, so daß viele Forscher bei der Frage nach
der Stellung der Vogteileute im städtischen Leben Vogteileute und
Hörige ohne Unterschied zusammen behandeln. Nun ist zunächst fest-
zuhalten, daß die Vogteileute vollfreie Bauern sind und die Freizügig-
keit in vollem Maße besitzen. Erst nachdem die Landesherrn diesem
freien Landbewohner im 12. und 13. Jahrhundert als Ersatz für nicht
mehr geleistete Kriegsdienste die Zahlung einer Wehrsteuer, die unter
dem verschiedensten Namen auftritt, aufgelegt haben, wird ein Versuch
von den Landesherrn gemacht , die Freizügigkeit zu beschränken 4)
um eben dieser Steuer nicht verlustig zu gehen. Die Herren machen
die Auswanderung von ihrer Erlaubnis abhängig 5). Meist erteilen sie
dieselbe nur, wenn sich der Vogtmann verpflichtet, die Abgabe weiter
zu bezahlen 6). Wandert der Vogtmann ohne Erlaubnis des Herren
aus, so tritt dasselbe Verfahren, wie bei den Hörigen ein, der Herr
kann binnen Jahr und Tag nachfolgen und die Auslieferung bewirken 7).
Meist tritt aber auch hier ein Vergleich ein. Es handelt sich zunächst
um die Auswanderung in ein anderes Territorium, denn innerhalb der
Landesgrenzen bleibt jeder Vogtmann dem Landesherrn zu der Heer-
steuer verpflichtet8). Als ein fremdes Territorium werden aber in
gewissem Sinne auch die Städte angesehen , auch wenn sie innerhalb
der Landesgrenzen liegen. Einzelnen Städten ist, wie oben gezeigt
ist 9), nie der Schoß auferlegt worden , denn rechtlich schließt der
Kriegsdienst der Bürger die Schoßpflicht, die ja nichts anderes als
eine Wehrsteuer ist, aus * °). Anderen Städten ist auf dem Wege des
Privilegs der Schoß erlassen oder zum Nutzen der Stadt meist durch
Kauf, überlassen 1X). Alle Städte aber bezahlen, da die Steuer Gemeinde-
1) Urkundenbuch von Hildesheim, n. 609.
2) Vgl. v. Below, Histor. Ztschr., 58, S. 195 fi. Landst. Verfassung, I, S. 26, A. 90,
S. 62, III, S. 5 ff . Handwörterbuch der Staatswissenschaften. Zeumer, Städtesteuern, S. 3,
11, 18. Niepmann, Die direkten Staatssteuern von Kleve und Mark, S. 26. Waitz, Ver-
fassungsgeschichte, Bd. IV, S. 119, 171 ff. Vgl. meinen Aufs. Entstehung der Stadt Braun-
schweig, a. a. O., S. 119.
3) Der Name Vogtleute kommt zuerst m. W. im Landfrieden von 1179 vor. Böhmer,
acta imperii, n. 138. Vgl. v. Below, Landst. Verf., III, S. 9, A. 18. Waitz, Verfassungs-
geschichte, V. 253, A. 4. Lacomblet, Urkundenbuch, I, n. 483. Ueber Vogtgut vgl. Knieke,
a. a. O , S. 43, A. 2.
4) Vgl. Schroeder, Rechtsgeschichte, S. 212, 439. Lamprecht, Wirtschaftsgeschichte,
I, 872, 1212. Knieke, a. a. O., S. 44. Grimm, Weistümer, III, 843, IV, 575, 580, 29,
720, 17, V, 114, 51. Ueber die Veräufserung von Vogtgut vgl. v. Below, Landständ.
Verf., III, S. 9 u. A. 21. Knieke, a a. O., S. 44.
5) v. Below, Landst. Verf., III, S. 9. Grimm, Weistümer, VII, S. 328.
6} v. Below, a. a. O., S. 10 u. A. 22.
71 Ebenda.
8) v. Below, a. a. O., S. 10.
9) Aufs., I, S. 176.
10) Niepmann, a. a. 0., S. 14 ff.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 855
last ist, nur eine bestimmte Summe als Schoß, die mit der Zahl der
Einwohner der Stadt nichts zu thun hat. Oft ist diese Summe sehr
gering, denn sie wurde meist der Gemeinde auferlegt, als die Stadt
noch unbedeutend war. In jedem Falle bedeutet nun die Einwande-
rung eines Vogtmatins in die Stadt eine Schädigung der Einkünfte
des Landesherrn, während dem Bürger die Abgabenpflicht gemildert
wird. Die Landesherrn haben daher die Niederlassung von Vogtleuten
in den Städten ihres Territoriums von ihrer Einwilligung abhängig
gemacht. So bestimmt das Privileg für Kleve von 1242 »), ut . . .
aliquos advocatie nostre pertinentes, . . . nisi de . . nostra . . volun-
tate admittant. Für Ratingen wird 1276 festgesetzt2): nee aliquem
homiuem nostrum nostrae advocatie attinentem, qui nobis exaetiones
solvere consuevit, in suum colligent coopidanum, nisi nostrae benepla-
citae fuerit voluntatis. Zuweilen verbieten die Herren geradezu die
Aufnahme von Vogteileuteu in den Städten, so in München 3). Auch
aus dem Vertrag, der 1278 zwischen Eberhard von der Mark und
Erzbisehof Siegfried von Köln geschlossen wurde, geht das hervor4).
Die Niederlassung in den Städten wird dem Vogtmann in der Regel
gestattet, wenn er sich verpflichtet die schuldige Steuer auch weiter
zu bezahlen. In Winterthur muß der Vogtmaun dem Herrn dienen
nach der vogteigrecht 5). In Regensbnrg entrichtet derselbe nulla post
niodum advocato servitia per coactionem, sed tantummodo certum et
ab antiquo determinatum servitium exsolvet 6). Die Herren suchten
ihre Rechte auf den auswandernden Vogtmann vielfach durch gegen-
seitige Verträge zu sichern. So wird 1387 7) in einem Vertrag zwischen
dem Grafen Engelbert von der Mark und dem Herzog Wilhelm von
Berg bestimmt, daß die beiderseitigen Vogtleute frei sein sollen von
Schätzung und Bede in dem Gebiete ihres Wohnsitzes, aber ihren
früheren Herren zu diesen Abgaben verpflichtet bleiben. Zahlen die
Vogtleute die Steuern nicht, so sollen die beiderseitigen Amtleute die
Abgaben für die Herren eintreiben. Zuweilen verzichten zwei Landes-
herren auf die beiderseitigen Hörigen 8). Zuweilen tritt nun auch bei
den Vogteileuten eine Milderung in der Abgabenpflicht ein. In Lin-
dau und Sinsheim wird z. B. dem Herrn nur ein Anrecht auf einen
Teil des Nachlasses zugestanden. In Lindau gilt der Satz9): Item si
aliquis homo advocaticius in ipsorum civitate est residens, advocato
de sua persona aliquod servitium facere non tenetur; si autem idem
homo advocaticius vitam carnis ingressus fuit, universae ecclesiae, ad
quam speetare videtur, quiequid juris eadem ecclesia in ipso vel in
1) Lacomblet, a. a. 0., II, S. 136, n. 265
2) Ebenda, S. 407, n. 696.
3) Gengier, Stadtrechte, S. 293, § 14.
4) Kindlinger, Hörigkeit n. 40. Knieke a. a. O., S. 47.
5) Gengier, Stadtrechtsaltertiimer, S. 409.
6) Gengier, Stadtrechte, S. 395, § 21.
7) Lacomblet, Urkundenbuch, III, 921. Niepmann, a. a. 0., S. 28. Knieke, a. a. O.,
47.
8) Lacomblet, a. a. O., IV, n. 373, II, n. 651. v. Below, Landst. Verf., III, S. 10.
9) Gengier, Stadtrechte, S. 254, § 7.
856 Willi Varges,
aliis, qui sunt ejusdem conditionis, habere videtur, dabitur sine dolo.
Für Sinsheim *) wird bestimmt: si moriatur et advocatum habueritr
ille optimam vestem recipiat.
Im großen und ganzen finden sich Bestimmungen über die Auf-
nahme von Vogteileuten nur selten in den Stadtrechten 2). In der
Regel wird der Vogtmann, der im Besitz der Freiheit und Freizügig-
keit ist, zum Bürgerrecht ohne jede Beschränkung aufgenommen.
Verschiedene Stadtrechte sprechen sogar ausdrücklich aus, daß Bürger-
recht und vogteiliche Abgabe sich nicht mit einander vertragen. Sa
sagt das Nürnberger Privileg Friedrichs IL von 1219 3) in seinen Au-
fangsparagraphen : Quilibet ejusdem loci civis nulluni habere debeat
advocatum, preterquam nos et nostros successores Romanorum Reges
et Imperatores. Item quieunque civis ante dicte civitatis fecerit se
alieujus muntman, tarn civis ille quam qui hoc modo reeeperit eum,
gratiam nostram demeruit, et in utroque pax non violatur.
Es findet sich auch hier 4), daß die Landesherren die Aufnahme
der Vogteileute anderer Herren in den Städten möglichst erleichtern.
Bezeichnend ist hierfür das Privileg für Mülheim am Rhein von 1322,
in dem es heißt5): Item est condictum, quod ipsi oppidani nostri
neminem de terra nostra in eorum libertatem reeipient ad manendum
nisi procedat de voluntate nostra et consensu, et si quis alienus in-
trare voluerit eorum libertatem ad manendum, illum licite suseipere
poterunt pro jure eorum persolvendo. —
Auf die Einwanderung von Bürgern anderer Städte in die Städte,
die zahlreich vorkommt, braucht nicht näher eingegangen zu werden.
Die Bürger aller Städte bilden einen Stand. In der ältesten Zeit der
deutschen Städteentwickelung sind auch zahlreiche Landfremde in den
deutschen Bürgerstand aufgenommen, bezw. in demselben aufgegangen 6).
In der ältesten Zeit waren es meist fremde Kaufleute, die sich in den
deutschen Handelsorten niederließen, vor allem Lombarden, Wälsche,
Romanen und Friesen. So wird in Goslar 1188 ein Teil der Stadt
als villa Romana bezeichnet7). In Regensburg werden ebenfalls Ro-
manen und Wälsche erwähnt 8). In Basel gab es eine Lamparter-
straße9), in Wien eine Wallichstraße1"). Auch in Bingen wohnen
Lombarden11). In Mainz haben sich früh Friesen niedergelassen12).
1) GeDgler, Stadtrechtsaltertümer, S. 425.
2) Vgl. auch Knieke, a. a. O. S. 45.
3) Gengier, Stadtrechte S. 322.
4) Vgl. oben S. 845.
5) Lacomblet, a. a. O. 8. 164, n. 189.
6) v. Maurer, Städteverfassung I, S. 403, § 107.
7) Urkundenbuch von Goslar, I, n. 320, S. 354. in parte burgi Goslarie, quam
villam Romanam dieunt. Vgl. n. 351, S. 377.
8) v. Maurer, a. a. 0. I, S. 405. Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 96.
9) Gengier, a. a. O. S. 96.
10) Ebenda, S. 96.
11) v. Maurer, a. a. O. S. 405.
12) Ebenda, S. 404. annal. Fuld. ad 886. Pertz, I, 403. optima pars Mogontiae
civitatis, ubi Frisones habitabant. üeber Frisones und Galli in Soest vgl. Gengier,
Stadtrechte, S. 441, § 13.
Zur Entstehung der deutschen Stadtverfassung. 857
Neben diesen Romanen, Wälschen und Friesen spielen die Juden, auf
die wir unten eingehen, als Kaufleute eine große Rolle. — In späterer
Zeit, als sich in Deutschland selbst ein Kaufmaunsstand ausgebildet
hat, sind es besonders fremde Gewerbetreibende, die sich in den
Städten ansiedeln oder zur Einführung eines bestimmten Industrie-
zweiges angesiedelt werden. Es sind hier besonders Flamländer, Fla-
mingi, Frisones zu erwähnen. So werden im Hagen und in der Wik
von Braunschweig Flamländer und Friesen angesiedelt, um daselbst
die Tuchweberei einzufuhren x). Ein gleicher Vorgang wird von
Hildesheim berichtet 2). Die Flamländer lebten zunächst unter eigenem
Recht, verschmolzen aber bald mit den anderen Bürgern 3). Engländer
haben sich in Lübeck niedergelassen4). Wenden oder Slawen sind nur
selten aufgenommen. In Lüneburg und Lemgo wird eine Wenden- und
Slaveustraße erwähnt 5). Man kann daraus aber noch nicht auf
wendische Ansiedler schließen. In Wernigerode tritt im 13. Jahr-
hundert eine angesehene Familie auf, deren Name Kolit, später in
Semele verdeutscht, auf slavische Abkunft deutet 6). Meist versagen
die Städte den Wenden die Aufnahme ins Bürgerrecht und in die
Innungen, so gilt in Hamburg bis in unser Jahrhundert (1811) die
Bestimmung, daß kein Bürger leibeigen noch von wendischer Abkunft
sein darf 7). In Lübeck 8) dagegen wird dem Rate ausdrücklich gestattet,
Wenden, die sonst auch nach dem Rechte dieser Stadt als unfrei, den
Deutschen unebenbürtig und im Recht durchaus zurückgesetzt er-
scheinen, als Bürger aufzunehmen, wenn sie dessen würdig sind.
Were over dat eyn wend des werdich were dat he borgher worden
vere, de scal bliven lyke borgher rechte, heißt in den Lübecker
Statuten.
1) Vgl. meinen Aufs. Entstehung der Stadt Braunschweig a. a. 0. S. 113, und
meine Arbeit Gerichtsverfassung S. 15 ff.
2) Urkundeubuch von Hildesheim I, n. 49, S. 22.
3) Gerichtsverfassung a. a. O. S. 21.
4) Pauli, Lübeckische Zustände I, S. 37. Gengier, Stadtrechtsaltertümer S. 96.
5) Gengier, Stadtrechtsaltertiimer S. 96.
6) Jacobs, Festschrift des Harzvereins 1893, S. 20.
7) Lappenberg, Kechtsaltertümer p. XLIII. Frensdorff, Stadtverfassung Lübecks
S. 194.
8) Hach, Das alte Lübische Recht, S. 322, c. 110, A. 8. Frensdorff, a. a. O. S. 194
u. A. 22.
(Schlufs folgt.)
g58 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Nationalökonomische Gesetzgebung.
x.
Preufsisches Gesetz wegen Aufhebung direkter Staatssteuern.
Vom 14. Juli 1893.
§ 1. Behufs Erleichterung und anderweitiger .Regelung der öffent-
lichen Lasten der Gemeinden (Gutsbezirke) werden die folgenden direkten
Staatssteuern gegenüber der Staatskasse aufser Hebung gesetzt:
1) die nach den Gesetzen vom 21. Mai 1861 (Gesetz-Samml. S. 253
und 317) sowie nach den hierzu ergangenen ergänzenden und abändern-
den Gesetzen veranlagte Grund- und Gebäudesteuer,
2) die nach dem Gesetze vom 24. Juni 1891 (Gesetz-Samml. S. 205)
veranlagte Gewerbe- und Betriebssteuer.
§ 2. Ferner werden aufser Hebung gesetzt :
1) die von den Bergwerken in den älteren rechtsrheinischen Landes-
teilen zu entrichtende Aufsichtssteuer und Bergwerksabgabe (Gesetz über
die Besteuerung der Bergwerke für den ganzen Umfang der Monarchie,
mit Ausnahme der auf dem linken Bheinufer belegenen Landesteile, vom
12. Mai 1851, § 8 — Gesetz-Samml. S. 261 — , Gesetz, die Bergwerks-
abgaben betreffend, vom 20. Oktober 1862, § 4 — , Gesetz-Samml. S. 351 — ),
2) die in den übrigen Landesteilen zu entrichtende Bergwerksab-
gabe (Gesetz, die Bergwerksabgaben betreffend, vom 20. Oktober 1862,
§ 6 ; Verordnungen für das Gebiet des vormaligen Königreichs Hannover,
vom 8. Mai 1867, Artikel XXI — Gesetz-Samml. S. 601 — , für das
Gebiet des vormaligen Kurfürstentums Hessen, die Stadt Frankfurt und
die vormals Königlich bayerischen Gebietsteile, vom 1. Juni 1867 Ar-
tikel XVII — " Gesetz-Samml. S. 770 — , für das vormalige Herzogtum
Nassau, die vormals Grofsherzoglich hessischen Landesteile und die vor-
malige Landgrafschaft Hessen-Homburg einschliefslich des Ober-Amts-
bezirks Meisenheim, vom 1. Juni 1867 , Artikel I § 2 — Gesetz-Samml.
S. 802 — ; Gesetz, betreffend die Einführung des Allgemeinen Berggesetzes
vom 24. Juni 1865 in das Gebiet des Herzogtums Lauenburg, vom 6. Mai
1868, Artikel VII — Offizielles "Wochenblatt für das Herzogtum Lauen-
burg für 1868 Nr. 36 — ; Gesetz, betreffend die Einführung des Allge-
meinen Berggesetzes vom 24. Juni 1865 in das Gebiet der Herzogtümer
Nationalökonomische Gesetzgebung. 359
Schleswig und Holstein, vom 12. März 1869, Artikel IX — Gesetz-Samml.
S. 453—).
§ 3. Die Vorschriften der in den §§ 1 und 2 bezeichneten Gesetze
bleiben, soweit nicht in dem gegenwärtigen Gesetz und in dem Kommu-
nalabgabengesetz Abweichendes bestimmt ist, in Kraft.
Die Veranlagung und Verwaltung der Grund- und Gebäude- und
Gewerbesteuer wird, soweit nicht in dem gegenwärtigen Gesetz Abweichen-
des bestimmt ist, unter Aufrechterhaltung der dieserhalb bestehenden gesetz-
lichen Einrichtungen vom Staat für die Zwecke der kommunalen Besteue-
rung ausgeführt. Die landständische Mitwirkung bei der Verwaltung der
Grundsteuer innerhalb des kommunalständischen Verbandes der Oberlausitz
(Gesetz, betreffend die definitive Unterverteilung und Erhebung der Grund-
steuer u. s. w., vom 8. Februar 1867, § 49 — Gesetz-Samml. S. 185 — )
wird hierdurch nicht berührt.
§ 4. Die Veranlagung (§ 3) ist auf diejenigen Liegenschaften, Ge-
bäude und Gewerbebetriebe auszudehnen , welche von der entsprechenden
Staatssteuer freigeblieben, aber gemäfs den Bestimmungen des Kommunal-
abgabengesetzes der Kommunalsteuerpflicht unterworfen sind.
Für die Veranlagung gelten, soweit nicht in dem gegenwärtigen Gesetz
und in dem Kommunalabgabengesetz Abweichendes bestimmt ist, die all-
gemeinen gesetzlichen Vorschriften, welche bei der Heranziehung zu den
entsprechenden Staatssteuern anzuwenden gewesen sein wurden. Insbe-
sondere sind gegen die Veranlagung dieselben Rechtsmittel zulässig, mit
denen die Veranlagung der entsprechenden Staatssteuer hätte angefochten
werden können.
§ 5. Die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen , welche von der
Veranlagung der im § 1 Nr. 1 und 2 bezeichneten Steuern oder von ein-
zelnen derselben anderweitige Rechtsfolgen, insbesondere die Begründung
von Rechten oder Pflichten abhängig machen, bleiben aufrecht erhalten;
soweit hierbei die Entrichtung solcher Steuern vorausgesetzt wird, treten
an die Stelle der zu entrichtenden die veranlagten Beträge.
Auf die Bestimmungen im § 9 1 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes
vom 24. Juni 1891 (Gesetz-Samml. S. 175) findet diese Vorschrift keine
Anwendung.
Die Vorschrift findet gleichfalls keine Anwendung auf die Bildung
der Urwählerabteilungen für die Wahlen zum Hause der Abgeordneten,
lieber diese sowie die Bildung der Wählerabteilungen für die Wahl von
Gemeindevertretungen ergeht besondere gesetzliche Bestimmung.
§ 6. Die für die Provinzen Rheinland und Westfalen bestohenden
besonderen Vorschriften über den Grundsteuerdeckungsfonds und den Fonds
zur Erhaltung und Erneuerung des Katasters (Grundsteuergesetz für die
westlichen Provinzen vom 21. Januar 1839 § 2 zu b und c, §§ 4 , 44
bis 48 — Gesetz-Samml. S. 30 — , Verordnung, betreffend die Feststel-
lung und Unterverteilung der Grundsteuer in den beiden westlichen Pro-
vinzen vom 12. Dezember 1864 §§ 3, 4, 21 — Gesetz-Samml. S. 683 — )
treten aufser Kraft.
An Stelle dieser Vorschriften treten die in den übrigen Landesteilen
geltenden allgemeinen Bestimmungen.
gß0 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Mit der Auflösung der Fonds gehen die Bestände, sowie die alsdann
noch bestehenden Forderungen und Verpflichtungen
a) des Grundsteuerdeckungsfonds auf die Kreise der betreffenden Regie-
rungsbezirke nach Alufsgabe der veranlagten Grundsteuer,
b) des Fonds zur Erhaltung und Erneuerung des Katasters auf die
Staatskasse
über.
§ 7. Die auf die Aufbewahrung der Kopien der Katasterdokumente
und auf die Erteilung beglaubigter Auszüge aus denselben bezüglichen
Bestimmungen im Artikel II des Gesetzes über die Veräufserung und
hypothekarische Belastung von Grundstücken im Geltungsbereiche des
Rheinischen Rechts vom 20. Mai 1885 (Gesetz-Samml. S. 139) werden
auf die übrigen Teile der Rheinprovinz und auf die Provinz Westfalen
ausgedehnt.
§ 8. Soweit die Bestrafung von Zuwiderhandlungen gegen die Vor-
schriften über die Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer von der Vorent-
haltung oder von dem Verlust der Steuer gegenüber dem Staat abhängig
gemacht ist (Gebäudesteuergesetz vom 21. Mai 1861 § 17 Abs. 3; Gesetz,
betreffend die definitive Unterverteilung und Erhebung der Grundsteuer
in den sechs östlichen Provinzen, vom 8. Februar 1867, § 34 Abs. 3f
Gesetz , betreffend die Ausführung der anderweiten Regelung der Grund-
steuer in den Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover und Hessen-Nassau,
sowie in dem Kreise Meisenheim, vom 11. Februar 1870 § 1 — Gesetz-
Samml. S. 85 — , Gewerbesteuergesetz vom 24. Juni 1891, § 70), gilt
als vorenthalten (verloren) derjenige Betrag, welcher im Falle fortdauern-
der Hebung der Steuer zur Staatskasse nach Mafsgabe der Veranlagung
(§ 3 Abs. 2, § 4) zu entrichten gewesen sein würde.
Die im § 17 Absatz 3 des Gebäudesteuergesetzes vom 21. Mai 1861
bestimmte dreimonatige Anmeldefrist für neuentstandene Gebäude (§15
zu 4 a. a. 0.), desgleichen für wesentliche Verbesserungen von Gebäuden,
sowie Vergröfserungen der zu ihnen gehörigen Hofräume und Hausgärten
(§ 15 zu 5 a. a. 0.) beginnt mit dem Ablauf des Rechnungsjahres, in
welchem die Veränderung eingetreten ist.
§ 9. Zum Bezüge von Nachsteuern (Gebäudesteuergesetz vom 21. Mai
1861 § 17 Abs. 4; Gesetz vom 8. Februar 1867 § 34 Abs. 4; Gesetz
vom 11. Februar 1870 § 1; Gewerbesteuergesetz vom 24. Juni 1891
§§ 70, 78) ist diejenige Gemeinde berechtigt, welcher nach den Bestim-
mungen des Kommunalabgabengesetzes das entsprechende Steueraufkom-
men zusteht.
§ 10. Die Bestimmungen im § 81 des Gewerbesteuergesetzes vom
24. Juni 1891 werden aufgehoben.
Das Aufhören eines steuerpflichtigen Gewerbes ist nicht der Hebe-
stelle (§ 58 Absatz 1 a. a. 0.), sondern dem Vorsitzenden des für die
Veranlagung zuständigen Steuerausschusses anzuzeigen.
§ 11. Die Hebung und Beitreibung der Grund-, Gebäude- und Ge-
werbesteuer liegt derjenigen Gemeinde ob, welche nach den Bestimmungen
des Kommunalabgabengesetzes zum Bezüge des entsprechenden Steuerauf-
kommens berechtigt ist.
Nationalökonomische Gesetzgebung. &Qi
Die Ausfälle treffen die Gemeindekasse. Die Ermächtigung zum Erlasse
und zur Ermäfsigung veranlagter Steuern (Gesetz, betreffend den Erlafs
oder die Ermäßigung der Grundsteuer infolge von Ueberschwemmungen,
vom 15. April 1889, § 1 Nr. 1 — Gesetz-Samml. S. 99 — , Gewerbe-
steuergesetz vom 24. Juni 1891 §§ 44, 45) geht auf die Gemeinden über.
Die gesetzlichen Bestimmungen über Ansprüche der Gemeinden auf
Mitverwaltung ihrer Kassen durch staatliche Kassenbeamte (Gemeindeord-
nung für die llheinprovinz vom 2 3. Juli 1845 §§79, 106 — Gesetz-
Samml. S. 523 — , Landgemeindeordnung für die Provinz Westfalen vom
19. März 1856 §§ 44, 73 — Gesetz-Samml. 8. 265 — ) werden auf-
gehoben.
§ 12. Die auf die Betriebssteuer bezüglichen Vorschriften des Ge-
werbesteuergesetzes vom 24. Juni 1891 gelangen nach Mafsgabe folgen-
der Bestimmungen zur Anwendung:
1) Erstreckt sich ein betriebssteuerpflichtiges Gewerbe über mehrere
Kreise, so ist für jeden dieser Kreise die Hälfte der im § 60 Nr. 1 und 2
a. a. 0. bestimmten Steuersätze zu entrichten. Auf die im § 60 Abs. 2
a. a. 0. bezeichneten Betriebsstätten findet diese Bestimmung keine An-
wendung.
2) Die Betriebssteuer wird in den Landkreisen vom Landrat, in den
Stadtkreisen vom Gemeindevorstande, in Berlin von der Direktion für die
Verwaltung der direkten Steuern festgestellt.
Diesen Behörden stehen auch die Befugnis zur Herabsetzung der
Betriebssteuer gemäfs § 61 und die anderweite Feststellung gemäfs § 65
Absatz 2 a. a. 0. zu.
3) Die Betriebssteuer ist binnen zwei Wochen nach erfolgter Behän-
digung der Steuerzuschrift in einer Summe zu entrichten.
Die im § 51 a. a. 0. bezeichneten Steuerpflichtigen haben die Steuer
vor Eröffnung des Betriebes zu entrichten, oder, falls bis dahin die Steuer-
zuschrift noch nicht behändigt ist, einen von dem Gemeinde- (Guts-) Vor-
stande zu bestimmenden Geldbetrag bei der gleichzeitig zu bezeichnenden
Kasse zur Deckung dar Steuer zu hinterlegen , widrigenfalls ihnen die
Ausübung des Betriebes nach Mafsgabe des § 63 a. a. 0. untersagt werden
kann.
§ 13. Die Gemeinden (Gutsbezirke) haben die Betriebssteuer iu den
veranlagten Beträgen (§ 12) von den Pflichtigen ihres Bezirks zu erheben.
Die Gemeinden (Gutsbezirke) der Landkreise haben die erhobenen
Beträge am Schlüsse eines jeden Vierteljahrs an die Kreiskommunalkasse
abzuführen.
Sofern die Gemeinden nach den Bestimmungen des Kommunalabgaben-
gesetzes besondere Betriebssteuern eingeführt haben, müssen sie denjenigen
Betrag, welcher sich bei Anwendung der Bestimmungen der §§ 60 bis 69
des Gewerbesteuergesetses vom 24. Juni 1891 und des § 12 des gegen-
wärtigen Gesetzes ergeben würde, an die Kreiskommunalkasse abführen.
Die Kreise haben das ihnen zufiiefsende Aufkommen der Betriebs-
steuer (Absatz 2 und 3) zur Bestreitung ihrer Ausgaben zu verwenden.
§ 14. Die Kosten der Veranlagung und Verwaltung der Steuern
gß2 Nationalökonomische Gesetzgebung.
(§ 3 Abs. 2, § 4) werden, soweit sie nicht durch die den Gemeinden
hierbei übertragenen Geschäfte entstehen , aus der Staatskasse bestritten.
Das Aufkommen an Gebühren, Kosten und Strafen im Bereich der
Grund-, Gebäude- und Gewerbe-(Betriebs-)Steuer fliefst in die Staatskasse.
Sofern im Bereich der Katasterverwaltung die Ausführung von Neu-
messungen ganzer Gemarkungen oder gröfserer Teile von solchen seitens
einer Gemeiude oder der beteiligten Grundbesitzer beantragt wird, oder
vorzugsweise der Gemeinde oder den beteiligten Grundbesitzern zum Vorteil
gereicht, kann die Ausführung des Finanzministers von der Entrichtung
eines seitens der Gemeinde oder der beteiligten Grundbesitzer zu leisten-
den Beitrags zu den Kosten der Neumessung abhängig gemacht werden.
§ 15. Die Kosten der Hebung und Beitreibung der Steuern (§§ 11,
13) sind von den Gemeinden zu tragen.
Die gesetzlichen Bestimmungen über die Verpflichtung der Grund-
steuerpflichtigen zur Entrichtung von Beischlägen behufs Bestreitung der
Elementarerhebungskosten (Grundsteuergesetz für die westlichen Provinzen
vom 21. Januar 1839 §§ 2 a, 3; Gesetz vom 11. Februar 1870 § 11)
werden aufgehoben.
§ 16. Die gesetzlichen Bestimmungen über die Ansprüche der Ge-
meinden (Gutsbezirke) auf den Bezug von Vergütungen für die bei Ver-
anlagung der Gewerbesteuer und der Einkommensteuer ihnen übertragenen
Geschäfte (Gewerbesteuergesetz vom 24. Juni 1891 § 75 Absatz 1; Ein-
kommensteuergesetz vom 24. Juni 1891 § 73 Absatz 1) treten aufser
Kraft.
Durch Königliche Verordnung kann den Gemeinden und selbständigen
Gutsbezirken die Verpflichtung auferlegt werden, in ihren Bezirken die
Elementarerhebung der sämtlichen direkten Staatssteuern, der Domänen-,
Rentenbank- und Grundsteuerentschädigungsrenten, sowie die Abführung
der erhotenen Beträge an die zuständigen Staatskassen ohne Vergütung
zu bewirken.
§ 17. Ansprüche auf Grundsteuerentschädigung aus den §§ 1, 15
bis 17 des Gesetzes vom 11. Februar 1870 und aus dem Grundsteuer-
entschädigungsgesetze vom 21. Mai 1861 — Gesetz-Samml. S. 327 —
sowie auf sonstige, seitens des Staats zu leistende Entschädigungen, welche
die Entrichtung der Grundsteuer an den Staat zur Voraussetzung haben,
finden nicht ferner statt.
§ 18. Die auf Grund der §§ 1 bis 4 des Grundsteuerentschädigungs-
gesetzes vom 21. Mai 1861 und der §§ 1, 15 des Gesetzes vom 11. Fe-
bruar 1870 für die Aufhebung von Grundsteuerbefreiungen und Grund-
steuerbevorzugungen geleisteten Entschädigungen sind nach Mafsgabe der
folgenden Bestimmungen an die Staatskasse zurückzuerstatten.
Hierbei ist, soweit die Entschädigungen durch Erlafs von Domänen-
abgaben oder Domänenamortisationsrenten stattgefunden hat, das zu er-
stattende Entschädigungskapital nach dem zwanzigfachen Betrage der er-
lassenen Abgabe beziehungsweise Rente zu berechnen.
§ 19. Die Rückerstattung (§ 18) bleibt ausgeschlossen bezüglich
derjenigen Güter und Grundstücke, welche nach erfolgter Entschädigung
durch lästiges (entgeltliches) Rechtsgeschäft veräufsert worden sind.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 363
Wenn sich die Veräufserung nur auf einen Teil des Guts beziehungs-
weise Grundstücks erstreckt hat, so wird der Betrag der Rückerstattung
nach dem Verhältnisse der Grundsteuer ermittelt.
Falls jedoch der veräufserte Teil nur aus Absplissen zu öffentlichen
Wegen, zu Flüssen, Bächen , Kanälen oder zu Eisenbahnen besteht, wird
der hierauf entfallende Entschädigungsbetrag von der für das ganze Gut
oder Grundstück geleisteten Entschädigung nur dann abgerechnet, wenn
der zur Rückerstattung Verpflichtete nachweist, dafs der Grundsteuerrein-
ertrag der Absplisse mehr als den zehnten Teil des Grundsteuerreiner-
trages des ganzen Guts oder Grundstücks und zugleich mehr als 30 M.
beträgt.
Die Rückerstattung (§ 18) bleibt ferner in denjenigen Fällen aus-
geschlossen, in welchen die Vorschriften im § 5 des Gesetzes vom 25. Mai
1885 (Gesetz-Samral. S. 170) deshalb nicht zur Anwendung gekommen
sind, weil der Besitzer der betreffenden Grundstücke die im § 7 a. a. 0.
vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt hat.
Bezüglich derjenigen Güter und Grundstücke, deren Eigentum nach
erfolgter Entschädigung durch Schenkung, Vermächtnis, infolge von Eib-
teilungen oder Gutsüberlassungsverträgeu übergegangen ist, bleibt die Rück-
erstattung des Entschädigungskapitals zu demjenigen Bruchteile ausge-
schlossen , zu welchem der zeitige Eigentümer weder unmittelbar noch
mittelbar Erbe des Entschädigten geworden ist.
§ 20. Diejenigen Städte, welche gemäfs § 7 des Gesetzes vom 21. Mai
1861 entschädigt worden sind, haben die empfangene Entschädigung an
die Staatskasse zurückzuerstatten.
Sofern die einer Stadtgemeinde überwiesene Entschädigungssumme
auf die einzelnen Besitzer der Grundstücke in der städtischen Feldmark
verteilt worden ist (§ 18 Absatz 2 a. a. 0.), haben diese nach Mafsgabe
der §§ 18, 19 die Rückerstattung an die Staatskasse zu bewirken.
§ 21. Solchen Gemeinden, welche die Grundsteuerentschädigung zu
gemeinnützigen, keine entsprechende Verzinsung gewährenden Einrichtungen
verwendet haben, kann die Rückerstattung durch den Finanzminister ganz
oder teilweise erlassen werden.
Kommt infolge von privatrechtlichen Abmachungen dem Grundbesitzer
die Aufserhebungsetzung der staatlichen Grund- und Gebäudesteuer nicht
zu statten, so kann durch den Finanzminister der Zeitpunkt der Rück-
erstattung und der Beginn der Verzinsung bis zum Ablauf des betreffen-
den Vertrages, längstens aber bis zum 1. April 1910 hinausgeschoben
werden.
§ 22. Soweit durch Vertrag eine Ablösung der durch die Gesetze
vom 21. Mai 1861 (Gesetz-Samml. S. 253 und 317) und 11. Februar 1870
aufrecht erhaltenen Befreiungen von der Grund- und Gebäudesteuer statt-
gefunden hat, ist die empfangene Entschädigung an die Staatskasse zurück-
zuerstatten.
Die Bestimmungen des § 19 finden entsprechende Anwendung.
§ 23. Die zurückzuerstattenden Kapitalien (§§ 18 bis 22) sind seitens
der Pflichtigen vom 1. April 1895 ab mit S1/^ vom Hundert zu verzinsen.
g(34 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Die Feststellung der zurückzuerstattenden Kapitalien gebührt dem
Finanzmiuister.
Gegen die Feststellung steht den Pflichtigen binnen einer, vom Tage
der Mitteilung des zu erstattenden Betrages ablaufenden Aussohlufsfrist
von drei Monaten der Rechtsweg offen.
Die Beschreitung des Rechtsweges hat aufschiebende Wirkung.
§ 24. Kapitalbeträge (§ 23), welche den Betrag von 25 M. nicht
erreichen, sowie Kapitalbeträge, welche über einen durch 25 ohne Rest
teilbaren, in Mark ausgedrückten Geldbetrag hinausgehen, müssen binnen
einer Frist von sechs Monaten nach erfolgter endgiltiger Feststellung nebst
den bis zum Zahlungstage aufgelaufenen Zinsen zur Staatskasse eingezahlt
werden.
Dem Verpflichteten steht es frei, nach seiner Wahl entweder
a) den noch verbleibenden Betrag des zu erstattenden Kapitals nebst
den Zinsen binnen sechs Monaten nach erfolgter endgiltiger Feststellung
ebenfalls zur Staatskasse zurückzuzahlen, oder
b) statt dessen für die Zeit vom 1. April 1895 ab auf die Dauer
von 601/2 Jahren eine in vierteljährigen Teilbeträgen fällige Tilgungsrente
von jährlich 4 vom Hundert des Kapitals zu entrichten, wodurch das
Kapital mit 3x/2 vom Hundert verzinst, sowie mit 1/2 vom Hundert und
mit den durch die fortschreitende Tilgung ersparten Zinsen des ursprüng-
lichen Kapitalbetrages getilgt wird.
Auch während des Zeitraums von 601/2 Jahren kann der Verpflich-
tete die Tilgungsrente zum Beginn eines jeden Rechnungsjahres durch
Barzahlung des noch nicht getilgten Teils des Kapitals ganz oder teilweise
ablösen, mit der Beschränkung, dafs bei teilweiser Ablösung der fortzu-
entrichtende Teil der Tilgungsrente einen auf volle Mark abgerundeten
Jahresbetrag ergeben mufs. Welche Beträge in den verschiedenen Jahren
der 601/2jährigen Tilgungsdauer zur Ablösung erforderlich sind, ergiebt
die beiliegende Tilgungstafel.
Die fälligen Beträge an Kapital und Renten unterliegen der Beitrei-
bung im Verwaltungszwangsverfahren.
§ 25. Die aus den §§ 18, 19, 20 Absatz 2, §§ 22 bis 24 folgen-
den Verpflichtungen ruhen auf den Gütern und Grundstücken , wofür die
Entschädigung geleistet worden ist, als eine öffentliche, auf jeden Besitzer
übergeheude Last.
Wird ein mit einer Tilgungsrente behaftetes Gut oder Grundstück
zerstückelt, so ist die Tilgungsrente nach den Vorschriften der §§ 2 bis 5
des Gesetzes, betreffend die Verteilung der öffentlichen Lasten bei Grund-
stücksteilungen u. s. w., vom 25. August 1876 (Gesetz-Samml. S. 405)
zu verteilen, mit der Mafsgabe, dafs die Bestätigung des Verteilungsplanes
durch die Bezirksregierung erfolgt.
Die bei der Verteilung sich ergebenden, hinter dem Jahresbetrage
von einer Mark zurückbleibenden Tilgungsrenten oder über volle Mark-
beträge überschi« fsenden Rententeile sind nach den Grundsätzen des § 24
durch Kapitalzahlung abzulösen.
In den Fällen des § 19 Absatz 3 bleibt die Verteilung ausgeschlossen.
§ 26. Insoweit nicht in den §§ 24, 25 ein Anderes bestimmt ist,
Nationalökonomisclie Gesetzgebung. 865
regeln sich die Zahlung, Sicherstellung und Tilgung der Kapitalien und
Tilgungsrenten nach den entsprechenden Vorschriften in den §§18 bis 27
des Gesetzes über die Errichtung von Rentenbanken vom 2. März 1850
(Gesetz-Samml. S. 112), mit der Mafagabe , dafs die Bezirksregierung an
die Stelle der Rentenbank tritt.
§ 27. Die sämtlichen , behufs Rückerstattung von Kapitalien nebst
Zinsen (§§ 18 bis 25) im Laufe eines jeden Rechnungsjahres gezahlten
Beträge werden zum Zwecke der Tilgung von Staatsschulden durch Rück-
kauf eines entsprechenden Betrages von Schulddokumenten der Staats-
schuldentilgungskasse überwiesen.
§ 28. Das Gesetz, betreffend Ueberweisung von Beträgen, welche
aus landwirtschaftlichen Zöllen eingehen, an die Kommunalverbände, vom
14. Mai 1885 (Gesetz-Samml. S. 128) tritt aufser Kraft.
Soweit die Kreise bis zum 1. April 1895 die ihnen für das Rech-
nungsjahr 1894/95 zu überweisenden Summen noch nicht empfangen oder
über die Verwendung dieser Summen noch keine endgiltige Entscheidung
getroffen haben, kommen die Vorschriften jenes Gesetzes auch ferner zur
Anwendung.
§ 29. Die Bestimmungen der §§ 1 bis 27 finden auf die Hohen-
zollernschen Lande keine Anwendung.
Die Umgestaltung des Systems der direkten Steuern in diesen Landen
bleibt einem besonderen Gesetz vorbehalten.
Bis zum Erlasse eines solchen Gesetzes wird für die Hohenzollern-
schen Lande vom 1. April 1896 ab ein fester Jahresbetrag von 62 020 M.
aus der Staatskasse überwiesen.
Dieser Betrag wird nach den Verhältnissen der durch die letztvor-
angegangene Volkszählung ermittelten Einwohnerzahlen auf die einzelnen
Gemeinden verteilt. Den Vertretern der letzteren steht die Beschlufs-
fassung über die Verwendung zu.
§ 30. Das gegenwärtige Gesetz tritt mit dem 1. April 1895, jedoch
nur gleichzeitig mit dem Kommunalabgabengesetz und dem Ergänzungs-
steuergesetz in Kraft; die Bestimmungen der §§7, 10 Absatz 1, § 11
Absatz 3, § 14 Absatz 3, §§ 17, 25 Absatz 1 gelangen mit dem Tage
der Verkündigung zur Geltung.
Die Veranlagung für die Zwecke der kommunalen Besteuerung (§ 3
Absatz 2, § 4) erfolgt nach den Vorschriften dieses Gesetzes zunächst
für das Rechnungsjahr 1895/96.
Die am 1. April 1895 verbliebenen Rückstände der in den §§ 1, 2
bezeichneten Steuern werden nach Mafsgabe der bis dahin geltenden Be-
stimmungen zur Staatskasse eingezogen; das Gleiche gilt von Nachsteuern
und Strafen im Bereiche der Grund-, Gebäude- und Gewerbe-(Betriebs-)
Steuer.
§ 31. Die Minister der Finanzen und des Innern werden mit der
Ausführung dieses Gesetzes beauftragt,
Dritte Folse Bd. V.'II (LXIII)
ggg Nationalökonomische Gesetzgebung.
XL
Preii fsisches Er gänzungsteuer gesetz .
Vom 14. Juli 1893.
§ 1. Vom 1. April 1895 ab wird eine Ergänzungssteuer nach Mafs-
gabe der folgenden Bestimmungen erhoben.
I. Steuerpflicht.
§ 2. Der Ergänzungssteuer unterliegen :
I. die im § 1 des Einkommensteuergesetzes vom 24. Juni 1891
(Gesetz-Samml. S. 175) zu Nr. 1 bis 3 bezeichneten physischen Per-
sonen nach dem Gesamtwert ihres steuerbaren Vermögens (§ 4) ;
IL ohne Rücksicht auf Staatsangehörigkeit, Wohnsitz oder Aufent-
halt alle physischen Personen nach dem "Wert
a) ihres preufsischen Grundbesitzes,
b) ihres dem Betriebe der Land- oder Forstwirtschaft, ein schlief such
der Viehzucht, des Wein-, Obst- und Gartenbaues, dem Betriebe des
Bergbaues oder eines stehenden Gewerbes in Preufsen dienenden Anlage-
und Betriebskapitals.
§ 3. Befreit von der Ergänzungssteuer sind die gemäfs § 3 des
Einkommensteuergesetzes zu Nr. 1 bis 4 von der Einkommensteuer be-
freiten Personen.
Die Befreiungen zu Nr. 3 und 4 daselbst erstrecken sich nicht auf
das im § 2 zu II bezeichnete Vermögen und bleiben in denjenigen
Eällen ausgeschlossen , in welchen in den betreffenden Staaten Gegen-
seitigkeit nicht gewährt wird,
IL Mafsstab der Besteuerung.
1) Steuerbares Vermögen.
§ 4. Der Besteuerung unterliegt das gesamte bewegliche und unbe-
wegliche Vermögen nach Abzug der Schulden (§ 8).
I. Als steuerbares Vermögen im Sinne dieses Gesetzes gelten insbe-
sondere :
1) Grundstücke (Liegenschaften und Gebäude) nebst allem Zubehör,
Bergwerkseigentum, Niefsbrauchs- und andere selbständige Rechte und
Gerechtigkeiten, welche einen in Geld schätzbaren Wert haben ;
2) das dem Betriebe der Land- oder Forstwirtschaft, einschliefslich
der Viehzucht, des Wein-, Obst- und Gartenbaues, dem Betriebe des
Bergbaues oder eines Gewerbes dienende Anlage- und Betriebskapital (§ 6);
Nationalökonomische Gesetzgebung. 867
3) das sonstige Kapitalvermögen (§ 7).
II. Von der Besteuerung sind jedoch ausgeschlossen :
1) die aufserhalb Preufsens belegenen Grundstücke;
2) das dem Betriebe der Land- oder Forstwirtschaft, des Bergbaues
oder eines stehenden Gewerbes aufserhalb Preufsens dienende Anlage- und
Betriebskapital.
III. Als steuerbares Vermögen im Sinne dieses Gesetzes gelten nicht :
Möbel, Hausrat und andere bewegliche körperliche Sachen, insofern
dieselben nicht als Zubehör eines Grundstückes (I Nr. 1) oder als Be-
standteil eines Anlage- und Betriebskapitals (I Nr. 2) anzusehen sind.
§ 5. Behufs der Steuerveranlagung werden hinzugerechnet:
1) die zu einer Fideikommifsstiftung (§ 3 des Erbschaftssteuergesetzes
in der Fassung vom 24. Mai 1891, Gesetz-Samml. S. 78) gehörigen Ver-
mögen oder Vermögensteile dem jeweiligen Fideikommifsbesitzer;
2) das zu einer ungeteilten Nachlafsmasse gehörige Vermögen den
Erben nach Verhältnis ihres Erbteils;
3) die zum Anlage- und Betriebskapital einer nicht gemäfs § 1
Nr. 4, 5 des Einkommensteuergesetzes der Einkommensteuer unterliegen-
den Erwerbsgesellschaft gehörigen Werte den einzelnen Teilhabern nach
Mafsgabe ihres Anteils ;
4) dem Haushaltungsvorstaude das Vermögen derjenigen Haushaltungg-
angehörigen, deren Einkommen ihm gemäfs § 11 des Einkommensteuer-
gesetzes bei der Veranlagung zur Einkommensteuer hinzuzurechnen ist.
§ 6. Das Anlage- und Betriebskapital (§4 1 Nr. 2) umfafst die
sämtlichen dem betreffenden Betriebe gewidmeten Gegenstände und Rechte,
welche einen in Geld schätzbaren Wert haben.
Bei Steuerpflichtigen, welche aufserhalb Preufsens einen stehenden
Betrieb durch Errichtung von Zweigniederlassungen, Fabrikations-, Ein-
oder Verkaufsstätten oder in sonstiger Weise unterhalten, bleibt derjenige
Teil des Anlage- und Betriebskapitals, welcher auf den aufserhalb Preufsens
unterhaltenen Betrieb entfällt, aufser Ansatz.
§ 7. Das sonstige Kapitalvermögen (§4 1 Nr. 3) umfafst:
a) verzinsliche und unverzinsliche, verbriefte und unverbriefte Kapi-
talforderungen jeder Art einschliefslich des Werts von Aktien oder An-
teilscheinen, Kommanditanteilen, Kuxen, Geschäftsguthaben bei Genossen-
schaften, Geschäftsanteilen und anderen Gesellschaftseinlagen ;
b) bares Geld deutscher Währung, fremde Geldsorten, Banknoten und
Kassenscheine, mit Ausschlufs der aus den laufenden Jahreseinkünften
des Steuerpflichtigen (§ 7 des Einkommensteuergesetzes) vorhandenen Be-
stände, sowie Gold und Silber in Barren,
insoweit die Werte zu a und b nicht als Teile eines Anlage- und
Betriebskapitals (§ 6) anzusehen sind;
c) den Kapitalwert der Rechte auf Apanagen, Renten, Leibrenten,
Altenteilsbezüge und auf andere periodische geldwerte Hebungen, welche
dem Steuerpflichtigen auf seine Lebenszeit oder auf die Lebenszeit eines
anderen, auf unbestimmte Zeit oder auf die Dauer von mindestens zehn
Jahren entweder vertragsmäfsig als Gegenleistung für die Hingabe von
55*
368 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Vermögenswerten oder aus letztwilligen Verfügungen oder Familien-
stiftungen oder vermöge hausgesetzlicher Bestimmung zustehen.
Die Bestimmung zu c findet keine Anwendung auf Ansprüche an
Witwen-, Waisen- und Pensionskassen, auf Ansprüche aus eiuer KrankeD-
oder Unfall- oder der gesetzlichen Invaliditäts- und Altersversicherung,
auf Pensionen, welche mit Rücksicht auf ein früheres Arbeits- oder Dienst-
verhältnis gezahlt werden , sowie auf Renten , welche in letztwilligen
Verfügungen Personen zugewendet sind , die zum Hausstand des Erb-
lassers gehört und in einem Dienstverhältnis zu demselben gestanden
haben.
§ 8. Von dem Aktivvermögen sind in Abzug zu bringen :
1) die dinglichen und persönlichen Kapital schulden des Steuerpflichtigen
mit Ausschlufs derjenigen Verbindlichkeiten, welche zur Bestreitung
der laufenden Haushaltungskosten eingegangen sind (Haushaltungs-
ßchulden),
2) der Kapitalwert der vom Steuerpflichtigen oder aus einer Fidei-
kommifsstiftung zu entrichtenden Apanagen , Renten, Altenteile und
sonstigen periodischen, geldwerten Leistungen, auf welche die Vor-
aussetzungen im § 7 zu c Absatz 1 zutreffen,
insoweit diese Verbindlichkeiten (Nr. 1 und 2) nicht auf Vermögensteilen
haften, welche bei der Veranlagung aufser Betracht zu lassen sind (§ 4 II).
Erstreckt sich die Besteuerung lediglich auf die im § 2 II zu a und
b bezeichneten Vermögensteile, so sind nur diejenigen Schulden u. s. w.
abzugsfähig, welche auf diesen Vermögensteilen haften oder für deren
Erwerb aufgenommen sind.
Verbindlichkeiten, welche ungeteilt zugleich auf steuerbaren und nicht
steuerbaren Vermögensteilen haften, kommen von dem ersteren nur nach
dem Verhältnisse dieses Teils zu dem Gesamtvermögen in Abzug.
2) Wertbestimmung.
§ 9. Bei Berechnung und Schätzung des steuerbaren Vermögens
wird der Bestand und gemeine Wert der einzelnen Teile desselben zur
Zeit der Veranlagung (Vermögensanzeige) zu Grunde gelegt, soweit nicht
im Nachstehenden etwas anderes bestimmt ist.
§ 10. Bei Landwirtschafts- und Gewerbebetrieben, bei denen regel-
mäfsige jährliche Abschlüsse stattfinden, kann bei der Berechnung und
Schätzung des steuerbaren Vermögens der Vermögensstand am Schlüsse
des letzten Wirtschafts- oder Rechnungsjahres zu Grunde gelegt werden.
§ 11. Bei der Veranschlagung des Werts von Grundstücken, welche
dem Betrieb der Land- oder Forstwirtschaft, der Viehzucht, dem Wein-,
Obst- oder Gartenbau dienen, sind auch das lebende und tote Wirtschafts-
inventar sowie die sonst zum Anlage- und Betriebskapital (§ 6) gehörigen
Werte — einschliefslich der den gewerblichen Nebenbetrieben dienenden
Gegenstände — mit der iVIafsgabe zu berücksichtigen, dafs Mehr- oder
Minderwerte des Inventars gegenüber einem wirtschaftlich normalen Be-
stand in Zu- oder Abrechnung zu bringen sind. Aus den wirtschaft-
lichen Vorjahren noch vorhandene, zum Verkauf bestimmte Vorräte kommen
als selbständige Vermögensstücke in Anrechnung.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 869
Der Wert derjenigen Grundstücke, welche einem bergbaulicheD, einem
Handels- oder Gewerbebetriebe gewidmet sind, ist bei der Ermittelung
des dem betreffenden Betriebe dienenden Anlage- und Betriebskapitals zu
berücksichtigen.
§ 12. Bares Geld Deutscher Währung, Reichskassenscheine und
Reicbsbanknoten gelangen mit dem Nennwert, Silber und Gold in Barren,
sowie fremde Geldsorten mit dem Verkaufswert in Ansatz.
Im übrigen sind Wertpapiere, wenn dieselben in Deutschland einen
Börsenkurs haben, nach diesem, andernfalls nach ihrem Verkaufswert zu
veranschlagen.
Alle sonstigen Kapitalforderungen und Schulden sind mit dem Nenn-
wert in Ansatz zu bringen, insofern nicht die Voraussetzungen des § 16
Absatz 4 oder andere Umstände vorliegen, welche die Annahme eines
von dem Nennwerte abweichenden Verkaufswertes begründen.
§ 13. Behufs Ermittelung des Kapitalwertes von Niefsbrauchsrechten,
Apanagen, Renten, Leibrenten, Altenteilsbezügen und anderen periodischen
Nutzungen und Leistungen ist, sofern nicht der im § 5 Nr. 1 vorge-
sehene Fall vorliegt, der Geldwert der einjährigen Nutzung oder Leistung
nach Mafsgabe der folgenden Vorschriften zu Grunde zu legen:
I. Bei immerwährenden Nutzungen und Leistungen wird das Fünf-
undzwanzigfache des einjährigen Betrages, bei Nutzungen und Leistungen
von unbestimmter Dauer, falls nicht die Vorschriften unter II und III
Anwendung finden, oder anderweite die läugste Dauer begrenzende Um-
stände nachgewiesen werden, das Zwölfeinhalbfache des einjährigen Be-
trages als Kapitalwert angenommen.
IL Ist das Recht auf die Lebenszeit des Berechtigten oder einer
anderen Person beschränkt, so bestimmt sich der Kapitalwert nach dem
zur Zeit der Veranlagung (Vermögensanzeige) erreichten Lebensalter der
Person, bei deren Tode das Recht erlischt, und wird bei einem Lebens-
alter derselben
von 15 Jahren oder weniger auf das 18 fache
über 15 Jahre bis zu 25 Jahren auf das 17 „
n 25 ,, ,, „ 35 ,, ,, ,, 16 „
» 35 „ „ „ 45 " „ „ „ 14 „
>> 45 ,, „ ,, o5 „ ,, ,, 13 „
» 55 „ „ ,, 65 ,, „ „ 81/2 .,
>> 6o „ ,, ,, 75 „ ,, ,, 5 ,,
» 75 „ „ „ 80 „ ,, „ 3 „
„ 80 „ auf das 2 ,,
der einjährigen Nutzung oder Leistung angenommen.
III. Ist die Dauer des Rechts von der Lebenszeit mehrerer Per-
sonen dergestalt abhängig, dafs beim Tode der zuerst versterbenden die
Nutzung oder Leistung erlischt, so ist für die nach der Bestimmung zu II
vorzunehmende Wertermittelung das Lebensalter der ältesten Person mafs-
gebend. Wenn das Bezugsrecht bis zum Tode der letztversterbenden
Person fortdauert, erfolgt die Berechnung nach dem Lebensalter der
jüngsten Person.
370 Nationalökonomische Gesetzgebung.
IV. Der Kapitalwert der auf bestimmte Zeit eingeschränkten
Nutzungen oder Leistungen ist für den Zeitpunkt der Veranlagung (Ver-
mögensanzeige) unter Zugrundelegung eines vierprozentigen Zinsfufses
nach der beigefügten Hilfstabelle zu ermitteln. Ist jedoch die Dauer des
Eechts noch aufserdem durch die Lebenszeit einer oder mehrerer Per-
sonen bedingt, so darf der nach den Bestimmungen zu II und III zu
berechnende Kapitalwert nicht überschritten werden.
V. Bei Nutzungen oder Leistungen, welche ihrem Betrag oder ihrem
Geldwert nach nicht feststehen , wird der Geldwert des im letzten
Leistungsjahre entrichteten Betrages, und wenn eine volle Jahresleistung
noch nicht stattgefunden hat, der Geldwert des mutmafslich für das
laufende Jahr zu entrichtenden Betrages zu Grunde gelegt.
§ 14. Vom Kapitalwert unverzinslicher befristeter Forderungen und
Schulden werden für die Zeit bis zur Fälligkeit vier Prozent Jahreszinsen
in Abzug gebracht.
§ 15. Noch nicht fällige Ansprüche aus Lebens-, Kapital- und
Rentenversicherungen kommen mit zwei Dritteln der Summe der einge-
zahlten Prämien oder Kapitalbeiträge, falls aber der Betrag nachgewiesen
wird, für welchen die Versicherungsanstalt die Police zurückkaufen würde,
mit diesem Rückkaufswert in Anrechnung.
§ 16. Aufser im Falle des § 15 bleiben die von einer noch nicht
eingetretenen aufschiebenden Bedingung abhängigen Rechte und Lasten
aufser Betracht.
Rechte und Lasten, deren Fortdauer von einer noch nicht einge-
tretenen auflösenden Bedingung abhängt, werden wie unbedingte be-
handelt.
Die in den Absätzen 1 und 2 enthaltenen Bestimmungen sind gleich-
mäfsig auch auf die von einem Ereignis, welches nur hinsichtlich des
Zeitpunktes seines Eintritts ungewifs ist, abhängigen Rechte und Lasten
anzuwenden.
Unbeitreibliche Forderungen bleiben aufser Ansatz.
3) B e steueru n g s gre nze.
§ 17. Zur Ergänzungssteuer werden nicht herangezogen:
1) diejenigen Personen, deren steuerbares Vermögeu den Gesamtwert
von 6000 M. nicht übersteigt;
2) diejenigen Personen, deren nach Mafsgabe des Einkommensteuer-
gesetzes zu berechnendes Jahreseinkommen den Betrag von 900 M. nicht
übersteigt, insofern der Gesamtwert ihres steuerbaren Vermögens nicht
mehr als 20 000 M. beträgt;
3) weibliche Personen, welche minderjährige Familienangehörige zu
unterhalten haben, vaterlose minderjährige Waisen und Erwerbsunfähige,
insofern das steuerbare Vermögen der bezeichneten Personen den Betrag
von 20 000 M. und das nach Mafsgabe des Einkommensteuergesetzes zu
berechnende Jahreseinkommen derselben den Betrag von 1200 M. nioht
übersteigt.
National ökonomische Gesetzgebung.
871
III. Steuersätze.
§ 18.
Die Etgänzur
gssteuer beträgt
bei
einem steuerbaren
mögen von
mehr als
bis
einschliefslich
jährlich
Äff.
M.
M.
6 000
8 000
3
8 000
10 000
4
10 000
12 000
5
12000
14 000
6
14 000
16000
7
16000
18000
8
18 000
20 000
9
20 000
22 000
10
22 000
24 000
11
24 000
28 000
12
28 000
32 000
14
32 000
36 000
16
36 000
40 000
18
40 000
44 000
20
44 000
48 000
22
48 000
52 000
24
52 000
56 000
26
56 000
60 000
28
60 000
70 000
30
und steigt bei höherem Vermögen bis einschliefslich 200 000 M. für jede
angefangenen 10 000 M. um je 5 M.
Bei Vermögen von mehr als 200 000 M. bis einschliefslich 220 000 M.
beträgt die Steuer 100 M. und steigt bei höherem Vermögen für jede
angefangenen 20 000 M. um je 10 M.
2) Berücksichtigung besonderer Verhältnisse.
§ 19. Personen, deren Vermögen 32 000 M. nicht übersteigt, wer-
den, wenn sie nicht zur Einkommensteuer veranlagt sind, mit höchstens
drei Mark jährlich, wenn sie zu den ersten vier Stufen derselben veranlagt
sind, höchstens mit einem um zwei Mark unter der von ihnen zu zahlenden
Einkommensteuer verbleibenden Betrage zur Ergänzungssteuer herangezogen.
Steuerpflichtigen, welchen auf Grund des § 19 des Einkommen-
steuergesetzes eine Ermäfsigung der Einkommensteuer gewährt wird, kann
bei der Veranlagung auch eine Ermäfsigung der Ergänzungssteuer um
höchstens zwei Stufen gewährt werden, sofern das steuerpflichtige Ver-
mögen nicht mehr als 52 000 M. beträgt.
IV. Veranlagung.
1) Ort und Vorbereitung der Veranlagung.
§ 20. Die Veranlagung erfolgt an demjenigen Orte, au welchem
der Steuerpflichtige gemäfs § 20 des Einkommensteuergesetzes zur Ein-
872 Nationalökonomische Gesetzgebung.
kommensteuer zu veranlagen ist oder im Falle seiner Einkommensteuer-
pflicht zu veranlagen sein -würde.
Die bezüglich des Veranlagungsortes weiter erforderlichen Anord-
nungen erläfst der Finanzminister.
§ 21. Die Personenstandsaufnahme (§ 21 des Einkommensteuerge-
setzes) bildet zugleich die Grundlage für die Veranlagung der Ergänzungs-
steuer.
Jeder Gemeinde- (Guts-) Vorstand hat die im § 23 des Einkommen-
steuergesetzes vorgeschriebenen Ermittelungen auch auf alle diejenigen
Merkmale zu erstrecken, welche ein Urteil über den Umfang und Wert
des steuerpflichtigen Vermögens begründen können, und das Ergebnis in
eine nach näherer Bestimmung des Finanzministers einzurichtende Nach-
weisung einzutragen.
2) Veranlagungsverfahren.
§ 22. Die Veranlagung der Steuerpflichtigen erfolgt gleichzeitig mit
der Veranlagung der Einkommensteuer durch die gemäfs §§ 33, 34, 50
des Einkommensteuergesetzes gebildeten Veranlagungskommissionen.
Eine Voreinschätzung durch die Voreinschätzungskommissiou findet
nicht statt.
§ 23. Für jeden Veranlagungsbezirk wird ein Schätzuugsausschufs
gebildet, zu welchem gehören :
1) der Vorsitzende der Veranlaguugskommission oder der von dem-
selben zu bezeichnende Stellvertreter,
2) mindestens vier Mitglieder, von welchen zwei ständige durch die
Regierung ernannt, die übrigen aus der Zahl der gewählten Mitglieder
(stellvertretenden Mitglieder) der Veranlagungskommission durch dieselbe
abgeordnet werden. Die Zahl der Mitglieder bestimmt der Finanz-
minister.
Für die ernannten und für die gewählten Mitglieder wird in gleicher
Weise die erforderliche Zahl von Stellvertretern ernannt und abgeordnet.
Das Ausscheiden aus der Veranlagungskommission hat für die durch
die Kommission abgeordneten Mitglieder und Stellvertreter auch das Aus-
scheiden aus dem Schätzungsausschusse zur Folge.
§ 24. Der Schätzungsausschufs hat die behufs Veranlagung der
Steuerpflichtigen erforderlichen Wertermittelungen vorzunehmen und den
Wert der steuerbaren Vermögen, insbesondere die Werte der im Ver-
anlagungsbezirk belegenen Grundstücke, sowie die Werte der gewerblichen
Anlage- und Betriebskapitalien zu begutachten. ,
Der Ausschufs erhält zu diesem Zweck Kenntnis von allen durch
den Vorsitzenden der Veranlagungskommission gesammelten Nachrichten
(§ 25), den behufs Veranlagung zur Einkommensteuer eingereichten
Steuererklärungen, den auf letztere bezüglichen Schriftstücken, sowie dem
Ergebnis der Einkommensteuerveranlagung, und ist befugt, Auskunftsper-
sonen zu vernehmen oder mit beratender Stimme bei seinen Verhand-
lungen zuzuziehen.
Die Geschäftsordnung des Schätzuugsausschusses wird durch den
Finanzminister festgestellt.
Natioualökonomische Gesetzgebung. 873
§ 25. Der Vorsitzende der Veranlaguugskommission, welcher zugleich
die Interessen des Staates vertritt, hat das Veranlagungsgeschäft zu leiten
und ist dafür verantwortlich, dafs die gesamte Veranlagung in seinem
Bezirk nach den bestehenden Vorschriften zur Ausführung gelangt. - ■
Zum Zwecke der richtigen Veranlagung der Steuerpflichtigen hat der
Vorsitzende, soweit dies nicht bereits zum Zwecke der Einkommensteuer-
veranlagung (§ 35 Absatz 8 des Einkommensteuergesetzes) geschehen ist,
möglichst vollständige Nachrichten einzuziehen, auch die iür die Wertbe-
stimmung der steuerbaien Vermögensteile erforderlichen Unterlagen zu
beschaffen.
Hierbei kann er sich nach seinem Ermessen der Mitwirkung der
Gemeinde- (Guts-) Vorstände bedienen , welche seinen Aufforderungen
Folge zu leisten schuldig sind. Er ist befugt , die Voreinschätzungs-
kommissionen (§ 31 des Einkommensteuergesetzes) zu einer besonderen
Aeufserung über die Vermögensverhältnisse einzelner Steuerpflichtiger zu
veranlassen.
Der Vorsitzende kann den Steuerpflichtigen auf Antrag oder von
Amtswegen Gelegenheit zur persönlichen Verhandlung über die für die
Veranlagung erheblichen Thatsacheu und Verhältnisse gewähren.
Sämtliche Staats- und Kommunalbehörden und Beamte, mit Ausnahme
der Notare, haben die Einsicht aller die Vermögensverhältnisse der
Steuerpflichtigen betreffenden Bücher, Akten, Urkunden u. s. w. zu ge-
statten und auf Ersuchen Abschriften aus denselben zu erteilen, sofern
nicht besondere gesetzliche Bestimmungen oder dienstliche Rücksichten
entgegenstehen. Die Einsicht der Bücher, Akten u. s. w. der Sparkassen
ist nicht gestattet.
§ 26. Die Steuerpflichtigen sind berechtigt, behufs der Veranlagung
dem Vorsitzenden der Veranlagungskommission ihr steuerbares Vermögen
anzugeben oder diejenigen thatsächlichen Mitteilungen zu machen, deren
die Veranlagungskommission zur Schätzung des Vermögens bedarf (Ver-
mögensanzeige).
Zu Vermögensanzeigen für Personen, welche unter väterlicher Ge-
walt, Pflegschaft oder Vormundschaft stehen, sind deren gesetzliche Ver-
treter befugt.
Für Personen, welche abwesend oder sonst verhindert sind, die
Vermögensanzeigen selbst abzugeben, können solche durch Bevollmächtigte
erfolgen.
Die Vermögensanzeigen sind unter der Versicherung zu erstatten,
dafs die Angaben nach bestem Wissen und Gewissen gemacht sind.
Die Fristen und Formen, welche bei den Vermögensanzeigen zu be-
obachten sind, werden von dem Finanzminister bestimmt. Die erforder-
lichen Formulare werden kostenlos verabfolgt.
§ 27. Die dem Vorsitzenden zur Bearbeitung der Einkommensteuer-
Bachen zugeordneten Hilfsbeamten (§ 37 des Einkommensteuergesetzes)
können nach den hierüber vom Finanzminister zu erlassenden allgemeinen
Anweisungen auch bei der Bearbeitung der auf die Ergänzungssteuer be-
züglichen Angelegenheiten beteiligt werden.
§ 28. Der Vorsitzende der Veranlagungskommission hat nach Ein-
374 Nationalökonomische Gesetzgebung.
holung des Gutachtens des Schätzungsausschusses das nach seinem Er-
messen für jeden Steuerpflichtigen zutreffende Vermögen, getrennt nach
den verschiedenen Bestandteilen (§ 4), in die Nachweisung oder Steuer-
liste einzutragen, den nach Vorschrift dieses Gesetzes zu entrichtenden
Steuersatz vorzuschlagen und die Verhandlungen der Veranlagungskommission
zur Beschlufsfassung vorzulegen.
§ 29. Die Veranlagungskonimission unterwirft die Gutachten des
Schätzungsausschusses , die eingegangenen Vermögensanzeigen und die
Nachweisungen einer genauen Prüfung. Hierbei hat sie das Recht, von
den nach § 24 dem Schätzungsausschusse und uach § 25 Absatz 3 bis 5
dem Vorsitzenden zustehenden Hilfsmitteln auch ihrerseits Gebrauch zu
machen und sonstige zur Feststellung erheblicher Thatsachen erforderliche
Ermittelungen vorzunehmen.
§ 30. Werden die Angaben einer Vermögensanzeige über Gröfse
und Wert steuerbaren Vermögens durch die Veranlagungskommission oder
deren Vorsitzenden beanstandet, so ist dem Steuerpflichtigen mitzuteilen,
auf welche Vermögensteile oder Werte die Beanstandung sich bezieht.
Soweit es sich um thatsächliche Angaben handelt, sind zugleich die Gründe
der Beanstandung mitzuteilen.
Mit der Mitteilung ist die Aufforderung zu verbinden, sich binnen
einer bestimmten Frist über die beanstandeten Angaben zu erklären.
Erst wenn der Steuerpflichtige dies unterläfst, oder wenn die Be-
denken gegen die Richtigkeit der Vermögensanzeige nicht gehoben werden,
ist die Kommission bei Schätzung des Vermögens auch an die thatsäch-
lichen Angaben des Steuerpflichtigen nicht gebunden.
§ 31. Die Kommission setzt den nach ihrem Ermessen zutreffenden
Steuersatz auf Grund der stattgehabten Ermittelungen fest.
§ 32. Das Ergebnis der Veranlagung hat der Vorsitzende der Ver-
anlagungskommission dem Steuerpflichtigen mittels einer zugleich eine
Belehrung über das Rechtsmittel der Berufung enthaltenden Zuschrift be-
kannt zu macheu, welche, sofern auch die Veranlagung zur Einkommen-
steuer stattgefunden hat, mit der Benachrichtigung über dieselbe (§ 39
des Einkommensteuergesetzes) verbunden werden kann.
3) Recht s rai tte'l.
a) Ber u fu n g.
§ 33. Gegen das Ergebnis der Veranlagung steht sowohl dem
Steuerpflichtigen, als auch dem Vorsitzenden der Veranlagungskommission
binnen einer Ausschlufsfrist von vier Wochen das Rechtsmittel der Be-
rufung an die gemäfs §§41, 50 des Einkommensteuergesetzes gebildete
Berufungskommission zu.
Die Vorschrift im § 40 Absatz 2 des Einkommensteuergesetzes findet
sinngemäfse Anwendung.
Die Berufung kann mit der etwaigen Berufung gegen die Einkommen-
steuerveranlagung in demselben Schriftsatze angebracht werden.
§ 34. Der Vorsitzende der Berufungskommissiou hat die ihm im § 42
Nationalökonomische Gesetzgebung. 875
des Einkommensteuergesetzes zugewiesenen Obliegenheiten und Befugnisse
auch mit Bezug auf die Ergänzungssteuer wahrzunehmen.
^ § 35. Die Berufungskommissiou entscheidet über alle gegen das
Verfahren und die Entscheidungen der Veranluguugskommissionen und
der Schätzuugsausschüsse angebrachten Beschwerden und Berufungen.
Behufs Prüfung der Berufungen können die Berufuugskommission
und deren Vorsitzender eine genaue Eeststellung der Vermögensverhält-
nisse des Steuerpflichtigen veranlassen. Dabei sind sie befugt, von den
zu diesem Zweck den Veraulagungskommissionen und deren Vorsitzenden
zustehenden Hilfsmitteln (§ 25 Absatz 3 bis 5 , § 29) Gebrauch zu
machen.
Die Berufungskommission und deren Vorsitzender sind ferner befugt,
die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen zu veranlassen, sowie
die eidliche Bekräftigung des Zeugnisses oder Gutachtens der vernommenen
Zeugen oder Sachverständigen vor dem zuständigen Amtsgericht zu fordern.
Die zu vernehmenden Personeu dürfen die Auskuuftserteilung nur unter
den Voraussetzungen ablehnen, welche nach der Civilprozefsordnung zur
Ablehnung eines Zeugnisses beziehungsweise Gutachtens berechtigen.
Die Berutüngskommission hat die Vermögensnachweisungen sorgfältig
zu prüfen ; die von ihr gezogenen Erinnerungen sind bei der nächsten
Veranlagung (§ 37) zu beachten.
Ist gegen die Veranlagung desselben Steuerpflichtigen sowohl wegen
der Einkommensteuer als auch wegen der Ergänzungssteuer Berufung ein-
gelegt, so kann der Vorsitzende die Erörterung und Entscheidung der
Rechtsmittel in einem Verfahren herbeiführen.
b) Beschwerde.
£ 36. Gegen die Entscheidung der Berufungskommission steht so-
wohl dem Steuerpflichtigen als auch dem Vorsitzenden der Berufuugs-
kommission die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht in Gemäfsheit
der Vorschriften im § 44 des Einkommensteuergesetzes zu.
Die Beschwerde kann mit der etwaigen Beschwerde bezüglich der
Einkommeusteuerveranlagung desselben Pflichtigen in dem nämlichen
Schriftsatze angebracht werden.
Ist mit Bezug auf die Veranlagung desselben Pflichtigen sowohl wegen
der Einkommensteuer als auch wegen der Ergänzuugssteuer Beschwerde
eingelegt, so kann das Oberverwaltungsgericht diese Rechtsmittel in einem.
Verfahren erörtern und entscheiden.
Im übrigen finden auf die Beschwerden und auf das Verfahren zum
Zwecke der Entscheidung derselben die §§ 44 bis 49 des Einkommen-
steuergesetzes Anwendung.
V. Veranlagungsperiode und Veränderung der veran-
lagten Steuer innerhalb derselben.
§ 37. Die Veranlagung der Ergänzungssteuer erfolgt für eine Periode
von drei Steuerjahren, zum erstenmal jedoch für die Zeit vom 1. April 1895
bis zum 31. März 1896.
576 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Für die Zeit vom 1. April 1896 bis zum 31. März 1899 erfolgt
die Festsetzung der Veranlagungsperiode durch königliche Verordnung.
§ 38. Tritt im Laufe eines Steuerjahres eine Vermehrung des
steuerbaren Vermögens infolge Erb- oder Fideikommifsanfalls, Abteilungs-
oder Ueberlassungsvertrages zwischen Eltern und Kindern , Schenkung
oder Verheiratung ein, so ist der Erwerber entsprechend der Vermehrung
seines Vermögens anderweit zur Ergänzungssteuer zu veranlagen und zur
Entrichtung derselben von dem Beginn des auf den Vermögenszuwachs
folgenden Monats ab verpflichtet.
§ 39. Wird nachgewiesen, dafs im Laufe eines Steuerjahres infolge
Wegfalls eines Vermögenteils der Gesamtwert des steuerbaren Vermögens
eines Pflichtigen um mehr als den vierten Teil vermindert worden ist,
oder dafs der wegfallende Teil des Vermögens anderweit zur Ergänzungs-
steuer herangezogen wird, so kann vom Beginn des auf den Eintritt der
Vermögensverminderung folgenden Monats ab die Ermäfsigung der Er-
gänzungssteuer auf den dem verbliebenen Vermögen entsprechenden
Steuersatz beansprucht werden.
§ 40. Aufser in den Fällen der §§ 38, 39 begründet die im Lauf
der Veranlagungsperiode eintretende Vermehrung oder Verminderung des
Vermögens in seinem Bestand oder Wert keine Veränderung in der schon
erfolgten Veranlagung; vielmehr tritt eine Veränderung in den Steuer-
rollen innerhalb der Veranlagungsperiode nur ein entweder infolge von
Zugängen, indem Personen durch Zuzug aus anderen Bundesstaaten oder
aus anderen Gründen steuerpflichtig werden, oder infolge von Abgängen,
indem bei Steuerpflichtigen die Voraussetzungen, an welche die Steuer-
pflicht geknüpft ist, erlöschen.
Die Zu- und Abgangsstellung erfolgt von dem Beginn des auf deu
Eintritt oder das Erlöschen der Steuerpflicht folgenden Monats ab.
§ 41. Wegen des Verfahrens bei den Steuerermäfsigungen (§ 39)
und bei den Abgangsstellungen finden die Vorschriften § 60 Abs. 1 bis :3
des Einkommensteuergesetzes sinngemäfse Anwendung.
In den Fällen der §§ 38, 40 bestimmt an Stelle der Veranlagungs -
kommission der Vorsitzende derselben den zu entrichtenden Steuersatz
sowie den Zeitpunkt der Zugangsstellung. Im übrigen finden wegen des
Verfahrens bei der Veranlagung in Zugangsfällen sowie wegen der Rechts-
mittel die Vorschriften §§ 20 bis 36 Anwendung.
Den Gemeinde- (Guts-) Vorständen liegt nach den vom Fiuanzminister
hierüber zu treffenden Anordnungen die Führung der Zu- und Abgangs-
listen ob.
VI. Steuererhebung.
§ 42. Die Ergänzungssteuer wird gleichzeitig mit der Einkommen-
steuer erhoben.
Die zur örtlichen Erhebung der Einkommensteuer vom Einkommen
von nicht mehr als 3000 M. verpflichteten (Gutsbezirke) haben auch die
Ergänzungssteuer der mit einem Einkommen von nicht mehr als 3000 M.
veranlagten oder einkommensteuerfrei gebliebenen Personen zu erheben
und erhalten hierfür, solange nicht der im § 16 Absatz 2 des Gesetzes
Nationalökonomische Gesetzgebung. 877
wegen Aufhebung direkter Staatssteuern vorgesehene Fall eingetreten ist,
eine vom Finanzminister festzusetzende Gebühr, welche zwei Prozent der
Isteinnahme der erhobenen Ergänzungssteuer nicht übersteigen darf.
Die Vorschriften £§ 62 bis 64 des Einkommensteuergesetzes finden
auf die Ergänzuugssteuer gleichmäfsig Anwendung.
Aufser dem Veranlagten haften diejenigen Personen, deren Vermögen
demselben bei der Veranlagung gemäfs § 5 zugerechnet ist, für den auf
dasselbe nach dem Verhältnis zum veranlagten Gesamtvermögen ent-
fallenden Teil der veranlagten ErgänzungsBteuer solidarisch.
VII. Strafbestimmung.
§ 43. Wer in der Absicht der Steuerhinterziehung an zuständiger
Stelle über das ihm zuzurechnende steuerbare Vermögen oder über das
Vermögen der von ibm zu vertretenden Steuerpflichtigen unrichtige oder
unvollständige thatsächliche Angaban macht, wird mit dem zehn- bis
fünfundzwanzigfachen Betrage der Jahressteuer, um welche der Staat ver-
kürzt worden ist oder verkürzt werden sollte, mindestens aber mit einer
Geldstrafe von hundert Mark bestraft.
Ist eine unrichtige Angabe, welche geeignet ist, eine Verkürzung der
Steuer herbeizuführen, zwar wissentlich , aber nicht in der Absicht der
Steuerhinterziehung erfolgt, so tritt Geldstrafe von zwanzig bis hundert
Mark ein.
Straffrei bleibt, wer seine unrichtige oder unvollständige Angabe, be-
vor Anzeige erfolgt oder eine Untersuchung eingeleitet ist, an zuständiger
Stelle berichtigt oder ergänzt und die vorenthaltene Steuer iu der ihm
gesetzten Frist entrichtet.
§ 44. Die Einziehung der hinterzogenen Steuer erfolgt neben und
unabhängig von der Strafe.
Die Vorschriften § 67 Absatz 2 und 3 des Einkommensteuergesetzes
finden sinngeraäfse Anwendung.
VIII. S ch 1 uf s b es ti m mun g e n.
§ 45. Die Gemeinden (Gutsbezirke) tragen die Kosten für die bei
der Veranlagung der Ergänzungssteuer ihnen übertragenen Geschäfte.
Im übrigen fallen die Kosten der Veranlagung und Erhebung der
Staatskasse zur Last. Jedoch sind diejenigen Kosten, welche durch die
gelegentlich der eingelegten Rechtsmittel erfolgenden Ermittelungen ver-
anlafst werden, von dem Steuerpflichtigen zu erstatten, wenn sich seine
Angaben in wesentlichen Punkten als unrichtig eiweisen.
Die Festsetzung der zu erstattenden Kosten erfolgt durch die Re-
gierung, gegen deren Entscheidung dem Steuerpflichtigen binnen einer
Ausschlufsfrist von vier Wochen die bei der Regierung einzulegende Be-
schwerde an den Finanzminister offen steht.
Die Mitglieder der Kommissionen und Schätzungsausschüsse erhalten
aus der Staatskasse Reisekosten und Tagegelder, deren Sätze im Wege
der königlichen Verordnung gemäfs § 12 des Gesetzes, betreffend die
Tagegelder und die Reisekosten der Staatsbeamten, vom 24. März 1873
§78 Nationalökonomische Gesetzgebung.
Gesetzsainnil. S. 122 (Artikel I der Verordnung vom 15. April 1876,
Gesetzsamml. S. 107) bestimmt werden.
Die Gebühren für Zeugen und Sachverständige (§§ 24, 29) werden
nach den in Civilprozessen zur Anwendung kommenden Vorschriften be-
rechnet.
§ 46. Die folgenden Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes :
s^§ 51 bis 54 (Geschäftsordnung der Kommissionen und Zustellungen)
§ 55 (Oberaufsicht des Finanzministers),
§ 61 Absatz 1 und 2 (Ab- und Anmeldung),
§ 68 Absatz 2 und § 69 (Bestrafung der Zuwiderhandlungen gegen
die Melde- und die GeheimhaltuDgspflicht),
§ 70 (Strafumwandlung und Strafverfahren),
§ 78 (Zuständigkeit der Direktion für die Verwaltung der direkten
Steuern in Berlin),
§ 79 (Verlängerung der Ausschlufsfristen),
§ 80 (JNachbesteuerung),
§ 81 (Verjährung),
finden sinngemäfe Anwendung,
die §§ 52, 69, 80 mit der Mafsgabe, dafs der Steuererklärung die
Vermögensanzeige, dem Einkommen das steuerbare Vermögen im Sinne
dieses Gesetzes gleichsteht; dafs ferner die Vorschriften § 52 Absatz 1
und § 69 auch auf die Mitglieder des Schätzungsausschusses (§ 23) An-
wendung finden.
§ 47. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann beantragen,
wer durch Naturereignisse oder andere unabwendbare Zufälle verhindert
worden ist, die in dem gegenwärtigen Gesetze oder in dem Einkommen-
steuergesetze zur Einlegnug von Rechtsmitteln vorgeschriebenen Aus-
schlufsfristen einzuhalten. Als unabwendbarer Zufall ist es anzusehen,
wenn der Antragsteller von einer Zustellung ohne sein Verschulden keine
Kenntnis erlangt hat.
TJeber den Antrag entscheidet die Kommission oder Behörde, welcher
die Entscheidung über das versäumte Rechtsmittel zusteht.
Das versäumte Rechtsmittel ist unter Anführung der Thatsachen,
durch welche der Antrag auf Wiedereinsetzung begründet werden soll,
sowie der Beweismittel innerhalb zwei Wochen nach dem Ablauf des Tages,
mit welchem das Hindernis gehoben ist, nachzuholen.
Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an
gerechnet, findet die Nachholung und der Antrag auf Wiedereinsetzung
nicht mehr statt.
Die durch Erörterung des Antrages auf Wiedereinsetzung entstehenden
baren Auslagen trägt in allen Fällen der Antragsteller.
§ 48. Uebersteigt das Veranlagungssoll des Jahres 1895/96 den Be-
trag von 35 000 000 M. um mehr als 5 Proz., so findet in dem Ver-
hältnis des Mehrbetrages zu der genannten Summe eine Herabsetzung der
sämtlichen im § 18 bestimmten Steuersätze statt.
Diese Herabsetzung wird in angemessener Abrundung durch König-
liche Verordnung festgestellt. Die in der letzteren bestimmten Sätze sind
für das Steuerjahr 1895/96 und die folgenden Jahre mafsgebend.
Nationalökonomische Gesetzgebung. 879
In gleicher Weise findet, wenn das Veranlagungssoll des Jahres
1895/96 hinter dem Betrage von 35 000 000 M. um mehr als 5 Proz.
zurückbleibt, eine entsprechende Erhöhung der im § 18 dieses Gesetzes
bestimmten Steuersätze statt, insoweit der Ausfall nicht durch einen Mehr-
ertrag der Einkommensteuer für das Jahr 1895/96 über die Summe von
135 000 000 M. und durch die Zinsen der im § 49 bezeichneten Ueber-
schüsse gedeckt wird. Diese Erhöhung wird durch Königliche Verordnung
für die Folgezeit wieder aufser Kraft gesetzt, wenn las Veranlaguugssoll
der Ergänzungssteuer den Betrag von 35 000 000 M. zuzüglich einer
Steigerung von 4 Proz. für jedes auf 1895/96 folgende Steuerjahr er-
reicht.
§ 49. Uebersteigt die Einnahme an Einkommensteuer für das Jahr
1892/93 den Betrag von 80 000 000 M. und für die folgenden Jahre einen
um je 4 Proz. erhöhten Betrag, so sind die Ueberschüsse und deren
Zinsen bis zum Etatsjahre 1894/95 einschliefslich zu einem besonderen,
von dem Finanzminister zu verwaltenden Fonds abzuführen, soweit darüber
nicht durch Gesetz anderweit Verfügung getroffen ist,
Soweit die mit 3 1/2 Proz. zu berechnenden Zinsen dieses Fonds nach
dem Bestand vom 1. April 1895 zu dem im § 48 Abs. 3 dieses Gesetzes
bezeichneten Zweck keine Verwendung finden, ist über dieselben zu Bei-
hilfen für Volksschulbauten oder anderweiten Beihilfen an unvermögende
Schulverbände durch den Staatshaushaltsetat Bestimmung zu treffen.
Der Fonds selbst ist am 1. April 1895 zu den allgemeinen Staats-
fonds zu vereinnahmen.
Die §§ 82 bis 84 des Einkommensteuergesetzes treten mit der Ver-
kündigung dieses Gesetzes aufser Kraft.
§ 50. Abgesehen von der Bestimmung im § 48 ist eine Verände-
rung der Ergänzungssteuersätze nur bei gleichzeitiger und verhältnismäfsiger
Abänderung der Einkommensteuersätze zulässig.
§ 51. Bei der Verteilung und Aufbringung öffentlicher Lasten nach
dem Mafsstabe direkter Staatssteuern kommt die Ergänzungesteuer nicht
in Ansatz.
§ 52. Dieses Gesetz tritt nur gleichzeitig mit dem Gesetz wegen
Aufhebung direkter Staatssteuern in Kraft.
§30 Nationalökonomiscbe Gesetzgebung.
XII.
Wirtschaftliche Gesetze Oesterreichs im Jahre 1893.
Ges. betr. die Vereinsthaler und Vereinsdoppelthaler österr. Gepräges
uud deren Aufserkurssetzung vom 24. März (Verfassungsmäfsige Zustim-
mung zu dem Vertrage mit Deutschland v. 20. Febr. 1892. Die Aufser-
kurssetzung wird auf dem Verordnungswege ausgesprochen).
Ges. vom 24. März betr. eine Aenderung des Gbb. vom 4. April 1885
bez. des § I des Ges. vom 27. Dez. 1880 betr. Abänderung der Erwerbs-
und Einkommensteuergesetze und Vorschriften in ihrer Anwendung auf
Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und Vorschufskassen. (Die Be-
stimmungen des Gesetzes haben Anwendung auf diese Institute.)
Ges. v. 24. März in betr. der Gebühren von Gewinnsten. (Das Ges.
v. 31. März 1890 wird dahin abgeändert, dafs 15 Proz. ohne Abzüge zu
entrichten sind.)
Ges. v. 24. März , durch welches die Landessilbermünzen zu zwei
Gulden uud ein viertel Gulden aufser gesetzlichen Umlauf gesetzt werden
(mit dem 1. Juni 1893).
Ges. v. 30. März wegen Verabfolgung von Viehsalz um ermäfsigte
Preise (bis 500 000 M.-Centn. zu 5 Gld. v. 1, Jan. 1894 an).
Ges. v. 20. April betr. die rechts- und staatswissenschaftlichen Studien
und Staatsprüfungen.
Ges. v. 5. April betr. die Ausdehnung der zeitlichen Befreiung von
der Hauszinssteuer für Umbauten.
XIII.
Wirtschaftliche Gesetzgebung des Deutschen Reiches
im Jahre 1893.
Ges. betr. die Einführung einer einheitlichen Zeitbestimmung vom
12. März (die mittlere Sonnenzeit des 15. Längengrades östlich Green-
wich vom 1. April 1893 an).
Ges. betr. die Abänderung der Mafs- und Gewichtsordnung vom 26. April.
(Das Meter und Kilogramm sind die Grundlagen des Maises und Gewichts.)
Nationalökonomische Gesetzgebung. 881
Ges. betr. Ergänzung der Bestimmung über den Wucher vom 19. Juni.
(Der § 302a des Strafgesetzbuchs soll lauten: Wer unter Ausbeutung der
Notlage, fies Leichtsinns oder der TJnerfahrenheit eines Anderen mit Bezug
auf ein Darlehen oder auf die Stundung einer Geldforderung oder auf ein
anderes zweiseitiges Rechtsgeschäft, welches demselben wirtschaftlichen
Zweck dienen soll, sich oder einem Dritten Vermögensvorteile versprechen
oder gewahren läfst, welche den üblichen Zinsfufs dergestalt überschreiten,
dafs nach den l'm ständen des Falles die Vermögensvorteile in auffälligem
Mifsverhältnis zu der Leistung stehen , wird wegen Wuchers mit Ge-
fängnis bis zu 6 Monaten und zugleich mit Geldstrafe bis zu 3000 M.
bestraft. Auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt
werden.
§ 302 d. Wer den Wucher gewerbs- oder gewohnheitsmäfsig be-
treibt, wird mit Gefängnis nicht unter drei Mouaten und zugleich mit
Geldstrafe von 150 — 15 000 M. bestraft. Auch ist Verlust des bürger-
lichen Ehrenrechts zu erkennen.
Aufserdem § 367, 16 Art. II. In dem Ges. v. 24. Mai 1880 betr.
den Wucher wird Art. 3 im ersten Absatz und im ersten Satz des zweiten
Absatzes geändert und wird folgender Art. 4 eingestellt:
Verträge, welche gegen die Vorschriften der §§ 302 a, b, c des Straf-
gesetzbuches verstofsen, sind ungiltig. Sämtliche von dem Schuldner oder
tür ihn geleisteten Vermögensvorteile müssen zurückgewährt und vom Tage
des Empfanges an verzinst werden . . .
Art. 4. Wer aus Geld- und Kreditgeschäften ein Gewerbe macht,
hat die Rechnung des Geschäftsjahres für jeden, welcher ein Geschäft der
bezeichneten Art mit ihm abgeschlossen hat und daraus sein Schuldner
geworden ist, abzuschliefsen und dem Schuldner 3 Monate nach Schlufs
des Jahres einen schriftlichen Auszug dieser Rechnung mitzuteilen, der
auch erkennen läfst, wie solches erwachsen ist.
Wer sich der Verpflichtung entzieht, wird bis zu 500 M. oder mit
Haft bestraft etc. Keine Anwendung finden die Bestimmungen auf Schuld-
verträge, welche auf nur Einem während des abgelaufenen Geschäftsjahres
abgeschlossenen Rechtsgeschäfte beruht . über welche schriftliche Mit-
teilung gemacht ist.
2) Auf öffentliche Banken, Bodenkreditinstitute, Spar- und Leih-
institute öffentlicher Korporationen , eingetragene Genossenschaften etc.
3) Auf den Geschäftsverkehr zwischen Kaufleuten.
Art. III. Der Abs. 3 Satz 1 des § 35 der Gewerbeordnung erhält
folgende Fassung: Dasselbe gilt von der gewerbsmäfsigen Besorgung
fremder Rechtsangelegeuheiten und bei Behörden wahrzunehmenden Ge-
schälten, insbesondere der Abfassung der darauf bezüglichen schriftlichen
Autsätze, von dem gewerbsmäfsigen Betriebe der Viehpacht, des Vieh-
handels und des Handels mit ländlichen Grundstücken , Vermittelung
für Immobiliarverträge, Darlehen und Heiraten, von dem Geschäfte eines
Gesindevermieters, Stellenvermittlers und Auktionators.)
Dritte Folge Bd VIU (LX11I) 56
882
Nationalökonomische Gesetzgebung.
XIV.
Wirtschaftliche Gesetzgebung der deutschen Bundesstaaten
im Jahre 1893.
A. Finanzen.
Freuten Ges. wegen Aufhebung direkter Staatssteuern v. 14. Juli (aufgehoben
werden Grund- und Gebäudesteuern v. 21. Mai 1861 und die Gewerbe-
und Betriebssteuer v. 24. Juni 1891, die Bergwerkssteuer v. 12. Mai 1851
und 20. Oktober 1862 und das gleiche Gesetz für die neuen Provirjzen).
Ergänzungsgesetz vom 14. Juli (Vermögenssteuer).
Kommunalabgabengesetz vom 14. Juli.
Gewerbesteuer vom 27. März (in 24 Klassen von 2 M. bis 5000 M.).
Baden Ges. betr. die Steuerbefreiung neubestockter Weinberge v. 29. März
(Grundstücke von mindestens 1 Ar sind auf 5 Jahre von Staatsamtskörper-
schafts- und Gemeindesteuer frei).
Ges. betr. die Erhebung eines Zuschlages zur Liegenechaftsaccise durch
die Gemeinden v. 14. April. (Die Erhebung wird gestattet, wenn die
Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer nicht ausreichen, bis auf 80 Pf. von
100 M. des der staatlichen Accise unterliegenden Kaufpreises oder Werts
auf Grund der Erlaubnis des Ministeriums.)
Eis.-Lotbr. Ges. betr. die Gewerbesteuer-Einschätzung v. 6. Mai. (Die Ertrags-
fähigkeit eines Gewinnes bemifst sich nach derjenigen Ziffer, welche unter
normalen Verhältnissen und bei normalem Betriebe nach Abzug der auf
den Betrieb zu verwendenden Kosten erfahr ungsgemäfs als durchschnittlich
verbleibender Jahresertrag angenommen werden kann. Die Schätzung
erfolgt auf Grund von äufseren Merkmalen. Dabei kommen die Bevölke-
rungs- und Verkehrsverhältnisse , dann die Zahl der Gehilfen, Betriebs-
räume, -mittel etc. in Betracht. — Die Leitung der Einschätzung liegt
dem Direktor der direkten Steuern ob. Eine Kommission von Landes-
schätzern, aus 15 Mitgliedern bestehend, hat für Gieichmäfsigkeit der Ein-
schätzung zu sorgen. Den Vorsitzenden und 5 Mitglieder ernennt das
Ministerium, die übrigen wählt der Landesausschufs. Die Kommission
kann Mustereinschätzungen veranlassen.
Die Einschätzung der Gewerbe geschieht innerhalb zu bildender
Schätzungsdistrikte (Kreis- oder Bezirkskommission) durch Kommissionen
unter dem Vorsitz von dem Ministerium zu bestimmender Ausführungs-
kommissare. Die Kreiskommission (6 — 8 Mitglieder) wird zur Hälfte in
geheimer Abstimmung von dem Kreistage ev. dem Gemeinderat gewählt,
die andere Hälfte ernennt der Direktor der direkten Steuern aus den
Gewerbetreibenden. Die Bezirkskommission besteht aus dem Ausführungs-
kommissar als Vorsitzenden und 10 Mitgliedern. Drei sollen durch den
Bezirkstag, drei durch die Handelskammer, die übrigen durch den Direktor
der direkten Steuern mindestens zur Hälfte aus dem Gewerbestande ge-
wählt werden.
Braunschweig Qeg betr. einige Abänderungen des Klasseusteuergesetzes v. 7. Jan.
1865, v. 28. März. (Selbstdeklaration.)
Nationalökonomische Gesetzgebung.
883
Schwarzburc-
Rudolstadt
Gewerbesteuergesetz v. 28. März. (Stehende Gewerbe mit einem Be- waideck
trage von 1500 M. an, nach 3 Steuerklassen mit ]/2, 3/4 und 1 Proz.
des jährlichen Einkommens, je nachdem dasselbe 1500 — 4000 M., 4000 —
10 000 M., 10 000 und mehr beträgt.)
Gewerbesteuergesetz v. 25. März.
Einkommensteuergesetz v. 25. März. (Der monatlicbe Steuersatz beträgt
bei einem Jahreseinkommen bis 355 M. 5 Pf., 350—400 M. 10 Pf. fort-
dauernd steigend von 600— 700 50 Pf. , 1000—1200 1,50, 1800—2100
3,50, 10 000 27 M., 18 000—20 000 M. 54 M., um je 2000 M. steigend
um je 6 M. Mit einem Einkommen von 3000 M. ist Selbstdeklaration
an den Vorsitzenden der Hezirkskommission (Landrat) verlaugt.)
Ges. betr. die Einkommensteuer v. 17. Jan. (Die Einkommensteuer Reur« a. L
beträgt terminlich von einem Einkommen von 15 — 30 M. 3 Pf., 30 — 60 M.
6 Pf. u. s. w., 270—300 M. 30 Pf., 900 — 1050 M. 1,20, 3000 M. 7,80,
5000 M. 16,20, 10 000, 37,80 M. von 12 000 M. an um je 1000 M.
steigend je 5 M. mehr. Die Einkommensteuer wird in so viel alljährlich
durch Patent zu bestimmenden Terminen erhoben, als zur Aufbringung
des vom Landtag bewilligten Jahresbedarfs erforderlich ist. Die Einschätzung
erfolgt durch eine Einschätzungskommission. Die Mitglieder (3 — 12) werden
vom Gemeinderat resp. Gemeindeversammlung auf 3 Jahre aus der Zahl
der Steuerpflichtigen gewählt. 1/3 der Mitglieder scheidet jahrlich aus.)
Ges. betr. die anderweite Feststellung des Diensteinkommens der Ver- Anhalt
waltungsbeamten und .Justizbeamten vom 11. April.
Ges. betr. Zusätze zum Ges. v. 25. Okt. u 17. Dez. 1874 betr. die Kremen
Erhebung der Einkommensteuer v. 5. Jan. (die Entscheidungen der Steuer-
deputation betr.).
Ges. betr. die Wassersteuer v. 30. März.
Ges. betr. Aenderung des Ges. v. 25. Juli 1888 betr. die Verbrauchs-
abgabe.
Ges. betr. die Kanalsteuer v. 9. Juli.
Ges. betr. die Heranziehung von Militärpersonen zu Abgaben für
Gemeindezwecke v. 28. Dez.
B. Land- und Forstwirtschaft. Bergbau.
Ges. betr. die Entschädigung für an Maul- und Klauenseuche gefallenes [Baden
Vieh v. 31. Mai.
Ges. betr. das landwirtschaftl. Nachbarrecht v. 15 Juni. Berggesetz Birkenfeid
v. 18. März 1891.
Ges. betr. Abänderungen einzelner Bestimmungen des Berggesetzes Braunschweig
v. 15. April 1867 u. 16. April 1892.
Ges. betr. die Zulassung von Gewerkschaften v. 13. Febr. Schw.-Sond.
Ges. betr. die Abänderung einzelner Bestimmungen des Berggesetzes Anhalt
v. 20. April 1875, v. 23. März.
Ges. Nachtrag zu d. Ges. v. 10. Jan. 1887, die Untersuchung der Renfs j. l.
Zuchtstiere betr. v. 11. Nov. (alljährlich finden zwei öffentliche Zucht-
stierprüfungen statt, nur als tauglich von der Kommission anerkannte
dürfen gegen Entgelt zur Zucht benutzt werden).
Ges. die Wiederaufforstung abgeholzter Waldparzellen betr. v. 3. Nov.
56*
884
Nationalökonomische Gesetzgebung.
(was nicht für andere Kulturzwecke verwendet ist, soll spätestens in
5 Jahren wieder aufgeforstet werden).
Rremen Ges. betr. die Verkuppelungen und Geroeinheitsteilungen in der ehe-
maligen Feldmark Utbremen etc.
C. Arbeiter- und Armenwesen.
r.rhz. Hessen Ges. die Kosten der Landarmenpflege betr. v. 24. Mai. (Betreffs der
Bestreitung der Kosten der Landarmenpflege werden den Kreisen aus
Mitteln des Staates Pauschsummen halbjährlich zur Verfügung gestellt.
Dieselben bestehen in der Hälfte der Beträge, welche von den einzelnen
Kreisen im Durchschnitt der letzten drei Jahre verausgabt worden sin<i.
Die Summe wird darauf von dem Ministerium auf drei Jahre festgestellt.)
Revidierte Gesindeordnung v. 1 1. Nov.
Ges. betr. die Krankenversicherung v. 5. Jan.
Keuls j. L.
Bremen
D. Handelsindustrie. Geldbank.
Gotha Ges. betr. die Befugnis der Gemeinden zur Erhebung von Gemeinde-
steuern von Konsumvereinen v. 19. Juli (sobald sie einen offenen Laden
halten).
E. Verschiedenes.
Coburg
Schwarzburg-
Sr^ndersh.
Ges. die Zwangsentziehung schulpflichtiger Kinder betr. v. 25. Juli.
Ges. abändernde und zusätzliche Bestimmungen zu dem Ges. v. 22. Mai
1883 über die Unterbringung verwahrloster Kinder v. 23. Dez. (Sie kann
vom 7. — 18. Lebensjahre, ausnahmsweise bis zum 20. Jahre von Obrig-
keits wegen ausgesprochen werden; auch ohne dafs strafbare Handlungen
begangen sind, wenn das Verhalten des Kindes eine solche sittliche Ver-
wahrlosung zu erkennen giebt, dafs mit Rücksicht auf ihr Verhalten, auf
die Persönlichkeit der Eltern oder sonstigen Erzieher und auf ihre son-
stigen Verhältnisse die Unterbringung zur Verhütung weiterer sittlicher
Verwahrlosung erforderlich erscheint.)
M i s z e 1 1 e n 885
M i s z e 1 1 e n.
XVII.
Die gesetzliche Regelung des Grunderwerbs in den eng-
lischen, französischen und holländischen Kolonien.
Von Dr. Alfred Zimmermann.
Unter den Schwierigkeiten, mit denen die Kolonisation überseeischer
Gebiete zu rechnen hat, steht nach den vorliegenden Erfahrungen die
Frage der Regelung des Grunderwerbs obenan.
Der Wunsch, möglichst rasch gröfsere Kapitalien für die wirtschaft-
liche Erschliefsung einer Kolonie heranzuziehen, legt den Gedanken der
Erleichterung des Erwerbes und der Ueberlassuug gröf serer Landstriche
an Gesellschaften wie einzelne Unternehmer nahe. Mit fortschreitender
Entwickelung einer Kolonie erweist sich aber das Vorhandensein derartigen
grofsen Privatbesitzes, falls die Inhaber nicht zu bestimmten Kultur-
arbeiten verpflichtet sind und ihr Eigentumsrecht zeitlich unbegrenzt ist,
als störend. Kleinere Ansiedler lassen sich abschrecken, wenn sie Land
nur unter drückenden Bedingungen von den grofseu Konzessionären er-
werben können. Die Kolonialverwaltung sieht sich nicht selten in ihrer
Bewegungsfreiheit gehemmt, die Vornahme wichtiger Arbeiten wird auf-
gehalten oder ganz in Frage gestellt, und die Kolonie geht der Einnahmen
aus dem Verkauf von Land, wie der von zahlreicheren Ansiedlern zu er-
wartenden Steuern verlustig.
Eine weitere schwer zu entscheidende Frage betrifft die Art und
Weise, in welcher die Regierung den Uebergang herrenlosen, zu Kron-
besitz erklärten Landes in das Eigentum von Kolonisten am besten zu
regeln hat. Während die kostenlose Ueberweisung solchen Landes die
Besiedelung und Bewirtschaftung mancher überseeischer Gebiete zu Zeiten
gefördert hat, hat sie an anderen Orten nur Schaden gebracht. Es hat
sich oft als nützlicher für die Kolonien erwiesen, solches Land entweder
meistbietend oder im Abzahlungswege zu verkaufen oder durch Einführung
einer Art Erbpachtsystems dem Staat jederzeit einen Rechtstitel daran zu
bewahren.
Ueber die Gröfse der Grundstücke, welche einzelnen Unternehmern
zu überlassen rätlich ist, sind gleichfalls in verschiedenen Kolonien ab-
weichende Erfahrungen gemacht worden.
886
Miszellen.
Auch die in den Anfängen der Besiedelung nicht selten den Kolo-
nisten gewährte Freiheit, Landbesitz unmittelbar von den Eingeborenen
ohne besondere Bedingungen zu erwerben , hat häufig zu Unzuträglich-
keiten geführt. Die Eingeborenen, welche oft ohne Kenntnis von den
Folgen zu Verträgen über Abtretung ihres gesamten Besitzes und sogar
von ihnen nicht gehörigen Gebieten veranlafst worden sind, weigern sich
nachher, den Vertrag als giltig anzuerkennen. Oft auch wird dasselbe
Gebiet durch sie mehrfach verkauft. Der Kolonie erwächst aus solchen
Vorgängen nicht allein die Gefahr von Unruhen und langwierigen Rechts-
streitigkeiten, sondern auch die der Verarmung der einheimischen Be-
völkerung.
Andererseits hemmt eine zu grofse Erschwerung und Verteuerung
des Erwerbs von Grundbesitz den Zuflufs von Geld und Unternehmern
nach den Kolonien.
Diese Schwierigkeiten, welche je nach den Verhältnissen einer Kolonie
in sehr verschiedener Weise sich geltend machen, haben in den fremden
überseeischen Besitzungen zu einer sehr umfangreichen und verwickelten
Gesetzgebung Anlafs gegeben. Ihr Ziel ist durchweg: die möglichst um-
fassende Besiedelung und Bebauung der Kolonien unter Beschränkung der
Spekulation zu fördern; die Interessen der Kolonisten und der Einge-
borenen unter sich und mit dem öffentlichen Wohl in Einklang zu
bringen, und der Staatskasse die erforderlichen Einkünfte zuzuführen.
Der Weg zu dem Ziele und der Erfolg ist aber aus mannigfachen
Gründen fast in allen Kolonialgebieten ein sehr verschiedener ge-
wesen.
Die nachfolgende Zusammenstellung weist dies an dem Beispiele einer
Anzahl englischer, französischer und holländischer Kolonien nach.
I. Englische Kolonien.
Die erste englische Niederlassung in Australien wurde 1788 ge-
gründet. Es wurde damals eiue Anzahl Sträflinge unter der Aufsicht des
Gouverneurs Phillip in Neu-Süd-Wales gelandet. Die Deportierten-
kolonie war auf Verpflegung von England aus angewiesen. Um Nahrungs-
mittel im Lande zu erzeugen, beantragte der Gouverneur die Sendung
freier Kolonisten, denen er Land geben und Strafgefangene zur Arbeit
überlassen wollte. Auf seinen Vorschlag hin genehmigte im August 1789
die Regierung, dafs der Gouverneur Beamten, Soldaten und Einwanderern
Grundstücke nach freiem Ermessen überweisen könne. Die Ansiedler
sollten je eine Anzahl Gefangener beschäftigen und ernähren und nach
5 Jahren Grundsteuer zahlen. Der Gouverneur erteilte die ersten Land-
konzessionen von 30 bis 40 Acres freigelassenen Sträfliugen.
1793 kamen die ersten freien Einwanderer in gröfserer Zahl. Da-
von erhielten die verheirateten 80, die ledigen 60 Acres. Ackerbau und
Viehzucht machten bald solche Fortschritte, dafs die Kolonisten mehr
Land verlangten. Um aber nicht das Kronland in der Nähe der An-
siedelungen zu rasch zu veräufsern und die ärmeren kleinen Bauern,
welche nicht genug Geld zu Gruudstückkäufeu besafsen, zu benachteiligen,
Miszellen. 837
verkaufte die Regierung kein Land, sondern verpachtete es nur von 1804
ab den Gemeinden.
Die Kolonisten wünschten über die Blue Mountains hinaus weiter
ins Innere vorzugehen. Die Regierung verbot diese Ausdehnung damals
aus Rücksicht auf die Strafkolonie.
Die Grundsteuer betrug erst 3 sh. von je 20 Acre?, später 5 Proz.
des Landwertes. Dazu mufsten die Ansiedler für 100 Acres je 5 Ge-
fangene erhalten. Wer 2000 Acres besafs, mufste 120 davon bestellen
und 30 Gefangene nähren.
1824 wurde der Verkauf von Land für 5 sh. vom Acre und gegen
eine Grundsteuer von 2 sh. für je 100 Acres eingeführt. Die Nachfrage
gestaltete sich dabei so grofs, dafs die Verwaltung ängstlich wurde und
nach 6 Monaten den Verkauf wieder einstellte. Auf dem Wege von
Konzessionen und Verleihungen sind bis 1831 nicht weniger als 3 422 538
Acres besten Landes in Neu-Süd- Wales veräufsert worden.
Im August 1831 wurde die erste Landakte erlassen, welche Verkauf
von Kronland an den Meistbietenden einführte. Als Mindestpreis wurden
5 sh. für den Acre festgesetzt. Die Grö'fse des zu kaufenden Terrains
war unbeschränkt. Mineralien verblieben Eigentum der Krone. Jeder
Käufer, der durch Beschäftigung von Sträflingen binnen 10 Jahren dem
Fiskus den Preis des Landes zehnfach einbrachte, erhielt die Kaufsumme
zurück. Die Nachfrage nach Grundbesitz unter diesen Bedingungen war
so rege, dafs binnen 41/2 Jahren 202 000 £ erzielt, wurden. Doch ge-
nügte das zum Verkauf gestellte Land nicht, um alle Kauflustigen zu be-
friedigen.
Die immer steigende Einwanderung und Nachfrage nach Land führte
zu einer grofsen Grundstücksspekulation. Um ihr zu steuern, erging 1842
eine neue Landakte, welche alle unentgeltlichen Landkonzessionen ab-
schaffte und den Mindestpreis bei Auktionen auf 1 £ erhöhte.
1843 wurde, um das Umsichgreifen der als Squatters im Innern ohne
Besitztitel nur mit Licenz lebenden Viehzüchter einzuschränken, bestimmt,
dafs jeder von ihnen von dem benutzten Lande mindestens 320 Acres
zum Preise von 1 £ für den Acre kaufen müsse. Diese Verordnung fand
grofsen Widerstand bei den Squatters, welche damals schon ungeheure
Landstriche in den Händen hatten. Sie setzten durch, dafs eine neue
Landakte von 1846 mehr ihren Wünschen entsprechend ausfiel.
Es wurde durch sie die Verpachtung von Ländereien von 16 000
Acres für 14 Jahre und mit dem Recht des Kaufs von 640 Acres für
ebensoviel £ gestattet. In dem noch ganz unbesiedelten Innern durften
Flächen von 32 000 Acres verpachtet werden. Während der Dauer des
Pachtvertrages war Verkauf des Lau des an Dritte verboten. Infolge dieses
Gesetzes begann ein allgemeines Jagen nach solchen Pachten und grofse
Spekulanten sicherten sich damit Rechte auf ungeheure Landstrecken.
Seitdem Neu-Süd-Wales 1855 eine verantwortliche Regierung erhielt,
machte sich eine starke Bewegung in der Bevölkerung gegen dieses Un-
wesen geltend. 1858 schon versuchte die Regierung einzuschreiten, aber
erst 1861 setzte Minister Robertson eine durchgreifende Revision der
Landesgesetzgebung durch.
M i s z e 1 le n.
Die Crown Land Alienation Act uud die Crown Land Occupation
Act, welche er veranlafste, haben 23 Jahre lang; Geltung bewahrt. Das
ersterwähnte Gesetz bestimmte folgendes. Jedermann kann beliebiges
unvermessenes Kronland in Stücken von 40 bis 320 Acres, soweit es
nicht städtisches Terrain oder reserviert ist, zum Preise von 1 £ für den
Acres auswählen und kaufen. */4 des Preises niufs angezahlt, der Rest
binnen 3 Jahren abgetragen werden. Land iu Minendistrikten konnte
für 2 £ vom Acre gekauft werden.
Die zweite Akte regelte die Besitznahme von Weideländereien in
der Weise, dafs Licenzen in besiedeltem Lande für eine jährliche Zahlung
von 2 £ für die Quadratmeile, in unbesiedeltem für Strecken von 25 bis
100 Quadratmeilen auf 5 Jahre im Wege der öffentlichen Schätzung er-
teilt werden konnten.
Statt dem Uebel zu steuern, förderte diese Gesetzgebung die Speku-
lation noch mehr. Besonders beliebt war es, Grund und Boden in Weide-
gebieten von der Regierung zu erstehen und den Squatter zu nötigen, sie
zu hohen Preisen wiederzukaufen. Auch die Squatters brachten grofse
Ländereien an sich und hielten dadurch die Kolonisation auf.
Die Landakte erfuhr 1875 eine Verbesserung insofern, als nur Per-
sonen im Alter von mehr als 16 Jahren sich Land zuteilen lassen durften.
Die zulässige Gröfse der Stücke wurrle auf 640 Acres erhöht und ange-
ordnet, dafs die Landbesitzer nach Erfüllung gewisser Bedingungen ein
zweites ebenso grofses Terrain kaufen und das anstofsende Gebiet pachten
konnten. Den Beschwerden wurde damit jedoch nicht abgeholten.
Im Jahre 1883 fand eine parlamentarische Untersuchung der ganzen
Frage statt. Die Kommission empfahl Beschränkung des Auswahlrechts
auf schon vermessenes Land, allgemeine Einführung des Pachtsystems,
Bevorzugung der früheren Inhaber bei Verpachtung von Weideland, Lei-
tung des Landamts durch nicht politische Personen. Diese Grundsätze
waren im Parlament nicht vollständig durchzusetzen, doch haben die 1884
und 1889 eingeführten neuen Landakten vieles gegen früher gebessert.
Die neue Gesetzgebung behält:
1) alle Mineralrechte der Regierung vor.
2) Sie teilt ferner die Kolonie in einen östlichen (60x/2 Millionen
Acres), einen mittleren (55 x/2 Millionen) und einen westlichen (80 Mill.)
Teil ein, welche in Landdistrikte zerlegt und durch 1 4 Grundämter ver-
waltet werden sollen.
3) Das Land des westlichen Teils der Kolonie, die verpachteten Ge-
biete und reservierter Grund und Boden dürfen nicht zum Verkauf ge-
bracht werden. Alles andere Land kann jeder über 16 Jahre alte Ko-
lonist in Stücken von nicht weniger als 40 Acres kaufen.
Das Land mufs aber vorher genau bezeichnet und beschrieben werden
und für den Acre sind 2 sh. zu hinterlegen. Für die Vermessung ist
von Grundstücken bis zu 4 Acre 1 £ mit entsprechender Steigerung für
gröfsere Flächen zu zahlen. Die Prüfung der Landkaufgesuche und die
Untersuchung älterer Ansprüche geschieht durch die Grundämter. Der
zugelassene Käufer mufs das Land 5 Jahre bewohnen und binnen 2 Jahren
einzäunen. Der Kaufpreis kann ratenweise mit vierprozentiger Verzinsung
M i a z e 1 1 e ii 889
binnen 5 Jahren abgetragen werden. Nach Erfüllung aller Bedingungen
wird der volle Besitztitel erteilt. Erst dann kann die betreffende Person
ein neues Landstück erwerben.
Ohne die Verpflichtung zum Wohnen werden Personen von minde-
stens 21 Jahren Grundstücke von 40 bis 320 Acres, aber nur einmal
und unter strengeren Bedingungen als die vorigen zugeteilt.
Die Käufer können aufserdem im mittleren und östlichen Teile der
Kolonie noch Stücke von 2560 beziehungsweise 1280 Acres Land in
Pachtung erhalten. Dies Land mufs gleichfalls umzäunt werden.
Im Auktionswege dürfen jährlich nicht mehr als 200 000 Acree nach
2- bis 3monatlicher Bekanntmachung verkauft werden. Die Mindestpreise
sind bei Stadtland 8 £; Weichbild 2,10 £; bei anderem Lande 25 sh.
für den Acre. Von Stadtland darf ein Stück nicht gröfser als 1/2 Acre,
bei dem zweiten als 20, bei dem letztgenannten als 640 Acres sein. Ein
Viertel der Kaufsumme ist sofort, der Rest binnen höchstens 5 Jahren
zu zahlen.
4) Jeder Inhaber von Weideland soll binnen 4 Monaten schriftlich
um Verpachtung eines genau beschriebenen Teils seines Gebiets beim
Minister einkommen. Nach getroffener Entscheidung wird das Land im
Westdistrikt auf 21, im mittleren auf 10, im östlichen auf 5 Jahre mit
dem Recht der Verlängerung der Pacht dem Bittsteller verpachtet. Die
Pachtsumme setzt der Minister nach Anhörung des Grundamts fest. Beim
Ei löschen oder Verfall von Weidepachtungen gehören, falls keine Wieder-
verpachtung stattfindet, alle auf dem Lande vorgenommenen Verbesserungen
u. s. w. ohne Entschädigung der Krone.
Im Westdistrikt können Heimstätten für 15 Jahre in der Gröfse von
2560 bis 10 240 Acres unter denselben Bedingungen wie Weidepach-
tungen verliehen werden. 3 Monate nach der Zuteilung mufs das Land
in Besitz genommen und binnen 2 Jahren umzäunt werden. In den ersten
5 Jahren mufs der Heirastätteninhaber jahrlich wenigstens 6 Monate auf
seinem Lande wohnen. Für Verbesserungen der Heimstätte wird beim
Verfall keine Entschädigung gezahlt. Eine Person kann nur eine Heim-
stätte pachten. Inhaber von Weidepachtungen dürfen keine Heimstätten
halten und umgekehrt.
Aufserdem sind jährliche Landpachtuugen für Gebiete bis zu 1920 Acres
gegen eine Zahlung von mindestens 2 £ für 640 Acres zulässig. Der
Staat kanu diese Pachten aber stets kündigen und anders über das Land
verfügen.
1893 ist noch eine Labour Settlements Act eingeführt worden, welche
die Gründung von Arbeiterdörfern aus Anlafs der in der Kolonie herr-
schenden Krise auf noch freiem Lande vorsieht.
Im Jahre 1891 waren von den 198 480 000 Acres, welche Neu-Süd-
Wales umfafst, 45 731 000 vergeben. 23 367 000 befanden sich bereits im
Privatbesitz, 3 123 000 waren für öffentliche Zwecke verwendet, 19 241 000
waren auf dem Wege, veräufsert zu werden. Die gröfste Zahl der Kolo-
nisten besitzt Grundstücke zwischen 16 uud 200 Acres Gröfse. Es gab
1891 deren 22 815. Ländereien von mehr als 10 0Ü0 Acres waren nur in
den Händen von 677 Personen.
390 Miszellen.
Der Zweck, die Ansiedelung in der Kolonie zu befördern , ist durch
das neue Gesetz nicht erreicht worden. Die Zahl der Leute, welche
Landkonzessionen kaufen, ist ständig zurückgegangen. 1884 zählte man
10 657, 1891 nur 6149; dagegen erreicht die Zahl der Verkäufe von
Grundstücken eine bedenkliche Höhe. Von 1882 — 91 sind 21 097 323 Acres
veräufsert und nur 12 884 478 von der Regierung gekauft worden. Die
grofsen Latifundien wachsen. Nur 2 Proz. des im Privatbesitz befindlichen
Landes werden wirklich kultiviert.
In Tasmania, welches anfänglich zu Neu-Süd-Wales gehörte, galten
bis zum Jahre 1828, in welchem es selbständig wurde, dieselben Bestim-
mungen, wie in der Mutterkolonie. Landverkäufe begannen 1828 zum
Mindestpreis von 5 sh. für den Acre. 1843 wurde das neben den Ver-
käufen bestehende Pachtsystem mit Erfolg ausgedehnt. 1848 wurde Ver-
kauf an den Meistbietenden, aber ohne Bedingung des Bewohnens des
Landes, eingeführt. Als der Abflufs der Bevölkerung nach den Gold-
feldern begann, wurde der Landerwerb zu gunsten der Spekulation noch
mehr erleichtert.
1858 nach Einführung der Selbstregierung wurde die erste Landakte
erlassen , welche die Wahl unvermessenen Landes in Stücken von 50 bis
640 Acres gestattete.
Sie mufsten binnen 5 Jahren umzäunt, und von 50 Acres je 5 in
Bewirtschaftung genommen werden. Der Preis für den Acre war 1 £.
Viehzüchtern wurden umsonst Landstücke bis zu 10 000 Acres verpachtet.
Die Pächter durften beliebige Stücke ihres Besitzes bis zu 640 Acres
für 10 sh. den Acre kaufen.
Eine neue Landakte von 1863 forderte Bewohnen des gekauften
Landes. 1870 wurde bestimmt, dafs jeder Erwachsene höchstens 320 Acres
auswählen durfte, die er bewohnen und mit ebensoviel £ in Fristen be-
zahlen mufste. Die Vermessung geschieht auf Kosten des Käufers. Da-
neben wurden Landverkäufe an den Meistbietenden eingeführt.
1891 trat eine Abänderung des Gesetzes in Kraft, welche die Ver-
gebung von Weidepachten an Meistbietende auf 14 Jahre und verschie-
dene Erleichterungen beim Landkauf genehmigte. 1891 waren in der
Kolonie 4 695 000 Acres vergeben, die sich aber trotz aller Vorkehrungen
in ziemlich wenigen Händen befinden.
Auch Victoria ist aus Neu-Süd- Wales hervorgegangen. 1835 wurde
es von tasraanischen Ansiedlern gegründet, welche von den Eingeborenen
am Port Phillip riesige Landstrecken für Messer, Brillen u. dergl. erworben
hatten. Der Gouverneur von Neu-Süd-Wales erklärte diesen Landkauf für
ungiltig und führte in der neuen Ansiedelung das Gesetz von 1831 ein.
Schon 1837 fand ihm gemäfs die erste Landversteigerung statt.
1840 ordnete die englische Regierung Einstellung der Landauktionen
und Verkauf aller Terrains einschließlich der Mineralien zu einem festen
Preise von 1 £ für den Acre an. Es geschah das, um die Auswande-
rung nach Melbourne und der neuen Kolonie zu heben. Aber die Ein-
richtung war in anderer Hinsicht so unzweckmäfsig und ungerecht , dafs
die Kolonialbehörden , wenigstens für das Land in der Nähe der Städte,
die Auktionen beibehielten.
Miszellen. 891
Die Landakte von 1842 führte den Verkauf an den Meistbietenden,
den Mindestpreis von 1 £ und vorherige Vermessung ein. Die Be-
schwerden der Herdenbesitzer waren hiergegen in Port Phillip dieselben
wie im übrigen Neu-Süd- Wales, und zur Akte von 1846 haben auch sie
thätig mitgewirkt.
1851 wurde Port Phillip unter dem Namen Victoria eine besondere
Kolonie. Es wann von den 56J/4 Millionen Acres seiner Oberfläche
bis dahin nur 400 000 zum Preise von 7 76 000 £ veräufsert. Jetzt be-
gann unter dem Einflufs der Goldfunde im Lande eine starke Zuwande-
rung und Bodenspekulation , gegen welche vergeblich angekämpft wurde.
1857 nahm das Parlament der Kolonie die Regelung der Angelegen-
heit iu die Hand. Aber bei dem starken Widerstand der Viehzüchter und
Spekulanten gegen Beschränkung ihrer Hechte kam es erst 1860 zu einer
Landukte.
Vermessenes Land sollte danach von der Regierung in Stücken von
40 bis 640 Acres zu 1 f der Acre verkauft werden. Auktionen fanden
nur statt, wenn mehrere Personen dasselbe Land wünschten. Niemand
durfte mehr als 640 Acres im Jahr kaufen. Das verfügbare Land wurde
iu Blöcke geteilt. War x/4 eines Blockes verkauft, so konnte der Rest
von den Käufern gemeinsam benutzt werden. Land bei Städten, Flüssen,
Bahnen sollte nur meistbietend verkauft werden. Auf je 10 Acres mufste
nach einer 1862 eingeführten Ergänzung des Gesetzes jeder Käufer 1
binnen Jahresfrist bebauen und das ganze Land einzäunen. Damals wurde
auch für Weideländereien eine höhere Pacht nach der Viehzahl und eine
Beschränkung ihrer Gröfse eingeführt.
1865 wurde deu Landkäufern Bewohnen des Landes und Ausführung
bestimmter Arbeiten während gewisser Fristen vorgeschrieben. Trotz alledem
gingen alljährlich immer gröfsere Strecken Kronland iu Privatbesitz über.
1869 wurde daher die zulässige Gröfse eines auf einmal zukaufenden
Terrains auf 320 Acres herabgesetzt. Der erwachsene Käufer mufste es
2V2 Jahre bewohnen, bestimmte Arbeiten ausführen, 2 sh. vom Acre
Pacht zahlen und erhielt den Besitztitel erst nach Erfüllung aller dieser
Bedingungen und gegen Erlegung von 1 £ vom Acre. Im Auktionswege
sollten jährlich nur 200 000 Acres veräufsert werden.
Weideland konnte für 14 Jahre gegen bestimmte Abgaben verpachtet
werden. Der Pächter mufs alles Ungeziefer darauf vertilgen. Er hat das
Recht, eine Heimstätte von 320 Acres für ebensoviel £ zu erwerben.
1883 erging die Mallee Pastoral Leases Act, welche den Zweck ver-
folgte, die in einem Teil des Distriktes Mallee hausenden wilden Hunde
und Kaninchen durch Ansetzung von Ansiedlern auszurotten. Ein Teil
des Distrikts wurde in Stücke bis zu 20 000 Acres geteilt, welche für
20 Jahre gegen 10 bis 40 sh. Pacht für die Quadratmeile verpachtet
werden. Die Pächter dürfen bis 320 Acres ihres Terrains in üblicher
Weise kaufen. Der gröfsere Teil des Distrikts wurde in Blöcke von
103/4 bis 583 Quadratmeilen zerlegt, welche an den Meistbietenden gegen
Zahlung einer Pacht nach der Viehzahl vergeben werden. Binnen 3 Jahren
müssen die Pächter im Mallee-Distrikt alles Ungeziefer vernichten und
das Land in guten Stand setzen.
892 Mis zell en.
Die allgemeine Landesgesetzgebung der Kolonie erfuhr 1884, 1890
und 1891 eine nochmalige Reform. Das noch verfügbare Kronland wurde
dadurch in Weide, Feld, Grasland, Goldland, Sümpfe u. 8. w. eingeteilt
und für jede Gattung besondere Vorschriften aufgestellt. 200 000 Acres
besonders vermessenen Landes dürfen jährlich meistbietend verkauft werden.
Im übrigen wird Land nur verpachtet, und der Pächter darf nur bis 320
Acres seines Pachtgutes kaufen. Bei Ablauf der Pachtverträge fällt das
gepachtete Land an die Krone, die Pächter erhalten aber für Zäune,
Brunnen, Dämme und dergleichen Entschädigungen.
1893 wurde noch durch ein Gesetz die Gründung von Dörfern ge-
regelt. Die Regierung gewährt dazu Ländereien und Geldvorschüsse.
1891 waren 22V2 Millionen Acres des Kronlandes der Kolonie ver-
äufsert und 2 687 000 davon unter Kultur. In der Zeit von 1874 — 91
allein sind 15 329 000 Acres veräufsert worden. Ein Teil davon ist aller-
dings verfallen oder weiter verkauft worden.
Queensland hat bis 1859 zu Neu-Süd- Wales gehört und unter
der dortigen Gesetzgebung gestanden. Nur 86 300 Acres waren veräufsert,
als die Kolonie selbständig wurde.
1859 beschlofs das Parlament eine Landakte, wodurch städtischer,
Weichbild- und ländlicher Grundbesitz unterschieden und der Verkauf an
die Meistbietenden zu mindestens 1 £ vom Acre eingeführt wurde.
Gröfsere Landstücke wurden an verschiedenen Stellen reserviert, in denen
Verkauf von Stücken in der Gröfse von 40 bis 320 Acres für ebensoviel
Pfund Sterling gestattet war. Die Käufer mufsten aber ihr Land be-
wohnen und sofort kultivieren. An frühere Offiziere und Einwanderer
konnte der Gouverneur kleinere Landstücke unentgeltlich verteilen.
Eine zweite gleichzeitige Akte regelte die Bedingungen der Pachtung
von Weideländereien. Der Staat konnte letztere jederzeit mit einjähriger
Kündigung und Entschädigung für Verbesserungen einziehen.
1863 wurden die für Kauf zu festen Preisen reservierten Gebiete ein-
geschränkt, Vermessung angeordnet und Einzäunung sowie raschere Be-
bauung des verkauften Terrains vorgeschrieben. Keine Person sollte
mehr als 320 Acres besitzen.
Diese Bedingungen schreckten die Einwanderer so ab, dafs sie mit der
Zeit etwas erleichtert werden mufsten. Das führte aber sofort zum Ueber-
handnehmen der Landspekulation. Um ihr entgegenzutreten und die Be-
siedlung zu fördern, wurde 1872 eine Heimstättenakte erlassen. Sie gab
jeder über 21 Jahre alten Person Recht zur Pachtung eines Gebiets von
80 Acres Feld- oder 160 Acres Weideland, die nach 5-jähriger Benutzung
in ihr Eigentum übergingen.
1876 legte eine neue Landakte die Bemessung und Preisschätzung
des zum Kauf gegen Abzahlung zu stellenden Landes in die Hand des
Gouverneurs.
1885 erfolgte eine nochmalige Reform der Landesgesetzgebung, welche
in dem folgenden Jahre nur in unwesentlichen Punkten abgeändert worden
ist. Die Ueberwachung und Ausführung der Landgesetze wurde dadurch
in die Hand eines Grundamts gelegt. Alle Pachtungen wurden gekündigt,
ein Stück der Pachtgrundstücke vom Staat eingezogen und der Rest für
Misz eilen. 893
10 bis 15 Jahre zu 10 bis 90 8h. für die Quadratmeile wiederverpachtet.
Der Gouverneur darf beliebiges Land zum Verkauf stellen und Ackerland
in Stücken von 320 bis 1280 Acres zu 3 I'ence, Weideland in Stücken
von 2560 bis 20 000 Acres zu 8/4 Penny Pacht für den Acre vergeben.
Der Mindestpreis beim Kauf bleibt 1 £ für den Acre. Personen unter
18 Jahren, Vormünder, Diener, Agenten, verheiratete Frauen werden vom
Kaufrecht ausgeschlossen.
Die Käufer müssen die Vermessungskosten trag» n, das Land um-
zäunen, verbessern und bewohnen. Die Pachtfrist betraut 50 Jahre für
Acker-, 30 tür Weideland. Nach zehnjähriger Bewirtschaftung von Acker-
land kann der Pächter das Terrain kaufen. Farmen bis 160 Acres dürfen
schon nach 7 Jahren gekauft werdeu.
Städtisches und vorstädtisches Terrain kann der Gouverneur meist-
bietend, ersteres zu mindesteus 8 £, letzteres zu 2 £ vom Acre, ver-
steigern. 1886 wurde aufs neue die unentgeltliche Verteilung von Land
an Einwanderer eingeführt.
Da gegenwärtig alles Land au Bahneu uud Verkehrswegen vergeben
ist, ist die Kolonie bestrebt, den Bau von Eisenbahnen durch Zuteilung
von Landkonzessioneu an die Bahngesellschaften zu heben. Es befanden
sich 1891 in Queensland 258 000 Acres unter Anbau gegen 128 000 im
Jahre 1881. 1892 waren in der Kolonie im ganzen 12 521 729 Acres
von einer Gesamtfläche von 427 838 100 Acres veräufsert.
Westaustralien, die gröfste der Schwesterkolonien, mit
678 400 000 Acres, zählt heute erst 50 000 Einwohner, was ebenso der
geographischen Lage wie dem ungünstigen Klima zuzuschreiben ist. Die
Besiedeiung dieses Landes wurde 1829 durch Spekulanten begonnen, welche
1000 Kolonisten auf 30 Schiffen absandten. Den Leuten war durch
Unternehmer in London Grundbesitz zu 3 £ für 40 Acres verkauft
worden, aber für ihre Unterbringung war nicht das geringste geschehen ;
so dafs, um nicht zu verhungern, die meisten sich nach anderen Kolonien
durchschlugen.
1832 wurde der Landverkauf zu einem Mindestpreis von 5 sh. für
den Acre eingeführt. Es war aber wenig Nachfrage. Als 1840 der Land-
preis gar auf 1 £ erhöht wurde, hörte alle Einwanderung auf.
1843 wurde das Kronland in städtisches, Weichbild- und Ackerland
geteilt und Auktionen für Weichbildland in Stücken von 10 bis 50, für
Ackerland von 160 bis 640 Acres eingeführt.
1849 kam die Verpachtung von Acker- und Weideland in ähnlicher
Weise wie anderweitig in Brauch. Die Lage der Kolonie blieb aber un-
ausgesetzt kläglich, und um mehr Leute ins Laud zu bekommen, erbaten
die Ansiedler Sendungen von Sträflingen. Von 1850 bis 1868 sind deren
etwa 10 000 eingeführt worden. Die Mafsregel bewirkte aber auch keinen
Aufschwung der Kolonie.
1864 wurde der Mindestpreis für Land sogar auf die Hälfte, 10 sh.,
ermäfsigt. Das herrenlose Land wurde zur Weide freigegeben.
1873 wurde der Kauf von Land in Stücken von 100 bis 500 Acres
für 10 sh. den Acre und gegen Verpflichtung der Bebauung und Ein-
zäunung gestattet. Einwanderer erhielten freies Land.
£94 M ,i s z e 1 1 e n.
1877 fand eine Revision des Gesetzes statt. Alles Ackerland wurde
in Blöcken von wenigstens 500 Acres zu 5 sh. den Acre zum Kauf ge-
stellt. Weideland erster Klasse sollte in Blöcken von wenigstens 3000 Acres
für 3 Sß jährlich, zweiter Klasse von 20 000 Acres für 4 £ verpachtet
werden. Der Pächter erhielt für Stücke von 1000 Acres das Vorkaufs-
recht. Für Einwanderer waren freie Landzuteilungen bis zu 150 Acres
auf die Familie festgesetzt.
Die gegenwärtig geltende Landgesetzgebung Westaustraliens beruht
auf einer Akte von 1882, welche 1887, 1890 und 1893 Ergänzungen er-
fahren hat.
Danach kann städtisches und Weichbildterrain nur im Auktionswege
veräufsert werden. Ackerland mufs von der Regierung in vermessenen
Stücken von wenigstens 2000 Acres zum Verkauf gestellt werden. Niemand
darf mehr als 1000 Acres in einem Gebiet ersteben. Leute unter 18 Jahren
werden zum Kaufe nicht zugelassen. Der Mindestpreis beträgt 10 % für
den Acre, die Zahlungsfrist 20 Jahre. Binnen 6 Monaten mufs der Käufer
das Land beziehen und während der ersten 2 Jahre ein Zehntel, später
das Ganze umzäunen. Im Falle der Käufer nicht auf dem Lande wohnen
will, erhöhen sich alle Zahlungen aufs Doppelte.
Bestimmte Gebiete können in Stücken von 100 bis 5000 Acres, für
10 sh. der Acre, mit 10-jähriger Zahlungsfrist verkauft werden. In diesem
Falle mufs binnen 2 Jahren das ganze Land umzäunt sein.
In einem Teile der Kolonie ist auch Land von 100 bis 5000 Acres
für 10 sh. und bei sofortiger Zahlung käuflich. Es mufs dann in 3 Jahren
eingezäunt sein und 5 sh. auf den Acre müssen für Verbesserungen aus-
gegeben sein. Gartenland von 5 bis 20 Acres ist in der ganzen Kolonie
für ebensoviel Pfund Sterling unter Bedingung sofortiger Bebauung käuf-
lich. Alle Weidepachtungen sollen 1907 ablaufen.
Für mineralreiche Gegenden sind besondere Vorschriften erlassen.
Eisenbahnunternehmer erhalten 12 000 Acres für jede fertige Meile
Bahn.
Ende 1890 waren in der Kolonie 5 154 673 Acres Kronland ver-
äufsert. Das meiste ist in den Händen der Bahnen oder von Gesell-
schaften. In Bebauung waren 1891 nur 131 000 Acres.
Südaustralien mit einer Fläche von 578 Millionen Acres wurde
1836 gegründet, um einen praktischen Beweis für die Richtigkeit der
Wakefield'schen Theorien zu führen. Wakefield a view of the arts of
colouization, London 1849, empfahl als beste Kolonisationsmethode Ver-
kauf von Land zu festen, aber höheren als den üblichen Preisen , um damit
der Spekulation vorzubeugen und die Niederlassung wohlhabender tüchtiger
Arbeiter zu fördern.
Um einen Versuch mit dieser Theorie zu machen, bildete sich 1831
die Südaustralische Kompagnie, welche ein umfassendes Privileg nach dem
Muster des Charters der ostindischen erbat , aber nicht erhielt. Aus ihr
entstand dann eine Assoziation , welche auf politische Rechte verzichtete
und das Recht erhielt, Südaustralien zu besiedeln. Der Landpreis sollte
einheitlich, aber nicht unter 12 sh. für den Acre, geregelt und die Ein-
führung von Sträflingen verboten sein.
1836 wurden 9 Schiffsladungen Ansiedler abgeschickt. Statt das
Miszellen. 895
Land zu bebauen , verlegten sich diese sofort auf Gründung der Stadt
Adelaide und begannen in Grundstücken zu spekulieren. Das Geld ging
für Lebensmittel darauf und nach 2 Jahren hatten viele der Leute alles
verloren. Das Land war jetzt zu Spottpreisen zu kaufen und man be-
gann endlich mit dem Anbau.
Von da an nahm die Kolonie einen gewissen Aufschwung und es
wurden bis 1843 an Kronland 323 000 Acres zu 12 sh. und später zu
1 £ veräufsert. Der Preis wurde von da an auf 1 £ 5 6h. 3 p. erhöht.
Die Landakte, welche England 1846 erliefs, wurde hier nur teilweise
ausgeführt. Die Kolonie behielt sich freie Verfügung über alle ver-
pachteten Ländereien und stellte sie ohne Rücksicht auf die Pächter zum
Verkauf. Es wurde damit die Besiedelung gefördert. 1856 erhielt die
Kolonie eigene Regierung. Das Parlament änderte die Landgesetzgebung
nur wenig. Neu wurde nur bestimmt, dafs die in Auktion zu erwerbenden
Landstücke nicht gröfser als 640 Acres und vorher vermessen sein sollten.
Da die bis dahin stets geforderte Barzahlung die Aermeren am Laud-
kauf hinderte und zwang, Grundstücke von anderen Leuten zu pachten,
wurde 1869 der Kauf von Land gegen Zahlung in 4 jährlichen Katen ge-
stattet. Der Käufer mufste das Erworbene bewohnen und bewirtschaften.
1872 wurden verschiedene Landkategorien geschaffen, die Zahlungs-
frist auf 6 Jahre verlängert und die Verzinsung herabgesetzt. Die Mafs-
regel hatte zur Folge , dafs die guten Ländereien sehr rasch aufgekauft
wurden. Um auch zum Erwerb schlechterer Terrains anzuspornen, wurde
die zulässige Gröfse der Landstücke auf 1000 Acres erhöht und die Zah-
lungsfrist noch weiter hinauserstreckt.
Gegenwärtig gilt die Landakte von 1888 mit eiuigen in den 2 folgenden
Jahren gemachten Aenderungen.
Danach bleiben zunächst alle Minenrechte der Krone vorbehalten
und die Versteigerung von Ackerland wird durch Einführung des Pacht-
systems ersetzt.
Das Grundamt macht bekannt, welche Gebiete zu vergeben sind.
Die Kolonisten können dann Stücke für 21 Jahre pachten mit dem Recht
des Ankaufs des Acres für mindestens 5 sh. nach 6 Jahren.
Die Pachten können nach Ablauf nochmals auf 21 Jahre verlängert
werden. Die Pachtsumme ist zunächst für 14 Jahre festgestellt und wird
periodisch neu bemessen. Arbeiter können unter denselben Bedingungen
Landstücke von 20 Acres, die sie bewohnen, jederzeit pachten. Städtisches
und Spezialland wird gegen bar im Auktionswege verkauft. Leute, welche
Land früher auf Ratenzahlung gekauft haben, können den Vertrag in
einen Pachtvertrag umwandeln. Weideland wird im Auktionswege für
21 bis 42 Jahre verpachtet.
1891 waren 16 230 668 Acres veräufsert und 2 568 000 Acres davon
unter Kultur.
In einem Punkte der Landfrage hat Südaustralien das Beispiel für
ganz Australien gegeben. 1858 setzte nämlich Torrens, der damalige
Zolleinnehmer von Adelaide, die bekannte Akte durch, welche das Grund-
buchwesen nach preufsischem Muster regelte. Der Verkauf und die Be-
g96 Miszellen.
lastung von Grund und Boden ist dadurch außerordentlich erleichtert
worden.
Schwieriger als im übrigen Australien liegt , die Landfrage in Neu-
seeland, wo mit einer starken eingeborenen Bevölkerung zu rechnen
ist. Die Kolonisation wurde hier durch die 1839 unter dem Eiuflufs
Wakefield's gegründete Neuseeland- Kompagnie begonnen, welche grofse
Landstretken (etwa 20 Millionen Acres) von den Eingeborenen erworben
hatte. Die letzteren leugneten nachträglich, als die Ansiedler kamen, die
Uiltigkeit der Kaufverträge, und der Gouverneur weigerte sich, sie zur
Anerkennung derselben zu zwingen. Er verbürgte den Eingeborenen
vielmehr ihren Besitz und behielt den Vorkauf der Krone vor. Auf der
Nordinsel kam es daher zu vielen Konflikten mit den Maoris.
Auf der Südiusel wurde nach den Plänen Wakefield's von Anfang an
in einer Provinz Ackerland zu mindestens 3 £ für den Acre, Stadtlaud
zu 12 £ für den Hausplatz verkauft, und die betreffende Ansiedelung
ist gut gediehen. Im übrigen lag der Verkauf und die Verteilung von
Land ganz im Belieben des Gouverneurs.
1848 begann die Regierung den Eingeborenen gröfsere Distrikte ab-
zukaufen; und als nach einander die verschiedenen Kolonisationsgesell-
schafteu liquidieren mufsten , gelaugte auch ihr Landbesitz in die Hände
der Krone. 1853 erhielt Neuseeland selbständige Regierung.
Der Gouverneur führte damals Verkauf von Stadt- und Weichbild-
land im Auktionswege ein und \ eräufserungen von Ackerland zu festen
Preisen von 5 bis 10 sh. den Acre.
1854 erhielten die 6 Provinzen das riecht, dem Gouverneur Vor-
schläge, betreffend ihre Landesgesetzgebung, zu machen.
Die Eolge war Entstehung eines eigenen Systems in jeder Provinz
und eine die Debersicht erschwerende Verwirrung. Neben den Provinz-
gesetzen liefen allgemeine Gesetze, wie das von 1858, welches die Gröfse
der in einem Block verkäuflichen Grundstücke auf 320 Acres und den
Mindestpreis auf 5 sh. festsetzte. Der Verkauf von Land auf Kredit an
andere Personen als Einwanderer wurde 1860 verboten.
Von 1862 ab war der Kauf vou Terrains bei den Eingeborenen
durch Kolonisten unter bestimmten Bedingungen gestattet. Infolge vieler
Mifsbräuche wurde diese Erlaubnis 1886 aber wieder beseitigt. Von den
66 Millionen Acres Neu-Seelands gehören den Eiugebornen jetzt nur noch 13.
1877 wurde die provinzielle Landesgesetzgebung aufgehoben und die
Kolonie in 10 Distrikte mit je einem Grundamt geteilt, die alle dem land-
wirtschaftlichen Minister unterstehen. Für Stadt- uud Weichbildland
wurden Mindestpreise von 30 und 3 £ bei den Auktionen festgesetzt.
Für die Veräufserung des Ackerlandes wurden in den einzelnen Distrikten
verschiedene Vorschriften genehmigt. Stücke von 20 bis 320 Acres
können zu mindestens ebensoviel Pfund Sterling, Weideland zum selben
Preis in Stücken von 300 bis 5000 Acres versteigert werden. Daneben
wurde Verkauf von Land zu festem Preise und mit Ratenzahlung ein-
geführt.
Auch Pachtung von Land wurde zugelassen. Die Ratenkäufer müssen
die Grundstücke in bestimmten Fristen bewohnen, bebauen und einzäunen.
M i s 2 e 1 1 e n. 897
Leute unter 18 Jahren, Ehefrauen uud Personen, die schon 640 Acres
besitzen, werden zu solchen Käufen nicht zugelassen. Für die Pachtung
von Weideland wurde der Auktionsweg vorgesehrieben. Die Regierung
konnte die Pacht ohne Entschädigung jederzeit mit Jahresfrist kündigen.
Die Landakte von 1885 führte verschiedene Neuerungen ein. Weitere
Aeuderungen folgten in den nächsten Jahren. Zur Zeit gilt eine im
Jahre 1892 erfolgte Gesetzgebung für ganz Neuseeland, welche die ge-
schilderten früheren Einrichtungen in einigen Punkten weiter ausbaut.
Es werden durch die gegenwärtige Landakte strenge Strafen gegen
alle Betrügereien auf diesem Gebiete eingeführt Keine Person , welche
2000 und mehr Acres, darunter 640 erstklassigen Landes besitzt, darf
andere Grundstücke; von der Regierung erwerben. Nur Gras- und Weide-
landpachten sind daneben noch erlaubt.
Wer vermessenes Land bar kaufen will, mufs seinem Gesuche x/5
des Preises, wer unvermessenes wünscht, die Vermessungsgebühr beifügen.
Bei Gesuchen um ratenweisen Kauf unvermessenen Landes gilt das-
selbe, bei vermessenem ist 2 l/2 Prozent des Preises im voraus zu hinter-
legen. Wer vermessenes Laud in ewige Pacht nehmen will, mufs 2 Proz.
und alle Gebühren einzahlen; bei unvermessenem die Mefskosten.
Das niedrigst zulässige Alter für Landerwerber ist 17 Jahre. Ver-
heiratete Frauen dürfen auch Terrain erstehen, aber nur halb so viel als
andere. Niemand darf Land aufser für sich selbst kaufen.
Die Mindestpreise bei Versteigerung von Stadt-, Dorf- und Weich-
bildland sind 20, 3 und 2 £ vom Acre. Ackerland ist nicht unter 5 sh.
bis 1 £ zu verkaufen. Bei Ratenkauf und Pachtung ist Bewohnen des
Landes in der Regel vorgeschrieben. Ferner müssen bestimmte Amelio-
rationen vorgenommen werden. Die Aufnahme von Hypotheken ist eben-
falls an eine Reihe von Bedingungen geknüpft. Die ewige Pacht beträgt
jährlich 4 Proz. des Werts beim Vertragschlufs.
Bis zu 250 000 Acres können jährlich vom Gouverneur zu Ansiede-
lungen für Gesellschaften reserviert werden. Solche Gesellschaften können
Ländereien von 1000 bis 11000 Acres erhalten.
Andere Terrains können für Dörfer reserviert werden. Es können
darin Heimstätten auf ewig gepachtet werden , welche unpfändbar sind.
Grasland kann iu Stücken von 5000 bis 20 000 Acres gepachtet werden.
Der Pächter mufs es eine bestimmte Zeit bewohnen und Ameliorationen
vornehmen. Weideland wird auf 21 Jahre mit einjähriger Kündigungs-
trist verpachtet. Kein Stück darf gröfser als ausreichend für 20 000 Schafe
oder 4000 Rinder sein.
Im Jahre 1892 wurden unter diesen Bedingungen 1373 000, 1893
sogar 1769 000 Acres veräufsert. Im ganzen sind in Neuseeland bis
zum Jahre 1894 veräufsert worden 19 Millionen Acres. 34 Millionen
stehen noch zur Verfügung, abgesehen von dem den Eingeborenen
reservierten Lande.
Trotz aller gesetzgeberischen Vorkehrungen befinden sich auch hier
in einzelnen Händen sehr grofse Flächen. 7 026 000 Acres gehörten
1891 z. B. nur 584 Personen. 1675 Personen besafsen im Durchschnitt
Dritte Folge Bd. VIII (LXIII). 57
g98 M i s z e 1 1 e n.
je 1280; 41518 nur jeder 78 Acres. Man hat seit 1891 dem durch.
Einführung einer progressiven Steuer vom Grundbesitz abzuhelfen gesucht.
Gegenwärtig zeigt sich in Neuseeland schon Mangel an Land, und
die Regierung kauft immer neue Strecken des eingeborenen Gebiets zur
Kolonisation auf. Aufserdem können jährlich 50 000 £ zu Expropriationen
verwendet werden. Das so erworbene Land wird in Stücken von 320 Acres
der Ansiedlung überwiesen.
Iu ganz Australien waren 1892 an Kronland veräufsert 124 172 000
Acres, d. h. 32 xj2 auf den Kopf der Bevölkerung im Durchschnitt. In
Wirklichkeit stellt sich das Verhältnis allerdings anders, denn in Neu-
Süd- Wales, Neuseeland und Südaustralien gehört etwa die Hälfte des ge-
samten veräufserten Landes nur 1250 Personen! Beachtenswert ist ferner,
dafs die Zunahme der städtischen Bevölkerung in Australien weit rascher
als die der ländlichen vor sich geht. Man zählte in Australisn 1871 :
1924 000, 1891 3 809 000 Menschen, davon lebten in den Hauptstädten:
1871 ... 434 000
1891 ... 1 166000.
Geht diese Eutwickelung in derselben Weise weiter, so werden in 40 Jahren
in Australien 15 Millionen leben, von denen beinahe die [Hälfte die
Hauptstädte bewohnen wird.
In der Kapkolonie war in den ersten Jahrzehnten der hollän-
dischen Herrschaft die unentgeltliche Vergebung von unvermessenem
Lande üblich. Nach 3 Jahren ging das in Anbau genommene Stück in
den Besitz der Kolonisten über. Garten- und Weideland wurde ohne
Gebühr verpachtet. Als die Bevölkerung dichter wurde und die Nach-
frage wuchs, wurde Land für eine Abgabe in Pacht immer für 1 Jahr
gegeben. Das Pachtland war verkäuflich. Entschädigung für die auf-
gewendete Arbeit erhielt der Kolonist bei Erlöschen der Pacht nicht.
1703 wurde die Pacht auf 24 Dollar neben einer Stempelabgabe von
6 Dollar bemessen.
Auch Grundstücke mit beschränktem Eigentumsrecht wurden seitens
der holländischen Verwaltung vergeben. Die Besitzer mufstcn gewisse
Ertragsanteile abliefern und das ganze Land kultivieren nnd bepflanzen.
Terrains von 60 Morgen wurden gegen bestimmte Zahlungen in ewigen
Pacht gegeben. 1732 wurde der Erbpacht von Land zunächst auf
15 Jahre zu 1 V2 sh. vom Morgen eingeführt und der Pachtvertrag bei
Ablauf immer wieder erneuert,
Die Engländer übernahmen diese holländischen Einrichtungen bei
Erwerbung der Kolonie. 1814 wurde allen Pächtern von Land auf Zeit
die Eingehung eines Erbpachtvertrages freigestellt. Nur wenige machten
aber davon Gebrauch. Die Erbpächter waren verpflichtet, ihr ganzes
Land binnen 4 Jahren zu bewirtschaften. Erst nach dieser Zeit war an-
fänglich eine Veräufserung gestattet. 1843 wurde der öffentliche Ver-
kauf von Grundbesitz zu mindestens 2 sh. für den Acre eingeführt. Alles
freie Land stand zur Auswahl offen und wurde erst bei der Vergebung
auf Kosten des Käufers vermessen.
1856 ordnete ein Gesetz an, dafs alles freie Land gegen eine jähr-
liche Zahlung und Tragung der Vermessungsgebühr verkauft werden könne.
Miszelleu. S'.l'.t
1864 wurde Verpachtung von Kronland auf 21 Jahre im Wege der
Versteigerung eingeführt. Die Pächter konnten später das Land gegen
Zahlung eines von der Verwaltung zu ermittelnden Preises in ewige Erb-
pacht erwerben.
Die Landakte von 1878 bestimmte, dafs alles verfügbare Kronland
im Auktionswege an den die höchste jährliche Zahlung Bietenden in
ewige Erbpacht gegeben werde. Der Erbpächter sollte nach Leistung
bestimmter Zahlung den Erbpacht-Besitztitel erhalten.
Die jährliche Pachtzahlung konnte durch eine einmalige Zahlung des
wenigstens 2Üfachen der Jahrespacht abgelöst werden, ohne dafs dadnreh
das Kechtsverhältnis geändert wurde.
Ausgenommen vom öffentlichen Verkauf blieben Ländereien, welche
die Nachbarn beanspruchten, Gemeindeländereien, Wälder, MineraJdistrikte,
Seeküste, Fischereistationen, Ausspanne, militärisch wichtige Gebiete,
Terrains für Einwanderer.
Stadt- und Dortplätze wurden ebenfalls in Erbpacht gegeben.
Erbpächter und sonstige Landbesitzer konnten an ihr Terrain stofsende
Grundstücke direkt von der Regierung ohne Auktion kaufen.
Unentgeltliche Landzuteilung im öffentlichen Interesse blieb dem
Parlament vorbehalten.
Ein Gesetz von 1882 erleichterte die Ansiedelung kleiner Bauern in
der Weise, dafs es Leuten über 21 Jahre alt, und die nicht mehr als
250 Morgen besafsen , gestattete, vermessene Landstücke von 10 bis
250 Morgen sich direkt, ohne Auktion in Erbpacht geben zu lassen.
Die Leute müssen 1 sh. für den Morgen hinterlegen, jährlich 1/.20 des
Wertes des Landes als Pacht zahlen, 6 Monate lang darauf wohnen und
es binnen 2 Jahren einzäunen oder zum 20. Teil bebauen. Nach 5 Jahren
erhalten sie den Erbpacht-Besitztitel.
1887 ist eine nochmalige Landakte ergangen, welche die 1882er
ungeändert lassen, im übrigen aber allgemein die Veräufserung des Landes
im Wege der Auktion eingeführt hat. Die Zahlung des Preises darf auf
einmal oder in Raten erfolgen. Die Bergrechte bleiben der Krone überall
vorbehalten.
Von den 141 648 169 Acres der Kapkolonie waren Ende 1892 ver-
äufsert 98 000 000, verfügbar sind noch 43 640 953, worin aber Missions-
stationen, die Reservate der Eingeborenen, Gemeindeländereien und Aus-
spanne einbegriffen sind.
Hinsichtlich des Landes der Eingeborenen gilt ein Gesetz von 1879,
wonach der Gouverneur einen Teil desselben in Lose zerlegen und dafür
einzelnen Individuen Erbpacht-Besitztitel unter bestimmten Bedingungen
verleihen kann. Bestimmte Gebiete sollen als Gemeindeweide reserviert
werden. 1882 waren 18 366 Lose in verschiedenen Reservationen und
Missionsstationen vermessen und 10 046 Erbpacht-Besitztitel ausgestellt.
Bleibt eine Pacht 10 Jahre unbezahlt, ist der Platz verlassen und
der Pächter unauffindbar, so wird das Land als verlassen aufgeboten und
fällt nach 4 Monaten, wenn sich kein Berechtigter meldet und die Zah-
lungen leistet, an die Krone zurück.
Lehrreich in Bezug auf die Art und Weise, wie England neuer-
57*
i )(jQ Miszellen.
dings in afrikanischen Gebieten die Landfrage ordnet , ist sein Vorgehen
in Beohuanaland. Nach der Annexion dieses Gebietes wurde 1885
eine Kommission mit Prüfung aller dort vorhandenen Besitzansprüche be-
traut. Sie mufste zunächst Ländereien, welche den Bedürfnissen der Ein-
geborenen genügten, aussondern und den Rest als Kronland erklären.
Die darin von Europäern geltend gemachten Ansprüche wurden auf ihreu
Wert untersucht. Landerwerbungen, bei denen die Veräufserer als nicht
berechtigt zum Verkauf anzusehen waren, sowie die Ansprüche von Leuten,
welche gegen England die Waffen geführt hatten, wurden für nichtig er-
klärt. Die als giltig angesehenen Landansprüche wurden in der Weise
behandelt, dafs die Inhaber das Land in Erbpacht gegen eine jährliche
Zahlung von 1 sh. für 100 Morgen zugeteilt erhielten. Alle Mineral-
rechte wurden der Krone vorbehalten.
Durch spätere Anordnung wurden 200 000 Acres als höchst zu-
lässiges Mafs einer La n d konzession, und 10 Quadratmeilen oder in Aus-
nahmefällen 100 Quadratmeilen in einem Block bei einer Bergwerks-
konzession bezeichnet. Für den Fall , dafs Gesellschatten Rechte auf
gröfsere Flächen bereits besafsen, wurden ihnen bestimmte Verpflichtungen
auferlegt. — Es ist aufserdem vorgesehen, dafs keine Landkonzession an-
erkannt werden soll, soweit ihre Bestimmungen den Verwaltungs- und
Finanzinteressen der Kolonie widersprechen und ein Monopol, gesetzliche
Ausnahmestellung oder Steuerfreiheit bezwecken.
Quellen:
William Epps : Land Systems of Australia. London 1894.
The Australian Handbook. London 1894.
E. Jenks: The Government of Victoria. London 1891.
Sir Henry Parkes: 50 years in the making of Australian history.
London 1892.
E. Hodder: The history of South Australia. London 1893.
General directory to the Cape of Good Hope, 1893. Cape Town.
Official Handbook of the Cape. London 1893.
British Betchuanaland. Report of the Commissioners. London 1886
[C. 4889].
II. Französische Kolonien.
Nach der Eroberung Algiers entwickelte sich dort eine ausgedehnte
Grundstücksspekulation. Die Araber, welche nicht an die Dauer der
französischen Herrschaft glaubten , verkauften grofse Gebiete zu nicht
nennenswerten Preisen. Sie nahmen auch keinen Anstofs, dasselbe Land
mehrmals oder Flächen zu verkaufen , die ihnen gar nicht gehörten.
Nach amtlicher Feststellung hätte 1846 ganz Algier nicht ausgereicht,
wenn jeder Käufer das seinen Kaufbriefen entsprechende Land in Besitz
hätte nehmen wollen. Unter diesem Zustande litten am meisten diejenigen
Leute, welche Grundstücke zum Zwecke wirklicher Bewirtschaftung ge-
kauft hatten. Sie gerieten in soviele Schwierigkeiten und die Koloni-
sation des Landes erlitt dadurch solchen Nachteil, dafs die Regierung
nach eingehender Untersuchung der Sachlage durch eine Kommission eine
gesetzliche Regelung versuchte.
Miss eilen. 901
Durch eiue königliche Ordonnanz vom 1. Oktober 1844 wurden
alle bisher geschehenen Landiibertraguugeu von Eingeborenen an Europäer
ohne Rücksicht auf mangelnde Befugnis der Verkäufer für giltig, alle
ohne Fristbestimmung geschlossenen Pachtverträge für zeitlich unbegrenzt
und der Einwand, dafs gewisse Grundetücke nach muselmännischem Recht
unveräufserlich gewesen seien, für unzulässig erklärt. Die Regierung
übernahm die Entschädigung der Eigentümer des von ihr etwa irriger
Weise als herrenlos verkauften Landes und teilte sich die Befugnis zu,
alles Land, für welches kein Besitztitel vorzubringen war, zu verkaufen.
Alle als Kaufpreis ausgemachten Renten wurden für ablösbar erklärt.
Otfizieren und Beamten wurde während der Dauer ihrer Dienstzeit mittel-
barer oder unmittelbarer Grunderwerb ohne besondere Genehmigung ver-
boten. Desgleichen wurde der Erwerb von Land durch Private aufser-
halb des vom Staate festgesetzten Kolonisationsbezirks untersagt.
Besondere Regeln stellte die Ordonnanz für Enteignung und zeit-
weilige Beschlagnahme von Grundbesitz im öffentlichen Interesse auf.
Hinsichtlich des unbebauten Landes war bestimmt, dafs alle derartigen
Terrains, für die nicht ein vor dem 5. Juli 1830 erworbener oder nur
ein ungenügender Besitztitel vorgewiesen werden könne, an den Staat
fallen sollten.
Diese letztere hauptsächlich gegen die Spekulanten gerichtete Be-
stimmung wurde unterm 21. Juli 1845 dahin ergänzt, dafs die Vorzeiger
von rechtsgiltigeu Besitztiteln auf unbebautes Land nur auf ein ihnen
vom Staat zu überweisendes, nach der Höhe der von ihnen als Kaufpreis
zu zahlenden Rente zu bemessendes Gebiet uud zwar unter bestimmten
Bedingungen Anspruch haben sollten. Wurden letztere nicht erfüllt, so
fiel das Land an den Staat zurück. Verpfändung und Verkaut desselben
war vor Erfüllung der Bedingungen verboten.
Noch einschneidender waren die Vorschriften der Verordnungen vom
10. Februar und 21. Juli 1846. Danach mufsten innerhalb eines be-
stimmten Zeitraums in gewissen Bezirken alle Landbesitzer ihre Besitz-
urkunden den Behörden vorlegen. Die Terrains, für welche Eigentümer
sich nicht meldeten, wurden für den Staat beschlagnahmt, desgl. alle die-
jenigen, für welche die Besitztitel nicht genaue Grenzen angaben und die
vor dem 5. Juli 1830 datiert waren. Die betroffenen Personen sollten
je nach dem Wert des Grundstücks durch Erteilung einer Konzession von
Staatsland entschädigt werden, welches sie sofort in Bewirtschaftung zu
nehmen hatten. Ansprüche mehrerer Personen auf dasselbe Grundstück
sollten im Prozefswege entschieden werden. Falls jemand ein Stück Land
schon in Bewirtschaftung genommen hatte, wurde ihm auch ohne einen
regelrechten Besitztitel die Konzession erteilt.
Gegen Spekulanten richteten sich noch die Einführung einer ziem-
lich hohen Grundsteuer für das nicht in Kultur genommene Land uud
die Androhung der Enteignung nach bestimmter Frist. Jeder Landkauf
in den noch nicht in den Bereich der regelmäfsigen Verwaltung gezogeneu
Gebieten ohne besondere ministerielle Erlaubnis wurde verboten.
Besondere und ziemlich umständliche Formalitäten für die Erteilung
der Landkonzessionen wurden durch weitere Ordonnanzen vom 5. Juni
9Q2 M i s z e 1 1 e n.
und 1. September 1847 festgesetzt. Der Generalgouverneur durfte da-
nach nur Land bis zum Umfange von 25 ha vergeben; von 25 bis 100
stand dies nur dem Kriegsminister, von 100 und mehr ha behielt es sich
der König vor. Die Ordonnanz vom 1. September übertrug die Ge-
nehmigung der Konzessionen von 25 bis 100 ha dem Generalgouvernear.
Besitztitel sollten nur nach genauer Erfüllung aller Konzessionsbedingungen
erteilt werden.
Diese Gesetzgebung steuerte den Auswüchsen der Landspekulation
und förderte die Interessen ernstmeinender Ansiedler, aber sie schädigte
die Eingeborenen, welche vielfach gar keine Besitztitel und niemals
solche, die den Anforderungen des Gesetzes entsprachen, besafsen. Es
sollen daher viele muhammedanische Familien der Mafsregel zum Opfer ge-
fallen sein, was den Absichten der damaligen Verwaltung Algiers ent-
sprach, welche ein Zudrängen der Eingeborenen uicht ungern sah. Sehr
bald aber zeigte sich , dafs das muselmännische Element gröfsere Be-
achtung erheischte. Die Prüfung der Besitztitel wurde daher wieder ein-
gestellt und am 16. Juni 1851 erging ein neues Gesetz, welches wesent-
liche Aenderungeu an den früheren Vorschriften traf.
Von der Prüfung der Besitztitel wurde abgesehen. Alle bis 2 Jahre
vor dem Erlafs des Gesetzes erfolgten Landerwerbungen wurden aner-
kannt, alle Beschränkungen des Verkaufs- und Verfügungsrechtes über
Land aufgehoben. Nur solche Käufe, durch welche eingeborenen Stämmen
Land durch Nicht-Stammesgenossen abgekauft wurde, wurden für ungiltig
erklärt und verboten. Für Landverkäufe unter den Eingeborenen wurde
das muselmännische Recht als mafsgebend anerkannt. Die früheren Vor-
schriften über Besteuerung des unbebaut bleibenden Landes und Verlust
des Besitztitels daran nach bestimmter Frist fielen weg.
Wurden so die Rechte der Eingeborenen vor Eingriffen der Kolo-
nisten sichergestellt, so erachtete man es für billig, um dieselbe Zeit
auch zu guusten der letzteren Bestimmungen zu treffen. Die strengen
gegen Spekulanten gerichteten Vorschriften der früheren Gesetze trafen
auch die Ansiedler hart. Sie konnten Kredit nur zu kaum erfüllbaren
Bedingungen erlangen , solange ihre Verfügungsfreiheit über ihre Kon-
zessionen beschränkt war. Ein Gesetz vom 26. April 1851 gab nunmehr
dem Präfekten die Vollmacht, Landkonzessionen bis zur Gröfse von 50 ha
und zwar ohne Kaution , zu erteilen. Der Konzessionär erhielt sofort
einen Besitztitel und konnte sein Land verpfänden und verkauten. Waren
nach Ablauf der bestimmten Frist nicht alle vorgesehenen Arbeiten und
Anlagen auf dem Lande ausgeführt, so war eine Verlängerung zulässig.
Im Falle der Nichterfüllung der Konzessionsbedingungen konnte der
Eigentümer nur durch den Kriegsminister der Konzession verlustig erklärt
werden. Das Land wurde in diesem Falle zu seinen Guusten ver-
steigert.
Trotz dieser Erleichterungen erschienen vielfach die umsonst ver-
gebenen staatlichen Landkonzessionen wegen der damit verknüpften For-
malitäten unvorteilhafter, als Ankäufe von Terrain, die zu billigem Preise
möglich waren. Bis 1863 sind denn auch nur 420 000 ha zur Ver-
teilung an Konzessionäre gelangt und davon waren viele Teile wieder an
Miszellen. 9Q3
Araber verpachtet oder verkauft worden. Das zu den Konzessionen er-
forderliche Land gewann die Regierung dadurch, dafs sie den Versuch
machte, die Eingeborenen auf kleineren Gebieten sefshaft zu machen, zu
„kantonnieren", während sie für sich das Besitzrecht an den von den
Eingeborenen unbenutzt gelassenen Ländereien in Anspruch nahm.
Angesichts der nicht befriedigenden Erfolge des Konzessionswesens
wurde 1856 der Verkauf der Staatsländereien eingeführt und durch Dekret
vom 25. Juli 1860 sowohl der Verkauf zu festen Preisen wie im Auktions-
wege je nach dem Werte der Grundstücke in die Wege leitet. Im
Jahre 1863 wurden zu bestimmtem Preise 5079 ha, durch Versteigerung
2410 ha losgeschlagen. Die letzteren brachten 1 007 000 Franken ein.
Es scheint, dafs dieser Systemwechsel gute Wirkungen gehabt hat, deun
Ende des Jahres 1864 befanden sich bereits 567 277 ha in den Händen
weifser Kolonisten. Doch schon nach kurzer Zeit wurde dieser Versuch
wieder aufgegeben.
Die übliche Art und Weise, wie man die Eingeborenen zu gunsten
der weifsen Ansiedler kantonnierte, führte zu unberechtigten Härten gegen
die Eingeborenen und beunruhigte die Bevölkerung. Die Landwirtschaft
litt unter Kreditmangel und die öffentlichen Einnahmen erfuhren keine
Vermehrung, während die europäische Kolonisation nur geringe Fortschritte
machte. Man strebte deswegen, die Araber zu versöhnen und wollte das
Territorium der »Stämme anerkennen, in Duars (Gemeinden) einteilen und
allmählich in individuellen Besitz überführen.
Diesem Programm entsprechend wurde dem Senat im Jahre 1863 ein
Gesetzentwurf vorgelegt, der am 22. April genehmigt wurde. Die alge-
rischen Stämme wurden darin unter Vorbehalt der dem Staat und Privaten
gehörigen Läudereien zu Eigentümern der von ihnen traditionell benützten
Gebiete erklärt. Die Verwaltung sollte die Stammesgebiete abgrenzen,
unter die einzelnen Duars verteilen und die Glieder der letzteren soweit
als möglich zu freien Eigentümern machen.
Zur näheren Ausführung dieses Beschlusses erging am 23. Mai 1863
ein Dekret, welches das Verfahren bei der Abgrenzung und Vermessung
regelte. Im Laufe der nächsten Zeit wurden 643 Stämme als solche erklärt,
bei denen das Gesetz Anwendung zu finden habe. Nur bei 374 derselben
mit einem Gebiet von 6 833 000 ha ist aber die mühselige und kostspie-
lige Abgrenzung durchgeführt worden.
Mit dieser den Eingeborenen freundlichen Mafsregel verlor der Staat
das Mittel, neue gröfsere Ländereien zu Kolonisationszwecken an sich zu
ziehen und die ausgedehnten Landverkäufe hörten damit auf. 1870 war
der staatliche Landbesitz fast erschöpft. Landkauf bei den Eingeborenen
war für Kolonisten auch nur ausnahmsweise möglich, da es bis zur Auf-
teilung des Gemeiudebesitzes an die Einzelnen zur freien Verfügung in
jenen Jahren noch nicht kam. Die Ansiedelung von Europäern erlitt daher
einen Stillstand.
Als jedoch im Frühjahr 1871 d^r Aufstand der Eingeborenen erfolgte,
dem einige hundert Kolonisten zum Opfer fielen , wurde das Grundeigen-
tum der beteiligten Stämme und Personen zur Strafe für den Staat ein-
gezogen , der damit in den Besitz von etwa 300 000 ha guten Bodens
904 M i s z e 1 1 e d.
gelangte. Ein Drittel davon wurde durch Gesetz vom 21. Juni 1871
zur Ansiedelung von Elsafs- Lothringern, die für Frankreich optiert hatten,
bestimmt. Der Rest und weitere im Wege des Enteignungsverfahrens
gewonnene Läudereien wurden im Wege von Konzessionen an andere
Ansiedier vergeben. Bei der damals lebhaften Nachfrage nach Land genügte
das Staatseigentum aber nicht dem Bedürfnisse und man griff daher zu
gesetzgeberischen Mafsregeln, welche den Erwerb von Grundbesitz von
den Eingeborenen zu ermöglichen bestimmt waren.
Ein Gesetz vom 26. Juli 187 3 ordnete die Aufteilung des Stammes-
eigentums an die Einzelnen und die Umwandlung des muselmännischen
Privateigentums in ein nach französischem Recht verfügbares an. Die
Mafsregel sollte nach und nach in den vom Generalgouverneur zu bestim-
menden Gebieten durch Kommissionen durchgeführt werden. Nach er-
folgter Aufteilung erhielt jeder Eigentümer einen endgiltigen Besitztitel
und sein Land unterstand französischem Rechte. Da dieses Verfahren
indessen voraussichtlich bis zu seiner vollen Durchführung lange Jahre
dauern konnte, wurde durch das Gesetz aufserdem vorgesehen, dafs euro-
päische Käufer eingeborenen Landes das Recht haben sollten, auf dem
Wege eines bestimmten gerichtlichen Verfahrens da9 betreffende Grund-
stück von allen dinglichen Lasten muselmannischen Ursprungs sofort be-
freien zu lassen. Das Gesetz erfuhr am 28. April 1887 noch eine Er-
weiterung in derselben Richtung.
Die Durchführung dieser Gesetzgebung hat bis zum Jahre 1890 etwa
14 Millionen Franken erfordert und die bis dahin ausgestellten Eigen-
tumstitel umfafsten ein Gebiet von 1612 000 ha. Ltwa 12 Millionen ha
bleiben noch zu verteilen. Der Kostenaufwand dafür wurde auf 60 Mill.
Franken veranschlagt.
Auf die Verhältnisse der Eingeborenen haben die erwähnten Gesetze
nach den Aussagen Sachverständiger nicht günstig gewirkt. Der in Algier
allgemeine Familienkommunismus, der gemeinsame Besitz desselben Lande*
durch viele verschiedene Familien , wurde thatsächlich nicht beseitigt,
andererseits aber wurden durch Spekulationskunstgriffe zahlreiche Einge-
borene aus dem Lande vertrieben und zur Verarmung gebracht.
Die Einwanderung und Ansiedelung von Europäern wurde von Anfang
der 70er Jahre an in jeder Weise gefördert. Dekrete vom 15. Juli 1874,
30. September 1878 und Juni 1881 erleichterten die früheren Konzessions-
bedingungen wesentlich und suchten den Konzessionären die Erlangung von
Kredit bequemer zu machen. Die Ergebnisse sind freilich nicht immer günstige
gewesen und es wird in Zweifel gezogen , ob die Kosten durch den Vor-
teil aufgewogen worden. Leroy-Beaulieu berechnet, dafs die Ansiedelung
von 14 000 Menschen in der Zeit von 1871 bis 1881 57 Millionen Franken
gekostet hat, d. h. 15 000 Franken für die Familie. Dem ungeachtet
wurde 1882 von der algerischen Verwaltung, als das für sie verfügbare
Land immer mehr zusammenschmolz, ein Kredit von 50 Millionen Franktn
beantragt, um damit 300 000 bis 400 000 ha der Eingeborenen zu ent-
eignen und an Weifse zu verteilen. Der Plan wurde jedoch von der fran-
zösischen Kammer abgelehnt, und spätere ähnliche Vorschläge haben das-
selbe Schickaal gehabt.
Miss eilen. (JQ5
Der früher mit glücklichem Erfolg begonnene Verkauf von öffent-
lichen Ländereien im Wege der Versteigerung wurde durch das Gesetz
von 1878 wieder eingeführt. Begonnen mit solchen Verkäufen hat man
aber erst 1885. Es sind von da an bis 1890 bereits 33 168 ha für
2 776 000 Franken meistbietend v< räufsert worden.
Gegenwärtig sind in Algier neue. Aeuderungen der Landesgesetzgebung
in Erwägung. Alan schiint das Gesetz von 1873 aufgeben und es mehr
den Beteiligten überlassen zu wollen , ihren Besitz in volles Privateigen-
tum zu verwandeln. Besonders wird für Umgestaltung des Hypotheken-
rechts nach preufsischem Muster iu der Art, wie es in Tunis geschehen
ist, gewirkt.
Aehnliche Schwierigkeiten wie in Algier standen in Tunis Anfang
der 80er Jahre der Landerwerbung durch Europäer entgegen. Wenu auch
hier der Kollektivbesitz des Landes bei den Eingeborenen im wesentlichen
schon verschwunden und Einzelbesitz die Regel war, so fehlten doch Besitz-
titel, welche Lage und Umfang der Grundstücke genau angaben und es
kam häufig vor, dafs tür dieselbe Fläche zwei Titel vorhanden waren.
Aufserdein waren die Grundstücke oft mit allerlei schwer feststellbaren
Servituten und Abgaben belastet. Besonders störend war die Einrichtung
des „Enzel", einer unkündbaren Erbpacht, welcher sehr viele der dortigen
Ländereien unterliegen. Der Europäer, welcher Grundbesitz kaufte, setzte
sich daher regelmäfsig der Gefahr aus, dafs sein Kauf ungiltig war, oder
er eine Reihe ihm ganz unbekannter Lasten übernahm.
Wollte man rasch französische Kolonisten ins Land ziehen, so mufste
man ihnen vor allem die geschilderten Schwierigkeiten aus dem Wege
räumen.
Die Einführung der französischen Gesetzgebung genügte dem Bedürf-
nisse* nicht, da das durch sie vorgesehene Verfahren zu umständlich und
teuer war, und aufserdem der MaEgel an Familiennamen bei den Eingeborenen
die Anlegung von Grundbüchern in üblicher Art nicht gestattete.
Einer allgemeinen Aufnahme des Grundbesitzes und Prüfung der
Besitztitel, wie mau sie in Algier begonnen, war die tunesische Verwal-
tung abgeneigt. Dies hätte zu viel Zeit und Kosten erfordert und die
Bevölkerung voraussichtlich in unerwünschte Aufreguug versetzt.
Als bester Ausweg, um dem Bedürfnisse zu genügen, ohne unange-
nehme Folgen zu verursachen , erschien die Annahme des preufsischen
Hypothekensystems mit den Umformungen, die es in Australien erfahren,
wo es 1858 Robert Torrens, wie erwähnt, mit grofsem Erfolge einge-
führt hat.
Auf dieser Grundlage wurde unterm 1. Juli 1885 ein Gesetz erlassen,
welches ebenso wie die Torrensakte es ins freie Belieben der Grundbesitzer
stellt, sich ihm zu unterwerfen.
Es steht jedem Besitzer frei, zunächst die Eintragung seines Landes
ins Grundbuch unter Vorlegung seines Besitztitels und Angabe aller Lasten
zu bewirken. Diese Eintragung erfolgt nur, nachdem unter Benutzung
der Zeitungen und Bekanntmachungen an den Markttagen das Eigentums-
recht und die Grenzen so genau al6 möglich festgestellt sind.
Um langwierige Prozesse zu vermeiden, erfolgt die Entscheidung über
906 Miszellen.
bestrittene , vor der Eintragung geltend gemachte Rechte durch ein ge-
mischtes , eudgiltig urteilendes Gericht. Nach der Eintragung erhält der
Eigentümer die Abschrift seines Grundbuchblattes. Alle Aenderungen des
Besitzstandes werden auf dem Original wie auf der Abschrift eingetragen.
Aufser den Gebühren für die Eintragungen wird noch vom Staate eine
Summe erhoben für einen Fonds , aus dem nachträglich gerechtfertigte,
aus Versehen unberücksichtigt gebliebene Ansprüche befriedigt werden.
Dieses System gewährte Kolonisten die Möglichkeit, sich Ländereien
zu kaufen, ohne späteren Anfechtungen ausgesetzt zu sein, und erleichterte
die Kreditaufnahme. Aber es besafs den Nachteil, zu teuer zu sein. Wäh-
rend in Australien fast jeder Ansiedler binnen kurzem sein Land hatte
eintragen lassen, erfolgten in Tunis im ersten Jahre der Geltung des
Gesetzes nur 29 Eintragungen für eine Fläche von 15 000 ha, obwohl
viel gröfserer französischer Grundbesitz bereits vorhanden war.
Es fand daher eine Prüfung der Sachlage durch eine Kommission
statt, auf deren Vorschlag eine Herabsetzung der Gebühren verfügt wurde.
Doch war dieselbe zu gering. Bis zum 1. Januar 1891 wurden daher
nur 195 Grundstücke mit zusammen 96 000 ha zur Eintragung gebracht.
Die Angelegenheit erfuhr deshalb eine nochmalige Prüfung, infolge
deren durch Dekrete vom 15. und 16. März 1892 eine weitere Ermäfsi-
gung der Eintragungskosten bestimmt wurde. Diese Mafsregel hatte die
"Wirkung, dafs schon im Laufe der ersten 2 Monate nach ihrer Einfüh-
rung 58 neue Eintragungen für 42 000 ha beantragt wurden.
Die kostenlose Zuteilung von Land an Ansiedler von Staatswegen ist
in Tunis ebenso wegen des anderweitig beobachteten unerfreulichen Er-
gebnisses, als wegen des Mangels ausgedehnter öffentlicher Ländereien
nicht zur Einführung gelangt. Es werden aber Grundstücke von 35 bis
50 ha an Ansiedelungslustige zu Preisen von ca. 50 bis 100 Franken,
je nach der Güte, für den Hektar verkauft. Aufserdem wird Land zur
Olivenkultur für 10 Franken vom Hektar verkauft, falls die Ansiedler
sich verpflichten , die Hälfte anzuzahlen und das ganze Land binnen
4 Jahren zu bepflanzen. Erfüllen sie die Bedingung nicht, so erlischt ihr
Anspruch.
(Fortsetzung folgt.)
Mi sz eilen. «jQf
XVIII.
Der Aufsenhandel der Vereinigten Staaten im Rechnungs-
jahre 1893 x).
Von M. D i e z m a n n - Chemnitz.
Dem statistischen Amt der Vereinigten Staaten ist ein unangenehmes
Mifsgeschick widerfahren. Im Januar 1892 wurden die amerikanischen
Konsulate angewiesen, von Ausstellung eines Certifikates über den Wert
des in ihrem Aufenthaltsland umlaufenden Geldes im Vergleich zu dem
amerikanischen Dollar in allen den Fällen abzusehen, in welchen der
Geldwert bei der Verzollung nicht in Frage kommt, also bei den Waren,
welche in der Union zollfrei sind oder einem Gewichtszoll unterliegen.
Infolgedessen gingen während mindestens 15 Monaten enorme Mengen
von Waren aus Ländern mit unterwertigem Papiergeld unter Wertangaben
ein, welche sich auf Papierwährung bezogen. Als das statistische Amt
endlich darauf aufmerksam wurde, war es ganz unmöglich, den wirklichen
Dollarwert der Einfuhr zu ermitteln. Von einer Korrektur der Zahlen für
1892 mufste ganz abgesehen werden, für 1893 dagegen wurde auf sehr
fragwürdiger Grundlage der ermittelte Gesamteinfuhr wert um 75 Millionen
Dollars herabgesetzt. Mit dieser Korrektur stellt sich der Aufsenhandel
der Vereinigten Staaten in den am 30. Juni schliefsenden letzten 5 Rech-
nungsjahren in Tausenden Doli, wie folgt :
Einfuhr.
Waren, eigene
,, fremde
Edelmetalle
Warendurchfuhr
1889
5858
739 274
28963
47 403
1890
4232
785078
33 976
55 699
1891
4 466
840450
36259
57 498
1892
4 348
823055
69654
69568
1893
3 647
862 754
44 368
67950
Ausfuhr.
Waren, eigene
„ fremde
Edelmetalle, eigene
„ fremde
Warendurchfuhr
821 498
730 283
12 II9
802I5
l6 427
47 403
886 447
878985
845 294
■2 535
35 782
16366
55 699
938 673
872 270
12 211
98 973
9 980
57 498
966 626
IOI5 732
14 546
60 086
22 919
69568
978719
831 031
16634
125 627
23 791
67950
965 676
1050932
I 182 851
1 065 033
Ueberschufs der Ausfuhr 64949 86691 112259 216225 86314
Auf Europa und die anderen Erdteile verteilte sich der Verkehr in
folgender Weise:
1) Wegen der Vorjahre s Jahrb. 3. F. 4. Bd. S. 420 u. 672 sowie 5. Bd. S. 895.
908
Miszellen.
Verkehr mit Europa.
Einfuhr.
Waren
Edelmetalle
Warendurchfuhr
1889
403421
3406
23 801
1890
449 987
6736
26371
1891 1892
Tausende Dollars
459 305 391628
7 122 33 46o
26414 27596
1893
458 450
6 443
27 523
Ausfuhr.
Waren, eigene
„ fremde
Edelmetalle, eigene
„ fremde
Warendurchfuhr
430628
572 368
6 439
66 188
2634
14856
483 094
677 284
6309
27 180
3046
17707
492 841
697 614
7184
92225
2 642
I6863
452 684
841 088
9 535
53 243
6788
30312
492 416
653 I50
8 827
113 762
5 499
31706
Mehrausfuhr von Waren
ausschl. Durchfuhr
Desgl. einschl. Edelmetalle
662485
175 386
240 802
73i 526
233 606
257 096
816528
245 493
333 238
940 966
458 995
485 566
812 944
203 527
316345
Verkehr mit aufsereuropäischen Ländern.
E i n f u h r.
Waren
Edelmetalle
Warendurchfuhr
Au s fuhr.
Waren, eigene
„ fremde
Edelmetalle, eigene
,, fremde
Warendurchfuhr
1889 1890 1891 1892
Tausende Dollars
341 711 339 323 385 611 435 775
25 557 27 240 29 137 36 195
23602 29328 31084 41972
157 915
5680
14027
13 793
32 547
168 010
6 226
8602
13 320
37 992
174 656
5027
6748
7 338
40635
174644
5 011
6843
16 131
39256
223 96:
256 120
269341
1893
407 951
37 925
40427
390870 395 891 445 832 5J3 942 486303
177 881
7807
11 865
18 292
36244
234150 234404 241885 252089
Mehreinfuhr von Waren
ausschl. Durchfuhr 178 116 165 087 205928
Desgl. einschl. Edelmetalle 175 853 1704O5 220979
Die Abnahme der eigenen Ausfuhr fällt fast
Getreide und Baumwolle. Es wurden nämlich in den letzten Jahren
ausgeführt :
222 263
230031
ausschliefslich auf
1889
Vieh, Nahrungs- und Genufsmittel 290 894
Baumwolle 237 775
Mineralöle 49914
Anderes 151 700
1890 1891 1892 1893
Tausende Doli.
372438 348055 528588 415 140
250969 290713 258461 188 771
51 403 52027 44806 42142
170484 181 475 183877 184978
I 730283
Die Hauptposten der erstgenannte
Vieh 18375
Nahrungsmittel tierischen Ursprungs 1 IO 262
Getreide und andere mehlige Nah-
rungsstoffe 1 24 933
Tabak und -Fabrikate 22 6 10
Anderes 14 714
845294 872270 I 015 732 831 031
a Rubrik waren;
1890 1891 1892 1893
Tausende Doli.
33 638 32 935 36 498 27528
142477 144 162 145 146 143200
155 775
25 356
15 192
128944
25 220
16794
300 450
25 739
20 755
201 902
26943
15567
290894 372438 348055 528588 415 140
Mis zellen. 909
Die Ausfuhr von Vieh (speziell Rindvieh nach England) und von
rieischprodukten hat sich nahezu auf dem 1890 erreichten hohen Stand
gehalten x). Dagegen hat der Ausfuhrwert von Getreide eine bedeutende
Abnahme erfahren, und zwar hauptsächlich der des Weizens, teils infolge
davon, dafs die gegen frühere Jahre immerhin hohe Ausfuhrmenge doch
noch ansehnlich gegen die abnorm hohe des Vorjahres zurückblieb, teils
infolge davon, dafs der hohe Durchschnittspreis des Vorjahres einen an-
sehnlichen Rückgang erfuhr. Die Ausfuhr von Weizen betrug in Tausen-
den Busheis (gleich 27,2 kg).
1889 1890 1891 1892 1893
46414 54388 55 132 157280 117121
oder nach den Werten in Tausenden Dollars
41653 45276 51420 161 399 95535
Der Durchschnittspreis von 1 Eushel betrug danach:
0,90 0.83 0,93 1,03 0,80 Doli.
Der Ausfall der Ausfuhr trifft übrigens fast ausschliefslich Frank-
reich und Belgien, während England sogar mehr aufnahm als im Vor-
jahre.
An Weizenmehl ging 1893 dem Werte nach fast genau soviel
aus wie im Vorjahre, nämlich für 75 494 000 Doli, gegen 75 362 000 Doli.;
der Durchschnittspreis sank nur von 4,96 auf 4,54 Doli, für ein Barrel
.gleich 88,9 kg).
Ansehnlichen Rückgang nach Menge und Wert erlitt die Ausfuhr
von Mais und dem im Vorjahre zu ungewöhnlicher Bedeutung gelangten
Roggen.
Die Ausfuhr von Baumwolle war nach Menge wie nach Wert im
Jahre 1893 bedeutend kleiner als im Vorjahre, in welchem die Vereinigten
Staaten eine gröfsere Ernte gehabt hatten als je zuvor. Den Mengen
nach betrug sie in Tausenden Pfd.
1889
1890
1891
1892
1893
2384817
2 47I 800
2 907 359
2 935 220
2 212 II5
davon nach England
1 470 400
I 452 576
1 700606
I 690 843
i;i74 179
oder prozental
61,66
58,77
58,49
57,60
53,08
Proz.
Dieser relativen Abnahme der Sendungen nach England steht eine
Zunahme der direkten Verschiffungen namentlich nach Deutschland und
Frankreich gegenüber; der deutsche Anteil ist seit 1889 fast ununter-
brochen gestiegen von 13,85 bis 19,22 Proz.
1) Bemerkenswert ist die stetig zunehmende Ausfuhr von Oleomargarinfett, welches
von der amerikanischen Statistik unter Fleisch gerechnet wird. Der Wert derselben
betrug
1889 1890 1891 1892 1893
Tausende Doli.
2664 6476 7859 9012 II 207
Die Ausfuhr von Oleomargarinbutter erreicht dagegen nur einen Ausfuhrwert von
rund 200- bis 400 000 Doli, jährlich.
910
Miszellen.
Der Durchschnittspreis der Baumwolle mit Ausnahme der wenig ins
Gewicht fallenden Sea Island betrug in Cents für das Pfund engl.
1889 1890 1891 1892 1893
9,9 II 9,9 8,7 8,5
Das statistische Amt in Washington bemerkt nun aber so nebenbei,
dafs der Wert der 1892 ausgeführten Baumwolle um 20 bis 25 Mill.
Doli, überschätzt war, so dafs der Durchschnittspreis dieses Jahres sich
nur auf etwa 8 Cents gestellt haben würde. Eigentümlich ist es freilich,
dafs derartige ,,Ueberschätzungen" bei den Deklarationen zugestanden
werden, und das Mifstrauen gegen die amerikanischen Ausfuhrdeklarationen
kann dadurch nur verstärkt werden.
Die Ausfuhr von Mineralölen hat den Mengen nach zugenommen,
während die Werte eine kleine Abnahme zeigen. Dies erklärt sich im
wesentlichen daraus, dafs der Durchschnittspreis des Leuchtöles, der 1891
noch 7 Cents für ein Gallon betragen hatte1), 1892 aber auf 5,9 Cents
gefallen war, 1893 noch weiter, auf 4,9 Cents, gesunken ist.
Da die Abnahme des Ausfuhrwertes sich fast nur auf Getreide und
Baumwolle beschränkt, so trifft sie, wie leicht erklärlich, ausschliefslich
den Verkehr mit Europa, welches dagegen weit mehr Edelmetalle als im
Vorjahre erhielt.
Was andererseits die Waren einfuhr anlangt, so ist von der
vernichtenden Wirkung, welche derselben nach einer vielfach ver-
breiteten Ansicht von der Mc Kinley-Bill drohen sollte, recht wenig zu
bemerken. Wenn auch nicht ausgeschlossen sein wird, dafs in einzelnen
Fällen das Ausland einen Teil der erhöhten Zölle auf sich genommen
hat, so tritt doch augenfällig hervor, dafs die Union bezüglich sehr vieler
Waren durchaus auf das Ausland angewiesen ist, wenn sie überhaupt
ihren Bedarf nach denselben zu befriedigen in der Lage ist. Dafs sie
seit Mitte des Jahres 1893 sich im Verbrauch die schärfsten Beschrän-
kungen hat auferlegen müssen, daran ist die Mc Kinley-Bill direkt nicht
schuld, wie dies gerade die hier zu besprechenden Ausweise bezeugen.
Dabei ist zweckmäfsiger der freie Verkehr statt des bisher be-
sprochenen Jahresaufsenhandels zu berücksichtigen, weil der erstere viel
spezieller nachgewiesen wird als der letztere. Beide Verkehrsarten
weichen nur um die wenig bedeutende Differenz zwischen Eingang auf
Zollniederlagen und Ausgang von letzteren von einander ab. Im ganzen
gingen in den freien Verkehr ein
1889 1890 1891 1892 1893
Tausende Doli.
741 431 773 675 854520 813 601 844455
Den Hauptposten bildeten wie gewöhnlich Nahrungs- und Ge-
nufsmittel mit folgenden Beträgen:
1889 1890 1891 1892 1893
Tausende Doli.
Kaffee 74723 78267 96124 127 461 80039
Zucker 94498 99*53 i*5 974 107 661 118 222
Anderes 86543 94 20 5 107 567 81 620 90858
256 764 271 625 319665 316742 289 119
1) Nicht wie Bd. 4 S. 430 infolge eines Schreibfehlers angegeben für ein Pfund.
Miszellen. 91 [
Die Abnahme der Kaffeeeinfuhr ist zum grofsen Teil nur eine schein-
bare, denn das statistische Amt in Washington giebt zu , dafs die Ein-
fuhr allein aus Brasilien im Vorjahr um 30 bis 35 Mill. Doli, über-
schätzt worden ist. Den Mengen nach ist der EingaDg in den freien
Verkehr nur von 636 498 000 auf 561288 000 Pfd. zurückgegangen.
Der Rückgang trifft fast nur die Länder, deren Kaffee vom 15. März
1892 an einem Differentialzoll von 3 Cents für das Pfund unterworfen
worden war; es sind nämlich in den drei letzten Rechnungsjahren ein-
gegangen aus
1891 1892 1893
Tausende Pfd.
Columbia 14 549 "793 7 4°3
Venezuela 60218 53 440 15 161
Hayti 12 643 14 979 8
Der Verbrauch von Zucker hat sich nahezu auf dem hohen Stande
erhalten, welcher nach der am 1. April 1891 erfolgten Zollbefreiung der
Nummern unter 16 Holland, erreicht worden war. Abgesehen von Melasse,
Kandiszucker und Zuckerwerk gingen in den freien Verkehr ein
1889 1890 1891 1892 1893
Tauseude Pfund
2943872 2831570 3 774 832 3 567 983 3 763 897
Von den übrigen Artikeln dieser Gruppe hatten mehrere durch die
Mc Kinley-Bill teils Ermäfsigungen, teils Erhöhungen des Zolles erfahren.
Als Beispiele für die verschiedene Art, in welcher die Zolländerungen ge-
wirkt haben, mögen folgende erwähnt werden.
Die früher zollfreien Eier waren eiuem Zoll von 5 Cents für das
Dutzend unterworfen worden , was etwa 40 Proz. vom Wert entspricht.
Eingegangen sind in Tausenden Dutzend (in der Hauptsache aus Englisch-
NordamerikaJ
1889 1890 1891 1892 1893
15920 15 161 8219 4184 3296
Hier wirkt der Zoll dauernd hindernd auf die Einfuhr. Aehnlich
ist die Wirkung auf die Gerste,
Rohdecktabak, nicht entrippt, war von 3/4 Doli, auf 2 Doli,
für das Pfund heraufgesetzt worden, das heifst von etwa 80 auf etwa
250 Proz. des Wertes. Eingeführt wurden (hauptsächlich aus Holland)
in Tausenden Pfund
1889 1890 1891 1892 1893
1575 3756 7236 328 2363
Das heifst, die amerikanische Tabakindustrie ist trotz des enormen
Zolles gezwungen, die Decktabake von Sumatra, von denen vor der Zoll-
erhöhung grofe Mengen eingeführt worden waren , weiter zu beziehen.
In ähnlicher Weise hindert die Erhöhung des Zolles von 15 auf 23 Cts.
für das Pfund nicht den Eingang von Kartoffeln, wenn der Ausfall
der eigenen Ernte denselben wünschenswert macht.
Der Verkehr von Textilwaren, welcher von deutscher Seite ganz
besondere Beachtung zu beanspruchen hat, gestaltete sich in folgender
Weise :
Q[2 Misz eilen.
1889
Rohstoffe 44 603
Garne und Seide 23 860
Fabrikate 142 389
1890
1891 1892
Tausende Doli.
1893
44306
48619 43236
48 240
28538
23 374 27 6ll
32 797
152835
136 920 123 994
138 550
210852 225679 208913 194848 219587
Bei den Rohstoffen ist bemerkenswert die ununterbrochene Zunahme
der Einfuhr von Baumwolle namentlich aus Aegypten, England (auch
hier wohl ganz überwiegend ägyptische), Peru und den französischen
Besitzungen in Australien. Der Gesamtwert betrug
1889 1890 1891 1892 1893
Tausende Doli.
"95 1393 2834 3212 4686
Die Garne und Seide verteilten sich in folgender Weise:
1889 1890 1891 1892 1893
Tausende Doli.
Seide 19223 24226 19875 25463 30458
Garne 4637 4 312 3 499 2148 2339
23860 28538 23374 27 611 32797
Die Abnahme bei Garnen fällt hauptsächlich auf die im Zoll stark
erhöhten Wollengarne, während die Schwankungen der Seideneinfuhr durch
Preisänderungen der Rohseide stark beeinflufst worden sind. An Roh-
seide wurden nämlich eingeführt
1889 1890 1891 1892 1893
Tausende Pfd.
533° 5659 49i8 7137 74J2-
Die Ausweise über den Eingang von Textilfabrikaten lassen
von der viel gefürchteten verderblichen Wirkung der Mc Kinley-Bill
wenig erkennen; allerdings verraten sie auch nicht, in welchem Mafse
die europäische Industrie durch Herabsetzung der Löhne und Verminde-
rung der Untern ehmergewinne die Last der Zoll erhöhun gen hat mittragen
helfen.
Die Einfuhr (einschl. Knöpfe) hat sich in den letzten 5 Jahren wie
folgt gestaltet :
1889 1890 1891 1892«) 1893
Tausende Doli.
Zeugwaren, wollene 41 283
seidene 28 986
44 051
31949
35 795
29 070
30504
23 126
31368
28451
leinene etc. 22 561
,, baumwollene 7955
24 204
7 938
21 211
8676
22 014
8 477
24004
10 752
IOO 785
108 142
94 752
84 121
94 575
Spitzen, Stickereien. Po-
samenten und Knöpfe 21 555
Wirkwaren 8 348
Schmuckfedern. Hüte etc. 5 916
Kleidung 3 934
Fufsdecken etc. u. Seiler-
23 324
9 384
5 982
3 852
20347
8 373
5 940
5616
21455
"850
4670
4250
23 552
8765
4962
4 744
waren I 851
2 I51
1 892
1668
1952
142389
152 835
136920
123994
138550
Zoll in
O/o des
Wert der
Einfuhr
Wertes
in Tausenden Doli.
1889
1893
1889
1893
73-«
102.5
"9 793
18271
-1.9
100. (i
19258
12 810
70,2
96.7
1 137
77
5O.0
68,5
5 4o8
3 735
39.4
68.7
6057
0385
631
94-0
1795
1369
40
60
11 179
12 814
46.3
62.7
1 4-8
' 557
Mi stellen. 913
Das erste Jahr dieser Reihe und das letzte derselben unterscheiden
sich in der Gesamtsumme nicht wesentlich ; für einige Einzelzahlen, die
besonders starken Zolländerungen unterlegen haben, ergeben sich dagegen
Verschiedenheiten, wie sie aus der nachstehenden Zusammenstellung ersicht-
lich sind, in welcher die Zölle nach ihrem Verhältnis zum Warenwert
berechnet sind.
Wollene und halbwollene Frauenkleiderstoffe
Tuche
Wollene Flanelle
Seiden-, Sammt und Plüsch
Baumwollene Wirkwaren
Wollene ,,
Baumwollene Spitzen, Stickereien etc.
Wollene Teppiche
Dagegen bei unverändertem Zoll:
Seidenstoffe 50 50 7 623 4 596
Es wird wohl schwer fallen, einen Zusammenhang zwischen den
Aenderungen der Einfuhr und denen der Zollsätze nachzuweisen, nament-
lich wenn noch berücksichtigt wird, dafs auch die Entwickelung der
eigenen Industrie des Landes einen nicht zu unterschätzenden, aber zahlen-
mäfsig kaum festzustellenden Einflufs ausübt.
Eine nicht unbedeutende Zunahme haben nach dem Rückgang des
Vorjahres die Gegenstände der Metallindustrie erfahren.
Es gingen ein
1889 1890 1891 1892 1893
Tauseude Doli.
IO 715 13005 14046 14892
6 899 7 978 8 668 12 323
20747 36 356 n793 l6692
20336 17 431 15 951 16951
5 229 8 652 7 124 8 398
63 926 83 423 57 582 69 256
Bei den Erzen steht einer Abnahme der Einfuhr von Eisenerzen
(aus Spanien, Italien und Algier, nicht aber der von Kuba) eine Zu-
nahme der seit 10 Jahren ununterbrochen wachsenden Einfuhr von
mexikanischen Silbererzen gegenüber, die jetzt 10 840 600 Doli erreicht hat.
An Zinn sind, jedenfalls nicht sowohl infolge der Entwickelung der
inländischen Weifsblechindustrie als in Rücksicht auf den für 1, Juli
1893 erwarteten Zoll, nicht weniger als 60 907 800 Pfund oder rund
27 600 metrische Tonnen eingeführt worden gegen nur 15 400 t 1889.
"Weifsblech hatte vom 1. Juli 1891 ab eine Zollerbö'hung von
1 Cent für das Pfund auf 2,2 Cents oder von etwa 30 Proz. des Wertes
auf nicht weniger als 75 Proz. erfahren. Dadurch ist allerdings die ein-
heimische Industrie wesentlich gefördert worden, dafs dieselbe aber den
Bedarf noch durchaus nicht zu befriedigen vermag, geht daraus hervor,
Erze
8 759
Zinn
7 026
Eisenartikel: Weifsblech
21 002
andere *)
21 000
Andere Metallartikel
4 191
61 978
1; Einschl. Maschinen und Feuerwaffen.
Dritte Folire Bd. VIII (LXIU"). 58
914 Miszellen.
dafs die Einfuhr, da die vor der Zollerhöhung beschafften enormen Vor-
räte zu Ende gehen, wieder stark zu steigen beginnt.
In Bezug auf die Rohstoffe der bisher nicht erwähnten Industrie-
zweige ist nur etwa folgendes hervorzuheben.
Eine Abnahme hat nur der Einfuhrwert des Rohkautschuk erfahren,
aber auch dieser nur infolge des Sinkens des Durchschnittspreises ; die
Einfuhrmenge war gröfser als je vorher. In der Holz-, Schnitz- etc.
Industrie fällt der Hauptteil der Wertzunahme allerdings auf Holz, be-
sonders von Englisch- Nordamerika und Kuba, doch zeigt sich schon seit
mehreren Jahren eine verhältnismäfsig starke Zunahme auch bei Elfen-
bein und bei Muschelschalen. Die Papierindustrie hat ihren Bezug so-
wohl von Lumpen und Cellulose ansehnlich gesteigert. Ebenso hat die
Einfuhr von ungefafsten Edelsteinen, besonders aus Holland und England,
ansehnlich zugenommen. Im ganzen gingen an Rohstoffen der wichtigeren
Gewerbzweige ein
1889
1890
1891
Tausende
1892
Doli.
1893
Lederindustrie
27215
23 960
30 731
30008
32 129
Chemische Industrie
16 919
18 420
20930
20513
21973
Holz- etc. Industrie
16826
10810
20356
20571
23780
Kautschukindustrie
12387
14855
18039
19886
17 963
Schmuckindustrie (Edelsteine)
IO979
II 938
13 155
13 326
15823
Papierindustrie
7 438
7090
6948
7 359
93^6
Stein-, Glas- etc. Industrie
3684
4268
6994
6905
7 357
Nach dieser Zusammenstellung wäre man wohl berechtigt gewesen,
über die Entwickelung der amerikanischen Industrie ein günstiges Ur-
teil auszusprechen , und doch würden die Ereignisse schon der nächsten
Zeit auf das eindringlichste daran gemahnt haben, wie wenig sicher die
Zukunft sich allein nach einigen statistischen Zahlen beurteilen läfat.
Bei den Fabrikaten der obigen Gruppen ist eine Einwirkung der
Zollerhöhungen kaum bemerkbar. Ihre Einfuhr betrug
1889 1890 1891 1892 1893
Tausende Doli.
Chemische Industrie1) 26 171 26661 31400 30 696 36015
Lederindustrie 16 701 17 742 19 499 21 126 22 118
Steine- etc. Industrie x4 395 H736 16 513 17725 17 511
Litteratur und bildende Kunst 6 808 7 267 7 644 6 784 8 295
Kurzwaren und Schmuck 5 922 6 383 5 220 4 434 4 938
Holz- etc. Industrie 3°75 3487 5863 5838 6445
Papierindustrie 2 507 2 794 3 086 3 359 3 778
Kautschukindustrie 338 372 408 448 421
In der chemischen Industrie zeichnen sich durch Einfuhrzunahme
Jod, Rohsoda, Chlorkalk, Indigo und Teerfarben aus, unter den Gegen-
ständ der Litteratur etc. die Kunstwerke für öffentliche Zwecke und
unter der Holz- etc. Industrie nicht besonders genannte Strohwaren, be-
sonders die aus Italien und der Schweiz. Die Abnahme, welche sich seit
1890 bei Kurzwaren und Schmuck zeigt, ist teils durch die im Zoll stark
erhöhten Juwelierarbeiten, teils aber auch durch veränderte Rubrizierung
veranlafst.
1) Die Zahlen weichen von den in Bd. 5 S. 902 angegebenen wegen abgeänderter
Rubrizierung der parfümierten Seifen und wohlriechenden Fette etwas ab.
Miszellen. 915
Im ganzen erscheint der Auteil Europas an der Einfuhr der Union
gröfser als im Vorjahr namentlich wegen des mehrfach erwähnten Irr-
tums, der im Vorjahr in Bezug auf die Länder mit entwerteter Valuta
vorgekommen war. Von der gesamten Einfuhr kamen aus Europa
1889 1890 1891 1892 1893
54,14 57,01 54,36 47,83 52,91 Proz.
Auf die einzelnen Länder Europas verteilte sich dieser Betrag in
folgender Weise nach Tausenden Doli.
1889 1890 1891 1892 1893
England 1 78 269 186489 194 723 156 301 182 860
Deutschland 81 743 98838 97 316 82908 96 210
Krankreich 69567 77672 76689 68555 76 076
andere 73842 86988 90 577 83864 103 304
403421 449987 459305 391628 458450
Bei England fällt die Zunahme besonders auf Zinn , Weifsblech,
Baumwollwaren, Tuche und Chemikalien , bei Deutschland auf Zucker,
Chemikalien und Seidenwaren, während namentlich Pelzwaren einen
starken Rückgang zeigen. Frankreich hat hauptsächlich an der Einfuhr
von Seidenwaren und Champagner gewonnen. Unter den übrigen euro-
päischen Ländern hat Holland eine Mohreinfuhr von rund 6x/2 Mill. Doli,
besonders durch Tabak und Edelsteine, Italien eine solche von 4 Mill. DoU.
durch Rohseide, Früchte etc., die Schweiz von 8 Mill. Doli, durch Seiden-
waren, baumwollene Spitzen und Stickereien etc.
916 Litteratur.
Litteratur.
in.
Professor Th. Freiherr von der Goltz. Die agrarischen
Aufgaben der Gegenwart.
Jena, Gustav .Fischer, 1894. 190 SS. Preis 3 Mark.
Besprochen von J. Conrad.
Wenn man bisher gefragt wurde, aus welcher Schrift man sich
wohl über die Ursachen und den gegenwärtigen Stand der Agrarkrisis
in Deutschland gut zu informieren vermöge — und das ist uns vom Aus-
lande wie vom Inlande sehr oft begegnet — , so befand man sich in
grofser Verlegenheit. Denn aus der überaus reichen Litteratur über den
Gegenstand konnte nicht eine einzige Schrift genannt werden, welche mit
der nötigen Fachkenntnis und Objektivität den Gegenstand behandelte.
Wir hatten nur Parteischriften, meist extremster Art. Die vorliegende
Schrift füllt die Lücke in vortrefflichster Weise aus. Der bekannte und
verdienstvolle Lehrer der Landwirtschaft giebt hier das Ergebnis seiner Jahr-
zehnte hindurch fortgesetzten gründlichen Studien über die deutsche
Landwirtschaft in gedrängter Weise wieder, er geht den Ursachen der gegen-
wärtigen Kalamität allseitig auf den Grund und tritt den Uebertreibungen
von agrarischer Seite ebenso entschieden entgegen wie den Verschleierungen
von seiten ihrer Gegner. Er weist rückhaltslos auf die Fehler hin, die
von seiten der Landwirte selbst wie der Regierung gemacht sind, und
giebt mannigfaltige, beachtenswerte Winke, wie eine Besserung erreicht
werden kann. Das Buch verdient die weiteste Verbreitung; jeder
Land- wie Volkswirt wird daraus reiche Belehrung schöpfen und
auch da gerne den Ideen des Verfassers näher treten, wo er nicht mit
ihm übereinzustimmen vermag. Wo man in solcher Weise allein das
Streben bemerkt, die Wahrheit durch objektive Untersuchung festzustellen,
kann man auf gleichem Wege auf Verständigung rechnen und aus der
Diskussion nur Nutzen ziehen. In diesem Sinne wollen wir in dem
Folgenden einzelne von dem Verfasser behandelte Fragen einer Er-
örterung unterziehen, wobei wir naturgemäfs diejenigen herausgreifen, wo
wir mit dem Verfasser nicht übereinstimmen. Ferne liegt es uns aber
dies zu thun, um den Wert der Schrift herabzusetzen.
Litteratur. 917
Der Verfasser sieht einen wesentlichen Grund dir Mifserfolge des
landwirtschaftlichen Betriebes in der Vernachlässigung und oft verkehrten
Behandlung der allgemeinen Laudwirt6chuftslehre, spez. der Taxationslehre
und macht hierfür besonders Geh. Rat Kühn verantwortlich. Wir geben
ihm darin vollständig recht, dafs es gerade in der Gegenwart wichtig ist, die
Studierenden der Landwirtschaft darauf aufmerksam zu machen, dafs auch die
beste Ackerbautechuik kein günstiges, pekuniäres Ergebnis erzielen kann,
wenn sie nicht durch ein angemessenes, ökonomisch berechnetes Betriebs-
verfahren gelenkt und verwertet wird. Es ist das auch heutigen Tages gerade
von den verschiedensten Seiten betont , jeder Landwirt müsse genauer
Buch führen, bei dem Betriebe besser rechnen. Er hat vor der Ueber-
nahme eine genaue Ertragsberechnuug und Wertveranschlagung vor-
zunehmen, wobei insbesondere nicht nur die momentanen Verhältnisse,
sondern auch die in den nächsten Dezennien zu erwartenden Berück-
sichtigung findeu müssen. Mehr denn je ist es nötig, den angehenden
Landwirt auf die Notwendigkeit bedeutenden Betriebskapitals und die Ge-
fahr einer Ueberschulduug aufmerksam zu machen. Aber die von dem
Verfasser erhobeneu Beschuldigungen scheinen uns zu weit zu gehen,
wenu wir auch vollständig zugestehen, dafs seit Liebig's Auftreten in
der Litteratur wie auf dem Katheder der Schwerpunkt der wissenschaft-
lichen Erörterung über die Landwirtschaft auf dem naturwissenschaftlichen
Gebiete lag. Es war das unserer Ansicht nach nicht nur natürlich, sondern
auch geboten. Bei den enormen Fortschritten der Naturwissenschaften
hatte die Landwirtschaftslehre die allerumfassendsten und bedeutsamsten
Aufgaben vor Allem die neuen Errungenschaften derselben für den landwirt-
schaftlichen Betrieb zu verwerten, und die Erfolge für die Technik sind in
der That wahrhaft grofsartig und den Volkswohlstand fördernd gewesen.
Wir können uns nicht verhehlen, dafs auf dem Gebiete der allge-
meinen Landwirtschaftslehre, der Taxationslehre im besonderen, ja in der
Nationalökonomie, soweit sie die Grundlage für die Landwirtschaftslehre
als angewandte Nationalökonomie zu bieten hatte, derartige Fortschritte
und praktisch bedeutsame Erfolge nicht aufzuweisen waren. Es mufsten
daher begreiflicherweise innerhalb der Landwirtschaftslehre die Natur-
wissenschaften der Nationalökonomie den Rang ablaufen. Wir bestreiten
aber, dafs die oben charakterisierten Grundlehren an der Stätte der Wirk-
samkeit Kühn's, in Halle, nicht den Studierenden in ausreichender Weise
vorgetragen seien. Das ist vielmehr sowohl in den Vorlesungen über
Betriebslehre, über Taxationslehre wie über Nationalökonomie der Fall
gewesen.
Wir halten aber speziell die Angriffe gegen Kühn für nicht gerecht-
fertigt und fühlen uns verpflichtet, für den verehrten Kollegen ausdrück-
lich einzutreten.
Kühn schliefst die wissenschaftliche Darlegung der allgemeinen wirt-
schaftlichen Thätigkeit des Landwirtes, d. h. seine Aufgabe als Gewerbs-
unternehmer den nachhaltig gröfstmöglichen Reinertrag zu erzielen , von
der Landwirtschaftslehre keineswegs aus, er erklärt S. 23 seiner Schrift
über das Studium der Landwirtschaft an der Universität Halle 1888, auf
die v. d. Goltz sich stützt , ausdrücklich , dafs die Landwirtschaftswissen-
9X8 Litteratur.
schaft mit diesem Gebiete sich zu beschäftigen und „dabei zum Teil
anderen Gesichtspunkten zu folgen hat", als es von seiten der National-
ökonomie geschieht, eben die Landwirtschaftswissenschaft habe ,,nach dieser
Richtung ihrer Wirksamkeit hin keinen Anspruch auf Selbständigkeit".
Sie ist hier nur angewandte Nationalökonomie. Dagegen stütze sie sich
auf dem Gebiete der Produktionslehre zwar auf die Naturwissenschaften,
es fällt aber „ihr Beobachtungs- und Erfahrungskreis trotz allem nahen
Berührungspunkte nicht mit dem der einzelnen naturwissenschaftlichen
Disziplinen völlig zusammen", sondern stellt sich ihnen als ein besonderer
und eigenartiger zur Seite. Die Landwirtschaftswissenscbaft bildet daher
in diesem Teile ihrer Wirksamkeit eine selbständige Wissensdis-
ziplin, die „als die Physiologie und Biologie der Kultur-
organismen bezeichnet werden kann". — Kühn führt dann weiter aus,
dafs zu den Kulturpflanzen und Kulturtieren nur diejenigen „Organismen
gehören", „welche um ihrer hervorragenden Nutzbarkeit willen geeignet
sind, dem Landwirt als Werkzeuge zur gröfstmöglichen Produktion zu
dienen und die deshalb von ihm mit Vorteil in gröfserer Menge gebaut
oder gehalten und gezüchtet werden können". Die Landwirtschaftswissen-
schaft habe „nicht allein den Bau und die gesamten Lebenserscheinungen
der Kulturorganismen, sowie die äufseren Lebensbedingungen derselben
nach streng naturwissenschaftlichen Methoden allseitig klar zu legen, son-
dern sie mufs auch die Untersuchung unter steter Rücksichtnahme auf
den Zweck des Anbaues und der Haltung der Kulturorganismen, also
unter steter Beziehung auf ihre Befähigung zur möglichst rentablen
Produktion ausführen". Dies ergebe sich schon aus dem Begriff des
„Kulturorganismus". Mit dieser „steten Rücksichtnahme auf die Ren-
tabilitätsverhältnisse ist aber ein leitendes Motiv für die Unter-
suchung und eine Richtung der Erwägungen bei Würdigung der eruierten
Thatsachen gegeben, die den rein naturwissenschaftlichen Disziplinen fern-
liegen und deren volle Bedeutung und Tragweite auch nur die Land Wirt-
schaftswissenschaft ganz zu erfassen vermag". Kühn macht somit die
stete Rücksichtnahme auf die Rentabilität auch für die Produktions-
lehre zum mafsgebenden wissenschaftlichen Prinzip ; v. d. Goltz hätte
seine Ausführungen über „einseitige Betonungen der Naturwissenschaften"
auf landwirtlichem Gebiete vielleicht mit einiger Berechtigung gegeu die
Agrikulturchemiker richten können, aber nicht gegen Kühn.
Wir können auch nicht umhin, auf die neueste Arbeit von Kühn hin-
zuweisen : „die wirtschaftliche Bedeutung der Gründüngung", der wir gerade
darum eine hohe Bedeutung beimessen, weil sie in völlig schlagender
Weise den Beweis liefert, dafs die Agrikulturchemie den Landwirt auf
Grund ihrer Experimente im Laboratorium leicht in falsche Bahnen bringen
kann. Dafs es daher notwendig ist, durch eingehende Rentabilitätsberech-
nung Kontrolle zu üben, ob das naturwissenschaftlich empfehlenswerte
Verfahren auch das entsprechende finanzielle Ergebnis liefert. Auf Grund
solcher Erwägungen gelangt hier Kühn dazu, sich gegen die Ueberschätz-
ung der Gründüngung zu wenden, und ruft S. 14 des Separatabzuges aus:
..Dies ist die wahre Oekonomie in der Ausnutzung der Stoffe" ....
In richtiger Erkenntnis der Thatsachen sagt der Herausgeber der
Litteratur. 919
Fühling'schen Zeitschrift daselbst im 8. H. 1894 S. 246 in einer An-
merkung zu einem Artikel, in dem die Ergebnisse der erwähnten Schrift
besprochen werden : „Geh. Hat Kühn darf das Verdienst für sich in An-
spruch nehmen, in seiner gesamten Lehrthätigkeit stets auf die Beachtung
des ökonomischen Gesetzes dringlichst hingewiesen und dadurch der Praxis
viel Geld erspart zu haben."
Hüten wir uns aber doch überhaupt vor einer Ueberschätzung unserer
akademischen Wirksamkeit. Wie klein ist der Prozentsatz der Landwirte,
die bei uns hören, wie viel kleiner noch der, der mit Nutzen hört. Die
Grundsätze , dafs man nicht zu teuer und nicht mit zu geringen Mitteln
etc. kaufen darf, welches Verhältnis in der Hinsicht dem praktischen
Bedürfnis entspricht, hat der Landwirt auch im praktischen Leben Gelegen-
heit zu lernen. Es gehört dazu mehr gesunder Menschenverstand und
ruhige Ueberlegung , als spezielles Studium. Gelegenheit zu entspre-
chender Belehrung durch die Litteratur hat aber der verehrte Verf. selbst
durch eine Reihe hervorragender Schriften über allgemeine Landwirtschafts-
und Taxationslehre geboten , so dafs man die Verantwortung für ihre
Fehler in den erwähnten Richtungen ruhig den Landwirten allein über-
lassen kann.
Verhängnisvoller noch als diese Fehler ist dem Landwirt die falsche
Beurteilung der zu erwartenden Konjunkturen geworden. Mit Recht hebt
der Verfasser hervor, dafs die exzeptionellen Preise der siebziger Jahre, wir
möchten besonders hinzufügen der Gründerjahre, ihn verleiteten, die Rein-
ertragsberechnung auf Preise zu stützen, welche nach der allgemeinen Welt-
lage auf die Dauer absolut unhaltbar waren. Zu wenig wird dabei das
Moment in Rechnung gezogen, dafs die vorzeitige Einführung der Getreide-
zölle im Jahre 1879 und die agitatorischen Uebertreibungen, mit denen die zu
erwartende Wirkung derselben im ganzen Lande verkündet wurde, das
Uebel wesentlich verschärften , weil sie den Landwirt noch zu einer Zeit
in seiner Hoffnung bestärkten, wo der Preisrückgang auf dem Weltmarkt
klar zeigte, was man von der Zukunft zu erwarten hätte.
Es ist jedenfalls nicht die Aufgabe der allgemeinen Landwirtschafts-
lehre, über die Konjunkturen zu informieren, auch die Nationalökonomie
kann es nur thun , indem sie die Grundlagen der Preisregulierung lehrt.
Man wird mithin schwerlich der Wissenschaft und ihren Lehrern die Schuld
für die allgemeine falsche Berechnung des Grundwertes in die Schuhe
schieben können.
Der Verf. sieht mit vollem Recht die Ursachen der gegenwärtigen
Kalamität einmal in dem Rückgang der Preise und in dem Steigen der Löhne
und Abgaben, dann in der Ueberschuldung. Er legt ausführlich dar, wie die
Landwirte im allgemeinen in der Lage gewesen 6ind, durch die Steigerung
der Ernten und Verbesserung der Viehnutzung den Preisausfall noch so weit
auszugleichen, dafs er allein keine Krisis herbeigeführt haben würde. Wir
möchten hier nur noch bemerken, dafs der Verf. den Rückgang der Spiritus-
preise unberücksichtigt läfst. Sie sind es aber hauptsächlich, welche den
grofsen Grundbesitz des Ostens in seinen Grundlagen erschütterten, und weil
sie so wie der Rückgang der Wollpreise den Bauer gar nicht oder wenig
berührten , ist er auch nicht von einem solchen Wechsel der Konjunk-
920 Litteratur.
turen heimgesucht und daher überhaupt nicht in eine solche prekäre
Lage gebracht, als der Gutsbesitzer. Die aufserordentlich hohen Preise
des Spiritus wie der Wolle gewährten den Grofsgrundbesitzern im Osten
in den fünfziger und sechziger Jahren ganz kolossale Gewinne und ver-
anlafsten ihn sowohl in die Schäferei wie in die Brennerei sehr bedeu-
tendr Kapitalien zu stecken, welche seit 1875 nur noch eine ganz unzu-
reichende Nutzung erlangten ; und nur die besseren Bodenarten vermochten
bisher in der Zuckerrübe einen teilweisen Ersatz zu finden. Wenn man
objektiv die Verhältnisse überschaut und die Reinerträge für eine Anzahl
Brennereien mehrere Dezennien hindurch ziffermäfsig verfolgt, wozu uns
das nötige Material vorliegt, so mufs man sich sagen, dafs solche aufser-
ordentliehen Gewinne sich in keinem Industriezweige auf die Dauer er-
halten können, sondern ein erhebliches Steigen der Konkurrenz notwendig
herbeiführen müssen ; (und die allgemeine Erfahrung mufste den Brannt-
weinbrenner auf einen bedeutenden Rückschlag gefafst sein lassen , doch
auch das ist von dem Landwirte aufser Rechnung gelassen.
Was der Verf. über das Steigen der Wirtschaftskosten sagt, ist in
allen Hauptgesichtspunkteu als berechtigt anzuerkennen. Die Steigerung
der öffentlichen Lasten, namentlich der Kommunalabgaben, erschwert dem
Landwirt seine Lage in höherem Mafse, als es im allgemeinen anerkannt
wird. Bemerken möchten wir aber, dafs, wenn der Verf. die Zahlungen
des Landwirtes, die ihm durch die sozialpolitische Gesetzgebung aufge-
bürdet sind, auf das Ein- bis Anderthalbfache der preufsischen Grundsteuer
grofsen berechnet, er uach unserer Beobachtung damit zu hoch greift. Aus
einer Zahl von entsprechenden Notizen, die wir darüber gesammelt haben,
ergiebt sich, dafs im Durchschnitte die Höhe der Grundsteuer durch jene
Beiträge noch nicht erreicht ist. Freilich wird das wohl in einigen Jahren
nachgeholt 6ein.
Wenn der Verf. es S. 47 als einen wirtschaftlichen Fehler bezeich-
net, dafs die gröfseren Grundbesitzer sich nicht für das ganze Jahr einen
gröfseren Arbeiterstamm zu halten suchen und diesen auch im Winter,
wenn auch unter Zurückdrängung der Maschinenarbeit, namentlich der
Drischmaschinen, zu beschäftigen sucht, so möchten wir dagegen doch
Bedenken äufsern. Der Besitzer vielmehr erspart entschieden , wenn er
sich in gröfserer Ausdehnung im Sommer herumziehende Arbeiter für
kurze Zeit engagiert. So sehr auch die Löhne derselben im Vergleich
zu denen der ständigen Instleute gestiegen sind, hat ein völliger Ausgleich
doch nicht stattgefunden, wie uns aus den Rechnungen einer Anzahl Güter
nachgewiesen wurde. Der Winter ist in jenen Gegenden zu lang und
die durch einen grofsen Arbeiterstamm verursachten Kosten sind zu gtofs.
Dagegen räumen wir ein, dafs für die Arbeiterbevölkerung ein solches
Verfahren günstiger wäre.
Besondere Beachtung verdienen die Ausführungen des Verf.'s über
die Wege zur Lösung der gegenwärtigen agrarischen Autgaben , worin er
nachdrücklichst vor jedem extremen Vorgehen warnt. Und wenn er auf
der einen Seite dem Staate erhöhte Pflichten zur Unterstützung der Land-
wirtschaft auferlegen will, so erkennt er doch unter eingehender Begrün-
dung an. dafs die Macht des Staates in dieser Beziehung nur eine
Litteratur. 921
verhältnisroäfsig geringe ist, das Meiste vielmehr von den Landwirten
selbst zu erwarten steht. Er hält die Verhältnisse keineswegs für so
ungünstig, dafs man bereits daran verzweifeln müsse, gleichwohl wieder
bessere Zeiten der Gesundung zu erleben. Naturgemäfs wird gerade bei
diesen Untersuchungen jeder Forseber in erhöhtem Mafse seine eigene
Ansicht haben, deshalb sind wir auch in diesem Teile mehrfach nicht in
der Lage, uns den Ausführungen des Verf. anzuschliefsen, so sehr wir uns
auch auf demselben Boden mit ihm fühlen.
Wir halten es auch für in hohem Mafse wünschenswert, dafs das
Deutsche Reich in Bezug auf seine Ernährung möglichst von dem Aus-
lande unabhängig gestellt wird. Wenn der Verf aber S. 113 es als eine
Aufgabe hinstellt, es wieder so unabhängig vom Auslande zu machen, wie
es vor 1870 gewesen ist, so halten wir das für zu weit gegangen. Er
schildert selbst, wie schwer und langsam ein Fortschritt in der Landwirt-
schaft zu erreichen sei, und unterschätzt , wie uns scheinen will, die Be-
deutung unserer Volkszunahme dem gegenüber. Hier ist doch nachdrück-
lichst zu betonen, dafs nicht nur privatwirtschaftlich, sondern auch volks-
wirtschaftlich der Forcierung der Roherträge auf Kosten der Konsumenten
eine nur wenig zu überschreitende Grenze in den Reinerträgen gezogen
ist. Gerade weil die Landwirtschaft eine Hauptgrundlage unserer Gesamt-
produktion ausmacht, ist es eine Illusion, zu meinen, sie dauernd aus dem
Säckel der übrigen Produzenten in künstlicher Weise in einem Betriebe
zu erhalten, der nicht einen angemessenen Reinertrag erwarten läfst. Auch
der Staat kann sich so wenig wie Münchhausen am eigenen Zopfe in die
Höhe ziehen. Seien wir froh, wenn wir den status quo erhalten.
Besonders hinw> isen möchten wir auf die vortrefflichen Ausführungen
des Verf.'s auf S. 119, durch welche er zu zeigen sucht, dafs gerade das
jetzige Verhältnis der Ausdehnung des Getreidebaues als durchaus normal
anzusehen ist. Er spricht sich daher gegen eine gewaltsame Erweite-
rung desselben aus und zeigt, wie der Anbau der anderen Früchte, der
Rüben, der Futtergewächse etc. die Getreideproduktion in keiner Weise
beeinträchtigt haben. Zugleich hat er damit, ohne es zu erwähnen, die ent-
gegengesetzte, ganz einseitige Auffassung Rudolf Meyer's (Das Sinken der
Grundrente. Leipzig 1894), und besonders seine Angriffe gegen unseren
Rübenbau, schlagend widerlegt.
In betreff der Getreidezölle stehen wir darin auf dem gleichen Stand-
punkt mit dem Verf., dafs sie unter solchen Preisverhältnissen, wie sie
gegenwärtig vorliegen, nicht zu entbehren sind. Wenn er aber bedauert,
dafs man die gleitende Skala „ohne sorgfältige Prüfung von der Hand
gewiesen hat", und meint, die Erfahrungen in England seien nicht mafs-
gebend, da damals die Verkehrsmittel viel unvollkommner waren, und die
Skala auf andere Verhältnisse und andere Zwecke berechnet gewesen sei,
als jetzt, so müssen wir dem entgegentreten. Gerade eine sehr gründ-
liche Untersuchung der zu erwartenden Folgen der Mafsregel ergiebt, dafs
sie in der Gegenwart noch viel nachteiliger sein würde, als vor 80 Jahren.
Die verbesserten Verkehrsverhältnisse erleichtern es der Spekulation, die
Skala noch viel mehr im eigenen Interesse zum Schaden der Landwirt-
schaft auszunutzen, als es damals der Fall war, und die weit gröfsere
922 Litteratur.
Verschiedenheit der Qualitäten, die Ungleichheit der Preise in den ein-
zelnen Teilen Deutschlands macht eine wirklich den Verhältnissen ent-
sprechende Anpassung der Steuer an die Preise weit schwieriger als da-
mals in England, und doch hatte sich zu jener Zeit die Skala gerade wie
in Frankreich als völlig unhaltbar erwiesen.
Sehr entschieden tritt der Verf. den Bestrebungen entgegen, die
Regulierung des Getreidehandels und -preises durch den Staat zu bewirken,
sowie den zu weit gehenden Angriffen gegen die Börse. Ebenso verspricht
er sich von der vorgeschlagenen Errichtung von Kornhäusern (v. Grafs-
Klanin) keinen Nutzen. Er fürchtet davon nur Erweiterung des Maschinen-
drusches zum Nachteil der Arbeiter und Erweiterung der Kreditoperationen
auf Grund des lombardierten Getreides. Wir vermögen diesen Befürch-
tungen nicht beizutreten, während die Wirkung der Mafsregel auf
die Preise in den Provinzen sehr wohl eine günstige sein kann , so-
bald es gelingt, die Landwirte zum Anbau gleicher Getreidearten und
Lieferung gleichartiger Qualitäten in ganzen Gegenden zu bewegen. Aufser-
dem kann dadurch sicher eine festere Grundlage für die Befriedigung des
Kreditbedürfnisses für kurze Fristen erlangt werden. Damit soll freilich
nicht bestritten werden, dafs von seiten der Hauptvertreter des Vorschlages
die davon zu erwartende Wirkung aufserordeutlich überschätzt wird.
Auf allgemeines Interesse kann der Verf. in betreff seiner Aus-
führungen über die Verbesserung der Lage der in der Landwirtschaft
thätigen Bevölkerung rechnen, sowohl wegen des von ihm Gebotenen,
wie des Gewichtes, das seine Autorität dem Gesagten gewährt. Er stellt
sich auf den Standpunkt , dafs überhaupt die Krisis bisher nur intensiv
die Landwirte, aber noch nicht die Landwirtschaft betroffen habe, und
unter jenen hauptsächlich den Grofsgrundbesitzer , weniger den Bauern,
während die Lage des Arbeiters sieh verbessert habe. Daher hätten auch
nur die Gegenden tiefer gelitten , in denen der Grofsgrundbesitz über-
wiegt.
Da er die Hauptursache der gegenwärtigen Kalamität in der Ueber-
schuldung sieht, so untersucht er vor allem, wie dem abzuhelfen, und
erörtert die Vorschläge, welche die Agrarkonferenz am 2. Juni 1894 in
Berlin beschäftigt haben. Ausführlich und mit schlagenden Gründen be-
kämpft er die Aufstellung einer Verschuldungsgrenze, die entweder so
hoch normiert werden müsse, wie Sering es thut, dafs sie wertlos 8ei,
oder wenn niedriger angesetzt, berechtigte Interessen verletzt. Er führt
als Beispiel auch den von mir auf der Agrarkonferenz herangezogenen
Fall an, wo Darlehen von Familienangehörigen (ich wies besonders auf
Darlehen der Eltern hin) im Bewufstsein einer momentanen Ueberschuldung
gewährt und eingetragen werden, auf Grund besonderen persönlichen Ver-
trauens und spezieller Opferfreudigkeit (oder des in Aussicht stehenden
elterlichen Erbes). Die Landschaften sind s. A. n. die richtigen Organe
und völlig ausreichend, den normalen Hypothekarkredit zu befriedigen.
Sie sollen aber mehr als bisher dem Bauern entgegenkommen. Auf der
Agrarkonferenz wurde von verschiedenen Seiten behauptet, dafs die Land-
schaften dem bereits in umfassender Weise nachkämen. In der That
wurde nachgewiesen, dafs in den letzten Jahren die Bauern weit mehr
Litteratur. 923
Darlehen erhalten haben als früher, aber ebenso klar ergab es sich, dafs
dies bisher in noch sehr unzureichender Weise geschehen ist. Wir gehen
noch weiter und bezweifeln, dafs die Organisation der Landschaften, wie
überhaupt von gröfseren centralisierten Instituten, ausreicht, dem wachsen-
den Kreditbedürtnis der Bauern zu genügen. Die Kosten und die Schwierig-
keit der Kontrolle, die Unmöglichkeit der Sequestration, die Gefahr eines
Ausfalls bei der Subhastation , die Kostspieligkeit einer besonderen Taxe
fallen für die Beleihung des bäuerlichen Grundstücks so erheblich ins
Gewicht, dafs eine gleichartige Behandlung und ein gleichartiges Ergeb-
nis von einem und demselben Zentralinstitut für grofse und kleine Güter
u. A. n. kaum zu erwarten ist. Weil wir daher eine ausreichende
Wirkung von landschaftlichen Instituten nicht erwarten, legen wir auch
der Einbürgerung der Rentenschuld ein gröfseres Gewicht bei als der
Verf. —
Am meisten Widerspruch hat bei dem Referenten der Abschnitt
über das Anerbenrecht hervorgerufen. Durch eine zu weit greifende
Definition des A.'s hat der Autor das Angriffsobjekt völlig verschoben,
gegen das er dann allerdings mit Erfolg seine Lanze führt. „Unter An-
erbenrecht versteht man den rechtlich geordneten Zustand, nach welchem
im Erbfalle beim Vorhandensein mehrerer Erben das Gut ungeteilt an
einen Erben fällt"; heifst es S. 152. Daraus wird sofort weiter ge-
folgert, dafs der Anerbe so bevorzugt wird, dafs das Gut von ihm er-
folgreich übernommen und bewirtschaftet werden kann ; und weiter bringe
das A. mit sich, „dafs gesetzlich oder faktisch eine Verschulduugsgrenze
für A. guter existiert". Freilich sieht er sich genötigt, trotz der kate-
gorischen Hinstellung hinzuzufügen, wenigstens sei das der Zweck und
sonst verfehle das A. die Bestimmung. Auf dieser willkürlich konstruierten
Grundlage wird nun fortgebaut: Das Anerbenrecht, wirklich allgemein
durchgeführt (wie es sogar in der Kommission für den Entwurf eines
bürgerlichen Gesetzbuches vorgeschlagen sei), würde bedeuten, „dafs die
Zahl und Gröfse der jetzt vorhandenen landwirtschaftlichen Besitzungen
unverändert beibehalten werden soll". Er setzt hier hinzu, und dem
schliefsen wir uns voll und ganz an, — : „Hieran wird aber kein verstän-
diger im Ernst denken", und weiter: „Die schwersten sozialen Er-
schütterungen ständen uns bevor, wenn das A. allgemein geltendes Reoht
würde". Es habe in einzelnen Teilen sich nur als unschädlich erhalten
können, weil es nicht allgemeine Geltung habe u. s. w.
Nun ist nirgends vorgeschlagen , ein der obigen Definition ent-
sprechen des absolutes A. allgemein einzuführen , vielmehr ein äufserst
bedingtes, einmal nur entweder in Form der Höferolle, wo einzelne
Güter bis zur Zurücknahme als ungeteiltes Ganzes im Intestat-
erbfalle einem durch Gesetz bestimmten Erben zufällt ; und bei solcher
Auswahl der Güter befürwortet der Verf. trotz seiner obigen Schilderung
der Schäden des A.'s später selbst dasselbe und will es sogar auf die
kleinsten Ackerstücke der Arbeiter als Rentengüter ausgedehnt wissen.
Oder es wird als allgemeines Intestaterbrecht erstrebt aber beschränkt
auf ländliche Grundstücke, deren Gröfse die Landesregierung den Verhält-
nissen gemäfs bestimmen soll und mit einem so unbedeutenden Vorzug
924 Litteratur.
des Anerben, dafs es nur als Entschädigung für das von ihm heutigentages
zu übernehmende Risiko angesehen wird. Von einer Unteilbarkeit ist
überhaupt bei keinem Vorschlage die Rede, auch nicht von einer Er-
schwerung der Teilung, wie Brentano sie in einem Artikel der Münchener
Allgemeinen behauptet (über die Verhandlungen des Vereins für Sozial-
politik in Wien liegen bisher leider nur kurze Zeitungsreferate vor, auf
die ich nicht eingehen möchte). Vielmehr kann nach allen in Frage
stehenden Entwürfen jeder Besitzer beliebig teilen. Es soll nur ver-
hindert werden, dafs der Erbfall zur Teilung führt, wo ein Uebernehmer
in der Familie vorhanden ist, weil zu befürchten steht, dafs dabei per-
sönliche, nicht wirtschaftliche Rücksichten mafsgebend sein
würden. Wichtig ist aufserdem, dafs der Erblasser durch Testament ganz
nach Gutdünken über das Gut verfügen kann. Der Verf. thut dies mit
der Behauptung ab, ,,dafs mindestens 75 Proz., wahrscheinlicher 80 — 90
Proz. der Landwirte nicht das Anerbenrecht wollen", dafs es deshalb un-
recht sei, diese zu zwingen, dasselbe durch Testament zu beseitigen.
Diese Behauptung will uns durchaus willkürlich erscheinen und wir be-
streiten ganz entschieden die Richtigkeit derselben. Die Ausdehnung des
thatsächlichen Anerbes bei den Bauern, die Verhandlungen im preufsischen
Landesökonomiekollegium, dem Landwirtschaftsrat und der Agrarkonferenz
bezeugen das Gegenteil. Auch wo von den Höferollen kein Gebrauch
gemacht wird, würde man diese allgemeine Anerbenfolge im Intestatfalle
vielfach ohne weiteres acceptieren.
Der Verf. will es auch für viele Gegenden gelten lassen, wo mehr
extensiver Betrieb herrscht und wenig industrielle Bevölkerung ist. Da
bilde es auch s. A. n. ein vorzügliches Mittel zur Bewahrung oder Ge-
winnung eines soliden wirtschaftlichen kräftigen Bauernstandes. Da sollen
die Bezirke, für welche sich das Anerbenrecht eigne, festgeteilt und zu-
gleich bestimmt werden, wer als Anerbe anzusehen, wie hoch die Be-
vorzugung anzusetzen etc. Uns will es dagegen richtiger scheinen, ge-
wisse Normen für landw. Grundstücke allgemein aufzustellen, soweit bei
ihnen gleichartige Interessen vorliegen. Das ist der Fall bei eigentlichen
Gütern, die möglichst in der Hand der Familie erhalten werden sollen,
um auf einen Betrieb nicht für den Moment, sondern für das Gedeihen
von Generationen hinzuwirken. Bei diesen ist die Einführung des Renten-
prinzips gleichfalls allgemein am Platze. Die Bestimmung der Gröfse,
von welcher an die Güter unter das Anerbenrecht fallen, und die andern
von dem Verf. angegebenen Punkte müssen daher allerdings distriktweise
von der Landesregierung besonders geregelt werden, um den vorliegenden
Verhältnissen Rechnung zu tragen. Wird eine so hohe Grenze angesetzt,
sagen wir von 25 ha, wodurch die gewöhnlichen Weingüter ausfallen, so wird,
wie uns von Sachverständigen jener Gegend versichert wurde, das An-
erbenrecht auch am Rhein gerne acceptiert werden. Wir gehen ferner
davon aus, dafs das Anerbenrecht für gröfsere Güter ebenso wünschens-
wert ist, als für Bauerngüter (im Gegensatz zu den Ausführungen des
Verf. s S. 157), und Bedenken dagegen liegen noch weniger vor, da der
Gutsbesitzer ohnehin ein Testament zu machen pflegt. Auch für ihn ist
es wünschenswert, dafs die Gesetzgebung die Bevorzugung des Ueber-
Litteratur. 925
nehmers unter den Erben als das Normale bezeichnet, nicht aber als ein
Unrecht. Er wird dann ohne Scheu vor dem Urteile seiner Kinder auch
im Testamente durchgreifendere Bestimmungen zu Gunsten der wirtschaft-
lichen Weiterführung seiner Besitzung treffen. Bleiben nun die kleineren
Grundstücke von der Bestimmung ausgeschlossen, die hauptsächlich dazu
dienen, dem Arbeiter eine Parzelle abzutreten oder ganz in Parzellen
aufzugehen, so fällt das letzte Bedenken des Verf.'s, dafs die Verteilung
des Grund und Bodens sich dabei den volkswirtschaftlichen Bedürfnissen
nicht anpassen würde, fort. Seine oben angegebenen Befruchtungen wenden
sich gegen eine Fesselung, die Niemand erstrebt. Der Verf. hält selbst
eine Anzahl geschlossener Güter für wünschenswert und geht in Bezug
auf Fideikommiase weiter als der Referent.
In betreff der Arbeiterverhältnisse verweist der Verf. auf seine be-
sondere Schrift, und wir behalten uns vor, darauf noch besonders zurück-
zukommen. Er befürwortet hier Mafsregeln, um den landw. Arbeiter
möglichst allgemein zum kleinen Grundbesitzer zu machen, und hofft da-
durch ein Zusammengehen der drei Gruppen ländlicher Bevölkerung zu
erreichen, während jetzt zu befürchten steht, dafs sie sich einzeln ver-
einigen und einander gegenübertreten. Wir halten es auch für wünschens-
wert, dafs ein wachsender Teil sowohl von der landwirtschaftlichen wie
industriellen Bevölkerung am Segen des Grundbesitzes partizipiert.
Der Verf. überschätzt u. A. n. aber die Bedeutung für die Agrarfrage
und ignoriert die Schattenseiten. Schon an anderer Stelle haben wir
darauf hingewiesen, dafs sich die Instleute des Ostens vielfach erheblich
besser stehen als grundbesitzende und damit an die Scholle gebundene
landw. Arbeiter, wo sie auf wenige Arbeitgeber angewiesen sind. Bei
wachsender Bevölkerung kann naturgemäfs nur ein kleinerer Prozentsatz
Grundbesitzer sein, auch die Bodenzersplitterung hat ihre Grenze, und
verhältnismäfsig früh ihre wirtschaftlich nützliche Grenze. Der Gegensatz
zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bleibt darum doch bestehen, und
damit kommen wir auf einen Punkt, den der Verf., wie uns scheinen will, zu
wenig berücksichtigt. Wir haben es hier mit einer besonderen Erscheinung
unserer gegenwärtigen Kulturentwickelung zu thuu, das ist mit dem Kampf
um die Höhe der Arbeitsrente gegenüber der Grundrente, resp. dem
Unternehmergewinn, wie in der Industrie. Es gilt die Anschauung zur
Geltung zu bringen, dafs die Entwickelung zu Gunsten der Arbeitsrente
einen Fortschritt des wirtschaftlichen wie sozialen Kulturzustandes be-
deutet, der also keineswegs überhaupt zu inhibieren ist, vielmehr kann
es uur die Aufgabe des Staates sein, eine zu rapide Umwälzung zu ver-
hindern und die unvermeidlichen Schäden der Veränderung zu mildern.
Wir stehen aber darin mit dem Verf. auf dem gleichen Standpunkt, dafs
es aussichtslos ist, durch tief einschneidende Mafsregeln die Krisis be-
seitigen zu wollen. Sehr gefährlich ist es vor allem, eine allgemeine
Agrargesetzgebung für eine Uebergangszeit zu schaffen , die naturgemäfs
nicht mehr passen kann, hemmend, schädigend wirkt, sobald wieder nor-
male Verhältnisse eingetreten sind. Die Gefahr lag bei Berufung der
Agrarkonferenz vor, und es fehlte nicht an Versuchen in solcher Weise
926 ^ i tteratur.
vorzugehen. Sie ist dort durch den gesunden Sinn der Praktiker selbst
beseitigt, und damit hoffentlich für Deutschland überhaupt. Die vor-
liegende Schrift kann viel dazu beitragen , einer gesunden Auffassung
weitere Verbreitung zu verschaffen.
Haben wir in dem Gesagten uns auch in verschiedenen Punkten den
Ausführungen des Verf.'s entgegengestellt, so betonen wir doch noch ein-
mal, dafs wir damit in keiner Weise den Wert der Schrift herabsetzen
wollten, die wir im Gegenteil mit grofser Freude begrüfseu und ange-
legentlichst empfehlen. Je mehr und je eingehender sie besprochen und
event. auch angegriffen wird, um so mehr wird sie dazu beigetragen
haben, ein ruhigeres und tieferes Nachdenken über die überaus bedeut-
same Agrarfrage der Gegenwart zu veranlassen, und damit ist auch ein
Weg zur Besseruug der Agrarkrisis gebahnt.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 927
üebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands
und des Auslandes.
1. Geschichte der Wissenschaft. Encyklopädisches. Lehrbücher. Spezielle
theoretische Untersuchungen
Abhandlungen aus dein staatswissenschaftlichen Seminar zu Strafsburg. Hrsg.
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Die Folgen des deutsch- französischen Münzvereins von 1857. Ein Beitrag zur Geld- und
Währungstheorie, von Karl Helfferich. X — 134 SS. M. 4. — . Heft 13: Die Regulierung
der Eibschiffahrt 1819—1821. XIV— 187 SS. M. 5.—.)
Biographie, allgemeine deutsche. Bd. XXXVI: Steinmetz — Stürenburg. Leipzig,
Duncker & Humblot, 1893. gr. 8. IV— 796 SS. geb M. 14,20.
Huber, V. A., Ausgewählte Schriften über Sozialreform und Genossenschaftswesen.
In freier Bearbeitung herausgegeben von K. Munding. Berlin, A. -Gesellschaft Pionier,
1894. gr. 8. CXVIII— 1204 SS. mit 3 Porträts. M. 18.—.
v Massow, C. (GRegR.), Reform oder Revolution! Berlin, O. Liebmann, 1894.
gr. 8. VIII— 291 SS. M. 4.—. (Aus dem Inhalt: Die Erziehung der erwerbsarbeitenden
Jugend. — Wirtschaftliche Reformgedanken. — Reform der Armen- und Schutzpflege. —
Die Arbeiterfrage.)
Neurath, W. (Prof.), Die Fundamente der Volkswirtschaftslehre. Kritik und Neu-
gestaltung. Leipzig, Gloeckner, 1894. gr. 8. 99 SS. M. 1,25.
Röscher, Wilh. , System der Armenpflege und Armenpolitik. Ein Hand- und
Lesebuch für Geschäftsmänner und Studierende. 2. Aufl. Stuttgart, Cotta, 1894. gr. 8.
X— 339 SS. M. 5.—. (A. u. d. T.: System der Volkswirtschaft, Bd. V, 2. Aufl.)
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und 19. Leipzig, Duncker & Humblot, 1894. gr. 8. (Inhalt. Heft 18: Ehrenamtliche
und berufsamtliche Thätigkeit in der städtischen Armenpflege, von (Bürgermeister) Brink-
mann (Königsberg i/Pr.)und Beigeordnetem Zimmermann (Köln a/Rh.). VI — 69 SS. M. 1,65. — .
Heft 19: Grundsätze über Art und Höhe der Unterstützungen, von (MagistrAss.) Cuno
(Berlin) und LandesR.) v. Dehn-Rotfelser (Kassel). Die Bestrebungen der Privatwohl-
thätigkeit und ihre Zusammenfassung, von (dem weiland Stadtältesten) Eberty (Berlin) und
(Bürgermeister) Künzer (Posen). VI — 117 SS. M. 2,40.)
Rambaud, J. (prof. d'economie polit. et de le'gislation financiere ä la faculte" catholique
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liberte. — L'Etat. — Le socialisme. — I'^re partie. Productiou : Les trois facteurs de
la production — Les agents naturels. — Le travail. — Le capital. — Les associations
de pioducteurs. — Les industries. — De quelques industries en particulier. — Iliöme partie.
(Jirculation ou echange: La circulation en general — Le taux d'echange et les prix. —
Le commerce et la speculation. — La monnaie. — Le credit. — Les banques. — Les
valeurs mobilieres. — Le credit reel. — Le commerce international. — inline partie.
Reparation : Les parties prenantes. — Le loyer ou interet du capital. — La rente. —
928 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Le salaire. — Le profit. — La popuiaüon. — La question sociale. — IVieme partie.
Consommation: La consommation en general. — Les consommations privees. — Les
institutions d'epargne et d'assistance. — Les consommations publiques en general. — Les
impots. — Le credit public et les emprunts. — )
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des deputes). — Discussion gener. du tarif general (Senat). — Peaux brutes (Chambre
des deputes). — Laines en masse (Chambre des deputes). — Soie en cocons (Chambre des
deputes). — Tissus de soie (Senat). — Fruits et graines oleagineux (Chambres des deputes ;
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Royer; Villiaume ; Courcelle-Seneuil. — The benefit theory. Historical appendix 1. The
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leads to proportional taxation. Historical appendix 4 The faculty theory leads to degres-
sive taxaiion. Historical appendix 5. The faculty theory leads lo progressive taxation:
Montesquieu; Montyon ; Say ; Du Mazet ; Denis; Fauveau; Paley; Craig ; Buchanan ;
Sayer ; Buckingham. Schön; Held; Neumann; Schäffle ; Stein; Wagner; v. Scheel;
Meyer. Pierson; Cohen-Stuart. Graziani. Piernas. Hurtado. — Part III: Application of
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Uebersieht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 929
Wirtschaftliche Kartelle, über, in Deutschland und im Auslande. 15 Schilde-
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von G. Engelcke. — Die Vereinigung bayerischer Spiegelglasfabriken (Fürth), von Iv
Schwanhäufser. — Die Kartelle der deutschen Salinen, von A. Wurst. — Holzstoffsyndi-
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Pulvergeschäft, von Spiecker. — II. Kartelle im Ausland : Des syudicats entre industriels
pour regier la production en France, par C. Jannet (prof., Paris). — Kartelle in Oester-
reich , von K. Wittgenstein. — Kartelle in RuCsland, von G. Jollos. — Kartelle und
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Le Dahomey. — Les missions Soudanaises. — La seconde mission Mizon et les puissances
europeennes dans l'Afrique centrale. — Le Congo francüs. — Obock. — Le Soudan
francais. — La Cote d'ivoire. — Le Sud-Algerien. — Les cables sous-mariue. — etc.
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vereine Deutschlands von (Rechtsanwalt) F. Günsburg. Berlin, Heymann, 1894. 12.
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Jahresbericht der k. Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin für die Zeit
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85 SS. mit 6 Uebersichtskarten. (Bearbeitet im kais. Gesundheitsamte in Berlin.)
Kralic, F. W. (Ritter v. Wojuarowsky), Die Verbreitung des Stein- bezw. Kali-
salzlagers in Norddeutschland und die geschichtliche Entwickelung der Kaliindustrie seit
ihrem 30-jährigen Bestehen. Magdeburg, 1894. 8. IV — 35 SS. Mit 9 Abbildungen,
3 Ansichten und 1 Uebersichtskarte. M. 1,50.
Pluton, A., Die Forsteinrichtung im Nieder- und Hochwaldbetriebe. Nach der
3. französ. Aufl. bearbeitet von (Forstass.) E. Liebeneiner. Berlin, Parey, 1894. gr. 8.
VIII— 144 SS. M. 3,50.
Pohl, J., Handbuch der landwirtschaftlichen Rechnungsführung. 2. Aufl. Berlin.
Parey, 1894. gr. 8. VIII— 390 SS. geb. M. 8.—. (Aus dem Inhalt : Geschichte und
Litteratur der Rechnungsführung. Theoretischer Teil. Praktischer Teil. — Rechnungs-
stil mit doppelten Posten. — )
Sanitätsbericht des Oberschlesischen Knappschaftsvereins für das Jahr 1893.
Kattowitz, Druck von Gebr. Böhm, 1894. Folio. 86 SS.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes 931
Garola, C. V. (prof. departemental d'agriculture), Les eereales. Paris, Finnin -
Didot & Cle, 1894. gr. in-8. av. 272 figures. IV— 815 pag. fr. 8. (Table des
matieres : Considerations generales sur la production des eereales. — Le climat. —
Besoin d'engrais des cerdales. — Le sol et les engrais. — Culture speciale du ble\ —
Les petites eereales. — De la moisson : Epoque de la rdcolte. Moissonnage m^canique,
etc. — Preparation des cdreales ä la vente. — )
Barker, W. H., The gold fields of Western Australia. London, Simpkin, 1894
gr. in-8. 78 pp. with large geological map of Western Australia and plans of tbe
various gold fields. 1/. — .
Potts' Mining register and directory for the coal and ironstone trades of Great
Britain and Ireland, 1894—95. London, Simpkin, 1894. 8. 10/.6.
Kisultati delle coltivazioni sperimentali del frumeuto (landwirtschaftliche Ver-
suchsstationen), anni 1889 — 92. Roma, tip. di Bertero, 1894. gr. Lex. in-8. XX1LI — 321 pp.
(Pubblicazione del Ministero di agricoltura, industria e commercio, Direzione generale dell'
agricoltura.)
Trigona, V., Brevi cenni sul ladifondo in Italia e sulle condizioni della Sicilia :
proposte urgenti. Firenze, tip. cooper., 1894. 8. 27 pp.
5. Gewerbe und Industrie.
Gewerbeenquete im österreichischen Abgeordnetenhause. Stenographisches
Protokoll der, samt geschichtlicher Einleitung und Anhang. Zusammengestellt von dem
Referenten (Abgeordneten A. Ebenhoch und E. Pernerstorfer). Wien, k. k. Hof- und
Staatsdruckerei, 1893. Roy.-8. X— 1204 SS.
Graudhomme (SanitätsR. u. Kreisphysikus), Die Fabriken der Aktiengesellschaft
Fachwerke vorm. Meister, Lucius & Brüning zu Höchst a. M. in sanitärer und sozialer
Beziehung. 3. Aufl. Frankfurt a/M.. Mahlau & Waldschmidt, 1893. gr. 4. VI— 87 SS.
mit 10 Lichtdrucktafeln.
Hisserich, L. Th., Die Idar-Obersteiner Industrie. Im Anschlufs an die Ver-
öffentlichungen des Vereins für Sozialpolitik. Oberstein, R. Grub, 1894. 8. 178 SS.
mit 1 graphischen Darstellung und 2 Tafeln Abbildungen. M. 2. — .
M e v e s , O. (ReichsgerR.), Schutz der Warenbezeichnungen. Nach dem Gesetz vom
12. Mai 1894 bearbeitet. Berlin, H. W. Müller, 1894. 12. XVII— 280 SS. M. 3,50.
Mitteilungen, amtliche, aus den Jahresberichten der Gewerbeaufsichtsbeamten.
Jahrgang XVIII: 1893. Berlin, W. T. Bruer, 1894. gr. 8. XVII— 410 SS. mit 13
tabellarischen Anlagen in gr. quer-folio u. Register von 60 SS. M. 7,50.
Müller, H., Wie der schweizerische Arbeitersekretär sich rechtfertigt. Ein zweiter
Beitrag zur Kenntnis seiner Leistungen. Basel, H. Müller, 1894. 8. 56 SS. M. 0,75,
Scheven, P., Die Lehrwerkstätten. Band I: Technik und qualifizierte Hand-
arbeit in ihren Wechselwirkungen und die Reform der Lehre. Tübingen, H. Laupp,
1894. gr. 8. 21; 570 SS. nebst zahlreichen Anlagen. M. 12. — . (Inhalt: Ueber den
Mangel an qualifizierten Handarbeitern in Deutschland. Quellenmäfsige Darstellung. —
Rückwirkung der technischen und sozialpolitischen Umwälzungen des letzten Jahrhunderts
auf die qualifizierte Handarbeit. — Vergleich der Zunftlehre mit der freien Lehre in
sozialer Hinsicht. — Vergleich der Zunftlehre mit der freien Lehre in technischer Hin-
sicht. — Die Stellung des Staats zur Handwerkslehre. — Klein- und Grofsbetrieb in
statistischer Hinsicht. — Benutzung elementarer Kraft im Kleingewerbe. Die süddeutschen
Veranstaltungen (in Württemberg, Hessen und Baden) zur Hebung der Lehre. —
Gegenüberstellung der besprochenen süddeutschen Veranstaltungen und analoger nord-
deutscher. — Die badischen Lehrlingswerkstätten. — Die Lehrschmiede (einschl. der Huf-
beschlagschule). — Die Ergänzungslehrwerkstätte zur Unterstützung der Meister- resp.
Fabriklehre. — Mängel der heutigen Fabriklehre. — Mustergiltige Einrichtungen für die
Lehrlingserziehung in der Grofsindustrie. — Die Lehrlingserziehung im Grofs- und Mittel-
betrieb in Verbindung mit Fabriklehrwerkstätten. — Victor Della- Vofs und dessen Unter-
richtsmethode durch Lehrwerkstättenausbildung. — etc.)
Belloc, L., Du travail des femmes et des enfants dans les ateliers , fabriques et
dans les mines en Italic Milan, impr. H. Reggiani, 1894. 8. 44 pag. (Congres internat.
des aeeidents du travail k Milan.)
Bouquet, L., Organisation de l'inspection des fabriques en France et resultats
59*
932 Uebersicbt über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
obtenus. Milan, impr. H. Reggiani, 1894. 8. 46 pag. (Congres internat. des accidents
du travail ä Milan.)
Co üb in, C. (avocat ä la cour d'appel de Paris), La propriete industrielle, artistique
et litteraire. Tome I Tours, impr. Soudee, 1894. 8. LXXIV — 380 pag. Preis für
das vollständige 2-bändige Werk fr. 20. — .
Fab rican ts - exporteurs, les, du royaume de Hongrie (iu deutscher, englischer,
französischer, italienischer, ungarischer, rumänischer, bulgarischer und russischer Sprache).
Publie, sur l'ordre de M. le Minister royal hongrois du commerce, par le Muse'e commer-
cial hongrois Budapest 1894. 8. CXLIII— 160; CXXVIII (annonces) pag.
de Keppen, A., Etat actuel de la question des accidents du travail en Russie.
Milan, impr. H. Reggiani, 1894. 8. 18 pag. (Congres internat. des accidents du travail
ä Milan.)
Latruffe,C. (sous-intendant milit. de 2e classe), Du sucre et de l'industrie sucriere.
Paris et Limoges, H. Lavauzelle, 1895. gr. in-8. 168 pag. av. 12 figur. et 1 planche.
fr. 3. — . (Table des matieres: De la betterave. — Fabrication du sucre. — Du sucre
dans ses rapports avec l'administration de l'armee. — De la legislation des Sucres)
Burn, R. Scott, The ste.am engine : its history and mechanism. 8th and enlarged
edition. London, Ward, Lock & Bowden, 1894. crown-8. 180 pp. with 132 illustra-
tions. 2/.6.
Williams on, A., British industries and foreign competition. London, Simpkin.
1894. 8. 320 pp. 3/.6.
6. Handel und Verkehr.
Bericht der Handels- und Gewerbekammer zu Dresden. Teil II. Dresden, Druck
von C. Heinrich, 1894. gr. 8. 65 SS. (Inhalt: Bewegung der Kurse an der Dresdener
Börse 1893. Die Aktienuuternehmuugeu im Kammerbezirk 1893/94 Sparkassenverkehr
1893. Monatliche Durchschnittsmittelpreise der Dresdener Produktenbörse 1893. Fabrik-
arbeiterzählung 1892 und 1893 nach Verwaltungsbezirken und Gewerbegruppeu. Tabaks-
fabrikationsbetriebe und Mengen der Fabrikate 1893. Zahl der Tabakarbeiter 1893.
— etc.)
van der Borght (Prof., k. teebn. Hochschule Aachen), Das Verkehrswesen.
Leipzig, C. H. Hirschfeld, 1894. gr. 8. X— 464 SS. M. 12,50. (A. u d. T. : Hand-
und Lehrbuch der Staatswissenschafteu, hrsg. von K. Frankeustein. Abteilung 1: Volks-
wirtschaftslehre, Bd. VII )
Dimtschoff, Radoslave M., Das Eisenbahnwesen auf der Balkan-Halbinsel. Eine
politisch volkswirtschaftliche Studie. Bamberg, Buchner, 1894. gr. 8. VIII— 266 SS.
Mit Eisenbahnkarte, 24 Tabellen u 3 graphischen Tafeln. M. 6. — .
Gottschalk, M. (Direktor des Deutscheu Kreditoreuverbandes), Die Abänderungen
der deutschen Konkursordnung. Berlin, Langenscheidt, 1895. gr. 8. 36 SS. M. 1. — .
Hansen, Ed., Das zukünftige Leipzig. Eine illustrierte Schilderung der projek-
tierten Eisterbassins , des Palmengartens und der damit verbundenen Bauten. Leipzig,
Laurencic, 1894. gr. 8. 56 SS. mit 18 Illustrationen u. Orientierungsplau. M. 1 — .
Jahresbericht der grofsherz. Handelskammer zu Bingen a Rh. für die Jahre
1892 und 1893. Bingen a./Rh., Druck von O. Boryszewski, 1894. gr. 8. VII— 181 SS.
mit Plan der Hafenanlage von Bingen in gr. quer-folio. (Inhalt: Einrichtungen für
Handel und Industrie. — Verkehrswesen — Lage von Produktion und Handel. —
Bildungsanstalten und Korporationen. — Statistische Uebersichten.)
Jahresbericht der Handelskammer für Ostfrieslaud und Papenburg für das Jahr
1893. Teil II. Leer, Druck von W. J. Leendertz, 1894. folio. 48 SS.
Jahresberich te der Handels- und Gewerbekammern in Württemberg für das Jahr
1893. Systematisch zusammengestellt, veröffentlicht und mit einem Anhang versehen von
der kgl. Centralstelle für Gewerbe und Handel. Stuttgart, Hofbuchdruckerei „Zu Gutteu-
berg", 1894. gr. 8. XVI— 336 SS.
Kahn, J. (Rechtsanw. u. Sekretär der Handels- und Gewerbekammer für Ober-
bayern), Die 25-jährige Thätigkeit der Handels- und Gewerbekammer für Oberbayern
1869 — 1894. München, üniversitätsbuebdruckerei von C. Wolf & Sohn, 1894. gr. Lex.-8.
117 SS.
Schanz, G. (Prof.), Studien über die bayerischen Wasserstrafseu. (III. Teil.)
Bamberg, C. C. Buchner, 1894. gr. 8. IX— 420 SS. M. 7. — . (A. u. d. T. : Die Main-
schiffahrt im XIX. Jahrhundert und ihre künftige Entwickeluug.)
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 933
Stegemann (Syndikus der Handelskammer für das Herzogt. Braunsehweig), Un-
lauteres Geschäftsgebahren I. Typische Fälle im Aultrage der Handelskammern Braun-
sehweig, Goslar, Göttingen, Ilalber:>tadt, Halle a /S , Hannover, Hildesheim, Kassel,
Minden, Nordhausen, Osnabrück. Braunschweig, A. Limbach, 1894. gr. 8. 183 SS.
M. 2,50.
v. Strigl, Ad. (Ritter). Die Waren des Welthandels. Vortrag gehalten am 21.1.
1894 im Wiener Volksbildungsverein. Wien, Manz, 1894. gr. 8. 16 SS M. 0,40.
Yoshida, Tetsutaro, Entwiekeiung des Seidenhandels und der Seidenindustrie vom
Altertum bis zum Ausgang des Mittelalters. Heidelberg , J. Hörning, lfc95. gr. 8-
VIII— 112 SS. M. 2.—.
Carro, T., Moteurs et moyens de transport. economiques, applicables ii l'agriculture.
au canal de Panama et ä la defense du pays. Paris, Desforges, 1894. 8. 36 pag.
T hie baut, L. (avocat ä la Cour d'appel de Paris), De la responsabilite des pro-
prietaires de navires et des armateurs etc. (article 216 du Code de commerce). Paris, A
Rousseau, 1894. gr. in-8. VIII — 296 pag. fr. 7. — . (Table des matieres : De In
responsabilite etc. — Des temperaments qui peuvent etre apportös ä la responsabilite" des
proprietaires des navires ä l'aide des Conventions, ou des moyens auxquels peut avoir
reeours le proprietaire de navires pour s'exonerer de sa responsabilite par la voie con-
tractuelle. — Des temperaments apportes par la loi ä la responsabilite etc. : 1. La fortune
de terre et la fortune de mer. 2. A qui la loi accorde la faculte" d'abandon. 3. Objet
de l'abandon : Le navire et le fret. 4. Forines de l'abandon etc. — Conflits des lois
en matiere d'abandon.)
Cooley, Ch. H. (sometiine Chief of the transportation division of the XD'1
Census), The theory of transportation. Baltimore, 1894, Mai. gr. in-8. 148 pp. $ 0,75.
(Publications of the American Economic Association. Vol. IX N° 3. Contents: Mecha-
nical and geometrical nations. — The relation of land transportation to physical con-
ditions. — The need of transportation underlies all social institutions. General statement
of the social function of transportation. The tests of its efficiency change with social
progress. — Transportation and military Organization. — Transportation and political
Organization. — The ralation of transportation to Organization having an ideal purpose.
— Transportation and economic Organization. — The location of towns and cities. —
The relation of transportation to markets, prices, competition, etc. — The general theory
of rates. — Transportation and rent. — The political relations of transportation further
considered. — )
7. Finanzwesen.
Edelmann, H. (weiland Direktor des statist. Amtes der Stadt Dresden), Denk-
schrift über den Einflufs der Einkommensteuererhebung auf die Verteilung der Abgaben-
last in Dresden. 40 und 27 SS. 8. (Zuerst abgedruckt in der ,, Sammlung von Druck -
vorlagen für Beschlüsse des Rats zu Dresden im Jahre 1889" und nach des Verfassers
Tode für einen beschränkten Kreis von Fachgenossen veröffentlicht, Oktober 1894. Nicht
im Handel.)
Riede, J. (Zollamtsassistent, Ludwigsburg), Zur Neuordnung der direkten Steuern
Württembergs unter Bezugnahme auf die Einkommensteuer-Gesetzgebung und -Statistik
anderer deutscher Bundesstaaten. Stuttgart, Nitzschke, 1894. 8. 96 SS. M. 1,20.
Finance Act, the, 1894 (57 & 58 Vict. c. 30) so far as it relates to Estate duty
and the succession duty, with an introduction and notes by J. E. Crawford Munro.
London, Eyre & Spottiswoode, 1894. Roy. in-8. VIII — 110 pp., cloth. 5/. — .
Tarif des douanes de l'empire Russe, pour le commerce europeen. Tarifs normal,
maximal et conventionnel. Tarif pour les marchandises importees de la Finlande. 2me
edition entierement revue et mise ä jour par J. Belin & N. de Moerder. St. Peters-
bourg, Zinserling, 1894. 12. 218 pag. M. 6. — .
Esecuzione forzata per la riscossione delle imposte dirette in base alla legge
etc. etc., colle discussioni e relazioni parlamentari, colla giurisprudenza e dottrina, colle
circolari, istruzioni etc. per cura del (cancelliere) L. Bidone. Torino, Unione-tipogr.-
editrice, 1894. 8. 262 pp. 1. 3. — . (Sommario : Norme generali. — Esecuzione sui
mobili. — Dell' esecuzione sugli immobili. — Modelli. — )
934 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutsehlands und des Auslandes.
8. Geld-, Bank-, Kredit- und Versicherungswesen
Bericht über den XIV. Deutschen Feuerwehrtag zu München am 21., 22., 23.
und 24. Juli 1893. Herausgegeben im Auftrage des Deutschen Feuerwehrausschusses von
dessen Vorsitzenden Gr. Schulze (Branddirektor zu Delitzsch). [Aus dem Inhalte : Die
Unterstützungskassen, sowie die Leistungen der öffentlichen Feuersozietäten und Privat-
ieuerversicherungsgesellschaften für das Feuerlöschwesen. — Die in den einzelnen Staaten
bestehenden Gesetze, Verordnungen, Vereinbarungen etc. betreffend die Heranziehung der
Privatfeuerversicherungsgesellschaften zu den Kosten des Feuerlöschwesens. — Die
Brände und Brandschäden — etc.]
B r ä m e r , H. (Sekretär des Verbandes deutscher öflf. Feuervers.-Anstalten, Münster)
und K. Brämer (GRegR.), Das Versicherungswesen. Leipzig, C. H. Hirschfeld, 1894. gr. 8.
XII— 413 SS. M. 11,50. (A. u. d. T. : Hand- und Lehrbuch der Staatswissenschaften,
hrsg. von Kuno Frankenstein, Abteilung I : Volkswirtschaftslehre, Bd. XVII.)
Hannemann, Ad. (Rendant der Sparkasse des Kreises Teltow), Einrichtung und
Buchführung von Sparkassen nach dem Muster der Sparkasse des Kreises Teltow.
Berlin, C. Heymann, 1893. Folio. VI— 175 SS. einschl. 95 Muster, geb. M. 8.—.
Hucke, J., Das Geldproblem und die soziale Frage. 4. Aufl. der Schrift: ,,Das
verwünschte Geld/' Berlin, Mitscher & Röstell, 1894. 8. VIII— 2 79 SS. M. 2,40.
(Inhalt. I. Buch: Geldumlauf und Preisgestaltung — II. Buch, 1. Teil: Kredit- und
Surrogatgeld. — II. Buch, 2. Teil : Geldumlauf und Zins.)
v. Lanna, A. , Die Unfallversicherung der österreichischen Seeleute. Ein Vor-
schlag. Leipzig, Duncker & Humblot, 1894. gr. 8. II— 62 SS. M. 1,40.
v. Mayr, Georg, Unfallversicherung und Unfallfrequenz. Milan, iuopr. H.
Reggiani, 1894. 8. 29 SS. (Cougres internat. des accidents du travail ä Milan.)
Swoboda, 0-, Die kaufmännische Arbitrage. Eine Sammlung von Notizen und
Usanzen sämtlicher Börsenplätze der Welt für den praktischen Gebrauch. 9. Aufl. be-
arbeitet von Adolf Sandheim. Berlin, Haude & Spener, 1894. gr. 8. VIII— 751 SS.
geb. M. 12.—.
Arnaud, L., Manuel des deposants aux caisses d'epargne (Caisse postale ou natio-
nale et caisses ordinaires ou privees) et ä la caisse nationale des retraites pour la
vieillesse. Paris, Lahure, 1894. 16. 243 pag. fr. 1. — .
Lyon, C. (maitre des requetes au Conseil d'Etat) et G. Teissier (auditeur au
Conseil d'Etat), Les Operations de bourse et l'impöt du timbre. Loi de finances du 28
avril 1893. Reglement d'administration publique du 20 mai 1893. Paris, P. Dupont,
1894. in-18 Jesus. VIII — 451 pag. fr. 5. — . (Table analytique : Genese de l'impot
sur les Operations de bourse. — Esprit geueral de la loi. — Determination de la matiere
imposable — Tarif de l'impöt. — Mecauisme de perception de l'impot. — Sanctions
des prescriptions de la loi fiscale — Annexes 1 — 4. — )
U n i o n s mutuelles, les, de credit populaire (industriel et agricole) et nos instituteurs,
par A de Malarce. Paris 1894. 19 pag. (Extrait du „Manuel g^neral de l'instruction
primaire".)
Wahl, A. (prof. agrdge" ä la faculte de droit de Grenoble), Etüde sur l'augmen-
tation du capital dans les societes anonymes et les societes en commandite par actions.
Paris, Rousseau, 1894. gr. in-8. 125 pag. fr. 3,50. (Extrait des ,, Annales "de droit
commercial francais, etranger et international", 1893. Table des matieres: Emission
d'actions nouvelles. — De l'augmeutation du capital par des versements emanant des
porteurs d'actions anciennes. — Conversion des dettes sociales en actions. — Legislations
etrangeres. — Vues legislatives. — etc.)
HHCTpvKuiapa noqTOBO-Tejerpa*i)iK'i> cöeperaTCitHbixt KaccL, etc. C. üeiep-
oypn, Druckerei der kais. Bank, 1893. 8. (Instruktionen für die kaiserl. russische
Post- und Telegraphen-Sparkassenverwaltung.) 95 pp.
9. Soziale Frage
Bilz, F. E., Wie schafft man bessere Zeiten ? Die wahre Lösung der sozialen Frage
nach dem Naturgesetz. Dresden-Radebeul, Bilz, 1894. 8. VIII— 167 SS. M. 0,50.
Jäger, Ad. (Pastor in Werder), Die soziale Frage im wissenschaftlichen und
biblischen Kleide. Band III, Teil 2. Neu-Ruppin, Petreuz, 1894. gr. 8. M. 0,50.
Kiefer, W., Unsere modernen Kommis und Prinzipale! Kritisch-soziale Skizze.
2. Aufl Leipzig, Friedrich, 1894. 8. 32 SS. M. 0,50.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes 935
v. Nathusius, Martin (Prof., Greit'swald), Die Mitarbeit der Kirche an der Lösung
der sozialen Frage. Band II : Die Aufgabe der Kirche. Leipzig, Hinrichs'sche Buch-
handlung, 1894. gr. 8. VIII— 470 SS. M. 7,50.
Naumann, Fr., Soziale Briefe an reiche Leute. Göttingen, Vandenhoeck & Ru-
precht, 1894. kl. 8. 58 SS. M. 1.— .
Wilms, W., Das Recht auf Arbeit. Vortrag. 2. Aufl. Hamm, Wilms, 1894.
8. IV— 34 SS. M. 0,40.
Grenthe, L. (industriel), Questions sociales. Prevoyance et mutualitö. Lssai
d'un projet de Solutions pratiques pour obtenir la geneValisation et l'application des
moyens de prevoyance et de mutualitd contre les maladies, les accidents professionnels
et la vieillesse des ouvriers du travail manuel. Pontoise, impr. L. Paris, 1894. in-18 jdsus.
160— III pag. fr. 1,50.
Mannequin, T. (membre de la Societö d'economie polit. de Paris), La question
sociale et la science. 2 edition, revue et augmentee. Paris, Guillaumin & Cie , 1894,
8. XXVI— 453 pag.
d a T r o bas o , A., II socialismo e la questione sociale: conferenza recitata il di
3 giugno 1894 al circolo cattolico di Mondovi-Breo. Mondovi, tip. vesc. Musso & Avag-
nina, 1894. 16. 70 pp.
Valeriani, V. (prof.), II principio d'autoritä nella questione sociale. Siracusa,
tip. del Tamburo, 1894. 8. 10 pp.
Bymholt, B., Geschiedenis der arbeidersbeweging in Nederland. Amsterdam,
S. L. van Looy, 1894. 8. VIII— 22 ; 53 en 736 blz. fl. 3,25.
10. Gesetzgebung.
Fischerei der Ufereigentümer in den Privatflüssen der Provinz Westfalen. Das
Gesetz betreffend die, vom 30. Juni 1894. Nebst den übrigen für die Prov. Westfalen
ergangenen, die Fischerei betreffenden Gesetzen und Verordnungen. Zusammengestellt
von v. Schiigen (OLGerR.). Hamm, Griebsch, 1894. 8. 82 SS. M. 1. — .
v. Jhering, R., Entwickelungsgeschichte des römischen Rechts. Einleitung. —
Verfassung des römischen Hauses. Leipzig, Duncker & Humblot, 1894. 8. VIII— 124 SS.
M. 3. — . (Aus dem Nachlafs herausgegeben.)
v. K i r chs t e t te r , L. (Ritter), Kommentar zum österreichischen allgemeinen bürger-
lichen Gesetzbuche mit vorzüglicher Berücksichtigung des gemeinen deutschen Privat-
rechts. 5. Aufl., herausgegeben von (Hof- und Ger.-Advok.) F. Maitisch. Leipzig, Brock-
haus, 1894. Lex.-8. XII— 756 SS. M. 12.—
Lohmann, P. (vereid. Chemiker und gerichtl. Sachverständiger^, Lebensmittel-
polizei. Ein Handbuch für die Prüfung und Beurteilung der menschlichen Nahrungs- und
Genufsmittel im Sinne des Gesetzes vom 14. Mai 1879, erläutert durch die vorausge-
gangene Rechtsprechung. Leipzig, E. Günther, 1894. gr. 8. IV — 375 SS. M. 8. — .
v. Thudichum. Fr. (Prof., Tübingen), Geschichte des deutschen Privatrechts.
Stuttgart, Enke, 1894. gr. 8. X-472 SS. M. 11—.
Eisenmann, E. (avocat ä Paris), Le contrat d'ddition et les autres louages d'oeuvres
intellectuelles. Orleans, impr. Pigelet, 1894. 8. 93 pag. (Memoire lu ä l'Academie
des sciences morales et politiques, Institut de France.)
Griffith, W., Indian law of insolvency: being 11 and 12 Vict. c. XXI. With
an historical introduetion, commeutaries, etc. London, 17 Bedford Row, 1894. 8. 21/. — .
Kent. J., Commentaries on American law, edit. by W. Hardcastle Browne. St. Paul
(Minnesota) 1894 8. XV — 926 pp. $ 5,30.
Pullin g, A-, The shipping code: being the Merchant Shipping Act, 1894 With
introduetion, uotes, tables, rules, etc. London, Sweet & M., 1894. Roy-8. 530 pp. 7|.6.
Stevenson, T. and Murphy, S. F., A treatise on hygiene and public health.
Volume III: Sanitary law. London, Churchill, 1894. Roy. -8. 640 pp. 20/.—.
11. Staats- und Verwaltungsrecht.
Barmen. Bericht über Verwaltung und Stand der Gemeindeangelegenheiten der
Stadt Barmen für das Jahr 1893. Barmen, Druck von Wiemann, 4. 241 SS. — Haupt-
and Spezialetats der Stadt Barmen für 1894/95. ebd. 1894. 4. 119 SS.
Bezirkstag des Unterelsafs. Sitzung 1894: Verwaltungsbericht und Vorlagen
936 Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
des Bezirkspräsidenten. Strafsburg, Elsässische Druckerei 1894. 4. 219 SS. Als
Beilage dazu: 1. Aufserord. Sitzung 1894. Vorlagen und Verhandlungen. Ebd. 1894.
4. 9 SS. 2. Haushaltsetat des Bezirks Unter-Elsafs für 1895/96. Ebd. 4. 61 SS.
Caveant consules ! Ein ernstes Mahnwort zur Polenfiage. (Von Verus Germanicus.)
Dresden, Esche, 1894. gr. 8. 42 SS. M. 0,75.
Delbrück, Hans, Die Polenfrage. Berlin, H. Walther, 1894. gr. 8. 46 SS.
M. 0,80.
v. 6 r abscheid t, F., Der moderne Staat und seine Aufgaben. Wien, L. Weiss,
1894. gr. 8. V— 77 SS. M. 1,25.
Meili, Fr. (Prof. d. intern. Privatrechts, Zürich), Der Staatsbankerott und die
moderne Rechtswissenschaft. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1895. 8. V— 86 SS.
M. 1,60. (Vortrag gehalten in der internat. Vereinigung für vergleichende Rechtswissen-
schaft und Volkswirtschaftslehre zu Berlin.)
Ostmark, die deutsche. Aktenstücke und Beiträge zur Polenfrage. Herausgegeben
vom All-Deutschen Verbände, Berlin, W. 35. Berlin, M. Priber, 1894. gr. 8. 112 SS.
M. 0,50.
Randbemerkungen zum Monzambano. (Verfassung des Deutschen Reiches.";
Zur Erinnerung an Samuel von Pufendorf (f 26. X. 1694). Berlin, Puttkammer & Mühl-
brecht, 1894. kl; 8. 74 SS. M. 1.
v. Seydel, Max, Bayerisches Staatsrecht. Band VII. (Schlufs des Werkes). Frei-
burg i/B., Mohr, 1895. gr. 8. IV— 410 SS. M. 9.—. (Inhalt: Alphabetisches Register.
Bearbeitet von G. Krais und Th. Stöhsel. — Gesetzesregister. Bearbeitet von J. (Frh.)
von der Heydte.)
Soest. Bericht des Magistrats zu Soest über den Stand und die Verwaltung der
Gemeindeangelegenheiten für das Verwaltungsjahr 1893/94. Soest, Buchdruckerei von
Hoffmann, 1894. 8. 42 SS.
Verhandlungen des XIV. Landtags der Provinz Sachsen vom 18. Februar bis
einschliefslich 1. März 1894. 2 Bände. Merseburg, Druck von A. Leidholdt , 1894. 4.
(Bd. I. Stenographische Berichte 456 SS. ; Bd. II : Anlagen zu den stenographischen Be-
richten 1123 SS.)
Tarquan, V. (laureat de l'Institut), Petit manuel de l'assistance publique, des
hospices, hopitaux, bureaux de bienfaisance et des bureaux d'assistance m^dicale. Paris,
P. Dupont, 1895. in- 18 Jesus. 215 pag. fr. 4. — . (Table: Textes legislatifs et rdgle-
mentaires. — Service des secours k domicile. — Projet d'organisation type d'un bureau
d'assistance dans une commune. — Rapport sur l'assistance medicale, par Monod (directeur
de l'hygiene et de l'assistance publique). — Tableaux statistiques I — IX : Statistique de lits
d'bopital publics. Reparation des lits d'höpitäl entre la population urbaine et rurale
(d'apres l'enquete du 30 juin 1892). — Populations urbaines possedant des lits d'hopital.
Assistance hospitaliere par arrondissement. — Evaluation des depenses devant resulter
de l'application de la loi sur l'assistance medicale. — etc.)
Annual report of the Secretary of the Interior (U. St.) for the fiscal year ending
June 30, 1893. Vol. I and II. Washington Government printing Office, 1893. gr. in-8.
XCVI — 476; 1172 pp. (Contents. Vol. I pag. 1 sqq.: Report of the Commissiouer of the
General Land Office ; Vol. II pag. 1 — 1151: Report of the Commissioner of Indian affairs,
with map showing Indian reservations within the limits of the U. States.)
Gregory, W. (Sir, formerly member of Parliament and something Governor of
Ceylon), An autobiography. London, Murray, 1894. 8. 380 pp. 16/. — .
Johnston (Commissioner), First three years' administration of the eastern portion
of British Central Africa, Report. London, Eyre & Spottiswoode, 1894. 8. 1/.101/».
Report, the first, of the Commissioners for inquiring into the administration and
Operation of the poor laws in 1834. London, Eyre & Spottiswoode, reprinted 1884. 8. 2/. 6.
Statutes of the province of Quebec, passed in the LVIBh year of the reign of
H. Maj. Queen Victoria and in the 3rd Session of the VllP-h legislature , 9tri November
1893— 8*h January 1894. Quebec, printed by Ch. F. Langlois, 1894. gr. in-8. 440 pp.
Vacchelli, G. (avvocato), Le basi psicologiche del diritto pubblico. Milano, U.
Hoepli edit., 1895. 8. 152 pp. 1. 2,50. (Contiene : Osservazioni critiche intorno ai
principi del diritto pubblico. — Lineamenti generali del fenomeno psichico collettivo. —
I problemi della politica e la psicologia sociale. — Applicazioni alle istituzioni amrni-
nistrative. — )
Uebersieht über die neuesten Publikatioi.en Deutschlands und des Auslandes. 937
Westlake, J., Charters on the priiii-iples of international law. Cambridge, t'i .'.-
versity press, 1894. gr. in-8. XVI — 275 pp., clolh. 10/. — ■ (Contents: International
law in relation to law in general. — Theory bearing on international law down to the
renaissanee: Grece. Rome ijus gentium, jus naturale). DisBOlntion of the KomHn empire :
Isidore of Seville. The renaissanee: Suarez. — Ayala. Gentilis. Orotins. — The peace
of Westphalia and Pufendorf. — Bynkershoek. Wclff. Vattel. — The principles of inter-
national law. — The equality and independence of States. — International rights of selt-
preservatioc — Territorial sovereignty, especially with relation to nncivilised regions. —
The empire of India. — War. — )
12. Statistik.
Allgemeines.
Zusammenstellungen, statistische, über Blei, Kupfer, Zink und Zinn von
der Metallgesellschaft Frankfurt a/M. in den Jahren 1889—1893. Frankfurt a/M., Druck
•von C. Adelmann, 1894. 8. (Nicht im Handel.)
de Villars, E. (officier superieur du genie en retraite), Statistique generale des
richesses mine'rales et metallurgiques de la France et des principaux Etats de l'Europe.
Consistance des prineipales mines et usines 1894. Paris, Dunod & P. Vicq, 1894. 4.
251 pag. Reue. fr. 20. — . (Die statistischen Daten beziehen sich auf die Jahre 1892 und
1893.)
Deutsches Reich.
Anweisung zur Vornahme statistischer Ermittelungen über den Post- und Tele-
graphenverkehr. Berlin, Druck der Reichsdruckerei, 1894. 4. IV — 132 SS.
Beiträge zur Statistik des Grofsherzogtums Baden. Herausgegeben vom statisti-
schen Bureau. Neue Folge Heft ö (zugleich der ganzen Reihe 51. Heft). Karlsruhe,
Chr. Fr. Müller, 1894. 4. 26 u. 25 SS. mit 4 Karten in greifst. Imp.-folio. (Inhalt:
Die Volksdichte im Grofsherzogtum Baden nach der Höhenlage der Wohnorte darge-
gestellt von Ludwig Neumaun (Prof. der Geographie an der Universität Freiburg) mit je
1 Höhenschichten- und Volksdichtenkarte Badens im Mafsstab 1:300 000. — Die Körper-
gröfse der Wehrpflichtigen im Grofsherzogtum Baden in den Jahren 1840 bis 1864. Dar-
gestellt auf Grund der Kekrutierungslisten für Gemeinden, Amtsbezirke und Kreise von
O. Ammon. Mit 2 Karten in gröfst. Imp.-folio.)
Bericht, XXVI. statistischer, über die Pfründen- und Krankenanstalt des k. Julius-
spitals zu VVürzburg für 1893. Würzburg, Druck von H. Stürtz, 1894. gr. 8. 48 SS.
Erhebung über die Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien. Teil II. — Er-
hebung über die Arbeitszeit in Getreidemühlen. Veranstaltet im Sommer 1893 Berlin,
Heymann, 1894. Folio. 63 SS. u. IV— 84 SS. (A. u. d. T. : Drucksachen der Kom-
mission für Arbeiterstatistik. Erhebungen Nr. 3 u. 4.)
Erhebung über die Arbeits- und Gehaltsverhältnisse der Kellner und Kellnerinnen.
Veranstaltet im Jahre 1893. Bearbeitet im kais. statistischen Amt. Berlin, Heymann,
1894. Folio. 149 SS. (A. u. d. T. : Drucksachen der Kommission für Arbeiterstatistik,
Erhebungen Nr. 6 )
Erhebung über Arbeitszeit, Kündigungsfristen und Lehrlingsverhältnisse im Han-
delsgewerbe. Teil III. Inhalt : Ergebnis der Umfrage über die Einführung einer einheit-
lichen Ladecschlufsstunde. Gutachten des kais. Gesundheitsamtes über den Einflufs der
Beschäftigung der Handlungsgehilfen und -Lehrlinge, sowie der Geschäftsdiener auf deren
Gesundheit. Berlin, C. Heymann, 1894. Folio. 88 SS. (A. u. d T. : Drucksachen der
Kommission für Arbeiterstatistik, Erhebungen Nr. 7.)
Handel, auswärtiger, des deutschen Zollgebiets im Jahre 1893. Teil II: Darstel-
lung nach Warengattungen. Berlin, Puttkammer & Mühlbrecht, 1894. Imp -4. IV — 298 SS.
M. 6.—. (A. u. d. T. : Statistik des Deutschen Reichs. Neue Folge Bd. 74)
Jahrbuch, statistisches, für das Königreich Bayern. Jahrg I: 1894. München,
Lindauer, 1894. gr. 8. X — 284 SS. u. 8 Tafeln graphischer Darstellungen. (Heraus-
gegeben vom kgl. statistischen Bureau. Inhalt: Staatsgebiet und Bevölkerung. — Land-
wirtschaft. — Bergwerke, Salinen und Hütten. — Gewerbe, Handel, Industrie, Verkehr.
— Versicherungswesen. — Finanzwesen. — Oeffentliehe Fürsorge. — Kirchliche Ver-
hältnisse. — Unterrichtswesen. — Medizinal- und Veterinärwesen. — Justiz- und Gefäng-
niswesen. — Militärwesen. — Wahlen. — Meteorologie. — )
Jahrbuch, statistisches, der Stadt Berlin. Jahrg. XIX. Statistik des Jahres 1892.
C)QQ Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes.
Im Auftrage des Magistrates herausgegeben von R. Böckh. Berlin, P. Stankiewicz, 1894.
gr.{8. XVI— 448 SS.
Mitteilungen des Bernischen statistischen Bureaus. Jahrg. 1894. Lieferung 2.
Bern, Buchdruckerei Obrecht & Käser, 8 (Inhalt : Ueber die Leistungen der organisierten
freiwilligen Krankenpflege im Kanton Bern und verwandte Bestrebungen.)
Preufsische Statistik. (Amtliches Quellenwerk.) Herausgegeben in zwanglosen
Heften vom k. statistischen Bureau in Berlin. Heft 132: Die Sterblichkeit nach Todes-
ursachen und Altersklassen der Gestorbenen, sowie die Selbstmorde und die tödlichen
Verunglückungen im preufsischen Staate während des Jahres 1892. Berlin, Verlag des
Bureaus, 1894. Roy.-4. XXVI— 248 SS. M. 7,20.
Preufsische Statistik. Heft 133: Die Ergebnisse der Ermittelung der landwirt-
schaftlichen Bodenbenutzuug und des Ernteertrages im preufsischen Staate im Jahre 1893.
Berlin, k. statist. Bureau, 1894. Roy. -4. XCVI— 221 SS. M. 8,60.
Statistik der Krankenversicherung der Arbeiter im Jahre 1892. Berlin, Putt-
kammer & Mühlbrecht, 1894. Imp.-4. XL— 184 SS. M. 5.—. (A. u. d. T. : Statistik
des Deutschen Reichs, N. F. Bd. 72. Herausgegeben vom kais. statistischen Amt.)
Uebersichten, tabellarische, des Lübeckischen Handels im Jahre 1893. Lübeck,
E. Schmersahl, 1894. gr. 4. X — 142 SS. (Zusammengestellt im Bureau der Handels-
kammer.)
Frankreich.
Album de statistique graphique de 1893. Paris, imprim. nationale, 1894. Roy. in-4.
18 pag. texte et 21 planches. (Sommaire des planches : Chemins de fer, resultats generaux
d'exploitation en 1891 ; resultats compares d'exploitation avant et apres la reforme des
tarifs; les tarifs de petite vitesse en France et en Angleterre. — Navigation interieure:
Resultats geueVaux d'exploitation en 1892; decomposition du tonnage des voies navigables
en 1891. — Navigation maritime: Cours moyeu des frets pour le transport des houilles
anglaises en 1892. — Les progres economiques de la France et le mouvement des trans-
ports de 1847 ä 1892, — Le chronotachymetre enregistreur du mouvement des cages
dans les puits de mines. — Publieatiou du Ministere des travaux publics.)
Statistique des greves et des recours ä la conciliatiou et ä l'arbitrage survenus
peudant l'annee 1893- Paris, imprimerie nationale, 1894. gr. in-8. 425 pag. fr. 3,50.
(Publieatiou du Miuistere du commerce, de l'industrie, des postes et des telegraphes.
Office du travail.)
Statistique de la produetion de la soie en France et ä l'etranger. XXIII'eme
annee : Recolte de 1893. Lyon, impr. Pitrat aine, 1894. Roy. in-8. 44 pag. et annexes :
2 tables obl. in-folio. fr. 2,50. (Publication du Syndicat de l'Union des marchands de
soie de Lyon.)
0 esterreich-Ungarn.
Gebarung, die, und die Ergebnisse der Krankheitsstatistik der nach dem Gesetze
vom 30. März 1888 (RGBl. 33) betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter ein-
gerichteten Krankenkassen im Jahre 1892. Wien, k. k. Hof- u. Staatsdruckerei, 1894.
4. IV — 139 SS. u. 2 Tafeln graphischer Darstellungen.
Jahrbuch, statistisches, des k. k. Ackerbauministeriums für 1893. Heft 2: Der
Bergwerksbetrieb Oesterreichs im Jahre 1893. Lieferung 1: Die Bergwerksproduktion.
Wien, k. k. Hof- u. Staatsdruckerei, 1894. gr. 8. 159 SS.
Karpeles, B„ Die Arbeiter des mährisch-schlesischen Steinkohlenreviers. Sozial-
statistische Untersuchungen. Band I (2. Hälfte) Leipzig , Duncker & Humblot , 1894.
Roy.-8. S. 149—306. M. 7,20.
Mitteilungen des statistischen Bureau des Landeskulturrates für das Königreich
Böhmen für das Jahr 1891—1892. Prag, Calve, 1893 gr. Lex.-8. LVI— 16 ; XIII—
18 SS. Mit 2 graphischen Darstellungen: Getreidepreise in Böhmen pro hl vom Jahre
1800 — 1890. Zuckerrübenbau in den einzelnen Bezirken Böhmens im Verhältnis zur
Ackerfläche, nach 5jähr. Durchschnitt der Jahre 1887 — 1891. M. 3.—.
Statistik des auswärtigen Handels des österreichisch-ungarischen Zollgebiets im
Jahre 1892. Verfafst und herausgegeben vom statistischen Departement im k. k. Han-
delsministerium. Band 1 : Einleitung, Hauptergebnisse, Warenverkehr mit den einzelnen
Staaten und Gebieten. Wien, Druck und Verlag der k. k. Hof- u. Staatsdruckerei, 1894.
gr. 8. CLXV1-865 SS. fl. 4.—.
Uebersicht über die neuesten Publikationen Deutschlands und des Auslandes. 939
Ru fs 1 a n d.
Beiträge zur Statistik des Rigaschen Handels. Jahrgang 1893. Abteilung 1
Rigas Handelsverkehr auf den Wasserwegen. Herausgegeben im Auftrage der handels-
statistischen Sektion des Rigaer Börsenkomitees, von A. Tobien. Riga, Buchdr. Ruetz,
1894. Imp.-folio. XI— 123 SS.
Holland.
Statistiek van den in-, uit- eu doorvoer over het jaar 1893. II. gedeelte. 'sGraven-
hage 1894. Folio. XX en bz. 506 — 833. (Inhalt; Handelsverkehr des KR. der Nieder-
lande im Jahr 1893, geordnet nach den verschiedenen Ein-, Aus- und Durchführendem.
Herausgegeben von dem k. niederländischen Finanzministerium.)
Norwegen.
Norges officielle Statistik. III. Raikke (Serie) N° 185: Sundhedstilstanden etc.
CLIV pp. (Oeflfentliche Gesundheitspflege im Jahr 1891.) — N° 18G : Civile Retspleie.
36 pp. (Civilgerichtsstatistik für 1891.) — N° 187: De offentlige Jernbaner. XLl —
280 pp (Staatseisenbahnstatistik für das Betriebsjahr 1. VII. 1892—30. VI. 1893 ) —
N° 188: Tabeller vedkommende Norges Kriminalstatistik for Aaret 1891. 57 pp. —
N° 189: Sindssygeasylernes. IV— 72; 43 pp. (Irrenanstaltsstatistik für 1892.) — N° 190 :
Skiftevaesenet i Aaret 1891. 63 pp. (Fallissements-, Erbschafts-, Eigentumswechsel- und
Pupillenstatistik für 1891.) — N° 191: Norges Handel i Aaret 1893. XXII— 234 pp. —
N° 192: Norges Skibsfart i Aaret 1892. XI-138 pp. (Binnen- und Seeschiffahrt, Han-
delsflotte.)— N° 193: Norges Sparebanker i Aaret 1893. X— 71 pp — N° 194: Distrikts-
fsengsler. 51 pp. (Kreisgefäntjnisstatistik, Verwaltungsjahr 1892.) — N° 195: Skolevsesenets
Tilstand. LI — 203 pp. (Statistik des öffentlichen Unterrichts in Norwegen für das Jahr
1890.) — N° 196: Kommunale Finantser. 97 pp (Gemeindefinanzstatistik für 1891)
Amerika (Vereinigte Staaten).
Anuual report, XXIVth ( of the Bureau of statistics of labor (for the commonwealth
of Massachusetts). Boston, Wright & Potter print., 1894. 8. XIII— 311 pp. cloth. (Contents:
Part I. Unemployment : 1. Leading historical examples of public aid to the unemployed.
2. Modern plans for dealing with the unemployed. 3. Current Statistical matter relating
to local conditions. 4. Concluding summary. — Part II: Labor chronology.)
Asien (China).
China. Imperial maritime customs. I. Statistical series , N° 2: Customs gazette.
N° CII, April— June 1894. Shanghai, Kelly & Walch, and London, King & Son, 1894.
4. IV — 222 pp. (Index: Quarterly returns of trade. — Report of dues and duties. —
Fines and confiscations — Notifications. — Movements in the Service. — Vessels measured
for tonnage. — Corea: quarterly returns of trade : Jenchuan, Fusan, Yuensan. — Kowloon
and Lappa: quarterly returns of trade. — Luugchow, Mengtsz, and Yatung : quarterly
returns of trade. — )
China. Imperial maritime customs. II. Special series: N° 2: Medical reports for
the half-year ended 30lh September 1891. 42nd issue. Shanghai, Kelly & Walsh, and
London, King & Son, 1894. 4. VI— 47 pp. (Contents: Report on the health of Wuhu
for the 2*/2 years ended 30th IX. 1891. — Report on the health of Seoul (Corea) for
the year ended 30th VI. 1891- — Report on the health of Swatow for the year ended
SOthIX. 1891. — Report on 'he health of Chemulpo (Corea) for the half-year ended
30thIV. 1891. — Reports on the health of Kinkiang, Iehang, Pakhoi. Wenchow, Shanghai
for the year ended 30th IX. 1891. — Medical report on Chungking. — Abdominal hyster-
ectomy in Japan. — The influenza epidemics in Foochow. — On J. T. Roe's theory
that influenza is endemic in China. — )
13. Verschiedenes.
Bericht über die Verhandlungen des christlichen Studentenkongresses abgehalten
zu Frankfurt a/M. am 18. u. 19. Mai 1894. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1894.
gr. 8. IV— 104 SS. M. 1,40. (Inhaltsauszug: Ueber die Sittlichkeit, von (Direktor)
H. Bauer (Niesky). — Das akademische Studium und der Kampf um die Weltanschau-
ung, von (Prof.) Reischle (Giefsen). — Der Student im Verkehr mit den verschiedenen
Volkskreisen, von (Pfarrer) Fr. Naumann (Frkf. a/M.). — )
940 üeber&icht über die neuesten Publikationen Deutsehlands und des Auslandes.
B i s m a r c k - Jabibueh. Herausgegeben von Horst Kohl. Band I. Berlin, HäringW
1894. gr. 8. XVI— 516 SS. M. 10 — . (Aus dem Inhalt: Urkunden und Briefe. —
Chronik vom 17. IX. 1893 bis 16. IX. 1894. — Einige Artikel der „Hamburger Nach-
richten" 1893 — 94. — Fürst von Bismarck im Kulturkampfe I., von Graue (Chemnitz). —
Herr v. Bismarck-Schönhausen als Mitarbeiter der Kreuzzeitung I., von H. Kohl. — etc.)
Engelmann, Th. W., Gedächtnisrede auf Hermann v. Helmholtz gehalten am
28. IX. 1894 in der Aula der Universität Utieeht). Leipzig, W. EDgelmann, 1894. gr.'S.
34 SS. M. 0,60
Gaffky, G. (Prot., Giefsen), Die Cholera im Deutschen Reiche im Herbst 1892 und
Winter 1892/93. I. Die Cholera in Hamburg. Im Auftrage der Reichs- Cholerakommission
und unter Mitwirkung genannter Autoren bearbeitet. Berlin, Springer, 1894. gr. Lex. -8.
128 SS. u. 164 SS. Anlagen mit 12 Tafeln in Imp.-qu.-folio. (A. u. d. T. : Arbeiten
aus dem kais. Gesundheitsamte, Bd. X Heft 1.)
Gümpel, C. G.. Ueber die natürliche Immunität gegen Cholera. Verhütung dieser,
sowie ähnlicher Krankheiten durch einfache physiologische Mittel. München, J. F. Leh-
mann, 1894. gr. 8. IV— 71 SS. M. 2.— .
Handbuch der Erziehungs- und Unterrithtslehre für höhere Schulen. In Verbin-
dung mit genannten Autoren herausgegeben von A. Baumeister. Band I, Abteilung 1:
Geschichte der Pädagogik von (Prof.) Th. Ziegler. München, C. II. Beck, 1895. gr. 8.
LXX— 361 SS. M. 6,50. (Das Werk wird in 8 Halbbänden ä M. 6"bis M. 6,50 er-
scheinen.)
He gar, A. (Prof. der Gynäkologie, Freiburg i/B), Der Geschlechtstrieb. Eine
sozial-medizinische Studie. Stuttgart, Enke, 1894. gr. 8. VI— 154 SS. M. 4,80.
Jahresbericht, XXIV., des Vereins schweizerischer Gymnasiallehrer. Aarau.
Sauerländer & C°, 1894. gr. 8. 84 SS. M. 1,80.
Jahresberichte über das höhere Schulwesen, herausgegeben von C. Rethwisch.
Jahrgang VIII: 1893. Berlin, R. Gaertner, 1894. gr. 8. M. 14.—.
Kalender für Elektrotechniker. Herausgegeben von F. Uppenborn (Ingenieur,
München). Jahrg. XII, 1895. 2 Teile. München, Oldenbourg, 1894. 12. IV— 330 u.
IV— 172 SS. mit 269 Abbildungen u. 3 Tafeln. M. 5.—. (Teil I geb.)
Korrespondenz, politische, Friedrichs des Grofsen. Band XXI. Berlin, A.
Duncker, 1894. gr. 8. VIII— 600 SS. M. 15.—. (Umfassend die Jahre Oktober 1761
bis Juni 1762, redigiert von Kurt Treusch v. Buttlar und O. Herrmann.)
Pfizer, G. (vorm. LandGerR. in Ulm), Der Achtung unwürdig! Ein Fall württem-
bergischen Disziplinarverfahrens. Stuttgart, Lutz, 1894. 8. 80 SS. M. 1. — .
R e g e 1 , F r. (a. o. Prof. der Geographie, Jena), Thüringen. Ein geographisches
Handbuch. Teil II. Biogeographie. 1. Buch: Pflanzen- und Tierverbreitung. Jena, G.
Fischer, 1894. gr. 8. VI— 379 SS. M. 7.— .
Reifsenberger, L., Die Kerzer Abtei. Hermannstadt, F. Michaelis, 1894. gr. 8.
59 SS. mit H. u. 4 Tafeln. (Herausgegeben vom Ausschufs des ,, Vereins für Siebeu-
bürgische Landeskunde".)
Reusche, Fr., Gefängnisstudien. Leipzig, Rengersche Buchhdl., 1894. S. VIII —
167 SS.
Schienther, P., Der Frauenberuf im Theater. Berlin, R. Taendler, 1895. gr. S.
M. 0,60. (A. u. d. T. : Der Existenzkampf der Frau im modernen Leben, hrsg. von G.
Dahms, Heft 2.)
Annuaire pour l'an 1894, publie par le Bureau des longitudes. Paris, Gauthier-
Villars, 1894. 16. V— 722; 163 pag. fr. 1,50. (Extrait de table, pag. 356 ä 532:
Poids et mesures. — Monnaies. — Tables d'amortissement et d'int&et. — Geographie,
statistique et tables de mortalite.)
Boursin, E. et A. Challamel, Dictionnaire de la Revolution francaise, in-
stitutions, hommes et faits. Paris, Jouvet & C><?, 1893. Roy. in-8. VIII — 935 pag.
fr. 15. — . (Sommaire: France sous Louis XVI. — Institutions de l'ancien regime. —
Etats gendraux. — Serment du jeu de paume. — La Constituante. — L'Assemblee legis-
lative. — La Convention. — Les armees de la Republique. — Guerres de la Vende'e.
— Le Directoire. — Conseil des Cinq Cents. — Conseil des Anciens. — Le 18 brumaire.
— Le Consulat.)
Dechevrens, A, Les universites catholiques autrefois et aujourdhui. Orleans,
impr. Morand, 1894. 8. XXVII— 397 pag.
Die periodische Presse des Auslandes. 941
tj|L a s s a 1 1 e , Ch., Tableaux synoptiiiies de la division militiiire de la France, dresses
d'apres les documents officiels. Commandement du territoire, division eantonale. sub-
divisionnaire et regionale, division maritime, Algerie, colonies et protectorats. Pari>,
Berger-Levrault, 1894. gr. in-8. VI— 134 pag. avee carte, fr. 8,50:
Drymoud, J., Essays on the principles of morality, and ou tlie rights and obli-
gations of mankind. 9*a edition. Dublin, Eaaon, 1894. 8. 302 pp. 1 /. — .
K o c li (Prof), On the bacteriological diagnosis of Cholera : Water filtration and
the Cholera in Germany during the winter of 1892—93. Translated by G. Duncan.
London, Simpkin, 1894. 8. 154 pp. 6/. — .
Report of the Commissioner of Education for the year 1890 — 91. 2 vols. (vol.
II in 2 parts.) Washington, Government printing Office, 1891. gr in-8. XXXV —
1549 pp. eloth.
Tay ler, A. J. W., The sanitary arrangement of dwelling-houses : a handbook for
liouse-holders and owuers of houses. London , Lockwood & Sons, 1894. crown-8.
206 pp. 2/6.
Avolio, G., Democrazia cristiana o auarchia : conferenza. Bologna, tip. L. Pon-
getti, 1894. 16.
Verslag von de bevindingen en handelingeu van het geneeskundig staatstoezicht
iu het jaar 1891. 'sGravenhage, van Weelden & Mingeleu, 1894. 4. IV — 370 blz.
met 4 graphische voorstellingen. (Holländischer Bericht über das öffentliche Gesundheits-
wesen für das Jahr 1891. S. 107/159 : Volksgesundheitspflege.)
Die periodische Presse des Auslandes.
A. Frankreich.
Bulletin de statistique et de legislation conaparee. XVIIlitme annee, 1894,
Octobre : A. France, colonies: Le nouveau projet de budget pour l'exercice 1895. —
Le projet de reforme du regime des boissons. — Le projet de reforme des droits de
mutation. — Les produits de l'enregistrement, des domaines et du timbre constates pen-
dant l'exercice 1893). — Achats et ventes de rentes effectues pour le compte des departe-
ments. — Les contributions directes et les taxes assimilees. — Les reveous de l'Etat
([es neuf premiers mois de 1894). — Le commerce exterieur, mois de Septembre 1894.
— B. Pays etrangers : Pays divers. Situation des principales banques d'emission ä la
fin du troisieme trimestre de 1894. — Angleterre : La dette publique. — Pays-Bas : Le
projet de budget pour l'exercice 1895. — Autriche-Hongrie : Le projet de budget commun
pour 1895. Le projet de budget autrichien pour 1895. Le projet de budget hongrois
pour 1895. — Russie: Les nouveaux Statuts de la Banque de Russie (suite et flu). —
Etats-Unis: Le nouveau tarif douanier (suite et fin). —
Journal du droit international prive et de la jurisprudence comparee. Annee XXI,
1894, Kos VII-VI1I-1X-X : La couveution "du 14 octobre 1890 sur le transport inter-
national des marchandises par chemins de fer , par Lyon Caeu (suite) — Des droits
d'enregistrement etc., par A. Wahl (suite). — De la condition juridique des etrangers
d'apres les lois et traites en vigueur sur le territoire de l'Empire d'Allemagne, par J.
Keidel (fin). — Le droit international prive etc. par A. Pillet (suite). — Questions de
competence soulevees en matiere pönale par l'etablissement du protectorat de la France
sur la Tunisie, par A. Souchon (agrege a la faculte de droit de Lyon). — Applications
pratiques des lois francVises sur la nationalite par l'administration, par G. Gruffy (tin).
— La question de la competence dans l'affaire Zappa, par P. Missir (prof. k la faculte
de droit de Jassy.) — etc.
Journal des Economistes. R^vue mensuelle. 53e Annee, 1894, 15 Octobre et
15 Novembre 1894: Les travaux parlementaires de la Chambre des deputes, 1893 — 1894,
par A. Liesse. — Le capital (suite et flu), par G. du Puynode. — Mouvement colonial,
par Meyuers d'Estrey. — Revue des principales publications economiques de lYtranger,
par Maur. Block. — La question de la paix, par Fr. Passy. — Le deVeloppement des
chemins de fer de la Russie, par D. Bellet. — Societe d'economie pölitique, seance du
5 octobre 1894. Neurologie : Armand Lalande et Ad. Le Hardy de Beaulieu. Discussion :
Existe-t-il, en dehors de la volonte des parties contractantes, un moyen de determiner
942 Die periodische Presse des Auslandes.
avec plus de justice la valeur des Services que les hommes se rendent entre eux ? — ^Le
socialisme d'Etat, par L. Say. — Les bienfaits de Intervention de l'Etat, par Ladislas
Domanski. — Mouvement agricole, par G. Fouquet. — Revue des principales publications
economiques en langue francaise, par Rouxel. — Lettre d'Autriche-Hongrie, par A. E.
Hörn. — Le congres de Milan sur les accidents du travail, par L. Pauliau. — Les
idees economiques de M. de Caprivi, par A. RafTalovich. — Le commerce de la Coree,
par D. Bellet. — Societe d'economie politique, seance du 5 novembre 1894. Discussion :
Y aurait-t-il moyen, et dans quelles conditions, d'acclimater en France des societes^de
constructions analogues aux building societies d'Angleterre ? — Comptes rendus.3 —
Chronique economique. — etc.
Journal de la Societe de statistique de Paris. XXXVieme annee, 1894 N0_;iO
Octobre: Les Operations du Mont-de-piete de Paris ä differentes epoques, depuis sa
creation (1777), par E. Duval. — Les statistique medicales pour l'armee de mer, par
A. de Malarce. — Le canal de Suez. — Chronique semestrielle de statistique sur les
questions ouvrieres et les assurances sur la vie, par Maur. Bellom. — etc.
Moniteur des assurances. Revue mensueüe. Tome XXVI, N° 313, 314, Octobre
et Novembre 1894 : Quelles sont les limites de l'intervention de l'Etat en matiere d'assu-
rances ? par A. Thomereau. — Etüde sur le contrat d'assurance contre les accidents, par
E. Pagot (suites). — Assurance contre l'incendie. Petition des agents generaux d'assurances
du departement de la Somme. — Les assurances maritimes a Paris en 1893, par P. Sidrac.
— L'assurance des filatures de coton en Italie, par C. — Assurance contre l'incendie :
Du role de l'inspecteur-verificateur, par A. Candiani — Les reassurances etrangeres. —
Assurances sur la vie : Modeies de tableaux pour les compagnies-vie. — etc.
Reforme sociale, la. XlVieme annee: 1894, Hlicme Serie N'os 86 ä 89, 16 Juillet
ä 1er Septembre : Du role edueatif Economique et moral des iustitutions de credit popu-
laire urbain et rual, par E. Rostand. — La famille aux Nouvelles-Hebrides, par G.
Beaune. — Les meilleures pratiques de la paix dans l'industrie, par A. Gibon. — Un
mot sur la decentralisation de l'industrie dans les campagnes, par J. Chorat. — La
nouvelle loi beige sur les societes mutualistes, par E. Dubois. — La regie des alcools
en Suisse et l'alcoolisme, par (le baron) J. d'Anethan. — La Situation des ouvriers
beiges, reponse ä une polemique, par A. Julin. — Les syndicats ouvriers aux Etats-
Unis, par J. Finance. — Un grand patron modele: Mr. Leonce Chagot, par Ch. Hamel.
— Un economat paroissial, par R. Lavollee. — De la repression de la mendicite et du
Vagabundage, d'apres la loi beige du 27 novembre 1891, par L. Pussemier. — Les assu-
rances mutuelles du betail et le cheplel parmi les fermiers et paysans du Sud-Ouest de
la France et du Nord de l'Espagne, par Wentworth- Webster. — L'ouvrier Canadien, par
J. Keller. — Melanges et notices : Le prix de la vie, par Angot des Rotours. Les
associations et la poursuite des crimes de delits, par L. Riviere. — Les societes coopera-
tives militaires, par A. Fougerousse. — Le mouvement social a l'etranger, par J. Caza-
jeux. — Chronique du mouvement social, par A. Fougerousse. — etc.
Revue generale d'administration. XVIIitiroe annee: 1894, Mai — Septembre: De
la gestion d'-affaires appliquee au Services publics, par L. Michoud (prof., Grenoble).
I et suite 1. — . Procedure devant les conseils de prefecture. Des visites de lieux, par
A. Nectoux (suite). — Les sous-prefets, par un ancient sous-prefet. — De la responsabilite
de l'Etat considere comme puissance publique a l'egard des tiers, par J. Lefournier
(secretaire general d'Eure-et-Loir). — Des droits des communes sur les terres
vaines et vagues. Legislation speciale de la Bretagne ä cet egard, par J. Marie (prof.
ä la laculte de droit de Caen) I et suite 1 et 2. — Le marche des Services p^nitentiaires.
par C. Grauier (inspecteur general des Services admiuistrat. au Ministere de l'interieur).
— Chronique de l'administration franQaise. — etc.
Revue d'economie politiqe. 8e annee, 1894, Nos 9 — 10, Septembre — Octobre:
L'homestead en Amerique, par E. Levasseur. — La premiere statistique des societes
eooperatives de cousommation en France, par Ch. Gide. — Une lettre de Karl Marx
(remarques critiques sur le programme socialiste) traduit par G. Piaton. — La conciliation
et l'arbitrage en Angleterre, par E. Campredon (ingenieur civil des mines). — Chronique
economique: La greve Pullman et la greve generale. Statistique des professions en
France, par Ch. Gide et Maur. Lambert. — Chronique legislative. — etc.
Revue de sociologie. 2e annee N° 10, Octobre 1894: De l'assurance contre les
accidents du travail, par Maur. Bellom. — Les destinees de l'art social d'apres Proudhou,
par L. Rosenthal. — Philosophie du droit et socialisme, par R. dalla Volta. — Le
Die periodische Presse des "Auslandes. (. I4.'i
premier cougres de l'Institut international de sociologie, par K. Worms. — Mouvement
social: Venezuela, par Gil Fortoul. — etc.
Et| E . 1 a n d.
Board of Trade] Journal. Editcd by tlie Commercial Department of the,' Board
of Trade. November 1894 : Development of the Kussian mining and nutallurgical in-
dustries. — The dairy farniing industry in Russia. — The free port of Copeul)agen. —
The production and consumptiou of wine in France. — Commercial ezhibitioo at Buda-
pest. — The import trade of Sinyrna. — Chili as a coal productive eountry. — Load
line regulations for the government of Bengal. — English trade and foieigu competitiou
in the River Plate. — The commercial importation of the port of Sydney. — The United
States customs tarifl (concludedj. — Extract* Irom diplomatic and cousular reports. —
Tariff changes and customs regulations. — General trade notes. — Proceedings of
Chambers ot commerce. — State of the skilled labour market, etc. — Statistios of trade,
emigration, lisherie». etc.
Contemporary Review, the. November 1894: The China- Japanese couflict aud
after, by (Sir) Tb. Wade. — The destruttion oi the Board school, by J. Clifford. —
School supply in the middle ages, by A. F. Leach. — The eastern Hindu Kush, by
(Colone]) A. C. Durand. — A new theory of the absolute, by (Prof.) Seth. — The
development of English metres. by W. Larminie. — The amalgamation of London,
by Fr. Harrison. — The future government of London, by G. Laurence Gomme. — etc.
Economic Review, the. Published quarterly for the Oxford University brauch of
the Christian Social Union. Vol. IV, N° 4, October 1894 : The co-operative Journal, by
(Rev.) Lord Bishop of Durham. — Compensation and the licensing question, by J. J. Cock-
shott. — Predication as a test in political economy, by VV. D. Uc Donnell. — Adul-
terations in groceries, by a wholesale trader. — Two views of social progress, by (Rev.)
Fr. Relton. — The plea for a living wage, by (Rev.) L. R. Phelps. — Nicholson's
,,Principles of political economy", by S. Ball. — etc.
Fortnightly Review, the. November 1894: The Crimea in 1854 and 1894.
Part 2, by (General Sir) E. Wood. — China, Japan, and Corea, by R. S. Gundry. —
Burning questions of Japan, by A. H. Savage-Landor. — Women's uewspapers, by
(Miss) E. March-Phillipps. — Rambles in Norsk Fiumarken, by G. Liudesay. — A note
on Wordsworth, by Th. Hutchinson. — Symmetry and ii:cident, by (Mrs.) Meynell. —
Venetian missals, by H. P. Hörne. — etc.
Human itarian, the. Edited by V. W'oodbull Martin. November 1894: Should
the same Standard of morality be required from men as from women V — Heredity, by
St. George Mivart. — Politics and morals, by (the Rev.) Welldon. — The new womau
in fiction and in fact, by M. Eastwood — Lynch law in the United States, by the
same. —
National Review, the. November 1894: London progressives versus London
education, by J. R. Diggle. — An attack on Lord Stratford de Redclitfe , by St. Lane-
Poole. — The Situation in Belgium, by Luis de Lorac. — Etoniana, by W. Durnford. —
A sham Crusade, by a radical M. Parliam. — Leafless woods and grey moorlauds. by a
son of the marshes. — Native India and England , by Th. Beck. — What is imperial
defence? by (Admiral) Colomb. — etc.
New Review, the. November 1894: The School Board election, by E. Lyulph
Stanley. — Government sweating in the clothing contracts, by J. Macdonald (amalgamated
Society of tailors). — Municipalities at work, II. Manchester, by Fr. Dolman. — The
fighting force of China, by (Lieut.-Col.) Gowan. — Secrets from the court of Spain
(VII). — The great underclothing question, by S. W. Beck. — etc.
Nineteenth Century, the. Edited by J. Knowles. N° 212, October 1894: The
seven Lord Roseberies, by St. Loe Strachey. — The alleged sojourn of Christ in India,
by (Prof.) M. Müller. — Cholera and the Sultan, by E. Hart. — Did Omar destroy the
Alexandrian library? by R. VasudevaRau. — The farce of University extension : a rejoinder,
by Ch. Whibley. — A Suggestion to sabbath-keepers, by (Prof.) A. R. Wallace. — The
Chinaman abroad, by E. Mitchell. — A trip to Bosnia-Herzegovina, by M. de Biowitz.
— The perilous growth of India State expenditure, by (Sir) Auckland Colvin. — etc.
Nineteenth Century, the. N° 213, November 1894: What has become of home
rule? by J. E. Redmond. — England and the Coming thunderstorm : a German view,
by F. Boh. — Christian socialism, by (the Duke of) Argyll. The Parliaments of the
944 ^ie periodische Presse des Auslände;.
world, by J. T. Kay. — The press in Turkey, by H. A. Salmone. — Babies and mon-
keys, by Bucktnan. — The people's kitchens in Vienna , by E. Seilers. — More light
on Antonio Perez , by (Major) M A. S. Harne. — The monometalist creed , by H. D.
Mac Lead. — The Corean crux : a word for China, by D C. Boulger. — Noncorformist
forebodings, by (The Rev.) J. Guinness Rogers. — Tiie Bible in elementary schools, by
J. G. Fitch. — ,. Justice to England", by E. Dicey. — etc.
C. Oesterreich -Ungarn.
Deutsche Worte. Monatshefte herausgegeben von E. Pernerstorfer. Jahrg. XIV,
1894. 10 Heft, Oktober: Gegenreformation und Bauernbefreiung in Böhmen, Mähren und
Schlesien. Buchbesprechungen von R. Albing (Wieu) — Aus meinen Proudh m-Kollek-
taneen , von A. Mülberger (Crailsheim). — Die Erhebung des Vereins für Sozialpolitik
über die Kartelle. — Eine Selbstanzeige (Referat über die Schrift des Referenten: „Die
Yerwandtschaftsorganisationen der Australneger. Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der
Familie") von H. Cunow (Hamburg). — Ueber die Auffassung des Naturzustandes im vorigen
Jahrhundert, von Th. Achelis (Bremen). — Einsame Kämpfer, von B. Weifs (Wien), etc.
Monatsschrift für christliche Sozialreform, Gesellschaftswissenschaft etc. Jahr-
gang XVI, 1894, Heft 5 — 9 (St. Polten): Der Sozialismus fin de siecle, von J. Scheicher.
— Das Urheberrecht der bildenden Kunst , von K. Scheimpflug (Schlufs). — Der inter-
nationale Arbeiterschutzkougrefs , von M. V. — Der Mangel der Farmarbeiter in den
V. Staaten, von J. Ch. (in New York). — Ueber die Arbeiterfrage , ihre Entstehung und
die Bestrebungen zu ihrer Lösung, von Th. Unkel. — Die soziale Solidarität zur Erwägung
empfohlen, von J. Scheicher. — Programm der katholischen Sozialreformer Italiens ver-
einbart zu Mailand , 3. u. 4. I. 1894. — Der fünfte internationale Bergmannskongrefs,
von M. Vogelsang. — Christlich-sozial oder sozialdemokratisch , von J. Scheicher. —
Freund Liberalismus von Lucius (Fortsetzungen und Schlufs). — Etwas über europäische
Kindersklaverei, von J. P. — Du sollst von deinen Feinden lernen, von Maurus. —
Arbeitskriege in Nordamerika, von M. Yogelsang. — Kleine Bilder aus dem Bauernleben
in Niederösterreich, von L. van der Pitten. — Der neue Kurs der Sozialpolitik, von
J. Scheicher. — Was ist Zins? von W. Hohoff (Fortsetzung). — Studie über die Grund-
lagen der Berufsorganisation, von H. Lorin (übersetzt aus der ,. Association catholique").
I. — III. — Das soziale Programm des Katholikentages von Mähren. — Das neue Sozial-
programm der katholischen Sozialreformer Frankreichs. — Sozialer Kurs der österreichi-
schen Leogesellschaft (I). — Oesterreich im Jahre 2020 (über die Schrift gleichen Titels
des Wiener Advokaten Dr. v. Neupauer). — etc.
Oes te r reichisch - ungarische Revue. Jahrg. IX, 1894. Bd. XVI, Heft 4 — 6 :
Aus dem südöstlichen Teile des Okkupationsgebietes , von K. Went v. Römö (nebst
1. Forts). — Die Zustände der böhmischen Landbevölkerung vor 125 Jahren, von V.
Goehlert. — Der Wanderzug der Ungarn, von G. Thirring. — Der Dakoromauismus,
von (Prof.) Schwicker (Schlufs). — Geistiges Leben in Oesterreich und Ungarn. — etc.
Statistische Monatschtift. Herausgegeben von der k. k. statistischen Central-
kommission Jahrg. XX, Heft 8 u 9: August - September 1894: Die Hauptergebnisse
der österreichischen Berufsstatistik (2 Abhandlung), von H Rauehberg. — Die Produktion
von Cocons, Honig und Wachs in den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Län-
dern im Jahre 1893. — Oesterreichs Sparkassen im Jahre 1892, von H. Ehrenberger. —
Die Zahl der registrierten Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenscbaften Oesterreichs im Jahre
1893, von H. Ehrenberger. — Die Fischerei an der adriatischen Küste Oesterreichs im
Jahre 1892/93, von K. Krafft. — Die internationale statistische Berichterstattung der
Zuckerindustriellen, von E. Kutschera. — Der Fremdenverkehr in Oesterreich 1893, von
li v Tomaschek. — Ein Amt für Arbeitsstatistik in Spanien. — etc.
D. Ru fs 1 an d.
Bulletin russe de statistique financiere et de legislation. Ire annee, 1894, N° 7:
Septembre : La balance des paiements et de repartition geographique des valeurs inter-
nationales. — Uu erreur du „Journal des Economistes" on ,.il ne faut pas reprendre dans
scn ecart, ni dans celui des autres'-, par (Slavophile). — Le budget de la dette publique
pour 1895. Comparaison avec le budget de 1887. — Circulation des billets de credit et
dette flottante (1881 ä 1894). Ressources metalliques de la Banque de Russie et du
Tresor. — La legislation economique et nuanciere en Russie pendant les huit derniers
mois. Bilan global, au 1er janvier 1894, des institutions de credit non-gouvernementales
Die periodische Presse des Auslandes. 945
ftisant des Operations a court terme. Publie par J. E. Joukovski dans le „Viestnik
FinaDeof". — Banque de Russie. Situation comparative des principaux comj)tes au lcr (13)
des treize derniers mois. Bilans au 13 et au 28 aoüt 1894. etc. — Recettes des chemins
de fer pendant le premier trimestre de 1893 et de 1894. — Resultats definitifs del'exploi-
tation des chemins de fer russes pour l'annee 1892. — Tableau des recettes et des depenses
budgötaires pendant les cinq premiers mois de 1894. — Production des nsines, fabriques
et manufactures russes en 1892. — etc.
E. Italien.
Giornale degli Economisti. Rivista mensile. Novembre 1894: Sul trattamento
di quistioni dinamiche, per E. Barone. — La riforma bancaria, per P. des Essars. — II
riordinamento delle Börse di commercio, per G. Valenti (continuazione e fine). — L'Asso-
i-iazione francese per l'avanzamento delle science a Caen, per P. des Essars. — Lettera
del (prof.) Sombart alla Direzione del Giornale degli Economisti. — Providenza, per C.
Bottoni. — Cronaca : Le elezioni nel Belgio e loro conseguenza in Italia. Le proposte
del Com. Cottrau per un migliore ordinamento delle ferrovie, per V. Pareto. — Statuto
del Laboratorio di economia politica della R. Universitä di Torino. — Saggio di biblio-
grafia economica italiana 1870 — 90 per A. Bertolini (continuazione). — La situazione
del mercato monetario. —
G. Belgien und Holland,
de Economist opgericht door J. L. de Bruyn Kops. XLIII. jaargang : 1894.
Oktober: Der Torfstich in Friesland und die Frage des Trinkgelds für die Torfarbeiter,
von R. Dinger (I.). — Die Gewerkvereine in England, in Anlehnung an das Buch von
Sidney und Beatrice VVebb: ,,the history of trade-unionism, London 1894", von N. G.
Pierson (I.). — Was ist zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu thun, von J. K. W. Quar-
les van Ufford. — Wirtscliaftschronik. — Handelschronik. —
H. Schweiz.
Schweizerische Blätter für Wirtschafts- und Sozialpolitik. Halbmonatsschrift
redigiert von O. Wullschleger. Jahrg. II, 1894, Nr 19, 20 u. 21 v. 1. u. 15. Oktober
u. v. 1. November: Das Armenwesen in der Stadt St Gallen, von (Dekan) C. W. Kambli
— Eine Enquete über die Frage der Eisenbahnverstaatlichung in der Schweiz. — Sozial-
politische Rundschau : Der Kampf um die Zollinitiative. Aus der Delegiertenversammlung
• les schweizerischen Grütlivereins in Baden am 29. u. 30. September. Schweizerische christ-
lich-soziale Vereinigung. Zur englischen Sozialpolitik. Wahlen in Belgien. Das Amt für
Arbeitsstatistik in Spanien. — Wirtschaftschronik: Handel und Industrie der Schweiz im
.Fahre 1893. Zum französisch-schweizerischen Zollkrieg. Die Leistungen der englischen
Gewerkvereine. — Der Stand der sozialdemokratischen Partei in Deutschland. — Gemeind-
liche Sozialpolitik : Errichtung einer Anstalt zur Versicherung gegen Arbeitslosigkeit im
Kanton Basel-Stadt, Arbeitslosenversicherung in Bern. — Kleine Mitteilungen. — etc.
L'Union postale. XIXe volume N° 10 — 11, ler Octobre et Ire Novembre 1894:
Fondation et developpement de l'Union postale universelle. — Un sauf-conduit pour les
postes, de l'annee 1646. — Les postes suisses et l'assurance populaire. — La caisse
d'epargne postale Autrichienne en 1893. — Etüde comparative du mandat de poste francais
et du mandat de poste en Suisse , en Belgique, en Allemagne et en Autriche. — Ordon-
nance de l'empereur Charles V pour le maintien du monopole postal , de l'annee 1545.
— etc.
K. Spanien.
El Economista, An o 1894 (Madrid). Nos 436 — 440: El empriistito. — Produciön
de los metales preciosos. — El credito agricolo. — Pruduciön de oro en Filipinas —
La politica economica en Cuba. — La suscripeiön de obligaciones y el emprestito. —
La cuestion monetaria en Puerto Rico. — El presupuesto de Francia para 1895. — La
suscripeiön de obligaciones. — Los valores espanoles. — Comercio exterior de Eparia.
— etc.
L. Amerika.
Annais of the American Academy of political and social science. Volume V, N° 3,
November 1894: Why had Röscher so little influence in England? by W. Cunningham.
Dritte Folge Bd. VIII (LXIII). 60
946 ^'e periodische Presse Deutschlands.
— Reasonable railway rates, by H. T. Newcomb. — Economic function of woman , by
E. T. Devine. — Relief work in the Wells memorial Institute , by H. S. Dudley. —
Utility economics and sociology, by E. H. Giddings. — Organic concept of Society, by
S. N. Patten. — Clark's use of „Rent" and „profus", by J. H. Hollander. — Personal
notes. — Notes on municipal government : Philadelphia, New York, Chicago, Berlin,
Italian cities , by L. S. Rowe. — Supplement: Constitution of tbe kingdom of Italy,
tranlated and supplied with an introduction and notes by S. M. Lindsay and L. S.
Rowe. —
Bulletin of the American Geographical Society published quarterly, Vol. XXVI,
N° 3, September 30, 1894 : The American cave-dwellers; the Tarahumaris of the Sierra
Madre, by C. Lumholtz. — Für Seals and the Bering Sea arbitration , by J. Stanley
Brown. — Geographical notes, by G. C. Hurlbut. — Washington letter. Map of the
Siberian railway. —
Die periodische Presse Deutschlands.
Annale n des Deutschen Reichs für Gesetzgebung, Verwaltung und Statistik. Her-
ausgegeben von G. Hirth und M. v. Seydel. Jahrg. XXVII, 1894, Nr. 11: Die neuen
Handels- und Zollverträge des Deutschen Reichs (Fortsetzung) : Handels- und Zollvertrag
mit Serbien. (Text und Tarife ) Handels- und Schiffahrtsvertrag mit Rufsland vom 10. n..
(29. I.) 1894. Tarif A und B; Schlufsprotokoll ; Denkschrift: (Einleitung; Deutschlands
Ausfuhr nach Rufsland 1892 u. 1893; Vertragstext; Zölle bei der Einfuhr nach Rufs-
land.) etc.
Archiv für soziale Gesetzgebung und Statistik. Vierteljabresschrift herausgegeben
von H. Braun. Band VII, 1894, Heft 3 : Der österreichische Strafgesetzentwurf und die
arbeitende Klasse, von H. Heinemann (Rechtsanw., Berlin). — Erweiterung und Reform
der deutschen Unfallversicherungsgesetzgebung, von E. Lange (Berlin). Die geplante
Agrarreform in Oesterreich, von Mich. Hainisch (Wien). — Das Züricher Gesetz, betreffend
den Schutz der Arbeiterinnen, von F. Schuler (eidgen. Fabrikinsp.). — Das Gesetz vom
29. VI. über die Hilfs- und Pensionskassen der Grubenarbeiter, von R. Jay (Prof., Paris).
— Der Vollzug des schweizerischen Fabrikgesetzes, von E. Naef (Aarau). — Gesetz-
entwürfe betr. die Errichtung von Berufsgenossenschaften der Landwirte und von Renten-
banken in Oesterreich. — etc.
Archiv für Post und Telegraphie. Nr. 18 und 19. September und Oktober 1894:
Ein Beitrag zur Geschichte und zum Verkehrsleben der Insel Sylt, insbesondere des
Orts Westerland. — Das Verkehrswesen in Canada. — Fernsprechverkehr Dänemark-
Schweden. — Zum 20-jährigen Bestehen des Weltpostvereins. — Ein Beitrag zur Ge-
schichte der Post in den V. Staaten von Amerika. — Das Telegraphenwesen des Frei-
staates Columbien. — etc.
Christlich-soziale Blätter. Katholisch-soziales Centralorgan. Jahrg. XXVII,
1894, Heft 19 und 20: Denkschrift über die Lage der Landwirtschaft und die Organi-
sation des Bauernstandes (Fortsetzung). — Was ist der Wert? Eine Studie von Wilh.
Hohoff. — Generalversammlung der Präsides der katholischen Arbeitervereine Deutsch-
lands. — Neues aus Oesterreich, von A. Tr. — Sozialpolitische Rundschau XI. —
Deutsche Revue über das gesamte nationale Leben der Gegenwart. Herausge-
geben von R. Fleischer. Jahrg. XIX, 1894, November: Was in Ostasien geschehen
mufs ! von M. v. Brandt. — Aus dem Briefwechsel Georg Friedrich Parrots mit Kaiser
Alexander I., von Fr. Bienemann. — Fürst Bismarck und die Parlamentarier V., von
H. v. Poschinger. — Unsere Kunstausstellungen, von A. v. Heyden. — Erinnerungen
aus dem Leben von Hans Viktor v. Unruh, von H. v. Poschinger (VIII) — Alexander III..
Kaiser von Rufsland, von (Graf) Greppi. — etc.
Deutsche Rundschau. Band LXXX (Juli, August und September 1894): Ein
Staatsmann der alten Schule. Aus dem Leben des mecklenburgischen Ministers Leopold
v. Plessen. Nach Staatsakten etc. von L. v. Hirschfeld (VI, VII, VIII [Schlufs.]) —
Die periodische Presse Deutschlands. 947
Aus den Tagebüchern Theodor v. Bernhardts (1847 — 1887): Die letzten Zeiten dei
,, neuen Aera", Januar bis März 1862 (I. und II.). — Wirtschafts- und finanzpolitische
Rundschau. — Zur Entwickelungslehre und Ethnographie, von W. Bölsche. — Der
deutsche Volkscharakter im Spiegel der Religion, von O. Pfleiderer. — Die deutsche
Universität als Unterrichtsanstalt und als Werkstätte der wissenschaftlichen Forschung,
von Fr. Paulsen. — Die koreanische Frage von M. v. Brandt. — Ludwig Bambergeis
Charakteristiken, von O. Hartwig — etc.
Journal für Landwirtschaft. Im Auftrage der k. Landwirtschaftsgesellschaft zu
Hannover herausgegeben und redigiert von (Prof.) G. Liebscher. Band XLII, 1894,
Heft 3 : Beitrag zur Kenntnis der Streptokokken der gelben Galt, von L. Adamet/.
(Prof., Krakau). — Forschungen auf dem Gebiete der Milchviehhaltung, von (Prof.
Backhaus (Göttingen). — Zur Frage der Ziegenhaltung in Deutschland, von Herrn. Hucho
^Privatdoz., Leipzig). —
Masius' Rundschau. Blätter für Versicherungswissenschaft, Versicherungsrecht etc.
Neue Folge Jahrg. VI, 1894, Heft 10: Der Reinzuwachs als Kriterium der Güte einer
Lebensversicherungsgesellschalt. — Die Magdeburger Feuerversicherungsgesellschaft. —
Internationaler Transportversicherungsverband. — Die Mortalitätsverhältnisse der Lehrer
nach den Erfahrungen der Lebensversicherungsbank f. Deutschland zu Gotha. — Die
Verwaltungskosten der englischen Lebensversicherungsgesellschaften. — Die Hagelver-
sicherung und der Bund der Landwirte. — etc.
Neue Zeit, die. Jahrg. XIII, 1894—95, Bd. I, Nr. 1 — 6: Zur Geschichte des
Urchristentums, von Fr. Engels. — Aus den Vereinigten Staaten, von F. A. Sorge. —
Bemerkungen zur Weismannschen Theorie. — Ein Kapitel kapitalistischer Expropriation,
von Ed. Bernstein. — Der Geschlechtstrieb (Referat über die Schrift gleichen Titels von
Hegar), von L. Freyberger. — Die Arbeitervereine in Holland, von H. Polak. — Der
bevorstehende Parteitag der deutschen Sozialdemokratie, von A. Bebel. — Keinen Mann
und keinen Groschen! Einige Betrachtungen über das bayerische Budget. — Zur 3. Auf!
von Fr. Engels' ,, Herrn Eugen DühriDgs Umwälzung der Wissenschaft", von Ed. Bern-
stein. — Zur Selbstkritik des Sozialismus. — Die Statistik der Reichspostverwaltung. —
Professorenhonorare. — Einiges über Holländisch-Ostasien, von H. Polak. — etc.
Preufsische Jahrbücher. Herausgegeben von Hans Delbrück. Band LXXVIII,
Heft 2, November 1894: Die Neutralisation Dänemarks, von K. v. Bruchhausen. —
Die Verfassung der Kollegialgerichte und die Unabhängigkeit der Rechtspflege, von
E. Schiffer (ARichter in Zabrze). — Marie Antoinette im Kampfe mit der Revolution,
von (Prof.) M. Lenz (Berlin). (II. Artikel.) — Die Polenfrage, von H. Delbrück. — etc.
Vereinsblatt für Deutsches Versicherungswesen. Jahrgang XXII, 1894, Nr. 10
und 11 : Internationaler Transportversicherungsverband. 23. (ord.) Generalversammlung
abgehalten in Baden-Baden vom 17. bis 19. Sept. 1894. — Feuerversicherungsergebnisse
des Jahres 1893. — Die Geschäftsergebnisse der skandinavischen Lebensversicherungs-
gesellschaften im Jahre 1893. —
Zeitschrift des k. bayerischen statistischen Bureaus. Redigiert von dessen Vor-
stand (ORegR.) C. Rasp. Jahrg. XXVI, 1894, Heft 2 : Die zwangsweise Veräufserung
landwirtschaftlicher Anwesen in Bayern im Jähre 1893, von C. Rasp. (Mit 1 Diagramm.)
— Statistische Nachweisungen über die Armenpflege im KR. Bayern für das Jahr 1892.
von (RegAss.) Steiner. — Die Versicherungsstatistik im KR. Bayern für das Jahr 1892
Referent (ORegR) C. Rasp. — Die Bewegung der Gewerbe in Bayern im Jahre 189S.
— Geburts- und Sterblichkeitsverhältnis in einer Anzahl bayerischer Städte im 2. Viertel-
Jahre 1894. —
Bericht ignng.
Für den Artikel des Herrn Lindenberg, Heft 4 und 5 dieses Bandes, sind uns nach-
träglich von dem Verf. folgende Korrekturen zugegangen :
S. 594 Z. 14 v. unten, lies statistischen statt statistische.
S. 597, Z. 18 v. unten, lies Bewegung statt Berechnung.
S. 717, Z. 6 v. oben, lies ein statt an.
S. 719, Z. 1 v. unten (Anm 2) hinter Reich einfügen: 1893.
S. 724, Z. 3 v. unten (Anm. 1) lies Einführung statt Einfuhr.
Frommannsche Buchdruckerei (Hennann Pohle) In Jena.
948 Bitte.
Bitte.
Umfangreiche Studien über das in neuerer Zeit so häufig genannte
Thema der Proportionalwahl und Minoritätenvertretung
haben mich dazu veranlafst, eine alle Länder und Zeiten umfassende
Bibliographie der gesamten über diesen hochwichtigen Stoff vorhandenen
Litteratur zu unternehmen. Die bekannten Schriftea von Gageur und
Rosin enthalten mit ihren immerhin ziemlich auegedehnten Litteratur-
nachweisen wenig mehr als eine Vorarbeit dazu; erst eine wirkliche
Bibliographie von der Art der von mir geplanten würde es den Gelehrten
ermöglichen, gründliche Studien über diesen Stoff anzustellen. In Auf-
sätzen und Abhandlungen, in Zeitungen und Zeitschriften, ferner in einzelnen
Stellen, welche sich in wissenschaftlichen Werken aller Art zerstreut
finden, sowie in Spezialschriften gröfseren und kleineren Umfangs bis zu
einfachen Flugblättern herunter sind die litterarischen Erörterungen über
die Proportionalwahl im Laufe der Zeit (sie reichen mindestens bis 1780
zurück) zu einer schier unübersehbaren Flut angeschwollen , zu deren
Bewältigung die Kraft des Einzelnen entfernt nicht ausreicht. Ich sehe
mich daher iu die dringendste Notwendigkeit versetzt, die hilfreiche
Gefälligkeit aller Derjenigen in Anspruch zu nehmen, welche von solchen
Aufsätzen , zerstreuten Stellen und sonstigem Material Kenntnis haben
sollten, gleichviel ob dieselben der Hauptsache nach oder nur nebenher
das. Thema berühren. Pro und contra wird in meiner Arbeit gleich-
raäfsig berücksichtigt. Jede auch die kleinste Mitteilung wird mit leb-
haftestem Dank entgegengenommen und auf das Sorgfältigste beachtet
werden. Drucksachen, die man mir gütigst leihweise zur Verfügung stellt,
-ollen auf das Peinlichste geschont und baldmöglichst zurückerstattet werden.
Königsberg i. Pr., Französischer Schulplatz, links,
im November 1894.
R. Siegfried,
Schriftsteller.
HB Jahrbücher für
5 Nationalökonomie
J35 und Statistik
Bd. 63
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