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Full text of "Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik"

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JAHRBÜCHER 

FÜR 

NATIONALÖKONOMIE  UND  STATISTIK. 

GEGRÜNDET  VON 

BRUNO  HILDEBRAND. 

HERAUSGEGEBEN  VON 

DR   J.  CONRAD,     und     D«    L  ELSTER, 

PROF.  IN  HALLE  A   S.,  PROF.  IN  BRESLAU, 

IN  VERBINDUNG  MIT 

DR    ED6.  LOENING,      und      DR    W.  LEXIS, 

PROF.  IN  HALLE  A.  S.,  TROF.  IN  GÖTTINGEN. 


DRITTE  FOLGE.  ACHTER  BAND. 

ERSTE  FOLGE,    BAND    I— XXXIV;    ZWEITE  FOLGE,    BAND  XXXV— LV    ODER 
NEUE  FOLGE,  BAND  I— XXI 5  DRITTE  FOLGE,  BAND  LXIII  (III.  FOLGE,  BAND  VIII). 

JENA, 

VERLAG  VON  GUSTAV  FISCHKK. 
1894. 


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Inhalt  d.  Bd.  VIII.   »ritte  Folge  (LXIII). 


I.     Abhandlungen. 

Backhaus,  Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.     S.  321. 

von  Bortkewitsch,   L.,  Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen  Statistik.     S.  641. 

Rarup,  Job.  und  Gollmer,  R.,  Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  nach  dei 
Erfahrungen   der  Lebensversicberungsbank  f.  D.  in  Gotha.     S.   161. 

Neumann,   H,  Die  jugendlichen   Berliner  unehelicher  Herkunft.     S.   ^36. 

Rohrscheidt,  Kurt  von,  Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbe- 
freiheit.    S    1,  481 

Varges,  Willi,  Zur  Entstehung  der  deutscheu  Stadtverfassung.     S.   801. 

IL     Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Das  Reichsstempelgesetz  vom  27.  April  1894.     S.   413 

Puld,  Ludwig,  Das  Gesetz  über  die  Abzahlungsgeschäfte.     S.  407. 

Greiff,    Die    zweite  Lesung    des  Entwurfes    eines    Bürgerlichen    Gesetzbuches    für    dat 

Deutsche  Reich.     S.  56,  232,  375,  550,  681. 
Loening,  Edgar,   Reform  der  deutschen  Armengesetzgebung.     S.   570. 
Mamroth,  Karl,  Die  Beschränkungen  der  Parzellierungsfreiheit  in  Sachsen,   Sachsen 

Altenburg  und   Württemberg.     S.   72. 
Preufsisches   Gesetz  wegen  Aufhebung  direkter  Staatssteuern.     S.   858. 
Preufsisches  Ergänzungsteuergesetz.     S.   866. 
Wirtschaftliche  Gesetze  Oesterreichs  im  Jahre  1893.     S.   880. 
Wirtschaftliche  Gesetzgebung  des  Deutschen  Reiches  im  Jahre  1893.     S.  880. 
Wirtschaftliche  Gesetzgebung  der  deutschen  Bundesstaaten  im  Jahre  1893.     S.   882. 


III.     Miszellen. 

Bayerdörffer,  A.,  Die  Preise  von  Waren  und  Barrensilber   in  Hamburg.     S.  603. 

van  der  Borght,  R.,  Die  neueste  Entwickelung  der  Gründungsthätigkeit  in  Deutsch- 
land.    S.  446. 

Clark,  F.  C,  Der  Stand  der  Eisenbahnfrage  in   Californien.     S.  434. 

Die  Preise  des  Jahres   1893  verglichen  mit  den  Vorjahren.     S.   441. 

Diezmann,  M.,  Englands  Aufsenhandel  im  Jahre   1893.      S.   600. 

Derselbe,  Der  Aufsenhandel  der  Vereinigten  Staaten  im  Rechnungsjahre  1893. 
S    907. 

Ergebnisse  der  Volkszählung  vom  1.  Dezember  1890  im  Königreich  Preufsen.     S.  102. 


IV 


Inhalt. 


H  ecke],  Max   von,  Die  Fürsorge  für  die  Arbeitslosen  in  England.     S.   265. 

Heiligenstadt,  Carl,  Die  Gesellschaften  mit  beschränkter  Haftung  im  Jahre  1893. 
S.   97. 

Lexis,  W.,  Das  Papiergeld  der  Zukunft.     S.   249. 

Derselbe,  Die  deutsche  Silberkommission.     S.   734. 

Li  ndenber  g  ,  G.,  Die  Ergebnisse  der  deutschen  Kriminalstatistik  1882 — 1892.   S.  588,  714. 

Preise  in  Preufsen.     S.   730. 

Selbstmordstatistik  der  wichtigsten  Länder  Europas.     S.  430. 

Sodoffsky,  Gustav,  Die  Staats-Liegeuschaftssteuer  in  Kufsland.     S.   244. 

Wygodzinski,  Willy,  Die  Allmenden  in  Baden.     S.  416. 

Zimmermann,  Alfred,  Die  gesetzliche  Regelung  des  Grunderwerbs  in  den  eng- 
lischen, französischen   und   holländischen   Kolonien.      S.    885 


IV.     Litteratur. 

Abhandlungen  ausdem  s  t  a  a  t  s  w  i  s  s  e  n  sc  h  a  f  1 1  ic  h  e  n  S  e  mi  n  ar  zuStrafs- 
b  u  r  g.     Heft  XI.      [Liudley   M.  Keasbey,  <ler  Nikaragua-Kanal.]     (J.  Partsch.)     S.  135. 

Adler,  Sigmund,  Eheliches  Güterrecht  und  Abschichtungsrecht  nach  den  ältesten 
bayerischen  Rechtsquellen.     (Eduard  Rosenthal.)     S.   314. 

Annual  Report  of  the  State  Board  of  Arbitration  for  the  year  1892.  Idem 
for  the  year   1893.     (W.  Sombart.)     S.   144. 

Brentano,  Lujo,  Ueber  das  Verhältnis  von  Arbeitslohn  und  Arbeitszeit  zur  Arbeits- 
leistung.    2.   Aufl.     (R.  Graetzer.)     S.    118. 

Uurlage,  E,  Die  Pländung  bei  Personen,  welche  Landwirtschaft  betreiben.  Zugleich 
ein  Beitrag  zur  allgemeinen  Lehre  von  den  Pfändungsbeschränkungen.  (A.  Wirmin  g- 
haus.)     S.   301. 

Cantillon,  Essai  sur  le  commerce  [Reprinted  for  Harvard  University.]  (Ludwig 
Elster.)     S.   619. 

Dürkheim,   Emile,  De  la  Division  du  Travail  social.     (J.  Lehr.)     S.   122. 

Festschrift  zur  Feier  des  75 -jährigen  Bestehens  der  Oldenburgisch  en 
Landwirtschafts-Gesellschaft.  Hgg  vom  Centralvorstand.  Bearbeitet 
vom  Generalsekretär  Dr.   W.   Rodewald.     (Backhaus.)     S.  456. 

Frankeustein,  Kuno,  Die  Arbeiterfrage  in  der  deutschen  Landwirtschaft.  Mit 
besonderer  Berücksichtigung  der  Erhebungen  des  Vereins  für  Sozialpolitik  über  die 
Lage  der  Landarbeiter.     (T  h.   F  r  h.  v.  d.  Goltz.)     S.   130. 

Fuchs,  C.  J.,  Die  Handelspolitik  Englands  und  seiner  Kolonien  in  deu  letzten  Jahr- 
zehnten.     [Schriften    des  Vereins    für  Sozialpolitik.      57.   Bd.]     (W.  Lexis.)      S.    607. 

Gans-Ludassy,  Julius  von,  Die  wirtschaftliehe  Energie.  Erster  Teil:  System 
der  ökonomistischen  Methodologie.     (Emil  Sax.)     S.    HO. 

v.  d.  Goltz,  Freih.  T  h.,  Die  agrarischen  Aufgaben  der  Gegenwart.  (J.  Conrad.) 
S.   916. 

Gumplovicz,   Ludwig,   Die  soziologische  Staatsidee.     (H.   Rehm.)     S.   146. 

Handelspolitik,  Die,  der  Balkanstaaten  Rumänien.  Serbien,  Bulgarien,  Spaniens 
und  Frankreichs.  Berichte  und  Gutachten,  veröffentlicht  vom  Verein  f.  Sozialpolitik. 
[Schriften  des  Vereins  für  Sozialpolitik.     51.   Bd.]     (W.   Lexis.)     S.   607. 

Handelspolitik,  Die,  Nordamerikas,  Italiens,  Oesterreichs,  Belgiens,  der  Nieder- 
lande, Dänemarks,  Schwedens  und  Norwegens,  Rufslands  und  der  Schweiz  in  den  letzten 
Jahrzehnten,  sowie  die  deutsche  Handelsstatistik  in  deu  Jahreu  1880 — 1890.  Berichte 
und  Gutachten,  veröffentlicht  vom  Verein  f.  Sozialpolitik.  [Schriften  des  Vereins  für 
Sozialpolitik.     49.  Bd.]     (W.  Lexis.)     S.  607. 

Heyn,  O.,  Papierwähruug  mit  Goldreserve  für  den  Auslandsverkehr.  Ein  Mittel  zur 
Lösung  der  Währungsfrage.     (W.   Lexis.)     S.   249. 

Hildebrand,  Richard,  Ueber  das  Problem  einer  allgemeinen  Entwickelungs- 
geschichte  des  Rechts  und  der  Sitte.     (K.  Buche  r.)     S.  453. 

Hirsch,  Max,  Die  Arbeiterfrage  und  die  deutschen  Gewerkvereine.  Festschrift  zum 
fünfundzwauzigjährigen  Jubiläum  der  deutschen  Gewerkvereine  [Hirsch-Duucker]. 
(Max  von  Heckel.)     S.    143. 

Hüll,  Charles  Henry,  Die  deutsche  Reichspaketpost.  [Sammlung  nationalökouo- 
mischer  und  statistischer  Abhandlungen  des  staatswisseuschaftlichen  Seminars  zu  Halle  a./S. 
Hgg.  von  J.  Conrad.      VIII.  Bd.  3.  Heft]     (v.  d.   Borght.)     S.   784. 


Inhalt.  V 

The  industries  of  Russia.  Vol.  I  and  II:  Manufaetures  and  Trade  with  a  general 
industrial  map  by  the  Department  of  Trade  and  Manufaetures  Ministry  of  Finanee 
Vol.  III:  Agriculture  and  Forestry  with  coloured  maps  by  the  Department  of  Agri- 
cultural  Ministry  of  Crown  Domains.  Vol.  IV:  Mining  and  Metallurgy  with  a  set  of 
mining  maps  by  A.  Keppen,  mining  engineer.  Vol.  V:  Siberia  and  the  great  Siberian 
Railway  with  a  general  map  by  tbe  Department  of  Trade  and  Manufaetures  Ministrv 
of  Finance.     (W.   Sombart.)     S.   126. 

Jahrbuch,  statistisches,  deutscher  Städte.  In  Verbindung  mit  Bleicher. 
Boeckh  etc.  etc.      Hgg.    von  Bf.  Neefe.     III.    Jahrgang.     (P.    Kollmann.)     S.  790. 

Kaufmann,  Wilhelm,  Die  mitteleuropäischen  Eisenbahnen  uud  das  internationale 
öffentliche   Recht.     Internationale  Studien  und  Beiträge.      (Meili.)     S.    134. 

Köbner,  O.,  Methode  einer  wissenschaftlichen  Rückfallstatistik  als  Grundlage  einer 
Reform  der  Kriminalstatistik.     (Lindenberg.)     S.  726. 

K  o  nkurs  s  tatis  tik  für  die  Jahre  1891  u.  1892.  Drittes  Vierteljahrsheft  zur  Statistik 
des  Deutschen  Reichs.  Hgg.  vom  kaiserlichen  statistischen  Amt.  Jahrg.  1893. 
(A.  Wirminghaus.)     S.   629. 

Lehr,  J.,  Grundbegriffe  und  Grundlagen  der  Volkswirtschaft.  Zur  Einführung  in  da> 
Studium  der  Staatswissenschaften.  [Zugleich  1.  Bd.  der  I.  Abt.  des  Hand-  und  Lehr- 
buchs der  Staatswissenschaften  in  selbständigen  Bänden  hgg.  von  Kuno  Franken- 
stein.]    (W.  Lexis.)     S.   283. 

Lindley  M.  Keasbey,  Der  Nikaragua-Kanal.  Geschichte  und  Beurteilung  des 
Projekts.  [Abhandlungen  aus  dem  staatswissenschaftlichen  Seminar  zu  Strafsburg. 
Heft  XL]     (J.   Partsch.)     S.   135. 

Lotz,  Walther,  Die  Ideen  der  deutschen  Handelspolitik  von  1860  — 1891.  [Schriften 
des  Vereins  für  Sozialpolitik   50.  Bd.]     (W.   L  e  x.i  s.)     S.  607. 

Mancke,  W.,  Ein  Kompromifs  des  Agrarstaates  mit  dem  Industriestaat.  (J.  Lehr. 
S.   620. 

Meyer,  Georg,  Lehrbuch  des  deutschen  Verwaltungsrechts.  IL  Teil.  2.  Aufl.  (R  e  h  m). 
S.    788. 

Molinari,   Gustave  de,   Les  Bourses   du  Travail.     (Max  von  H  e  c  k  e  1.)     S.   116. 

Saumann,  Moriz,  Die  Lehre  vom   Wert.     (J.  Lehr.)     S.  293. 

Oetken,   Fr.,  Die  Landwirtschaft    in    den   Vereinigten  Staaten  von  Nordamerika,    sowie 
die    allgemeinen    wirtschaftlichen    und    Knlturverhältnisse    dieses    Landes    zur  Zeit    des 
Eintritts  Amerikas  in   das  fünfte  Jahrzehnt  nach  seiner  Entdeckung.     (Wohltmann. 
S,   778. 

Off  er  mann,  Alfred,  Ueber  die  Zukunft  der  Gesellschaft  oder  die  Wirkung  der 
grofsen  Zahlen.     (J.  Lehr.)     S.   120. 

Parnes,  Osias,   Internationales  Papiergeld.     (W.   Lexis.)     S.   249. 

Pastor,  Willy,    Vom  Kapitalismus    zur  Einzelarbeit.     (Max  von   Heckel.)     S.    125. 

Philippovich,  Eugen  von,  Grundrifs  der  politischen  Oekonomie.  I.  Bd.:  All- 
gemeine Volkswirtschaftslehre.  [Handbuch  des  öffentlichen  Rechts  der  Gegenwart. 
Hgg.    von  Marquardsen    und  Seydel ,    Einleitungsband.]     (Ludwig  Elster.)     S.  449. 

Ratzel,  Fried  r. ,  Politische  und  Wirtschaftsgeographie  der  Vereinigten  Staaten  von 
Amerika.  2.  Aufl.  [II.  Bd.  von  des  Verfassers  Werk:  Die  Vereinigten  Staaten  von 
Amerika]     (J.  Partsch.)     S.  298. 

Reichesberg,  Naüm,  Die  Statistik  und  die  Gesellschaftswissenschaft.  (Georg 
von  Mayr.)     S.   148. 

liettich,  Ergebnisse  einer  konkursstatistischen  Erhebung  in  Württemberg  1883 — 1892. 
Im  k.  stat.   Landesamt  nach  amtlichen  Quellen   bearbeitet.     (Ludwig  Fuld.)     S.  149. 

üing,  Victor,  Das  Reiehsgesetz  betr.  die  Kommanditgesellschaften  auf  Aktien  und 
die  Aktiengesellschaften   vom   18.   Juli  1884.     (Richard  Schmidt.)     S.  306. 

Röscher,  Wilhelm,  Politik:  Geschichtliche  Naturlehre  der  Monarchie,  Aristokratie 
und  Demokratie.      1.   u.   2.   Aufl.     (Brie.)     S.   123. 

Sammlung  nationalökonomischer  und  statistischer  Abhandlungen 
des  staatswissenschaftlichen  Seminars  zu  Halle  a./S.  Hgg.  von  J.  Conrad.  VIII.  Band, 
Heft  3.     [Hüll,  Ch.  H,  Die  deutsche  Reichspaketpost.]     (v.  d.   Borght.)     S.   784. 

Scbanz,     Georg,     Die    Kettenschleppschiffahrt    auf     dem    Main.      (v.    d.    Borght. 
S.  463. 

Derselbe,  Der  Donau-Main-Kanal  und  seine  Schicksale.  [Mit  einer  Karte.]  (v.  d.  B  o  r  g  h  t.) 
S.   463. 


VI 


Inhalt. 


Schriften  des  Vereins  für  Sozialpolitik.  Band  49.  [Die  Handelspolitik 
Nordamerikas,  Italiens,  Oesterreichs,  Belgiens,  der  Niederlande,  Dänemarks,  Schwedens 
und  Norwegens,  Rufslands  und  der  Schweiz  in  den  letzten  Jahrzehnten,  sowie  die 
deutsche  Handelsstatistik  in  den  Jahren  1880 — 1890.  Berichte  und  Gutachten.] 
(W.  Lexis.)     S.  607. 

Dasselbe,  Band  50.  [W.  Lotz,  Die  Ideen  der  deutschen  Handelspolitik  vonl860 — 1891.] 
(W.  Lexis.)     S.   607. 

Dasselbe,  Band  51.  [Die  Handelspolitik  der  Balkanstaaten  Rumänien,  Serbien, 
Bulgarien,  Spaniens  und  Frankreichs.     Berichte  und  Gutachten.]     (W.  Lexis.)     S.  607. 

Dasselbe,  Band  57.  [C.  J.  Fuchs,  Die  Handelspolitik  Englands  und  seiner  Kolonien 
in  den  letzten  Jahrzehnten.]      (W.  Lexis.)     S.  607. 

Schriften  der  Zentralstelle  für  Ar  b  ei  t  er  wo  h  1  f  a  h  r  t  seinri  c  ht  un  g  e  n. 
Nr.  1.  Die  Verbesserung  der  Wohnungen.  Nr.  2.  Zweckmäfsige  Verwendung  der 
Sonntags-  und  Feierzeit.  Nr.  3.  Spar-  und  Bauvereine  in  Hannover,  Göttingen  und 
Berlin.  No.  4.  Hilfs-  und  Unterstützungskassen.  Fürsorge  für  Kinder  und  Jugend- 
liche.    (Max  von  Heckel.)     S.  139. 

Schröder,    H.,    Der  wirtschaftliche  Wert,    Begriff  und  Normen.     (J.  Lehr.)     S.  293 

Schulze-Gaevernitz,  von,  Der  Grofsbetrieb ,  ein  wirtschaftlicher  und  sozialer 
Fortschritt.      Eine    Studie    auf    dem    Gebiete    der    Baumwollindustrie.      (J.  Redlich.) 

"^S.  460. 

Stege  mann,    R. ,    Aus    der    Praxis    der    Handelskammern.      Beiträge    zur    praktischen 
.{Nationalökonomie.     I.  Bd.     (A.  Wir  m  i  n  gh  a  u  s.)     S.  783. 

Weber,  O. ,  Die  Entstehung  der  Porzellan-  und  Steingutindustrie  in  Böhmen 
(K.  Steinitz.)     S.  781. 

Werk  er,  W.  M.  J.,  Die  zusammengesetzte  Zinsen-  und  Zeitrenten-  oder  Annuitäten- 
rechnung. Handbuch  zur  Lösung  der  zusammengesetzten  Zinsen-  und  Diskonto- 
rechnung etc.     2  Bde.     I.    Text  und  Formeln;  II.  Tafeln.     (J.  Lehr.)     S.   152. 

Wickseil,  Knut,  Ueber  Wert,  Kapital  und  Rente  nach  den  neueren  nationalökonomischen 
Theorien.     (J.  Lehr.)     S.  293. 

Wutke,  K.,    Die  Versorgung  Schlesiens    mit  Salz   1772  —  1790.     (G.  Liebe.)     S.   129. 

Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutsehlands  und  des 

Auslandes.     S.   HO.    293.     449.     619.     776.     927. 

Die  periodische  Presse  des  Auslandes,     s.  154.  316.  473.  635.  795.    ;>4i 
Die  periodische  Presse  Deutschlands,     s.  158.    319.    478.    639.    799.    946. 


Tabellen  zu: 

Die  Gesellschaften  mit  beschränkter  Haftung 
im  Jahre  1893. 

(Reichsgesetz  vom  20.   April    1892.) 

Von   Dr.   Carl  Heiligen  Stadt  (Berlin). 


101a 
Tabelle  I. 


Gesellschaften  mit  beschränkter 

Von 

Gründungen  im  Jahre 


Neugründungen 

Anzahl 

Kapital 

Anzahl 

Kapital                  Einzel 

No. 

Gruppe 

% 

Betrag 

% 

% 

Betrag               Anzahl 

%               %    | 

Ia 

Land-    u.   forswirtschaftl.  J 1892 

Unternehmungen                ^1893 

4 

2,185 

646  OOO 

0,867 

1 

0.546 

35OOOO     0.469 

I 

0,546 

Ib 

Kolonial-  und  Plantagen-  [1892 

Gesellschaften                   \1893 

2 

1,092 

470  OOO 

0,630 

I 

0,540 

45OOOO     0,604 

I 

0,546 

II 

Tierzucht  und  Fischerei    ;,0„0 

)  1893 

I 

0,546 

100  000 

0,130 

— 

— 

— 

— 

I 

0,546 

III 

Bergbau,   Hütten-  und        J1892 

I 

1,587 

30000 

0,102 

— 

— 

— 

— 

I 

1.587 

Salinenwesen                      |1893 

8 

4,371 

6  002  000 

8,056 

2 

1,092 

45OOOO     0,604 

— 

— 

IV 

Industrie  der  Steine  und  11892 

9 

14,285 

2735000 

9,342 

4 

6,349 

660OOO     2.254 

3 

4,761 

Erden                                    \1893 

16 

8.743 

4  997  200 

6,707 

2 

1,092 

50  000     0,0  6  7 

5 

2.732' 

V 

M    ♦     11                 u    ■*                                  I1892 

Metallverarbeitung                   ..„ 

8 

4.371 

7  835  000 

— 
IO,5 16 

1 

0,54  6 

70  000 

0,093 

3     1,639 

VI 

Maschinen,    Instrumente     f  1892 

und  Apparate-Bau             |1893 

12 

6.557 

4  434  90o 

5-952 

4 

2,185 

407  ÖOO 

0,547 

2 

1,092 

Via 

Elektrizitätswerke               ; .  0„0 

1 

1,5  87 

75000    0,256 

1 

1,587 

75  OOO 

0,256 

—     —   ; 

\1893 

5 

2,732 

1  256000 

1,685 

4 

2,185 

606  OOO 

0,813  — 

VII 

Chemische  Industrie           l.^no 

2 

3)174 

4  900  000 

16,738 

1 

1.587 

400  OOO 

1.366 

— 

— 

11893 

12 

6,557 

10342  000 

13. 881 

4 

2,185 

2  082  OOO 

2,794 

1 

0,546 

VIII 

Forstwirtschaftl.  Neben-    (1Rq2 
Produkte,   Leuchtstoffe,    <,„no 

1    1    X   7  H 

Fette,   Oele,  Firnisse        ( 

1 

0.54tj 

100  000 

O.130 

— 

— 

— 

IX 

lextihnuustrie                       !.„„o 

3 

4. 761 

2  188000 

7-474 

— 

— 

— 

— 

1 

1,587 

1 1 893 

7 

3-825 

4  283  500 

5,749 

2 

1,092 

505OO 

0,067  — 

— 

X 

1  1 892 
Papier-  u.  Lederindustrie  L», 

2 

7 

3.174 

3.825 

890  000 
2  250  500 

3.040 
3,020 

2 

1,092 

180OOO 

—         2 

0  J  41    — 

3.174 

XI 

Holz-  und  Schnitzstoffe     {.„„„ 

— 

— 

— ■ 

— 

— 

—       — 

— 

\1893 

4 

2,185 

591  500 

0,793 

1 

0,546 

1 40  OOO 

O  IST      I 

0,546 

XII 

Nahrungs-  und  Genufs-     f  1892 

15 

23,809 

7  913  400 

27,031 

5 

7,936 

675  500 

2.307      3 

4,761 

mittel                                    \1893 

46 

25,136 

18652  904 

25,037 

12 

6,557 

1  950  OOO 

2.617      8 

4.371 

XIII 

„,,.,               „  .   .            (1892 
Bekleidung  u.  Reinigung     ,093 

1 

1,587 

460  000 

1,571 

— 

— 

— 

—          I 

1,587 

XIV 

r.                u                             f  1892 
Baugewerbe                         |ig93 

4 
6 

6,349 
3,278 

5  610000 
3210  000 

19. 163 
4,308 

2 
5 

3,174 
2,732 

4  100  000 
2  650  000 

I4  005  — 
3,557  - 



XV 

Polygraphische  Gewerbe       * 

1 

1 

1,587 
0,546 

85000 
60  000 

0,290 
0,080 

1 

1,587 

85  OOO 

0,290 

1 

O,540 

XVII 

Haudelsgewerbe,  ausge-     |    „„„ 
nommen  Geld-  u.  Kredit-  <  1ROO 
bandet 

15  23. 809 
28  15,300 

2  236  000 
4  99 1  600 

7,637 
6,700 

'3 
[6 

20,634 
8,743 

1  296  OOO 
899  100 

4,427 
1,206 

3 

1,639 

XVllb 

Geld-  und  Kredithandel    "{ 1893 

I 

1,587 

20000 

0,068 

1 

1,587 

20  000 

0,068 

_ 

— 

3 

1.639 

3  600  000 

4,832 

2 

1,092 

400  000 

0,536 

I 

0,54i;, 

XVIII 

\t      ■  1.                       l            f  1892 

Versicherungsgewerbe         (    .. 

1 

1,587 

20000 

0,068 

1 

I  587 

20  000 

0,068 

— 

XIX 

Verkehrsgewerbe                 {iftqq 

4 
4 

6,349 
2,185 

782  000 
208  600 

2,671 
0,279 

4 

3 

6,349 
1,639 

782  000 
150  100 

2.6  71 
O.201 

I 

— 

XX 

Beherbergung  und   Er-       (1892 

1 

1,587 

20  300 

0,069 

1 

1,587 

20  300 

0,069 

— 

— 

quickung                              \1893 

1 

0.546 

150000 

0,201 

— 

— 

— 

— 

1 

o,54>; 

XXI 

Gewährung  von  Dienst-    / 1892 

2 

3.174 

1  310000 

4-474 

2 

3.174 

I  310000 

4,474 

— 

— 

leistuugen                            )1893 

1 

0,546 

40000 

O.053 

1 

0,5  4  6 

40000 

0  053 

— 

— 

XXII 

Geselligkeitsunterneh-         |l  892 

muugen                                 1 1 8  9  'i 
Verschiedene  Gesell-          J  1 892 

4 

2,185 

197  800 

0,265 

2 

1,092 

40000 

0,053 

1    0,54- 

XXIII 

schaffen                                \1893 

2 

1,092 

80800    0.108 

2 

1,092 

80800 

0,108 

—      — 

o                 Il89i 

I"N  1 1  in  m  A        / 

t>$  100, — 

29  274  700  100.  - 

$6 

57-142  1 

9  443  800  32,259 1 1 1, 17,460 

summa    j,g93 

•33 

100,- 

74  500  304 

100,— 

67 

36,612  | 

II  046  100 

14,026 

30 

16,39:; 

Anmerkung.      Durch   unser  Versehen  sind  diese  Tabellen   dem  Texte  nicht  beigegeben.       D.   Red. 


ftung  im  Jahre  1893. 

Heiligenstadt. 

2  und  1893. 


101a 


Tabelle  1. 


Hervorgegangen  aus 

5  °°   •  — 

5.  5  <=  e 
t  5  S 

Vi      . 

v     V 

offenen  Handelsgesell-            Aktiengesellschaften  und 
arnehmungen       schaffen  und  Kommandit-    Kommanditgesellschaften  aut 
gesellschaften                                   Aktien 

( 

A 

ienossenschafteu  und 
deren  Unternehmungen 

—     u    •- 

*-      Ol    **• 

'S  .5" 
-C  '®  " 
0  _  — 

Kapital              Anzahl 

Kapital           j   Anzahl 

Kapital 

nzahl           Kapital 

I  a  " 

itrag 

% 

% 

Betrag     j      0/0     j           0/0 

Betrag          % 

0/0       Betrag    |  0/0 

Pfg. 

2* 

76  000 

20  Ooo 

OO  000 
30000 

55  000 

07  200 
15  OOO 
560OO 

00  000 

4800O 
90  000 

IO  OOO 
95  500 
17  204 
60  OOO 

60  000 
00  500 
00000 

- 

50000 
30000 

0,102 

0,026 

0,130 
0,102 

4,286 
2,559 

1,093 

0,209 

2,416 

0,163 
3,040 

0,147 

1,009 
6,197 
1.571 

0,080 
0,403 
4,295 

0,2  01 

0,040 

3 
2 

7 

2 

5 

1 

5 

2 
2 

4 

2 
3 
3 

2 

2 

5 

1,639 
3,174 

3,825 

1,092 
2,732 

1,587 
2,732 

3174 
1,092 

2,185 

1.092 
4,761 
1,639 

3,174 

3.174 
2,732 

—     I 

1  352000 
820  OOO 

2  779  000 

1  95O  OOO 

3  571300 

4  500  000 

5  620000 

2  I40  OOO 

950  000 

I  470  500 

341 500 
3055000 

1  400  000 

1  510  000 

940  000 

2  977  000 

1,814 
2.801 
3,730 

2,617 

4,793 

15,371 

7,543 

7,310 
1,275 

1,973 

0,4  5  8 

lO,435 

1,879 

5,158 

3.210 
3,995 

2 

2 

2 
2 

I 

I 

2 

I 

2 

1 

3 

21 

4 

1,092 

1,092 
1,092 
1,092 
0,546 
0,546 
1.092 

0,546 

1,092 
0,546 

4,761 
11,475 

2,185 

220  OOO 

3  900  000 
261  000 

5  000  000 
300  000 
650  OOO 
840  000 

100  000 

3  200  000 
600  000 

3212  000 

10  425  700 

8 1 5  000 

o,295 

5,234 
0,350 
6,711 
O.402 
0,872 
1,127 

O.130 

4,295 
0,805 

IO,971 
13.994 

1,093 
- 

I 

I 

I 

2 

I 

1 
I 

0,546 

0,546 

~~ 

1,587 
1,092 

0,546 

0,5  4  6 
0,54ö 

3O0  00O 

83  OOO 
675  400 

260  000 
560  000 

— 
58300 

127  800 

0,402 

_ 

0,111 

2.307 
0,348 

0,751 

0,078 
0,171 

1,306 

0,95(1 

0,202 
0,060 

12,142 
5-533 

10,10!« 

15,851 

8,972 
0.151 
2,541 
9,913 
20,923 

0,202 

4,426 
8,666 

1,800 
4,55  3 

1,190 
l6.009 
37.737 

0,930 

11,34« 

6  494 
0.171 
0.12  1 

4. 523 
10,098 

O.040 
7,283 
0,040 

1,582 
l  422 
0,041 
0,334 
2,650 
0,080 

0,400 

0.1G3 

161  500 

235000 

100  ooo 
30000 
750  250 
303  888 
312325 

979  375 

369  575 

75000 

251  200 

2  450000 

861  833 

1 00  000 

729  333 
611  928 

445  °o° 
321  5°° 

147  875 
527560 

405  497 
460  000 

1  402  500 

535000 
85  000 
60000 

149  066 
178271 

20  000 

1  200  000 

20000 

i95  5°° 

52  150 
20  300 

1 50  000 
655  000 

40  000 

49450 
40  000 

»78  500 
41  904 

IO,174 

17,908 

12 

38 

19,047 
20,7  65 

12  965  000 
22  411  300 

44,287 
30,082 

3 

4i 

4,761 
22,404 

3212  000 
26  311  700 

10,971 
35,317 

1 
7 

1,587 
3-824 

675  400 
I  389  300 

3,307; 
1,864: 

59-226 
150,702 

464677 
407  105 

101c 

^  ' 

Tabelle 

II. 

Bestand  am  31.  De-  : 

Anzahl 

Kapital 

Neugründungen 

- 

Anzahl 

Kapital 

Einzel- 

No. 

Gruppe 

°/o 

Betrag               Anzahl 

1 

% 

Betrag            0/0 

%  i  !  °/o 

la 

Land-  u.  forstwirtschaftl.  /1892 

1 

Unternehmungen                 \189.-i 

4 

1,666 

6460OO     0,623 

I 

0,416! 

350000 

0,338 

I     0.416 

I  b 

Kolonial-  und  Plantagen-  J 1 8 9 2 

- 

— 

Gesellschaften                     j  1893 

1 1892 
Tierzucht  und  Fischerei    <i00.. 

2 

0,833 

47OOOO     0,453 

I 

0.4  16 

450000 

0.434 

I     0.416 

II 

— 

— 

1 1  o  9  3 

I 

0,4 16 

IOO  OOO     0,096 

— 

— 

— 

— 

I     O.41B 

III 

Bergbau,  Hütten-   und        J 1892 

I 

1.612 

3OOOO     0,102 

— 

—    : 

— 

— 

I      1.612 

Salinen  wesen                       \189E 

9 

3,7  5  0 

6032OOO     5-825 

2     0.833 

450  OOO 

0,434 

I     0.416 

IV 

Industrie   der  Steine   und  J1892 

9 

14,516 

2  735  00O     9,357 

4     6,451 

660  OOO 

2,258 

3     4-83S 

Erden 

L1893 

24 

10,000 

7  712  200,    7,448 

6     2,500 

710000 

0,685 

8     3,333 

V 

Metallverarbeitung 

1892 
1893 

8 

3,333 

7  835000'    7,566      I     0,416 

70000 

0,067 

3      1.250 

VI 

Maschinen-,  Instrumente- 

h1892 

und  Apparate-Bau 

189;: 

12 

5,000 

4  434  900 

4,283 

4     1.666 

407  600 

0,393 

2     0,833 

1891' 

1 

1,612 

75  00° 

0,256 

I 

1,612 

75OOO     0,256 

—        — 

VI  a 

Elektrizitätswerke 

6 

2,500 

1  331000 

1,285 

5 

2,083 

68l  OOO     0,6 5  7 

—  1       — 

m.            •         U          T      A         *     ■                        I1891' 

2 

3,225 

4  9OOOOO  l6,7 65      I 

1,612 

400  OOO 

1,368 

—        — 

VII 

Chemische   Industrie           J  l  s Q  -; 

'4 

5,833 

1524200014.720    5 

2,083 

2  482  OOO 

2,397 

I     0,416, 

VIII 

Forstwirtschaftl.     Neben-  [18qv 
Produkte,     Leuchtstoffe,  <    _„" 
Fette,  Oele.  Firnisse 

I     0,416 

IOO  OOO     0,096  — 

— 

— 

— 

Textilindustrie                      {i«c<" 

2      3,2  2  5 

2  140  OOO     7,322  — 

— 

— 

— 

—        — 

IX 

9     3-750 

64235OO     6,203     2 

0,833 

505OO 

0,048 

__ 

r,      ■               r    A     ■    A     ,  ■     J1892 
Papier-  u.   Lederindustrie  <    „    „ 

2     3,225 

89OOOO     3045 

— 

— 

— 

— 

2     3,225 

X 

9     3-750 

3  I405OO     3,033 

2 

0,833 

180OOO 

0,173 

2     0.833 

XI 

Holz-  und   Schnitzstoffe      L.. 

4      1 . 6  G  6 

591  5OO     0,571      I 

0,4  lti 

140  OOO 

0.135 

I     0.4 16 

XII 

Nahrungs-    und     Genufs-  fl89v 

15  24,193 

791340027.075    5 

8,064 

675500 

2,311 

3     4838 

mittel                                     \1893 

6l  25.41t; 

26  664  804  25.752  17 

7,083 

2  709  OOO 

2.616 

.11     4583 

„,,-.,                t>  •   •            M89"- 

I      1,612 

460OOO     1,573  — 

— 

— 

— 

I      1,6  12 

XI11 

Bekleidung  u.    Reinigung  4,093 

I     0,416 

460  OOO     0.4  4  4  ~ 

— 

— 

—         I     0.416 

K                                J1892 
Baugewerbe                           )1893 

4     6.451 

5  610000  19,194    2 

3,2  2  5 

-  4  IOO  OOO 

14,028—        — 

XIV 

10     4,166 

8  820  000     8,518     7 

2,916 

6  750000 

6519-         — 

,  •      r.         r,              .        f189- 

I      1,(512 

85OOO     0,290      I 

1,612 

85  000 

0,290  —        — 

XV 

Polygraphische    Gewerbe    ...,, 

2     0,833 

I45OOO     0,140      I 

0,416 

85000 

O.082      I     0.416 

XVII 

Handelsgewerbe,     aU!,ge-  liagv 
nommen    Geld-   u    Kre-<.g9„ 
dithandel 

15  24,193 

39  16,250 

2236000    7,65013 

6  965  IOO     6,726  25 

20,967 
10,416 

1  296  OOO 
I  932  600 

4,434—        — 
1,866     3      1,250 

11892 
Geld-  und  Kredithandel     {,000 

1      1,612 

20  000     0,0  6  8 

1 

1.612 

20000 

0,068  —        — 

XVII  lj 

4     1,6  6  6 

362OOOO     3,496 

3 

1,250 

420  OOO 

0,405      I     0.416 

Versicherungsgewerbe        ;.„„' 

l      1,612 

2OO0O     0,068 

1 

1.612 

20  OOO 

0,068—        — 

XX  III 

I;    C,416 

2OO0O     0,019 

1 

0,416 

20000 

O,019i—        — 

,,     ,    ,                ^                    |1892 

4     6,451 

782OOO     2.675 

4 

6,451 

782  OOO 

2,67  5  —        — 

XIX 

Verkehrsgewerbe                  i  1  sq  ° 

8     3,333 

990600     0.956 

7 

2,916 

932  IOO 

O,900l—        — 

XX 

Beherbergung     und     Er-  J1892 

1      1,612 

203OO     0,069 

1 

1,612 

20  3OO 

0,069—        — 

quickung                                11893 

2     0,833 

I7O3OO     0,164 

1 

0,416 

20  300 

0,019      I     0,4 16 

XXI 

Gewährung    von    Dienst-  J 1892 

2      3,225 

I  3IOOOO     4,482 

2 

3'225 

I  310000 

4.4S2  —        — 

.  leistungen                             1 1893 

3      1,250 

135OOOO     1,303 

3 

1,250 

I  350000 

\.:\    :i  —        — 

XX 11 

Geselligkeitsunterneh-         1 1892 

mungen                                 1 1893 

4    1,666 

197  800     0,19  1 

2     0,8  3  3 

40000 

O.038     1    0,4  li; 

XXIII 

Verschiedene  Gesell-          /1892 

—      — 

—                  — 

— 

— 

—     —      — 

Schäften                                \  1893 

2    o.s:',:j 

8080O     O  07  8 

2 

!    0,833 

80800 

0,07  8  —       — 

Summa 

/1892 
\1893 

62 
24c 

IOO,— 
IOO,— 

29  226  700 
103  543  OO4 

IOO,— 
IOO,— 

36 

58,064 
41,250 

9  443  800 
20310900 

32.312 
19,615 

10  16,129 

'40  16  666 

nber  1892  und    1893 

101.1 
Tabelle  II. 

Hervorgegangen   aus 

Betrag  pro  Kopf  der  Be- 

1  18  170 
■  •  Einwohner   um    1.  De- 

ernehmungen 

( 
SC 

A 

)ffenen  Handelsgesell- 
laften   und  Kommandit- 
gesellschaften 

A 
K 

A 

ktiengesellschaften  und 
Kommanditgesellschaften 
auf  Aktien 

Genossenschaften 
und  anderen  Unter- 
nehmungen 

|0 

—  >-  c: 

S    a>    * 

Ja  •  S 

y  — ■  — 

Kapital 

azahl               Kapital 

lzahl 

Kapital 

Anzahl  1         Kapital 

0  •-  " 

■-   — 
-    <e 

etrag           O/o 

O/o     i      Betrag          0/0 

O/o     |      Retrag     |      0/0 

0/0        Betrag   |     0/0 

Q  M 

76  oool 

20000 

ioo  000 

30  OOO 

30000 

255  000: 

162  200 

815  OOO 

156000 

800  OOO 

890  OOO 
890  OOO 

HO  OOO 

295  500 

927  7041 
460  OOO 
460  OOO 

60  OOO 

300  500 
200  OOO 

150000 
30000 

0,073 

0,019 

. 

O.096 
O.102 
0,028 
4,294 
3.053 

0,7  8  7 

0,150 

1,738 

3,045 
0.859 

0,106 
1.011 
4,759 
1,573 
0,444 

0,057 
0,290 
3090 

0,144 

0,028 

_ 

3 
2 

8 

2 
5 

1 
6 

2 
4 

4 

2 

3 

6 

2 
2 

2 

7 



—    1 

1,250 
3,225 
3,333 

0.833 

2,083 

1.612 
2,500 

3,225 
1,666 

1,666 

0,833 
4,838 
2.500 

3,225 
0,8  3  3 

3,225 
2,916 

I  352  OOO 

82O000 

3  579  000 

1  95O  OOO 

3  571300 

4  500  000 
10  120000 

2  I4OOOO 

3  09O  OOO 

t  4?0  500 

34I  500 

3  055  000 
44550OO 

I  5IOOOO 
I  5IOOOO 

94O  OOO 
3  917  OOO 

— 

— 
—     1 

1.305 
2.805; 
3,456 

1,883 

3,449 

15,396 
9,773 

7,322 

2,984 

1,419 

0,329 

10,452 

4,302 

5.166 
1,458 

3,216 
3,782 

2 

- 

1 
2 

2 

I 
I 
21 

I 

2 
I 

3 

24 

4 

0,833 

0,833 
0,833 
0833 
0.416 
0.416 
0,833 

0,416 

0,833 
0,416 

4,838 
10,000 

1.666 

220  000 

3  900  OOO 
261  OOO 

C  OOO  OOO 

300  OOO 
650  OOO 
840  OOO 

I  OO  OOO 

3  200  OOO 
600  OOO 

3  212  OOO 
13  637  700 

815  OOO 

0,212 

3-766 
0,252 
4,828 
0,289 
0,627 
0,811 

0,096 

3.090 
0.579 

10.989 
13,171 

0,7  8  7 

— 
I 

I 

I 
3 

i 

i 

i 

4,416 

0,416 

1,612 

1,249 

0,416 

_ 

O.416 

0,416 

— 

3OO  OOO 

83  OOO 



z 

675  400 
935  400 

560000 

58500 
127  800 

0,289 

0,080 

2,310 
0,903 

— 

0,540 

O.056 

1 
0,123 

0,950 

O202 

O.060 

12  2  03 

5,533 

15, 602 

15,851 

8,972 

Oj.il 

2,692 

9,913 

30.836 

0,202 

4,329 

12,995 

1,800 

6.353 

»,196 
x6,009 
53  940 

0,93u 

1      0,930 

tI,349 

l7,843 

0.171 

0,293 

4,523 

x4,091 

0,040 
7,323 
0,040 
0,040 
1,582 
2,004 
O.041 
0.344 
2,650 
2,731 

0.4  0  0 

0.312 

161  500 

235  000 

100  000 
30  000 
670  222 
303  888 
32'  342 

979  375 

369  575 
75000 

221  833 
2  450000 
1  088  714 

100  000 

1  070  000 
713  722 
445  000 
348  944 

147875 

527  560 

437  128 

460  000 

460  000 

1  402  500 

882  000 

85  000 

72500 

149066 
178  592 

20000 

905000 

20  000 

20000 

195500 

123  825 

20  300 

85  150 

655  000 

450  000 

49  450 
40  400 

930  500 

287  404 

10,026 
15,730 

12 

49 

19,354 
20  41b 

12  965  OOC 
35  356  30C 

44,3üu 

!34,!46 

3 

44 

4,838 
18,333 

3212  OOC 

'2952370c 

10,988 
28,513 

i 
1  8 

1,612 
3.333 

67540c 
2  064  70c 

2,3  IC 
1.993 

59.12S 

209.48t 

47'  39* 
43 1  42<-' 

n 


Kurt  von  Rohrscheidt,  Vor-  und  Rücklicke  auf  Zunftzwang  etc.  1 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und 


Gewerbefreiheit 1). 


Von 
Kurt  von  Rohrseheidt, 

Regierungsassessor. 

Erster  Abschnitt. 
Zur  Einführung  der  Gewerbefreiheit  in  Preußen. 

Durch  das  Gewerbesteueredikt  vom  2.  November  1810  war  für 
ganz  Preußen  eine  allgemeine  Gewerb  e  freiheit  proklamiert, 
und  die  Grundsätze  des  neuen  Systems  waren  in  dem  Gewerbepolizei- 
gesetz vom  7.  September  1811  zu  einem  neuen  Gewerberecht 
vereinigt  worden.  Letzteres  löste,  den  neuen  wirtschaftlichen  An- 
schauungen gehorchend,  die  Fesseln  des  Zunftzwanges  vollständig, 
indem  es  jedem  überließ,  nach  Belieben  sein  Gewerbe  innerhalb  eines 


1)  Quellen-  und  Literaturverzeichnis. 

A.   Akten  des  Königlichen   Geheimen  Staatsarchivs  in  Berlin. 

1)  Acta  generalia  der  geheimen  Registratur  des  Staatskanzlers,  betr.  die  polizeilichen 
Verhältnisse  der  Gewerbe  überhaupt  und  die  Einführung  einer  allgemeinen  Gewerbe- 
freiheit;  R.  74,  K.  3  VIII,  Vol.  I,  1809—1811,  Vol.  II,  1811—1823. 

2)  Acta,  betr.  Gewerbe-  und  Handwerkssachen;  R.   77,  Tit.   306,  No.   73. 

3)  Acta,  betr.  Gewerbesachen;  R.  77,  Tit.  306,  No.   12,  1812  ff. 

4)  Acta  spec,  betr.  die  in  Bezug  ,auf  das  Zunftwesen  eingegangenen  Beschwerden  und 
Anträge;  R.   77,   Tit.  306,  Gewerbe-  und  Handwerkssachen  No.  43,   1811   ff. 

5)  Acta,  betr.   Gewerbesachen;  R.    77,  Tit.   306,  No.   64,  1813—1825. 

6)  Acta,  betr.  die  über  den  Zustand  der  Gewerbsamkeit  in  den  Provinzen  eingegangenen 
Nachrichten;   R.    77,  Tit.  306,  Gewerbesachen  No.   31. 

7)  Acta,  betr.  Aufhebung  des  Verbandes  der  zünftigen  Gesellen,  ingleicben  des  Zunft- 
wesens überhaupt;  R.   77,  Tit.   306,   Gewerbe-  und  Handwerkssachen  No.  1,   1812  ff. 

8)  Acta,  betr.  die  in  den  Provinzen  Sachsen  u.  Westfalen  erfolgte  Aufhebung  der 
Zünfte  u.   s.  w. ;  R.   77,  Tit.  306,  Gewerbe-  und  Handwerkssachen  No.  56. 

B.  Akten  des  Königlichen  Staatsarchivs  in  Königsberg  i./Pr. 
1)  Acta  wegen  Aufhebung  und  Auflösung  des  Zunft-  und  Gewerkswesens,  R.  K.  G.   33, 
Vol.   3,   1837—1842. 
Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LZI1I).  X 


2  Kurt  von  Rohrs  cheidt, 

Zunftverbandes  oder  als  Unzünftiger  auszuüben.  Die  Zünfte  blieben 
nur  als  freie  Korporationen  bestehen  und  bekamen  nicht  nur 
die  Befugnis,  jederzeit  sich  selbst  aufzulösen,  sondern  mußten  es  sich 
auch  gefallen  lassen ,  unter  Umständen  von  der  Landespolizeibehörde 
aufgelöst  zu  werden.  Sodann  wurde  die  allmähliche  Ablösung 
der  in  das  Hypothekenbuch  eingetragenen  veräußerlichen  und  ver- 
erblichen Bankgerechtigkeiten  in  den  Städten  geregelt.  Die 
Brau-  und  Brenngerechtigkeiten  auf  dem  Lande  blieben  im 
allgemeinen  erhalten.  Ferner  traf  das  Gesetz  Bestimmungen  über  das 
Hausiergewerbe,  den  Gewerbebetrieb  der  Ausländer,  den  Be- 
trieb gewisser  verwandter  Gewerbe  unter  einem  Gewerbeschein,  die 
Beibringung  von  Qualifikations-  und  Legitimationsattesten 
und  Einholung  besonderer  Erlaubnis  zur  Ausübung  namentlich 
angegebener  Gewerbe,  und  endlich  hob  es  alle  Waren-  und  Lohn- 
taxen gänzlich  auf.  Die  Annahme  des  Grundsatzes  der  Gewerbefrei- 
heit geschah  unter  gleich  lebhaftem  wie  allgemeinem  Widerspruch 
der  Stände,  der  Stadtgemeinden  und  der  Innuugsmitglieder  selbst. 
Ebenso  reif  wie  die  maßgebenden  Kreise  der  Beamtenwelt  unter  dem 
Einfluß  der  modernen  wirtschaftlichen  Doktrin  für  diese  friedliche  Re- 
volution geworden  waren,  ebenso  unreif  und  unvorbereitet  erschien  trotz 
der  oft  so  fühlbar  gewordenen  Härten  des  alten  Zunftwesens  die  große 
Masse  der  Staatsbürger.  Die  ständischen  Deputierten,  welche 
Hardenberg  im  Jahre  1811  nach  Berlin  zur  Durchberatung  der  ge- 
planten Gesetzesvorlagen  einberufen  hatte,  erklärten  sich  fast  durch- 
gehends  gegen  die  gewerbliche  Reform.  Ueberall  wurde  von  letzterer 
eine  allgemeine  Verarmung,  eine  Verödung  der  Städte  zu  gunsten  des 
platten  Landes  und  der  Niedergang  der  Industrie  befürchtet.  Man 
hielt  die  Annahme,  daß  bei  der  Freiheit  der  Gewerbe  die  Konkur- 
renz in  der  Industrie  den  bisherigen  Ausfall  decken  würde,  für  falsch, 
da  die  Zahl  der  Gewerbetreibenden  sich  täglich  vermehren  werde.  Die 
Zukunft  sah  man  vielmehr  in  den  düstersten  Farben,  dem  Lande  schien 
eine  Ueberschwemmung  durch  unerfahrene  und  gewissenlose  Pfuscher, 
Not  und  Elend  der  alten  Meister  und  ihrer  Familien  und  eine  kläg- 
liche Zerrüttung  des  gesamten  ehrbaren  Handwerks  bevorzustehen. 
Hardenberg  wurde  trotz  unzähliger  Vorstellungen  nach  dieser  Richtung 


C.  Litteratur. 

1)  Aus  dem  Nachlasse  P.  A.  L.  v.  d.  Marwitz,  Bd.  I  und  II,  Berlin  1852. 

2)  v.  Rönne,  Die  Gewerbepolizei  des  preufsischen  Staates,  Breslau  1851. 

3)  J.   G.  Hoff  mann,    Die  Befugnis  zum  Gewerbebetriebe,  Berlin   1841. 

4)  J.   G.  Hoffmann,  Nacblafs  kleiner  Schriften,  Berlin   1847. 

5)  v.  Ulmenstein,  Die  preufsiscbe  Städteordnung,  Berlin   1829. 

6)  Kurt  v.  Rohrscheidt,  Die  Polizeitaxen  und  ihre  Stellung  in  der  Reichsgewerbe- 
ordnung mit  besonderer  Rücksicht  auf  Brottaxen  und  Gewichtsbäckerei,   Berlin  1893. 

7)  Hugo  Böttger,  Das  Programm  der  Handwerker,   Braunschweig  1893. 

8)  K.  A.  v.  Kamptz,  Annalen  der  preufsischen  inneren  Staatsverwaltung,  Berlin 
1817—1839,  Bd.  I,  II,  III,  IV,  VII,  VIII,  IX,  XIII,  XIV,  XV,  XVI,  XVII,  XVIII, 
XX  u.  XXI. 

(Anmerkung.     Die  Akten  werden  im  Text:  A.  No.   1,  No.   2  u.   s.   w.,  B.  No.   1 
citiert.) 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  3 

in  seiner  Ueberzeugung  nicht  irre.  An  Stelle  der  unrettbar  dahin- 
siechenden mittelalterlichen  Institution  mußte  eine  andere  treten,  die 
geeignet  war,  dem  erschlafften  Handwerke  neues  Leben,  und  so  dem 
ganzen  Staatsorganismus  neue  Kräfte  zuzuführen.  Zeitweilige  Störungen 
waren  freilich  unvermeidlich,  selbst  Gefahren  für  einzelne,  namentlich 
ältere  Mitglieder  des  Gewerbestandes  blieben  zu  befürchten,  allein 
Hardenberg  war  mutig  genug,  eine  Einrichtung  zu  wagen  und  zu  ver- 
treten, deren  Früchte  der  Augenblick  nicht  zeitigte,  sondern  die  viel- 
mehr erst  ein  späteres  Geschlecht  zu  pflücken  berufen  war. 

Die  Gesetzgebung  der  Jahre  1810  und  1811  hatte  die  Absicht,  die 
Auflösung  der  Zünfte  von  selbst  im  Fortgange  der  Zeit  herbei- 
zuführen. In  einem  Schreiben  vom  14.  Juli  1812  an  den  Geheimen 
Staatsrat  v.  Heydebreck  *)  bemerkt  der  Staatskanzler  mißfällig, 
daß  bei  manchen  Gelegenheiten  das  Bestreben  einzelner  Behörden  hervor- 
getreten sei,  die  vom  Staate  ausgesprochene  Gewerbefreiheit  und  die 
wohlthätigen  Folgen  derselben  unter  allerlei  Vorwänden  aufzuheben.  Er 
erinnert  daran,  daß  die  noch  für  notwendig  befundenen,  im  Edikte  vom 
7.  September  1811  ausgesprochenen  Beschränkungen  nur  die  zu  großen 
Verluste  eines  plötzlichen  Ueberganges  vom  Zwange  zur  Frei- 
heit verhindern,  nicht  aber  den  früheren  Zwang  wiederherstellen  sollten, 
daß  daher  in  jedem  zweifelhaften  Falle  für  die  Ausdehnung  der  Ge- 
werbefreiheit entschieden  werden  müsse.  Die  damalige  Tendenz,  Ge- 
werbefreiheit zu  gewähren  und  die  noch  bestehenden  Zünfte  nach  und 
nach  aufzulösen,  hat  in  der  Gesetzgebung  der  Neuzeit  eine  Aenderung 
erfahren,  welche  dahin  geht,  unter  Aufrechterhaltung  des  Grundsatzes 
der  Gewerbefreiheit  die  fakultativen  Innungen  zu  wahren  und  zu  stärken. 
Von  der  Auflösungsbefugnis,  welche  §  29  des  Gesetzes  vom  7.  Sept. 
1811  der  Landespolizeibehörde  gab,  wurde  nach  Inhalt  der  Akten  an- 
scheinend sehr  wenig  Gebrauch  gemacht.  Durch  Kabinetsordre  vom 
3.  Juni  1812  2)  wurde  zwar  die  Aufhebung  des  Schlächtergewerks  zu 
Memel  genehmigt  und  zugleich  der  Staatskanzler  bevollmächtigt,  in 
allen  ähnlichen  Fällen  einzelne  Gewerke  nach  Anhörung  des  allgemeinen 
Polizei-  und  des  Gewerbedepartements  aufzulösen.  Allein  später  findet 
sich  in  den  Generalakten  des  Staatskanzleramts  bis  zum  Jahre  1823 
nichts  Weiteres.  Wenn  eine  Zunft  sich  aufgelöst  hatte,  so  wurde  das 
vorhandene  Vermögen  nach  Deckung  der  Schulden  unter  die  Mit- 
glieder verteil  t,  falls  die  Zunft  nicht  etwa  auf  Bankgerech- 
tigkeiten gegründet  war,  dann  floß  es  in  den  Ablösungsfonds,  der 
zur  Beseitigung  dieser  Zwangsgerechtigkeiten,  welche  besonders  die 
Ausbreitung  der  Gewerbefreiheit  hinderten,  dienen  sollte. 

Die  Einführung  der  neuen  Ordnung  ging  nicht  etwa  überall  glatt 
von  statten.  Im  Gegenteil,  ebenso  wie  es  1810  bei  Ausgabe  der  Ge- 
werbescheine häufig  zu  Widersetzlichkeiten ,  ja  zu  kleinen  Aufständen 
gekommen  war,  so  wurden  jetzt  die  unzünftigen  Handwerker 
angefeindet,    zumal   da   sie   nicht   selten  von  Eechten   Gebrauch 


1)  A.  No.  1,  Vol.  II. 

2)  Ebenda. 


4  Kurt  von  Rohrscheidt, 

machen  wollten,  die  auch  jetzt  noch  nur  den  Zunftgenossen  zu- 
Stauden. So  wurden  z.  B.  unzünftige  Berliner  Schuhmacher  arg  ge- 
rn iß  handelt,  als  sie  auf  der  Herberge  Gesellen  anwerben 
wollten.  Die  kurmärkische  Polizeideputation  berichtete  deshalb  unter 
dem  17.  Dezember  1811 *)  über  den  so  tief  in  die  Sicherheitspolizei 
eingreifenden  Vorfall  an  das  Gewerbedepartement,  dessen  Dirigent, 
der  Geheime  Staatsrat  v.  S  c  huckm  an  n  2),  mit  dem  Polizeideparte- 
ment in  Korrespondenz  trat  und  sich  dahin  erklärte,  daß  die  un- 
zünftigen Meister  zwar  sich  selbst  Gehilfen  halten,  auch  zünftige  Ge- 
sellen annehmen  dürften,  allein  nicht  berechtigt  seien,  solche  von  der 
Herberge  der  Zunftmitglieder  zu  holen  oder  vom  Wirt,  der  lediglich 
von  der  Zunft  angesetzt  sei,  zu  verlangen.  Hierdurch  werde  sich  zwar 
die  Unzünftigkeit  langsamer  ausbreiten,  doch  wäre  dabei  weniger  Nach- 
teil, denn  wenn  die  unzünftigen  Meister  aus  Mangel  an  zünftigen  Ge- 
sellen genötigt  würden,  unzünftige  zuzuziehen,  so  bilde  sich  ein  Arbeiter- 
stamm, der  nicht  die  Vorurteile  der  zünftigen  Gesellen 
habe,  und  von  dem  man  einst  die  radikale  Reform  erwarten 
könne,  wofür  die  zünftig  angelernten  Gesellen  größtenteils  durch  die 
von  den  ersten  Lehrjahren  an  eingesogenen  und  in  ihren  Gemütern  un- 
vertilgbaren  Maximen  gänzlich  verloren  seien.  Ferner  habe  der  Staat 
selbst  eine  schleunige  Auflösung  der  Zünfte  nicht  beabsichtigt, 
da  so  viele  kommunale  und  individuelle  Verhältnisse  an  die  Zunft- 
verfassung geknüpft  wären,  daß  es  in  den  meisten  Fällen  rätlich  werde, 
nur  eine  allmähliche  Auflösung  vorzubereiten.  Dazu  liege  der  Keim  nicht 
nur  in  der  allgemeinen  Abstellung  der  Exklusive  der  Zünfte, 
sondern  es  solle  auch  stufenweise  durch  eine  Reform  des  Gesellen- 
wesens3), teils  durch  die  Auflösung  solcher  Gewerbe,  welche  eine  be- 
sonders gemeinschaftliche  Tendenz  hätten,  noch  ausdrücklich  dahin 
gearbeitet  werden.  Daher  sei  es  um  so  weniger  nötig,  eine  schnellere 
Zersetzung  der  Zünfte  dadurch  herbeizuführen,  daß  den  unzünftigen 
Handwerkern  das  Recht  beigelegt  würde,  sich  in  die  Oekonomie 
der  Innungen  zu  mischen  und  von  ihren  Versammlungen  und 
Herbergen  die  Zuweisung  von  Arbeitern  zu  verlangeu.  Sodann  wurde 
der  Polizeideputation  bedeutet,  daß  die  Genehmigung  zur  Auflösung 
einer  Zunft  von  Laudespolizeiwegen  vom  Könige  eingeholt  werden 
müsse3),  da  von  diesem  auch  die  Zunftartikel  sanktioniert  seien.  Es 
wäre  notwendig  gewesen,  dieses  Auflösungsrecht  der  polizeilichen  Ge- 
walt des  Staates  ausdrücklich  zuzusprechen,  weil  die  Gewerksartikel 
am  Schlüsse  gewöhnlich  nur  den  Vorbehalt,  zu  mehren,  zu  mindern 
und  zu  verbessern,  nicht  aber  ganz  aufzuheben,  enthielten,  auch  das 
allgemeine  Landrecht  in  Teil  II,  Tit.  8  §  209  die  Aufhebung  der  Zunft- 
artikel an  lästige  Formen  knüpfe,  welche  beseitigt  werden  müßten. 
Daß  übrigens  unter  „Landespolizeibehörde"  in  diesem  Falle  nicht 
wie  sonst  die  Provinzialbehörden  zu  verstehen  seien,  werde 

1)  A.  No.   7. 

2)  Von  ihm  und    dem  Geh.  Staatsrat  Sack  vom  Polizeidepartement    stammt  das  Ge- 
setz vom   7.  September  1811. 

3)  Eine  solche  ist  aber  nicht  zustande  gekommen. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang    und   Gewerbefreiheit.  5 

daraus  klar,  daß  es  äußerste  Verwirrung  geben  müsse,  wenn  in  dem 
einen  Regierungsdepartement  dieselbe  Zunft  aufgelöst  werde,  die  in 
den  andern  noch  fortdauernd  bestehe.  Solche  Angelegenheiten  griöen 
in  den  Haushalt  des  ganzen  Staates  ein.  Jetzt  werde  es  sich 
nun  vor  allen  Dingen  um  eine  Reform  der  Verfassung  der  zünftigen 
Gesellen  handeln,  unter  welchen  gerade  die  schädlichsten  Zunft- 
mißbräuche  im  Schwange  wären.  Von  der  Verfassung  der  Ge- 
sellenherbergen gingen  wesentlich  die  Unruhen  aus,  deren  besonders 
die  zahlreicheren  Gewerke  sich  von  Zeit  zu  Zeit  schuldig  machten. 
Ferner  werde  es  nötig,  die  städtische  Behörde  zu  bestimmen,  die  die 
Polizei  des  Zunftwesens  haben  solle,  und  zwar  wurde  vorgeschlagen, 
die  Magisträte  nur  dann  damit  zu  beauftragen,  wenn  eine  besondere 
Polizeidirektion  nicht  vorhanden  sei. 

Das  Polizeidepartement  erklärte  sich  durch  Schreiben  vom  27. 
Januar  1812  im  allgemeinen  einverstanden,  worauf  durch  Verfügung  vom 
3.  Februar  1812  der  Polizeipräsident  von  Berlin,  v.  Schlech- 
tendal,  mit  der  Polizei  über  zünftige  und  unzünftige  Gewerbsgenossen 
in  gleicher  Weise  betraut  wurde,  wie  sie  bisher  vom  Magistrat  aus- 
geübt worden  war.  Letzterem  blieb  nur  iusoweit  die  Aufsicht  über  die 
Zünfte,  als  sie  zugleich  städtische  Korporationen  darstellten,  und  es 
auf  Verwaltung  ihrer  inneren,  das  allgemeine  Gewerbeweseu  nicht  be- 
rührenden Gemeindeangelegenheiten,  z.  B.  Vermögen,  Schulden, 
Armen-,  Kranken-,  Waisen-,  Witwen-Unterstützungswesen  ankam. 

Abgesehen  von  dem  Rechte  jedes  zünftigen  wie  unzünftigen  Meisters, 
nach  Belieben  zünftige  oder  unzünftige  Gesellen  anzunehmen, 
schienen  noch  folgende  Bestimmungen  des  Gewerbepolizeiedikts  den 
Bestand  der  Zünfte  zu  untergraben.  Jeder,  welcher  einen  Gewerbe- 
schein gelöst  hatte,  konnte  Meister  werden,  abgesehen  von  den 
wenigen  Handwerken,  wo  besondere  Erlaubnis  und  Qualifikation  ver- 
langt wurde.  Diese  Vorschrift  schien  geeignet,  die  Zahl  der  Meister 
zu  vermehren,  die  der  Gesellen,  der  Arbeiter  zu  vermindern. 
Der  Geselle  kounte  nun  ferner  an  Lohn  fordern,  was  er  wollte, 
während  bisher  der  Lohn  oft  durch  besondere  Taxen  bestimmt  wurde, 
über  die  hinaus  nicht  gezahlt  werden  durfte.  Hieraus  befürchtete 
man  ein  übermäßiges  Steigen  der  Preise,  insbesondere  in  manchen 
Gewerben,  wie  dem  Baugewerbe,  entstehen  zu  sehen  und  dessen  Rück- 
wirkung auf  die  Zünfte  selbst  empfinden  zu  müssen.  Weiter  erlitten 
nach  §  18  des  Gewerbepolizeigesetzes  vom  7.  September  1811  zünftige 
Gesellen  keinen  Nachteil  an  ihren  Zunftrechten,  wenn  sie  sich  bei  un- 
zünftigen Meistern  verdungen.  Ihre  Zunftrechte  wurden  während 
einer  solchen  Dienstzeit  nicht  etwa  suspendiert,  und  sie  konnten 
auch  im  Falle  der  Krankheit  Unterstützung  aus  der  Gesellenkasse 
fordern,  woraus  allerdings  auch  folgte,  daß  sie  ihre  Beiträge  an  diese 
ebenfalls  weiterzuzahlen  hatten.  Sie  konnten  aber  nach  §  14  des  Ge- 
setzes auf  ihre  Zunftrechte  gänzlich  Verzicht  leisten  und  brauchten 
dann  keine  Leistungen  mehr  an  die  Gesellenkasse  zu  machen.  Bei 
der  Aunahme  von  Gesellen  und  Lehrlingen  war  nunmehr  nur  der 
Nachweis    notwendig,    daß    diese    unverdächtig    und    zur    Ver- 


(3  Kurt  von  Rohrscheidt, 

dingung  befugt  waren.  Solcher  Nachweis  wurde  nach  §§  9  und  10 
der  Gesindeordnung  vom  8.  November  1810  durch  Attest  des  vorigen 
Lehrherrn  oder  in  Ermangelung  dessen  durch  ein  obrigkeitliches  Zeug- 
nis erbracht.  In  der  Absicht  der  neuen  Gesetzgebung  lag  es  endlich 
auch,  die  Veranlassungen  zu  den  häufig  en  Versammlungen  auf 
den  Herbergen  zu  nehmen,  da  bei  dem  sogenannten  „Auflegen" 
die  Gesellen  zusammenkamen ,  um  einen  Groschen  zur  Armen- 
oder Kraukenkasse  zu  steuern ,  und  dabei  8  bis  16  Groschen  ver- 
tranken x). 

Auch  nach  Erlaß  des  Gewerbepolizeiedikts  arbeiteten  die  Behör- 
den weiter  an  der  Beseitigung  mancher,  im  Gesetz  noch  nicht  aufge- 
hobenen, überflüssigen  oder  schädlichen  Zunftgewohnheit.  So  berich- 
teten Sack  und  v.  Schuckmann  am  24.  Januar  1812 2)  an  den 
Staatskanzler,  daß  in  allen  Innungsartikeln  der  noch  bestehenden 
zünftigen  Gewerke  die  Vorschrift  enthalten  sei,  ein  Lehrbursche  müsse, 
ehe  er  in  die  Lehre  genommen  werde,  einen  Geburtsbrief  oder, 
im  Falle  der  unehelichen  Geburt,  einen  Legitimationsschein 
beibringen.  Bei  den  u  n  zu  nft ige  n  Handwerkern  sei  nun  ein  solcher 
nicht  erforderlich,  da  nach  §  13  des  Edikts  nur  die  Unverdächtigkeit 
bescheinigt  werden  müsse.  Aber  auch  bei  den  zünftigen  Hand- 
werkern erscheine  die  Beibringung  des  Geburtsbriefes  nur  als  eine 
leere  Formalität,  da  jeder  unehelich  Geborene  die  Legitimation 
quoad  maculam  durch  die  dazu  autorisierte  Regierung  ohne  allen  An- 
stand, und  im  Falle  der  Armut  sogar  gratis,  erhalte.  Sodann  blieben 
auch  die  Geburtsbriefe  lediglich  in  der  Gewerkslade  und  gewährten 
dem,  der  sie  gelöst  habe,  weiter  keinen  Nutzen.  Endlich  wäre  es  auch 
bei  der  verordneten  Gewerbefreiheit  nicht  mehr  angemessen ,  einem 
Knaben,  der  irgend  ein  Handwerk  erlernen  wolle ,  hierbei  erst  den 
Beweis  der  ehelichen  Geburt  abzufordern.  Die  Antragsteller  erbaten 
daher  eine  Deklaration  der  Bestimmung  der  Innungsartikel  da- 
hin ,  daß  die  Beibringung  der  Geburtsbriefe  oder  des  Legitimations- 
scheines nicht  mehr  erforderlich  sei,  vielmehr  der  §  13  des  Gewerbe- 
polizeiedikts auch  auf  die  zünftigen  Lehrlinge  Anwendung 
finden  solle.  Diesem  Antrage  wurde  durch  Kabinetsordre  vom  3.  Fe- 
bruar 1812  entsprochen. 

Das  stehende  Gewerbe  erhält  sein  Gepräge  dadurch,  daß  es 
im  großen  und  ganzen  dauernd  von  einem  bestimmten  Lokale 
aus  betrieben  wird.  Es  dürfen  natürlich  auch  mehrere  Lokale  vor- 
handen sein,  wie  z.  B.  bei  Fleischern  und  Bäckern,  welche  neben  dem 
Schlacht-  und  Backhause  hiervon  abgesonderte  Läden  besitzen.  Andere 
stehende  Gewerbe  können  nur  teilweise  von  einem  festen  Lokale 
aus  betrieben  werden.  So  verfertigt  der  Schlosser  zwar  Schlösser 
u.  s.  w.  in  seiner  Werkstätte,  allein  das  Anschlagen  hat  an  Ort  und 
Stelle  in  den  Häusern ,  für  welche  sie  bestimmt  sind ,  zu  erfolgen. 
Die   Grundlage    solcher  Thätigkeit    bleibt    aber    dennoch    die    feste 


1)  A.  No.   7. 

2)  A.  No.  1,  Vol.  IL 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  7 

Werkstätte.  Bei  gewissen  Gewerben  können  endlich  alle  Ver- 
richtungen nur  an  den  Orten  vollzogen  werden,  wo  man  ihrer  bedarf. 
Dies  gilt  z.  B.  von  Maurern,  Anstreichern,  Zimmermalern,  Schorn- 
steinfegern u.  s.  w.  Auch  solche  Gewerbe  gehören  den  stehenden  an, 
sofern  nur  ihr  Unternehmer  einen  bestimmten  Wohnsitz  hat 
und  an  diesem  die  Aufträge  seiner  Kunden  erwartet.  Häufig  kommt 
es  auch  vor,  daß  an  einen  stehenden  Gewerbebetrieb  sich  ein  solcher 
im  Umherziehen  anschließt  und  sich  mit  ihm  zu  einem  Ganzen 
verbindet.  Glaser  z.  B.  schicken  ihre  Gehilfen  mit  Glas  und  Werk- 
zeugen in  der  ländlichen  Umgebung  ihres  Wohnsitzes  herum  und  lassen 
nachfragen,  ob  irgend  jemand  neue  Fensterscheiben  nötig  hat.  Dies 
ist  ein  Gewerbe,  welches  auch  allein  im  Umherziehen  ausgeübt 
werden  könnte,  welches  aber  im  Anschluß  an  einen  stehenden  Betrieb 
mehr  Sicherheit  für  die  Befriedigung  eines  unaufschiebbaren  Bedürf- 
nisses bietet,  als  wenn  ein  Handwerker  darauf  wanderte  ').  Der  Ge- 
werbebetrieb im  Umherziehen  ist  bereits  im  Anfange  des  Jahrhunderts 
mehr  geduldet  als  begünstigt  worden ,  weil  man  sich  nicht  der 
Ueberzeugung  verschloß,  daß  die  Personen,  welche  sich  mit  ihm  be- 
schäftigten, einen  häufigen  Mißbrauch  befürchten  ließen.  Schwere 
Gefahren  sittlicher  und  wirtschaftlicher  Natur  schienen  von  ihm  aus- 
zugehen, und  doch  konnte  er  so  wenig  als  noch  jetzt  völlig  entbehrt 
werden.  Gerade  hier  war  es  schwierig,  den  Grundsatz  der  möglichsten 
Freiheit  von  polizeilicher  Bevormundung  mit  der  ebenso  wichtigen 
Fürsorge  für  das  Gemeinwohl  in  Harmonie  zu  bringen.  Auch  war 
Rücksicht  zu  nehmen  auf  die  Gewohnheit,  die  sich  einmal  unter  der 
Landbevölkerung  eingebürgert  hatte.  Das  Gewerbepolizeiedikt  ließ 
daher  den  Hausierhandel  ganz  allgemein  gegen  Lösung  eines  be- 
sonderen Gewerbescheines  zu  und  schloß  nur  aus  finanziellen 
Rücksichten  den  Verkauf  gewisser  Waren  aus.  Um  nach  Möglichkeit 
vor  den  Nachteilen  zu  bewahren ,  welche  der  Hausierhandel  für  die 
höheren  Güter  des  geselligen  Lebens,  für  Sicherheit,  Sittlichkeit  und 
eine  edlere  Entwickelung  der  Gewerbsamkeit  in  sich  birgt,  bestimmte 
das  Gesetz,  daß  gegen  die  betreffenden  Gewerbetreibenden  keine  be- 
gründete Beschwerde  bez.  ihrer  Rechtlichkeit  vorliegen  durfte. 
In  der  Regel  waren  keine  Waren  ausgeschlossen ,  abgesehen  von 
Kolonialwaren,  Arzeneien  und  Giften.  Ein  Verbot,  andere 
Waren  zu  führen,  konnte  nur  durch  besondere  Umstände  und  in  ein- 
zelnen Fällen  gerechtfertigt  werden. 

Die  unruhigen  und  kritischen  Zeiten  während  und  nach  Erlaß  des 
Edikts  vom  7.  September  1811  ließen  eine  besondere  Ueberwachung 
des  Hausierhandels  nötig  erscheinen.  Politische  Gründe  geboten  dem 
Staatskanzler  durch  Erlaß  vom  1.  Dezember  1811  den  Gewerbebetrieb 
umherziehender  Künstler,  Tierführer  u.  s.  w.,  unter  deren 
Maske  ein  weitverzweigtes  Spionagesystem  organisiert  werden  konnte, 
zu  beschränken.  Zur  Erteilung  von  Gewerbescheinen  an  solche  Per- 
sonen war  ein    besonderer   Dezernent,    der   Staatsrat    Grunert, 


1)  Vgl.  J.  G.  Hoffmann,  Die  Befugnis  zum  Gewerbebetriebe    S.  239  ff.,  S.   254  ff. 


g  Kurt  von  Rohrscheidt, 

bestellt  worden,  so  daß  der  ganze  Hausierhandel  von  einer  Zentral- 
stelle kontrolliert  werden  konnte.  Diese  Maßregel  wurde  durch  Erlaß 
des  Staatskanzlers  vom  23.  März  1812  wieder  aufgehoben  x).  Das 
Polizeidepartement  verfügte  unter  dem  27.  April  1813,  daß  die 
Zeitumstände  größere  Vorsicht  bei  der  polizeilichen  Genehmigung 
und  Kontrolle  der  umherziehenden  Gewerbetreibenden  erforderten.  Es 
sollten  daher  die  Vorschriften  der  §§  146  und  160  des  Edikts  streng 
angewendet  und  keine  Personen  zugelassen  werden,  deren  Rechtlichkeit 
und  Zuverlässigkeit  nicht  durch  glaubwürdige,  auf  sorgfältige  Be- 
obachtung gegründete  Zeugnisse  nachgewiesen  sei.  An  Ausländer 
sollte  nur  in  ganz  besonderen  dringenden  Fällen  die  Genehmigung 
erteilt  werden,  und  die  nach  §§  148  und  149  zu  erstattenden  Atteste 
müßten  darthun,  daß  nicht  nur  gegen  die  Rechtlichkeit  der  Antrag- 
steller kein  Bedenken  vorliege ,  sondern  auch ,  daß  nach  sorgfältiger 
Beobachtung  nichts  vorgekommen  sei,  was  ihre  Zuverlässigkeit 
zweifelhaft  mache.  Kurz  darauf  wurde  auf  Grund  eines  Berichtes  der 
Polizeideputation  der  Neumärkischen  Regierung  vom 
21.  August  1813  und  nach  Einholung  eines  Gutachtens  des  Gewerbe- 
departements vom  Polizeidepartement  am  13.  Dezember  verfügt2),  es 
sei  irrig,  anzunehmen,  daß  nach  den  Edikten  vom  2.  November  1810 
und  vom  7.  September  1811  demjenigen  die  Erlaubnis  zum  Hausieren 
erteilt  werden  müsse,  der  ein  Zeugnis  über  seine  Zuverlässigkeit 
beibringen  könne.  Einmal  sei  durch  §  146  des  letzteren  Gesetzes  der 
Behörde  überlassen,  durch  welche  Mittel  sie  sich  die  Zuverlässigkeit 
nachweisen  lassen  wolle.  Sie  sei  also  bei  ihrem  Urteil  an  keine 
Form  gebunden  und  könne  den  Schein  versagen,  wo  ihr  diese 
Ueberzeugung  mangle,  sobald  ihr  in  den  Verhältnissen  des  Petenten 
hierzu  ein  haltbarer  Grund  aufstoße.  Es  komme  nicht  darauf  an,  daß 
der  Antragsteller  bisher  ein  tadelloses  Leben  geführt  habe  und 
ihm  daher  nichts  Böses  zuzutrauen  sei.  Das  Staatsinteresse  werde 
bei  dem  herumziehenden  Gewerbe  in  mehr  als  in  dieser  einen 
Hinsicht  gefährdet.  Polizeiliche  und  finanzielle  Nachteile  seien  von 
dieser  Verkehrsart  zu  besorgen,  welche  auch  nicht  dadurch  ausge- 
schlossen würden,  daß  der  Gewerbetreibende  kein  moralisch 
schlechter  Mensch  sei,  und  die  Zuverlässigkeit  desselben  könne 
also,  wo  dergleichen  Besorgnisse  obwalteten ,  nur  dann  für  bekannt 
angenommen  werden,  wenn  seine  Persönlichkeit  oder  Verhältnisse  hin- 
längliche Garantie  böten.  Hiernach  seien  die  besonderen  Vor- 
schriften über  die  Ausländer3):  daß  solche  sich  im  Lande 
ankaufen  müßten,  eine  größere  Sorgfalt  bei  Ausstellung  der 
Qualifikationsatteste,  die  für  die  Lingen'schen  Packenträger  zu  stellende 
Bürgschaft  inländischer  Fabrikanten  u.  s.  w.,  nur  als  Instruktion 
über  die  Anwendung  der  allgemeinen  Grundsätze  unter  bestimmten 
Umständen   zu   betrachten.     Die  Verhältnisse    wären   so   verschie- 


1)  A.  No.  1,  Vol.  II  u.  No.   3. 

2)  A.  No.  3. 

3)  Vgl.  §  22  des  allgemeinen  Pafsreglements  v.  20.  März  1813,  6.  S.  S.  47  ff. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  9 

den,  derselbe  Betrieb  erscheine  in  dem  einen  Falle  ganz  unschädlich, 
Mm  andern  schädlich,  so  daß  man  ohne  Benachteiligung  der  Gewerbe- 
freiheit einerseits,  des  polizeilichen  uud  finanziellen  Staatsinteresses 
andererseits,  keine  speziellen  Vorschriften  darüber  erteilen 
könne,  sondern  die  Unschädlichkeitsprüfung  in  jedem  einzelnen  Falle 
dem  vernünftigen  Ermessen  der  einzelnen  Behörden  überlassen  müsse. 
Daher  seien  die  Vorschriften  des  Edikts  vom  7.  September  1811  ganz 
allgemein  gefaßt,  wenig  individuell,  uud  die  Entscheidung 
den  Provinzial-  und  oberen  Staatsbehörden  anheimgestellt.  Es  sei 
nicht  beabsichtigt,  durch  die  Gestattung  des  Hausiergewerbes  dem 
großen  Publikum  Vorteile  zuzuwenden,  sondern  unter  Verhütung 
von  Nachteilen  für  das  letztere  nur  einen  persönlichen  Nutzen 
der  Gewerbetreibenden  zu  erzielen.  Als  Anforderungen  an  die 
Hausierer  könne  mau  bezeichnen,  daß  sie  rechtliche  Leute  wären, 
daß  ferner  keine  politische  oder  finanzielle  Nachteile  be- 
sorgt werden  müßten,  und  endlich,  daß,  falls  letztere  Gefahr  dennoch 
vorliege,  diese  durch  die  Persönlichkeit  des  Petenten,  durch 
besondere  Orts-  und  Sach Verhältnisse  oder  eine  bestimmte  Kon- 
trolle beseitigt  würde. 

Die  Polizeideputation  hatte  in  ihrer  Vorstellung  die  Befürchtung 
ausgesprochen,  daß  durch  die  Kontrollierung  der  Hausierer  der  Polizei 
zu  große  Arbeit  erwachsen  würde.  Durch  den  Handel  im  Umherziehen 
seien  öffentliche  Ruhestörungen  und  Verletzungen  des  Privat- 
eigentums zu  befürchten.  Personal-  und  Lokalkenntnisse  würden  dabei 
gesammelt,  die  schlecht  benutzt  werden  und  außerordentliche  Nachteile 
bringen  könnten.  Die  Gefahr  sei  um  so  größer,  als  die  Lust  zum 
V agieren  sich  schon  deshalb  vermehre,  weil  die  Vaganten  den 
Druck  der  Kommunallasten  weit  weniger  empfänden  als  die  Zurück- 
bleibenden. Sie  bat  daher,  den  Hausierhandel,  dessen  allgemeine  Be- 
günstigung ungleich  nachteiliger  wirke  als  seine  allgemeine  Beschrän- 
kung, einzudämmen  und  machte  folgende  Vorschläge.  Der  Verkauf 
der  Lebensmittel  vom  Lande  in  die  Städte  sei  für  Kon- 
sumenten wie  Produzenten  vorteilhaft,  weil  dann  die  Städte  nicht  leicht 
Mangel  litten,  die  Konkurrenz  erweitert,  der  Preis  der  Waren  herab- 
gesetzt und  der  Markt  versorgt  werde.  Auch  blieben  dadurch  den 
Landbewohnern  besondere  Stadtreisen  erspart,  weil  sie  schon  wegen 
des  Verkaufs  der  Nahrungsmittel  dahin  reisen  müßten.  Der  Verkauf 
vom  Lande  auf  das  Land  sei  unbedeutend  und  unnötig, 
während  der  Verkauf  der  Nahrungsmittel  von  den  Städten  auf 
das  Land  überhaupt  nicht  begünstigt  werden  dürfe,  weil  immer 
mehr  Bäcker,  Fleischer  u.  s.  w.  auf  das  Land  zögen  und  die  Land- 
leute keinen  Vorteil  davon  hätten.  Der  Aufkauf  von  Wolle  und 
Teer,  das  Sammeln  von  Hadern,  Fäden,  Garn  wäre  nützlich, 
die  Zwischenhändler  wirkten  wohlthätig  für  Fabrikanten  und  machten 
den  Verkehr  mit  nützlichen  Gegenständen,  die  sonst  unbenutzt  bleiben 
würden,  möglich.  So  erschienen  sie  für  das  Publikum  notwendig  und 
unentbehrlich.  Anders  verhalte  es  sich  aber  mit  dem  Vertrieb  von 
Fabrikwaren,  Kurzwaren,   physikalischen  und  mathematischen 


^0  Kurt  von  Rohrscheidt, 

Instrumenten,  Galanterie-  und  Putzwaren.  Hierdurch 
würden  unnütze  Ausgaben  verursacht,  andere  könnlen  besser  und 
billiger  bei  einem  gelegentlichen  Besuch  der  Stadt  erworben  werden. 
Der  Haudel  hiermit  möge  im  allgemeinen  verboten  und  ausnahms- 
weise nur  solchen  Personen  gestattet  werden,  die  krank  seien,  oder  zu 
anderen  Gewerben  keine  Kraft  und  Fertigkeit  hätten.  Auch  könne 
man  solche  Waren  freigeben,  die  in  den  kleinen  Städten  meistens 
nicht  zu  finden  seien.  Besonders  würden  Juden  verlangen,  mit 
Schnittwaren  und  Kurzwaren  zu  hausieren,  und  sie  seien  schon 
in  großer  Anzahl  und  mit  Ungestüm  um  Genehmigung  eingekommen. 
Personen,  welche  dem  Publikum  ihre  Dienste  anbieten  wollten, 
und  die  besondere  Kunstfertigkeit  zur  Befriedigung  von  Vergnügungs- 
lust, zur  Ausbildung  und  Belehrung  besäßen,  sollte  man  zulassen.  Das 
Vorfühlen  fremder  Tiere,  abgerichteter  Pferde  und 
Hunde  wäre  zu  genehmigen,  solange  es  sich  selten  zeigte,  da  das 
gemeine  Volk  auch  solche  Vergnügungen  haben  wolle.  Musikanten 
würden  dagegen  nur  dann  zu  konzessionieren  sein,  wenn  sie  nach  ihrer 
körperlichen  Beschaffenheit  keiner  anderen  Beschäftigung  obliegen  könnten. 
Topfbinder  aber  und  Kesselflicker,  Viehkastrierer ,  Vertreiber  von 
Ratten  und  Mäusen  blieben  unentbehrlich. 

Das  Departement  bestätigte  in  seiner  Entscheidung,  daß  das 
Aufkaufen  von  Lebensmitteln  und  anderen  Bedürfnissen  auf 
dem  platten  Lande  zum  Stadtverkaufe  für  die  Gewerbe  nützlich  und 
notwendig  sei.  Beim  Aufkauf  von  Viktualien  auf  dem  Lande  zum 
Verkauf  dortselbst  komme  es  dagegen  auf  die  Umstände  und  die 
Lokalität  an.  Es  ließe  sich  auch  nicht  gut  kontrollieren,  ob  die 
Waren  wieder  auf  dem  Lande  verkauft  würden.  Der  Verkauf  von 
Lebensmitteln  aus  den  Städten  nach  dem  Lande  solle  allerdings 
nicht  begünstigt  werden ,  er  werde  aber  von  selbst  nicht  stattfinden, 
wenn  die  Leute  die  Möglichkeit  hätten,  sich  ihre  Bedürfnisse  an  ihrem 
Wohnort  zu  verschaffen  oder  gelegentlich  aus  der  Stadt  zu  holen. 
Hausierhandel  mit  Wolle,  Teer,  Garn,  Federn  u.  s.  w.  sei  in 
gewerblicher  Hiusicht  nützlich  und  notwendig,  ein  solcher  mit  Fabrik- 
waren könne  dem  Finanzinteresse  nachteilig  werden  und  sei  vorder 
Hand  noch  als  verboten  anzusehen.  Der  Vertrieb  von  Kurz-  und 
Galanteriewaren  werde  oft  gemißbraucht,  daher  sei  kein  Grund, 
ihn  zu  befördern,  dagegen  aber  zu  wünschen,  daß  die  Landleute  Ge- 
legenheit hätten,  sich  mit  den  zu  ihrem  Gewerbe  nötigen  Eisen- 
waren zu  versehen.  Es  solle  also  der  Verkehr  von  Eisenhändlern 
auf  dem  platten  Lande  nicht  erschwert  werden.  Topfbinder  und 
Kesselflicker  seien  unentbehrlich,  da  aber  diese  Art  von  Leuten 
die  öffentliche  Sicherheit  leicht  gefährden  könne,  so  müsse  deren 
Qualifikation  genau  nachgewiesen  werden.  Ferner  wurde  bemerkt, 
daß,  wenn  Leute  durch  Umherziehen  sich  den  öffentlichenLasten 
entzögen  dies  zwar  ein  Uebelstand  sei,  der  aber  nicht  die  Auf- 
hebung oder  Einschränkung  dieser  Gewerbsart  rechtfertige.  Wenn 
faule  Leute  mit  unbedeutendem  Kram  umherzögen  und  unter  diesem 
Deckmantel    bettelten,    das  Publikum   mit  Zudringlichkeiten    be- 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und   Gewerbefreiheit. 

lästigten,  oder  Gelegenheit  zu  Verbrechen  ablauerten,  so 
gäbe  dies  den  genehmigenden  Behörden  nur  Veranlassung,  auf  die 
sorgfaltigste  Prüfung  der  individuellen  Verhältnisse  jedes  Falles  zu 
achten.  Die  Genehmigung  sei  ja  völlig  dem  polizeilichen  Er- 
messen anheimgestellt  und  könne  ohne  Angabe  von  Gründen 
verweigert  werden,  wogegen  es  nur  Rekurs  an  die  obere  Polizeiinstanz 
gebe.  Es  könnten  daher  die  vorgeschlagenen  Beschränkungen  keine 
Billigung  finden,  nur  wegen  des  Haudels  mit  Schnittwaren 
möge  die  Entscheidung  des  Staatskanzlers  abgewartet  werden.  Die 
Deputation  der  Regierung  hatte  auch  angefragt,  wie  es  mit  aner- 
kannten Künstlern  werden  solle,  die  durch  die  Provinz  reisten 
und  sich  nur  in  einigen  Städten  aufhielten,  um  Gelegenheit  zum  Er- 
werbe zu  suchen.  Müsse  die  Einholung  der  Konzession  verlangt 
werden,  oder  genüge  ein  gültiger  Reisepaß  zur  Legitimation?  Es 
wurde  entschieden,  daß  es  dem  verständigen  Ermessen  der  Ortsbehörde 
und  der  eigenen  Vorsicht  der  Reisenden  überlassen  werde,  daß  die- 
selben keine  unnötigen  und  ungeziemenden  Hindernisse 
fänden  und  nicht  mit  den  Umzü  gier  n  verwechselt  würden,  welche 
eine  polizeiliche  Erlaubnis  zu  ihren  Ausstellungen  bedürften. 

Der  Gewerbebetrieb  im  Umherziehen  erhielt  später  eine  eingehende 
Regelung  durch  das  Regulativ  vom  28.  April  1824;  ferner  erging 
unter  dem  11.  Juni  1826  eine  Allerhöchste  Kabinetsordre 
betr.  die  äußeren  Bestimmungen  in  Bezug  auf  die  §§  3  und  35  des 
Gewerbesteuergesetzes  vom  30.  Mai  1820  und  Modifikation  der  §§  21 
— 24  des  Regulativs  vom  28.  April  1824.  Weiter  wurde  eine  Ka- 
binetsordre vom  27.  März  1828  zu  §  5  des  genannten  Regulativs 
erlassen,  und  eine  andere  vom  15.  Juli  1829  modifizierte  die  ge- 
samten Vorschriften  über  Lösung  von  Gewerbescheinen. 

Durch  die  §§  52  und  53  des  Gewerbepolizeigesetzes  waren  die 
bisherigen  Realberechtigungen  auf  dem  Lande,  die  Brau- 
und  Brenngerechtigkeiten,  den  bisherigen  Besitzern  erhalten  geblieben, 
und  die  Ausübung  dieser  Rechte  nur  anderen  Grundbesitzern  gestattet, 
welche  Güter  von  wenigstens  15000  Thalern  an  Wert  besaßen.  Bei 
denen,  welche  schon  nach  dem  Edikt  vom  2.  November  1810  und  vor 
dem  vom  7.  September  1811  Brennereien  angelegt  hatten,  sollte 
untersucht  werden,  ob  ihnen  die  Fortsetzung  des  Gewerbes  ohne 
Nach  teil  gestattet  werden  könne.  Die  Geheimen  Staatsräte  v.  Heyde- 
breck  und  Schuckmann  fragten  daher  unter  dem  30.  November  1811 J) 
darüber  an,  nach  welchen  Grundsätzen  diese  Nachteile  zu  beurteilen 
seien.  Da  die  Bestimmungen  des  Edikts  den  Zweck  verfolgten,  den 
Wert  der  auf  Landgütern  als  Grundgerechtigkeit  haftenden  Getränke- 
fabrikation zum  Besten  des  Realkredits  wiederherzustellen,  so  seien 
als  Nachteil  wohl  der  Ausfall  an  dem  Taxwerte  der  Getränke- 
fabrikationsberechtigung benachbarter  Güter  anzusehen,  der  durch  die 
neuen  Fabrikationsanlagen  unabwendbar  entstehen  werde.  Der  Staats- 
kanzler antwortete  durch   Erlaß   vom  3.  Februar  1812,    daß  er  mit 

1)  A.  No.    1,   Vol.   II. 


12  KurtvonRohrscheidt, 

dieser  Ansicht  ganz  einverstanden  sei.  Danach  würden  neue  Brauerei- 
und  Brennereianlagen  nur  für  die  zu  einem  Komplexus  gehörigen, 
früher  zum  Zwangsdebit  berechtigten  Güter  nach  den  Be- 
stimmungen des  Edikts  zu  beschränken ,  in  andern  keinem  Zwange 
unterworfen  gewesenen  Gütern  oder  Grundstücken  aber  möglichst  zu 
erleichtern  sein,  denn  auf  diese  wirke  nur  Konkurrenz,  und  der 
Getränkeabsatz  an  dieselben  könne  vernünftigerweise  nie  in  die  Aus- 
mittelungen des  Werts  derjenigen  Güter  aufgenommen  werden,  welche 
solchen  bloß  der  Betriebsamkeit  ihrer  Besitzer  oder  zufälligen  Um- 
ständen verdankt  hätten. 

Auch  über  die  Bedeutung  des  Krugsverlagsrechts1),  das 
heißt  des  Rechts,  von  jemandem  zu  verlangen,  das  er  daß  zu  seinem 
Debit  erforderliche  Getränk  aus  einer  bestimmten  Fabrikations- 
stätte entnehme,  waren  Meinungsverschiedenheiten  entstanden,  da 
das  Gewerbepolizeiedikt  in  §  54  verordnete,  daß  der  Inhaber  einer 
Schankstätte  solche  neue  Verpflichtungen  durch  Vertrag  ein- 
gehen und  nur  niemand  sich  verbindlich  machen  dürfe,  den  Bedarf 
zu  seiner  eigenen  Konsumtion  aus  einer  bestimmten  Schank- 
stätte zu  decken.  Vor  Publikation  des  Edikts  vom  28.  Oktober  1810 
wegen  Aufhebung  des  Bier-  und  Branntweinzwanges 
war  das  Krugsverlagsrecht  in  der  Art  ausschließlich,  daß  innerhalb 
derjenigen  Ortschaften,  welche  einem  solchen  Rechte  unterworfen  waren, 
überall  kein  anderer  als  der  von  dem  Verlagsberechtigten  autorisierte 
Getränkeverkauf  ausgeübt  werden  durfte.  Nur  im  Falle  erwiesener 
schlechter  Qualität  des  Getränkes  oder  übertriebener  Preise  würde 
damals  die  Landespolizeibehörde  auf  Zeit  den  Schänkern  die  Be- 
fugnis erteilt  haben,  ihren  Bedarf  aus  einer  beliebigen  accisebaren  Stadt 
zu  nehmen.  Durch  §  1  des  Edikts  vom  28.  Oktober  1810  war  das 
mit  einer  Brauerei,  Brennerei  oder  eines  Schanks  verbundene  Recht, 
andere  zum  ausschließlichen  Bezug  des  Getränkes  zu  zwingen,  aufge- 
hoben worden.  Der  Geheime  Staatsrat  v.  Heydebreck,  als  Chef 
des  Einkommendepartements,  vertrat  nun  die  Ansicht,  daß  durch  den 
oben  erwähnten  §  54  des  Gewerbepolizeiedikts  dieses  Recht  mit  Aus- 
nahme des  Konsumtionszwanges  und  mit  dem  Nachlaß  einer  simultanen 
Fabrikations-  und  eingeschränkten  Verkaufsbefugnis  etwaiger  mit  einem 
Grundeigentum  von  15000  Thlrn.  an  dem  Zwangspflichtigen  Orte  ein- 
gesessenen Besitzer  in  seinem  ganzen  Umfange  wiederherge- 
stellt sei.  Die  Absicht,  den  Besitzstand  bez.  die  Veiiagsrechte  bis 
auf  die  beiden  ausgenommenen  Punkte  völlig  un  gekränkt  zu  er- 
halten, wäre  vorhanden  gewesen,  weil  darauf  bei  Landgütern  ein 
wesentlicher  Teil  ihres  Realwerts,  ein  Substrat  der  landschaftlichen 
Taxe  und  der  Pfandbriefssicherheit,  bei  Kommunen  aber  ein  wichtiger 
Teil  ihrer  Erwerbsmittel  beruhe.  In  Fällen,  wo  accisbare  Städte 
ein  Verlagsrecht  auf  dem  Lande  ausübten,  würde  die  Wiederherstellung 
desselben  nur  illusorisch  sein,  wenn  sie  nur  auf  die  schon  vor- 
handenen Schankstätten  eingeschränkt  wäre.     Denn  der  Schanker   auf 

1)  A.  No.   1,  Vol.  i. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und   Gewerbefreiheit.  J3 

dem  Lande,  welcher  städtisches  Bier  zu  verschänken  verpflichtet  sei, 
könne  wegen  der  darauf  ruhenden  Abgaben  nicht  mit  dem  Schanker 
Preis  halten,  der  Landbiere  feil  habe.  Dürfe  also  auch  an  dem- 
selben Orte  eine  Schankstelle  angelegt  werden,  die  der  Stadt  nicht 
zwangspflichtig  sei,  so  werde  der  Schanker,  der  städtisches 
Bier  ausschänken  müsse,  bald  allen  Absatz  verlieren,  und  die  Stadt 
dadurch  um  die  Früchte  ihres  Verlagsrechts  kommen.  Auch  der 
Accisekasse  würden  dadurch  die  Abgaben  entgehen,  die  sie  bisher 
von  dem  städtischen  Biere  bezogen  habe,  welches  auf  dem  Lande  ver- 
schänkt  worden,  aber  nun  nicht  mehr  verschänkt  werden  könne,  wenn 
das  Verlagsrecht  aufhöre,  ausschließlich  zu  sein,  und  außer  den  Zwangs- 
pflichtigen andere  freie  Schänken  an  demselben  Orte  angelegt  werden 
dürften. 

Auf  einen  anderen  Standpunkt  stellte  sich  Schuckmann,  indem 
er  glaubte,  daß  das  ausschließliche  Krugsverlagsrecht  gegen  ganze 
Ortschaften  und  Landflächen  keineswegs  wiederhergestellt 
worden,  sondern  nur  allein  das  restriktive  Verlagsrecht  gegen  die- 
jenigen einzelnen  Schankstätten,  welche  demselben  vor  Publi- 
kation des  Edikts  vom  28.  Oktober  1810  unterworfen  gewesen.  Es 
sei  überhaupt  nicht  die  Absicht  des  Gesetzgebers,  alle  Real  rechte 
in  Rücksicht  des  Getränkedebits  wiederherzustellen,  sonst  hätte  nicht 
nur  das  Verlagsrecht,  sondern  auch  der  Getränkezwang  gegen  die 
Konsumenten  restituiert  werden  müssen,  was  doch  nicht  geschehen. 
Das  Gesetz  spreche  ausdrücklich  nur  von  Verlagspflichtigen 
Schankstätten,  nicht  von  solchen  Dorfschaften  oder  Gütern, 
und  es  sei  wider  den  Geist  der  Gesetzgebung,  es  da  erweiternd 
zu  deuten,  wo  es  Beschränkungen  der  als  Regel  anerkannten 
Gewerbefreiheit  anordne.  In  §  55,  der  die  Bedingungen  neuer 
Schankstätten  festsetzt,  müßte  ihre  Verpflichtung  unter  das  Krugs- 
verlagsrecht bestimmen,  wenn  man  annehmen  wollte,  daß  sie  im  Sinne 
des  Gesetzes  liege.  Es  gehe  aber  das  Gegenteil  hervor.  Nach 
§  53  solle  zum  Debit  brauen  und  brennen  können,  wer  ein  Grundstück 
von  15  000  Thlr.  Wert  habe,  und  nach  §  55  dürfe  ein  solcher  in 
seinem  Hofe  im  Detail  Getränke  verkaufen.  Wie  könne 
man  also  annehmen,  daß  das  alte  ausschließliche  Krugverlagsrecht  auf 
ganze  Ortschaften  hergestellt  sei?  Ferner  könne  die  in  §  161 
ganz  allgemeine  und  unbedingt  ausgesprochene  Aufhebung  aller 
Viktualientaxen  mit  einem  Verlagsrechte ,  welches  nicht  bloß 
einzelne  Schankstellen ,  sondern  ganze  Ortschaften  umfasse,  nicht 
wohl  vereinigt  werden,  denn  der  Verlagsberechtigte  könnte 
nun  ganz  willkürlich  ganze  Ortschaften  in  die  mißliche  Alternative 
setzen,  entweder  sein  Getränk  zujeden  ihm  beliebigen  Preise 
abzunehmen  oder  anderes  wohlfeileres  Getränk  aus  vielleicht  weit 
entlegenen  Schankstellen,  über  welche  sich  der  Verlagsbann 
nicht  mehr  erstrecke,  mit  großer  Versäumnis  zu  holen,  und  die  Polizei 
würde  durchaus  kein  Mittel  haben,  solcher  Bedrückung  zu  steuern. 
Wider  unbegründete  und  unzeitige  Störungen  des  Verlagsrechts  sei 
jeder  Berechtigte  durch  §  55  des  Edikts  unter  den  besonderen  Schutz 


14  Kurt  von  Rohrscheidt, 

der  Polizei  gestellt,  wonach  neue  Schankstätten  nur  unter  aus- 
drücklicher Genehmigung  der  Kreis  -  Polizeibehörde  und  nur  aus 
Gründen  der  öffentlichen  Nützlichkeit  angelegt  werden 
sollten.  Der  Verlagsberechtigte  sei  also  so  lange  sicher,  daß  neben  der 
ihm  zwangspflichtigen  alten  Schankstätte  keine  neue  ihm  nicht  zwangs- 
pflichtige  augelegt  werde,  als  er  Getränke  in  hinreichender  Menge, 
Güte  und  Wohlfeilheit  liefere.  Nur  wo  letzteres  nicht  der  Fall  sei, 
könne  ein  öffentliches  Interesse  entstehen,  Konkurrenz  durch  Anlage 
einer  neuen,  nicht  Verlagspflichtigen  Schankstelle  zu  erzeugen.  Die 
Polizei  sei  dann  allein  berechtigt  und  verpflichtet,  den  Druck,  welchen 
jemand  unter  dem  Schutze  Reines  Verlagsrechtes  ausübe,  zu  hindern, 
und  jener  habe  die  für  ihn  nachteiligen  Folgen  der  neuen  Konkurrenz 
nur  sich  selbst  zuzuschreiben.  Ein  Widerspruch  wegen  des  Abgaben- 
interesses  sei  gesetzlich  nicht  begründet.  Durch  das  Finanz-Edikt 
vom  7.  September  1811  wäre  dem  ganzen  platten  Lande  das 
Recht  zugesichert,  Bier  haben  zu  können,  das  nur  mit  6  Groschen 
für  den  Scheffel  Weizen  und  4  Groschen  für  den  Scheffel  Gerstenmalz 
versteuert  werde.  Und  wenn  es  ehemals  auch  die  Absicht  gewesen 
sein  möge,  das  platte  Land  indirekt  unter  die  städtische  Accise  be- 
bezüglich der  gemeinen  Lebensmittel  dadurch  zu  bringen, 
daß  man  den  Debit  der  Städte  an  Backwerk,  Fleisch  und  Getränke 
an  Landleute  durch  alle  ersinnlichen  Hilfsmittel  und  Verkehrsbeschrän- 
kungen erweitert  habe,  so  sei  eine  solche  Absicht  nunmehr  gegen  den 
Geist  der  Gesetze,  da  die  besondere  städtische  Accise  nach  §  1  des 
Finanzedikts  vom  7.  September  nur  noch  als  ein  Interimistikum 
und  eine  Uebergangsmaßregel  in  den  größeren  Städten  und  bloß  vor- 
läufig beizubehalten,  daher  allmählich  mehr  einzuschränken  als  aus- 
zudehnen sei. 

Heydebreck  und  Schuckmann  baten  daher  unter  dem  17.  Februar 
1812  um  die  Entscheidung  Hardenberg's,  welcher  am  21.  März  der 
Anschauung  des  le  tzteren  beitrat.  Es  sei  durch  das  Gewerbepolizei- 
edikt keineswegs  das  vor  der  Verordnung  vom  28.  Oktober  1810  be- 
standene Krugverlagsrecht  unbedingt  wiederhergestellt,  was  den  aus- 
gesprochenen allgemeinen  Grundsätzen  der  Gewerbefreiheit  gänzlich 
entgegen  sein  würde.  Mit  Ausnahme  der  im  §  54  nachgelassenen 
Verträge,  durch  welche  der  Inhaber  einer  Schankstätte  sich  ver- 
pflichte, das  zu  seinem  Debit  erforderliche  Getränk  aus  einer  be- 
stimmten Fabrikation  zu  nehmen ,  sei  vielmehr  das  Krugverlagsrecht 
gegen  einzelne  Schankstätten  nur  in  dem  Maße  erneuert,  als  dasselbe 
auf  Grund  der  Verjährung  oder  ausdrücklicher  Verträge 
vor  Erlaß  der  Verordnung  vom  28.  Oktober  1810  in  Ansehung  dieser 
einzelnen  Schankstätten  zweifellos  stattgefunden  habe. 

Das  Gewerbepolizeiedikt  hatte  in  §  89  verordnet,  daß  Apothe- 
kern der  Gewerbeschein  nur  auf  ein  Zeugnis  der  Regierung  über  ihre 
Tauglichkeit  erteilt  werdeu  solle.  Wegen  der  Befugnis  zur  Anlage  neuer 
Apotheken  wurde  auf  ein  besonderes  Gesetz  verwiesen.  Abdecker 
hatten  sich  nach  §  134  durch  ein  Zeugnis  der  Kreispolizeibehörde  zur 
Anstellung  oder  Fortsetzung  ihres   Gewerbes  zu  legitimieren.     Sack 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  15 

hatte  nun  in  Gemeinschaft  mit  Heydebeck  und  Schuckmann  bereits 
am  20.  Juli  1811  beim  Staatskanzler  angefragt,  ob  jemandem,  welcher 
sonst  den  Forderungen  genügt  habe,  welche  das  Gewerbesteuergesetz 
vorschreibe,  dennoch  der  Gewerbeschein  zu  versagen  sei,  weil  in  Hinsicht 
einiger  Gewerbe,  insbesondere  der  Apotheker  und  Abdecker, 
nähere  gesetzliche  Bestimmungen  erwartet  würden.  Hardenberg  ent- 
schied hierauf,  es  sollten  unbedenklich  Gewerbescheine  aller  Art  er- 
teilt werden,  wenn  nur  den  bis  dahin  öffentlich  bekannt  gemachten 
Forderungen  genügt  sei.  Das  danach  emanierte  Gewerbepolizeiedikt 
ließ  die  Regelung  des  Apotheker-  und  Abdeckerwesens  noch  in  der 
Schwebe,  während  Anträge  auf  Erteilung  von  Gewerbescheinen  zum 
Betriebe  dieser  Gewerbe  eingingen.  Die  genannten  Staatsräte  hatten 
bereits  vorher  die  Absicht  gehabt,  den  Staatskanzler  zu  ersuchen,  vor- 
läufig von  der  Ausübung  seiner  Ermächtigung  Abstand  nehmen  zu 
dürfen,  und  namentlich  den  Apothekern  nicht  sogleich  ohne  Ein- 
schränkung Gewerbescheine  zu  erteilen ,  wenn  etwa  für  die  Zu- 
kunft bestimmt  werden  solle,  daß  an  jedem  Ort  nur  eine  gewisse 
Anzahl  von  Apotheken  zu  gestatten  sei.  Auch  scheine  es  wider- 
sprechend, den  Abdeckern,  solange  noch  die  Infamie  auf  ihnen 
hafte,  Gewerbescheine  zu  erteilen,  auf  die  doch  überhaupt  nur  un- 
bescholtene Personen  Anspruch  haben  sollten.  Endlich  sei  auch 
nicht  beabsichtigt,  die  Gewerbefreiheit  ganz  unbedingt  und  auf 
Kosten  anderer  wichtiger  polizeilicher  Rücksichten  Platz  greifen  zu 
lassen.  Am  15.  Oktober  1811  wiederholte  Sack  den  Antrag,  bis  zum 
Erlaß  besonderer  Gesetze  zu  gestatten,  die  Erteilung  von  Gewerbe- 
scheinen an  Apotheker  und  Abdecker  wenigstens  im  allgemeinen  aus- 
zusetzen. Während  nun  die  Regulierung  des  Abdeckerwesens  sich 
noch  verzögerte,  erging  bereits  am  29.  Oktober  1811  die  König- 
liche Verordnung  wegen  Anlegung  neuer  Apotheken 
(G.  S.  S.  359  ff.).  Danach  sollte  es  bezüglich  der  vorschriftsmäßigen 
Prüfung  und  Qualifikation  der  Apotheker,  sowie  ihrer  Legiti- 
mation zur  Erlangung  des  Gewerbescheines  bei  den  bestehenden  Vor- 
schriften sein  Bewenden  behalten.  Die  Anlegung  neuer  Apotheken 
in  Städten,  Flecken,  Dörfern  habe  nur  stattzufinden,  wenn  das  Bedürf- 
nis einer  Vermehrung  erwiesen  sei.  Die  Erlaubnis  habe  die  Medi- 
zinaldeputation der  Provinzialregierung  zu  erteilen.  Zureichende 
Gründe  seien  eine  bedeutende  Vermehrung  der  Volksmenge 
oder  eine  erhebliche  Erhöhung  ihres  Wohlstandes.  Ueber 
einen  etwaigen  Widerspruch  schon  vorhandener  Apotheken  gegen  die 
Ansetzung  einer  neuen  sollte,  falls  die  Medizinaldeputation  den  Wider- 
spruch für  begründet  erachte,  das  allgemeine  Polizeidepartement  ent- 
scheiden. Letzteres  verfügte  über  die  Anlegung  neuer  Apotheken  in 
den  großen  Städten  Berlin,  Königsberg  und  Breslau  überhaupt  und  be- 
stimmte etwaige  Entschädigungen  Realberechtigter.  Inwiefern  mit  den 
Apotheken  kleinerer  Städte  Gewürzkram  oder  Material- 
handel verbunden  sein  dürfe,  darüber  verordneten  die  Polizei-  und 
Medizinaldeputationen  der  Regierungen. 

Nachdem   durch   die  Edikte  vom   2.  November  1810  und  vom  7. 


1(3  Kurt  von  Rohrscheidt, 

September  1811  alle  gewerblichen  Monopole  aufgehoben  waren,  ver- 
suchten manche  Innungen  auf  indirektem  Wege  wieder  zu  diesem  Ziele 
zu  gelangen.  So  war  in  dem  Privileg  der  Destillateure  zu  Ber- 
lin vom  19.  März  1738  die  Bestimmung  enthalten,  daß  ein  jeder, 
welcher  das  Destillieren  von  Aquaviten  betreiben  wolle,  sich  dazu  durch 
eine  vorschriftsmäßige  Prüfung  seitens  des  Stadtphysikus  unter  Zu- 
ziehung der  Zunftältesten  qualifizieren  müsse.  Durch  die  Kabinets- 
ordre  vom  22.  Februar  1810  war  die  Schließung  des  Gewerks  aufge- 
hoben worden,  und  es  sollte  von  da  an  keinem  qualifizierten  Manne 
die  Aufnahme  verweigert  werden,  sobald  er  die  Bedingung  des 
Gildebriefs,  wozu  auch  Prüfung  und  Qualifikation  zum  Destillieren 
gehörten,  erfüllt  habe.  Nach  Einführung  der  Gewerbefreiheit  baten 
die  Vertreter  der  Berliner  Innung  in  einer  Eingabe  an  den  Staatskanzler 
vom  3.  Oktober  1811 x),  es  bei  dieser  für  die  Erhaltung  der  Gesund- 
heit der  Staatsbürger  so  wichtigen  Vorschrift  des  Privilegiums  zu 
belassen.  Letztere  würde  nach  Einführung  der  Gewerbefreiheit 
nicht  mehr  beachtet,  da  ein  jeder,  welcher  das  Bürgerrecht  gewinnen 
und  einen  Gewerbeschein  lösen  könne,  zum  Betriebe  des  Destillateur- 
gewerbes zugelassen  werde,  weshalb  denn  auch  binnen  kurzer  Zeit 
„eine  große  Anzahl  Subjekte",  welche  vom  Destillieren  gebrannter 
Wasser  gar  keine  Ahnung  hätten  und  deshalb  der  Gesundheit  der  Ein- 
wohner äußerst  nachteilig  werden  könnten ,  Destillateure  geworden 
wären.  Es  sei  aber  für  das  Wohlbefinden  des  Publikums  höchst  not- 
wendig, daß  eine  genaue  Prüfung  der  Qualifikation  beibehalten  werde, 
weil  sonst  leicht  aus  Unwissenheit  schädliche  Ingredientien 
in  Gebrauch  genommen  würden.  Dies  Gesuch  wurde  am  12.  Januar 
1812  dringender  wiederholt,  da  sich  täglich  mehr  Personen 
zum  Destillieren  und  Verkaufen  von  Branntwein  ansetzten,  so  daß  die 
gemeine  Gefahr  wüchse. 

Die  wissenschaftliche  Medizinaldeputation  befürwor- 
tete den  Antrag  lebhaft,  da  das  Destillateurgewerbe  allerdings  auf  die 
Gesundheit  der  Menschen  einen  zu  großen  Einfluß  habe,  als  daß  Kon- 
zessionen dazu  ohne  Nachweis  vorhandener  Kenntnisse  erteilt  werden 
dürften.  Der  Chef  des  Polizeidepartements,  Sack,  schlug  vor,  die 
Destillateure  unter  die  Laboranten  zu  rechnen,  welche  nach  §  89 
des  Edikts  vom  7.  September  1811  nur  dann  einen  Gewerbeschein  er- 
halten sollten ,  wenn  sie  durch  ein  Zeugnis  der  Provinzialregierung 
nachwiesen,  daß  sie  zur  Ausübung  des  Geschäfts  geeignet  seien.  Die 
Destillateure  wären  den  Laboranten  billig  beizuzählen,  wenn  sie  auch 
gewöhnlich  nicht  mit  unter  dieser  Benennung  begriffen  würden,  da 
beide  Geschäfte  ganz  nahe  miteinander  verbunden  seien  und  eigent- 
lich nur  darin  differierten ,  daß  es  der  vorzugsweise  so  genannte  La- 
borant mehr  auf  arzneilichen  Gebrauch,  der  Destillateur  aber 
auf  bloßen  Wohlgeschmack  bei  seinen  Arbeiten,  die  übrigens 
sonst  größtenteils  von  gleicher  Art  wären ,  anlegte.  Es  dürfte  daher 
nur  die  angezogene  Gesetzesstelle  dahin  deklariert  werden,  daß  die 

1;  A.  No.   1,  Vol.  I. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  ^7 

Destillateure  in  Rücksicht  auf  Beibringung  von  Qualifikationsattesten 
den  Laboranten  gleich  zu  achten  seien,  den  Regierungen  aber  wäre 
aufzugeben,  diese  Atteste  nur  solchen  Personen  zu  erteilen,  welche 
entweder  schon  vor  dem  2.  November  1810  mit  obrigkeitlicher  Er- 
laubnis das  Destillateurgewerbe  betrieben  hätten  oder  in  Bezug  auf 
ihre  Kenntnisse  von  dem  Kreisphysikus  unter  Zuziehung  eines  Apo- 
thekers geprüft  wären.  Auch  dürfte  den  Sanitätspolizeibehürden  über- 
haupt noch  Aufsicht  auf  das  Verfahren  der  Destillateure  und  An- 
stellung unvermuteter  Untersuchungen  bei  denselben,  wie 
bei  den  Weinhändlern,  nachdrücklich  zur  Pflicht  zu  machen  sein. 
Während  also  Sack  im  Wesen  der  Sache  den  Petenten  nachgeben 
wollte,  blickte  Sc  huckmann  weiter,  indem  er  Abweisung  vorschlug. 
Der  für  den  Antrag  angegebene  Grund ,  daß  das  Destillateurgewerbe 
auf  die  Gesundheit  der  Menschen  Einfluß  habe,  finde  ebenso  gut  auch 
auf  die  Bierbrauer  und  gewöhnlichen  Branntwei  n  bren  n  er  An- 
wendung, welche  beide  ein  noch  viel  allgemeineres  Getränk  fabrizierten 
und  sich  ebenso  schädlicher  Ingredientien  als  jene  dabei  bedienen 
könnten,  des  Koch-  und  Backgewerbes  und  vieler  anderer  gar 
nicht  zu  gedenken.  Das  Destillieren  sei  nicht  schwerer  als  das  Brannt- 
weinbrennen, und  es  gehöre  offenbar  weniger  Kunst  dazu,  als  gutes 
Bier  zu  brauen.  Man  könne  und  müsse  voraussetzen,  daß  diejenigen, 
welche  dieses  Gewerbe  trieben ,  auch  die  nötigen  Kenntnisse  davon 
hätten  und  wissen  würden,  welcher  Ingredientien  sie  sich  bedienen 
müßten,  um  der  Gesundheit  nicht  zu  schaden.  Sonst  müßten  alle 
Gewerbetreibende,  welche  Genußmittel  bereiteten,  examiniert  werden, 
eine  Pedanterie  und  Plackerei  der  Gewerbe,  die  ohne  Nutzen  wäre. 
Denn  es  würde  fast  niemals  oder  gewiß  nur  äußerst  selten  von  solchen 
Gewerbetreibenden  aus  Unwissenheit  gesündigt,  sondern,  wenn  sie 
schädliche  Ingredientien  anwendeten,  so  geschähe  solches  in  der  Regel 
aus  sträflichem  Eigennutz,  und  diesem  zu  steuern  werde  auch 
die  strengste  Prüfung  der  Kenntnisse  nichts  helfen.  Damit 
aber  sei  er  ganz  einverstanden  ,  daß  solche  Gewerbetreibende, 
welche  ihren  Fabrikaten  oder  auch  Handelsartikeln  der  Gesundheit 
nachteilige  Ingredientien  beimischten ,  unter  Aufsicht  gehalten  und 
zu  dem  Ende  ihre  Werkstätten  und  Fabrikate  von  Zeit  zu  Zeit 
durch  Sachverständige  untersucht,  und  diejenigen,  welche  sich  wirk- 
lich schädlicher  Beimischungen  bedient  hätten ,  nachdrücklich  be- 
straft würden,  ohne  auf  die  Entschuldigung  zu  achten,  daß  es  aus 
Unwissenheit  geschehen  sei.  Dadurch  allein  werde,  soviel  dies  möglich 
wäre,  der  beabsichtigte  Zweck  erreicht  werden.  Schließlich  meinte  der 
gewiegte  Kenner  mit  Recht,  der  Antrag  der  Destillateure,  daß  die 
Prüfungen  unter  ihrer  Zuziehung  geschehen  sollten,  ziele  nur 
darauf  hin ,  nicht  sowohl  die  allgemeine  Gesundheit ,  für  welche  der 
Liqueurfabrikant  überhaupt  nicht  arbeite,  zu  schützen,  als  die 
Anlegung  neuer  Etab  lissements  zu  erschweren.  Harden- 
berg ließ  hierauf  den  Bescheid  unter  dem  16.  März  1812  ganz  im 
Sinne  Schuckmann's  ergehen. 

Das  Edikt  vom  2.  November  1810  hatte  in  §  16  verordnet,    daß 

Dirtte  Folge  Bd.  VIII  (LX1JI).  2 


lg  Kurt  von  Rohrscheidt, 

der  Gewerbeschein  demjenigen,  auf  welchen  er  laute,  das  Recht  geben 
solle,  in  dem  gesamten  Umfange  der  Monarchie,  sowohl  in 
den  Städten  als  auf  dem  platten  Lande,  das  in  demselben  genannte 
Gewerbe  und  auf  die  bestimmte  Zeit  zu  treiben  und  von  den  Behörden 
dabei  geschützt  zu  werden.  Ueber  die  Bedeutung  dieser  Bestimmung 
waren  zwischen  der  Abgabensektiou  und  dem  Gewerbedepartement 
Meinungsverschiedenheiten  entstanden,  welche  Hadenberg, 
indem  er  der  Ansicht  der  ersteren  beitrat,  durch  Verfügung  vom  6. 
April  1813  beilegte.  Er  erklärte,  daß  der  erwähnte  Paragraph  nur  so 
zu  interpretieren  sei,  daß  der  Gewerbetreibende  auf  Grund  seines  Ge- 
werbescheines seine  Dienste,  wenn  das  Gewerbe  in  Dienstleistungen  be- 
stehe, oder  seine  Waren,  wenn  das  Gewerbe  in  Fabrikation  auf  den 
Kauf  bestehe,  an  jedem  Orte  des  Staates  anbieten  oder  verkaufen 
könne,  ohne  von  den  örtlichen  Gewer ksgenossen  daran  ver- 
hindert werden  zu  dürfen.  Keineswegs  aber  geht  die  Absicht  des  Ge- 
setzgebers dahin,  jemand  zu  gestatten,  auf  Grund  eines  einzigen 
Gewerbescheines  zugleich  an  allen  Orten,  wo  er  es  für  gut 
und  vorteilhaft  finde ,  dasselbe  zum  Nachteil  derjenigen  Gewerbe- 
treibenden auszuüben,  die  vermöge  ihrer  individuellen  Lage  sich 
nur  mit  der  Betreibung  desselben  an  einem  einzigen  Orte  be- 
gnügen müßten.  Wollte  man  diese  Absicht  des  Gesetzgebers  annehmen, 
so  könnte  ja  einer  mit  anderen  in  einer  Provinz  sich  dahin  ver- 
binden,   dasselbe   Gewerbe  überall   auf  seinen  Namen  zu  betreiben. 

Das  Gewerbesteueredikt  vom  2.  November  1810  hatte  ferner  in 
den  §§  17  und  30  bestimmt: 

§  17.  Keiner  Korporation  und  keinem  Einzelnen  steht  ein 
Wider spruchs recht  (gegen  den  Gewerbebetrieb  auf  Grund  eiues 
Gewerbescheines),  welcher  Grund  dazu  auch  angeführt  werden  mag, 
zu.  Nur  soll  in  denjenigen  Oertern,  wo  jetzt  Gewerbegerechtig- 
keiten stattfinden,  welche  nicht  auf  einem  Grundstücke 
haften,  und  damit  in  keiner  unzertrennlichen  Verbindung  stehen,  die 
aber  dennoch  in  den  Hypothekenbüchern  eingetragen  sind,  eine 
billige  Entschädigung  für  den  bisher  Berechtigten  von 
den  Regieruugen  reguliert  werden.  Die  Gewerbefreiheit  darf  jedoch  durch 
die  Existenz  solcher  Gerechtigkeiten  nicht  beschränkt,  und  nie- 
mandem auf  den  Grund  derselben  ein  Gewerbeschein  zum  Betriebe  des 
in  Rede  stehenden  Gewerbes  versagt  werden.  Gegen  die  Bestimmung 
der  Entschädigung  von  Seiten  der  Regierungen  findet  der  Weg  Rech- 
tens nicht  statt. 

§  30.  Alle  bisherigen  Abgaben  von  den  Gewerben,  insofern 
sie  die  Berechtigung  zum  Betriebe  desselben  betreffen,  als:  Konzessions- 
geld, Nahrungsgeld  von  katastrierten  Stellen,  oder  unter  welcher  Be- 
nennung sie  sonst  vorkommen,  sie  mögen  alljährlich  oder  einmal  für 
allemal  an  Unsere  Kassen,  Kämmereien  oder  an  Grund- 
herren entrichtet  werden,  hören  mit  Einführung  der  Gewerbesteuer 
auf.     Eben  dieses  ist  der  Fall  mit  den  Paraphengeldern. 

Ein  besonderer  praktischer  Fall  gab  die  Veranlassung  zu  einer 
gesetzlichen   Deklaration   dieses  Paragraphen.     Es   hatte  nämlich  der 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  JQ 

Gastwirt  Krone  zu  Berlin  in  einem  mit  dem  Geheimen  Justizrat  Ge- 
nesheim über  den  Gasthof  zum  Reh  am  30.  September  1809  abge- 
schlossenen Mietsvertrage  sich  verbindlich  gemacht,  binnen  3  Jahren 
nach  Ablauf  des  Kontrakts  in  dem  Berliner  oder  Cöllner  Revier  weder 
einen  Gasthof  zu  mieten  noch  zu  kaufen.  Diese  Ver- 
einbarung hatte  der  Krone  aber  nicht  gehalten,  und  es  war  darüber 
zum  Prozeß  gekommen.  Der  Instruktionssenat  des  Kammergerichts 
und  das  Obertribunal  in  letzter  Instanz  hatten  ein  dem  Krone  un- 
günstiges Urteil  gefallt.  Auf  Grund  dieses  Rechtsstreites  korrespon- 
dierte der  Staatskanzler  mit  dem  Justizminister  und  ließ  die  Frage 
erwägen,  inwiefern  die  Gewerbefreiheit  überhaupt  durch 
Verträge  beschränkt  werden  könne.  Kircheisen  erklärte 
sich  unter  dem  29.  Dezember  1812  *)  mit  Bezug  auf  die  vorerwähnten 
§§  16,  17  und  30  des  Edikts  vom  2.  November  1810  dahin,  daß  der 
Staat  unstreitig  die  Macht  und  das  Recht  habe,  einzelne  Befugnisse 
und  Vorteile  seiner  Mitglieder  den  Rechten  und  Pflichten  zur  Be- 
förderung des  gemeinschaftlichen  Wohles  im  Kollisionsfalle  nachzusetzen 
(Allg.  Landrecht,  Einleitung  §  74).  Er  könne  also  auch  selbst  die 
natürliche  Freiheit,  durch  Verträge  sich  über  gewisse  Gegenstände  zu 
verpflichten,  einschränken.  Wenn  es  daher  zum  Zweck  der  Beförde- 
rung des  gemeinen  Wohles  für  notwendig  angesehen  werde,  dieser  Frei- 
heit in  Bezug  auf  den  Gewerbebetrieb  gewisse  Grenzen  zu  setzen,  so 
sei  es  wohl  unbedenklich,  durch  eine  Deklaration  zu  bestimmen,  daß 
alle  Verträge,  welche  der  Gewerbefreiheit  entgegen  und  nach  der 
Publikation  des  Edikts  vom  2.  November  1810  errichtet  seien, 
dergestalt  nichtig  wären,  daß  daraus  keine  Klage  angenommen  werden 
solle.  Verträge  dagegen,  welche  vor  jenem  Edikt  errichtet  worden, 
müßten  nach  den  allgemeinen  Grundsätzen  des  Rechts  um  so  mehr  in 
ihrer  Wirksamkeit  erhalten  werden,  als  derjenige,  welcher  zum  Nach- 
teil des  Andern,  auch  selbst  unter  Begünstigung  einer  neuen  Staats- 
einrichtung, den  Vertrag  breche  und  sich  dadurch  nur  das  für  ihn 
Nützliche  aus  dem  Vertrage  zueigne,  ohne  das  dem  andern  Teile  Nütz- 
liche zu  erfüllen,  gegen  Treue  und  Glauben  und  als  ein  Betrüger 
handele.  Sollte  es  demnach  das  Wohl  des  Staates  erfordern,  auch 
dergleichen  frühere  Verträge  für  nichtig  zu  erklären,  so  würde  doch 
zugleich  festzusetzen  sein,  daß  derjenige,  welcher  zum  Schaden  des 
Andern  vom  Vertrage  abginge  und  sein  einmal  gegebenes  Wort  nicht 
halte,  zur  Entschädigung  des  letzteren  verpflichtet  wäre. 
Nach  A.  L.  R.,  Einleitung  §  75  und  Teil  I  Tit.  8  §  29  sei  niemand 
schuldig,  seine  wohlerworbenen  Rechte  ohne  Entschädigung  dem  Staate 
aufzuopfern. 

In  dem  Bureau  Hardenberg^  schlug  Hippel  vor,  für  die  Auf- 
hebung der  vor  dem  2.  November  1810  abgeschlossenen  Verträge 
zwar  die  Entschädigung  vorzubehalten,  diese  aber,  wenn  der  Ver- 
pflichtete sich  vom  Vertrage  lossagen  wolle,  zur  Vermeidung  von  Pro- 
zessen durch  die  Regierung  ausmitteln  und  ohne  Konkurrenz 

1)  A.  No.  1,  Vol.  II. 


20  Kurt  von  Rohrscheidt, 

des  Gerichts  feststellen  zu  lassen.  Bülow  sprach  sich  dagegen, 
unter  Beitritt  Bequelin's,  dahin  aus,  daß  es  nicht  nötig  wäre,  die 
vor  dem  Gewerbesteueredikt  etwa  gegen  den  Grundsatz  der  Gewerbe- 
freiheit abgeschlossenen  Verträge  zu  entkräften.  Zu  gnnsten  dieses 
Edikts  von  der  Regel,  daß  Gesetze  keine  rückwirkende  Kraft  hätten, 
eine  Ausnahme  eintreten  zu  lassen,  dazu  läge  kein  zureichender  Grund 
vor.  Es  würden  gewiß  nicht  viele  Fälle  vorhanden  sein,  daß  Kontrakte 
dem  genannten  Gesetz  entgegenständen,  worüber  in  diesem  letzteren 
selbst  nicht  bereits  das  Erforderliche  verordnet  wäre.  Und  käme 
dergleichen  wirklich  vor,  so  verdiene  der  Kontrahent  gewiß  keine  Be- 
günstigung, der  unter  dem  Schutze  und  Vorwande  eines  neuen  Staats- 
verwaltungsgrundsatzes einen  eingegangenen  Vertrag  breche ,  seine 
Kontrakts  rechte  sich  zueigne  und  genieße,  dagegeu  seine  Kon- 
traktsverbindlichkeiten unerfüllt  lasse.  Sollten  demuDgeachtet  diese 
Verträge  nicht  aufrecht  erhalten  und  die  Gerichte  angewiesen 
werden,  keine  auf  die  Erfüllung  derselben  gerichtete  Klageu  anzu- 
nehmen, so  unterliege  es  doch  nicht  dem  geringsten  Zweifel,  daß  dem 
Kontrahenten  gegen  seinen  vom  Kontrakte  abgehenden  Mitkontrahenten 
der  E  ntsch  ädigungsa  nspru  ch  vorbehalten  bleiben  müsse.  Er 
sei  nicht  dafür,  die  Erörterung  und  Entscheidung  solcher  Ansprüche 
den  Gerichtshöfen  zu  entziehen  und  lediglich  den  Regierungen  vorzu- 
behalten, denn  das  Erkenntnis  über  das  Mein  und  Dein  gebühre  den 
Gerichten,  und  er  sehe  keinen  das  Staatswohl  berührenden  Grund, 
in  Ansehung  der  Entschädigungsklagen  von  diesem  Prinzip  abzuweichen. 
Auf  Anordnung  Hardenberg's  wurde  nach  dem  Bülow'schen  Gutachten 
verfahren,  und  so  erging  unter  dem  19.  April  1813  eine  an  Harden- 
berg und  Kircheisen  gerichtete,  aus  Breslau  datierte  Kabinets- 
ordre,  betreffend  die  zwischen  verschiedenen  Kontrahenten  bestehen- 
den Verträge,  welche  die  gesetzlich  gegebene  Gewerbefreiheit  beschrän- 
ken.    Sie  lautet 1): 

„Insofern  zwischen  verschiedenen  Kontrahenten  Verträge  bestehen, 
welche  die  gesetzlich  gegebene  Gewerbefreiheit  beschränken  oder  hin- 
dern, kommt  es  bei  Beurteilung  ihrer  Giltigkeit  darauf  an,  ob  sie  vor 
der  Publikation  des  Gewerbesteueredikts  vom  2.  November  1810  oder 
erst  nach  derselben  geschlossen  worden  sind.  Im  letzten  Falle  sind 
sie  gegen  die  Bestimmung  eines  allgemeinen  Landesgesetzes  errichtet 
und  also  dergestalt  nichtig,  daß  daraus  keine  Klage  desjenigen 
Kontrahenten,  der  dadurch  Rechte  erlangt  zu  haben  glaubt,  von  einem 
Meiner  Gerichtshöfe  angenommen  werden  darf.  Ich  finde  mich  veran- 
laßt, dies  hiermit  ausdrücklich  zu  erklären,  und  trage  Ihnen  auf,  in 
Gemäßheit  dieser  Bestimmung,  welche  auch  durch  die  Gesetzsammlung 
zur  allgemeinen  Kenntnis  zu  bringen  ist,  das  weiter  Erforderliche  zu 
verfügen." 

Das  Edikt  über  die  polizeilichen  Verhältnisse  der  Gewerbe  vom 
7.  September  1811  setzte  in  den  §§  7 — 13  unter  anderem  fest,  daß 
auch  unzünftige  Gewerbetreibende  Gehilfen   halten  könnten, 


1)  G.  S.  S.  69  (1813)  und  A.  No.  I,  Vol.  II. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und   Gewerbet'reiheit. 

die  Dienstzeit  der  letzteren  durch  freien  Vertrag  bestimmt,  und  wenn 
dies  nicht  geschehen,  solches  nach  der  örtlichen  Gewohnheit 
beurteilt  werden  solle.  Wenn  aber  strittig  wäre,  was  örtliche  Ge- 
wohnheit sei,  so  habe  die  Polizeibehörde  des  Ortes  darüber  zu 
entscheiden.  Endlich  aber  dürfe  auch  niemand  Gehilfen  annehmen, 
deren  Unverdächtigkeit  und  Befugnis,  sich  als  solche  zu  verpflichten, 
nicht  nach  den  allgemeinen  Polizeigesetzen  erwiesen  sei.  Durch  vor- 
kommende Beschwerden  würde  nun  der  Geheime  Staatsrat  Sack  ver- 
anlaßt, eine  genauere  Bestimmung  dieser  Vorschriften  durch  eine  De- 
klaration zu  erbitten,  da  bezüglich  der  Unzünftigen,  welche  nun 
erst  auf  Grund  der  Gewerbefreiheit  sich  zu  etablieren  anfingen,  noch 
keine  örtliche  Gewohnheit,  insbesondere  hinsichtlich  der 
Kündigungsfristen,  bestehen  könne.  Auch  die  Verpflichtung, 
sich  die  Befugnis,  den  neuen  Dienst  antreten  zu  können,  nachweisen 
zu  lassen,  werde  mißverständlich  nicht  darauf  ausgedehnt,  daß  der 
anzunehmende  neue  Gehilfe  die  rechtmäßige  Entlassung  aus 
seinem  vorigen  Lohnverhältnis  nachweisen  müsse.  Aus  der  Ungewiß- 
heit in  beider  Rücksicht  entständen  aber  große  Verlegenheiten  bei  den 
mit  unzünftigen  Gehilfen  arbeitenden  Fabrikanten.  Die  von  Sack  vor- 
geschlagene Deklaration  enthielt  folgende  Punkte  *) : 

1)  Wenn  zwischen  unzünftigen  Gewerbetreibenden  und  deren 
zünftigen  oder  unzünftigen  Gehilfen  oder  auch  zwischen  zünftigen 
Meistern  und  deren  unzünftigen,  von  ihnen  angenommenen  Gehilfen 
kontraktmäßig  keine  Kündigungsfrist  verabredet  ist,  so  ist  so- 
wohl der  Lohnherr  als  der  Gehilfe  an  die  nach  dem  allgemeinen  Land- 
rechte Teil  II  Tit.  8  §§  378  und  385  für  zünftige  Meister  festgesetzte 
vierzehntägige  Kündigungsfrist  gebunden. 

2)  Der  Lohnherr  ist  jedoch  in  allen  diesen  Fällen  ebenso  wie  der 
zünftige  Meister  nach  §§  386  und  387  ebendaselbst  nicht  verpflichtet, 
die  Kündigung  anzunehmen,  wenn  die  Zeit  des  Abzuges  auf  eine 
Messe  oder  einen  Jahrmarkt  oder  innerhalb  14  Tagen  vor  den 
Messen  und  Jahrmärkten  oder  vor  den  hohen  Festen  einfallen 
würde,  vielmehr  kann  alsdann  der  Gehilfe  erst  nach  dem  Feste  oder 
nach  dem  Ende  der  Messe  oder  des  Jahrmarktes  abziehen. 

3)  Auch  ein  un  zünftig  er  Gewerbetreibender  kann  nach  §§379 
bis  384  seine  Gehilfen  ohne  Aufkündigung  entlassen,  wenn  sie  ihn 
oder  seine  Familie  durch  Thätlichkeiten,  Schimpf-  oder  Schmähworte 
oder  ehrenrührige  Nachreden  beleidigen,  wenn  sie  sich  beharrlichen 
Ungehorsams  oder  Widerspenstigkeit  gegen  seine  Anweisungen  schuldig 
machen,  wenn  sie  seine  Frau  oder  Kinder  zum  Bösen  verleiten  oder 
verdächtigen  Umgang  mit  ihnen  pflegen,  wenn  sie  sich  Diebstahl  oder 
Veruntreuung  gegen  ihn  zu  schulden  kommen  lassen,  wenn  sie  sich 
zur  Gewohnheit  machen ,  ohne  sein  Vorwissen  und  Erlaubnis  über 
Nacht  aus  dem  Hause  zu  bleiben,  und  endlich,  wenn  sie  mit  Feuer 
und   Licht  unvorsichtig   umgehen   und   einer  ihnen   deshalb   erteilten 


1)  A.  No.  I.  Vol.  II. 


22  Kurt  von  Rohrscheidt, 

Warnung  keine  Folge  leisten.    Eben  dies  findet  auch  in  Rücksicht  der 
unzünftigen  Gehilfen  statt,  die  bei  zünftigen  Meistern  arbeiten. 

4)  Dagegen  kann  auch  der  unzünftige  Gehilfe  sofort  aus  der 
Arbeit  gehen,  wenn  der  Lehnherr  ohne  gegebene  dringende  Ver- 
anlassung sich  thätlich  an  ihm  vergreift. 

5)  Auch  unzüuftige  Gehilfen  dürfen  nicht  anders  von  zünftigen 
oder  unzünftigen  Gewerbetreibenden  in  Arbeit  genommen  werden,  als 
wenn  sie  nach  der  gesetzlichen  Analogie  der  §§  9  und  10  der  Ge- 
sindeordnung vom  8.  November  1810  die  rechtmäßige  Ver- 
lassung ihres  vorigen  Lohnherrn  oder  Meisters  nachweisen  oder  durch 
ein  Zeugnis  ihrer  Obrigkeit  darthun,  daß  bei  ihrer  Annahme  kein  Be- 
denken stattfinde. 

6)  Die  Versäumung  dieser  Vorschrift  zieht  die  Ungiltigkeit 
und  Wiederaufhebung  des  Kontrakts  für  den  Fall  nach 
sich,  daß  jemand  ein  näheres  Recht  auf  die  ferneren  Dienste  des  Ge- 
hilfen oder  ein  Recht,  ihm  die  freie  Disposition  über  seine  Dienste  zu 
verschränken,  erweisen  sollte.  Auf  jeden  Fall  ist  die  hierin  begangene 
Unvorsichtigkeit  außerdem  mit  einer  Geldbuße  von  einem  bis  zehn 
Thalern  au  die  Armenkasse  des  Orts  zu  beahnden." 

Der  Justiz  minister  erklärte  sich  unter  dem  23.  Januar  1813 
mit  dieser  Deklaration  einverstanden,  da  dieselbe  aus  Teil  II  Tit.  8 
§§  378  ff.  des  allgemeinen  Landrechts  sowie  §§  9  ff.  der  Gesindeord- 
nung vom  8.  November  1810  geschöpft  sei,  und  die  Bestimmungen 
dieser  Gesetze  nur  auf  die  Unzünftigen  angewendet  hätte.  Durch 
Verfügung  B  ü  1  o  w  's  sollte  der  Entwurf  der  Deklaration  an  den 
Staatskanzler  nach  Breslau  geschickt  werden,  um  dort  zur  Vollziehung 
an  den  König  zu  gelangen.  Die  Angelegenheit  ist  aber  aus  nicht  an- 
gegebenen Gründen  unerledigt  geblieben. 

Inzwischen  war  man  nebenher  darauf  bedacht,  auch  im  Ver- 
waltungswege den  Verkehr  nach  Möglichkeit  zu  erleichtern  und 
Lasten,  die  das  Gesetz  nicht  ganz  abnahm,  so  wenig  als  nur  angängig 
fühlbar  zu  machen.  So  verfügte  der  Staatskanzler  am  13.  Februar 
1813  an  den  Geheimen  Staatsrat  v.  Heydebreck,  daß  die  Anfertigung 
von  Grütze  und  Graupen  allerdings  zwar  nicht  zu  den  gewöhn- 
lichen Geschäften  des  Landmanns  gehöre,  und  daher  diejenigen  Land- 
bewohner, welche  diese  Waren  zum  Verkauf  in  die  Städte  bringen 
wollten,  einen  Gewerbeschein  lösen  müßten.  Dabei  sollte  jedoch  nur 
ein  sehr  mäßiger  Zahlungsatz  angenommen  werden.  Zu 
einer  besonderen  Korrespondenz  des  Staatskanzlers  mit  dem  Finanz- 
minister v.  Bülow  und  dem  nunmehrigen  Minister  des  Innern  von 
Schuckmann  gab  im  Jahre  1814  die  sehr  schwierige  Frage  Veran- 
lassung, wie  es  mit  den  offenbaren  Gewerbsabgaben  zu  halten 
sei,  welche  besonders  in  Schlesien  von  den  Gutsherren  erhoben 
wurden.  Das  Gewerbesteueredikt  vom  2.  November  1810  hob,  wir 
wir  schon  gesehen  haben,  in  §  30  ganz  unbedingt  und  ausdrücklich 
alle  Abgaben  von  den  Gewerben ,  und  namentlich  auch  die  an  die 
Gutsherren  auf.  Dies  konnte  nach  Allg.  Landrecht,  Einleitung  §§  74 
und  75  zwar  unbedenklich,  jedoch  nur  gegen  vollständige  Ent- 


Vor-  und   Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  23 

Schädigung  geschehet!.  Aber  darüber,  wie  diese  Entschädigung 
geleistet  werden  solle,  bestimmte  weder  das  Gewerbesteueredikt  noch 
das  Gewerbepolizeigesetz  vom  7.  September  1811  etwas.  Es  stellte 
sich  überdies  heraus ,  daß  diese  Gewerbsabgaben  an  die  Gutsherren 
namentlich  in  Schesien  so  bedeutend  waren,  daß  die  Entschädi- 
gung dafür  dem  Staate  äußerst  lästig  geworden  wäre  und  wohl 
gar  den  Ertrag  der  Gewerbesteuer  überstiegen  hätte.  So  hatte  z.  B. 
in  einem  Ealle  ein  Fleischer  in  Oberschlesien  an  den  Gutsherrn  für 
die  bloße  Erlaubnis,  sein  Gewerbe  auf  dem  Gute  zu  treiben,  jährlich 
16  Thaler  zu  zahlen  und  mußte  noch  außerdem  dem  Dominium  das 
Rindfleisch  und  die  Rindszungen  zu  einem  bestimmten  Preise  liefern, 
der  ungefähr  nur  ein  Drittel  des  nunmehr  üblichen  war.  Die  Ex- 
ception,  daß  so  hohe  gutsherrliche  Gewerbssteuern  nur  mißbräuch- 
lich hätten  entstehen  können  und  daher  auch  ohne  Entschädi- 
gung aufgegeben  werden  müßten,  war  auch  nicht  ohne  Härte  all- 
gemein anwendbar.  Denn  wenn  auch  nicht  geleugnet  werden  konnte, 
daß  der  Gutsherr  wohl  schwerlich  eine  ihm  von  dem  Landesherrn 
verliehene  Befugnis,  solche  Steuern  zu  erheben,  nachzuweisen  in  der 
Lage  war,  so  erschien  doch  auch  gewiß,  daß  er  in  einem  langjährigen 
ungestörten  Besitze  solcher  Hebungen  sich  befand  und  letztere  bisher 
öflentlich  unter  Schutz  der  Landespolizeibehörden  eingefordert  hatte. 
Wenn  man  andererseits  beim  König  eine  Deklaration  des  §  30  des 
Ediks  vom  2.  November  1810  beantragt  hätte,  durch  welche  die  Auf- 
hebung der  gutherrlichen  Gewerbsabgaben  zurückgenommen  wurde, 
so  wäre  auch  dadurch  die  Schwierigkeit  unbehoben  geblieben,  da  es 
nicht  darauf  ankam,  daß  die  Gutsherren  das  Recht  behielten,  die 
hergebrachte  Abgabe  ferner  zu  fordern ,  sondern  auch ,  daß  für  den 
Gutseingesessenen  die  Möglichkeit  bestände,  die  Abgabe  ferner  zu 
entrichten.  Diese  Möglichkeit  aber  beruhte  in  den  Fällen ,  wo  die 
Gewerbsabgaben  hoch  waren,  lediglich  darauf,  daß  die  Gewerbetreiben- 
den die  Exklusive  behielten,  welche  ihnen  früher  zustand.  Aber 
solche  Exklusiven  stritten  wieder  gegen  den  angenommenen  Grund- 
satz der  Gewerbefreiheit  und  konnten  daher  nicht  von  neuem  eingeführt 
werden.  Hardenberg  erbat  sich  über  diese  Frage  die  Vorschläge  bei- 
der Minister  nach  seiner  Rückkehr  von  Wien. 

Schon  früher,  unter  dem  24.  Februar  1811 a),  hatte  der  Staats- 
kanzler in  einem  Schreiben  an  die  Sektionen  für  die  Gewerbe  und 
den  Handel  im  Ministerium  des  Innern  und  der  Abgaben  im  Ministe- 
rium der  Finanzen  sich  damit  einverstanden  erklärt ,  daß  die  Domi- 
nialabgaben  gewerbetreibender  Gutsunterthanen  in  Schlesien  durch  die 
Einführung  der  neuen  Gewerbesteuer  keineswegs  aufgehoben  seien, 
da  dergleichen  Abgaben  eigentlich  Grundzins  oder  Schutzgeld 
wären  und  nicht  für  den  Betrieb  des  Gewerbes  entrichtet  würden. 
Später  aber  äußerte  sich  Hardenberg  in  einem  Schreiben  an  Sack 
vom  28.  Januar  1813  dahin,  daß  zwar  durch  die  angeordnete  Gewerbe- 
steuer alle  früher  dem  Grundherrn  für  die  Berechtigung  zum  Betriebe 

1)  A.  No.  1  Vol.  n 


24  Kurt   von  Rohrscheidt, 

des  Gewerbes  entrichteten  Abgaben  aufgehoben  wären,  doch  aber 
müßten  in  der  Regel  dergleichen  auf  Kaufkontrakte,  Grundakten,  Hypo- 
thekenbücher gegründete  Leistungen,  wenn  auch  die  Benennung  der- 
selben auf  Entrichtung  für  die  Gewerbeberechtigung  hinzudeuten 
schiene,  so  lange  als  Grundabgaben  angesehen  und  ferner  erhoben 
werden,  bis  die  Eigenschaft  derselben  als  bloß  persönliche  Ge- 
werbsabgaben erwiesen  sei.  Da  indessen  hiernach  alle  nur  per- 
sönlichen Gewerbsabgaben  der  Dominialunterthanen  aufgehoben  gewesen 
wären,  deren  Betrag  doch  einen  sehr  bedeutenden  Teil  der  Gutsein- 
künfte Schlesiens  ausmachte,  und  es  ferner  nicht  abzusehen  war,  wo- 
her der  Staat  die  Mittel  zu  einer  so  großen  Entschädigung  her- 
nehmen sollte,  so  bat  die  damalige  Abgabensektion  am  31.  März  1813, 
die  entgiltige  Entscheidung  in  dieser  Angelegenheit  wenigstens  so 
lange  hinauszuschieben,  bis  alle  Regierungen  gehört  seien.  Auf  die 
neuerliche  Anregung  des  Staatskanzlers  arbeiteten,  wie  Bülow  am 
29.  Juni  1815  mitteilte,  der  Finanzminister  und  der  Minister  des 
Innern  den  Entwurf  zu  einer  Deklaration  des  §  30  des  Edikts  vom 
2.  November  1810  aus,  welche  der  Ministerialkonferenz  vorgelegt 
werden  sollte. 

Diese  Deklaration  erfolgte  jedoch  nicht,  vielmehr  entschloß  man 
sich,  etwa  vorkommende  Streitigkeiten  der  Entscheidung  im 
Rechtswege  zu  überlassen.  Der  Minister  des  Innern  v.  Bülow  und 
der  Handelsminister  v.  Schuckmann  führten  unter  dem  4.  Juni  1822 
aus,  daß  der  §  30  des  Edikts  vom  2.  November  1810  seine 
Bedenken  haben  könne,  da  derselbe  in  wohlerworbene  Privat- 
rechte bedeutend  eingriffe.  Wenn  jedoch  zwischen  Grundherren  und 
einzelnen  Dorfeinwohnern  Streit  darüber  entstehe,  ob  eine  Abgabe 
noch  giltiges  Schutzgeld  bez.  Grundzins  oder  aufgehobene 
Gewerbeabgabe  sei,  so  könne  über  diese  Frage  lediglich  der 
ordentliche  Richter  erkennen.  Eine  nähere  gesetzliche  Deklaration 
werde  und  könne  ihrer  Natur  nach  die  Möglichkeit  eines  Streites  über 
die  Anwendung  des  Gesetzes  nicht  ausschließen,  da  es  außer  den 
Kräften  des  Gesetzgebers  liege,  allen  und  jeden  Zweifeln, 
welche  sich  bei  der  Anwendung  eines  Gesetzes  auf  spezielle  Fälle  er- 
geben könnten,  dergestalt  vorzubeugen ,  daß  nicht  oft  genug  richter- 
liche Entscheidung  eintreten  müßte.  Der  Staatskanzler  entsprach 
diesen  Vorschlägen  und  verwies  die  Antragsteller  auf  den  Rechtsweg. 

Die  Vorteile  der  Gewerbefreiheit  wurden  in  den  nächsten  Jahren 
nach  1811  nur  in  sehr  geringfügiger  Weise  bemerkbar,  da  infolge 
des  Krieges  die  Kapitale  schwanden,  und  wo  sie  vorhanden  waren, 
doch  aller  Mut  fehlte,  sie  an  eine  große  Aufgabe  zu  wagen  und  so  die 
Vorteile  der  gewerblichen  Freiheit  zu  nutzen.  Man  fürchtete  eben 
viel  mehr  zu  verlieren,  als  daß  man  hoffte,  zu  gewinnen.  Je  weniger 
die  Lichtseiten  der  Reform  zu  Tage  traten,  um  so  mehr  wurden  die 
Schattenseiten  bemerkbar,  die  auch  mit  der  vollendetsten  mensch- 
lichen Institution  jederzeit  verbunden  sind.  Und  auf  diese  Mängel 
wiesen  alle  Gegner  der  neuen  Staatseinrichtungen  warnend  und 
triumphierend,  schienen  sie  doch  die  früheren  Prophezeiungen  lediglich 


Vor-  und   Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  25 

zu  bestätigen.  Der  erbittertste  Widersacher  der  Gewerbefreiheit,  der 
General  v.  d.  Marwitz,  schilderte  die  neuen  Zustände  in  düsterster 
Beleuchtung,  indem  er  schreibt ' ) : 

„Im  Lande  selbst  fingen  die  Folgen  der  1811  ins  Werk  gesetzten 
unbesonnenen  gänzlichen  Emanzipation  der  niederen  Stände  sich  zu 
zeigen  an.  Sie  waren  nicht  erfreulich.  Die  Gewerbe  sanken. 
Der  Meister  ward  der  Knecht  seiner  Gesellen.  Er  hatte  kein 
Mittel  mehr,  die  faulen  und  liederlichen  zu  zwingen ;  sie  liefen  von 
einem  Meister  zum  andern  und  wanderten  bettelnd  im  Lande  umher, 
obgleich  es  allenthalben  für  sie  Arbeit  gegeben  hätte ,  wenn  sie  nur 
hätten  arbeiten  wollen. 

Ebenso  ward  der  Bauer  der  Knecht  seines  Gesindes,  der 
Herr  der  seiner  Bedienten,  weil  alle  zwingenden  Gesetze  aufgehoben 
waren  und  jeder  gleich  davon  lief,  sobald  man  Ordnung  und  Fleiß 
von  ihnen  verlangte.  —  In  den  Städten  war  kein  Bäcker,  Schuster 
und  Schneider  mehr,  der  nicht  versuchte,  seinen  Sohn  studieren  zu 
lassen,  um  ihn  im  Dienste  des  Staates  anstellen  zu  können,  auf  dem 
Lande  kein  Bauer,  der  den  seinigen  nicht  in  die  Stadt  geschickt  hätte, 
damit  er  eiu  Handwerk  lerne 

So  entstand  ein  allgemeines  Drängen  von  unten  nach 
oben,  allenthalben  Liederlichkeit,  ein  Ueberfluß  an  brotlosen,  leichten 
Erwerb  suchenden  Menschen  in  der  Stadt,  Mangel  an  Arbeitern  auf 
dem  Lande.  Die  so  schnell  dienstfrei  gemachten  Bauern  verbesserten 
ihre  Grundstücke  nicht,  wie  man  theoretisch  kalkulierend  gehofft  hatte, 
sondern  sie  verfielen  in  Faulheit,  ließen  ihren  Acker  für  Geld  bestellen 
und  abernten  und  saßen  zu  Hause  oder  in  der  Schenke.  Wer  sonst 
im  Sommer  um  3  Uhr  aufgestanden  war,  schlief  jetzt  bis  6  und  7 
Uhr,  und  wer  sonst  gearbeitet  hatte,  ging  jetzt  spazieren.  Daher 
allenthalben  der  größte  Mangel  an  Arbeitern  und  Tage- 
löhnern, während  alle  Landstraßen  von  Bettlern  und  von  Hand- 
werksburschen wimmelten,  die  um  eine  Gabe  ansprachen.  —  Die 
Bauern  halfen  sich  noch,  da  auf  ihre  Höfe  jetzt  Hypotheken  einge- 
führt wurden,  sie  selbige  also  ganz  leicht  mit  Schulden  belasten 
konnten.  Wenn  aber  erst  eine  Generation  wird  dahin  gegangen  sein, 
und  das  verschuldete  Eigentum  ein  paarmal  in  gleiche  Teile  wird 
geteilt  worden  sein,  dann  werden  unsere  Kinder  sie  in  demselben 
hilflosen  Zustande  erblicken,  in  dem  jetzt  (1819)  die  Rittergutsbesitzer 
leben.  Die  reichen  Bauern  des  Oderbruchs,  denen  diese  Leichtigkeit 
des  Geldaufnehmens  auf  erste  Hypotheken  am  meisten  zu  statten 
kam,  nützten  sie  so  gut,  daß  man  sie  in  die  Städte  fahren  sah,  um 
sich  an  „Voß-Yer  un  Schuumwien"  (Fuchseier  und  Schaumwein)  zu  laben  : 
so  nannten  sie  gebrannte  Mandeln  und  Champagner. 

Eine  der  übelsten  Folgen  muß  dieses  Unwesen  in  der  Folge  auf 
dieRekrutierung  unserer  Armee  hervorbringen.  Die  Bauern- 
söhne und  die  jungen  gesunden  Tagelöhner  waren  die  festeste  Stütze 
unseres    Heeres.     Arme    Kolonisten,    schwindsüchtige   Schreiber    und 


1)  Aus  dem  Nachlasse  Ludwigs  v.   d.  Marwitz  (Berlin   1852)   Bd.   I,  S.  385   ff. 


2(3  Kurt  von  Rohrscheidt, 

schwächliche  Handwerker  geben  nie  gute  Soldaten.  Jetzt  ist  alles 
so  gestellt,  daß  erstere  verschwinden  und  letztere  im  Uebermaße 
zunehmen." 

So  düster  dieMarwitz'sche  Schilderung  ist,  und  so  falsch  es  war,  statt 
eines  Einlebens  in  die  Verhältnisse  der  Gewerbefreiheit  nur  eine  Fort- 
bildung ihrer  Schäden  und  Gefahren,  dieim  Anfang  naturgemäß  am  krasse- 
sten hervortreten  mußten,  zu  erwarten,  in  einem  hatte  er  Recht:  das 
Gesellen wesen  bedurfte  einer  gründlichen,  der  Gewerbefreiheit  an- 
gepaßten Reorganisation.  Daß  dieselbe  unterlassen  worden  ist,  bedeutet 
einen  der  größten  Vorwürfe,  die  man  der  neuen  Gesetzgebung  machen 
kann.  An  Stelle  der  zunftmäßigen,  im  Interesse  der  Fortbildung  des 
Handwerks  vorgeschriebenen  Wanderschaft  trat  die  freiwillige 
Vagabondage.  Freilich  konnten  auch  nun  die  des  unstäten  Wander- 
lebens überdrüssigen  Gesellen  einen  selbständigen  Gewerbebetrieb  an- 
fangen, ohne  das  Meisterrecht  bei  dem  Gewerke  gewinnen  zu  müssen. 
Allein  bei  den  meisten  Zünften  wurde  diese  Befreiung  von  den  An- 
sprüchen der  Gewerke  doch  zu  sparsam  benutzt.  Es  schien 
nicht  allein  ehrenhafter ,  den  Anspruch  auf  selbständigen  Gewerbe- 
betrieb durch  Anfertigung  eines  Meisterstücks  zu  rechtfertigen, 
sondern  die  zünftigen  Meister  waren  auch  vorzugsweise  als  Lehr- 
herren  gesucht,  weil  nur  ihre  Lehrlinge  dereinst  zünftige  Ge- 
sellen werden  und  als  solche  auch  in  Ländern,  wo  das  ausschließliche 
Recht  der  zünftigen  Gewerke  zum  Betriebe  ihres  Handwerks  noch  be- 
bestand, Arbeit  und  Unterstützung  auf  der  Wanderschaft  bekommen 
konnten.  Obwohl  es  auch  gesetzlich  feststand,  daß  zünftigen  Gesellen 
kein  Vorwurf  daraus  gemacht  werden  durfte,  wenn  sie  bei  einem 
unzünftigen  Meister  Arbeit  annahmen,  so  wurde  doch  thatsächlich 
Arbeit  bei  einem  zünftigen  Meister  von  ihnen  vorgezogen,  weil  sie  der 
herrschenden  Meinung  der  Zunftgenossen  nach  noch  immer  für  ehren- 
hafter galt,  und  auch  dieses  war  denjenigen,  welche  das  Handwerk  in 
beträchtlicher  Ausdehnung  zu  betreiben  hofften,  ein  Grund 
mehr,  das  zünftige  Meisterrecht  zu  gewinnen.  Die  Gewerke 
selbst  erleichterten  unter  diesen  Verhältnissen  gern  den  Beitritt,  und 
die  Schließung  der  Gewerke  auf  eine  bestimmte  Meisterzuuft  ward  über- 
all bedeutungslos.  Indessen  bewirkte  diese  Veränderung  eine  wesent- 
liche Verbesserung  des  Handwerksbetriebes  zunächst  nicht.  Der 
städtische  Handwerksmeister,  zünftig  oder  unzünftig,  konnte  doch  immer 
nur  unter  der  Bedingung  zu  dem  mäßigen  Wohlstande,  der  in  dem  Be- 
griffe eines  ehrsamen  Meisters  und  Bürgers  lag,  kommen,  wenn  er  mit 
einigen  Gehilfen  arbeitete;  und  wenn  die  städtischen  Meister  im 
allgemeinen  diese  Stellung  erreichen  sollten,  so  mußten  natürlich  der 
Gehilfen  sehr  viel  mehr  sein  als  der  Meister,  so  daß  der  bei 
weitem  größte  Teil  derselben  keine  Hoffnung  haben  konnte,  jemals  auch 
zum  wohlhabenden  zünftigen  oder  unzünftigen  Meisterstande  zu  ge- 
langen. Zwar  nahm  die  Zahl  der  Landhandwerker  zu,  seitdem 
dem  Handwerksbetriebe  die  volle  Freiheit  des  Orts  gestattet,  und  der- 
selbe nicht  mehr  auf  die  Städte  beschränkt  war.  Es  konnten  mithin 
auch   mehr   Gehilfen   als   früher    zum    selbständigen    Gewerbebetriebe 


Vor-  und   Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  27 

dabei  Unterkommen  finden ;  allein  dies  reichte  um  so  weniger  aus, 
jenem  Mißverhältnisse  abzuhelfen ,  als  unvermeidlich  weniger  Hand- 
werkerarbeit vom  Lande  her  in  den  Städten  gesucht  wurde,  wenn  die 
Landleute  dieselbe  an  ihren  Wohnorten  selbst  erhalten  konnten.  Daher 
bestand  immerfort  die  Wahl  zwischen  zwei  gleich  wenig  erfreulichen 
Zuständen.  Entweder  zersplitterte  sich  der  Handwerksbetrieb  unter 
viele,  zwar  für  eigene  Rechnung,  aber  ohne  Geh  ilfen  arbeitende, 
daher  sich  nur  sehr  kümmerlich  mit  ihrer  Familie  nährende  Gewerbs- 
genossen, und  nur  sehr  wenige  Meister,  durch  besondere  Verhältnisse 
begünstigt,  konnten  zur  anständigen  Stellung  eines  wohlhabenden 
Bürgers  gelangen ;  oder  aber  es  alterte  eine  große  Anzahl  Handwerks- 
gehilfen ohne  Hoffnung,  von  dem  erlernten  Gewerbe  jemals  eine  Fa- 
milie rechtlich  ernähren  zu  können,  und  fiel  nun  durch  Versuche, 
dieses  Ziel  auf  anderem  Wege  zu  erreichen,  den  Gemeinden  zur  Last. 
Beide  Wege  wurden  im  Laufe  der  Zeit  betreten,  man  fand  in  den 
verkehrsreichsten  Städten  neben  einigen  sehr  wohlhabenden  Handwerks- 
meistern auch  viele  sehr  dürftige,  andererseits  wurde  der  Zu- 
drang  zur  Schankwirtschaft,  zur  Hökerei,  Vorkäuferei  und  anderem 
Kleinhandel  unverhältnismäßig  groß  und  wurde  hauptsächlich  durch 
alternde  Gesellen  veranlaßt,  welche  bei  dem  erlernten  Handwerk 
keinen  Unterhalt  für  eine  Familie  finden  konnten  und  gleichwohl  einen 
eigenen  Hausstand  anfangen  wollten.  Die  Gewerbsamkeit  gewann 
allerdings  insofern  etwas,  als  geschickten  und  zuverlässigen  Hand- 
werksgesellen das  Anstellen  eines  Gewerbebetriebes  für  eigene  Rech- 
nung sehr  erleichtert  war.  Wenn  sie  auch  im  allgemeinen  vor- 
zogen, das  zünftige  Meisterrecht  zu  gewinnen,  so  fanden  sie  doch  die 
Gewerke  nun  geneigter,  von  erschwerenden  Forderungen  abzustehen, 
weil  das  zünftige  Meisterrecht  nicht  mehr  ausschließlich  die  Befugnis 
zum  selbständigen  Gewerbebetrieb  verlieh.  Beinahe  noch  vorteilhai'ter 
wirkte  die  Lüftung  der  Schranken,  worin  diejenigen  Arbeiten 
eingeschlossen  wraren,  welche  zum  ausschließlichen  Betriebe  jeder 
besonderen  Zunft  gehörten.  Jeder  Handwerker  verfertigte  nun, 
was  er  mit  seinen  Werkzeugen  und  erlernten  Handgriffen  bereiten 
konnte,  soweit  nicht,  wie  bei  der  Verfertigung  von  Schlössern,  ein  be- 
sonderes polizeiliches  Interesse  Beschränkungen  unvermeidlich 
machte.  Die  Gewerke  selbst  mußten  sich  nachsichtig  gegen  ihn  zeigen, 
weil  sie  sonst  nur  den  unzünftigen  Gewerbsgenossen  ein  Uebergewicht 
verschafft  hätten.  Der  Tischler  fertigte  nun  überall  auch  Stühle, 
der  Schuster  Pantoffeln,  der  Böttcher  Eimer,  der  Schlosser 
jede  Kleinschmiedearbeit,  und  der  Wagenfabrikant  vereinigte  ohne 
Widerspruch  der  Gewerke  sieben  verschiedene  Handwerke  in  seiner 
Werkstätte.  Dagegen  war  aber  auch  nicht  zu  verkennen,  daß  der  wich- 
tige Einfluß,  welchen  angesehene  Handwerkermeister,  besonders  die 
Gewerksältermänner,  auf  Erhaltung  von  Ordnung,  Zucht  und 
Sitte  unter  den  Gewerbsgenossen  auszuüben  vermocht  hatten,  sehr 
sank,  seitdem  nicht  mehr  jeder,  der  ein  Handwerk  als  Meister  oder 
Gehilfe  trieb,  der  Zunft  angehören  mußte.  Hatten  auch  die  Meister, 
und  besonders  die  Vorsteher  der  Gewerke,  diesen  Einfluß  nicht  immer 


28  Kurt  von  Rohrscheidt, 

zur  Erreichung  wahrhaft  wohlthätiger  Zwecke  und  in  reiner  Gesinnung 
benutzt,  so  war  doch  durch  ihn  in  früheren  Zeiten  viel  Löbliches  und 
Ersprießliches  bewirkt  worden.  Auch  die  Teilnahme,  womit  die  den 
Gewerken  gehörigen  milden  Anstalten  gepflegt,  Witwen  und  Waisen 
unterstützt,  unverschuldetes  Unglück  befreundeter  Gewerke  gemildert 
war,  wurde  merklich  zweifelhafter,  als  die  Bande,  welche  die  Hand- 
werker zusammenhielten,  sich  so  sehr  lockerten.  In  deu  Provinzen, 
welche  seit  dem  Wiener  Kongreß  mit  dem  preußischen  Staate  vereinigt 
waren,  war  teils  die  Zunftverfassung  bereits  ganz  aufgehoben, 
teils  auch  noch  wesentlich  in  den  alten  Formen  verblieben.  Im 
ersteren  Falle  bestanden  die  Gewerke  zum  Teil  noch  thatsäch- 
lich,  obwohl  nicht  mehr  von  der  Regierung  anerkannt,  und  es  hatte 
sich  ein  Zustand  gebildet,  welcher  wesentlich  demjenigen  ähnlich  war, 
den  das  Edikt  vom  2.  Nov.  1810  erzeugte ,  nur  mangelte  hier  die 
gesetzliche  obrigkeitliche  Teilnahme  an  der  Aufsicht  über  die  örtlichen 
Gewerke  und  wurde  mehr  oder  minder  vollkommen  durch  Einrichtungen 
ersetzt,  woran  das  örtliche  Bedürfnis  mehr  Anteil  hatte  als  die  Landes- 
verfassung. Im  anderen  Falle,  besonders  im  Herzogtum  Sachsen, 
war  zwar  die  Regierung  sehr  geneigt,  veraltete  Mißbräuche  zu  ver- 
tilgen uud  lästige  Beschränkungen  der  Gewerbsamkeit  so  weit  zu 
mildern,  als  es  die  noch  bestehende  Zunftverfassung  zuließ,  indessen 
erhielt  die  Ueberzeugung,  daß  doch  bald  mehr  geschehen  müsse,  einen 
Zustand  der  Unsicherheit,  der  Besorgnisse  und  der  Hoff- 
nungen, welcher  den  Fortschritten  der  Gewerbsamkeit,  wie  sich 
leicht  denken  läßt,  keineswegs  günstig  war1). 

Ein  Bericht  der  Polizeideputation  der  pommerschen  Regie- 
rung in  Stettin  vom  28.  Mai  1815  2)  stellte  fest,  daß  die  Gewerbsam- 
keit im  Jahre  1814  keine  rege  gewesen  sei.  Die  Kriege  hätten 
einen  großen  Teil  des  Betriebskapitals  und  das  Jahr  1813  zur  Ver- 
teidigung eine  Masse  rüstiger  Arbeiter  entzogen.  Wenn  letztere  auch 
nach  dem  Frieden  allmählich  wieder  zu  den  Gewerben  zurückkehrten, 
so  geschähe  es  doch  mit  verstümmelten  Gliedmaßen,  verminderter  Ge- 
schicklichkeit und  mit  weniger  gutem  Willen,  als  die  Gewerbe  zu 
ihrem  Emporkommen  nötig  hätten.  Fortschritte  seien  daher  nirgends 
zu  erwarten,  man  müsse  vielmehr  zufrieden  sein,  wenn  es  nur  beim 
Stillstand  verblieben  und  kein  Verfall  von  Bedeutung  sichtbar 
geworden  wäre.  Da  die  Gesetzgebung  der  Jahre  1810  und  1811  aus- 
gesprochenermaßen die  Absicht  verfolgt  hatte ,  die  Auflösung  der 
Zünfte  auch  als  freier  Vereinigungen  zu  befördern  und  so  das  Gewerbe- 
wesen allmählich  in  eine  zunftlose  Aera  hinüberzuleiten,  so  wurden 
im  Jahre  1837  Ermittelungen  darüber  angestellt,  inwiefern  die  Wir- 
kung der  Gesetze  der  Absicht  entsprochen  hatte.  Es  ist  schon  früher 
angedeutet  worden ,  daß  von  der  Auflösungsbefugnis  des  §  19  des 
Edikts  vom  7.  Sept.  1811  überall  wenig  Gebrauch  gemacht  war.   Aus 


1)  Nach     J.     G.     Hoffmann.    Die     Befugnis    zum     Gewerbebetriebe    (Berlin     1841), 
S.    136  ff. 

2)  A.  No.  6. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und   Gewerbefreiheit.  29 

dem  Regierungsbezirk  Königsberg,  welchen  wir  hier  als  Beispiel  an- 
führen wollen,  kam  die  gleiche  Nachricht1).  Wenn  einmal  die  Auf- 
lösung eines  Gewerks  stattfand,  so  geschah  es  nur,  weil  die  Meister 
ausgestorben  waren.  Hie  und  da  wurden  sogar  Anträge  auf  Neu- 
errichtung von  Gewer ken  gestellt,  wie  z  B.  aus  Liebemühl,  die 
allerdings  zurückgewiesen  wurden.  Nur  in  Königsberg  lösten  sich 
14  Gewerke  auf,  darunter  die  der  Müller  und  der  Züchner,  in  Pr. 
Holland  ebenfalls  die  Müller  und  Züchner.  In  Liebstadt  löste 
sich  das  Bäckergewerk  auf,  und  aus  Gilgen  bürg  wurde  konstatiert, 
daß  sich  immer  häufiger  Gewerbetreibende  aller  Art  etablierten,  welche 
sich  den  Zünften  nicht  anschlössen.  Im  übrigen  kamen  nur  negative 
Nachrichten  aus  Allenburg,  Alienstein,  Barten,  Bartenstein,  Bischofs- 
burg, Bischofstein,  Braunsberg,  Kreuzberg,  Domman,  Drengfurth,  Pr. 
Eylau,  Fischhausen,  Friedland,  Frauenburg,  Gerdunen,  Gilgenburg, 
Guttstadt,  Heilsberg,  Höllenstein,  Labiau,  Landsberg,  Mehlhack,  Memel, 
Mohrungen,  Mühlhausen,  Neidenburg,  Niedenburg,  Ortenburg,  Osterode, 
Passeuheim  ,  Pillau,  Rastenburg,  Rössel,  Saalfeld,  Schippenbeil,  See- 
burg, Soldau,  Tapiau,  Wehlau,  Willenberg,  Wormditt,  Zinten,  Heiligen- 
beil und  Wartenburg.  Immerhin  lauteten  um  diese  Zeit  aus  dem 
Regierungsbezirk  Königsberg  die  Berichte  über  den  Stand  des 
Gewerbewesens  bereits  entschieden  günstiger.  So  heißt  es  in  einem 
an  den  Minister  des  Innern  v.  R  o  c  h  o  w  eingereichten  Promemoria 
eines  Regi  erungsassessor  s  Schmitz  vom  3.  September  1840 2), 
daß  die  Fabrikationsgewerbe  im  allgemeinen  gegen  die  Kriegszeiten 
in  ihrem  Umfange  gestiegen  seien.  Dies  verstände  sich  allerdings  von 
selbst,  allein  sie  hätten  auch  in  den  letzten  Jahren  andauernd  und 
merklich  zugenommen,  was  man  aus  der  Gewerbesteuer  ersehen 
könne,  deren  Soll : 

1825  84306  Tbaler 

1836  85  147   „   10  Sgr. 

1837  85755   „ 

1838  85  275   „ 

1839  88316   ,,   10  ,, 

betragen  habe.  Auch  wäre  die  Solleinnahme  durch  die  Isteinnahme 
überschritten  worden: 

1837  um  3541   Thaler  8  Silbergr.    3   Pf. 

1838  ,,     2862        ,,        I  „  2      „ 

1839  „    2318       „       4  3     ,1 

Bei  denjenigen  Gewerben,  welche  auf  Ackerbau,  Viehzucht,  Holz- 
zucht und  Mineralien  gegründet  seien,  wäre  vorzugsweise  in  den  letz- 
ten Jahren  ein  Vorschreiten  sichtbar  gewesen. 

Der  bereits  genannte  ausgezeichnete  Kenner  des  Gewerbewesens, 
der  Statistiker  J.  G.  Hoff  mann,  nimmt  an,  daß  den  damaligen  Zeit- 
verhältnissen entsprechend  jedes  Gewerk  ungefähr  eben  so  viel  Lehr- 
linge und  im  ganzen  wenigstens  dreimal  so  viel  Gehilfen  als 
Meister    haben    müsse,    wenn   die  zur  Gründung  eines  Hausstandes 


1)  B.  No.  1. 

2)  A.  No.  6. 


30  Kurt  von  Rohrscheidt, 

und  zur  Erhaltung  der  Familie  erforderliche  mäßige  Wohlhabenheit 
jedes  Meisters  erreicht  werden  solle.  Wenn  man  voraussetze,  daß 
jemand  mit  30  Jahren  Meister  werde  und  eben  so  lange  Meister  bliebe, 
so  lehre  er  in  dieser  Zeit  7  Lehrlinge  aus,  da  die  Lehrzeit  im  Durch- 
schnitt 4  Jahre  währe,  falls  er  nie  mehr  als  einen  Lehrling  gleich- 
zeitig unterhalte.  Das  sei  auch  nicht  zu  viel,  wenn  es  gelte,  zu  viel 
Gesellen  heranzuziehen,  daß  er  beständig  deren  3  halten  könne.  Allein 
es  sei  allerdings  viel  zu  viel,  wenn  man  erwäge,  daß  alle  diese  Ge- 
hilfen nach  vollendetem  30.  Lebensjahr  einen  wohlbegründeten  An- 
spruch auf  Verheiratung  und  Anstellung  eines  selbständigen  Gewerbes 
hätten.  Wenn  auch  teils  die  Bevölkerung  und  mit  ihr  der  Ver- 
brauch von  Handwerkerarbeiten  wachse,  teils  in  den  Lehr- 
und  Gesellenjahren  einiger  Abgang  durch  Tod  oder  Veränderung 
des  Lebensplanes  eintrete,  so  sei  doch  beides  bei  weitem  unzureichend, 
die  Zahl  der  notwendigen  jungen  Gehilfen  so  zu  mindern,  daß  nicht 
viel  mehr  Ansprüche  auf  das  Meisterrecht  erhoben  würden, 
als  sich  mit  dem  Wohlstande  der  Einzelnen  vereinigen  ließe.  Die  P'olge 
dann  wäre,  daß  die  Zahl  der  Meister  in  ein  ganz  anderes  Ver- 
hältnis zu  den  Gehilfen  komme.  Neben  einigen  wohlhabenden  Meistern, 
die  mit  3,  4  und  mehr  Gesellen  arbeiteten,  müßten  viele  bestehen,  die 
letztere  gar  nicht  hätten.  Es  sei  klar,  daß  nur  etwa  halb  so  viel 
Gehifen  als  Meister  vorhanden  sein  könnten,  wenn  der  einzelne 
Mensch  vom  14.  bis  zum  30.  Lebensjahre,  also  16  Jahre  lang,  Lehrling 
und  Geselle ,  und  vom  30.  bis  zum  60. ,  also  30  Jahre  lang,  Meister 
bliebe.  Diese  Annahme  bestätigte  auch  im  allgemeinen  die  Praxis. 
Es  wareu  nach  der  am  Ende  des  Jahres  1828  aufgenommenen  Gewerbe- 
tabelle im  ganzen  preußischen  Staat  folgende  Handwerker  vorhanden : 


Meister,  zünftig 

Gehilfen, 

Es  kamen  auf 

und  unzünftig 

Gesellen  und 

100  Meister 

Lehrlinge 

Gehilfen 

Bäcker 

21  708 

7  559 

35 

Fleischer 

I5  654 

5  344 

34 

Schneider 

53  791 

22  022 

41 

Schuster  und  Pantoffe Imacher 

64419 

32968 

5i 

Tischler 

23066 

16  615 

72 

Grob-,  Huf-  und  Waffenschmiede 

29  933 

12913 

43 

Schlosser  und  Kleinschmiede 

15068 

11  151 

74 

Töpfer  und  Ofenfabrikanten 

4981 

3831 

77 

Rade-  und  Stellmacher 

13  148 

4  040 

3i 

Böttcher  und   Kleinbinder 

II  715 

4  435 

38 

Seiler 

3  235 

1  729 

53 

Riemer  und  Sattler 

5  976 

3  006 

5° 

Gerber  und   Lederbereiter 

5  329 

4  279 

80 

Zusammen     268  023  129  892  48 

Entgegen  dem  früheren  Grundsatze,  daß  die  Städte  den  Sitz  der 
Handwerke  bildeten,  lebten  mehr  als  die  Hälfte  aller  dieser  Meister 
auf  dem  Lande,  und  zwar  waren  bei: 


1)  A.  No.   6. 
1)  A.  No.   6. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit. 


31 


Bäckern 

Fleischern 

Schneidern 

Schustern  und   Pantoffelmachern 

Tischlern 

Grob-,  Huf-  und  Waffenschmieden 

Schlossern   und   Kleinschmieden 

Töpfern  und  Ofenfabrikanten 

Rade-  und  Stellmachern 

Böttchern  und  Kleinbindern 

Seilern 

Riemern  und  Sattlern 

Gerbern  und  Lederbereitern 


Meister  überhaupt 
21  708 
15  654 
53  79i 
64419 
23  066 

29  933 
15068 

4981 
13  148 
11  715 

3  235 

5  976 

5  329 


auf  dem  Lande 

10  384 
6481 

31  977 
26  555 

1 1  105 
24  964 

7  810 

1  366 
9904 
5766 

539 

2  012 
1  249 


also  unter  100 
48 
41 
59 
4i 
48 

83 
52 
27 
75 
49 
17 
34 
23 


Zusammen     268  023 

Hiervon  kommen: 

auf  die  39  gröfsten  Städte  31  687  Meister,  37  177  Gehilfen, 
auf  alle  übrigen  Städte    96224         „        55  959  5> 

auf  das  platte  Land        140112         .,         36756  » 


140  I  12 


52 


also  auf  IOO  Meister  117  Gehilfen 

„   „    ;,      ..      58      „ 
26 


Zusammen    268  023 


129  892 


48 


Auf  dem  Lande  waren  also  sehr  wenig  Gehilfen  vorhanden,  doppelt 
so  viel  in  den  kleinen  Städten,  und  wieder  doppelt  so  viel  als 
hier  in  den  großen  Städten.  Trotzdem  meint  Hotfmann,  und 
wohl  mit  Recht,  daß  die  Landhandwerker  wahrscheinlich  nicht  die 
dürftigsten  unter  ihren  Genossen  gewesen  seien,  da  der  Besitz  einer 
Kuh  und  eines  Kartoffelgartens  bei  gewöhnter  einfacher  Lebensweise 
zur  Ernährung  der  Familie  wesentlich  beigetragen  habe.  Dagegen 
mußte  in  den  kleineren  Städten  die  Zahl  der  dürftigen  Meister 
sehr  beträchtlich  sein,  da  bei  58  Gehilfen  auf  100  Meister  der 
größte  Teil  der  letzteren  immer  ohne  Gehilfen  zu  arbeiten  gezwungen 
war.  Auch  in  den  größeren  Städten  waren  noch  nicht  halb  so 
viel  Gehilfen  vorhanden,  als  nach  der  Hoffmann'schen  Annahme 
nötig  gewesen  wären,  um  nur  zwei  Dritteilen  der  Meister  Wohlstand 
zu  verleihen.  Es  ist  interessant  zu  sehen,  daß  das  Mißverhältnis 
zwischen  der  Anzahl  der  Meister  und  der  der  Gehilfen  sowohl  in  den 
Provinzen  hervortrat,  wo  der  Zunftverband  längst  gänzlich  aufgehoben 
war,  als  in  denen,  wo  er  noch  zum  großen  Teile  bestand.  Es  hatten 
nämlich  die  Provinzen 


bei  einer  Ein- 

Meister, 

Gesellen 

es  kamen  also  auf 

wohnerzahl 

zünftig  und 

und 

100  000 

Einwohner 

von 

unzünftig 

Lehrlinge 

Meister 

Gehilfen 

Ost-  und  Westpreufsen 

2  008  361 

32690 

14  121 

163 

70 

Posen 

I  064  506 

17  829 

6382 

167 

60 

Brandenburg  u.  Pommern 

2416434 

49  538 

3M59 

205 

130 

Schlesien 

2  396  551 

50362 

19675 

210 

82 

Sachsen 

I  409  388 

35  978 

17  772 

255 

125 

Westfalen    u.   Rheinprov. 

3  430  870 

40483 

40  483 

238 

118 

Zusammen  12726  HO         268023  129892  211  102 

Danach  besaßen  die  Provinzen  Sachsen,  Westfalen  und 
Rheinprovinz,  obgleich  ihr  Zustand  bez.  des  Zunftwesens  doch 
ganz  verschieden   war,   gleichmäßig  noch   nicht  halb  so  viel  Gehilfen 


32  Kurt  von  Robrscheidt, 

als  Meister.  Und  wiederum  war  dies  Verhältnis  in  Brandenburg 
und  Pommern  ganz  anders  als  in  Schlesien,  trotzdem  diese 
Landesteile  seit  1810  die  gleiche  Gewerbeverfassung  besaßen.  Dabei 
ist  allerdings  zu  berücksichtigen,  daß  in  Schlesien  nur  ein  Fünftel,  in 
Brandenburg  und  Pommern  dagegen  drei  Achtel  der  Einwohner  in  den 
Städten  wohnten,  weshalb  jene  Provinz  schon  mehr  Landhandwerker 
und  daher  verhältnismäßig  weniger  Gehilfen  als  letztere  aufwies.  Die 
größte  Anzahl  von  Meistern  hatten  die  kleineren  Städte,  nämlich  438 
auf  100000  Einwohner,  während  die  großen  Städte  nur  270  auf  die 
gleiche  Einwohnerzahl  besaßen.  Je  wohlhabender  die  Provinzen  waren, 
desto  mehr  hatten  sie  Landhandwerker  im  Verhältnisse  zu  ihrer  länd- 
ländlichen Bevölkerung;  es  zeigten  nämlich  auf  100000  Einwohner 
Meister  und  Gehilfen :  Westfalen  und  Rheinprovinz  283,  Sachsen  205, 
Schlesien  195,  Brandenburg  und  Pommern  132,  Ost-  und  Westpreußen 
115  und  Posen  62.  Dasselbe  gilt  für  die  Anzahl  der  Gehilfen,  d.  h. 
bez.  des  Umfangs  des  Gewerbebetriebes ,  denn  es  kamen  auf  100 
Landmeister  in  Westfalen  und  der  Rheinprovinz  36,  in  Brandenburg 
und  Pommern  24,  in  Sachsen  23,  in  Schlesien  21,  in  Ost-  und  West- 
preußen 11  und  in  Posen  11  Gehilfen. 

Nachfolgende  statistische  Tabelle  möge  die  Uebersicht  über  die 
Gewerbsverhältnisse  für  Stadt  und  Land  im  Jahre  1828  vervoll- 
ständigen.    (Tab.  s.  S.  33.) 

Am  bemerkenswertesten  bei  dieser  Statistik  ist  wohl  der 
große  Abfluß  der  Handwerker  aus  den  Städten  auf  das  Land 
welchen  die  Gewerbefreiheit  zur  Folge  hatte.  Es  war  dies  sicherlich 
nur  zum  Vorteil  der  Landbewohner  selbst,  denen  die  Handwerker 
manche  Bequemlichkeiten  und  Annehmlichkeiten  des 
Lebens,  wie  sie  unter  dem  Einfluß  der  wachsenden  Kultur  entstanden, 
brachten,  während  dies  ohnedem  nur  unvollkommen  geschehen  sein 
würde.  Die  zahlreichen  Handwerker  auf  dem  Lande  vermehrten  aber 
auch  die  städtische  Handwerkerarbeit,  da  sie  vieler  Werk- 
zeuge und  Zuthaten  bedurften,  die  nur  aus  den  Läden  der  Städte 
entnommen  werden  konnten.  Endlich  hatten  die  städtischen  Hand- 
werker an  den  ländlichen  wohlfeile  Gehilfen,  so  daß  es  in  ihrem  eige- 
nen Interesse  lag,  wenn  letzteren  die  Ansiedelung  in  Flecken  und 
Dörfern  so  wenig  als  möglich  verkümmert  wurde. 

H.  Abschnitt. 
Gegenströmungen. 

Es  war  Hardenberg  keineswegs  leicht ,  den  vom  Gesetze  prokla- 
mierten Grundsatz  der  Gewerbefreiheit  ohne  Schwanken  aufrecht  zu 
erhalten,  da  von  allen  Seiten  der  Versuch  gemacht  wurde,  durch  De- 
klaration der  Gesetze  oder  auf  dem  Wege  der  Verwaltungspraxis  das 
Prinzip  zu  durchbrechen.  Allein  der  Staatskauzier  ließ  sich  nicht  be- 
irren, und  er  schritt  überall  nachdrücklich  ein,  wo  ihm  eiu  Abweichen 


1)  Nach  Hoffmann,  Nachlafs  kleiner  Schriften,  Berlin   1847,  S.   395  ff. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit. 


33 


von  dem  vorgeschriebenen  Wege  bekannt  wurde.  So  hatte  der  Chef 
der  Abgabensektion,  v.  Heydebreck,  bezweckt,  einen  weiteren  Schutz 
des  Krugsverlagsrechts   dadurch  herbeizuführen,    daß  er  bean- 


Es   hatten  nachstehende      bei  einer 
Landesteile,  die  Städte     Einwohn. - 
zahl  von 


Meister,       Gesellen  es  kamen  also  aui 

zünftig  und  und  100  000  Einwohner 

unzünftig      Lehrlinge       Meister  Gehilfen 


1)  Königsberg 

76941 

2)  Dangig 

61  902 

3)  Elbing 

19  860 

4)  Thorn 

13  773 

5)  Tilsit 

11  665 

6)  Memel 

8833 

183  974 

28484 

236  830 

4252 

713 
5  528 

5641 

961 

8383 

231 
250 

233 

307 

7)  Posen 

338 

8)  Berlin 

354 

9)  Potsdam 

32  345 

10)  Stettin 

31  961 

11)  Frankfurt 

21  972 

12)  Stralsund 

17  174 

13)    Brandenburg 

'4  995 

"8  447 

2984 

3692 

252 

312 

14)   Breslau 

90090 

15)  Grofs-Glogau 

14  593 

16)  Brieg 

11  371 

17)  Görlitz 

10  981 

18)  Liegnitz 

10854 

19)  Grünberg 

9049 

146938 

4  100 

4  33o 

279 

295 

20)  Magdeburg  ohne 

Neustadt  u.  s.  w. 

44049 

21)  Halle 

25  982 

22)  Erfurt 

25  127 

23)  Halberstadt 

16512 

24)  Quedlinburg 

12  539 

25)  Burg 

12  475 

26)  Mühlhausen 

11  387 

27)  Naumburg 

10803 

28)  Nordhausen 

i°5i5 

169  389 

5  775 

5  572 

34i 

329 

29)  Köln  mit  Deutz 

64499 

30)  Elberfeld  mit  Barmen 

54  345 

31)  Aachen 

36809 

32)  Düsseldorf 

23679 

33)  Münster 

21  046 

34)  Koblenz   mit  Ehren- 

18278 

breitenstein 

35)  Krefeld 

17976 

36)  Trier 

15  998 

37)  Wesel 

13  218 

38)  Bonn 

12250 

39)  Eupen 

10677 

288  775 

8  335 

8598 

289 

298 

Alle  übrigen  Städte  und 

Provinzen 

Ost-  und  Westpreufsen 

268  170 

12  418 

6665 

463 

249 

Posen 

260  463 

12  508 

4  892 

480 

188 

Brandenburg  und  Pommern 

553  964 

23  7H 

15277 

428 

276 

Schlesien 

336  930 

15423 

8889 

458 

264 

Sachsen 

339  145 

15  173 

8741 

447 

258 

Westfalen  und  Rheinprovinz 

435  924 

16988 

"495 

390 

264 

Also  in  sämtlichen  Städten  des 

preufsischen  Staates 

3  367  433 

127  911 

93  136 

380 

277 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXIII). 


34  Kurt  von  Rohrscheidt, 

ü     v  ,.  u  bei  einer 

Es  hatten  nach-         -^.        , 
.  ,       ,     T      j     .  .,       Einwohner- 
stehende  Landesteile  ,  , 

zahl  von 

Sämtl.   Städte  d.  Staats:    3367433 

Die  Flecken  u.  Dörfer  in 

den  Provinzen 

Ost-  und  Westpreufsen       1  556217 

Posen  775  559 

Brandenburg  u.  Pommern   I  507  193 

Schlesien  I  912  683 

Sachsen  900  854 

Westfalen  u.  Rheinprov.    2706171 


Meister, 

Gesellen 

es  kamen 

also  auf 

zünftig  und 

und  Lehr- 

1000 Ein 

wohner 

unzünftig 

linge 

Meister     Gehilfen 

127  911 

93  »36 

380 

277 

16020 

1815 

103 

12 

4608 

529 

59 

7 

I73I2 

4107 

ii5 

27 

30839 

6  456 

161 

34 

15030 

3  459 

167 

38 

56  303 

10390 

208 

75 

268  023 

129  892 

211 

102 

31687 

37  177 

270 

317 

96  224 

55  995 

438 

255 

Der  ganze  Staat  12  726  1 10 
und  zwar  insbes.  die  39 

vorben.  Städte  1  172  837 

alle  übrigen  Städte  2  194  596 

Das  Land  in  Flecken  und 

Dörfern  9358677  140112  36756  150  39 

tragte,  die  Anlegung  neuer  Brauereien  und  Brennereien  an  Orten, 
wo  andere  das  Krugsverlagsrecht  hätten,  zu  verbieten.  Hardenberg 
lehnte  dies  unter  dem  15.  Oktober  1811 x)  bestimmt  ab,  indem  er  aus- 
führte, man  könnte  doch  unmöglich  wieder  ganz  auf  den  alten 
Punkt  zurückkehren  und  Monopole  begünstigen.  Der  bisherige 
Zwangspflichtige  müsse  nicht  nur  sein  Getränk  nach  Belieben  kaufen 
dürfen,  sondern  auch  den  Vorteil  des  näheren  Bezuges  um  so  mehr 
haben,  als  nicht  zu  bezweifeln  stehe,  daß  der  Nachteil,  welchen  der 
Zwangsberechtigte  von  dieser  Konkurrenz  vielleicht  haben  könne, 
aber  oft  nicht  haben  werde,  durch  Vermehrung  der  Bevölkerung 
und.  des  Wohlstandes,  die  die  neue  Verfassung  des  platten  Landes  er- 
zeugen müsse,  reichlich  zur  Ausgleichung  komme. 

Vielfach  zeigte  sich  auch  an  den  Provinzialbehörden,  die  in  stän- 
diger Berührung  mit  der  Bevölkerung  blieben,  daß  sie  von  den  Gegen- 
strömungen gegen  die  Gewerbefreiheit  mit  ergriffen  wurden.  Wenn 
sie  sich  auch  nicht  in  der  Lage  befanden,  die  gesetzlichen  Vorschriften 
unwirksam  zu  machen,  so  waren  sie  doch  von  einer  gewissen  Lässig- 
keit und  Nachgiebigkeit  gegen  die  Stimmung  der  Zunftfreunde  und 
hielten  nicht  mit  Festigkeit  darauf,  daß  Mißverständnis  und  Mißver- 
gnügen aufgeklärt  und  behoben  wurden.  So  fühlte  sich  Hardenberg 
bereits  am  26.  Oktober  1811 2)  bewogen,  in  einer  geharnischten 
Verfügung  an  die  Regierung  zu  Breslau  zu  erklären,  daß,  wie 
er  aus  den  Berichten  des  Polizeipräsidiums  erfahren  habe ,  man  sich 
bemühe,  Unzufriedenheit  über  das  neue  Gewerbe-  und 
Konsumtionssteuer-Edikt  zu  erregen ,  und  daß  solche  sogar 
schon  anfange,  laut  zu  werden.  Insbesondere  verbreite  man  die  Mei- 
nung, daß  das  Gouvernement  das  städtische  Interesse  dem 
ländlichen  nachsetze  und  jenes  dem  der  Gutsbesitzer  ganz  auf- 
opfere. Es  gereiche  den  Landesbehörden  zum  Vorwurfe,  wenn  solche 
ganz  falsche  und  leicht   zu   widerlegende   Ansichten   selbst   an  Orten 


1)  A.  No.  1,  Vol.  i. 

2)  A.  No.  1,  Vol.  I. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreibeit.  35 

verbreitet  und  herrschend  würden,  wo  sie  ihren  Sitz  hätten,  und  mit- 
hin Belehrung  und  Zurechtweisung  ihnen  nicht  schwer  werden  könne. 
So  bedeutend  die  Steuererlasse  auch  seien,  welche  dem  platten  Lande 
bewilligt  wären,  so  müsse  doch  dabei  nicht  übersehen  werden,  daß  sie 
nur  bei  ganz  Deuen  Abgaben  stattgefunden,  und  daß  vom  Lande  doch 
noch  mehrere  Millionen  aufgebracht  würden,  während  die  Städte  von 
verschiedenen  älteren  Abgaben  Erlasse  erhalten  und  von  den  neuen 
bloß  dieGewerbs-  und  Luxussteuer  gemeinschaftlich  mit  dem 
platten  Lande  trügen.  Dabei  entspränge  aus  dem  freieren  Zustande 
des  platten  Landes  so  mancher  indirekte  Vorteil  für  die  Städte,  daß 
nur  sehr  wenig  Blick  dazu  gehöre,  um  zu  beweisen,  daß  die  neuen 
Einrichtungen  nicht  bloß  wohlthätig  für  das  platte  Land,  sondern 
auch  für  die  Städte  seien.  Der  Nachteil,  welcher  für  die  letzteren 
aus  der  Konkurrenz  der  Landgewerbe  besorgt  werden  könne, 
werde  dadurch  beseitigt,  daß  die  letzteren  höhere  Gewerbesteuer 
trügen  und  ihre  Fabrikate  bei  der  Einbringung  in  die  Städte  einer 
die  größeren  städtischen  Lasten  ausgleichenden  Nachschuß accise 
unterwerfen  müßten ,  die  auch  beim  Aufkauf  der  Landfabrikate  zum 
Handel  und  bei  deren  Verkauf  auf  den  Märkten  der  accisefreien 
Städte  entrichtet  werden  solle,  damit  der  Stadtfabrikant  mit  dem 
ländlichen  auch  hier  in  Konkurrenz  bleiben  könne.  Von  den  Kon- 
sumtionsartikeln sei  die  Nachschußaccise  vorläufig  bestimmt. 
Dabei  wäre  der  Grundsatz  angenommen,  daß  an  den  Orten,  wo  sie 
nicht  ausreiche ,  um  den  höheren  Aufwand ,  den  der  Städter  wegen 
außerordentlicher  Lasten  habe,  zu  decken  und  auszugleichen,  der  Satz 
verhältnismäßig  erhöht  werden  solle.  Dieser  Fall  trete  dem  Ver- 
nehmen nach  z.  B.  in  Breslau  bei  den  Fleischern  dadurch  ein,  daß  die 
Bankgerechtigkeiten  daselbst  einen  hohen  Wert  hätten.  Es  sei 
daher  billig,  daß  der  Nachschuß  von  3  Pf.  pro  Pfund  Pleisch  um 
1 — 2  Pf.  erhöht  würde,  und  es  bliebe  der  Regierung  überlassen,  mit 
Rücksicht  auf  das  Resultat  der  näheren  Ausmittelung  entweder  den 
ersten  oder  den  letzten  Satz  anzuwenden,  dessen  Einkommen  übrigens 
zur  Ablösung  der  Bankgerechtigkeiten  verbraucht  werden  solle.  Fände 
sich  eine  ähnliche  Erhöhung  auch  bei  anderen  Artikeln  nötig, 
so  habe  die  Regierung  schleunig  ihre  Vorschläge  der  Abgabensektion 
zu  machen. 

Vorstellungen  gegen  die  Gewerbefreiheit  wurden  fortgesetzt  von 
den  Städten  beim  Staatskanzler  angebracht,  und  Hardenberg  benutzte 
eine  Eingabe  des  Berliner  Magistrats,  um  sich  unter  dem 
18.  März  1817  eingehend  über  diese  Frage  zu  verbreiten.  Er  verfügte 
an  die  Berliner  Regierung1):  „Der  Königl.  Regierung  eröffne  ich  auf 
den  Bericht  vom  26.  Januar,  die  von  dem  hiesigen  Magistrat  besorg- 
ten Nachteile  der  Gewerbe  fr  ei  he  it  betreffend,  folgendes. 
Unleugbar  geraten  viele  in  Armut  und  Immoralität,  weil  sie  ohne 
hinlänglichen  und  sicheren  Erwerb  heiraten  und  einen 
eigenen  Hausstand  anfangen.     Die  von   dem   hiesigen  Magistrat  ange- 

1)  A.  No.   1,  Vol.  II. 


36  Kurt  von  Robrscheidt, 

führten  Gründe  überzeugen  mich  jedoch  nicht,  daß  die  Wiederher- 
stellung der  ausschließlichen  Zunftrechte  ein  Mittel  sei,  dieser  Unvor- 
sichtigkeit zu  steuern.  Da  die  gesetzliche  Lehrzeit  niemals  über 
sieben,  oft  nur  fünf  oder  gar  drei  Jahre  beträgt,  drei  Jahre 
in  der  Regel  zur  Wanderzeit  bestimmt  sind,  und  die  Lehrlinge  im 
14.  Jahre  aufgenommen  werden,  so  kann  die  Lehr-  und  Wanderzeit 
gewöhnlich  vor  erreichter  Volljährigkeit  beendet  sein,  und  die  Zunft- 
verfassung an  sich  hindert  daher  zu  frühe  Heurathen  nicht.  Mehrere 
Gewerke  sind  längst  mit  armen  Meistern  überfüllt,  namentlich 
die  Zünfte  der  Schuhmacher  und  Schneider  und  in  den  Provinzial- 
städten  vorzüglich  der  Tuchmacher.  Die  Zunftverfassungen  haben  dies 
nicht  verhindert ;  wohl  aber  noch  durch  —  wenn  auch  längst  verboten, 
dennoch  zur  Ehrensache  gemachte  —  Schmausereien  bei  den  Auf- 
nahmen die  kleinen  Ersparnisse  vergeudet,  deren  bessere  Anwendung 
die  Grundlage  des  künftigen  Wohlstandes  der  neuen  Haushaltungen 
hat  werden  können. 

Der  geschickte,  fleißige  und  ordentliche  Handwerker  findet  fast 
immer  noch  Nahrung:  allein  die  Meisterstücke  verbürgen  nicht 
wie  einst  die  Geschicklichkeit.  Daraus,  daß  ein  Gesell  mit  beliebigem 
Aufwände  von  Zeit  und  Material  endlich  ein  erträgliches  Stück  Arbeit 
fertigt,  folgt  noch  keineswegs,  daß  er  schnell  und  sparsam,  mit- 
hin wohlteil  und  dennoch  dauerhaft  und  schön  zu  arbeiten  ver- 
stehe, und  noch  weniger,  daß  er  die  Fähigkeit  habe,  dem  wandelbaren 
Geschmacke  und  den  Bedürfnissen  der  Zeit  zu  folgen,  worauf  sein 
dauerhaftes  Auskommen  vorzüglich  beruht.  Auch  findet  man  in 
allen  zahlreichen  Zünften  einzelne  unbrauchbare  Arbeiter,  des  von  ihnen 
gefertigten  Meisterstücks  ungeachtet. 

Endlich  dürfen  auch  in  mehreren  Zünften  die  Gesellen  heiraten, 
wie  bei  Maurern  und  Zimmerleuten,  und  die  Freiweber  und  Fabrik- 
arbeiter, unter  welchen  vorzüglich  Armut  und  Elend  heischen,  waren 
überhaupt  niemals  zünftig. 

Nach  meiner  Ansicht  können  nur  edlere  Beweggründe  als 
diejenigen,  welche  das  Zunftwesen  zu  geben  vermag,  der  unvorsichtigen 
Anstellung  einer  eigenen  Haushaltung  steuern,  und  die  gerechten  Rück- 
sichten auf  das  künftige  Schicksal  einer  neuen  Familie  gegen  die  Nei- 
gung zur  Unabhängigkeit  geltend  machen.  Der  Drang  der  Zeiten  hat 
viele  Früchte  des  stillen  Fleißes,  und  mit  ihnen  die  häusliche  Ord- 
nung und  Zucht  zerstört,  aus  welcher  solche  edlere  Beweggründe  her- 
vorkeimten. Eine  Menge  Menschen  sind  aus  der  häuslichen  Abhängig- 
keit und  von  ländlichen  Arbeiten  in  die  Heere  gerufen  worden ,  die 
jetzt  von  einer  arbeitsamen  und  sparsamen  Lebensart  entwöhnt,  in 
den  Städten  leichteren  Erwerb  und  ein  freieres  Leben  suchen.  Die 
Wiederherstellung  eines  sicheren  Friedens  und  einer  größeren  Selb- 
ständigkeit hat  zwar  die  Möglichkeit  erworben,  den  zerrütteten  Wohl- 
stand wieder  zu  erlangen;  aber  es  gehört  Zeit  und  Ruhe  dazu, 
und  die  nächsten  Folgen  der  Not  verschwinden  keineswegs  sogleich 
mit  der  Ursache  derselben. 

Der   Andrang  zu   den   städtischen   Gewerben   und    zur 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  37 

ErlaDgung  des  Bürgerrechts,  worüber  der  Magistrat  klagt,  erklärt  sich 
sehr  viel  besser  aus  diesen  allgemeinen  Verhältnissen,  als  aus  der  Ge- 
werbefreiheit; und  es  würde  ihm  wohl  anstehen,  nicht  bei  leereu 
Klagen  stehen  zu  bleiben,  sondern  vielmehr  durch  Achtsamkeit  aut 
die  Umwandelung  in  den  Gemütern  und  Verhältnissen,  welche  die 
Zeit  hervorgebracht  hat,  den  Nachteilen  zu  begegnen,  welche  neben 
dem  neuen  Guten  sichtbar  werden. 

Als  der  größte  Teil  der  Friedensgarnisonen  aus  geworbenen  Aus- 
ländern bestand,  deren  Neigung  zur  Desertion  und  Ausschweifung 
man  durch  Begünstigung  der  Soldatenehre  zu  vermindern  suchte,  war 
Berlin  mit  Frauen  und  Kindern  von  Soldaten  überfüllt,  welchen  hin- 
länglicher Unterhalt  fehlte.  Die  neue  Organisation  des  Heeres  läßt 
erwarten,  daß  dieses  Uebel  künftig  nicht  mehr  stattfinden  werde, 
und  die  allgemeine  Militärpflichtigkeit  wird  in  der  Regel  Ehen  vor 
dem  25.  Jahre  verhindern. 

Die  Aufhebung  der  ausschließlichen  Rechte  der  Zünfte  beut  die 
Mittel  dar,  neue  Korporationen  von  Gewerbetreibenden  zu 
stiften,  die  auf  zeitgemäßeren  Grundsätzen  beruhen.  Solche  Stiftungen 
sind  §  31  des  Gewerbepolizeiedikts  vom  7.  September  1811  ausdrück- 
lich vorbehalten:  Die  Hauptstadt  des  Landes  ist  aber  den  Provinzen 
noch  nicht  mit  gutem  Beispiele  vorangegangen,  ausführbare  Vorschläge 
dazu  einzureichen.  Die  Städteordnung  setzt  §  17  ausdrücklich  fest, 
daß  nur  unbescholtene  Personen  zum  Bürgerrechte  gelassen 
werden  sollen.  Auch  sind  die  Stadtverordneten  nach  §  39  der  Städte- 
ordnung wohl  befugt,  Personen,  die  sich  durch  niederträchtige  Hand- 
lungen verächtlich  gemacht  haben,  des  Bürgerrechts  für  verlustig  zu 
erklären.  Es  ist  mir  wenigstens  bis  jetzt  nicht  bekannt  worden,  daß 
aus  diesen  Anordnungen  eine  größere  Achtsamkeit  auf  die  sittlichen 
Verhältnisse  der  hiesigen  Bürgerschaft  hervorgegangen  wäre.  Ein 
hierauf,  nicht  aber  auf  Erwerbsexklusiven  oder  Befreiung 
von  allgemeinen  Landesobliegenheiten  gegründeter  Korporationsgeist 
dürfte  gleichwohl  der  kräftigsten  Unterstützung  der  oberen  Staatsbehörde 
gewärtig  sein." 

In  denjenigen  Landesteilen,  welche  noch  ihre  alte  Zunftver- 
fassung besaßen,  wie  das  Herzogtum  Sachsen,  wiederholte  sich  das 
Schauspiel,  welches  sich  bei  Proklamierung  der  Gewerbefreiheit  in  den 
alten  Provinzen  gezeigt  hatte.  Die  Furcht  vor  der  Einführung  der 
preußischen  Gewerbegesetze  brachte  Aller  Gemüter  in  Erregung,  und 
die  Provinzialbehörden  machten  sich  meist  zum  Anwalt  der  besorgten 
Zünftler,  zum  Dolmetscher  ihrer  Klagen.  So  schrieb  die  Regierung 
zu  Merseburg  in  ihrem  Zeitungsbericht  für  den  Monat  November 
des  Jahres  1816  *): 

„In  Ansehung  des  sittlichen  Zustandes  der  Nation  und  des  Ein- 
flusses der  Gesetzgebung  auf  die  öffentliche  Stimmung  gedenken  wir 
hier  nur  insbesondere  der  Besorgnisse,  welche  nach  den  Berichten  fast 
alle  Landräte  die  Erörterungen   über    die  Gewerbeverhältnisse    veran- 

1)  A.  No.  1,  Vol.  i. 


38  Kurt  von   Rohrscheidt, 

lassen,  welche  jedoch  zur  Zeit  nicht,  um  die  hiesige  Gewerbeverfassung 
sofort  aufzuheben,  sondern  nur  um  die  wichtigen  Data  zur  Ent- 
scheidung darüber  zu  sammeln,  von  uns  angeordnet  worden  sind. 
Die  Innungen  sind  darüber  in  der  größten  Bestürzung,  indem 
sie  voraussetzen,  daß  der  Verlust  ihrer  Gerechtsame  die  un- 
mittelbare Folge  dieser  Erörterungen  sein  werde.  Diese  Voraussetzung 
ist  jedenfalls  irrig,  da  es  gewiß  weder  die  Absicht  Ew.  Königlichen 
Majestät  noch  Allerhöchst  Dero  Ministerien  ist,  die  Privatverhältnisse 
in  einer  neu  erworbenen  Provinz  plötzlich  so  wesentlich  umzu- 
gestalten. 

Wir  verkennen  die  Schönheit  der  Idee  nicht,  welche  der  Gewerbe- 
freiheit zum  Grunde  liegt,  allein  die  schönste  Idee  kann  in  der  Staats- 
verwaltung die  verderblichsten  Folgen  haben,  wenn  sie  zu  schnell 
zur  Ausführung  gebracht  wird.  Wir  glauben,  daß  di  e  Natur,  welche 
nur  langsam  wachsen  und  entstehen  läßt,  nur  stufenweise  von  einem 
zum  andern  übergeht,  hierin  auch  der  Regierung  zum  Muster  dienen 
müsse.  Auf  das  altdeutsche  Institut  der  Innungen  und  Zünfte,  auf 
ihre  Vereinigung  in  den  Städten,  sind  nicht  nur  die  Verhältnisse  der 
letzteren,  sondern  auch  zum  großen  Teil  die  des  Ackerbaues 
begründet.  Es  ist  ein  sehr  gewagter  Versuch,  diese  Basis  plötzlich 
wegzunehmen,  bloß  auf  die  aus  der  Theorie  geschöpfte  Ueberzeugung, 
daß  allgemeine  Freiheit  eine  ebenso  sichere  Basis  geben,  auf 
ihr  sich  eine  ebenso  erfreuliche  Gestaltung  ausbilden  werde.  Wenn 
dieser  Versuch  in  Provinzen,  welche  dem  Staate  laugst  angehörten, 
von  deren  Anhänglichkeit  er  zum  Teil  seit  Jahrhunderten  überzeugt 
sein  konnte,  sehr  zweideutige  Wirkungen  auf  den  Wohlstand 
wie  auf  die  Gesinnung  hervorgebracht  hat,  so  würde  er  doppelt  be- 
denklich sein  in  einer  neuen  Provinz,  welche  seit  undenklicher 
Zeit  au  unveränderte  Formen  gewöhnt,  an  sich  allen  Störungen  nicht 
hold,  und  von  ihrer  vorigen  Regierung  jede  Privatgerechtsame  als  ein 
unverletzbares  Heiligtum  zu  betrachten  gewöhnt  ist. 

Wir  müssen  uns  unumwunden  zu  der  Ueberzeugung  bekennen, 
daß  uns  nichts  so  sehr  geeignet  scheint,  den  Mißmut  der  ohnehin 
durch  die  Serviseinrichtung  unzufriedenen  Städte  gegen  die 
Regierung  zu  steigern,  als  die  Einführung  der  preußischen 
Gewerbegesetze,  denn  nichts  würde  so  sehr  wie  diese  alle  Privat - 
Verhältnisse  verrücken,  so  tief  in  das  Volksleben  eingreifen.  Die  Er- 
fahrung hat  gelehrt,  daß  bei  der  Zunftverfassung  die  Städte 
Sachsens  den  lebendigsten  Wohlstand  erreichten,  das  ländliche 
Grundeigentum  aber  einen  außerordentlichen  Wert  erlangte, 
und  daß  auch  durch  den  beispiellosesten  Krieg  die  Spuren  davon 
nicht  haben  vertilgt  werden  können,  wogegen  die  Städte  in  den  ehe- 
mals westfälischen  Kreisen  unseres  Bezirks,  ungeachtet  dort 
die  Gewerbefreiheit  herrschte,  im  tiefsten  Verfall  liegen.  Bei  solchen 
Erfahrungen  dürfte  sich  wenigstens  die  Einführung  der  preußischen 
Gewerbegesetze  nicht  so  dringend  darstellen,  um  die  Gefahr  zu 
rechtfertigen,  welcher  man  sich  hier  dadurch  aussetzen  würde." 

Vielfach  glaubte  man  auch,  daß  die  Gewerbefreiheit  nur  unter  der 


Vor-    und  Rückblicke   auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  39 

politischen  Depression  nach  dem  unheilvollen  Kriege  entstanden  sei, 
und  vermeinte  daher  ihre  Beseitigung  von  dem  steigenden  Glück  des 
Staates  erwarten  zu  dürfen.  So  baten  die  Aeltesten  des  kombi- 
nierten Bäckergewerks  zu  Berlin  in  einer  Eingabe  an  den 
Staatskanzler  vom  29.  Juli  1814  x),  Gesetze,  durch  den  Drang  der  Um- 
stände gegeben,  bei  hergestellter  Ordnung  wieder  aufzuheben.  „Im 
Wohlstande  befanden  wir  uns  bei  den  früheren  Gesetzen,  daher  konnten 
wir  gern  und  willig  bringen,  was  Not  erheischte,  hoffend,  wieder  zu 
erwerben  und  wieder  zu  geben,  wenn  es  not  thun  sollte."  Die 
Kaufmannschaft  in  Königsberg  beantragte  am  18.  Juli  1815 2) 
eine  Beschränkung  der  Gewerbefreiheit  insbesondere  in  der  Richtung, 
die  fremden  Kaufleute  vom  Handel  im  Lande  außer  den  Jahrmärkten 
auszuschließen.  Während  andere  gegen  den  Geist  der  ganzen  Reform- 
gesetzgebung  gerichtete  Eingaben,  wenn  sie  überhaupt  eine  Antwort 
erhielten,  einfach  mit  Bezug  auf  die  bestehenden  Gesetze  zurückgewiesen 
wurden ,  nötigte  in  diesem  Falle  den  Staatskanzler  eine  besondere 
Kabinetsordre,  d.  d.  Paris,  den  6.  Sept.  1815,  auf  die  Sache 
einzugehen.  Dieselbe  lautete:  „Die  Beschränkung  der  allgemeinen  Ge- 
werbsfreyheit,  so  wie  sie  die  Kaufmannschaft  zu  Königsberg  in  Preußen 
in  der  beykommenden  Vorstellung  in  Antrag  bringt,  scheint  Mir  gar 
nicht  unzweckmäßig  zu  seyn,  besonders  aber  empfehle  Ich  Ihnen  eine 
sorgfältige  Prüfung  des  zweiten  Antrages  in  Betreff  der  fremden  Kauf  leute, 
die,  ohne  die  Lasten  der  im  Lande  etablierten  Kaufleute  zu  tragen,  bloß 
gegen  Lösung  des  Gewerbscheins  ihre  eingebrachten  fremden  Waren 
im  Lande  absetzen  und  dann  wieder  in  ihre  Heimath  zurückkehren. 
Die  zur  notwendigen  Einstellung  oder  angemessenen  Beschränkung 
dieses  augenscheinlich  der  inländischen  Handlung  nachteiligen  Ver- 
kaufes zu  ergreifenden  Maßregeln  überlasse  Ich  Ihrem  bewährten  Er- 
messen ,  sowie  die  vorläufige  und  definitive  Bescheidung  der  Suppli- 
kanten." 

Der  Staatskanzler  setzte  sich  hierauf  mit  den  Ministern  v.  Bülow 
und  v.  Schuckmann  in  Verbindung  und  verhieß  den  Antragstellern 
gewiß  jede  mit  den  Grundsätzen  der  ganzen  Staatsverwaltung  irgend 
vereinbare  Berücksichtigung  des  städtischen  Handels  und 
Gewerbebetriebes,  aber  weitere  Folgen  entstanden  hieraus  ebenfalls 
nicht. 

Am  27.  April  1818  reichte  der  Berliner  Stadtrat  Dracke 
einen  ausführlich  durchgearbeiteten  Aufsatz  beim  Könige  ein,  in  wel- 
chem er  seine  Erfahrungen  über  den  Vorzug  einer  geregelten  Gewerbe- 
verfassung und  über  die  Nachteile  einer  allgemeinen  Ge- 
werbefreiheit darlegte,  indem  er  dabei  die  Tendenz  verfolgte,  dem 
Vaterlande  treu  ergebene  Bürger  zu  bilden,  die  Jugend  gehörig  zu 
zu  erziehen,  Geschicklichkeit,  Fleiß,  Gehorsam,  Religiosität  sowie 
strenge  Rechtlichkeit  zu  befördern,  den  Bürgern  Erhaltung  des  Eigen- 
tums durch   Sicherstellung  des  erlernten   Gewerbes   und   dem  Staate 


1)  A.   No.   I,  Vol.  II. 

2)  Ebenda. 


40  Kurt  von  Rohrscheidt, 

feste,  gern  zu  leistende  Abgaben  zu  gewährleisten.  Auch  aus  dieser 
Veranlassung  beschied  der  König  den  Staatskanzler  durch  Kabinets- 
ordre  vom  14.  Mai  1818  J)  in  ähnlichem  Sinne  wie  früher,  indem  er 
sagte : 

„Ich  habe  Ihnen  bereits  bei  verschiedenen  Veranlassungen  zu  er- 
kennen gegeben,  daß  ich  es  für  sehr  nothwendig  halte,  angemessene 
Modifikationen  der  allgemeinen  Gewerbefrey heit  anzu- 
ordnen. In  Verfolg  dessen  empfangen  Sie  hierbey  einen  dahin  ein- 
schlagenden Aufsatz  des  Stadtraths  Dracke  hieselbst  mit  dem  Auftrage, 
die  Sache  im  Staatsministerio  zur  Sprache  zu  bringen,  und  sie  dem- 
nächst an  den  Staatsrath  gelangen  zu  lassen." 

Man  sieht,  der  König,  überall  geneigt,  den  Mittelweg  zu  gehen, 
fürchtete  bereits,  mit  dem  Grundsatze  der  Gewerbefreiheit  zu  weit 
davon  abgewichen  zu  sein.  Seine  Anschauungen  spiegeln  sich  am 
besten  wieder  in  seinen  vom  1.  Dezember  1827  datierten,  dem  letzten 
Willen  beigelegten  Schreiben  an  den  Thronfolger,  worin  er  diesen  mit 
den  Worten  ermahnt:  „Hüte  Dich  jedoch  vor  der  so  allgemein  um 
sich  greifenden  Neuerungssucht,  hüte  Dich  vor  unpraktischen  Theorien, 
deren  so  unzählige  jetzt  im  Umschwünge  sind,  hüte  Dich  aber  zugleich 
vor  einer  fast  ebenso  schädlichen  zu  weit  getriebenen  Vorliebe  für 
das  Alte,  denn  nur  dann,  wenn  Du  diese  beiden  Klippen  zu 
vermeiden  verstehst,  nur  dann  sind  wahrhaft  nützliche  Verbesserungen 
gerathen." 

Es  kann  hiernach  nicht  zweifelhaft  sein,  daß  die  beiden  ange- 
führten Kabinetsbefehle  voraussichtlich  der  Initiative,  sicherlich  aber 
den  eigensten  Anschauungen  des  Königs  entsprangen,  und 
man  dürfte  sich  nicht  wundern,  wenn  Hardenberg,  dem  dies  wohl  be- 
kannt war,  in  seiner  festen  Stellungnahme  etwas  schwankend  gewor- 
den wäre.  Direkten  Widerstand  leisten  konnte  er  nicht,  und  so  that 
er,  was  in  diesem  Falle  wohl  am  angebrachtesten  war,  indem  er  ein 
schnelles  Eingreifen  hinausschob  und  alles  Gute,  die  Lösung  streitiger 
und  zweifelhafter  Fragen,  die  Ausgleichung  der  Uebelstände  und  der 
Mißverhältnisse  von  der  Zeit  erwartete.  Das  interessante  Promemoria 
Dracke's,  welches  nach  Einholung  mehrerer  Gutachten  (von  Hoffmann 
und  Scharnweber)  am  14.  März  1822  dem  Minister  von  Bülow  zur 
Benutzung  bei  den  weiteren  Beratungen  über  eine  Gewerbepolizeiord- 
nung zugefertigt  wurde,  lautete,  wie  folgt: 

Das  Dracke'sche  Promemoria. 

Der  französische  Staatsmann  Necke r  sagt  in  seiner  Abhand- 
lung von  der  vollziehenden  Gewalt: 

Wenn  man  die  vollziehende  Gewalt  als  den  Eckstein  jeder  bürger- 
lichen Gesellschaft  betrachtet,  als  Beschützerin  und  Gewährerin  der 
öffentlichen  Freiheit,  als  Triebfeder  der  Staatsverfassung,  wie  sie  ist, 
so  erfordert  das  Wohl  des  Staats  und  das  Beste  der  Nation,  daß  man 
das  Maaß  der  Vorrechte  untersuche,  erkenne  und  festsetze,  ohne  welche 
diese  Gewalt  ihre  Bestimmung  nicht  erreicht. 

1)  A.  No.  1,  Vol.  II. 


Vor-  und   Rückblicke  auf  Zunftzwang  und   Gewerbefreiheit.  41 

Wer  kein  Eigenthura  hat,  ist  nicht  ganz  Bürger,  denn  er 
nimmt  keinen  Teil  an  den  mehresten  öffentlichen  Angelegenheiten,  sie 
sind  sicher  vor  der  Gefahr  des  Krieges,  Verwirrung  der  Finanzen,  die 
anderen  schaden,  schaden  ihnen  nichts.  Wer  dem  Volke  das  Ge- 
fühl seiner  Stärke  giebt,  ohne  daßelbe  in  dem  nehm  liehen  Augenblick 
mit  der  Einsicht  begaben  zu  können,  die  ihm  Mäßigung  anempfiehlt, 
wird  diese  Stärke  bald  in  Wuth  ausbrechen  sehen.  Wenn  man  alle 
gleich  macht,  so  entsteht  aus  diesem  System  der  Familiarität  nichts  als : 
eine  größere  Leichtigkeit  sich  zu  haßen. 

Deutschlands  Völker,  Preußens  Volk  insbesondere,  betrachtet  ge- 
wiß die  vollziehende  Gewalt  als  den  Eckstein  der  bürgerlichen  Ge- 
sellschaft, als  Beschützerin  und  Gewährerin  der  öffentlichen  Freiheit, 
wünscht  nur  als  deutsches,  als  charakteristisches  Volk  in  seiner  Ori- 
ginalität zu  stehen.  —  So  verschiedenartig  Deutschlands  Völker  sind, 
so  ist  ihr  Hauptcharakter  darin  allgemein:  Liebe  zum  Vaterlande, 
Liebe  zu  alten  Gewohnheiten,  Verehrung  und  unerschütterliche  An- 
hänglichkeit am  angeborenen  Regentenhause. 

Hochbewährt  hat  sich  dieser  deutsche  Charakter  besonders  bei 
Preußens  Völkern  zu  allen  Zeiten  und  besonders  in  verhängnißvollen 
Jahren.  Der  Unterthan  giebt  Gut  und  Leben  gern  dem  Staate,  unter 
dessen  Schutz  er  im  bestimmten  und  sicheren  Zustande  sein  Brot  er- 
werben ,  seine  Kinder  zu  guten  Unterthanen  erziehen ,  im  Frieden 
wieder  erwerben  kann ,  was  er  zur  Zeit  der  Noth  und  der  Gefahr  so 
willig  opferte  und  zu  leisten  im  Stande  war,  wo  das  Verhältniß 
zwischen  Brodherrn  und  Arbeiter,  zwischen  Lehrherrn  und  Lernenden 
fest  bestimmt  ist;  fügt  sich  gern  und  willig  in  Anordnungen  der  voll- 
ziehenden Gewalt,  hoffend,  der  ruhige  Zustand  werde  wieder  herbei- 
führen, was  die  Weisheit  der  Regierung  der  Zeitumstände  wegen  einst- 
weilen einzuführen  für  notwendig  hielt. 

Die  Zeiten  der  Ruhe  sind  da,  daher  auch  der  allgemeine 
Wunsch:  laßt  uns  unseren  Nationalcharakter,  laßt  uns  unsere  Ori- 
ginalität, gebt  uns  unsere  alten  Gewohnheiten  wieder,  bei  den  wir 
glücklich  waren,  schafft  die  Gewerbe  fr  eiheit  ab,  sie  paßt  nicht 
für  uns. 

Die  Erfahrung  lehrt  allen  denen ,  die  vermöge  ihrer  Verhältnisse 
das  Thun  und  Treiben  und  das  bürgerliche  Leben  und  Verkehr  genau 
zu  beobachten  Gelegenheit  hatten,  daß  vor  Einführung  der  Ge- 
werbefreiheit: 

die  Existenz  eines  jeden ,    der  Erwerb  und  die  Erhaltung  der  Fa- 
milien sicherer  begründet  war,  mehr  innerer  allgemeiner 
Wohlstand  überall  herrschte,  beßere  strengere  Sitten  und 
Betragen  zwischen  Brodherrn  und  Diener,  zwischen  Lehrherrn  und 
Lernenden  walteten,  unbedingter  die  Befehle  der  vollziehenden  Ge- 
walt befolgt,  und  allgemeiner  und  größer  die  Achtung    gegen  und 
unter  einander  war. 
Der  Lehrling  mußte   sich  bemühen,   in   den    kurzen   Lehrjahren, 
dasjenige  was  er  gewählt,  gründlich  und  gut  zu  erlernen,  um 
als  Geselle  sein  Brod  verdienen  zu  können.     Der  Lehrherr  führte  die 


42  Kurt  von  Rohrscheidt, 

genaueste  Aufsicht  über  den  Lehrling,  hielt  wo  es  Not  that,  selbigen 
zur  Schule  an,  hielt  auf  fleißigen  Besuch  der  Kirche,  setzte  Ehre  darin, 
wenn  sein  Lehrling  als  Geselle  gern  von  andern  Meistern  angenommen 
wurde.  —  Der  Lehrling  erschien  beim  Ein-  und  beim  Austritt  der 
Lehre  in  der  Versammlung  der  Meister ,  wurde  nach  Vorschrift  der 
Privilegien  im  Schreiben  und  Katechismus  geprüft,  erhielt  Ermahnungen 
und  Verhaltungsmaßregeln,  er  mußte  sich  bestreben,  fleißig,  bescheiden, 
treu  und  folgsam  zu  sein ,  um  beim  Gesellenwerden  vom  Lehrherrn 
als  ein  geschickter  und  ordentlicher  Geselle  empfohlen  zu  werden. 
Er  mußte  Tadel  und  Vorwürfe  befürchten,  wenn  er  die  Lehrzeit  nicht 
gehörig  und  nützlich  zur  gehörigen  Erlernung  angewandt,  ungehorsam 
oder  treulos  gewesen,  oder  Betragen  gezeigt,  welches  sich  für  dieses 
Alter  und  Verhältnis  nicht  geziemte. 

Der  Geselle  vervollkommnete  sich  während  der  Gesellenzeit  im 
Erlernten,  hielt  auf  Zucht  und  Ehre,  gewöhnte  sich  zur  Ordnung 
und  Sparsamkeit,  um  sein  eigenes  Werk  als  Meister  anfangen  und 
vorwurfsfrei  in  eine  Gewerksverbindung  treten  zu  können. 

Die  Gesellen  hielten  untereinander  besonders  auf  Ehrlichkeit 
und  Treue,  ahndeten  unter  sich  den  Besuch  liederlicher  Häuser  und 
Veruntreuungen  aller  Art.  Die  Meister  hielten  einer  den  anderen 
durch  billige  Preise,  eifriges  Bemühen  in  Verbesserung  und  Ver- 
schönerung ihrer  Arbeiten,  in  steter  Aufmerksamkeit  und  Anstrengung, 
beobachteten  ihren  Lebenswandel,  ihre  Handlungen,  die  Sorge  für  Ge- 
sellen und  Lehrlinge,  belehrten  und  verwiesen  sich,  wer  Verweise  ver- 
diente, hielten  darauf,  daß  Treue  und  Ehrlichkeit  stets  beobachtet,  und 
die  Ehre  des  Gewerks  nicht  gefährdet  wurde.  In  Krankheit 
und  Sterbefällen  unterstützten  und  mußten  sie  sich  unterstützen. 

Die  Gesellen  mußten  sich  der  erkrankten  Mitgesellen  annehmen, 
thaten  alles  gerne,  und  zahlten  das  dazu  Erforderliche  gern,  weil  sie, 
sowie  die  Meister,   ihres  Gewerbes  und  Verdienstes   sicher  waren. 

Die  frühere  Gewerbeverfassung  hat  ohnstreitig  die  Bewohner  der 
Preußischen  Städte  in  den  Stand  gesetzt  gehabt,  alles  das  leisten  zu 
können,  was  geleistet  worden,  hat  ohnstreitig  vortheilhaft  auf  die 
Bildung  der  Jugend  und  den  Bürgersinn  gewirkt,  der  überall  so 
herrlich  sich  gezeigt  hat.  Frei  wollen  Preußens  Bürger  im  Gewerbe- 
betriebe nicht  sein ,  eine  gesetzlich  beschränkte,  wie  geregelte  Ge- 
werbeeinrichtung ist  ihr  Wunsch,  ist  dem  Charakter  anpaßender.  Für 
andere  von  der  Natur  mehr  gesegnetere  Länder  mag  solche  passend 
sein,  für  Preußens  Bürger,  welche  mit  mehreren  Sorgen  zu  kämpfen 
haben  ,  welche  im  kurzen  Sommer  schon  das  Nothwendigste  für  den 
Winter  ersparen  müssen,  ist  solche  schädlich.  Der  Gewerbsmann  fühlt 
durch  die  Gewerbefreiheit  den  Verfall  der  Verhältnisse  aller 
Art,  der  daraus  entsteht. 

Seit  Einführung  der  Gewerbefreiheit,  ist  das  bürgerliche  Ver- 
hältnis und  damit  zugleich  das  allgemeine  äußerst  gelockert. 

Um  den  Lehrling,  welcher  bei  einem  zu  keiner  Gewerbsverbindung 
gehörenden  Mann  zur  Lehre  tritt,  bekümmert  sich  keiner,  nur  der, 
welcher  solchen  angenommen  hat,  soll  es  thun,  solches  wird  aber  aus 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  43 

Liebe  zum  Gewinn  fast  immer  vernachlässigt.  Liederlichkeiten,  Ver- 
nachlässigung im  Besuche  der  Kirchen  reißen  ein,  rüde,  roh  und  un- 
gebildet wachsen  selbige  auf,  keiner  giebt  sich  mehr  die  Mühe,  das, 
was  er  lernen  soll,  tüchtig  und  gehörig  zu  erlernen,  weil  er  keiner 
Aufsicht,  keiner  Prüfung  unterworfen  ist.  Treue,  Folgsamkeit,  Be- 
scheidenheit und  Ausbildung  werden  fremd,  der  Gewerbefleiß  wird  zur 
Gemeinheit,  der  Kunstsinn  zur  Fuscherei,  weil  die  Regel  fehlt,  der 
etablirte  Gewerbsmann,  der  nicht  mit  Sicherheit  und  unbeeinträchtigt 
sein  Gewerbe  führen  kann,  legt  sich  daher  nicht  auf  gute  Arbeit, 
sondern  studirt  auf  Betrug  und  Täuschung  aller  Art.  Wer  nicht 
Lust  hat ,  sich  in  andere  zu  fügen ,  sich  weiter  auszubilden,  fängt 
leicht  und  bald  ein  Gewerbe  an,  wer  nicht  Lust  zu  arbeiten  hat,  sucht 
besonders  durch  Handel  sein  Brod  zu  verdienen.  Vorzüglich  wirken 
die  Menge  der  seit  dieser  Zeit  entstandenen  Brand  wein  laden  mit 
ihren  anziehenden  Aushängeschildern  und  bequemen  inneren  Einrich- 
tungen nachtheilig  auf  die  Moralität  des  Volks.  Die  Menschen  fangen 
oft  mehrere  Gewerbe  zu  gleicher  Zeit  an,  von  welchen  sie  nichts 
verstehen.  —  Geht  es,  welches  nur  wenige  gelingt,  so  ist  es  gut, 
geht  es  nicht,  welches  häufiger  der  Fall,  so  gehen  sie,  haben  aber 
unterdessen  vielen  Familien  geschadet  und  sie  an  den  Rand  der  Armuth 
gebracht,  und  durch  ihren  Fall  die  Zahl  der  armen  Familien  ver- 
mehrt. 

Lehrlinge,  die  weder  an  Ordnung  gewöhnt,  noch  etwas  tüch- 
tiges erlernt  haben,  Gesellen,  welche  nicht  Lust  haben,  sich  in 
Ordnung  zu  fügen,  sich  zu  bilden,  zu  vervollkommenen,  keine  Er- 
fahrung noch  Festigkeit  des  Charakters  haben,  fangen  leicht  ein 
Gewerbe  an,  etabliren  einen  Hausstand.  Die  Zahl  der  Ehen 
ist  seit  Einführung  der  Gewerbefreiheit,  wie  die  Aufgebote  zeigen  und 
die  Intelligenzblätter  nachweisen,  übertrieben,  so  wie  die  Zahl  der 
Armen,  welche  unterstützt  werden,  unerhört  vermehrt,  und  die  Zahl 
der  Produzenten  gegen  die  Consumenten  aus  dem  Gleichgewicht  fast 
überall  getreten.  —  Der  Knecht,  die  Magd,  die  dem  Lande  unent- 
behrlich, kommt  zur  Stadt ,  erhält  leicht  Bürgerrecht  und  Gewerbe- 
schein, fängt  ohne  Hinderniß  ein  Gewerbe  besonders  im  Handel  an, 
erschwert  das  Wohnungsunterkommen,  vermehrt  die  Zahl  der  Höcker, 
vertheuert  durch  den  Zwischenhandel  die  nothwendigsten  Lebensbedürf- 
nisse, so  daß  wenig  nur  aus  der  ersten  Hand  zu  haben,  verscheucht 
durch  gewöhnlich  grobes  Betragen,  die  Hausfrauen,  welche  sonst  ge- 
wohnt waren,  ihre  Bedürfnisse  aus  den  Händen  der  Producenten  auf 
dem  Markte  zu  kaufen.  Der  Gewerbetreibende  jeder  Art,  welcher 
sein  Vermögen  und  Kredit  zum  eigenen  Gewerbe  angelegt,  und  Ver- 
pflichtungen eingegangen  ist,  kann  mit  einiger  Sicherheit  anjetzt  nicht 
darauf  rechnen,  als  fürsorgender  redlicher  Gatte,  Vater  und  Bürger 
bestehen  und  seine  Verpflichtungen  erfüllen  zu  können,  weil  er  Gefahr 
läuft  durch  so  vieler  Ansiedelung  zum  Bettelstab  zu  kommen.  —  Die 
Freiheit,  ein  anderes  Gewerbe  anfangen  zu  können,  giebt  ihm  keine 
Entschädigung,  weil  Kräfte  fehlen  und  keine  Sicherheit,  dabei  zu  be- 
stehen, vorhanden  ist. 


44  Kurt  von  Rohrscheidt, 

Als  wahr  steht  wohl  fest,  daß  der  vollziehenden  Gewalt  erste 
Sorge  darin  besteht,  für  den  bestmöglichsten  Wohlstand  der 
Unterthanen  und  für  Erziehung  der  Jugend  zu  sorgen. 

Ersteres  wird  erreicht  durch  Sicherstellung  des  Gewerbes, 
das  zweite  durch  Schulen. 

Die  Bildung  der  Jugend,  welche  sich  dem  Gewerbestand  widmet, 
zu  guten  folgsamen,  christlichen  Bürgern,  kann  aber  durch  Schulen, 
welche  von  den  mehresten  nur  zu  kurze  Zeit  besucht  werden,  nicht 
allein  bewirkt  werden.  Können  die  Kinder  lesen,  häufig  nur  etwas 
schreiben,  ist  der  Körper  einigermaßen  stark  genug  zum  arbeiten,  so 
fängt  gewöhnlich  schon  die  Lehrzeit  an.  Diese  Zeit,  die  Lehrjahre 
sind  es,  die  fernere  für  das  ganze  Leben  höchst  wichtige  Zeit,  wo 
die  Jugend  angehalten  werden  muß,  im  Lernen  fortzuschreiten,  Kennt- 
niße  sich  anzueignen,  sich  an  Fleiß,  Treue,  Folgsamkeit,  Sittlichkeit 
und  Gehorsam  zu  üben  und  sich  daran  zu  gewöhnen. 

Der  Mensch  besonders,  der  ohne  höhere  geistige  Erziehung  und 
Bildung  zum  eigenen  Nachdenken  und  Unterscheidung  weniger  geeig- 
net, gewöhnt  sich  gut  oder  schlecht,  je  nachdem  seine  Erziehung  ge- 
wesen, hat  (welches  wohl  von  allen  Menschen  behauptet  werden  kann) 
sein  Steckenpferd,  kann,  wenn  dieses  gehörig  geleitet  wird,  zu  allen 
guten  gebracht  werden,  weil  Sinnlichkeit  der  menschlichen  Natur 
eigen  ist. 

Gesetze  können  gegeben,  Strafen  bestimmt  werden,  gegen  Untreue, 
Entheiligung  der  Sonn-  und  religiösen  Festtage.  Es  ist  aber  nicht 
genug  damit,  daß  Gesetze  vorhanden,  welche  bestimmen,  was 
nicht  geschehen  soll,  es  müssen  auch  Gesetze  sein  und  Mittel  aul- 
gefunden werden,  daß  Fleiß,  Treue,  Folgsamkeit  überall  geübt,  ein 
sittsames  Leben  geführt,  die  Sonn-  und  Festtage  nicht  nur  nicht  ent- 
weiht, sondern  geheiligt,  durch  Besuch  der  Kirchen  gefeiert,  und  die 
Besucher  derselben  durch  Genuß  des  heiligen  Abendmahls  in  Glauben 
und  Vorsätzen  gestärkt  werden.  Gesetze  können  solches  nicht  bewir- 
ken, die  vollziehende  Gewalt  kann  mit  Gewalt  und  Strafen  dergleichen 
Gesetze  keine  Folgeleistung  verschaffen. 

Nur  ein  bewährtes  Mittel  kenne  ich,  nemlich: 

die  Menschen  allmählich  durch  Einrichtungen,  die  ihnen 
lieb  sind,  die  der  Originalität,  die  dem  Charakter  des  Volks 
entsprechen, 
dazu  zu  gewöhnen.  Hierzu  wurden  bei  der  alten  Gewerbever- 
fassung die  Kinder  und  Jünglinge  gewöhnt,  hierher  können  sie  leicht 
durch  Einführung  alter  Gewohnheiten  gebracht  werden. 
Die  Alten  haben  sich  gewöhnt  zum  fleißigen  Besuch  der  Kirchen, 
Trost  und  Stärkung  zu  finden  im  Genuß  des  Abendmahls,  Lehrlinge 
und  Gesellen  folgen  dem  Beispiele  der  aelteren,  sie  gewöhnen 
sich  zur  Treue,  Fleiß,  Ordnung,  Sittlichkeit  und  Sparsamkeit.  Das 
zur  Anschauung  bringen  als  Vorbild,  sagt  Friedrich  von  Klotz,  leitet 
am  sichersten  die  Menge  auf  der  Bahn  der  Tugend  und  Gerechtigkeit. 
Die  theoretische  Lehre  überzeugt  den  Verstand  und  spricht  in  das 
Gemüth  ein  und  übermannt  den  Willen.  Darum  wirkt  das  Vorbild 
einer   edlen  tugendhaften  Handlung   mehr  als  alle  Rede  und   Ermah- 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  ^  5 

nungen,  und  wohl   dem  Volke,   welchem   es   in   mildem  Strahlenglanze 
von  oben  leuchtet. 

Können  nicht  alle  Bürger  ein  Grundeigentum  besitzen,  so  betrach- 
tet doch  der  Lehrling,  der  Geselle,  der  Meister  sein  nach  geregelter 
Form  erlerntes  und  eingerichtetes  Gewerbe  als  ein  Eigen thum  ,  und 
nimmt,  da  nur  er,  und  keiner,  welcher  nicht  gleich  ihm  solches  in  ge- 
regelter Form  erlernt  hat,  zu  betreiben  berechtigt  ist,  Teil  an  den 
öffentlichen  Angelegenheiten,  fürchtet  Gefahr  des  Krieges,  verteidigt 
mit  Gut  und  Leben  Thron  und  Vaterland,  fürchtend,  Verfassung  und 
Sicherheit  des  erworbeneu  Eigentums  (Sicherheit  des  Gewerbes  und 
seines  Erwerbes)  zu  verlieren.  Die  Gewerbetreibenden  sind  sich  jetzt, 
sowohl  der  geschickte  sowie  der  ungeschickte,  der  erfahrene  sowie 
der  unerfahrene,  der  versuchte  und  der  kaum  dem  Jünglingsalter  ent- 
gangene, alle  gleich,  weil  es  bei  Gewinnung  des  Bürgerrechts  und 
Erhaltung  des  Gewerbescheines  keine  weiteren  Vorschriften  (giebt),  als, 
hast  Du  das  bestimmte  Alter,  hast  Du  kein  Verbrechen  begangen,  und 
hast  Du  die  wenigen  Thaler,  welche  Du  für  Bewilligung,  als  Bürger 
leben  und  Gewerbe  treiben  zu  können,  bezahlen  mußt  ?  Hierdurch  ist 
das  System  der  Gleichheit,  Familiarität  entstanden,  und  größere 
Leichtigkeit  sich  zu  haßen  hervorgebracht. 

Keineswegs  will  ich  alten,   den  Zeitumständen   nicht   anpassenden 
Privilegien,  oder  gar  läppischen  und  närrischen  Handwerks- 
gebräuchen und  Ceremonien  das  Wort  reden.    Ich  will  nur  meine 
Erfahrungen    und  Ansichten   mittheilen,    ich  will    nur   zur  Erreichung 
meines  Wunsches,  der  nur  einzig  und  allein  der  ist: 
dem  Könige   und  Vaterlande   treu   ergebene   Bürger   zu   bilden,    die 
Jugend   gehörig   zu   erziehen,   Geschicklichkeit,   Fleiß,    Sittlichkeit, 
Gehorsam,  Religiosität  durch   fleißigen  Besuch  der  Kirchen  und  Ge- 
nuß des  heiligen  Abendmahls,  sowie  strenge  Rechtlichkeit  befördern, 
den  Bürgern  Sicherheit  des  Eigenthums  durch  Sicherstellung  des  er- 
lernten  Gewerbes  und   dem  Staate  sichere   und   gern   zu  leistende 
Abgaben  zu  verschaffen ; 
hinwirken. 

Ich  fürchte  den  Einwand  nicht,  daß: 
durch    Beschränkung    der    Gewerbefreiheit,    die    Freiheit    der 
Menschen  beschränkt  werde, 
denn  hierauf  kann  ich  erwiedern: 

Der  Mensch  ist  frei,  der  unter  dem  Schutze  einer  weisen  Re- 
gierung und  den  Gesetzen  des  Staates  sicher  ist  für  alle  Eingriffe  in 
sein  Eigenthum,  der  sicher  ist,  die  Früchte  des  Erlernten  bei  Fleiß 
und  Ordnung  ungestört  zu  genießen,  wo  nur  in  geregelter  Form  Gleich- 
heit erreicht  wird. 

Zur  Unterstützung  der  Behauptung,  daß  seit  Einführung  der  Ge- 
werbefreiheit sich  die  Moralität  der  Menschen  verschlech- 
tert, führe  ich  nur  an,  daß  im 

Jahre   1805   in  hiesiger  Stadtvoigtei     3887 
und  im  Jahre  1817  6732 

folglich         2845  mehr 

haben  aufgenommen  werden  müssen, 


46  Kurt  von  Rohrscheidt, 

Daß  durch  so  leicht  ohne  Kenntniß,  Ueberlegung  und  ohne  alle 
Formen  errichtete  eigene  Gewerbe  und  Haushaltung  die  Zahl  der 
Armen  sich  so  vermehrt,  daß 

im  Jahre  1805  nur  4099 
und  im  Jahre  1817     5000 

vom  königlichen  Armen-Direktorio  haben  unterstützt  werden  müssen, 
daß  im  Jahre  1805  im  hiesigen  Waisenhause  475  und  503  außer- 
halb zusammen  978  Kinder,  aufgenommen  und  verpflegt  worden,  dagegen 
1817,  im  Waisenhause  601  und  außerhalb  als  Kostkinder  861,  zusammen 
1462,  folglich  484  Kinder  mehr  verpflegt  worden  sind,  die  Zahl  der- 
selben noch  größer  sein  würde,  wenn  das  Friedrichs-  und  Louisen- Stift 
sowie  mehrere  andere  Stiftungen  und  Vereine  nicht  entstanden  wären, 
und  sich  gebildet  hätten.  Daß  die  Ausgabe  des  Armen-Direk- 
tor ii ,  welche 

1805  betrug  66950  Thlr.   II   Sgr. 
und  1817  97  663       ,,     11     ,, 

schon  30717  Thlr.  mehr,  noch  bedeutender  ohne  die  Vereine  betragen 
haben  würde. 

Daß  die  vielen  Höcker,  welche  zu  jeder  Zeit  jetzt  kaufen  können, 
den  Produzenten  keinen  weiteren  Vortheil  gewähren,  als  daß  sie 
kürzere  Zeit  ihre  Producte  feil  zu  bieten  brauchen,  dagegen  dem 
Publico  durch  den  Zwischenhandel,  da  sie  fast  alles  in  Be- 
schlag nehmen  und  an  sich  bringen,  alles  so  zur  Ungebühr  vertheuern, 
daß  weder  der  wenig  begüterte,  noch  der  gemeine  Soldat  viele  nöthige 
sonst  gewohnte  Lebensmittel  anzukaufen  vermögend  ist,  daß  dadurch 
selbst  der  gewöhnliche  Handarbeiter  gezwungen  wird,  seine  Kräfte  und 
Arbeit  höher  anzuschlagen.  Wer  schwach ,  alt  und  kraftlos  ist ,  wer 
beim  besten  Willen  zu  arbeiten  und  durch  Arbeit  selbst  aber  sich 
und  den  Seinen  das  Erforderliche  nicht  verdienen  kann,  der  kümmert 
und  darbet,  wird  siech  und  kraftlos  und  hungert  langsam  zu  Tode. 
Ein  solcher  Unglücklicher  verliert  die  Lust  am  Leben,  zur  Arbeit,  ge- 
räth  auf  Abwege,  fällt  den  Armen- Anstalten  zur  Last,  füllt  die  Hospi- 
täler, Krankenhäuser  und  Gefängnisse,  und  daß  endlich  die  vielen  rei- 
zenden Brantweinläden,  die  Menschen  zum  Trünke  verleiten, 
von  der  Arbeit  abziehen,  träge,  faul  und  liederlich  machen,  wird  gewiß 
die  Polizeibehörde  bekunden  und  bezeugen. 

Ist  durch  die  Gewerbefreiheit  jedem  Unterthan  die  Berechtigung 
zugestanden ,  ein  eigenes  Gewerbe  betreiben  zu  können ,  ohne  Unter- 
schied, ob  er  solches  in  geregelter  Form  erlernt,  ob  er  Begriffe  oder 
Kenntnisse  davon  habe,  ohne  irgend  einer  Prüfung  zu  unterliegen,  sind 
durch  diese  Verfügung  die  früheren  Befugnisse  der  Gewerbetreibenden 
aufgehoben  und  die  Allerhöchst  bestätigten  Privilegien  entkräftet,  hat 
gleich  die  Erfahrung  gelehrt,  daß  dadurch  Unsicherheit  des  sicheren 
Erwerbes  der  Gewerbetreibenden  entstanden,  alle  unerfahrene,  unge- 
übte, ungebildete,  den  erfahrnen,  geübten,  gebildeten,  gesitteten  gleich- 
gestellt, die  Bande  des  Gesorsams,  des  Fleißes  und  der  Treue  gelockert, 
und  kann  denen ,  die  sich  auf  die  Verheißung  des  Gewerbefreiheits- 
Edikts  etablirt,   bei  Aufhebung  desselben,   und  Herstellung  der  früher 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  47 

bestandenen  Gewerbe- Verfassung  kein  größeres  Wiederspruchsrecht  zu- 
stehen, als  denen,  welche  auf  den  Grund  Allerhöchst  bestätigter  Privi- 
legien ihr  Gewerbe  begründet  hatten,  zustand,  und  konnte  die  voll- 
ziehende Gewalt  das  Gesetz  der  Gewerbefreiheit  auch  ohne  weiteres 
aufheben;  so  bin  ich  doch  der  Meinung: 

Das  vom  Staate  gegebene  Wort  muß  auch  allen,  die  vertrauungs- 
voll  darauf  ein  Gewerbe  angefangen  haben,  treu  gehalten 
werden ,  damit  kein  Mißtrauen ,  kein  Zweifel  gegen  Versprechungen 
der  vollziehenden  Gewalt  entstehe,  heilig  und  unverbrüchlich  muß  des 
Königs  Wort  sein.  Aber  nur  die,  welche  zur  Zeit  im  Besitz  eines 
Gewerbes  sind,  haben  ein  Hecht  und  Anspruch  an  dieser  Königlichen 
Zusage,  denen,  welche  nachher  ihr  eigenes  Gewerbe  anfangen  wollen, 
dienen  die  alsdann  vorhandenen  Gesetze  als  Richtschnur. 

So  wie  jeder  Unterthan,  so  ist  auch  der  Gewerbetreibende  ver- 
pflichtet, die  vom  Staate  geforderten  Abgaben  willig  zu  leisten  und 
zur  Befriedigung  der  vermehrten  Bedürfnisse  des  Staats  beizutragen, 
er  muß,  kann  und  wird  alle  an  ihn  gemachten  Anforderungen  umso 
leichter  erfüllen,  um  so  bereitwilliger  leisten,  wenn  die  frühere  sich 
seit  Jahrhunderten  zum  Besten  der  Gewerbetreibenden  bewährte  Ver- 
fassung geläutert,  den  Zeiten  anpassend  hergestellt,  und  die  Gewerbe 
in  geregelten  Formen  mit  Sicherheit  des  Erwerbes  getrieben  werden 
können. 

Der  Staat  kann  alsdann  nicht  nur  auf  sicherern  Eingang  der  Ge- 
werbe-Steuer rechnen,  sondern  solche  nach  Bedürfnis  erhöhen  und 
früher  gehabte,  gewohnte  uud  gerne  geleistete  Abgaben  wieder  einführen 
und  auf  richtigen  Eingang  bauen. 

Die  abgeschafften  früheren  Einnahmen,  über  deren  Ent- 
richtung nie  Beschwerde  geführt,  deren  Erhebung  weder  schwierig 
noch  kostspielig  war,  bestehen  in  folgenden: 

1)  beim  Einschreiben  des  Lehrlings  mußte  ein  Geburtsbrief 
beigebracht  werden,  ein  solcher  kostete  1  Thlr.  8  Sgr.,  wovon  der 
Stempel  6  Sgr.  betrug,  den  Rest  erhielt  das  Königliche  Armen- 
Directorium  zur  Unterhaltung  der  Charit^.  Dieses  ist  ganz  abge- 
schafft. 

2)  in  Beibringung  eines  Lehrbriefes  nach  beendeten  Lehr- 
jahren ,  wofür  1  Thlr.  8  Sgr.  bezahlt  werden  mußte  und  wie  ad  1 
berechnet  wurde.  Diese  Einnahme  hat  seit  eingeführter  Gewerbe- 
freiheit sehr  abgenommen,  weil  die,  welche  nicht  beim  Gewerksmeister 
lernen,  folglich  weder  ein-  noch  ausgeschrieben  werden,  solchen  nicht 
brauchen,  auch  verfassungsmäßig  nicht  erhalten  können. 

3)  mußte  sonst  jeder  Geselle,  welcher  nur  6  Wochen  an  einem 
Ort  gearbeitet,  beim  Fortgehen  eine  Kundschaft  nehmen.  Hiesigen 
Orts  waren  zwei  verschiedene,  die  eine  mit  dem  Prospect  von  Berlin, 
kostete  18  Sgr.  Die  zweite  ohne  diesen  mit  dem  Königlichen  Stempel, 
einen  halben  Bogen  groß,  kostete  12  Sgr.,  es  hing  von  jedem  ab, 
welche  er  nehmen  wollte.  Jetzt  ist  die  Mitnahme  einer  Kundschaft 
nicht  mehr  als  notwendig  vorgeschrieben,  daher  nur  wenige  Aus- 
länder solche  noch  fordern  und  diese  Einnahme  fast  ganz  auf- 
gehört hat. 


48  Kurt  von  Rohrscheidt, 

Nur  hier  in  Berlin  allein  betrug  die  Einnahme  von  denen  ad  1—3 
ira  Jahre  1805  3146  Thlr.  16  Sgr.,  und  da  diese  Einnahme  in  allen 
Städten  der  Preußischen  Monarchie  stattfand ,  ist  der  Verlust  bedeu- 
tend und  betrug  mit  Ausschluß  Schlesiens  im  Jahre  1805  18  716  Thlr. 
20  Sgr.,  das  Armen- Directorium  hat  dafür  zur  Unterhaltung  der 
Charit^  ein  jährliches  Aversum  nach  Verfügung  des  Königlichen  Finanz- 
Ministerii  vom  14.  und  22.  März  1816  auf  die  damalige  Hof-  und 
Civil-Ausgaben-Caße  von  J8  000  Thlr.  angewiesen  erhalten.  —  Rech- 
net man  hierzu  den  Verlust  der  Einnahmen,  welche  durch  Nichter- 
theilung  von  Concessionen,  als  Höcker,  Bierschänker  und  aller  Art 
verloren  sind,  indem  dafür  sonst  mehrere  Thaler  gegeben  werden 
mußten,  so  ist  der  Verlust  der  Einnahmen  um  so  bedeutender.  Da 
Officianten  zur  Zeit  noch  Chargen-  und  Stempel-Gebüren  entrichten 
müßen,  so  scheint  es  keinem  Bedenken  zu  unterliegen,  auch  letztere 
Einnahme  wieder  einzuführen.  Um  allen  zu  genügen  und  um  alle 
vorbemerkten  Zwecke  zu  erreichen,  bringe  ich  folgende  Bestimmungen 
zu  erlassen  in  Vorschlag: 

1)  Sämmtliche  Gewerbetreibende  müssen  binnen  4  Wochen  den 
Magisträten  anzeigen,   welches  Gewerbe   sie  ferner  treiben  wollen. 

2)  Jeder,  wer  ein  Gewerbe  gewählt  hat,  erhält  auf  Lebenszeit 
darauf  einen  Gewerbeschein. 

3)  Die  Gewerke  und  Innungen  müssen  alle ,  welche  ein  gleiches 
Gewerbe  treiben  wollen ,  und  schon  Bürger  sind ,  in  ihre  Mitte  ohne 
Prüfung  und  ohne  Anfertigung  eines  Meisterstücks  oder  sonst  üblichen 
Nachweises,  bloß  gegen  Einzahlung  der  Gelder,  welche  die  Meister  er- 
legt haben  für  Miterwerbung  der  Gewerks- Vorteile  und  des  Gewerks- 
Eigenthums,  aufnehmen. 

4)  Die  Lehrlinge  und  Gesellen,  welche  bis  dahin  bei  solchen, 
welche  zu  keinem  Gewerke  gehörten,  lernen  oder  gelernt  haben,  sind 
allen  denen  gleich,  welche  bei  Gewerks-Mitglieder  lernen  oder  ge- 
lernt haben,  vom  Eintritt  der  Lehre  an  eingeschrieben,  und  Geburts- 
Brief,  sowie  beim  Austritt  aus  der  Lehre  Lehrbrief  beigebracht. 

5)  Keiner  darf  mehrere  Gewerbe  zugleich  treiben,  wozu  Auf- 
nahme in  eine  Gewerksverbindung  erforderlich  ist. 

6)  Keiner  wird  ferner  in  eine  Gewerks- Verbindung  aufgenommen, 
welcher  das  Gewerbe  nicht  vorschriftsmäßig  erlernt  und  Prü- 
fung bestanden  hat. 

7)  Gewerbe,  zu  deren  Betrieb  keine  Erlernung  erforderlich,  können 
nur  auf  erhaltene  Conceßionen  betrieben  werden. 

8)  Den  Invaliden  vom  Militair  bleibt  es  ferner  gestattet ,  ein 
Gewerbe,  sie  mögen  solches  erlernt  haben  oder  nicht,  für  ihre  Person 
zu  treiben,  und  dadurch  ihren  Unterhalt  erwerben. 

9)  Die  Gewerks-Privilegien  sollen  revidirt  und  den  jetzigen 
Zeiten  anpaßend  in  Kraft  treten. 

10)  Jeder  der  ein  Gewerbe  betreibt,  muß  die  geordnete  und  ge- 
forderte Gewerbe-Steuer  entrichten. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  49 

Solange  Hardenberg  lebte,  fanden  die  Anhänger  des  alten  Systems 
durch  ihn  keine  Ermutigung,  allein  sogleich  nach  seinem  Tode  ver- 
mißte man  deutlich  die  Sicherheit  und  Bestimmtheit  seines  Auftretens 
gegenüber  allen  rückläufigen  Bewegungen.  Kurz  nach  dem  Ableben 
Hardenbergs  am  27.  November  1822  richtete  ein  gewisser  Berthold  x), 
Stadtverordneter  und  Gewerbetreibender  in  Berlin,  an  den  Staats- 
minister v.  Voß,  der  bereits  durch  Kabinetsordre  vom  2.  Dezember 
desselben  Jahres  zum  Präsidenten  des  Staatsrats  ernannt  war,  eine 
Eingabe,  in  der  er  bat,  zur  Verfassung  einer  Abhandlung  über  Ver- 
besserung des  Gewerbewesens,  zur  Ausführung  der  dazu  nötigen  Ver- 
nehmungen ,  zur  Einforderung  der  alten  Gewerbsprivilegien  vom 
Magistrat  u.  s.  w.  amtlich  ermächtigt  zu  werden.  Er  gestand  ganz 
offen,  daß  die  Hoffnungen  des  gewerbetreibenden  Publikums  nunmehr 
neu  belebt  wären  (natürlich  durch  den  Tod  Hardenbergs),  und  daß 
man  wieder  an  ein  Besserwerden  glaube.  Die  Gewerbefreiheit  sei  ein 
fortwährender  Beschwerdezustaud  für  das  Publikum  gewesen, 
ein  Anlaß  zum  Klagen  über  die  daraus  entsprungenen  Leiden,  womit 
es  nur  zu  oft  die  Stadtverordneten-Versammlung  behelligt  habe.  Die 
Gewerbefreiheit  habe  tief  in  den  physischen  Wohlstand  eingegriffen, 
da  die  Mehrzahl  der  jüngeren  Kräfte  sich  selbständig  versucht  und  so 
die  älteren  Bürger  in  Nahrungssorgen  und  endlich  in  gänzliche  Ver- 
armung gestürzt  hätte.  Während  der  12  Jahre,  seitdem  die  alten  Ver- 
bände der  Gewerke  sich  außer  Kraft  befänden,  sei  fast  in  jedem  Jahre 
eine  neue  Gewerbegeneration  in  Berlin  entstanden ,  indem  jedes  Jahr 
so  viel  verarmte  Bürger  untergangen,  als  neue  dazugekommen  wären. 
Dieser  Zustand  habe  noch  eine  sich  fortflanzende  Immoralität  auf 
diejenigen  Volksklassen  übertragen ,  deren  Geistesausbildung  nicht 
überall  zu  dem  Grade  der  Kultur  gereift  gewesen,  daß  sie  die 
Ordnungsgesetze  der  alten  Gewerbeverfassungen  hätten  entbehren 
können,  durch  welche  der  noch  fast  ganz  rohe  Lehrling  zur  schuldigen 
Achtung  für  Religion,  Meister  und  Gesellen  frühzeitig  mit  der  nötigen 
Strenge  erzogen  und  gewöhnt  sei.  Und  damit  wäre  für  ihn  erst  der 
Grund  zum  Gehorsam  gegen  die  Landesgesetze,  die  ihn  einst  als 
selbständigen  Bürger  glücklich  machen  sollten ,  gelegt  worden.  Der 
vorurteilsfreie  Beobachter  finde  leider  schon  jetzt  diesen  Verlust  zu  be- 
klagen, da  die  Immoralität  erheblich  gestiegen  wäre.  Die  alten 
ehrwürdigen  Grundgesetze  erzwängen  noch  immer  bei  den 
denkenden  Menschen  die  tiefste  Ehrfurcht,  das  bewiesen  die  unver- 
letzt gebliebenen  Justizgesetze;  so  wären  auch  die  alten  Gewerbegesetze 
beizubehalten  und  nur,  wo  sie  reformbedürftig  seien,  zu  modifizieren. 
Der  Grundsatz  der  Gewerbefreiheit  male  allerdings  dem  feurigen  Geiste 
ein  schönes  Ideal  der  ungebundenen  Kräfte  vor,  und  man 
sage,  daß  die  segensreichen  Folgen  die  Zukunft  gebären  solle.  Letztere 
könne  aber  keine  Entscheidung  für  die  kummervolle  Gegenwart  ge- 
währen, wenn  sie  dem  annähernden  Greisenalter  die  weise  Lehre  der 
Erfahrung  entreiße.     Die  Idealisten  hätten  die  Bilder  einer  glücklichen 


1)  A.  No.   1,   Vol.  II. 
Dritte  Folge  Bd.  VIII  (L2I1I). 


gQ  Kurt  von  Rohrscbeidt, 

Zukunft  mit  Riesenschritten  auf  der  Bahn  der  Gewerbefreiheit  fort- 
gezogen, ohne  daß  sie  das  Volk  mitgenommen,  dessen  Geistesbegrifi 
noch  bei  weitem  nicht  reif  genug  zu  jenem  Auffluge  gewesen  sei. 
Nun  zeigten  sich  die  traurigsten  Folgen,  und  Verarmung  bliebe  der 
Gewinn  für  die  Gegenwart.  So  sei  der  Beweis  geführt,  daß  die  freien 
Systeme  nur  langsam  näher  gebracht  werden  dürften,  wenn  Wohlstand, 
Ordnung  und  Moral  erhalten  werden  solle.  Die  trostreiche  Hoffnung 
auf  eine  Abänderung  des  herrschenden  Prinzips  „gieße  neues  Leben 
in  die  erloschene  Kraft  der  noch  übrigen  alten  gewerbetreibenden 
Bürger  Berlins ,  die  der  Strom  der  Zeit  noch  nicht  ganz  vernichtend 
mit  fortgerissen  habe." 

Hardenberg  würde  voraussichtlich  auf  diese,  noch  außerdem  ziem- 
lich konfus  abgefaßte  Eingabe  wohl  kaum  eine  Antwort  gehabt 
haben.  Jetzt  wurde  die  seltsame  Zumutung,  diesem  Manne  „die  Vor- 
arbeitung zur  wirklichen  Verbesserung  der  Gewerbeverfassung"  zu 
übertragen,  sehr  ernsthaft  beantwortet,  und  diese  Antwort  ist  trotz 
ihrer  ablehnenden  Haltung  nach  Form  und  Inhalt  höchst  bemerkenswert. 
Sie  lautet:  „So  nützlich  die  Gewerbefreiheit  an  sich  ist,  so  läßtes  sich 
allerdings  doch  nicht  verkennen,  daß  der  Mißbrauch  derselben 
sehr  nachteilige  Folgen  hat,  und  es  ist  daher  sehr  zweckmäßig, 
über  diesen  Gegenstand  mehr  Licht  zu  verbreiten.  Von  diesem  Ge- 
sichtspunkte betrachtet,  bin  ich  weit  entfernt,  Ihrer  Absicht,  eine  Ab- 
handlung über  Verbesserung  der  Gewerbeverfassung  zu  liefern,  irgend 
ein  Hindernis  in  den  Weg  zu  legen,  autorisieren  kann  ich  Sie  aber 
dazu  um  so  weniger,  da  der  Gegenstand  nicht  zu  meinem,  sondern 
zum  Ressort  der  Königlichen  Verwaltungsbehörden  gehört."  Also  eine 
Ermunterung  in  aller  Form ,  und  zwar  eine  Ermunterung  an  einen 
Mann,  dessen  unlesbarer  Stil  allein  jede  Hoffnung  auf  irgend  eine 
Lösung  seiner  Aufgabe  ausschloß.  Hardenberg  würde,  wenn  er  über- 
haupt geantwortet  hätte,  gerade  umgekehrt  geantwortet  und  gesagt 
haben :  „Wenn  auch  Mißbrauche  mit  der  Gewerbefreiheit,  wie  mit  jeder 
anderen  menschlichen  Institution,  zumal  in  solcher  Zeit  und  bei  solchem 
W7echsel  der  Dinge,  zusammenhängen,  so  waren  doch  früher  bei  der 
alten  Verfassung  deren  unendlich  mehr.  Die  Gewerbefreiheit  ent- 
spricht den  geläuterten  wirtschaftlichen  Anschauungen,  und  schon  des- 
halb kann  ich  Sie  nicht  autorisieren  u.  s.  w."  Als  der  preußische 
Staat  in  den  Jahren  1814  und  1815  sowohl  einst  verlorene  Territorien 
wiedergewann,  wie  auch  neue  erwarb,  wurden  in  diesen  zwar  die 
finanziellen,  nicht  aber  die  gewerbepolizeiligen  Bestim- 
mungen des  Edikts  vom  2.  November  1810  und  ebensowenig  die  Vor- 
schriften des  Gesetzes  vom  7.  September  1811  eingeführt,  nur  in  der 
Stadt  Danzig  erlangten  beide  Gesetze  Geltung.  Da  in  den  genannten 
Landesteilen  die  bisher  dort  bestandene  gewerbliche  Verfassung  erhalten 
blieb,  so  traten  mannigfache  Uebelstände  zu  Tage,  namentlich,  als  das 
Gesetz  vom  30.  Mai  1820  wegen  Entrichtung  der  Gewerbesteuer  die 
Stelle  des  Edikts  von  1810  einnahm.  In  §  37  desselben  wurde  deshalb 
auch  eine  Revision  der  Bestimmungen,  welche  die  Berechtigung  zum 
Gewerbe  bisher  verschiedentlich  bestimmten,  in  Aussicht  gestellt.    Das 


Vor-  und  Bückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  51 

Bedürfnis  nach  einem  allgemeinen  Gewerbepolizeigesetze  für  die 
ganze  Monarchie  wurde  immer  fühlbarer  *).  Namentlich  machte 
sich  die  verschiedenartige  Gesetzgebung  auch  bezüglich  der  Stellung 
der  Zünfte  bemerklich.  In  den  alten,  im  Jahre  1807  bei  Preußen  ver- 
bliebenen Provinzen  bestanden  da,  wo  sich  die  früheren  Innungen 
erhalten  hatten,  zünftige  und  unzünftige  Meister  mit  gleichen  Ge- 
werbsrechten nebeneinander.  Neue  Innungen  konnten  nur  gegründet 
werden ,  wenn  die  Landespolizeibehörde  es  zur  Erreichung  gemein- 
nütziger Zwecke  für  erforderlich  erachtete,  Gewerbetreibende  gewisser 
Art  in  einer  Korporation  zu  vereinigen  (§  31  des  Gesetzes 
vom  7.  September  1811).  Dies  geschah  indessen  nur  hinsicht- 
lich kaufmännischer  Korporationen  in  einigen  größeren  Städten. 
In  den  wieder-  und  neuerworbenen  Landesteilen  blieb  die  Zunftver- 
fassung insoweit  aufrecht  erhalten,  als  sie  daselbst  nicht  schon  vor 
dem  Anfall  dieser  Territorien  an  Preußen  aufgehoben  war.  Letzteres 
traf  zu  in  denjenigen  Gebieten,  welche  eine  Zeit  lang  unter  franzö- 
sischer, westfälischer  und  bergischer  Herrschaft  gestanden 
hatten.  Hier  blieb  das  Innungswesen  gänzlich  beseitigt.  In  den 
übrigeu  Landesteilen  dagegen,  wo  der  Zunftzwang  noch  vorgefunden 
wurde,  bestand  er  weiter  fort.  Hierbei  fand  indessen  der  Unterschied 
statt,  daß  in  einigen  dieser  zuletzt  erwähnten  Territorien  (Herzogtum 
Westfalen,  Fürstentum  Siegen  und  den  beiden  Grafschaften  Wittgen- 
stein), weil  daselbst  bei  Einführung  des  A.  L.  R.  der  Abschnitt  III 
Tit.  8  Teil  II  desselben  suspendiert  wurde  (Publ.  Pat.  v.  21.  Juni 
1825  §  4),  noch  die  ehemals  dort  giltigen,  die  Zunfrechte 
betreffenden  Gesetze  weiter  erhalten  wurden,  in  andern  dagegen 
(Herzogtum  Sachsen)  die  Zunftverfassung  nicht  nach  den  früheren 
Landesgesetzen,  sondern  nur  nach  den  Vorschriften  des  A.  L.  R. 
Teil  II  Tit.  8  Abschnitt  III  zu  beurteilen  war  (Reskr.  d.  Min.  d. 
Innern  u.  d.  Handels  v.  12.  April  1819,  Kamptz'  Annal.  III  S.  533, 
u.  d.  Min.  d.  Innern  v.  4.  August  1825  A.  IX  S.  746).  In  der  Pro- 
vinz Neuvorpommern,  wo  das  allgemeine  Landrecht  überhaupt 
nicht  eingeführt  wurde,  blieb  die  dortige  ältere  Zunftverfassung  völlig 
unverändert  fort  bestehen.  In  dem  Großherzogtum  Posen  war 
das  frühere  Warschauische  Patentsteuergesetz  durch  den 
kaiserlich  russischen  Ukas  d.  d.  Troyes,  den  1.  Februar  1814  aufge- 
hoben. Bei  der  Wiedervereinigung  dieser  Provinzen  mit  dem  preußischen 
Staate  kam  es  darauf  an,  den  neuen  Unterthanen  den  Betrieb  ihrer 
Gewerbe  ohne  Einschränkung  zu  gestatten,  was  ohne  Gleichstellung 
in  den  Gewerbeabgaben  nicht  geschehen  konnte.  Um  aber  durch 
Einführung  der  gewerblichen  Gesetzgebung  die  in  Posen  bestehenden 
ausgedehnten  gewerblichen  Privatrechte  nicht  zu  verletzen  und 
den  Staatskassen  keine  Entschädigungsverbindlichkeiten  aufzuladen, 
ließ  der  Finanzminister  nur  den  finanziellen  Teil  des  Gewerbe- 
steueredikts publizieren,  indem  die  Regelung  der  gewerbepolizeilichen 


1)  v.  Rohrscheidt ,    die  Polizeitage    und    ihre  Stellung  in  der  Reichsgewerbeordnung 
(Berlin  1893). 


52  Kurt  von  Rohrscheidt, 

Verhältnisse  der  künftigen  Gesetzgebung  vorbehalten  wurde.  Letzteres 
trat  für  Posen  allerdings  erst  durch  das  Gesetz  vom  13.  Mai  1833 
ein,  durch  welches  die  Exklusivberechtigungen  der  Zünfte  und  Korpo- 
rationen oder  einzelner  Individuen  in  den  Städten  aufgehoben  und 
vorgeschrieben  wurde,  daß  die  Befugnis  zum  Betriebe  eines  Gewerbes 
mit  der  Wirkung  eines  Untersagungsrechtes  fernerhin  nicht  in  An- 
spruch genommen  werden  dürfe x) 2).  In  den  Landesteilen ,  in  wel- 
chen noch  die  Zwangs-  und  Bannrechte  von  der  Gesetzgebung 
unberührt  geblieben  waren,  nämlich: 

1)  in  den  ehemals  westfälischen  Gebieten  auf  dem  rechten 
Rheinufer  des  Regierungsbezirks  Coblenz, 

2)  in  der  Stadt  Wetzlar  und  ihrem  Gebiete, 

3)  in  den  ehemals  zum  Großherzogtum  Hessen  gehörigen 
Landesteilen,  nämlich  im  Herzogtum  Westfalen,  und  den  Grafschaften 
Wittgenstein- Wittgenstein  und  Wittgenstein-Berleberg, 

4)  im  Fürstentum  Erfurt, 

5)  in  den  ehemals  sächsischen  Landesteilen  mit  Einschluß  des 
Cotbusser  Kreises, 

6)  in  Neuvorpommern, 

7)  in  einigen  Ortschaften  des  C ulmer  und  Michelauer 
Kreises  (Reg.-Bez.  Marienwerder)  und  der  zum  Regierungsbezirk 
Frankfurt  gehörigen  Stadt  Schermeisel  nebst  dem  Dorfe  Grochow, 
wurde  in  den  Jahren  1836  und  1837  der  Versuch  gemacht,  diese  die 
gewerbliche  Entwicklung  hemmenden  Rechte  zu  beseitigen.  Es  wurde 
sogar  der  Entwurf  eines  Gesetzes  wegen  Aufhebung  und  Ablösung  der 
Zwangs-  und  Bannrechte  und  der  einer  Entschädigungsordnung  aus- 
gearbeitet, aber  über  Beratungen  im  Staatsministerium  kam  die  Ange- 
legenheit nicht  hinaus. 

Wegen  dieser  so  verschiedenen  Rechtslage,  die  natürlich  nicht  ge- 
eignet sein  konnte,  die  Gewerbefreiheit  zu  fördern  und  sie  allmählich 
in  Fleisch  und  Blut  der  Nation  übergehen  zu  lassen,  war  schon 
mehrere  Jahre  vor  Hardenberg's  Tode  die  Absicht  vorhanden,  eine 
neue  Gewerbe  pol  izeiordnung  für  den  ganzen  Staat  zu 
erlassen.  Als  Hardenberg  geschieden  war,  wurde  bei  Gelegenheit  der 
Verhandlungen  über  die  ständische  Verfassung  den  Deputierten 
aus  den  Provinzen  die  Frage  vorgelegt,  ob  es  zu  wünschen  wäre, 
daß  freiwillige  Korporationen  unter  den  Gewerbetreibenden 
wieder  stattfänden  und  ob,  um  zur  Bildung  solcher  Korporationen  zu 
ermuntern,  es  ratsam  wäre,  ihnen  bei  den  Wahlen  der  Landtagsabge- 
ordneten besondere  Rechte  zu  verleihen.  Die  Deputierten  hielten 
letzteres  nicht  für  angemessen,  sie  sprachen  sich  aber  im  allgemeinen 
für  die  Beschränkung  der  gegenwärtig  stattfindenden  Gewerbe- 
freiheit durchgehends  aus,  wobei  sie  zur  Begründung  eines  soliden 
und  achtbaren  Gewerbes  zugleich  für  nötig  erachteten,  daß  Korpora- 
tionen, jedoch  unter  Vermeidung  der  früheren  Mißbräuche,  wieder 


1)  Rönne,  Die  Gewerbepolizei  des  preufsischen  Staates  (Breslau   1850)  Bd.   I. 

2)  A.   No.   8  und  A.  No.  1,  Vol.   II. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  53 

eingeführt  und  da,  wo  sie  noch  vorhanden,  erhalten  werden  möch- 
ten. Größtenteils  meinten  sie  auch,  daß  diese  Sache  Gegenstand  einer 
genaueren  Erörterung  sein  und  eine  weitere  Beratung  auf  den  Pro- 
vinziallandtagen  veranlassen  werde.  Die  Deputierten  aus  Schlesien, 
Sachsen  und  den  Rheinprovinzen  lieferten  insbesondere  zu  dieser  Frage 
ausführliche  Gutachten 1 ).  Der  Handelsminister  Graf  von  Bülow 
setzte  sich  unter  dem  5.  September  1823  hierüber  mit  dem  Minister 
des  Innern  von  Schuckmann  in  Verbindung.  Als  ein  Jahr  später 
die  Stände  der  Provinz  Pommern  am  14.  Dezember  1824  eine  zeit- 
gemäße Wiederherstellung  der  Zünfte  und  Innungen  beantragten, 
meinte  Schuckmann  in  einem  am  28.  Februar  1825  dem  Staatsministe- 
rium erstatteten  Gutachten,  eine  angemessene  Modifikation  der  hin- 
sichtlich der  Gewerbefreiheit  bestehenden  Vorschriften  sei  schon  von 
so  vielen  Seiten  in  Anregung  gebracht  und  mit  so  dringen- 
den Gründen  unterstützt  worden,  daß  die  Angelegenheit  eine  sorg- 
fältige Prüfung  erfordere1).  Man  hatte  also  damals  bereits  keine 
prinzipielle  Abneigung  mehr,  die  Zünfte  als  freiwillige  Kor- 
porationen wieder  zuzulassen,  wenn  auch,  da  aus  der  geplanten  Ge- 
werbepolizeiordnung zunächst  nichts  wurde,  noch  20  Jahre  vergingen, 
ehe  der  Gedanke  praktische  Gestalt  gewann  (§  101  der  Gewerbeord- 
nung vom  17.  Januar  1845). 

Welche  Aenderungen  man  später  an  dem  durch  die  Reform  der 
Jahre  1810  und  1811  geschaffenen  Zustande  auf  Grund  der  inzwischen 
gesammelten  praktischen  Erfahrungen  verlangen  zu  müssen  glaubte, 
spricht  deutlich  ein  an  die  Minister  des  Innern  und  für  Handel  und 
Gewerbe  eingereichter  Bericht  des  Berliner  Magistrats  vom 
27.  Juli  1832  aus.  In  demselben  wird  namentlich  zur  Hebung  und 
Sicherung  des  Lehrlingswesens  gefordert: 

1)  daß  allen  Lehrlingsverhältnissen  ein  schriftlicher,  mit  amtlicher 
Bestätigung  versehener  Vertrag  zu  Grunde  liege; 

2)  daß  eine  Ermittelung  voranzugehen  habe,  ob  der  Lehrherr 
ein  unbescholtener  Mann  und  ein  sein  Gewerbe  selbständig 
betreibender  Bürger  sei; 

3)  daß  der  Lehrling  eine  Prüfung  zu  bestehen  habe,  ehe  er 
zum  Gesellen  gesprochen  werde; 

3)  daß  kein  Lehrling  angenommen  werden  dürfe,  der  nicht 
Fertigkeit  im  Lesen,  Rechnen  und  Schreiben  besitze. 

Ferner  wurde  beantragt,  daß  der  selbständige  Gewerbebetrieb  nur 
nach  vorheriger  Prüfung  und  Nachweisung  der  erforderlichen 
Geschicklichkeit  und  Fertigkeit  begonnen  werden  könne.  Durch  die 
Bestimmungen  zu  1 — 4  sollte  verhindert  werden,  daß  unqualifizierte 
Personen  zum  allgemeinen  Schaden  Untüchtigkeit  lehrten  und  ver- 
breiteten. Die  vielen  mittellosen  Gewerbetreibenden  suchten  nach 
einer  billigen  Hilfe,  daher  die  ausgebreitete  Neigung,  Lehrlinge 
heranzuziehen,  und  Bedürftigkeit  und  Ungeschicklichkeit  stünden  in 
Wechselwirkung.      Die    vielfachen    Etablissements    der    neueren    Zeit, 

1)  A.  No.  5. 


54  Kurt  von  Rohrscheidt, 

deren  Leiter  nicht  genügende  Fertigkeit  besäßen,  seien  eine  Haupt- 
ursache der  baldigen  Verarmung  dieser  Gewerbetreibenden,  die  zuerst 
den  Kommunen,  dann  aber  dem  Staate  gefährlich  zu  werden 
drohe.  Unstreitig  trüge  solche  Unfähigkeit  zu  dem  darauf  folgenden 
Resultate  der  Verarmung  weit  mehr  bei,  als  der  Mangel  an  Ver- 
mögen. Letzteres  könnten  Fleiß  und  Sparsamkeit  ersetzen ,  wie  dies 
die  tägliche  Erfahrung  lehre,  jene  bleibe  unersetzlich,  und  ihre  Folgen 
wären  unabwendbar.  Daher  habe  auch  die  Stadtverordneten- Versamm- 
lung, die  mit  den  Berliner  Gewerbeverhältnissen  sehr  genau  bekannt 
sei,  gewünscht,  daß  die  neue  Gewerbeordnung  den  Grundsatz  erwiesener 
und  erprobter  Fähigkeit  als  künftige  Bedingung  jedes  selbständigen 
Gewerbebetriebes  aufstellen  möge.  In  naher  Verbindung  mit  diesem 
Wunsche  würde  dann  der  stehen,  daß  alle  Gewerbetreibenden  einer 
Klasse  wieder  in  eine  den  Zünften  ähnliche  Verbindung 
gesetzt,  und  der  Eintritt  in  diese  Verbindung  denselben  gleichfalls  zur 
Bedingung  gemacht  werde.  Der  Vorstand  dieser  Gesellschaft  würde 
dann  die  Prüfungsbehörde  bilden  und  außerdem  diejenigen  Vor- 
teile gewähren,  welche  die  bisherigen  aus  der  ungebundenen  Gewerbe- 
freiheit geschöpften  Erfahrungen  im  Vergleich  mit  Gewerbever- 
einen als  den  letzteren  unverzüglich  beiwohnend  zu  erkennen  gegeben 
und  daher  auch  in  den  höheren  Staatsbehörden  den  Wunsch  rege  ge- 
macht hätten,  dergleichen  Verbindungen  zu  bewirken  oder  wieder  her- 
zustellen. Daß  ihre  Grundlagen  den  veränderten  Zeitumstän- 
den angepaßt  werden  müßten,  verstehe  sich  von  selbst.  Schließ- 
lich wird  um  Beschleunigung  der  neuen  Gewerbeordnung  gebeten,  da 
besonders  die  Residenz  Berlin  unter  den  Folgen  der  bisherigen 
Gewerbefreiheit,  vorzugsweise  durch  Vermehrung  der  Zahl  armer  Ge- 
werbetreibender, leide,  weil  sie  als  solche  den  meisten  Reiz  gewähre, 
hier  entweder  aus  Leichtsinn  oder  als  letztes  Zufluchtsmittel  bei 
schon  drohender  und  bevorstehender  Verarmung  sein  Glück  zu  ver- 
suchen1). 

In  einem  späteren  Schreiben  an  den  Polizeipräsidenten  vom 
18.  Mai  1832  sagte  der  Berliner  Magistrat,  er  hätte  ermittelt, 
daß  allein  in  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres  1829  bei  613  Bürgern  die 
Zahlungsmodalitäten  hätten  reguliert  werden  müssen,  und  dies  sei  ein 
Beweis  für  die  große  Zahl  verarmter  Bürger.  Auch  geschehe  es,  daß 
einzelne  Personen  sich  nur  zum  Scheine  etablierten,  damit  unbe- 
rechtigte und  unfähige  Gehilfen  unter  dem  Vorwande,  für  jene  zu  ar- 
beiten,  dies  in  Wahrheit  für  eigene  Rechnung  thäten.  Die 
Fähigkeitszeugnisse  solcher  Lehrherrn  hätten  keinen  Wert.  Zwar 
sollten  zunächst  Väter  und  Vormünder  für  das  Beste  ihrer  Kinder  und 
Pflegebefohlenen  sich  bemühen,  aber  die  Sorglosigkeit  der  Eltern  in 
den  niederen  Ständen  gehe  hierin  sehr  weit.  Auch  seien  sie  unbe- 
kannt mit  den  gegenwärtigen  Verhältnissen  und  glaubten,  daß  das 
zunftmäßige  Ein-  und  Ausschreiben  der  Lehrlinge  eine  sich  von 
selbst  verstehende  Sache  sei. 

1)  A.  No.  7. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang    und  Gewerbefreiheit.  55 

Am  3.  Juli  1833  berichtete  der  Berliner  Magistrat1) 
wiederholt  an  die  Minister  des  Inneren  und  für  Handel  und  Gewerbe, 
indem  er  von  neuem  einen  Zusammenschluß  der  Gewerbe  wünschte, 
um  das  leichtsinnige  Unternehmen  eines  selbständigen  Betriebes  ohne 
Mittel  und  Kenntnisse  zu  verhindern.  Auf  diese  Weise  werde  selbst- 
verschuldete Armut  verhütet,  und  eine  leichtere  Handhabung  der  auf 
Ruhe  und  Ordnung  abzweckenden  Maßregeln  erreicht  werden.  Auch 
hätten  die  Ministerien  für  Handel  und  Gewerbe  und  des  Innern  und 
der  Polizei  durch  Verfügung  vom  30.  April  1823 2)  die  Vereinigung 
der  unzünftigen  Tischler  in  eine  Korporation  und  durch  Verfügung 
vom  12.  August  1823 3)  die  Verbindung  zünftiger  und  unzünftiger  Ge- 
werksgenossen  einer  Klasse  in  eine  Korporation  als  zweckmäßig  aner- 
kannt. Professionisten  und  Künstler  seien  berechtigt,  in 
Schuldsachen  Terminalzahlungen  zu  verlangen,  ehe  sie  zum 
Personalarrest  gebracht  werden  könnten,  und  der  Gläubiger  müsse 
solche  annehmen,  wenn  dadurch  die  Schuld  während  der  mutmaßlichen 
Lebensdauer  des  Schuldners  zu  tilgen  sei.  Diese  Vergünstigung  nun 
zu  erlangen,  veranlasse  viele  böse  Schuldner,  selbst  noch  in  der  Exe- 
kutivinstanz, wenn  es  bis  zur  Realexekution  gediehen  sei,  sich  einen 
Gewerbeschein  auf  irgend  eine  Profession  zu  lösen,  sich  da- 
durch als  Professionisten  zu  legitimieren  und  dann  den  Gläubiger  durch 
möglichst  geringe  Terminalzahlungen,  so  lange  als  irgend  zulässig, 
hinzuhalten.  Auf  diese  Art  sinke  der  sonst  so  geachtete  Hand- 
werkerstand zu  einem  Grade  von  Nichtigkeit  und  Täuschung  herab, 
der  auch  für  die  Moralität  höchst  verderblich  werden  müsse,  und  die 
Gewerbefreiheit  arte  in  Gewerbefrechheit  aus.  Der  Haupt- 
grundsatz einer  wahren  Gewerbefreiheit  sei  doch  aber  unstreitig  nur, 
daß  alles  die  freie  Entwickelung  selbständiger  Thätigkeit  Hemmende 
entfernt  werde.  Um  aber  selbständig  thätig  zu  sein,  müsse  der  Mensch 
doch  erst  etwas  Tüchtiges  erlernt  haben,  und  die  Aufsicht  und  Kon- 
trolle darüber,  daß  dies  geschehen,  scheine  nur  Pflicht  der  Obrig- 
keit zu  sein.  Wer  sich  einmal  dem  Handwerkerstande  widme,  müsse 
sich  auch  dafür  ausbilden,  und  es  wäre  weder  eine  Beschränkung  der 
Gewerbefreiheit  noch  der  natürlichen  Freiheit,  wenn  die  Obrigkeit 
erst  Proben  der  erlernten  Fähigkeiten  sehen  wolle,  bevor  sie  eine  selb- 
ständige Ausübung  derselben  gestatte,  sei  es  nun  bei  dem  Uebertritt 
aus  dem  Lehrlings-  in  den  Gesellenstand  oder  aus  diesem  in  den 
Meisterstand.  Diese  Notwendiggeit  scheine  auch  bei  den  neueren  Be- 
stimmungen, wodurch  die  Wanderpflicht  der  Gesellen  aufgehoben 
worden,  gefühlt  worden  zu  sein,  indem  darin  vorgeschrieben  sei,  daß 
ein  Geselle  nur  dann  die  Annahme  als  zünftiger  Meister  erlangen 
könne,  wenn  er  noch  während  der  Zeit  der  sonstigen  Wanderpflicht 
„auf  die  Profession"  gearbeitet  habe. 

(Schlufs  folgt). 


1)  A.  No.   7. 

2)  3)  Diese   Verfügungen  haben  sich  nicht  auffinden  lassen. 


§Q  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung. 
i. 

Die  zweite  Lesung   des  Entwurfes    eines  Bürgerlichen  Ge- 
setzbuches für  das  Deutsche  Reich 

(Fortsetzung) 1). 
Von  Amtsrichter  Greif  f. 

XXVIII. 

Wie  am  Schlüsse  unseres  letzten  Berichts  mitgeteilt  wurde,  ist 
die  Kommission  im  November  1893  in  die  Beratung  des  Familienrechtes 
eingetreten.  Inzwischen  hat  sie  bis  Ende  Mai  d.  J.  diesen  Teil  des  Ent- 
wurfes bereits  erledigt.  So  erfreulich  der  erheblich  beschleunigte  Fort- 
gang der  Beratung  an  sich  ist,  so  hat  er  für  unsere  Berichterstattung 
die  unerwünschte  Folge,  dafs  dieselbe,  im  wesentlichen  wegen  Raum- 
mangels, immer  weiter  hinter  den  Arbeiten  der  Kommission  zurückge- 
blieben ist.  Soll  das  Ziel,  thuniichst  bald  über  die  Kommissionsbeschlüsse 
nähere,  auf  die  Gründe  eingehende  Mitteilungen  zu  bringen,  für  die  Zu- 
kunft nicht  völlig  verfehlt  werden,  so  mufs  für  das  Familienrecht  eine 
veränderte  Art  der  Berichterstattung  Platz  greifen.  Dieselbe  rechtfertigt 
sich  auch  insofern,  als  in  grofsen  Abschnitten  des  Familienrechtes  die 
Fragen  von  unmittelbarer  wirtschaftlicher  Bedeutung  zurücktreten  und 
daher  ein  Eingehen  auf  die  Einzelheiten  gerade  für  die  Leser  dieser 
Jahrbücher  geringeres  Interesse  bietet.  Wir  werden  demnach  in  den 
nächsten  Berichten  nur  einerseits  den  Text  der  Kommissionsbesohlüsse  in 
der  von  der  Redaktionskommission  festgestellten  vorläufigen  Fassung 
wiedergeben,  andererseits  die  wesentlichen  Abweichungen  der  zweiten 
Lesung  von  der  ersten  hervorheben  und  besonders  wichtige,  namentlich 
wirtschaftlich  bedeutsame  Beratungsgegenstände  einer  näheren  Erörterung 
unterziehen.  Für  dieses  Mal  müssen  wir  uns  darauf  beschränken,  den 
Anfang  des  Textes  zum  Abdruck  zu  bringen,  indem  wir  den  ergänzenden 
Bericht  dem  nächsten  Hefte  vorbehalten. 


1)  Vergl.  den  vorigen  Band  S.  833. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  57 

Vorläufige  Zusammenstellung  der  Kommissionsbeschlüsse.     (Fortsetzung.) 

Viertes  Buch. 

Familienrecht. 


Erster  Abschnitt. 
Ehe. 

Erster  Titel. 

Verlöbnis. 

§    1227.     Aus    dem  Verlöbnisse  kann  nicht  auf  Eingehung    der  Ehe    geklagt  werden. 

Das  Versprechen  einer  Strafe  für  den  Fall,  dafs  die  Eingehung  der  Ehe  unterbleibt, 
ist  unwirksam. 

§  1228.  (1228  Abs.  1.)  Tritt  ein  Verlobter  von  dem  Verlöbnisse  zurück,  so  hat 
er  dem  anderen  Verlobten  und  dessen  Eltern  den  Schaden  zu  ersetzen,  welcher  dadurch 
entstanden  ist,  dafs  sie  in  Erwartung  der  Eheschliefsung  Aufwendungen  gemacht  haben 
oder  Verbindlichkeiten  eingegangen  sind.  Hat  der  andere  Verlobte  in  Erwartung  der 
Eheschliefsung  sonstige  vermögensrechtliche  Verfügungen  getroffen,  so  erstreckt  sich  die 
Ersatzpflicht  auch  auf  den  hierdurch  entstandenen  Schaden.  Der  Schaden  ist  nur  insoweit 
zu  ersetzen,  als  die  Aufwendungen,  Verbindlichkeiten  und  sonstigen  Verfügungen  den  Um- 
ständen nach  angemessen  waren. 

Die  Schadensersatzpflicht  tritt  nicht  ein,  wenn  ein  wichtiger  Grund  für  den  Rück- 
tritt vorliegt. 

§  1228  a.  (1228  Abs.  2.)  Giebt  ein  Verlobter  durch  sein  Verschulden  dem  anderen 
Verlobten  gerechtfertigten  Grund  zum  Rücktritte,  so  hat  er,  wenn  der  Rücktritt  erfolgt, 
nach  Mafsgabe  des  §   1228  Schadensersatz  zu  leisten. 

§  1229.  Unterbleibt  die  Eheschliefsung,  so  kann  jeder  Verlobte  von  dem  anderen 
dasjenige,  was  er  ihm  geschenkt  oder  zum  Zeichen  des  Verlöbnisses  gegeben  hat,  nach 
den  Vorschriften  über  die  Herausgabe  einer  ungerechtfertigten  Bereicherung  zurückfordern. 
Im  Zweifel  ist  anzunehmen ,  dafs  die  Rückforderung  ausgeschlossen  sein  soll,  wenn  das 
Verlöbnis  durch   den  Tod  eines  der  Verlobten    aufgelöst  wird. 

§  1230.  Die  in  den  §§  1228,  1229  bestimmten  Ansprüche  verjähren  in  einem  Jahre 
von  der  Auflösung  des  Verlöbnisses  an. 

Zweiter  Titel. 
Eingehung  der  Ehe. 

§  1231  gestrichen. 

§  1231  a.  (1233.)  Ein  Mann  darf  nicht  vor  erlangter  Volljährigkeit,  eine  Frau 
darf  nicht  vor  vollendetem  sechzehnten  Lebensjahr  eine  Ehe  eingehen. 

Einer  Frau  kann  Befreiung  von  dieser  Vorschrift  bewilligt  werden. 

§  1232.  Ein  Minderjähriger  bedarf  zur  Eingehung  einer  Ehe  der  Einwilligung  seines 
gesetzlichen  Vertreters.  Das  Gleiche  gilt  von  einem  Volljährigen,  der  in  der  Geschäfts- 
fähigkeit beschränkt  ist. 

Steht  die  gesetzliche  Vertretung  einem  Vormunde  zu ,  so  kann  die  von  ihm  ver- 
weigerte Einwilligung  auf  Antrag  des  Mündels  durch  das  Vormundschaftsgericht  ersetzt 
werden.  Das  Vormundschaftsgericht  hat  die  Einwilligung  zu  erteilen  ,  wenn  die  Ein- 
gehung der  Ehe  im  Interesse  des  Mündels  liegt. 

Anmerkung.      1.  Der  §   1232   Abs.   3  des  Entw.  I  ist  gestrichen. 

2.  Der  Beratung  des  §  1678  bleibt  die  Entscheidung  darüber  vorbehalten,  ob  dem 
§  1678  die  Vorschrift  hinzuzufügen  ist,  dafs  die  Anhörung  von  Verwandten  und  Ver- 
schwägerten des  Mündels  insbesondere  dann  zu  erfolgen  habe ,  wenn  es  sich  um  die  Er- 
gänzung der  Einwilligung  des  gesetzlichen  Vertreters  zu  der  Eheschliefsung  des  Mündels 
handelt. 

§  1233  vergl.  §   1231a. 

§  1233  a.  (1238  Abs.  1,  2.)  Vor  vollendetem  fünfundzwanzigsten  Lebensjahre  darf 
ein  eheliches  Kind  nur  mit  Einwilligung  des  Vaters  und  nach    dessen  Tode  nur  mit  Ein- 


58  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

willigung  der  Mutter ,  ein  uneheliches  Kind  nur  mit  Einwilligung  der  Mutter  eine  Ehe 
eingehen.  Ein  durch  Ehelichkeitserklärung  legitimiertes  Kiud  bedarf  der  Einwilligung 
der  Mutter  auch  dann  nicht,  wenn  der  Vater  gestorben  ist. 

Dem  Tode  des  Vaters  oder  der  Mutter  steht  es  gleich,  wenn  sie  zur  Abgabe  einer 
Erklärung  dauernd  aufser  stände  sind  oder  wenn  ihr  Aufenthalt  dauernd  unbekannt  ist. 
Dem  Tode  des  Vaters  steht  es  gleich,  wenn  die  sich  aus  der  Vaterschaft  ergebenden  Rechte 
nach  den  §§   1564,   1566,   1567  ausgeschlossen  sind. 

Die  elterliche  Einwilligung  kann  nicht  durch  einen  Vertreter  erteilt  werden.  Sind 
die  Eltern  in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkt,  so  ist  die  Zustimmung  ihres  gesetzlichen 
Vertreters  nicht  erforderlich. 

Anmerkung.  Es  bleibt  vorbehalten,  bei  der  Beratung  der  Vorschriften  über  die 
Ehelichkeitserklärung  und  die  Annahme  an  Eindesstatt  auf  die  Vorschriften  des  §  1233  a 
Abs.  1  Satz  2  und  des  §  1233  b  Abs.  2  und  bei  der  Beratung  über  die  Vorschriften  über 
das  Rechtsverhältnis  der  Kinder  aus  ungiltigen  Ehen  auf  die  Vorschrift  des  §  1233  a 
Abs.  2   Satz   2  zurückzukommen. 

§  1233  b.  (1239.)  An  Stelle  der  leiblichen  Eltern  eines  an  Kindesstatt  angenommenen 
Kindes  steht  den  Eltern,  welche  das  Kind  angenommen  haben ,  das  Recht  zu,  die  Ein- 
willigung zur  Eingehung  der  Ehe  zu  erteilen.  Die  leiblichen  Eltern  erlangen  das  Recht 
auch  dann  nicht  wieder ,  wenn  das  durch  die  Annahme  an  Kindesstatt  begründete  Ver- 
hältnis  aufgehoben  wird. 

Anmerkung.     Zu  Abs.  2   vergl.  die  Anmerkung  zu  §   1233a. 

§  1233  c.  (1238  Abs.  3.)  Wird  die  elterliche  Einwilligung  einem  volljährigen 
Kinde  verweigert,  so  kann  sie  auf  dessen  Antrag  durch]  das  Vormundschaftsgericht  er- 
setzt werden.  Das  Vormundschaftsgericht  hat  die  Einwilligung  zu  ersetzen ,  wenn  sie 
ohne  wichtigen   Grund  verweigert  wordeu   ist. 

Anmerkung.     Der  §  1238  Abs.  4  des  Entw.   I  ist  gestrichen. 

§  1234.  (1234,  1235.)  Niemand  darf  eine  Ehe  eingehen,  bevor  seine  frühere  Ehe 
aufgelöst,  für  nichtig  oder  für  ungiltig  erklärt  worden  ist.  Ehegatten  können  ohne  vor- 
gängige Nichtigkeits-  oder  Ungiltigkeitserklärung  die  Eheschliefsung  wiederholen. 

Ist  das  Urteil ,  durch  welches  einer  der  Ehegatten  für  tot  erklärt  worden  ist,  im 
Wege  der  Klage  angefochten  worden,  so  darf  der  andere  Ehegatte  nicht  vor  der  Er- 
ledigung des  Rechtsstreits  eine  neue  Ehe  eingehen,  es  sei  denn,  dafs  die  Anfechtung  erst 
zehn  Jahre  nach  der  Verkündung  des  Urteils  erfolgt  ist. 

§   1235  vergl.  §   1234   Abs.  2. 

§  1236.  Eine  Ehe  darf  nicht  geschlossen  werden  zwischen  Verwandten  in  gerader 
Linie ,  zwischen  vollbürtigen  oder  halbbürtigen  Geschwistern  sowie  zwischen  Ver- 
schwägerten in  gerader  Linie. 

Eine  Ehe  darf  nicht  geschlossen  werden  zwischen  Personen,  von  denen  die  eine  mit 
Eltern,  Voreltern,  oder  Abkömmlingen  der  anderen  Geschlechtsgemeinschaft  gepflogen  hat. 

Verwandtschaft  im  Sinne  dieser  Vorschriften  besteht  auch  zwischen  einem  unehe- 
lichen Kinde  und  dessen  Abkömmlingen  einerseits  und  dem  Vater  und  dessen  Verwandten 
andererseits. 

§  1236  a.  (1240.)  Wer  einen  Anderen  an  Kindesstatt  angenommen  hat,  darf  mit 
ihm  oder  dessen  Abkömmlingen  eine  Ehe  nicht  eingehen ,  solange  das  durch  die  An- 
nahme an  Kindesstatt  begründete   Verhältnis  besteht. 

§  1237.  Eine  Ehe  darf  nicht  geschlossen  werden  zwischen  demjenigen,  dessen  Ehe 
wegen  Ehebruchs  geschieden  ist,  und  demjenigen,  mit  welchem  er  den  Ehebruch  begangen 
hat,  sofern  dieser  Ehebruch  in  dem  Scheidungsurteil  als  Grund  der  Scheidung  festge- 
stellt ist. 

Befreiung  von  dieser  Vorschrift  kann   bewilligt  werden. 

§   1238  vergl.  §§   1233  a,   1233  c. 

§  1239  vergl.  §   1233  b. 

§   1240  vergl.  §   1236  a. 

§  1241.  Eine  Frau  darf  erst  zehn  Monate  nach  der  Auflösung,  Nichtigkeits-  oder 
Ungiltigkeitserklärung  ihrer  früheren  Ehe  eine  neue  Ehe  eingehen. 

Befreiung  von  dieser  Vorschrift  kann  bewilligt  werden. 

§  1242.  Wer  ein  eheliches  Kind  hat,  das  minderjährig  ist  oder  unter  seiner  Vor- 
mundschaft steht ,  darf  eine  Ehe  erst  eingehen,  nachdem  das  Vormundschaftsgericht  ein 
Zeugnis  darüber  erteilt  hat ,  dafs  die  im  §  1548  bezeichneten  Verpflichtungen  von  ihm 
erfüllt  worden  sind  oder  ihm  nicht  obliegen. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  59 

Ist  im  Falle  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft  ein  anteilsberechtigter  Abkömmling 
des  überlebenden  Ehegatten  minderjährig  oder  bevormundet,  so  darf  der  Ehegatte  eine 
Ehe  erst  eingehen,  nachdem  das  Vormundschaftsgericht  ein  Zeugnis  darüber  erteilt  hat, 
dafs  die  im  §  1404  bezeichneten  Verpflichtungen  von  ihm  erfüllt  worden  sind  oder  ihm 
nicht  obliegen. 

§  1243.  Militärpersonen  und  solche  Landesbeamte  ,  die  nach  den  Landesgesetzen 
eine  besondere  Erlaubnis  zur  Eingehung  einer  Ehe  nachzusuchen  haben,  dürfen  nicht  ohne 
diese  Erlaubnis,  Ausländer,  für  die  nach  den  Landesgesetzen  eine  Erlaubnis  oder  ein 
Zeugnis  zur  Eingehung  einer  Ehe  erforderlich  ist,  dürfen  nicht  ohne  diese  Erlaubnis  oder 
ohne  dieses  Zeugnis  eine  Ehe  eingehen. 

§  1244  vergl.  §  1249  a. 

§   1245.     Die  Ehe  kann   nur  vor  einem   Standesbeamten  geschlossen   werden. 

Als  Standesbeamter  gilt  auch  derjenige,  welcher,  ohne  Standesbeamter  zu  sein,  das 
Amt  eines  Standesbeamten  öffentlich  ausübt,  es  sei  denn,  dafs  die  Verlobten  bei  der  Ehe- 
schliefsung  den  Mangel  der  amtlichen   Befugnis  gekannt  haben. 

§   1246.     Die  Ehe  soll  vor  dem  zuständigen  Standesbeamten  geschlossen  werden. 

Zuständig  ist  der  Standesbeamte,  in  dessen  Bezirk  einer  der  Verlobten  seinen  Wohn- 
sitz  oder  seinen  gewöhnlichen  Aufenthalt  hat. 

Hat  keiner  der  Verlobten  seinen  Wohnsitz  oder  seinen  gewöhnlichen  Aufenthalt  im 
Inlande  und  ist  auch  nur  einer  von  ihnen  ein  Deutscher,  so  wird  der  zuständige  Standes- 
beamte von  der  obersten  Aufsichtsbehörde  des  Bundesstaats,  welchem  der  Deutsche  an- 
gehört, und,  wenn  dieser  keinem    Bundesstaat  angehört,  von  dem  Reichskanzler  bestimmt 

Unter  mehreren  zuständigen  Standesbeamten  haben  die  Verlobten   die  Wahl. 

§  1247.  Auf  Grund  einer  schriftlichen  Ermächtigung  des  zuständigen  Standesbeamten 
darf  die  Ehe  auch  vor  dem  Standesbeamten    eines    anderen   Bezirkes    geschlossen  werden. 

§  1247  a.  Der  Eheschliefsung  soll  ein  Aufgebot  vorhergehen.  Das  Aufgebot  ver- 
liert seine  Kraft,  wenn  die  Ehe  nicht  binnen  sechs  Monaten  nach  der  Vollziehung  des 
Aufgebots  geschlossen  wird. 

Das  Aufgebot  kann  unterbleiben  ,  wenn  die  lebensgefährliche  Erkrankung  eines  der 
Verlobten  den    Aufschub  der  Eheschliefsung  nicht  gestattet. 

Befreiung  von  dem  Aufgebote  kann  bewilligt  werden. 

Anmerkung.  Im  Artikel  28  des  Entwurfes  des  Einführungsgesetzes  soll  in  dem  Ge- 
setze über  die  Beurkundung  des  Personenstandes  und  die  Eheschliefsung  vom  6.  Februar  1875 

1.  der    §  44  Abs.  1    gestrichen    und    der  Eingang    des    §  44  Abs.  2    dahin    geändert 
werden  : 

Für  die  Anordnung  des  Aufgebots  ist 

2.  der  §  51   gestrichen  werden. 

Die  Redaktionskommission  hält  auch  die  Herübernahme  dieser  Vorschrift  in  das 
Bürgerl.  Ges.  B.  für  angemessen. 

3.  der  §   50  folgende  Fassung  erhalten: 

Der  Standesbeamte  soll  ohne  Aufgebot  die  Eheschliefsung  nur  vornehmen,  wenn 
ihm  ärztlich  bescheinigt  wird,  dafs  die  lebensgefährliche  Erkrankung  eines  der  Ver- 
lobten Aufschub   der  Eheschliefsung  nicht  gestattet. 

§  1248.  Die  Eheschliefsung  erfolgt  dadurch,  dafs  die  Verlobten  vor  einem  Standes- 
beamten persönlich  und  bei  gleichzeitiger  Anwesenheit  erklären ,  die  Ehe  mit  einander 
eingehen  zu  wollen,  und  dafs  hierauf  der  Standesbeamte  die  Ehe  für  geschlossen  erklärt. 

Die  Erklärungen  können  nicht  unter  einer  Bedingung  oder  einer  Zeitbestimmung  ab- 
gegeben werden. 

§  1249.  Der  Standesbeamte  soll  bei  der  Eheschliefsung  in  Gegenwart  von  zwei 
Zeugen  an  die  Verlobten  einzeln  und  nach  einander  die  Frage  richten  ,  ob  sie  die  Ehe 
mit  einander  eingehen  wollen,  und,  nachdem  die  Verlobten  die  Frage  bejaht  haben,  aus- 
sprechen, dafs    er  kraft  Gesetzes  sie  für  rechtmäfsig  verbundene  Eheleute  erkläre. 

Als  Zeugen  sollen  Personen ,  denen  die  bürgerlichen  Ehrenrechte  aberkannt  sind, 
während  der  Zeit,  für  welche  die  Aberkennung  erfolgt  ist,  sowie  Minderjährige  nicht  zu- 
gezogen werden.  Personen,  die  mit  einem  der  Verlobten,  dem  Standesbeamten  oder  mit 
einander  verwandt  oder  verschwägert  sind,  dürfen  als  Zeugen  zugezogen  werden. 

Anmerkung.  Der  Beratung  des  Entwurfes  des  Einführungsgesetzes  bleibt  vor- 
behalten, das  Reichsgesetz  vom  4.  Mai  1870,  betreffend  die  Eheschliefsung  u.  s.  w.  von 
Bundesangehörigen  im  Auslande  mit  den  zu  den  §§  1248,  1249  gefafsten  Beschlüssen  in 
Einklang  zu  bringen.: 


ßO  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

§  1249  a.  (1244.)  Die  Befugnis  zur  Bewilligung  einer  nach  den  §§  1231  a,  1237, 
1241,  1247  a  zulässigen  Befreiung  steht  dem  Staate  zu.  Ueber  die  Ausübung  dieser  Be- 
fugnis haben  die  Landesregierungen  zu  bestimmen. 

Dritter  Titel. 
Nichtigkeit  und  Anfechtbarkeit  der  Ehe. 

§  1250.     Eine  Ehe  ist  nur  in  den  Fällen  der  §§  1250  a  bis  1250  e  nichtig. 

Anmerkung.  Im  Artikel  16  des  Entwurfes  des  Einführungsgesetzes  soll  die  Nr.  1 
des  §  170  a  des  Strafgesetzbuchs  gestrichen  werden.  Der  Beratung  dieses  Entwurfes 
bleibt  vorbehalten,  darüber  Beschlufs  zu  fassen  ,  ob  Strafbestimmungen  wegen  Verstofses 
gegen  das  Verbot  des  §  1231a  und  des  §  1236  Abs.  2  aufzunehmen  und  wie  die  sich 
auf  die  Civilprozefsordnung  beziehenden  Vorschriften  des  Artikels  11  mit  den  gefafsten 
Beschlüssen  in  Uebereinstimmung  zu  bringen  sind. 

§  1250  a.  (1250  Nr.  1,  1252  Abs.  2.)  Eine  Ehe  ist  nichtig,  wenn  die  im  §  1248 
vorgeschriebene   Form  nicht  beobachtet  worden  ist ;  die  Ehe  gilt  als  nicht  geschlossen. 

Ist  die  Ehe  in  das  Heiratsregister  eingetragen  worden ,  so  ist  sie  als  giltig  anzu- 
sehen, bis  sie  aufgelöst  oder  für  nichtig  erklärt  worden  ist ;  erfolgt  die  Auflösung  oder 
die  Nichtigkeitserklärung,  so  gilt  die  Ehe  als  nicht  geschlossen.  Haben  die  Ehegatten 
nach  der  Eheschliefsung  zehn  Jahre  als  Ehegatten  mit  einander  gelebt ,  so  ist  die  Ehe 
als  von  Anfang  an  giltig  anzusehen. 

§  1250  b.  (1250  Nr.  2,  1251.)  Eine  Ehe  ist  nichtig,  wenn  einer  der  Ehegatten  zur 
Zeit  der  Eheschliefsung  geschäftsunfähig  war  oder  sich  im  Zustande  der  Bewufstlosig- 
keit  befand. 

Die  Ehe  ist  als  von  Anfang  an  giltig  anzusehen,  wenn  der  Ehegatte  sie  nach  dem 
Wegfalle  der  Geschäftsunfähigkeit  oder  der  Bewußtlosigkeit  bestätigt,  bevor  sie  aufgelöst 
oder  für  nichtig  erklärt  worden  ist.     Einer  Form  bedarf  die  Bestätigung  nicht. 

§  1250  c.  (1250  Nr.  3.)  Eine  Ehe  ist  nichtig,  wenn  einer  der  Ehegatten  zur  Zeit 
der  Eheschliefsung  mit  einem  Dritten  in  einer  giltigen  Ehe  lebte. 

§  1250  d.  (1250  Nr.  3.)  Eine  Ehe  ist  nichtig,  wenn  sie  zwischen  Verwandten  oder 
Verschwägerten  dem  Verbote  des  §   1236  Abs.   1   zuwider  geschlossen  worden  ist. 

§  1250  e.  Eine  Ehe  ist  nichtig,  wenn  sie  wegen  Ehebruchs  nach  §  1237  ver- 
boten  war. 

Wird  nachträglich  Befreiung  von  der  Vorschrift  des  §  1237  bewilligt,  so  ist  die  Ehe 
als  von   Anfang  an  giltig  anzusehen. 

§  1251   vergl.  §   1250  b  Abs.   2. 

§  1252.  Eine  nach  den  §§  1250  b  bis  1250  e  nichtige  Ehe  ist  als  giltig  anzusehen, 
bis  sie  aufgelöst  oder  für  nichtig  erklärt  worden  ist.  Erfolgt  die  Auflösung  oder  die 
Nichtigkeitserklärung,  so  gilt  die  Ehe  als  nicht  geschlossen. 

§   1253   gestrichen. 

Anmerkung.  Im  Artikel  11  des  Entwurfes  des  Einfuhrungsgesetzes  soll,  zugleich 
zum  Ersätze  des  §  1253  des  Entw.  I,  der  §  586  der  Civilprozefsordnung  folgende  Fas- 
sung erhalten : 

Die  Klage  kann  sowohl  von    jedem    der  Ehegatten    als  von    dem  Staatsanwalt    er- 
hoben werden,    im  Falle  des  §   1250  c  des  Bürgerlichen -Gesetzbuchs  auch  von    dem 

Dritten ,    mit    welchem   die    frühere    Ehe    geschlossen    war.       Im     übrigen    kann    die 

Klage   von  einem   Dritten  nur    erhoben  werden ,    wenn    für    ihn  von    der    Nichtigkeit 

der  Ehe    ein  Anspruch    oder    von    der    Giltigkeit    der  Ehe    eine  Verbindlichkeit    ab- 
hängt. 

Die  von    dem  Staatsanwalt    oder    einem  Dritten    erhobene  Klage    ist    gegen    beide 

Ehegatten,  die  von  einem  Ehegatten  erhobene  Klage  ist  gegen  den  anderen  Ehegatten 

zu  richten. 

§§   1254  bis  1256  gestrichen. 

Anmerkung.  Im  Artikel  11  des  Entwurfes  des  Einführungsgesetzes  sollen  in 
die  Civilprozefsordnung  folgende  Vorschriften  eingestellt  werden: 

1)    Zum    Ersätze    der    §§    1254,    1267,    1271,    1276,     1451     des    Entw.    I    als 

§  573  a: 

In  Ehesachen  ist  ein  in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkter  Ehegatte  prozefs- 
fähig ;  dies  gilt  jedoch  nicht  für  einen  Rechtsstreit ,  welcher  die  Dngiltigkeit  der 
Ehe  auf  Grund  des  §  1259  a  des  Bürgerlichen  Gesetzbuchs  zum  Gegenstande  hat. 


Nationalökonomische    Gesetzgebung.  (',1 

Für  einen  geschäftsunfähigen  Ehegatten  wird  der  Rechtsstreit  durch  den  gesetz- 
lichen Vertreter  geführt.  Der  gesetzliche  Vertreter  ist  jedoch  zur  Erhebung  der 
Klage  auf  Herstellung  des  ehelichen  Lebens  sowie  auf  Scheidung  nicht  befugt ; 
auch  kann  er  die  Anfechtungsklage  nur  mit  Genehmigung  des  Vormuudschatts- 
gerichts  erheben. 

2)  Zum   Ersätze  der  §§   1255,   1267,   1462,   1463  des  Entw.  I 

a)  als  §  582  : 

Urteile,  durch  welche  auf  Scheidung,  Ungiltigkeit  oder  Nichtigkeit  der  Ehe  er- 
kannt ist,  sind   den   Parteien   von  Amtswegen  zuzustellen. 

Nach  dem  Eintritte  der  Rechtskraft  des  Urteils  hat  das  Prozefsgericht,  wenn  ein 
gemeinschaftliches  minderjähriges  Kind  der  Ehegatten  vorhanden  ist  ,  dem  Vor- 
mundschaftsgericht unverzüglich   Mitteilung  zu  machen. 

b)  als  §   584: 

Hat  der  Rechtsstreit  die  Scheidung,  Ungiltigkeit  oder  Nichtigkeit  der  Ehe  zum 
Gegenstande,  so  kann  das  Gericht  auf  Antrag  eines  der  Ehegatten  durch  einst- 
weilige Verfügung  für  die  Dauer  des  Rechtsstreits  das  Getrenntleben  der  Ehegatten 
gestatten,  die  gegenseitige  Unterhaltspflicht  derselben  nach  Mafsgabe  des  §  1281  a 
des  Bürgerlichen  Geseizbuchs  ordnen,  wegen  der  Sorge  für  die  Person  der  gemein- 
schaftlichen Kinder,  soweit  es  sich  nicht  um  deren  gesetzliche  Vertretung  handelt, 
Anordnung  treffen  und  die  Unterhaltspflicht  der  Ehegatten  den  Kindern  gegenüber 
im  Verhältnisse  der  Ehegatten   zu  einander  regeln. 

Die  einstweilige  Verfügung  ist  zulässig,  sobald  der  Termin  zur  mündlichen  Ver- 
handlung oder  im  Falle  einer  Scheidungsklage  der  Termin  zum  Sühneversuche  be- 
stimmt oder  im  Wege  der  Widerklage  die  Scheidung  oder  Ungiltigkeitserklärung 
der  Ehe  beantragt  ist. 

Von  der  Anordnung  einer  einstweiligen  Verfügung  hat  das  Prozefsgericht,  wenn 
ein  gemeinschaftliches  minderjähriges  Kind  der  Ehegatten  vorhanden  ist,  dem  Vor- 
mundschaftsgericht unverzüglich  Mitteilung  zu  machen. 

Im  übrigen  gelten  für  die  einstweilige  Verfügung  die  Bestimmungen  der  §§  815 — 822. 

3)  Zum  Ersätze  der  §§   1256,    1269,   1271   des  Entw.   I  als  §  584  b: 

Das  auf  eine  Anfechtungs-  oder  Nichtigkeitsklage  ergangene  Urteil  wirkt,  sofern 
es  bei  Lebzeiten  beider  Ehegatten  rechtskräftig  wird ,  für  und  gegen  Alle.  Ein 
Urteil,  durch  welches  die  Ehe  auf  Grund  des  §  1250  c  des  Bürgerlichen  Gesetz- 
buchs für  nichtig  erklärt  wird,  wirkt  jedoch  gegen  den  Dritten,  mit  welchem  die 
frühere  Ehe  geschlossen  wordeu  war,  nur  dann,  wenn  er  an  dem  Rechtsstreite  teil- 
genommen hatte. 

Diese  Vorschriften  gelten  auch  für  ein   Urteil,    durch  welches  das  Bestehen  oder 
Nichtbestehen   einer  Ehe  festgestellt  wird. 
§  1257  vergl.  §  1269  a. 
§   1258  vergl.   §   1269  b. 

§  1259.  Eine  Ehe  kann  nur  in  den  Fällen  der  §§  1259  a  bis  1259  f  und  des 
§   1464  a    angefochten  werden. 

Anmerkung.     Die  Nr.   3  des  §   1259  des   Entw.   I  ist  gestrichen. 
§   1259  a.     (1259  Nr.    4,    1261   Nr.  4.)     Eine  Ehe    kann    von    dem  Ehegatten    ange- 
fochten  werden,    welcher   zur  Zeit    der  Ehesehliefsung    oder    im   Falle    des    §   1250  b    zur 
Zeit  der  Bestätigung  in  der  Geschäftsfähigkeit    beschränkt  war,    wenn    die  Ehesehliefsung 
oder  die   Bestätigung  ohne  Einwilligung  des  gesetzlichen  Vertreters  erfolgt  ist. 

§  1259  b.  (1259  Nr.  2,  1261  Nr.  2.)  Eine  Ehe  kann  von  dem  Ehegatten  ange- 
fochten werden,  welcher  bei  der  Ehesehliefsung  nicht  wufste,  dafs  es  sich  um  eine  Ehe- 
sehliefsung handle,  oder  dies  zwar  wufste,  aber  eine  Erklärung,  die  Ehe  eingehen  zu 
wollen,  nicht  abgeben  wollte. 

§  1259  c.  (1257  Nr.  1,  1261  Nr.  1.)  Eine  Ehe  kann  von  dem  Ehegatten  ange- 
fochten werden,  welcher  sich  bei  der  Ehesehliefsung  in  der  Person  des  anderen  Ehegatten 
oder  über  solche  persönliche  Eigenschaften  oder  solche  persönliche  Verhältnisse  des  an- 
deren Ehegatten  geirrt  hat ,  die  ihn  bei  Kenntnis  der  Sachlage  und  bei  verständiger 
Würdigung  des  Zweckes  der  Ehe  von  der  Ehesehliefsung  abgehalten  haben  würden. 

§  1259  d.  (1259  Nr.  1,  1261  Nr.  1.)  Eine  Ehe  kann  von  dem  Ehegatten  ange- 
fochten werden,  welcher  zur  Eingehung  der  Ehe  durch  arglistige  Täuschung  über  solche 
Umstände  bestimmt  worden  ist,  die  geeignet  waren,  ihn  bei  verständiger  Ueberlegung  von 
der  Eingehung  der  Ehe  abzuhalten.      Ist  die  Täuschung  nicht  von  dem  anderen  Ehegatten 


ß2  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

verübt,  so  ist  die  Ehe  nur  dann  anfechtbar,  wenn  dieser  bei  der  Eheschliefsung  die  Täu- 
schung kannte. 

§  1259  e.  (1259  Nr.  1,  1261  Nr.  1.)  Eine  Ehe  kann  von  dem  Ehegatten  ange- 
fochten werden,  welcher  zur  Eingehung  der  Ehe  durch  Drohung  widerrechtlich  bestimmt 
worden  ist. 

§  1259  f.  (1263  Abs.  1  Satz  1,  Abs.  3.)  Die  Anfechtung  der  Ehe  ist  in  den  Fällen 
des  §  1259a  ausgeschlossen,  wenn  der  gesetzliche  Vertreter  die  Ehe  genehmigt  oder  der 
Ehegatte,  nachdem  er  unbeschränkt  geschäftsfähig  geworden  ist,  die  Ehe  bestätigt  hat. 
Steht  die  gesetzliche  Vertretung  einem  Vormunde  zu,  so  kann  die  von  ihm  verweigerte 
Genehmigung  durch  das   Vormundschaftsgericht  nach  §   1232  Abs.   2  ersetzt  werden. 

In  den  Fällen  der  §§  1259  b  bis  1259  e  ist  die  Anfechtung  ausgeschlossen,  wenn  der 
anfechtungsberechtigte  Ehegatte  nach  der  Entdeckung  des  Irrtums  oder  der  Täuschung 
oder  nach  dem  Aufhören  der  Zwangslage  die  Ehe  bestätigt  hat. 

§  1259  g.  (1262.)  Die  Anfechtung  ist  nach  der  Auflösung  der  Ehe  ausgeschlossen, 
es  sei  denn,  dafs  die  Auflösung  durch  den  Tod  des  zur  Anfechtung  nicht  berechtigten 
Ehegatten  herbeigeführt  worden  ist. 

§  1259  h.  (1263  Abs.  1  Satz  2,  3,  Abs.  3  Satz  2,  1265  Satz  1,  3.)  Die  An- 
fechtung  sowie  die  Bestätigung  der  Ehe  kann  nicht  durch  einen  Vertreter  erfolgen.  Ist 
der  anfechtungsberechtigte  Ehegatte  in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkt ,  so  bedarf  er 
nicht  der  Zustimmung  seines  gesetzlichen  Vertreters. 

Für  einen  geschäftsunfähigen  Ehegatten  kann  sein  gesetzlicher  Vertreter  mit  G  enehmi- 
gung  des  Vormundschaftsgerichtes  die  Ehe  anfechten. 

In    den    Fällen    des    §    1259a    kann,     solange    der    anfechtungsberechtigte    Ehegatte 
in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkt  ist,  nur  sein  gesetzlicher  Vertreter  die  Ehe  anfechten. 
Anmerkung.     Der  §   1265  Satz  2   des  Entw.  I  ist  gestrichen. 

§  1259  i.  (1264.)  Die  Anfechtung  mufs  binnen  sechs  Monaten  erfolgen.  Die  Frist 
beginnt  in  den  Fällen  des  §  1259  a  mit  dem  Zeitpunkt,  in  welchem  die  Eingehung  oder 
die  Bestätigung  der  Ehe  dem  gesetzlichen  Vertreter  bekannt  geworden  ist  oder  der  Ehe- 
gatte die  unbeschränkte  Geschäftsfähigkeit  erlangt  hat,  in  den  Fällen  der  §§  1259  b  bis 
1259  e  mit  dem  Zeitpunkt,  in  welchem  der  Irrtum  oder  die  Täuschung  entdeckt  worden 
ist  oder  die  Zwangslage  aufgehört  hat.  Auf  den  Lauf  der  Frist  finden  die  für  die  Ver- 
jährung geltenden  Vorschriften  der  §§  169,   171   entsprechende  Anwendung. 

Hat  im  Falle  des  §  1259  h  Abs.  2  der  gesetzliche  Vertreter  die  Ehe  nicht  rechzeitig 
angefochten,  so  kann  gleichwohl  der  anfechtungsberechtigte  Ehegatte  nach  dem  Wegfalle 
der  Geschäftsunfähigkeit  die  Ehe  in  gleicher  Weise  anfechten,  wie  wenn  er  ohne  gesetz- 
lichen Vertreter   gewesen  wäre. 

§  1259  k.  (1266  Abs.  1,  1268.)  Die  Anfechtung  erfolgt,  solange  die  Ehe  nicht  auf- 
gelöst ist,  durch  Erhebung  der  Anfechtungsklage. 

Die  Zurücknahme  der  Klage  bewirkt,  dafs  die  Anfechtung  als  nicht  erfolgt  anzusehen 
ist.  Das  Gleiche  gilt,  wenn  die  angefochtene  Ehe,  bevor  sie  aufgelöst  oder  für  ungiltig 
erklärt  worden  ist,  nach  Mafsgabe  des  §  1259  f  oder  des  §  1259  h  Abs.  3  bestätigt  oder 
genehmigt  wird. 

§  12591.  (1266  Abs.  2.)  Ist  die  Ehe  durch  den  Tod  des  zur  Anfechtung  nicht  be- 
rechtigten Ehegatten  aufgelöst,  so  erfolgt  die  Anfechtung  durch  Erklärung  gegenüber  dem 
Nachlafsgerichte.  Das  Nachlafsgericht  soll  die  Erklärung  sowohl  denjenigen  mitteilen, 
welche  im  Falle  der  Giltigkeit  der  Ehe,  als  auch  denjenigen,  welche  im  Falle  der  Un- 
giltigkeit  der  Ehe  die  Erben  des  verstorbenen  Ehegatten  sind. 

§  1260.  Eine  anfechtbare  Ehe  ist  der  Anfechtung  ungeachtet  als  giltig  anzusehen, 
bis  sie  aufgelöst  oder  für  ungiltig  erklärt  worden  ist. 

Erfolgt  die  Auflösung  oder  die  Ungiltigkeitserklärung  oder  wird  die  Ehe  erst  nach 
der  Auflösung  angefochten,  so  gilt  die  Ehe  als  nicht  geschlossen. 

§   1261   vergl.  §§   1259  a,  1259  b— 1259  e. 

§  1262   vergl.  §   1259  g. 

§  1263  Abs.  1  Satz  1  vergl.  §  1259  f  Abs.  2;  Abs.  1  Satz  2,  3  vergl.  §  1259  h 
Abs.   1;  Abs.  2  gestrichen;  Abs.  3  vergl.  §   1259  f  Abs.   1,  §   1259  h  Abs.   1    Satz   2. 

§   1264  vergl.  §   1249  i. 

§  1265  vergl.  §   1259  h  Abs.  1. 

§  1266  Abs.  1  vergl.  §   1259  k  Abs.   1;  Abs.  2  vergl.  §  12591. 

§  1267  vergl.  die  Anmerkung  zu  §§   1254  bis   1256  unter  1   und  2. 

§  1268  vergl.  §  1259  k  Abs.  2. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  ß3 

§  1269  vergl.  die  Anmerkung  zu  §§  1253—1256  unter  3. 

§  1269  a.  (1257.)  Einem  Dritten  gegenüber  können  aus  der  Nichtigkeit  der  Ehe 
Einwendungen  gegen  ein  zwischen  ihm  und  einem  Ehegatten  vorgenommenes  Rechtsge- 
schäft oder  gegen  ein  zwischen  ihnen  ergangenes  rechtskräftiges  Urteil  nur  hergeleitet 
werden,  wenn  zur  Zeit  der  Vornahme  des  Rechtsgeschäfts  oder  zur  Zeit  des  Eintritts 
der  Rechtshängigkeit  die  Ehe  für  nichtig  erklärt  oder  die  Nichtigkeit  dem  Dritten  be- 
kannt war. 

Die  Nichtigkeit  kann  unbeschränkt  geltend  gemacht  werden  ,  wenn  die  Ehe  wegen 
Formmangels  nichtig  und  nicht  in  das  Heiratsregister  eingetragen  worden  ist. 

Anmerkung.  Es  bleibt  vorbehalten,  den  Abs.  1  Satz  2  und  den  Abs.  2,  soweit 
dieser  sich  auf  das   Urteil  bezieht,  in  die  Civilprozefsordnung  §   236   zu  verweisen. 

§  1269  b.  (1258.)  War  bei  der  Eheschliefsung  dem  einen  Ehegatten  die  Nichtigkeit 
der  Ehe  bekannt,  so  hat  der  andere  Ehegatte,  sofern  nicht  auch  ihm  die  Nichtigkeit  be- 
kannt war,  nach  der  Auflösung  oder  der  Nichtigkeitserklärung  der  Ehe  die  Wahl,  ob  es 
in  ihrem  Verhältnisse  zu  einander  in  vermögensrechtlicher  Beziehung  bei  den  Folgen  der 
Nichtigkeit  verbleiben  oder  ob  das  Verhältnis,  insbesondere  auch  in  Ansehung  der  Unter- 
haltspflicht, so  behandelt  werden  soll,  wie  wenn  die  Ehe  zur  Zeit  der  Auflösung  oder  der 
Nichtigkeitserklärung  geschieden  und  der  Ehegatte,  welchem  die  Nichtigkeit  bekannt  war, 
für  schuldig  erklärt  worden  wäre. 

Die  Wahl  erfolgt  durch  Erklärung  gegenüber  dem  anderen  Teile ;  die  Erklärung  ist 
unwiderruflich.  Dem  wahlberechtigten  Ehegatten  kann  von  dem  anderen  eine  ange- 
messene Frist  zur  Erklärung  bestimmt  werden ;  erfolgt  diese  nicht  innerhalb  der  Frist, 
so  verbleibt  es  bei  den  Folgen  der  Nichtigkeit  der  Ehe. 

Diese  Vorschriften  finden  keine  Anwendung,  wenn  die  Ehe  wegen  eines  Formmangels 
nichtig  und  nicht  in  das  Heiratsregister  eingetragen  worden  ist. 

§  1270.  Die  Vorschriften  der  §§  1269  a,  1269  b  finden  auf  eine  anfechtbare  Ehe, 
die  angefochten  worden  ist,  entsprechende  Anwendung.  Das  im  §  1269b  bestimmte 
Recht  steht  im  Falle  der  Anfechtung  wegen  Drohung  dem  anfechtungsberechtigten  Ehe- 
gatten, im  Falle  der  Anfechtung  wegen  Irrtums  dem  zur  Anfechtung  nicht  berechtigten 
Ehegatten  zu,  es  sei  denn,  dafs  dieser  den  Irrtum  bei  der  Eingehung  der  Ehe  kannte 
oder  kennen  mufste. 

§   1271   vergl.  die  Anmerkung  zu  §§   1254 — 1256  unter   1   und  3. 

Vierter  Titel. 
Wirkungen  der  Ehe  im  allgemeinen. 

§   1272.     Die  Ehegatten  sind  einander    zu    ehelicher  Lebensgemeinschaft    verpflichtet. 

Soweit  sich  das  Verlangen  eines  Ehegatten  nach  der  Herstellung  der  Gemeinschaft 
als  Mifsbrauch  seines  Rechtes  darstellt,  ist  der  andere  Ehegatte  nicht  verpflichtet,  dem  Ver- 
langen Folge  zu  leisten. 

§  1273.  Dem  Manne  steht  die  Entscheidung  in  allen  das  gemeinschaftliche  eheliche 
Leben  betreffenden  Angelegenheiten  zu ;  er  bestimmt  insbesondere  Wohnort  und  Woh- 
nung. 

Die  Frau  ist  nicht  verpflichtet,  der  Entscheidung  des  Mannes  Folge  zu  leisten,  wenn 
sich  die  Entscheidung  als  Mifsbrauch  seines  Rechtes  darstellt. 

§    1274.     Die  Frau  erhält  den  Familiennamen  des  Mannes. 

§  1275.  Die  Frau  ist,  unbeschadet  der  Vorschriften  des  §  1273,  berechtigt  und 
verpflichtet,  dem  gemeinschaftlichen   Hauswesen  vorzustehen. 

Zu  Arbeiten  im  Hauswesen  und  im  Geschäfte  des  Mannes  ist  die  Frau  verpflichtet, 
soweit  eine  solche  Thätigkeit  nach  den  Verhältnissen  der  Ehegatten   üblich   ist. 

§  1275a.  (1278.)  Die  Frau  ist  berechtigt,  innerhalb  ihres  häuslichen  Wirkungs- 
kreises die  Geschäfte  des  Mannes  für  ihn  zu  besorgen  und  ihn  zu  vertreten.  Rechtsge- 
schäfte, die  sie  innerhalb  dieses  Wirkungskreises  vornimmt,  gelten  als  im  Namen  des 
Mannes  vorgenommen,  wenn  sich   nicht  aus  den  Umständen  ein  Anderes  ergiebt. 

Der  Mann  kann  das  Recht  der  Frau  beschränken  oder  ausschliefsen.  Stellt  sich  die 
Beschränkung  oder  die  Ausschlifsung  als  Mifsbrauch  des  Rechtes  des  Mannes  dar,  so 
kann  sie  auf  Antrag  der  Frau  durch  das  Vormundschaftsgericht  aufgehoben  werden. 
Dritten  gegenüber  ist  die  Beschränkung  oder  die  Ausschliefsung  nur  nach  §  1336 
wirksam. 

§  1276  gestrichen. 


ß4  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

§  1277.  Hat  sich  die  Frau  einem  Dritten  gegenüber  zu  einer  von  ihr  in  Person 
zu  bewirkenden  Leistung  verpflichtet,  so  kann  der  Mann  das  Rechtsverhältnis  ohne  Ein- 
haltung einer  Kündigungsfrist  kündigen,  es  sei  denn,  dafs  sich  die  Frau  mit  seiner  Zu- 
stimmung verpflichtet  oder  das  Vormundschaftsgericht  auf  ihren  Antrag  die  Zustimmung 
de»  Mannes  ersetzt  hat. 

Das  Vormundschaftsgericht  kann  die  Zustimmung  ersetzen,  wenn  sie  wegen  Krankheit 
oder  Abwesenheit  des  Mannes  nicht  zu  erlangen  ist  oder  die  Verweigerung  der  Zustim- 
mung sich   als  Mifsbrauch  des  Rechtes  des  Mannes  darstellt. 

Die  Zustimmung  sowie  die  Kündigung  kann  nicht  durch  einen  Vertreter  erfolgen;  ist 
der  Mann  in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkt,  so  bedarf  er  nicht  der  Einwilligung  seines 
gesetzlichen  Vertreters. 

Das  Kündigungsrecht  des  Mannes  ist  ausgeschlossen,  solange  die  häusliche  Gemein- 
schaft aufgehoben  ist. 

§   1278  vergl.  §    1275a. 

§  1279.  Die  Ehegatten  haben  bei  der  Erfüllung  ihrer  aus  dem  ehelichen  Verhält- 
nisse sich  ergebenden  Verpflichtungen  einander  nur  für  diejenige  Sorgfalt  einzustehen, 
welche  sie  in  eigenen  Angelegenheiten  anzuwenden  pflegen 

§  1280.  (1280,  1281.)  Der  Mann  hat  der  Frau  nach  Mafsgabe  seiner  Lebens- 
stellung, seines  Vermögens  und  seiner  Erwerbsfähigkeit  Unterhalt  zu  gewähren. 

Die  Frau  hat  dem  Manne,  wenn  er  aufser  stände  ist,  sich  selbst  zu  unterhalten,  den 
seiner  Lebensstellung  entsprechenden  Unterhalt  nach  Mafsgabe  ihres  Vermögens  und  ihrer 
Erwerbsfähigkeit  zu  gewähren. 

Der  Unterhalt  ist  in  der  durch  die  eheliche  Lebensgemeinschaft  gebotenen  Weise  zu 
gewähren.  Die  für  die  Unterhaltspflicht  der  Verwandten  geltenden  Vorschriften  des 
§   1488  Abs.   4  und  der  §§   1492  bis   1496  finden   Anwendung. 

§  1281   vergl.  §   1280. 

§  1281a.  Leben  die  Ehegatten  getrennt,  so  ist,  solange  einer  von  ihnen  die  Her- 
stellung des  ehelichen  Lebens  verweigern  darf  und  verweigert,  der  Unterhalt  durch  Ent- 
richtung einer  Geldrente  zu  gewähren.  Auch  sind  der  Frau  von  dem  Manne  die  zur 
Führung  eines  abgesonderten  Haushaltes  erforderlichen  Sachen  aus  dem  gemeinschaftlichen 
Haushalte  zum  Gebrauche  herauszugeben,  es  sei  denn,  dafs  die  Sachen  für  ihn  unentbehr- 
lich sind,  oder  dafs  solche  Sachen  sich  in  dem  der  Verfügung  der  Frau  unterliegenden 
Vermögen    befinden. 

Die  Unterhaltspflicht  des  Mannes  fällt  weg  oder  beschränkt  sich  auf  die  Zahlung 
eines  Beitrages,  wenn  der  Wegfall  oder  die  Beschränkung  mit  Rücksicht  auf  die  Bedürf- 
nisse, die    Vermögens-  und  Erwerbsverhältnisse  der  Billigkeit  entspricht. 

§  1282.  Es  wird  vermutet,  dafs  die  im  Besitz  eines  der  Ehegatten  oder  beider  Ehe- 
gatten befindlichen  beweglichen  Sachen  dem  Manne  gehören.  Dies  gilt  insbesondere  auch 
lür  Inhaberpapiere  und  für  Orderpapiere,  die  mit  einem  Blankoindossamente  versehen  sind. 

Die  Vermutung  gilt  nicht  für  die  ausschliefslich  zum  persönlichen  Gebrauche  der 
Frau   bestimmten  Sachen,   insbesondere  nicht  für  Kleider  und  Schmucksachen. 


Die  §§   1283  bis   1332,    1339  werden   durch   folgende   Vorschriften  ersetzt. 

Fünfter  Titel. 

Eheliches  Güterrecht. 

I.   Gesetzliches  Güterrecht. 

1.   Eingebrachtes  Gut.     Vorbehaltsgut. 

§a.     (1283.)     Das  Vermögen  der  Frau  wird  durch  die  Eheschliefsung  der  Verwaltung 

und  Nutzniefsung  des  Mannes  unterworfen  (eingebrachtes  Gut). 

Zu  dem  eingebrachten  Gute  gehört  auch  das  Vermögen,  welches  die  Frau  während 
der  Ehe  erwirbt. 

§  b.  (1284.)  Die  Verwaltung  und  Nutzniefsung  des  Mannes  tritt  nicht  eiu,  wenn 
er  die  Ehe  mit  einer  minderjährigen  oder  sonst  in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkten 
Frau  ohne  Einwilligung  ihres  gesetzlichen  Vertreters  schliefst. 

§c.  Der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  des  Mannes  ist  nicht  unterworfen  das  Vor- 
behaltsgut der  Frau. 

Anmerkung.     Der  §  1288  des  Entw.   I  ist  gestrichen. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  65 

§d.  (1289.)  Vorbehaltsgut  ist,  was  die  Frau  durch  ihre  Arbeit  oder  durch  den 
selbständigen  Betrieb  eines  Erwerbsgeschäftes  erwirbt. 

§e.     (1286.)     Vorbehaltsgut  ist,    was  durch  Ehevertrag  für  Vorbehaltsgut  erklärt  ist. 

§f.  (1287.)  Vorbehaltsgut  ist,  was  die  Frau  durch  Erbfolge,  als  Vermächtnis 
oder  als  Pflichtteil  erwirbt  (Erwerb  von  Todeswegen),  oder  was  ihr  unter  Lebenden 
von  einem  Dritten  unentgeltlich  zugewendet  wird,  wenn  der  Erblasser  durch  Verfügung 
von  Todeswegen,  der  Dritte  bei  der  Zuwendung  bestimmt  hat ,  dafs  der  Erwerb  Vorbe- 
haltsgut sein  soll. 

§g.  (1290.)  Vorbehaltsgut  ist,  was  die  Frau  auf  Grund  eines  zu  ihrem  Vorbehalts- 
gute gehörenden  Rechtes  oder  als  Ersatz  für  die  Zerstörung,  Beschädigung  oder  Entzie- 
hung eines  zu  dem  Vorbehaltsgute  gehörenden  Gegenstandes  oder  durch  ein  Rechtsge- 
schäft erwirbt,  das  sich  auf  das  Vorbehaltsgut  bezieht. 

§  h.  (1291.)  Auf  das  Vorbehaltsgut  finden  die  bei  der  Gütertrennung  für  das 
Vermögen  der  Frau  geltenden  Vorschriften  entsprechende  Anwendung;  die  Frau  hat 
jedoch  den  in  §  m2  bestimmten  Beitrag  zur  Bestreitung  des  ehelichen  Aufwandes 
dem  Manne  nur  insoweit  zu  leisten,  als  dieser  nicht  schon  durch  die  Nutzungen  des  ein- 
gebrachten Gutes  einen  angemessenen  Beitrag  erhält. 

§i.  (1292,  992,  993,  1040.)  Jeder  Ehegatte  kann  verlangen,  dafs  der  Bestand  des 
eingebrachten  Gutes  durch  Aufnahme  eines  Verzeichnisses  unter  Mitwirkung  des  anderen 
Ehegatten  festgestellt  wird.  Auf  die  Aufnahme  des  Verzeichnisses  finden  die  für  den 
Niefsbrauch  geltenden  Vorschriften  des  §  945  Anwendung. 

Jeder  Ehegatte  kann  den  Zustand  der  zu  dem  eingebrachten  Gute  gehörenden  Sachen 
auf  seine  Kosten  durch  Sachverständige  feststellen  lassen. 

Anmerkung.  Es  wird  vorausgesetzt ,  dafs  die  in  der  Anmerkung  zu  §  944 
(II.  Lesung)  in  das  Reichsgesetz  über  die  Angelegenheiten  der  freiwilligen  Gerichts- 
barkeit verwiesenen  Vorschriften  auf  diesen  Fall  erstreckt  werden. 

2.  Verwaltung  und  Nutzniefsung. 

Anmerkung.     Der  §  1325  des  Entw.  I  ist  gestrichen. 

§k.  (1292,  984.)  Der  Mann  ist  zum  Besitze  der  zu  dem  eingebrachten  Gute  ge- 
hörenden Sachen  berechtigt. 

§1.  (1317  Satz  1,  1324,  591.)  Der  Mann  hat  das  eingebrachte  Gut  ordnungsmäfsig 
zu  verwalten.  Ueber  den  Stand  der  Verwaltung  hat  er  der  Frau  auf  Verlangen  Auskunft 
zu  erteilen. 

§m.  (1319  Abs.  1.)  Das  Verwaltungsrecht  des  Mannes  umfafst  nicht  die  Befugnis, 
■die  Frau  durch  Rechtsgeschäfte  zu  verpflichten  oder  über  eingebrachtes  Gut  ohne  ihre  Zu- 
stimmung zu  verfügen. 

§n.     (1318  Nr.  1,  2)     Ohne  Zustimmung  der  Frau  kann  der  Mann 

1.  über  Geld  und  andere  verbrauchbare  Sachen  verfügen; 

2.  Forderungen  gegen  Verbindlichkeiten  der  Frau ,  deren  Erfüllung  aus  dem  einge- 
brachten Gute  verlangt  werden  kann,  aufrechnen,  sowie  Forderungen,  die  nicht  auf 
Zinsen  ausstehen,  einziehen ; 

3.  Verbindlichkeiten  der  Frau  zur  Leistung  eines  zu  dem  eingebrachten  Gute  ge- 
hörenden Gegenstands  durch  Leistung  desselben  erfüllen. 

§o.  (1294,  1296,  1323.)  Der  Mann  darf  Verfügungen ,  zu  deren  Vornahme  die 
Zustimmung  der  Frau  nicht  erforderlich  ist,  nur  zum  Zwecke  ordnungsmäfsiger  Verwaltung 
des  eingebrachten  Gutes  vornehmen. 

Das  zum  eingebrachten  Gute  gehörende  Geld  hat  der  Mann  nach  den  für  die  An- 
legung von  Mündelgeldern  geltenden  Vorschriften  für  die  Frau  verzinslich  anzulegen,  so- 
weit es  nicht  zur  Bestreitung  von  Ausgaben  erforderlich  ist,  welche  durch  die  ordnungs- 
mäfsige  Verwaltung  geboten  sind  und  der  Frau  zur  Last  fallen. 

Andere  verbrauchbare  Sachen  darf  der  Mann  auch  für  sich  veräufsern  oder  ver- 
brauchen. Macht  er  von  der  Befugnis  Gebrauch ,  so  hat  er  den  Wert  der  Sachen  nach 
der  Beendigung  der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  zu  ersetzen;  der  Ersatz  ist  schon  vor- 
her zu  leisten ,  wenn  die  ordnungsmäfsige  Verwaltung  des  eingebrachten  Gutes  es  er- 
fordert. 

§p.  (1292.)  Gehört  zu  dem  eingebrachten  Gute  ein  Grundstück  samt  Inventar, 
so  bestimmen  sich  die  Rechte  und  die  Pflichten  des  Mannes  in  Ansehung  des  Inventars 
nach  §  958  Abs.  1  (II.  Lesung). 

§  q.  (1319  Abs.  2.)  Ist  zur  ordnungsmäfsigen  Verwaltung  des  eingebrachten  Gutes 
Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXIII).  5 


ßg  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

ein  Rechtsgeschäft  erforderlich,  zu  welchem  der  Mann  der  Zustimmung  der  Frau  bedarf, 
so  kann  die  Zustimmung,  wenn  sie  von  der  Frau  ohne  ausreichenden  Grund  verweigert 
wird,  auf  Antrag  des  Mannes  durch  das  Vormundschaftsgericht  ersetzt  werden. 

Das  Gleiche  gilt,  wenn  die  Frau  durch  Krankheit  oder  durch  Abwesenheit  an  der 
Abgabe  der  Erklärung  verhindert  und  mit  dem  Aufschübe  Gefahr  verbunden  ist. 

8  r.  Erwirbt  der  Mann  mit  Mitteln  des  eingebrachten  Gutes  Inhaberpapiere  oder  mit 
Blankoindossament  versehene  Orderpapiere  oder  andere  bewegliche  Sachen,  so  geht  mit 
dem  Erwerbe  das  Eigentum  auf  die  Frau  über,  es  sei  denn,  dafs  der  Mann  nicht  für 
Rechnung  des  eingebrachten  Gutes  erwerben  wollte. 

Diese  Vorschrift  findet  entsprechende  Anwendung,  wenn  der  Mann  mit  Mitteln  des 
eingebrachten  Gutes  ein  Recht  an  Sachen  der  bezeichneten  Art  oder  ein  anderes  Recht 
erwirbt,  zu  dessen  Uebertragung  der  Abtretungsvertrag  genügt. 

§s.  Was  der  Mann  an  Stelle  der  von  der  Frau  eingebrachten,  nicht  mehr  vorhan- 
denen Stücke  des  Haushaltsinventars  anschafft,  wird  eingebrachtes  Gut. 

§  t.  (1318  Nr.  3,  1322.)  Der  Mann  kann  ein  zum  eingebrachten  Gute  gehörendes 
Recht  im  eigenen  Namen  gerichtlich  geltend  machen.  Ist  er  befugt ,  über  das  Recht 
ohne  Zustimmung  der  Frau  zu  verfügen ,  so  wirkt  das  Urteil  auch  für  und  gegen  die 
Frau. 

§  u.  (1292,  1293,  1285.)  Der  Mann  erwirbt  die  Nutzungen  des  eingebrachten  Gutes 
in  derselben  Weise  und  in  demselben   Umfange  wie  ein  Niefsbraucher. 

Die  ausschiefslich  zum  persönlichen  Gebrauche  der  Frau  bestimmten  Sachen  ,  insbe- 
sondere Kleider  und  Schmucksachen,  unterliegen   nicht  der  Nutzniefsung  des  Mannes. 

§v.  (1297.)  Der  Mann  hat,  aufser  den  Kosten,  welche  durch  die  Gewinnung  der 
Nutzungen  entstehen,  die  Kosten  der  Erhaltung  der  zum  eingebrachten  Gute  gehörenden 
Gegenstände  nach  den  für  den  Niefsbrauch  geltenden  Vorschriften  zu  tragen. 

§w.  (1297  Abs.  1  Nr.  1 — 3.)  Der  Mann  ist  der  Frau  gegenüber  verpflichtet,  für  die 
Dauer  der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  zu  tragen: 

1.  die  der  Frau  obliegenden  öffentlichen  Lasten,  mit  Ausschlufs  der  auf  dem  Vor- 
behaltsgute ruhenden  und  der  aufserordentlichen  Lasten,  welche  als  auf  den  Stamm- 
wert des  eingebrachten  Gutes  gelegt  anzusehen  sind  ; 

2.  die  privatrechtlichen  Lasten,  welche  auf  den  zum  eingebrachten  Gute  gehörenden 
Gegenständen  ruhen ; 

3.  die  Beiträge,  welche  für  die  Versicherung  der  zum  eingebrachten  Gute  gehörenden 
Gegenstände  zu  leisten  sind. 

§x.  (1297  Abs.  1  Nr.  4,  Abs.  2.)  Der  Mann  ist  der  Frau  gegenüber  verpflichtet, 
für  die  Dauer  der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  die  Zinsen  derjenigen  Verbindlichkeiten 
der  Frau  zu  tragen,  deren  Erfüllung  aus  dem  eingebrachten  Gute  verlangt  werden  kann, 
es  sei  denn,  dafs  die  Verbindlichkeiten  im  Verhältnisse  der  Ehegatten  zu  einander  dem 
Vorbehaltsgute  zur  Last  fallen. 

Das  Gleiche  gilt  von  wiederkehrenden  Leistungen  anderer  Art,  einschliefslich  der 
von  der  Frau  auf  Grund  ihrer  gesetzlichen  Unterhaltspflicht  geschuldeten  Leistungen,  so- 
fern sie  bei  ordnungsmäßiger  Wirtschaft  aus  den  Einkünften  bestritten  werden  und  im 
Verhältnisse  der  Ehegatten  zu  einander  nicht  dem  Vorbehaltsgute  zur  Last  fallen. 

§y.  (1297  Abs.  1  Nr.  5,  6,  Abs.  2.)  Der  Mann  ist  der  Frau  gegenüber  verpflichtet, 
zu  tragen: 

1.  die  Kosten  eines  Rechtsstreits ,  in  welchem  er  ein  zu  dem  eingebrachten  Gute 
gehörendes  Recht  geltend  macht ,  sowie  die  Kosten  eines  von  der  Frau  geführten 
Rechtsstreits,  sofern  sie  nicht  dem  Vorbehaltsgute  zur  Last  fallen ; 

2.  die  Kosten  eines  gegen  die  Frau  gerichteten  Strafverfahrens ,  sofern  die  Auf- 
wendung der  Kosten  den  Umständen  nach  geboten  oder  mit  Zustimmung  des 
Mannes  erfolgt  ist,  vorbehaltlich  der  Ersatzpflicht  der  Frau  im  Falle  ihrer  Verur- 
teilung. 

§  z.  Soweit  der  Mann  nach  den  §§  w — y  der  Frau  gegenüber  deren  Verbindlich- 
keiten zu  tragen  hat,  haftet  er  den  Gläubigern  neben  der  Frau  als  Gesamtschuldner. 

§  a1.     Der  Mann    hat  den  ehelichen  Aufwand  zu  tragen. 

Die  Frau  kann  verlangen,  dafs  der  Mann  den  Reinertrag  des  eingebrachten  Gutes, 
soweit  dieser  zur  Bestreitung  des  eigenen  und  des  der  Frau  und  den  gemeinschaftlichen 
Kindern  zu  gewährenden  Unterhalts  erforderlich  ist,  zu  diesem  Zwecke  ohne  Rücksicht 
auf  seine  anderweitigen  Verbindlichkeiten  verwendet. 

§bx.     (1324  Abs.  1,  595.)    Macht  der  Mann    zum  Zwecke    der  Verwaltung    des  ein- 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  67 

gebrachten  Gutes  Aufwendungen,  die  er  den  Umständen  nach  für  erforderlich  halten  darf, 
so  ist  die  Frau  zum  Ersätze  verpflichtet.  Geht  der  Mann  zu  diesem  Zwecke  eine  Ver- 
bindlichkeit ein,  die  er  den  Umständen  nach  für  erforderlich  halten  darf,  so  ist  die  Frau 
verpflichtet,  ihn  von  der  Verbindlichkeit  zu  befreien  ;  sie  kann  jedoch,  wenn  die  Verbind- 
lichkeit noch  nicht  fällig  ist,  dem  Manne,  statt  ihn  zu  befreien,  Sicherheit  leisten. 

Diese  Vorschriften  finden  keine  Anwendung  ,  soweit  der  Mann  der  Frau  gegenüber 
verpflichtet  ist,  die  Aufwendungen   und  die  Verbindlichkeiten  selbst  zu  tragen. 

§c'.  (1292,  1295,  1005.)  Wird  durch  das  Verhalten  des  Mannes  die  Besorgnis 
begründet,  dafs  die  Rechte  der  Frau  in  einer  das  eingebrachte  Gut  erheblich  gefährden- 
den Weise  verletzt  werden  ,  so  kann  die  Frau  von  dem  Manne  Sicherheitsleistung  ver- 
langen. 

Das  Gleiche  gilt ,  wenn  die  der  Frau  aus  der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  des 
Mannes  zustehenden  Ansprüche  auf  Ersatz  des  Wertes  verbrauchbarer  Sachen  erheblich  ge- 
fährdet sind. 

§  d1.  (1292,  1306.)  Liegen  die  Voraussetzungen  vor,  unter  welchen  der  Mann  zur 
Sicherheitsleistung  verpflichtet  ist,  so  kann  die  Frau  auch  verlangen,  dafs  der  Mann  die 
zum  eingebrachten  Gute  gehörenden  Inhaberpapiere,  soweit  sie  nicht  verbrauchbare  Sachen 
sind,  nebst  den  Erneuerungsscheinen  bei  einer  Hinterlegungsstelle  oder  bei  der  Reichs- 
bank dergestalt  hinterlegt,  dafs  der  Anspruch  auf  Herausgabe  von  den  Ehegatten  nur  ge- 
meinschaftlich geltend  gemacht  werden  kann.  Die  Hinterlegung  der  Zins-,  Renten-  oder 
Gewinnanteilscheine  kann  nicht  verlangt  werden. 

Der  Mann  kann  die  Papiere,  statt  sie  zu  hinterlegen,  auf  den  Namen  der  Frau  mit 
der  Bestimmung  umschreiben  oder  in  Buchschulden  des  Reichs  oder  eines  Bundesstaates 
umwandeln  lassen,  dafs  er  über  die  umgeschriebenen  Papiere  oder  Buchforderungen  nur 
mit  Zustimmung  der  Frau  verfügen  kann. 

Anmerkung.  Späterer  Prüfung  bleibt  vorbehalten,  ob  im  §  990  (II.  Lesung)  eben- 
falls   von  Inhaberpapieren  schlechthin  zu  reden  sei. 

§e*.  (1292,  1004,  1324  Abs.  2).  Die  Frau  kann  Ansprüche,  die  ihr  auf  Grund 
der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  gegen  den  Mann  zustehen,  erst  nach  der  Beendigung 
der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  gerichtlich  geltend  machen,  es  sei  denn,  dafs  es  sich 
um  den  in  §a*  Abs.  2  bestimmten  Anspruch  handelt,  oder  dafs  die  Voraussetzungen 
vorliegen,  unter  welchen   die  Frau  nach  §  c1   Sicherheitsleistung  verlangen  kann. 

Die  Gläubiger  der  Frau  unterliegen  dieser  Beschränkung  nicht. 

§f*.  (1300.)  Die  Frau  bedarf  zur  Verfügung  über  eingebrachtes  Gut  der  Ein- 
willigung des  Mannes. 

§gV  (1300.)  Hat  die  Frau  durch  Vertrag  ohne  Einwilligung  des  Mannes  über  ein- 
gebrachtes Gut  verlügt,  so  hängt  die  Wirksamkeit  des  Vertrags  von  der  Genehmigung 
des  Mannes  ab.  Ist  die  Genehmigung  verweigert  worden,  so  wird  der  Vertrag  nicht  da- 
durch wirksam,  dafs  die  Verwaltung  und  Nutzniefsung  aufhört. 

Die  Genehmigung  sowie  deren  Verweigerung  kann  nur  dem  anderen  Teile  gegen- 
über erklärt  werden.  Der  Verweigerung  steht  es  gleich,  wenn  der  Mann  nicht  binnen 
zwei  Wochen  nach  dem  Empfang  einer  Aufforderung  des  anderen  Teiles  die  Genehmigung 
erklärt. 

§h1.  (1300.)  Solange  der  Mann  den  ohne  seine  Einwilligung  geschlossenen  Ver- 
trag nicht  genehmigt  hat,  kann  der  andere  Teil  zurücktreten,  sofern  er  nicht  gewufst  hat, 
dafs  die  Frau  Ehefrau  ist.  Hat  er  dies  gewufst  ,  so  kann  er  gleichwohl  zurücktreten, 
wenn  die  Frau  der  Wahrheit  zuwider  die  Einwilligung  des  Mannes  behauptet  hat ,  es 
sei  denn  ,  dafs  er  das  Fehlen  der  Einwilligung  bei  dem  Abschlüsse  des  Vertrags  ge- 
kannt hat. 

gi1.  (1300.)  Ein  einseitiges  Rechtsgeschäft,  durch  welches  die  Frau  ohne  Ein- 
willigung des  Mannes  über  eingebrachtes  Gut  verfügt,  ist  unwirksam.  Nimmt  die  Frau 
mit  dieser  Einwilligung  ein  solches  Rechtsgeschäft  einem  Anderen  gegenüber  vor,  so  ist 
dasselbe  unwirksam,  wenn  die  Einwilligung  nicht  in  schriftlicher  Form  vorgelegt  und 
das  Rechtsgeschäft  aus  diesem  Grunde  von  dem  Anderen  unverzüglich  zurückgewiesen 
wird.  Die  Zurückweisung  ist  ausgeschlossen,  wenn  der  Mann  den  Anderen  vou  der  Ein- 
willigung in  Kenntnis  gesetzt  hatte. 

Anmerkung.  Es  bleibt  vorbehalten,  eine  dem  §c'  Satz  2,  3  (vergl.  §  85 
Satz  2,  3  II.  Lesung)  entsprechende  Vorschrift  für  alle  einseitigen  Rechtsgeschäfte,  welche 
zu  ihrer  Wirksamkeit  der  Zustimmung  eines  Dritten  bedürfen,  zu  beschließen. 

5* 


(3$  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

gk1.  (1301.)  Die  Frau  bedarf  nicht  der  Einwilligung  des  Mannes  zu  Rechtsge- 
schäften, durch  welche  sie  sich  zu  einer  Leistung  verpflichtet.  Solche  Rechtsgeschäfte 
sind  dem  Manne  gegenüber  in  Ansehung  des  eingebrachten  Gutes  wirksam,  wenn  er  zu- 
gestimmt hat,  ohne  seine  Zustimmung  nur  insoweit  wirksam ,  als  das  eingebrachte  Gut 
durch  das  Rechtsgeschäft  bereichert  ist. 

§1'.  (1302,  1303.)  Führt  die  Frau  einen  Rechtsstreit  ohne  Zustimmung  des  Mannes, 
so  ist  das  Urteil  dem  Manne  gegenüber  in  Ansehung  des  eingebrachten  Gutes  un- 
wirksam. 

Ein  zu  dem  eingebrachten  Gute  gehörendes  Recht  kann  die  Frau  im  Wege  der  Klage 
nur  mit  Zustimmung  des  Mannes  geltend  machen. 

fm1.  (1304.)  Ein  einseitiges  Rechtsgeschäft,  das  sich  auf  das  eingebrachte  Gut 
bezieht,  ist  dem  Manne  gegenüber  vorzunehmen. 

Ein  einseitiges  Rechtsgeschäft,  das  sich  auf  eine  Verbindlichkeit  der  Frau  bezieht, 
ist  der  Frau  gegenüber  vorzunehmen ;  es  mufs  jedoch  auch  dem  Manne  gegenüber 
vorgenommen  werden,  wenn  es  in  Ansehung  des  eingebrachten  Gutes  gegen  ihn  wirksam 
sein  soll. 

%n1.  (1305.)  Die  Beschränkungen,  denen  die  Frau  nach  den  %%i1 — m1  unter- 
liegt, mufs  ein  Dritter,  vorbehaltlich  seiner  Rechte  aus  %hl,  auch  dann  gegen  sich  gelten 
lassen,  wenn  er  nicht  gewufst  hat,  dafs  die  Frau  eine  Ehefrau  ist. 

§  o1.  (1306.)  Die  Zustimmung  des  Mannes  ist  in  den  Fällen  der  §§  f1  bis  I'  nicht 
erforderlich,  wenn  sie  infolge  von  Krankheit  oder  Abwesenheit  des  Mannes  nicht  zu  er- 
langen und  mit  dem  Aufschübe  Gefahr  verbunden  ist. 

§  p1.  (1321,  1322.)  Ist  zur  ordnungsmäfsigen  Besorgung  der  persönlichen  An- 
gelegenheiten der  Frau  ein  Rechtsgeschäft  erforderlich,  zu  welchem  die  Frau  der  Zu- 
stimmung des  Mannes  bedarf,  so  kann  die  Zustimmung,  wenn  sie  von  dem  Manne  ohne 
ausreichenden  Grund  verweigert  wird,  auf  Antrag  der  Frau  durch  das  Vormundschafts- 
gericht ersetzt  werden. 

Anmerkung.     Der  §  1320  des  Entw.  I  ist  gestrichen. 

§  qJ.  (1307.)  Hat  der  Mann  seine  Einwilligung  zum  selbständigen  Betrieb  eines 
Erwerbsgeschäfts  der  Frau  erteilt,  so  ist  seine  Einwilligung  zu  solchen  Rechtsgeschäften 
und  Rechtsstreitigkeiten  nicht  erforderlich ,  welche  der  Geschäftsbetrieb  mit  sich  bringt. 
Einseitige  Rechtsgeschäfte,  die  sich  auf  das  Erwerbsgeschäft  beziehen ,  sind  der  Frau 
gegenüber  vorzunehmen. 

Der  Einwilligung  des  Mannes  steht  es  gleich,  wenn  die  Frau  mit  Wissen  und  ohne 
Einspruch  desselben  das  Erwerbsgeschäft  betreibt. 

Dritten  gegenüber  ist  ein  Einspruch  und  die  Rücknahme  der  erteilten  Einwilligung 
nur  nach  Mafsgabe  des  §   1336  wirksam. 

§  r1.     (1308.)     Die  Frau  bedarf  nicht  der  Einwilligung  des  Mannes 

1.  zur  Annahme  oder  Ausschlagung  einer  Erbschaft  oder  eines  Vermächtnisses  und  zum 
Verzicht  auf  den  Pflichtteil ; 

2.  zur  Ablehnung  eines  Vertragsantrags  oder  einer  Schenkung; 

3.  zur  Vornahme  eines  Rechtsgeschäfts  gegenüber  dem  Manne. 

§  s1.     (1309.)     Die  Frau  bedarf  nicht  der  Einwilligung  des  Mannes 

1.  zur  Fortsetzung  eines  zur  Zeit  der  Eheschliefsung  anhängigen  Rechtsstreits ; 

2.  zur  gerichtlichen  Geltendmachung  eines  zum  eingebrachten  Gute  gehörenden  Rechtes 
gegen  den  Mann  oder  einen  Dritten ,  wenn  der  Mann  ohne  die  erforderliche  Zu- 
stimmung der  Frau  über  das  Recht  verfügt  hat; 

3.  zur  gerichtlichen  Geltendmachung  eines  Widerspruchsrechts  gegenüber  einer  Zwangs- 
vollstreckung. 

Anmerkung.     Der  §   1310  des  Entw.  I  ist  gestrichen. 

§  t1.  (1298.)  Die  Rechte,  welche  dem  Manne  in  Ansehung  des  eingebrachten  Gutes 
zustehen,  sind  nicht  veräufserlicb. 

§  u1.  (1326.)  Steht  der  Mann  unter  Vormundschaft,  so  hat  der  Vormund  ihn  in 
den  sich  aus  der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  des  eingebrachten  Gutes  für  ihn  er- 
gebenden Rechten  und  Pflichten  zu  vertreten. 

Dies  gilt  auch  dann,  wenn  die  Frau  Vormund  ist. 

Anmerkung.  Der  Beratung  des  Vormundschaftsrechts  bleibt  vorbehalten,  zu  er- 
wägen, ob  nicht  der  Abs.  1  zu  streichen  und  der  Abs.  2  in  das  Vormundschaftsreoht  zu 
versetzen  sei. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  ß9 

3.  Schuldenhaftung. 
§  v1.     Die  Gläubiger  des  Mannes  können  nicht  Befriedigung  aus    dem  eingebrachten 
Gute  verlangen. 

Anmerkung.  Im  Artikel  11  des  Entwurfes  des  Einführungsgesetzes  sollen  zum 
Ersätze  des  §  1298  Satz  2  und  des  §  1299  des  Entw.  I  folgende  Vorschriften  in  die 
Civilprozefsordnung  als  §  749  b  eingestellt  werden: 

Die  Rechte,  welche  bei  dem  Güterstande  der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  dem 
Ehemanne  zustehen,  sind  der  Pfändung  nicht  unterworfen.  Die  von  dem  Ehemanne 
erworbenen  Früchte  des  eingebrachten  Gutes  unterliegen  der  Pfänduug  nicht,  soweit 
sie  zur  Erlüllung  der  in  den  §§  v  bis  y  des  Bürgerlichen  Gesetzbuchs  bestimmten 
Verpflichtungen  des  Ehemannes,  zur  Erfüllung  der  ihm  seiner  Frau  und  seinen  Ver- 
wandten gegenüber  gesetzlich  obliegenden  Unterhaltspflicht  und  zur  Bestreitung  seines 
eigenen  standesmäfsigen  Unterhalts  erforderlich  sind. 

Der  Widerspruch  kann  sowohl  von  dem  Ehemann  als  von  der  Ehefrau  nach 
§  685  geltend  gemacht  werden. 

§  w1.  (1311.)  Die  Gläubiger  der  Frau  können  ohne  Rücksicht  auf  die  Verwaltung 
und  Nutzniefsung  des  Mannes  Befriedigung  aus  dem  eingebrachten  Gute  verlangen,  soweit 
sich  nicht  aus  den  §§   x1   bis  z1    ein  Anderes  ergiebt. 

Hat  der  Mann  verbrauchbare  Sachen  nach  §  o  Abs.  3  veräufsert  oder  verbraucht,  so 
tritt  an  die  Stelle  der  Sachen  der  Anspruch  der  Frau  auf  Ersatz  des  Wertes.  Der  Mann 
ist  den  Gläubigern  gegenüber  zum  sofortigen  Ersätze  verpflichtet. 

Anmerkung.  Im  Artikel  11  des  Entwurfes  des  Einführungsgesetzes  sollen  zum 
Ersätze  des  §  1314  Abs.  1,  2,  des  §  1315,  des  §  1360,  des  §  1399  Abs.  2,  des  §  1424 
Abs.  1  und  des  §  1431  Abs.  1  des  Entw.  I  folgende  Vorschriften  in  die  CPO.  als 
§  671a,  §  671b,  §  671c,  §  702a  eingestellt  werden: 

§  671  a.  Bei  dem  Güterstande  der  Verwaltung  und  Nutzniefsung,  der|kErrungen- 
schaftsgemeinschaft  sowie  der  Fahrnisgemeinschaft  findet  die  Zwangsvollstreckung 
in  das  eingebrachte  Gut  der  Ehefrau  nur  statt,  wenn  die  Ehefrau  zur  Leistung 
und  der  Ehemann  zur  Gestattung  der  Zwangsvollstreckung  in  das  eingebrachte 
Gut  verurteilt  ist. 

§  671  b.  Bei  dem  Güterstande  der  allgemeinen  Gütergemeinschaft,  der  Errungen- 
schaftsgemeinschaft sowie  der  Fahrnisgemeinschaft  ist  zur  Zwangsvollstreckung  in 
das  Gesamtgut  ein  gegen  den  Ehemann ,  bei  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft 
ein  gegen  den  überlebenden  Ehegatten  erlassenes  Urteil  erforderlich  und  genügend. 
§  671  c.  Ist  der  Güterstand  der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  oder  der  allge- 
meinen Gütergemeinschaft  oder  der  Fahrnisgemeinschaft  erst  während  der  Rechts- 
hängigkeit oder  nach  der  Beendigung  des  Rechtsstreits  der  Ehefrau  eingetreten, 
so  finden  auf  die  Erteilung  einer  gegen  den  Ehemann  in  Ansehung  des  einge- 
brachten Gutes  der  Ehefrau  oder  in  Ansehung  des  Gesamtguts  vollstreckbaren 
Ausfertigung  des  gegen  die  Ehefrau  erlassenen  Urteils  die  §§  665  bis  668,  671 
entsprechende  Anwendung. 

Das  Gleiche  gilt  bei  der  Errungenschaftsgemeinschaft  für  die  Zwangsvollstreckung 
in  das  eingebrachte  Gut  der  Ehefrau. 

§  702a.     Bei    dem    Güterstande    der    Verwaltung    und    Nutzniefsung,    der    Er- 
rungenschaftsgemeinschaft sowie    der  Fahrnisgemeinschaft    findet    auf  Grund    eines 
gegen  die  Frau  vollstreckbaren  Titels  die  Zwangsvollstreckung  in  das  eingebrachte 
Gut  der  Ehefrau  auch  dann  statt,  wenn  der  Ehemann  in  einer  von  einem  deutschen 
Gericht    oder    von    einem    deutschen    Notar    innerhalb    der    Grenzen    seiner    Amts- 
befugnisse  in    der   vorgeschriebenen  Form    aufgenommenen  Urkunde    die    sofortige 
Vollstreckung  in  das  eingebrachte  Gut  bewilligt  hat. 
§  x1.     (1313  Nr.  1.)      Die  Gläubiger    der  Frau    können    die  Berichtigung    von  Ver- 
bindlichkeiten, die  nach  der  Eheschliefsung  aus  Rechtsgeschäften  oder    gerichtlichen  Ent- 
scheidungen entstanden    sind,    aus  dem    eingebrachten  Gute    nicht    verlangen,    wenn    das 
Rechtsgeschäft   oder    die  Entscheidung    nach    den    §§  f1  bis  n1    dem  Manne  gegenüber  in 
Ansehung  des  eingebrachten  Gutes  unwirksam  ist. 

Für  die  Kosten  eines  Rechtsstreits  der  Frau  haftet  das  eingebrachte  Gut  auch  dann, 
wenn  das  Urteil  dem  Manne  gegenüber  in  Ansehung  des  eingebrachten  Gutes  unwirksam  ist. 
§  y1.  (1312  Nr.  2.)  Die  Gläubiger  der  Frau  können  die  Berichtigung  von  Verbind- 
lichkeiten, welche  für  die  Frau  infolge  des  Erwerbs  einer  Erbschaft  oder  eines  Ver- 
mächtnisses entstanden  sind,  aus  dem  eingebrachten  Gute  nicht  verlangen,  wenn  die  Frau  die 
Erbschaft  oder  das  Vermächtnis  nach  der  Eheschliefsung  als  Vorbehaltsgut  erworben  hat. 


IQ  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

§  z1.  (1312  Nr.  3.)  Die  Gläubiger  der  Frau  können  die  Berichtigung  von  Ver- 
bindlichkeiten, die  nach  der  Eheschliefsung  infolge  eines  zu  dem  Vorbehaltsgute  ge- 
hörenden Rechtes  oder  des  Besitzes  einer  dazu  gehörenden  Sache  entstanden  sind,  aus 
dem  eingebrachten  Gute  nicht  verlangen,  es  sei  denn,  dafs  das  Recht  oder  die  Sache  zu 
einem  Erwerbsgeschäfte  gehört ,  welches  von  der  Frau  mit  Einwilligung  des  Mannes 
selbständig  betrieben  wird. 

Anmerkung.  Der  §  1313  des  Entw.  I  soll  in  den  Titel  über  die  Unterhalts- 
pflicht eingestellt  werden. 

§  a2.  (1316  Abs  1,  Abs.  2  Nr.  1 — 3.)  Im  Verhältnisse  der  Ehegatten  zu  einander 
fallen   dem  Vorbehaltsgute  zur  Last: 

1 .  die  Verbindlichkeiten  der  Frau  aus  einer  während  der  Ehe  von  ihr  begangenen  un- 
erlaubten Handlung  oder  aus  einem  wegen  einer  solchen  Handlung  gegen  sie  ge- 
richteten Strafverfahren ; 

2.  die  Verbindlichkeiten  der  Frau  aus  einem  auf  das  Vorbehaltsgut  sich  beziehenden 
Rechtsverhältnis,  auch  wenn  sie  vor  der  Eheschliefsung  oder  vor  der  Zeit  entstanden 
sind,  zu  welcher  das  Gut  Vorbehaltsgut  geworden  ist; 

3.  die  Verbindlichkeiten    der  Frau    aus  einer    gerichtlichen  Entscheidung    über  eine   der 

unter   1,  2  bezeichneten  Verbindlichkeit  zur  Tragung  der  Kosten. 

§  b2.  (1297  Abs.  1  Nr.  5,  1316  Abs.  2  Nr.  4.)  Im  Verhältnisse  der  Ehegatten  zu 
einander  fällt  dem  Vorbehaltsgute  zur  Last  die  Verbindlichkeit  der  Frau  zur  Tragung 
der  Kosten  eines  Rechtsstreits  zwischen  ihr  und  dem  Manne. 

Das  Gleiche  gilt  von  der  Verbindlichkeiten  der  Frau  zur  Tragung  der  Kosten  eines 
Rechtsstreits  zwischen  ihr  und  einem  Dritten,  wenn  das  Urteil  dem  Manne  gegenüber  in 
Ansehung  des  eingebrachten  Gutes  unwirksam  ist  Betrifft  jedoch  der  Rechtsstreit  eine 
persönliche  Angelegenheit  der  Frau  oder  eine  nicht  unter  die  Vorschriften  des  §  a2  Nr.  1,  2 
fallende  Verbindlichkeit,  deren  Berichtigung  aus  dem  eingebrachten  Gute  verlangt  werden 
kann,  so  findet  diese  Vorschrift  keine  Anwendung,  wenn  die  Aufwendung  der  Kosten 
den  Umständen  nach  geboten   war. 

§  c2.  (1316  Abs.  3.)  Wird  eine  Verbindlichkeit,  die  nach  den  §§  a2,  b2  dem  Vor- 
behaltsgute der  Frau  zur  Last  fällt,  aus  dem  eingebrachten  Gute  berichtigt,  so  hat  die  Frau 
aus  dem  Vorbehaltsgute,  soweit  dieses  reicht,  zu  dem  eingebrachten  Gute  Ersatz  zu  leisten. 

Wird  eine  Verbindlichkeit  der  Frau,  die  im  Verhältnisse  der  Ehegatten  zu  einander 
dem  Vorbehaltsgute  nicht  zur  Last  fällt,  aus  dem  Vorbehaltsgute  berichtigt,  so  hat  der 
Mann  aus  dem  eingebrachten  Gute,  soweit  dieses  reicht ,  zu  dem  Vorbehaltsgute  Ersatz 
zu  leisten. 

4.   Beendigung  der  Verwaltung  und  N  u  t  z  n  i  e  f  s  u  n  g, 
§  d2.     (1327  Nr.  2,    1328.)      Die  Frau    kann    auf   Aufhebung    der  Verwaltung    und 
Nutzniefsung  klagen, 

1.  wenn  die  Voraussetzungen  vorliegen,  unter  welchen  die  Frau  nach  §  e1  Sicherheits- 
leistung verlangen   kann ; 

2.  wenn  der  Mann  seine  Verpflichtung,  der  Frau  und  den  gemeinschaftlichen  Abkömm- 
lingen den  Unterhalt  zu  gewähren,  verletzt  hat  und  für  die  Zukunft  eine  erhebliche 
Gefährdung  des  Unterhalts  zu  besorgen  ist.  Eine  Verletzung  der  Unterhaltspflicht 
liegt  schon  dann  vor ,  wenn  der  Frau  und  den  gemeinschaftlichen  Abkömmlingen 
nicht  mindestens  der  Unterhalt  gewährt  wird,  welcher  ihnen  bei  ordnungsmäfsiger 
Verwaltung  und  Nutzniefsung   des  eingebrachten   Gutes  zukommen  würde ; 

3.  wenn  ein  Abwesenheitspfleger  für  den  Mann  bestellt  ist  und  eine  baldige  Aufhebung 
der  Pflegschaft  nicht  in   Aussicht  steht; 

4.  wenn  der  Mann  entmündigt  oder  nach  §  1727  des  vormuudschaftlichen  Schutzes  für 
bedürftig  erklärt  ist. 

Die  Aufhebung  der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  tritt  mit  der  Rechtskraft  des  Ur- 
teils ein. 

§  e2.  (1327  Nr.  3.)  Die  Verwaltung  und  Nutzniefsung  endigt  mit  der  Rechtskraft 
des  Beschlusses,  durch  welchen  der  Konkurs  über  das  Vermögen  des  Mannes  eröffnet  wird. 

§  f2.  (1327  Nr.  4.)  Die  Verwaltung  und  Nutzniefsung  endigt,  wenn  der  Mann  für 
tot  erklärt  wird,  mit  dem  Zeitpunkte,  welcher  als  Zeitpunkt  des  Todes  gilt. 

Anmerkung.     Der  §    1327   Nr.   1,  5  des  Entw.  I  ist  gestrichen. 

§  g2.  (1292,  1007,  1009,  1324  Abs.  1,  591,  593,  1329.)  Nach  der  Beendigung 
der  Verwaltung  und    Nutzniefsung    hat    der  Mann  das  eingebrachte  Gut  der  Frau  heraus- 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  71 

zugeben  und  ihr  über  die  Verwaltung  Rechenschaft  abzulegen.  Auf  die  Herausgabe  eines 
landwirtschaftlichen  Grundstücks  findet  die  Vorschrift  des  §  582,  auf  die  Herausgabe  eines 
Landguts  finden  die  Vorschriften  der  §§   532,   533  entsprechende  Anwendung. 

In  den  Fällen  des  §  d2  bestimmt  sich  die  Verpflichtung  des  Mannes  zur  Heraus- 
gabe des  eingebrachten  Gutes  in  gleicher  Weise ,  wie  wenn  der  Anspruch  auf  Heraus- 
gabe mit  der  Erhebung  der  Klage  auf  Aufhebung  der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  rechts- 
hängig geworden  wäre. 

§  h2.  (1292,  1008.)  Hat  der  Mann  ein  zu  dem  eingebrachten  Gute  gehörendes 
Grundstück  vermietet  oder  verpachtet,  so  finden,  wenn  das  Miet-  oder  Pachtverhältnis 
bei  der  Beendigung  der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  noch  besteht,  die  Vorschriften  des 
§  965    entsprechende  Anwendung. 

§  i2.  (1327  Abs.  2,  599  Abs.  2,  603.)  Der  Mann  ist  auch  nach  der  Beendigung 
der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  zur  Fortführung  der  Verwaltung  berechtigt,  bis  er  von 
der  die  Beendigung  bewirkenden  Thatsache  Kenntnis  erlangt  hat  oder  diese  Thatsache 
hätte  kennen  müssen.  Ein  Dritter  kann  sich  auf  diese  Berechtigung  nicht  berufen,  wenn 
er  bei  der  Vornahme  eines  Rechtsgeschäfts  die  Beendigung  der  Verwaltung  und  Nutz- 
niefsung gekannt  hat  oder  hätte  kennen  müssen. 

Endigt  die  Verwaltung  und  Nutzniefsung  infolge  des  Todes  der  Frau ,  so  hat  der 
Mann  diejenigen  zur  Verwaltung  gehörenden  Geschäfte,  mit  deren  Aufschübe  Gefahr  ver- 
bunden sein  würde,   zu  besorgen,   bis  die  Erben  anderweit  haben  Fürsorge  treffen  können. 

§  k2.  (1331,  1332.)  Wird  die  Entmündigung,  Bevormundung  oder  Pflegschaft,  wegen 
deren  die  Aufhebung  der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  erfolgt  ist,  wieder  aufgehoben 
oder  der  die  Entmündigung  aussprechende  Beschlufs  mit  Erfolg  angefochten  ,  so  kann 
der  Mann  auf  die  Wiederherstellung  seiner  Rechte  kligen.  Das  Gleiche  gilt,  wenn  der 
für  tot  erklärte  Mann  noch  lebt.  Im  Falle  der  Wiederherstellung  wird  dasjenige  Ver- 
mögen der  Frau  Vorbehaltsgut,  welches  ohne  die  Aufhebung  der  Rechte  des  Mannes 
Vorbehaltsgut  geblieben  oder  geworden  sein  würde. 

Die  Wiederherstellung  der  Rechte  des  Mannes  tritt  mit  der  Rechtskraft  des  Urteils 
ein.     Die  Vorschriften   des  §  g2  Abs.   2   finden  entsprechende   Anwendung. 

5.  Gütertrennung. 

§  l2.  Ist  die  Verwaltung  und  Nutzniefsung  nach  §  b  ausgeschlossen  oder  ist  sie 
aufgehoben,  so  gelten  die  Vorschriften  der  §§  m2  bis  q2. 

§  m2.  (1339  Abs.  1  bis  3.)  Die  Frau  ist  verpflichtet,  dem  Manne  aus  den  Ein- 
künften ihres  Vermögens  sowie  aus  dem  Ertrag  ihrer  Arbeit  oder  eines  von  ihr  selb- 
ständig betriebenen  Erwerbsgeschäfts  einen  angemessenen  Beitrag  zur  Bestreitung  des 
ehelichen  Aufwandes  zu  leisten.  Für  die  Vergangenheit  kann  der  Mann  die  Leistung 
nur  insoweit  verlangen,  als  die  Frau  ungeachtet  seiner  Aufforderung  mit  der  Leistung  im 
Rückstande  geblieben  ist 

Der  Anspruch  des  Mannes  ist  nicht  übertragbar. 

§  n2.  (1339  Abs.  4,  5.)  Ist  eine  erhebliche  Gefährdung  des  der  Frau  und  den  ge- 
meinschaftlichen Abkömmlingen  von  dem  Manne  zu  gewährenden  Unterhalts  zu  besorgen, 
so  kann  die  Frau  den  von  ihr  nach  §  m2  zu  leistenden  Beitrag  zur  eigenen  Verwendung 
insoweit  zurückbehalten,   als  zur  Bestreitung  des   Unterhalts  erforderlich  ist. 

Das  Gleiche  gilt ,  wenn  ein  Abwesenheitspfleger  für  den  Mann  bestellt  oder  wenn 
der  Manu  entmündigt  oder  nach  §  1727  des  voimundschaftlichen  Schutzes  für  bedürftig 
erklärt  ist. 

§  o2.  Hat  die  Frau  aus  ihrem  Vermögen  zur  Bestreitung  des  ehelichen  Aufwandes 
etwas  verwendet  oder  dem  Manne  überlassen,  so  ist  im  Zweifel  anzunehmen,  dafs  die  Ab- 
sicht, Ersatz   zu  verlangen  gefehlt  hat. 

§  p2.  (1340.)  Hat  die  Frau  ihr  Vermögen  ganz  oder  teilweise  der  Verwaltung  des 
Mannes  überlassen,  so  kann,  wenn  sie  nicht  ein  Anderes  bestimmt  hat,  der  Mann  die 
während  seiner  Verwaltung  bezogenen  Einkünfte  nach  freiem  Ermessen  verwenden,  soweit 
sie  nicht  zur  Bestreitung  der  Kosten  der  ordnungsmäfsigen  Verwaltung  und  zur  Erfüllung 
solcher  sich  auf  das  Vermögen  beziehenden  Verpflichtungen  der  Frau  erforderlich  sind, 
die  bei  ordnungsmäfsiger  Verwaltung  aus  den   Einkünften  bestritten   werden. 

§  q2.  (1330,  1331  Abs.  2.)  Der  Ausschlufs  oder  die  Aufhebung  der  Nutzniefsung 
und  Verwaltung  ist  Dritten  gegenüber  nur  nach  §  1336  wirksam  Das  Gleiche  gilt  im 
Falle  des  §  k2  von  der  Wiederherstellung  der  Verwaltung  und  Nutzniefsung,  sofern  die 
Aufhebung  im  eherechtlichen  Register  eingetragen  war. 


72  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


II. 

Die  Beschränkungen  der  Parzellierungsfreiheit  in  Sachsen. 
Sachsen- Altenburg  und  Württemberg. 

Von  Dr.  Karl  Mamrotb. 

Einleitung. 

Noch  immer  bestehen,  wie  bekannt,  im  Deutsohen  Reiche  gesetzliche 
Beschränkungen  der  Parzellierungsfreiheit  von  Landgütern :  in  hohem 
Mafse  in  Schaumburg-Lippe  und  Lippe-Detmold,  Sachsen,  Sachsen- 
Altenburg,  Reufs  ä.  L.,  Schwarzburg-Sondershausen,  Württemberg,  Mecklen- 
burg, bei  den  geschlossenen  Hofgütern  des  badischen  Schwarzwaldes 
und  den  neuen  Rentengütern  im  östlichen  Freufsen,  unbedeutender 
in  Schwarzburg- Rudolstadt,  Sachsen-Weimar-Eisenach,  Oldenburg,  ganz 
unwesentlich  („Parzellenminimum")  im  Grofsherzogtum  Hessen  und 
in  Baden1);  der  „Entwurf  eines  Einführungsgesetzes  zum  Bürger- 
lichen Gesetzbuch  für  das  Deutsche  Reich"  bestimmt  im  Art.  70,  dafs 
die  landesgesetzlichen  Vorschriften,  welche  die  Teilung  von  Grundstücken 
untersagen  oder  beschränken,  unberührt  bleiben,  weil  sie  —  wie  es  in 
den  Motiven  heilst  —  „volkswirtschaftlichen  Zwecken  dienen"  2). 

I.     Königreich  Sachsen. 

Zum  Verständnisse  der  sächsischen  „Dismembrationsgesetzgebung"  sind 
einige  Worte  über  den  Bauernschutz,  wie  er  in  früheren  Jahrhunderten 
in  Deutschland  ausgeübt  wurde,  erforderlich. 

Bekanntlich  wurden  seit  dem  Ausgange  des  Mittelalters  die  deutschen 
Bauern  in  steigendem  Mafse  mit  Zinsen  und  Fronden  seitens  der  Grund- 
herren  belastet.  Dies  erwies  sich  im  nördlichen  Deutschland  für  den 
Bauernstand  verhängnisvoller  als  im  südlichen,  weil  dort  die  Grundherren 


1)  Bezüglich  der  Parzellierungsbeschi  anklingen  in  Deutschland  finden  sich  auch  in 
der  neuesten  Litteratur  selbst  bei  sonst  sehr  sorgfältigen  Schriftstellern  Irrtümer. 

2)  Ich  möchte  nicht  unterlassen,  auch  an  dieser  Stelle  den  zahlreichen  Privatpersonen 
und  Behörden,  welche  mir  Mitteilungen  gemacht,  bezw.  die  Erlaubnis,  Akten  einsehen 
zu  dürfen,  erteilt  haben,  bestens  zu  danken,  ebenso  Herrn  Geh.  R.  Prof.  von  Miaskowski  in 
Leipzig  für  das  überaus  freundliche  Interesse,  das  er  an  den  Vorarbeiten  zu  dieser 
Studie  genommen  bat. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  7^ 

eigene  grofse  Gutswirtschaften  errichteten  und  daher  an  der  Vertreibung 
des  Bauern  wie  an  der  Einziehung  des  Bauernlandes  das  stärkste  Interesse 
hatten.  So  kam  es,  dafs  in  Mecklenburg,  im  schwedischen  Vorpommern, 
in  Holstein,  in  Livland  nicht  nur  das  Bauernland  eich  stetig  verminderte, 
sondern  auch  die  rechtliche  Lage  des  Bauern  —  bis  zur  Leibeigenschaft  — 
sich  verschlechterte.  Dort  fehlte  eine  starke  Staatsgewalt,  die  erkannte, 
dafs  die  Vernichtung  des  Bauerngutes  und  die  Herabdrückung  des  Bauern- 
standes eine  Schmälerung  der  steuerlichen  Leistungen  des  Bauern  zu 
bedeuten  habe.  Aus  diesem  Motive  schritten  in  einer  nicht  geringen 
Zahl  deutscher  Territorien  die  Landesherren  zu  Gunsten  des  Bauernstan- 
des gegen  die  Grundherren  ein ;  bemerkenswert  ist  namentlich  die  das 
ganze  nordwestliche  Deutschland  umfassende  „Meierverfassung",  die  darauf 
abzielte,  das  Verhältnis  zwischen  den  Grundherren  und  Bauern  derart  zu 
regeln,  dafs  die  Bauerngüter  möglichst  erhalten  blieben  :  es  mufste  z.  B. 
der  Bauer  zur  Veräufserung  des  Gutes  regelmäfsig  die  Einwilligung  des 
Gutsherrn  einholen ,  die  aber  nur  versagt  werden  durfte ,  wenn  der  neue 
Erwerber  für  ordentliche  Wirtschaft  und  richtige  Abführung  der  Lasten 
keine  Garantien  darbot;  so  konnte  das  Zinsgut  im  allgemeinen  für  die 
Schulden  nicht  als  Exekutionsobjekt  in  Anspruch  genommen  werden  — 
aufser  wenn  der  Gutsherr  in  dieselben  gewilligt  hatte;  ferner  finden  sich 
strengere  Vorschriften  des  öffentlichen  Interesses  wegen,  z.  B.  obrigkeit- 
liche Erlaubnis  für  die  Veräufserung  einzelner  Parzellen  oder  die  Teilung 
des  Gutes  unter  mehrere  Besitzer  1). 

Auch  in  Kursachsen  wurden  im  17.  und  18.  Jahrhundert  Teilungen 
geschlossener  Güter  im  allgemeinen  nur  dann  gestattet,  wenn  dadurch 
keine  Verschlechterung  des  Wirtschaftsertrages  und  der  Steuerkraft  zu 
befürchten  war  oder  wenn  (bei  grofsen  Besitzungen)  aus  der  Möglichkeit 
intensiverer  Bewirtschaftung  Vorteile  erhofft  wurden  2).  Aus  der  älteren 
Gesetzgebung  ist  insbesondere  das  sogenannte  „Generale"  vom  15.  August 
1766  hervorzuheben,  in  welchem  bestimmt  wird,  dafs  in  den  Erblanden 
für  die  geschlossenen  Güter 

bei  „Hufen"  und  „starken  Gütern"   1j.    Hufe  1 
bei  „halben  Hufen"  Vs   Hufe  J  b68ten  Lande8> 

bei  „schwachen  Gütern"  ein  Acker  oder  Scheffel  des  besten  Heim- 
feldes   als    „konsolidiert"    (d.  h.    von    dem  Hause    unzertrennlich) 
beizubehalten  seien. 
Die  —  noch  jetzt  für  Sachsen  und  andere  deutsche  Länder  wichtige  — 
Unterscheidung  zwischen  „geschlossenen"  und    „walzenden"  Grundstücken 
hat  folgenden    geschichtlichen  Ursprung:  Im  späteren  Mittelalter  besafsen 
manche    hörige    Bauern    neben    ihren    Hofgütern    auch    freies    Eigen,    das 
ursprünglich  weder   einer  Vogtei  noch  einer  Grundherrsthaft  unterworfen 
und    daher    frei    von    allen    grundherrlichen    Leistungen    war;    es    konnte 
sogar    aufserhalb    des    Hofverbandes    veräufsert    werden :    man    nannte    es 


1)  Vgl.  die  Litteratur  im  „Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften",  Bd.  II  (Jena 
1891),  S.  179  ff.,  S.  182  ff.,  Bd.  IV  (Jena  1892),  S.  139ff. 

2)  Haun ,  Bauer  und  Gutsherr  in  Kursachsen.  Schilderung  der  ländlichen  Wirt- 
schaft und  Verfassung  im  16.,  17.  und  18.  Jahrhundert.  [Abhandlungen  aus  dem  staatsw. 
Seminar  zu  Strasburg  \.  E.  H.  IX  ]     (Strafsburg  1892)  S.  23. 


74  Nationalökonomiscbe  Gesetzgebung. 

„walzende  Güter",  „Zubaugüter' :,  „Beistücke",  zuweilen  auch  ,,Ueberland" 

U.    8.    W.  1). 

Bevor  ich  auf  die  Vorgeschichte  des  Gesetzentwurfes  vom  Jahre  1843 
„betreffend  die  Teilbarkeit  des  Grundeigentums"  eingehe,  mag  es  mir 
gestattet  sein ,  die  agrarische  Gesetzgebung  der  wichtigsten  deutschen 
Länder ,  wie  sie  sich  in  den  ersten  Jahrzehuten  dieses  Jahrhunderts  ge- 
staltet hatte,  kurz  zu  berühren. 

„Freiheit  des  Bodenverkehrs",  d.  h.  das  Recht  des  Eigentümers,  sein 
Landgut  in  verschiedene  Teile  zu  zerlegen  und  diese  zu  verkaufen,  ein- 
zelne Teile  abzuzweigen,  das  ganze  Gut  mit  einem  anderen  zu  vereinigen 
u.  s.  w.,  bestand  —  zwar  gesetzlich  nicht  ganz  begründet,  aber  thatsäch- 
lich  —  in  Württemberg  bereits  seit  dem  16.  Jahrhundert:  auf  die  neuen, 
seit  1803  hinzugekommenen  Lande  wurde  die  Agrarverfassung  des  alten 
Landes  übertragen;  freier  Bodenverkehr  wurde  vor  dem  Befreiungskriege 
in  den  Ländern  der  französischen  Herrschaft  (Westfalen,  Baden,  Hessen, 
Oldenburg),  ferner  in  Preufsen  (1807  resp.  1811)  eingeführt.  Bayern 
setzte  die  schon  im  vorigen  Jahrhundert  begonnene  Beförderung  der  Güter- 
zertrümmerung bis  1821  fort.  Nach  dem  Befreiungskriege  fehlte  es  auch 
auf  agrarischem  Gebiete  nicht  an  rückläufigen  Mafsregeln :  Oldenburg  hatte 
schon  1814  das  alte,  in  der  französischen  Zeit  beseitigte  Recht  wieder 
eingeführt;  Bayern  lenkte  1821  (Verordnung  vom  25.  Mai)  und  1825 
(Gemeindeedikt  vom  11.  September,  revidiert  1.  Juli  1834)  in  andere 
Bahnen  ein;  Württemberg  sprach  1828  im  „Gesetz  in  betreff  der  öffent- 
lichen Verhältnisse  der  israelitischen  Glaubensgenossen"  (Art.  28)  ein 
„Verbot  des  Güterhandels"  aus;  in  ihren  Ablösungsgesetzgebungen  hielten 
Hannover  (1833)  und  Braunschweig  (1834)  an  der  Unteilbarkeit  der  Land- 
güter in  der  Hauptsache  fest2). 

Wie  für  andere  deutsche  Länder,  so  waren  auch  für  Sachsen  die 
30er  und  der  Beginn  der  40er  Jahre  eine  Zeit  agrarischer  Reformen : 
das  Gesetz  vom  14.  Juni  1834  regelte  die  Zusammenlegung  der  Grund- 
stücke; durch  Gesetz  vom  9.  September  1843  ward  die  Grundsteuer  neu 
reguliert;  unterm  6.  November  1843  wurde  ein  Gesetz  über  die  Grund- 
und  Hypothekenbücher  erlassen. 

Nach  dem  neuen  Grundsteuersystem  wurde  jede  einzelne  Parzelle 
mit  besonderen  Steuern  belegt;  der  durchschnittlich  angenommene  Wert 
der  Steuereinheit  war  S'/g  Thlr.,  die  Steuer  selbst  wurde  mit  1/3  Thlr. 
pro  Einheit  angenommen. 

Als  die  Regelung  der  Grundsteuer  bestimmt  ins  Auge  gefafst  war, 
mufste  sich  das  sächsische  Ministerium  darüber  schlüssig  werden,  ob  eine 
Aufhebung  der  bisher  bestehenden  Geschlossenheit  erforderlich  oder  doch 
wünschenswert  sei  3). 


1)  Vgl.  v.  Maurer,  Gescbiehte  der  Fronhöfe,  der  Bauernhöfe  und  der  Hofverfassung 
in  Deutschland  Bd.  III  (Erlangen   1863),  S.   144  ff. 

2)  Vgl.  u  a.  Röscher,  System  II,  §  92;  Stobbe,  Handbuch  des  deutschen  Privat- 
rechts Bd.  II,  2.  Aufl.  (Berlin  1883),  §  132;  Closen ,  Kritische  Zusammenstellung 
der  bayrischen  Landkulturgesetze  (München  1818),  S.  41  f.,  S.  265  ff. ;  Bening,  Die  Bauer- 
höfe und  das  Verfiigungsrecht  darüber  (Hannover  1862),  S.  9  ff. ;  Teilbarkeit  oder  Geschlossen- 
heit der  Bauerngüter?  (Braunschweig  1872),    S.  3  ff . 

3)  Das  Folgende  aus  den  Akten  des  sächsischen  Ministeriums  des  Innern. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  7fj 

Ursprünglich  war  vom  Finanzministerium  beabsichtigt  worden,  in  das 
neue  Grundsteuergesetz  auch  die  Präge  der  Teilbarkeit  der  Grundstücke 
hineinzuziehen,  d.  h.  dieselbe  iu  einem  besonderen  Abschnitte  zu  behan- 
deln. Da  aber  das  genannte  Ministerium  der  Ansicht  war,  es  komme 
hierbei  weniger  das  finanzielle  Interesse  —  die  Sicherstellung  des  Steuer- 
einkommens —  als  das  nationalökonomische  und  politische  in  Frage ,  so 
entschied  sich  das  (deswegen  befragte)  Ministerium  des  Innere  dafür,  den 
beregten  Gegenstand],  weil  er  der  Landespolizei  angehörig  sei,  in  einem 
besonderen  Gesetze  zu  bearbeiten. 

Der  Finanzminister  von  Zeschau  erklärte  sich  von  vornherein  „gegen 
die  in  die  Willkür  des  Einzelnen  gestellte  Bodenmobilisierung",  indem 
er  auf  die  in  Preufsen,  Bayern  und  Nassau  mit  der  Freiheit  des  Boden- 
verkehrs gemachten  angeblich  schlechten  Erfahrungen  hinwies. 

Die  späterhin  nicht  selten  geäufserte  Anschauung,  es  habe  sich  bei 
dem  Gesetze  nur  um  steuerliche,  nicht  volkswirtschaftliche  Zwecke  gehan- 
delt, ist  ohne  Zweifel  eine  irrige ;  dies  erhellt  auch  deutlich  aus  der  in 
den  Vorarbeiten  zum  Gesetzentwurfe  zu  Tage  getretenen  sorgfältigen  Be- 
fragung angesehener  volkswirtschaftlicher  Schriftsteller. 

Naturgemäfs  suchte  sich  das  Ministerium  des  Innern  zunächst  über 
die  Grundstücksdismembrationen  der  letzten  Jahre,  über  ihre  Zu-  oder 
Abnahme,  zu  informieren :  die  deshalb  befragten  vier  Kreissteuerräte  kon- 
statierten eine  sehr  erhebliche  Vermehrung  seit  dem  Jahre  1834.  Dis- 
membrationen  hatten  stattgefunden 

im   1.  Steuerkreise  (Dresden  u.  s.   w.)  1834:   319,   1842:  774 

>,     2.            „             (Leipzig          „       )  „     :   239,    1841:  567 

,,    3.            ,,            (Zwickau      „       )  „     :  314,   1841/2:  611 

,,    4.            „             (Bautzen        „        )  1835:    119,   1841:  255 

Die  Ursachen  waren  verschiedener  Art:  einmal  die  infolge  Bevölke- 
rungsvermehrung eingetretene  Notwendigkeit,  zum  Häuserbau  und  zur 
Vergröfserung  kleiner  „Nahrungen"  Abtrennungen  vornehmen  zu  müssen  ; 
dann  die  Steigerung  der  Bedürfnisse  und  somit  des  Begehrs  nach  Ver- 
dienstquellen beim  Häusler,  der  nunmehr  selbst  sehr  hohe  Preise  für 
Grundstücke  zu  bewilligen  geneigt  war ;  endlich  vor  allem  —  zugleich 
als  Folge  des  Vorhergehenden  —  die  überhaudgenommene  spekulative  Güter- 
zertrümmerung. 

Immerhin  entsprang  doch  die  starke  Vermehrung  der  Dismembrationen 
einem  spontanen  Bedürfnisse  der  Bevölkerung. 

Das  Ministerium  unterbreitete  nunmehr  den  Kammern  einen  auf  die 
rechtliche  Gebundenheit  der  Landgüter  bezüglichen  Gesetzentwurf1).  In 
der  Begründung  desselben  wird  als  Ideal  einer  guten  Grundbesitzvertei- 
lung eine  richtige  Mischung  grofser,  mittlerer  und  kleiner  Güter  bezeichnet 
und  dies  ausführlich  motiviert;  weiterhin  wird  betont,  dafs  in  Sachsen 
noch  eine  angemessene  Verteilung  von  Besitzungen  verschiedener  Gröfse 
sei.  Es  scheine  nicht  nötig,  dem  Entstehen  zu  grofser  Gutskomplexe 
für  die  Zukunft  entgegenzutreten ,  da  Spuren  eines  Strebens  nach  über- 
mäfsiger    Vergröfserung    sich    nicht    gezeigt    hätten ;    aber    einer    zu    weit 


1)  Vgl.  Verhandlungen  und  Denkschriften  des  sächsischen  Landtags  von   1843. 


7g  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

gehenden  Bodenzerstückelung  vorzubeugen  dürfte  an  der  Zeit  sein.  Doch 
seien  in  vielen  Fällen  Disnumbrationen  unvermeidlich  oder  stellten  sich 
wenigstens  als  dringend  notwendig  dar,  in  anderen  Fällen  müfsten  sie 
für  nützlich  oder  rätlich  erachtet  werden,  in  noch  anderen  seien  sie  ohne 
Nachteil. 

Das  Gesetz  ist  demnach  weniger  dazu  bestimmt  gewesen ,  an  vor- 
handene schlechte  Zustände  die  bessernde  Hand  anzulegen ,  als  vielmehr 
einen  guten  Zustand  der  Grundbesitzverteilung  gegen  jene  Tendenzen 
sicherzustellen,   welche  ihn  zu  erschüttern  geeignet  sind. 

Rau  urteilte  damals1),  dafs  die  Besorgnisse,  aus  denen  der  Entwurf 
hervorgegangen  sei,  bezüglich  Sachsens  auf  überzeugende  Weise  nicht 
begründet  seien ;  er  meint ,  dafs  dort  eine  Verminderung  der  grofsen 
Güter  nicht  zu  bedauern  sein  möchte  und  tadelt  u.  a.,  dafs  in  Bezug 
auf  die  Verminderung  der  Viehzucht  zu  sehr  an  die  Schafzucht  gedacht 
worden  sei :  der  Rindviehstand  nehme  vielmehr  bei  der  Verkleinerung 
der  Güter  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  hin  zu. 

Der  Entwurf  wurde  zunächst  vor  die  1.  Kammer  gebracht,  deren 
1.  Deputation  den  Prinzen  (nachmaligen  König)  Johann  zum  Referenten 
bestellte.  In  dem  der  Kammer  erstatteten  Berichte  werden  französische 
und  englische  Zustände  (also  Güterteilung  und  Gütergeschlossenheit)  mit 
einander  verglichen;  als  Resultat  ergiebt  sich,  „dafs  eine  allzugrofse  Zer- 
stückelung nicht  günstig  für  die  Produktion  und  ein  gTofses  Grundeigen- 
tum mehr  geeignet  ist,  den  Ansprüchen  einer  steigenden  Bevölkerung  zu 
genügen,  dafs  aber  eine  strenge  Geschlossenheit,  wie  in  England,  eben- 
falls manche  Nachteile  in  ihrem  Gefolge  führt."  Durchschlagender  noch 
als  diese  nationalökonomische  Erwägung  scheinen  jedoch  der  Deputation 
die  politischen  Bedenken  gegen  eine  zu  weit  gehende  Bodenzerstückelung: 
ein  solider  Bauernstand  —  eine  der  besten  Grundlagen  des  Staates  — 
bestehe  noch  in  einem  grofsen  Teile  Sachsens ,  auf  ihm  beruhe  die  im 
ganzen  einfach  und  gut  sich  gestaltende  Verfassung  der  sächsischen  Land- 
gemeinden, ihm  habe  das  Staatsgrundgesetz  ein  Drittel  der  Landesvertre- 
tung in  der  2.  Kammer  anvertraut;  die  grofsen  Güter  bildeten  Herde 
der  Kultur  für  das  platte  Land,  wie  auf  ihrem  Bestehen  ein  fast  gleicher 
Teil  der  Vertretung  in  der  2.  Kammer  beruhe,  so  seien  sie  das  wesent- 
lichste Element  für  die   1.  Kammer. 

Nach  dem  Gesetzentwurfe  sollten  bei  geschlossenen  Grundstücken, 
auf  denen  (mit  Einschlufs  der  Gebäude)  mehr  als  150  Steuereinheiten 
hafteten,  auf  einmal  oder  nach  und  nach  nicht  mehr  als  die  Hälfte  (bisher 
war,  wie  eingangs  erwähnt  wurde,  bei  gröfseren  Gütern  nur  V4  gebunden 
gewesen)  abgetrennt  werden.  Bei  Grundstücken,  auf  denen  150  oder 
weniger  Steuereinheiten  hafteten,  sollte  die  Geschlossenheit  eine  absolute 
sein.  Hierbei  ging  man  von  der  Ansicht  aus,  dafs  ein  mit  150  Steuer- 
einheiten belastetes  Grundstück  zur  Bewirtschaftung  entweder  mit  einem 
Pferde  oder  mit  Ochsen  oder  auch  Kühen  sich  eigne  und  dem  Eigen- 
tümer in  der  Regel  einen  Ueberschufs  an  Früchten  zum  Verkaufe  gewähre ; 


1)  Beiträge  zur  Lehre  von   der   Verkleinerung  der  Landgüter  ,    in  seinem  und  Hans- 
sens  „Archiv  der  politischen  Oekonomie"  Bd.  VI  (Heidelberg  1843),  S.  116  ff. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  77 

«in  solches  Gut  werde  ungefähr  10  — 12  Acker  *)  umfassen  und  der  Acker 
sei  durchschnittlich  mit  12 — 15  Steuereinheiten  belegt. 

Während  die  erste  Kammer  mit  dem  Gesetzentwurfe  einverstanden 
war,  liefs  die  zweite  Kammer  die  Unterscheidung  von  Grundstücken  über 
und  unter  150  Steuereinheiten  fallen  und  sprach  für  alle  bisher  geschlossenen 
Güter  ein  durchgreifendes  Prinzip  —  die  Erlaubnis  der  Drittelabtrennung  — 
aus.  Sohliefslich  erklärte  Bich  die  erste  Kammer  auch  hiermit  einverstanden, 
nachdem  der  Gesetzentwurf  wieder  an  sie  zurückgelangt  war. 

Zu  jener  Zeit  war  die  seit  dem  Ausgange  des  vorigen  Jahrhunderts 
in  der  Litteratur  vielfach  erörterte  Frage  der  Bodenteilbarkeit  wiederum 
litterarisch  lebhaft  besprochen  worden,  sie  bewegte  damals  sehr  die  Ge- 
müter, die  VI.  Wanderversammlung  deutscher  Landwirte,  die  im  Jahre 
1842  in  Stuttgart  stattfand,  hatte  jene  Frage  unter  thätiger  Teilnahme 
hervorragender  Volkswirte  —  Fallati,  Knaus,  Kau  u.  a.  —  erörtert;  diese 
Parteiungen  für  und  wider  Bodenzerstückelung  fanden  natürlich  auch  in 
den  Debatten  des  sächsischen  Landtags  ihren  Widerhall.  Es  tauchte  dort 
der  in  Württemberg  zum  gesetzgeberischen  Ausdruck  gekommene  Gedanke 
auf,  die  Abtrennungsbefugnis  an  ein  mehrere  Jahre  andauerndes  Eigentum 
zu  knüpfen.  Allein  die  Deputation  der  2.  Kammer  war  der  Ansicht  — 
eine  Anschauung,  die  nach  den  in  Württemberg  gemachten  Erfahrungen 
keineswegs  als  ganz  unbegründet  zu  bezeichnen  ist  —  diese  Bestimmung 
werde  umgangen,  der  Spekulant  trete  als  Bevollmächtigter  des  bisherigen 
Eigentümers  auf,  man  könne  aber  doch  nicht  dem  Gutsbesitzer  die  Freiheit 
nehmen,  sich  in  Rechtsgeschäften  dr.rch  einen  Dritten  vertreten  zu  lassen. 
Auch  an  die  etwa  zu  erlassende  Vorschrift,  dafs  im  Laufe  eines  Jahres 
nur  eine  Parzelle,  resp.  einige  Parzellen,  abgetrennt  werden  dürften,  ist 
innerhalb  der  Deputation  gedacht  worden;  man  kam  indessen  davon  ab, 
weil  sich  Gröfse  und  Zahl  der  Parzellen  nie  im  voraus  bestimmen  liefsen. 

Die  1.  Kammer  nahm  den  Gesetzentwurf  einstimmig  an  ;  die  Mino- 
rität der  Ablehnenden  in  der  2.  Kammer  war  nicht  unbeträchtlich:  sie 
betrug  26  (gegen  42)  Stimmen.  —  Das  unter  dem  30.  November  1843 
erlassene  Gesetz  unterscheidet  „Rittergüter"  und  „übrige  Grundstücke". 
Von  einem  Rittergute  soll  fortan  auf  einmal  oder  nach  und  nach  nur 
soviel  abgetrennt  werden,  dafs  2/3  der  auf  dem  Grund  und  Boden  —  mit 
Ausschlufs  der  Gebäude  —  bei  Erlafs  des  Gesetzes  haftenden  Steuerein- 
heiten bei  dem  Stammgute  verbleiben.  Dieser  Beschränkung  sind  auch 
<lie  „übrigen  Grundstücke"  unterworfen,  sofern  sie  innerhalb  der  länd- 
lichen Gemeindebezirke  gelegen  und  als  geschlossen  zu  betrachten  sind. 
Frei  teilbar  sind  die  städtischen  und  die  walzenden  Grundstücke,  die  Dorf- 
auen, Anger  und  Gemeindegrundstücke. 

Das  Gesetz  statuiert  für  die  „übrigen  Grundstücke"  —  nicht  für  die 
Rittergüter  —  eine  Reihe  von  Ausnahmen:  1)  für  Weinbergsgrundstücke; 
2)  zum  Zwecke  des  Betriebes  einer  Handelsgärtnerei;  3)  zur  Erbauung 
neuer  Wohnungen ;  4)  zur  Anlegung  von  Fabriketablissements ;  ferner 
5)  im  Falle  des  Tausches,  sofern  —  verschiedener  Umfang  der  Parzellen 
vorausgesetzt  —  das    die    geringere  Fläche    enthaltende  Grundstück    sich 


1)  1  Acker  =  0,55  Hektar. 


7g  Nationalökonomiscbe  Gesetzgebung. 

nicht  über  Vs  seiner  Steuereinheiten  verringert;  6)  bei  Abtrennungen 
zu  wirtschaftlichen  Zwecken,  namentlich  zur  Anlegung  von  Wiesenbewässe- 
rungen, zum  Aufbau  von  Wirtschaftsgebäuden  und  zur  Vergröfserung  von 
Hofraiten ,  sowie  zur  Abrundung  des  Gutsumfanges ;  endlich  7)  bei  Ab- 
trennungen zu  öffentlichen  Zwecken.  Indessen  ist  bei  einzelnen  Aus- 
nahmen die  Dismembration  wiederum  nicht  gänzlich  freigegeben :  bei 
Abtrennungen  für  eine  Handelsgärtnerei,  zur  Erbauung  neuer  Wohnhäuser 
und  zu  wirtschaftlichen  Zwecken  soll  auf  einmal  oder  nach  und  nach 
nicht  mehr  als  1/8  der  vom  Stammgute  unzertrennbar  erklärten  Steuer- 
einheiten abgetrennt  werden. 

Den  Regierungsbehörden  wird  vorbehalten,  Abtrennungen  über  das 
gesetzlich  erlaubte  Drittel  hinaus,  sowie  mehr  als  es  die  eben  genannten 
Ausnahmen  zulassen,  dispensationsweise  „in  einzelnen  geeigneten  Fällen" 
zu  gestatten. 

Das  von  einem  geschlossenen  Grundstücke  Abgetrennte  erhält  die 
Eigenschaft  eines  walzenden  Grundstücks,  sofern  es  nicht  infolge  Tausches 
in   einen  geschlossenen  Komplex   eintritt. 

Dies  der  wesentliche  Inhalt  des  Gesetzes. 

Nach  der  —  ebenfalls  am  30.  November  1843  erlassenen  —  Ver- 
ordnung über  die  Ausführung  des  Gesetzes  stehen  Erörterung  und  Ent- 
scheidung der  Frage ,  ob  eine  Abtrennung  statthaft  sei,  bezüglich  der 
Rittergüter  der  betreffenden  Kreisdirektion ,  bezüglich  der  übrigen  Güter 
der  Ortsobrigkeit  (in  höherer  Instanz  der  Kreisdirektion)  zu;  höchste  In- 
stanz ist  das  Ministerium  des  Innern. 

Das  Dismembrationsgesuch  ist  bei  der  Grund-  und  Hypothekenbehörde 
anzubringen,  welche  einerseits  über  die  Dispositionsberechtigung  desjenigen, 
der  die  Grundstücksabtrennung  vornehmen  will,  urteilen  soll,  andererseits 
die  Frage,  ob  die  Dismembration  im  öffentlichen  Interesse  gelegen  ist, 
der  Verwaltungsbehörde  zu  überlassen  hat;  wenn  diese  einverstanden  ist, 
so  erfolgt  seitens  der  erstgenannten  "Behörde  die  Regulierung  der  privat- 
rechtlichen Verhältnisse  (Hypotheken  u.  s.  w.),  alsdann  seitens  der  Steuer- 
behörde die  Verteilung  der  Steuern. 

Wie  oben  erwähnt  wurde,  hatten  die  Motive  zum  Gesetzent- 
wurfe es  für  unnötig  bezeichnet,  „dem  Entstehen  zu  grofser  Gutskomplexe 
für  die  Zukunft  entgegenzutreten";  ein  Versuch  dazu  war  aber  bereits 
im  ,, Gesetz,  die  Grund-  und  Hypothekenbücher  und  das  Hypothekenwesen 
betreffend"  vom  6.  November  1843  gemacht  worden.  Dort  bestimmt  §  61 
unter  4  und  5:  1)  „Der  Komplex  eines  Ritterguts  kann  weder  zu 
einem  anderen  Rittergute,  noch  zu  einem  Grundstücke  anderer  Art  als 
Zubehörung  hinzugeschlagen  werden";  2)  „andere  Güter,  welche  aus 
mehreren  zu  einem  Körper  vereinigten  ländlichen  Grundstücke  bestehen 
und  mit  Wohnsitz  versehen  sind,  können  ebenfalls  nicht  zu  einem  anderen 
Grundstücke  hinzugeschlagen  werden.  Letzteres,  sowie  die  Hinzuschlagung 
eines  Ritterguts  zu  einem  anderen  Rittergute,  kann  nur  ausnahmsweise 
unter  besonderen  Verhältnissen    von   der  Oberbehörde    gestattet   werden." 

Diese  Bestimmungen  gingen  —  in  der  Hauptsache  unverändert  — 
in  die  am  9.  Januar  1865  ergangene  „Verordnung,  die  Ein-  und  Aus- 
führung des  bürgerlichen  Gesetzbuchs  für  das  Königreich  Sachsen  betref- 


NatioDalökonomische  Gesetzgebung.  79 

fend"  über  (§§  207—209).  Auch  hier  sind  Ausnahmen  für  statthaft 
erklärt  worden :  Handelt  es  sich  um  Güter  der  zweiterwähnten  Kategorie, 
so  ist  die  Genehmigung  des  Bezirksappellationsgerichts  einzuholen ;  han- 
delt es  eich  um  ein  Kittergut,  so  sollen  die  Appellationsgerichte  zu  Dresden 
und  Bautzen  und  die  Schönburgsche  Gesamtkanzlei  zuständig  6ein.  Sie 
haben  „Beschlufs  zu  fassen",  wenn  ein  Rittergut  zu  einem  Grundstücke, 
das  innerhalb  eines  ländlichen  Gemeindebezirks  gelegen  und  als  geschlossen 
zu  betrachten  ist,  hinzugeschlagen  werden  soll;  sie  haben  „gutachtlichen 
Vortrag  an  das  Justizministerium  zu  erstatten",  wenn  ein  Rittergut  mit 
einem  anderen  Rittergute  oder  nichtgeschlossenen  Grundstücke  vereinigt 
werden  soll.  Es  tritt  demnach  eine  höhere  Sorgfalt  für  die  Erhaltung 
der  Rittergüter  als  für  die  der  Bauerngüter  zu  Tage! 

Eine  wesentliche  Umänderung,  die  sich  als  Verbesserung  des  Gesetzes 
darstellt,  ist  dem  „Gesetz,  die  Organisation  der  Behörden  für  die  innere 
Verwaltung  betreffend",  vom  21.  April  1873  zu  danken.  Nunmehr  ging 
die  im  Gesetze  von  1843  den  Regierungsbehörden  eingeräumte  Befugnis, 
—  dispensatiousweise  —  Abtrennungen  zu  gestatten,  ,,auf  die  Amtshaupt- 
mannschaften" über;  richtiger  müfste  es  im  Gesetze  heifsen  „auf  die 
Bezirksausschüsse" :  denn  der  Amtshauptmann  ist  nicht  berechtigt,  über 
das  Gesuch,  das  bei  ihm  allerdings  einzureichen  ist,  frei  zu  entscheiden, 
sondern  mufs  es  dem  Bezirksausschusse  vorlegen.  Dieser  besteht  aus 
mindestens  8  Mitgliedern,  welche  von  den  Bezirksversammlungen  gewählt 
werden :  in  jedem  Ausschusse  müssen  2  Vertreter  der  Höchstbesteuerten, 
2  der  Stadtgemeinden  uud  2  der  Landgemeinden  sein.  Der  Amtshaupt- 
mann führt  im  Bezirksausschusse  den  Vorsitz  und  hat  dadurch  ohne  Zweifel 
grofsen  Einflufs  auf  die  Beschlufsfassung  über  Dismembrationsgesuche ; 
doch  wird  die  Entscheidung  durch   Majorität  gefällt. 

Gegen  die  Beschlüsse  der  Verwaltungsbehörden  in  erster  Instanz 
steht  nach  §  31  des  eben  genannten  Gesetzes  den  Parteien  oder  sonst 
Beteiligten  das  Recht  des  Rekurses  (binnen  14  Tagen)  zu;  derselbe  geht 
in  Administrativjustizsachen  stets  an  die  Ministerialinstanz,  in  anderen 
Verwaltungssachen  an  die  nächstvorgesetzte  Behörde  (Kreishauptmann- 
schaft), die  —  nach  §   32  —  endgiltig  entscheidet. 

Nach  der  Verordnung  vom  12.  November  1874  bedarf  es  bei  walzen- 
den Grundstücken  oder  einer  Drittelabtrennung  eines  Einvernehmens  der 
Grund-  und  Hypothekenbehörde  mit  der  Verwaltungsbehörde  nur  zum 
Zwecke  der  Steuerregulierung. 

Der  Inhalt  der  oben  genannten  Verordnung  vom  9.  Januar  1865 
über  Grundstückshinzuschlagungen  erfuhr  eine  Abänderung  durch  das 
Gesetz  vom   14.  und  die  Verordnung  vom   15.  Januar  1884. 

Die  für  Grundstückshinzuschlagungen  von  Bauerngütern  den 
Appellationsgerichten  zugewiesenen  (1879  auf  die  Oberlandesgerichte  über- 
gegangenen) Geschäfte  der  nichtstreitigen  Gerichtsbarkeit  sind  von  der 
Grund-  und  Hypothekenbehörde  desjenigen  Grundstücks,  zu  welchem  hinzu- 
geschlagen werden  soll,  zu  erledigen.  Dieselbe  prüft,  ob  der  beantragten 
Hinzuschlagung  ein  im  Privatrechte  begründetes  Hindernis  entgegensteht: 
ist  dies  der  Fall,  so  lehnt  sie  das  Gesuch  ab,  dem  Petenten  aber  steht 
Beschwerde    an    das  Oberlandesgericht,    sodann    an    das   Justizministerium 


80 


Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


zu;  steht  kein  Hindernis  entgegen,  so  sendet  sie  die  Akten  zur  Beschluß- 
fassung an  die  zuständige  Amtshauptmannschaft.  Nunmehr  ist  wieder  ein 
doppelter  Fall  möglich:  entweder  findet  die  Amtshauptmannschaft,  dafs 
der  Hinzuschlagung  ein  im  öffentlichen  Rechte  begründetes  Hindernis  ent- 
gegensteht, dann  teilt  sie  dies  unmittelbar  dem  Antragsteller  mit  (der  gemäfs 
den  erwähnten  §§31  und  32  des  Gesetzes  vom  21.  April  1873  an  die 
Kreishauptmannschaft  appellieren  kann) ;  oder  sie  erkennt  die  Hinzu- 
schlagung als  statthaft  an :  so  teilt  sie  dies  (ohne  vorherige  Benachrichtigung 
des  Antragstellers)  der  Grund-  und  Hypothekenbehörde  mit,  die  alsdann 
von  Amtswegen  Eintragungen  in  das  Grund-  und  Hypothekenbuch  oder 
das  sonst  zur  Erledigung  der  Angelegenheit  Erforderliche  zu  besorgen 
hat.  Dasselbe  Verfahren  findet  statt,  wenn  die  Kreishauptmannschaft  als 
Rekursinstanz  sich  —  entgegen  dem  ablehnenden  Bescheide  der  Amts- 
hauptmannschaft —  für  die  Bewilligung  ausgesprochen  hat. 

Die  Hinzuschlagung  eines  Ritterguts  zu  einem  anderen  Ritter- 
gute oder  nicht  geschlossenen  Grundstücke  erfordert  ebenfalls  von  seiten 
der  Grund-  und  Hypothekenbehörde  eine  Prüfung,  ob  ein  privatrecht- 
liches Hindernis  im  Wege  steht;  wird  dies  von  ihr  —  oder  auf  ergangene 
Beschwerde  vom  Oberlandesgericht  —  verneint,  so  werden  die  Akten  an 
das  Justizministerium  gesendet,  das  mit  dem  (die  Genehmigung  resp.  Ver- 
sagung des  Gesuches  beschliefsenden)  Ministerium  des  Innern  in  Ver- 
bindung tritt.  Im  Fall  der  Genehmigung  tritt  die  Grund-  und  Hypo- 
thekeubehörde  in  gleicher  Weise  wie  bei  bäuerlichen  Grundstücken  — 
unter  Benachrichtigung  der  Amtshauptmannschaft  —  in  Thätigkeit. 

Es  möchte  nach  dem  eben  Dargestellten  scheinen,  als  ob  den  gericht- 
lichen Behörden  durch  die  Dismembrationsgesetzgebung  eine  grofse  Last 
aufgebürdet  würde;  in  der  Praxis  soll  sich  dies  indessen  —  so  ver- 
sicherte mir  ein  sächsischer  Grundbuchrichter  —  bisher  in  störendem 
Mafse  nicht  geltend  gemacht  haben. 

Jeder  Grundstückseigentümer,  der  dismembrieren  will,  mufs,  mag  es 
sich  um  die  Drittelabtrennung  oder  um  Abtrennung  eines  gröfseren  Teils 
oder  um  vollständige  Dismembration  handeln,  ein  Schema  ausfüllen  und  das- 
selbe beim  zuständigen  Amtsgerichte  einreichen ;  es  ist  vorher  von  der 
kgl.  Bezirkssteuereinnahme  mit  „verglichen  und  beglaubigt"  zu  unter- 
schreiben und  lautet : 


Dismembrationsanbringen. 
Auszug  aus  dem  neuen  Grundsteuerkataster  und  Flurbuche  von 


Nummer 

der 
Parzelle 


Objekt 
and  resp 
Kultur- 
art 


Fläche 


ha 
Acker 


QR. 


Steuer- 
einheiten 


und  zwar  laut  Flurbuch 


ha 
Acker 


GR. 


Boden- 
klasse 


nach  Rein- 
ertragsmark 
für  1  ha  oder 
1   Acker  und 
resp    jährl. 
Mietertrag 


Anmer- 
kungen 


Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


81 


Die  Amtshauptmannschaft  einer  gröfseren  Stadt  teilt  mir  mit,  dafs 
sie  bei  Gütern  unter  9  Hektar  die  Dismembration  stets  zu  befürworten 
pflegt,  von  der  Ansicht  ausgehend,  dafs  ein  solches  Gut  eine  Familie 
doch  nicht  vollständig  ernähren  könne ;  dafs  sie  dagegen  die  Dismem- 
bration von  Gütern  über  9  Hektar  in  der  Regel  nicht  genehmige  und 
nur  dann  eine  Ausnahme  mache,  wenn  es  sich  um  „unzweifelhaft  legitime 
Bedürfnisse,  z.  B.  Errichtung  von  Büdnerstellen"  handele.  Liege  aber 
ein  Gut  im  Umfange  von  mehr  als  9  Hektar  ganz  nahe  dem  städtischen 
Weichbilde  und  solle  es  zum  Zwecke  des  Häuserbaues  parzelliert  werden, 
so  werde  die  Erlaubnis  hierzu  fast  immer  erteilt;  es  komme  indessen  in 
diesem  Falle  (aber  auch  sonst  öfter)  vor,  dafs  an  eine  dispensationsweise 
genehmigte  Dismembration  die  Bedingung  geknüpft  werde :  ein  sich  quali- 
fizierender Teil  der  abgetrennten  Parzelle  solle  als  zur  Bebauung  mit 
Wirtschaftsgebäuden  geeignete  „Stammparzelle"  bezeichnet,  als  solche 
ausdrücklich  anerkannt  und  behandelt  werden. 

Bei  den  Beratungen  der  Bezirksausschüsse  findet  mündliches  Ver- 
fahren statt.  Nicht  selten  geschieht  es-,  dafs  vor  definitiver  Beschlufs- 
fassung  ein  Mitglied  autorisiert  wird ,  beim  Gemeindevorstand  oder  an 
anderen  Stellen  Erkundigungen  einzuziehen,  ob  wirklich  ein  Bedürfnis 
für  Dismembration  vorhanden  ist;  spekulative  Gutszertrümmerung  —  aufser 
zum  Häuserbau  in  der  Nähe  von  Städten  —  wird  zu  verhindern  gesucht. 

Nach  Ausweis  der  Ministerialakten  sind  in  den  Jahren  1868  bis 
1870  bei  den  4  Kreisdirektionen  (Zwickau,  Bautzen,  Dresden,  Leipzig) 
insgesamt  1500  Dismembrationsgesuche  eingereicht  worden,  von  denen 
929  bedingunglos,  530  bedingungsweise  genehmigt  und  nur  42  abgelehnt 
wurden. 

Aus  neuerer  Zeit  konnte  nur  ein  Teil  der  stattgefundenen  Dismem- 
brationen,  nicht  die  Gesamtzahl,  in  Erfahrung  gebracht  werden. 


von  den  bean- 

Amtshauptmannscbaften 

Jahr 

beantragt 

genehmigt 

verweigert  tragten  genehmigt 

in  0/0 

Dresden-Altstadt ,     Dresden- 

1884 

387 

360 

27 

93 

Neustadt ,  Dippoldiswalde, 

1885 

3H 

312 

12 

96,2 

Flöha,    Freiberg,    Glauchau, 

1886 

350 

334 

16 

95,4 

Grofsenhain,  Löbau,  Marien- 

1887 

363 

348 

15 

95.8 

berg,  Meifsen,  Oelsnitz,  Pirna, 

1888 

419 

404 

15 

96,4 

Zittau,  Zwickau 

1889 

502 

475 

27 

94,6 

1890 

486 

439 

47 

90,3 

1891 

469 

447 

22 

95,3 

Aus  diesen  Zahlen  ergiebt  sich,  dafs  fast  alle  —  mehr  als  9/l0  — 
der  Dismembrationsgesuche  genehmigt  wurden.  Diese  Genehmigung  ist 
indessen  keine  unbedingte  gewesen ;  es  wurden  z.  B.  bedingungsweise 
genehmigt  in  Einer  Amtshauptmannschaft  von  115  Gesuchen  40,  in  einer 
anderen  von  148  Gesuchen  31  '). 

Aus  den  über  die  Genehmigungen  mitgeteilten  Zahlen  dürfte  nicht  zu 


1)  Die  meisten  der  oben  genannten  Amtshauptmannscbaften   haben  über  das  Verhält- 
nis der  bedingten  zu  den  unbedingten  Genehmigungen  keine  Angaben  gemacht. 
Dritte  Folge  Bd.  Vm  (LXffl).  g 


32  Nationalökonomische   Gesetzgebung. 

schliefsen  sein,  dafs  beinahe  jeder,  der  dismembrieren  wollte,  auch  dis- 
membriert  hat,  vielmehr  dafs  im  allgemeinen  nur  solche  Gesuche  überhaupt 
eingereicht  wurden ,  bei  denen  die  Genehmigung  in  hohem  Mafse  wahr- 
scheinlich war.  Indessen  scheint  ein  erhebliches  Bedürfnis,  über  die 
erlaubte  Drittelabtrennung  hinauszugehen,  überhaupt    nicht  vorzuliegen. 

Zweifellos  wäre  es  für  die  vorliegende  Arbeit  sehr  wünschenswert 
gewesen,  die  sächsischen  Agrarverhältnisse  auch  statistisch  genau  ver- 
folgen zu  können,  insbesondere  dem  Gange  der  Grundbesitzverteilung,  wie 
sie  sich  unter  dem  Einflüsse  der  Dismembrationsgesetzgebung  gestaltet  hat, 
an  der  Hand  der  Statistik  nachzugehen.  Leider  ist  dies  nicht  möglich, 
weil  nur  wenige  agrarstatistische  Aufnahmen  vorhanden  und  diese  noch 
dazu  unter  einander  nicht  vergleichbar  sind  x). 

Im  Jahre  1853  wurden  im  Königreich  Sachsen  die  landwirtschaft- 
lichen Besitzgröfsen  nach  der  Fläche  —  zugleich  mit  dem  Viehstande  — 
ermittelt;  damals  existierten  129  870  Viehbesitzer  mit  Grundbesitz,  unter 
denen  sich  101240  befanden,  welche  mehr  als  0,5  Acker  (=  27,8  a) 
Boden  besafsen.     Es  umfafsten 

54,41   Proz.  aller  Besitzungen  weniger  als  2,7  7    ha 

17,58       „  ,,  „  zwischen   11,7   und  27,07     „ 

5.32       „  „  „  „  27,67    „      55.34     „ 

1,29   Proz.  aller  Besitzungen  enthielt  eine  gröfseie  Fläche  als  55,34   ha2). 

Bewirtschaftet  wurden 

weniger  als      3  Acker  von  45,37   Proz.  ] 

3 — 10  ,,         „     20,03       ,,  I    der  Wirtschaftsbesitzer    (Grund- 

10 — 100         „         ,,     33,31       „  |  besitzer  und  Pächter), 

über  100         „        „        1,29       „  I 

Wenn  man  diese  Zahlen  sieht,  so  müfste  man  meinen,  dafs  der  Klein- 
besitz in  Sachsen  weit  verbreitet  gewesen  ist;  dies  war  —  und  ist  —  in 
Wirklichkeit  in  solchem  Mafse  nicht  der  Fall,  weil  ein  grofser  Teil  der 
Besitzer  kleiner  Wirtschaften  den  ausschliefslich  Landwirtschaft  Treibenden 
nicht  zuzurechnen  ist.  Schliefst  man  die  kleinen  Grundstücke  —  bis  zu 
3  Acker  —  aus,  so  bildeten  hiernach  Gutswirtschaften   von 

der  Fläche  nach 
3 — 10  Acker  36,67   Proz.  der  Gesamtzahl     7,24   Proz. 
10—100     „       60,97       „       „  „  68,61       „ 

mehr  als  100     „         2,36       „       „  „  24.15       „ 

Der  bäuerliche  Mittelbesitz  war  also  der  vorwiegende  3). 

Die  Verteilung  des  landwirtschaftlichen  Grundbesitzes  unter  den 
Besitzern  von  10  Ackern  (==  5,5  ha)  und  darüber  war  im  Jahre  1877 
die  folgende  4): 


1)  Vgl.    auch    Wirminghaus,    Art.   Grundbesitz    (Statistik)    im    „Handwörterbuch    der 
Staatswissenschaften",  Bd.  IV  (Jena  1892),  S.   168  f. 

2)  Böhmert  in  der  „Zeitschrift  des  K.  Sachs.  Stat.  Bur."     Jahrg    1884,  H.  III  u.  IV, 
S.    133. 

3)  v.  Langsdorff,  Die  Landwirtschaft  im   Königreich   Sachsen   uud   ihre   Entwickelutig 
bis  einschliefsl.    1885  u.  s.  w.  (Dresden   1889),  S.  47  ff. 

4)  v.   Langsdorff  1.  c.  S.   50  ff. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


83 


Von     5,5  — 10    ha 

13  156 

„     10,1-25     „ 

22403 

„     25,1—50     „ 

7  356 

»     50-1  —  75     .1 

777 

„     75,1  —  100  „ 

221 

über   IOO  „ 

219 

im  Ganzen     44  132 

Verteilung  der  Grundsteuereinheiten  mit  120  (und  mehr)  nach  Art 
des  Besitzes: 

47366  bäuerliche  Besitzungen  mit  insgesamt  21859472,48   \     Steuer- 
966  Rittergüter  ,,  ,,  5912810,71   /   einheiten 

Natürlich  gehören  keineswegs  alle  Rittergüter  zu  den  gröfseren  Gütern 
und  umgekehrt  giebt  es  auch  bäuerliche  Güter  von  ziemlich  beträchtlichem 
Umfange:  die  Thatsache  aber,  dafs  die  Rittergüter  in  Bezug  auf  die 
Steuereinheiten  den  vierten  Teil  der  bäuerlichen  Güter  ausmachten,  deutet 
doch  auf  ein  Anwachsen  des  Umfanges  seit   1853  hin. 

Auch  nach  der  am  5.  Juni  1882  aufgenommenen  Statistik  der  land- 
wirtschaftlichen Betriebe  entfällt  die  überwiegende  Mehrzahl  auf  die  Be- 
triebsgröfse  von  5  bis  50  ha,  die  zusammen  73,92  Proz.  der  Betriebs- 
stellen und  72,24  Proz.  der  landwirtschaftlich  benutzten  Fläche  aus- 
machen; hiervon  tritt  wieder  die  Betriebsgröfse  von  10 — 20  ha  am 
meisten  hervor  (30,13  Proz.  der  Betriebsstellen  und  30,65  Proz.  der  Fläche). 
Von  der  Gesamtfläche  waren  139  482,2  ha  Pachtland  =  11,78  Proz.; 
dies  stellt  sich  im  einzelnen  folgendermafsen : 


Verhältnis  der  erpachteten 

Fläche  zum  Eigentum  in  Prozenten 

Von  je   100  vorhandenen  Wirtschaften  haben 

GröTse  des  Betriebes 

kein 
gepachtetes 

weniger 

mehr 

nur  gepachtetes 
Land 

Land 

als  die  Hälfte  gepachtetes  Land 

bis  zu  20  a 

64,49 

2,49 

8,02 

25,00 

20  a     „     ,,      1   ha 

49,7  7 

9)09 

26,53 

14. 61 

1    ha  „     „      2    „ 

57-27 

22,66 

16,36 

3,71 

2    „    „     „      5    „ 

6l, 84 

27,10 

9,48 

1,58 

5    „    „     „    20    „ 

80,4  0 

16, 09 

2,56 

0,95 

20    „    „     „    50    „ 

85,98 

II  54 

1,47 

1,01 

50    „    „     „100    „ 

69,35 

15,26 

4,84 

10,55 

100  und  darüber 

47,49 

11,61 

12,01 

28,89 

Insgesamt 

62,95 

13,53 

13,22 

10,30 

Günstig  ist  das  Verhältnis  bei  den  Wirtschaften  von  5  bis  zu  50  ha, 
d.  i.  bei  der  überwiegenden  "Wirtschaftsgröfse  der  mittel-  und  grofs- 
bäuerlichen  Besitzungen;  hier  ist  am  wenigsten  Land  erpachtet,  hier  ist 
das  Bedürfnis  sowohl  nach  dem  Hinzupachten  von  Land  als  auch  die 
Neigung  zum  Verpachten  am  geringsten.  Bei  gröfserer  Fläohe  ist  die 
Neigung,  durch  Verpachten  die  Bewirtschaftung  Anderen  zu  überlassen, 
ziemlich  stark  vorhanden.  Bei  kleiner  Fläche  —  z.  B.  2 — 5  ha,  d.  i. 
der  kleinbäuerliche  Besitz  —  tritt  das  Bedürfnis  nach  Vergröfserung  der 
Fläche  mittelst  Erpa'chtung  in  aufserordentlich  hohem  Mafse  hervor. 

6* 


g4  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Eine  Statistik  der  Zwangsversteigerungen  liegt  aus  den  Jahren 
1877—1879  (resp.  1858—1863)  vor1). 

Durchschnittliche  Haus-  und 

Fälle  pro  Jahr  Rittergüter  Bauerngüter  Weinberg  Feldgrundstücke 
1858—1863                   0,51                    32,67                    o  6o,50 

1877—1879  3,33  50,33  1  325,00 

Wenngleich  eine  erhebliche  Steigerung  ersichtlich  ist,  so  lassen  sich 
daraus  Schlüsse  auf  die  Wirkung  der  Dismembrationsgesetzgebung  doch 
wohl  nicht  ziehen. 

Angriffe  auf  die  Dismembrationsgesetzgebung  fanden  in  der  2. 
sächsischen  Kammer  von  1869 — 1882  2)  statt;  dieselben  werden  um  so 
verständlicher,  wenn  wir  einen  Blick  auf  die  Bodengesetzgebung  in 
Deutschland  seit   1848  werfen. 

Die  Ereignisse  des  Jahres  1848  brachten  in  mehreren  deutschen 
Ländern  die  im  Sinne  der  Bodenfreiheit  begonnenen  Reformen  zum  Ab- 
schlufs:  §  33  der  „Grundrechte  des  deutschen  Volkes"  hatte  prinzipiell 
die  unbeschränkte  Teilbarkeit  alles  Grundeigentums  festgestellt,  die  ver- 
mittelnde Durchführung  aber  den  Einzelstaaten  überlassen  (Anerkennung 
jenes  Grundsatzes  in  Preufsen  durch  die  Verfassungsurkunde  Art.  42). 
Zwar  hatte  die  politische  Reaktion  der  50er  Jahre  zu  lebhaften  Anläufen 
gegen  die  Bodenfreiheit  geführt  und  in  mehreren  deutschen  Staaten, 
namentlich  in  Bayern,  Württemberg  und  Hessen,  war  es  zu  (teilweise 
völlig  unfruchtbaren)  gesetzgeberischen  Versuchen  gekommen ,  allein  die 
ökonomisch-individualistische  Richtung  der  60er  und  70er  Jahre  bewirkte, 
dafs  in  Deutschland  die  Bodenfreiheit  weitere  Ausdehnung  fand :  Preufsen 
dehnte  den  in  der  Verfassung  anerkannten  Grundsatz  der  freien  Teilbar- 
keit auch  auf  die  neuen  Provinzen  aus,  die  Bodenfreiheit  gelangte  in 
Thüringen  in  mehreren  Staaten  zum  Durchbruch ,  in  Oldenburg  hörte 
(durch  3  Gesetze  vom  24.  April  1873)  die  Gebundenheit  des  Grund- 
eigentums (mit  einer  Ausnahme)  auf,  ebenso  in  Braunschweig  (durch 
das  Gesetz  vom  28.  März  1874).  Seit  den  80er  Jahren  sind  Tendenzen, 
welche  der  Bodenfreiheit  abgeneigt  sind,  gesetzgeberisch  mannigfach 
zum    Durchbruch   gekommen  (Höfegesetze  in  Preufsen  u.  a.  m.). 

Von  den  Einwendungen  gegen  die  Dismembrationsgesetzgebung  und 
den  gemachten  Reformvorschlägen ,  wie  sie  teils  in  den  Debatten  des 
sächsischen  Landtages,  teils  in  der  Litteratur  3)  zu  Tage  getreten  sind,  er- 


1)  v.  Studnitz  in  der  , Zeitschrift  des    K.   Sachs.  Stat.  Bur.",  Jahrg.  1880,  S.  169  ff. 

2)  Im  Jahre  1869  wurde  der  Antrag  Pfeiffer,  das  Dismembrationsgesetz  einer  Re- 
vision zu  unterwerfen  und  zu  erwägen,  ob  bezüglich  der  Teilbarkeit  Erleichterungen 
herbeizuführen  seien,  einstimmig  angenommen,  ebenso  wurde  der  auf  Aufhebung  des  Ge- 
setzes und  Einführung  der  freien  Teilbarkeit  gerichtete  Antrag  Krause  im  Jahre  1873 
mit  34  gegen  30,  im  Jahre  1876  mit  43  gegen  29  Stimmen  angenommen  (die  Aufhebung 
scheiterte  an  dem  Widerstände  der  Regierung);  ein  im  Jahre  1877  auf  Aufhebung  ge- 
stellter Antrag ,  den  Stephani  der  Staatsregierung  zur  Berücksichtigung  zu  überweisen 
beantragte,  wurde  mit  38  (gegen  37)  Stimmen  abgelehnt  und  ebenso  eine  im  Jahre 
1879  eingegangene  diesbezügliche  Petition  (gegen  1  Stimme).  Pfeiffer  nahm  im  Jahre 
1882  den  schon  1869  gestellten  Antrag  wieder  auf:  doch  wurde  er  dieses  Mal  mit  39 
(gegen  25)  Stimmen  abgelehnt.  Seitdem  hat  in  der  2.  sächsischen  Kammer  keine  Be- 
ratung   über    das  Gesetz  mehr  stattgefunden. 

3)  Vgl.  Rau,  Lehrbuch  der  politischen  Oekonomie,  Bd.  II,  5.  A.  (Leipz.  u.  Heidelb. 
1862)  §  81a;    Lette,    Die    Verteilung    des    Grundeigentums  im  Zusammenhange  mit  der 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  85 

scheinen  mir  die  folgenden  als  die  wichtigsten :  „Die  Grö'fse  der  Land- 
güter sei  so  überaus  verschieden,  dafs  z.  B.  das  eine  ohne  Nachteil  für 
die  Landeskultur  in  2  oder  3  gleiche  Teile  zerlegt  werden  könne,  während 
bei  einem  anderen  die  Abtrennung  eines  Drittels  schon  unratsam  er- 
scheine." 

Der  Einwand  richtet  sich  also  gegen  die  schematische  Fest- 
legung der  Abtrennungsmöglichkeit  und  ist  gewifs  ein  erheblicher.  Ueber- 
haupt  wäre  es  wohl  zweckmäfsiger ,  wenn  das  Gesetz  ausspräche  ,  dafs 
Gütchen  unter  einem  gewissen  Umfange  —  wie  er  etwa  für  die  Er- 
nährung einer  Familie  im  Durchschnitte  nötig  ist  —  frei  dismembriert 
werden  könnten.  In  dieser  Beziehung  ist  die  Aeufserung  eines  Bauern- 
gutsbesitzers Namens  Sünderhauf  bemerkenswert;  derselbe  hat  in  einer 
Schrift1)  behauptet,  dafs  im  Gebirge  und  im  Vogtlande  der  gröfsere 
Teil  der  geschlossenen  Bauerngüter  10 — 15  Acker  Areal  habe,  dafs  diese 
Fläche  schon  bei  Erlafs  des  Gesetzes  knapp  ausreichend  gewesen  sei  - — 
um  wieviel  mehr  müsse  eine  weitere  Abtrennung  die  Existenzmöglichkeit 
einer  Bauernfamilie  schmälern ! 

„Der  Zusammenschlagung  der  für  geschlossen  erklärten  Besitzungen 
sei  nicht  in  ausreichendem  Mafse  vorgebeugt  worden." 

Wie  bereits  oben  dargethan  wurde,  ist  allerdings  der  voll- 
kommenen (rechtlichen)  "Verschmelzung  („Konsolidation")  zu  Einem 
Gute  entgegengewirkt  worden,  aber  nicht  der  thatsächlichen  duroh 
gemeinsame  Bewirtschaftung  (infolge  Zusammenkaufes  u.  s.  w.).  Die  Auf- 
saugung des  kleinen  Grundeigentums  durch  das  grofse  ist  —  dies  zeigt 
uns  die  Latifundienbildung  in  Grofsbritannien  und  im  östlichen  Preufsen 
—  eine  gröfsere  volkswirtschaftliche  Kalamität  als  die  Bodenzersplitte- 
rung. Allerdings  wurde  —  und  wird  noch  jetzt  —  hiergegen  geltend 
gemacht,  dafs  in  Sachsen  die  Begründung  eines  grofsen  Grundeigentums 
sehr  schwierig  sei,  weil  die  Arbeitskräfte  teuer  und  die  sächsischen  Ritter- 
gutsbesitzer im  allgemeinen  nicht  sehr  reich  seien;  indessen  könnte  doch 
auch  dort  bei  steigender  Prosperität  der  Landwirtschaft  oder  bei  erheb- 
lichem Sinken  des  Zinsfufses  für  Leihkapital  die  Gefahr  der  Güter- 
agglomerierung  eintreten. 

Nun  pflegen  ja  die  Gemeinden  gegen  eine  vollkommene  Ver- 
schmelzung geschlossener  Güter  Front  zu  machen,  weil  sie  Wert  darauf 
legen,  dafs  (wegen  besserer  Verteilung  der  Einquartierungen  im  Kriegs- 
falle) die  Gebäudekomplexe  erhalten  bleiben;  hier  und  da  soll  aber  die  Ver- 
schmelzung genehmigt  werden.  Dagegen  kommen  Vereinigungen  durch 
Aufkauf  zum  Zwecke  gemeinsamer  Bewirtschaftung  sowohl  von  Bauern- 


Geschichte,  der  Gesetzgebung  und  den  Volkszuständen,  (Berlin  1858),  S.  96  f.  ;  Reuning, 
Mittel  und  Wege  zur  weiteren  Förderung  der  sächsischen  Landwirtschaft  (Dresden  1873), 
S.  7  ff.  ;  Röscher,  Einige  Betrachtungen  über  die  neuen  preufsischen  Gesetze  zur  Erhal- 
tung des  Bauernstandes,  in  „Nord  und  Süd",  Bd.  XXII  (Breslau  1882),  S.  333  f. ;  v. 
Miaskowski,  Das  Erbrecht  u.  s.  w.,  IL  Abthlg.  (Leipzig  1884),  S.  129  ff.;  v.  Langs- 
dorff.  Die  bäuerlichen  Verhältnisse  im  Königreich  Sachsen  in  den  „Schriften  des  Vereins 
für  Sozialpolitik",  Bd.  XXDI  (Leipzig  1883),  S.  208  ;  Derselbe,  Die  Landwirtschaft  u.  s.w., 
S.  77  ;  Buchenberger,  Agrarwesen  und  Agrarpolitik,   Bd.  I,   (Leipzig   1892),   S.   455. 

1)  Landwirtschaftliche     Zustände     und     das    Dismembrationsgesetz    im    Königreich 
Sachsen  (Plauen  1876),  S.  18  f. 


36  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

gütern  mit  anderen  Bauerngütern,  als  auch  (noch  mehr)  von  Rittergütern 
mit  Bauerngüter  vor  —  zwar  nicht  in  erheblichem,  aber  auch  nicht  in 
ganz  unbedeutendem  Mafse;  das  aufgekaufte  Gut  bleibt  ein  geschlossenes, 
es  behält  sein  Folium  im  Grundbuch  *). 

Durch  die  Bestimmungen  von  1865  ist  eine  Vereinigung  der  Güter 
zwar  erschwert,  auch  kann  sie  leichter  als  in  anderen  Ländern  infolge 
Verkaufs,  Erbgangs  u.  s.  w.  wieder  rückgängig  gemacht  werden  (weil 
die  Gebäude  stehen  bleiben):  die  Latifundienbildung  aber  ist  nicht  ge- 
hindert. Dem  Verbot  der  Parzellierung  würde  ein  Verbot  thatsäch- 
licher  Vereinigung  der  Güter  mittelst  gemeinsamer  Bewirtschaftung  ent- 
sprochen haben. 

„Es  sei  ein  Fehler,  dafs  man  nicht  verschiedene  Vorschriften  für  die 
Abtrennung  der  Parzellen  einerseits  der  Innen-,  andererseits  der  Aufson- 
flur  gegeben  und  auf  die  Abtrennung  der  Kulturart  keine  Rücksicht  ge- 
nommen habe." 

Es  wäre  wünschenswert,  dafs  die  walzende  Flur  möglichst  in  der 
Nähe  des  Dorfes  liege ,  weil  hier  die  Bedürfnisse  wegen  Abtrennungen 
zu  Bauten,  wirtschaftlichen  Zwecken ,  zur  Anlegung  von  Gärten  etc.  am 
stärksten  hervortreten  und  solche  Grundstücke  einen  relativ  hohen  Er- 
trags- und  Kaufwert  haben.  In  der  Innenfiur  ist  ein  dem  Gartenbau 
ähnlich  werdender  landwirtschaftlicher  Betrieb  naturgemäfser  als  in  der 
Aufsenflur,  wo  ein  gröfserer  landwirtschaftlicher  Betrieb  (mit  zahlreichem 
Vieh,  mit  Gespann,  mit  Maschinen  u.  s.  w.)  stattzufinden  pflegt.  Für 
die  Innenflur  sollte  daher  vollständige  Dismembrationsfreiheit  ausgesprochen 
werden. 

Ein  erheblicher  Teil  der  Holzungen  liegt  in  Blöfsen  oder  zeigt  nur 
eine  geringe  Produktionskraft;  um  diese  zu  steigern,  mufs  Vereinigung 
zu  gröfseren  Komplexen  stattfinden.  Wer  nun  dismembrieren  will,  wählt 
zuerst  das  landwirtschaftlich  nutzbare  (in  weit  höherem  Preise  als  Wald- 
boden stehende)  Areal:  eine  weitere  Abtrennung  ist  dann  zumeist  nicht 
mehr  gestattet.  Aus  diesem  Grunde  rechtfertigt  sich  eine  gesetzliche  Be- 
stimmung, dahin  gehend, 

dafs  Wald  und  Waldboden  bezüglich  seiner  Abtrennbarkeit  von 
einem  geschlossenen  Besitze,  sofern  er  mit  einem  anderen  Walde 
oder  Waldboden  zum  Zwecke  der  Hochkultur  vereinigt  (konsoli- 
diert) wird,  keiner  Beschränkung  betreffs  der  Drittelabtrennung 
unterworfen  sei. 

Zwei  Einwendungen  gegen  die  Dismembrationsgeeetzgebung,  die  aller- 
dings gegen  die  rechtliche  Gebundenheit  der  Landgüter  überhaupt  zu 
machen  sind,  erheischen  besondere  Beachtung :  einmal,  „dafs  die  hypothe- 
karische Verschuldung  eine  höhere  als  in  den  Ländern  der  freien  Teil- 
barkeit sei,  wo  im  Erbfalle  häufig  Naturalteilung  stattfinde"  und  zweitens, 
,,dafs  die  landwirtschaftliche  Bevölkerung  übermäfsig  in  die  Städte  und 
Industrie  gedrängt  werde". 


1)  Diesbezügliche  Zahlen  sind  nicht  zu  erhalten  gewesen,  weil  die  Statistik  darauf 
niemals  ihr  Augenmerk  gerichtet  hat;  doch  teilte  mir  ein  sächsischer  Rittergutsbesitzer 
selbst  mit,  dafs  er  zusammen  mit  seinem  Rittergute  und  von  demselben  aus  nicht  weniger 
als  5   Bauerngüter,   von  denen  jedes  ein  abgerundetes  Gut  bildet,  bewirtschafte! 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  37 

Die  hypothekarische  Verschuldung  der  Landgüter  in  Sachsen  ist  eine 
wesentlich  höhere  als  in  Süddeutschland,  absolut  eine  hohe ;  sie  ist  im 
Durchschnitte  anzunehmen  auf  annähernd  40  Proz.  des  Verkaufs  wertes 
und  steigt  in  einzelnen  Distrikten  bis  zu  50  Proz.1).  Allerdings  wird 
behauptet,  dafs  die  unzweifelhaft  stattgefundene  Zunahme  der  hypothe- 
karischen Belastung  nicht  höher  zu  veranschlagen  sei,  als  der  Preis- 
steigerung der  landwirtschaftlichen  Grundstücke  entspreche 2). 

Die  Bevölkerungszahl  sächsischer  Städte  hat  seit  Jahrzehnten  sich 
aufserordentlich  vermehrt.     Es  wohnten 

in   Städten  auf  dem  Lande 

1864        887894  Personen,     Zuwachs  1449298   Personen.     Zuwachs 

1885      1339879  »  50»9%  1839289  „  26,9  0/0 

Der  starke  Zuwachs  der  Städte,  der  überwiegend  den  gröfsten  der- 
selben zu  gute  kommt,  kann  aber  wohl  nicht  als  ein  hinreichender  Be- 
weis für  die  obige  Behauptung  angesehen  werden,  weil  die  Vermehrung 
auf  eine  erhebliche  Einwanderung  aus  anderen  deutschen  Staaten  sicher- 
lich zurückzuführen  ist. 

Dafs  in  Sachsen  unter  den  Berufszweigen  die  Industrie  in  unge- 
wöhnlicher Weise  überwiegt,  ist  eine  bekannte  Thatsache.  Unter  100  Ein- 
wohnern des  Deutschen  Reiches  gehörten  im  Jahre  1882  den  drei  Haupt- 
berufsklassen an 


der  Landwirtschaft 

der  Industrie 

dem  Handel 

42,51 

35.51 

10,02 

in  Sachsen  aber 

19,98 

56,5 

II, 97 

Selbst  in  der  Kheinprovinz,  welche  unter  den  deutschen  Territorien  in 
Bezug  auf  die  geringe  Zahl  der  in  der  Landwirtschaft  Thätigen  —  von 
Sachsen  und  den  freien  Städten  abgesehen  —  die  unterste  Stufe  ein- 
nimmt, ist  das  Verhältnis  folgendes : 

31,78  47.31  10,86 

Wenngleich  die  altbegründete  und  hohe  Industrieblüte  Sachsens  auf 
die  in  der  Landwirtschaft  Thätigen  eine  starke  Anziehungskraft  ohne 
Zweifel  ausgeübt  hat  und  noch  ausübt,  so  wird  man  doch  dem  Einwände, 
dafs  die  Dismembrationsgesetzgebung  mehr  als  notwendig  ist  die  Bevölke- 
rung in  die  Industrie  dränge,  eine  Berechtigung  zugestehen  müssen,  zu- 
mal wenn  wir  folgende  Thatsache  berücksichtigen:  im  Erbfalle  scheint 
meistens  Verkauf  an  Nicht-Familienangehörige  stattzufinden,  da 
die  Belastung  des  Grundbesitzes  mit  Erbhypotheken  eine  auffallend  ge- 
ringe ist :  in  den  Dörfern  nur  5,89  Proz.  der  Gesamtverschuldung3)! 

Noch  seien  zwei  Reformvorschläge  erwähnt:  es  würde  keinem  Be- 
denken unterliegen,  alle  diejenigen  Grundstücke,  welche  nach  der  Ab- 
trennung von  einem  Gute  zu  einem  anderen  geschlagen  und  mit 
diesem   konsolidiert    werden,     bei    dem    abzutrennenden    Drittel 


1)  v.  Langsdorff,  Die  Landwirtschaft  u.  s.  w.  S.   77. 

2)  v.  Langsdorff  in  den  „Schriften  des  Vereins  für  Sozialpolitik"  Bd.  XXIII,  S.  213. 

3)  Steglich   in    der  „Ztschr.    d.  K.  Sachs.    Stat.  Bureaus",    Jahrg.    XXXVIII  (1892) 
H.  1  u.  2,  S.  66  ff. 


$§  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

nicht  in  Rechnung  zu  bringen ;  ferner  sollten  die  bisher  bei  Abtrennungen 
über  das  gesetzliche  Mafs  (1/3)  geltenden  Ausnahmen  auch  auf  die  Ritter- 
güter ausgedehnt  werden ,  für  die  sie  (wie  bereits  oben  berührt  wurde) 
bisher  nicht  galten. 

II.    Sachsen-Altenburg. 

In  Sachsen-Altenburg,  wo  an  die  auf  ungeschmälerte  Erhaltung  der 
Bauerngüter  hinzielenden  Verordnungen  des  16.,  17.  und  18.  Jahr- 
hunderts x)  diejenigen  des  19.  Jahrhunderts  anknüpfen  (1825,  1828,  1840, 
1847,  1851  und  1853)  ist  jetzt  geltendes  Recht  das  Gesetz  vom  9.  April 
1857  (nebst  Ergänzung  vom  16.  Dezember  1867),  erlassen  „zum  Behuf 
der  Erhaltung  eines  geschlossenen  Grundbesitzes  und  der  Verhütung  einer 
dem  Gemeinwohl  nachteiligen  Bodenzersplitterung".  Es  waren  nämlich 
seit  dem  Jahre  1848  (wohl  infolge  des  oben  erwähnten  §  33  der 
„Grundrechte  des  deutschen  Volkes")  eine  liberale  Gewährung  der  Parzel- 
lierungskonsense, ja  zeitweise  die  Sistierung  der  Dismembrationsbeschrän- 
kungeu,  vorausgegangen;  es  wird  behauptet  —  eine  Behauptung,  deren 
Richtigkeit  zu  kontrollieren  ich  nicht  in  der  Lage  bin  — ,  dafs  die  Auf- 
saugung des  ohnehin  schon  spärlichen  Kleinbesitzes  durch  die  gröfseren 
(auch  bäuerlichen)  Eigentümer  die  Folge  gewesen  sei  8). 

Zerschlagung  von  Gütern  und  sonstigen  geschlossenen  Grundstücks- 
komplexen sowie  Abtrennungen  von  solchen  bedürfen  nach  dem  Gesetze 
vom  9.  April  1857  seitens  der  Landesregierung  der  vorgängigen  Ge- 
nehmigung ;  dieselbe  ist  zu  versagen ,  wenn  es  der  Zweck  des  Gesetzes 
erheischt,  namentlich  dann,  wenn  das  fragliche  Gut  in  seiner  Wirt- 
schaftsweise eine  wesentliche  Veränderung  erleiden  (z.  B.  aus  einem  „An- 
spanngute" ein  „Handgut"  werden)  würde  oder  der  Verdacht  beab- 
sichtigter Gutsschlächterei  vorliegt.  Auch  bei  einem  walzenden,  in 
einer  ländlichen  Flur  gelegenen  Grundstücke  ist  Zerteilung  in  Parzellen 
von  weniger  als  i/g  Acker  ohue  Genehmigung  der  Landesregierung  un- 
zulässig —  aufser  in  einzelnen  besonders  genannten  Fällen :  beim  Aus- 
tausche behufs  Zusammenlegungen,  dann,  wenn  ein  gleich  grofses  walzen- 
des Grundstück  hinzugeschlagen  wird  oder  infolge  von  Expropriation  eine 
Abtrennung  stattfindet,  ferner  zur  Erweiterung  des  nachbarlichen  Hof- 
raums, zur  Anlage  von  Be-  resp.  Entwässerungen  oder  eines  Privatwegs, 
endlich  zu  Flufsregulierungen. 

Abgesehen  von  dem  Fundamentalunterschiede  der  fast  vollkommenen 
Geschlossenheit  unterscheidet  sich  die  Sachsen  -  alteuburgische  von  der 
sächsischen  Gesetzgebung  auch  in  einigen  Nebenpunkten :  Dafs  die  Zer- 
schlagung geschlossener  Komplexe  an  die  vorgängige  Genehmigung  der 
Landesregierung  geknüpft  ist,  mag  in  der  Kleinheit  des  Landes 
seine  Erklärung  finden,  immerhin  bleibt  es  ein  Nachteil,    dafs  im  Gegen- 


4)  Vgl.  u.  a.  Kresse,  Geschichte  der  Landwirtschaft  des  Altenburgischen  Oster- 
landes  (Altenburg  1846),  S.  95  ff.;  Lobe,  Geschichte  der  Landwirtschaft  im  Alt. 
Osterl.  (Leipzig  1845),  S.  15. 

1)  Schütte,  Die  Zusammenlegung  der  Grundstücke  u.  s.  w.  (Leipzig  1886), 
3.  Abtig.,  S.  170,  Anm.  4. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  39 

satze  zu  Sachsen  die  Möglichkeit  der  Appellation  fehlt;  auch  ist  es  nicht 
zweckmäfsig ,  dafs  das  altenburgische  Gesetz  einen  Fall  ausdrücklich 
nennt,  in  welchem  die  Genehmigung  zu  versagen  ist. 

Durch  diese  Gesetzgebung  ist  —  allerdings  in  Verbindung  mit  der 
Vererbungssitte  des  Minorats  —  namentlich  im  Ostkreise  ein  kräftiger 
Bauernstand  erhalten  worden,  während  im  Westkreise,  wo  mehr  walzende 
Grundstücke  vorhanden  sind  und  vielfach  bei  Erbteilungen  Fläehen- 
abtrennungen  stattgefunden  haben ,  der  Kleinbauernstand  vorwiegend 
wurde  *). 

Es  gab  in  Sachsen- Altenburg  landwirtschaftliche  Betriebe  2) : 

Parzellenbesitz      (unter  2  ha)  9744  das  sind  60,1  Proz.  mit  5  863   ha  das  sind   5,5  Proz. 

Kleinbauern               (2 — 5  ha)  2149  „  ,,      13,2  „  „     9H4     „      „       n     8,5       „ 

Mittelbauern             (5 — 20  ha)  321 1  ,,  ,,      19,8  „        ,,  43364   ,,     „        „  40,5       „ 

Grofsbauern          (20—100  ha)    1063  ,.  „        6,6  „       „   40  174  „     „        ,,  37,6       „ 

Grofsgrundbesitz  (über  100  ha)       41  ,,  „       0,3  „        ,,     8409  „     „       „     7,9       ,, 

16208  IOO                    106924                      100 

Unzweifelhaft  hat  die  Geschlossenheit  der  Landgüter  viel  dazu  bei- 
getragen ,  dafs  sich  im  altenburgischen  Ostkreise  die  (noch  heute  be- 
stehende) Sitte,  das  Gut  dem  jüngsten  Sohne  oder  der  jüngsten  Tochter 
zu  vererben  und  die  anderen  Kinder  bar  abzufinden,  so  lange  erhalten 
hat.  Hierüber  (wie  über  die  Geschlossenheit  überhaupt)  sprach  sich  vor 
50  Jahren  Georg  Hanssen  sehr  anerkennend  aus ;  er  sagte  3)  (die  Be- 
deutung dieses  Gelehrten  dürfte  eine  etwas  ausführliche  Wiedergabe  seiner 
Anschauungen  rechtfertigen):  „Die  altenburgische  Regierung  hat  sich 
glücklicherweise  noch  nicht  zur  freien  Teilbarkeit  des  Bodens  bekehren 
lassen Der  Altenburger  Bauernstand  ist  durch  seine  Wohl- 
habenheit in  ganz  Deutschland  berühmt Auch  die  eifrigsten  An- 
hänger der  freien  Teilbarkeit  des  Grundbesitzes  werden  nicht  in  Abrede 
stellen  können,  dafs  diese  günstige  Erscheinung,  wenn  nicht  ausschliefs- 
lich,  so  doch  neben  anderen  Ursachen  der  Gütergeschlossenheit  mit  zu- 
geschrieben werden  müsse;  sie  behaupten  aber,  dafs  derselben  über- 
wiegende Nachteile  gegenüberstünden,  indem  die  Begünstigung  des  einen 
Kindes  den  Neid  und  Hafs  der  übrigen  errege  und  somit  zur  Auflösung 
der  Familienbande  führe,  die  zurückgesetzten  Geschwister  zum  Teil  dem 
Elende  und  der  abhängigsten  Lage  preisgebe  und  jedenfalls  einen  über- 
mäfsigen  Andrang    zu    anderen  Gewerbeu    und    in    die    Städte    veranlasse. 

Diese  Voraussetzungen    treffen    aber   für  Altenburg  keineswegs  zu 

Erwerben  die  Brüder  nicht  Landstellen  durch  Verheiratung  mit  Töchtern 
reicher  Bauern  oder  haben  sie  sich  nicht  einem  Handwerke  oder  dem 
Handel  u.  s.  w.  zugewandt,  bleiben  die  Schwestern  unverehelicht,  weil 
sich  passende  Partien  für  sie  nicht  ergeben,  nun,  so  bleibt  ihnen  immer 
noch  das  väterliche  (jetzt  brüderliche)  Haus  als  letzte  Zuflucht,  wo  sie 
dem  Bruder  nicht  einmal  zur  Last  fallen ,  sondern  mit  den  Zinsen  ihres 
Erbanteils  ihre  Geldausgaben  deckend,  den  Unterhalt  durch  Hilfeleistungen 


1)  Seifert,  Die  Landwirtschaft  im  Herzogtum  Altenburg  (Altenburg   1886),  S.   23. 

2)  Statistik  des  Deutschen  Reiches  N.   F.  Bd.  V  (Berlin   1885),  S.   24   ff. 

3)  Amtlicher    Bericht   über    die    VII.  Versammlung    deutscher  Land-    und  Forstwirte 
zu  Altenburg  im  September  1843  (Altenburg  1844),  S.  250  ff. 


90  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

in  der  Wirtschaft  verdienen.  Dafs  aber  die  unverheirateten  und  nicht 
zu  anderen  Gewerben  übergegangenen  Geschwister  ein  solches  patriarcha- 
lisches Verhältnis  dem  Dienste  bei  fremden  Leuten  vorziehen,  ist  gerade 
ein  Beweis,  wie  unrichtig  die  Meinung  ist,  dafs  der  Hoferbe  ein  Gegen- 
stand des  Hasses  von  seiten  seiner  Geschwister  sei.  Diese  sind  selber 
von  der  Notwendigkeit  überzeugt,  dafs  sie  als  Einzelne  Opfer  bringen 
müssen ,  um  die  Familie ,  das  Stammhaus ,  als  ein  Ganzes  zu  erhalten. 
Nicht  unterwerfen  sie  sich  stumpfsinnig  und  gezwungen  einem  aufge- 
drungenen Gesetze  und  Verwaltungsverfahren,    sondern  sie  resignieren  mit 

Bewufstsein,    und    dem    Gesetze    steht „die  Sitte    erleichternd 

zur  Seite".  Dies  ist  ein  Umstand,  den  die  Gegner  der  Hufengeschloasen- 
heit  gewöhnlich  ignorieren ,    obgleich    er   über  das  Altenburgische  hinaus 

allgemeine  Giltigkeit  hat " 

Allein  seit  dem  Jahre  1843  hat  auch  in  Sachsen-Altenburg  manches 
sich  geändert.  Damals  fand  eine  starke  Bevorzugung  des  Anerben  viel- 
fach statt;  beispielsweise  ist  es  vorgekommeu,  dafs  ein  Erbe  ein  Gut  im 
Werte  von  3000  Thalern  für  die  Hälfte ,  ein  anderer  eines  im  Werte 
von  15000  Thalern  sogar  für  (000  Thaler  übernahm.  Diese  starke  Be- 
vorzugung des  Anerben  ist  jetzt,  bei  entwickeltem  Gleichheitsgefühl, 
gänzlich  geschwunden;  eine  gewisse,  nicht  gerade  bedeutende  Bevor- 
zugung kommt  natürlich  da  und  dort  vor,  noch  öfter  aber  findet 
eine  Begünstigung  des  Anerben  nicht  mehr  statt.  Das 
frühere  Verhältnis,  dafs  die  unverheirateten  Geschwister  auf  dem  brüder- 
lichen Hofe  bleiben  u.  s.  w. ,  kommt  zwar  auch  heute  noch  zuweilen 
vor,  im  wesentlichen  aber  ist  es  völlig  verschwunden:  die  Geschwister 
zeigen  jetzt  zum  Dienen  auf  dem  Hofe  keine  Neigung  mehr,  (die  dort 
Bleibenden  sind  meist  schwächlich  oder  verkrüppelt),  sie  wenden  sich 
anderen  Berufsarten  zu  und  erhalten,  wenn  irgend  möglich,  die  Erbteile 
in  bar  ausgezahlt  *).  Dadurch  ist  naturgemäfs  eine  beträchtlichere  Ver- 
schuldung der  Güter  eingetreten  2),  ja  bei  den  Bauerngütern  fand  seit  30 
Jahren  eine  rapid  steigende  hypothekarische  Belastung  statt,  wie  sich  aus 
nachfolgender,  die  Verteilung  der  Hypothekenkapitalien  bei  der  Alten- 
burger  Landesbank  darstellenden  Tabelle  3)  ergiebt: 

Rittergüter  Mark   (ohne  Pf.)  andere  geschlossene  Güter 
1858                8  466  807  6  304  886 

1868  12383248  13769808 

1878  14326323  21800806 

1888  13  083  441  38210930 

III.  Württemberg. 

In  Württemberg  war ,  wie  bereits  oben  erwähnt  wurde ,  den 
Israeliten  im  Jahre  1828  jede  Teilnahme  am  Güterverkehr  als  Mäkler, 
Bevollmächtigte    u.  s.  w.    verboten;    ein    erkauftes  Gut    sollte    ein  Israelit 


1)  Persönliche  Erkundigungen. 

2)  Vgl.  Volger,    Die  Altenburger  Bauern    u.  s.  w.  |(Altenburg    1890),  S.   22;    Geyer 
im  „Globus"  Bd.   LXI,   Nr.  11   (1892). 

3)  Hecht,  Die  Organisation  des  Bodenkredits   u.  s.  w.  I.  Abt.   Bd.  I.  (Leipzig    1891), 
S.  494    f. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  91 

erst  wieder  verkaufen  oder  verpachten  dürfen ,  nachdem  er  es  3  Jahre 
lang  selbst  bewirtschaftet  hatte.  Trotzdem  griff  der  Güterhandel  zum 
Zwecke  der  Zerstückelung  immer  weiter  um  sich ,  weil  sich  desselben 
nunmehr  christliche  Spekulanten  bemächtigten  1). 

Als  —  namentlich  in  Folge  von  Mifsernten  —  Ende  der 
40er  und  Anfangs  der  50er  Jahre  innerhalb  der  ländlichen  Bevölkerung 
sehr  ungünstige  wirtschaftliche  Zustände  eintraten  * ) ,  wurde  das  — 
noch  gegenwärtig  in  Geltung  stehende  —  Gesetz  vom  23.  Juni  1853  er- 
lassen „betreffend  die  Beseitigung  der  bei  Liegensehaftsveräufserungen 
und  insbesondere  bei  der  Zerstückelung  von  Bauerngütern  vorkommenden 
Alifsbräuche". 

Während  es  früher  zur  Giltigkeit  der  Verträge  der  schriftlichen  Ab- 
fassung nicht  bedurfte,  verlangt  das  Gesetz  Schriftlichkeit  aller  Kauf-  und 
Tauschverträge,  welche  Gebäude  oder  Grundstücke  zum  Gegenstande 
haben  ;  die  Kauf-  oder  Tauschvertragsurkunde  mufs  die  Namen  der  Kon- 
trahenten ,  die  Bezeichnung  der  Vertragsgegenstände ,  den  Betrag  des 
Kaufschillings,  den  Ort  und  Tag  des  Vertragsabschlusses  enthalten. 

Werden  Grundstücke  versteigert,  so  mufs  dieses  unter  Leitung  des 
Bezirksnotars ,  Ortsvorstehers  oder  Ratschreibers  und  unter  Beiziehung 
eines  Gemeinderatsmitgliedes  —  nur  zur  Tageszeit,  nicht  an  Sonn-  und 
Festtagen  —  auf  dem  Rathause  oder  in  dem  für  die  Vornahme  obrigkeit- 
licher Verhandlungen  sonst  bestimmten  Lokale  vor  sich  gehen.  Verboten 
ist  die  Zusicherung  von  Geld  oder  Geldeswert  an  die  bei  der  Versteige- 
rungsverhandlung sich  Beteiligenden,  ebenso  die  Verabreichung  von 
Speisen  und  Getränken  in  dem  Versteigerungslokale  (resp.  in  den  benach- 
barten Gelassen)  vor  und  während  der  Verhandlung. 

Bei  allen  Liegenschaftsverkäufen  ist  eine  Uebereinkunft  unstatthaft 
und  unverbindlich,  welche  dahin  geht,  dafs  der  Verkäufer  für  einen  be- 
stimmten Erlös  aus  dem  Kaufgegen stände  Garantie  leiste  oder  dafs  er 
sich  gefallen  lassen  müsse ,  auf  die  beim  Wiederverkauf  zu  bedingenden 
Kaufschillingszieler  verwiesen  zu  werden  oder  dafs  er  eins  oder  mehrere 
Stücke  des  Verkauften,  falls  es  nicht  wieder  verkauft  werden  kann,  zu 
einem  bestimmten  Preise  zurücknehmen   müsse. 

Werden  ein  oder  mehrere  Grundstücke  im  Flächengehalte  von 
wenigstens  10  Morgen  aus  Einer  Hand  verkauft,  so  gelten  (aufser  den 
früheren)  die  Bestimmungen  —  den  Exekutionsverkauf  ausgenommen  — 
dafs  die  auszufertigende  Vertragsurkunde  von  dem  betreffenden  Bezirks- 
notar u.  8.  w.  (im  Versteigerungsfalle  von  dem  beigezogenen  Gemeinde- 
ratsmitgliede)  unter  der  Beurkundung  mit  unterzeichnet  werde,  dafs  beide 
Teile  den  Inhalt  derselben  als  richtig  anerkannt  haben,  dafs  die  gesetz- 
liche Dauer  der  Reuzeit  durch  Verzicht  nur  bis  auf  drei  Tage  vom  Em- 
pfange der  Urkunde  an  beschränkt  werden  darf,  dafs  aufser  den  gesetz- 
lichen Abgaben    resp.    tarifmäfsigen   Gebühren    den   anderen  Kontrahenten 


1)  Vgl.  Fallati,  Ein  Beitrag  aus  Württemberg  zu  der  Frage  vom  freien  Verkehr 
mit  Grund  und  Boden,  in  der  Tüb.  „Ztschr.  f.  d.  ges.  Staats  Wissenschaft",  Jahrg.  1845 
(Bd.  II).  S.  325  ff. 

2)  Vgl.  Helferich,  Studien  über  Württembergische  Agrarverhältnisse  ibid.  Jahr- 
gang   1853,  S.  242  ff. 


92  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

unter  keinerlei  Namen  und  Vorwand  Nebenkosten ,  wie  Trinkgeld ,  Pro- 
vision, Zehrungsaufwand  u.  dergl.  abbedungen  werden ;  das  Gegebene  kann 
event.   zurückgefordert  werden. 

Gegen  den  gewerbsmäfsigen  Grundstückshandel  ist  folgende  Bestim- 
mung gerichtet:  „Wer  ein  Grundstück  (oder  mehrere)  im  Flächengehalte 
von  wenigstens  10  Morgen  aus  einer  Hand  durch  einen  Kauf-  oder  Tausch- 
vertrag erwirbt,  darf  diese  Liegenschaft  nur  im  Ganzen  oder  nicht  mehr 
als  den  vierten  Teil  davon  verkaufen,  aufser  wenn  er  dieselbe  schon 
mindestens  3  Jahre  im  Besitz  gehabt  hat"  (Art.  XI).  Doch  werden  fol- 
gende Ausnahmen  zugestanden :  1)  bei  denjenigen  Grundstücken ,  die 
jemand  als  Gläubiger  oder  dessen  Bürge  im  Gant  (resp.  im  Wege  der 
gerichtlichen  Exekution)  lediglich  in  der  Absicht  erworben  hat,  um  hier- 
durch zur  Befriedigung  einer  —  nicht  erst  nach  der  Anzeige  der  Ueber- 
schuldung  oder  naoh  der  Anordnung  der  Vermögensuntersuchung  oder 
während  des  Exekutionsverfahrens  an  sich  gebrachten  —  Forderung  zu 
gelangen ;  2)  wenn  der  Wiederverkauf  von  der  Exekutionsbehörde  ange- 
ordnet wurde;  3)  bei  Abtretung  von  Grundeigentum  für  Staats-  oder 
Körperschaftszwecke;  4)  bei  Rückveräufserungen  behufs  Teilung  eines 
Gutes  zwischen  Miterben,  sowie  bei  Abtretung  einzelner  Grundstücke 
seitens  der  Eltern  an  ihre  Kinder;  5)  mit  besonderer  Genehmigung  der 
Kreisregierung,  welche  die  Erlaubnis  dann  nicht  verweigern  wird,  wenn 
der  stückweise  Wiederverkauf  nach  der  Persönlichkeit  und  den  Verhält- 
nissen des  Eigentümers  als  eine  Handelsspekulation  sich  nicht  darstellt 
oder  wenn  er  nach  den  besonderen  Verhältnissen  der  Gemeinde  als  vor- 
teilhaft erscheint. 

Verbotene  Stückverkäufe  sind  ungiltig  und  dürfen  in  die  öffentlichen 
Bücher  nicht  eingetragen  werden. 

Neben  den  privatrechtlichen  Folgen  der  Uebertretung  tritt  für  die- 
jenigen Beteiligten,  welchen  ein  Versäumnis  zur  Last  fällt,  Geldstrafe  bis 
zu  50  Gulden  und  nach  Umständen  zugleich  Gefängnisstrafe  bis  zu  14  Tagen 
ein.  Wer  jedoch  die  verbotene  Veräufserung  gewerbsmäfsig  betreibt,  ebenso 
wer  solchen  Unternehmungen  als  Zwischenhändler  oder  in  irgend  einer 
anderen  Weise  gewerbsmäfsig  Vorschub  leistet ,  soll  mit  Gefängnis  bis 
zu  3  Monaten  und  mit  Geldbufse  bis  zu  500  Gulden  bestraft  werden.  Zur 
Erkennung  der  vorstehenden  Strafen  sind  die  Polizeibehörden  zuständig  ; 
die  Geldstrafen  fallen  in  die  Armenkasse  der  Gemeinde  der  gelegenen 
Sache.  In  allen  bezeichneten  Uebertretungsfällen  sind  die  Oberämter  von 
Amts  wegen  einzuschreiten  verpflichtet. 

Es  ist  späterhin  behauptet  worden,  dafs  die  Verwaltung  einer  zu 
schwierigen  Aufgabe  gegenübergestellt  worden  sei  und  ^dieselbe  nicht 
gelöst  habe  x). 

Während  das  in  Bede  stehende  Gesetz  in  der  ersten  Zeit  seines 
Bestehens 2)  —  wohl  unter  dem  Eindrucke  der  Neuheit  seiner  Bestim- 
mungen —  durch  die  Behörden  energisch  gehandhabt  wurde,  kam  es  im 

1)  Prof.  Heitz  (Hohenheim)  in  den    , .Schriften  des  Vereins  für  Sozialpolitik",  Bd.  XXIV 
(Leipzig   1883),  S.  214. 

2)  Das  Folgende  nach  den  Akten  der  Württembergischen  Centralstelle  für  die  Land- 
wirtschaft. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  93 

sechsten  Jahrzehnt  bei  den  günstigen  landwirtschaftlichen  Verhältnissen 
weniger  zur  Anwendung.  Seit  Beginn  der  siebziger  Jahre  ertönten  wieder 
häufiger  und  lauter  die  früheren  Klagen  über  die  zunehmende  Güter- 
schlächterei. Einerseits  verstanden  es  nämlich  die  Güterhändler  in  steigen- 
dem Mafse,  ihre  Transaktionen  in  eine  durch  die  Bestimmungen  des  Gesetzes 
nicht  angreifbare  Form  zu  kleiden,  indem  sie  (zum  Schein)  als  Bevoll- 
mächtigte des  Eigentümers  auftraten  dem  sie  entweder  Garantie  für  eine 
bestimmte  Verkaufssumme  leisteten  und  den  Mehrerlös  einstrichen  oder 
eine  bestimmte  Provision  aus  dem  Erlöse  für  sich  beanspruchten;  anderer- 
seits nahmen  die  mit  der  Handhabung  des  Gesetzes  betrauten  Behörden 
die  im  Art.  XI  Ziff.  5  aufgestellten  Voraussetzungen  als  zutreffend  an, 
wenn  eine  das  Vorhandensein  dieser  Voraussetzungen  bestätigende  Aeufse- 
ruug  der  Gemeindebehörde  vorgelegt  werden  konnte:  letztere  aber  war 
mit  dem  Erteilen  sehr  freigebig,  zuweilen  auch  durch  die  Güterhändler 
beeinflufst.  In  den  10  Jahren  1878 — 1887  gingen  bei  den  vier  Kreis- 
regierungen 1767  Gesuche  zur  stückweisen  Wiederveräufserung  von  — 
aus  Einer  Hand  erworbenen  —  Grundstücken  im  Flächengehalte  von  10 
oder  mehr  Morgen  ein;  nur  72,  d.  h.  ungefähr  4  Proz.,  wurden  abgelehnt, 
alle  übrigen  aber  genehmigt. 

Am  28.  März  1888  erging  seitens  des  Ministeriums  des  Innern  ein 
Erlafs  an  die  Kreisregierungen :  Zwar  sei  bekannt ,  dafs  Umgehungen  des 
im  Art.  XI  Abs.  1  ausgesprocheneu  Verbotes  häufig  vorkämen  und  in 
vielen  Fällen  der  Entdeckung  wie  strafrechtlichen  Verfolgung  sich  ent- 
zögen, auch  verkenne  man  nicht,  dafs  bei  strengerer  Handhabung  des 
Verbotes  die  Vermehrung  der  Fälle,  in  denen  es  umgangen  werde,  zu 
befürchten  sei;  gleichwohl  aber  gebe  das  Gesetz  den  Behörden  ein  nicht 
zu  unterschätzendes  Beschränkungsmittel  gegen  den  gewerbsmäfsigen  Güter- 
handel und  gegen  die  aus  diesem  sich  entwickelnde  beklagenswerte  Be- 
wucherung  der  kleinbäuerlichen  Bevölkerung  in  die  Hand,  mindestens 
diene  die  Aufrechterhaltung  des  Verbotes  dazu,  das  Dazwischentreten  des 
gewerbsmäfsigen  Güterhändlers,  das  die  ohnehin  zu  hohen  Güterpreise 
zum  Nachteile  der  Rentabilität  des  landwirtschaftlichen  Betriebes  noch 
mehr  verteuere ,  hintanzuhalten  und  so  die  Sitte,  im  Liegenschaftskauf- 
verkehr einer  fremden  Vermittelung  sich  nicht  zu  bedienen,  da,  wo 
sie  noch  bestehe,  zu  stützen  und  zu  kräftigen.  Die  Kreisregierungen  sollten 
den  Dispensationen  nicht  eine  Ausdehuung  geben,  die  einer  Aufhebung 
des  Verbotes  gleichkomme ;  die  Dispensationsgesuche  seien  folgendermafsen 
zu  behandeln:  1)  In  denjenigen  Fällen,  in  welchen  die  Erlaubnis  zum 
alsbaldigen  stückweisen  Wiederverkauf  der  erworbenen  Liegenschaft  unter 
Berufung  darauf  nachgesucht  wird,  dafs  diese  Wiederveräufserung  nach 
den  besonderen  Verhältnissen  für  die  Gemeinde  vorteilhaft  sei,  ist  für 
das  in  diesem  Sinne  sich  aussprechende  Zeugnis  des  Gemeinderats  (dessen 
Wortlaut  häufig  von  den  Beteiligten  selbst  verfafst  ist)  eine  eingehende 
thatsächliche  Begründung  zu  verlangen.  Als  solche  ist  der  (gleichfalls 
zumeist  von  dem  Gesuchsteller  beschaffte)  Nachweis,  dafs  für  den  atück- 
weisen  Wiederverkauf  Kaufliebhaber  vorhanden  seien,  für  genügend  nicht 
zu  erachten ;  denn  diese  Thatsache,  ohne  die  ja  das  Gesuch  gegenstandslos 
wäre,  ist  für  die  Frage,  ob  der  stückweise  Wiederverkauf  für  die  Gemeinde 


Q4  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

von  Vorteil  sei ,  nicht  von  ausschlaggebender  Bedeutung :  diese  Frage  ist 
nicht  auf  der  Grundlage  des  wirklichen  oder  vermeintlichen  Interesses 
des  Verkäufers  oder  einzelner  Gemeindeangehörigen ,  sondern  —  wie  aus 
der  Entstehungsgeschichte  jener  Gesetzesvorschrift  erhellt  —  vorherrschend 
unter  dem  Gesichtspunkte  des  wahren  Wohls  der  Gemeinde,  also  der 
Gesamtheit,  zu  entscheiden. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  wird  sich  in  vielen  Fällen  eine  ab- 
weisende Entschliefsung  schon  durch  die  nach  der  Persönlichkeit  des 
Gesuchstellers  begründete  Erwägung  ergeben,  dafs  es  der  Gemeinde  zum 
Nachteil  gereiche,  mit  der  Zulassung  einer  Güterzerstückelung  einen  An- 
knüpfungspunkt für  die  wucherliche  Ausbeutung  und  den  daraus  hervor- 
gehenden wirtschaftlichen  Ruin  der  Gemeindeangehörigen  zu  schaffen. 
Gegenüber  dieser  Befürchtung  ist  anderweitigen  Erwägungen  zu  Gunsten 
des  Gesuches  ein  bestimmender  Einfiufs  regelmäfsig  nicht  zu  gestatten  ;  na- 
mentlich ist  in  Fällen  dieser  Art  auf  die  fast  in  allen  Gesuchen  anzutref- 
fende Behauptung,  dafs  nach  den  bestehenden  Verhältnissen  der  Bodeu- 
besitzverteilung  die  durch  die  beabsichtigte  Gutszerstückelung  dargebotene 
Gelegenheit  zum  parzellenweisen  Gütererwerb  erwünscht  und  nützlich  sei, 
ein  entscheidendes  Gewicht  um  so  weniger  zu  legen,  als  ja  auch  dann, 
wenn  dem  Erwerber  die  Erlaubnis  zum  stückweisen  Wiederverkauf  ver- 
sagt wird,  den  Kaufliebhabern  die  Kaufgelegenheit  nicht  entgeht,  sondern 
nur  um  3   Jahre  hinausgeschoben  wird. 

2)  Um  eine  gleichmäfsigere  Behandlung  der  Dispensationsgesuche  zu 
ermöglichen,  werden  die  Kreisregierungen  angewiesen,  in  den  im  Eingang 
■von  Ziff.  1  bezeichneten  Fällen ,  bei  welchen  sie  nicht  schon  auf  Grund 
des  Inhalts  der  von  dem  Oberamt  vorgelegten  Akten  zu  einer  abweisen- 
den Entscheidung  gelangen,  regelmäfsig  eine  gutachtliche  Aeufserung  der 
Centralstelle  für  die  Landwirtschaft  über  die  Frage  einzuholen,  ob  der 
sofortige  stückweise  Wiederverkauf  nach  den  besonderen  —  erforder- 
lichenfalls von  ihr  vorher  zu  erhebenden  —  Verhältnissen  der  Gemeinde 
vorteilhaft  sei. 

3)  Gegen  Orts  Vorsteher,  Gemeinderatsmitglieder  und  andere  Gemeinde- 
beamte ,  die  in  eigennütziger  Weise  und  zum  Nachteil  der  Gemeinde- 
angehörigen der  Güterschlächterei  mittelbaren  oder  unmittelbaren  Vor- 
schub leisten,  ist  von  Dienstaufsichts  wegen  ernstlich  vorzugehen. 

4) Auch    haben    die    Kreisregierungen    in    allen    Fällen ,     in 

denen  von  ihnen  die  Erlaubnis  zur  stückweisen  Wiederveräufserung  ver- 
sagt wird,  von  Zeit  zu  Zeit  Erkundigungen  darüber  einzuziehen,  in 
welcher  Weise  über  die  fragliche  Liegenschaft  von  dem  Eigentümer  im 
Laufe  der  nächsten  3  Jahre  verfügt  worden  ist. 

Seit  dem  Bestehen  dieser  Instruktion  ist  die  Zahl  der  Dispensations- 
gesuche erheblich  zurückgegangen.  Es  gingen  durchschnittlich  jährlich 
Gesuche  ein 

1878—1887  1890 

1)  bei  der  Jaxtkreisregierung  94  12 

2)  ,,     „     Donaukreisregierung  63  8  (1889  :    17) 

3)  „     ,,     Neckarkreisregierung  15  o  (1889:     2) 

4)  „     „     Schwarzwaldkreisregierung       4  2  (1889:     4) 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  95 

Die  „Centralstelle  für  die  Landwirtschaft"  wie  die  Kreisregierungen 
erblicken  hierin  einen  Beweis  für  den  Rückgang  der  Güterschlächterei: 
die  Erfahrung  habe  gelehrt,  dafs  gerade  durch  häufige  Aufkäufe  grösserer 
Güter  zum  Zwecke  ihrer  parzellenweisen  Veräufserung  die  Güterpreise 
in  den  betreffenden  Orten  früher  vielfach  eine  durchaus  unberechtigte 
Höhe  erreicht  hätten,  da  die  Kauflust  durch  allerlei  —  vorzugsweise  von 
dem  gewerbsmäfsigen  Güterhändler  angewendeten  Mittel  (freier  Trunk 
vor  der  Verkaufsverhandlung,  momentan  günstige  Zahlungsbedingungen) 
künstlich  erregt  worden  sei. 

Schlufs. 

Es  ist  Sachsen,  einem  Lande  mit  hochentwickelter  Industrie, 
mittelst  der  Dismembrationsgesetzgebung  gelungen,  einen  kräftigen  Bauern- 
stand sich  zu  erhalten,  von  dem  behauptet  wird,  er  sei  durch  die  jüngste 
agrarische  Depression  weniger  berührt  worden,  als  in  den  meisten  übrigen 
Staaten1).  Andererseits  will  es  mir  aber  scheinen,  dafs  die  Vorteile, 
welche  die  Dismembrationsgesetzgebung  Sachsen  etwa  verschafft  hat.  allzu  - 
teuer  erkauft  sind:  vor  allem  dadurch,  dafs  die  landwirtschaftliche  Be- 
völkerung mehr  als  notwendig  ist,  in  die  Industrie  gedrängt  wurde 
und  wird  —  was  (wie  hier  wohl  nicht  weiter  ausgeführt  zu  werden 
braucht)  für  jenes  Land  in  s oz i aie r  Hinsicht  als  sehr  ungünstig  zu  er- 
achten ist;  hiermit  steht  im  Zusammenhange ,  dafs  durch  die  Dismem- 
brationsgesetzgebung nur  einem  kleinen  Teile  der  Bevölkerung  vergönnt 
ist,  sich  des  Segens  eines,  wenn  auch  kleinen  Grundeigentumes  zu  er- 
freuen 2).  In  keinem  Falle  würde  es  der  Prosperität  der  sächsischen 
Landwirtschaft  Eintrag  thun,  wenn  in  den  fruchtbaren  Teilen  dieses 
Landes  die  Güter  zwischen  20  und  100  ha  durch  Aufteilung  einer 
gröfseren  Anzahl  bäuerlicher  Familien,  als  bisher  der  Fall  war,  zugänglich 
gemacht  würden  3). 

Es  ist  kaum  anzunehmen ,  dafs  die  Geschlossenheit  der  Landgüter 
welche  unbestrittenermafsen  in  grofsen  Ländern  mit  dichter  Bevölkerung 
so  viele  volkswirtschaftliche.  Uebelstände  herbeizuführen  pflegt,  in 
Sachsen-Altenburg  auf  die  Dauer  sich  aufrecht  erhalten  lassen 
wird.  Die  Erfahrungen,  welche  in  Württemberg  mit  der  Handhabung 
des  Parzellierungsgesetzes  durch  die  Behörden  gemacht  worden  sind, 
zeigen  recht  deutlich,  wie  die  Anschauungen  der  letzteren  mit  den  land- 
wirtschaftlichen Konjunkturen  wechseln  :  in  günstigen  Zeitläuften  nimmt 
niemand,  auch  die  Verwaltung  nicht,  an  den  Parzellierungen  Anstofs, 
in  ungünstigen,  wo  es  den  Käufern  der  Parzellen  schwer  wird,  die  Hypo- 


1)  Roth  (Oberlehrer  an  der  Landwirtschaftsschule  zu  Döbeln)  ,  Welchen  Einflufs 
mufs  die  Umgestaltung  der  Verkehrs-  und  wirtschaftlichen  Verhältnisse  auf  den  Grad 
der  Intensität  und  die  Produktionsrichtung  der  sächsischen  Landwirtschaft  ausüben? 
(Leipzig   1890),  S.   39,  41. 

2)  Vgl.  in  dieser  Beziehung  die  auf  eigene  Beobachtungen  in  Deutschland  sich 
stützende  geistvolle  Abhandlung  des  Engländers  Wolff  ,  A  practical  justification  of  peasant 
properties    in  ,,The  Contemporary  Review',  Mai   1891,  S.   733  ff. 

3)  Buchenberger  1.  c. 


95  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

thekenzinsen  und  rückständigen  Kaufgelder  zu  zahlen,  herrscht  allgemeine 
Klage  über  Güterschlächterei  und  die  Behörden  folgen  willig  der  Zeit- 
strömung,   indem  sie  nunmehr  die  Parzellierungen  zu    erschweren   suchen. 

Es  mag  zugegeben  werden ,  dafs  dem  gewerbsmäfsigen  Güterhandel 
—  der  sogenannten  „Güterschlächterei"  —  zuweilen  unerfreuliche  und 
für  die  bäuerliche  Bevölkerung  ungünstige  Begleiterscheinungen  anhaften ; 
allein  es  läfst  sich  garnicht  behaupten ,  dafs  die  Gutszertrümmerung 
immer  und  überall  als  volkswirtschaftlich  ungünstig,  geschweige  denn 
als  Verbrechen  x)  zu  betrachten  sei.  Mit  Nachdruck  mufs  auferdem  be- 
tont werden,  dafs  die  Zwergpacht  viel  schlimmer  ist  als  der  Zwerg- 
besitz2). 

Man  rühmt  so  oft  —  mit  Recht  —  die  hohe  Bedeutung  des  Bauern- 
standes für  das  soziale,  politische  und  wirtschaftliche  Leben  eines  Volkes : 
Röscher  nennt  ein  tüchtiges  Bauerntum  „den  Ballast  gleichsam  des  Staats- 
schiffes, wodurch  gefährliche  Schwankungen  aller  Art  verhütet  werden"  3) 
und  von  Miaskowski  sagt  vom  Bauernstande 4) ,  er  sei  „gleichsam  der 
feste  Rost,  auf  dem  das  Gebäude  der  ländlichen  Gesellschaft  ruht".  Die 
Bedeutung  des  Bauernstandes  darf  gewifs  nirgends  unterschätzt  werden, 
am  wenigsten  im  Deutschen  Reiche ,  wo  nicht  weniger  als  69,9  Proz. 
der  occupierten  Fläche  in  bäuerlichen  Händen  sich  befindet 5).  Aber 
man  vergifst  gar  zu  leicht,  dafs  der  Begriff  „Bauerngut"  doch  relativ  ist, 
dafs  es  in  Deutschland  —  vornehmlich  im  Nordwesten  —  zwar  „Bauern- 
güter" giebt,  die  an  100  Hektar  heranreichen,  ja  darüber  hinausgehen, 
dafs  aber  auch  —  namentlich  im  Südwesten  —  „Bauerngüter"  zahlreich 
vorhanden  sind,  die  nur  einen  Umfang  von  2  Hektar  haben  6) ;  zwischen 
diesen  beiden  Extremen  giebt  es  zahlreiche  Mittelstufen :  eine  Verkleine- 
rung der  gröfseren  Bauerngüter  und  intensivere  Bewirtschaftung  derselben 
ist  noch  lange  nicht  identisch  mit  „Vernichtung  des  Bauernstandes"! 


1)  Vgl.  von    Lilienthal  in    der  „Zeitschrift  für   die    gesamte  Strafrechtswissenschaft", 
Bd.  VIII  (1888),  S.  219. 

2)  Paasche,  Art.   „Güterschlächterei"  im  „Handwörterbuch   der  Staats  Wissenschaften", 
Bd.  IV,  (Jena  1892),  S.   238. 

3)  Einige  Betrachtungen  u.  s.  w.  S.  328. 

4)  Das  Erbrecht  u.   s.  w.  I.  Abthlg.  S.  97. 

5)  Conrad,    „Bauerngut     und    Bauernstand"    im  „Handwörterbuch    der    Staatswissen- 
schaften" Bd.   II  (Jena  1891)  S.   278. 

6)  Vgl.  Conrad  ibid.   S.   265. 


Miszellen.  97 


Miszellen. 


i. 

Die  Gesellschaften  mit  beschränkter  Haftung 
im  Jahre  1893. 

(Reichsgesetz  vom  20.  April   1892.) 
Von  Dr.  Carl  Heiligenstadt  (Berlin). 

Mit  dem  31.  Dezember  1893  war  das  Reichsgesetz  betreff,  die  Gesell- 
schaften mit  beschränkter  Haftung  vom  20.  April  1892  ein  volles  Jahr 
in  Kraft.  Im  folgenden  soll  eine  Uebersicht  der  Ergebnisse  desselben  im 
Jahre  1893  gegeben  werden,  wie  dies  bereits  in  diesen  Jahrbüchern  1)  für 
die  71/2  Monate,  die  das  Gesetz  im  Jahre  1892  in  Kraft  war,  ge- 
schehen ist. 

Die  Grundlage  der  folgenden  Zusammenstellungen  bilden  die  Publi- 
kationen der  handelsgerichtlichen  Eintragungen  im  Zentralhandelsregister 
für  das  Deutsche  Reich  und  in  der  Bayrischen  Handelszeitung.  Das  dort 
gebotene  Material  ist  jedoch ,  da  sich  die  Notwendigkeit  hierzu  sehr 
häufiig  herausstellte,  in  mannigfachster  "Weise  ergänzt  und  richtiggestellt 
worden. 

Bei  dieser  Gelegenheit  kann  nicht  unterlassen  werden,  die  lebhaftesten 
Klagen  über  die  Art,  in  der  die  handelsgerichtlichen  Publikationen  ge- 
schehen, zu  erheben  und  zwar  nach  zwei  Richtungen  hin.  Zunächst  be- 
sitzen wir  zwar  dem  Namen  nach  ein  C  e  n  tr  al  handelsregister  für  das 
Deutsche  Reich.  Von  einem  wirklichen  Zentralhandelsregister  kann  aber 
in  keiner  Weise  gesprochen  werden ;  es  ist  durchaus  keine  Zentralstelle  für 
sämtliche  handelsgerichtlichen  Publikationen.  Infolgedessen  ist  es  möglich, 
dafs  die  eine  oder  andere  Gesellschaft  mit  beschränkter  Haftung  existieren 
mag,  die  sich  in  unserer  Aufstellung  nicht  findet.  Es  wäre  dringend  zu 
wünschen,  dafs  die  Reichsregierung  diesem  Zustande  einmal  ihre  Aufmerksam- 
keit zuwenden  möge.  Damit  aber  noch  nicht  genug.  Auch  das,  was  in  dem 
sogenannten  Zentralhandelsregister  geboten  wird,   ist    äufserst    mangelhaft. 


1)  III.  Folge,  Bd.  V,  S.   712  ff. 
Dritte  Folge  Bd.  VJ1I  (L^III). 


98  Mi  s  zellen. 

Wer  aus  Beruf  oder  Neigung  die  handelsgerichtlichen  Publikationen  regel- 
mäfsig  verfolgt,  mufs  erstaunt  sein  über  die  Nachlässigkeit,  ja  selbst  über 
die  Unkenntnis,  mit  der  sie  vorgenommen  werden.  Es  sind  das  harte 
Worte,  aber  wenn,  ein  Beispiel  für  viele,  das  Gesetz  §  5  als  Minimal- 
kapital einer  Gesellschaft  mit  beschränkter  Haftung  20  000  Mk.  vor- 
schreibt und  dennoch  eine  Gesellschaft  mit  11000  Mk.  in  das  Handels- 
register eingetragen  werden  konnte,  so  ist  das  doch  eine  recht  bezeichnende 
Thatsache.  Solchen  und  ähnlichen  Mängeln  begegnet  man  auf  Schritt* 
und  Tritt,  bei  allen  Arten  von  Eintragungen.  Als  mustergiltig,  was  hier 
erwähnt  zu  werden  verdient,  haben  sich  stets  die  Berliner  Eintragungen 
erwiesen. 

Gemäfs  den  Publikationen  der  handelsgerichtlichen  Eintragungen  im 
Zentralhandelsregister  und  in  der  Bayrischen  Handelszeitung  wurden  ge- 
gründet : 

1892  (7*^  Monate)  63  Gesellschaften  mit  einem  Stammkapital  von     M.     29  274  700 

1893  (12  „       )  183  „  „ „        „      74  500  304 

in  Summa     246  Gesellschaften  mit  einem  Stammkapital  von    M.   103  775  004 
Dazu  wurde  im  Jahre 

1893  das  Stammkapital  in  8  Fällen  erhöht,  in  Summa  um  M.  IIIOOO 

sodafs  bis  zum  31.   De- 
zember 1893  246  Gesellschaften  mit  einem  Stammkapital  von     M.   103  868  004 
errichtet  wurden. 
Wieder  eingegangen  sind 

1892  I  „  „         „  „  „        „  48000 

1893  5  „  .,         „  .,  „       ,,  295  000 
Es  bestanden  demnach  am 

31.  Dezember  1893     240  Gesellschaften  mit  einem  Stammkapital  von     M.   103  543  004 

1892  trat,  wie  oben  erwähnt,  eine  Gesellschaft  in  Liquidation  und  geriet 
sodann  in  Konkurs.  Im  Jahre  1893  war  ein  Konkurs  nicht  zu  ver- 
zeichnen. Die  5  im  Jahre  1893  in  Liquidation  getretenen  Gesellschaften 
besafsen  alle  nur  ein  kleines  Kapital:  zwei  von  ihnen  ein  solches  von 
20  000  Mk.,  eine  50  000  Mk.,  eine  100  000  Mk.  und  eine  105  000  Mk. 
Sie  sind  mit  Ausnahme  einer  Gesellschaft  alle  Handelsunternehmungen 
(Gruppe  XVII)  und  gleichzeitig  Neugründungen.  Vielleicht  liegt  hier  ein 
Mangel  geschäftlicher  Vorsicht,  vielleicht  auch  Leichtsinn  bei  der 
Gründung  vor. 

Erhöhungen  des  Stammkapitals  waren  in  8  Fällen  bei  7  Gesellschaften 
zu  verzeichnen.  Sechs  dieser  Gesellschaften  gehören  der  Nahrungs-  und 
Genufsmittelindustrie  an  (Gruppe  XII),  die  siebente  dem  Handelsgewerbe 
(Gruppe  XVII). 

Eür  die  Beurteilung  der  neuen  Gesellschaftsform  ist  die  Kenntnis 
des  Prozentsatzes  der  wirklichen  Neugründungen,  d.  h.  der  Gesellschaften, 
die  ein  vollständig  neues  Unternehmen  ins  Leben  gerufen  haben,  wichtig. 
Ein  Aufschlufs  hierüber  ist  leider  aus  den  handelsgerichtlichen  Publi- 
kationen sehr  häufig  nicht  zu  erhalten1).  In  allen  irgendwie  zweifel- 
haften Fällen    wurde    daher   versucht,    ihn    auf   privatem    Wege     zu    be- 


1)  Vergl.  diese  Jahrbücher  a.  a.  O.  S.   713. 


M  i  sz  e  llen. 


99 


schaffen,  was  auch  fast  stets  von  Erfolg  begleitet  war.  Von  den  mitge- 
teilten Angaben  kann  daher  wohl  behauptet  werden,  dafs  sie  der 
Wirklichkeit  sehr  nahe  kommen,  wenngleich  Fehler  selbstredend  nicht 
ausgeschlossen  sind. 

Von    den    am  31.  Dezember  1892    und    den    am  31.  Dezember  1893 
vorhandenen  Gesellschaften  (vergleiche  die  Tabellen)  waren 


1892 

1893 

„ 

_ 

ja 

,a 

sa 

s 
B 
< 

Proz. 

Betrag        Proz. 

CS 

N 

a 

Proz. 

Betrag 

Proz. 

Neugründungen 

3& 

58064 

9  443  800 

32312 

99  41  250  20  310900 

19615 

aus     anderen     Gesellschafts- 

formen hervorgegangen 

2b 

4T936 

19  782900 

67688 

141  58  75°  83232  104 

80385 

und  zwar: 

aus  Einzelunternehmungen 

IO    l6  129 

2  930  500 

10  026 

40  16  666 

16  287  404 

15  730 

,,  offenen    Handelsgesell- 

schaften u.  Kommandit- 

gesellschaften 

12 

19  354 

12  965  OOO 

44360 

49'  20  416 

35  356  300 

34H6 

„  Aktiengesellschaften  u. 

Kommanditgesellschaf- 

ten auf  Aktien 

3 

4838 

3  2I2O0O 

IO989 

44 

18  333 

29523700  28513 

,,  diversen    anderen    Un- 

ternehmungen 

1 

1  612 

675  4OO 

2  3IO 

8 

3  333 

2  064  700 

1  993 

Während  bei  den  am  31.  Dezember  1892  bestehenden  Gesellschaften 
die  Neugründungen  wenigstens  der  Anzahl  nach  58,064  °/0  überwogen, 
sind  sie  am  31.  Dezember  1893  auf  41,250  °/0  der  Gesamtanzahl  und  von 
32,312  °/0   auch  nur   19,615  °/0   des  Gesamtkapitals  zurückgegangen. 

Auf  Tabelle  1  bis  6  wird  eine  genaue  Uebersicht  über  die  Grün- 
dungen (Tabelle  1,  3,  5)  in  jedem  der  einzelnen  Jahre  wie  auch  über 
den  Bestand  (Tabelle  2,  4,  6)  am  Ende  jedes  derselben  gegeben,  und 
zwar  sowohl  nach  der  Art  des  Betriebes  (Tabelle  1,  2),  nach  der  geogra- 
phischen Verteilung  (Tabelle  3,  4),  als  auch  nach  der  Gröfse  des 
Stammkapitals  (Tabelle  5,  6).  Eine  Veröffentlichung  von  Tabellen,  die 
denjenigen  unter  Nr.  III  und  V  der  Uebersicht  zum  Jahre  1892  x)  ent- 
sprächen, mufste  unterbleiben,  da  sie  für  die  vorliegende  Zeitschrift  zu 
umfangreich  geworden  wären. 

Für  die  Gruppeneinteilung  ist,  wie  im  Vorjahre,  die  Gewerbestatistik 
mafsgebend  gewesen.  Hinsichtlich  der  Erweiterungen  derselben  verweise 
ich  auf  das  im  letzten  Jahre  Gesagte  2).  Hinzuzufügen  ist  dem  nur,  dafs 
es  als  zweckmäfsig  erschienen  ist,  von  Gruppe  I  die  Kolonialgesellschaften 
als  Gruppe  Ib  abzuzweigen. 

Die  Veranlassung  zu  Neugründungen  bildete,  soweit  festzustellen 
war,  auch  in  diesem  Jahre  wieder  die  Ausnutzung  von  Patenten  bei 
beschränktem  Risiko.  Daneben  erfolgte  eine  Reihe  von  Gründungen  zur 
Verfolgung     gemeinschaftlicher     Zwecke     in     genossenschaftlicher     Weise. 


1)  Vergl.  diese  Jahrbücher  a.  a.  O.  S.   719  f.  und  722  f. 

2)  Verg).   diese  Jahrbücher  a.  a.   O.  S.   712  f. 


1Q0  Miszelleu. 

Interessant    ist,    dafs    sich    auch    Unternehmerverbände    zu    gemeinschaft- 
lichem Vertriebe  ihrer  Produkte  dieser  Gesellschaftsform  bedient  haben. 

Als  Gründe  zur  Umwandlung  von  Einzelunternehmungen  in  Gesell- 
schaften mit  beschränkter  Haftung  sind  entsprechend  dem  Vorjahre  zu 
nennen :  Kapitalserhöhungen ,  Auseinandersetzungen  zwischen  Familien- 
angehörigen, Aufnahme  neuer  Geschäftsteilhaber,  endlich  die  Möglichkeit, 
Liquidationen  aller  Art:  z.  B.  von  Schuldforderungen,  von  gröfseren 
Grundstückskomplexen  u.  s.  w.  in  bequemer  Weise  durchzuführen. 

Recht  bezeichnend  ist,  dafs  es  sich  bei  den  sog.  Familiengründungen 
stets  um  bedeutende  Kapitalien,  selten  um  solche  unter  1  000  000  M.  ge- 
handelt hat. 

Unter  den  Gesellschaften  mit  beschränkter  Haftung,  die  aus  Aktien- 
gesellschaften hervorgegangen  sind,  überwiegen  die  Zuckerfabriken.  Bei 
ihnen  liegt  der  Grund  der  Umwandlung,  die  unzweifelhaft  bequemere  Ge- 
sellschaftsform, klar  auf  der  Hand. 

Die  Verteilung  der  am  31.  Dezember  1893  bestehenden  Gesellschaften 
mit  beschränkter  Haftung  auf  die  einzelnen  Produktions-  und  Erwerbs- 
zweige bleibt  eine  sehr  ungleichmäfsige  (vergl.  Tabelle  1  und  2).  An 
erster  Stelle  ist  wie  im  vorigen  Jahre  die  Nahrungs-  und  Genufsmittel- 
industrie  zu  nennen  (Gruppe  XII):  61  Gesellschaften  (25,416  Proz.)  mit 
26  664  804  M.  (25,152  Proz.  des  Gesamtkapitals).  Darunter  befinden  sich 
24  Zuckerfabriken  mit  14  104  400  M.  Kapital.  Es  folgen  dann  der  An- 
zahl nach  das  Handelsgewerbe  (Gruppe  XVII)  mit  39  Gesellschalten  (16,250 
Proz.)  und  6  965  100  M.  Kapital  (6,726  Proz.),  während  dem  Kapitale 
noch  die  chemische  Industrie  mit  15  242  000  M.  (14,720  Proz.)  bei  14 
Gesellschaften  (5,833  Proz.)  den  zweiten  Rang  einnimmt. 

Bezüglich  der  geographischen  Verteilung  (vergl.  Tabelle  2  und  8) 
behauptet  die  Rheinprovinz  mit  42  Gesellschaften  (17,500  Proz.)  und 
17  112  800  M.  Kapital  (16,527  Proz.)  den  ersten  Platz.  Es  folgt  sodann 
die  Stadt  Berlin  (ein schlief slich  Charlottenburg)  mit  40  Gesellschaften 
(16,666  Proz.)  und  14  883  700  M.  Kapital  (13,794  Proz.).  Der  auf 
Pommern  entfallende  Prozentsatz  des  Gesamtkapitals,  der  im  Jahre  1892 
bei  2  Gesellschaften  14,096  Proz.  betrug,  ist  im  Jahre  1893,  wie  damals 
vorausgesagt  wurde,  bei  4  Gesellschaften  auf  4,961  Proz.  zurückgegangen. 
Sowohl  in  der  Rheinprovinz  als  auch  in  Berlin  sind  Neugründungen 
stark  vertreten.  Die  Hälfte  aller  gegründeten  Gesellschaften  sind  neue 
Unternehmungen.  Auch  in  diesem  Jahre  war  die  Gründungsthätigkeit 
in  Preufsen  stärker  als  in  den  anderen  Bundesstaaten.  In  Preufsen  kamen 
auf  den  Kopf  der  Bevölkerung  2,60447  M".  Kapital,  während  auf  den  Kopf 
der  Gesamtbevölkerung  des  Deutschen  Reiches  nur  2,09480  M.  entfallen. 
Von  den  preufsischen  Provinzen  hat  jetzt  allein  Westpreufsen  eine  Ge- 
sellschaft mit  beschränkter  Haftung  noch  nicht  aufzuweisen.  Auch  be- 
finden sich  in  einer  Reihe  kleinerer  Bundesstaaten  noch  keine  solche 
Gesellschaften. 

Wie  am  31.  Dezember  1892  überwogen  auch  am  31.  Dezember 
1893  die  Gesellschaften  mit  kleinem  Kapital  (vergl.  Tabelle  5  und  6). 
158  Gesellschaften  über  65,833  Proz.  besitzen  ein  Kapital,  das  300  000 
M.  nicht  übersteigt.     54  Gesellschaften,  22,500  Proz.,  besitzen  ein  mittleres 


M  i  s  z  e  1 1  e  n.  ^QJ 

Kapital  von   300  000  bis  zu  einer  Million,  28  Gesellschaften    oder  11,666 
Proz.  verfügen  über  ein  Kapital  von  über  einer  Million. 

Bei  den  Neugründungen  und  den  aus  Einzelunternehmungen  hervor- 
gegangenen Gesellschaften  überwiegt  in  beiden  Jahren  das  kleine  Kapital, 
84  von  im  ganzen  99  Neugründungen,  und  29  von  40  Gesellschaften,  die 
aus  Einzelunternehmungen  hervorgegangen  sind.  Bei  den  aus  offenen 
Handelsgesellschaften  entstandenen  Gesellschaften  tritt  das  mittlere  Kapi- 
tal mehr  in  den  Vordergrund:  18  Gesellschaften  von  49;  bei  den  aus 
Aktiengesellschaften  gebildeten  machen  sie  mit  22  von  44  die  Hälfte 
der  Gründungen  aus.  Das  grö'fste  Kapital  besitzt  die  im  Jahre  1892  ge- 
gründete chemische  Fabrik  Kalk  mit  4  500  000  M.  Mit  dem  gesetzlichen 
Minimalkapital  von  20  000  M.  sind  16  Gesellschaften  ausgestattet.  Ueber 
das  kleinste  Kapital,  11  000  M.,  verfügt,  im  Widerspruche  mit  den  aus- 
drücklichen Vorschriften  des  Gesetzes,  die  „Wassergesellschaft  des  Dorfes 
Dahl,  Gesellschaft  mit  beschränkter  Haftung". 


II. 

Ergebnisse   der  Volkszählung  vom 


Flächeninhalt 

Gemeindeeinheiteu,  Wohnstätten  und  Hai 

shaltungen,  ortsanwesende 

Fläche 

Gemeindeeinheiten 

Zur  Wohnung  dienende 
Gebäude 

Haus- 

• 

c  's. 

Staat. 

a 

CS 

a> 

Be- 

Unbe- 

09 

c   — 

Provinzen. 

in 
Hektar 

<o 

a 

"5 

CS 

es  tJ 
0  •£ 

wohnte 

wohnte 

©"5  a 
g  a  es 

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oner 

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a  r*  a 

•C  e»   fc 

«3 

B  T3 

3 
CS 

a  0 

Wohnhäuser 

50    £   — 

73 

=  =  &. 
os  0 

n  > 

a)  Staat 

34  843  668 

1263 

37081 

16  559 

3374189 

3  281  193 

58241 

6384175 

5  937  419 

b)  Provinzen : 

Ostpreufsen 

3  698  701 

67 

5  359 

2  529 

198856 

195  300 

1777 

407  460 

383  402 

Westpreufsen 

2  551598 

55 

2051 

I4I4 

142  042 

139015 

1396 

287  933 

273  x44 

Stadtkr.  Berlin 

6  339 

1 

— 

— 

30017 

27839 

25 

369027 

345  028 

Brandenburg 

3983651 

135 

3  153 

20l8 

264519 

256  140 

3  576 

569  425 

525819 

Pommern 

3  011  211 

73 

2  109 

25J5 

154704 

150533 

2   IOO 

316665 

297  099 

Posen 

2  896  217 

133 

33i8 

2044 

168  499 

165  353 

I467 

347  481 

327  576 

Schlesien 

4  030  706 

149 

5  374 

3867 

465 751 

450689 

784I 

983  383 

887  136 

Sachsen 

2  524  268 

142 

2985 

1  182 

318965 

3ii  135 

5  402 

576  "6 

532  420 

Schleswig-Hol- 

stein 

1  890  265 

53 

1  721 

360 

165722 

160  643 

3  138 

267  425 

245  226 

Hannover 

3  847  393 

114 

4019 

322 

321  132 

3XS  103 

4242 

479  599 

448  103 

Westfalen 

2  020  648 

103 

M95 

20 

284080 

279278 

3  221 

458  135 

437  547 

Hessen-Nassau 

1  569  244 

105 

2  224 

279 

225  743 

220  292 

4163 

352  356 

327  843 

Rheinland 

2  699  203 

131 

3  150 

7 

620754 

596  969 

19424 

953  903 

893  284 

Hohenzollern 

1 14  224 

2 

123 

2 

13405 

12  904 

469 

15267 

13  792 

Religionsbekenntnis  der  Bevölkerung  in  Preufsen. 


Weibliche 

Religionsbekenntnis. 

Ueberhaupt 

Personen 

Personen 

Evangelische 

19230376 

9  411  161 

9819215 

Davon  Unierte 

14479784 

7  083  629 

7  396  155 

Lutheraner 

4223  176 

2  073  706 

2  149  470 

Reformierte 

527  416 

253  826 

273  590 

Katholiken 

10252807 

5  058  292 

5  194  515 

Davon  Komisch-Katholische 

IO  251  447 

5057549 

5  '93  898 

Griechisch-Katholische 

I  360 

743 

617 

Andere  Christen 

95  349 

46670 

48679 

Davon  Brüdergemeinde 

4  5H 

2012 

2502 

Mennoniten 

13833 

6787 

7046 

Baptisten 

23969 

10722 

13  247 

Englische  u.  schottische  Hoch- 

kirche, Presbyterianer 

2  175 

752 

1423 

Methodisten,  Quäker 

3232 

1  449 

1783 

Apostolische  (Irving.) 

16  081 

7246 

8835 

Deutsch-Katholische 

929 

479 

450 

Freireligiöse 

7  304 

4215 

3089 

Dissidenten 

20273 

11  326 

8947 

Sonstige 

3039 

I  682 

1357 

Juden 

372058 

182738 

189  320 

Hekenner  anderer  Religionen 

328 

255 

73 

Mit  unbestimmter  Angabe  des  Religions- 

bekenntnisses 

2871 

2045 

826 

Ohne  Angabe  des  Religionsbekenntnisses 

1492 

990 

502 

Gesamtbevölkerung 

29  955  281 

14  702  151 

15  253  130 

1.  Dezember  1890  im  Königreich  Preufsen. 

Bevölkerung,  Bevölkerungszunahme  und  Militärpersonen  im  Staat  und   den   Provinzen. 


haltung 

Ortsanwesende  Bevölkerung  am 

Bevölkerungszunahme  gegen 

1, 

Dezember  1890 

den  Stand  v.  1.  Dez 

br.  1885 

Einzeln 

lebende 

Militär- 

Personen 

Summe 

männlich 

weiblich 

Summe 

männ- 
lich 

weib- 
lich 

personen 

mann- 

weib- 

lich 

lieh 

138410 

287  609 

29955281 

14  702  151 

15  253  130 

I  636  8ll 

808  547 

828  264 

292  173 

6444 

16522 

1958663 

935  895 

I  022  768 

—  812 

—  I  119 

307 

26603 

4  621 

9  337 

I  433  681 

702  522 

731  159 

25  452 

14  456 

10  996 

21  OI7 

7  508 

15  569 

l  578  794 

759  623 

819  171 

263  507 

127  745 

'35  762 

19  596 

13  325 

28  130 

2  541  783 

I  256712 

I  285  071 

199372 

IOO  213 

99  159 

37  908 

5651 

12  722 

I  520889 

741  629 

779  260 

I53H 

4  !94 

11  120 

12  518 

5  7Ö3 

13  291 

1751  642 

839658 

91  T  984 

36024 

14  700 

21324 

22  302 

27047 

65815 

4224458 

I  999  700 

2  224  758 

112239 

47  315 

64  924 

33  603 

«4  3^5 

26977 

2  580OIO 

I  273  692 

1306 318 

151  643 

7'585 

80058 

21  25O 

6  373 

14612 

I  217  437 

616476 

ÖOO  96I 

67  131 

40024 

27  107 

17  034 

9229 

20495 

2278  361 

I  137008 

1  141  353 

105  659 

52267 

53  392 

21  683 

6  614 

12  611 

2  428  66l 

I  240  494 

1  188  167 

224081 

118454 

105  627 

8  425 

8098 

15  313 

I  664  426 

809  241 

855  185 

71972 

35  648 

36324 

12  026 

22879 

35  282 

471039I 

2358035 

2  352  356 

365  864 

183  429 

182435 

38066 

493 

933 

66085 

31  466 

34619 

-635 

—  364 

—  271 

I42 

Alter  und  Familienstand  der  Bevölkerung. 


Altersgruppen  der  männ- 

Familienstand 

lichen  bezw.  weiblichen  Orts- 
anwesenden. 

Ueber- 
haupt 

Ledige 

Verhei- 
ratete 

Verwit- 
wete 

Geschie- 
dene 

Männliche  Personen 

14  702151 

9  160  469 

5  075  364 

450  203 

16  115 

Ueber     0 — 6     Jahre 

2392092 

2392092 

— 

— 

— 

,         6—14       „ 

2  665  660 

2  665  660 

— 

— 

— 

,        14—15 

327  764 

327  764 

— 

— 

— 

,        15  —  18        ,. 

930022 

929  070 

344 

8 

— 

,        18—20 

524i56 

523  549 

587 

17 

3 

,        20—21        ,, 

266  709 

264  838 

1  841 

28 

2 

,       21—25 

976781 

875  572 

100543 

586 

80 

,        25-30 

1  128  439 

560  782 

562  723 

4  362 

572 

,       30—35 

1019  599 

228  203 

780  768 

9  245 

1383 

,       35—40       „ 

876428 

115  598 

745  548 

13  174 

2  108 

,       40—45        ,, 

773oi2 

76  179 

675  745 

18696 

2  392 

,       45—50       „ 

691  561 

56  993 

605  905 

26  269 

2  394 

50—55       „ 

595  229 

44013 

512299 

36697 

2  220 

,        55—60        ., 

477  968 

32093 

397  3°2 

46817 

1756 

,       60—65 

383  430 

25  i°5 

294  887 

62  091 

1347 

,        65—70 

310722 

19465 

213  354 

76  936 

967 

,       70—75       „ 

206  992 

12  bu 

120  132 

73  659 

590 

,       75—80       „ 

102  064 

6  171 

46  533 

49  147 

213 

,       80—85 

38i35 

2  155 

12  978 

22  942 

60 

,       85—90       „ 

11  358 

677 

2907 

7  759 

15 

,       90—95       ,.* 

1973 

106 

402 

1  462 

3 

95—100     „ 

251 

10 

64 

177 

— 

,           100 

13 

— 

4 

9 

— 

Unbekannt 

1793 

1  163 

498 

122 

10 

\Q£  Miszellen. 

Alter  und  Familienstand  der  Bevölkerung  (Forts.) 


Altersgruppen  der  männ- 

Familienstand 

lichen  bezw.  weiblichen  Orts- 

Ueber- 

Verhei- 

Verwit- 

Geschie- 

anwesenden. 

haupt 

Ledige 

ratete 

wete 

dene 

Weibliche  Personen 

15  253  130 

8  804  992 

5  097  416 

1319  068 

31654 

üeber     0—6     Jahre 

2  359  551 

2359551 

— 

— 

— 

„         6  —  14       „ 

2  633  650 

2633650 

— 

— 

— 

„       14— 15 

326  228 

326073 

152 

3 

— 

„       15—18       „ 

919  594 

916  541 

2963 

87 

3 

„       18  —  20       „ 

53M57 

5«2  738 

18518 

182 

19 

„       20—21 

278  108 

248  864 

28978 

243 

23 

„       21-25       „ 

1  028  142 

704  402 

320091 

3  I29 

520 

,,       25—30       ,. 

1  171  251 

418  448 

737  838 

12949 

2016 

„       30—35 

1059633 

197  642 

827  944 

30127 

3920 

„       35-40       „ 

908718 

115894 

736152 

51859 

4813 

„        40—45        „ 

829  037 

88865 

653  607 

81  619 

4946 

„       45—50       „ 

745  759 

71829 

554  937 

114  569 

4  424 

„       50—55       „ 

664221 

61  644 

447  329 

151  578 

3670 

„       55—60       ,. 

535  582 

46025 

316829 

169983 

2  745 

„       60—65 

451  176 

38665 

219  102 

191  484 

1925 

„       65-70       „ 

364  796 

29  105 

138470 

195  821 

1  400 

„       70—75       „ 

247316 

19382 

66  440 

160707 

787 

„       75—80       „ 

126005 

9704 

21  216 

94  771 

314 

„       80—85       „ 

50610 

3  763 

4885 

41  882 

80 

„       85-90       „ 

16257 

1  173 

964 

14087 

33 

„       90-95       „ 

3  456 

237 

H7 

3067 

5 

„       95—100     „ 

528 

23 

27 

478 

— 

100         „ 

59 

3 

2 

54 

— 

Unbekannt 

1996 

77« 

825 

389 

11 

Städte  von  IOOOOO  und  mehr  Einwohnern. 


Einwohner 

männliche 

weibliche 

überhaupt 

Personen 

Personen 

Berlin 

I  578  794 

759  623 

819  171 

Breslau 

335  186 

153  698 

181  488 

Köln 

281  681 

139  181 

142500 

Magdeburg 

202  234 

IO3025 

99  209 

Frankfurt  a.  M. 

179  985 

85388 

94  597 

Hannover 

174  455 

86051 

88404 

Königsberg 

161  666 

75  048 

86618 

Düsseldorf 

144642 

72087 

72  555 

Altona 

143  249 

71  137 

72  112 

Elberfeld 

125  899 

60698 

65  201 

Danzig 

120338 

57  773 

62565 

Stettin 

116  228 

56313 

59915 

Barmen 

116  144 

56319 

59  825 

Krefeld 

105376 

50044 

55  332 

Aachen 

103  470 

49586 

53  884 

Halle  a.  S. 

101  401 

50628 

50  773 

Miszellen. 


105 


Bilanz  der  Bevölkerung. 


Stand  und  Bewegung  der  Bevölkerung. 


Ueberhaupt 


Männliche 
Personen 


Weibliche 
Personen 


Stand  der  Bevölkerung  am  1.  Dez.   1885 

Natürliche  Bevölkerungsvermehiung. 

Geboren  im  Dezember  1885 

„         „     Jahre  1886 

,,  „  1887 

,,  „  ,.  1888 

1889 

,,         „     Januar  bis  November  1890 

Zugang  durch  Gebarten 

Gestorben  im  Dezember  1885 
„  „    Jahre  1886 

„  „        ,,  1887 

„  „        „  1888 

„        >,  1889 

„  ,,    Januar    bis  November  1890 

Abgang  durch  Cterbefälle 

Natürliche  Bevölkerungsvermehrung 

Rechnungsmäfsiger  Bestand   der  Bevölke- 
rung am  1.  Dezember  1890 

Wirklicher  Stand    der    Bevölkerung  nach 
der  Zählung  vom  1.  Dezember  1890 

Nicht  nachgewiesener  Abgang  durch  Aus- 
wanderung 


28  318470 
95  !22 

I  118  103 
I  129  III 
I  134  161 
1 136759 

1  025  347 
5  638  603 

64  571 
786485 

730  234 
708  334 
724  935 
690  572 

3  705  131 

1  933  472 

30251942 

29955281 

296661 


13893604 

49441 
576  347 
581  145 
584  008 

584729 
528021 

2  903  691 

33  336 
412  509 
382714 
368  848 
378  155 
360  993 

1936  555 

967  »36 

14860  740 

14702  151 

158  589 


14  424  866 

45681 
541756 
547  966 
550«53 
552  030 
497  326 

2  734  912 

31  235 
373  976 
347  520 
339  486 
346  780 
329  579 
1  768  576 

966  336 

15  391  202 

15  253  x30 
138072 


Vergleichung  der  bisherigen  Volkszählungen  untereinander. 


Zunahme  seit  der  vorher- 

Königr. Preufsen. 

Ueber- 
haupt 

Männliche 
Personen 

Weibliche 
Personen 

gegangenen   Zählung. 

Ueber- 

Männl. 

Weibl. 

haupt 

Personen 

Personen 

Ortsanwesende : 

am  3.  Dezember  1867 

24  021  315 

U895950 

12  125365 

,1    1.          „            1871 

24  655  730 

12  132  717 

12  523  013 

634  415 

236  767 

397  648 

„    1.         „            1875 

25  742  404 

12  692370 

13050034 

I  086  674 

559  653 

527021 

„    1.         „            1880 

27  279  III 

13  414866 

13  864  245 

I  536  707 

722  496 

814  211 

„    1.          „            1885 

28318470 

13  893  604 

14  424866 

I  039  359 

478  738 

560  621 

„    1.          „            1890 

29955281 

14702  151 

I5  253  130 

I  636  811 

808  547 

828  264 

106 


M  i  s  z  e  1 1  en. 

Die  Bevölkerung  Preufsens  nach  der 


Staats- 

Muttersprache 

Deutsches  Reich 

Luxemburg 

Oesterreich 

männlich 

weiblich 

männl. 

weibl. 

männl. 

weibl. 

Deutsch 

12923  237 

13  380  087 

646 

402 

20  774 

14002 

Littauisch 

„         und  deutsch 

55068 
3  932 

62  313 
3  461 

— 

— 

15 

5 

Polnisch 

„         und  deutsch 

I  329  402 
56686 

1  430  443 
45  841 

— 

— 

976 
212 

510 
IOO 

Masurisch 

,,         und  deutsch 

48605 
2917 

54  297 
2705 



— 

2 
I 

6 

2 

Kassubisch 

„           und  deutsch 

26368 
1  223 

28  060 
989 





— 

I 

Wendisch 

„         und  deutsch 

30071 
2  553 

34  665 
2834 

— 



345 
21 

145 
19 

Mährisch 

„         und  deutsch 

25  427 
I  174 

30  364 
I035 

— 



864 
'45 

487 

47 

Tschechisch 

„            und  deutsch 

5  343 
369 

6  020 
349 

— 



3613 
633 

1719 
248 

Wallonisch 

,,           und  deutsch 

4  908 

72 

4  724 
64 

3 
1 

25 

7 

Holländisch 

„             und  deutsch 

6  091 

55o 

6847 
489 

8 
4 

1 

1 
3 

2 

Friesisch 

„         und  deutsch 

20788 
3650 

22  453 
3624 

— 

— 



— 

Dänisch  u.  norwegisch 

M                   ,,           u.  deutsch 

50283 
1  230 

56706 
1  076 





2 

7 

Russisch 

,,       und  deutsch 

426 
46 

4>3 
3i 



— 

1 

1 

Englisch 

,,       und  deutsch 

400 
127 

1  219 
135 

— 

— 

3 

2 

11 

2 

Französisch 

„           und  deutsch 

1  207 
240 

1  606 
233 

32 

3 

26 
I 

6 

7 

Schwedisch 

„           und  deutsch 

617 
53 

1  182 
112 

— 

— 

2 

1 

Italienisch 

,,         und  deutsch 

464 
29 

'50 
14 

— 



565 
20 

98 
4 

Andere  Sprache 

i,             ,,       und  deutsch 

584 
40 

593 
36 

1 

— 

448 
47 

180 
10 

Insgesamt 

14  604  180 

15  185  16t) 

698 

436 

28  726 

17  622 

Davon :    deutsch    und    eine    andere 
Sprache 

74891 

63024 

8 

1 

1  084 

434 

,,         eine  nichtdeutsche  Sprache 

1  606052 

1742055 

44 

33 

6  868 

3186 

M  i  s  z  eil  e  n. 


107 


Muttersprache  und  Staatsangehörigkeit. 


angehörigkeit 


Schi 

Grofs- 

Andere 
Länder 

Ungarn 

Italien 

reiz 

Frankreich 

britannien 

männl. 

weibl. 

männl. 

weibl. 

männl. 

weibl. 

männl. 

weibl. 

männl. 

weibl. 

männl. 

weibl. 

740 

55 

14 

I 

4 

50 
8 

125 
5 

4 

2 

1 
1 

993 
61 

2064 

90 
«234 

414 

I 

7 

2 

9 

7 
3 

19 

1 

1 

1 

2 

292 

24 

782 

3i 
337 

204 

7 

5 

2 

3 
1 

1 
5 

339i 
48 

2 

3670 

48 
34i8 

178 

4 
1 

1 

4 

II 
1 

497 
10 

1 

709 

12 
5i9 

3492 
2 

4 
2 

2 
I 

3 

1 

191 
15 

58 

19 

3791 

18 
281 

1526 

4 

1 
1 
4 

1 

5 

722 
20 

1 

17 

2 

2305 

21 

758 

I05 
3 

1 

3 
2 

1 

677 
18 

~~ 
1 

5 

816 

18 
693 

154 

2 

I 
I 

3 

716 
10 

1 
1 

3 
892 

10 

728 

ÖOI 
3 

3 

2456 
70 

4 
1 

2 

26 

3183 

72 
2510 

584 
3 

3 

3526 

75 
3 

1 
1 

3 

4231 

80 
3567 

31 

2 

6 

93 

132 

2 
132 

32 

2 
I 

60 

95 

2 
95 

108 


Miszelleo. 


Alter  und  Religionsbekenntnis  der  Kinder  aus  Ehen  zwischen 
Evangelischen  und  Römisch-Katholischen. 


Evangelische  Väter  und 

Römisch-katholische  Väter 

römisch-katholische  Mütter 

und  evangelische  Mütter 

Religionsbekenntnis  und 

1 16673  Mischehen, 

139  129  Mischehen 

davon  25  633  ohne  Kinder 

davon  29  862  ohne  Kinder 

Alter  der  Kinder 

„         8  103  m.  Kindern  üb. 

„         9  828  m.  Kindern  über 

16  Jahre  alt 

16  Jahre  alt 

Knaben 

Mädchen 

Knaben 

Mädchen 

1.  Evangelische  überhaupt 

64  186 

57  421 

65760 

71  301 

Davon  im  Alter  von : 

unter  1  Jahre 

6  220 

5  673 

6411 

6884 

über     1 —  2  Jahre 

5  495 

5041 

5  622 

6007 

„       2-  3       ., 

5  44» 

4881 

5  590 

5801 

„       3-  4       „ 

4970 

4  557 

5  193 

5  481 

„       4-   5       „ 

4  754 

4285 

4  770 

5  144 

„       5—  6       „ 

4  402 

4052 

4  497 

4940 

„       6—  7       „ 

4  168 

3812 

43H 

4644 

>.       7-  8       „ 

3  924 

3  450 

3866 

4285 

„       8—  9 

3806 

3  340 

3844 

4258 

„       »-10       „ 

3  582 

3093 

3661 

3  965 

„     10—11       „ 

3  496 

3  037 

3  58i 

3884 

„     11—12       „ 

3  369 

2  891 

3  4'5 

3  750 

„     12—13       „ 

3229 

2  773 

3J9i 

3  7i8 

„      13—14       „ 

3  020 

2638 

3  173 

3  424 

„     U—15       „ 

2  411 

2  102 

2630 

2861 

„     15—16       „ 

1899 

1  796 

2005 

2255 

2 .  Kömisch  -  Katholische 

überhaupt 

43  654 

5<>374 

61058 

56239 

Davon  im  Alter  von: 

unter  1  Jahre 

4  35o 

4868 

5878 

5  373 

über     1 —  2  Jahre 

3  798 

4196 

5  »12 

4  753 

„       2-  3       „ 

3  777 

4  222 

5061 

4677 

„       3-  4       „ 

3  43i 

3  938 

4  653 

4  374 

.,       4-  5       » 

3371 

3814 

4  443 

4249 

„       5 —  6       ,, 

3058 

3  458 

4189 

3  942 

„       6—  7       ,, 

2  849 

3  305 

3  940 

3  729 

„       7—  8       „ 

2  702 

3090 

3  756 

3  351 

„       8-  9       „ 

2447 

3  059 

3  674 

3  353 

»       9-10       „ 

2  395 

2  844 

3  397 

3093 

„     10—11       „ 

2288 

2590 

3  454 

2983 

„     11—12       „ 

2  173 

2  593 

3  220 

2931 

„     12—13       „ 

2063 

2485 

3  "4 

2  759 

,,     13-H       „ 

1998 

2  343 

2833 

2  722 

„     14—15       „ 

1  641 

1919 

2391 

2  160 

„     15—16       „ 

1313 

1  650 

1943 

1790 

M  i  s  z  e  1  le  n. 


109 


Kinder  aus  Ehen  zwischen  Christen  und  Juden. 


Evangelische 
Väter 

Evangelische 
Mütter 

Rom. -katholische 
Väter 

Rom. -katholische 
Mütter 

jüdische  Mütter 

jüdische  Väter 

jüdische  Mütter 

jüdische  Väter 

Religions- 
bekenntnis 
der 
Kinder 

956  Mischehen 
davon  3 20  ohne  Kinder 
„         33  mitKindern  üb. 
16  Jahre  alt 

1255  Mischehen 
davon  424  ohne  Kinder 
,,         57  mitKindern  üb. 
16  Jahre  alt 

215  Mischehen 
davon  63  ohne  Kinder 
,,         3  mitKindern  über 
16  Jahre  alt 

210  Mischehen 
davon  85  ohne  Kinder 
„         7  mitKindern  über 
16  Jahre  alt 

Knaben 

Mädchen 

Knaben 

Mädchen 

Knaben    Mädchen 

Knaben 

Mädchen 

Evangelische 
Juden 

612 
HO 

564 
102 

S64 
265 

628 
250 

99 
46 

98 
53 

76 
46 

68 
51 

110      Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  and  des  Auslandes. 


Uebersicht   über   die  neuesten  Publikationen  Deutschlands 
und  des  Auslandes. 

1.     Geschichte  der  Wissenschaft.     Encyklopädisches.     Lehrbücher.    Spezielle 
theoretische  Untersuchungen. 

Gans-Ludassy,  Julius  von,  Die  wirtschaftliche  Energie.  Erster 
Teil:  System  der  ökonomistischen  Methodologie.  Jena  1893.  gr.  Okt. 
1053  SS. 

Unter  vorstehendem  Titel  veröffentlicht  der  Verfasser,  welcher  sich 
bisher  im  wesentlichen  nur  durch  brillante  Rezensionen  wirtschaftswissen- 
schaftlicher Werke  in  der  Grünhut'schen  Zeitschrift  bemerkbar  gemacht 
hat,  in  einem  imposanten  Bande  den  ersten  Teil  eines  Werkes,  welches 
bestimmt  sein  soll,  ein  umfassendes  System  der  ökonomischen  Wissenschaft 
zur  Darstellung  zu  bringen.  Derselbe  soll  die  Einleitung  zu  einem  System 
der  theoretischen  Oekonomik  und  der  praktischen  Oekonomik  bilden, 
nimmt  aber  zunächst  eine  selbständige  Bedeutung  als  „System  der  ökono- 
mistischen Methodologie"  in  Anspruch.  Eine  solche  Bedeutung  kommt 
ihm  auch  in  vollem  Mafse  zu,  und  es  würde  das  vorliegende  Buch  für 
sich  allein  schon  eine  Respekt  einflöfsende  wissenschaftliche  Leistung  sein, 
wenn  selbst  die  angekündigten  späteren  Teile  des  Gesamtwerkes  unaus- 
geführt bleiben.  Es  mag  diese  Eventualität  sogleich  erwähnt  werden,  da 
sie  wohl  einen  der  Gewifsheit  nahekommenden  Grad  von  Wahrscheinlich- 
keit für  sich  hat.  Denn  wenn  die  Darstellung  der  positiven  Erkenntnisse 
auf  dem  Gebiete  der  Oekonomie  nach  demselben  Mafsstabe  angelegt  wer- 
den sollte,  welcher  vorerst  bei  den  methodologischen  Erörterungen  zur 
Anwendung  gelangte,  so  würde  dies  die  Leistungsfähigkeit  eines  Ueber- 
menschen  erfordern.  Der  Autor  wird  nicht  prätendieren,  als  ein  solcher 
angesehen  zu  werden  und  er  kann  es  daher  wohl  nicht  verübeln,  wenn 
wir  bezweifeln,  dafs  er  zur  Ausführung  des  erwähnten  wissenschaftlichen 
Planes  kommen  werde,  und  somit  sein  Werk  in  vorliegender  Gestalt  als 
mit  diesem  Bande  auch  abgeschlossen  betrachten.  Andernfalls  wäre  übri- 
gens eine  gesonderte  Besprechung  kaum  begründet,  da  es  viel  mehr  auf 
wirkliche  Mehrung  der  wissenschaftlichen  Erkenntnisse  in  unserer  Disciplin 
mittels  welcher  Methode  immer,  als  auf  methodologische  Erörterungen 
ankommt  und  der  Ruf  eines  Schriftstellers,  der  sich  zugleich  in  ersterer 
Hinsicht  erfolgreich  bethätigt  hat,  wesentlich  hiervon  abhängt. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Immerhin  ist  aber  auch  eine  gründliche  und  grundlegende  Revision 
der  Methodologie  der  ökonomischen  Wissenschaft  an  und  für  sich  mit  Rück- 
sicht auf  die  gegenwärtig  diesfalls  herrschende  Zerfahrenheit  ein  ganz 
zeitgemäfses  Beginnen,  nur  liegt  der  Schwerpunkt  der  Leistung  weniger 
auf  ökonomischem  Gebiete,  als  vielmehr  auf  dem  der  Philosophie  und 
Logik.  Man  mufs  zuvor  die  Erkenntnistheorie  selbst  revidieren,  bevor 
man  mit  Erfolg  daran  gehen  kann,  dieselbe  auf  das  Gebiet  der  Oekonomie 
anzuwenden.  Der  Verfasser  hat  dies  nicht  nur  erkannt,  sondern  auch  in 
viel  gröfserem  Mafsstabe  durchzuführen  versucht  als  seine  bekannten  Vor- 
gänger. Mit  umfassender  philosophischer  Bildung  ausgerüstet,  hat  er  ein 
Werk  geliefert,  das  den  Philosophen  von  Fach  mindestens  in  gleichem 
Grade  —  wenn  nicht  mehr  —  angeht  wie  den  Oekonomisten,  bei  dessen 
Beurteilung  der  Letztere  sich  sogar  hauptsächlich  darauf  stützen  mufs,  ob 
und  inwieweit  der  Erstere  die  Ausführungen  des  Verfassers  ratifiziert. 
Wenn  dieser  Umweg  der  fachlichen  Beurteilung  allein  schon  den  Verfasser 
einer  ziemlichen  Geduldprobe  aussetzen  würde,  so  hat  er  andererseits  durch 
die  ganze  Anlage  seines  Werkes  nicht  wenig  dazu  beigetragen,  dafs  er 
der  erwünschten  Würdigung  von  seiten  des  Fachpublikums  wohl  kaum  so 
rasch  entgegensehen  darf.  Wer  wie  der  Verfasser  ersichtlich  so  viele 
Jahre  ernsten  Studiums  und  eindringlicher  Denkarbeit  einem  so  schwie- 
rigen, mit  den  höchsten  Problemen  des  menschlichen  Daseins  zusammen- 
hängenden Thema  gewidmet  hat,  der  hat  nicht  nur  das  erklärliche  Ver- 
langen, sondern  auch  den  Anspruch,  das  Ergebnis  seiner  Forschungen  von 
der  Fachwelt  nach  Gebühr  beachtet  und  genutzt  zu  sehen.  In  dieser 
Hinsicht  dürfte  der  Verf.  jedoch  Enttäuschungen  erfahren.  Ein  Werk  wie 
das  seinige  hat  nur  für  die  eigentlichen  Fachgelehrten  Bedeutung  und  In- 
teresse, und  selbst  nicht  für  jeden  unter  diesen  und  für  den  einen  und 
den  anderen  in  sehr  verschiedenem  Grade.  Wollte  der  Autor  den  Bedürf- 
nissen dieses  Leserkreises  entsprechen,  so  mufste  er  kurz  und  präcis 
schreiben;  das,  was  er  Neues  bietet  oder  an  Unhaltbarem  als  solches  nach- 
weist, scharf  und  nachdrücklich  hervorheben,  durfte  Bekanntes  nicht  wieder- 
holen —  auch  nicht  im  Wege  der  Polemik  —  hatte  also  m.  a.  W.  mit 
der  gemessenen  Zeit  dieser  Leser  zu  rechnen.  Hätte  er  so  geschrieben, 
so  hätte  er  auch  auf  rückhaltslose  Anerkennung  zählen  können.  Anstatt 
dessen  hat  er  offenbar  das  gesamte  Fachpublikum  als  Leser  vor  Augen  gehabt; 
denn  er  behandelt  seinen  Gegenstand  ab  ovo,  sucht  jeden  Detailpunkt  zu 
erläutern,  führt  die  ganze  Litteratur  an,  indem  er  jede  einzelne  Frage 
durch  eingehende  Polemik  mit  den  Ansichten  früherer  Autoren  entwickelt, 
und  gerät  dadurch  in  eine  geradezu  abschreckende  Breite.  Dadurch  ver- 
scheucht er  sich  die  Leser,  statt  solche  zu  gewinnen.  Den  speziellen 
Fachmann  der  ökonomischen  Theorie  ermüdet  er  durch  das  viele  Bekannte, 
was  dieser  in  Kauf  nehmen  mufs,  und  überdies  die  unterschiedslose  Ver- 
webung des  Neuen  und  Selbständigen  in  das  Alte  und  blofs  Reproduzierte. 
DerNichtfachmann  aber,  wenngleich  er  sich  mit  ökonomischen  Fragen  beschäf- 
tigt, und  selbst  der  Oekonomist,  sofern  er  nicht  die  theoretische  For- 
schung ex  professo  betreibt,  bringt  den  methodologischen  Kontroversen  ohne- 
hin nicht  jenes  Interesse  und  jene  Lese-Energie  entgegen  ,  die  notwendig 
wäre,  den  starken  Band  zu  bewältigen. 


112    Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Dazu  kommt  folgendes.  Der  Autor  ist  ein  Virtuose  des  Stils.  Er 
führt  eine  brillante  Feder,  seine  Schreibweise  gleicht  der  eines  espritreichen 
französischen  Feuilletonisten:  alle  Finessen  der  Diktion  sind  ihm  geläufig. 
Seine  Ausführungen  strotzen  von  Vergleichen,  Bildern,  Antithesen,  Wort- 
spielen ,  kurz  allen  Künsten  der  Darstellung ,  durch  welche  auch  der 
sprödeste  Stoff  dem  Nichtvertrauten  fafsbarer  und  anziehender  gemacht 
wird.  Diese  Formgewandtheit,  auf  der  einen  Seite  eine  beneidenswerte 
Gabe,  ist  andererseits  bei  Materien  einer  strengen  Gedankenarbeit  nicht 
ohne  Gefahren.  Sie  hilft  zu  leicht  über  schwierige  Punkte  im  Denk- 
prozesse hinweg  und  verleitet  mitunter  dazu,  eine  gelungene  sprachliche 
Wendung  für  eine  sachliche  Lösung  anzusehen.  Gleich  einem  anderen 
deutschen  Nationalökonomen,  der  als  Stilist  gar  höchlich  gerühmt  wird, 
erscheint  der  Verfasser  dieser  Gefahr  nicht  immer  entgangen.  Aber  etwas 
anderes  ist  folgenschwerer.  So  sehr  sich  die  erwähnte  Schreibweise  bei 
Behandlung  einzelner,  herausgegriffener  Themata  bewährt,  60  wenig  taugt 
sie  nach  unserer  Meinung  zur  Durchführung  eines  langwierigen  und  noch 
überdies  grofsen  Teils  formallogischen  Ideenganges  in  einem  systematischen 
Werke.  Sie  wirkt  da  monoton.  Sie  gleicht  den  raffinierten  Genüfsen  der 
Tafel,  die  man  nicht  in  der  regelmäfsigen  Folge  der  Mahlzeiten  kon- 
sumieren kann,  deren  man  vielmehr  bald  überdrüssig  wird  und  die  der 
angestrengt  Arbeitende  vollends  verschmäht,  zumal  sie  das  Nahrhafte  mit 
zu  viel  wertlosen,  ja  mitunter  selbst  schädlichen  Beimengungen  darbieten. 
Durch  alles  dies  zusammen  hat  der  Verfasser  sich  selbst  um  den  vollen 
Erfolg  gebracht.  Er  wollte  nicht  für  Wenige,  er  wollte  für  Alle  schreiben. 
Die  Letzteren  hat  er  nicht  gewonnen,  die  Ersteren  sich  abwendig  gemacht. 
Sein  Buch  wird  daher  in  der  vorliegenden  Form  vielleicht  nicht  jene 
Würdigung  finden,  welche  es  vermöge  des  vielen  Wertvollen  verdient, 
das  es  enthält.  Das  Letztere  wird  erst  nach  und  nach  durch  die  Be- 
nutzung des  Buches  bei  analogen  Arbeiten,  also  im  Wege  der  Polemik  in 
systematischen  Werken  und  Monographien,  von  dem  Uebrigen  ausgeschie- 
den werden  müssen:  dann  erst  dürfte  der  Leistung  des  Verfassers  volle 
Anerkennung  zu  teil  werden. 

Mit  Rücksicht  auf  das  eben  Angeführte  mufs  hier  völlig  davon  ab- 
gesehen werden,  in  eine  Darlegung  auch  nur  der  wichtigsten  Punkte  des 
Ideenganges  und  der  Ergebnisse  des  Werkes  zum  Zwecke  einer  kritischen 
Untersuchung  einzugehen.  Sonst  würden  diese  Zeilen  eine  eigene  metho- 
dologische Abhandlung  von  nicht  geringem  Umfange  werden,  welche  an 
vorliegendem  Orte  nicht  beabsichtigt  ist.  Es  konnte  somit  lediglich  in 
dieser  allgemeinen  Weise  auf  das  Werk  hingewiesen  werden,  um  dasselbe, 
soviel  an  uns  liegt,  vor  dem  Schicksale  achtungsvoller  Beiseitestellung  zu 
bewahren. 

Nur  ein  oder  das  andere  wollen  wir  —  mehr  auf  gut  Glück  — 
einzeln  herausgreifen,  weniger  um  eine  auf  den  Grund  gehende  Kritik  zu 
üben,  als  vielmehr  um  unsere  eigene  Stellung  zu  den  Anschauungen  des 
Autors  flüchtig  zu  kennzeichnen;  ein  Drang,  dem  das  liebe  Ich  bei  Anzeige 
eines  Buches  eben  schwer  widerstehen  kann,  der  aber  nicht,  wie  dies  bei 
einzelnen  scepterschwingenden  Potentaten  der  Kritik  der  Fall  ist,  in  die 
Unart  der  eitlen  Selbstbespiegelung  ausarten  darf.    So  vermögen  wir  schon 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     U3 

<iem  fundamentalen  Ausgangspunkte  des  Verfassers,  nämlich  seiner  Ansicht 
über  das  Verhältnis  von  Philosophie  und  Oekonomik,  nicht  beizustimmen. 
In  schwungvoller  Sprache  feiert  das  erste  Kapitel  des  Buches  die  Wissen- 
schaft der  Oekonomik  als  die  Nachfolgerin  und  Erbin  der  heimgegangenen 
Philosophie.  Die  Philosophie  sei  nichts  anderes  als  ein  noch  undifferen- 
zierter Zustand  der  Erkenntnis,  ein  blofses  Durchgangsstadium  jeder  mensch- 
lichen Erkenntnis,  und  gegenwärtig  lediglich  das  Residuum  dessen,  was 
als  Wissenschaft  nicht  über  den  ersten  Werdezustand  herauszugedeihen 
vermochte  —  immer  aber  sei  die  Philosophie  nicht  mehr  und  nicht 
weniger  als  eine  „Problematik"  gewesen:  die  Zusammenfassung  dessen, 
was  der  Menschheit  eigentlich  unbekannt  war.  Mit  den  Fortschritten  der 
Erkenntnis  habe  sich  ein  Teilgebiet  des  menschlichen  Wissens  nach  dem 
anderen  zur  selbständigen  Wissenschaft  herausgebildet  und  als  solche  von 
der  Philosophie  abgeschnürt.  Das  sei  denn  auch  mit  der  Oekonomie  der 
Fall  gewesen  und  nichts  erübrige  mehr  für  die  Philosophie,  nachdem  sich 
alle  Wissensgebiete  zu  positiven  Wissenschaften  entwickelt  haben.  Die 
Oekonomie  aber  habe  zugleich  die  Erbschaft  der  Philosophie  angetreten, 
insofern  diese  im  letzten  Grunde  das  Problem  der  Glückseligkeit  für  die 
Menschheit  zu  lösen  die  Aufgabe  hatte  (welchem  Bedürfnisse  sie  auch 
ihren  Ursprung  dankte),  dieses  Ziel  aber  nicht  zu  erreichen  vermochte, 
weil  sie  nach  absoluter  Glückseligkeit  strebte,  die  dem  Menschen  un- 
erreichbar ist.  Nur  relatives  Glück,  d.  h.  das  unter  den  jeweils  obwalten- 
den Umständen  erreichbare  Maximum  von  Lust,  Minimum  von  Unlust,  sei 
denkbar.  Darin  bestehe  aber  das  Prinzip  der  Oekonomie,  die  Oekonomik 
sei  daher  die  Philosophie  der  Zukunft. 

Diese  Auffassung  scheint  doch  wohl  die  Philosophie  zu  gunsten  der 
Oekonomik  zu  verkleinern.  Richtig  ist  es  ja,  dafs  Teilgebiete  des  Wissens 
anfänglich  lediglich  als  Philosophie  angesehen  wurden,  die  sich  später  zu 
eigenen  Disziplinen  entfalteten,  und  dafs  dies  auch  bezüglich  der  Oeko- 
nomie zutrifft;  wenngleich  die  Hinweise,  welche  der  Autor  dafür  beibringt, 
dafs  schon  die  Schriften  der  griechischen  Philosophen  vielfach  Keime  ein- 
zelner Lehren  und  Unterscheidungen  der  heutigen  Nationalökonomie  ent- 
halten, etwas  gezwungen  und  gekünstelt  erscheinen,  wie  z.  B.  der  Satz: 
„Der  Subjektivismus  der  Sophisten  bezüglich  des  Guten  kehrt  Jahrhunderte 
später  als  subjektivistische  Werttheorie  wieder !"  Der  Verfasser  hätte  so- 
gar seine  Darlegungen  über  die  „Abschnürung"  spezieller  Disziplinen 
von  der  Philosophie  weiter  durch  Anführung  der  Psychologie  und  Ethik 
als  Beispiele  stützen  können,  bezüglich  welcher  sich  ja  der  Prozefs  der 
Lostrennung  von  der  Philosophie,  als  deren  integrierende  Bestandteile  beide 
früher  galten,  eben  vor  unseren  Augen  vollzieht.  Dennoch  beruht  sein 
ganzer  Gedankengang,  wie  wir  meinen,  auf  dem  Irrtume,  als  sei  die  Phi- 
losophie nur  das  gewesen,  als  was  sie  seine  oben  angeführte  Sentenz 
darstellt.  Er  übersieht,  dafs  sie  noch  mehr  war  als  ein  blofser  Eierstock 
von  ungeborenen  Wissenschaften.  Sie  war  dies  gewifs,  aber  nur  insofern, 
als  sie  eben  das  System  einer  einheitlichen  Welt-  und  Lebensanschauung 
nach  dem  jeweiligen  Stande  der  menschlichen  Erkenntnis  ist.  Das  bleibt 
sie,  auch  nachdem  durch  die  Vervollkommnung  des  Wissens  die  einzelnen 
Teilgebiete  desselben  sioh  zu  selbständigen  Wissenschaften  entwickelt  haben. 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXHI).  8 


114     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Die  Philosophie  stirbt  daher  nicht  dadurch,  dafs  sich  eine  ganze  Reihe 
solcher  von  ihr  abschnürt,  sie  erhält  durch  diese  nur  immer  neuen  Stoff 
für  ihren  Ideenbau,  sie  wandelt  und  vervollkommnet  sich  eben  dadurch, 
sie  gewinnt  in  diesem  Entwicklungsgänge  anderen  Inhalt  und  andere 
Form,  aber  sie  lebt  und  bleibt  bestehen  als  die  Krone  und  das  einigende 
Band  aller  Wissenschaften.  "Wie  sehr  die  Wissenschaft  im  ganzen  leiden 
würde,  wenn  dieses  Band  nicht  mehr  bestünde,  wenn  diese  Sublimation 
ihrer  höchsten  Ergebnisse  nicht  mehr  gewonnen  würde,  das  zeigt  jede 
Periode,  in  welcher  die  Philosphie  ihrer  Aufgabe  nicht  ganz  entspricht, 
wie  das  nach  unserer  subjektiven  Ansicht  leider  gerade  in  der  Gegenwart 
der  Fall  ist.  Darum  braucht  man  sie  aber  nicht  totzusagen  und  ihr  einen 
Erben  zu  setzen.  Auch  kann  sie  nicht,  wie  der  Verfasser  meint,  im  Gegen- 
satze zur  Wissenschaft  stehen  und  kann  sich  nicht  in  andere  Wissen- 
schaften, worunter  die  Oekonomik,  auflösen  oder  gar  sich  in  die  Oekono- 
mik  selbst  umwandeln. 

Wie  jene  Grundauffassung  des  Wesens  und  des  Berufes  der  Philo- 
sophie, so  ist  auch  die  These  über  die  Beziehungen  zwischen  Oekonomik 
und  Philosophie  unhaltbar,  die  der  Autor  aufstellt  und  aus  welcher  er  dann 
den  erwähnten  Erbgatig  deduziert.  Eine  tiefwurzelnde  Beziehung  zwischen 
der  Oekonomik  und  der  Philosophie  findet  er  darin,  dafs  beide  dem  mensch- 
lichen Glücke  zu  dienen  haben,  aus  dem  Streben  nach  Glückseligkeit  her- 
vorgegangen sind.  Denn  alle  menschliche  Erkenntnis,  d.  h.  das  Bemühen 
um  solche,  beruhe  ausschliefslich  auf  dem  Glückstreben.  „Alles  Wissen 
wird  nur  angestrebt,  weil  es  einmal  nützlich  werden  kann."  Abermals  die 
Uebertreibung  eines  richtigen  Gedankens.  Allerdings  hat  der  Autor  Recht, 
wenn  er  sagt :  Die  Ansicht,  ein  metaphysisches  Bedürfnis  erzeuge  die 
Philosophie,  sei  unrichtig.  Es  gebe  keinen  solchen  Trieb,  das  Hirn  des 
Menschen  habe  als  Organ  der  Erkenntnis  Lebenszwecken  zu  dienen  und 
sei  daher  bestimmt,  nur  Beziehungen  zwischen  den  Dingen  der  Aufsen- 
welt  aufzufassen  und  zu  verarbeiten.  —  Aber  daraus  folgt  durchaus  nicht, 
dafs  nicht  die  Erkenntnis  als  solche  den  Menschen  befriedigt  und  er 
darum  nach  ihr  strebt,  nicht  blofs  wegen  der  möglichen  Nutzwirkung! 
Es  käme  da  nur  darauf  au,  was  man  unter  Lebenszwecken  versteht.  Auf 
der  anderen  Seite  ist  jene  Gegenüberstellung  von  absolutem  und  relativem 
Glück  eine  blofs  sprachliche  Beziehung,  darauf  beruhend,  dafs  der  Autor 
das  durch  die  Grundverhältnisse  unserer  Existenz  uns  aufgenötigte  öko- 
nomische Prinzip,  mit  dem  mindesten  Aufwände  von  Lebenskraft  und 
Aufsendingen  das  erreichbare  Maximum  von  Lebensförderung  zu  verwirk- 
lichen, eben  Glückstreben  nennt. 

In  dem  Kapitel  „Entwickelung  der  Methodologie"  giebt  der  Verf. 
eine  detaillierte  Sichtung  und  Kritik  der  verschiedenen  Forschungsrichtungen 
auf  dem  Gebiete  der  ökonomischen  Wissenschaft:  der  Klassiker,  der 
empiristischen  Schule,  der  alt-  und  der  neuhistorischen  Schule,  endlich 
der  exakt-realistischen  Schule,  welch'  letzterer  er  sich  im  Grunde  doch 
anschliefst,  indem  er  diese  Richtung  als  „rationellen  Empirismus"  fort- 
entwickelt wissen  will  und  letzteren  als  das  Postulat  der  Gegenwart  be- 
zeichnet. Die  österreichischen  Volkswirte  haben  allen  Grund,  dem  Verf. 
erkenntlich  zu  sein  für  die  Stellung,  welche  er  ihnen  in  der  Methodologie 


Uebersicht  über  die   neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     115 

der  Disziplin  anweist,  sowie  für  den  Dienst,  den  er  ihnen  durch  seine 
Darlegungen  leistet,  wenngleich  die  Erklärung,  welche  er  für  den  Umstand 
heranzieht,  dafs  die  exakt-realistische  Forschungsrichtung  derzeit  eben  in 
Oesterreich  so  emsig  und  erfolgreich  kultiviert  wird,  ebenso  unzutreffend 
ist,  ak  sie  unzureichend  wäre.  Für  Menger  wie  für  den  Schreiber  dieses 
wird  sicherlich  Anlafs  sein,  sich  mit  dem  Verf.  hinsichtlich  mancher 
Divergenzen  der  Auffassung  auseinanderzusetzen. 

Das  folgende  Kapitel  „Die  ökonomische  Erscheinung"  führt  den  Verf. 
zur  Feststellung  des  Wesens  des  Oekonomischen.  Er  findet  dasselbe  in 
der  Zweckmäfsigkeit,  er  identifiziert  es  mit  dem  Zweckmäfsigen.  Damit 
wäre  wohl  der  Umfang  der  Oekonomie  ins  Ungemessene  erweitert  und 
es  erscheint  einigermafsen  schwierig,  sich  das  theoretische  System  der 
Oekonomik  vorzustellen,  welches  alle  realisierte  Finalität  des  gesamten 
menschlichen  Daseins  umfassen  würde!  Insbesondere  die  Scheidung  von 
der  Technik,  welche  Schreiber  dieses  bekanntlich  für  die  Vorbedingung 
einer  wirklich  wissenschaftlichen  ökonomischen  Theorie  hält  und  in  dem 
Buche  „Das  Wesen  und  die  Aufgaben  der  Nationalökonomie"  versucht  hatr 
ginge  wieder  verloren.  Wenn  der  Verf.  meint,  die  begriffliche  Sonderung 
zwischen  beiden  durch  das  Diktum  vornehmen  zu  können,  „die  Oekono- 
mik handle  vom  Nützlichen,  die  Technik  von  Nützlichem",  so  wäre  mit 
diesem  Wortspiele  gesagt,  der  Unterschied  zwischen  Oekonomie  und  Tech- 
nik sei  der  zwischen  Generellem  und  Speziellem,  was  wohl  kaum  aufrecht 
zu  halten  ist.  Die  technischen  Handlungen  sind  an  sich  gewifs  zweck- 
mäfsige,  aber  an  sich  nicht  eo  ipso  ökonomische  :  sie  werden  in  der  Regel 
zugleich  ökonomische,  insofern  der  Mensch  mit  Rücksicht  auf  die  Ge- 
samtheit der  Lebenszwecke  bei  jeder  einzelnen,  einem  speziellen  Zwecke 
gewidmeten  technischen  Handlung  eben  zugleich  ökonomisch  vorgeht.  Denn 
würde  er  bei  einer  bestimmten  Zwecksetzung  unökonomisch  handeln ,  so 
würde  er  sich  dadurch  die  Erreichung  anderer  Zwecke  schmälern. 
Ohne  diese  Rücksicht  könnte  der  einzelne  konkrete  technische  Vorgang 
auch  in  unökonomischer  Weise  vorgenommen  werden,  wie  dies  ja  auch  in 
einer  Anzahl  von  Fällen  vorkommt!  Daher  ist  wohl  auch  dem  Ausspruche 
nicht  beizustimmen ,  dafs  die  Zweckmäfsigkeit  keine  Gradunterschiede 
habe.  Im  allgemeinen  natürlich  nicht,  aber  im  konkreten  wohl,  je  nach- 
dem eben  mit  der  Technik  auch  die  Oekonomie  in  vollem  Mafse  verwirk- 
licht wurde  oder  nicht. 

In  den  weiter  folgenden  Kapiteln  sind  mit  eingehendster  Bezugnahme 
auf  die  gesamte  philosophische  und  nationalökonomische  Literatur  be- 
handelt: die  Begriffsbildung,  das  Verhältnis  von  Begriff  und  Erfahrung, 
Begriff  und  Abstraktion,  die  Kritik,  Analyse  und  Dialektik  der  Begriffe, 
die  Denomination,  Definition  und  Klassifikation,  alles  mit  besonderer  Be- 
ziehung auf  die  Oekonomie,  sodann  die  ökonomischen  Urteile,  das  ökono- 
mische Schliefsen  und  die  ökonomischen  Gesetze.  In  diesen  Abschnitten 
liegt  hauptsächlich  der  Wert  des  Buches.  Seine  Ausführungen  über  die 
Kausalität,  die  Induktion,  die  Hypothese  als  Hilfsmittel  der  Induktion, 
das  Experiment,  die  Deduktion  und  ihr  Verhältnis  zur  Induktion,  sowie 
die  litterarhistorisch-kritische  Erörterung  über  die  ökonomischen  Gesetze 
im  Gegensatze  zu  Regeln    und  Normen    werden    von   jedem    theoretischen 

8* 


11Ö       Uebersicht  über  die   neuesten   Publikationen   Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Forscher  unseres  Wissensgebietes  und  jedem  Schriftsteller  über  die  Metho- 
dologie fortan  zu  beachten  sein.  Damit  soll  nicht  gesagt  sein,  dafs  unbe- 
dingt in  allen  Einzelheiten  auch  zuzustimmen  wäre.  Für  unsere  Person 
möchten  wir  diesfalls  nur  das  Eine  erwähnen,  dafs  der  Verf.  hinsichtlich 
der  „exakten"  Gesetze  und  speziell  mit  Beziehung  auf  Menger  einen  in 
Deutschland  verbreiteten  Irrtum  zu  teilen  scheint,  als  beruhten  solche 
nicht  auf  Induktion ,  sondern  bildeten  einen  Gegensatz  zur  Induktion. 
Gerade  das  Gegenteil  ist  richtig.  Ein  exaktes  wissenschaftliches  Gesetz 
ist  ein  Induktionsschlufs  höchster  und  allgemeinster  Art :  als  solcher,  nicht 
als  apriorisches  Axiom  ist  es  der  Ausgangspunkt  der  Deduktion.  Aller- 
dings könnte  der  Verf.  für  sich  anführen ,  dafs  er  durch  einzelne  Aus- 
drücke in  den  Untersuchungen  Menger's  zu  jener  Ansicht  über  die  Auf- 
fassung dieses  Schriftstellers  gebracht  worden  sei.  Allein  es  entscheidet 
doch  der  gesamte  Sinn  und  die  allgemeine  Richtung  einer  Schrift  und 
darnach  sind  wohl  Zweifel  in  jener  Hinsicht  ausgeschlossen. 

Sehr  interessant,  insbesondere  vom  kritischen  Standpunkte,  und  ge- 
dankenreich ist  das  Kapitel  über  die  „ökonomischen  Ideen".  Den  Schlufs 
bildet  die  Darstellung  der  ökonomischen  Systematik.  In  den  beiden 
letzten  Abschnitten  bestehen  wohl  mehrere  fundamentale  Differenzpunkte 
zwischen  dem  Referenten  und  Verfasser,  ohne  dafs  jedoch  es  möglich 
wäre,  hier  darauf  einzugehen  und  ohne  dafs  dieselben  es  verhindern,  die 
mannigfachen  Anregungen  und  Gewinne  an  Einsicht  anzuerkennen,  welche 
auch  diese  Partien  des  Werkes  dem  theoretischen  Forscher  bieten. 

Prag.  Emil  S  a  x. 

Molinari,  Gustave  de  (Correspondant  de  l'Institut,  Redacteur  en 
Chef  du  Journal  des  Economistes),  Les  Bourses  du  Travail.  Paris, 
Guillaumin  et  O,  1893.  in-8°.  XII  et  335  pp. 

Der  alte  Vorkämpfer  und  treue  Verfechter  der  Freihandelslehre  in 
Frankreich,  Gustav  von  Molinari,  bietet  uns  in  der  vorliegenden  Schrift 
eine  neue  geistreiche  und  interessante  Bearbeitung  des  Lohnproblems. 
Er  fafst  dasselbe,  um  ihm  weitere  Seiten  abzugewinnen,  unter  dem  Stand- 
punkt der  Entwickelung  des  Arbeitsmarktes,  welchen  Begriff  er  als  „Ar- 
beitsbörsen" bezeichnet.  Nachdem  der  Verfasser  die  Grundbegriffe  des 
Lohns  und  die  Bedingungen  seiner  Entstehung  und  Ausgestaltung  er- 
örtert hat,  verfolgt  er  in  historischer  Darstellung  die  verschiedenen  Ent- 
wickelungsepochen  der  Organisation  der  Arbeit  mit  kritischer  Erwägung. 
Er  zeigt  uns,  wie  das  Gesetz  von  Angebot  und  Nachfrage  im  Bereiche 
der  Arbeit  sich  in  den  verschiedenen  Stadien  der  Unfreiheit,  Halbfreiheit 
Gebundenheit  und  wirtschaftlichen  Freiheit  unserer  Tage  zu  bestimmten 
Rechtsnormen  und  Gewohnheiten  des  Wirtschaftslebens  verdichtet  hat. 
Sodann  prüft  unser  Autor  die  Einflüsse  des  Pauperismus  und  der  sozia- 
listischen Weltanschauung  auf  die  lohnarbeitenden  Klassen,  er  untersuoht 
die  Einwirkungen  der  Arbeitseinstellungen  und  Koalitionen  auf  die  Lohn- 
bewegung, er  erörtert  die  Wirksamkeit  der  Syndikate  im  Kampfe  zwischen 
Arbeit  und  Kapital.  Diese  drei  Abteilungen,  die  Molinari  uns  in  elf 
Kapiteln  vorführt,  bilden  sozusagen  die  Grundlage  für  sein  eigentliches 
litterarisches  Problem,  welches  sich  in  der  Frage  zuspitzt,  wie  ist  ohne 
Durchbrechung    der     individuellen    und    wirtschaftlichen    Freiheit,     ohne 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     \\7 

Unterbindung  des  freien  Verkehrs  und  der  freien  Konkurrenz  ein  Aus- 
gleich zwischen  den  beiden  sich  in  unserer  Zeit  hart  befehdenden  Lagern : 
Kapital  und  Arbeit  herbeizuführen.  Um  des  Verf.  Auslührungen  voll  zu 
würdigen,  mufs  man  darüber  unterrichtet  sein,  dafs  die  Geschichte  der 
Arbeitsbörsen  ein  wesentliches  Stück  seiner  Lebensschicksale  umspannt. 
Allerdings  hatte  sich  Molinari,  der  diesem  Plan  schon  seit  dem  Jahre 
1844  in  Frankreich  und  Belgien  Anhänger  zu  werben  gesucht  hat,  solche 
Arbeitsbörsen  auf  kapitalistischer  Grundlage,  als  eine  Nachbildung  der 
Geschäftsbörsen  vorgestellt,  wo,  wie  hier  Wertpapiere  oder  Waren,  die 
Ware  „Arbeit"  gehandelt  werden  sollte.  Die  Arbeitsbörsen  allerdings, 
wie  sie  vor  einigen  Jahren  in  seinem  zweiten  Vaterlande  Frankreich 
entstanden  sind ,  entsprechen  seinem  freihändlerischen  Ideale  keines- 
wegs. 

Den  Grundzug  der  ökonomischen  Entwickelung,  den  Molinari  beim 
Güterverkehr  im  allgemeinen  feststellen  zu  können  glaubt,  dafs  nämlich 
die  Vermehrung  der  Rechtssicherheit,  die  Fortschritte  der  Technik,  die 
Vervollkommnung  der  Verkehrsmittel  und  die  wachsende  Herausbildung 
von  Verkehrsformen  zu  einer  Ausdehnung  der  Märkte,  zur  Entstehung 
eines  zentralisierenden,  allgemeinen  Marktes  führen,  überträgt  er  auch 
auf  die  Geschichte  und  Organisation  der  Arbeitsmärkte.  Wie  sich  aber 
aus  der  Schaffung  solcher  Zentralmärkte  für  den  Warenverkehr  wesent- 
liche Vorteile  ergeben,  so  mufs  auch  die  Organisation  der  Arbeitsfreiheit, 
die  „Cirkulation  der  freien  Arbeit"  gleiche  Erfolge  haben.  Das  heutige 
Lohnsystem  ist  ihm  nur  eine  weitere  Form  der  Abhängigkeit  des  Ar- 
beiters vom  Kapital,  wenn  auch  nicht  in  rechtlicher,  so  doch  in  ökono- 
mischer und  sozialer  Beziehung.  Diese  letzte  Stufe  der  Unfreiheit  der 
Arbeitermassen  kann  aber  erst  in  unabsehbarer  Zeit  in  ein  Stadium  voller 
Freiheit  und  voller  ausgeglichener  Gegensätze  hinübergeführt  werden. 
Man  mufs  sich  daher  für  die  Gegenwart  und  nächste  Zukunft  mit  Ver- 
besserungen der  Organisation  des  Arbeitsmarktes  begnügen.  Diese  Idee 
führt  den  Verf.  zur  Schilderung  jener  litterarischen  und  positiven  Vor- 
gänge, deren  Ziel  die  Errichtung  sog.  Arbeitsbörsen  nach  kapitalistischem 
Muster  ist,  und  an  denen  er  einen  hervorragenden  Anteil  genommen  hat. 
Allein  er  kommt  dabei  zu  dem  Resultate,  dafs  weder  die  sozialistischen 
und  halbsozialistischen,  wie  solche  in  Frankreich  bestehen,  noch  die 
philanthropischen ,  wie  diejenige  in  Lüttich ,  den  Zweck  der  Emanzi- 
pation der  Arbeit  zu  erfüllen  vermögen,  weil  sie,  namentlich  die  sozia 
listißchen,  nur  zu  leicht  zu  Organen  gewisser  Arbeiterparteien  werden, 
denen  es  weniger  um  die  wirtschaftliche  Befreiung  der  Arbeit  aus  den 
Fesseln  des  Kapitalismus  zu  thun  ist,  als  sich  deren  Streben  in  der 
Richtung  bewegt,  die  Arbeitsbörsen  ihrer  eigentlichen  Bestimmung  zu 
entziehen,  sie  zum  Tummelplatz  politischer  Agitationen  und  ihre  Organi- 
sation zur  Kraftprobe  der  politischen  Macht  der  Arbeitermassen  zu 
machen.  Ebensowenig  entsprechen  diesem  Ziele  die  gewerbsmäfsigen 
Arbeitsvermittelungsanstalten,  durch  welche  die  Arbeiter  nur  ausgebeutet 
werden.  Vorläufig  kann  nach  Molinari  das  Heil  nur  darin  gefunden 
werden,  Genossenschaften  auf  Gegenseitigkeit  zu  gründen,  die  wie  ein 
Netz    über   das    ganze  Land    ausgespannt    sind,    einen  Ausgleich  zwischen 


118     Uebersicht   über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Angebot  und  Nachfrage  der  Arbeitskräfte  bewirken,  die  Arbeitsvermitte- 
lung organisieren.  Im  übrigen  wird  die  Ausdehnung  des  Marktes,  ein 
Prinzip,  das  den  Güterverkehr  ebenso  beherrscht,  wie  es  allmählich  auch 
in  den  Arbeitsmarkt  eindringt,  im  Laufe  der  Entwickelung  den  „Wucher 
der  Arbeit"  mit  Erfolg  bekämpfen,  die  Mifsstände  mildern,  die  aus  der 
ungleichen,  wirtschaftlichen  Lage  des  Arbeitgebers  und  Arbeitnehmers 
entspringen,  den  Preis  der  Arbeit  regulieren,  die  Löhne  immer  mehr 
dem  Niveau  des  gerechten  Lohnes  nähern  und  einen  allgemeinen  Fort- 
schritt der  Produktion  und  des  Nationalvermögens  herbeiführen.  Dieser 
Werdegang  wird  aber  dann  wieder  von  neuem  ein  entscheidendes  Argu- 
ment zu  gunsten  des  Freihandels  liefern. 

Aus  diesen  Ausführungen  erkennen  wir  immer  wieder  den  prinzipien- 
treuen Verfechter  der  wirtschaftsliberalen  Schule,  der  auch  im  Alter  un- 
entwegt an  den  wissenschaftlichen  Idealen  seiner  Jugend  festhält  und 
dessen  innerste  TJeberzeugung  von  dem  endlichen  Siege  der  Freibandels- 
doktrin  in  Theorie  und  Leben  unerschüttert  bleibt.  Das  Buch  ist,  wie 
alle  Schriften  des  gleichen  Verfassers,  geistreich,  anregend  und  elegant 
in  Form  und  Darstellung  geschrieben  und  zeugt  von  der  unerschöpflichen 
Geistesfrische  und  unversieglichen  Arbeitskraft  und  Schaffenslust  des  bald 
fünfundsiebzigjährigen  Gelehrten. 

Als  besonders  beachtenswert  möchte  ich  noch  die  stattliche  Reihe 
von  Exkursen  und  Anlagen  (S.  197  —  305)  hervorheben,  unter  welchen 
insbesondere  die  Materialien  zur  Entwickelung  der  Pariser  Arbeitsbörse, 
die  sonst  schwer  zugänglich  sind,  unser  Interesse  erregen. 

Würzburg.  Max  von  Hecke  1. 

Brentano,  Lujo,  Ueber  das  Verhältnis  von  Arbeitslohn  und  Ar- 
beitszeit zur  Arbeitsleistung.  2.  völlig  umgearbeitete  Auflage.  Leipzig, 
Duncker  &  Humblot.      1893.      103   S. 

Als  sich  der  Katzenjammer  naoh  dem  Rausoh  der  Milliardenzeit  ein- 
stellte, waren  es  gar  eigenartige  Mittel  der  Sanierung,  die  man  auempfahl. 
Ein  Reskript  des  damaligen  preufsischen  Handelsministers  an  die  Ober- 
bergämter (28.  März  1876)  befürwortete  eine  Herabsetzung  der  Gedinge- 
sätze, um  erhöhte  Arbeitsleistung  zu  erzielen.  Den  nämlichen  Rat  erteilte 
der  Finanzraiuister  Camphausen  den  privaten  Unternehmern  (26.  Januar 
1875). 

Im  Gegensatz  zu  solchen  Aeufserungen  entstand  Brentano's  oben  ge- 
nannte Schrift,  von  der  nunmehr  in  der  2.  Auflage  eine  fast  völlig  neue 
und  von  der  speziellen  Veranlassung  losgelöste  Untersuchung  vorliegt. 
Die  fundamentale  Wichtigkeit  des  Gegenstandes  erheilt  schon  aus  dem 
Titel.  In  der  Theorie  ist  seit  Ad.  Smith  und  einigen  seiner  Vorläufer 
allgemein  der  Satz  anerkannt  worden,  dafs  höherer  Lohn  und  gröfsere 
Arbeitsleistung  sich  gegenseitig  bedingen,  während  im  17.  und  18.  Jahr- 
hundert genau  das  Entgegengesetzte  gelehrt  wurde.  Noch  heutzutage  in 
kulturell  rückständigen  Ländern  und  Arbeitszweigen  wird  vielfach  be- 
hauptet, eine  Lohnerhöhung  führe  notwendigerweise  zu  geringerer  An- 
spannung der  Thätigkeit. 

Brentano  hält  nun  dafür,  dafs  beide  Auffassungen  sich  recht  wohl 
vereinigen    lassen.      Jene   Wandlung    setzt    einen    psychologischen    Prozefs 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.      \\2 

auf  seiten  der  Arbeiter  voraus.  Durch  allmählich  —  nicht  sprungweise 
—  steigende  Entlohnung  wachsen  deren  physische  und  geistige  Kräfte 
und  mit  ihren  Bedürfnissen  zugleich  die  Möglichkeit  ihrer  Befriedigung, 
der  Massenkonsum.  Auf  diese  Weise  entsteht  die  Möglichkeit,  nicht  nur 
den  Arbeiter  besser  zu  bezahlen,  sondern  auch  seine  durchschnittliche 
Arbeitszeit  herabzudrücken  und  dennoch  —  oder  richtiger  gesagt  — 
dadurch  gerade  die  Arbeitsleistung  sogar  zu  erhöhen.  Die  Arbeiter- 
schutzgesetzgebung gab  hierzu  den  ersten  Anstofs.  Das  Wesentliche  bei 
diesem  Vorgang  ist,  dafs  der  Arbeiter  aus  dem  Bannkreis  des  Herkom- 
mens herausgerissen  und  dadurch  befähigt  wird,  den  veränderten  Pro- 
duktionsbedingungen entsprechend  intensivere  Arbeit  zu  leisten.  Damit 
wird  zugleich  die  verbesserte  und  verfeinerte  Produktionstechnik  und  Or- 
ganisation der  Arbeit  auch  rentabel  für  den  Unternehmer  und  ermöglicht 
ihm  Gewinn  trotz  der  erheblich  gestiegenen  Löhne. 

Diese  Sätze  werden  durch  eine  reiche  Fülle  trefflich  verarbeiteten 
und  übersichtlich  gruppierten  statistischen  Materials  belegt,  das  eine  Reihe 
der  wichtigsten  Branchen  umfafst.  Hauptsächlich  sind  die  Ergebnisse 
von  Brassey,  v.  Schulze-Gävernitz  und  Sohönhof  verwertet.  Es  ist  wohl 
eine  durch  die  Zerstreutheit  des  Materials  verschuldete  Lücke,  dafs  die 
auch  in  der  Heimat  vielfach  bestehende  achtstündige  Arbeitszeit  hier 
nicht  erwähnt  wird,  über  die  seither  0.  Pringsheim  1)  einige  auch  wohl 
kaum  vollständige  Angaben  gemacht  hat. 

Des  weiteren  polemisiert  Brentano  gegen  die  sozialdemokratische 
Doktrin,  dafs  die  Herabdrückung  der  Arbeitszeit  zur  Minderung  der  Be- 
schäftigungslosen führen  würde.  Sie  lasse  doch  die  Entstehungsgründe 
der  Arbeitslosigkeit:  des  Auf  und  Ab  der  Konjunktur  und  im  besonderen 
der  Saisongewerbe  wie  die  Demoralisierung  der  Arbeiter  während  ihrer 
Beschäftigungslosigkeit  gänzlich  unberührt.  Allein  weiterhin  räumt  der 
Autor  ein,  dafs  in  einzelnen  Gewerben  doch  zur  Mehreinstellung  von 
Arbeitern  geschritten  werden  müfste,  sobald  die  Arbeitszeit  gekürzt  wird. 
Sohin  ist  die  an  diesen  Satz  anknüpfende  Polemik  eigentlich  gegenstands- 
los2); denn  dafs  übermäfsige  Arbeitszeit  nur  eine  von  vielen  Ursachen 
der  Arbeitslosigkeit  sei  und  sohin  füglich  von  jener  nicht  das  Verschwin- 
den dieser  erwartet  werden  könne,  bedarf  keines  Beweises.  Allein  für 
•die  Wirkung  der  verkürzten  Arbeitszeit  auf  die  Arbeitsgelegenheit  käme 
alles  darauf  an  festzustellen,  wie  die  Relation  jener  Gewerbszweige  mit 
Mehreinstellung  von  Arbeitern  zu  denjenigen  ist,  für  welche  voraussicht- 
lich keine  solche  eintritt.  Diese  hochwichtige  Frage  wird  sich  allerdings 
definitiv  mit  den  vorhandenen  statistischen  Unterlagen  kaum  entscheiden 
lassen.  Immerhin  giebt  z.  B.  die  Beobachtung  der  Zahl  von  Angestellten 
an  den  schweizerischen  Eisenbahnen  vor  und  nach  Einführung  des  Maxi- 
malarbeitstages wertvolle  Fingerzeige  in  dieser  Richtung,  die  hier  nicht 
weiter  verfolgt  werden  können.  Ferner  ist  zu  bemerken,  dafs  schon  die 
Minderung,  nicht  die  Beseitigung  der  „industriellen  Reservearmee"  be- 
stimmte Vorteile  im  Gefolge    hat.     Gerade    dadurch    wird  Erlangung    und 


1)  In  Braun's  Archiv,  Bd.  VI,  S.   15  ff. 

2)  was  insbesondere  von  den  Bemerkungen  Pringsheim's  a.  a.  O.  S.  22  gilt. 


120     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen   Deutschlands   und  des   Auslandes. 

Behauptung  kürzerer  Arbeitszeit  ermöglicht  und  der  Arbeiter  bei  rück- 
läufiger Konjunktur  widerstandsfähiger  gemacht.  Endlich  fehlt  in  Bren- 
tano's  Darstellung  der  Lichtseiten  des  modernen  Produktionsprozesses  die 
Beleuchtung  der  Schattenseiten.  So  insbesondere  der  schneller  verbrauch- 
ten Arbeitskraft  infolge  der  gesteigerten  Intensität  —  vielleicht  des 
schwierigsten  Problems  der  Zukunft! 

Allein  die  Neuauflage  einer  Gelegenheitsschrift  konnte  wohl  kaum 
die  allseitige  Behandlung  einer  so  weitverzweigten  Frage  bringen.  Hof- 
fentlich geschieht  das  in  einer  vielleicht  bald  folgenden  desselben  Büch- 
leins oder  bei  anderer  Veranlassung  in  der  Volkswirtschaftslehre,  die  uns 
der  Autor  hier  verheifsen  hat. 

In  schwungvollen  Worten  verlangt  die  Schrift  am  Schlüsse  gleich 
vollkommene  Ausrüstung  für  den  Arbeiter  im  internationalen  Wettbewerb 
wie  für  den  modernen  Soldaten,  d.  i.  höheren  Lohn  und  kürzere  Arbeits- 
zeit. Wir  zweifeln  nicht  daran,  dafs  Brentano's  Publikation  auch  aufser- 
halb  des  gewohnten  Leserkreises  sozialökonomischer  Schriften  Anklang 
und  Beifall  finden  wird.  Sie  verdient  ihn  im  reichsten  Mafse  durch  ihren 
inneren  Gehalt,  den  Reichtum  an  Material  wie  last  not  least  durch  ihre 
abgerundete  prächtige  Diktion. 

Berlin.  Rudolf  Grätzer. 

Offermann,  Alfred,  Ueber  die  Zukunft  der  Gesellschaft  oder 
die  Wirkung  der  grofsen  Zahlen.     Leipzig,  Otto  Wigand,    1893.      167  SS. 

Der  Verfasser  geht  von  dem  Gedanken  aus ,  dafs  man  in  die  ver- 
wickelten sozialen  Erscheinungen,  welche  bekanntlich  das  Ergebnis  vieler 
und  mannigfaltiger  zusammenwirkender  Ursachen  sind,  nur  auf  deduktivem 
Wege  eindringen  könne.  Er  versucht  nun  auf  diesem  Wege  ein  Prinzip, 
welches  die  fortschreitende  Entwickelung  civilisierter  Nationen  beherrsche, 
aufzustellen  und  seine  Uebereinstimmung  mit  den  auf  einzelnen  Gebieten 
des  sozialen  Lebens  deutlich  hervortretenden  Tendenzen  zu  zeigen.  Als 
solches  Prinzip  aber  erscheint  ihm  dasjenige  der  grofsen  Zahlen ,  durch 
deren  Wirkung  der  Zufall  eliminiert  werde,  indem  die  Wirkungen  der 
„accidentiellen"  oder  zufälligen  (wechselnden)  Ursachen  sich  um  so  voll- 
ständiger gegenseitig  aufheben  und  diejenigen  der  konstanten  Ursachen 
um  so  reiner  auftreten,  je  gröfser  die  Zahl  ist.  Auf  der  niedersten  Kultur- 
stufe ist  nach  dem  Verfasser  der  Mensch  gänzlich  den  „Zufällen",  welche 
in  dem  Wechsel  der  Ausbeute,  der  Jahreszeit,  der  Gegend,  des  Klimas 
xl.  s.  w.  bestehen,  schutzlos  preisgegeben.  Mit  steigender  Kultur  macht 
er  sich  von  denselben  mehr  und  mehr  unabhängig,  dafür  aber  wird  er  in 
stets  wachsendem  Mafse  unter  der  Einwirkung  solcher  Zufälle  stehen,  als 
welche  ihn  die  nicht  vorauszusehenden  Handlungen  der  Anderen  treffen. 
Alles  nun ,  was  nur  von  einer  oder  wenigen  Personen  abhänge,  müsse 
man  im  grofsen  Mafse  dem  Zufall  oder,  was  auf  dasselbe  herauskomme, 
uns  verborgenen  und  unerforschlichen  Ursachen  zuschreiben,  da  für  den 
Einzelfall  —  oder  hier  für  den  Einzelwillen  —  der  Einflufs  der  variabelen 
Ursachen,  die  eben  das  „Zufällige"  ausmachten,  immer  entscheidend  sei. 
Jede  gesellschaftliche  Ordnung  habe  es  immer  mit  Menschen  zu  thun. 
welche,  gar  unsteten  Sinnes,  ihr  eigenes  Wollen  meist  selbst  nicht  kennten. 
Die  subjektive  Willkür  unzuverlässiger  Geschöpfe,   wie  die  Menschen  ein- 


Uebersicht  über  die  neuesten   Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     221 

mal  seieD,  müsse  durch  eine  objektive  Regel  gebunden  sein.  Aber  diese 
objektive  Kegel  dürfe  auch  selbst  nicht  wieder  durch  den  einseitigen 
Willen  Eines  Menschen  oder  Einer  Klasse  gesetzt  werden,  sondern  sie 
müsse  durch  das  dauernde  Zusammenwirken  vieler  und  womöglich  aller 
Klassen  entstehen.  Bei  allem,  was  durch  gemeinschaftliche  Wirksamkeit 
einer  gröfseren  Zahl  von  Personen  entstehe ,  könnten  wir  die  Ursachen 
leichter  erkennen  und  voraussehen ,  da  in  einer  Gesamtheit  von  Willen, 
in  welcher  sich  die  möglichen  Kombinationen  der  variabelen  Ursachen  so 
ziemlich  erschöpften  oder  das  Zufällige  in  den  verschiedenen  Eiuzelwillen 
gegenseitig  abschleife,  der  Einflufs  der  konstanten,  auf  alle  Einzelwillen 
gleichermafsen  wirkenden   Ursachen  sicherer  zum  Vorschein  komme. 

Von  diesem  Gesichtspunkte  aus  bespricht  der  Verfasser  verschiedene 
Fragen  der  Politik  und  der  Wirtschaft,  Familie,  Staat,  Eigentum,  Handel 
und  Spekulation  etc.  Seine  Ausführungen  sind  zum  Teil  recht  interessant 
und  auch  zutreffend,  fordern  aber  doch  auch  wieder  vielfach  sehr  zur 
Kritik  heraus.  Das  „Gesetz  der  grofsen  Zahlen'4  macht  sich  allerdings 
bei  vielen  wirtschaftlichen  Erscheinungen,  insbesondere  bei  der  Preis- 
bildung wahrnehmbar.  Auch  verschaffen  sich  im  allgemeinen  die  Interessen, 
welche  durch  die  Mehrzahl  der  Mitglieder  von  Gesamtheiten  vertreten 
werden,  um  so  mehr  Geltung ,  je  vollständiger  alle  einzelnen  bei  Wahr- 
nehmung ihrer  Interessen  mitwirken.  Dies  gilt  jedoch  nicht  von  Ver- 
ständnis und  Erkenntnis.  Dafs  diese  in  der  Masse  eine  bessere  Ver- 
tretung finden  als  bei  wenigen  Personen,  läfst  sich  füglich  nicht  behaupten. 
Es  wäre  denn  doch  zu  bedauern,  wenn  ,,das  Prinzip  der  grofsen  Zahlen" 
in  der  Art  sich  Geltung  verschaffte ,  dafs  die  Mittelmäfsigkeit  zum  Siege 
gelangt  und  das  „Aleatorische  der  Persönlichkeit"  der  hervorragenderen 
Köpfe  unschädlich  gemacht  würde.  Uebrigens  sind  ja  auch  dem  Ver- 
fasser selbst  „die  Menschen"  schlechthin  „unzuverlässige  Geschöpfe",  auch 
spricht  er  von  der  „grofsen  Menge"  in  einer  Weise,  welche  seine  Forde- 
rung der  freien  Beweglichkeit  und  der  Mitwirkung  Aller  doch  in  einem 
etwas  zweifelhaften  Lichte  erscheinen  lassen. 

Für  eine  Reihe  von  Bemerkungen  hätte  der  Verf.  Belege  beizubringen 
nicht  versäumen  sollen,  so  wenn  er  sagt,  viele  sozialistische  Schriftsteller 
behaupteten,  die  Arbeit  als  solche  erzeuge  unmittelbar  „Eigentum",  wenn 
er  von  neueren  Gesetzen  spricht,  welche  die  Bebauung  kulturfähigen 
Bodens  vorschrieben,  wenn  es  heifst,  das  Zinsnehmen  sei  nach  römischem 
Recht  streng  verboten  gewesen  ,  während  doch  die  lex  Genucia  sowohl 
praktisch  als  auch  formell  nur  eine  begrenzte  Wirksamkeit  hatte,  wenn 
er  meint,  einige  „Nationalökonomen"  bezeichneten  das  Geld  als  vergegen- 
ständlichte gesellschaftliche  Arbeitszeit,  im  Satze  vom  ehernen  Lohngesetz 
sei  das  Existenzminimum  als  etwas  Absolutes,  ewig  Unveränderliches 
hingestellt  etc. 

Der  Verfasser  verlangt  freie  Bewegung,  Beseitigung  von  Fideikommissen, 
Schutzzöllen,  überhaupt  aller  „veralteten  Einrichtungen,  welohe  die  elemen- 
tare Bewegung  zu  den  grofsen  Zahlen  hin  noch  stören".  Diese  und  andere 
von  ihm  aufgestellte  Forderungen  lassen  sich  gewifs  nicht  mit  der  Hin- 
deutung auf  „das  Prinzip  der  grofsen  Zahlen"  als  berechtigt  erweisen.  Und 
wenn  gar  der  Verf.  meint,  Verteidiger  des  Schutzzollsystems  könnten  nur 


122     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

solche    sein ,     welche     über    den    Gegenstand    nicht     gehörig  nachgedacht 

hätten,    so  wird    er  selbst    bei  Freihändlern    keine   ungeteilte  Zustimmung 
finden. 

Müncheu.  J.  Lehr. 

Dürkheim,  Emile  (Charge*  d'un  cours  de  science  sociale  et  de 
pedagogie  ä  la  Faculte  des  lettres  ä  Bordeaux.  Agre'ge*  de  philosophie, 
Docteur  es  lettres),  De  la  Division  du  Travail  Social.  Paris,  Felix 
Alcan,   1893.      471  SS. 

Der  Verfasser  hat  es  sich  nicht  zur  Aufgabe  gemacht ,  etwa  das 
Wesen  der  Arbeitsteilung  und  deren  wirtschaftliche  Bedeutung,  ihre  Licht- 
und  Schattenseiten  sowie  die  Mittel  und  Mafsregeln  zu  erörtern,  durch 
welche  ihren  Uebelständen  begegnet  werden  soll.  Der  Begriff  der  „divi- 
sion  du  travail  social",  wie  er  ihn  fafst,  deckt  sich  nicht  mit  demjenigen 
der  Arbeitsteilung ,  wie  wir  ihn  meist  in  nationalökonomischen  Werken 
finden.  Er  nimmt  ihn  vielmehr  in  dem  Sinne  der  Vermannigfaltigung 
durch  die  Verschiedenartigkeit  in  der  persönlichen  Entwickelung,  welche 
bekanntlich  nicht  gerade  lediglich  durch  Arbeit  und  Beruf,  sondern  durch 
die  gesamten  Lebensverhältnisse  bedingt  ist,  welche  auf  Geist  und  Körper 
einen  Einflufs  ausüben. 

Im  wesentlichen  ist  es  das  Verhältnis  des  Einzelnen  zur  Gesellschaft, 
welches  der  Verfasser,  und  zwar  immer  nur  vom  Gesichtspunkte  der 
Arbeitsteilung  und  der  persönlichen  Entwickelung  aus ,  zum  Gegenstande 
seiner  etwas  allgemein  und  abstrakt  gehaltenen  Darlegungen  macht.  Die 
Frage  der  sittlichen  Bedeutung  der  Arbeitsteilung  giebt  ihm  zunächst  An- 
lafs,  den  Begriff  des  Sittlichen  zu  erörtern.  Die  Widerlegung  der  Auf- 
fassung ,  als  ob  der  Begriff  des  Sittlichen  mit  dem  des  persönlichen 
Interesses  sich  decke ,  wird  ihm  natürlich  leicht ,  insofern  man  den  Be- 
griff dieses  Interesses  eben  nicht  so  weit  fafst,  dafs  man  sich  eines  cir- 
culus  vitiosus  schuldig  macht.  Anders  aber  liegt  die  Sache,  wenn  man 
an  das  Interesse  der  Gesamtheit  denkt. 

Hier  macht  sich  der  Verfasser  die  Widerlegung  Jhering's  u.  a.  da- 
durch allzu  leicht,  dafs  er  den  Begriff  etwas  zu  enge  fafst.  In  Wirk- 
lichkeit kommt  er  aber  doch  zum  gleichen  oder  ähnlichen  Ergebnis  wie 
diejenigen,  welche  er  bekämpft.  Entscheidend  ist  ihm  das  allgemeine 
Sittlichkeitsgefühl ,  welches  je  nach  dem  Stande  der  Kultur  verschieden 
ist.  Es  ist  wohl  richtig,  wie  der  Verfasser  bemerkt,  dafs  man  nicht  eine 
einzige  allgemeine  Formel  aufstellen  kann,  aus  welcher  in  jedem  Einzel- 
falle das  einzuschlagende  sittliche  Verhalten  abgeleitet  werden  kann ;  dafs 
sich  im  praktischen  Leben  eine  Beihe  von  Sätzen  und  Regeln  heraus- 
gebildet haben,  welche  je  zur  Anwendung  kommen.  Ob  dagegen  hier  der 
Begriff  des  Mittels  aus  mehreren  Gesellschaften  oder  Nationen  der  gleichen 
Art  bezw.  Kulturstufe  sich  als  brauchbar  erweist ,  möchte  ich  dahinge- 
stellt sein  lassen.  Ist  nach  den  Auffassungen  der  Italiener  eine  Hand- 
lung sittlich  zulässig,  welche  dies  nach  den  Anschauungen  anderer  euro- 
päischer Völker  nicht  ist ,  so  besteht  eben  eine  solche  Verschiedenheit, 
ohne  dafs  man  die  Abweichung  vom  europäischen  Mittel  als  etwas  Ab- 
normes zu  bezeichnen  braucht.  Uebrigens  meint  auch  der  Verfasser,  dafs 
das  sittliche  Bewufstsein  ganzer  Gesellschaften  sich  täuschen  könne.     Da- 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     ]_2'd 

mit  nähert  er  sich  einigermafsen  dem  Begriffe  des  Unbedingten  ,  sofern 
er  nicht  an  einen  zeitlichen  Durchschnitt  und  an  Abweichungen  von 
demselben  denkt. 

Die  Ansicht,  als  ob  das  Streben  nach  Glück  die  Ursache  der  Arbeits- 
teilung sei,  wird  vom  Verfasser  bekämpft;  vielmehr  sei  als  Ursache  der 
Kampf  ums  Dasein  zu  betrachten,  wie  er  dem  Menschen  mit  zunehmender 
Dichtigkeit  der  Gesellschaft  notgedrungen  auferlegt  werde.  Man  könne 
aber  nicht  sagen,  dafs  durch  diesen  Kampf,  welcher  zu  den  gröfsten 
Anstrengungen  nötige,  die  Menschen  glücklicher  würden.  Hätte  der  Ver- 
fasser statt  des  Ausdrucks  Glück  (bonheur)  sich  der  Worte  „Streben  nach 
Verbesserung  der  Lage"  bedient ,  so  wäre  seine  Widerlegung  zum  Teil 
hinfällig  geworden.  Man  kann  immer  auch  fragen ,  welchen  Ursachen 
denn  jene  Dichtigkeit  und  jener  Kampf  ums  Dasein  zu  verdanken  sei. 

Als  die  am  meisten  hervorstechende  Wirkung  der  Arbeitsteilung  be- 
zeichnet der  Verfasser  die  innige  Verkettung,  welche  sie  zwischen  den 
einzelnen  Mitgliedern  der  Gesellschaft  schaffe.  Sie  gestatte  der  Persön- 
lichkeit, sich  mehr  zu  entfalten.  Zwar  werde  der  Mensch  durch  die 
Bande,  welche  ihn  an  die  Gesellschaft  knüpften,  mit  zunehmender  Arbeits- 
teilung immer  abhängiger,  gleichzeitig  aber  werde  sein  persönliches  Leben 
freier ,  indem  er  immer  weniger  dem  Joche  von  Herkommen  und  Ge- 
bräuchen unterworfen  sei.  Zum  Belege  hierfür  deutet  der  Verfasser  auf 
den  Unterschied  zwischen  grofsen  und  kleinen  Städten.  In  letzteren  steht 
jede  persönliche  Bewegung  unter  Kontrolle ,  für  erstere  aber  gelte  das 
Sprichwort:    „On  n'est  nulle    part   aussi  bien  cache*    que  dans  une  foule." 

Zum  Schlufs  behandelt  der  Verfasser  auch  die  Frage  der  „fraternite" 
als  einer  Wirkung  der  Arbeitsteilung,  die  der  Krisen,  des  Klassenkrieges  etc. 
als  anormaler  Zustände.  Er  fordert  Gleichheit  der  äufseren  Bedingungen 
für  den  Wettkampf  auf  Grund  rechtlicher  und  sittlicher  Regeln,  in  welchem 
Falle  haben  würden  „les  Services  echange's  une  valeur  sociale  e'quivalente". 
Den  Begriff  dieser  sozialen  Gleichwertigkeit  hat  der  Verfasser  leider  nicht 
klar  gestellt,  ebenso  vermisse  ich  nähere  Ausführungen  über  jene  Gleich- 
heit der  äufseren  Bedingungen. 

Enthält  auch  das  Buch  manche  interessante  und  lesenswerte  Aus- 
führungen, so  habe  ich  an  demselben  doch  auszusetzen  ,  dafs  die  Frage 
der  Arbeitsteilung  auch  in  ihren  Wirkungen  auf  die  persönliche  Ent- 
wickelung  und  auf  die  Beziehungen  des  Einzelnen  zur  Gesellschaft  nicht 
erschöpfend  behandelt  und  gar  zu  abstrakt-philosophisch  gehalten  ist. 
München.  J.  Lehr. 

Röscher  Wilhelm,  Politik:  Geschichtliche  Naturlehre  der 
Monarchie,  Aristokratie  und  Demokratie.  Erste  und  zweite  Auflage, 
Stuttgart,  Cotta  Nachfolger,   1893.     IV  und   722  SS.  gr.  8°. 

In  diesem  Buche  giebt  uns  der  Altmeister  der  Staatswissenschaften 
die  gereiften  Früchte  langjähriger  Beschäftigung  mit  der  geschichtlichen 
Naturlehre  des  Staates.  Wie  er  schon  seit  Beginn  seiner  Docententhätig- 
keit  neben  der  Nationalökonomie  die  Politik  in  dem  eben  bezeichneten 
Sinn  zum  Gegenstande  seiner  Vorlesungen  machte,  so  hat  er  auch  schrift- 
stellerisch bereits  vor  fast  einem  halben  Jahrhundert  die  Naturlehre  der 
Monarchie    und    der  -Aristokratie  erörtert    und    dann    vor    wenigen  Jahren 


124     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

in  drei  gröfseren  Abhandlungen  den  Cäsarismus,  die  absolute  Monarchie 
und  die  Demokratie  beleuchtet.  Das  vorliegende  Werk  enthält  diese  drei, 
ursprünglich  an  verschiedenen  Stellen  veröffentlichten  Aufsätze  in  über- 
arbeiteter und  bereicherter  Gestalt;  hinzu  gekommen  sind,  aufser  einer 
einleitenden  Betrachtung  über  die  Staatsformen  überhaupt,  eingehende 
Erörterungen  über  die  Monarchie  im  allgemeinen  und  das  Urkönigtum, 
über  die  Aristokratie  und  über  Plutokratie  und  Proletariat. 

Mit  Recht  hält  Röscher,  im  Gegensatze  zu  den  während  der  letzten 
150  Jahre  hervorgetretenen  zahlreichen  Versuchen  einer  neuen  Klassifi- 
kation der  Staaten,  an  der  wenigstens  für  die  historische  und  politische 
Erkenntnis  förderlichsten  Unterscheidung  von  Monarchie,  Aristokratie  und 
Demokratie  fest.  Auch  die  von  Aristoteles  und  Polybios  aufgestellte 
Theorie  einer  regelmäfsigen  geschichtlichen  Aufeinanderfolge  der  Staats- 
formen behält  er  im  ganzen  bei,  berichtigt  und  ergänzt  sie  aber  im  Ein- 
zelnen. Ihm  erscheint  als  Regel  bei  den  Kulturvölkern  des  Abendlandes, 
dafs  auf  ein  patriarchalisch-volkstümliches  Urkönigtum  eine  ritterlich- 
priesterliche  Aristokratie  folgt,  welche  wiederum  durch  eine,  vorzugsweise 
absolute,  Monarchie  verdrängt  wird  ;  diese  wird  dann  mehr  und  mehr  mit 
demokratischen  Elementen  versetzt,  oder  macht  einer  völligen  Demokratie 
Platz;  durch  Ausartung  der  Demokratie  entsteht  Plutokratie  mit  der  Kehr- 
seite des  Proletariats;  den  Beschlufs  macht  eine  neue  Monarchie,  die  Mili- 
tärtyrannis,  welche  der  Verf.  mit  Vorliebe  als  „Cäsarismus"  bezeichnet. 
Diese  geschichtliche  Reihenfolge  ist  auch  für  die  Anordnung  der  Dar- 
stellung bestimmend  geworden.  Als  auffallend  kann  es  erscheinen,  dafs 
R.  der  konstitutionellen  Monarchie  in  der  historischen  Entwickelung  gar 
keinen  besonderen  Platz  einräumt  und  derselben  überhaupt  nur  sehr  ge- 
ringe Beachtung  zuwendet.  Die  Erklärung  hierfür  ist  wohl  in  seiner 
Ansicht  zu  finden,  dafs  diese  Staatsform  zu  den  zahlreichen  Mischungen 
der  reinen  Staatsformen  gehört  (s.  besonders  S.  8).  Immerhin  würden 
wir  es  mit  Freuden  begrüfsen ,  wenn  der  Verf.  sich  entschlösse ,  in 
einer  neuen  Auflage  seines  Werkes  diese  eigentümliche  und  für  die 
Gegenwart  vorzugsweise  wichtige  Verbindung  der  drei  Elemente  jedes 
Staatswesens  nach  ihren  Voraussetzungen  und  Wirkungen  einer  näheren 
Betrachtung   zu  unterziehen1). 

In  der  Art  der  Behandlung  des  Stoffes  und  im  innern  Gehalt  teilt 
das  vorliegende  Werk  die  bekannten  Vorzüge  der  Roscher'schen  Arbeiten 
in  vollem  Mafse.  Die  aus  den  verschiedensten  Quellen  zusammengetrage- 
nen, sorgfältig  ausgewählten  und  umsichtig  verwerteten  historischen  Be- 
lege gewähren  auch  dem  in  der  Geschichte  nicht  unbewanderten  Leser 
eine  reiche  Fülle  dankenswerter  Belehrung.  Wenn  der  Verf.  Aristoteles' 
Politik  als  eins  der  vortrefflichsten  Beispiele  der  von  Bacon  so  sehr  em- 
pfohlenen ,,Historia  ruminata"  rühmt,  so  gebührt  seiner  Darstellung  der 
Politik  diese  Bezeichnung  jedenfalls  nicht  weniger.  Daneben  wirkt  über- 
aus wohlthuend  die  das  ganze  Werk  durchdringende  Gesinnung  des  Autors. 
Seine  Unparteilichkeit  in  der  Erörterung  der  verschiedenen  Staatsformen 
läfst   die    Erfüllung    des    im  Vorwort    (S.    IV)    ausgesprochenen    Wunsches 


1)   Geschrieben  vor  dem  unerwarteten  Tode  des  verehrten   Mannes. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen   Deutschlands  und   des  Auslandes.     125 

hoffen,  dafs  sein  Buch  dazu  beitragen  möge,  in  unserer  parteizerrissenen 
Zeit  die  Einseitigkeit  der  Anschauungen  zu  berichtigen  und  demgemäfs 
versöhnlicheres  Handeln  zu  fördern.  Vor  allem  aber  sind  seine  Aus- 
führungen (S.  567  ff.),  dafs  die  drohende  oder  schon  begonnene  pluto- 
kratisch-proletarische  Spaltung  der  abendländischen  Kulturvölker  nicht  als 
unwiderstehliche  Entwicklung  zu  betrachten  sei,  sondern  durch  Einsicht 
und  Selbstbeherrschung  aller  Klassen  der  Bevölkerung  und  durch  frei- 
willige Association,  unter  angemessener  Beihilfe  des  Staates,  sich  über- 
winden lasse,  in  hohem  Grade  geeignet,  gegenüber  den  sozialen  Gefahren 
der  Gegenwart  unseren  Mut  zu  stärken  und  uns  den  rechten  Weg  zu 
weisen. 

Breslau.  Brie. 

Pastor,  Willy,  Yom  Kapitalismus  zur  Einzelarbeit.  Berlin, 
Puttkammer  und  Mühlbrecht,   1892.  III  und  111   SS. 

Alle  Schäden  und  Mifsverhältnisse  unserer  Gesellschafts-  und  Wirt- 
schaftsordnung entspringen  nach  Ansicht  des  Verf.  aus  dem  Kapitalismus. 
Eine  Umkehr  auf  dieser  verhängnisvollen  Bahn  ist  aber  nicht  zu  er- 
streben durch  eine  sozialistische  Organisation  unserer  ökonomischen  Ver- 
hältnisse, sondern  nur  durch  die  Individualisierung  derselben,  durch  die 
Rückkehr  zur  Einzelarbeit.  Darum  predigt  Pastor  die  Abwendung  von 
allen  kosmopolitischen  und  weltwirtschaftlichen  Ideen  und  die  Rückkehr 
zu  nationaler  Absonderung  und  individueller  Abschliefsung:  Verselbstän- 
digung der  nationalen  Produktion  gegenüber  der  universalen,  Verselb- 
atändigung  der  territorialen  innerhalb  der  nationalen  und  endlich  mit 
ungeheuerer  Ersparung  an  Kraft  und  Vereinfachung  des  Herstell- 
ungsprozesses, Verselbständigung  der  Gemeinden.  Das  Ziel  aller  Ent- 
wickelung  und  allen  Strebens  ist  ihm  die  Konzentration  des  Wirtschafts- 
lebens in  der  Familie,  dem  Ausgangspunkt  aller  sozialen  Organbildung. 
Die  Mittel  zur  Erreichung  dieses  Endzweckes  bieten  die  Machtelemente 
des  Kapitalismus  selbst,  vornehmlich  die  grofsartigen  Fortschritte  der 
wirtschaftlichen  Technik.  Alle  einschlägigen  Probleme  der  Organisation 
des  volkswirtschaftlichen  Lebens  werden  vom  Verf.  gestreift,  aber  keines 
erschöpfend  behandelt.  Es  fehlt  der  ganzen  Schrift  an  konkretisierender 
Vertiefung. 

Augenscheinlich  ist  der  Autor  von  warmen  patriotischen  Gefühlen 
beseelt  und  von  idealistischer  Lebensanschauung  durchdrungen.  Seinen 
Ausführungen,  die  sich  oftmals  zu  gesucht  geistreichen  Ape^us  zuspitzen 
wollen,  gebricht  es  aber  an  den  genügenden,  namentlich  volkswirtschaft- 
lichen Kenntnissen  und  Erfahrungen.  Es  könnte  ihm  sonst  nicht  unter- 
laufen, dafs  er,  wie  auf  S.  89  ff.,  beständig  die  Epigonenlitteratur  der 
klassischen  Nationalökonomie  mit  der  modernen  Wissenschaft  verwechselt. 
Und  überhaupt  möge  er  bedenken,  dafs  mit  einer  derartig  kursorischen 
und  feuilletonistisohen  Behandlung  so  tiefgehender  Fragen  ,  wie  sie  hier 
aufgerollt  werden ,  nichts  wissenschaftlich  Ernsthaftes  geleistet  werden 
kann.  Will  der  Verf.  dem  Leser,  sei  er  Fachmann  oder  gebildeter  Laie, 
mehr  bieten  als  eine  an  Paradoxen  reiche  Dilettantenarbeit,  so  bedarf  es 
vor    allem    gröfserer  Gründlichkeit,    sorgfältigerer  Sammlung    und    Durch- 


126  Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

sichtung  eines  umfassenderen  Thatsachenmaterials.  In  unserer  Zeit  ge- 
nügen dem  wissenschaftlichen  Bedürfnisse  einige  Gemeinplätze  und 
skizzenhaft  hineingeworfene  Augenblicksbilder  nicht  mehr. 

Würzburg.  Max  von  Hecke  1. 

Schneider,  Fr.,  J.  G.  Fichte  als  Sozialpolitiker.  Halle  a./S.,  Kaemmerer  &  C° 
1894.     gr.  8.     IV— 80  SS.     M.   1,20. 

Schröder,  H.  (grofsh.  badischer  OAmtmann  a.  D.),  Wertverteilung  und  Renten- 
theorie.    Berlin,  Puttkammer  &  Mühlbrecht,  1894.     gr.  8.     146  SS.     M.  2,40. 

Staatslexikon.  Herausgegeben  im  Auftrage  der  Görres-Gesellschaft  zur  Pflege 
der  Wissenschaft  im  katholischen  Deutschland.  Band  III.  (Grotius  bis  Oekonomie.)  Frei- 
burg i/B.,  Herder,  1894.     gr.  8.     IV— 1539  SS.     M.  15. 

Wagner,  Adolph,  Grundlegung  der  politischen  Oekonomie.  3.  wesentlich  um- 
gearbeitete u.  stark  erweiterte  Aufl.  Teil  II.  Volkswirtschaft  und  Recht,  besonders  Ver- 
mögensrecht, oder  Freiheit  und  Eigentum  in  volkswirtschaftlicher  Betrachtung,  Buch  1 — 3 : 
(Einleitung,  persönliche  Unfreiheit  und  Freiheit.  —  Eigentumsordnung,  Begründung,  Be- 
griff des  Privateigentums.  —  Privatkapital,  Privatgrundeigentum,  Zwangsenteignung.) 
Leipzig,  C.  F.  Winter,  1894.  gr.  8.  XVIII— 564  SS.  M.  13.—.  (A.  u.  d.  T. :  Lehr- 
und  Handbuch  der  politischen  Oekonomie.  In  einzelnen  selbständigen  Abteilungen  in  Ver- 
bindung mit  A.  Buchenberger,  K.  Bücher  und  H.  Dietzel  bearbeitet  und  herausgegeben 
von    Ad.  Wagner.     I.  Hauptabteilung,    3.  Aufl.    Teil  2,  Buch  1—3.) 


Audiffrent,  G.  (ancien  eleve  de  l'Ecole  polytechnique),  Centenaire  de  la  fondation 
de  l'Ecole  polytechnique.  Auguste  Comte ,  sa  plus  puissante  emanation.  Notice  sur  la 
vie  et  sa  doctrine.     Paris,  Ritti,   1894.     8.     H — 264  pag.     fr.  5. 

Guillemenot,  P.  (l'abbe,  chanoine  honoraire),  Le  juste  salaire,  ou  un  appel  ä 
l'opinion.  Echo  d'une  Conference  ä  la  Societe"  d'^conomie  politique  et  ä  Nevers.  Nevers, 
impr.  Valliere  1894.     in-18.     36  pag. 

üommons,  J.  R.,  Social  reform  and  the  church  ;  with  an  introduction  by  R.  T. 
Ely.  New  York,  Crowell  &  C°,  1894.  16.  X— 176  pp.,  cloth.  £  0,75.  (Contents:  The 
Christian  minister  and  sociology.  —  The  church  and  the  problem  of  poverty.  —  The 
educated  man  in  politics.  —  The  church  and  political  reforms.  —  Temperance  reform.  — 
Municipal  monopolies.  —  Proportional  representation.  — ) 

Dictionary  of  national  biography.  Edited  by  Sidney  Lee.  Vol.  XXXVIII:  Mil- 
man-More.     London,  Smith,  Eider  &  C°,  1894.     Roy -8.    VI— 455  pp.     15/.—. 

Macvane,  S.  M.,  Austrian  theory  of  value.  Philadelphia,  American  Academy  of 
political  and  social  science,  1894.  8.  41  pp.  $  0,25.  (Publications  of  the  Society  ; 
N°  104.)     [Eine  Bekämpfung  der  Wieserschen  Werttheorie.] 

Simcox,  E.  J.,  Primitive  civilisation ;  or,  outlines  of  the  history  of  ownership  in 
Archaic  communities.     2  vols.     London,  Swan  Sonnenschein,  1894.    8-    1132  pp.     32/. — . 

B  i  a  n  c  o ,  P.,  La  filosofia  del  diritto  in  Germania.  Salerno,  tip  fratelli  Jovane, 
1893.  8.  158  pp.  (Contiene:  Lariforma  e  il  diritto  naturale  sino  a  Grozio.  —  Pufen- 
dorf.  —  Thomasius.  —  Leibnitz.  —  Wolff.  —  Kant.  —  Fichte.  —  Krause.  —  Hegel.  — 
Schleiermacher.  —  Herbart,  Geyer ;  etica  e  filosofia  del  diritto.  —  L'indirizzo  teologico 
e  la  scuola  storica  del  diritto ;  F.  G.  Stahl.  —  Trendelenburg.  —  L'etica  del  positivismo 
e  la  filosofia  del  diritto ;  Feuerbach ;  Knapp.  —  Lasson.  —  II  pessimismo  e  i  pricipi  del 
diritto.) 

Cencelli,  A.,  II  socialismo  e  la  costituzione  della  proprieta;  demani  e  terre  incolte. 
Roma,  tip.  dell'  Unione  cooperativa  editrice,  1894.  16.  23  pp.  (Estr.  dalla  „Nuova 
Rassegna",  anno  II.) 

Drysdale,  Ch.  R.,  Het  leven  en  de  werken  van  Thomas  Robert  Malthus.  Uit 
het  Engelsch  vert.,  onder  toezicht  van  J.  Schoondermark  jr.  Amsterdam,  Moransard,  1894. 
8.     VIII— 159  blz.     fl.  1,30. 

2.     Geschichte  und  Darstellung  der  wirtschaftlichen  Kultur. 
The  industries  of  Eussia.     Yol.    I  und  II.    Manufactures   and 
Trade  with  a    general    industrial    map    by    the  Department  of  Trade  and 
Manufuctures  Ministry  of  Finance.     St.    Petersburg    1893.    gr.    8°.    XIV, 


Ueberiicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.      127 

LIV,  576  pag.  —  Vol.  III.  Agriculture  and  Forestry  with  coloured  maps 
by  the  Department  of  Agricultural  Ministry  of  Crown  Domains.  St. 
Petersburg  1893.  gr.  8°.  XXXII,  487  pag.  —  Vol.  IV.  Mining  and 
Metallurgy  with  a  set  of  mining  maps  by  A.  Keppen,  mining  engineer. 
St.  Petersburg  1893.  gr.  8°.  IX,  97  pag.  —  Vol.  V.  Siberia  and  the 
great  Siberian  Railway  with  a  general  map  by  the  Department  of  Trade 
and  Manufactures  Ministry  of  Finance.  St.  Petersburg  1893.  gr.  8°. 
265  pag. 

Dieses  hervorragende,  splendid  ausgestattete  Werk,  das  aus  Veran- 
lassung der  Columbischen  Weltausstellung  im  Auftrage  der  Regierung 
entstanden  ist,  will  ein  vollständiges  Bild  des  russischen  Wirtschaftslebens 
in  seinen  äufseren  Erscheinungen  geben.  Es  nimmt  unter  den  Gelegen- 
heitspublikationen ähnlicher  Art  ohne  Zweifel  eine  prominente  Stellung 
ein.  Der  Westeuropäer  wird  das  Werk  mit  lebhafter  Freude  begrüfsen, 
weil  es  die  erste  offizielle  und  ausführliche  Beschreibung  des  wirtschaft- 
lichen Rufslands  in  einer  möglichen,  civilisierten  Sprache  bringt. 

Das  Werk  besteht  aus  einer  Reihe  von  Monogrophien,  die  aus  der 
Feder  bedeutender  Fachleute  herstammen  und  mit  dem  gesamten  vor- 
handenen amtlichen  Zahlenmaterial  befruchtet  sind.  Dafs  bei  dem  Stande 
der  russischen  Statistik  alle  ziffermäfsigen  Angaben  nur  einen  Annähe- 
rungswert haben  können,  ist  selbstverständlich,  benimmt  ihnen  aber 
durchaus  nicht  jeden  Wert.  Die  industrielle  Geographie  und  Geschichte 
kann  mit  solchen  approximativen  Werten  recht  wohl  zu  wissenswerten 
Ergebnissen  gelangen.  Kommt  dann  die  textliche  Beschreibung  und 
graphische  Illustration  hinzu,  so  können  wir  uns,  auch  auf  Grund  recht 
dürftigen  Zahlenmaterials,  ein  immerhin  erträglich  deutliches  und  rich- 
tiges Bild  von  der  Gestaltung  des  Wirtschaftslebens  eines  Landes  in 
grofsen  Zügen  machen :  Aufschlufs  über  den  Standort  der  Produktions- 
zweige, ihre  quantitative  Bedeutung,  ihre  Entwickelung,  ihre  natürlichen 
und  wirtschaftlichen  Bedingungen,  ihre  technischen  und  ökonomischen 
markanten  Eigentümlichkeiten,  darüber  vermag  uns  ein  Werk  wie  das 
vorliegende  sehr  wohl  Aufschlufs  zu  geben.  Die  methodische  Schulung 
wird  den  Eingeweihten  vor  allzuweit  gehenden  Schlüssen  aus  dem  mit- 
geteilten Materiale  bewahren  müssen. 

Aus  dem  Inhalte  der  stattlichen  5  Bände  hier  Mitteilungen  machen 
zu  wollen,  hiefse  die  Aufgabe  einer  Bücheranzeige  verkennen.  Willkür- 
lich einige  Angaben  herauszugreifen ,  hat  wenig  Zweok.  Um  aber  das 
überreiche  Material  zu  verarbeiten,  ja  nur  systematisch  zu  besprechen, 
würde  es  des  Raumes  eines  umfangreichen  Aufsatzes  bedürfen.  Zur 
Orientierung  gebe  ich  hier  nur  noch  eine  summarische  Inhaltsübersicht. 
Jeder  Band  beginnt  mit  einer  Einleitung,  in  der  ein  Abrifs  der  geschicht- 
lichen Entwickelung  je  des  betreffenden  Zweiges  der  Volkswirtschaft 
enthalten  ist;  naturgemäfs  sehr  dürftig.  Dann  behandeln  der  erste  und 
zweite  Band  zunächst  die  wichtigsten  Gewerbe  monographisch.  Professor 
Langovoy  hat  die  Baumwollindustrie  (S.  1 — 21),  die  Flachs-,  Hanf-  und 
Juteindustrie  (S.  22—37),  die  Wollenindustrie  (S.  38  —  57)  und  die 
Seidenindustrie  (S.  58 — 65)  bearbeitet;  je  ein  Fachmann    hat  die  Papier- 


128    Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

und  Lederindustrie  (S.  66 — 108),  die  Holzindustrie  (S.  109—125),  die 
Metallindustrie  (S.  126 — 176),  die  Maschinenindustrie  (S.  177—187),  die 
Glas-,  keramische  und  Cementindustrie  (S.  188 — 224,  269  —  280),  die 
chemische  und  Naphtaindustrie  (S.  225—238,  248  —  268),  die  Streichholz-, 
Zucker-  und  Spritindustrie  (S.  239—247,  281 — 302,  303 — 347),  die 
Tabakindustrie  (S.  303 — 347),  die  Nahrungsmittelindustrie  (S.  348—365), 
den  Schiffbau  (S.  366—395)  und  endlich  den  Wagenbau  (S.  396 — 404) 
zur  Bearbeitung  übernommen.  Die  Monographien  sind,  soweit  angängig, 
nach  demselben  Schema  angefertigt;  sie  enthalten  aufser  einem  histo- 
rischen Rückblick  Angaben  über  die  Menge  der  verbrauchten  Rohstoffe 
und  der  erzeugten  Fabrikate,  über  die  Zahl  der  Betriebe,  über  den 
Charakter  der  Arbeitsmittel,  die  Produktionskosten  (Preis  der  Arbeit, 
Durchchnittslohnangaben),  über  Import  und  Export.  Eine  Reihe  von 
Kapiteln  sodann  ist  in  diesen  Bänden  der  Behandlung  besonders  interessan- 
ter Materien  gewidmet.  Wir  begegnen  einer  Darstellung  des  russischen 
Zollwesens,  der  Entwickelung  des  inländischen  und  auswärtigen  Handels, 
endlich  auch  zwei  Aufsätzen  über  Arbeiterverhältnisse  (Arbeitszeit  und 
Arbeitslöhne,  S.  514 — 538),  die  beide  aus  der  Feder  des  Generalfabrik- 
inspektors stammen.  Dafs  es  sich  hier  auch  nur  um  ganz  summarische 
Mitteilungen  handeln  kann,  geht  schon  aus  der  Thatsache  des  geringen 
Umfangee  der  Arbeiten  hervor. 

Einen  naturgemäfs  verschiedenen  Charakter  hat  der  dritte  Band,  der 
die  Land-  und  Forstwirtschaft  darstellen  soll.  Der  Inhalt  konnte  hier 
bei  der  Homogenität  des  Stoffes  einheitlicher  und  systematischer  geordnet 
werden.  So  behandeln  zunächst  mehrere  Kapitel,  die  auch  wieder  ver- 
schiedene Autoren  zu  Verfassern  haben,  der  Reihe  nach:  das  Klima,  den 
Boden,  die  ländliche  Bevölkerung  und  das  Grundeigentum,  die  Ackerbau- 
systeme, die  Ackerbaumethoden  (S.  1 — 92).  Dann  folgen  Monographien 
über  die  Brotstoffe,  den  Getreidehandel,  „andere"  Bodenprodukte,  und  die 
Viehzucht.  Daran  schliefsen  sich  zum  Teil  sehr  lesenswerte  Abhandlungen 
über  die  volkswirtschaftliche  Seite  des  Agrarwesens,  über  Maschinen  in 
der  Landwirtschaft,  über  landwirtschaftliche  Schulen,  über  den  landwirt- 
schaftlichen Kredit,  über  bäuerliche  Gewerbe,  landwirtschaftliche  Ver- 
waltung und  anderes  mehr.  Eine  Hauptzierde  dieses  Bandes  sind  aber 
die  zahlreichen,  ausgezeichneten  graphischen  Darstellungen,  die  für 
sich  allein  schon  ein  sehr  instruktives  Bild  von  der  äufseren  Gestaltung  der 
agrarischen  Zustände  in  Rufsland  geben.  Sie  zählen  nach  vielen 
Dutzenden. 

Der  Inhalt  des  4.  und  5.  Bandes  ergiebt  sich  aus  dem  Titel.  Es 
sind  darin  einmal  der  Bergbau  und  das  Hüttenwesen,  sodann  Sibirien 
monographisch  behandelt,  letzteres  unter  besonderem  Hinblick  auf  die 
grofse  sibirische  Eisenbahn. 

In  Summa:  ein  6ehr  gehaltvolles  Werk,  das  für  jeden,  der  der 
russischen  Sprache  nicht  mächtig  ist,  eine  der  wichtigsten  Quellen  bildet 
zur  Orientierung  über  das  Wirtschaftsleben  des  grofsen  russischen 
Reiches. 

Breslau.  W.  Sombart. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.      129 

Wutke  K.,  Die  Versorgung  Schlesiens  mit  Salz  1772 — 1790.  Ber- 
lin, J.  A.  Stargardt,   1894.  VI  und   135  SS. 

Die  auf  Materialien  des  Breslauer  und  Magdeburger  Staatsarchivs 
beruhende  Schrift  liefert  einen  interessanten  Beitrag  zur  Geschichte  der 
preufsischen  Verwaltung  in  den  letzten  Zeiten  Friedrichs  des  Grofsen, 
der  Absperrung  der  Provinzen  gegen  einander  in  handelspolitischer  Be- 
ziehung, der  auf  Erzielung  möglichst  grofser  Ueberschüsse  berechneten 
Eigenwirtschaft  der  einzelnen  Behörden.  Nach  dem  siebenjährigen  Kriege 
durch  Einrichtung  der  kursächsischen  Salinenwerke  in  Dürrenberg  ihres 
rlauptabsatzes  beraubt  bestürmten  die  Pfännerschaften  von  Halle  und 
Grofsen  Salze  die  Begierung  um  Abnahme  ihrer  Produkte.  Die  durch 
einen  Brand  im  Salzwerke  von  Wieliczka  fälschlich  hervorgerufene  Vor- 
stellung von  dessen  verminderter  Leistungsfähigkeit  liefs  Schlesien  als 
geeignetes  Absatzgebiet  für  anderes  Salz  ercheinen.  Allein  dem  stellte 
sich  das  hartnäckige  Streben  des  schlesischen  Ministers  v.  Hoym  ent- 
gegen, das  sächsische  Salz  nur  zu  einem  möglichst  geringen  Preise  an- 
nehmen zu  wollen.  Auch  der  von  dem  grofsen  König  angeregte  Plan, 
das  zum  Lecken  für  das  Vieh  benutzte  polnische  Steinsalz  durch  ein 
von  den  bedrängten  Pfännerschaften  hergestelltes  Kunstprodukt  zu  ver- 
drängen, scheiterte  an  dessen  schlechter  Beschaffenheit.  Einen  Versuch 
der  Seehandlung,  durch  Einführung  englischen  Steinsalzes  nicht  nur 
Schlesien  von  Wieliczka  unabhängig ,  sondern  diesem  in  Polen  selbst 
Konkurrenz  zu  machen,  vereitelte  neben  der  Abneigung  des  Publikums 
gegen  die  Neuerung  die  Ueberschwemmung  der  Provinz  mit  polnischem 
Steinsalz  seitens  eines  interessierten  Privatmannes,  der  Friedrich  Wil- 
helms IL  Wohlwollen  für  sich  auszubeuten  verstand. 

Magdeburg.  G.  Liebe. 

Blumenstock,  A.  H.,  Entstehung  des  deutschen  Immobiliareigentums.  Band  I: 
Grundlagen.  Innsbruck,  Wagnersche  Universitätsbhdl. ,  1894.  gr.  8.  VIII — 375  SS. 
M.  7,20.  (Inhalt :  Die  ältesten  gallo-römischen  Bodenrechtsverhältnisse.  —  Die  ältesten 
salfränkischen   Bodenrechtsverhältnisse.   — ) 

Schoost,  O.  (Pastor),  Vierlanden.  Beschreibung  des  Landes  und  seiner  Sitten. 
Hamburg,  Jürgensen  &  Becker,   1894.     gr.   8.      51   SS.   mit  17  Abbildungen.     M.   1,20. 

Pfeiffer,  F.  B,  Volkswirtschaftliches  Jahrbuch  des  Königreichs  Serbien.  2  Teile. 
Berlin,  H.  Walther,  1894.  gr.  8.  VIII— 183  u.  77  SS.  M.  6.—.  (Inhalt.  Teil  I: 
Handels-  und  Volkswirtschaftsgesetzgebung ;  Ein-  und  Ausfuhrhandel  Serbiens.  —  Zur 
Geschichte  und  Lage  der  Finanzen  Serbiens.  —  Einiges  über  den  serbischen  Bergbau.  — 
Stand  der  Landwirtschaft  in  Serbien.  —  Teil  II:  Volkswirtschaftlicher  Handelsvertrag 
vom  9.  August  bis  25.  Juli    1892   zwischen  Serbien  und  Oesterreich-Ungarn.  — ) 

Schauenburg,  M.,  Reisenotizen  eines  Chicagoreisenden.  Lahr,  Schauenburg,  1893. 
kl.  8.     188  SS.     M.  2.—. 

Tuma,  A.  (k.  u.  k.  Generalmajor),  Serbien.  Hannover,  Helwing,  1894.  gr.  8.  VH — 
308  SS.  M.  6. — .  (Aus  dem  Inhalte  :  Regierung  und  Verfassung.  —  Innere  Verwaltung.  — 
Oeffentlicher  Unterricht  und  geistige  Kultur.  —  Wirtschaftliche  Verhältnisse :  Bodenkultur 
Bergbau,  Industrie,  Handel  und  Mittel  des  Verkehrs.  —  Oeffentliche  Gesundheitspflege 
—  Finanzverwaltung.  — ) 


Baumont,  H.,  Etudes  sur  le  regne  de  Leopold,  Duc  de  Borraine  et  de  Bar  (1697 
—1729).  Paris,  Berger-Levrault  &  O,  1894  gr.  in-8.  XII— 638  pag.  fr.  7,50.  (Extrait, 
de  sommaire:  Les  finances  de  Leopold  [pp.  389  ä  460].  —  Gouvernement  de  Leopold 
[pp.  461   ä  517].  —  Population,  agriculture,  industrie,   commerce   [pp.   556  ä  609].) 

Loonen,  Ch.,  Le  Japon  moderne.  Paris,  Plön,  1894.  in-18  Jesus.  326  pag. 
Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXI1I).  9 


130     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

avec  35  gravures  d'apres  des  photographies  japonaises.  fr.  4. — .  (Table  des  matieres : 
Le  Pacifique.  —  Yokohama.  —  Tokio.  —  La  Tokaida.  —  Les  manufactures.  —  La 
campagne  et  la  culture.  —  Les  institutions  et  l'industrie.  —  Politique :  La  Situation  des 
Prangers.      Les  douanes.     Les  tribunaux.  —  etc.) 

de  Preville,  A.,  Les  societes  Africaines,  leur  origine,  leur  evolutioD,  leur  avenir. 
Paris,  Firmin-Didot  &  Cie ,  1894.  XIII — 345  pag.  fr.  3,50.  (Table  des  matieres:  La 
zone  des  döserts  du  Nord  :  Regions  des  pasteurs  cavaliers  ;  chameliers  ;  chevriers  ;  vachers  ; 
les  oasis.  —  La  zone  montagneuse  de  l'Est :  Les  petits  plateaux  herbus  ;  les  terres  basses 
voisines  des  petits  plateaux  herbus.  —  La  zone  des  deserts  du  Sud:  Les  savanes;  les 
steppes  pauvres ;  les  territoires  de  chasse.  —  Les  Boers  de  l'Afrique  Australe :  Les  Boers 
et  les  Hottentots ;  les  Boers  et  les  Cafres ;  les  Anglais  et  les  Boers.  —  La  zone  äquato- 
riale du  Centre  :  La  chasse  :  (influenae  de  la  chasse  sur  la  famille  ,  les  religions  chez  les 
negres) ;  la  region  du  Manioc ;  la  region  des  forets  et  de  la  banane  ;  la  region  de  l'eleusine. 
—  La  region  du  dourah  et  les  pasteurs  et  cultivateurs  du  Nil-Blanc.  —  L'origine  pre- 
miere  des  races  Africaines.  —  Les  conditions  de  regeneration  sociale  de  la  race  noire. 
Rapports  entre  les  noirs  et  les  blancs ;  les  colonies  ä  base  agricole  en  Afrique  ;  la  question 
de  l'abolition  de  la  traite  est  au  fond  celle  du  relevement  social  de  negres.  — ) 

Boothby,  Guy,  On  the  wallaby ;  or,  through  the  East  and  across  Australia. 
London,  Longmans,  Green,  &  C°,  1894.  8.  362  pp.  with  8  plates  and  85  illustrations. 
18/. — .  (Contents:  Descriptions  of  Ceylon,  Penang,  Singapore,  British  Borneo,  Batavia, 
etc.  —  Description  of  the  town  of  Cairns,  the  centre  of  the  sugar-growing  industry  in 
North  Queensland.  —  The  question  of  sugar  and  rice  cultivation,  and  the  employment 
of  the  Kanakas  on  the  plantattons.  —  Description  of  Townsville  ,  the  probable  capital 
of  the  new  province  of  Northern  Queensland.  —  etc.  ,,On  the  wallaby"  ist  eine  Austra- 
lianisme  und  bedeutet  „auf  der  Wanderschaft".) 

3.  Bevölkerungslehre  und  Bevölkerungspolitik.    Auswanderung  und  Kolonisation. 

Lent,  K.,  Tagebuchberichte  der  Kilimandjarostation  Heft  4  für  Oktober  1893.  Ber- 
lin, Heymann,  1894.  gr.  8.  36  SS.  M.  1. — .  (Herausgegeben  von  der  Deutschen  Kolo- 
nialgesellschaft.) 

Schroft,  K.,  Die  österr. -ungarische  überseeische  Kulturarbeit  und  Auswanderung. 
Ein  patriotisches  Mahnwort.     Wien,  Konegen,  1894.     8.     56  SS.     M.   1. — . 


Regime  (le)  coinmercial  des  colonies  trancaises.  Paris,  Challamel,  1894.  8.  130  pag. 
(Publications  de  l'Union  coloniale  francaise,  n°  3,  avril   1894.) 

Annual  report  (LV'h)  of  the  Registrar-General  of  births,  deaths,  and  marriages  in 
England  (1892).  London,  printed  by  Eyre  &  Spottiswoode,  1894.  gr.  in-8.  LXXVI1I — 
230  pp.     (Parliam.  paper  by  command  of  Her  Majesty.) 

Newsholme,  A.,  The  elements  of  vital  statistics.  3d  edition.  London,  Swan 
Sonnenschein,  1892.  8.  XXIV — 326  pp.,  cloth.  7/.6.  (Contents:  Registration  of  sickness. 
—  Male  and  female  mortality  at  different  ages.  —  Influence  of  climate  and  social  con- 
ditions on  mortality.  —  Density  of  population  and  mortality.  —  Effect  of  occupation  Ou 
mortality.  —  Life  tables.  —  The  duration  of  life.  —  The  decline  in  the  English  death- 
rate  and  its  causes.  —  Statistical  fallacies.   —  etc. 

Macola,  Ferruccio,  L'Europa  alla  conquista  dell'  America  latina.  Venezia,  F. 
Ongania  edit.,  1894.  8.  VIII — 437  pp.  1.  4. — .  (Contiene :  Un  carico  di  emigranti.  — 
II  Brasile.  —  L'Europa  alla  conquista  dell'  America  latina.) 

Carrasso,  G.,  La  provincia  de  Santa-Fe,  su  colonizacion  agricola.  Buenos  Aires, 
1894.  12.  96  pp.  (Noticias  ütiles  para  los  trabajadores ,  immigrantes  y  capitalistas. 
Sumario:  Aspecto  general.  Division  y  poblacion.  —  Colonizacion.  —  Agricultura.  — 
Exportacion  y  comercio.  —  Industrias  y  datos  importantes.  —  Inmigracion.  —  Medios^ 
de  comunicacion  y  trasporte.  — ) 

4.     Bergbau.     Land-  und  Forstwirtschaft.    Fischereiwesen. 

Frankenstein,  Kuno,  Die  Arbeiterfrage  in  der  deutschen  Land- 
wirtschaft. Mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Erhebungen  des  Vereins 
für  Sozialpolitik  über  die  Lage  der  Landarbeiter.    Berlin  1893.    8°.    326  SS- 

Wie  schon  der  Nebentitel  andeutet,  so  enthält  das  Buch  eine  zusammen- 
gedrängte Darstellung  der  Resultate,  welche  sich  aus  den  vom  Verein  für 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.      J31 

Sozialpolitik  veranstalteten  und  in  Bd.  53,  54,  55  seiner  Schriften  ver- 
öffentlichten Erhebungen  über  die  Lage  der  Landarbeiter  im  Deutschen 
Reiche  ergeben.  Dabei  hat  der  Verfasser  in  ausgiebigerer  Weise,  als  es 
in  der  Publikation  des  Vereins  für  Sozialpolitik  geschehen  ist,  die  im 
Jahre  1873  vom  Kongrefs  deutscher  Landwirte  vorgenommene  Enquete 
über  den  nämlichen  Gegenstand  zum  Vergleich  herangezogen. 

Des  besseren  Ueberblicks  wegen  teilt  der  Verf.  das  Deutsche  Reich 
je  nach  der  verschiedenartigen  Gestaltung  der  ländlichen  Arbeiterverhält- 
nisse in  5  Gebiete:  1)  obstelbisches  Deutschland;  2)  Nordwestdeutschland; 
3)  Mitteldeutschland;  4)  "Westdeutschland;  5)  Süddeutschland  (Bayern, 
"Württemberg,  Hohenzollern,  Baden,  südl.  Grofsherzogtum  Hessen,  Elsafs- 
Lothringen).  Gegen  1  u.  2  läfst  sich  nichts  einwenden.  In  3  bis  5  wird  aber 
Zusammengehöriges  auseinander  gerissen,  Verschiedenartiges  zusammen- 
gebracht. Die  Arbeiterverhältnisse  im  gesamten  mittleren  und  südwest- 
lichen Deutschland  sind  wesentlich  ähnlicher  Natur,  während  die  im  süd- 
östlichen Deutschland  (Altbayern)  einen  ganz  anderen  Charakter  aufweisen. 
Bei  eingehenderer  Behandlung  des  Gegenstandes  würde  dies  dem  Verf. 
auch  nicht  entgangen  sein.  Der  Schwerpunkt  seiner  Darstellung  liegt  in 
der  Schilderung  derjenigen  Ergebnisse  der  bisherigen  Untersuchungen, 
welche  sich  in  festen  Zahlen  oder  Thatsachen  zusammenfassen  lassen,  z.  B. 
Höhe  des  Lohnes,  Art  der  Löhnung,  Dauer  der  Arbeitszeit,  Mengever- 
hältnis der  einzelnen  Klassen  ländlicher  Arbeiter.  "Wer  über  diese  und 
ähnliche  Punkte  einen  Ueberblick  gewinnen  will,  findet  in  dem  Buche 
von  Fr.  ein  brauchbares  Hilfsmittel.  Bei  der  grofsen  Unkenntnis,  die  in 
nicht  landwirtschaftlichen  Kreisen  über  die  Lage  der  Landarbeiter  herrscht, 
ist  seine  Lektüre  allen  zu  empfehlen ,  denen  es  an  Zeit  oder  Neigung 
fehlt,  die  umfangreichen  Publikationen  des  Vereins  für  Sozialpolitik  durch- 
zulesen. 

Eine  systematisch-kritische  Darstellung  der  ländlichen  Arbeiterverhält- 
nisse liefert  der  Verf.  allerdings  nicht.  Es  lag  dies  auch  wohl  kaum  in 
seiner  Absicht.  Hierzu  würde  auf  Grund  des  vorliegenden  Materials  auch 
nur  jemand  befähigt  sein,  der  die  thatsächlichen  Zustände  in  den  hierfür 
besonders  charakteristischen  Gebieten  des  Deutschen  Reiches  aus  eigener 
Anschauung  genau  kennt.  Denn  die  im  übrigen  so  wertvollen  Erhebungen 
des  Vereins  für  Sozialpolitik  leiden  immerhin  an  dem  Mangel,  dafs  die 
gemachten  Angaben  eine  gewisse  Einseitigkeit  an  sich  tragen,  weil  sie 
fast  lediglich  von  Arbeitgebern  oder  diesen  nahestehenden  Personen 
stammen.  Vielleicht  gewährt  die  demnächst  zu  erwartende  Veröffent- 
lichung der  von  dem  evangelisch-sozialen  Kongrefs  veranstalteten  Er- 
hebungen über  die  Lage  der  ländlichen  Arbeiter  eine  Abhilfe  dieses 
Mangels. 

Jena.  Th.  Frhr.  von  der  Goltz. 

Animon,  O.,  Die  Bedeutung  des  Bauernstandes  für  den  Staat  und  die  Gesellschaft. 
Sozialanthropologische  Studie.  Preisschrift  aus  dem  Wettbewerb  der  Zeitschrift  ,,Das  Land", 
Zeitschrift  für  die  sozialen  und  volkstümlichen  Angelegenheiten  auf  dem  Lande.  Berlin, 
Trowitzsch  &  Sohn,   1894.     gr.  8.     36  SS.     M.  0,80. 

Anderegg,  F.  (Prof.),  Allgemeine  Geschichte  der  Milchwirtschaft.  Zürich,  Orell 
Füfsli,  1894.     gr.  8.     207  SS.  mit  Abbildungen.     M.  3,20. 

Bericht    über    die  Verhandlungen    der   XXII.  Versammlung    des   Deutschen  Land- 

9* 


132      Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

wirtschaftsrats  vom  5.  bis  einschl.  8.  März  1894.  Auf  Grund  der  Sitzungsprotokolle 
und  der  stenographischen  Aufzeichnungen  erstattet  vom  Generalsekretär  Dr.  Traugott 
Mueller.      Charlottenburg,  Druck  von  A.   Gertz,   1894.     gr.  8.     IV— 494  SS. 

v.  dem  Borne,  Max,  Süfswasserfischerei.  Anleitung  für  praktische  Fischer.  Ber- 
lin, Parey,  1894.     8.     VIII— 157  SS.  mit  Abbildgn.,  geb.     M.  2,50. 

Eberstadt,  R.,  Städtische  Bodenfragen.  4  Abhandlungen.  Berlin,  Heymanns 
Verlag,  1894.     gr.  8.     III— 137  SS.     M.  2.—. 

Ehrenbaum,  Bericht  über  eine  Reise  nach  den  wichtigsten  Fischereiplätzen  der 
Vereinigten  Staaten  und  über  die  Fischereiabteilung  auf  der  Weltausstellung  in  Chicago 
im  Jahre  1893.  Berlin  1894.  4.  (Beilage  zu  den  „Mitteilungen  der  Sektion  für  Küsten- 
und  Hochseefischerei",  Jahrg.   1894.) 

F  e  s  c  a  ,  M.  (Prof.),  Beiträge  zur  Kenntnis  der  japanischen  Landwirtschaft.  II.  spe- 
zieller Teil.  Berlin,  Parey,  1893.  Roy.-8.  X— 929  SS.  Mit  12  Tafeln.  M.  15.—. 
(Herausgegeben  von  der  kais.  geol.  Reichsanstalt.  Inhalt :  Die  Feldgewächse,  der  Feld- 
bau. —  Zur  wirtschaftlichen  Bedeutung  der  Ernährungsfrüchte.  —  Baum-  und  Strauch- 
kultur, Seidezucht,  Viehzucht.  — ) 

v.  Guttenberg,  Ad.  (Prot.,  ForstR.),  Die  Revision  des  Vermögenstandes  in  Fidei- 
kommifsforsten.     Vortrag.     Wien,  Frick,  1894.     gr.  8.     20  SS.     M.   1. — 

Jahrbuch  des  schlesischen  Forstvereins  für  1893.  Herausgegeben  von  Schir- 
macher  (OForstMstr.  u.  Präsident  des  Schlesischen  Forstvereins).  Breslau ,  E.  Morgen- 
stern, 1894.  8.  VII — 287  SS.  u.  Situationsplan  der  Oberförsterei  Halemba,  Kreit  Katto- 
witz.     M.  4,50. 

Jahresbericht  des  landwirtschaftlichen  Vereins  für  Rhein preufsen  an  den  Herrn 
Minister  für  Landwirtschaft,  Domänen  und  Forsten  über  die  Veränderungen  und  Fort- 
schritte der  Landwirtschaft  im  Vereinsgebiet  für  das  Jahr  1893.  Bonn,  Buchdruckerei 
von  C.  Georgi,  1894.     gr.  8.     146  SS.  mit  4  tabellar.  Anlagen. 

v.  Myrbach,  F.  (Frh.  o.  ö.  Prof.,  Innsbruck),  Die  Molkereigenossenschaften  in 
Oesterreich  und  deren  Besteuerung.  Wien,  Frick,  1894.  Roy.-8.  42  SS.  M.  1,20. 
(A.  u.  d.  T. :  Publikationen  des  österr.  Centralvereins  für  Milchwirtschaft,  Nr.  3.) 

v.  Oettingen,  B.  (Landstallmeister),  Ueber  die  Pferdezucht  in  den  Vereinigten 
Staaten  von  Amerika.  Berlin,  Mittler  &  Sohn,  1894.  gr.  8.  VIII — 46  SS.  M.  1.—. 
Siedel,  J.  (Molkereiinstruktor  des  Verbandes  der  hessischen  landwirtschaftlichen 
Genossenschaften  etc.),  Wahrnehmungen  auf  milchwirtschaftlichem  Gebiete  in  den  Ver- 
einigten Staaten  von  Nordamerika  und  Kanada.  Ein  Reisebericht.  Darmstadt,  A.  Berg- 
sträfser,  1894.  gr.  8.  X — 207  SS.  mit  8  Plänen  von  Molkereien  und  27  Abbildungen. 
M.  4.—. 

v.  Skar'zynski,  W.,  Die  Agrarkrisis  und  die  Mittel  zu  ihrer  Abhilfe.  Grund- 
züge eines  agrarpolitischen  Programms.  Als  Referat  für  die  ,, Grundkreditkommission" 
des  „Bundes  der  Landwirte"  gedruckt  und  herausgegeben.  Berlin,  Teige,  1 894.  gr.  8. 
128   SS.     M.  1,50. 

VIII.  Wanderausstellung  der  Deutschen  Landwirtschaftsgesellschaft  zu  Berlin  vom 
6.  bis  11.  Juni  1894.  2  Teile.  Berlin,  Druck  von  Gebr.  ünger,  1894.  8.  XX— 272 
u.  355  SS.  (Teil  I  Verzeichnis  der  ausgestellten  Tiere :  Teil  H  Verzeichnis  der  land- 
wirtschaftlichen Erzeugnisse  und  Hilfsmittel,  sowie  der  landwirtschaftlichen   Geräte.) 

Weiss,  E.,  Die  Sigillarien  der  preufsischen  Steinkohlen- und  Rothliegenden-Gebiete. 
Teil  II.  Die  Gruppe  der  Subsigillarien.  Nach  dem  handschriftl.  Nachlasse  des  Verfassers 
vollendet  von  T.  Sterzel.  Berlin,  Schropp,  1893.  gr.  8.  XVI— 255  SS.  mit  13  Text- 
figuren  und  einem  Atlas  mit  28  Tafeln  in  Folio.  (A.  u.  d.  T. :  Abhandlungen  der  k. 
preufs.  geologischen  Landesanstalt,  Neue  Folge,  Heft  2.) 

Yamamoto,  T.  (Tokio,  Japan),  Die  Rinderzucht  Deutschlands,  ihre  Vergangenheit, 
ihr  gegenwärtiger  Standpunkt  und  ihre  weitere  Vervollkommnung.  Berlin,  Parey,  1894. 
gr.  8.  VI — 222  SS.  M.  5. — .  (Von  der  k.  württembergischen  Landwirtschaftlichen  Aka- 
demie Hohenheim  gekrönte  Preisschrift.) 


Annuaire  de  la  brasserie  et  de  la  malterie,  France,  Belgique,  Hollande.  Ire  annee, 
1894.  Paris,  E.  Bernard  &  C»e ,  1894.  12.  500  pag.  avec  figures.  fr.  5. — .  (Sommaire: 
Ire  partie:  Renseignements  techniques :  De  l'eau,  de  l'orge,  du  houblon,  du  malt,  du 
mout,  de  la  poix,  notes  pour  la  pratique,  legislation,  documents  statistiques,  etc.  2e  partie  : 
Liste  des  brasseurs  et  malteurs.     Ecoles  de  brasseries.) 

Beaudet,  Pellet  et  Raimbert  (ingenieurs-chimistes  de  sucrerie),   Traite  de  la 


üebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.      133 

fabrication  du  sucre,  de  betteraves  et  de  cannes.  2  tomes.  Paris,  J.  Fritscb,  1894.  gr. 
in-8.  avec  nombreuses  gravures  dans  le  texte,     fr.  40. — . 

Chancerei,  L.  (inspecteur-adjoint  des  forets),  L'usufruit  des  domaines  forestiers. 
Paris,  Cabanon,  1894.     8.     245  pag.     fr.   5.—. 

de  Saporta,  A.,  La  vigne  et  le  vin  dans  le  midi  de  la  France.  Paris,  Bailiiere 
&  fils,   1894.     16.     206  pag. 

Sorel,  E.  (ancien  Ingenieur  des  manufactures  de  l'Etat),  Rectification  de  l'alcool. 
Paris,  G.  Masson,   1894.     16.     168  pag.     fr.  2,50. 

Nisbet,  J.,  Studies  in  forestry:  being  a  short  course  of  lectures  on  the  principles 
of  sylviculture,  delivered  at  the  botanic  garden,  Oxford,  during  the  hilary  and  michaelmas 
terms,  1893.  London,  Clarendon  Press,  1894.  crown-8.  XII— 835  pp.  6/.—.  (Con- 
tents :  The  British  sylva.  —  Sylviculture.  —  Protection  of  woodlands.  —  Management 
of  woodland  estates.  —  Valuation  of  timbers  and  utilization  of  woodland  produce.  — 
Professional  chairs  of  forestry  and  forestry  schools.  —  etc.) 

Pittaluga,  A.,  La  questione  agraria  in  Irlanda:  studio  storico-economico ,  con 
prefazione  del  prof.  G.  Toniolo.  Roma,  E.  Loescher  &  C,  1894.  8.  XXI — 370  pp. 
1.  6.—. 

Nederlandsche  visschers-almanak  voor  1894.  Viaardingen,  Dorsman  &  Ode, 
1894.     8.     196  blz.  met  2  platen  en  1  krt.     fl.   0,90. 

Carrasco,  G.,  La  producciön  y  el  consumo  del  azügar  de  la  Repüblica  Argen- 
tina. Buenos  Aires,  imprenta  de  J.  Peuser,  1894.  gr.  in-8.  76  pp.  y  3  cuadros  graficos. 
(Indice :  Importaciön  de  azücar.  —  Valor  de  la  importaciön  del  azücar.  —  Superficie 
cultivada  con  cana  de  azücar.  —  Producciön  del  azücar.  —  Ingeniös  azucareros.  —  Con- 
sume  del  azücar.  —  Valor  del  azücar  consumido.  —  La  refinerfa  del  Rosario.  —  La 
Repüblica  Argentina  en  la  producciön  universal  del  azücar.  —  Rendimiento  de  la  cana 
de  azücar.  —  Precio  del  azücar  en    la  Repüblica  Argentina    comparada    con  Europa.  — ) 

5.     Gewerbe  und  Industrie. 

Achepohl,  L.  (Obereinfahrer),  Das  niederrheinisch-westfälische  Bergwerksindustrie- 
gebiet. Eine  Beschreibung  aller  Bergwerke  —  Gewerkschaften  wie  Aktiengesellschaften 
—  und  Bohrgesellschaften ,  sowie  der  bedeutenderen  Eisen-  und  Stahlwerke  des  nieder- 
rheinisch-westfälischen Bergwerksindustriegebiets.  In  geologischer,  technischer  und  finan- 
zieller Beziehung  bearbeitet.  2.  Aufl.  Berlin,  Verlag  der  „Industrie",  1894.  Lex.-8. 
XIII— 418  SS.,  geb.     M.  30.—. 

Bericht  der  Bremischen  Gewerbekammer  über  ihre  Thätigkeit  in  der  Zeit  von 
Anfang  Mai  1893  bis  dahin  1894,  erstattet  an  den  Gewerbekonvent  am  28  Mai  1894. 
Bremen,  Druck  von  Guthe,   1894.     8.   68   SS. 

Bericht  der  k.  k.  Gewerbeiuspektoren  über  ihre  Amtsthätigkeit  im  Jahre  1893. 
Wien,  k    k.  Hof-  und  Staatsdruckerei,  1894.     Roy.-8.     XIII— 442  SS.     M.   4.—. 

Cadoret,  E.  (Ingenieur-Chemiker),  Die  künstliche  Seide.  Ihre  Geschichte;  Ver- 
schiedene angewandte  Mittel,  um  einen  glänzenden  Faden  zu  erlangen;  Ihre  industrielle 
Fabrikation;  Beurteilung  der  Verfahren;  Ihre  Zukunft;  Arbeiten  des  Verfassers.  Ueber- 
setzt  von  G.  Heil.     Krefeld,  Kramer  &  Baum  (1894).     8.     12  SS.     M.  1.—. 

Erhebung  über  Arbeitszeit,  Kündigungsfristen  und  Lehrlingsverhältnisse  im  Handels- 
gewerbe. —  Teil  II.  Berarbeitet  im  kais.  statistischen  Amt.  Berlin,  C.  Heymann,  1894. 
Folio.  IV — 122  SS.  Drucksachen  der  Kommission  für  Arbeiterstatistik,  Erhebungen 
Nr.  5.) 

Führer  durch  die  Ausstellung  der  chemischen  Industrie  Deutschlands  auf  der 
Columbischen  Weltausstellung  in  Chicago  1893.  Berlin,  Heymann,  1893.  gr.  8.  X— 115  SS. 
M.   1,50. 

Grafsmann,  J. ,  Die  Entwickelung  der  Augsburger  Industrie  im  XIX.  Jahr- 
hundert. Eine  gewerbegeschichtliche  Studie.  Augsburg,  Gebr.  Reichel,  1894.  gr.  8. 
VI— 272  SS.     M.  6.—. 

Jahresbericht  des  Verbandes  der  österreichischen  Flachs-  und  Leineninteressenten 
in  Trautenau.  I:  1893;  samt  Beilage  der  wichtigsten  den  Flachsbau  und  die  Leinen- 
industrie betreffenden  Dokumente.  Wien,  Deuticke ,  1894.  hoch-4.  XVI — 62  SS. 
M.   2.—. 

Jahresbericht  des  Vereins  Berliner  Kaufleute  und  Industrieller  für  das  Etats- 
jahr 1893—1894.     Berlin,  im  April  1894.     gr.  8.     37   SS. 

J  ahres  rund  schau    über    die  chemische  Industrie    und  deren  wirtschaftliche  Ver- 


134     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

hältnisse  für  das  Jahr  1893.  Ein  übersichtlich  geordneter  Bericht  über  die  Fortschritte 
der  chemischen  Grofs-  und  Kleinindustrie ,  etc.  Unter  Mitwirkung  von  Fachmännern 
herausgegeben  von  Ad.  Bender.  4  Abteilungen.  Wien ,  Hartleben ,  1894.  gr.  8. 
M.   18.—. 

Nachweisung  der  im  Deutschen  Reiche  gesetzlich  geschützten  Warenzeichen, 
herausgegeben  im  Auftrage  des  Reichsamts  des  Innern.  Ergänzungsband  :  1893.  Berlin, 
P.  Stankiewicz,   1894.     Lex.-8.     VIII— 214  SS.  mit  Abbildungen.     M.   6. — . 

Verzeichnis  der  von  dem  kaiserl.  Patentamt  im  Jahre  1893  erteilten  Patente. 
Berlin,  C.  Heymanns  Verlag,  1894.  Imp.-8.  IV— 346  SS.  M.  13.—.  (A.  u.  d.  T. : 
Register  zu  den  Auszügen  aus  den  Patentschriften,  Jahrg.    1893.) 

Wi  tt,  0.  N.  (Prof.  der  ehem.  Technologie,  Berlin,  techn.  Hochschule),  Die  chemische 
Industrie  auf  der  Columbischen  Weltausstellung  zu  Chicago  und  in  den  Vereinigten  Staaten 
von  Amerika  im  Jahre  1893.  Bericht  dem  kgl.  preufs.  Staatsminister  pp.  Bosse  erstattet. 
Berlin,  R.   Gaertner,   1894.     gr.  8.     148  SS.,  geb      M.  5.—. 


Bulletin  du  travail,  ville  de  Bruxelles.  Rapport  sur  les  Operations  de  la  bourse 
de  travail  pendant  l'exercice  1893/94.  Bruxelles,  impr.  J.  Maheu  ,  1894.  gr.  in-8. 
20  pag.  avec  2  diagrammes. 

Conseil  superieur  du  travail.  Ill^me  et  IVieme  sessions,  Decembre  1893 — Janvier 
1894.  Paris,  imprim.  nationale,  1894.  in-4.  341  pag.  (Publication  du  Ministere  du 
commerce,  de  l'industrie,  des  postes  et  des  telegraphes.) 

Martin,  C.  J.  (ingenieur  agronome) ,  L'industrie  du  gruyere.  Chäteauroux,  impr. 
Langlois  &  C^e ,   1894.     8.     242  pag.     fr.   3,50. 

Petite  industrie,  la.  Salaires  et  duree  du  travail.  Tome  1":  L'alimentation  ä 
Paris.  Paris,  Berger-Levrault  &  C'e ,  1894.  8.  300  pag.  fr.  2,50.  (Publication  de 
l'Office  du  travail.) 

Smith,  G.  Barnett,  Leaders  of  modern  industry.  Biographical  sketches.  London, 
W.  H.  Allen  &  C°,  1894.  8.  VI— 477  pp.,  cloth.  7/.6.  (Contents:  The  Stephensons 
—  Charles  Knight.  —  Sir  George  Bums.  —  Sir  Josiah  Mason.  —  The  Wedgwoods.  — 
Thomas  Brassey.  —  The  Fairbairns.  —  Sir  William  Siemens.   —  The  Rennies.  — ) 

W  e  b  b  ,  Sidney  and  Beatrice,  The  history  of  trade  unionism.  London,  Longmans 
Green  &  C°,  1894.  gr.  in-8.  XVI— 558  pp.,  cloth.  18/.—.  (Contents:  The  origins  of 
trade  unionism  —  The  struggle  for  existence  (1799 — 1825).  —  The  revolutionary  period 
(1829—1842).  —  The  new  spirit  and  the  new  model  (1843  —  1860).  —  The  Junta  and 
their  allies  (1860 — 1875).  —  Sectional  developments  (1863 — 1885).  —  The  old  unionism 
and  the  new  (1875—1889).  —  The  trade  union  world  (1892—1894).  —  Map  of  trade 
unionism.  —  Appendix :  On  the  assumed  connection  between  of  trade  unions  and  the 
gilds  in  Dublin ;  Sliding  scales  ;  The  summons  to  the  rirst  trade  union  Congress  ;  Distri- 
bution of  trade  unionists  in  the  U.  Kingdom  ;  The  progress  in  membership  of  particular 
trade  unions ;  List  of  publications  on  trade  unions  and  combinations  of  workmen,  prepared 
by  R.  A.  Peddie.  — ) 

6.     Handel  und  Verkehr. 

Kaufmann,  Wilhelm,  Die  mitteleuropäischen  Eisenbahnen  und 
das  internationale  öffentliche  Recht.  Ioternatioualrechtliohe  Studien  and 
Beiträge.     Leipzig   1893.     Verlag  von  Dunoker  und  Humblot. 

Das  Buch  wird  eingeleitet  durch  eine  gut  geschriebene  Parallele  über 
das  internationale  Stromrecht  und  Eisenbahnreoht  (S.  1 — 10).  Im  übri- 
gen zerfällt  es  in  einen  allgemeinen  und  einen  besonderen  Teil. 
Die  Eisenbahnen  werden  als  internationales  Verkehrsmittel  behandelt  und 
zwar  unter  verschiedenen  Gesichtspunkten  : 

1)  Die   Herstellung  internationaler  Eisenbahnanlagen. 

2)  Das  internationale  Zusammenwirken  der  Eisenbahnen  bei  der 
Herstellung  der  internationalen  Anschlüsse  und  im  internationalen 
Eisenbahnbetriebe. 

3)  Das  internationale  Verhältnis  der  Eisenbahnen  gegenüber  dem 
Publikum  im  Hinblick  auf  die  internationalen  Transporte. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschland»  und  des  Auslandes      J35 

4)  Die     Eisenbahnen     als    Mittel    internationaler     Verkehrsgestaltung 
zwischen  der  Bevölkerung  verschiedener  Länder. 

Der  Verfasser  führt  treffend  aus,  dafs  das  internationale  öffentliche 
Eisenbahnrecht  der  modernen  Zeit  eine  Rechtspflicht  des  Anschlusses 
geschaffen  habe,  während  diese  Frage  früher  lediglich  unter  den  Gesichts- 
winkel der  Bahninteressen  gestellt  war.  Ja  das  internationale  Recht  er- 
langte eine  Selbständigkeit  gegenüber  dem  „einseitigen  diesseitigen  und 
jenseitigen  öffentlichen  Interesse".  Ich  gestehe  freilich,  dafs  ich  dieser 
sprachlichen  Formulierung  keinen  Geschmack  abgewinnen  kann.  Es  wird 
ansohaulich  geschildert,  wie  die  Staaten  dazu  kamen,  an  Stelle  privater 
Normgebung  die  Pflicht  zur  Uebernahme  des  Trausports  zu  statuieren, 
•den  Transportpreis  zu  bemessen,  die  Transportbedingungen  zu  ordnen 
u.  s.  w.  Aber  auch  dies  geschah  zunächst  nur  für  das  interne  Rechts- 
leben. Erst  die  internationale  Konvention  vom  14.  Oktbr.  1890  (in  Wirk- 
samkeit seit  1.  Jan.  1893)  schuf  eine  selbständige  Ordnung,  die  sich 
über  das  Territorium  von   10  Staaten  (fast  ganz  Europa)  erstreckt. 

Im  zweiten  Teile  behandelt  der  Verfasser  den  Verein  deutscher 
Eisenbahnverwaltungen  (unter  A,  dem  aber  kein  B  folgt)  von  den  ver- 
schiedensten Gesichtspunkten  aus.  Wohl  noch  nirgends  sind  dieser  prak- 
tisch so  wichtigen  Schöpfung  so  aufserordentlich  eingehende  Betrachtungen 
gewidmet  worden  wie  hier. 

Wenn  ich  ein  resümierendes  Urteil  abgeben  soll,  so  könnte  ich  nicht 
«agen,  dafs  mich  das  Buch  vollständig  befriedigt  hätte.  Ich  habe 
vom  Verfasser  eine  sehr  gute  Meinung,  weil  ich  sein  erstes  Werk  (Das 
internationale  Recht  der  egyptischen  Staatsschuld,  Berlin  1891)  genau 
kenne.  Schon  der  Titel  des  vorliegenden  Buches  ist  fragwürdig  und  ich 
gestehe,  dafs  mir  nicht  recht  klar  ist,  warum  die  mitteleuropäischen 
Eisenbahnen  in  das  Centrum  der  Erörterungen  gezogen  werden.  Indessen 
■will  ich  mit  dem  Verfasser  darüber  nicht  rechten.  Dagegen  sind  mir  die 
vielen  eigentümlichen  Wendungen  aufgefallen ,  an  denen  der  Verfasser 
freilich  seine  besondere  Freude  zu  haben  scheint :  es  wird,  wie  ich  schon 
andeutete,  stets  von  den  „diesseitigen  jenseitigen  Interessen"  u.  dergl. 
gesprochen.  An  Klarheit  haben  dadurch  die  sonst  schon  abstrakt  ge- 
haltenen Ausführungen  nicht  gewonnen.  Von  den  kühnen  Wortbildungen, 
wie  z.  B.  „Ingeltungsetzung",  „Zurgeltungbringung",  will  ich  gar  nicht 
reden,  da  der  Mangel  ihrer  Eleganz  zu  sehr  in  die  Augen  fällt.  Viel- 
fach werden  Perioden  historischer  Entwickelung  erwähnt,  aber  zeitlich 
gar  nicht  umschrieben. 

Trotz  dieser  kritischen  Bemerkungen  mufs  man  der  Fortsetzung  dieser 
„Beiträge",  die  im  Vorwort  versprochen  ist,  mit  Interesse  entgegensehen. 
Der  Verfasser  schreibt  über  die  Fragen  des  vorliegenden  Gegenstandes  in 
origineller  Weise  und  er  läfst  sich  dabei  durch  die  bisherige  Litteratur 
absolut  nicht  beeinflussen. 

Zürich.  Prof.   M  e  i  1  i. 

Lindley  M.  Keasbey,  Der  Nikaragua-Kanal.  Geschichte  und 
Beurteilung  des  Projekts  [Abh.  aus  dem  staatsw.  Seminar  zu  Strafsburg 
Heft  XI].     Strafsburg,  K.  J.  Trübner,   1893.      109  SS.     8°.     Mit   1   K. 

Dieser  Strafsburger  Dissertation  ist    schon    eine  am  Columbia  College 


136      Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

zu  New  York  eingereichte  Promotionsschrift  vorhergegangen:  „The  early 
Diplomatie  History  of  the  Nicaragua-Canal",  die  ebenso  wie  die  vor- 
liegende Untersuchung  die  Vorgeschichte  des  ganzen  Unternehmens  vom 
Standpunkt  eines  Amerikaners  aus,  aber  doch  mit  so  reichlichen  den  Akten 
entnommenen  Daten  behandelt,  dafs  der  Meinung  des  Lesers  nicht  unbe- 
dingt vorgegriffen  wird.  In  dieser  quellenmäfsigen  historischen  Darstellung 
liegt  auch  der  Hauptwert  dieser  Arbeit.  Ueber  Natur  und  Geschichte 
Nikaraguas  kann  man  sich  anderwärts  ausgiebiger  unterrichten.  Auch 
über  den  gegenwärtigen  Stand  der  vorläufig  wieder  ruhenden  Arbeiten 
und  die  Einzelheiten  des  Projekts  bietet  Polakowskys  Schrift  „Panama- 
oder Nikaragua-Kanal"  (Leipzig  1893)  ihrem  ganzen  Plane  nach  mehr.  Die 
Erwägungen  über  den  Verkehr,  der  auf  die  neue  Koute  übergehen  könnte, 
halten  sich  vorsichtig  fern   von  allzu  speziellen  Angaben. 

Breslau.  J.  Partsch. 

Bericht,  XLIV.,  über  Industrie  und  Handel  des  Stadt-  und  Landratsamtsbezirkes 
Gera,  im  Jahre  1893  erstattet  von  der  Handelskammer  zu  Gera.  Gera,  Buchdruckerei 
von  G.  Leutzsch,  1894.     gr.  8.     IV— 72  SS. 

Bericht  der  Handelskammer  zu  Insterburg  für  das  Jahr  1893.  Insterburg,  Druck 
von  C.  K.  Wilhelmi,  1894.     gr.  8.     25  SS. 

Jahresbericht,  XXIV.,  der  Direktion  der  Lübeck-Büchener  Eisenbahngesellschaft 
für  das  Jabr  1893.  Lübeck,  Druck  von  Gebrüder  Borchers,  1893.  4.  12  SS.  Text 
nebst  statistischen  Anlagen  A — P. 

Bericht  über  Handel  und  Schiffahrt  zu  Memel  für  das  Jahr  1893.  Memel,£ge- 
druckt  bei  F.  W.  Siebert,  1894.     gr.  8.     67  SS. 

Bericht,    wirtschaftlicher,    der   Handels-    und    Gewerbekammer    für    Niederbayern, 

1893.  Passau,  Kepplersche  Buchdruckerei,  1894.     8.     130  SS. 

Handel  und  Schiffahrt  Königsbergs  i.  Pr.  im  Jahre  1893.  Bericht  des  Vorsteher- 
amtes der  Kaufmannschaft  zu  Königsberg  i.  Pr.     Königsberg,  Hartungsche  Buchdruckerei, 

1894.  gr.  8.      VIII— 152   SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Hagen  (Land-  und  Stadtkreis  Hagen  und 
Kreis  Schwelm)  für  1893.  Hagen  i./W.,  Druck  von  H.  Rissel  &  C° ,  1894.  Folio. 
26  SS.   mit  3  tabellarischen  Beilagen  in  Imp.-Folio. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Dillenburg  für  1893.  Dillenburg,  Druck 
der  E.  Weidenbach'schen  Buchdruckerei,  1894.     8.     41   SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Harburg  für  1893.  Harburg,  Druck  von 
Lühmanns  Buchdruckerei,   1894.     Folio.     43  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  des  Kreises  Landeshut  für  das  Jahr  1893. 
Landeshut,  Druck  von  Schimoneck,   1894.     Folio.     22  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  für  den  Kreis  Mannheim  für  das  Jahr  1893. 
Teil  II.  Mannheim,  Verlag  der  Kammer,  1894  gr.  8.  31  u.  176  SS.  nebst  graphischer 
Darstellung  des  Rheinstandes  am  Pegel  bei  Mannheim  im  Jahre  1893. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  für  die  Niederlausitz  zu  Kottbus  pro  1893. 
Kottbus,  Druck  von  A.  Heine,   1894.     8.     68  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Nordhausen  für  das  Jahr  1893.  Nord- 
hausen, Druck  von  Th.  Müller,   1894.     gr.   8.      109  SS. 

Jahresbericht  über  den  Handel  Rigas  im  Jahre  1893.  Riga,  gedruckt  in  der 
Müller'schen  Buchdruckerei,  1894.  gr.  8.  50  SS.  (Veröffentlichung  der  handelsstatistischen 
Sektion  des  Börsenkomitees.) 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Wiesbaden  für  1893.  Wiesbaden,  Druck 
von  Bechtold  &  C°,  1894.     8.     188  SS.  mit  2  statistischen  Tabellen  in  gr.-Folio. 

Schanz,  G.  (Prof.),  Studien  über  die  bayerischen  Wasserstrafsen.  IL:  Der  Douau- 
Mainkanal  und  seine  Schicksale.  Bamberg,  C.  C.  Buchner,  1894.  gr.  8.  V — 190  SS. 
mit  Karte.     M.  4,50. 

Stettins  Handel,  Industrie  und  Schiffahrt  im  Jahre  1893.  Jahresbericht  der  Kauf- 
mannschuft.    Stettin,  Druck  von  F.  Hessenland,  1894.     Folio.     IV— 25  u.  68  SS. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.      137 

Gallois,  E.,  La  poste  et  les  moyens  de  communication  des  peuples  ä  trarers  les 
siecles.  Messageries,  cbemins  de  fer ,  telegraphes,  ttU6phones.  Paris,  Bailiiere  &  fils, 
1894.   in-16.     382  pag.  avec   136   figures. 

Martinenq,  B.,  Guide  pratique  du  jaugeage  des  navires  de  commerce  et  plai- 
sance.  Paris,  Bernard  &  O,  1894.  4.  V11I— 244  pag.  et  7  planches.  Fr.  20. — . 
(Table:  Lois,  decrets,  oidonnances  etc.  de  la  Direction  generale  des  douanes  sur  le 
jaugeage  des  navires.  —  Application  du  jaugeage  l^gal  k  des  navires  pris  comme  exem- 
ples.  —  Lois,    decrets,   Instructions  etc.   concernant  la  marine  marcbande.  — ) 

Jeans,  J.  Stephen,  Trusts,  pools  and  corners  as  affecting  commerce  an  industry : 
an  inquiry  into  the  principles  and  recent  Operation  of  combinations  and  syndicates  to 
limit  production  and  increase  prices.  London,  Methuen,  1894.  crown-8.  Vi — 190  pp. 
2/.6.     (Social  questions  of  to-day.) 

M  ort  im  er,  J.,  Cotton :  From  field  to  factory,  including  a  description  of  the  Man- 
chester ship  canal.     Manchester,  Palmer  &  Howe,  1894.     crown-8.     2/. 6. 

7.     Finanzwesen. 

Beiträge,  kleinere,  zur  Geschichte  von  Dozenten  der  Leipziger  Hochschule. 
Festschrift  zum  deutschen  Historikertage  in  Leipzig,  Ostern  1894.  Leipzig,  Duncker  & 
Humblot,  1894.  gr.  8.  VI— 253  SS.  M.  6.—.  (Darin  auf  S.  123  bis  164:  Zwei 
mittelalterliche  Steuerordnungen,  von  Karl   Bücher.) 

Benario,  L.,  Die  Stolgebühren  nach  bayerischem  Staatskirchenrecht.  München, 
Beck,  1894.  gr.  8.  VI— 168  SS.,  kart.  M.  2,50.  (Preisgekrönt  von  der  Juristen- 
fakultät Würzburg.) 

Fuisting,  B.  (GOFinR.),  Die  geschichtliche  Entwickelung  des  preufsischen  Steuer- 
systems und  systematische  Darstellung  der  Einkommensteuer.  Berlin,  Heimann,  1894. 
gr.  8.  IV — 100  SS.  M.  2.  (Aus  Fuistings  „Kommentar  zum  Einkommensteuergesetz", 
2.  Aufl.) 

Schmitz,  O.,  Die  Finanzen  Mexikos.  Nach  den  neuesten  amtlichen  und  sonstigen 
Quellen.  Leipzig,  Duncker  &  Humblot,  1894.  gr.  8.  XII— 224  SS.  M.  4,80.  (A.  u. 
d.  T. :  Exotische  Werte.  Uebersichtliche  Darstellung  der  Finanzlage,  sowie  der  Handels- 
und Wirtschaftsverhältnisse  derjenigen  fremden  Staaten,  deren  Anleihen  an  den  deutschen 
Börsen  gehandelt  werden,   Bd.  I.) 

Sonntag,  L.,  Das  Börsensteuergesetz  (Reichsstempelgesetz  vom  27.  4.  1894.)  Für 
den  praktischen  Gebrauch  erläutert.     Breslau,  Kern,  1894.     8.     100  SS.,  kart.     M.  1,80. 


Annuario  dei  ministeri  delle  finanze  e  del  tesoro  del  regno  d'Italia.  Anno  XXXIII. 
Roma,  tip.   Elzeviriana,   1894.     8.     580  pp. 

Brazza  (Di)  G.,  L'imposta  fondiaria  e  l'ammortamento  del  consolidato  per  mezzo 
di  semplificazioni  amministrative.     Udine,  tip.  del  Patronato,   1894.     8.     16  pp. 

Bruschetti,  V.,  Sul  modo  di  restaurare  le  finanze  italiane:  pensieri  e  proposte. 
Roma,  tip.  di  G.  Ciotola,  1894.     8.     22  pp. 

Pierantoni,  A.,  I  decreti  registrati  con  riserva  e  il  pagamento  dei  dazi  doganali 
d'importazione  in  valuta  metallica.  Roma,  tip.  dell'  Unione  cooperativa  editrice,  1894. 
16.  36  pp. 

8.     Geld-,  Bank-,  Kredit-  and  Versicherungswesen. 

Bericht  des  eidgenössischen  Versicherungsamts  über  die  privaten  Versicherungs- 
unternehmungen in  der  Schweiz  im  Jahre  1892.  Veröffentlicht  auf  Beschlufs  des  schweize- 
rischen Bundesrates  vom  25.  Mai  1894.  Bern,  Schmid,  Francke  &  C°,  1894.  gr.  4. 
CXIII— 129  SS. 

v.  Festenberg-Packisch,  H.,  Betrachtungen  und  Vorschläge  betreffs  Reorgani- 
sation der  sozialpolitischen  Gesetzgebung  des  Deutschen  Reiches.  Berlin,  Luckhardt, 
1894.  gr.  8.  54  SS.  M.  1. — .  (Inhalt:  Das  Krankenkassengesetz.  —  Das  Unfallver- 
sicherungsgesetz. —  Das  Invaliditäts-  und  Altersversicherungsgesetz.  —  Vorschläge  in 
Betreff  einer  zweckmäfsigen   Organisation   der  Arbeiterversicherung.    — ) 

v.  Graffenried,  C.  W.  (Generaldirektor  der  Eidg.  Bank  in  Bern),  Die  schweize- 
rische Staatsbank.  Eine  volkswirtschaftliche  Skizze.  Bern ,  Schmid ,  Francke  &  Cie , 
1894.     gr.   8.     66  SS.     M.    1,25. 

Jastrow,  J,  (Privatdoz.,  Berlin),  Der  Börsenstempel.  Ein  Wegweiser  durch  das 
Reichsstempelgesetz  für  Bankiers,  Kaufleute  und  Privatkapitalisten.  Leipzig,  Hirschfeld, 
1894.     12.     88  SS.     M.  1.—, 


138     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

v.  Koerber,  A.,  Reform  der  Boden  Verschuldung.  Eine  volkswirtschaftliche  Studie 
Berlin,  Gergonne  &  C°,  1894.     8.     37  SS.     M.  0,60. 

P  ar  i  si  u  s  ,  L.,  Dr.  Louis  Glackemeyer  in  Hannover  und  sein  Kampf  gegen  die  Organi- 
sation und  die  Grundlehren  von  Schulze-Delitzsch.  Nach  Dr.  Glackemeyers  Schriften  und 
Aufsätzen  im  Lichte  der  Wahrheit  dargestellt.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  deutschen 
Genossenschaftsbewegung.     Berlin,    J.   Guttentag,    1894.     gr.   8.     III— 137   SS.       M.  1,80. 

Sächsischen  Aktiengesellschaften,  die,  und  die  an  sächsischen  Börsen  kurs- 
habenden auswärtigen  Industriewerte.  Jahrbuch  der  Dresdener,  Leipziger  und  Zwickauer 
Börse.  Herausgegeben  von  Richard  Börner.  5.  Aufl.  (für  1893/94).  Dresden,  Selbst- 
verlag des  Verfassers,  1893.     gr.  8.     IX— 337  SS.,  geb.     M.  7,50. 


Raffalovich,  A.,  Le  marche  financier  en  1893  — 1894.  Paris,  Guillaumin  &  Cie, 
1894.  gr.  in-8.  XXI — 473  pag.  fr.  6. — .  (Table  des  matieres:  Importance  de  la 
question  monetaire.  —  Le  marche  de  Paris.  —  Le  marchö  de  Londres.  —  Le  marche 
de  Berlin.  —  Le  marche  d'Autriche-Hongrie.  —  Le  marche  italien.   —  Le  marche  russe. 

—  Le  marche  de  l'Espagne.  —  Chemins  Portugais.  —  Le  marche  de  Grece.  —  Le 
marche  de  New  York.  —  La  crise  en  Australie.  —  Metaux  precieux  et  questions  mone- 
taires    —  etc.) 

Rochetin,  E.,  La  caisse  nationale  de  prevoyance  ouvriere  et  l'intervention  de 
l'Etat.  Paris,  Guillaumin  &  0 ,  1894.  in-18  Jesus.  VIII— 244  pag.  fr.  3,50.  (Table 
des  matieres  :  I.  Historique  et  expose1  du  principe  mutuel :  Le  passe  du  Systeme  mutuel. 
Le  Systeme  mutuel,  dans  les  temps  pr^sents.  L'avenir  du  principe  mutuel  base  sur  la 
prime  pure.  —  II.  Examen  du  projet  de  la  Commission :  Les  el^ments  contributifs  aux 
charges  des  Operations.  La  caisse  nationale  ouvriere  de  pre>oyance.  Les  difficultes 
d'application.  —  III.  Plan  de  l'organisation  propos^e :  La  caisse  nationale  de  prevoyance. 
Analyse  des  deux  projets  en  presence.  Les  Operations  d'assurances  en  cas  de  deces  et 
de  rentes  viageres.  —  IV.  Les  resultats  probables.  —  Annexes:  Projet  de  loi.  Statuts 
de  l'Association  nationale  d'assurances  en  cas  de  d^ces.  Tarifs  comparatifs  des  compagnies 
d'assurances  sur  la  vie.  Elements  composant  la  prime  naturelle  de  l'Association  d'assu- 
rances en  cas  de  deces.  — ) 

Thellier  de  Poncheville  (avocat),  Note  sur  la  transformation  des  societes 
civiles  en  societes  anonymes  ou  en  commandite  par  actions.  Paris,  Chaix,  1894.  8. 
16  pag. 

Annual  report,  XXIVth ,  of  the  Deputy  Master  of  the  mint,  1893.  London,  printed 
by  Darling  &  Son ,  1894.  gr.  in-8.  132  pp.  /0,6  J/a  (Parliament.  paper  by  com- 
mand  ) 

B  r  o  u  g  h  ,  W. ,  The  natural  law  of  money :  the  succesive  steps  in  the  growth  of 
money  traced  from  the  days  of  barter  to  the  introduction  of  the  modern  clearing-house, 
and  monetary  principles  examined  in  their  relation  to  past  and  present  legislation. 
New  York,  Butuam's  Sons,  1894.  12.  V — 168  pp.,  cloth.  $  1. — .  (Contents:  The 
beginning  of  money.  —  Bi-metallism  and  mono-metallism.   —  Paper  money  and  banking. 

—  Paper  money  in  colonial  times.  —  Monetary  system  in  Canada  as  contrasted  with 
that  of  the  United  States.  —  Money,  capital  and  interest.  —  Mandatory  money  and  free 
money.   —  The  hoarding  panic  of  July  1893.   — ) 

George,  E.  Manson,  The  silver  and  indian  currency  questions.  Treated  in  a 
practical  manner.     London,   E.   Wilson  &  C°,   1894.     8.      65  pp.      1/.3. 

Instructions  and  suggestions  of  the  Comptroller  of  the  currency  relative  to  the 
Organization  and  managemeut  of  national  banks.  Washington,  Government  Printing 
Office,  1893.     8.     43  pp. 

N  a  ti  o  n  al -Bank  Act,  the,  and  other  laws  relating  to  national  banks  from  the 
revised  Statutes  of  the  United  States  with  amendments  and  additional  Acts.  Washington, 
Government  Printing  Office,   1892.     gr.  in-8.      127  pp. 

Root,  J.  W.,  Silver  up  to  date :  a  populär  work  on  the  silver  question.  London, 
Philip,   1894.     crown-8.     2/.6. 

Walker,  J.  H. ,  Money,  trade,  and  banking.  New  edition.  Boston,  Houghton, 
Mifflin  &  C°,   1894       16.     cloth.     $  0,50. 

Onen  TocyÄapcTBeHHaro  6aHKa  no  cöeperaTe^BHiiMi.  Kaccaivtx  3a  1891  ro/n. 
C.-IIeTepöypr'L,  1892.  Folio,  37,  19,  61  pp.  (Bericht  der  kais.  russischen  Reichsbank 
über  die  von  ihr  verwalteten  städtischen  Sparkassen  des  europ.  Rufslands  im  Jahre  1891.) 
St.  Petersburg,   Druck  der  Reichsbank,  mit  3  Kartographien  in  Imper. -Folio. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.      139 

Biancoli,     C. ,     II    monopolio    delle    assicurazioni    e    l'assicurazione     obbligatoria. 
Bologna,  soc.  tip.  giä  Compositori,  1894.     8.     36  pp. 

9.     Soziale  Frage. 

Schriften  d  er  Zen  tr  al  s  t  e  1 1  e  für  Arb  e  i  ter-  Wo  hl  f  ah  r  ts- 
ein  ri  cht  ungen.  Nr.  1.  Die  Verbesserung  der  Wohnungen.  Nr.  2. 
Zweckmäfsige  Verwendung  der  Sonntags-  und  Feierzeit.  Nr.  3.  Spar- 
und  Bauvereine  in  Hannover,  Göttingen  und  Berlin.  Nr.  4.  Hilfs-  und 
Unterstützungskassen.  Fürsorge  für  Kinder  und  Jugendliche.  Berlin, 
Carl  Heymauns  Verlag,  1892  und  1893.  gr.  8°.  VI  und  370  SS.  94  SS. 
IV  und    118  SS.     XII  und  178  SS. 

Die  Zentralstelle  für  Arbeiter- Wohlfahrtseiurichtungen,  gegründet  im 
November  1891,  hat  ihrem  Statut  gemäfs  den  Zweck,  eine  Sammelstelle 
der  auf  Schaffung  von  Wohlfahrtseinrichtungen  für  die  unbemittelten  Volks- 
klassen gerichteten  Bestrebungen  zu  werden.  Als  eines  der  Mittel  zur 
Durchführung  dieses  gemeinnützigen  Unternehmens  wurde  Veranstaltung 
periodischer  Konferenzen  der  beteiligten  Vereine  und  Behörden,  sowie  von 
praktisch  bewährten  Sachkennern  in  Aussicht  genommen,  um  Erfahrungen 
über  einzelne  in  den  Thätigkeitskreis  der  Zentralstelle  einschlagende  Fragen 
auszutauschen.  Diese  Verhandlungen  sollen  Besprechungen  Sachverständiger 
sein,  die  ihre  Ansichten  und  Erfahrungen  sich  gegenseitig  zugänglich 
machen,  die  durch  Beobachten  und  Vergleichen  zu  belehren  und  zu  lernen 
wünschen  und  die  vor  allem  anregen  wollen,  dafs  sich  neue  Kräfte  in  den 
Dienst  der  Wohlfahrtspflege  stellen.  In  der  Zentralstelle  für  Arbeiter- 
Wohlfahrtseinrichtungen  sind  eine  Keihe  von  Körperschatten  und  Vereinen 
zu  gemeinsamer  Arbeit  zusammengetreten,  aus  den  Kreisen  der  Industrie, 
wie  der  Landwirtschaft,  Arbeitgeber  und  Arbeitnehmer  hat  sie  als  Freunde 
ihrer  Sache  geworben  und  durch  fachmässige  Einsicht  bewährte,  in  der 
Praxis  ausgezeichnete  Männer  haben  es  übernommen,  über  die  Entstehung 
und  die  Ergebnisse  der  von  ihnen  geschaffenen  oder  geleiteten  Ein- 
richtungen  Mitteilungen  zu  machen. 

Die  Ergebnisse  dieser  Konferenzen  —  Referate  und  Verhandlungen 
—  beabsichtigt  die  Leitung  in  zwanglosen  Heften  als  „Schriften  der 
Zentralstelle  für  Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen"  erscheinen  zu  lassen. 
Sie  bilden  eine  Aneinanderreihung  von  Berichten  konkreter  Institute  übor 
deren  Beurteilung  eine  allseitige  Diskussion  stattgefunden  hat.  Dabei  ist 
jedoch  vermieden  worden,  über  die  Ergebnisse  dieser  Erörterungen  oder 
aus  denselben  abzuleitende  Urteile  durch  Abstimmung  der  Anwesenden 
Beschlüsse  zu  fassen,  da  von  derartigen  Resolutionen,  abgesehen  von  der 
Unsicherheit  und  Zufälligkeit  des  wechselnden  Stimmenverhältnisses,  ein 
praktischer  Nutzen  nicht  zu  erwarten  ist  und  auch  dem  Zwecke  der 
Zentralstelle  nicht  entsprechen  würde.  Denn  diese  will  lediglich 
solche  Einrichtungen,  welche  sich  als  geeignet  erwiesen  haben,  das  leib- 
liche und  geistige  Wohl  der  unbemittelten  Volksklassen  zu  heben,  das 
Verhältnis  zwischen  Arbeitern  und  Unternehmern  zu  einem  friedlichen 
und  freundlichen  zu  gestalten,  in  weiteren  Kreisen  bekannt  machen  und 
aufklärend  und  anregend  wirken. 

Die  erste  Konferenz  hat  am  25.  und  26.  April  1892  stattgefunden.  Der 
Verhandlungsgegenstand  des  ersten  Tages  war  die  Frage  der  Verbesserung 


140      Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

der  Wohnungsverhältnisse  der  arbeitenden  Klassen,  welcher  das  erste  der 
vier  uns  vorliegenden  Hefte  der  Vereinsschriften  ausfüllt.  Der  Diskussion 
gehen  drei  gedruckte  Abhandlungen  voran,  welche  sich  mit  den  allge- 
meinen Grundsätzen  der  Arbeiterwohnungen  beschäftigen.  Die  erste,  von 
Stadtrat  Fritz  Kalle- Wiesbaden  verfafst,  erörtert  im  allgemeinen  und  in 
grofsen  Zügen  das  Problem  der  Fürsorge  der  Arbeitgeber  für  die  Woh- 
nungen ihrer  Arbeiter.  Seine  Darlegungen  bewegen  sich  aber  nicht  nur 
im  Bereiche  prinzipieller  Stellungnahme  zum  Problem,  sondern  sie  be- 
mühen sich  auch  durch  Beibringung  des  Thatsachenmaterials,  durch  Be- 
lege, durch  Schilderung  vorhandener  Einrichtungen  den  theoretischen  Er- 
fordernissen einen  festen,  positiven  Unterbau  zu  geben.  Die  zweite  Ab- 
handlung von  Dr.  H.  Albrech t-Grofslichterfelde  sucht  einen  Ueberblick 
über  die  Mitwirkung  der  Arbeitnehmer  bei  der  Lösung  der  Wohnungs- 
frage zu  geben,  indem  sie  an  der  Hand  der  vorhandenen  Formen  der 
Baugenossenschaften  und  Arbeiterbauvereine  in  den  verschiedenen  Ländern 
und  Städten  das  Problem  historisch-statistisch  uud  kritisch  weiter  aufzu- 
hellen sucht.  Die  dritte  Vorarbeit  zum  Verhandlungstag  ist  mehr  bau- 
technischeu  Charakters.  Sie  hat  den  Dozenten  an  der  technischen  Hoch- 
schule zu  Hannover,  Christian  Nufsbaum,  zum  Verfasser  und  verbreitet 
sich  über  die  allgemeinen  Grundsätze  für  den  Bau  und  die  Einrichtung 
von  Arbeiterwohnungen.  Sie  ist  aber  nicht  ausschliefslich  theoretischer 
Natur,  sondern  knüpft  die  Ausführungen  an  bestehende  Einrichtungen  der 
Arbeiterwohnungen  bei  einzelnen  Fabrikunternehmungen  an.  Der  übrige 
Raum  des  ersten  Bandes  der  Schriften  der  Zentralstelle  für  Arbeiter- 
Wohlfahrtseinrichtungen  ist  ausgefüllt  mit  dem  Bericht  über  den  ersten 
Versammlungstag  und  einem  Bericht  Dr.  H.  Albrecht's  über  die  Ausstellung 
von  Plänen  von  Arbeiterwohnungen. 

Die  Verhandlungen  haben  sich  streng  an  zwei,  geflissentlich  eng  be- 
grenzte Punkte  des  ganzen  Problems  gehalten :  Aufgaben  der  Arbeitgeber 
einer-  und  der  Arbeitnehmer  andererseits  im  Bereiche  der  Wchnungs- 
fürsorge.  In  beiden  Richtungen  hat  die  Versammlung  keine  festen  Be- 
schlüsse gefasst,  sondern  hat,  wie  es  der  Absicht  der  Vereinigung  ent- 
spricht, lediglich  die  Mitteilungen  und  Anregungen  von  Männern,  die  über 
gründliche,  praktische  Erfahrungen  verfügen,  auf  sich  wirken  lassen. 
Neben  der  Fürsorge  des  einzelnen  Arbeitgebers  oder  der  in  Form  von 
Aktiengesellschaften  oder  Baugenossenschaften  vereinigten  Arbeitgeber 
wurde  insbesondere  auch  der  Mitwirkung  der  Arbeiter  selbst  das  Wort 
geredet.  Hier  wurde  es  als  erstrebenswert  bezeichnet,  dass  die  Ange- 
hörigen der  unbemittelten  und  arbeitenden  Klassen  Genossenschaften  gründen 
oder  solchen  beitreten,  welche  die  Beschaffung  von  Wohnungen  zur  Ver- 
mietung oder  zum  Verkauf  an  ihre  Mitglieder  bezwecken.  Als  besonders 
empfehlenswert  wurde  die  Form  der  Genossenschaft  mit  beschränkter  Haft- 
pflicht in  Anregung  gebracht.  Die  Stellung  des  Staates  und  der  Gemeinde 
in  der  Wohnungsfrage  wurde  nur  als  mittelbare  Bethätigung  in  Betracht 
gezogen  und  derselben  inabesondere  Erleichterungen  im  Gebiete  der  bau- 
polizeilichen Vorschriften  und  möglichstes  Entgegenkommen  seitens  der 
Behörden  und  Gemeinden  als  Aufgabe  zugedacht,  während  von  einer  un- 
mittelbaren Staats-  oder  Gemeindethätigkeit  beim  Wohnungsbau  abgesehen 
wurde. 


Ueberaicbt  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des    Auslandes.     141 

Das  zweite  Heft  der  Vereinsschriften  und  der  zweite  Verhandlungstag 
am  25.  und  26.  April  1892  war  der  Frage  der  zweckmäßigen  Verwendung 
der  Sonntags-  und  Feierzeit  gewidmet.  Es  war  für  den  Verein  ein 
günstiges  Zeichen,  dafs  für  die  Abfassung  der  beiden  Vorberichte  zwei 
Männer,  wie  Viktor  Böhmert  und  Franz  Hitze  gewonnen  wurden,  welchen 
eine  reiohe  und  erfolgreiche  Laufbahn  als  Gründer  und  Förderer  von 
Volkswohlinstituten  zur  Seite  steht.  Ersterer  hat  es  übernommen,  die  Er- 
holungen der  Arbeiter  ausser  dem  Hause  zu  schildern,  während  der 
letztere  die  Erholungen  der  Arbeiter  in  der  Familie  zum  Gegenstand 
eines  kurzen  Referates  gemacht  hat.  Böhmert  hat  seinen  Bericht  nach 
einem  von  ihm  ausgearbeiteten  Fragebogen ,  den  die  Zentralstelle  an 
51  gröfsere  Fabrikunternehmer  versendet  hatte  und  der  von  41  derselben 
beantwortet  wurde,  verfafst.  Die  fraglichen  Erholungen  aufser  dem  Hause 
erscheinen  in  zwölf  Punkten,  die  hier  wenigstens  aufgezählt  werden  sollen  : 
Fabrikfeste  bei  längerem  Bestehen  der  Fabrik  oder  bei  Familienfesten  im 
Hause  des  Prinzipals,  Weihnachtsfeste  oder  Feste  bei  Erstattung  von 
Jahresrechnungen  der  Kranken-  oder  anderen  Hilfskassen,  gesellige  Zu- 
sammenkünfte des  Fabrikpersonals  mit  den  Prinzipalen  und  Angestellten 
behufs  Unterhaltung  und  Belehrung  in  längereu  oder  kürzeren  Zwischen- 
räumen, Ausflüge  im  Sommer  zum  gemeinschaftlichen  Naturgenufs 
oder  zum  Besuch  wichtiger  Industriestätten  und  Kunstanstalten,  Arbeiter- 
badereisen und  Bewilligung  eines  regelmäfsigen  oder  aufsergewöhnlichen 
Urlaubs,  die  Abordnung  von  Arbeitern  zur  Besichtigung  von  Ausstellungen, 
Begründnng  von  Arbeiterheimen,  Arbeitergärten  oder  Volksparks,  Be- 
gründung von  Frauen-  und  Mädchenheimen  für  Arbeiterinnen  oder  Ein- 
richtung besonderer  Frauenabende  und  Frauenkurse,  Begründung  von  Lehr- 
lingskursen und  Veranstaltungen  für  jugendliche  Arbeiter,  Volksbibliotheken, 
Lesehallen,  Volksschriften  und  Volkstheater,  Turn-,  Gesang-,  Musikvereine 
und  Leseklubs  für  Arbeiter,  Einrichtung  von  Volksunterhaltungsabenden 
und  Volksheimen  mit  Vortragskursen,  Bibliotheken  und  anderen  Unter- 
haltungen und  Erholungen.  Das  Referat  von  Franz  Hitze,  das  derselbe 
in  Vertretung  des  verhinderten  Pfarrer  Liesen-Giesenkirchen  übernommen 
hatte,  beschränkt  sich  auf  eine  knappe,  gedrängte  Skizze,  die,  ohne  das 
Thema  zu  erschöpfen,  die  Hauptpunkte  der  Erholung  des  Arbeiters  in  der 
Familie  zusammenfassen.  Als  allgemeine  Mittel  und  zwar  als  Voraus- 
setzungen werden  bezeichnet  eine  ausreichende,  gesunde  und  freundliche 
"Wohnung,  eine  tüchtige,  sorgsame  Hausfrau  und  Kinder,  die  in  Kleidung 
und  Benehmen  das  Bild  der  Ordnung  und  der  guten  Erziehung  bilden. 
Die  häuslichen  Erholungen  und  Unterhaltungen  sollen  bestehen  in  der 
Pflege  der  häuslichen  Lektüre,  wie  auch  des  Gesanges,  in  der  Pflege  der 
weiblichen  Handarbeit,  ev.  Beschäftigung  und  Erholung  durch  Gärtnerei, 
in  der  Pflege  von  Zimmerpflanzen,  in  Spaziergängen  in  Wald  und  Flur, 
in  Spielen  u.  s.  w. 

Der  übrige  Teil  des  Bandes  giebt  den  Bericht  des  zweiten  Verhand- 
lungstages (26.  April  1892),  welcher  eine  Fülle  neuen,  interessanten 
Materials  darbietet.  Der  Diskussion  gingen  sechs  Mitteilungen,  bez.  Be- 
trachtungen über  die  verschiedenen  Seiten  des  Problems  voran,  wobei  ver- 
schiedene schon  bestehende,  diesbezügliche  Einrichtungen  geschildert 
wurden. 


142     Uebersicbt  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Das  dritte  Heft  der  Vereinsschriften  beschäftigt  sich  speziell  mit 
einem  Probleme  der  Arbeiterwohnungsfrage,  das  in  neuerer  Zeit  wieder- 
holt angeschnitten  und  auch  im  ersten  Bande  der  Schriften  der  Zentral- 
stelle für  Arbeiter- Wohlfahrtseinrichtungen  eingehend  behandelt  wurde. 
Unter  den  mannigfaohen  Versuchen  zur  Lösung  der  Arbeiterwohn ungsfrage 
haben  in  neuerer  Zeit  auch  die  Bestrebungen  der  Arbeiter,  durch  Selbst- 
hilfe den  Mifsverhältnissen  der  Arbeiterwohnungen  zu  steuern,  an  Be- 
achtung gewonnen.  Besonders  ist  dabei  der  Gedanke  in  den  Vordergrund 
getreten,  Genossenschaften  mit  beschränkter  Haftpflicht  (G.  v.  I.V.  1889) 
zu  diesem  Zwecke  ins  Leben  zu  rufen.  Hier  lassen  sich  hinsichtlich  der 
Form,  die  man  wählen  kann,  zwei  Gruppen  trennen.  Die  einen,  wie  die 
Berliner  Baugenossenschaft,  betreiben  den  Bau  kleinerer  Wohnhäuser  für 
eine  oder  zwei  Arbeiterfamilien,  die  auf  dem  Wege  der  allmählichen  Ab- 
zahlung in  das  Eigentum  der  Genossen  übergehen.  Die  anderen,  wie  der 
hannoverische  Bau-  und  Sparverein,  behalten  die  erbauten  gröfseren  oder 
kleineren  Miethäuser  in  dauerndem  Eigentum  und  vermieten  die  Woh- 
nungen an  Genossen  unter  Bedingungen,  die  dem  Besitzrecht  sehr  nahe 
kommen.  Dadurch  wird  der  Gefahr  wirksam  begegnet,  dafs  die  Häuser 
über  kurz  oder  lang  Gegenstand  der  Spekulation  und  daher  ihrem  ur- 
sprünglichen Zweck  entfremdet  werden.  War  in  der  ersten  Vereinsschrift 
eine  ausführliche  Darlegung  der  Grundsätze  für  die  Einrichtung  dieser 
letzteren  Art  der  Baugenossenschaften  gegeben  worden,  so  unternimmt  es 
der  Schöpfer  des  Spar-  und  Bauvereins  in  Hannover,  F.  Bork,  uns  einen 
Einblick  in  den  inneren  Verwaltungsorganismus  und  in  die  Einzelheiten 
der  Geschäftsführung  zu  gewähren.  Er  giebt  uns  zunächst  eine  kurze 
Schilderung  der  Geschichte  des  Vereins,  eine  Darlegung  seiner  Verwaltung, 
des  Baues  und  der  Einrichtung  der  Häuser,  eine  Darstellung  der  Kassen- 
und  Rechnungsführung,  welchen  er  eine  Reihe  dankenswerter  Anlagen 
beigegeben  hat.  Als  eine  Ergänzung  dienen  zwei  kürzere  und  mehr 
skizzenhaft  gehaltene  Berichte,  von  welchen  den  einen  Wilhelm  Ruprecht 
über  den  Spar-  und  Bauverein  mit  beschränkter  Haftpflicht  in  Göttingen 
erstattet  hat,  während  der  zweite  über  den  gleichartigen  Berliner  Spar- 
und  Bauverein  von  Hermann  Albrecht  ausgearbeitet  ist. 

Der  vierte  Band  der  Schriften  der  Centralstelle  für  Arbeiter- Wohl- 
fahrtseinrichtungen beschäftigt  sich  mit  den  beiden  Gegenständen :  Hilfs- 
und Unterstützungskassen  und  Fürsorge  für  Kinder  und  Jugendliche. 
Beide  Themen  standen  auf  der  Tagesordnung  der  Konferenz  der  Central- 
stelle, welche  am  21.  und  22.  April  1893  stattgefunden  hat.  Der  Ge- 
pflogenheit der  Vereinspublikationen  entsprechend,  zerfällt  die  Schrift  in 
zwei  Teile,  von  welchen  jeder  derselben  einen  der  beiden  Gegenstände 
behandelt  und  Vorbericht  und  Diskussion  über  die  Materie  enthält.  Die 
Hilfs-  und  Unterstützungskassen  werden  im  Vorbericht  nach  drei  Seiten 
hin  betrachtet:  Darlehn skassen,  Unterstützungskassen  für  Erkrankungs- 
und besondere  Notfälle  und  Unterstützungskassen  für  Invalidität,  Alter 
und  Todesfall.  Die  einzelnen  einschlägigen  Fragen  werden,  systematisch 
gegliedert,  abgehandelt  als  ausschliefslich  vom  Arbeitgeber  dotierte  Kassen, 
Kassen  mit  Beitragszahlungen  der  Arbeiter  und  event.  als  ausschliefslich 
durch  Beiträge  der  Arbeiter  erhaltene  Kassen.     Das  Problem  der  Fürsorge 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.      143 

für  Kinder  und  Jugendliche  ist  im  Vorberichte  desgleichen  nach  drei 
Richtungen  hin  systematisch  eingeteilt :  Fürsorge  für  Kinder,  Fürsorge 
für  Mädchen  und  Fürsorge  für  junge  Burschen.  Drei  Zweige  der  Für- 
sorge für  die  Jugendlichen  wurden  im  Vorbericht  grundsätzlich  ausge- 
schlossen :  die  Bibliotheken,  die  Sparkassen  und  das  Schul-  und  Fort- 
bildungswesen. Der  erste  Abschnitt,  die  Hilfs-  und  Unterstützungskassen, 
beschränkt  sich  auf  den  Boden  der  Fabrik.  Er  giebt  eine  Uebersicht  über 
die  Einrichtungen,  welche  im  Anschlufs  an  die  gesetzlich  bestehenden 
Bestimmungen  und  zu  deren  Ergänzung  zur  Verbesserung  der  arbeitenden 
Klassen  von  den  Arbeitgebern  getroffen  sind.  Im  Rahmen  des  zweiten 
Abschnittes,  Fürsorge  für  Kinder  und  Jugendliche,  der  weiter  gefafst  ist, 
wurden  neben  den  besonderen  Einrichtungen,  welche  die  Arbeitgeber  für 
die  Angehörigen  ihrer  Etablissements  begründet  haben,  auch  die  Veran- 
staltungen allgemeineren  Charakters  seitens  Privater,  Vereins-  und  öffent- 
licher Wohlfahrtspflege  berücksichtigt,  soweit  sie  bis  zur  Altersgrenze  von 
sechzehn  Jahren  in  Betracht  kommen  konnten. 

Der  uns  zur  Verfügung  stehende  Raum  für  diese  Besprechung  ge- 
stattet uns  leider  nicht,  weitere  Einzelheiten  über  den  reichen  Inhalt  der 
bisher  erschienenen  Vereinsschriften  der  Zentralstelle  für  Arbeiter- Wohl- 
fahrtseinrichtungen anzuführen.  Für  alles  Nähere  müssen  wir  auf  die 
Veröffentlichungen  selbst  verweisen.  Jedem,  der  sich  mit  den  sozialen 
Problemen,  welche  die  Gegenwart  so  mächtig  erregen,  beschäftigt,  werden 
sie  willkommenes  Material  zum  Studium  und  insbesondere  vielfache  An- 
regung für  Theorie  und  Praxis  bieten. 

Würzburg.  Max  von  Hecke  1. 

Hirsch,  Max,  Die  Arbeiterfrage  und  die  deutschen  Gewerkvereine. 
Festschrift  zum  fünfundzwanzigjährigen  Jubliäum  der  deutschen  Gewerk- 
vereine (Hirsch-Duncker).     Leipzig,  Hirschfeld,   1893.     96  SS. 

Max  Hirsch,  mit  Franz  Duncker  der  hauptsächlichste  Vorkämpfer 
und  Förderer  der  Gewerkvereinsbewegung  in  Deutschland,  hat  zum  Ehren- 
tage der  Deutschen  Gewerkvereine  in  der  vorliegenden  Festschrift  Ge- 
schichte und  Entwickelungsgang  seiner  Schöpfung  dargestellt.  In  knappen 
Worten  und  mit  der  Begeisterung  eines  Mannes,  bei  dem  der  Glaube  an 
den  Sieg  seiner  Sache  tief  in  der  Seele  wurzelt,  führt  er  uns  die  Be- 
gründung der  Gewerkvereine  in  ihren  ersten  Stadien  vor,  er  schildert 
uns  die  Ausbreitung  derselben  in  Nord-  und  Süddeutschland,  den  Rück- 
gang infolge  des  deutsch-französischen  Krieges  1870 — 71,  Abfall  und 
Neugründung  von  einzelnen  Vereinen,  den  Ausbau  des  Unterstützungs- 
wesens und  das  äufsere  Wrachstum  bis  an  die  Schwelle  der  Gegenwart. 
Den  Resultaten,  denen  wir  gegenüberstehen,  ist  eine  im  ganzen  erfreuliche 
Gestaltung  nicht  abzusprechen.  Vornehmlich  kann  der  Verfasser  mit  der 
Entwickelung  seit  1879  wohl  zufrieden  sein.  Während  1879:  352  Orts- 
verbände mit  14  912  Mitgliedern  gezählt  wurden,  weist  das  Jahr  1893: 
1341  Ortsverbände  mit  61  034  Mitgliedern  auf.  Und  wenn  der  Autor  die 
Lage  und  die  Zukunft  seiner  Organisation  zuweilen  in  allzu  rosigem  Lichte 
erblickt,  so  müssen  wir  die  Veranlassung  der  Schrift  bedenken  und  den 
Optimismus  würdigen  aus  der  Thatsache,  dafs  die  Geschichte  der  deutschen 
Gewerkvereine  zugleich  die  Geschichte  des  Lebensschicksals  und  des  Lebens- 


144     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Werkes  von  Max  Hirsch  ist.  Niemand  aber  wird  ihm  den  Ruhm  streitig 
machen  können ,  dafs  er  mit  der  Wirksamkeit  der  Gewerkvereine  die 
Lösung  der  Arbeiterfrage  wesentlich  gefördert  hat.  Wenn  der  erzielte 
Erfolg  nicht  im  Verhältnis  zu  der  aufgewendeten  Mühe  und  den  bestan- 
denen Stürmen  steht,  so  liegt  der  Grund  hauptsächlich  in  dem  Umstände, 
dafs  die  deutschen  Gewerkvereine  die  Initiative  im  Kampfe  um  bessere 
Arbeitsbedingungen  der  vordringenden  Sozialdemokratie  abtraten  und  dafs 
die  auf  Staatshilfe  und  Zwang  gründende  positive  Förderung  der  Arbeiter- 
fürsorge in  viel  gröfserem  Mafsstabe  und  mit  gröfserer  Nachhaltigkeit 
ihre  Aufgabe  zu  lösen  vermochte,  als  eine  auf  Selbsthilfe  und  Freiwillig- 
keit aufgebaute  Organisation.  Darüber  kann  aber  kein  Zweifel  bestehen, 
dafs  wir  als  Mitglieder  der  Gewerkvereine  durchgehends  die  ruhige  und 
besonnene  Elite  der  Arbeiterschaft  finden. 

Würzburg.  Max  von  Heokel. 

Annual  Report  of  the  State  Board  of  Arbitration  for  the  year 
1892.  Boston  1893.  8°.  163  p.  idem  for  the  year  1893.  Boston 
1894.     8°.     147  p. 

Unter  den  6  nordamerikanischen  Staaten,  die  ein  staatliches 
Einigungsamt  zur  Beilegung  von  Streitigkeiten  zwischen  Unternehmern  und 
Arbeitern  besitzen,  befindet  sich  Massachusetts.  Hier  besteht  ein  State 
Board  of  Arbitration  seit  dem  Jahre  1886.  Die  Berichte  über  seine 
Thätigkeit  in  den  Jahren  1892  und  1893  sind  es,  die  hier  zur  Anzeige 
gelangen. 

Das  staatliche  Einigungsamt  von  Massachusetts  hat  die  meiste  Aehnlich- 
keit  mit  den  Einigungskammern,  die  in  einzelnen  Ländern  mit  den  Gewerbe- 
gerichten von  Amtswegen  verknüpft  sind,  wie  in  Frankreich  und  Italien. 
Es  funktioniert  auf  Antrag  einer  der  stieitenden  Parteien  als  Schiedsgericht 
und  hat  aufserdem  die  Befugnis ,  aus  eigener  Initiative  die  Beilegung 
eines  Streites  zu  versuchen,  auch  wenn  kein  Antrag  vorliegt.  Sein 
Schiedsspruch  ist  bindend  nur  für  die  Partei,  die  die  Hilfe  des  Amtes 
angerufen  hat.  Trotz  seines  staatlichen  Charakters  hat  der  Board  also 
weder  irgendwelche  Zwangsgewalt  noch  ist  seine  Befragung  obligatorisch. 
Immerhin  darf  die  Thätigkeit  des  amerikanischen  Amtes  unser  Interesse 
beanspruchen.  Es  ist  nicht  undenkbar,  dafs  es  in  seiner  jetzigen  Gestalt 
nur  den  entwickelungsfähigen  Keim  einer  sozialpolitischen  Institution 
gröfseren  Stiles  bildet. 

Der  Report  für  1892  —  der  7.  der  Reihe  —  enthält  den  Bericht 
über  40  schiedsrichterliche  Versuche  und  Entscheidungen,  der  für  1893 
über  deren  36.  In  einem  Teil  der  Fälle  ist  das  Amt  um  seine  Vermitt- 
lung angegangen,  in  anderen  Fällen  hat  es  diese  angeboten.  In  diesen 
letzteren  Fällen  scheint  der  Erfolg  meist  ausgeblieben  zu  sein,  in  den 
Fällen  jedoch,  in  denen  auch  nur  eine  Partei  den  Antrag  auf  schiedsrichter- 
liche Entscheidung  gestellt  hat,  kann  das  Amt  fast  stets  berichten,  dafs 
der  Schiedsspruch  von  beiden  Seiten  anerkannt  worden  ist.  Zu  diesem 
günstigen  Ergebnis  mag  wesentlich  der  Umstand  beitragen ,  dafs  die 
streitenden  Parteien  das  Recht  haben ,  je  einen  Vertrauensmann  dem 
State  Board  beizuordnen. 

In    dem  Report  für    1892  findet    sich    die  Gesetzgebung    der  Staates 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.      J45 

Massaschusetts,  die  sich  auf  die  Errichtung  des  State  Board  bezieht,  ab- 
gedruckt; der  letzte  Jahresbericht  enthält  in  einem  Anhange  eine  Ueber- 
sicht über  die  auf  die  Boards  of  arbitration  bezügliche  Gesetzgebung 
sämtlicher  Staaten   der  Union. 

Breslau.  W.  Sombart. 

Protokoll  des  internationalen  sozialistischen  Arbeiterkongresses  in  der  Tonhalle 
Zürich  vom  6.  bis  12.  August  1893.  Herausgegeben  vom  Organisationskomitee.  Zürich, 
Buchhandlung  des  Schweiz.   Grütlivereins,   1894.     gr.  8.     VIII— 65  SS.     M.  0,50 

Seyfarth,  H.  (Pfarrer,  Herbsleben),  Werberufe  für  die  Arbeit  der  inneren  Mission. 
Leipzig,  Fr.  Richter,    1890.      8.     VI— 135  SS.     M.  1,20. 

S  t  o  1  p  ,  H.,  Die  Untrennbarkeit  und  die  Durchführung  der  notwendigen  religiösen 
und  sozialen  Reform.  Berlin-Charlottenburg,  Selbstverlag  des  Verfassers,  1894.  gr.  8. 
40  SS.     M.  1.—. 


George  aine,  Solidarite  nationale.  Paris,  impr.  Fally,  1894.  8.  16  pag.  fr.  0,15. 
(Sommaire :  La  taxe  sur  les  patrons  occupant  des  dtrangers  en  France.  —  La  journee 
de  huit  heures.   —  La  reTorme  du  monopole  sur  le  travail,   etc.   — ) 

Stepniak,  Russian  peasantry :  their  agrarian  condition,  social  life  and  religion. 
3rd  edition.     London,   Swan   Sonnenschein,   1894.     8.      650  pp.      10/.6. 

Man  fr  in,  P.  (senatore),  Dell'  arbitrio  amministrativo  in  Italia :  memoria.  Roma, 
fratelli  Bocca,  1894.     8.     79  pp. 

Programma,  statuto  e  tattica  del  partito  socialista  dei  lavoratori  italiani.  Milano, 
tip.  degli  Operai,   1894.     16.      13  pp. 

10.     Gesetzgebung. 

Eger,  G.  (Reg.-R.),  Das  Reichsgesetz  über  den  Unterstützungswohnsitz  vom  6.  Juni 
1870  in  der  Fassung  vom  12.  März  1894.  Nebst  einem  Anhange  enthaltend  alle  wichti- 
geren bezüglichen  Gesetze,  Verordnungen  und  Erlasse.  3.  Aufl.  Breslau,  Kerns  Verlag, 
1894.     gr.   8.     XX— 428  SS.     M.   10.—. 

Fabrikgesetzgebung,  die,  des  russischen  Reiches.  Uebersetzt  nach  der  Ausgabe 
der  Gewerbeordnung  (Bd.  XI,  Teil  II  des  Kodex  der  Reichsgesetze)  von  1887  und  nach 
den  Fortsetzungen  von  1890,  1891  und  1893.  Riga,  N.  Kymmel,  1894.  gr.  8.  48  SS. 
M.  2.—. 

Geller,  R.  (Gerichtsass.),  Die  Armengesetzgebung  in  ihrer  gegenwärtigen  Gestal- 
tung nebst  den  für  die  Rheinprovinz  erlassenen  Reglements.  Zum  praktischen  Gebrauche 
erläutert.     Köln,  Kölner  Verlagsanstalt  und  Druckerei,    1894.  8.  VII— 171    SS.     M.   2,50. 

Göppert,  H.  (Kammerger. -Refer.),  Zur  rechtlichen  Natur  der  Personenbeförderung 
auf  Eisenbahnen.     Berlin,  H.   Bahr,   1894.     gr.  8.     93  SS.     (Dissertation.) 

Hergenhahn-Eccius,  Rechtsprechung  der  höheren  und  höchsten  deutschen  Ge- 
richtshöfe über  Prozeßbevollmächtigte  und  Rechtsanwälte.  Zusammengestellt  von  weiland 
Th.  Hergenhahn  (OLandesGerR.  a  D.).  Hrsg.  von  (Gerichtsass.)  0.  Eccius.  Band  I : 
Entscheidungen  allgemeinen  Inhalts  und  zur  Civilprozefsordnung.  Hannover,  Helwing, 
1894.     gr.  8.     VIII— 634  SS.     M.   10.—. 

Niemeyer,  Th.  (Prof.),  Zur  Methodik  des  internationalen  Privatrechtes.  Leipzig, 
Duncker  &  Humblot,   1894.     gr.   8.     39   SS.     M.   0,80. 

Reisenegger,  A.  (k.  bayer.  ORegR.),  Reichsstempelgesetz  vom  27.  April  1894. 
Mit  Einleitung,  Erläuterungen,  den  Ausführungsvorschriften  des  Bundesrats  und  Sach- 
register.    München,  C.  H.   Beck,   1894.     12.     206  SS.,  kart.     M.  2.—. 

Schlieckmann  (JustizR.),  Die  Aktiennovelle  vom  18.  Juli  1884.  Ein  Versuch, 
die  Benutzung  des  Textes  des  Handelsgesetzbuches,  betr.  die  Kommanditgesellschaften  auf 
Aktien  und  die  Aktiengesellschaften  durch  Gegenüberstellung  zu  erleichtern.  Berlin, 
Heymann,  1894.     gr.  8.     VIII— 104  SS.     M.   2.—. 

Trautvetter  (RegR.  u.  OZoll-Inspekt.),  Das  Strafrecht  der  Zoll-  und  Verbrauchs- 
tseuergesetze  in  der  Rechtsprechung.  Berlin,  Heymann,  1894.  gr.  8.  VIH — 256  SS. 
M.   5.—. 


Conseils  de  prud'hommes.    Loi  organique  du  31  juillet  1889   (Moniteur,  29  aoüt). 
Lidge,  Godenne,  1893.     in-16.     27  pag.     fr.  0,50. 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXIII).  j  q 


146     Uebersieht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  nnd  des  Auslandes. 

Offner,  Ph.  (avocat  ä  la  cour  d'appel),  La  recherche  de  la  paternite,  discours 
prononce  devant  les  membres  du  barreau  de  Grenoble  ä  la  s^ance  solenneile  d'ouverture 
des  Conferences  des  avocats  stagiaires ,  le  12  janvier  1894.  Grenoble,  impr.  Baratier  & 
Dardelet,   1894.     8.      21  pag. 

Pitois,  A.,  Principes  de  droit  maritime,  redigös  conformement  au  nouveau  Pro- 
gramme officiel.     Paris,  Ducbemin,  1894.     8.      111   pag.     fr.   5. — . 

T  r  a  i  t  e  alphabetique  des  droits  d'enregistrement,  de  timbre  et  d'hypotbeques.  Nou- 
veau recueil  practique  et  complet  de  legislation,  de  doctrine  et  de  jurisprudence.  lre  fasci- 
cule:  Abandon-Communaute.  Chäteauroux,  impr.  Majest£  &  Bouchardeau,  1893.  4.  VI — 
422   pag. 

Lorimer,  J.,  A  handbook  of  the  law  of  Scotland.  6^  edition  by  Russell  Bell. 
Edinburgh,  Clark,   1894.     crown-8.     642   pp.     10/.—. 

Wright,  E.  B.,  The  law  of  principal  and  agent.  London,  Stevens  &  Sons,  1894. 
8.      18/.—. 

Coviello,  N.  (prof.),  Del  contratto  estimatorio.  Torino,  fratelli  Bocca,  1893.  8. 
94    pp.     (Estr.   dalla  „Rivista  italiana  per  le  scienze  giuridiche'*,  vol.   XV,  fasc.   3.) 

Franceschini,  G.  (avv.),  La  correzione  delle  sentenze.  Bologna,  N.  Zanichelli 
di  Cesare  e  G.  Zanichelli,   1894.     8.     413  pp.     1.  7.—. 

Vidari,  E.  (prof.),  Corso  di  diritto  commerciale.  Volume  IX.  3a  edizione  accresciuta. 
Milano,  Hoepli,  1894.  8.  VIII— 476,  VIII  pp.  1.  12. — .  (Contiene:  Del  fallimento  e 
della  bancarotta  (continuazione  e  fine):  Dei  reati  in  materia  di  fallimento.  Di  alcune 
disposizioni  comuni  a  tutta  la  procedura  di  fallimento.  —  Delle  azioni  commerciali  e 
del  loro  esercizio.  — ) 

11.     Staats-  nnd  Verwaltungsreeht. 

Gumplowicz,  Ludwig,  Die  soziologische  Staatsidee.  Graz, 
Leuschner  &  Lubensky,    1892.      134  SS. 

Trotzdem  dem  Verf.  schon  sehr  oft  das  Gegenteil  versichert  wurde, 
stellt  er  auch  in  dieser  Abhandlung  wieder  die  Behauptung  auf,  die 
„Juristen",  seine  schlimmen  Feinde,  seien  einer  soziologischen  Staatsauf- 
fassung unfähig.  Möge  G.  doch  einmal  mit  Bewufstsein  z.  B.  Merkels 
Rechtsencyklopädie  lesen,  er  würde,  wenn  er  ernstlich  sich  bemühte,  da 
sehen,  wie  auch  nach  der  Ansicht  der  Juristen  die  sozialen  Yerhältnisse 
für  Entstehung  und  Entwicklung  von  Staat  und  Recht  von  hochwich- 
tiger Bedeutung  sind,  er  würde  viele  Gedanken  ausgesprochen  finden,  die 
seinen  ähneln,  freilich  nicht  dieselben  und  insbesondere  nicht  den,  dafs  es 
zur  Staatenbildung  notwendig  des  Zusammentreffens  von  mindestens  zwei 
heterogenen  Horden,  von  mindestens  zwei  verschiedenen  sozialen  Gruppen 
bedürfe,  weil  sonst  kein  Kampf,  das  Lebenselement  des  Staates,  möglich 
sei  (S.  99).  Denn  sollen  wir  überzeugt  sein,  dafs  es  in  der  einheitlichen 
und  gleichheitlichen  Horde  keinen  Kumpf  giebt,  wtnn  uds  der  Verf.  nichts 
anderes  als  die  höchst  anfechtbare  Thutsache  zum  Beweise  anführt,  dafs 
„das  Rudel  Wölfe  wohl  Pferde  anfällt,  auf  die  Schafherde  sich  stürzt,  aber 
untereinander  Frieden  hält"  (S.   125)? 

Erlangen.  Hermann  Rehm. 

Angermünde.  Verwaltungsbericht  der  Stadt  Angermünde  für  das  Jahr  1893 
bezw.  für  das  Rechnungsjahr  vom  1.  April  1892/93.  Angermünde,  Druck  von  Windoff, 
1894.    gr.  8.     28  SS. 

Berlin.  Haushaltsetat  der  Stadt  Berlin  pro  1.  April  1894/95.  Berlin,  Druck  von 
Gebr.  Grunert,   1894.     Imp.-4.     28  SS. 

Bis  mar  ck.  Die  politischen  Reden  des  Fürsten  Bismarck.  Historisch-kritische  Gesamt- 
ausgabe besorgt  von  Horst  Kohl.  Bd.  X:  Reden  im  Deutschen  Reichstage  1884 — 1885. 
Stuttgart,  Cotta,  1894.     Roy.-8.     XXXII— 522  SS.     M.  8.—. 

Bochum.     Bericht  des  Magistrats  über  die  Verwaltung  und  den  Stand  der  Gemeinde- 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     J47 

angelegenheiten  für  das  Jahr  1892/93  und  Haushaltsplan  für  die  Stadtkasse  pro  1894/95. 
Bochum,  Druck  von  Hoppstädter  &  C°,  1894.     4.     81   u.  57  SS. 

D  a  n  z  i  g.  Haushaltsetat  der  Stadtgemeinde  Danzig  für  das  Etatsjahr  1.  April 
1894/95.     Danzig,  Druck  von  A.   Schroth,   1894.     4.      278   SS. 

Halle  a/S.  Haushaltspläne  für  1894/95.  Halle  a/S.  ,  Gebauer-Schwetschke'scbe 
Buchdruckerei,  1894.     4.      564  SS. 

Hanau.  Grundetat  für  das  Rechnungsjahr  vom  1.  April  1894  bis  31.  März  1895. 
Hanau,  Druck  von  Lechleder  &  Stroh,    1894.     4.     83  SS. 

H  e  y  d  e  n  ,  W.,  Die  Entwickelung  des  politischen  Wahlrechts  in  Hamburg.  Ham- 
burg, C.  Boysen,   1894.     8.     VIII— 96  SS.     M.   1,50. 

Hof-  und  Staatshandbuch  des  Grofsherzogtums  Oldenburg  1894.  Oldenburg,  Schulze, 
1894.     8.     XVI— 389  SS. 

Kassel.  Bericht  über  die  wichtigsten  Zweige  der  Verwaltung  der  Residenzstadt 
Kassel  im  Rechnungsjahre  1892/93.  Kassel,  Druck  von  Fr.  Scheel,  1894.  4.  4  u.  169 
u.  8  SS. 

Leipzig.  Verwaltungsbericht  des  Rates  der  Stadt  Leipzig  für  das  Jahr  1892. 
Leipzig,  Duncker  &  Humblot,   1894.     Roy. -8.     IV— 847  SS.     geb. 

Magdeburg.  Haushaltspläne  der  Stadt  Magdeburg  für  das  Etatsjahr  1894/95. 
Magdeburg,  Hofbuchdruckerei  von  C    Friese,   1894.     4.     XII— 707   SS. 

M  e  r  1  o  ,  C.  (LandgerR.  a.  D.),  Die  Ungesetzlichkeit  der  die  Strafsenreinigung  betref- 
fenden Polizeiverordnungen  und  Ortsstatute.  Köln,  P.  Neubner ,  1894.  gr.  8.  44  SS. 
M.  0,90. 

Posen.  Voranschlag  für  die  Einnahmen  und  Ausgaben  der  Stadtgemeicde  Posen 
in  dem  Verwaltungsjahre  vom  1.  April  1894  bis  31.  März  1895.  Posen,  Hofbuchdruckerei 
Decker  &  C°,   1894.     gr.  8.     124  SS. 

Simons,  E.,  Die  älteste  evangelische  Gemeindearmenpflege  am  Niederrhein  und 
ihre  Bedeutung  für  unsere  Zeit.     Bonn,  E.  Straufs,  1894.    gr.  8.    IV— 166  SS.    M.  3. — . 

Staatshandbuch  für  das  Königreich  Sachsen  auf  das  Jahr  1894.  (Nach  dem 
Stande    vom   1.  Mai.)     Dresden,    C.   Heinrich,    1894.      gr.   8.      XVI— 946   SS.     M.   7.—. 

Uebersicht  der  Vorlagen  und  Beschlüsse  des  XX.  Provinziallandtages  von  Pom- 
mern in  den  Sitzungen  vom  6.  bis  einschl.  9.  März  1894.  Stettin,  Druck  von  F.  Hessen- 
land,  1894.     4.     37  SS. 

Verhandlungen  des  XVIII.  Provinziallandtages  der  Provinz  Ostpreufsen  vom 
6.  März  bis  10.  März  1894.  Königsberg,  Druck  von  E.  Rautenberg,  1894.  hoch-4. 
XXVII— 159  SS.  und  83  Drucksachen  auf  c.   1230  SS. 


Khalil  Ed-Dahiry,  Zoubdat  Kachf  El-Mamälik.  Tableau  politique  et  admini- 
stratif  de  l'Egypte,  de  la  Syrie  et  du  Hidjäz  sous  la  domination  des  sultans  Mamloüks, 
du  XHIe  au  XVe  siecle.     Paris,  Leroux,    1894.     gr.  in-8.     166  pag. 

Martineau,  A.  (ancien  deputd,  delegue  de  Nossi-Be  au  conseil  superieur  des 
colonies),  Etüde  de  politique  contemporaine.  Madagascar  en  1894.  Paris,  Flammarion, 
1894.     8.     VII  — 505  pag    avec  carte,     fr.   10. — . 

Poinsard,  L.  (Secretaire  gdndral  des  bureaux  internationaux  de  la  propriete  intel- 
lectuelle  ä  Berne),  Etudes  de  droit  international  conventionnel.  Ire  partie.  Paris,  Pichon, 
1894.  gr.  in-8.  XII  —  596  pag.  fr.  10. — .  (Sommaire :  Des  transports  internationaux 
et  des  transmissions  internationales  en  temps  de  paix  et  en  temps  de  guerre.  —  Rota- 
tions economiques  internationales.  Des  traites  de  commerce.  Des  Conventions  monetaires. 
Poids  et  mesures.  Organisation  d'un  regime  international.  —  De  la  proprietö  intellec- 
tuelle :  Propriete  litteraire  et  artistique.  Propriete"  industrielle.  Les  traites  Economiques 
en  temps  de  guerre.  — ) 

Stouff,  L.  (maitre  de  Conferences  ä  la  faculte  des  lettres  de  Dijon) ,  Etüde  sur  le 
principe  de  la  personnalite  des  lois  depuis  les  invasions  barbares  jusqu'au  Xlle  siecle. 
Dijon,  impr.   Darantiere,  1894.     8.      102  pag. 

A  n  n  u  a  1  report  of  the  Secretary  of  the  Interior  for  the  fiscal  year  ending  June  30, 
1892.  Volume  III.  Washington,  Government  Printing  Office,  1892.  gr.  in-8.  741  pp. 
Contents :  Report  of  the  Commissioner  of  pensions.  —  Report  of  the  Superintendent  of 
Census  (or  report  of  the  Operations  of  the  Census  Office  for  the  fiscal  year  ended  June  30, 
1892).  —  Report  of  the  Commissioner  of  railroads.  —  Report  of  the  Governor  of  Ari- 
zona. —    Report  of  the  Governor    of  New  Mexico.  —  Report  of  the  Governor   of  Utah. 

10* 


148     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

—  Report  of  the  Governor  of  Oklahoma.  —  Report  of  the  Governor  of  Alaska.  —  Report 
of  the  Board  of  visitors  of  the  government    hospital    for  the  insane.  —  etc. 

Jelf,  E.  A.,  Corrupt  and  illegal  practices  prevention  Act,  1883.  With  an  intro- 
duction  and  notes  of  all  judicial  decisions  under  the  Act.  London ,  Sweet  &  Maxwell, 
1894.     8.     5/.—. 

Macmorran,  A.  and  T.  R.  Colquhoun  Dill,  The  Local  Government  Act,  1894. 
With  an  introduction,  appendix  and  index,  forming  an  epitome  of  the  law  relating  to 
parish  Councils,  and  showing  the  alteration  in  the  law  relating  to  district  Councils  and 
boards  of  guardians.     London,  Shaw  &  Sons,   1894.     crown-8.     466  pp.     10/. 6. 

Police,  England  and  Wales,  counties  and  boroughs :  Reports  of  Inspectors  of  con- 
stabulary  for  1893.  London,  printed  by  Eyre  and  Spottiswoode,  1894.  8.  2/.5.  (Parliam. 
paper.) 

Raghavaiyangar,  S.  Scrinivasa,  Memorandum  on  the  progress  of  the  Madras 
Presidency  during  the  last  forty  years  of  british  administration.  2nd  edit.  Madras,  Luzac, 
1894.     8.     XVI— 669  pp.     2/.—. 

Sharpe,  R.  R.,  London  and  the  Kingdom:  a  history  derived  mainly  from  the 
archives  at  Guiidhall  in  the  custody  of  the  Corporation  of  the  city  of  London.  Vol.  I. 
London,  Longmans,  Green  &  C°,  1894.  8.  572  pp.  10/.6.  (Das  auf  3  Bde.  veran- 
lagte Werk  behandelt  in  historischer  Aufeinanderfolge  diejenigen  Instanzen  ,  welche  von 
ihrem  Sitze  in  der  Londoner  City  aus  direkt  auf  die  Angelegenheiten  Englands  und 
später  des  Vereinigten  Königreichs  eingewirkt  haben,  bezw.  eingreifen.  Band  I  schliefst 
mit   dem  Zeitalter  der  Königin  Elisabeth.) 

Todd,  A.,  Parliamentary  government  in  the  british  colonies.  2Qd  edition  (edited 
by  the  son  of  the  author).     London,   Longmans,  Green  &  C°,   1894.   8.    950  pp.    30/. — . 

Giampietro,  E.,  L'Italia  al  bivio.  Roma,  tip.  dell'  Unione  cooperativa  editrice, 
1894.  8.  133  pp.  1.  2. — .  (Contiene :  I  partiti  politici.  —  Bilancio  dello  Stato.  — 
Bilancio  della  nazione.  —  Socialismo,  anarchio,   rivoluzione.  —  II  programma  semplice.  — ) 

Mancini,  Pas.  St.,  Discorsi  parlamentari ,  raccolti  e  pubblicati  per  deliberazione 
della  Camera  dei  deputati  (a  cura  di  G.  Zucconi  e  G.  Fortunato).  2  voll.  Roma,  tip. 
della   Camera  dei  deputati,   1894.     8.     XLIII— 546   e  623  pp. 

Miceli,  V.  (prof.),  Carattere  giuridico  dei  governo  costituzionale,  con  speciale 
riguardo  al  diritto  positivo  italiano.     Perugia,  tip.  Umbra ,   1894.     8.      136  pp.      1.   2,50. 

12.     Statistik. 
Allgemeines. 

Reichesberg,  Naiim,  Die  Statistik  und  die  Gesellschaftswissen- 
schaft.    Stuttgart,  F.  Erike  1893.   116  S. 

Diese  Schrift  ist  beachtenswert,  namentlich  in  ihrem  polemischen 
Teile.  Treffend  wird  nachgewiesen,  dafs  die  bisherige  Soziologie  soweit 
sie  sich  nicht  auf  die  Massenbeobachtung  der  Statistik  gründet,  sondern  den 
Wahngebilden  einer  auf  naturwissenschaftliche  Analogieen  sich  gründenden 
vermeintlichen  direkten  Klarlegung  der  Morphologie  der  Gesellschaft  nach- 
jagt, nicht  auf  gutem  Wege  ist.  Dafs  die  Gesellschaft  als  eine  Massen- 
erscheinung nur  durch  die  Massenbeobachtung  der  Statistik  in  befriedigen- 
der Weise  erkannt  werden  kann,  wird  richtig  hervorgehoben.  Hinterher 
aber,  wenn  der  Verf.  dazu  kommt  in  positiver  Weise  die  Stellung  der 
Statistik  und  der  Gesellschaftswissenschaft  zu  kennzeichnen,  entspricht  die 
Rolle,  welche  er  der  Statistik  zuweist,  keineswegs  den  grundlegenden 
Ausführungen  der  Schrift.  Der  Verf.  bleibt  nämlich  bei  Oncken's  Auf- 
fassung, welche  die  Statistik  nur  als  Methode  gelten  lassen  will;  er  meint 
zwar,  diese  Auffassung  „müfste  eine  etwas  andere  Formulierung  haben,  da 
sie  in  der  Gestalt,  wie  sie  bei  Oncken  hervortrete,  Gefahr  laufe,  manche 
nicht  unwichtige  Mifsverständnisse  hervorzurufen".  Die  neue  Formulierung 
des  Verf.  ist  aber  weder  sonderlich  klar,  noch  schützt  sie  mehr  als  die 
Oncken,sche  Fassung  gegen  „nicht    unwichtige  Mifsverständnisse".     Wenn 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.      149 

nämlich  wirklich,  wie  der  Verf.  mit  Recht  betont,  die  Gesellschaft  als 
eine  Massenerscheinung  zutreffend  nur  durch  die  Massenbeobachtuug  der 
Statistik  erkannt  werden  kann,  dann  mufs  man  folgerichtig  den  Schlufs 
ziehen,  dafs  alle  die  verschiedenen  Massenzustände  und  Massenvorgänge, 
welche  mit  einander  die  Massenerscheinung  der  Gesellschaft  ausmachen, 
das  Beobachtungsobjekt  jener  selbständigen  Wissenschaft  bilden,  welche 
man  heute  Statistik  zu  nennen  berechtigt  ist.  Die  Statistik  ist  zwar 
nicht  identisch  mit  der  Gesellschaftslehre,  aber  sie  ist  nichts  anderes  als 
die  exakte  Gesellschaftslehre,  das  heilst  diejenige,  welche  Erkenntnis 
auf  Grund  der  erschöpfenden  Beobachtung  der  Massenvorgänge  des  Ge- 
sellschaftslebens liefert.  Sie  ist  also  zwar  nur  ein  Stück  unseres  Gesamt- 
wissens vom  Gesellschaftsleben,  aber  ein  nicht  blofs  nach  Methode  sondern 
auch  nach  Stoff  abgegrenztes  Stück. 

Die  allgemeinen  geschichtlichen  und  litterargeschichtlichen  Rückblicke, 
welche  das  Buch  enthält,  sind  im  grofsen  und  ganzen  eine  geschickte, 
wenn  auch  nicht  immer  genügend  gleichmäfsig  gestaltete  Exzerpteuarbeit. 
Dafä  die  Fassung  dabei  manchmal  etwas  gar  zu  allgemein  ausfällt,  darf 
nicht  unerwähnt  bleiben ;  so  z.  B.  (S.  9),  dafs  in  Frankreich  ,, ungefähr 
seit  Anfang  des  Jahrhunderts"  eine  jährliche  Kriminalstatistik  veröffent- 
licht wird,  während  der  erste  Bericht  für  das  Jahr  1825  vorliegt;  so 
weiter  die  Behauptung,  dafs  in  diesen  Berichten  ,,eine  unzählige  Masse 
von  Daten,  ohne  jedweden  Zusammenhang,  ohne  jedwede  Ordnung  vorge- 
tragen sei;  desgl.  (S.  16)  die  weitere  Behauptung,  dafs  kein  Maikäfer  und 
kein  Sperling  sich  irgendwie  von  seines  gleichen  unterscheide;  ebenso  die 
(S.  43)  Bemerkungen  über  die  Befugnisse  der  römischen  Staatsgewalt 
gegenüber  dem  Privateigentum.  Dafs  der  Verf.,  welcher  im  übrigen  vom 
Wesen  der  Gesellschaft  eine  durchaus  zutreffende  Auffassung  hat,  gleich- 
wohl den  altherkömmlichen  Gegensatz  von  Staat  und  Gesellschaft  auf- 
recht erhält,  statt  in  der  staatlichen  Zusammenfassung  nur  eine  —  wenn 
auch  recht  bedeutungsvolle  Form  —  gesellschaftlicher  Organisation  zu  sehen, 
wirkt  störend. 

Alles  in  allem  stellt  die  Schrift  einen  beachtenswerten  Beitrag  zur 
Klärung  des  Wesens  der  Statistik  gegenüber  der  stark  in  Mode  ge- 
kommenen —  wie  ich  sie  nennen  möchte  —  „unstatistischen"  Soziologie 
zweifelhaften  Wertes  dar. 

Strafsburg  i.  E.  Georg  v.   May r. 

Rettich,  Ergebnisse  einer  konkursstatistischen  Erhebung  in  Würt- 
temberg 1883  — 1892.  Im  K.  Statist.  Landesamt  nach  amtlichen  Quellen 
bearbeitet.     Stuttgart,  Kohlhammer,  1893. 

Die  vorliegende  Arbeit  enthält  einen  sehr  interessanten  Beitrag  zu 
der  Konkursstatistik,  der  für  Juristen  nicht  minder  wertvoll  sein  dürfte 
wie  für  Volkswirte.  Der  Verfasser  derselben  berücksichtigt  des  Ein- 
gehenden die  zahlreichen  Punkte,  die  bei  der  Konkursstatistik  in  Betracht 
kommen,  er  prüft  den  Zusammenhang  der  Bewegung  der  Konkursziffern 
mit  dem  Stande  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  und  legt  hierbei  be- 
sonderen Wert  darauf,  festzustellen,  inwieweit  die  Landwirte  an  der  Ver- 
mehrung der  Konkurse  beteiligt  sind,  der  er  als  Seitenstück  die  Bewegung 
der    für    die    Zwangsversteigerungen    landwirtschaftlicher    Anwesen    mafs- 


150     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

gebenden  Zahlen  gegenüberstellt ;  die  Schlüsse  des  Verfassers,  die  als  sehr 
vorsichtige  zu  bezeichnen  sind,  kommen  darauf  hinaus,  dafs  in  Württem- 
berg die  Bewegung  der  Konkurse  zu  besonderen  Bedenken  keinen  Anlafs 
giebt,  dafs  aber  andererseits  auch  auf  Grund  der  Konkursstatistik  die  Lage 
der  Weingärtner  als  eine  recht  schwierige  und  bedrängte  bezeichnet 
werden  mufs ;  bekanntlich  ist  dies  noch  jüngst  im  Reichstage  von  amt- 
licher Seite  bestätigt  worden. 

Mainz.  Ludwig  Fuld. 

v.  Lö  bell 's  Jahresberichte  über  die  Veränderungen  und  Fortschritte  im  Militär 
wesen.  Jahrgang  XX:  1893.  Herausgegeben  von  Th.  v.  Jarotzky  (Generalltn.  z.  Disp.)- 
Berlin,  Mittler  &  Sohn,  1894.     Roy.-8.     XXII— 554  SS.     M.  9,50. 

Deutsches  Reich. 

Ergebnisse  der  Volkszählung,  die,  in  Elsafs-Lothringen  vom  1.  Dezember  1890. 
Strafsburg,  M.  Du  Mont-Schauberg ,  1894.  gr.  8.  LXXXII— 283  SS.  (A.  u  d.  T. : 
Statistische  Mitteilungen  über  Elsafs-Lothringen.  Herausgegeben  von  dem  statistischen 
Bureau    des  kais.  Ministeriums  für  Elsafs-Lothringen.) 

Mitteilungen,  statistische,  aus  den  deutschen  evangelischen  Landeskirchen  vom 
Jahre  1892.  Statistische  Tabelle  betreffend  Aeufserungen  des  kirchlichen  Lebens  im 
Jahre  1892.  Stuttgart,  Grüninger,  1894.  gr.  8.  22  SS.  (Von  der  statistischen  Kom- 
mission der  deutschen  evangelischen  Kirchenkonferenz,  deren  Beschlüssen  gemäfs ,  nach 
den  Angaben  der  landeskirchlichen   Behörden  zusammengestellt.) 

Preufsische  Statistik.  Amtliches  Quellenwerk.  Herausgegeben  in  zwanglosen 
Heften  vom  kgl.  statistischen  Bureau  in  Berlin.  Heft  129  :  Die  endgiltigen  Ergebnisse 
der  Viehzählung  vom  1.  Dezember  1892  im  preufsischen  Staate.  Teil  I:  Der  Viehstand 
nach  Stückzahl,  Verkaufswert  und  Lebendgewicht  der  Tiere.  Berlin,  Verlag  des  Bureaus, 
1890.      Roy.-4.      LVIII— 340  SS.    mit    6    Tafeln    graphischer    Darstellungen.       M.   11,40. 

Frankreich. 
Documents  statistiques  reunis  par  l'administration  des  douanes  sur  le  commerce 
de  France.  Avril  1894.  (Publication  du  Ministere  des  tinances,  direction  generale  des 
douanes.  Sommaire :  Quatre  premiers  mois  des  annees  1894,  1893  et  1892:  Resume 
comparatif  des  marchandises  import^es  et  exportees.  —  Etat  de  developpement  des  im- 
portations  et  des  exportations.  —  Resume  des  importations  et  des  exportations  avec 
l'Angleterre,  l'Allemagne,  la  Belgique,  la  Suisse,  l'Italie,  l'Espagne,  la  Turquie,  les  Etats- 
Unis,  le  Brdsil  et  la  Republique  Argentine.  —  Tableau  du  mouvement  des  sucres.  — 
Situation  des  entrepöts.  —  Developpement  par  ports  du  mouvement  de  la  navigation. 
—  etc.) 

England. 
A  n  n  u  a  1  Statement  of  the  navigation  and  shipping  of  the  U.   Kingdom  for  the  year 
1893.   London,  printed  by  Eyre  &  Spottiswoode,   1894.   Folio.  X — 381   pp.  3/.1.  (Parliam 
paper  by  command   of  Her  Majesty.) 

Oesterreich-Ungarn. 
Bewegung    der  Bevölkerung    der  Länder    der    ungarischen  Krone    in    den  Jahren 

1890  und  1891.  Im  Auftrage  des  k.  ungar.  Handelsministers  verfafst  u.  hrsg.  durch  das 
k.  ungar.  statistische  Bureau.  Budapest,  Buchdruckerei  des  Athenäum,  1893.  Roy-folio. 
IV — 119  u.  103  SS.  mit  2  graphischen  Karten.  Ungarischer  und  deutscher  Text, 
fl.  3. — .  (A.  u.  d.  T. :  Magyar  estatisztikai  közlemenyek,  üj  folyam,  V.  kötet.  (Ungarische 
statistische  Mitteilungen  Bd    V.) 

Ergebnisse  der  in  den  Ländern    der  ungarischen  Krone  am   Anfange    des  Jahres 

1891  durchgeführten  Volkszählung,  Teil  III:  Gebäudestatistik.  Im  Auftrage  des  k.  ung. 
Handelsministers  verfafst  und  hrsg.  durch  das  k.  ung.  statistische  Bureau.  Budapest, 
Pester  Buchdruckerei,  1893.  Roy.-Folio.  113  u.  68  SS.  geb.  fl.  2. — .  Ungarischer  und 
deutscher  Text.  (A.  u.  d.  T. :  Magyar  statisztikai  közlemenyek  ,  etc.  (Ungarische 
statistische  Mitteilungen  N.  F.  Bd.   III.) 


Uebersicbt  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.    151 

Jahrbuch,  statistisches,  des  k.  k.  Ackerbauministeriums  für  1893.  Heft  1  :  Statistik 
der  Ernte  des  Jahres  1893.  Wien,  k.  k.  Hof-  und  Staatsdruckerei,  1894.  8.  LXXI — 
129   SS.  mit  5  Diagrammen,   2  Tafeln  und  7  Karten. 

Landwirtschaftliche  Produktion,  die,  der  Länder  der  ungarischen  Krone  in 
den  Jahren  1891  und  1892.  Im  Auftrage  des  k.  ungar.  Handeibministers  verfafst  und 
hrsg.  durch  das  k.  ung.  statistische  Bureau.  Budapest,  Buchdruckerei  des  Athenäum, 
1893.  Roy.-Folio.  IV— 118  u.  103  SS.  mit  3  graphischen  Karten,  geb.  fl.  3.—. 
Ungarischer  und  deutscher  Text.  (A.  u.  d.  T. :  Magyar  statisztikai  közlemönyek  pp. 
Ungarische  statistische  Mitteilungen,  Neue  Folge,  Band  VI.) 

Rufs  1  and. 

Cboähbih  6wJUieTem>  no  ropo^y  Mockb£  3a  1893  ro;n>.  (Bulletin  r^capitulatif  de 
la  ville  de  Moscou,  public  par  le  Bureau  de  la  statistique  municipale,  aniice  1893.) 
Moskau  1894.  Roy. -8.  14  pp.  (Inhalt:  Geburten  und  Todesfälle;  Monatspreise  der 
vornehmsten  Konsumartikel ;    Monatslohnsätze  der    wichtigsten  Handwerker    für   das  Jahr 

1893,  etc.) 

Cboäi>  CBiAiHiü  o6b  yMepimiXB  bb  ropoAt  Mockb4  3a  1892  roax.  MocKBa  1893. 
Roy, -8.  VIII — 52  pp.  (Die  in  der  Stadtgemeinde  Moskau  im  Jahr  1892  vorgekommenen 
Todesfälle  und  deren  Ursachen.  Herausgegeben  vom  statistischen  Bureau  der  Stadt 
Moskau.) 

Statistisk  ärsbok  för  Finland  utgifvet  af  Statistiska  Centralbyrän.  Femtonde 
argängen  (15.  Jahrg.):  1894.     Helsingfors,  Finska  litteratursällskapets  tryckeri  och  förlag, 

1894.  8.     IV— 183  pp.  geb. 

Italien. 

Relazione  statistica  intorno  ai  servizi  postale  e  telegraflco  per  l'esercio  1892/93 
ed  al  servizio  delle  casse  postali  di  risparmio  per  l'anno  1892.  Roma,  tipogr.  naz.  di 
Bertero,   1894.     gr.  in-4-     235  pp.    (Pubblicazione  del  Ministero  delle  poste  e  dei  telegrafi.) 

Tabella  indicante  i  valori  delle  merci  nell'  anno  1893  per  le  statistiche  commer- 
ciali  (approvata  con  decreto  ministeriale  10  marco  1894.)  Roma,  tipogr.  Bertero,  1894. 
Roy.  in-8      74  pp. 

Dänemark. 
Danmarks  Statistik.  Statistisk  Tabelvaerk,  IV.  Raekke  (Serie)  Litra  A,  N°  8,  a: 
Hovedresultaterne  af  Folketaellingen  i  Kongeriget  Danmark  den  iste  Februar  1890,  med 
tilhorende  befolkningskaart  (Hauptergebnisse  der  dänischen  Volkszählung  vom  1  Februar 
1890,  mit  2  demographischen  Karten.)  Kjebenhavn,  Gyldendal,  1894.  4.  CCLXXXIV  pp. 
(Veröffentlichung  des  dänischen  statistischen  Bureaus.) 

Seh  we  i  z. 
Mitteilungen  des  bernischen  statistischen  Bureaus.    Jahrgang  1894.    Lieferung  1  : 
Die    gewerblichen  Verhältnisse    im  Kanton  Bern    nach    der  Gewerbe-    und  Berufsstatistik. 
Bern,  Buchdruckerei  Michel  &  Büchler,  1894.     8.     96  SS. 

Norwegen. 
M  ed  d  e  lel  s  er  fra  det  Statistiske  Centralbureau.    XBind:  1892.    Kristiania,  H.  Asch- 
houg  &  C°,   1893.     gr.  in-8.     187,  53,  39  pp.     (Mitteilungen  des  norwegischen  statistischen 
Zentralbüreaus    über  Handels-,    Verkehrs-,    Landwirtschafts-    etc.  auf  das  Jahr    1892    be- 
zügliche Daten,  nebst  Statistik  der  Storthing-Wahlen  für  das  Jahr  1891.) 

Amerika  (Chile.) 
Estadistica  comercial  de  la  Repüblica  de  Chile  correspondiente  al  ano  de  1892. 
Valparaiso,  imprenta  G.  Helfmann,  1894.     gr.  in-8.     XXX — 773  pp. 

—  (Mexico). 
B  o  1  e  t  i  n  semestral  de  la  Direccion  general  de  estadistica  de  la  Repüblica  Mexicana, 
a  cargo  del  (Dr.)  Ant.  Penafiel.  Numero  7,  8  y  9  (anos  de  1891 — 92).    Mexico,  Oficina  de  la 
Secretan'a  de  fomento,  1893.     Folio.     IV — 266,  IV — 234  y  4—204  pp.     (Publicacion  del 
Ministerio  de  fomento  (Ackerbau-  und  Handelsministeriums.) 


152     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Asien  (China). 
China.  Imperial  Maritime  Customs,  I.  Statistical  series :  N°s  3  and  4 :  Returns  of 
trade  and  trade  reports  for  the  year  1893.  Part  1 :  Report  on  the  trade  of  China 
(35"i  issue)  and  abstract  of  statistics  (29*h  issue).  Shanghai,  Kelly  &  Walsh,  and  London, 
King  &  Sohn,  1894.  4.  IV — 27  pp.  $  1. — .  (Published  by  order  of  the  Inpector  General 
of  customs.) 

—  (Japan). 
Resume  statistique  de  l'Empire  du  Japon.  8e  annee  (pour  les  annees  1891  et 
1892).  Tokio  1894.  gr.  in-8.  XIV— 142  pag.  et  3  cartes.  (Publication  du  Cabinet 
imperial,  section  de  la  statistique  generale.  Table  des  matieres :  Territoire  et  population. 
—  Agriculture  et  industrie.  —  Peche  et  production  du  sei.  —  Commerce  exterieur  et 
prix.  —  Postes  et  telegraphes.  —  Transport  par  terre.  —  Navigation.  —  Banques  et 
societ^s.  —  Instruction  publique.  —  Culture.  —  Hygiene  publique.  —  Finances.  —  etc.) 

—  (British-Indien).      j 
Materials  towards    a   Statistical    account  |of   the    town    and    islands    of   Bombay. 
Vol.  I:    History.      Bombay,    Luzac ,    1894.      8.     |IV— 497  pp.      hf.-bd.     7/.6.     Bombay 
Gazetteer,  vol.  XXVI,  part  1.) 

13.     Verschiedenes. 

Werker,  W.  M.  J.  (Adjunkt-Chef  des  Rechnungswesens  der  Gesell- 
schaft für  den  Betrieb  von  niederländischen  Staatseisenbahnen),  Die  zu- 
sammengesetzte Zinsen-  und  Zeitrenten-  oder  Annuitätenrechnung.  Hand- 
buch zur  Lösung  der  zusammengesetzten  Zinsen-  und  Diskontorechnung, 
besonders  auch  solcher,  welche  auf  die  Emission  und  Amortisation  von 
Geldanleihen  Bezug  haben ;  mit  zahlreichen  Beispielen  und  Formeln  und 
mit  5  Haupttafeln :  Aufzinsungs-  und  Abzinsungstafeln,  und  einigen  sup- 
pletoiren  Tafeln.  2  Bde.;  I.  Text  und  Formeln  171  SS.;  IL  Tafeln  332  SS. 
Utrecht  und  Berlin,  Puttkammer  und  Mühlbrecht. 

Vorliegendes  Werk  giebt  —  und  zwar  bis  auf  8  Dezimalstellen  — 
die  prolongierten  und  diskontierten  Beträge  von  einzelnen  Summen  und 
Renten  an  für  verschiedene  Zinsfufse,  welche  um  je  1/8  von  t/8  bis  l0°/0 
steigen,  bis  zu  5°/0  für  1 — 200,  von  5 — 10°/0  für  1 — 100  Termine.  In 
zwei  Supplementtafeln  sind  dann  noch  die  prolongierten  und  diskontierten 
Rentensummen  für  1  — 100  Termine  und  für  Zinsfufse  zu  finden,  welche 
um  je  1/2  von  101/2  bis  15°/0  steigen.  Eine  weitere  Tabelle  enthält  die 
Jetztwerte  von  Summen,  welche  zu  den  oben  bezeichneten  Zinsfufsen  und 
Terminen  je  die  Rente  1  abwerfen.  Die  Zahlen  dieser  Tabelle  sind  dem- 
gemäfs  die  Reziproken  der  entsprechenden  Zahlen  der  vorhergehenden, 
ebenso  wie  die  zweite  Tabelle  (diskontierte  Beträge)  die  Reziproken  der 
in  der  ersten  angeführten  Beträge  enthält.  Weiter  bietet  das  Werk  noch 
die  Reziproken  der  ganzen  Zahlen  von  1  — 1000  und  die  Summen  der- 
selben von   1 — 500. 

Band  I  enthält  unter  Aufführung  einer  grofsen  Anzahl  von  Beispielen 
die  nötigen  Anleitungen  zur  Benutzung  der  Tafeln  und  zwar  auch  für 
jeden  beliebigen,  in  diesen  selbst  nicht  vorkommenden  Zinsfufs  mit  zu- 
sammengesetzten Berechnungen  und  zur  Erzielung  von  Näherungswerten 
mit  unerheblichen  Abweichungen  von  den  wirklichen  Gröfsen. 

Die  vom  Verfasser  angewandten  Kontrollmittel  zur  Prüfung  der  Rich- 
tigkeit seiner  Rechnungsergebnisse  sind  derart,  dafs  sie  die  Zuverlässigkeit 
seiner  Tafeln  wohl  genügend  verbürgen. 

München.  J.  Lehr. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen   Deutschlands  und  des  Auslandes.      153 

Ascherson,  F.  (Prof.),  Deutscher  Universitätskalender,  45.  Ausgabe:  Sommer- 
semester 1894.  Teil  II.  Berlin,  Simion  ,  1894.  12.  318  SS.  (Inhalt:  Die  Univer- 
sitäten im  Deutschen  Reich,  in  der  Schweiz,  den  russischen  Ostseeprovinzen  und  Oester- 
reich.) 

Bericht,  VIII.,  über  den  Gesundheitszustand  und  die  Verwaltung  der  öffentlichen 
Gesundheitspflege  in  Bremen  umfassend  die  Jahre  1887  bis  1892.  Erstattet  vom  Gesund- 
heitsrate.     Bremen,  Kühle  &  Sehlenker,   1894.     Roy.-8.     VI — 192. 

v.  Bi  1  bas  so  f  f,  B.  (Prof.),  Geschichte  Katharina  II.  Autorisierte  Uebersetzung 
aus  dem  Russischen  von  M.  v.  Pezold.  Band  I,  Abteilung  1  uud  2.  Berlin,  Cronbach, 
1893.  gr.  8.  M.  12. — .  (Inhalt:  Bd.  I,  Abt.  I :  Katharina  bis  zu  ihrer  Thronbestei- 
gung, 1729  bis  1762,  X— 543  SS;  Bd.  I,  Abt.  2:  Forschungen,  Briefe  und  Dokumente, 
184  SS.) 

Brock  er,  C,  Die  Freimaurerlogen  Deutschlands  von  1737  bis  einschliefslich  1893. 
Mit  biographischen  und  historischen  Mitteilungen.  Berlin,  E.  S.  Mittler  &  Sohn,  1894. 
gr.  8.     IV— 195  SS.     M.  3.— . 

Dengler,  P.  (BürgerM.  u.  Badekommissar  in  Reinerz),  Der  XXII.  schlesische 
Bädertag  und  seine  Verhandlungen,  nebst  dem  medizinischen,  dem  statistischen  Verwal- 
tungs-  und  dem  Witterungsberichte  für  die  Saison  1893.  Reinerz  &  Glatz,  Schirmer- 
sche  Bhdl.,   1894.     8.      101   SS. 

Dernburg,  H,  Die  Phantasie  im  Rechte.  Vortrag.  Berlin,  H.  W.  Müller,  1894. 
gr.  8.     43  SS.     M.  1.—. 

Ehrenberg,  R.  (Sekretär  des  kgl.  Kommerzkollegiums),  Altona  unter  Sehauen- 
burgischer  Herrschaft.  Heft  5 — 7  (Schlufs).  Altona,  J.  Härder,  1892—3.  Roy.-8.  52, 
98,  70  SS.  (Inhalt:  Heft  5:  Aus  dem  30-jährigen  Kriege.  Erlebnisse  des  Portugiesen 
Alberto  Dionisio.  —  Heft  6:  Die  Reformierten  und  die  Mennoniten  Altonas.  —  Heft  7  : 
Die  Jesuitenmission  in  Altona.   —  etc.     (Verfasser  von  Heft  6   ist  Prof.  P.   Piper.) 

Follmann,  O.,  Die  Eifel.  Stuttgart,  Engelhorn,  1894.  gr.  8.  88  SS.  M.  3,20. 
(A.   u.  d.   T. :  Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde,    Band  VIII,  Heft  3.) 

Pfeiffer,  A.  (Reg.-  u.  MedR.),  Bericht  über  die  Verwaltung  des  Medizinal-  und 
Sanitätswesens  im  Regbez.  Wiesbaden  für  die  Jahre  1889,  1890  und  1891.  Wiesbaden, 
Druck  von  Gebr.   Petmecky,   1894.     gr.   8.     VIII— 99   SS. 

Potonie,  H.,  Ueber  das  Rotliegende  des  Thüringer  Waldes.  Teil  II:  Die  Flora 
des  Rotliegenden  von  Thüringen.  Beriin,  Schropp,  1893.  gr.  8.  VI  — 289  SS  mit  34  Tafeln 
nebst  34  Blatt  Erklärungen.  (A.  u.  d.  T. :  Abhandlungen  der  kgl.  preufs.  Geologischen 
Landesanstalt,  N.   F.   Heft  9,  Teil  2.) 

Richter,  P.,  David  Hume's  Kausalitätstheorie  und  ihre  Bedeutung  für  die  Begrün- 
dung der  Theorie  der  Induktion.     Halle  a/S.,  Niemeyer,    1893-     8. 

Rietschel,  H.  (Rektor  der  k.  techn.  Hochschule,  Berlin),  Der  Stand  der  wissen, 
schaftlichen  und  praktischen  Wohnungshygiene  in  Beziehung  zur  Luft.  Rede.  Berlin, 
Buchdruckerei  von  Denter  &  Nicolas,    1894.     gr.   Lex. -8.     20  SS. 

R  u  p  p  ,  G.,  Die  Untersuchung  von  Nahrungsmitteln  ,  Genufsmitteln  und  Gebrauchs- 
gegenständen. Praktisches  Handbuch  für  Chemiker,  Medizinalbeamte,  Pharmazeuten,  Ver- 
Waltungs-  und  Justizbehörden  etc.  Heidelberg,  C.  Winter,  1894.  8.  XI — 384  SS.  geb. 
M.  8.—. 

Schwann,  M.,  Das  neue  Bayern.  Illustrierte  Geschichte  des  bayerischen  Lands 
und  Volks  von  der  Wiedervereinigung  Altbayerns  bis  auf  die  Neuzeit.  Stuttgart ,  Süd- 
deutsche Verlagsanstalt,  1894.  Roy. -8.  932  SS.  mit  zahlreichen  Illustrationen  nach  ersten 
Meistern.     M.  14,80. 

Verzeichnis  der  (dem  XI.  internat.  medizinischen  Kongrefs  in  Rom)  vom  k. 
deutschen  Gesundheitsamte  vorgeführten  Ausstellungsgegenstände.  Berlin,  Springer,  1894. 
kl.     8.     219  SS. 


L'anarchiste  Emile  Henry  aux  assises  de  la  Seine  (requisitoire  complet  de  M. 
l'advocat  general  Bulot :  plaidoirie  in-extenso  de  M.  Hornsbostel).  Paris,  Pedone-Lauriel, 
1894.     gr.  in-8.     fr.    1,50.    (Les  proces  celebres.    Revue  mensuelle  illustree,  livraison  7.) 

Engel  Bey  (Medecin  chef  de  la  statistique),  L'epide'mie  d'influenza  en  Egypte  pendant 
l'hiver  1889 — 1890,  d'apres  des  rapports  medicaux  et  des  ecoles,  avec  un  appendice 
sur  l'epidemie  de  1891 — 92.     Le  Caire,  imprim.   nationale,    1894.     Imp.  in-4. 

Guide  des  thermes  et  bains  d'Italie,  publie  par  les  soins  de  l'Association  medicale 
italienne  d'hydrologie  et  de  climatalogie.  Turin,  Pozzo  freres,  1894.  8.  XVI — 175  pag. 
(texte  en  franc.  et  en  ital.) 


154  Die  periodische  Presse  des  Auslandes. 

Laumonnier,  J.,  Hygiene  de  l'alimentation  dans  l'etat  de  sante  et  de  maladie. 
Paris,  F.  Alcan,   1894.      12.     Avec  gravures.     fr.  4. — . 

Legislation,  la,  et  l'admi nistrat ion  sanitaire  en  Italie  et  les  institutions  scienti- 
fiques,  annexees  ä  la  Direction  de  la  sante  publique  Rome,  imprim.  des  „Mantellate" 
1894.  gr.  in-8.  126  pag.  (Publication  du  Ministere  de  l'interieur  du  royaume  d'Italie, 
Direction  de  la  sante  publique.) 

Rapport  ä  M.  le  ministre  de  l'instruction  publique,  des  beaux-arts  et  des  cultes 
sur  les  champs  d'expeViences  scolaires,  par  G.  Ville.  Paris,  imprim.  nationale,  1894.  4. 
173  pag.  avec  figures. 

Dickens's  Dictionary  of  London  1893 — 1894.  XVth  year.  An  unconventional 
handbook.  London,  Dickens  &  Evans,  1894.  12.  262,  32  pp.  with  map  of  London  in 
12  sections,  cloth.      1/. — . 

Gamble,  Eliza  Burt,  The  evolution  of  woman :  An  inquiry  into  the  dogma 
of  her  inferiority  to  man.     London,  Putnam,   1894.     crown-8.     IX — 356  pp.     7/.6. 

Handbook  of  catholic  charities  associations,  etc.  in  Great  Britain.  London,  Catholic 
Truth  Society,   1894.     8.     VIII— 103  pp.,  cloth.     1/.—. 

Williams,  R.,  More  light  and  air  for  Londoners:  The  effect  of  the  new  streets 
and  buildings  Bill  on  the  health  of  the  people.  London,  W.  Reeves,  1894.  4.  X — 53  pp. 
illustrated   with  plans  and  diagrams.     1/. — . 

B  t  o  p  o  fi  roflOBoü  oTien>  Mockobckoh  ropoÄCKoii  caHHxapHoä  ciaHiuH,  ycipoeHHOH 
npu  rHriemmecKOMi.  HHCTHTyii  HMnepaxopcKaro  MocKOBCKaro  yHHBepcmeTa  (Maö  1892  r. 
—  Maii  1893  r.)  cocTaB^eHi  uoxb  peflaKmeü  3aBi/i;yK>maro  craHiüeii  (lipo*.)  9.  0. 
3pHCMaHa.  MoCKBa  1894.  Roy.  in-8.  446  SS.  mit  6  Tafeln.  (II.  Verwaltungsbericht 
des  städtischen  mit  dem  hygienischen  Institut  der  Universität  vereinigten  Sanitätslabo- 
ratoriums der  Stadt  Moskau,  für  die  Zeit  vom  Mai  1892  bis  Mai  1893.  Herausgegeben 
von  (Prof.)  F.  F.  Erismann.) 

Pagliani,  L.  (prof.,  Direttore  della  sanitä  pubblica  de  Regno),  Relazione  intorno 
all'  epidemia  di  colera  in  ltalia  nell'  anno  1893.  Roma,  tipogr.  delle  Mantellate,  1894. 
Roy.  in-8.  29  pp.  (Pubblicazione  del  Ministero  dell'  interno ,  Direzione  della  sanitä 
pubblica.) 


Die  periodische  Fresse  des  Auslandes. 

A.     Frankreich. 

B  u  1 1  e  t  i  n  du  Ministere  de  l'agriculture,  XHI^me  annee,  1894,  N°  2,  Mai :  A.  France  : 
Rapport  sur  la  tuberculose  bovine  ä  l'Ecole  nationale  d'agriculture  de  Grignon.  —  Rapport  sur 
la  pisciculture  dans  le  departement  de  l'Isere  en  1893.  —  Rapport  sur  les  resultats  ob- 
tenus  dans  quelques  champs  d'experiences  de  la  Cote-d'Or  en  1893.  —  Rapport  sur  les 
eaux  et  limons  de  la  Durance  et  leur  application  au  colmatage  de  Ja  Crau.  — •  B  Etranger  : 
Note  sur  le  developpement  de  la  production  du  sucre  de  betteraves  en  Californie.  — 
Note  sur  le  commerce  des  bles  dans  l'Inde.   —  etc. 

Bulletin  de  statistique  et  de  legislation  comparee.  XVIIIi&ne  annee,  1894,  Mai: 
A.  France,  colonies,  pays  sous  le  protectorat  de  la  France :  Statistique  generale  des  con- 
tributions  directes  et  des  taxes  assimilees.  —  Production  des  alcools  en  1893  et  1892.  — 
Les  revenus  de  l'Etat.  Recouvrements  des  4  premiers  mois  de  1894.  —  Le  commerce 
exterieur,  mois  d'Avril,  1894  —  L'exploitation  du  monopole  des  allumettes  chimiques 
en  1892.  —  Le  budget  de  la  ville  de  Paris  pour  l'exercice  1894.  —  Les  recettes  des 
chemins  de  fer  en  1893  et  1892.  —  Madagascar:  Les  douanes  et  le  commerce  exterieur. 
—  Guyane:  Le  regime  douanier  des  colonies.  —  B.  Pays  etrangers:  Pays  divers:  La 
droduction  de  l'or.  —  Angleterre :  Le  cours  des  consolides  depuis  cent  ans,  avec  dia- 
gramme.  —  Pays-Bas  :  L'impot  sur  les  revenus  professionnels,  loi  du  2  octobre  1893.  — 
Grece :  Le  regime  des  tabacs ,  des  alcools  et  des  bieres.  Les  monopoles.  Le  commerce 
et  le  prix  des  raisins  secs.  —  Russie  :  Les  rösultats  provisoires  de  l'exercice  1893.  La 
conversion  des  billets  5  p.°/0  de  la  Banque  et  des  emprunts  d'Orient.  —  Transvaal :  Les 
mines  d'or.   —   Republique  argentine:  Le  commerce  exterieur  en  1893.  —  etc. 


Die  periodische  Presse  des  Auslandes.  155 

Journal  des  Economistes.  53«  annde,  1894,  Juin:  L'Etat  et  la  societe.  Le  socia- 
lisme  et  l'individualisme,  par  Maur.  Block.  —  La  question  des  vios,  par  J.  Charles- 
Roux.  —  Mouvement  scientifique  et  industriel,  par  D.  Bellet.  —  Revue  de  l'Acaddmie 
des  scieuces  morales  et  politiques,  par  J.  Lefort.  —  Lettre  d'Autriche-Hongrie  ,  par  A. 
E.  Hörn.  —  Commerce  de  la  France  avec  la  Suisse  ea  1893,  par  M.  Zahlet.  —  Une 
excursion  dans  les  Moluques,  par  Meyners  d'Estrey.  —  Comment  j'ai  passe"  mon  bacca- 
laureat,  par  Hubert- Valleroux.  —  Le  programme  social  des  catholiques  allemands.  — 
Societe  d'economie  politique ,  reunion  du  5  juin  1894:  Neurologie:  Aug.  Couvreur,  W. 
Koscher  et  Miguel  de  Bulhoes.  Discussion :  Des  rapports  entre  l'economie  politique  et 
la  sociologie.  —  etc. 

Journal  de  la  Societe  de  statistique  de  Paris.  XXXV^aie  annee,  1894,  N°  5, 
Mai:  Proces-verbal  de  la  sdance  du  18  avril  1894.  Annexe  au  proces-verbal:  la  crise 
des  changes  (fin  de  la  discussion).  —  Resultats  statistiques  de  neuf  annees  de  divorces, 
par  V.  Turquan.  —  L'exportation  industrielle  des  grands  Etats,  par  A.  Raffalovich.  — 
Chronique  des  transports ,  par  Beaurin-Gressier.  —  Chronique  des  banques ,  changes  et 
metaux   precieux,   par  Pierre  des  Essars.   —  etc. 

Moniteur  des  Assurances.  Tome  XXVI,  N°»  307  et  308,  15  avril  et  15  inai 
1894  :  Proposition  de  M  Jul.  Roche,  deputd,  concernant  les  societes  francaises  et  etran- 
geres  d'assurances  sur  la  vie  ,  par  P.  Sidrac.  —  Modeies  de  tableaux  pour  les  compag- 
nies-vie.  par  R.  Sidric  (suite  et  fin).  —  Assurances  contre  l'incendie.  Etüde  juridique  sur 
le  contrat  d'assurance  contre  l'incendie,  par  C.  Oudiette.  —  Une  centenairc.  Police  de 
la  Compagnie  d'assurance  contre  l'incendie  de  1786.  —  De  la  „valeur  venale"  en  matiere 
de  reglements  immobiliers,  par  C  Oudiette.  —  Etüde  sur  le  contrat  d'assurance-accidents, 
par  E.   Pagot  (suite   1   et  2).  —  Le  devoir  de  famille,  par  L.   Masse.  —  etc.   — 

Re  forme  sociale,  la.  Hie  Serie,  tome  VII,  livr.  8  et  9,  16  Avril  et  ler  Mai  1894: 
Le  socialisme  et  la  liberte  d'association ,  par  G.  Picot.  —  Les  fabriques  d'eglise  et  leur 
nouvelle  eomptabilite,  par  Maur.  Lambert.  —  Les  octrois  et  leur  remplacement  (suite, 
voy.  livr.  7,  pag.  538).  —  Idees  avancees  :  idees  retrogrades,  par  U.  Gue>in.  —  Questions 
sociales  en  Allema^ne  (d'apres  ,, Deutsche  Kern-  und  Zeitfragen",  par  A.  Schaeffle),  par 
G.  Blondel.  —  Les  institutions  de  prevoyance  de  ,,La  Menagere'\  Communication  de 
E.  Levy.  —  Les  unions  de  la  paix  sociale  ä  Lille,  a  Toulouse  et  ä  Roubaix,  par  A. 
Maron.  —  Chronique  du  mouvement  social,  par  A.  Fougerousse.  —  Le  mouvement  social 
ä  l'etranger,  par  J.   Cazajeux.   —   etc. 

Revue  generale  d'administration  :  XVIIe  annee,  1894,  Janvier  ä  Avril:  Notes  de 
jurisprudence,  section  de  l'interieur,  des  cultes,  de  l'instruction  publique  et  des  beaux- 
arts  du  Conseil  d'Etat  (suite  11  ä  13).  —  Un  banquier  du  Tresor  royal  au  XVIIIe  siecle : 
Samuel  Bernard  (1651—1739),  par  V.  de  Swarte  (suite  et  fin).  —  Notes  sur  le  droit 
civil  catalan,  par  de  Valicourt  (consul  suppleant  ä  Barcelone).  —  Les  concessionnaires 
de  travaux  publics  devant  l'impöt  foncier.  A  propos  du  casino  de  la  ville  de  Nice  ,  par 
P.  Gallot  (vice-president  du  conseil  de  prefecture  des  Alpes-Maritimes).  —  L'amiraute 
francaise.  Son  histoire,  ses  transformations,  etat  actuel,  par  Marcel  R.  du  Verdier  (sous- 
commissaire  de  la  marine).  —  Procedure  devant  les  conseils  de  prefecture.  Des  visites 
de  lieux ,  par  A.  Nectoux  (conseiller  de  prefecture).  —  Chronique  de  l'administration 
francaise.  —  etc. 

Revue  d'economie  politique.  Comite  de  direction  :  P.  Cauwes,  Ch.  Gide,  E.  Schwied- 
land,  E.  Villey.  8«  annee,  1894,  N°  5,  Mai:  Le  neo-collectivisme ,  par  Ch.  Gide.  — 
Quelques  reflexions  sur  l'income-tax,  par  J.  Dumas.  —  L'economie  politique ,  sa  theorie 
et  sa  methode,  par  G.  Schmoller  (fin).  —  Chronique  legislative  :  Debats  parlementaires. 
Projet  de  loi  sur  le  credit  agricole.  Projet  de  loi  relatif  aux  Conseils  de  prud'  hommes, 
par  E.  Villey.  —  etc. 

Revue  maritime  et  coloniale.  Tome  CXXI,  livr.  392,  Mai  1894:  Chronique  du 
port  de  Lorient  de  1803  ä  1809,  par  Lallemand  (lieutenant  de  vaisseau).  —  Le  naphte 
et  le  torpilleur  N.  104  S.,  par  Cuniberti  (ingenieur).  —  Obock  et  Abyssinie  (suite  et 
fin),  par  Alvarez.  —  Influence  de  la  puissance  maritime  sur  l'histoire  (1660 — 1783),  par 
A.  T.  Mahan  (capitaine  de  la  marine  des  Etats-Unis.  —  Chronique:  Angleterre:  Le 
budget  de  la  marine  anglaise  pour  1894/95  Le  nouveau  programme  de  1894/95.  —  etc.  — 
Peches  maritimes:  L'ostreiculture  en  Allemagne.  La  peche  a  Terre-Neuve  en  1893.  Situ- 
ation de  la  peche  et  de  l'ostreiculture  pendant  le  mois  de  mars  1894.  — 

Revue  internationale  de  sociologie,  publiee  sous  la  direction  de  R.  Worms.  Annee  II, 
N°  5,  Mai  1894:  Le^on  d'ouverture  d'un  cours    d'histoire    de    l'economie    sociale,    par  A. 


156  P'e  periodische  Presse  des  Auslandes. 

Espinas.  —  L'anthropologie  et  le  droit,  par  L.  Manouvrier  (suite  et  fin).  —  Mouvement 
social:  France,  par  Dufourmantelle.  (Sommaire:  1.  Les  anarchistes.  2.  Congres  socialiste 
de  Roubaix.  3.  Le  Congres  des  ouvriers  de  chemins  de  fer.  4.  Les  soci&es  de  secours 
mutuels.  5.  Credit  et  banques  populaires.  6.  Les  societes  cooperatives.  7.  Greves  et 
arbitrage.  8.  Syndicats  et  bourses  du  travail.  9.  Caisses  d'epargne.  10.  Caisse  des  retraites. 
11.  Caisses  d'assurances.  12.  Travail  des  enfants  et  des  femmes).  —  Reponse  ä  un  „docteur 
en  droit"  sur  la  sociologie,  par  Maur.  Hauriou.  —  Observations  critiques,  par  R.  Worms. 

—  etc. 

B.     England. 
Board  of  Trade   Journal.     Vol.  XVI,    N°  94,    May   1894:    Sea   fisheries  of  the  U. 
Kingdom.  —  The  Bradford    conditioning    house.   —    Foreign    exhibitions    and    commercial 
museums.   —   Canaigre  as  a  Substitute  for  barks  in  tanning.   —    Russian    precious  stones. 

—  The  North  Sea  and  Baltic  canal.  —  The  silk  industry  in  Bulgaria.  —  The  opium 
trade   of  Asia  Minor.  —  The  fall  in  the  value  of  silver  and    the  effect  of  Chinese  trade. 

—  The  foreign    trade    of  Japan  in   1893.  —    Agricultural    statistics  of  the  United  States. 

—  The  agricultural  resources  of  Canada.  —  Foreign  import  duties  on  corn  and  flour.  — 
New  customs  tariff  of  British  India.  —  Tariff  ehanges  and  customs  regulations.  —  Extracts 
from  diplomatic  and  consular  reports.  —  General  trade  notes.  —  State  of  the  skilled 
lab  our  market,  etc.  —  Statistics  of  trade,  fisheries,  emigration,  etc. 

Contemporary  Review,  the.  June  1894:  Kidd's  „social  evolution"  by  (Lord) 
Farrer.  —  Development  of  the  historic  episcopate ,  by  V.  Bartlet.  —  The  race  problem 
in  America,  by  C.  F.  Aked.  —  Marlborough,  by  A.  Lang.  —  The  Gothenburg  System 
in  Norway  ,  by  T.  M.  Wilson.  —  The  Armenian  question ,  I.  In  Russia,  by  H.  F.  B. 
Lynch.  —  Bimetallists  at  the  Mansion  House,  by  M.  G.  Mulhall.  —  Old-age  pensions 
in    practice,   by  H.  W.   Woltf.   —  Why  not  dissolve  ?   by  H.  W.   Massingham.  —  etc. 

Fortnightly  Review,  the.  June  1894:  The  future  of  parties,  by  R.  Wallace.  — 
The  Royal  Academy,  by  D.  S.  Mac  Coli  —  The  new  Factory  Bill,  by  (Miss)  March- 
Phillipps.  —  The  budget  and  local  taxation,  by  W.  M.  J.  Williams.  —  The  mechanism 
of  thought,  by  A.  Binet.  —  Professor  Robertson  Smith,  by  J.  G.  Frazer.  —  The  dis- 
affection  in  Behar,  by  Donald  N.  Reid.  —  The  worship  of  pottery  ,  by  W.  Roberts.  — 
The  proposed  Channel  bridge,  by  the  Prince  of  Monaco.  —  Silver  and  the  tariff  at 
Washington.   —  etc. 

Human  itarian.  A  monthly  magazine,  Vol.  IV,  June  1894,  N°  6:  Labour  and 
social  problems.  An  interview  with  (Sir)  J.  Gorst.  —  The  vivisection  controversy,  by 
(Prof.)  V.  Horsley.  —  Glimpses  of  the  future,  by  (the  Rev.)  J.  Rice  Byrne.  —  Infancy  : 
its  perils  and  safeguards,  by  H.  R.  Jones.  —  Workhouses  and  pauperism ,  by  (the  Rev.) 
T.  B.  Hardern.  —  The  Kasidah ,  by  Th.  Sinclair  (with  an  introductory  note  by  Lady 
Burton).  —  etc. 

New  Review,  the.  June  1894:  Municipal  government,  past,  present  and  future, 
by  J.  Chamberlain.  —  Secrets  from  the  court  of  Spain  (part  II).  —  The  case  for  an 
independent  labour  party,  by  J.  Keir  Hardie.  —  Some  reminiscences  of  Kinglake,  by 
Olga  Novikoff.  —  The  development  of  mountain  exploration,  by  W.  Martin  Conway.  —  etc. 

Nineteenth  Century,  the.  N°  207,  May  1894:  Shall  Indian  princes  sit  in  the 
House  of  Lords  ?  by  (the  Earl  of)  Meath.  —  Democratic  ideals,  by  W.  Barry.  —  Intel- 
lectual  progress  in  the  U.  States,  by  G.  F.  Parker  (U.  St.  Consul,  Birmingham).  — 
Modern  surgery ,  by  Hugh  Percy  Dünn.  —  The  English  libro  d'oro:  („The  noble  and 
gentle  men  of  England,  or  notes  touching  the  arms  and  descents  of  the  ancient  knightly 
and  gentle  houses  of  England,  arranged  in  their  resp.  counties,  attempted  by  Shirley, 
1859,  1860,  1866),  by  J.  H.  Round.  —  The  profits  of  coal-pits,  by  G.  P.  Bidder.  — 
Life  in  russian  village,  by  J.  D.  Rees.  —  Nile  reservoirs  and  Philae,  by  (Sir)  B.  Baker. 

—  etc. 

C.     Oesterreich-Ungarn. 
0  es  t  er  r  ei  chisch -ungarische  Revue.     Jahrg.   IX,   1894,    Bd.  XVI,  Heft  1   u.   2  : 
Die  k.  u.  k.  Flotte,  von  A.  v.  K.  —   Die  Fürsten   zu  Windisch-Grätz,  von  P.  v.  Radics. 

—  Die  historische  Abteilung  der  Tiroler  Landesausstellung  von   1893,  von  Hans  Semper. 

—  Die  Fabrik  zu  Kosmanos  in  Böhmen,  von  G.   Deutsch.  —  etc. 

Statistische  Monatsschrift.  Herausgegeben  von  der  k.  k.  statistischen  Central- 
kommission.     Jahrg.  XX,  Heft  5  u.   6,  Mai  und  Juni   1894:  Die  Vermögensgebarung  der 


Die  periodische  Presse  des  Auslandes.  157 

katholischen  und  der  griechisch-orientalischen  Kirche  in  den  im  Reichsrate  vertretenen 
Königreichen  und  Ländern  im  Jahre  1890,  von  Ferd.  Schmid.  —  Ueber  die  Konstruktion 
von  Mortalitätstafeln,  von  E.  Blaschke.  —  Die  Statistik  der  Realexekutionen  in  Oester- 
reich  im  Jahre  1891.  —  Oesterreich-Ungarns  Außenhandel  im  Jahre  1893  ,  von  J.  Piz- 
zala.  —  Der  Wildabschufs  in  Oesterreich  im  Jahre   1892,   von   R.  v.  Tomaschek.   — 

Ungarische  Revue.  Herausgegeben  von  (Prof.)  Karl  Heinrich.  Jahrg.  XIV, 
1894,  Heft  3/4:  März  und  April:  Ungarns  Palatine  und  Baue  im  Zeitalter  der  Arpaden, 
Archontologische  Studie.  —  Die  geschichtliche  Entwickelung  des  ungarischen  Eherechtes, 
von  J.    Schwartz.  —  Kurze  Sitzungsberichte  der  ungarischen  Akademie  der  Wissenschaften. 

—  etc. 

Zeitschrift  für  Volkswirtschaft,  Sozialpolitik  und  Verwaltung.  Organ  der  Gesell- 
schaft österreichischer  Volkswirte,  Band  III,  1894,  Heft  2  :  Der  letzte  Mafsstab  des  Güter- 
wertes, von  E.  Böhm-Bawerk.  —  Ueber  die  Lage  der  italienischen  Finanzen,  von  R. 
Benini.  —  Verhandlungen  der  Gesellschaft  österreichischer  Volkswirte ,  Plenarversamm- 
lungen  vom  11.  u.  16.  Januar  u.  27.  Februar  1894.  —  Die  ungarische  Volkszählung, 
von  H.   Rauchberg.   —  Die  Reform  der  direkten  Besteuerung   in  Holland,  von  E.  Reisch. 

—  etc. 

D.  Rufsland. 
Bulletin  Russe  de  statistique  financiere  et  de  legislation.  Ire  annee,  1894,  N°  2, 
Avril :  Appreciation  du  traite  de  commerce  russo-allemand.  —  Statistique  des  principaux 
articles  d'importation  sur  lesquels  ont  porte  les  reductions  de  tarif.  —  Tableau  des 
emprunts-or  russes  (pp.  78  ä  98).  —  Banque  de  Russie  et  ses  97  succursales.  Statistique 
des  Operations.  —  Banques  foncieres.  Benefices  realises  et  dividendes  distribues.  — 
Le  budget  ordinaire  des  exercices  1887  ä  1894.  —  Caisses  d'epargne  1863  ä  92.  — 
Chemins  de  fer:  Reseau  de  l'Etat,  annee  1892,  recettes ,  depenses  et  produit  uet.  — 
Chemins  de  fer :  Voyageurs.  Tarif  existant  et  tarif  projete.  Operation  de  rachat.  — 
Les  recettes  et  les  depenses  du  Tresor  en  1893.     (Resultats  provisoires.)  —  etc. 

E.     Italien. 
Giornale  degli  Economisti.    Maggio   1894:    A  proposito  delle  indagini  del  Fisher 
(,,mathematical  investigations    in  the  theory  of    value    and  prices'-),    per   E.  Barone  (con- 
tinua).  —  La  crisi  in  Sicilia,  per  (Visconte)    Combes  de  Lestrade    (continuazione  e  fine). 

—  La  questione  delle  otto  ore  di  lavoro,  per  L.  Albertini  (continuazione  e  fine).  —  Le 
economie  militari,  per  T.  M.  —  Sul  sistema  meccanico  Hollerith  per  lo  spoglio  delle 
notizie  contenute  nelle  Schede  di  un  censimento  della  popolazione  o  di  altri  documenti 
statistici,  per  G.  R.  —  Rivista  del  credito  popolare ,  per  C.  B.  —  La  situazione  del 
mercato  monetario,   per  X.   —  Cronaca.  — 

Rivista  della  beneficenza  pubblica  e  di  igiene  sociale.  Anno  XXII,  N°  3  e  4, 
31  Marzo  e  30  Aprile  1894  :  Sul  concentramento  delle  opere  pie  di  San  Paolo.  Contri- 
buto  alla  storia  della  beneficenza  italiana,  per  Luigi  Cova.  —  Rivista  della  ragioneria 
nella  beneficenza,  per  (rag.)  C.  Rosati  (continuazione  e  fine).  —  La  settima  di  48  ore, 
ossia  un  esperimento  riuscito  bene.  —  Le  croce  rossa  italiana.  —  11  V  Congresso  peni- 
tenziario  in  Parigi.  —  II  regime  igienico  negli  ospedali  francesi ,  per  C.  Gorini.  —  Le 
deliberazioni  delle  opere  pie  ed  i  ricorsi  alla  IV  sezione  del  Consiglio  di  Stato,  per  X.  — 
Pei  monti  di  pietä.  Replica,  per  (avvoc.)  J.  Moro.  —  Luigi  Martini.  Commemorazione, 
per  Y.  —  Cronaca  della  beneficenza,  della  previdenza,  della  cooperazione  e  di  fatti  sociali 
interessanti  i  lavoratori.   —   etc. 

G.     Belgien  und  Holland. 

Revue  sociale  et  politique.  Publiee  par  la  Societe  d'etudes  sociales  et  politiques. 
IVieme  annee,  1894,  N°  2  (Bruxelles) :  Paul  Errera.  Biographie  par  A.  Couvreur.  — 
La  nouvelle  reglementation  du  travail  en  Allemagne,  par  Prosper  Mullendorfi.  —  Infor- 
mations  diverses:  Autriche  :  L'assurance  obligatoire  contre  la  maladie.  Un  office  du  travail. 
Belgique :  Le  deuxieme  congres  de  la  Ligue  democratique.  Le  congres  progressiste. 
Le  congres  liberal.  Execution  des  lois  ouvrieres.  France :  Les  projets  d'impots  sur  les 
revenus.  Les  retraites  ouvrieres.  Grande  -  Bretagne:  Bill  sur  l'inscription  electorale. 
Le  budget.  La  journee  de  huit  heures  dans  les  mines.  Essai  pratique  de  la  journee  de 
buit  heures.     La  journee  de  huit  heures  dans  les  manufactures  de  l'Etat.  —  etc. 

de  Economist    opgericht    door  J.   L.  de  Bruyn  Kops.     XLIIIste  jaargang  ,    1894, 


158  ^'e  periodische  Presse  Deutschlands. 

Mei  (deutsche  Uebersetzung  des  Inhalts  des  holländischen  Textes) :  Extrakt  aus  der  hol- 
ländischen Regierungsvorlage,  betreffend  den  Abschlufs  der  Trockenlegung  des  Zuidersees. 

—  Das  erste  holländische  Landwirtschaftsblaubuch  :  „Uitkomsten  van  het  onderzoek  naar 
den  toestand  van  den  landbouw  in  Nederland,  4  deelen,  'sGravenbage  1890  (über  die 
Resultate  der  holländischen  Landwirtschaftsenquete  von  1885 — 89),  von  C.  J.  Sickesz.  — 
Wirtschaftschronik.  —  Handelschronik.  — 

H.  Schweiz. 
Schweizerische  Blätter  für  Wirtschafts-  und  Sozialpolitik.  Halbmonatsschrift. 
Jahrg.  II,  Nr.  9  u.  10,  10.  Mai  1894  :  Die  Bevölkerungsfrage  der  Gegenwart,  von  Naüm 
Reichesberg  (Bern).  —  Zur  Universitätsausdehnung  in  der  Schweiz,  von  (Prof)  K.  G.  — 
Sozialpolitische  Rundschau :  Zur  nationalrätlichen  Sozialpolitik.  Zum  Achtstundentag.  Die 
Landwirtschaftskammern  in  Preufsen.  Die  Beilegung  von  Arbeitsstreitigkeiten    in  England. 

—  Wirtschaftschronik:  Zur  gegenwärtigen  Lohnbewegung  in  der  Schweiz,  etc.  —  Ge- 
meindliche Sozialpolitik :  Versicherung  gegen  Arbeitslosigkeit,  etc. —  Statistische  Notizen. 

—  Kleine  Mitteilungen.   —  etc. 

L'Union  postale.  XIX.  volume,  1894  N°  6,  1  juin  1894:  La  nouvelle  loi  suisse 
sur  la  renale  des  postes.  —  La  Situation  des  postes  au  Perou.  — 

K.     Spanien. 
El  Economista,    Madrid,  1894,  Nos  393—409:    El  credito  en  Espana.  —   Los 
guerras  econömicas.   —  La  marcha  del   presupuesto.  —    El  capital    de  Banco  de  Espana. 

—  El  comercio  exterior  en  Espana.  —  Marina  mercante  de  Espana  en  1893 — 94.  — 
Reforma  de  las  tarifas  de  aduanas  en  los  Estados  Unidos.  —  La  filosofia  anarquista.  — 
El  tratado  con  Alemania.  —  La  Compariia  de  tabacos.  —  La  deuda  exterior  —  El 
credito  territorial  en  Espana.  —  El  ,, modus  vivendi"  con  Francis.  —  El  socialismo 
cristiano.  —  Las  acunaciones  de  moneda  en  Espana  en  1893.  —  Colocaciön  de  capi- 
tales.  —  Los  futuros  presupuestos.  —  La  nacionalizacion  de  la  tierra.  —  La  mejora  de 
la  Hacienda  espanola.  —  Cuestiones  sociales:  El  socialismo  rural  en  Inglaterra.  El 
socialismo  religioso  en  los  Estados  Unidos.  —  La  Hacienda  espanola  al  principio  de 
1894.  —  Arriendo  del  impuesto  de  derecbos  reales.  —  La  marcha  del  presupuesto: 
Enero  de  1894.   —  La  riqueza  minera  de  Espana  en   1893.   —  La  Hacienda  y  el  banco. 

—  La  crisis  y  la  Hacienda.  —  Cuestiones  sociales :  La  anarquia  y  sus  höroes.  La  lucba 
social  en  Austria.   —  El  socialismo  catölico  en  los  Estados  Unidos.  — 

L.     Amerika. 

Annais  of  the  American  Academy  of  political  social  science  (issued  bi-monthly). 
Vol.  IV,  N°  6,  May  1894 :  Problems  of  municipal  government,  by  E.  L.  Godkin.  — 
Reform  of  our  State  governments,  by  Gamaliel  Bradford.  —  A  decade  of  mortgages,  by 
G.  K.  Holmes.  —  Failure  of  biologic  sociology,  by  S.  N.  Patten.  —  Briefer  Communi- 
cations :  Money  as  a  measure  of  value ,  by  L.  S.  Merriam.  An  unfinished  study  by  Dr 
Merriam,   by  J.   B.   Clark.     School  savings  banks,  by  S.  L.   Oberholtzer.  —  etc. 

Bulletin  of  the  American  Geograpliical  Society,  Vol.  XXVI,  N°  1,  March  31, 
1894 :  The  social  and  political  development  of  the  South  American  people,  by  Courtenay 
De  Kalb.  —  Mexico  a  central  American  State,  by  the  Minister  of  the  Mexican  Republic. 

—  etc. 


Die  periodische  Fresse  Deutschlands. 

A  n  n  a  1  e  n  des  Deutschen  Reichs  für  Gesetzgebung ,  Verwaltung  und  Statistik. 
Jahrg.  XXVII,  1894,  Nr.  7:  Die  vertragsmäfsigen  Handelsbeziehungen  der  europäischen 
Staaten,  von  (Rechtsanw.)  J.  Kahn.  —  Geschäftsbericht  des  Reichsversicherungsamtes  für 
das  Jahr  1893.  —  Die  rechtsprechende  Thätigkeit  des  Reichsversicherungsamtes,  von 
(Rechtsanw.)  L.  Fuld  (Mainz).  —  Die  Reichssteuergesetzentwürle  von   1893.    — 

Arbeiter  freund,  der.  Zeitschrift  für  die  Arbeiterfrage.  Jahrgang  XXXII, 
(1894)  1.  Vierteljahrsheft:  Rudolf  v.  Gneist  und  sein  25-jähr.  Wirken  als  Vorsitzender 
des  Centralvereins  für  das  Wohl  der  arbeitenden  Klassen,  von  V.  Böhmert.  —  Populäre 


Die  periodische  Presse  Deutschlands.  159 

Unterrichtskurse  über  Volkswirtschaftslehre,  von  (Prof.)  V.  Böhmert.  —  Herbergen  und 
Arbeitsvermittelung,  von  Joh.  Corvey.  —  Die  Landwirtschaft  und  die  Gewinnbeteiligung, 
von  L.  Katscher.  —  Handfertigkeit  und  Hausfieifs.  —  Materialien  für  praktische  Ver- 
suche   zur    Lösung    der  Arbeiterfrage.    —    Vierteljahrschronik  ,     Januar    bis    März    1894. 

—  etc. 

Archiv  für  Eisenbahnwesen.  Herausgegeben  im  Ministerium  der  öffentlichen  Arbeiten. 
Jahrgang  1894,  Heft  3,  Mai  und  Juni:  Bulgarische  Eisenbahnen,  von  Schürmann  (mit 
einer  Karte  und  einem  Längenprofil.)  —  Die  Eisenbahnen  der  Erde,  1888 — 92.  — 
Deutschlands  Getreideernte  in  1892  und  die  Eisenbahnen,  von  Thamer.  —  Die  kgl. 
preufsischen  Staatseisenbahnen  im  Jahre  1892/93.  —  Die  bayerischen  Staatsbahnen  im 
Jahre  1892.  —  Die  Eisenbahnen  im  Grofsherzogtum  Baden  im  Jahre  1892.  —  Die 
Eisenbahnen  der  Schweiz  im  Jahre  1891.  —  Die  Gotthardbahn  im  Jahre  1892.  —  Die 
Eisenbahnen  in  Dänemark  im  Jahre   1892/93.  —  etc. 

Archiv  für  soziale  Gesetzgebung  und  Statistik.  Vierteljahresschrift  etc.  Hrsg. 
von  H.  Braun.  Band  VI,  1894,  Heft  1  u.  2 :  Entwickelungstendenzen  in  der  Lage  der 
ostelbischen  Landarbeiter,  von  Max  Weber  (Prof.,  Berlin).  —  Die  Reform  der  Unfall- 
versicherung in  Oesterreich ,  von  L.  Verkauf  (Wien).  —  Die  preufsische  Steuerreform. 
Ihre  Stellung  in  der  allgemeinen  Verwaltungs-  und  Sozialpolitik,  von  J.  Jastrow  (Privatdoz,, 
Berlin).  —  Die  gewerkschaftliche  Bewegung  unter  den  englischen  Arbeiterinnen,  von 
Gertrud  Dyhrenfurth.  —  Wiener  Wohnungsverhältnisse,  von  E.  v.  Philippovich  (Prof., 
Wien).  —  Das  deutsche  Reichsgesetz  über  die  Abzahlungsgeschäfte ,  von  H.  Jastrow 
(AGerR.),  Berlin.  —  Die  Arbeiterversicherung  in  Dänemark ,  von  (Prof )  Harald  Wester- 
gaard.  —  Der  Entwurf  eines  Gesetzes  betreffend  die  Arbeiterstatistik,  von  H.  Braun.  — 
Die  Arbeitsabteilung  des  englischen  Handelsministeriums,  von  Stephen  N.  Fox  (Barrister, 
London).  —  Zur  Statistik  der  Prostitution  in  Berlin,   von  Bruno  Schoenlank.   —  etc. 

Archiv  für  Post  und  Telegraphie.  Nr.  9,  Mai  1894:  Herstellung  von  Starkstrom- 
anlagen in  Frankreich.  —  Aus  dem  Tagebuch  eines  Weltreisenden  (Schlufs).  —  Die 
höhere  Postverwaltungsprüfung.  —  Die  Neuordnung  der  preufsischen  Staatseisenbahn- 
verwaltung. —  etc. 

Christlich-soziale  Blätter.  Jahrg.  XXVII,  1894,  Heft  8:  Zum  Antrage  Graf 
Kanitz  (Schlufs  zu  S.  218  in  Heft  7).  —  Die  Wichtigkeit  der  Lehre  vom  Wert.  — 
Sozialpolitische  Rundschau,  III:  Arbeiterwohl.  Die  Haushaltungsschulen  zu  Aachen  im 
Jahre   1893.     Katholische  Sozialpolitik    in  England.     Arbeiterverhältnisse   in  England.   — 

Deutsche  Rundschau.  Hrsg.  v.  J.  Rodenberg.  Band  LXXIX ,  April,  Mai  und 
Juni  1894:  Steuerreform  und  Sozialpolitik,  von  E.  v.  Philippovich.  —  Der  König  von 
Persien  über  Deutschland,  von  H.  VambeVy.  —  Wirtschafts-  und  finanzpolitische  Rund- 
schau. —  Neuere  Litteratur  über  Deutsch-Ostafrika,  von  O  und  P.  Reichard.  —  Die  Zu- 
kunft Westindiens  und  der  Nicaraguakanal,  von  O.  Wachs  (Mayor  a.  D.).  —  Staffeltarife, 
von  A.  v.  d.  Leyen.  —  Ein  Staatsmann  der  alten  Schule.  Aus  dem  Leben  des  mecklen- 
burgischen Ministers  Leopold  v.  Plessen.  Nach  Staatsakten  etc.  von  L.  v.  Hirschfeld 
(V.  Artikel).  —  etc. 

Landwirtschaftliche  Jahrbücher.  Hrsg.  von  H.  Thiel.  Band  XXIII:  Er- 
gänzungsband I :  Verhandlungen  des  kgl.  Landesökonomiekollegiums  vom  1.  bis  3.  März 
1894,     Berlin,  Parey,  1894.     gr.  8.     X— 262  SS. 

M  as  i  u  s'  Rundschau.  Blätter  für  Versicherungswissenschaft,  etc.  Neue  Folge.  Jahrg 
VI,  1894,  Heft  5:  Das  Verhältnis    der  Aerzte    zu   den  Lebensversicherungsgesellschaften 

—  Die  Zwangsversicherung  bei  Sozietäten.  —  Rechtsprechung  des  Reichsgerichts.  — 
Versicherungsgesetzgebung.  —  Die  Sterblichkeit  und  der  Verwaltungsaufwand  beim 
preufsischen   Beamtenverein.  —  etc. 

N  e  u  e  Zeit,  die.  Revue  des  geistigen  und  öffentlichen  Lebens.  Jahrg.  XII,  Bd.  1/2, 
1893—94.  Nr.  25—32  (Bd.  II  beginnt  mit  Nr.  27):  Bäuerliche  Produktionsgenossen- 
schaften. —  Die  Diamantenindustrie  in  Amsterdam,  von  H.  Polak.  —  Lewis  H  Morgan, 

—  Was  eine  Parlamentswahl  in  England  kostet.  —  Ein  neuer  Reformer  des  „Rechts  der 
Geschlechter"  (Ed.  A.  Schröder,  Verfasser  der  Schrift:  „Das  Recht  in  der  geschlecht- 
lichen Ordnung"),  von  E.  Bernstein.  —  Unterm  heiligen  Napoleon.  —  Mehrings  „Lessing- 
legende"  und  die  materialistische  Geschichtsauffassung,  von  P.  Ernst.  —  Polnisches  und 
Oberschlesisches,  von  Rezawa.  —  Beiträge  zur  Entwickelungsgeschichte  der  Grofsindustrie 
in  Deutschland,  von  J.  S.  —  Die  Weinkrisis  in  Frankreich,  von  Gallus.  —  Zur  land- 
wirtschaftlichen Krisis  in  Rufsland,  von  J.  S.  —  Der  Raum.  Ein  Kapitel  aus  einer 
Philosophie    für  Arbeiter ,    von  Leop.  Jacoby.  —  Naturwissenschaft    wider    Gesellschafts- 


\QQ  Die  periodische  Presse  Deutschlands. 

Wissenschaft,  von  E.  Bernstein.  —  Die  badische  Fabrikinspektion  und  die  Unternehmer 
vom  Jahre  1893,  von  Max  Quarck.  —  Der  Festtag  der  Arbeit.  —  Die  Verwandtschafts- 
orgauisationen  der  Australneger ,  von  H.  Cunow.  —  Die  politische  Lage  in  Holland, 
von  H.  Polak.  —  Die  Voraussetzungen  der  Grundrente  nach  der  Ricardoschen  Theorie 
und  die  Veränderungen  in  diesen  Voraussetzungen,  von  P.  Ernst.  —  Einflufs  der  Krisen 
und  der  Steigerung  der  Lebensmittelpreise  auf  das  Gesellschaftsleben,  von  J.  S.  —  Zur 
historisch-materialistischen  Methode,  von  F.  Mehring.  —  Homo  animal  possidens,  von 
A.  S.  —  Weltpolitik,  von  H.  M.  —  Die  schweizerische  Arbeiterschutzgesetzgebung,  von 
Dionys  Zinner.  —  etc. 

Preufsische  Jahrbücher.  Herausgegeben  von  Hans  Delbrück,  Band  LXXVI, 
Heft  3,  Juni  1894:  Die  Verantwortlichkeit  des  Zeitungsredakteurs,  von  Fr.  Oetker  (Prof., 
Rostock).  —  Politische  und  wirtschaftliche  Gesichtspunkte  in  der  österreichischen  Nationali- 
tätenfrage, von  O.  Wittelshöfer  (Wien).  —  Die  evangelisch-soziale  Aufgabe  im  Lichte  der 
Geschichte  der  Kirche,  von  (Prof.)  A.  Harnack.  — 

Vereinsblatt  für  Deutsches  Versicherungswesen.  Jahrg.  XXII,  1894,  Nr.  3 
u.  4 :  Staatliche  Beaufsichtigung  des  Feuerversicherungswesens  im  Grofsherzogtum  Baden. 

—  Die  Feuerversicherung  in  der  Bayerischen  Kammer  der  Abgeordneten.  —  Geschäfts- 
stand des  Rückversicherungsverbandes  deutscher  Lebensversicherungsgesellschaften  Ende 
1893.   — 

Vierteljahrshefte  zur  Statistik  des  Deutschen  Reichs.  Herausgegeben  vom 
kaiserl.  statistischen  Amt.  Jahrgang  1894,  Heft  2  :  Die  Ausländer  im  Deutschen  Reich 
am  1.  Dezember  1890.  —  Produktion  der  Bergwerke,  Salinen  und  Hütten  1893.  — 
Auswärtiger  Handel  des  deutschen  Zollgebiets  im  Jahre  1893.  —  Anmusterungen  von 
Vollmatrosen  und  unerfahrenen  Schiffsjungen  im  Jahre  1893.  —  Schiffsunfälle  an  der 
deutschen  Küste  in  den  Jahren  1888  bis  1892.  —  Ueberseeische  Auswanderung  im 
1.  Vierteljahr  1894.  —  Viehhaltung  im  Deutschen  Reich  nach  der  Zählung  vom  1.  Dezember 
1892.   —  Branntweinbrennerei  und  -Besteuerung  1892/93.  — 

Zeitschrift  des  k.  preufsischen  statistischen  Bureaus,  herausgegeben  von  dessen 
Direktor  E.  Blenck.  Jahrgang  XXXIV  (1894).  1.  Vierteljahresheft:  Die  neuen  Handels- 
verträge Deutschlands  mit  Oesterreich-Ungarn,  Italien,  der  Schweiz  und  Belgien  und  die 
Aeufserungen    der    deutschen  Handelskammern    über    deren  Wirkungen,    von  L.  Francke. 

—  Die  Bäder  und  Heilquellen  im  preufsischen  Staate  während  der  Jahre  1886  bis  1890, 
von  A.  (Frh.)  v.  Fircks.  —  Die  Hypothekenbewegung  im  preufsischen  Staate  während 
des  Rechnungsjahres  1892/93  mit  Rückblicken  auf  die  Vorjahre.  —  Nekrologe  :  Ch.  Faider, 
A.  Ciccone,  K.   Braun   etc.  von  E.   Blenck.  —  etc. 

Zeitschrift  des  kgl.  sächsischen  statistischen  Bureaus.  Jahrg.  XXXIX,  1893, 
Heft  3  und  4  (ausgegeben  Mai  1894):  Die  Bewegung  der  Bevölkerung  im  Königreich 
Sachsen  während  der  Jahre  1891  und  1892,  von  (MedR.)  A.  Geifsler.  —  Die  Ergeb- 
nisse der  sächsischen  Armenstatistik  in  den  Jahren  1880,   1885  und  1890,  von  V.  Böhmert. 

—  Beiträge  zur  Statistik  des  Grundeigentums,  von  (ORegR.)  E.  Steglich:  II.  Besitz- 
wechselstatistik.     III.   Statistik  der  Zwangsversteigerungen.  — ) 

Zeitschrift  für  Kleinbahnen.  Herausgegeben  im  Ministerium  der  öffentlichen 
Arbeiten.  Jahrg.  I,  1894,  Heft  6,  Juni :  Vorschläge  für  die  Einrichtung  der  Betriebs- 
verwaltung einer  Kleinbahn,  von  (Reg.-  u.  BauR.)  H.  Jacobi  (Forts.).  —  Die  Brölthaler 
Eisenbahn,  von  (Reg.BauM.)  Lauer,  Elberfeld.  —  Die  elektrische  Zahnradbahn  auf  den 
Mont  Saleve  bei  Genf.  —  Ueber  die  Förderung  des  Baues  von  Kleinbahnen  seitens  der 
Provinzial(Kommunal-) Verbände:    Provinz    Ostpreufsen,    Brandenburg,    Pommern,    Posen. 

—  etc. 


Frommannsche    Buchdi  uckerei  (Hermann  Pohle)  in  Jena. 


J  o  h.  Karup  und  R.  Gollmer,  Die  MortalitStsverhältnisse  der  Lehrer  etc.     \Ql 


IL 

Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  nach 

den  Erfahrungen  der  Lebensversicherungsbank 

f.  D.  in  Gotha. 

Im  Auftrage  der  Bankverwaltung  bearbeitet 

von 

den  Herren  Prof.  Joh.  Karup  u.  Dr.  med.  R.  Gollmer. 

Einleitung. 

Untersuchungen  über  die  Sterblichkeit  von  Versicherten  haben 
natürlich  in  erster  Linie  Interesse  für  die  Versicherungsanstalten  selbst, 
denen  damit  rechnerische  Unterlagen  oder  wichtige  Anhaltspunkte  für 
die  Beurteilung  der  Risiken  geliefert  werden,  aber  auch  der  Soziologe 
und  der  Nationalökonom  wird  aus  ihnen  brauchbare  Schlüsse  ziehen 
können,  wenn  er  berücksichtigt,  aus  welchen  Bevölkerungsschichten 
versicherte  Leben  hervorgehen  und  inwieweit  sie  sich  von  diesen  in 
gesundheitlicher  Beziehung  unterscheiden.  Im  allgemeinen  ist  man 
außerhalb  der  Kreise  der  Fachleute  geneigt,  der  ärztlichen  Auswahl, 
welche  die  Versicherten  zu  passieren  haben,  einen  großen  Einfluß  zu- 
zuschreiben und  diese  als  eine  gesundheitlich  durchaus  bevorzugte 
Klasse  anzusehen.  Thatsächlich  ist  ja  auch  die  Sterblichkeit  ver- 
sicherter Leben  in  der  ersten  Zeit  nach  der  Aufnahme  gering,  allein 
nach  Ablauf  von  etwa  fünf  bis  zehn  Jahren  ist  ein  Zusammenhang 
zwischen  Versicherungsdauer  und  Sterblichkeit  kaum  noch  zu  bemerken 
und  das  alsdann  in  den  verschiedenen  Altern  eintretende  Sterblich- 
keitsmaß gestaltet  sich  nur  wenig  günstiger,  zuweilen  sogar  ungünstiger, 
als  dasjenige,  welches  bei  nicht  untersuchten  Leben  aus  den  besseren 
Ständen  oder  bei  der  allgemeinen  Bevölkerung  in  Landdistrikten 
obwaltet.  Die  Erklärung  für  die  vorübergehende  Depression  der  Sterb- 
lichkeit liegt  nahe  genug,  sie  ist  eine  einfache  Folge  davon,  daß 
chronische  Krankheiten  im  vorgeschrittenen  Stadium  zumeist  leicht  er- 
kannt werden  und  daß  Personen,  welche  an  solchen  leiden,  entweder 
garnicht  die  Aufnahme  versuchen  oder  direkt  zurückgewiesen  werden, 
und  daß  andererseits  sich  auch  innerhalb  der  bestausgewählten  Gesell- 

Dritte  Folge  Bd.  Vm  (LXIII).  1 1 


\Q2  Joh.  Karup  und  R.  Gollmer, 

schaft  neben  den  akuten  Krankheiten  allmählich  chronische  einstelle» 
und  entwickeln  werden,  so  daß  in  einer  vor  längerer  Zeit  ausgewählten 
Gesellschaft  schließlich  ebenso  wie  in  einer  nicht  untersuchten  alle 
Stufen  der  Gesundheit  vertreten  sind.  Wenn  aber  die  Sterblichkeit 
versicherter  Leben  sich  in  vielen  Fällen  ausgängig  nicht  besser  er- 
weist, als  die  von  nicht  untersuchten  Personengruppen,  so  wird  man 
wohl  annehmen  müssen,  daß  die  Auswahl  keine  vollkommene  ist,  daß 
es  doch  mancher  Person  mit  verdeckter  Krankheitsanlage  gelingt,  die 
ärztliche  Prüfung  unbeanstandet  zu  passieren,  wodurch  eine  dauernd 
gute  Wirkung  der  Auswahl  verhindert  wird.  Möglich  ist  es  aller- 
dings auch,  daß  eine  unverhältnismäßig  große  Anzahl  Personen  in  den 
besser  situierten  Klassen  der  Lebensversicherung  gerade  um  deswillen 
fern  bleiben,  weil  sie  sich  instinktiv  einer  besonders  guten  Gesund- 
heit bewußt  sind  und  ebenso  daß,  wie  von  einigen  Technikern  be- 
hauptet wird,  die  Anstalten  mit  starkem  freiwilligem  Abgang  —  zu 
denen  die  Gothaer  Bank  übrigens  nicht  gehört  —  vorzugsweise  Gesunde 
ausscheiden,  wodurch  natürlich  der  mittlere  Gesundheitszustand  der 
Zurückbleibenden  verschlechtert  wird.  Wie  dem  aber  auch  sei ,  auf 
jeden  Fall  können  versicherte  Leben,  wenn  man  von  den  ersten  Ver- 
sicberungsjahren  absieht,  sich  in  gesundheitlicher  Beziehung  nicht  stark 
von  den  Bevölkerungsschichten  unterscheiden,  aus  denen  sie  hervor- 
gehen, und  der  Forscher  wird,  wenn  es  sich  um  Vergleiche  zwischen 
versicherten  und  nicht  untersuchten  Leben  handelt,  sich  sogar  vielfach 
die  Frage  vorlegen  müssen ,  ob  nicht  bei  den  letzteren  der  bessere 
Gesundheitszustand  anzunehmen  ist. 

Eine  weit  wichtigere  Rolle,  als  die  ärztliche  Auswahl,  spielt  bei 
versicherten  Leben  die  Auswahl,  welche  dadurch  zustande  kommt, 
daß  die  wirtschaftlich  schwächsten  Elemente  Versicherungen  nie  oder 
nur  selten  eingehen.  Diese  Auswahl  hat  zur  Folge,  daß  die  Sterb- 
lichkeit versicherter  Leben  lediglich  die  Verhältnisse  der  mittleren 
und  höheren  Schichten  widerspiegelt.  Bei  Vergleichen  zwischen  der 
Sterblichkeit  der  allgemeinen  Bevölkerung  und  derjenigen  der  Versicherten 
erhält  man  also  vor  allem  einen  Anhaltepunkt  dafür,  inwieweit  die 
wirtschaftliche  Lage  Sterblichkeitsunterschiede  hervorruft.  Wirklich 
wertvoll  wird  ein  solcher  Vergleich  jedoch  erst  dann,  wenn  die  beider- 
seitigen Beobachtungen  nach  Berufsklassen  klassifiziert  werden,  weil 
der  Beruf  selbst  ein  einflußreicher  Sterblichkeitsfaktor  ist  und  weil 
eine  schlechte  wirtschaftliche  Lage  nicht  bei  allen  Berufsarten  einen  ver- 
derblichen Einfluß  ausübt.  So  ist  es  z.  B.  erwiesen,  daß  die  Fischer, 
deren  wirtschaftliches  Niveau  im  allgemeinen  ein  sehr  niedriges  ist, 
und  die  überdies  der  Gefahr  zu  verunglücken  in  hohem  Maße  aus- 
gesetzt sind,  dank  ihrer  regelmäßigen  und  nüchternen  Lebensweise 
einer  recht  günstigen  Sterblichkeit  unterliegen  und  Aehnliches  dürfte 
noch  von  mancher  anderen  Beschäftigungsart  gelten.  Freilich  sind 
Vergleiche  der  in  Rede  stehenden  Art  zur  Zeit  noch  sehr  schwierig 
oder  gar  unmöglich,  weil  eine  aus  der  allgemeinen  Bevölkerung  ge- 
wonnene Sterblichkeitsstatistik  nach  Berufsklassen  auf  große  technische 
Hindernisse  stößt  und   nur  in  wenigen  Staaten,  England,   Dänemark 


i 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc.  163 

und  der  Schweiz  und  auch  hier  nur  in  beschränktem  Umfange  ver- 
sucht worden  ist,  und  weil  andererseits  Versicherungsanstalten,  die 
sonst  zu  derartigen  Untersuchungen  am  ehesten  imstande  wären,  für 
viele  Berufsklassen  über  zu  geringe  Beobachtungszahlen  verfügen.  Für 
diejenigen  Berufsklassen,  die  bei  unseren  bisherigen,  an  dieser  Stelle 
veröffentlichten  Arbeiten  sowie  der  eben  vorliegenden  in  Betracht  ge- 
zogen sind,  nämlich  die  der  Geistlichen,  Aerzte,  Elementarlehrer, 
Gymnasiallehrer  und  Universitätsdozenten  liegt  bis  jetzt  nur  ein  sehr 
geringes  Material  aus  der  allgemeinen  Bevölkerungsstatistik  oder  ver- 
wandten Quellen  vor,  und  es  muß  also  vielfach  der  Zukunft  vorbe- 
halten bleiben,  aus  unseren  Zahlen  die  rechten  Schlüsse  zu  ziehen. 
Allein  bis  zu  einem  gewissen  Grade  haben  sie  doch  auch  selbständigen 
Wert ,  zumal  es  sich  teilweise  um  Berufsklassen  handelt ,  innerhalb 
deren  die  wirtschaftliche  Lage  überhaupt  eine  bessere  ist  und  für  die 
deshalb  die  erlangten  Resultate,  sofern  man  die  Beobachtungen  der 
ersten  Versicherungsjahre  ausschließt,  ohne  allzu  großen  Fehler  als 
typische  angesehen  werden  dürfen.  Als  solche  Klassen  können  unserer 
Ansicht  nach  die  Geistlichen,  Gymnasial-  und  Universitätslehrer  gelten, 
während  es  schon  weniger  für  die  Aerzte  und  keinenfalls  für  die 
Elementarlehrer  zutrifft,  von  denen  viele  eine  kümmerliche  Existenz 
fristen.  Und  sodann  hat  es  ja  auch  Interesse  zu  wissen,  wie  der 
Beruf,  ganz  unabhängig  von  der  wirtschaftlichen  Lage,  die  Sterblich- 
keit beeinflußt,  wie  sich  ausschließlich  diejenigen  Vorteile  und  Nach- 
teile, geistigen  und  körperlichen  Anstrengungen,  die  mit  einem  Berufe 
untrennbar  verknüpft  sind,  in  der  Sterblichkeit  geltend  machen,  worüber 
gerade  eine  nach  Berufsarten  klassifizierte  Sterblichkeitsstatistik  ver- 
sicherter Leben  am  besten  Aufschluß  zu  geben  vermag.  Denn  die 
gleiche  Auswahl  in  gesundheitlicher  Beziehung  und  die  allgemeine 
Ausscheidung  der  wirtschaftlich  schwachen  Elemente  lassen  jene 
Momente  nur  um  so  schärfer  hervortreten  und  es  muß  demnach  die 
eigentümliche  Beschaffenheit  versicherter  Leben,  die  vom  biologischen 
Gesichtspunkte  zunächst  als  eine  störende  erschien,  im  gewissen  Sinne 
sogar  als  ein  Vorzug  betrachtet  werden. 

Um  die  oben  ausgesprochene  Behauptung  hinsichtlich  des  Ein- 
flusses der  ärztlichen  Auswahl  durch  einige  Zahlen  zu  belegen  und 
zugleich  einen  Aufschluß  darüber  zu  geben ,  inwieweit  Beobachtungen 
versicherter  Leben  von  denen  der  allgemeinen  Bevölkerung  zu  differieren 
pflegen,  teilen  wir  die  folgenden  kleinen  Uebersichten  mit.  Dieselben 
stützen  sich  fast  durchgängig  auf  regelrecht  konstruierte  Absterbe- 
ordnungen (Dekremententafeln  der  Lebenden),  nur  diejenigen  für  die 
dänische  Bevölkerung  sind  in  direkter  Weise,  nämlich  aus  den  soge- 
nannten Sterblichkeitsintensitäten  fünfjähriger  Altersklassen  mit  Hilfe 
einer  Näherungsformel  berechnet  worden1). 


1)  Die    Formel ,    welche    den    Sterblichkeitsprozentsatz    wx/10    für    die   Altersstrecke 
z  bis  x  +  10  liefert,  lautet 

^/lO-lOO^-e-5^"1-^] 

worin  jjl  und  jjl5  die  Sterblichkeitsintensitäten  des  ersten  und  letzten  Quinquenniums  inner 

11* 


164 


Joh.  Karup  und  R.  Gollmer, 


Tab.  I. 
Von  je  100  Lebenden  der  aufgeführten  Altersstufen  starben  inner- 
halb der  nächsten  10  Jahre: 


Frankreich 

Den  sc] 

(Männer  una  e rauen ) 

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Muriner 

-78 

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67,  68, 
-77 

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48,  49 

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— 

Wit- 
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50—89 

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-72 
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Mann 
1840, 

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O     ""r-l     CS 

U             a 

25 

5.82 

7,40 

9,30 

8,52 

7)27 

5,57 

6,30 

7,94 

:i5 

8,25 

10,95 

13-36 

11,14 

11,10 

8.32 

8,69 

9  64 

45 

14,32 

17,38 

19,91 

16,82 

17.38 

14.57 

14.94 

14,26 

55 

27.82 

30,67 

32,53 

31,63 

30,73 

27.83 

26,75 

26,08 

65 

53-24 

52,65 

56,08 

59.94 

55-50 

5L82 

55,34 

49.57 

75 

82,83 

8l, 4L' 

83,65 

86,46 

8l,53 

8l, 69 

72,33 

79,67 

England  (Männer) 

Dänemark  (Männer) 

■2  a 

CD 

"bc'o 

S  — 
cd 

Allgemeine 

Bevölkerung 

1838—54 

Bezirke  mit 
durchschnittl. 
geringer  Sterb- 
lichkeit 
(Healthy 
Districts) 

Staatl. Lebensversich.  - 
Anstalt   1842—68 

Allgemeine 

Bevölkerung 

1870—79 

Hauptstadt 

allein 
1870—79 

'S  3  2  7 

CO CO 

CD    ^ 

<** 

Ver-               Ver- 
sicherte         sorger 

Landdi 
allein 
Provinz 
1870 

25 
35 
45 

7,23 

965 

I4.M 

9,58 
12,17 
17-41 

7,86 

9,00 
12,22 

6,50 

934 

16, 05 

7,00          6,53 

7-76             9,33 
12,27           15,59 

8,61 
14,79 
25.36 

5,87 

7,92 

13.28 

55 
65 
75 

25,98 
48,35 
78,40 

28,05 
49,74 
77,73 

21,28 
43.20 
73,07 

29,56 

52,27 
79,69 

25,02 
49,53 

80,68 

25.88 
48,44 
76.48 

37-41 

57,96 

82,24 

23,66 
46,98 
76,07 

Obwohl  in  den  auf  versicherte  Leben  bezüglichen  Erfahrungen 
durchgängig  die  ersten  Versicherungsjahre,  in  denen  eine  starke  De- 
pression der  Sterblichkeit  stattfindet,  mit  eingeschlossen  sind,  so  er- 
scheinen jene  doch  nicht  unbedingt  als  die  günstigeren  gegenüber  den 
anderen  Beobachtungsreihen.  So  stimmen  die  Ergebnisse  der  Gothaer 
Bank  fast  genau  mit  denen  der  Gothaer  Staatswitwenkasse  überein, 
bei  der  Beamte  aller  Gattungen  beteiligt  sind  und  die  Aufnahme  an 
keine  ärztliche  Prüfung  geknüpft  ist,  ebenso  korrespondieren  die  Er- 
fahrungen der  23  deutschen  Gesellschaften  recht  nahe  mit  denen  der 
Preuß.  Witwenverpflegungsanstalt  und  diejenigen  der  Compagnie  g6ne>ale 
mit  denen  der   allgemeinen   französischen  Bevölkerung.     In  Dänemark 

halb  jener  Altersstrecke  sind.  Die  Sterblichkeitsintensitäten  selbst,  welche  das  Verhält- 
nis zwischen  beobachteter  Zahl  der  Sterbefälle  und  der  von  allen  beobachteten  Personen 
durchlebten  Zeit  angebe,  sind  dem  Werke  Th.  Sörensen's  ,,De  ökonomiske  Forholds  og 
Beskjäftigelsens  Indflydelse  paa  Dödeligheden,   Kjöbenhavn    1884"   entnommen. 


Die  Mortalitätsverhaltnisse    der  Lehrer  etc.  1QF> 

ist  die  Sterblichkeit  der  Versicherten  im  ganzen  genommen  sogar  ein 
wenig  ungünstiger  als  die  der  allgemeinen  Bevölkerung,  während  in 
England  bei  einem  entsprechenden  Vergleiche  allerdings  die  Ver- 
sicherten als  bevorzugt  erscheinen.  Scheidet  man  aber  in  England 
und  Dänemark  die  „ungesunden"  Distrikte  des  Landes  bezw.  die 
Städte  aus,  so  übertrifft  die  Vitalität  der  allgemeinen  Bevölkerung,  in 
der  doch  eine  Reihe  wirtschaftlich  schwacher  Existenzen  und  von 
Jugend  auf  schwächlicher  Personen  enthalten  sind,  gar  wesentlich  die 
der  Versicherten.  Den  besten  Beweis  für  die  Unvollkommenheit  der 
ärztlichen  Auslese  liefern  aber  wohl  die  beiden  Gruppen  „Versicherte" 
und  ,, Versorger"  der  dänischen  staatlichen  Lebensversicherungsanstalt. 
Nach  dänischem  Gesetz  ist  jeder  Staatsbeamte  vom  Zeitpunkte  der 
Verheiratung  an  verpflichtet,  der  Anstalt  beizutreten,  aber  er  hat  die 
Wahl,  eine  einfache  Ueberlebensrente  zu  gunsten  seiner  Frau  (Witwen- 
pension) oder  eine  Lebensversicherung  von  einem  gewissen  Minimal- 
betrage abzuschließen.  Für  die  Ueberlebensrente,  deren  Träger  als 
„Versorger"  bezeichnet  werden,  wird  eine  ärztliche  Prüfung  nicht  ge- 
fordert, wohl  aber  für  die  Lebensversicherung,  und  wenn  der  Beamte 
diese  nicht  besteht,  so  wird  er  ohne  weiteres  unter  die  Versorger 
eingereiht.  Wäre  die  ärztliche  Prüfung,  die  ganz  nach  den  Prinzipien 
privater  Lebensversicherungsanstalten  erfolgt  —  das  1842  eingeführte 
Formular  für  die  ärztlichen  Berichte  wurde  dem  damaligen  der 
Gothaer  Bank  nachgebildet,  erfuhr  aber  im  Laufe  der  Zeit  ebenfalls 
manche  Erweiterungen  und  Verbesserungen  —  nun  thatsächlich  so 
erfolgreich,  als  man  a  priori  anzunehmen  geneigt  ist,  so  würde  man 
offenbar  erwarten  müssen,  daß  die  „Versicherten"  eine  erheblich 
günstigere  Sterblichkeit  aufwiesen  als  die  „Versorger",  allein  gerade 
das  Gegenteil  ist  der  Fall,  wie  aus  den  obigen  Zahlen  hervorgeht. 
Gestört  wird  der  Vergleich  allerdings  dadurch,  daß  beide  Abteilungen 
auch  dem  allgemeinen  Publikum  bei  Nachweis  genügender  Gesundheit 
offen  stehen;  allein  diesem  Umstände  kann  doch  kein  allzugroßes  Ge- 
wicht beigelegt  werden,  da  die  Beamten,  und  zwar  namentlich  in  der 
Abteilung  der  Versorger,  stark  beteiligt  sind. 

Die  Tabelle  enthält  noch  manche  interessante  Aufschlüsse,  auf 
die  wir  aber  hier  nicht  näher  eingehen,  da  sie  für  die  gegenwärtige 
Untersuchung  wenig  Belang  haben.  Nur  darauf  sei  hingewiesen,  daß 
die  20  englischen  Gesellschaften,  die  von  englischen  Versicherungs- 
technikern als  first  rate  companies  bezeichnet  worden  sind ,  die 
Gothaer  Bank  und  die  Compagnie  generale  einigermaßen  überein- 
stimmende Ergebnisse  aufweisen,  während  die  23  deutschen  Gesell- 
schaften gegenüber  diesen  ungünstig  erscheinen  und  die  Resultate  der 
dänischen  Anstalt  für  „Versicherte"  zwischen  denen  der  genannten 
zwei  Gruppen  liegen.  Die  Erklärung  für  die  relativ  hohe  Sterblich- 
keit der  23  deutschen  Gesellschaften,  unter  denen  die  Gothaer  Bank 
und  mehrere  andere  der  großen  Gegenseitigkeitsinstitute  nicht  ent- 
halten sind,  dürfte  einesteils  in  der  Art  der  Auslese  liegen,  die  sich, 
wie  die  Beobachtungen  der  Gothaer  Bank  nach  Geschäftsperioden  ge- 
zeigt   haben,    nach    längerer    Erfahrung    wirksamer    gestalten    kann, 


\QQ  Joh.  Karup  und  R.  Gollmer, 

(Emminghaus,  Mitteilungen  aus  der  Geschäfts-  und  Sterblichkeits- 
statistik etc.,  Weimar,  Böhlau,  S.  66),  zum  Teil  in  einer  abweichenden 
Zusammensetzung  des  Versicherungsbestandes  nach  Berufsklassen  und 
wirtschaftlicher  Lage  zu  suchen  sein,  da  verschiedene  jener  23  Ge- 
sellschaften jahrelang  eine  starke  Acquisition  unter  denjenigen  Schich- 
ten der  Bevölkerung  betrieben  haben,  die  eben  noch  genügende  Mittel 
für  den  Abschluß  einer  kleinen  Versicherung  besitzen.  Inwieweit 
letzteres  auch  für  die  dänische  Staatsanstalt  zutrifft,  vermögen  wir 
nicht  zu  beurteilen;  indes  ist  es  Thatsache,  daß  die  Sterblichkeit  der 
„Versicherten"  hier  seit  dem  Abschlüsse  der  oben  mitgeteilten  Be- 
obachtungen ganz  erheblich  zurückgegangen  ist,  und  es  ist  daher 
wohl  möglich,  daß  eine  spätere  Wiederholung  der  Untersuchung  zu 
Ergebnissen  führen  wird,  die  nicht  hinter  denjenigen  von  „Gotha" 
zurückstehen. 

I.  Kapitel. 

Das  Material  und  die  aus  demselben  gezogenen  wichtigsten 

Ergebnisse. 

Bei  einer  Sterblichkeitstatistik  nach  Berufsklassen,  die  für  die  all- 
gemeine Bevölkerung  angestellt  wird,  läuft  man  leicht  Gefahr,  Sterbefälle 
mit  Personengruppen  in  Verbindung  zu  bringen,  aus  denen  sie  nicht  her- 
vorgegangen sind,  weil  man  für  die  Berechnung  der  zu  vergleichenden 
Lebenden  und  Gestorbenen  verschiedene  Quellen,  für  erstere  die  Volks- 
zählungslisten, für  letztere  die  Sterbe register  zu  benutzen  hat,  wie  sie 
aus  den  Standes-  oder  pfarramtlichen  Mitteilungen  hervorgehen  ,  und 
weil  die  Altersangaben  und  Berufsbezeichnungen  häufig  ungenau  und 
schwankend  sind.  Eine  derartige  Fehlerquelle  ist  bei  Versicherten, 
die  individuell  bis  zum  Ausscheiden  aus  der  Gesellschaft  oder  dem 
Abschlußtermin  der  Untersuchung  beobachtet  werden,  nicht  vorhanden; 
allein  es  können  auch  hier  leicht  unrichtige  Resultate  entstehen,  wenn 
man  außer  acht  läßt,  daß  Berufswechsel  vielfach  erst  mit  dem  Tode 
oder  dem  Ausscheiden  eines  Versicherten  zur  Kenntnis  der  Anstalt 
gelangen.  Dieser  Umstand  macht  natürlich  eine  scharfe  und  generelle 
Berücksichtigung  des  Berufswechsels  überhaupt  unmöglich,  allein  er 
läßt  auch  eine  Verwertung  aller  zur  Verfügung  stehenden  Berufsan- 
gaben als  unzulässig  erscheinen,  weil  damit  eine  abweichende  Klassi- 
fikation der  Gestorbenen  und  der  bei  Abschluß  der  Beobachtung  noch 
Lebenden  eintreten  würde,  die  bei  jeder  Statistik  vermieden  werden 
muß.  Der  einzige  Ausweg  besteht  darin,  daß  man  sich  lediglich  an 
die  Angaben  hält,  die  beim  Zugang  zur  Anstalt  gemacht  wurden,  un- 
bekümmert darum,  ob  der  damals  ausgeübte  oder  angestrebte  Beruf 
für  die  ganze  fernere  Versicherungsdauer  Geltung  hatte  oder  nicht, 
und  ein  solches  Verfahren  ist  dann  auch  bei  unseren  bisherigen  Unter- 
suchungen sowie  der  vorliegenden  eingeschlagen  worden.  Während 
wir  aber  unter  die  Geistlichen  und  Aerzte  alle  Personen  einreihten, 
die  Theologie  und  Medizin  studiert  hatten  oder  zur  Zeit  der  Auf- 
nahme studierten  und  auch  diejenigen  Gymnasiasten  berücksichtigten, 


Die  Mortalitätsverhälttiisse  der  Lehrer  etc.  167 

die  sich  später  dem  betreffenden  Studium  zuwandten,  indem  wir  an- 
nahmen, daß  Gymnasiasten,  welche  ein  Studium  ergreifen,  dies  stets 
der  Anstalt  mitteilen,  haben  wir  zu  den  Lehrern  nur  solche  Personen 
gezählt,  die  bei  der  Aufnahme  eine  Lehrthätigkeit  bereits  ausübten 
oder  sich  für  das  Lehrfach  als  Seminaristen  oder  Studenten  vorbe- 
reiteten. Auf  diese  Weise  dürfte  es  uns  geglückt  sein,  die  Berufs- 
klasse der  Lehrer  noch  etwas  schärfer  als  die  beiden  anderen  abzu- 
grenzen, obwohl  die  Fälle,  wo  ein  Theologe  oder  Mediziner  sich  dauernd 
einem  fremden  Berufe  zuwendet,  relativ  selten  sind.  Hervorzuheben 
ist  noch,  daß  die  Beobachtungszahlen  der  Geistlichen  und  Aerzte,  in- 
folge der  Einrechnung  von  Gymnasiasten,  erst  von  demjenigen  Alter 
ab,  mit  dem  das  Studium  sicher  begonnen  hat,  verwendbar  sind, 
weil  die  zugehörigen  Sterbefälle  für  die  jungen  Alter  fehlen,  die 
gegenwärtigen  Zahlen  aber  einer  gleichen  Einschränkung  nicht  unter- 
liegen. 

Um  ein  möglichst  homogenes  Material  zu  erlangen,  sind  Musik-, 
Turn-  und  Zeichenlehrer  nicht  mit  aufgenommen,  ebenso  Privatlehrer, 
Hauslehrer  und  Informatoren,  deren  Beschäftigungs-  und  Lebensweise 
von  den  öffentlich  wirkenden  Lehrern  verschieden  sind.  Israelitische 
Lehrer  wurden  berücksichtigt,  insoweit  sie  nicht  ausschließlich  Reli- 
gionslehrer waren,  die  vielfach  den  Schulunterricht  nur  als  Nebenbe- 
schäftigung ausüben.  Die  Beobachtungszeit  erstreckte  sich  vom 
1.  Januar  1829  resp.  dem  Eintritt  der  Personen  in  die  Bank  bis  zum 
Prämientermin  in  1890;  demzufolge  kam  der  Zugang  von  1890  selbst 
nicht  mit  in  Betracht  und  es  hatten  alle  diejenigen,  welche  den  Ab- 
schlußtermin  der  Beobachtung  erlebten,  nur  volle  Versicherungsjahre 
zurückgelegt.  Im  ganzen  umfaßte  das  Material  12381  Personen,  von 
denen  4078  starben,  1187  abgingen  und  7116  am  Abschlußtermin 
noch  vorhanden  waren.  Unter  jenen  12  381  Personen  befanden  sich 
7591  Elementarlehrer,  die  zusammen  160  844  Jahre  unter  Risiko 
standen  und  2805  Sterbefälle  lieferten,  4077  Gymnasiallehrer  mit 
63  315  Risikojahren  und  1049  Sterbefällen,  ferner  609  Hochschullehrer 
mit  10614,5  Risikojahren  und  221  Sterbefällen  und  schließlich  104 
Lehrerinnen,  aus  denen  3  Sterbefälle  hervorgingen.  Letztere  Gruppe 
konnte  für  sich  keine  brauchbaren  Resultate  ergeben,  unterschied  sich 
aber  doch  auch  so  wesentlich  von  den  übrigen  Gruppen,  daß  es  richtig 
erschien ,  sie  ganz  beiseite  zu  lassen.  Einigermaßen  schwierig  war 
die  Scheidung  zwischen  Elementar-  und  Gymnasialfach  einer-,  und 
Gymnasiallehrer  und  Hochschuldozenten  andererseits ,  da  eine  nicht 
geringe  Zahl  von  Personen  sich  nur  als  Lehrer,  andere  als  Professoren 
und  dergl.  ohne  weiteren  Zusatz  deklariert  hatten,  und  eine  Ergän- 
zung dieser  Angaben  durch  Umfragen  nur  für  die  Lebenden  Erfolg 
gehabt  und  somit  zu  einer  ungleichen  Behandlung  der  Lebenden  und 
Gestorbenen  geführt  hätte,  was  immer  zu  vermeiden  ist.  Man  ent- 
schied sich  schließlich  dahin,  alle  Personen,  die  sich  lediglich  als 
Lehrer  oder  Rektor  deklariert  hatten  und  nicht  den  Titel  „Doktor" 
führten,  dem  Elementarlehrerfach,  alle  Personen  aber,  welche  unver- 
kennbar akademisch  gebildet   waren   und   sich   nicht  ausdrücklich  als 


168 


Joh.  Karup  und  R.  Gollmer, 


Tab.  II. 
Elementarlehrer  (inkl.  Seminaristen). 


1. 

_         —r              .      1                                 •      l_                                                           1 

.  Versicherungsj. 

Ohne  Unterscheid. 

1. —  5.  Versicherungsjanr 

und  aufwärts 

d.  Versicherungsj. 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

J3 

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Es  standen  ein  volles  Ver- 

Es 

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sicherungsjahr  unter  Risiko,     "»  &*&*  a"s                         gingen 

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fingen 
aus 

,0 

i.  nebensteh.  Lebensjahr  ab- 

betreffenden Be- 

unter 

diesen 

unter 

diesen 

M 

gerundet  passiert  hatten, 

obachtungsdauer 

Risiko      Ste] 

Risiko      sterbef. 

Personen  *)                  Sterbefalle  hervor 

lervor 

lervor 

15 

H 

14 

16 

36 

36 

17 

66 

66 

18 

101,5 

I 

101,5 

1 

19 

150 

3 

150 

3 

20 

214,5 

2 

9 

223.5 

2 

21 

320 

3 

21 

341 

3 

22 

482,5 

4 

36<5 

I 

5J9 

5 

23 

682,5 

2 

52 

734.5 

2 

24 

929 

5 

88,5 

1017,5 

5 

25 

H/5 

6 

140,5 

I3!5,5 

6 

26 

1409 

5 

210,5 

1619,5 

5 

27 

1614 

5 

3*9 

1933 

5 

28 

1815,5 

8 

453-5 

2 

2269 

10 

29 

1916 

7 

639,5 

5 

2555-5 

12 

30 

2151,5 

15 

862 

3 

3013,5 

18 

31 

2212,5 

15 

1130 

7 

3342.5 

22 

32 

2206,5 

12 

1395 

15 

3601.5 

27 

33 

2166,5 

13 

1684 

13 

3850.5 

25 

34 

2126 

7 

1949,5 

12 

40/5,5 

19 

35 

1975 

7 

2326 

8 

43°  1 

•5 

36 

1895,5 

3 

2593 

14 

4488,5 

17 

37 

1759 

13 

2851 

J5 

4610 

28 

38 

1626 

8 

3^3 

19 

4739 

27 

39 

1506 

12 

33i6,5 

22 

4822,5 

34 

40 

1357-5 

10 

3536 

28 

4893-5 

38 

41 

1210 

7 

3678.5 

30 

4888.5 

37 

42 

1138,5 

11 

3766,5 

37 

4905 

48 

43 

!034 

6 

3853-5 

3i 

4887,5 

37 

44 

IIOO 

10 

3696 

35 

4796 

45 

45 

780.5 

1 

3913 

42 

4693,5 

43 

46 

712,5 

7 

3894,5 

39 

4607 

46 

47 

615 

7 

3864,5 

57 

44"9,5 

64 

48 

52» 

3 

3818 

45 

4339 

48 

49 

477 

4 

3717 

3° 

4194 

34 

50 

445 

6 

3641 

5i 

4086 

57 

51 

373,5 

4 

3568,5 

40 

3942 

44 

52 

3295 

5 

3482 

64 

3811,5 

69 

53 

283 

2 

3359 

52 

3642 

54 

54 

261 

3 

3262 

54 

3523 

57 

55 

215,5 

3i7i 

53 

3386,5 

53 

56 

199.5 

1 

3043  5 

61 

3243 

62 

57 

191 

3 

2915 

72 

3106 

75 

58 

176,5 

3 

2787.5 

65 

2964 

68 

Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc. 


169 


Tab.  II  (Fortsetzung). 


1. 

1. — 5.   Versicherungsjahr 

6.  Versicherungsj. 
und  aufwärts 

Ohne  Unterscheid, 
d.  Versicherungsj. 

u 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

öS 

Es  standen  ein  volles  Ver- 

Es 

Es 

*3? 

sicherungsjahr  unter  Risiko, 

Es  gingen   aus    | 

gingen 

gingen 

8 

nachd.  sie  zu  Anfang  desselb. 

diesen  während  d. 

Es  standen 

aus 

Es  standen 

aus 

d.  nebensteh.  Lebensjahr  ab- 

betreffenden Be- 

unter 

diesen 

unter 

diesen 

gerundet  passiert  hatten, 

obachtungsdauer  ' 

Risiko 

Sterbef. 

Risiko 

Sterbef. 

Personen  *) 

Sterbefälle  hervor 

hervor 

hervor 

59 

156.5 

6 

2654 

66 

2810,5 

72 

60 

126.5 

1 

2510 

68 

2636,5 

69 

61 

100,5 

3 

2373 

67 

2473,5 

70 

62 

76,5 

2 

2243 

83 

2319,5 

85 

63 

5°»5 

1 

2095 

85 

2145,5 

86 

64 

3° 

19335 

88 

1963.5 

88 

65 

16 

1 

1775.5 

72 

I79L5 

73 

66 

II 

16335 

80 

1644,5 

80 

67 

7,5 

1 

1496 

65 

I503,5 

66 

68 

4 

1347,5 

90 

1351,5 

90 

69 

3-5 

1 

1186 

80 

1189,5 

81 

70 

1 

1 

1032.5 

65 

I033.5 

66 

71 

906 

70 

906 

70 

72 

801.5 

62 

801,5 

62 

73 

695 

50 

695 

5o 

74 

615 

70 

615 

70 

75 

497,5 

58 

497-5 

58 

76 

417,5 

54 

417,5 

54 

77 

345 

38 

345 

38 

78 

285.5 

47 

285,5 

47 

79 

230,5 

37 

230,5 

37 

80 

184 

25 

184 

25 

81 

149 

22 

149 

22 

82 

H3'5 

18 

H3,5 

18 

83 

84.5 

18 

84,5 

18 

84 

57 

16 

57 

16 

85 

37 

11 

37 

11 

86 

22.5 

5 

22,5 

5 

87 

16 

5 

16 

5 

88 

8 

3 

8            3 

89 

3 

3 

90 

' 

1 

15-9C 

42554 

266 

|  H7905,5 

2539 

160459,5 

2805 

1)  Das  Alter  zu  Anfang  eines  Versicherungsjahres  wird  einfach  bestimmt,  indem  zu 
dem  Beitrittsalter  die  Zahl  der  in  der  Anstalt  zurückgelegten  Versicherungsjahre  addiert 
wird,  als  Beitrittsalter  selbst  gilt  aher  immer  das  zur  Zeit  des  Zugangs  nächstliegende, 
schon  passierte  oder  erst  zu  passierende  volle  Lebensjahr.  Vergl.  die  Arbeit  über  die 
Aerzte,  I.  Kap  ,  Jahrbücher,  13.  Band,  1886. 


170 


Joh.  Karup  und  R.   Gollmer, 


Tab.  III. 
Gymnasiallehrer  (inkl.  solcher  Studenten,  die  sich  für  das  Lehrfach 

vorbereiteten). 


1. 

1. — 5.  Versicherungsjahr 

6.  Versicherungsjahr 
und  aufwärts 

Ohne  Unterscheidung  der 
Versicherungsjahre 

u 

ja 
3 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

d 

Es  gingen 

Es  gingen 

Es  gingen 

J= 

Es  standen 

aus  diesen 

Es  standen 

aus  diesen 

Es  standen 

aus  diesen 

J 

unter  Risiko 

Sterbefälle 
hervor 

unter  Risiko 

Sterbefälle 
hervor 

unter  Risiko 

Sterbefälle 
hervor 

18 

6 

6 

19 

27 

27 

20 

57,5 

57,5 

21 

945 

1 

94,5 

I 

22 

128.5 

128.5 

23 

186,5 

2 

6 

192,5 

2 

24 

261 

I 

19,5 

280.5 

I 

25 

360,5 

39-5 

400 

26 

483,5 

3 

70 

553-5 

3 

27 

633 

4 

84.5 

I 

7170 

5 

28 

762 

4 

118 

2 

880 

6 

29 

899 

4 

188 

I 

1087 

5 

30 

974 

5 

280,5 

I 

1254,5 

6 

31 

1021 

3 

382 

3 

'403 

6 

32 

1044,5 

5 

487.5 

4 

!532 

9 

33 

1030.5 

2 

609 

2 

1639.5 

4 

34 

953  5 

756 

6 

1709.5 

6 

35 

922 

1 

887,5 

3 

1809.5 

4 

36 

878 

3 

1024 

5 

1902 

8 

37 

814 

7 

U395 

2 

1953-5 

9 

38 

744 

5 

1248 

9 

1992 

H 

39 

704 

4 

1306 

7 

2010 

11 

40 

635,5 

4 

1388 

10 

2023,5 

14 

41 

564,5 

4 

1444,5 

12 

2009 

16 

42 

497,5 

3 

1484,5 

*3 

1982 

16 

43 

466.5 

1 

1495 

10 

1961.5 

11 

44 

402 

3 

J536.5 

16 

19385 

19 

45 

356,5 

1 

!532,5 

12 

1889 

13 

46 

320 

3 

1514 

H 

1834 

17 

47 

294 

1 

1471 

23 

1765 

24 

48 

253.5 

1452,5 

18 

1706 

18 

49 

239  5 

5 

1409 

17 

1648,5 

22 

50 

212.5 

1358 

19 

1570,5 

19 

51 

184 

2 

1306 

*9 

1490 

21 

52 

161,5 

2 

1269 

13 

14305 

15 

53 

139,5 

4 

1227 

22 

1366,5 

26 

54 

116,5 

1 

1172,5 

16 

1289 

17 

55 

955 

1 

1 130.5 

19 

1226 

20 

56 

89 

2 

1075,5 

22 

1164,5 

24 

57 

75 

2 

1047.5 

24 

II225 

26 

58 

65 

1 

1012,5 

18 

1077,5 

19 

59 

58 

4 

967 

24 

I025 

28 

60 

47,5 

2 

924 

21 

971,5 

23 

61 

37 

871  5 

18 

908,5 

18 

6 

30 

2 

830,5 

27 

860.5 

29 

Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc. 


171 


Tab.  III  (Fortsetzung). 


1. 

1. — 5.   Versicherungsjahr 

6.   Versicherungsjahr 
und  aufwärts 

Ohne  Unterscheidung  der 
Versicherungsjahre 

s- 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

s 

Es  gingen 

Es  gingen 

Es  gingen 

_a 

Es  standen 

aus  diesen 

Es   standen 

aus  diesen 

Es  standen 

aus  diesen 

"- 

unter   Risiko 

Sterbefälle 
hervor 

unter  Risiko 

Sterbefälle 
hervor 

unter  Risiko 

Sterbefälle 
hervor 

63 

21 

779 

27 

800 

27 

64 

12.5 

733-5 

35 

746 

35 

65 

II 

6705 

3° 

681.5 

30 

66 

IO 

I 

621.5 

32 

631,5 

33 

67 

7.5 

572 

22 

579  5 

23 

68 

4 

534 

29 

538 

29 

69 

3 

4795 

33 

482,5 

33 

70 

i 

427 

37 

428 

37 

71 

373-5 

'5 

373<5 

15 

72 

342 

32 

342 

32 

73 

298 

3o 

298 

30 

74 

257 

25 

257 

25 

75 

220 

25 

220 

25 

76 

183 

17 

183 

17 

77 

159 

21 

159 

21 

78 

132 

12 

132 

12 

79 

112 

12 

112 

12 

80 

84 

16 

84 

16 

81 

61.5 

9 

61,5 

9 

82 

48,5 

13 

48,5 

13 

8>! 

3° 

4 

30 

4 

84 

22 

4 

22 

4 

85 

15 

6 

15 

6 

80 

8 

3 

8 

3 

87 

5 

1 

5 

1 

88 

4 

1 

4 

1 

89 

3 

1 

3                       1 

90 

1 

1 

18  9(>|   18395 


104 


44740 


945 


63135 


1049 


Dozenten  einer  Hochschule  bezeichnet  hatten,  dem  Gymnasialfach  zu- 
zuzählen. In  das  letztere  wurden  generell  auch  die  Schuldirektoren 
eingereiht,  deren  wirtschaftliche  Lage  mit  derjenigen  der  Gymnasial- 
lehrer ziemlich  übereinstimmt  und  die  vielfach  auch  die  Universität 
besucht  haben.  Als  Hochschule  galten  nicht  nur  die  Universitäten, 
sondern  auch  die  technischen  Hochschulen,  die  land-  und  forstwirt- 
schaftlichen Akademien,  nicht  aber  das  Technikum  schlechthin,  dessen 
akademisch  gebildete  Lehrkräfte  unter  den  Gymnasiallehrern  Aufnahme 
fanden. 

In  den  vorhergehenden  Tabellen  II  und  III  sind  für  die  beiden 
wichtigsten,  weil  besonders  stark  besetzten,  Gruppen  der  Elementar- 
lehrer und  Gymnasiallehrer  erlangten  Resultate  nach  einzelnen  Lebens- 
jahren, mit  teilweiser  Unterscheidung  der  Versicherungsdauer,   mitge- 


172 


.loh.  Karup  und  R.  Gollmer, 


teilt,  damit  dem  Forscher  die  Möglichkeit  selbständiger  Untersuchungen 
gelassen  ist.  Direkte  Schlüsse  lassen  sich  aber  aus  diesen  Zahlen 
nicht  ziehen,  und  wir  fügen  deshalb  alsbald  einige  weitere  Ueber- 
sichten,  Tabelle  IV  und  V  bei,  in  denen  Zusammenfassungen  nach 
größeren  Altersklassen  stattgefunden  haben. 

Tabelle  IV. 
Sterblichkeit  nach  5-jährigen  Altersklassen. 


1. — 5.  Versicherungsjahr 

6.  Versicherungsjahr 
und  aufwärts 

Ohne  Unterscheidung  der 
Versicherungsjahre 

Alters- 
klasse 

Lebende 
unter 
Risiko 

Sterbe- 
fälle 

Sterblich- 
keitspro- 
zentsatz 

Lebende 
unter 
Risiko 

Sterbe- 
fälle 

Sterblich- 
keitspro- 
zentsatz 

Lebende 
unter 
Risiko 

Sterbe- 
fälle 

Sterb- 

lichk.- 

proz.- 

satz 

a)   Elementarlehrer. 


21—25 
26—30 
31—35 
36—40 
41—45 
46—50 
51—55 
56—60 
61—65 
66  —  70 
71—75 
76—81 
81—85 
86—90 


26—30 
31—35 
36—40 
41—45 
46  —  50 
51—55 
56—60 
61—65 
66—70 
71—75 
76—80 
81—85 
86—90 


3589 

20 

0,5  6 

338,5 

I 

3  927,5 

21 

8906 

40 

0,4  5 

2  484,5 

10 

O,40 

U390,5 

50 

10  686,r» 

54 

O.Öl 

8  484,5 

54 

0,64 

19  171 

108 

8  144 

46 

0,56 

15  409,5 

98 

0,64 

23  553,5 

144 

5263 

35 

0,66 

18  907,5 

175 

0,93 

24  170,5 

210 

2  770.5 

27 

0,97 

18  935 

222 

1,17 

21  705,5 

249 

1  462,5 

14 

0,96 

l6  842,5 

263 

1,56 

18305 

277 

850 

14 

1,65 

13  9IO 

332 

2,39 

14  760 

346 

273,5 

7 

2,56 

IO42O 

395 

3,79 

10693,5 

402 

27 

3 

6695,5 

380 

5,68 

6  722,5 

383 

3515 

310 

8,82 

3515 

310 

I  462,5 

201 

13,74 

1  462,5 

201 

44I 

85' 

19,27 

441 

85 

50,5 

13 

25-74 

50,5 

13 

b)   Gymnasiallehrer. 


3751,5 

20 

sah- 

741 

5 

0,67l 

4  492,5 

25 

4971,5 

1 1 

3 122 

18 

0,58/    ' 

8093,5 

29 

3  775,5 

23 

6  105,5 

33 

°'54lo71 

9881 

56 

2  287 

12 

7  493 

63 

0,84|°"a 

9  780 

75 

1  3195 

9 

t:>< 

7  204,5 

9i 

KI«* 

8524 

100 

697 

10 

6  105 

89 

6  802 

99 

334,5 
111,5 

11 

2 

s:H 

5  026,5 
3885 

109 
137 

Sil*« 

5  36' 
3  996,5 

120 
139 

25,5 

2 

2634 

153 

5,81 

2659,5 

»55 

1  490,5 

127 

8,52 

1  490,5 

127 

670 

78 

11.64 

670 

78 

177 

.36 

20,34 

177 

36 

21 

6 

28,57 

21 

6 

0,53 

0,44 
0,56 
0,61 
0,87 
1,15 
1,51 
2,34 

3,7ft 

5,70 

8,82 

13,14 

19,27 

25,74 


0,56 

0,36 

0,57 

0,77 

1,17 

1,46 

2,24 

3,48 

5,83 

8,52 

11,64 

20,34 

28,57 


Was  bei  einer  Betrachtung  der  Tabelle  IV  vor  allem  auffällt, 
ist  die  relativ  geringe  Sterblichkeit  der  ersten  5  Versicherungsjahre 
gegenüber  derjenigen  für  „6  und  aufwärts",  die  bei  beiden  Gattungen 
von  Lehrern  in  fast  allen  Altersklassen  hervortritt  und  die  lediglich 
auf  die  ärztliche  Auswahl  zurückzuführen  ist,  deren  Einfluß  sich  vor- 
zugsweise  in    den    ersten   Versicherungsjahren    geltend    macht.     Be- 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc. 


173 


Tab.  V. 

Vergleiche   zwischen  der  Sterblichkeit  verschiedener   Lehrergattungen 
(bei  Zusammenfassung  der  Beobachtungen   aller   Versicherungsjahre). 


1. 

Elementarlehrer 

Gymnasiallehrer 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

Zahl   der 

Sterbefälle 

8. 
Prozent- 

Alters- 
klasse 

Lebende 
unter 
Risiko 

Sterbefälle 

Sterb- 
lich- 
keit 
in   0/0 

Lebende 
unter 
Risiko 

wirk- 
lich 

rechnungs- 
mäfs.  n.  d. 

Erfahr,   f.  Ele- 
mentarlehrer 
(8)X(4) 

satz   der 
wirkl.  Zahl 
d.  Sterbe  f. 
v.  d.  rech- 
nungsmäfs. 

26—30 

II  390,5 

5° 

0.439 

4492,5 

25) 

56|l8S 
75' 

19  72^1 
45'57LT-„, 

31—35 

19  171 

108 

0,563 

8093,5 

87,8 

36—40 

23  553.5 

144 

0,611 

9881 

Z^  „~  /  2 10,6  5 
00,3  7  j          ' 

84,99/ 

41—45 

24  170,5 

2IO 

0,869 

9780 

46—50 

21  705,5 

249 

1,147 

8524 

100 

97,77] 

51—55 

18305 

2/7 

1,513 

6802 

99 

,319 

102,92 

,326.35 

97,7 

56—60 

14760 

346 

2,344 

5361 

120 

125,66 

61  —  65 

10  693,5 

402 

3V59 

3996.5 

139] 

150.23] 

66—70 

6  722,5 

383 

5.697 

2659.5 

155 

151,51 

71—75 
76—80 

3  515 

1  462,5 

310 
201 

8.819 
13.744 

1490,5 
670 

127 

78 

>54i 

131,45 
92,08 

>504,7  9 

95,8 

81—85 

441 

85 

19,274 

177 

36 

34-11 

86—90 

50,5 

13 

25.742 

21 

6j 

5-4iJ 

Zusammen 

104 

5 

1101,7 

9 

94,8 

Tabelle  V  (Fortsetzung). 


1. 

Dozenten  (exkl.   Mediciner) 

Dozenten  der  Medizin 

9. 

10.   |        11. 

12. 

13. 

14. 

15. 

16 

u 

Zahl  d.   Sterbefälle 

ti    b>"     A 

S 

Zahl   der  Sterbefälle 

t3  >  ■; 

Alters- 
klasse 

P 

s  0 
<o  -5 

"SS 

wirk- 

rechnungs- 
m  äf  s.   n.   d. 
Erfahr,   f.  Ele- 

ntsatz 

Zahl 

„•hnmäf 

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3   0 

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wirk- 

rechnungs- 
mäfs.   n.   d. 
Erfahr,   f.  Ele- 

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lich 

mentarlehrer 

0  M  " 

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lich 

mentarlehrer 

J 

(9)X(4) 

v_  .« 

O 

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£  '$  'ä 

26  —  30 

187 

r 

0,8  2] 

58 

I 

0,25 

31—35 

546,5 

3 

3,08 

247 

— 

1,39 

36—40 
41—45 

958 

I2II 

2 
10 

>36 

5.85 
10.52 

'  5°,88 

71,9 

4IO 
488 

4 

5 

2,51 
4,24 

46—50 

1195 

r) 

13,71 

472 

7 

5,41 

51  —  55 

1064 

11 

16,10, 

378,5 

6 

5,73 

56  —  60 

857,5 

12        '  20,10, 

284,5 

6 

6.67 

61—65 

713,5 

26J        26,82] 

:  221 

9 

8.31 

66—70 

507 

I9[            28.88[ 

15L5 

14 

8.63 

71—75 

332 

30J>Il8    29.28/144,34 

81,8 

63.5 

12 

5-60 

76—80 

157 

Ml 

21,58V 

13 

2 

1.79 

81—85 

69 

131 

i3.3o\ 

5 

1 

0,96 

86—90 

17 

4' 

4,38  1 

— 

— 

Zusammen 

i! 

4 

194 

42 

79,2 

67 

5M9 

130,1 

174  Joh.  Karup  und  R.  Gollmer, 

rechnet  man,  was  allerdings  keine  der  mitgeteilten  Tabellen  zuläßt, 
wie  viele  Sterbefälle  unter  den  Elementarlehrern  und  Gymnasiallehrern 
in  dem  ersten  Versicherungsjahre  allein  eingetreten  wären,  wenn  für 
jede  Gattung  und  jede  5-jährige  Altersklasse  die  zugehörige  Durch- 
schnittssterblichkeit aller  Versicherungsperioden  Geltung  gehabt  hätte, 
so  erhält  man  als  Prozentverhältnis  zwischen  wirklicher  und  erwar- 
tungsmäßiger  Sterblichkeit    (aller    Alter)    bei    den    Elementarlehrern 

70.2  und  bei  den  Gymnasiallehrern  75,7  Proz.  Für  die  Versicherungs- 
periode 2 — 5   ergiebt  eine   entsprechende  Rechnung    resp.    89,1   und 

88.3  Proz.  und  für  „6  und  aufwärts"  resp.  101,6  Proz.  und  101,7 
Proz.,  woraus  sich  schließen  läßt,  daß  die  Sterblichkeitsunterschiede 
nach  der  Versicherungsdauer  mit  dem  Zunehmen  der  letzteren  rasch 
abnehmen  und  die  Zahlen  für  „6  und  aufwärts"  den  definitiven  Zu- 
stand ziemlich  nahe  widerspiegeln.  Bei  den  Geistlichen  stellte  sich 
das  Verhältnis  zwischen  wirklicher  und  durchschnittlicher  Sterblichkeit 
in  den  Versicherungsperioden  1,  2—5,  „6  und  aufwärts"  auf  resp. 
74,1,  93,0  und  100,8  Proz.,  bei  den  männlichen  Versicherten  der  Bank 
überhaupt  (bis  1878)  auf  resp.  67,9,  91,8  und  102,6  Proz.  Die  Be- 
wegungen in  der  Sterblichkeit  mit  der  Versicherungsdauer  vollziehen 
sich  also  ziemlich  gleichmäßig  bei  der  Gesamtheit  und  den  einzelnen, 
nach  Beruf  ausgesonderten  Personengruppen. 

Von  Interesse  ist  es,  den  Unterschied  zwischen  Elementar-  und 
Gymnasiallehrersterblichkeit  kennen  zu  lernen,  der  eben  deutlich  erst 
aus  Tabelle  V  erhellt,  wo  die  Erfahrungen  verschiedener  Lehrer- 
gattungen mit  Hilfe  der  Methode  der  „rechnungsmäßigen  Sterbefälle" 
verglichen  sind.  Als  Norm  galten  hierbei  die  recht  umfänglichen  und 
deshalb  auch  für  engere  Altersstrecken  zuverlässigen  Beobachtungen 
über  Elementarlehrer.  Die  Hauptergebnisse  der  Tabelle  sind  nun, 
daß  die  Sterblichkeit  der  Gymnasiallehrer  für  alle  Alter  94,8,  die 
Sterblichkeit  der  Dozenten  bei  Ausschluß  der  Mediziner  79,2,  und  die 
der  Mediziner  allein  130,1  Proz.  der  rechnungsmäßigen,  d.  h.  der 
Elementarlehrersterblichkeit  betrug.  Verfolgt  man  den  Verlauf  der 
Sterblichkeit  nach  Altersklassen,  so  stellt  sich  das  Prozentverhältnis 
zwischen  wirklicher  und  rechnungsmäßiger  Sterblichkeit  der  Gymna- 
siallehrer für  die  Alter  26—45  auf  87,8,  für  die  Alter  45—60  auf 
97,7  und  für  die  Alter  61 — 90  auf  95,8  Proz.  Hiernach  ist  ein  be- 
trächtlicher Unterschied  zwischen  der  Sterblichkeit  von  Gymnasial- 
lehrern und  derjenigen  von  Elementarlehrern  eigentlich  nur  bis  zum 
45.  Lebensjahre  bemerkbar,  was  insofern  überraschen  wird,  als  die 
Elementarlehrer  zumeist  schlechter  situiert  sind  und  ihre  Lehrthätig- 
keit  unter  ungünstigeren  Verhältnissen  ausüben,  als  ihre  akademisch 
gebildeten  Kollegen.  Allein  es  darf  eben  nicht  außer  acht  gelassen 
werden,  daß  versicherte  Elementarlehrer  zumeist  zu  den  besser 
situierten  Elementen  ihres  Berufes  gehören,  und  daß  daher  die  wirt- 
schaftliche Lage  der  beiden  in  Rede  stehenden  Gattungen  hier  weit 
weniger  auseinander  gehen  wird,  als  bei  den  Berufsangehörigen  im 
allgemeinen.  Und  sodann  ist  es  doch  einigermaßen  fraglich,  ob  die 
größeren  geistigen  Anstrengungen,  denen   die  Gymnasiallehrer  sowohl 


Die  Mortalitätsverhaltnisse  der  Lehrer  etc.  175 

bei  der  Lehrthätigkeit  selbst,  als  bei  dem  ermüdenden  Korrigieren 
der  Schularbeiten  unterworfen  sind,  nicht  ebenso  schädlich  wirken, 
wie  überfüllte  Schulstuben  und  übermäßige  Stundenzahl,  die  vorzugs- 
weise die  Elementarlehrer  belasten.  Ein  schädliches  Moment  ist  bei- 
den Gattungen  gemeinsam,  der  häufige  Aerger,  der  mit  dem  Unter- 
richten von  Kindern  verknüpft  ist;  allein  möglicherweise  ist  hierin 
der  Gymnasiallehrer  noch  schlechter  daran ,  als  sein  Kollege  vom 
Elementarlehrerfach,  da  er  vielfach  oder  ausschließlich  mit  älteren 
Kindern  zu  thun  hat,  die  in  Ungezogenheiten  besonders  erfinderisch 
zu  sein  pflegen  und  bei  denen  körperliche  Zuchtmittel  ausgeschlossen 
sind.  Andererseits  ist  der  Lehrberuf  auch  mit  günstigen  Momenten 
verknüpft,  die  beiden  Lehrergattungen  in  fast  gleichem  Maße  eigen- 
tümlich sein  mögen,  wie  regelmäßige  Beschäftigung  und  Lebensweise, 
häufige  Unterbrechung  der  Thätigkeit  durch  Ferien  und  gesicherte 
Stellung.  So  läßt  es  sich  denn  ganz  gut  erklären,  wenn  die  hier  kon- 
statierten Unterschiede  zwischen  den  beiden  Gattungen  meist  gering 
sind  und  sich  noch  vollends  verflüchtigen,  wenn  man  den  Gymnasial- 
lehrern, die  sich  ausschließlich  in  Städten  aufhalten,  auch  nur  städtische 
Elementarlehrer  gegenüberstellt.  Ein  solches  Resultat  wird  nämlich 
in  der  Folge  thatsächlich  bei  Gruppierung  der  Elementarlehrer  nach 
Stadt  und  Land  hervortreten. 

Darüber,  ob  die  Sterblichkeitsverhältnisse  der  hier  in  Betracht 
gezogenen  Berufsklassen  überhaupt  als  günstige  oder  ungünstige  an- 
zusehen sind,  kommt  man  natürlich  erst  ins  Klare,  wenn  man  sie 
mit  den  Ergebnissen  anderer  Berufsklassen  vergleicht,  und  wir  bringen 
deshalb  nunmehr  eine  Tabelle,  in  welcher  alle  von  uns  bisher  unter- 
suchten Berufsklassen  berücksichtigt  sind.  Der  Vergleich  ist  in  der- 
selben "Weise  wie  in  der  letzten  Tabelle  durchgeführt,  als  Norm  ist 
aber  nicht  mehr  die  Sterblichkeit  der  Elementarlehrer,  sondern  die- 
jenige benutzt,  die  unter  den  männlichen  Versicherten  der  Gothaer 
Bank  bis  1878  beobachtet  wurde. 

(Siehe  Tabelle  VI  auf  S.  176.) 

Nach  den  Endzahlen  dieser  Tabelle  haben  die  Dozenten  bei  Aus- 
schluß der  Mediziner  die  niedrigste  Sterblichkeit  mit  71,2  Proz.  der 
allgemeinen  durchschnittlichen,  hierauf  folgen  der  Reihe  nach  die 
Gymnasiallehrer  mit  83,5,  die  Geistlichen  mit  85,9,  die  Elementar- 
lehrer mit  87,8,  die  Aerzte  mit  111,0  und  die  Dozenten  der  Medizin 
mit  113,8  Proz.  Innerhalb  der  in  Betracht  gezogenen  drei  Alters- 
klassen gestaltet  sich  das  Verhältnis  teilweise  anders,  in  der  jüngsten 
von  26—45  resp.  21 — 45  rangieren  die  Geistlichen  vor  den  Gymnasial- 
lehrern, in  der  Altersklasse  61 — 90  dagegen  die  Elementarlehrer  sogar 
in  oder  mit  den  Geistlichen.  Am  stärksten  sind  die  Unterschiede 
vorder  jüngsten  Altersklasse,  wo  die  Geistlichen  eine  relative  Sterb- 
lichkeit von  70,2  und  die  Aerzte  eine  solche  von  125,9  Proz.  auf- 
weisen, was  einer  Mehrsterblichkeit  (in  Prozenten  der  allgemeinen 
durchschnittlichen)  von  55,7  Proz.  entspricht,  am  geringsten  in  der 
Altersklasse  61 — 90,  wo  die  Sterblichkeit  bei  den  Gymnasiallehrern 
90,2,  bei   den  Aerzten   105,0  Proz.  beträgt.    Zieht  man   die  Dozenten 


176 


Joh.  Earup  und  R.  Gollmer, 


Tab.  VI. 

Vergleiche  zwischen  den  Sterblichkeitsverhältnissen  versicherter 

Personen  in  verschiedenen  Berufsklassen. 


tz  der 
it  nach 
en  Bank- 
Männer 

Geistliche 

Gymnasiallehrer 

Elementarlehrer 

Zahl  der  Sterbe- 

^i 

Zahl  der  Sterbe- 

lä 

Zahl  der  Sterbe- 

*i 

fälle 

N  A 

fälle 

N-jS 

fälle 

Nfl 

Alters- 

entsa 
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21—25 

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363,18] 

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164,14' 

402' 

439-18] 

66—70 

6.346 

376 

398,24 

CO 

i.SS 

168,77 

V. 

383 

426,61 

EC 

71  —  75 
76—80 

9,189 
13,320 

323 

225 

0 

339.81 
217,25 

94,0 

127 
1  78 

s 

136,96 

89. 24 

0 
0 

90,2 

310 
201 

PO 

322,99 
194,81 

- 

93,9 

81—85 

I9,6201) 

97 

88,68 

** 

36 

34-72 

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86,52 

86—90 

29,80g1) 

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14,60. 

1     6j 

6,26. 

13J 

I5-05J 

Zusammen 

20. 

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2364,5 

7 

85,9 

IO^ 

15 

1251,3 

4 

83,5 

2799 

3186,4 

7 

87,8 

Tab.  VI  (Fortsetzung). 


Dozenten  exel .  Mediziner 

Dozenten  der  Medizin 

Aerzte  überhaupt 

Alters- 

Zahl der  Sterbe- 
fälle 

irklichen 
on  der 
gsmäfs. 

Zahl  der  Sterbe- 
fälle 

irklichen 
on  der 
gsmäfs. 

Zahl  der  Sterbe- 
fälle 

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klasse 

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41—45 

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56—60 

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61  —  65 

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29. 301 

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9. 08 

146] 

137.13 

66—70 

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76—80 

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13 

13.54 

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86—90 

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— 

— 

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4.62J 

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71,2 

67 

58,89 

113.8 

10. 

)2 

947.7 

111.0 

1)  Unter  Ausschlufs  derjenigen  Beobachtungen ,  die  seiner  Zeit  über  Abgegangene 
nachträglich  angestellt  wurden,  um  für  die  höchsten  Altersklassen  mehr  Material  zu  ge- 
winnen. 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc.  177 

mit  in  Betracht,  so  ergeben  sich  durchgängig  größere  Unterschiede 
zwischen  Minimal-  und  Maximalsterblichkeit,  worauf  indes  nicht  zu 
viel  Gewicht  gelegt  werden  darf,  da  das  Material  hier  zu  gering  ist, 
um  für  die  jüngeren  Altersklassen  zuverlässige  Resultate  zu  liefern. 

Im  ganzen  genommen  sind  also  die  Sterblichkeitsverhältnisse  ver- 
sicherter Lehrer  recht  günstige,  was  darauf  hinweist,  daß  die  mit  dem 
Lehrberuf  verknüpften  gesundheitlichen  Nachteile  von  den  entgegen- 
stehenden Vorteilen  mehr  als  paralysiert  werden.  Bei  den  Dozenten 
fehlen  jene  überhaupt  ganz  und  es  ist  daher  nur  natürlich,  wenn  die 
Sterblichkeit  eine  sehr  niedrige  ist.  Eine  Ausnahme  bilden  die 
Mediziner,  die  aber  bekanntlich  neben  ihrem  Lehrberuf  praktisch 
thätig  zu  sein  pflegen  und  deren  ganze  Lebensweise  mehr  derjenigen 
der  „Aerzte"  als  ihrer  akademischen  Kollegen  ähnelt.  Ja,  es  ist  so- 
gar nicht  unmöglich,  daß  gerade  diese  doppelte  Thätigkeit  recht  un- 
günstig einwirkt,  indem  sie  zu  besonderen  geistigen  Anstrengungen 
und  Aufregungen  führt  und  es  darf  daher  nicht  wundern ,  wenn  die 
zugehörige  Sterblichkeit  selbst  diejenige  der  praktischen  Aerzte  er- 
reicht, wenn  nicht  übersteigt.  Das  Verhältnis  zwischen  der  Sterb- 
lichkeit der  Aerzte  und  der  medizinischen  Dozenten  tritt  übrigens 
noch  besser  hervor,  wenn  man  die  erstere  als  Norm  ansieht,  es  er- 
giebt  sich  dann  als  rechnungsmäßige  Zahl  der  Sterbefälle  für  die 
medizinischen  Dozenten  65,47  gegenüber  einer  wirklichen  Zahl  von  67, 
was  einem  Verhältnis  von  100 :  102,3  entspricht. 

Ebenso,  wie  seiner  Zeit  die  Beobachtungen  für  Geistliche,  haben 
wir  auch  die  für  Elementarlehrer  nach  „Stadt"  und  „Land"  sowie  nach 
geographischen  Bezirken  zerlegt.  Dem  Lande  wurden  wiederum  die- 
jenigen Personen  zugezählt,  welche  sich  zur  Zeit  der  Aufnahme  in 
Ortschaften  befanden,  die  nach  der  Volkszählung  von  1885  weniger 
als  10  000  Einwohner  hatten,  der  Stadt  alle  übrigen  Personen.  Welche 
Volkszählung  einer  derartigen  Scheidung  zu  Grunde  gelegt  wird, 
ist  ziemlich  irrelevant,  sofern  nur  eine  solche  gewählt  wird,  bei 
der  die  Mehrzahl  der  Personen  unter  Beobachtung  stand ,  denn  die 
zwischen  Land  und  Stadt  zu  ziehende  Grenze  ist  ja  an  sich  eine 
ziemlich  willkürliche;  um  etwaige  Vergleiche  zwischen  den  einschlägigen 
Resultaten  für  Geistliche  und  Lehrer  zu  ermöglichen,  griffen  wir  daher 
auf  jene  Volkszählung  zurück,  obwohl  bereits  eine  neue  zur  Verfügung 
stand.  Personen,  welche  zur  Zeit  der  Aufnahme  Seminaristen  waren, 
wurden  weder  bei  der  Untersuchung  nach  Stadt  und  Land,  noch  bei 
der  nach  geographischen  Bezirken  mit  eingeschlossen,  da  solche  sich 
nur  kurze  Zeit  an  dem  ursprünglichen  Wohnorte   aufzuhalten  pflegen. 

(Siehe  Tabelle  VII  auf  S.   178.) 

Die  Tabelle  bestätigt,  was  oben  hinsichtlich  der  Sterblichkeit 
städtischer  Lehrer  im  Vergleiche  zu  derjenigen  von  Gymnasiallehrern 
gesagt  wurde,  in  der  Altersklasse  21 — 45  beträgt  die  Sterblichkeit 
jener  Gattung,  wenn  sie  nach  derjenigen  der  Landlehrer  bemessen 
wird,  81,4,  die  der  anderen  Gattung  84,1  Proz.,  in  der  Altersklasse 
46 — 60  stellen  sich  die  Prozentsätze  auf  94,0  und  96,5,  in  der  Alters- 
klasse 61 — 90  auf  99,9   und  95,7  Proz.     Die  Unterschiede   sind  also 

Dritte  Folge  Bd.  Vm  (LXm).  1 2 


178 


Joh.   Kamp  und  R.   Gollmer, 


Tab.  VII. 
Sterblichkeit  der  Lehrer  nach  Stadt  und  Land. 


1. 

Elementarlehrer 
Land 

Elementarlehrer 
Stadt 

Gymnasiallehrer 

2. 

3. 

4. 

5. 

6.     |        7. 

8. 

9.  |     10. 

Sterbefälle 

Sterbefälle 

Alters- 
klasse 

o 

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Lebende 
unter  Risiko 

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mäfsi  g 
nach  „Land" 

21—25 

2  555 

16 

0,626 

784 

I 

4,91 

26—30 

7  942,5 

36 

0,453 

3125 

13 

14,16 

4492,5 

25 

20,35 

31—35 

13  794 

82 

0,594 

5241 

24 

3J,13 

8093,5 

29 

48,08 

36—40 

17326,5 

HO 

0,635 

6168 

34 

39,17 

9881 

56 

62.74 

41—45 

18  143 

165 

0,909 

5986,5 

45 

54,42 

978o 

75 

88,90 

21—45 

117 

H3.79 

185 

220,07 

Prozentsatz    der  wirklichen  Zahl 

v 

von  der  rechnungsmäfsigen     .               81,4 

84,1 

46—50 

16599 

198 

1,193 

5078,5 

Si 

60.59 

8524 

IOO      lOI, 69 

51—55 

14  167 

208 

1,468 

4"3 

68 

60, 3  8 

6802 

99 

99,85 

56—60 

II  509 

277 

2,407 

3236 

68 

77,89 

536l 

120 

129,04 

46  —  60 

187 

198,86 

319 

330,68 

Prozentsatz   der  wirklichen  Zahl 

von  der  rechnungsmäfsigen     .               94,0 

96,5 

61  —  65 

8306 

304 

3,660 

2377,5 

98 

87,02 

3996,5 

139 

146,27 

66—70 

5  243,5 

304 

5,798 

1476 

79 

85,58 

2659,5 

155 

154,20 

71—75 

2683 

233 

8,684 

832 

77 

72,25 

1490,5 

127 

129,44 

76—80 

I  IOO,5 

»54 

13,994 

362 

47 

50,66 

670 

78 

93-76 

81—85 

329 

68 

20,669 

112 

17 

23,15 

177 

36      36,58 

86—90 

32 

8 

25,000 

18,5 

5 

4,63 

21 

6  1      5.25 

61—90 

323 

323.29 

541   |565,50 

Prozentsatz   der  wirklichen  Zahl 

v 

von  der  rechnungsmäfsigen     .               99,9 

95,7 

Zusammen 

627 

665,94 

1045  1  1116,15 

Prozentsatz   der  wirklichen  Zahl 

■" 

von  der  rechnungsmäfsigen     .               94,2 

93,6 

nur  gerii 

ag  und  sie  liegen  sämtlich  innerhalb  derje 

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des 

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tädtische 

Elementar- 

lehrer eintreten  können.  Will  man  gleichwohl  weitergehende  Schlüsse 
ziehen,  so  würden  sie  sich  darauf  beschränken  müssen,  daß  der  Beruf 
des  Gymnasiallehrers  in  jüngeren  Jahren  aufreibender  wirkt,  als  der 
der  Elementarlehrer,  daß  aber  im  Alter  ein  umgekehrtes  Verhältnis 
obwaltet. 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc.  179 

Das  Verhältnis  zwischen  der  Sterblichkeit  von  Stadt  und  Land 
stellt  sich  bei  den  Lehrern  wesentlich  anders  als  bei  den  Geistlichen; 
während  die  Stadt  für  diese  eine  kleine  und  bei  dem  geringen  Um- 
fang der  zugehörigen  Beobachtungszahlen  bedeutungslose  Uebersterb- 
lichkeit  aufwies,  zeigt  sie  bei  den  Lehrern  umgekehrt  eine  nicht  un- 
erhebliche Mindersterblichkeit,  nämlich  für  alle  Alter  zusammen  von 
5,8  (100—94,2)  Proz.  Welche  Ursachen  dieses  Ergebnis  bedingt  haben, 
ist  schwer  zu  sagen ;  möglicherweise  hängt  es  aber  doch  damit  zu- 
sammen, daß  der  städtische  Lehrer  im  allgemeinen  besser  situiert  ist 
als  sein  ländlicher  Kollege,  obwohl  bei  versicherten  Leben  innerhalb 
einer  und  derselben  Berufsklasse  die  wirtschaftlichen  Momente  nur  in 
abgeschwächtem  Maße  zur  Geltung  kommen.  Mit  Sicherheit  geht  aber 
sowohl  aus  den  Untersuchungen  für  Geistliche  als  aus  den  gegen- 
wärtigen hervor,  daß  es  ein  großer  Irrtum  ist,  wenn  man,  wie  dies 
vielfach  geschehen  ist,  dem  Aufenthalt  auf  dem  Lande  an  sich  eine 
besonders  günstige  Wirkung  auf  Gesundheit  und  Sterblichkeit  zu- 
schreibt. Wäre  er  auf  den  Sommer  allein  beschränkt,  so  würde  dies 
vielleicht  zutreffen ,  bei  ständigem  Landaufenthalt  aber  paralysieren 
eben  augenscheinlich  die  Unbilden  der  Witterung  in  den  rauheren 
Jahreszeiten  die  guten  Wirkungen  des  Sommers.  Zu  einem  ähnlichen 
Resultate  ist  Westergaard  gelangt,  indem  er  die  Sterblichkeit  dänischer 
Aerzte  nach  Stadt  und  Land  untersuchte,  und  es  unterliegt  wohl  kaum 
noch  einem  Zweifel,  daß  die  starken  Differenzen,  die  sich  in  der  Sterb- 
lichkeit von  städtischer  und  ländlicher  Bevölkerung  zu  gunsten  der 
letzteren  offenbaren  (vergl.  z.  B.  Tabelle  I  in  der  Einleitung),  vielfach 
auf  Berufsunterschiede  zurückzuführen  sind  und  also  bei  einer  detail- 
lierteren Zerlegung  des  Materials  nach  Berufsklassen  mehr  oder  weniger 
verschwinden  würden. 

Eine  Untersuchung  über  die  Sterblichkeit  nach  geographischen 
Bezirken  ist  bei  Geistlichen  wohl  geeignet,  die  Einflüsse  von  Klima 
und  Lebensgewohnheiten  darzulegen,  weil  diese  Berufsklasse  fast  überall 
auskömmlich  situiert  ist  und  auch  überall  nahezu  gleichen  Anforde- 
rungen an  Geist  und  Körper  zu  genügen  hat.  Weniger  trifft  dies  für 
Lehrer  selbst  dann  zu,  wenn  es  sich  nur  um  versicherte  handelt,  deren 
Lebenslage  in  verschiedenen  Bezirken  nicht  sehr  stark  auseinander 
gehen  dürfte,  denn  die  Fürsorge,  die  dem  Volksschulwesen  zugewendet 
wird,  ist  in  verschiedenen  Teilen  Deutschlands  nicht  die  gleiche  und 
je  nach  der  Entwickelung  des  Volksschulwesens  wird  der  Lehrer  mehr 
oder  weniger  überbürdet  sein.  Das  nimmt  natürlich  einer  derartigen 
Untersuchung  nicht  den  Wert,  wohl  aber  bedingt  es,  daß  man  bei  der 
Deutung  der  Ergebnisse  möglichst  vorsichtig  sein  und  alle  einschlägigen 
Verhältnisse  berücksichtigen  muß. 

Die  Einteilung  der  geographischen  Bezirke  stimmt  mit  derjenigen 
überein,  die  bei  den  Geistlichen  Anwendung  fand,  und  wir  begnügen 
uns  deshalb,  hinsichtlich  der  Details  auf  die  betreffende  Arbeit  zu 
verweisen.  Als  rechnungsmäßige  Norm  wurde  die  Sterblichkeit  der 
Elementarlehrer  für  sämtliche  Bezirke  benutzt. 

12* 


180 


Joh.  Karup  und  R.  Gollmer, 


Tab.  VIII. 
Sterblichkeit  der  Elementarlehrer  nach  geographischen  Bezirken. 


1. 

Sämtliche  Gebiete 

Nord 

Süd 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

8. 

9- 

10. 

Steroefälle 

Sterbefälle 

o 

0 

0 

Alters- 
klasse 

JA 

na     Ol 

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21—25 

3  339 

17 

0,509 

443 

3 

2,25 

528,5 

2 

2,69 

26—30 

ii  067,5 

49 

0,443 

1533 

S 

6,79 

1416 

8 

6,27 

31—35 

19035 

106 

0,557 

2889 

16 

16,09 

2497,5 

17 

13,91 

36—40 

23  494.5 

144 

0,613 

3749.5 

29 

22,98 

3324 

20 

20, 38 

41—45 

24  129,5 

210 

0,87  0 

3969 

27 

34.53 

3652,5 

38 

31,78 

46—50 

21  677,5 

249 

1,149 

3638 

50 

41,80 

3490,5 

47 

40.11 

51—55 

18280 

276 

1,510 

3075 

48 

46,43 

3079.5 

45 

46.50 

56—60 

H745 

345 

2,340 

2480 

7i 

58,03 

2606 

66 

60. 9  8 

61—65 

10  683.5 

402 

3.763 

1787 

70 

67.24 

1909,5 

82 

71,85 

66—70 

6  719  5 

3»3 

5,700 

1120,5 

60 

63,87 

1190,5 

80 

67.86 

71  —  75 

3  515 

310 

8.819 

622.5 

47 

54,90 

614 

53 

54.15 

76—80 

1  462,5 

201 

13,744 

269 

37 

36,97 

277 

44 

38,07 

81—85 

441 

»5 

19,274 

88 

15 

16,96 

75 

19 

14.46 

86—90 

50.5 

13 

25,743 

12,5 

2 

3.22 

9 

2 

2.32 

Zusammen 

1 

2790 

480 

472,06 

523 

471,33 

Tab.  VIII  (Fortsetzung). 


1. 

4. 

a  jq 

3  « 
0  — 

Ost 

West 

Centrum 

11. 

12. 

13. 

14. 

15. 

16. 

17. 

18. 

19. 

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Sterbefälle 

Sterbefälle 

Sterbefälle 

Alters- 
klasse 

keits- 
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CD 

21  —  25 

0,509 

887,5 

5 

4,52 

664,5 

2 

3,38 

815,5 

5 

415 

26— 30 

0,443 

3186,5 

18 

14,12 

1920 

9 

8,51 

3012 

9 

1334 

31  —  35 

0.557 

5217,5 

26 

29,06 

3133.5 

21 

17.45 

52975 

26 

29,51 

36—40 

0,6  13 

6412,0 

37 

39,31 

3640 

21 

22,31 

6368,5 

37 

39.04 

41—45 

0,870 

6407,5 

61 

55.75 

355°-5 

35 

30,89 

6550 

49 

56.99 

46—50 

1.149 

5534.5 

67 

63,59 

3042.5 

35 

34,96 

5972 

50 

68,6  2 

51—55 

1,510 

4511.5 

69 

68,12 

2492,5 

35 

37-63 

5121.5 

79 

77.34 

56—60 

2.340 

3608.5 

84 

84,44 

1950,5 

36 

45.64 

4100 

88 

95,94 

61—65 

3,763 

2569 

98 

96.67 

1367.5 

57 

51,46 

305I 

95 

114  81 

66—70 

5,700 

1560.5 

90 

88,95 

838 

49 

47,77 

2010 

104 

I  I4.57 

71—75 

8,819 

773 

73 

68,17 

438 

37 

38,63 

1067,5 

100 

94,1* 

76—80 

13,744 

269 

30 

36,97 

189 

3i 

25,98 

458,5 

59 

63,02 

81—85 

19,274 

76 

M 

14.60 

48 

8 

9,25 

154 

29 

29,68 

86—90 

25,743 

9 

4 

2,32 

8 

— 

2,06 

12 

5 

3,09 

Zusammen 

676 

666,64 

376 

375.92 

735 

804,24 

Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc. 


181 


Tab.  IX.     Zusammenstellungen. 


Altersklasse 
21—50                                    51—90 

Sämtliche  Alter 

Bezirk 

Zahl  der 
Sterbefälle 

Prozent- 
satz der 

wirklichen 
von  der 

rechnungs- 

mäfsigen 

Zahl 

Zahl  der 
Sterbefälle 

Prozent- 
satz der 

wirklichen 
von  der 

rechnungs- 

mäfsigen 

Zahl 

Zahl  der 
Sterbefälle 

Prozent- 
satz der 

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Es 

von  der 

rechnungs- 

mäfsigen 

Zahl 

Nord 

Süd 

Ost 

West 

Centrum 

130 

»32 
214 

123 
176 

124,44 
115,14 
206,35 
117.50 

211,65 

104,5     ,   350 
1146     '  391 
103.7       462 
104,4       253 
83,2        559 

347,ö2 
356,19 
460,29 
258,42 
592,59 

100,7 

109.8 

100,4 

97,9 

94,3 

480 

523 
676 

376 

735 

472,06        101,7 

471.33     111.0 

666,64        101,4 
375.92        100,0 
804,24         91,4 

Sämtliche 
Gebiete 

775 

775.08 

100 

2015 

2015,11 

100 

2790 

2790,19 

100 

Das  Minimum,  welches  —  alle  Alter  zusammengefaßt  —  bei  den 
Geistlichen  in  dem  Bezirke  „Nord"  (mit  89,3  Proz.)  lag,  hat  sich  hier  auf 
das  „Centrum"  (91,4  Proz.  nach  der  letzten  Kol.  der  Tab.  IX)  verschoben, 
im  übrigen  stimmen  die  beiderseitigen  Ergebnisse  insoweit  überein, 
als  sowohl  hier  wie  dort  das  Maximum  auf  den  „Süden"  entfällt 
(bei  den  Geistlichen  mit  107,5,  bei  den  Lehrern  mit  111,0  Proz.). 
Nun  sind  die  Schulverhältnisse  im  „Süden"  aber  im  allgemeinen  nicht 
schlechter  als  in  den  unter  „Nord"  zusammengefaßten  Distrikten  oder 
gar  im  „Osten",  wo  zum  Teil  recht  mißliche  Schulverhältnisse  ob- 
walten, und  man  muß  deshalb  wohl  annehmen,  daß  die  bei  Geistlichen 
und  Lehrern  gleichmäßig  konstatierte  höhere  Sterblichkeit  des  Südens 
durch  Klima  und  Lebensgewohnheiten  veranlaßt  wird.  Am  besten  ist 
das  elementare  Schulwesen  in  Brandenburg,  Provinz  Sachsen,  König- 
reich Sachsen  und  den  thüringischen  Staaten  organisiert,  womit  die 
günstige  Sterblichkeit  des  Centrums  zusammenhängen  mag,  das  gerade 
aus  den  drei  letzten  Gebieten  besteht. 

Die  Untersterblichkeit  des  „Centrums"  und  die  Uebersterblich- 
keit  des  „Südens"  setzt  sich  auch  innerhalb  der  zwei  in  Tab.  IX  ge- 
bildeten Altersklassen  fort,  worin  eine  Gewähr  dafür  liegt,  daß  wir 
es  nicht  mit  zufälligen  Ergebnissen  zu  thun  haben.  Indes  wird  dies 
auch  schon  durch  den  Umfang  der  Beobachtungszahlen  verbürgt,  die 
—  für  alle  Alter  zusammen  —  weit  geringere  Schwankungen  erwarten 
lassen,  als  die  hier  zwischen  Ceutrum  und  Süd  konstatierten  Unter- 
schiede. Bei  den  Geistlichen  betrug  die  Differenz  zwischen  der  Sterb- 
lichkeit von  Nord  und  Süd  20,4  Proz.,  zwischen  Centrum  und  Süd 
bei  den  Lehrern  ist  die  Differenz  noch  etwas  größer,  nämlich  21,4  Proz. 


182 


Joh.  Kamp  und  R.  Gollmer. 


II.   Kapitel. 

Vergleiche  mit  anderen  Erfahrungen. 

Ueber  die  Sterblichkeit  nach  Beruf,  wie  sie  sich  nicht  unter  Ver- 
sicherten allein,  sondern  im  allgemeinen  gestaltet,  liegen  für  Deutsch- 
land nur  spärliche  Aufschlüsse  vor;  was  bisher  veröffentlicht  wurde, 
beschränkt  sich  auf  die  bekannten  Behm-Zimmermann'schen  Unter- 
suchungen über  Eisenbahnbeamte,  sowie  die  neuerdings  erschienenen 
Arbeiten  über  sächsische  Aerzte  und  sächsische  Bergleute1).  Unter 
diesen  Umständen  wird  es  Interesse  beanspruchen  dürfen,  wenn  wir 
in  dem  Nachstehenden  einige  weitere  allgemeine  Erfahrungen  mit- 
teilen, die  vorzugsweise  über  die  von  uns  bisher  untersuchten  Berufs- 
klassen Licht  verbreiten.  Allerdings  entstammt  das  Material  einem 
eng  begrenzten  Gebiete,  nämlich  dem  Herzogtum  Gotha,  und  ist  auch 
an  sich  nicht  gerade  umfangreich,  aber  dafür  hat  es  den  Vorzug, 
recht  exakt  zu  sein  und  sich  über  einen  weiten  Zeitraum,  nämlich 
40  Jahre  zu  erstrecken,  in  dem  sich  periodische  Schwankungen  sicher 
ausgeglichen  haben.  Auch  sind  in  demselben  alle  Personen  enthalten, 
welche  innerhalb  jenes  geographischen  Bezirkes  und  jener  40  Jahre 
den  betreffenden  Berufsklassen  aktiv  oder  im  Ruhestande  angehörten, 
so  daß  die  Resultate  in  der  That  mittlere  Sterblichkeitsverhältnisse 
der  letzteren  wiedergeben.  Die  Quelle  aber,  aus  welcher  die  Daten 
geschöpft  wurden,  ist  die  seit  1791  bestehende  Gothaer  Staatsdiener- 
Witwensocietät,  der  alle  Staats-  und  Hofbeamte,  sowie  gewisse  Kate- 
gorien von  Kommunalbeamten  zwangsweise  angehören  und  deren  ge- 
samte Sterblichkeitsverhältnisse  in  der  Periode  1850 — 89  gelegentlich 
einer  Prüfung  der  Finanzlage  des  Instituts  von  dem  einen  Verfasser 
dieser  Arbeit  untersucht  worden  sind 2).  Die  Aussonderung  gewisser 
Berufsklassen  war  nicht  ursprünglich  geplant,  sondern  ist  erst  nach- 
träglich zum  Zwecke  der  gegenwärtigen  Veröffentlichung  erfolgt;  er- 
möglicht wurde  erstere  dadurch,  daß  das  für  die  allgemeine  Unter- 
suchung benutzte  Kartenmaterial  noch  völlig  intakt  vorlag,  und  daß 
auf  jeder  Karte  der  Beruf  oder  Titel  der  zugehörigen  Person  ange- 
geben war.  Für  verschiedene  Mitglieder  war  freilich  die  Berufs- 
bezeichnung ziemlich  unbestimmt,  nicht  aber  für  die  Lehrer  und  Geist- 
lichen, über  die  überhaupt  bei  der  Societät  besondere  Register  ge- 
führt werden,  sowie  für  die  des  Vergleiches  halber  hier  ebenfalls  be- 
rücksichtigten Forstleute. 


1)  Dr.  med.  Arthur  Geifsler ,  Die  Sterblichkeit  und  Lebensdauer  der  sächsischen 
Aerzte,  Leipzig,  Georg  Thieme,  1887,  und  G.  Wächter,  Die  Sterblichkeits-  und  Invaliditäts- 
verhältnisse  im  sächsischen  Bergmannsstande,  Zeitschrift  des  Kgl.  Sachs.  Stat.  Bureaus, 
1893. 

2)  Aulser  den  Sterblichkeitsverhältnissen  der  Mitglieder  wurden  auch  die  Heirats-, 
Pensions-  und  Abgangsverhältnisse  der  letzteren  sowie  die  Sterblichkeits-  und  Heirats- 
verhältnisse der  Witwen  untersucht.  Die  erlangten  Resultate  sowie  eine  Reihe  aus  ihnen 
abgeleiteter  Dekrementen-  und  technischer  Abschätzungstafeln  sind  in  dem  ausführ- 
lichen Bericht :  Karup ,  Die  Finanzlage  der  Gothaischen  Wittwen-Societät ,  Dresden, 
Heinr.  Morchel,  1893,  enthalten. 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc. 


183 


Tab.  X. 

Sterblichkeit  verschiedener  Berufsklassen  im  Herzogtum  Gotha  1850 — 89. 

(Als  rechnungsmäßige  Norm  ist  die  allgemeine  Sterblichkeit  der  Gothaer 

Witwen-Societät  benutzt.) 


1. 

2. 

Geistliche 

Gymnasiallehrer 

Elementarlehrer 

intsat 
ts-Mit 
einen 

3. 

4.     |       5. 

6. 

7.           8. 

9. 

10.     1    11. 

Alters- 

«a a  . 

2     «»     ? 

Sterbefälle 

Sterbefälle 

Sterbefälle 

klasse 

Q,   ü  — 

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0,66 

265 

I 

1,75 

114 



0,75 

1993,5 

IO 

13,16 

30—39 

0,64 

794 

4 

5,08 

337,5 

I 

2,16 

32OO 

19 

20,4  8 

40—49 

1,17     1 

«97 

10 

IO,49 

292,5 

2 

3,42 

2664 

24 

31,17 

50—59 

2,26 

1121 

11 

25,33 

192,5 

4 

4,35 

2063,5 

47 

46,64 

60—69 

4,39 

1085 

40 

47,63 

175 

7 

7,68 

1362,5 

68 

59-81 

70—79 

IO,01 

613 

72 

6l, 36 

67 

11 

6,71 

627,5 

68 

62,81 

80—89 

19,05 

80 

20 

I5>24 

7 

3 

1,33 

I04 

25 

19,81 

90—96 

3°>77 

1 

1 

0,31 

— 

— 

— 

5 

1 

1,54 

159 

167,19 

28     |  26,40 

262 

255,42 

Die     wirklic 

he     Ster 

jlichkeit 

beträgt  v< 

>n  der  rec 

hnungs- 

mäfsigen 

.      95, 

1% 

106 

,1% 

102,6  0/0 

Tab. 

X  (Fortsetzung). 

1. 

Forstleute    exkl. 
warte 

Wald- 

Waldwarte 

Uebrige    Beamte 

12. 

13. 

14. 

15. 

16.            17. 

18. 

19.          20. 

Sterbefälle 

Sterbefälle 

Sterbefälle 

klasse 

0 

■     60 

u 
o 

M 

•  60 

0 

J3 

•      60 

fl 

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15—29 

141,5 



0,93 

80,5 



0,53 

1825,5 

18 

12,05 

30—39 

791 

4 

5,06 

375 

5 

2,40 

5989 

40 

38,33 

40—49 

873,5 

IO 

IO,22 

385,5 

5 

4,51 

7095 

92 

83,01 

50—59 

747,5 

15 

16, 89 

397,5 

7 

8,98 

6614 

168 

149,48 

60—69 

572 

19 

25,H 

317 

11 

13,92 

4834,5 

221 

212,23 

70—79 

264 

21 

26,43 

123,5 

7 

12,36 

2540,5 

245 

254,30 

80—89 

47 

9 

8,95 

IO 

1 

1,91 

492 

83 

93,73 

90—96 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

33 

IO 

IO,15 

78 

93,59 

36 

44,61 

877          853,28 

Die  wirkliche  Sterblich- 

keit beträgt  von  der 

rechnun£ 

jsmäfsige 

u  .    83,3 

% 

80, 

7  0/o 

102 

,80/0 

Ig4  Joh.   Rarup  und  R.  Gollmer, 

Die  Kategorie  „Uebrige  Beamte"  ist  nur  hinzugefügt,  um  das 
Bild  zu  vervollständigen,  sie  umfaßt  natürlich  sehr  heterogene  Elemente, 
wie  Juristen,  Büreaubeamte,  Diener,  Gendarmen  u.  dergl.  Die  günstigste 
Sterblichkeit  weisen  merkwürdigerweise  die  Forstleute  auf  und  zwar 
nicht  die  besser  situierten,  die  Forstbeamten  im  engeren  Sinne,  son- 
dern gerade  das  Personal  der  untersten  Gehaltsstufe,  die  Waldwarte, 
was  aber  bei  dem  geringem  Umfang  der  auf  diese  treffenden  Beob- 
achtungen auch  zufällig  sein  kann.  Faßt  man  die  Forstleute  zusammen, 
so  erhält  man  als  wirkliche  Sterbefallzahl  114,  als  rechnungsmäßige 
138,20,  als  relative  Sterblichkeit  also  82,5  oder  17,5  Proz.  unter  dem 
Mittel.  Auf  die  Forstleute  folgen  die  Geistlichen  mit  95,1,  dann  die 
Elementarlehrer  mit  102,6  Proz.  und  schließlich  die  Gymnasiallehrer 
mit  106,1  Proz.  Die  Zahl  der  Sterbefälle  unter  diesen  beträgt  aber 
nur  28,  und  es  dürfte  nur  zufällig  sein,  wenn  die  Gymnasiallehrer 
hinter  den  Elementarlehrern  rangieren.  Die  Lehrer  im  Herzogtum 
Gotha  gehören  demnach  nicht  zu  den  hinsichtlich  der  Sterblichkeit  be- 
sonders bevorzugten  Berufsklassen,  allein  immerhin  ist  ihre  Sterblich- 
keit eine  günstige,  da  sie  (für  Elementar-  und  Gymnasialfach  zu- 
sammen) die  allgemeine  Witwenkassen-Sterblichkeit  nur  um  2,9  Proz. 
übersteigt  und  letztere  ziemlich  nahe  mit  derjenigen  korrespondiert, 
die  unter  den  männlichen  Versicherten  der  Gothaer  Bank  beobachtet 
worden  ist,  wie  aus  Tab.  I  in  der  Einleitung  hervorgeht. 

In  der  folgenden  Uebersicht  sind  die  Sterblichkeitsverhältnisse 
der  Lehrer  und  Geistlichen  des  Herzogtums  Gotha  noch  einmal  unter- 
sucht und  zwar  in  ihrem  Verhältnis  zu  den  für  versicherte  Leben  in 
denselben  Berufsklassen  erlangten  Resultaten.  Bei  den  Ver- 
sicherten sind  die  fünf  ersten  Mitgliedsjahre ,  in  denen  sich  der  Ein- 
fluß der  ärztlichen  Auswahl  vorzugsweise  geltend  macht,  insoweit  er 
nicht  ein  dauernder  ist,  außer  acht  gelassen. 

(Siehe  Tabelle  XI  auf  S.  185.) 

Die  Tabelle  läßt  erkennen,  daß  die  gesamte  Geistlichkeit  des 
Herzogtums  fast  genau  derselben  Sterblichkeit  unterworfen  gewesen 
ist,  wie  die  bei  der  Gothaer  Bank  versicherten  Geistlichen  für 
,,6.  Versicher.-Jahr  und  aufwärts"  (Verhältnis  wie  103,7:  100),  und 
man  hat  hier  somit  einen  direkten  Beleg  für  die  in  der  Einleitung 
geäußerten  Ansichten  über  den  Einfluß  der  ärztlichen  Auswahl  und 
die  ökonomische  Lage  jener  Berufsklasse.  Für  die  Lehrer  im  allge- 
meinen ist  eine  Uebersterblichkeit  von  13,8  Proz.  vorhanden,  die  kon- 
sequenter Weise  zum  mindestens  größeren  Teile  der  schlechteren  wirt- 
schaftlichen Lage  der  Gesamtheit  der  Volksschullehrer  gegenüber  den 
versicherten  Kollegen  zugeschrieben  werden  muß.  Nun  ist  aber  die 
wirtschaftliche  Lage  der  Volksschullehrer  des  Herzogtums  verhältnis- 
mäßig eine  gute,  da  Gotha  zu  denjenigen  Staaten  gehört,  die  zuerst 
dem  elementaren  Schulwesen  größere  Fürsorge  widmeten  und  seinen 
Trägern  eine  würdige  Existenz  einräumten,  und  es  unterliegt  daher 
kaum  einem  Zweifel,  daß  eine  entsprechende  Vergleichung  für  andere 
deutsche  Bezirke  zumeist   weit  stärkere  Differenzen  aufdecken  würde. 

Die   gegebene  Uebersicht  über  Sterblichkeit  im  allgemeinen   und 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc. 


185 


Tab.  XI. 

Vergleiche  zwischen  der  Sterblichkeit   im  allgemeinen    und  derjenigen 
von  Versicherten  innerhalb  einzelner  Berufsklassen. 


Geistliche 

Elementarlehrer 

Alter 

eit  in  Proz. 
tlichen  nach 
kerfahrung ; 
ihr  und  auf- 
ärts 

ehe    Zahl 
befalle  im 
um   Gotha 
0-89 

gc  rech- 
m  ä  f  s  i  g  e 
-  Sterbefälle 
er  Bank- 
hrung 

eit  in  Proz. 

entarlehrern 
Bankerfah- 
Vers.-Jabr 

mfwärts 

che    Zahl 
befalle,  im 
um  Gotha 
0—89 

ge  rech- 
mäf  s  i  ge 
•  Sterbefälle 
er  Bank- 
hrung 

lichk 
Geis 
Ban 

rs.-J 
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185 

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Sterblichk 
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nach    der 
rung;     6. 
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185 

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21—25 

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41 

4,13, 

26—30 

0,34*) 

V 

1.06, 

O,40 

7 

6,13 

31—35 

0,72 

2:36  9-36 

0,64 

n>  47 

10,56*.  43,13 

36—40 

0.59 

0,64 

11 

9,67 

41—45 

0,7  2 

3,09J 

0,93 

14J 

12,64' 

46—50 

0.83 

6, 

4,02. 

8,23l     r 
I3:34    45>36 

19,77' 

1,17 

4l 

27  94 
35' 

14,65. 

28,03' 

51  —  55 
56—60 

1.48 
2,28 

l}:« 

1,56 
2,39 

61—65 

3.40 

a4l 

3-79 

66—70 

6,03 

20\ 

28.82\ 

5.68 

33\ 

3I,69i 

71—75 

8,74 

37 

32,43 

8,82 

45 

33,43 

76—80 

13,79 

30>io6 

23,58)98,65 

13,74 

27)120 

24,11  >I05, 23 

81—85 

21,46 

16 

11,37 

19,27 

12 

12,91 

86—90 

30. 61 

3* 

2,4öi 

25,74 

3^ 

3,09' 

Zus. 

»59 

153,37 

261 

229,37 

Prozente 

Verhältnis  der 

wirklichen 

Zahl 

der    Sterbefäi 

le    zu     der 

rechn 

ingsmäfsigen 

103,7 

113,8 

Sterblichkeit  versicherter  Leben  läßt  sich  noch  insofern  ergänzen,  als 
wir  den  Erfahrungen  über  die  Aerztesterblichkeit  der  Gothaer  Bank 
die  oben  erwähnten  sächsischen  Beobachtungen ,  die  erst  nach  der 
Veröffentlichung  unserer,  im  Jahre  1886  in  diesen  Jahrbüchern  ab- 
gedruckten Arbeit  bekannt  wurden,  gegenüberstellen  können.  Geißler 
hat  seine  mit  Fleiß  und  Sachkenntnis  durchgeführte  Untersuchung 
auf  alle  Aerzte  ausgedehnt,  die  von  1866  bis  1886  in  Sachsen  domizi- 
lierten, dabei  aber  auch  die  Wundärzte  eingeschlossen,  was  den  Ver- 
gleich mit  unseren  Zahlen ,  in  denen  nur  approbierte  Aerzte  berück- 
sichtigt sind,  einigermaßen  beeinträchtigt.  Bei  der  Bearbeitung  des 
Materials  ist  Geißler  insofern  ungewöhnlich  zu  Werke  gegangen,  als 
er  die  versicherungstechnische  Methode  der  Sterblichkeitsmessung, 
wonach  die  Lebenden  zu  Anfang  eines  Beobachtungs-  (hier  Kalender-) 
Jahres  mit  den  im  Laufe  desselben  eintretenden  Sterbefällen  ver- 
glichen und  Zugänge  oder  Abgänge  bei  Lebzeiten  innerhalb  des  Beob- 


*)  Ausnahmsweise  für  sämtliche   Versicherungsjahre. 


186 


Joh.  Karup  und  R.  Gollmer, 


achtungsjahres  durch  eine  entsprechende  Korrektion  jener  Lebenden  be- 
rücksichtigt werden,  adoptiert,  dabei  aber  alle  Personen  als  gleichalterig 
behandelt  hat,  die  einem  gleichen  Geburtsjahr  angehörten,  während 
man  sonst  diejenigen  als  gleichalterig  ansieht,  deren  Alter  zu  Anfang 
der  einzelnen  Beobachtungsjahre  bis  zu  ±  1/2  von  einem  vollen  Lebens- 
jahre abweicht.  Eine  solche  ungewöhnliche  Behandlung  ist  natürlich 
gestattet,  aber  sie  führt  dazu,  daß  die  Endresultate  sich  nicht  auf 
abgerundete  oder  durchschnittlich  eben  vollendete  Lebensjahre  beziehen, 
sondern  auf  halb  zurückgelegte,  und  wir  haben  deshalb,  um  die  Geißler- 
schen  Resultate  verwenden  zu  können,  aus  den  für  successive  Lebens- 
jahre gegebenen  Beobachtungszahlen  erst  Mittel  bilden  müssen,  wo- 
durch eine  annährend  zutreffende  Reduktion  auf  volle  Lebensjahre  er- 
reicht wurde ,  aber  auch  Brüche  in  den  Zahlen  der  Sterbefälle  ent- 
standen sind. 

Tab.  XII. 

Vergleiche    zwischen    der  Sterblichkeit   der   sächsischen    Aerzte    und 
derjenigen  von  versicherten  Aerzten. 


1. 

2. 
Sterblichkeitsprozent- 

3. 

4. 

5. 
Nach    der    Bank- 

Alters- 

satz   für  Aerzte  nach 

Es    standen    säch- 

Es gingen  aus 

erfahrung  waren 

klasse 

der  Bankerfahrung, 

sische  Aerzte  unter 

denselben    Sterbe- 

dagegen Sterbe- 

6.  Vers.- Jahr  und 

Beobachtung 

fälle  hervor 

fälle    zu   erwarten 

aufwärts 

2.X  3. 

26—30 

0,93 

2386,25 

27.5, 

22,19. 

31—35 
36—40 

0,59 
r,38 

2641,25 
2504,75 

£}•*■■ 

*5'58llOI,66 
34,57  [ 

41—45 

1,31 

2238 

36    J 

29,32' 

46—50 

1,3» 

2136,75 

41, 5v 

29,70. 

51—55 
56—60 

2,54 
3,07 

2219 
2057,25 

?s>°* 

63.16J     3 

61—65 

4,43 

1719,50 

105,5' 

76,17' 

66—70 

7,03 

1300,25 

IOI     > 

91,41. 

71—75 
76—80 

9,68 
13.49 

756,50 
389.50 

11  u. 

IV23  248,06 

52,54|    * 

81—90 

l6,47 

187,50 

43-V 

30,88' 

Zusammen 

682 

575,ii 

Prozentsatz    der    wirklichen  Zahl    der  Sterbefälle    von    der   rechnungs- 

mäfsigen 118,6 

Da  die  ökonomische  Lage  der  Aerzte  zumeist  eine  bessere  ist,  so 
könnte  man  leicht  versucht  sein,  zum  mindesten  hier  an  einen  stärkeren 
Einfluß  der  ärztlichen  Auslese  bei  den  versicherten  Leben  zu  denken; 
allein  gerade  in  Sachsen,  wo  eine  zahlreiche  Fabrikbevölkerung  vor- 
handen ist,  dürfte  ein  erheblicher  Teil  der  Aerzte  relativ  schlecht 
situiert  sein,  und  man  ist  deshalb  auch  diesmal  berechtigt,  die  kon- 
statierten Sterblichkeitsunterschiede  auf  wirtschaftliche  Ursachen  zurück- 
zuführen, soweit  sie   nicht  rein   örtlichen  Faktoren,  wie  Klima   und 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der   Lehrer  etc.  187 

Lebensweise,  oder  dem  Umstände  zuzuschreiben  sind,  daß  die  säch- 
sischen Beobachtungen  Wundärzte  mit  einschließen.  Daß  in  der  That 
die  sächsischen  Ergebnisse  etwas  abnormer  Natur  sein  müssen  und 
nicht  die  allgemeine  Sterblichkeit  der  deutschen  Aerzte  repräsentieren, 
geht  auch  schon  daraus  hervor,  daß  Westergaard  auf  Grund  eines 
allerdings  beschränkten  Materials  für  die  dänischen  und  norwegischen 
Aerzte  weit  günstigere  erlangt  hat,  die  selbst  diejenigen  der  Gothaer 
Bank  für  „6  und  aufwärts"  hinter  sich  lassen. 

lieber  die  Sterblichkeit  der  Lehrer  im  Auslande  liegen  nur  sehr 
geringfügige  Beobachtungen  vor,  wenn  wir  von  denjenigen  absehen, 
die  uns  der  bekannte  Statistiker  Farr  und  sein  befähigter  Nachfolger, 
Dr.  Ogle,  aus  der  englischen  Bevölkerungsstatistik  geliefert  hat.  In 
seinem  bekannten  Handbuche:  „Die  Lehre  von  der  Mortalität  und 
Morbilität  (Jena,  Gustav  Fischer,  1882)  teilt  Westergaard  einige 
Zahlen  mit,  die  sich  auf  Mitglieder  der  norwegischen  Witwenkasse 
beziehen ;  es  starben  nach  diesen  in  dem  Zeitraum  1846 — 72  im  ganzen 
31  Mitglieder,  die  dem  Lehrfach  angehörten,  während  nach  dem  all- 
gemeinen Durchschnitt  bei  gehöriger  Berücksichtigung  der  Altersbe- 
setzung 42,4  Sterbefälle  zu  erwarten  gewesen  wären.  Das  Resultat 
ist,  wenn  man  dasselbe  nicht  als  ein  zufälliges  ansehen  will,  recht 
günstig,  zumal  die  allgemeine  Sterblichkeit  der  norwegischen  Witwen- 
kasse eine  niedrige  ist;  indes  darf  nicht  außer  acht  gelassen  werden, 
daß  die  letztere  auch  dem  Publikum  unter  ähnlichen  Bedingungen 
wie  die  dänische  Lebensversicherungsanstalt  geöffnet  ist ,  und  daß 
die  Mitglieder,  die  dem  Lehrfach  angehören,  jedenfalls  freiwillige 
und  deshalb  besser  situierte  sind,  weil  sich  sonst  der  geringe 
Umfang  der  Beobachtungszahlen  nicht  erklären  läßt.  Nach  einer  von 
Rubin  und  Westergaard  gemeinsam  verfaßten  Schrift  über  die  Sterb- 
lichkeit der  Landbevölkerung  von  Fünen  nach  Berufsklassen  gelangt 
man  fernerhin  zu  dem  Resultat,  duß  innerhalb  der  Periode  1876 — 83 
und  in  dem  betreffenden  Bezirke  51  ländliche  (aktive  und  pensionierte) 
Elementarlehrer  starben,  während  die  allgemeine  Durchschnittssterb- 
lichkeit 52,40  Sterbefälle  erwarten  ließ  x).  Da  die  letztere  eine  sehr 
niedrige  ist  —  sie  bleibt  sogar  hinter  der  an  sich  niedrigen  der  all- 
gemeinen dänischen  Landbevölkerung,  die  in  der  Einleitung,  Tab.  I  mit- 
geteilt ist,  zurück  —  so  würde  hieraus  folgen,  daß  auch  die  Lehrer- 
sterblichkeit in  Dänemark  keine  ungünstige  sein  kann. 

Die  englischen  Beobachtungen  lassen  sich  nur  richtig  deuten,  wenn 
man  die  Wandlungen  kennt,  die  das  Volksschulwesen  in  England  wäh- 
rend des  laufenden  Jahrhunderts  durchgemacht  hat.  Bis  zum  Anfang 
der  30er  Jahre  kümmerte  sich  der  Staat  weder  um  die  Lehrziele  der 
Schulen,  noch  darum,  ob  die  Ausbildung  der  Lehrer  eine  genügende  war. 
Zum  Teil  hatten  die  Schulen  ihre  Stützen  in  gemeinnützigen  Gesellschaf- 


1)  In  der  „Landbefolkningens  Dödelighed  i  Fyens  Stift,  Kjöbenhavn,  1886"  be- 
titelten Schrift  hat  eine  genaue  Scheidung  nach  Beruf  und  Geschlecht  stattgefunden,  wobei 
aber  unselbständige  Personen  dem  Beruf  des  Familienhauptes  zugezählt  wurden.  Um 
den  Vergleich  auf  die  männlichen  Träger  des  Berufes  einzuschränken,  sind  bei  der  obigen 
Berechnung  deshalb  nur  die  Altersklassen  von  25  Jahren  aufwärts  berücksichtigt. 


188  Joh.   Karup  und  R.   Gollmer, 

ten  und  trugen  einen  konfessionslosen  Charakter.  Daneben  bestanden 
auch  solche,  die  von  einzelnen  Privaten  geleitet  wurden  und  sogar 
derjenigen  Kontrolle  entbehrten,  die  eine  selbst  beschränkte  Oeffent- 
lichkeit  ausübt.  1811  schlössen  sich  die  Vorstände  und  Anhänger  der 
konfessionslosen,  sogenannten  Lancaster'schen  Schulen  behufs  gemein- 
sanier Organisation  zu  der  „Britischen  Schulgesellschaft"  zusammen, 
der  die  Staatskirche  noch  in  demselben  Jahre  eine  ähnliche  Vereini- 
gung in  der  „Nationalgesellschaft"  gegenüberstellte.  Wesleyaner,  In- 
dependenten  und  Katholiken  folgten  dem  Beispiel,  so  daß  allmählich 
eine  größere  Anzahl  von  Schulverbänden  mit  einheitlicher  Organisation 
entstanden.  Das  Niveau  des  Wissens  war  aber  fast  nirgends  ein  hohes, 
besonders  nicht  in  den  privaten  Schulen,  wie  schon  daraus  hervorgeht, 
daß  im  Jahre  1851  708  Lehrer  und  Lehrerinnen  an  Privat-  und  35 
an  öffentlichen  Schulen  weder  lesen,  noch  schreiben  konnten !  Eine 
Wandlung  zum  Besseren  trat  ein,  als  das  Parlament  im  Jahre  1833 
und  von  da  ab  alljährlich  Subventionen  bewilligte,  die  zunächst  den 
großen  Schulgesellschaften,  von  1839  ab  aber  nur  solchen  Schulen  zu- 
flössen, die  sich  staatlicher  Beaufsichtigung  unterwarfen.  Die  Sub- 
ventionen, die  im  ersten  Jahre  400000  Mark  betrugen,  stiegen  fort- 
während und  bezifferten  sich  1860  bereits  auf  16  Millionen;  entsprechend 
wuchs  auch  die  Zahl  der  beaufsichtigten  Schulen  und  erhöhten  sich 
die  Anforderungen,  welche  der  Staat  hinsichtlich  der  Lehrpläne  und 
der  Entwickelung  der  Schulen  stellte.  Entscheidend  war  aber  erst  die 
am  9.  April  1870  erlassene  „Elementar-Erziehungsakte".  Durch  letz- 
tere wurde  den  Gemeinden  die  Verpflichtung  auferlegt,  überall  da 
Schulen  zu  errichten,  wo  die  vorhandenen  öffentlichen  (subventionierten) 
oder  privaten  Schulen  nicht  ausreichen,  um  eine  allgemeine  Volksbil- 
dung zu  ermöglichen ;  sodann  wurde  die  staatliche  Aufsicht  selbst 
durch  Einsetzung  zahlreicher  neuer  Inspektoren  vervollkommnet  und 
auf  die  Seminare  ausgedehnt,  so  daß  eine  genügende  und  zweckent- 
sprechende Ausbildung  der  Lehrkräfte  gesichert  erscheint.  Die  wohl- 
thätigen  Folgen  dieses  Gesetzes  sind  nicht  ausgeblieben;  die  Mehr- 
zahl der  privaten  und  konfessionell  geleiteten  Schulen  gehören  jetzt 
auch  zu  den  subventionierten ;  zahlreiche  Gemeindeschulen  sind  ent- 
standen, das  Lehrziel  ist  überall  erweitert,  wenn  es  auch  zumeist 
noch  unter  demjenigen  der  städtischen  deutschen  Schulen  liegt  — 
ebenso  ist  der  Schulbesuch  trotz  fehlenden  Schulzwangs  ein  reger  ge- 
worden, indem  im  Jahre  1889  von  5803000  dem  Schulalter  ange- 
hörenden Kindern  4  779  903  am  Unterricht  teilnahmen.  Demgemäß 
hat  sich  natürlich  auch  die  Stellung  des  Elementarlehrers  gehoben. 
Während  in  den  Zeiten  des  völlig  privaten  Schulwesens  elende  Ge- 
halte gezahlt  wurden,  weil  eine  bessere  Vorbildung  gar  nicht  nötig 
erschien  und  der  Andrang  solcher  Elemente,  die  in  anderen  Berufs- 
arten Schiffbruch  gelitten,  ein  enormer  war,  stellt  sich  das  Gehalt  des 
seminaristisch  gebildeten  Lehrers  nach  deutschen  Begriffen  nunmehr 
sehr  hoch,  nämlich  auf  2000—5000  Mark  jährlich.  Dafür  werden 
freilich  auch  ziemlich  weitgehende  Anforderungen  an  seine  Arbeits- 
kraft gestellt;   er  hat  eine  ausgedehnte  Lehrthätigkeit  auszuüben,  da- 


Die  Mortalitätsverhältnisse    der  Lehrer  etc.  189 

neben  —  sofern  er  an  einer  subventionierten  Schule  angestellt  ist  — 
Eleven  für  das  Seminar  auszubilden  und  überdies  Register  über  die 
Leistungen  der  letzteren  und  aller  übrigen  Schüler  zu  führen  1). 

Die  eben  geschilderten  Verhältnisse  erklären  es  vollkommen,  wenn 
die  Lehrersterblichkeit  in  England  noch  in  der  zweiten  Hälfte  dieses 
Jahrhunderts  große  Veränderungen  aufzuweisen  hat.  Die  erste  Sterb- 
lichkeitsermittelung nach  Altersklassen,  bei  welcher  der  Lehrberuf  be- 
rücksichtigt wurde,  fand  für  die  Jahre  1860,  61  und  71  statt,  die  als 
kontinuierlicher  Zeitraum  behandelt  wurden,  um  periodische  Schwan- 
kungen einigermaßen  auszugleichen,  die  zweite  für  die  Jahre  1880, 
81  und  82  ■).  Obwohl  die  mittleren  Beobachtungstermine  der  beiden 
Perioden  um  nur  17  Jahre  auseinanderliegen,  veränderte  sich,  wie  aus 
der  nachfolgenden  Tabelle  XIII  hervorgeht,  die  Sterblichkeit  in  der 
Altersklasse  25 — 45,  die  natürlich  vorzugsweise  von  den  organisato- 
rischen Wandlungen  berührt  wurde,  von  0,98  in  der  ersten  auf  0,64  Proz. 
in  der  zweiten  Periode,  was  einer  Reduktion  um  35  Proz.  entspricht. 
Ebenso,  wenn  auch  in  geringerem  Maße,  traten  Reduktionen  in  den 
höheren  Altersklassen  auf.  Zum  Verständnis  der  Tabelle,  muß  vor- 
ausgeschickt werden,  daß  die  in  den  Rubriken  „durchlebte  Beobach- 
tungsjahre" aufgeführten  Zahlen  nicht  „Lebende  unter  Risiko"  in  dem 
bisher  gebrauchten  Sinne  sind,  sondern  Summen  aus  den  Zeitlängen, 
die  von  den  zur  Beobachtung  gekommenen  Personen  innerhalb  der 
betreffenden  Altersklasse  und  Zeitperiode  durchlebt  wurden,  und  daß 
demzufolge  auch  die  hier  abgeleiteten  Sterblichkeitsprozentsätze  nicht 
ganz  dieselbe  Bedeutung  haben,  wie  die  bisher  berechneten,  die  als 
prozentuale  Sterbenswahrscheinlichkeiten  für  ein  Jahr  oder  eventuell 
größere  Zeiträume  zu  definieren  sind.  Die  exakte  Bedeutung  der  neuen 
Sterblichkeitsquotienten,  der  sogenannten  Intensitäten,  läßt  sich  nur 
mit  Hilfe  mathematischer  Deduktion  darlegen,  die  hier  vermieden  wer- 
den soll;  es  liegt  aber  auf  der  Hand,  daß  auch  sie  ein  brauchbares 
Maß  für  die  Sterblichkeit  abgeben,  weshalb  wir  die  von  Farr  und  Ogle 
eingeschlagene  Berechnungsweise,  die  übrigens  von  den  meisten  Be- 
völkerungsstatistikern bevorzugt  wird,  unverändert  beibehalten  haben. 
In  neuerer  Zeit  hat  ein  deutscher  Autor  (Rogh6,  Geschichte  und  Kritik 
der  Sterblichkeitsmessung  bei  Versicherungsanstalten,  Jena,  G.  Fischer, 
1891)  sogar  nur  diese  Berechnungsweise  als  zulässig  erklärt,  was 
natürlich  ein  Irrtum  ist,  da  sich  die  Sterblichkeit  in  verschiedener 
Weise  messen  läßt  und  es  nur  fraglich  sein  kann,  welches  Maß  am 
besten  den  praktischen  Anforderungen  des  Statistikers  und  Technikers 
genügt. 


1)  Vergl.  u.   a.  Wehrhahn,  Das  Volksschulwesen  in  England,  Hannover   1876,  sowie 
den  Aufsatz  von  Prof.  Philippson  in  der  „Nation",  No.   26   und  27,    10.  Jahrg.   (1893). 

2)  Vergl.    Supplement    to  the  Thirty-Fifth  Annual  Report    of  the  Registrar  General, 
London   1875,  und  Supplement  to  the  Forty-Fifth  Ann.  Rep.,  London   1885. 


190 


Joh.  Kamp  und  R.  Gollmef, 


Tab.  XIII. 

Sterblichkeit  der  Lehrer  (einschließlich  der  akademisch  gebildeten)  in 
England  für  verschiedene  Zeitperioden. 


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Periode  1860,  61,  71 

Periode  1880- 

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0,98 

51  321 

329 

0,64 

59.4 

72,6 

45—65 

17320 

408 

2,36 

16  782 

33° 

1,98 

31.0 

23,7 

|65  und 

aufwärts 

4627 

532 

11,50 

2  619 

262 

IO,00 

9,6 

3,' 

Zusammen 

57268 

1287 

:   70  722 

924 

100,0 

100,0 

Der  vorstehende  Vergleich  ist  insofern  nicht  einwurfsfrei,  als  sich 
infolge  reichlichen  Zugangs  neuer  und  junger  Lehrkräfte  die  Vertei- 
lungsweise der  Berufsan gehörigen  nach  dem  Alter  von  der  einen  Peri- 
ode zur  anderen  stark  verschoben  haben  muß,  was  auch  die  ange- 
fügten zwei  letzten  Kolumnen  bestätigen,  und  als  eine  solche  Verschie- 
bung an  sich  erhebliche  Sterblichkeitsdifferenzeu  hervorrufen  kann, 
wenn  man  Altersklassen  von  20  und  noch  mehr  Jahren  ins  Auge  faßt, 
wie  es  hier  geschehen  ist.  Leider  enthält  aber  nur  die  Farr'sche  und 
nicht  die  Ogle'sche  Arbeit  irgend  welche  Aufschlüsse  über  die  Erfah- 
rungen engerer  Altersklassen,  und  es  blieb  uns  daher,  um  einen  schär- 
feren Vergleich  zu  ermöglichen,  nichts  anderes  übrig,  als  die  Vertei- 
lungsweise der  Beobachtungsjahre  in  der  neuen  Periode  durch  eine  Art 
von  Interpolation  künstlich  herzustellen  und  unter  Festhaltung  der  für 
die  größeren  Altersklassen  gegebenen  Ogle'schen  Sterblichkeitsquotienten 
die  Farr'schen  so  abzuändern,  daß  sie  der  (interpolierten)  Verteilung 
der  „Beobachtungsjahre"  in  der  neuen  Periode  entsprachen.  In  der 
nächstfolgenden  Uebersicht  sind  die  aus  der  Interpolation  hervorge- 
gangenen „Beobachtungsjahre",  sowie  einige  Daten  aufgeführt,  welche 
die  Verschiebung  in  den  Altersverhältnissen  für  die  beiden  Perioden 
und  die  weiteren  Phasen  des  Verfahrens  beleuchten. 

(Siebe  Tabelle  XIV  auf  S.   191.) 

In  derselben  Weise,  wie  hier  die  Sterblichkeit  der  älteren  Periode 
auf  die  Personenbesetzung  der  jüngeren  Periode  übertragen  worden 
ist,  kann  man  natürlich  auch  für  andere  Gebiete  eine  künstliche  Per- 


1)  Durch   Addition  der  doppelten  Personenzahl  vom  Census    in   1861    und  der  ein- 
fachen von   1871   berechnet,  was  annähernd  richtig  ist. 

2)  Der  dreifachen  Personenzahl  des  Census  von  1881  gleichgestellt. 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc. 

Tab.  XIV. 


191 


1. 

Von  je   100  Personen 

4. 

5. 

6. 

7. 

oder  Beobachtungs- 

J>   B    JL    ß    B  <N 

•   «    1    e    »00 

N  ^^  £ 

jahren  trafen    auf  die 

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nebenstehenden 

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Alters- 

Altersklasseu 

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»>».<-■            S     B 

Et   "  S  b  s  •- 

klasse 

2. 
1860,  61, 

3. 

1880—82, 

DO  Per 
hren  d 
lamme 
st.)  Alt 
auf  d 
ecken 

keitsp 
tale  Ii 
rr    für 
Perioc 

4.X  5- 

eiteilung. 
sprechen 
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de  (Zusa 
er  Zahlen 

62,  direkt 

durch     In- 

H^dCi 

ermittelt 

terpolation 

Von  je 
Beob.- 
(durch 
menge 
entfiel 
Alters 

-Q    O 

>  «  S  £  -2  "° 

bestimmt 

0  CU    0 

00    *'"'    E 

Der 
4. 

lieh 

Alt 

Pe 

3UH 

25—35 

36,827 

47,415 

65>34\ioo 

0,891 

0,582 

>     0,y69 

35—45 

24,850 

25,102 

34-66/ 

1,117 

0,387 

45—55 
55—65 

18,017 
12,227 

15.366 
8,364 

3525/ 

1,493 

3,628 

0,967 
1,279 

>     2,246 

65—75 

6,168 

3-061 

82,66| 

8,465 

6,997 

75    und 

>IOO 

>  10.687 

aufwärts 

1,912 

0,642 

I7,34j 

21,279 

3,690 

1 

Zusammen 

100,001 

100,000 

sonenbesetzung  in  Rechnung  bringen,  wodurch  ein  zutreffender  Ver- 
gleich für  weitere  Altersklassen  möglich  wird.  In  der  folgenden 
Tabelle  ist  dies  thatsächlich  geschehen,  indem  wir  neben  der  englischen 
Lehrersterblichkeit  noch  eine  Reihe  anderer  Beobachtungen  berück- 
sichtigten und  dabei  überall  die  Personenbesetzung  der  englischen 
Lehrer  in  1880 — 82,  wie  sie  sich  innerhalb  der  größeren  Alters- 
klassen gestaltet  hat,  zu  Grunde  legten.  Insoweit  es  sich  um  Erfah- 
rungen handelte,  für  die  nur  Sterblichkeitsprocentsätze  im  gewöhn- 
lichen Sinne  vorlagen,  mußten  zunächst  Intensitäten  der  engeren,  10- 
jährigen  Altersklassen  ermittelt  werden;  es  geschah  dies,  indem  die 
„Lebenden  unter  Risiko"  der  zugehörigen  einzelnen  Lebensjahre  mit 
Ausnahme  des  letzten  um  die  Hälfte  der  Gestorbenen  gekürzt  und 
die  somit  entstehenden  „durchlebten  Beobachtungsjahre"  in  die  volle 
Zahl  der  Gestorbenen  dividiert  wurden.  Beispielsweise  war  die  Inten- 
sität der  Altersstrecke  25 — 35 

_  j;     Sterbefälle  der  Altersklasse  25  bis  34 

Lebende  unter  Risiko  der  Altersklasse  25  bis  34  —  1I2  X  Sterbefälle. 

(Siehe  Tabelle  XV  auf  S.   192.) 

Die  wahren  Differenzen  zwischen  englischer  Lehrersterblichkeit  in 
älterer  und  neuerer  Zeit  sind  also  nicht  ganz  so  groß,  als  die  Zahlen 
der  Tab.  XIII  anzudeuten  schienen;  immerhin  ist  auch  hier  noch  in 
der  jüngsten  Altersklasse  ein  Rückgang  von  0,97  auf  0,64  oder  um 
34  Proz.  bemerkbar,  während  die  Reduktionen  in  den  beiden  folgenden 
Altersklassen  0,27  oder  12  Proz.  und  0,69  oder  6  Proz.  betragen.  Das 
sind  Sterblichkeitsunterschiede,  wie  sie  bei  größeren  Beobachtungs- 
zahlen und  innerhalb  einer  17-jährigen  Zeitstrecke  nur  bei  starken 
Aenderungen   der  Lebensbedingungen  eintreten  können  und  die  umso- 


192 


joh.  Karup  und  E    Gollmer, 


Tab.  XV. 

Sterblichkeit    nach   verschiedenen   Erfahrungen,    wenn   innerhalb    der 

berücksichtigten  Altersgrenzen   die  Personenbesetzung   der  englischen 

Lehrer  in  der  Periode  1880 — 82  als  maßgebend  angesehen  wird. 


Lehrer    in    England    1860,    61    und   71   (nach 
Kol.   7   der  Tab.  XIV) 


Do. 


1880—82 


Allgemeine  Bevölkerung  in  England  1860,  61 
und  71        

Do.  in   1880—82 

Elementarlehrer  im  Herzogtum  Gotha    . 

Lehrer  überhaupt  im  Herzogtum  Gotha 

Bei   der  Gothaer  Bank  versicherte  Elementar- 
lehrer, 6.  Vers.-Jahr  und  aufwärts 

Zugehörige  Erfahrungen  für  den  Lehrer  überh. 

20    engl.    Gesellschaften,    Männer,     6.    Vers.- 
Jahr  und  aufwärts 


Männl.   Versicherte  überhaupt  bei  der  Gothaer 
Bank,   6.  Vers.-Jahr  und  aufwärts      .     . 

Sächsische  Bevölkerung  nach  Heym 


Altersklassen 


25—45 


45—65 


'65  u.  aufwärts 


Sterblichkeitsintensität  in  Prozent 


0,97 
0,64 

1,09 
0,97 
0,65 
0,62 

0,58 
0,60 

1,02 

0,83 
0,98 


2,25 
1,98 

2,33 
2,44 
2,02 
2,00 

1,83 
1,79 

2,13 

2,15 
2,47 


10.69 
10,00 

8,40 
8.36 
9,65 


7,97 
7,91 

7,54 

8,51 

10,31 


mehr  ins  Gewicht  fallen,  als  sie  von  keinem  ähnlichen  Rückgange  in 
der  allgemeinen  Sterblichkeit  begleitet  wurden.  Gegenüber  der  letz- 
teren erscheint  überhaupt  die  Lehrersterblichkeit  in  neuerer  Zeit  recht 
günstig,  in  der  Altersklasse  25 — 45  ist  eine  Untersterblichkeit  der 
Lehrer  von  0,97 — 0,64  =  0,33  oder  34  Proz.,  in  der  folgenden  von  0,46 
oder  19  Proz.  vorhanden.  In  der  höchsten  Altersklasse  ist  das  Ver- 
hältnis allerdings  ein  umgekehrtes,  indem  nunmehr  die  Lehrersterb- 
lichkeit die  allgemeine  um  1,64  oder  16  Proz.  übertrifft.  Möglicher- 
weise hängt  dies  damit  zusammen,  daß  in  den  höheren  Altern  noch 
recht  viele  Lehrer  thätig  sind,  die  den  modernen  Anforderungen  nur 
unvollkommen  entsprechen  und  sich  deshalb  mit  schlechteren  Stellungen 
begnügen  müssen ;  vielleicht  machen  sich  aber  auch  in  diesen  Altern 
die  Anstrengungen  des  Lehrberufes,  die  in  England  noch  größer  sind 
als  bei  uns,  vorzugsweise  geltend,  so  daß  man  auch  künftighin  eine 
relativ  große  Sterblichkeit  unter  englischen  Lehrern  in  den  höhereu 
Altern  zu  erwarten  hätte.  Bemerkenswert  ist  die  nahe  Ueberein- 
stimmung,  welche  die  neuere  englische  Lehrersterblichkeit  mit  der- 
jenigen des  Herzogtums  Gotha  aufweist;  die  Differenzen  betragen, 
wenn   man  letztere  nach  der  Gruppe  „Lehrer  überhaupt"  bemißt,  der 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc.  193 

Reihe  nach  nur  0,64—0,02  =  0,02,  1,98—2,00  =  0,02  und  10,00—9,89 
=  0,11,  was  relativen  Unterschieden  von  3—1  und  1  Proz.  gleichkommt, 
die  sich  noch  dazu  teilweise  ausgleichen. 

Wir  wollen  dieses  Kapitel  nicht  schließen,  ohne  einer  Untersuchung 
zu  gedenken,  welche  in  dem  bekannten,  oben  erwähnten  Handbuche 
Westergaard's  berücksichtigt  ist  und  die  Sterblichkeit  der  Gelehrten 
im  engeren  Sinne  zum  Gegenstande  hat.  Nach  dieser  Quelle,  die  sich 
übrigens  auf  ein  Referat  im  Journal  de  la  soc.  de  stat.  XIV,  1873 
stützt,  soll  Potiquet  eine  Sterblichkeitstafel  auf  der  Grundlage  von 
1030  Mitgliedern  des  Institut  de  France  berechnet  haben  und  zwar 
für  die  Periode  von  1795 — 1869.  Die  originalen  Zahlen  dieser  Tabelle 
hat  Westergaard  nicht  erlangen  können ,  wohl  aber  einige  Angaben 
über  die  aus  derselben  abgeleitete  mittlere  Lebensdauer,  die  wir 
in  dem  Nachfolgenden  wiedergeben. 


Alter 

35 

45 
55 
65 
75 
85 

Die  größere  Vitalität  der  Gelehrten  ist  augenfällig  und  um  so 
merkwürdiger,  als  ein  erheblicher  Teil  der  zugehörigen  Beobachtungen 
dem  Ende  des  vorigen  und  dem  Anfange  des  jetzigen  Jahrhunderts 
angehört,  also  Zeiten,  in  denen  aller  Erfahrung  nach  die  Sterblich- 
keitsverhältnisse überhaupt  ungünstig  waren.  Es  wäre  recht  interessant 
gewesen,  die  von  uns  untersuchten,  versicherten  Universitätsprofessoren 
zum  Vergleiche  heranzuziehen;  allein  es  ist  dies  bei  dem  geringen 
Umfange  der  einschlägigen  Erfahrungen,  die  eine  Berechnung  der  mitt- 
leren Lebensdauer  ausschließt,  nicht  möglich. 

Fassen  wir  die  bisherigen  Ergebnisse  zusammen,  so  gelangen  wir 
zu  dem  Schluß,  daß  der  Lehrberuf  an  sich  keine  ungünstige  Sterb- 
lichkeit bedingt,  sobald  die  wirtschaftliche  Lage  eine  angemessene  ist. 
Versicherte  Lehrer,  deren  äußere  Stellung  zumeist  eine  bessere  sein 
wird,  sind  nahezu  ebenso  gute  Risiken  wie  die  Geistlichen,  ja  Gym- 
nasiallehrer übertreffen  diese  sogar  in  manchem  und  akademische 
Dozenten  in  allen  Altern  an  Vitalität.  Ist  aber  die  wirtschaftliche 
Lage  eine  gedrückte,  was  naturgemäß  nur  im  Elementarfache  vorkommt, 
so  tritt  entschieden  eine  hohe  Sterblichkeit  ein,  die  kaum  hinter  der- 
jenigen der  allgemeinen  Bevölkerung,  in  der  die  ärmeren  Schichten 
den  Ausschlag  geben,  zurückbleibt.  Es  erscheint  somit  auch  vom 
Standpunkte  der  Sterblichkeitsstatistik  aus  als  eine  dringende  Pflicht 
des  Staates,  die  äußeren  Verhältnisse  des  Elementarlehrers,  die  in 
Deutschland  teilweise  noch  recht  im  argen  liegen,   in  würdiger  Weise 

Dritte  Folge  Bd.  VW  (LXIII).  J3 


Tab.  XVI. 

Fernere  mittlere  Lebensdauer 

in 

Jahren 

für  Gelehrte 

für   Versicherte 

für 

die 

allgem.  franz. 

nach  Potiquet 

der  Comp,  generale 

Bevölk 

;rung  1856  —  65 

33-58 

3°.7ö 

31.1 

25.74 

23,18 

23.7 

18,41 

16,33 

16,7 

12.05 

10,31 

10,9 

7,02 

6,55 

6,8 

4.16 

3-19 

3,6 

194 


Joh.  Karup  und  R.   Gollmer, 


zu  regeln  und  dem  Lehrer  überhaupt  diejenige  Stellung  einzuräumen, 
die  ihm  seinen  Pflichten  und  seiner  Bedeutung  für  das  Volkswohl  nach 
zukommt. 

III.  Kapitel. 

Die  Absterbeordnung  und  die  aus  derselben  abgeleitete  mittlere 

Lebensdauer. 

Den  genauesten  und  technisch  allein  brauchbaren  Ausdruck  findet 
die  Sterblichkeit  in  der  nach  einzelnen  Jahren  abgestuften  Absterbe- 
ordnung, welche  neben  den  Prozentsätzen  der  Sterblichkeit  (den 
Sterbenswahrscheinlichkeiten)  die  Dekremententafel  der  Lebenden  ent- 
hält. Wir  haben  deshalb  auch  diesmal  eine  solche  Tafel  abgeleitet, 
und  zwar  sowohl  für  Elementarlehrer  als  Gymnasiallehrer,  da  für  beide 
Beobachtungsgruppen  genügendes  Material  zur  Verfügung  stand.    Die 

Tab.  XVII. 


Alters- 
klasse 


Zahlen  der  Sterbefälle 


nach  der 
Wirklichkeit 


nach  den  aus- 
geglichenen 
Sterblichkeits- 
prozentsätzen 


Die  rechnungsmäfsige  Zahl 
ist  also 


gröfser  um       kleiner  um 


Elementar  lel 

r  er. 

26—35 

64 

64  12 

0,12 

— 

36—44 

231 

231,16 

O.l  6 

— 

45—51 

304 

304,00 

— 

— 

52—56 

284 

283.82 

— 

0,18 

57—60 

271 

270.78 

— 

0,22 

61  —  67 

540 

540,03 

0,03 

— 

68—72 

367 

366,84 

— 

0,16 

73—80 

379 

379ai 

0,11 

— 

81—90 

98 

98.18 

0.18 

— 

Zusammen 

2538 

2538,04 

0,60 

0,56 

gröfser  um  0,04 


Gj 

mn  asiallehrer. 

26—33 

14 

13,82 

0,18 

34—42 

67 

67,06 

0.06 

— 

43—52 

161 

l6l, 04 

0,04 

— 

53  —  59 

145 

144-92 

— 

0,08 

60—65 

158 

157,82 

— 

0,1  8 

66—72 

200 

20O.  1 2 

0,12 

— 

73—76 

97 

96.41 

— 

0,59 

77—82 

83 

83,41 

0,41 

— 

83—90 

20 

19.90 

— 

O.10 

Zusammen 

945 

944,50 

0,63 

1,13 

kleiner  um  0,50 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc. 


195 


Tab.  XVIII. 
Sterblichkeitstafel  für  Elementarlehrer. 


1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

G 

7. 

Sterblichkeits- 

Zugehörige 

Summe  der 

Mittlere 
Lebensdauer 

Eben 

prozensatz  f. 
den  Zeitraum 

Diffe- 

Dekre- 

Sterbefälle 
zwischen  dem 

Zahlen  der 
Lebend,  (nach 
Kol.  4)   vom 
höchsten  Alter 
ab  bisz.  neben- 

vollendetes 
Lebensjahr 

zwischen 

diesem  und 

dem  folgenden 

renzen 

(X 
100) 

menten- 
tafel der 
Lebenden 

nebenstehend, 
und  dem  fol- 
genden 

in   Jahren 
(Kol.   6   divid. 
durch   Kol.  4 
weniger  0,5) 

Lebensjahr 

]    Lebensjahr 

stehend.    Alter 

26 

0,51 

I 

10  000 

51 

397  639 

39-26 

27 

o,52 

0 

9  949 

52 

387  639 

38,46 

28 

0,52 

I 

9897 

51 

377  690 

37,66 

29 

0,53 

2 

9846 

52 

367  793 

36,85 

30 

0,55 

1 

9  794 

54 

357  947 

36,05 

31 

0,56 

2 

9740 

55 

348  153 

35,24 

32 

0,58 

I 

9685 

56 

338  413 

34-44 

33 

0,59 

2 

9  629 

57 

328728 

33,64 

34 

0,61 

2 

9  572 

58 

319099 

32,84 

35 

0,63 

I 

9  514 

60 

309  527 

32,03 

36 

0,64 

2 

9  454 

61 

300013 

31,23 

37 

0,66 

2 

9  393 

62 

290559 

30,43 

38 

0,68 

3 

9331 

63 

281  166 

29,63 

39 

0,71 

3 

9268 

66 

271835 

28,8s 

40 

0,74 

3 

9  202 

68 

262  567 

28,03 

41 

0,77 

4 

9'34 

70 

253  365 

27,24 

42 

0,81 

4 

9064 

73 

244231 

26,45 

43 

0,85 

5 

8991 

76 

235  167 

25,66 

44 

0,90 

5 

8915 

80 

226  176 

24,87 

45 

0,95 

5 

8835 

84 

217  261 

24,09 

46 

I,0o 

7 

8  751 

88 

208  426 

23,32 

47 

1,07 

7 

8663 

93 

199  675 

22,55 

48 

1,14 

8 

8  570 

98 

191  012 

21,79 

49 

1,22 

9 

8472 

103 

182442 

21,03 

50 

1,31 

9 

8369 

110 

173  970 

20,29 

51 

1,40 

10 

8259 

116 

165  601 

19,55 

52 

1,50 

ii 

8i43 

122 

157  342 

l8,82 

53 

1,61 

12 

8021 

129 

149  199 

18,10 

54 

1,73 

14 

7892 

*37 

141  178 

17,39 

55 

1,87 

16 

7  755 

»45 

133  286 

l6,69 

56 

2,03 

17 

7  610 

154 

125 53i 

16,00 

57 

2,20 

19 

7  476 

164 

117  921 

15,32 

58 

2,39 

21 

7  292 

174 

110465 

14,65 

59 

2,60 

23 

7  118 

185 

103  173 

13,99 

60 

2,83 

25 

6  933 

196 

96055 

13,35 

61 

3-08 

28 

6  737 

207 

89  122 

12,73 

62 

3,36 

3i 

6530 

219 

82385 

12,12 

63 

3,67 

35 

6311 

232 

75  855 

11,52 

64 

4,02 

39 

6079 

244 

69  544 

10,94 

65 

4,41 

43 

5  835 

257 

63465 

10,38 

66 

4,84 

48 

5  578 

270 

57630 

9.83 

67 

5-32 

53 

5  3o8 

282 

52052 

9,31 

68 

5.85 

59 

5  026 

294 

46744 

8,80 

69 

6,44 

64 

4  732 

305 

41  718 

8,32 

70 

7,08 

69 

4  427 

313 

36986 

7,85 

71 

7,77 

73 

4  114 

320 

32  559 

7,41 

13* 


196 


Job.  Karup  und  J.  Gollmer, 


Tab. 

XVIII  (Fortsetzung) 

• 

1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

Sterblichkeits- 

Zugehörige 

Summe  der 

Mittlere 

Eben 
vollendetes 
Lebensjahr 

prozentsatz  f. 
den  Zeitraum 
zwischen  dies, 
und  dem  fol- 
genden 

Diffe- 
renzen 

(X 

100) 

Dekre- 
menten- 
tafel der 
Lebenden 

Sterbefälle 
zwischen  dem 
nebenstehend, 
und  dem  fol- 
genden 

Zahlen  der 
Lebend,  (nach 
Kol.  4)  vom 
höchsten  Alter 
ab  bis  z.  neben- 

Lebensdauer 

in  Jahren 

(Kol.  6   divid. 

durch  Kol.  4 

weniger  0,5) 

Lebensjahr 

Lebensjahr 

stehend.  Alter 

72 

8,50 

77 

3  794 

322 

28  445 

7,00 

73 

9,27 

82 

3  472 

322 

24651 

6,60 

74 

IO,09 

87 

3  150 

318 

21  179 

6,22 

75 

10,96 

93 

2832 

310 

18029 

5.87 

76 

11,89 

98 

2522 

300 

15  197 

5.53 

77 

12,87 

104 

2  222 

286 

12675 

5,20 

78 

13-91 

110 

1936 

269 

10  453 

4.90 

79 

IS'01 

116 

1667 

250 

8  517 

4,61 

80 

16, 17 

122 

1417 

229 

6850 

4.33 

81 

17.39 

129 

1  188 

207 

5  433 

4.07 

82 

18,68 

137 

981 

183 

4  245 

3.83 

83 

20,05 

146 

798 

160 

3264 

3.59 

84 

21,51 

156 

638 

137 

2  466 

3,37 

85 

23,07 

167 

5°i 

Il6 

1  828 

3-15 

86 

24,74 

179 

385 

95 

1327 

2,95 

87 

26,53 

191 

290 

17 

942 

2,75 

88 

28,44 

203 

213 

61 

652 

2,56 

89 

3°.  *  7 

215 

152 

46 

439 

2,39 

90 

32,62 

233 

106 

35 

287 

2,21 

91 

34.95 

253 

7i 

25 

181 

2,05 

92 

37.48 

275 

46 

17 

110 

1,89 

93 

40,23 

302 

29 

12 

64 

1,71 

94 

43.25 

337 

17 

7 

35 

1,56 

95 

46,62 

380 

10 

5 

18 

1,30 

96 

50,42 

429 

5 

3 

8 

1,10 

97 

54.71 

481 

2 

1 

3 

1,00 

98 

59,52 

533 

1 

1 

1 

0,50 

99 

64,85 

585 

0 

100 

70,70 

Versicherungsjahre  1 — 5  wurden,  ebenso  wie  früher,  außer  acht  ge- 
lassen, da  sich  in  diesen  vorzugsweise  der  Einfluß  der  ärztlichen  Aus- 
wahl geltend  macht  und  letzterer  hier  als  störendes  Element  zu  be- 
trachten ist.  Die  Zeit  dürfte  übrigens  bald  vorüber  sein,  wo  man 
Sterblichkeitserfahrungen,  die  sich  auf  versicherte  Leben  beziehen,  ohne 
Rücksicht  auf  Versicherungsdauer  zu  einer  allgemeinen  Absterbeord- 
nung  vereinigt,  und  es  hat  deshalb  auch  vom  technischen  Standpunkte 
etwas  für  sich,  wenn  hier  die  Beobachtungen  nur  insoweit  berück- 
sichtigt sind,  als  sie  von  der  Versicherungsdauer  nahezu  unabhängig 
zu  sein  scheinen. 

Die  Art  der  Ausgleichung  war  eine  rechnerisch-graphische,  wie 
sie  schon  in  der  Aerztearbeit  beschrieben  worden  ist.  Nach  der  letzten 
Korrektur  (definitiven  Ausgleichung)  stellten  sich   die  wirklich  beob- 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc. 


197 


Tab.  XIX. 
Sterblichkeitstafel  für  Gymnasiallehrer. 


1. 

2. 

3. 

4. 

5. 

6. 

7. 

Eben 

Sterblichkeits- 
prozentsatz f. 
den  Zeitraum 

Diffe- 

Dekre- 

Zugehörige 

Sterbefälle 

zwischen  dem 

Summe  der 

Zahlen  der 

Lebend,   (nach 

Kol.    4)  vom 
höchsten  Alter 
ab  bisz.  neben- 

Mittlere 
Lebensdauer 

vollendetes 

zwischen  dies. 

renzen 

(X 

100) 

menten- 

nebenstehend. 

in  Jahren 

Lebensjahr 

und  dem  fol- 
genden 

tafel  der 
Lebenden 

und  dem  fol. 
genden 

(Kol.   6   divid. 
durch   Kol.   4 
weniger  0,5) 

Lebensjahr 

Lebensjahr 

stehend.   Alter 

26 

O.Tl 

— 2 

10  000 

71 

400  165 

39,5  2 

27 

0,(>9 

—  2 

9929 

69 

390  165 

38.80 

28 

0,6  7 

—  2 

9860 

66 

380  236 

38. 06 

29 

0,65 

—  I 

9  794 

64 

370  376 

37-32 

30 

0.64 

—  2 

9  730 

62 

360582 

36,06 

31 

0,62 

—  I 

9668 

60 

350  852 

35-79 

32 

0,61 

—  2 

9608 

59 

341  184 

35,01 

33 

0,59 

—  I 

9  549 

56 

331  57<> 

34.22 

34 

0,58 

O 

9  493 

55 

322  027 

33-42 

35 

0,58 

—  I 

9  438 

55 

312534 

32,61 

36 

0,57 

O 

9  383 

53 

303  096 

31-80 

37 

0,57 

+  1 

9  330 

53 

293  713 

30.98 

38 

0,58 

3 

9277 

54 

284383 

30.15 

39 

0,61 

3 

9223 

56 

275  Jo6 

29,33 

40 

0,64 

5 

9  167 

59 

265  883 

28.50 

41 

0,69 

6 

9  108 

63 

256716 

2769 

42 

0,75 

7 

9°45 

68 

247  608 

2b,  88 

43 

0,82 

8 

8  977 

74 

238  563 

26,08 

44 

0,90 

6 

8903 

80 

229  586 

25,29 

45 

0,96 

6 

8823 

85 

220683 

24,51 

46 

1,02 

7 

8  738 

89 

211  860 

23-75 

47 

1,09 

7 

8649 

94 

203  122 

22,98 

48 

1,16 

7 

8  555 

99 

'94  473 

22.23 

49 

1.23 

8 

8456 

104 

185918 

21.49 

50 

1,31 

8 

8352 

109 

177  462 

20.75 

51 

1,39 

8 

8243 

"5 

169  HO 

20,0  2 

52 

1,47 

9 

8  128 

119 

160867 

19,29 

53 

1,56 

9 

8009 

125 

152739 

18,57 

54 

1,65 

IO 

7884 

130 

144  730 

17,86 

55 

1,75 

13 

7  754 

136 

136  846 

17,15 

56 

1,88 

»4 

7618 

'43 

129092 

16,45 

57 

2,02 

17 

7  475 

!5J 

121474 

15,75 

58 

2.19 

20 

7  324 

160 

113  999 

15-07 

59 

2,39 

23 

7  164 

171 

106  675 

14,39 

60 

2,62 

25 

6  993 

183 

99  511 

13,73 

61 

2,87 

28 

6810 

195 

92518 

13,09 

62 

3,15 

30 

6615 

208 

85708 

12.46 

63 

3.45 

33 

6407 

221 

79  093 

11,84 

64 

3)78 

37 

6186 

234 

72686 

11,25 

65 

4  15 

4i 

5  952 

247 

66  500 

10,67 

66 

4,56 

46 

5  705 

260 

60548 

10,11 

67 

5,02 

5i 

5  445 

273 

54  843 

9,57 

68 

5-53 

56 

5  !72 

286 

49  398 

9.05 

69 

6,09 

63 

4886 

298 

44  226 

8,55 

70 

6,72 

70 

4  588 

308 

39  340 

8,07 

71 

7,42 

75 

4  280 

3i8 

34  752 

7,62 

198 


Joh.  Kamp  und  R.  Gollmer, 


Tab.  XIX  (Fortsetzung). 


Eben 
vollendetes 
Lebensjahr 


Sterblichkeits- 
prozentsatz f. 
den  Zeitraum 
zwischen  dies, 
und  dem  fol- 
genden 
Lebensjahr 


Diffe- 
renzen 

(X 
100) 


4. 


Dekre- 
menten- 
tafel der 
Lebenden 


Zugehörige 
Sterbefälle 
zwischen  dem 
nebenstehend, 
und  dem  fol- 
genden 
Lebensjahr 


Summe  der 
Zahlen  der 
Lebend,  (nach 
Kol.  4)  vom 
höchsten  Alter 
ab  bis  z.  neben- 
stehend. Alter 


Mittlere 

Lebensdauer 

in  Jahren 

(Kol.  6  divid. 

durch  Kol.  4 

weniger  0,5) 


72 
73 

74 
75 
76 
77 
78 
79 
80 

81 
82 
83 
84 
85 
86 
87 
88 
89 
90 

91 
92 
93 
94 
95 
96 
97 
98 
99 
100 


8,17 
8,96 
9,79 
10,66 
11,53 
12,31 
13,08 
13.90 
14,86 

16,16 
I7»69 
19-41 
21,28 
23,25 
25,32 
27,49 
29,78 
32,21 
34.79 

37-53 
40,45 
43,57 

46,91 

50,48 

54-30 
58.40 
62,80 
67,50 
72,50 


79 

3  962 

83 

3638 

»7 

3312 

«7 

2988 

78 

2  669 

77 

2361 

82 

2070 

96 

1  799 

130 

1549 

153 

i3i9 

172 

1  106 

187 

910 

197 

733 

207 

577 

217 

443 

229 

33i 

243 

240 

258 

169 

274 

"5 

292 

75 

312 

47 

334 

28 

357 

16 

382 

8 

410 

4 

440 

2 

470 

1 

500 

0 

324 
326 

324 
319 
308 

291 
271 

250 

230 
213 

196 

177 

156 
134 

112 

91 
71 

54 
40 

28 

19 

12 

8 

4 

2 
1 
1 


30  472 
26  510 
22  872 
19  560 
16572 

13  903 
n  542 

9  472 
7  673 
6  124 
4805 
3  699 
2789 
2  056 

M79 
1  036 

705 
465 
296 

181 

106 

59 

3i 

15 

7 

3 

1 


7,19 

6,79 

6,41 
6,05 
5,71 

5.39 

5,08 
4,77 

4,45 

4,14 
3,84 
3,56 
3,31 
3,06 
2,84 
2,63 
2,44 
2,25 
2,07 

1,91 
1,76 
1,61 
1,44 
1,38 
1,35 
1,00 
0,50 


achteten  und  rechnungsmäßigen  Sterbefälle  in  denjenigen  Altersklassen, 
deren  durchschnittliche  Sterblichkeitsverhältnisse  der  ersten  Ausglei- 
chung zu  Grunde  lagen. 

(Siehe  Tabelle  XVII  auf  S.  194.) 

Der  Anschluß  ist,  wie  man  sieht,  überall  ein  naher,  was  allerdings 
noch  nicht  verbürgt,  daß  die  Ausgleichung  eine  gute  ist,  denn  dazu 
gehört  eben  auch  ein  regelmäßiger  Verlauf  der  Sterblichkeit  von  Jahr 
zu  Jahr.  Um  zu  zeigen,  daß  ein  solcher  wirklich  erzielt  ist,  fügen 
wir  in  den  Sterblichkeitstabellen  noch  eine  besondere  Kolumne  ein, 
welche  die  Differenzen  zwischen  den  successiven  Sterblichkeitsprozent- 
sätzen angiebt. 

(Siehe  Tabellen  XVIII  u.  XIX  auf  S.  195  u.  197.) 

Mit  Hilfe  dieser  Tafeln  kann  man  die  Sterblichkeit  noch  von  ver- 
schiedenen  neuen   Gesichtspunkten  betrachten,  wie  es  in  dem  Nach- 


Die  Mortalitätsverhältnisse   der  Lehrer  etc. 


199 


stehenden  unter  Heranziehung  der  früher  für  Aerzte  und  Geistliche 
abgeleiteten  Zahlen,  sowie  der  entsprechenden  nach  Brune  und  für 
Preußen  geschehen  ist. 

Tab.  XX. 


Die 

Zahlen  der 

Lebenden   in  der   Dekremententafel  steller 

sich  für 

cc    u 

Mitglieder  der 

die  männliche 

<s   es 

preufs.  Witwen- 

allgem.   Bevöl- 

'S •? 

a   c 

=:  ja 
o    <s 

versicherte 
Geistliche 

versicherte 
Gymnasial- 
lehrer 

versicherte 
Elementar- 
lehrer 

versicherte 
Aerzte 

verpflegungs- 

anstalt 

1776  —  1845 

(ursprüngliche  Z 

kerung  in  Preufsen 
(1867,  68,  72, 
75-77) 
ihlen  auf  10  000 

Lebende  beim   Alter   26  reduziert) 

26 

IOOOO 

IOOOO 

IOOOO 

IOOOO 

10  000 

IOOOO 

30 

9803 

9  730 

9  794 

9715 

9  724 

9  633 

40 

9277 

9167 

9  202 

8778 

8861 

8583 

50 

8590 

8352 

8369 

7641 

7636 

7189 

60 

7242 

6  993 

6  933 

5  905 

5  917 

5  377 

70 

4  664 

4588 

4427 

3  395 

3  458 

3  053 

80 

1  5J3 

1  549 

1417 

1  101 

l  064 

870 

90 

61 

HS 

106 

51 

51 

64 

Tab.  XXI. 


Von  je  100  Lebenden  der  aufgeführten  Altersstufen 

starben  innerhalb  der 

ig  Ja 

nächsten   10  Jahre 

a  c 
0  3 

nach  der 
Tafel  für 
Geistliche 

nach  der 
Tafel  für 
Gymnasial- 
lehrer 

nach   der 
Tafel  für 
Elementar- 
lehrer 

nach  der 

Tafel  für 

Aerzte 

nach  Brune 

nach  der 
Tafel  für 
Preufsen 
Männer 

26 

5,03 

6,17 

5.46 

7,88 

7-51 

9,56 

36 

6,31 

6,87 

7.44 

12,03 

11,59 

13,93 

46 

11,13 

12,82 

13,04 

17,19 

18,25 

20, 8  5 

56 

25,72 

25,11 

26,70 

33,47 

32,71 

34,37 

66 

53,99 

53-22 

54-79 

57,16 

58,66 

59,03 

76 

87,46 

83,40 

84,73 

86,15 

84.34 

85,90 

86 

99,71 

99-io 

98,70 

99,62 

100,00 

96,11 

Tab.  XXII. 


CO    - 

Die  (fernere 

mittlere  Lebensdauer  stellt  sich  in  Jahren  für 

1-2, 

c   e 

zz  -° 
0  ® 

>   M 

versicherte 
Geistliche 

versicherte 
Gymnasial- 
lehrer 

versicherte 
Elementar- 
lehrer 

versicherte 
Aerzte 

Mitglieder  der 
preufs.  Witwen- 
verpflegungs- 
anstalt (Brune) 

die  männliche 

allgemeine 

Bevölkerung  in 

Preufsen 

26 
30 
40 

4<>,17 
36,94 
28,74 

39,52 
36,56 
28,50 

39,26 
36,05 
28  03 

35-62 

32,60 
25,50 

35-73 
32,69 
25,35 

33,86 
3M7 

24,22 

50 

20,62 

20,75 

20,29 

18,55 

18.57 

17,91 

60 

1341 

13,73 

13-35 

12,39 

12,43 

12,18 

70 

7,80 

8,07 

7,85 

7,70 

7,58 

7-50 

-80 

3,90 

4,45 

4.33 

4,04 

4,29 

4.40 

200  Job.  Karup  und  R.  Gollmer, 

Aus  der  Tab.  XXI  geht  abermals  hervor,  daß  die  Sterblichkeit  der 
Geistlichen  anfänglich  günstiger  und  später  ungünstiger  ist  als  die  der 
Gymnasiallehrer,  der  Wendepunkt  ist  hier  aber  noch  schärfer  als 
bisher  zu  erkennen,  indem  er  zwischen  dem  46.  und  56.  Lebensjahre 
liegt.  Die  Sterblichkeit  der  Elementarlehrer  ist  übereinstimmend  mit 
den  früheren  Vergleichen  durchgängig,  aber  nirgends  beträchtlich 
höher  als  die  der  Gymnasiallehrer  oder  Geistlichen,  die  letzte  Alters- 
klasse ausgenommen,  auf  die  natürlich  wenig  ankommt.  Bemerkens- 
wert ist  es ,  daß  die  Zahlen  der  Lebenden  für  Geistliche  (Tab.  XX) 
erst  zwischen  dem  70.  und  80.  von  denjenigen  der  Gymnasiallehrer 
eingeholt  werden,  es  bedarf  eben  geraumer  Zeit,  ehe  ein  anfänglicher 
Ueberschuß  von  Lebenden  durch  eine  nachträglich  höhere  Sterblichkeit 
wieder  verloren  geht. 

Tab.  XXII,  welche  die  mittlere  Lebensdauer  enthält,  spiegelt  eben- 
falls die  bekannten  Vitalitätsverhältnisse  wieder,  auch  hier  zeigen  im 
ganzen  genommen  Geistliche  und  Lehrer  beider  Gattungen  eine  an- 
nähernde Uebereinstimmung,  während  die  Aerzte  sich  den  ungünstigen 
Brune'schen  Zahlen  anschließen,  die  sich  wieder  vorteilhaft  von  der 
allgemeinen  Bevölkerung  Preußens  abheben. 


IV.  Kapitel. 
Die  Sterblichkeit  nach  Todesursachen. 

Die  Litteratur  über  die  Sterblichkeit  der  Lehrer  nach  einzelnen 
Todesursachen  ist  mehr  als  dürftig.  Anderweitige  Erfahrungen,  die 
auf  einem  genügend  umfangreichen  und  einwandsfreien  Beobachtungs- 
materiale  basieren  und  besondere  Beachtung  von  Seiten  des  Statistikers 
beanspruchen  könnten,  ließen  sich  überhaupt  nicht  ermitteln.  Layet  l)t 
der  schon  wiederholt  in  unseren  früheren,  an  dieser  Stelle  veröffent- 
lichten Untersuchungen  citiert  wurde,  führt  in  seinem  Handbuche,  wie 
die  Geistlichen,  so  auch  die  Lehrer  gar  nicht  besonders  auf,  sondern 
behandelt  in  einem  Kapitel  gemeinschaftlich  alle  die  Berufsarten,  bei 
denen  die  Stimme  vorzugsweise  in  Anspruch  genommen  wird.  Nach 
eingehender  Schilderung  der  Funktionen,  welche  bei  diesen  Berufs- 
kategorien die  einzelnen  Abschnitte  der  Stimm-  und  Atmungsorgane 
zu  verrichten  haben,  findet  es  Layet  leicht  begreiflich,  „wie  durch  die 
häufigen  und  angestrengten  Bewegungen  der  Lungen  und  der  Stimm- 
muskulatur einerseits,  andererseits  durch  das  wiederholte  gewaltsame 
Vorbeistreichen  der  Luft  vor  den  Schleimhautgebilden  der  Luftwege 
sich  mit  der  Zeit  vielfache  und  mannigfache  Störuugen  einstellen 
können."  Von  solchen  Störungen  erwähnt  Layet  im  besonderen  „chro- 
nische Kongestionszustände  der  Lunge,  die  zu  manchmal  nicht  unbe- 
deutenden Hämorrhagien  führen,  Lungenemphysem,  chronische  Laryn- 


1)  Allgemeine  und  spezielle  Gewerbe-Pathologie  und  Gewerbe-Hygiene  von  Dr.  Alex. 
Layet.  Deutsche  vom  Verfasser  autorisierte  Ausgabe  von  Dr.  Friedrich  Meinel.  Erlangen* 
Verlag  von  Eduard  Besold,  1877. 


Die  Mortalitätsverhaltnisse  der  Lehrer  etc.  201 

gitiden  und  granulöse  Anginen  (Kehlkopfs-  und  Rachenentzündungen)."' 
Die  Nachforschungen,  die  Layet  anstellte,  um  den  Einfluß,  den  die  An- 
strengungen der  Stimme  auf  die  Entwicklung  der  Lungenschwind- 
sucht haben  könnte,  genauer  zu  ermitteln,  über  deren  Natur  er  aber 
nichts  Näheres  mitteilt,  und  die  jedenfalls  den  Anforderungen  einer 
rationellen  Statistik  nicht  entsprochen  haben,  ergaben  für  ihn  kein 
befriedigendes  Resultat.  Daß  dieselben  erfolglos  blieben,  wird  in  einer 
Anmerkung  des  Uebersetzers  als  ein  neuer  Beweis  des  schon  von  Paul 
Niemeyer  so  beredt  verfochtenen  Standpunktes  angesehen,  wonach  die 
ergiebige  Uebung  des  Stimmorganes  als  eines  der  wirksamsten  Hilfs- 
mittel der  Lungengymnastik  auf  die  Verhütung  von  Lungenschwind- 
sucht von  großem  Einfluß  ist. 

An  anderer  Stelle  teilt  Layet  einige  Zahlen  nach  Parcheppe  mity 
welche  aus  der  allgemeinen  Irrenstatistik  Frankreichs  geschöpft  sind 
und  die  relative  Häufigkeit  der  Geistesstörung  bei  verschiedenen  Be- 
rufsarten beleuchten  sollen.  Die  hinsichtlich  der  Berechnungsweise 
dieser  Zahlen  gemachten  Erläuterungen  lassen  die  Zahlen  aber  wenig 
zuverlässig  erscheinen,  weshalb  wir  sie  hier  übergehen. 

Ueber  die  Neigung  speziell  der  Elementarlehrer  zu  Geisteskrank- 
heiten sprach  sich  Professor  Meyer,  Direktor  der  psychiatrischen  Klinik 
zu  Göttingen,  in  seiner  1890  zum  25-jährigen  Jubiläum  der  genannten 
Anstalt  veröffentlichten  Festschrift  dahin  aus:  „Seit  einer  Reihe  von 
Jahren  war  mir  die  verhältnismäßig  häufige  Aufnahme  von  geistes- 
kranken Volksschullehrern  aufgefallen.  Gegenwärtig  befinden  sich  acht 
in  der  Anstalt,  es  kommt  also  einer  von  ihnen  auf  30  männliche 
Geisteskranke.  Bei  der  Stetigkeit  dieses  Verhältnisses  in  unserer 
Anstalt  und  dem  Fehlen  jeglichen  Grundes  für  die  Bevorzugung  der 
Göttinger  Irrenanstalt  durch  die  geisteskranken  Schullehrer  unserer 
Provinz  dürfte  die  Voraussetzung,  daß  diese  Klasse  der  Bevölkerung 
verhältnismäßig  eine  große  Zahl  Geisteskranker  enthalte,  wohl  gerecht- 
fertigt erscheinen.  Eine  genauere  Nachforschung  hat  aber  ergeben, 
daß  die  Hälfte  unserer  Lehrer  bereits  vor  der  Uebernahme  ihres  Amtes 
geisteskrank  gewesen  seien,  daß  fast  alle  übrigen  Abweichungen  in 
ihrem  geistigen  Wesen  und  Verhalten  längere  Zeit,  bevor  sie  Lehrer 
geworden  sind,  gezeigt  haben.  In  den  zum  Zwecke  der  Aufnahme  in 
die  Irrenanstalt  abgegebenen  ärztlichen  Berichten  werden  sie  „als  reiz- 
baren Gemütes,  leicht  verletzlichen  Ehrgefühls,  unbehilflich  in  prak- 
tischen Dingen  etc."  bezeichnet.  Es  ist  demnach  hier  unzulässig,  in 
der  Beschäftigung  oder  anderen  Verhältnissen  des  Berufes  psychisch 
schädigende  Einflüsse  zu  erblicken.  Zu  den  gleichen  Schlüssen  ge- 
langen wir  bei  einem  anderen  in  der  Anstalt  gleichfalls  ungewöhnlich 
stark  vertretenen  Berufe,  dem  der  Subalternbeamten.  Sollten  unsere 
Erfahrungen  allgemein  sein,  so  könnte  man  fast  zu  der  Anschauung 
gelangen,  daß  einzelne  Berufsarten  eine  gewisse  Anziehung  für  Per- 
sonen besitzen,  die  mit  einer  Anlage  zu  Geistesstörungen  behaftet 
sind." 

Eine  ungleich  größere  Beachtung,  wie  die  Angaben  von  Layet 
und  Meyer,   verdient   ein  Vortrag,  welcher   im   Jahre   1887   in   einer 


202  Job.  Karup  und  R.  Gollmer, 

Volksschullehrerversammlung  von  dem  verstorbenen  Physikus  Dr.  Richter 
in  Eisfeld  (Sachsen- Meiningen)  über  „Lehrerkrankheiten"  gehalten 
wurde.  Da  Richter  über  dieses  Thema,  wie  er  ganz  ofien  eingestand, 
in  der  Litteratur  fast  nichts  gefunden  hatte,  so  sprach  er  darüber 
nur  auf  Grund  seiner  eigenen  Beobachtungen  und  Erfahrungen.  Doch 
es  macht  auf  uns  den  Eindruck,  daß  auch  diese  nicht  sehr  umfang- 
reich waren,  und  daß  sich  Richter  bei  seinen  Erörterungen  über  die 
Schädlichkeiten,  die  auf  die  Lehrer  in  Ausübung  ihres  Berufes  ein- 
wirken, und  bei  Aufstellung  der  Krankheiten,  die  darauf  zurückzu- 
führen sein  sollen,  mehr  von  einer  vorgefaßten  ungünstigen  Meinung 
über  den  Lehrerberuf  hat  leiten  lassen.  Gleichwohl  muß  Richter's 
Vortrag  in  aller  Kürze  hier  Erwähnung  finden,  weil  er  seiner  Zeit 
jedenfalls  durch  die  verschiedenen  pädagogischen  Schriften  in  den 
weitesten  Lehrerkreisen  bekannt  wurde  und  hier  und  da  vielleicht 
ganz  unrichtige  Vorstellungen  von  den  Gefahren  des  Lehrerbe rufs  er- 
weckte. Richter's  Vortrag  läßt  sich  nun  kurz  dahin  zusammenfassen : 
Die  Lehrer  gehören,  wenn  sie  auch  körperliche  Arbeit,  z.  B.  langes  Stehen 
oder  Sitzen,  Sprechen  und  Singen  zu  verrichten  haben,  doch  vorzugs- 
weise zur  Gruppe  der  Geistigbeschäftigten.  Als  solche  hätten  sie  zu- 
nächst unter  den  mit  ihrem  Berufe  verbundenen  geistigen  Ueberan- 
strengungen  zu  leiden.  Die  veranlassenden  Momente  der  letzteren 
wären :  das  stundenlange  Unterrichten  ohne  genügende  Zwischenpausen, 
die  außer  der  Schulzeit  stattfindenden  Korrekturen ,  Vorbereitungen 
zum  Unterricht  und  Studien  zur  Fortbildung,  die  Sorgen  und  Mühen 
mit  schwach  veranlagten  Kindern  und  Aufregungen  durch  renitente 
und  schließlich  der  Zwang,  bei  vorwiegend  ungünstigen  Besoldungs- 
verhältnissen durch  Privatunterricht  oder  Uebernahme  von  anderen 
Aemtern  noch  Nebenverdienst  zu  suchen.  Wenn  nun  auch  geistige 
Ueberanstrengung  allein  bei  sonst  gesunden  Menschen  nicht  so  leicht 
Irrsinn  erzeugen  könnte,  sondern  dazu  immer  noch  andere  prädis- 
ponierende Momente  erforderlich  wären,  so  unterläge  es  doch  wohl 
keinem  Zweifel ,  daß  man  in  noch  nicht  zu  hohem  Alter  verhältnis- 
mäßig viele  abgearbeitete,  geistig  erschöpfte,  nicht  mehr  produktions- 
fähige Lehrer  fände.  Außer  diesen  allgemeinen  Erschlaffungs-  und 
Ermüdungszuständen ,  die  mehr  die  Gesamtkoustitution  beträfen  und 
sich  noch  ganz  besonders  bei  schlechter  Ventilation  und  unzweck- 
mäßiger Wärmeregulierung  in  den  Schulzimmern  geltend  machen 
müßten,  wären  aber  noch  die  Insulte  zu  berücksichtigen,  unter  denen 
einzelne  Organe  mehr  oder  weniger  zu  leiden  hätten.  Bei  ausgiebiger 
Lungenventilation  und  Einatmung  von  Staub  und  heißer  trockner  Luft 
wären  bei  vielen  Lehrern  Rachen-,  Kehlkopf-  und  Lungenkatarrhe  an 
der  Tagesordnung.  Daß  infolge  dieser  Reizzustände  der  Atmungs- 
organe der  Lehrer  mehr  zur  Tuberkulose  hinneigen  sollte,  sei  früher 
öfter  behauptet,  aber  durch  nichts  erwiesen  worden.  Was  zunächst 
die  Gelegenheit  zur  Infektion  mit  dem  Tuberkelbacillus  anlange,  so 
wäre  doch  zu  berücksichtigen,  daß  die  Schuljugend  nur  ein  geringes 
Kontingent  zur  Lungentuberkulose  stelle,  und  somit  auch  die  Gefahr, 
in   den   Schulzimmern    durch    tuberkulöse   Auswurfsstoffe  infiziert   zu 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc.  203 

werden,  hier  mehr  zurücktrete.  Ein  weiteres  zur  Tuberkulose  disponie- 
rendes Moment,  schlechte  Ernährung  und  schwächlicher  Körperbau, 
käme  zumal  in  neuester  Zeit  auch  nicht  mehr  so  in  Betracht,  da 
schwächliche  Individuen  nicht  mehr  (?)  zum  Lehrerberufe  zugelassen 
würden,  während  früher  das  Gegenteil  sehr  oft  der  Fall  gewesen  wäre. 
Dagegen  würden  die  Lehrer  samt  ihren  Familien,  namentlich  wenn 
sie,  wie  auf  dem  Lande,  mit  im  Schulhause  wohnten,  der  Gefahr,  andere 
Infektionskrankheiten  zu  acquirieren,  leicht  ausgesetzt.  Da  es  sehr 
häufig  vorkäme,  daß  Kinder,  die  an  Masern,  Scharlach,  Diphtherie  etc. 
litten  oder  noch  nicht  ganz  davon  genesen  wären,  die  Schule  be- 
suchten und  den  Ansteckungsstoff  hineintrügen,  so  wäre  abgesehen 
davon,  daß  dadurch  Mitschüler  erkrankten,  auch  große  Gelegenheit 
gegeben,  daß  selbst  Lehrer  und  ihre  Angehörigen  infiziert  würden. 
Auch  die  Möglichkeit,  daß  die  Lehrer  unter  dem  Einflüsse  der  Zer- 
setzungsprodukte in  den  viel  benutzten,  oft  höchst  mangelhaft  und  un- 
zweckmäßig angelegten  Aborten  der  Schule  zu  leiden  hätten,  wäre 
nicht  von  der  Hand  zu  weisen.  In  dieser  Beziehung  müßte  nament- 
lich mit  einer  günstigen  Gelegenheit  zur  Erkrankung  an  Typhus  ge- 
rechnet werden.  Zum  Schlüsse  erwähnte  Richter,  wie  die  genannten 
Uebelstände,  wenn  auch  nicht  zu  beseitigen,  so  doch  auf  ein  geringeres 
Maß  zu  beschränken  wären  und  gab  sodann  seiner  Ueberzeugung 
Ausdruck,  daß  die  allgemeinen  Sterblichkeitsverhältnisse  trotzdem 
keine  ungünstigen  seien. 

Wir  sind  mit  der  Aufzählung  der  Litteratur  zu  Ende.  Diese  be- 
zieht sich  allerdings  nur  auf  die  Morbidität  und  kann  somit  nicht 
direkt  mit  unseren  Untersuchungsresultaten  verglichen  werden.  Wenn 
aber  die  Angaben  der  drei  genannten  Autoren  der  Wirklichkeit  ent- 
sprechen, muß  dies  entschieden  auch  in  einigen  bestimmten  Todes- 
ursachen mehr  oder  weniger  zum  Ausdruck  kommen.  Wir  werden  in 
der  Folge  sehen,  inwieweit  dies  der  Fall  ist. 

Es  dürfte  zunächst  von  Interesse  sein  zu  erfahren,  welche  Krank- 
heiten bei  den  Angehörigen  der  einzelnen  Lehrerkategorien  als  Todes- 
ursachen angesehen  werden  mußten.  Zu  diesem  Behufe  teilen  wir  die 
nachfolgende  Tabelle  mit,  die  zugleich  auch  einigen  Aufschluß  über  die 
Verteilung  der  Beobachtungen  nach  Altern  und  über  die  zugehörigen 
Sterblichkeitspromillesätze  giebt. 

(Siehe  Tabelle  XXIII  auf  S.  204  u.  206.) 

Wie  ersichtlich,  ist  die  Gruppierung  der  Todesursachen  im  all- 
gemeinen dieselbe,  wie  bei  unseren  bisherigen  Untersuchungen.  Die 
Registrierung  der  zu  den  einzelnen  Gruppen  gehörigen  Todesursachen 
ist  eine  möglichst  detaillierte.  Gleichwohl  werden  für  manchen  Leser 
noch  einige  Erläuterungen  willkommen  sein.  In  der  Gruppe  „Infek- 
tionskrankheiten" spielt  bei  allen  Lehrerkategorien  die  Diagnose  „Typhus, 
typhöses  gastrisches  Fieber  etc.",  was  aber  auch  für  andere  Berufs- 
klassen mehr  oder  weniger  zutrifft,  die  Hauptrolle,  während  Scharlach, 
Masern,  Diphtherie  etc.  völlig  zurücktreten.  Schon  daraus  ergiebt 
sich,  daß  die  von  Richter  behauptete  besondere  Ansteckungsgefahr  für 
die  Elementarlehrer,  sowie  überhaupt  für  den  Lehrerstand  nicht  existiert. 


204 


Joh.  Kamp  und  R.  Gollmer, 


Tab. 
Frequenz  der  Todesursachen 


Die   Sterblich- 

keit im 

I.  Infektionskrankheiten 

Es  standen 

ein  volles 

Jahr  unter 

Risiko 

allgemeinen 

Alters- 
klassen 

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^0 

A.   Elementarlehrer. 

21—45 

82  213 

533 

6,48 

54 

7 

9 

5 

4 

I 

5 

2 

3 

»3 

103 

1,25 

46—60 

54  770,5 

872 

15-92 

75 

2 

4 

7 

3 

2 

2 

3 

1 

9 

108 

1,97 

61—90 

22885 

1394 

60,91 

32 

2 

3 

3 

2 

— 

— 

6 

— 

4 

52 

2,27 

Insgesamt 

159868,5 

2799 

17,51 

161 

11 

16 

i5 

9 

3 

7 

11 

4 

26 

263 

1,65 

B.   Gymnasiallehrer. 

26—45 

32  247 

185 

5,74 

24 

— 

2 

— 

— 

— 

2 

I 

— 

3 

32 

0,99 

46—60 

20687 

319 

15-42 

21 

1 

5 

1 

1 

2 

— 

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2 

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11 

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2 

— 

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1 

1 

— 

1 

16 

1,77 

Insgesamt 

61  948,5 

1045 

16,87 

56 

1 

9 

1 

I 

2 

3 

2 

1 

6 

82 

1,32 

C.   Universitätslehrer  exkl.  Mediziner. 

Sämtliche 

1 

Alter 

7  814,5 

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19,71 

7   — 

2 

— 

1 

— 

— 

I 

— 

— 

11 

1,41 

(26—90) 

1 

D.  Dozenten  der  Medizin. 

Sämtliche 

Alter 

2792 

67 

24,00 

5 

—  j — 

5 

1,79 

(26—90) 

Cholerafälle  wurden  sowohl  bei  Elementar-  als  Gymnasiallehrern  in 
größerer  Anzahl  beobachtet,  Pocken  und  Flecktyphus  dagegen  fast 
ausschließlich  bei  den  ersteren.  Von  den  15  an  Pocken  verstorbenen 
Elementarlehrern  waren  12  in  unserem  Sinne  Landlehrer.  Die  Fälle 
von  Flecktyphus  betrafen  ausschließlich  Landlehrer  und  kamen  zum 
größten  Teil  (8)  in  den  östlichen  Provinzen  (Preußen,  Posen,  Schlesien 
und  Brandenburg)  vor.  In  den  3  Sterbefällen  der  Gruppe  III  (Ver- 
giftungen) und  IV  (Parasiten)  handelt  es  sich  um  bezw.  chronischen 
Alkoholismus,  Trichinose  und  Blasenwürmer  (Echinococcen)  des  Ge- 
hirns. Die  Gruppe  V  (konstitutionelle  Krankheiten)  setzt  sich  bei 
allen  4  Lehrerkategorien,  entsprechend  unseren  sonstigen  Erfahrungen, 
vorwiegend  aus  Sterbefällen  mit  der  Diagnose  „Krebs,  bösartige  Neu- 
bildung etc."  zusammen.  Bei  den  hier  in  Betracht  kommenden  325 
Personen  mußte  nach  den  einzelnen  Krankenberichten  der  Sitz  des 
Krebsleidens  238mal  in  den  Ernährungsorganen  (123mal  im  Magen, 
44mal  im  Darm,  vorzugsweise  Mastdarm,    42mal  in  der  Leber,  13mal 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc. 


205 


XXIIL 

für  verschiedene  Lehrerkategorien. 


II.  Zoo- 
nosen 

m. 

Vergif- 
tungen 

IV. 
Para- 
siten 

V.  Konstitutionelle 
Krankheiten 

VI.  Krankheiten  des  Central- 
nervensystems 

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1,96 

216 

122 

18 

3 

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364 

2,28 







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14 

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— 



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25 

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2,90 

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16 

1 

67 

7,43 

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36 

11 

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10 

1 

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16 

2,05 

22 

6 

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— 

— 

28 

3,58 

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— 

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— 

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5 

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6 

2,15 

9 

7 

1 

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— 

17 

6,09 

in  der  Speiseröhre,  6  mal  an  der  Zunge,  je  3  mal  bezw.  im  Munde,  in 
der  Bauchspeicheldrüse  und  im  Netz  und  lmal  im  Bauchfell),  28mal 
in  den  Harn  und  Geschlechtsorganen  (19mal  in  der  Blase,  4mal  in 
den  Nieren  bezw.  Nebennieren,  3mal  in  den  Hoden  bezw.  Nebenhoden 
und  2mal  am  Penis),  20mal  an  einzelnen  Knochen,  16mal  an  den  ver- 
schiedenen Drüsen,  8mal  in  den  äußeren  Bedeckungen,  5mal  in  den 
Atmungsorganen  (3mal  in  den  Lungen  und  je  lmal  im  Kehlkopf  bezw. 
in  der  Nase)  und  lmal  im  Auge  gesucht  werden.  In  9  Fällen 
war  einfach  von  Krebs  „im  Unterleibe"  ohne  nähere  Angabe  der  be- 
treffenden Organe  berichtet.  Aus  dieser  Aufzählung  ergiebt  sich  also, 
daß  73  Proz.  aller  bösartigen  Neubildungen  in  den  Ernährungsorganen 
zu  suchen  waren.  Von  den  übrigen  verhältnismäßig  nur  schwach  be- 
setzten Krankheitskategorien  der  Gruppe  V  ist  nur  noch  die  mit 
„übrige  konstitutionelle  Krankheiten"  überschriebene  insofern  zu  be- 
rücksichtigen, als  es  sich  um  die  Angabe  der  verschiedenen  Krank- 
heitszustände ,    welche  darin   zusammengefaßt   wurden,   handelt.     Es 


206 


Job.  Karup  und  R.  Gollmer, 


Tab. 

XXIII 

Die  Sterblich- 
keit im 
allgemeinen 

VII.  Krankheiten  der 

VUI. 

Krankh.  d. 

IX.  Krank- 

Es 

standen 

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Atmungsorgane 

Circulat.- 
Organe 

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6,48 

31  1  6 

199 

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237     2,88 

27 

0,33 

25 

21 

4 

46—60 

54  770,5 

872 

15,92 

59  22 

220 

28 

329    6,01 

95 

1,73 

31 

33 

1 

61—90 

22885 

1394 

60,91 

125  I14 

95 

223 

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224 

9,79 

72 

49 

9 

Insgesamt 

159868,5 

2799 

17.51 

215  |42 

514 

252 

1023 

6,40 

346 

2,17 

128 

103 

14 

B.  Gymnasiallehrer. 

26—45 

32247 

185 

5.74 

5 

3 

52 



60 

1,86 

17 

0,53 

9 

6 

— 

46—60 

20687 

3*9 

15.42 

17 

3 

56 

8 

84 

4,06 

46 

2,22 

13 

14 

— 

61—90 

9014,5 

54i 

6o,01 

42 

4 

24 

63 

133 

14,75 

122 

13,53 

27 

12    1 

Insgesamt 

61  948,5 

1045 

16,87 

64 

10 

132 

7i 

277 

4,47 

185 

2,99 

49 

32 

1 

C.  Universitätslehrer  exkl.  Mediziner. 

Sämtliche 

Alter 

7814,5 

154 

19,71 

13 

3 

5 

9 

30 

3,84 

38 

4.86 

3 

6 

— 

(26—90) 

D.  Dozenten  der  Medizin. 

Sämtliche 

Alter 

2792 

67 

24,00 

4 

2 

6 

2 

14 

5»oi 

12 

4,30 

3 

2 

— 

(26—90) 

kommen  nämlich  hier  6  Fälle  von  pernieiöser  Anämie  (Blutarmut), 
3  Fälle  von  Addison'scher  Krankheit,  je  2  von  Basedow'scher  Krank- 
heit, Werlhof  scher  Blutfleckenkrankheit  und  Skorbut  und  1  Fall  von 
Hämophilie  (Bluterkrankheit)  in  Betracht  —  Krankheitsbilder,  die  fast 
sämtlich,  namentlich  in  ätiologischer  Beziehung,  bis  auf  den  heutigen 
Tag  nicht  genügend  aufgeklärt  sind.  In  der  Gruppe  VI  (Krankheiten 
des  Centralnervensystems)  handelt  es  sich  bei  allen  4  Lehrerkategorien 
ganz  besonders  um  Sterbefälle  mit  der  Diagnose  „Gehirnschlagfluß" 
—  ein  Krankheitsbild,  das  in  allen  Fällen  auf  die  bald  früher,  bald 
später,  aber  doch  immer  erst  im  vorgeschrittenen  Alter  auftretende 
Arteriosklerose  (Verkalkung)  der  Hirngefäße  bezw.  Cirkulationsstörungen 
in  denselben  infolge  von  Veränderungen  an  entfernter  gelegenen  Stellen 
des  Blutgefäßapparates  zurückzuführen  ist  und  deshalb  streng  ge- 
nommen in  die  nachfolgende  Gruppe  VIII  eingereiht  werden  müßte. 
In  derselben  Weise  wäre  eigentlich  auch  mit  all  den  Sterbefällen  zu 
verfahren,  bei  welchen  die  Diagnose  auf  „Gehirnerweichung"  infolge 
wiederholt  aufgetretener  Schlaganfälle  gestellt  wurde  und   die   in  der 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc. 


207 


(Fortsetzung). 


XI.   K 

rankh. 

XII  K 

rankb. 

XIII. 

XIV.   Gewalt- 

heiten der 

X.  Krankheiten  der 
Harnorgane 

der  Ge- 
schlechts- 

der Haut 
und  des 

Krankh.    der 
Knochen  und 

samer  Tod 

organe 

a.  Selbst- 

b. Verun- 

organe 

Zellgewebes 

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16 

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13 

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132 

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21 

54 

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3-28 

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21 

0,92 

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256 

1,61 

54 

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— 

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25 

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0,27 



15 

0,47 

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1 

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5 

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27 

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14 

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0,15 

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0,82 



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0,18 

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0,10 

13 

0,21 

13 

0,21 

2 

11 

1,41 

1 

10 

11 

1,41 

— 

— 

3 

0,38 

— 

— 

2 

0,26 

4 

0.51 

— 

5 

1,79 

3 

3 

6 

2,15 

1 

0,36 

1 

0,36 

Kategorie  „eigentliche  Krankheiten  des  Gehirns"  ziemlich  zahlreich 
vertreten  sind.  Nur  insofern,  als  die  genannten  Veränderungen  an 
den  Hirngefäßen  oft  schon  zu  einer  Zeit  auftreten,  wo  das  Herz  und 
die  übrigen  der  Untersuchung  zugänglichen  Abschnitte  des  Cirkulations- 
apparates  scheinbar  noch  ganz  gesund  sind,  dürfte  es  berechtigt  sein, 
„Gehirnschlagfluß"  und  „Gehirnerweichung"  als  eigentliche  Gehirn- 
krankheiten anzusehen  und  statistisch  zu  verwerten.  In  betreff  der 
Kategorie  „übrige  Krankheiten  des  Centralnervensystems"  ist  zu  er- 
wähnen, daß  in  den  6  daselbst  eingereichten  Sterbefällen  die  Diagnose 
3mal  auf  paralysis  agitans  (Schüttellähmung),  2mal  auf  progressive 
Muskelatrophie  und  lmal  auf  multiple  aufsteigende  Neuritis  (Nerven- 
entzündung) gestellt  war.  In  der  Gruppe  VII  überwiegen,  wie  immer, 
bei  weitem  die  chronischen  Krankheiten  der  Atmungsorgane.  So  ent- 
fällt bei  den  Elementar-  und  Gymnasiallehrern  beispielsweise  ungefähr 
die  Hälfte  aller  in  Betracht  kommenden  Sterbefälle  auf  die  Kategorie 
„Lungenschwindsucht".  Aus  der  Gruppe  VIII  (Krankheiten  der  Cir- 
kulationsorgane)  ist  nur  hervorzuheben,  daß  in  5  Fällen,  die  sämtlich 


208 


Joh.  Kamp  und  R.  Gollmer, 


Elementarlehrer  betreffen,  die  Diagnose  auf  Aneurysma  (Pulsader- 
geschwulst) der  Aorta  —  ein  relativ  seltenes  Krankheitsbild  —  ge- 
stellt war.  In  der  Gruppe  IX  kommen  vorzugsweise  Krankheiten 
des  Magens  bezw.  Darms  und  der  Leber  in  Betracht.  Bei  den  15  Fällen 
von   Brucheinklemmung,    die  fast  ausschließlich  Elementarlehrer  be- 

Tab.  XXIV. 
Sterblichkeit  der  Elementarlehrer  nach  Todesursachen. 


Alter 


I. 

II. 

III. 

IV. 

26—45 

46—60 

61—90 

Sämtl.  Alter  (26—90) 

a. 

b. 

c. 

a. 

b. 

c. 

a. 

b. 

c. 

a 

b. 

c. 

Rech- 

nungs- 

mäfsige 

Zahl 

Wirk- 
liche 

der 

% 

Rech- 
nungs- 
mäfsige 
Zahl  < 

Wirk- 
liche 

ier 

% 

Rech- 

nungs- 
mäfsige 
Zahl  ( 

Wirk- 
liche 

1er 

% 

Rech- 

nungs- 

mäfsige 

Zahl 

Wirk- 
liche 

ier 

% 

Sterbefälle 

Sterbefälle 

Sterbefälle 

Sterbefälle 

625,86 
85.68 

43-84 
21,54 
42,85 
67,66 
36,23 
212,66 

0,48 
21,69 
20,7  9 
50.15 
21,98 


Sterblichkeit  im  allgemeinen 

509  |  81,3  |  1046,39!  870  |  83,1 1  1484,56  |  1394  |  93,9  |  3156,8112773 

Typhus  mit  Flecktyphus 
57  |  66,5  |       79-42  I     77  I  97,0 1      43,58  |      34.  |  78,0  |     208,68  |    168 

Uebrige  Infektionskrankheiten 
40  |  91,3  |      46,4i|     31  |  66,8  |       29,52  |      18  |  61,0  |     119,77  |      89 

Bösartige  Neubildungen 
22  1 102,1 1      77,86  |     93  1 129,4 1     104,70!    112  |lO7,0  |    204,10!    227 

Krankheiten  des  Centralnervensystems  exkl.  Gehirnschlag 
25  |  58  3  |       72,09  |     41  |  56,9  |      91,31  |      78  |  85,4  |    206,25  |    144 

Gehirnschlag,  Altersschwäche,  Herzkrankheiten,  Nierenentzündung 

47  |  69,5  |    248,37!  166  |  66,7  |    478,oi|    451  |  94,3  |    794.54  |    664 

Akute  Krankheiten  der  Atmungsorgane  und  Brustfellentzündung 
37  1 102,1 1      87,55  |     80  |  91,4 1     154-84]    139  |  89,8 1     278,62!    256 

Lungenschwindsucht 
186  |  87,5  |     197,84  |  219  1 1 10, 7  I      88,16  |      94  |106,6  |     498,66  |    499 

Lungenemphysem,    chron.  Lungenkatarrh 
1  |    ..   |      25,39  |     28  1 108,2 1     206,93  |    224  |108,2 1     233.30  |    253 

Selbstmord 
10  |  46,1 1       28,99  |     16  |  55,2  |       10,75  |       2|  18.6  |      61,34  |      28 

Verunglückung 

10  |  48,1 1      21,88  |     13  |  59,4  |      16,92  |     21  1 124,0  |      59,59  |     44 

Krankheiten  der  Ernährungsorgane 
55  1109,7  |     107,47  |     68  |  63.3  |     151,62!    132  |  87,1 1    309,24  |    255 

Sonstige  Krankheiten 
19     86,4  |      51,79  |     38  |  73,4  |     108,83  |     89  |  81-8 1     182,60  |    146 


87,8 

80,5 

74,3 

111,2 

69,8 

83,6 

91,9 

100,1 

108,5 

45,6 

73,8 

82,5 

80,0 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc.  209 

treffen,  handelte  es  sich  12mal  um  Leistenbruch,  2raal  um  Schenkel- 
bruch und  lmal  um  Nabelbruch.  Hinsichtlich  der  Sterbeiälle  der 
Gruppe  XII  (Krankheiten  der  Haut  und  des  Zellgewebes)  lautete  die 
Diagnose  17mal  auf  Zellgewebsentzündung,  14mal  auf  Karbunkel,  4mal 
auf  Unterschenkelgeschwür,  Bmal  auf  Hautausschlag  (Pemphigus)  und 
lmal  auf  Balggeschwulst,  deren  operative  Entfernung  Blutvergiftung 
(Septicämie)  zur  Folge  hatte.  Aus  der  Gruppe  XIII  (Krankheiten  der 
Knochen  und  Gelenke)  sind  besonders  3  Sterbefälle  hervorzuheben,  in 
welchen  hochgradige  Rückgratsverkrümmung  (2mal  Skoliose  und  lmal 
Kyphoskoliose)  mit  nachfolgender  Lungenkompression  und  Herzver- 
lagerung als  Todesursache  anzusehen  war;  in  allen  übrigen  Fällen  lag 
Entzündung  (Karies)  verschiedener  Knochen  und  Gelenke  vor. 

Wie  schon  die  vorstehende  Tabelle  erkennen  läßt,  variiert  die 
Frequenz  der  Todesursachen  zumeist  sehr  stark  mit  dem  Alter,  und 
es  ist  daher  bei  der  verschiedenartigen  Verteilungsweise  der  Lebenden 
unter  Risiko  nach  dem  Alter  bei  den  einzelnen  Berufsklassen  dieser 
Faktor  unbedingt  noch  eingehender  als  dort  zu  berücksichtigen,  wenn 
genauere  Vergleiche  angestellt  werden  sollen.  Auf  der  anderen  Seite 
ist  indes  eine  zu  große  Zersplitterung  des  Materials  zu  vermeiden, 
und  wir  wenden  deshalb  hier  wiederum  die  bekannte  Methode  der 
rechnungsmäßigen  Sterbefälle  an,  bei  welcher  der  Einfluß  des  Alters 
innerhalb  der  endgültig  gebildeten  größeren  Altersklassen  eliminiert 
wird.  Als  rechnungsmäßige  Norm  wurden  durchgängig  die  allgemeinen 
Erfahrungen  der  Gothaer  Bank,  wie  sie  sich  bis  1878  für  männliche 
Versicherte  ergaben,  zu  Grunde  gelegt.  Wir  lassen  nun  zunächst  eine 
Tabelle  folgen,  in  welcher  die  für  die  Elementarlehrer  allein  erlangten 
Resultate  zusammengestellt  sind,  die  mit  Rücksicht  auf  das  umfang- 
reiche Material  besondere  Beachtung  verdienen.  Hervorzuheben  ist, 
daß  sowohl  hier,  wie  in  der  Folge  die  als  Seminaristen  eingetretenen 
Versicherten  außer  acht  gelassen  sind. 

(Siehe  Tabelle  XXIV  auf  S.  208.) 

Um  jeden  Zweifel  an  der  Berechnungsweise  der  Tabelle  auszu- 
schließen, wollen  wir  noch  zeigen,  wie  beispielsweise  die  in  derselben 
für  die  Todesursache  „Lungenschwindsucht"  angegebenen  Zahlen  er- 
langt wurden. 

(Siehe  Tabelle  XXIV  a  auf  S.  210.) 

Die  jetzige  Einteilung  nach  Todesursachen  unterscheidet  sich  in- 
sofern von  derjenigen  der  Tabelle  XXIII,  als  hier  Typhus,  bösartige 
Neubildungen,  Krankheiten  des  Centralnervensystems,  die  verschiedenen 
Kategorien  von  Lungenerkrankungen,  Selbstmord  und  Verunglückung 
selbständig  aufgeführt  sind  und  andere  wiederum,  die  in  der  Tabelle 
XXIII  in  ganz  verschiedene  Gruppen  eingereiht  erscheinen,  aber  in 
ätiologischer  Beziehung  als  zusammengehörig  betrachtet  werden  müssen, 
wie  Gehirnschlag,  Altersschwäche,  Herzkrankheiten  und  Nierenentzün- 
dung') zusammengefaßt  sind.    Todesursachen,  die  nur  vereinzelt  zur 


1)  Da  die  Symptome  des  Altersmarasmus,  wie  intellektuelle  und  Gedächtnisschwäche, 
Asthma,  Kreislaufsstörungen  (Oedeme),    Lungenkatarrhe,    Darniederliegen  der  Funktionen 
Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXI1I).  \  4 


210 


Joh.  Kamp  und  R.  Gollmer, 


Tab.  XXIVa. 

Ermittlung  der  rechnungsmäßigen  Sterbefälle  aus  Lungenschwindsucht 
unter  Elementarlehrern  nach  der  allgemeinen  Bankerfahrung. 


Sterblichkeit 

Hiernach  rech- 

Prozentsatz  d. 

Altersklasse 

lehrer  unter 
Risiko 

in  Promille 
für  sämtliche 

nungsmäfsige 
Zahl   der 

Wirkl.  Zahl 
der  Sterbefälle 

wirkl.  Zahl 
von  der 

Versicherte 

Sterbefälle 

rechnungsm. 

26-30 

II  067,5 

2,66 

29,44, 

\ 

31-35 
36  —  40 

!9  035 
23  494.5 

2,43 

2,81 

06. 021 

I186 

87,5 

41—45 

24  129,5 

2,94 

70,94' 

J 

46—50 

21  677,5 

3,37 

73-05] 

| 

51  —  55 

18280 

3*56 

65-07>i97,84 

^219 

110,7 

56—60 

14  765 

4,05 

59  72J 

) 

61  —  65 

10683,5 

4,80 

5L28. 

\ 

66—70 

6719,5 

4,06 

27.28I 

j 

71—75 

3515 

2,07 

,    7'2   [  88,16 
}  2,32] 

\  94 

106,6 

76—80 
81—85 

I  462,5 
441 

Jl,22 

86—90 

50.5 

0,00 

Summe 

155  3°! 

498,66 

499 

IOO.l 

Beobachtung  kamen  und  daher  nicht  weiter  ins  Gewicht  fallen,  wie 
Zuckerkrankheit,  Gicht,  übrige  konstitutionelle  Krankheiten,  Mittel- 
ohrentzündung, Krankheiten  der  Blase,  der  äußeren  Bedeckungen  und 
der  Knochen  und  Gelenke  sind  unter  „Sonstige  Krankheiten"  vereinigt. 
Bei  Durchmusterung  der  Tabelle  XXIV  kann  es  niemandem 
entgehen,  daß  sich  bei  einigen  Todesursachen  zunächst  für  sämtliche 
Alter  eine  Untersterblickeit  geltend  macht,  die  zum  Teil  noch  weit  be- 
trächtlicher ist,  als  sie  für  die  Sterblichkeit  im  allgemeinen  im  ersten 
Kapitel  ermittelt  wurde.  So  stellt  sich  die  Untersterblichkeit  beispiels- 
weise bei  den  Herzkrankheiten  mit  Gehirnschlag,  Altersschwäche  etc. 
auf  16  Proz.,  bei  den  Krankheiten  der  Ernährungsorgane  auf  17,5  Proz., 
bei  Typhus  auf  19,5  Proz.,  bei  den  übrigen  Infektionskrankheiten  auf 
26  Proz.  und  bei  den  Krankheiten  des  Centralnervensystems  sogar  auf 
30  Proz.,  während  die  allgemeine  Untersterblichkeit,  wie  auch  hier 
ersichtlich,  12,2  Proz.  betrug.  Auch  in  den  einzelnen  Altersklassen 
tritt  diese  Erscheinung  bei  den  genannten  Todesursachen  mehr  oder 
weniger  zu  Tage.  Da,  wo  sich  bei  einer  dieser  Krankheiten  die  wirk- 
lichen Sterbefälle  mit  den  erwartungsmäßigen  annähernd  decken  oder 
diese  gar  noch  überschreiten,  wie  beim  Typhus  im  Alter  46 — 60,  bei 
den  übrigen  Infektionskrankheiten  im  Alter  26—45,  bei  den  Herz- 
krankheiten im  Alter  61—90  und  bei  den  Krankheiten  der  Ernährungs- 


der  Verdauungsorgane  etc.,  allermeist  auf  der  im  höheren  Alter  auftretenden  Verkalkung 
(Arteriosklerose)  des  arteriellen  Gefäßapparates  beruhen,  erschien  es  uns  zweckmäßig,  alle 
Sterbefälle  mit  der  Diagnose  „Altersschwäche"  mit  in  die  Kategorie  der  Herzkrankheiten 
aufzunehmen.  In  derselben  Weise  wurde  auch  mit  der  Kategorie  ,, Nierenentzündung" 
verfahren,  weil  bei  Herzkrankheiten  fast  immer  zugleich  auch  die  Nieren  und  umgekehrt 
bei  Nierenkrankheiten  das  Herz  in  Mitleidenschaft  gezogen  werden. 


Die  Mortalitätsverhältnibse  der  Lehrer  etc.  211 

organe    im  Alter   26 — 45,   ist  in  den  übrigen  Altem  die  Mindersterb- 
lichkeit noch  um  so  autfallender. 

Auf  der  anderen  Seite  erreichen  die  für  alle  Alter  gültigen  Pro- 
zentsätze bei  einigen  bestimmten  Todesursachen  —  und  weil  dies  gerade 
die  am  zahlreichsten  vertretenen  sind,  ist  die  Beobachtung  von  ganz 
besonderer  Wichtigkeit  —  nicht  nur  den  für  die  Sterblichkeit  im  all- 
gemeinen ermittelten  Durchschnittsprozentsatz,  sondern  überschreiten 
denselben  mehr  oder  minder  beträchtlich.  In  erster  Linie  gilt  dies 
für  „bösartige  Neubildungen"  und  „Lungenemphysem  mit  chron.  Lungen- 
katarrh'4. Bei  der  erstgenannten  Kategorie  beträgt  die  Uebersterblich- 
keit  für  sämtliche  Alter  11,2  Proz.  Bei  Berücksichtigung  der  ein- 
zelnen Altersklassen  zeigt  sich  jedoch,  daß  die  Uebersterblichkeit  ganz 
besonders  im  Alter  46 — 60  mit  29,2  Proz.  zur  Geltung  kommt,  während 
sie  in  der  jüngsten  und  höchsten  Altersklasse,  namentlich  aber  in  der 
erstgenannten,  mit  nur  2,1  Proz.  mehr  zurücktritt.  Bei  der  Kategorie 
„Lungenemphysem"  überschreiten  die  wirklichen  Sterbefälle  die  rech- 
nungsmäßigen, alle  Alter  zusammengenommen,  um  8  Proz.  —  ein 
Prozentsatz,  der  auch  in  den  beiden  Altersklassen  46—60  und  61 — 90, 
die  bei  dem  vorwiegenden  Charakter  des  Lungenemphysems  als  Alters- 
erscheinung naturgemäß  hier  allein  in  Betracht  kommen  können,  in 
die  Erscheinung  tritt.  Die  Lungenschwindsucht  zeigt  in  der  jüngsten 
Altersklasse  eine  Mindersterblichkeit  von  12,5  Proz.,  in  den  höheren 
Altern  dagegen  läßt  sich  eine  Uebersterblichkeit  von  10,7  bezw. 
6,6  Proz.  erkennen.  Für  sämtliche  Alter  resultiert  ein  Prozentsatz, 
der  dafür  spricht,  daß  die  Lungenphthise  bei  den  Elementarlehrern 
ebenso  häufig  ist,  wie  bei  sämtlichen  Versicherten  zusammengenommen. 
Bei  den  akuten  Krankheiten  der  Atmungsorgane  ist  in  der  jüngsten 
Altersklasse  eine  geringe  Uebersterblichkeit  von  2,1  Proz.  zu  konsta- 
tieren, aus  der  in  den  beiden  höheren  Altersklassen  eine  Unsterblich- 
keit von  8,6  bezw.  10,2  Proz.  wird.  Faßt  man  alle  Alter  zusammen, 
so  ergiebt  sich  nach  der  Tabelle  nahezu  derselbe  Prozentsatz,  der  für 
sämtliche  Todesursachen  Geltung  hat.  Es  läßt  sich  somit  kaum  be- 
haupten, daß  die  akuten  Krankheiten  der  Atmungsorgane  bei  den  Ele- 
mentarlehrern eine  besondere  Rolle  spielen. 

Das  Gesamtresultat  des  vorstehenden  Vergleiches  mit  den  Erfah- 
rungen für  sämtliche  Versicherte  dürfte  danach  wohl  kurz  der  sein, 
daß  bei  den  Elementarlehrern  die  bösartigen  Neubildungen  und  die 
Krankheiten  der  Atmungsorgane,  vor  allem  die  chronischen  Formen 
der  letzteren,  ganz  besonders  ins  Gewicht  fallen,  während  beispiels- 
weise Infektionskrankheiten  (Typhus  mit  eingeschlossen),  die  Krank- 
heiten des  Centralnervensystems  und  die  Heizkrankheiten  mehr  oder 
weniger  in  den  Hintergrund  treten.  Hieraus  ergiebt  sich  zur  Evidenz, 
daß  in  dem  Berufe  der  Elementarlehrer  weder  in  der  von  Richter  an- 
gedeuteten Richtung,  noch  in  sonst  irgend  einer  Beziehung  irgend 
welche  Gefahren  gefunden  werden  können.  Für  die  hohe  Sterblichkeit 
infolge  von  Krebs  und  Krankheiten  der  Atmungsorgane  dürften  nicht 
der  Beruf,  sondern,  wie  wir  noch  weiter  unten  zeigen  werden,  andere 
Faktoren  verantwortlich  zu  machen  sein. 

14* 


212 


Job.  Karup  und  R.  G  o  1 1  m  e  r , 


Wie  verhält  es  sich  nun  mit  den  einzelnen  Todesursachen,  wenn 
wir  das  Beobachtungsmaterial  über  die  Elementarlehrer  ganz  analog, 
wie  es  im  Kapitel  I  bei  der  Untersuchung  der  Sterblichkeit  im  allge- 
meinen geschehen  ist,  nach  geographischen  Bezirken  zergliedern? 

Zu  beachten  ist,  daß  die  rechnungsmäßigen  Zahlen  hier  nach  der 
allgemeinen  Bankerfahrung  für  Männer  bestimmt  worden  sind,  während 
im  Kapitel  I  die  für  sämtliche  Bezirke  gültigen  Beobachtungen  über 
die  Elementarlehrer  selbst  als  Norm  galten. 

Tab.  XXV. 

Sterblichkeit  der  Elementarlehrer  nach  geographischen  Bezirken 

(Alter  21—90). 


Nord 


Süd 


Ost 


West 


Cen- 
trum 


Sämtliche 
Bezirke 


Infektionskrankheiten . 
Rechnungsmäfsige  Zahl 
Wirkliche                     ,, 
Prozent  


der  Sterbefälle 


Bösartige  Neubildungen. 


Akute  Krankheiten  der 
Atmungsorgane. 

Lungenschwindsucht. 


Chron.  Lungenkatarrh. 


Altersschw.,  Gehirnschi.- 

flufs,  Gehirnkr.,  Herzkr.. 

Bright'sche  Krankheit. 

Selbstmord. 


Verunglückung. 


Krankheiten  der  Er- 
nährungsorgane. 

Sonstige  Krankheiten. 


Sterblichkeit  im  all- 
gemeinen 


Rchn.  Z.  d.  St. 
Wirkl.  „  „  „ 
Prozent       .     . 

Rchn.  Z.  d.  St. 
Wirkl.,,  „  „ 
Prozent 

Rchn.  Z.  d.  St. 
Wirkl.,,  „  „ 
Prozent       .     . 

Rchn.  Z.  d.  St. 
Wirkl.  „   „    „ 

Prozent 

Rchn.  Z.  d.  St. 
Wirkl.  „  „  „ 
Prozent 

Rchn.  Z.  d.  St. 
Wirkl.  „  „  „ 
Prozent       .     . 

Rchn.  Z.  d.  St. 
Wirkl.,,  „  „ 
Prozent 

Rchn.  Z.  d.  St. 
Wirkl.  „  „    „ 

Prozent 

Rchn.  Z.  d.  St. 

Wirkl.,,  „  „ 
Prozent 

Rchn  Z.  d.  St. 
Wirkl.  „  „  „ 
Prozent      .     . 


54,49 

49 

89,9 

34-45 
4i 
119,0 

47-56 

36 

75,7 

82,72 
98 
118,5 

40,79 
60 
I47,i 

171,73 
120 

69,9 

10,20 

5 
49,0 

10,22 
9 

88,1 

52,43 

46 

87,7 

3M8 

16 

5i,3 

535,88 
480 
89,6 


53,ii 

36 

67,8 

35,oi 
5o 
142.8 

47,80 

42 

87,9 

80.44 

85 
105,7 

41,51 
42 
101,2 

172,12 

182 

105,7 

9,97 

5 
50,2 

9,98 
II 
IIO,2 

52,59 

37 
70,4 

31,46 

33 
104,9 

534,19 
523 
97,9 


84,46 

80 

94J 

49,04 
38 

77,5 

65,81 
66 
100,3 

130,63 
129 
98,8 

5i,43 

43 

83,6 

234,51 
199 
84,9 

15.94 

4 
25,1 

15,57 
8 
51,4 

74,05 

68 

9i,8 

43,05 

4i 

95,2 

764,48 
676 


47,52 

34 
71,5 

27,03 

35 
129,5 

37,03 

43 
116,1 

73,52 

71 
96,6 

29,49 
30 

101,7 
132,31 

97 
73,3 

8,95 

3 
33,5 

8,79 

5 
56,9 
41,46 
41 
98,9 

24,19 

17 
70,3 

430,31 
376 
87,4 


93,05 

64 

68,8 

58,58 
63 
107,5 

81,02 

69 

85,2 

141,15 
122 

86,4 

70,10 
78 
m,3 

291,21 
211 
72,5 

17,38 

II 

63,3 

17,47 

II 

63,0 

89,21 

64 

71,7 

53,22 

42 

78,9 

912,46 

735 
80,6 


332,63 
263 

79,i 
204,11 
227 
111,2 

279,22 
256 
91,7 

508,46 
505 
993 

233-32 

253 
108,4 

IOOI,88 
809 
80,9 

62,44 
28 

44,8 

62,03 

44 
70,9 

309.74 
256 
82,7 

183,10 
149 
81,4 

3177.32 
2790 
87,8 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc.  213 

Zunächst  ist  es  von  Interesse,  zu  erfahren,  daß  sich  das  Centrum, 
welches  hinsichtlich  der  allgemeinen  Sterblichkeit  am  günstigsten  ge- 
stellt ist,  auch  durch  eine  geringe  Sterblichkeit  infolge  von  Lungen- 
schwindsucht auszeichnet.  Im  Süden,  Osten  und  Westen  ist  die  Fre- 
quenz der  Lungenschwindsucht  nahezu  dieselbe,  wie  bei  Versicherten 
überhaupt,  im  Norden  dagegen  ist  eine  Uebersterblichkeit  von  18,5  Proz. 
bemerkbar.  Außer  der  Lungenschwindsucht  fallen  im  Süden  vor  allem 
die  bösartigen  Neubildungen  und  die  Krankheiten  der  Cirkulations- 
organe  gegen  das  Centrum  ins  Gewicht,  beim  Norden  außer  der  Lungen- 
schwindsucht ganz  besonders  der  chronische  Lungenkatarrh,  die  bös- 
artigen Neubildungen  und  die  Infektionskrankheiten,  beim  Osten  in 
erster  Linie  die  akuten  Krankheiten  der  Atmungsorgane,  die  Infek- 
tionskrankheiten und  die  Krankheiten  der  Ernährungsorgane  und  beim 
Westen  zunächst  die  bösartigen  Neubildungen,  die  akuten  Krankheiten 
der  Atmungsorgane  und  die  Krankheiten  der  Ernährungsorgane.  Da 
die  auf  die  einzelnen  Todesursachen  entfallenden  Beobachtungszahlen 
vielfach  gering  sind,  liegt  es  uns  nun  durchaus  fern,  aus  den  ge- 
fundenen Differenzen  irgend  welche  weitgehende  Schlüsse  ziehen  zu 
wollen.  Gleichwohl  können  wir  es  uns  nicht  versagen,  auf  die  Be- 
deutung einiger  Punkte  hinzuweisen.  Die  höhere  Sterblichkeit  infolge 
von  Infektionskrankheiten  im  Osten  und  Norden,  wo  die  Elementar- 
lehrer in  wirtschaftlicher  Beziehung  durchschnittlich  am  schlechtesten 
situiert  sind,  ist  vielleicht  gerade  hier  auf  eine  mangelnde  Wohnungs- 
hygiene, wie  sie  von  Richter  angedeutet  wurde,  zurückzuführen.  Die 
bösartigen  Neubildungen  sind  am  häufigsten  (42,8  Proz.  Uebersterb- 
lichkeit) im  Süden  zu  konstatieren.  Diese  Beobachtung  wurde  seiner 
Zeit  auch  bei  den  evangelischen  und  den  katholischen  Geistlichen 
des  Südens  gemacht.  Eine,  wenn  auch  nicht  ganz  so  hohe  Ueber- 
sterblichkeit (29,5  Proz.)  zeigt  auch  der  Westen,  dann  folgen  der 
Norden  mit  19,5  Proz.  und  das  Centrum  mit  7,0  Proz.,  während  der 
Osten  eine  Untersterblichkeit  von  22,5  Proz.  aufweist.  Daß  diese 
Erscheinung  nicht  mit  der  Berufsbeschäftigung,  die  in  allen  5  Bezirken 
dieselbe  sein  dürfte,  zusammenhängen  kann,  ist  wohl  ganz  selbstver- 
ständlich. Daß  sie  zu  der  ökonomischen  Lage  in  Beziehung  stehe,  ist 
ebensowenig  anzunehmen.  Denn  wie  sollte  man  sich  sonst  die  hohe 
Sterblichkeit  des  Südens,  dessen  Lehrer  durchschnittlich  wirtschaftlich 
nicht  erheblich  ungünstiger  gestellt  sein  werden,  als  die  des  Centrums, 
und  vor  allem  die  Untersterblichkeit  des  Ostens,  wo  die  Gehaltsver- 
hältnisse der  Elementarlehrer  sicherlich  doch  viel  schlechter  sind  als 
im  Centrum,  zu  erklären  sein.  Man  wird  daher  die  Ursache  dieser 
Differenzen  wohl  in  einer  anderen  Richtung  zu  suchen  haben,  auf  die 
wir  weiter  unten  noch  etwas  ausführlicher  zu  sprechen  kommen  werden. 
Hinsichtlich  der  Lungenschwindsucht,  sowie  der  chronischen  Lungen- 
erkrankungen ist  der  Norden  und  Süden  am  schlechtesten  gestellt, 
während  die  akuten  Krankheiten  der  Atmungsorgane  im  Westen  und 
Osten  relativ  am  häufigsten  beobachtet  wurden.  Jedenfalls  ist  es  von 
nicht  zu  unterschätzender  Bedeutung,  daß  die  Lungenschwindsucht, 
deren  Frequenz  unserer  Ansicht  nach  unzweifelhaft  die  wirtschaftliche 


214  Joh.  Karup  und  R.  Gollmer, 

Lage  und  Lebenshaltung  einer  Berufsklasse  am  besten  zum  Ausdruck 
bringt,  im  Centrum,  wo  das  Volksschulwesen  am  besten  organisiert 
ist  und  die  Elementarlehrer  daher  am  besten  gestellt  sein  dürften, 
am  wenigsten  beobachtet  wurde.  Unter  den  übrigen  Todesursachen 
ist  namentlich  noch  die  Gruppe  der  Herzkrankheiten  zu  berücksichtigen, 
bei  welcher  sich  zwischen  dem  Süden  einer-  und  den  4  übrigen  geo- 
graphischen Bezirken  andererseits  eine  ganz  beträchtliche  Differenz  zu 
Ungunsten  des  ersteren  nachweisen  läßt.  Ein  ähnliches  Resultat  ergab 
unsere  Untersuchung  über  die  Sterblichkeit  der  Geistlichen  beider  Kon- 
fessionen und  wurde  damals  von  uns  auf  gewisse,  dem  Süden  eigen- 
tümliche Lebensgewohnheiten,  vor  allem  auf  den  durchschnittlich  dort 
größeren  Bierkonsum  zurückgeführt. 

Wir  gehen  jetzt  dazu  über,  die  Resultate  mitzuteilen,  die  wir 
mittelst  der  Methode  der  rechnungsmäßigen  Sterbefälle  hinsichtlich 
der  Frequenz  der  Todesursachen  bei  den  Elementarlehrern  nach  Stadt 
und  Land  und  bei  den  beiden  anderen  Lehrerkategorien,  den  Gym- 
nasiallehrern und  Dozenten,  erlangten.  Die  Untersuchung  wurde  auch 
auf  die  in  früheren  Spezialarbeiten  behandelten  Aerzte  und  Geistlichen 
ausgedehnt,  teils  des  Vergleiches  halber,  teils  um  deswillen,  weil  in  jenen 
die  Methode  der  rechnungsmäßigen  Sterbefälle  nur  in  sehr  beschränktem 
Maße  zur  Anwendung  gelangen  konnte.  Es  fehlte  uns  nämlich  da- 
mals an  der  erforderlichen  Grundlage,  an  einer  entsprechenden  Klassifi- 
kation und  Bearbeitung  des  Beobachtungsmateriales  für  sämtliche  Ver- 
sicherte, die  nunmehr  in  der  an  dieser  Stelle  1890  veröffentlichten 
Arbeit  „Die  Sterblichkeit  nach  Todesursachen  unter  den  Versicherten 
der  Gothaer  Lebensversicherungsbank  f.  D.  während  der  Zeit  von 
1829—1878"  vorliegt. 

Hinsichtlich  der  Einteilung  der  nachfolgenden  Tabelle  ist  zu  be- 
merken, daß  sämtliche  Todesursachen  in  8  Hauptgruppen  A — H  unter- 
gebracht Isind,  daß  aber  für  die  stärker  besetzten  Berufs kategorien 
auch  einige  Unterabteilungen  Bl,  El  etc.  vorgesehen  wurden.  Um 
das  Material  nicht  allzusehr  zu  zersplittern,  wurden  nur  2  Alters- 
perioden gebildet,  zum  Teil  aber  auch  jede  Alterseinteilung  unter- 
lassen, was  bei  der  Methode  der  rechnungsmäßigen  Fälle  zulässig  ist. 
Bei  katholischen  Geistlichen  konnte  der  Vergleich  auch  für  solche 
Todesursachen,  welche  stärker  vertreten  waren,  nicht  überall  durch- 
geführt werden,  weil  die  zugehörigen  wirklichen  Sterbefallzahlen  nicht 
mehr  vorlagen.  Die  Dozenten  der  Medizin,  auf  welche  im  ganzen  nur 
67  Sterbefälle  treffen,  lassen  eine  eingehendere  Diskussion  über  die 
Todesursachen  kaum  zu,  und  wir  haben  sie  deshalb  nur  der  Voll- 
ständigkeit halber  und  weil  sie  die  für  die  übrigen  Universitätslehrer 
gegebenen  Zahlen  gewissermaßen  ergänzen,  mit  eingereiht. 

(Siehe  Tabelle  XXVI  auf  S.  215.) 

Was  zunächst  die  Krankheiten  der  Atmungsorgane  (E,  letzte 
Spalte)  anlangt,  die  fast  überall  am  meisten  ins  Gewicht  fallen,  so 
zeigt  sich,  daß  bei  den  Universitätslehrern  diese  Krankheiten  eine 
relativ  untergeordnete  Rolle  spielen,  indem  hier  die  geringste  Sterblich- 
keit  nachzuweisen   ist.     Darauf  folgen   die   Gymnasiallehrer   und  die 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc. 


215 


Tab.  XXVI. 

Rechnungsmäßige  und  wirkliche  Sterblichkeit  nach  Todesursachen 
für  verschiedene  Berufsklassen. 


Alte 

r 

26—60 

61—90 

a 

. 

s*  £, 

XI 

=     OD 

a   tx 

o 

3  2 

g  s 

«  s 

M 

3 

u 

4a 
S 
S 
N 
O 

Cd 

3 

a 

a> 

M 

o 

w 

Zahl  der 

Zahl  der 

Sterbefälle 

Sterbefälle 

Sämtl.  Alter  (26  —  90) 


m  S, 


Zahl  der 
Sterbefälle 


Universitätslehrer 

ohne  Aerzte 
Gymnasiallehrer 
Elementarlehrer 

a)  Stadtlehrer 

b)  Landlehrer 
Evangel.   Geistliche 
Eathol.   Geistliche 
Aerzte 

Docenten  der  Medizin 


Universitätslehrer 

ohne  Aerzte 
Gymnasiallehrer 
Eiementarlehrer 

a)  Stadtlehrer 

b)  Landlehrer 
Evangel.  Geistliche 
Kathol.  Geistliche 
Aerzte 

Docenten  der  Medizin 


Universitätslehrer 

ohne  Aerzte 
Gymnasiallehrer 
Elementarlehrer 

a)  Stadtlehrer 

b)  Landlehrer 
Evangel.  Geistliche 
Kathol.  Geistliche 
Aerzte 

Docenten  der  Medizin 


A.  Sterblichkeil 

im 

Allgeme 

inen. 

84,73 

48 

56,7 

131,50 

106 

80,6 

216.23 

154 

651,25 

504 

77,4 

600,09 

541 

90,2 

1251,34 

1045 

1672,25 

1379 

82.5 

1484,56 

1394 

93,9 

3156,81 

2773 

399,58 

303 

75-8 

343,46 

323 

94,0 

743,04 

626 

1272.67 

IO76 

84,5 

1141,10 

1071 

93,9 

24J3,77 

2147 

942,81 

694 

73,6 

1421,76 

1336 

94,o 

2364,57 

2030 

192,09 

199 

103.6 

154,14 

191 

123,9 

346,23 

390 

501,70 

583 

116,2 

446.07 

469 

105.1 

947,77 

1052 

31,65 

29 

91,6 

27,24 

3« 

139,5 

58,89 

67 

B.  Infektionskrankheiten. 


12,11 

9 

74,3 

5,88 

2 

34,o 

17,99 

II 

IOI.08 

66 

65,3 

28,92 

16 

55,3 

130.00 

82 

255,35 

205 

80,3 

73,io 

52 

7i,i 

328,45 

257 

62.58 

38 

60,7 

16, 60 

H 

84,3 

79,18 

52 

192.77 

167 

86,6 

56,50 

3« 

67,3 

249,27 

205 

133.57 

117 

87,6 

67,47 

72 

106,7 

201,04 

189 

28,47 

26 

9i,3 

7,9  2 

9 

113,6 

36,39 

35 

75,43 

119 

157,8 

22,25 

24 

107,9 

97,68 

6,07 

143 

5 

Bl.  Typhus  mit  Flecktyphus. 


65,40 
165,10 

40,58 
124,52 

85,50 

48,62 


'46 

70,3 

17,10 

II 

64.3 

82,50 

57 

134 

81,2 

43-58 

34 

78,o 

208,68 

168 

21 

51,8 

9,83 

8 

81,4 

50.41 

29 

«3 

90,7 

33,75 

26 

77,0 

158,27 

139 

82 

95.9 

39,64 

46 

116,0 

125,14 

128 

100 

205,7 

13,33 

15 

112,5 
•• 

61,95 

115 

71,2 

83,5 

87,8 
84,3 

88,9 

85,9 

112,6 

111,0 

113,8 


61,1 

63,1 
78,2 
65,7 
82,2 
94,o 
96,2 
146,4 
82,4 


67,9 
80,5 
57,5 
87,8 
102,3 

185,6 


216 


Joh.  Karup  und  R.  Gollmer, 


Tab.  XXVI  (Fortsetzung). 


26—60 


60  ® 


'S  S 


Zahl   der 
Sterbefälle 


Alter 
61—90 


Zahl  der 
Sterbefälle 


Sämtl.  Alter  (26—90) 


Zahl  der 
Sterbefälle 


Universitätslehrer 

ohne  Aerzte 
Gymnasiallehrer 
Elementarlehrer 

a)  Stadtlehrer 

b)  Landlehrer 
Evangel.  Geistliche 
Kathol.  Geistliche 
Aerzte 

Docenten  der  Medizin 


Universitätslehrer 

ohne  Aerzte 
Gymnasiallehrer 
Elementarlehrer 

a)  Stadtlehrer 

b)  Landlehrer 
Evangel.  Geistliche 
Kathol.  Geistliche 
Aerzte 

Docenten  der  Medizin 


Universitätsieh  rer 

ohne  Aerzte 
Gymnasiallehrer 
Elementarlehrer 

a)  Stadtlehrer 

b)  Landlehrer 
Evangel.  Geistliche 
Kathol.  Geistliche 
Aerzte 

Docenten  der  Medizin 


Universitätslehrer 

ohne  Aerzte 
Gymnasiallehrer 
Elementarlehrer 

a)  Stadtlehrer 

b)  Landlehrer 
Evangel.  Geistliche 
Kathol.  Geistliche 
Aerzte 

Docenten  der  Medizin 


C 

.  Bösartige  Neubildungen. 

5,43 

3 

55,2 

8.35 

7 

83,8 

!3,78 

10 

38,00 

44 

115,8 

41,57 

39 

93,8 

79,57 

83 

99,40 

"5 

"5,7 

104,70 

112 

107,0 

204,10 

227 

23,04 

30 

130,2 

23,75 

33 

139,0 

46,79 

63 

76,36 

«5 

III. 3 

80,95 

79 

97,6 

157,31 

164 

60,71 

41 

67,5 

97,27 

9i 

93,6 

157,98 

23,26 

132 
32 

30,38 

3i 

IO2,0 

31,86 

48 

I5°>7 

62,24 
4,05 

79 

5 

72,6 
104,3 

111,2 

134,6 

104,3 

83,6 


123.5 
D.  Krankheiten  des  Centralnervensystems  excl.  Gehirnschlag. 

44,6 


121,2 
70,3 
94,0 
63.0 
74,0 
78,5 
94,9 

201,0 


5,98 

I 

16,7 

7,48 

5 

66,8 

*3,46 

6 

45,86 

52 

U3,4 

36,62 

48 

131,1 

82,48 

100 

117,60 

69 

58,7 

91,56 

78 

85,2 

209,16 

147 

28,06 

21 

74,8 

20,8  7 

25 

119,8 

48,93 

46 

89,54 

48 

53,6 

70,69 

53 

75,o 

l6o,23 

IOI 

66,67 

36 

54,o 

85,97 

77 

89.6 

152,64 

"3 

13,56 

7 

51,6 

IO,65 

12 

112,7 

24,21 

*9 

35," 

36 

101,7 

27,81 

24 

86,3 

63,22 

60 

2,22 

4 

180,2 

1,76 

4 

227,2 

3,98 

8 

E.   Krankheiten  der  Atmungsorgane. 


27,42 

9 

32,8 

39,26 

21 

53,5 

66,68 

30 

220,29 

I44 

65,4 

182,41 

133 

72,9 

402,70 

277 

560,65 

551 

98.3 

449,93 

457 

101,6 

IOIO,58 

IO08 

J35,84 

"5 

84,7 

103,89 

9i 

87,6 

239,73 

206 

424,81 

436 

102,6 

346,04 

366 

105,8 

770,85 

802 

303,45 

186 

61,3 

432,39 

321 

74,2 

735,84 

507 

63,35 

57 

90,0 

47,io 

42 

89,2 

110,45 

99 

l66, 78 

172 

103,1 

135,25 

92 

68,0 

302,03 

264 

IO,37 

7 

67,5 

8,25 

7 

84,9 

18, 62 

14 

68,8 
99,7 
85,9 
104.0 
68,9 
89,6 
87,4 
75,2 

El.  Akute  Krankheiten  d.  Atmungsorgane  u.  Brustfellentzündung. 


47,76 

28 

58,6 

23,7  8 

117 

94,5 

29,12 

19 

65,2 

94,66 

98 

103,5 

72,73 

81 

II  1,4 

37,55 

63 

167,8 

63,03 

'46 

73,o 

154,84 

139 

89,8 

35,86 

30 

83.7 

Il8, 98 

109 

91,6 

149,79 

M5 

96,8 

46,43 

34 

73,2 

110,79 

74 

66,8 

278,62 

256 

91,9 

64,93 

49 

75.4 

213,64 

207 

96,9 

222,52 

226 

101,6 

83,98 

97 

"5,5 

Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc. 


217 


Tab.  XXVI  (Fortsetzung). 


Alter 

26 

—  60 

61—90 

Sämtl.  Alter  (26—90) 

Rechnungs- 
mäfsige 

0 

13 

a 

N 
O 

3     tX 
3  'S 

tu    ° 

öS 

O 

0 

1 

s 

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O 

Ch 

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JZ   :« 

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es 

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0 

a 
3 

M 
O 

Zahl  d 

er 

Zahl  der 

Zahl  d 

er 

Sterbelälle 

Sterbefälle 

Sterbefälle 

E2.    Lungenschwindsucht. 

Universitätslehrer 

ohne  Aerzte 

.   . 

.   . 

.   . 

Gymnasiallehrer 

162,80 

108 

66,3 

34.10 

24 

70,4 

196,90 

132 

67,0 

Elementarlehrer 

410,50 

405 

98,6 

88,16 

94 

106,6 

498,66 

499 

100,1 

a)  Stadtlehrer 

100,84 

91 

90,2 

19-70 

16 

81.2 

120,54 

107 

88,8 

b)  Landlehrer 

309,66 

3H 

101,4 

68.46 

78 

113. 9 

378,12 

392 

103,7 

Evangel    Geistliche 

212,86 

94 

44-2 

78,12 

45 

57.« 

290,98 

139 

47,8 

Kathol.  Geistliche 

.  . 

Aerzte 

111,08 

101 

90,9 

27,19 

18 

66,2 

148,27 

119 

80,2 

Docenten  der  Medizin 

E3.    Lungenemphysem,  chronischer  Lungenkatarrh. 

Universitätslehrer 

ohne  Aerzte 

Gymnasiallehrer 

9,73 

's 

82,2 

85.28 

63 

73,9 

95,oi 

7i 

74,7 

Elementarlehrer 

26  37 

29 

IIO.U 

206,93 

224 

108,2 

233,30 

253 

108,5 

a)   Stadtlehrer 

5.88 

5 

85.0 

48,33 

45 

93,i 

54-21 

50 

92,2 

b)  Landlehrer 

20,49 

24 

117,1 

158,60 

179 

112,9 

179,09 

203 

H3,4 

Evangel.  Geistliche 

17,86 

11 

61,6 

204,48 

•3i 

64,1 

222.34 

142 

63,9 

Kathol.   Geistliche 

.  . 

Aerzte 

8,15 

8 

98,2 

6l, 63 

40 

64,9 

69,78 

48 

68,8 

Docenten  der  Medizin 

•  . 

•  • 

•  • 

F.    Selbstmord. 

Universitätslehrer 

ohne  Aerzte 

2,45 

1 

40,8 

0,80 

1 

125,0 

3,25 

2 

61,5 

Gymnasiallehrer 

1994 

12 

60,2 

4,24 

1 

23,6 

24,18 

13 

53,8 

Elementarlehrer 

50,68 

26 

Si,3 

10,7  5 

2 

18,6 

61,43 

28 

45-6 

a)   Stadtlehrer 

12.28 

7 

57,o 

2,43 

1 

41,2 

14,71 

8 

54,4 

b)  Landlphrer 

38.40 

19 

49,5 

8,32 

1 

120,2 

46,72 

20 

42,8 

Evangel.   Geistliche 

27,30 

12 

44,o 

9,85 

2 

20,3 

37.15 

14 

37,7 

Kathol.  Geistliche 

5,70 

0 

0,0 

1,20 

0 

0,0 

6.90 

0 

0,0 

Aerzte 

15.12 

11 

72,8 

3,28 

3 

91,5 

l8, 40 

14 

76,1 

Docenten  der  Medizin 

1,15 

1 

G.    Verungliickung. 

Universitätslehrer 

ohne  Aerzte 

2,07 

1 

48.3 

1,48 

3 

202,7 

3,55 

4 

112,7 

Gymnasiallehrer 

16,88 

7 

41,5 

6,67 

6 

90,0 

23,55 

13 

55-2 

Elementarlehrer 

42,67 

23 

53-9 

16,92 

21 

124,0 

59.59 

44 

73,8 

a)  Stadtlehrer 

10,41 

3 

28,8 

3,83 

5 

I3°.ö 

14,24 

8 

56,2 

b)  Landlehrer 

32,26 

20 

62,0 

13,09 

16 

122,2 

45.35 

36 

79,4 

EvaDgel.  Geistliche 

22.56 

6 

26,6 

15-50 

6 

38,7 

38,06 

12 

31,5 

Kathol.  Geistliche 

4,86 

0 

0,0 

1,78 

0 

0,0 

6,64 

0 

0,0 

Aerzte 

12,67 

10 

78,9 

5,17 

6 

116,2 

17,84 

16 

89,7 

Docenten  der  Medizin 

*, 

1 

1,11 

1 

218 


Job.   Karup  und  ß.   Gollmer, 


Tab.  XXVI  (Fortsetzung). 


26—60 


ja  w 


Zahl  der 
Sterbefälle 


Alter 
61—90 


Zahl  der 
Sterbefälle 


Sämtl.  Alter  (26—90) 


Zahl  der 
Sterbefälle 


H.    Uebrige  Todesursachen. 


Universitätslehrer 

ohne   Aerzte 
Gymnasiallehrer 
Elementarlehrer 

a)  Stadtlehrer 

b)  Landlehrer 
Evangel.   Geistliche 
Eatbol.  Geistliche 
Aerzte 

Docenten  der  Medizin 


Universitätslehrer 

ohne  Aerzte 
Gymnasiallehrer 
Elementarlehrer 

a)  Stadtlehrer 

b)  Landlehrer 
Evangel.  Geistliche 
Kathol.  Geistliche 
Aerzte 

Docenten  der  Medizin 


Universitätslehrer 

ohne  Aerzte 
Gymnasiallehrer 
Elementarlehrer 

a)  Stadtlehrer 

b)  Landlehrer 
Evangel.   Geistliche 
Kathol.   Geistliche 
Aerzte 

Docenten  der  Medizin 


29,27 

24 

82,0 

209.20 

179 

85-6 

545,90 

39o 

71,4 

127,37 

89 

69,9 

418,53 

301 

71,9 

328,55 

296 

90,1 

165,91 

204 

123.0 

10,72 

9 

84,0 

68,25 

67 

98,2 

299,66 

298 

994 

737,60 

672 

91,1 

172,09 

«54 

89.5 

565,51 

5i« 

91,6 

7i3,3i 

767 

107,5 

220,45 

272 

123,4 

13,19 

24 

181,9 

97,52 

91 

508,86 

4771 

1283.50 

1062 

299,46 

243 

984,04 

819 

1041.86 

1063 

138.3s 

205 

386,36 

476 

23,91 

33 

93,3 

93,7 

82,7 

81,1 

»3,2 

102,0 

148,1 

123,2 

138,0 


Hl. 


Altersschwäche,  Schlagflufs,  Herzkrankheiten, 
Nierenentzündung. 


120,78 

112 

92,7 

194,36 

211 

108,6 

3i5,i4 

323 

3l6,53 

213 

67,3 

478,01 

451 

94.3 

79454 

664 

73-40 

44 

599 

111,65 

102 

91,4 

185,05 

146 

243.13 

169 

69,5 

366,36 

349 

95.3 

609,49 

5J8 

193.56 

177 

91,4 

463,82 

597 

128,7 

657,38 

774 

96,55 

153 

158,5 

142,13 

229 

161,1 

238,68 

3»2 

102.5 

83.6 
78,9 
85.0 

H7.7 

160,1 


60. 8  7 

42 

69,0 

157-62 

123 

78,0 

37,16 

34 

91,5 

I20. 46 

89 

73,9 

92,16 

61 

66,2 

47,73 

33 

69,1 

H2.    Krankheiten   der  Ernährungsorgane. 


122,31 

309,24 

72,12 

237,12 

237,88 


61,44 

42 

68,3 

151,62 

132 

87.1 

34-96 

28 

80.1 

116,66 

104 

891 

145-72 

87 

59-7 

45,61 

12 

26,3 

93,34 


84 

255 

62 

193 
148 

45 


68,7 
82,5 
86.0 
81.4 
62,2 

48,2 


evangelischen  Geistlichen,  welche  fast  denselben  Prozentsatz  (68,8  bezw. 
68,9  Proz.)  aufzuweisen  haben;  hieran  schließen  sich  —  von  den 
Dozenten  der  Medizin  abgesehen  —  die  städtischen  Elementarlehrer, 
die  Aerzte,  die  katholischen  Geistlichen  und  schließlich  die  Land- 
lehrer. 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc.  219 

Ehe  wir  diese  Differenzen  zu  erörtern  versuchen,  wollen  wir  er- 
mitteln, welche  Resultate  sich  bei  den  Berufskategorien  ergaben,  wo 
das  Beobachtungsmaterial  eine  Zergliederung  nach  den  verschiedenen 
Lungenaffektionen  gestattet.  Hinsichtlich  der  akuten  Krankheiten  der 
Atmungsorgane  ergiebt  sich,  wenn  man  wieder  die  Lebensalter  ganz 
unberücksichtigt  läßt,  daß  die  Aerzte  am  ungünstigsten  dastehen  mit 
einer  Uebersterblichkeit  von  15,5  Proz. ;  darauf  folgen  die  evangelischen 
Geistlichen  mit  einer  Uebersterblichkeit  von  1,6  Proz.  und  daran 
schließen  sich  die  Landlehrer,  städtischen  Elementarlehrer  und  die 
Gymnasiallehrer,  die  sämtlich  eine,  wenn  auch  recht  verschiedene 
Untersterblichkeit  (bezw.  3,1,  24,6  und  33,2  Proz.)  erkennen  lassen. 
Bei  Berücksichtigung  der  beiden  Altersklassen  stellt  sich  heraus,  daß 
die  höhere  Sterblichkeit  der  Aerzte  und  evangelischen  Geistlichen  aus- 
schließlich in  der  ersten  zu  Tage  tritt  und  in  der  zweiten  einer,  bei 
den  Aerzten  sogar  beträchtlichen,  Untersterblichkeit  Platz  macht. 
Auch  bei  den  Landlehrern  ist  die  im  Verhältnis  zu  den  Stadt- 
und  Gymnasiallehrern  relativ  hohe  Sterblichkeit  auf  eine  Uebersterb- 
lichkeit in  den  Altern  26 — 60  zurückzuführen.  Wesentlich  anders  ge- 
staltet sich  das  Bild  bei  den  chronischen  Lungenerkrankungen.  Bei 
der  Lungenschwindsucht  (E2)  zeigen  die  Landlehrer  in  beiden  Alters- 
klassen die  ungünstigste  Sterblichkeit  (Uebersterblichkeit  von  1,4  bezw. 
13,9  Proz.).  In  der  jüngeren  Altersklasse  machen  sich  die  Aerzte  und 
städtischen  Elementarlehrer  den  zweiten  Platz  gegenseitig  streitig; 
denn  beide  zeigen  fast  denselben  Sterblichkeitsprozentsatz  (Untersterb- 
lichkeit von  9,1  bezw.  9,8  Proz.),  hierauf  folgen  die  Gymnasiallehrer 
und  die  evangelischen  Geistlichen  mit  einer  Untersterblichkeit  von 
33,7  bezw.  55,8  Proz.  In  der  höheren  Altersklasse  ist  das  Verhältnis 
insofern  anders,  als  sich  die  Sterblichkeit  der  Aerzte  hier  wesentlich 
günstiger  gestaltet  und  der  der  Gymnasiallehrer  und  evangelischen 
Geistlichen  bedeutend  näher  rückt.  Die  städtischen  Elementarlehrer 
zeigen  im  Gegensatze  zu  den  Landlehrern  ebenfalls  eine  Abnahme  der 
Schwindsuchtssterblichkeit  mit  dem  Alter,  so  daß  sich  zwischen  beiden 
eine  Differenz  von  32,7  Proz.  herausstellt  (in  der  jüngsten  Altersklasse 
beträgt  der  Unterschied  nur  11,2  Proz.).  Faßt  man  nun  die  für  die 
beiden  Altersklassen  gefundenen  Zahlen  zusammen,  so  muß  man  die 
Landlehrer  als  diejenige  Berufskategorie  bezeichnen,  die  in  Bezug  auf 
die  Lungenschwindsucht  am  meisten  belastet  ist.  Um  14,9  Proz.  besser 
stehen  die  Stadtlehrer  da,  dann  folgen  die  Aerzte,  die  Gymnasiallehrer 
und  schließlich  die  evangelischen  Geistlichen.  Bei  den  mit  Lungen- 
emphysem und  chronischem  Lungenkatarrh  bezeichneten  Lungenaffek- 
tionen (E3)  ist  sowohl  für  die  beiden  Altersklassen  als  für  sämtliche 
Alter  das  Rangverhältnis  der  hier  in  Betracht  kommenden  Berufs- 
kategorien dasselbe,  wie  bei  „Lungenschwindsucht". 

Was  für  Schlüsse  lassen  sich  nun  aus  diesen  Differenzen  ziehen  ? 
Hinsichtlich  der  Aerzte  wurde  schon  bei  der  Spezialuntersuchung  über 
dieselben  von  uns  die  Ansicht  ausgesprochen,  daß  ihre  hohe  Sterblich- 
keit mit  auf  die  starke  Frequenz  der  Krankheiten  der  Atmungs- 
organe zurückgeführt  werden  müßte.     Das  wird    somit  durch  die  vor- 


220  Joh.  Karup  und  R.  Gollmer, 

liegende  Untersuchung  nur  bestätigt.  Allerdings  sind  es  nicht  die 
Krankheiten  der  Atinungsorgane  schlechtweg,  sondern  ausschließlich 
die  akuten  Formen  derselben,  wie  Lungenentzündung,  Lungen brustfell- 
entzündung,  Luftröhrenentzündung  etc.  Daß  die  Aerzte  von  derartigen 
Krankheitsformen  häufig  heimgesucht  werden,  kann  nicht  überraschen. 
Wie  sehr  müssen  sich  dieselben,  namentlich  auf  dem  Lande,  bei  Wind 
und  Wetter  abhetzen  und  wie  oft  im  Laufe  des  Tages  den  grellsten 
Temperaturunterschieden  —  man  denke  nur  an  die  ganz  besonders 
auf  dem  Lande  so  oft  überheizten  Wohn-  und  Krankenzimmer  —  aus- 
setzen! Ein  Teil  der  hohen  Sterblichkeit  an  akuten  Krankheiten  der 
Respirationsorgane  dürfte  allerdings  damit  zusammenhängen,  daß  die 
Aerzte  auch  stark  zu  Herzkrankheiten  disponieren,  wie  aus  der  wei- 
teren Untersuchung  hervorgehen  wird;  denn  gerade  Herzstörungen  sind 
es,  die  erfahrungsgemäß  den  Verlauf  jener  Krankheiten  besonders  un- 
günstig gestalten.  Man  sollte  hiernach  erwarten,  daß  auch  die  chro- 
nischen Formen  der  Lungenerkrankungen  bei  den  Aerzten  relativ  häufig 
vorkämen,  was  aber  (nach  E2  und  3)  nicht  der  Fall  ist  und  wohl  auf 
deren  durchschnittlich  bessere  wirtschaftliche  Lage  zurückgeführt 
werden  muß.  Auffallend  ist,  daß  sich  bei  den  Aerzten  das  Verhältnis 
zwischen  wirklicher  und  rechnungsmäßiger  Sterblichkeit  für  sämtliche 
Krankheiten  der  Atmungsorgane  mit  vorrückendem  Alter  durchgängig 
und  erheblich  günstiger  stellt.  So  geht  beispielsweise  für  die  akuten 
Krankheiten  der  Atmungsorgane  das  Verhältnis  von  167,8  der  Alters- 
klasse 26—60  auf  73,2  Proz.  in  der  Altersklasse  61 — 90  oder  um 
94,6  Proz.  zurück.  Die  Erscheinung  wird  wohl  daraus  zu  erklären  sein, 
daß  für  viele  Aerzte  mit  dem  Abschluß  der  ersten  Altersperiode  der 
Moment  eintritt,  wo  sie  mit  Rücksicht  auf  allerlei  Gebresten ,  Krank- 
heitsanlagen etc.  freiwillig  oder  durch  die  Konkurrenz  von  Seiten 
jüngerer  Kollegen  unfreiwillig  gezwungen,  ihren  Wirkungskreis  ein- 
schränken und  sich  den  hier  in  Frage  kommenden  Gefahren  nicht 
mehr  so  aussetzen,  wie  sie  es  in  jüngeren  Jahren  thaten.  Die  höhere 
Sterblichkeit  der  evaugelischen  Geistlichen  infolge  von  akuten  Lungen- 
erkrankungen (E 1)  darf  man  vielleicht,  da  diese  Todesursachen,  wie 
wir  gleich  weiter  unten  sehen  werden,  auch  bei  den  Landlehrern  eine 
größere  Rolle  spielen,  zum  Teil  dem  Aufenthalte  auf  dem  Lande  zu- 
schreiben, wenn  man  erwägt,  daß  unter  den  2024  von  uns  untersuchten 
Geistlichen  das  Land  allein  1702  mal  vertreten  ist1).  Allein  eine 
solche  Erklärung  kann  entschieden  nicht  genügen.  Wie  wäre  es  sonst 
zu  verstehen,  daß  die  viel  schlechter  gestellten  Landlehrer  in  dieser 
Beziehung  doch  günstiger  dastehen,  als  die  Landgeistlichen?  Man 
wird  daher  wohl  annehmen  müssen,  daß  für  manchen  Geistlichen  auch 
in  der  Berufsbeschäftigung  (Predigen  in  kalten  Kirchen,  längeres 
Sprechen  auf  Friedhöfen,  die  oft  gegen  Witterungsunbilden  wenig  oder 
gar  nicht   geschützt  sind,  etc.)   eine  Gefahr   liegt.     Auf   der  anderen 

1)  Eine  entsprechende  Untersuchung  nach  Todesuraschen  schien  uns  seiner  Zeit  mit 
Rücksicht  auf  das  nicht  allzu  umfangreiche  Beobachtungsmaterial  keine  besonderen  Re- 
sultate zu  versprechen.  Dieselben  nachträglich  anzustellen,  war  aus  verschiedenen  Grün- 
den nicht  möglich. 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der   Lehrer  etc.  221 

Seite  sind  die  Geistlichen  zumeist  in  der  angenehmen  Lage,  nach 
jeder  Richtung  hin  vorbeugen  zu  können,  daß  anscheinend  leichte 
katarrhalische  Affektionen  nicht  chronisch  werden  und  namentlich  da, 
wo  es  sich  um  schwache  Konstitutionen  handelt,  keinen  ungünstigen 
Verlauf  nehmen,  und  wir  finden  demgemäß  auch,  daß  die  chronischen 
Formen  der  Lungenkraukheiten  bei  dieser  Berufskategorie  relativ  schwach 
vertreten  sind.  Bei  den  Lehrern  ist  zunächst  die  auffallende  Differenz 
zu  berücksichtigen,  welche  sich  zwischen  den  Landlehrern  einer-  und 
den  städtischen  Elementar-  und  Gymnasiallehrern  anderseits  hinsicht- 
lich der  Frequenz  der  akuten  Lungenerkrankungen  (E  1)  in  der  Alters- 
klasse 26 — 60  geltend  macht.  Dieselbe  beträgt  zu  Ungunsten  der 
ersteren  38,3  bezw.  44,9  Proz.  Diese  höhere  Sterblichkeit  der  Land- 
lehrer kann  unseres  Erachtens  unmöglich  durch  den  Lehrberuf  als 
solchen  bedingt  werden.  Abgesehen  von  der  Einrichtung  der  Schul- 
räume und  der  Zahl  der  zu  unterrichtenden  Kinder  dürften  doch  bei 
den  ländlichen  und  städtischen  Elementarlehrern  die  äußeren  Verhält- 
nisse, unter  welchen  sie  den  Schulunterricht  erteilen,  ganz  dieselben 
sein.  Es  wird  also  kaum  ein  Faktor  zu  konstatieren  sein,  der  die 
eigentliche  Schulthätigkeit  des  Landlehrers  gefahrvoller  macht,  als  die 
des  städtischen  Lehrers.  Zur  Erklärung  muß  man  jedenfalls  auch 
hier  den  zu  Erkältungen  leichter  disponierenden  Aufenthalt  auf  dem 
Lande  uud  vor  allem  die  für  jeden  Landlehrer  obligatorische  Mit- 
übernahme der  verschiedenen  Kirchenämter,  die  dieselben  Gefahren, 
wie  bei  den  Geistlichen,  im  Gefolge  haben  kann,  heranziehen.  Bemerkens- 
wert ist  ferner,  daß  die  Landlehrer  im  Vergleich  zu  den  städtischen 
Elementar-  und  Gymnasiallehrern  eine  ungünstige  Schwindsuchtssterb- 
lichkeit (E2)  zeigen.  Wenn  auch  die  Vermutung  wohl  nicht  ganz  von 
der  Hand  zu  weisen  ist,  daß  die  Elementarlehrer  bei  weitem  mehr,  als 
die  Gymnasiallehrer,  aus  oft  sehr  kinderreichen  Lehrer-,  Subaltern- 
beamten-, Handwerker-  und  Bauernfamilien  stammen,  wo  es  hinsichtlich 
der  Lebenshaltung  meist  sehr  knapp  zugeht  und  wo  deshalb  die  gerade  für 
die  Kinder  so  wichtige  Ernährung  oft  recht  zu  wünschen  übrig  läßt,  so 
ist  doch  als  sicher  auszuschließen,  daß  gerade  die  von  Hause  aus  schwäch- 
lichen, dürftig  genährten  und  daher  zur  Tuberkulose  besonders  leicht 
disponierten  Schulamtskandidaten  vorzugsweise  auf  dem  Lande  An- 
stellung finden  sollten.  Auch  die  Art  der  Lehrthätigkeit  dürfte,  wie 
schon  oben  angedeutet,  bei  dem  Landlehrer  nicht  derartig  sein,  daß 
sie  die  Entwickelung  von  Lungenkrankheiten  besonders  begünstigen 
könnte.  Wir  glauben  deshalb,  daß  die  Abstufungen  in  der  Frequenz 
der  Lungenschwindsucht  bei  den  hier  in  Rede  stehenden  3  Lehrer- 
kategorien auf  denselben  Ursachen  beruhen,  auf  welche  die  Differenzen 
in  der  Schwindsuchtssterblichkeit  nach  geographischen  Bezirken  zurück- 
geführt wurden,  nämlich  auf  wirtschaftlichen  Momenten.  Da  aber  die 
wirtschaftliche  Lage  der  verschiedenen  Lehrerkategorien,  wo  es  sich 
ausschließlich  um  Versicherte  handelt,  gar  nicht  so  weit  auseinander 
geht,  so  wird  man  hieraus  schließen  dürfen,  daß  die  Elementarlehrer 
im  allgemeinen  und  vor  allem  die  auf  dem  Lande  in  Wirklichkeit 
einer  recht  hohen  Schwindsuchtssterblichkeit  unterworfen  sein  müssen. 


222  Joh-  Karup  und  R-  Gollmer, 

Bei  den  Infektionskrankheiten  (B)  stellt  sich  heraus,  daß  die 
Universitätslehrer,  Gymnasiallehrer  und  die  beiden  Kategorien  von 
Elenientarlehrern  in.  sämtlichen  Altern  eine  Untersterblichkeit  zeigen, 
die  noch  weit  beträchtlicher  ist,  als  die  für  sämtliche  Todesursachen. 
Bei  den  Elementarlehrern  darf  aber  nicht  übersehen  werden,  daß  die 
Stadtlehrer,  deren  Sterblichkeit  hier  nur  wenig  von  der  der  Gymnasial- 
lehrer abweicht,  um  16,5  Proz.  günstiger  dastehen  als  die  Landlehrer. 
Noch  größer  wird  der  Unterschied,  wenn  man  den  „Typhus"  allein  (B  1) 
betrachtet,  er  stellt  sich  dann  auf  30,3  Proz.  Diese  Beobachtung,  auf 
deren  Bedeutung  wir  weiter  unten  noch  zu  sprechen  kommen  werden,  be- 
rechtigt aber  durchaus  noch  nicht  zu  der  Behauptung,  daß  die  Infektions- 
krankheiten, vor  allem  der  Typhus,  bei  den  Lehrern  im  strengeren 
Sinne  eine  nennenswerte  Rolle  spielen.  Die  in  dem  Richter'schen  Vor- 
trage angedeutete  Gefahr  der  Ansteckung,  der  die  Elementarlehrer 
teils  durch  direkte  Berührung  mit  kranken  Kindern,  teils  durch  den 
Aufenthalt  in  den  mit  den  Schulräumen  im  Zusammenhange  stehen- 
den Dienstwohnungen  so  leicht  ausgesetzt  sein  sollen,  ist  hier- 
nach nicht  sehr  hoch  anzuschlagen.  Ein  anderes  Bild  gewähren  die 
evangelischen  und  katholischen  Geistlichen  und  die  Aerzte  bei  den 
Infektionskrankheiten.  Für  die  Aerzte  ist  in  der  jüngsten  Altersklasse 
eine  Sterblichkeit  von  157,8  Proz.  und  in  der  höchsten  eine  solche 
von  107,9  Proz.  nachzuweisen.  Die  Uebersterblichkeit  ist  fast  aus- 
schließlich auf  Rechnung  des  Typhus  zu  setzen.  Während  hier  die 
entsprechenden  Prozentsätze  205,7  bezw.  112,5  Proz.  bezw.  betragen, 
stellen  sie  sich  bei  den  übrigen  Infektionskrankheiten  auf  nur  70,9 
bezw.  100,9  Proz.  Hiernach  ist  die  Uebersterblichkeit  bei  Typhus 
noch  weit  beträchtlicher,  als  sie  nach  unserer  Spezialuntersuchung 
über  die  Aerzte  seiner  Zeit  anzunehmen  war  (nach  den  damals  er- 
mittelten Zahlen  betrug  die  Uebersterblichkeit  für  das  Alter  26 — 60 
nur  82,9  Proz.,  während  sich  für  die  höheren  Alter  sogar  eine  Unter- 
sterblichkeit von  11,9  Proz.  herausstellte).  Daß  die  Gefahr  an  Typhus 
zu  erkranken  und  zu  sterben ,  die  Aerzte  ausschließlich  in  Ausübung 
ihres  Berufes  bedroht,  also  hier  im  wirklichen  Sinne  eine  Berufsgefahr 
vorliegt,  geht  schon  daraus  hervor,  daß,  wie  bei  den  akuten  Krankheiten 
der  Atmungsorgane,  die  große  Uebersterblichkeit  fast  ausschließlich 
auf  die  für  das  Erwerbsleben  der  Aerzte  so  wichtige  Altersperiode 
26—60  entfällt. 

Im  Vergleich  zu  den  Lehrern  muß  die  relativ  hohe  Frequenz  der 
Infektionskrankheiten  bei  den  evangelischen  und  katholischen  Geist- 
lichen auffallen,  die  allerdings  das  allgemeine  Mittel  (100  Proz.)  nicht 
erreicht.  Da  beide  Kategorien  hinsichtlich  der  Typhussterblichkeit 
annähernd  gleich  belastet  sind,  so  wird  man  wohl  an  ein  gemein- 
schaftliches ätiologisches  Moment,  das  nicht  in  der  Ausübung  des 
Berufes  zu  suchen  ist,  denken  müssen.  Wohl  überall,  namentlich  auf 
dem  Lande,  haben  beide  Kategorien  von  Geistlichen  Dienstwohnungen, 
die  sie  ausschließlich  für  sich  resp.  ihre  Familienglieder  ausnutzen 
können  und  in  denen  eine  direkte  Ansteckungsgefahr  von  Familie  zu 
Familie,   wie  sie  sich  überall  bei  engerem  Zusammenwohnen  so  leicht 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der   Lehrer  etc.  223 

bietet,  ausgeschlossen  ist.  So  groß  die  Annehmlichkeiten  solcher, 
namentlich  in  Bezug  auf  den  Raum  oft  verschwenderisch  ausgestatteter 
Wohnungen  sind,  so  hatten  sie  auf  dem  Lande  früher  fast  überall 
und  haben  sie  in  manchen  Gebenden  noch  heute  den  Uebelstand  auf- 
zuweisen, daß  sie  in  unmittelbarer  Nähe  der  Kirch-  oder  Friedhöfe 
liegen  —  eine  Einrichtung,  die  vom  neueren  hygienischen  Standpunkte 
mit  Rücksicht  auf  eine  etwaige  Verunreinigung  des  Bodens  durch  Leichen- 
gift und  namentlich  mit  Rücksicht  auf  den  möglichen  Uebertritt  des 
auf  diese  Weise  infizierten  Grundwassers  in  nahe  gelegene  Brunnen  ihre 
größten  Bedenken  hat.  Wie  wir  schon  oben  angedeutet,  sind  die  meisten 
evangelischen  Geistlichen,  die  bei  unserer  Untersuchung  in  Berück- 
sichtigung gezogen  wurden,  Landgeistliche,  und  ein  ähnliches  Verhältnis 
dürfte  auch  zweifellos  bei  den  katholischen  obwalten.  Deshalb  wird 
man  vielleicht  nicht  fehlgehen,  wenn  man  die  relativ  hohe  Frequenz 
der  typhösen  Erkrankungen  bei  den  Angehörigen  des  geistlichen  Stan- 
des auf  die  hie  und  da  in  hygienischer  Beziehung  wenig  günstige  Lage 
der  Pfarrwohnungen  mit  zurückführt.  Daß  der  Aufenthalt  auf  dem 
Lande  überhaupt  infolge  Vernachlässigung  der  einfachsten  hygienischen 
Vorsichtsmaßregeln  —  man  denke  nur  an  die  Brunnen,  die  oft  in 
allernächster  Nähe  der  Aborte  und  Düngerhaufen  liegen  —  hier  und 
da  mehr  Gefahren  im  Gefolge  hat,  als  der  in  der  Stadt,  darauf 
scheint  auch  die  von  uns  oben  schon  erwähnte  Differenz  zwischen 
den  Land-  und  Stadtlehrern  hinsichtlich  der  Typhussterblichkeit  hin- 
zudeuten. 

Die  bösartigen  Neubildungen  (C)  lassen  bei  sämtlichen  Berufs- 
kategorien, mit  Ausnahme  der  Universitätslehrer  und  der  evangelischen 
Geistlichen,  eine  mehr  oder  weniger  beträchtliche  Uebersterblichkeit 
erkennen.  Läßt  man  das  Lebensalter  ganz  unberücksichtigt,  so  ergiebt 
sich,  daß  die  katholischen  Geistlichen  mit  einer  Uehersternlichkeit  von 
37,6  Proz.  am  meisten  belastet  sind,  darauf  folgen  die  städtischen 
Elementarlehrer  mit  34,6  Proz.,  dann  die  Aerzte  mit  26,9  Proz.  und 
schließlich  die  Gymnasial-  und  Landlehrer  mit  je  4,3  Proz.  Diese 
Uebersterblichkeit  macht  sich  aber  in  den  einzelnen  Altern  ganz  ver- 
schieden geltend.  Während  bei  den  Gymnasial-  und  Landlehrern  die 
Uebersterblichkeit  nur  im  Alter  26 — 60  hervortritt,  ist  sie  bei  den 
städtischen  Elementarlehrern  und  Aerzten  in  allen  Altersperioden  nach- 
weisbar. Wie  soll  man  sich  nun  die  hohe  Sterblichkeit  infolge  von 
bösartigen  Neubildungen  bei  den  hier  in  Betracht  kommenden  Berufs- 
kategorien erklären?  Wäre  der  Krebs,  wie  die  Lungenschwindsucht, 
eine  sich  vorzugsweise  in  bestimmten  Familien  vererbende  Krankheit, 
dann  müßte  man  geradezu  annehmen,  daß  der  Stand  der  Aerzte, 
der  katholischen  Geistlichen  und  der  städtischen  Elementarlehrer  sich 
vorzugsweise  aus  Angehörigen  von  Familien,  die  mit  Krebs  belastet 
sind,  ergänzte.  Daß  in  Sorgen  und  Entbehrungen  etc.  die  Ursache 
nicht  gesucht  werden  kann,  dafür  spricht  vor  allem  die  auffallend 
starke  Beteiligung  der  katholischen  Geistlichen,  die  unseres  Erachtens 
in  dieser  Beziehung  unzweifelhaft  günstig  dastehen.  Nach  dem  großen 
Unterschiede  zwischen  Stadt-  und  Landlehrern  könnte  vielleicht  mancher 


224  Joh.  Kamp  und  R.  Gollmer, 

geneigt  sein,  dem  Leben  in  der  Stadt  einen  besonders  ungünsigen 
Einfluß  zuzuschreiben.  Damit  läßt  sich  aber  nicht  in  Einklang  bringen, 
daß  die  Gymnasiallehrer  eine  weit  geringere  Frequenz  der  bösartigen 
Neubildungen  aufzuweisen  haben,  als  die  städtischen  Elementarlehrer. 
Daß  die  Berufsbeschäftigung  in  ätiologischer  Beziehung  von  Einfluß 
sein  sollte,  ist  ebensowenig  anzunehmen ;  denn  zwischen  Stadt-  und 
Landlehrern,  zwischen  evangelischen  und  katholischen  Geistlichen  ist 
in  dieser  Richtung  wohl  kein  wesentlicher  Unterschied.  Nach  diesen 
vergeblichen  Erklärungsversuchen  ist  nur  noch  eine  Annahme  möglich, 
die  uns  aber  auch  als  die  plausibelste  erscheint.  Wenn  man  bedenkt, 
daß  die  katholischen  Geistlichen,  die  fast  ausschließlich  Süddeutsche 
sind,  bei  den  bösartigen  Neubildungen  am  meisten  belastet  erscheinen, 
daß  der  schon  früher  —  in  unserer  Spezialarbeit  —  bei  den  evan- 
gelischen Geistlichen  zwischen  Nord  und  Süd  zu  Ungunsten  des  letzte- 
ren konstatierte  Unterschied  vorzugsweise  auf  die  relativ  hohe  Sterb- 
lichkeit infolge  von  Krebs  zurückgeführt  werden  muß  und  daß  auch 
bei  den  Elementarlehrern  der  Süden  eine  ungleich  höhere  Krebssterb- 
lichkeit erkennen  läßt,  als  die  übrigen  geographischen  Bezirke,  so  ist 
man  vielleicht  zu  dem  Schlüsse  berechtigt,  daß  in  Süddeutschland 
ganz  besondere  Verhältnisse  obwalten  müssen,  die  in  ätiologischer  Be- 
ziehung für  die  Frequenz  der  bösartigen  Neubildungen  verantwortlich 
zu  machen  sind,  über  die  man  aber  in  Anbetracht,  daß  die  Ursache 
des  Krebses  bis  heutigen  Tages  noch  völlig  unaufgeklärt  ist,  sich 
nicht  einmal  in  Vermutungen  einlassen  kann.  Jedenfalls  ist  aber  diese 
Erscheinung  so  interessant,  daß  es  sich  wohl  lohnen  dürfte,  einmal 
das  gesamte  Sterbefallmaterial  der  Bank  in  Bezug  auf  Todes- 
ursachen nach  geographischen  Bezirken  besonders  zu  untersuchen. 

Mit  Rücksicht  auf  die  in  der  Einleitung  mitgeteilte  Meyer'sche 
Aeußerung  und  den  Richter'schen  Vortrag  ist  es  noch  von  ganz  be- 
sonderem Interesse,  hinsichtlich  der  Krankheiten  des  Centralnerven- 
systems  (D)  und  der  Herzkrankheiten  (Hl  bezw.  H),  welch'  letztere 
bekanntlich  sehr  oft  mit  die  Ursache  der  ersteren  abgeben,  einen  Ver- 
gleich zwischen  den  einzelnen  Berufsklassen  anzustellen.  Was  die 
Krankheiten  der  Cirkulationsorgane  einschließlich  Gehirnschlagfluß, 
Altersschwäche  und  Nierenentzündung  anlangt,  so  findet  man,  daß  die 
Elementarlehrer,  welche  durchschnittlich  zu  den  Versicherten  mit  nied- 
rigen Summen  gehören,  die  geringste,  alle  übrigen  Berufskategorien 
aber,  deren  Angehörige  wohl  durchgehends  mit  größeren  Summen  ver- 
sichert sind,  eine  relativ  hohe  Sterblichkeit  aufzuweisen  haben.  Es 
wird  somit  hier  nur  bestätigt,  was  seiner  Zeit  von  uns  bei  der  Unter- 
suchung sämtlicher  Versicherter  nach  Summenklassen  eruiert  wurde, 
nämlich  daß  die  Frequenz  der  Krankheiten  der  Cirkulationsorgane, 
des  Gehirnschlagflusses  etc.  mit  der  Höhe  der  Versicherungssumme 
steigt,  während  die  Lungenkrankheiten,  namentlich  die  Lungenschwind- 
sucht, den  entgegengesetzten  Verlauf  zeigen.  Das  Ueberwiegen  der 
erstgenannten  Krankheiten  unter  den  mit  höheren  Summen  Versicher- 
ten wurde  seiner  Zeit  von  uns  als  Folge  der  in  diesen  Kreisen  so 
häufigen   Ueberernährung   und  des  übertriebenen  Konsums   von  Reiz- 


Die  Mortalitätsverliältnisse  der  Lehrer  etc.  225 

und  Genußinitteln  angesehen.  Auf  diese  Weise  erklärt  es  sich  unseres 
Erachtens  leicht,  wenn  die  katholischen  Geistlichen,  die  meist  der 
Sorge  für  andere  überhoben  sind  und  sich  so  trotz  im  ganzen  nur 
mäßiger  Einnahmen  materiellen  Genüssen  mehr  hingeben  können,  als 
für  ihren  körperlichen  Gesundheitszustand  vielleicht  dienlich  ist,  die 
höchste  Sterblichkeit  infolge  von  Herzkrankheiten  etc.  erkennen 
lassen.  Auch  bei  den  Aerzten,  die  medizinischen  Dozenten  einge- 
schlossen, dürften  die  genannten  ätiologischen  Momente  für  die  hohe 
Frequenz  der  Krankheiten  der  Cirkulationsorgane  zum  größten  Teile 
verantwortlich  zu  machen  sein.  Indessen  es  sind  auch  keineswegs 
die  körperlichen  Ueberanstrengungen  und  die  Aufregungen,  welche  der 
Beruf  eines  sehr  in  Anspruch  genommenen  Arztes  mit  sich  bringt,  in 
ursächlicher  Beziehung  bei  diesen  Krankheiten  gering  zu  schätzen. 
Bei  den  evangelischen  Geistlichen,  Gymuasial-  und  Universitätslehrern 
ist  die  Frequenz  der  Herzkrankheiten  wesentlich  geringer ,  als  bei 
den  Aerzten  und  katholischen  Geistlichen,  erscheint  aber  doch  noch 
ansehnlich  genug,  um  den  Unterschied  in  der  wirtschaftlichen  Lage 
und  in  der  durch  die  letztere  bedingten  Lebenshaltung  zwischen  diesen 
Berufskategorien  und  den  Elementarlehrern  zu  unguusten  der  letzteren 
noch  eklatant  hervortreten  zu  lassen. 

Bemerkenswert  ist  es  nun,  daß  bei  sämtlichen  hier  in  Betracht 
kommenden  Berufskategorien  sowohl  die  Herzkrankheiten  wie  die 
Krankheiten  des  Zentralnervensystems  —  eine  Ausnahme  findet  hin- 
sichtlich der  letzteren  nur  bei  den  Aerzten  statt  —  in  der  höheren  Alters- 
klasse die  relativ  zahlreichsten  Opfer  fordern.  Dieser  übereinstimmende 
Verlauf  ist  insofern  nicht  überraschend,  als,  wie  oben  schon  angedeutet 
wurde,  für  beide  Gruppen  von  Krankheiten  als  gemeinschaftliche  Ursache 
die  Arteriosklerose  zur  Geltung  kommt.  Man  sollte  nun  erwarten,  daß 
die  Berufskategorien,  welche  hinsichtlich  der  Herzkrankheiten  die  höchste 
Sterblichkeit  aufzuweisen  haben,  auch  hinsichtlich  der  Geistes-  bez. 
Gehirnkrankheiten  verhältnismäßig  am  stärksten  belastet  sein  müßten. 
Dem  ist  jedoch  nicht  so.  Wir  sehen  vielmehr,  daß  katholische  und 
evangelische  Geistliche  eine  ziemlich  übereinstimmende  und  niedrige 
Frequenz  dieser  Krankheiten  erkennen  lassen.  Die  Gymnasiallehrer, 
die  bei  den  Herzkrankheiten  fast  dieselben  Prozentsätze  wie  die  Uni- 
versitätslehrer, aber  günstigere  als  die  evangelischen  Geistlichen  haben, 
erscheinen  bei  den  Krankheiten  des  Zentralnervensystems  im  Vergleich 
zu  diesen  beiden  Berufskategorien,  namentlich  zu  der  letzteren,  ganz 
besonders  stark  belastet.  Die  städtischen  Elementarlehrer,  welche  hin- 
sichtlich der  Krankheiten  der  Zirkulationsorgane  in  allen  Altern  etwas 
besser  dastehen  als  ihre  Kollegen  auf  dem  Lande,  zeigen  diesen  gegen- 
über bei  den  Gehirn-  bezw.  Geisteskrankheiten  eine  Mehrsterblichkeit 
von  31  Proz.,  die  namentlich  auf  das  Konto  der  zweiten  Altersperiode 
zu  setzen  ist.  Die  Aerzte  endlich,  welche  bei  den  Herzkrankheiten 
gleich  hinter  den  katholischen  Geistlichen  rangieren,  lassen  diese  bei 
den  Krankheiten  des  Zentralnervensystems  mit  94,9 — 78,5  =  16,4  Proz. 
hinter  sich  zurück.  Es  liegt  daher  wohl  ganz  klar  auf  der  Hand,  daß 
für  die  vorstehend  angedeuteten  Differenzen  außer  der  Arteriosklerose 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXU1)  J  5 


226  Job    Karup  und  R.  Gollmer, 

noch  besondere  ätiologische  Momente  verantwortlich   gemacht  werden 
müssen.     Ehe  wir  diese   ausfindig  machen,   lohnt   es   sich  vielleicht, 
einiges  über  die  Aetiologie  der  Geistes-  bez.  Gehirnkrankheiten  voraus- 
zuschicken.   Zunächst  muß  bei  diesen  Krankheiten  immer  an  eine  in- 
dividuelle  Prädisposition   gedacht   werden,   wie  sie   durch   hereditäre 
psychopathische   Belastung    (angeborene  Nervosität)    Erziehungsfehler, 
Charaktereigentümlichkeiten,  Frühreife,  schädliche  Gewohnheiten  (Ona- 
nie) etc.  zu  stände  kommt.    Bei  den  eigentlichen  Ursachen  der  Geistes- 
krankheiten hat  man  zu  unterscheiden  zwischen  psychischen  —  geistige 
Ueberanstrengung  und  Ueberreizung   durch   andauernde  Affekte   (Ver- 
druß und  Kummer  über  alle  möglichen  Widerwärtigkeiten)  —  zwischen 
somatischen  —  hier  kommen  außer  der  Arteriosklerose  noch  Syphilis, 
Tuberkulose,   bösartige  Neubildungen,    Blasenwürmer  etc.  in  Betracht, 
welche  Krankheiten  im  Gehirn  meist  immer  zunächst  rein  lokale  Ver- 
änderungen zur  Folge  haben  und  je  nach  ihrem  Sitze  und  ihrer  Aus- 
dehnung Symptome  von  Geisteskrankheit  hervorrufen  können  —  und 
endlich   zwischen   gemischten   —   Alkoholika   und   Narkotika,   welche 
immer  zugleich  somatisch  und  psychisch  wirken.     Was   nun  die  indi- 
viduelle Prädisposition   anlangt,   so  ist   wohl   nicht  anzunehmen,   daß 
junge  Männer,   welche  mit  einer  solchen   behaftet  sind,   beispielsweise 
mehr  das  Studium  der  Philologie  als  das  der  Theologie  oder  der  Me- 
dizin bevorzugen  sollten.     W?enn   es  auch  wohl  keinem  Zweifel  unter- 
liegt,  daß  die  Gymnasiallehrer   in  ihrem  Berufe  sich  durchschnittlich 
geistig  mehr  anstrengen  müssen  als  die  Theologen,  Aerzte  und  Elementar- 
lehrer,  so  wird  man  doch  kaum  behaupten  dürfen,   daß  sie  in  dieser 
Beziehung  viel  schlimmer  daran  wären,  als  die  Universitätslehrer,  bei 
denen  die  Krankheiten  des  Zentralnervensystems  anscheinend  eine  unter- 
geordnete Rolle  spielen.     Aehnlich  dürfte  es  sich  hinsichtlich  etwaiger 
Affekte  verhalten.     Sorgen  um  die  Existenz  können  bei  den  Gymnasial- 
lehrern unmöglich  mehr  auftreten,   als   bei   den   in   ökonomischer  Be- 
ziehung gleichgestellten  Theologen   und   den   viel  schlechter  gestellten 
Elementarlehrern.    Aufregungen  und  Kränkungen  im  Berufe  mögen  bei 
Gymnasiallehrern  ungleich  häufiger  sein  als  bei  Geistlichen  beider  Kon- 
fessionen.    Ob  aber  Elementarlehrer  und  Aerzte  in  dieser  Richtung  viel 
besser  dastehen  als  Gymnasiallehrer,   dürfte  doch  fraglich  sein.     Daß 
sich   bei   den  letzteren   auch  mehr  als   bei  anderen   Berufskategorien 
Anlaß  zu  Kummer  über  Unglück  in  der  Familie  bieten  sollte,  ist  eben- 
sowenig denkbar.    Unter  den  somatischen  Ursachen  ist  außer  der  schon 
oben  in  Betracht  gezogenen  Arteriosklerose   die  Syphilis,   deren   ätio- 
logische Bedeutung  von  dem  einen  Psychiater  mehr,  von  dem  anderen 
weniger  hoch  angeschlagen  wird,  die   wichtigste.     Unseres  Erachtens 
können   in   dieser  Beziehung   die   Berufskategorien,   deren  Angehörige 
während  ihres  Studiums  die  akademische  Freiheit  nach  jeder  Richtung 
genießen,  mehr  belastet  sein,  als  die  Elementarlehrer  und  katholischen 
Geistlichen,    die  in  den  Seminarien   interniert  und  hier  namentlich  in 
Bezug   auf  ihren   Lebenswandel   unter   dauernder    Kontrolle   gehalten 
werden.     Daß  die  Philologen  jedoch  beispielsweise  mehr  als  die  Theo- 
logen unter  den  Folgen  geschlechtlicher  Exzesse  zu  leiden  haben  sollten, 


Die  Mortalitätsverliältnisse  der  Lehrer  etc.  227 

das  allgemein  anzunehmen ,  liegt  gar  keine  Berechtigung  vor.  Was 
endlich  die  gemischten  Ursachen  anlangt,  so  ist  von  vornherein  aus- 
zuschließen, daß  bei  irgend  einer  der  hier  in  Frage  kommenden  Be- 
rufskategorieu  die  Berufsbeschäftigung  den  Genuß  der  Alkoholika  be- 
sonders begünstigen  sollte.  Der  übermäßige  Konsum  derartiger  Gcnuß- 
mittel  dürfte  doch  da,  wo  er  stattfindet,  vorzugsweise  von  individuellen 
Neigungen  abhängig  sein.  Dagegen  ist  aus  leicht  erklärlichen  Gründen 
im  ärztlichen  Stande  die  Verführung  /.um  Mißbrauche  der  verschiedenen 
Narkotika  besonders  groß,  und  es  ist  deshalb  sehr  wohl  denkbar,  daß 
es  verhältnismäßig  mehr  Aerzte  als  Angehörige  anderer  Berufsklassen 
giebt,  welche  unter  den  üblen  Folgen  des  Morphinismus,  Kokainis- 
mus etc.  zu  leiden  haben. 

Nach  den  vorstehenden  Erwägungen  ist  es  ganz  zweifellos,  daß 
bei  den  Berufskategorien,  wo  sich  eine  hohe  Frequenz  der  Krankheiten 
desZentralnervensystems  nachweisen  läßt,  diese  nicht  auf  ein  einzelnes 
der  soeben  eruierten  ätiologischen  Momente  zurückgeführt  werden  darf, 
sondern  ausschließlich  in  der  gleichzeitigen  Einwirkung  mehrerer  solcher 
Momente  ihre  Erklärung  finden  kann.  Der  verstorbene  seiner  Zeit  als 
Psychiater  hochgeschätzte  Griesinger  spricht  sich  in  seinem  vortrefflichen 
Handbuche  über  die  „Pathologie  und  Therapie  der  psychischen  Krank- 
heiten" hinsichtlich  der  eigentlichen  Ursachen  der  Geisteskrankheiten 
dahin  aus,  es  sei  eine  entschiedene  Thatsache,  daß  die  rein  intellek- 
tuelle Ueberanstrengung  ohne  begleitende  Gemütsaffekte  und  ohne  ander- 
weitige starke  Ursachen  (z.  B.  allerlei  Exzesse  und  Excitantien  mit 
nachfolgender  Schlaflosigkeit)  nur  in  den  seltensten  Fällen  zum  Irre- 
werden führe.  Diese  Ansicht  muß  auf  Grund  unserer  Zahlen  für  eine 
ganz  begründete  gelten. 

Bei  den  Aerzten  fallen  zunächst  die  durch  den  Beruf  bedingten 
Aufregungen  und  häufigen  Störungen  der  Nachtruhe  ins  Gewicht. 
Kommen  hierzu,  was  bei  der  meist  günstigen  Vermögenslage  der  Aerzte 
nicht  ganz  selten  ist,  noch  zahlreiche  gesellschaftliche  Vergnügungen, 
und  wird  bei  der  auf  diese  Weise  gesteigerten  Disposition  zur  „Ner- 
vosität" noch  zu  dem  leicht  zugänglichen  Morphium  oder  anderen  Be- 
ruhigungsmitteln gegriffen,  so  sind  wohl  der  ungünstigen  Momente  ge- 
nügend vorhanden,  die  neben  der  an  sich  schon  großen  Neigung  zu 
Herzaffektionen  mit  ihrer  Einwirkung  auf  das  Gehirn  in  Griesingers 
Sinne  die  Entwickelung  von  Krankheiten  des  Zentralnervensystems  bei 
den  Angehörigen  des  ärztlichen  Standes  leichter  als  beispielsweise  bei 
den  Theologen  und  Elementarlehrern  befördern.  In  ähnlicher  Weise 
dürfte  auch  die  hohe  Frequenz  der  letztgenannten  Krankheiten  bei  den 
Gymnasiallehrern  zu  erklären  sein.  Während  sich  als  Lehrer  an  den 
Universitäten  wohl  durchschnittlich  nur  solche  Männer  habilitieren, 
welche  mit  besonderen  Fähigkeiten  ausgestattet  sind  und  daher  bei 
geistiger  Arbeit  nicht  so  leicht  ermüden,  können  dem  Studium  der 
Philologie  ausschließlich  zur  späteren  Bekleidung  eines  Amtes  als 
wissenschaftlich  gebildete  Lehrer  sicherlich  auch  solche  obliegen,  die 
ein  Minus  an  geistiger  Befähigung  durch  andauernden  eisernen  Fleiß 
ersetzen.     Dadurch  ist  aber  die  Möglichkeit  gegeben,   daß  viele  junge 

15* 


228  Joh    Karup  und  R-   Gollmer, 

Philologen  schon  als  geistig  überarbeitet  (nervös)  in  ihren  Beruf  ein- 
treten. Wenn  nun  die  Gymnasiallehrer  auch  durchschnittlich  sich  nicht 
so  andauernd  geistig  beschäftigen  wie  die  Universitätslehrer,  so  ist  ihre 
Berufsthätigkeit  für  das  Gehirn  jedenfalls  viel  aufreibender.  Abgesehen 
von  der  täglichen,  ineist  nur  einstündigen  Vorlesung,  wobei  auf  die 
Verschiedenheit  des  Auffassungsvermögens  der  einzelnen  Zuhörer  gar 
keine  Rücksicht  genommen  zu  werden  braucht,  sind  die  Universitäts- 
lehrer in  der  Lage,  nach  ihrem  Belieben  sich  wissenschaftlichen  Ar- 
beiten, von  denen  sie  sich  ganz  besonders  angezogen  fühlen,  hinzugeben, 
und  gehen  meist  so  darin  auf,  daß  sie,  zumal  wenn  sie  noch  durch  ihr 
oft  verhältnismäßig  bescheidenes  Einkommen  dazu  gezwungen  werden, 
gesellschaftlichen  Verkehr  meist  nur  in  engeren  Grenzen  pflegen.  Anders 
beim  Gymnasiallehrer.  Zunächst  hat  er  eine  Lehrthätigkeit,  die  sich 
täglich  auf  mehrere  Stunden  erstreckt.  Gleichviel,  ob  die  einzelnen 
Fächer,  in  denen  er  zu  unterrichten  hat,  seinen  Neigungen  besonders 
zusagen  oder  nicht,  hat  er  in  bestimmten  Zeitabschnitten  ein  im  Un- 
terrichtsplan genau  vorgeschriebenes  Pensum  so  zu  erledigen,  daß  die 
minder  begabten  —  und  diese  bilden  oft  die  Mehrheit  —  wie  die  be- 
fähigten Schüler  davon  profitieren  können.  Ist  die  Schulthätigkeit  be- 
endet, so  sind  oft  noch  die  Korrekturen  zu  erledigen,  bei  denen  na- 
mentlich, wo  es  sich  um  Schüler  der  höheren  Klassen  handelt,  durch- 
aus nicht  schematisch  verfahren  werden  kann.  Ist  der  Gymnasiallehrer 
mit  Rücksicht  auf  ein  etwaiges  späteres  Aufrücken  in  höhere  Stellen 
gezwungen,  außer  der  Schulzeit  noch  weiter  fortzuarbeiten  oder  fühlt 
er  sich  aus  besonderer  Liebhaberei  veranlaßt,  sich  noch  mit  ander- 
weitigen Studien  zu  beschäftigen,  so  bietet  sich  ihm  Gelegenheit  genug, 
seine  geistigen  Kräfte  zu  überanstrengen.  Wird  die  Erholung  von  der 
geistigen  Ueberarbeitung  vorwiegend  in  gesellschaftlichen  Unterhaltungen 
gesucht,  wo  das  Gehirn  durch  Alkohol,  Tabak  etc.  nur  noch  mehr  er- 
regt wird,  und  kommen  dazu  noch  gelegentlich  Affekte  über  Differenzen 
mit  Vorgesetzten  oder  ungeratenen  Schülern,  danu  dürften  außer  der 
ebenfalls  an  sich  schon  nicht  ganz  geringen  Disposition  zu  Herzaffektionen 
auch  bei  den  Gymnasiallehrern  Ursachen  für  die  höhere  Frequenz  der 
Krankheiten  des  Zentralnervensystems  zur  Genüge  zusammen  kommen. 
Die  entgegengesetzte  Beobachtung  bei  den  Geistlichen  beider  Kon- 
fessionen kann  trotz  der  Uebersterblichkeit  infolge  von  Herzkrankheiten 
namentlich  bei  den  katholischen  nicht  weiter  überraschen.  Zur  Vor- 
bereitung für  die  allsonntäglichen  Predigten  können  namentlich  von 
Seiten  der  Landgeistlichen  —  und  diese  kommen  hier  fast  ausschließ- 
lich in  Frage  —  immer  mehrere  oder  sämtliche  Wochentage  verwendet 
werden,  und  die  ab  und  zu  stattfindenden  sonstigen  Amtshandlungen 
machen  durchschnittlich  keine  geistige  Ueberanstrengung  notwendig. 
Alle  weitere  geistige  Beschäftigung  geschieht  meist  zur  Unterhaltung 
und  Fortbildung.  Da  das  Aufrücken  in  besser  dotierte  Stellen  ent- 
weder vom  Dienstalter  oder  ausschließlich  von  persönlichen  Eigen- 
schaften, namentlich  dem  Rednertalente,  abhängig  ist,  sind  wissen- 
schaftliche Arbeiten,  die  eine  geistige  Ueberaustrengung  zur  Folge 
haben   könnten,   im   allgemeinen   nicht   erforderlich.     Gesellschaftliche 


Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer  etc.  229 

Vergnügungen,  wobei  ein  überanstrengtes  Gehirn  noch  mehr  Schaden 
leiden  könnte,  müssen  aus  Standesrücksichten  auf  einen  mäßigen  Umfang 
beschränkt  bleiben.  Zwischen  städtischen  und  ländlichen  Elementar- 
lehrern ist  ein  Unterschied  in  der  eigentlichen  Berufsthätigkeit  nicht 
anzunehmen.  Nach  Schluß  des  Schulunterrichtes  ist  für  beide  die  Be- 
rufsarbeit so  gut  wie  erledigt.  Dagegen  ist  es  sehr  wahrscheinlich, 
daß,  wenn  das  dürftige  Stelleneinkommen  einen  Nebenverdienst  unbe- 
dingt erforderlich  macht,  der  Stadtlehrer  mehr  durch  Erteilen  von 
Privatstunden  oder  Uebernahme  leichter  Aemter,  der  Landlehrer  mehr 
durch  landwirtschaftliche  Beschäftigung  denselben  zu  erreichen  suchen 
wird.  Hiernach  ist  es  also  denkbar,  daß  der  erstere  relativ  mehr  Ge- 
legenheit hat,  sich  geistig  anzustrengen,  als  der  letztere.  Unter  solchen 
Umständen  dürfte  denn  auch  der  Aufenthalt  in  der  Stadt  mit  den 
mancherlei  gesellschaftlichen  Zerstreuungen,  zumal  wenn  diese  im  Ueber- 
maße  gesucht  werden,  nachteiliger  sein,  als  das  Landleben,  wo  der 
Lehrer  allermeist  auf  sich  selbst  angewiesen  ist. 

Zum  Schlüsse  mag  es  noch  gestattet  sein,  darauf  aufmerksam  zu 
machen,  wie  sich  das  Verhältnis  der  einzelnen  Berufskategorien  zu 
einander  hinsichtlich  der  Gruppe  „Selbstmord"  gestaltet.  Danach 
haben  die  katholischen  Geistlichen  überhaupt  keinen  Fall  von  Selbst- 
mord aufzuweisen,  eine  Erscheinung,  die  sich  zur  Genüge  wohl  aus 
der  strengen  Anschauung  der  katholischen  Kirche  über  die  Verwerf- 
lichkeit der  Selbstentleibung  überhaupt  erklären  läßt.  Vielleicht  liegt 
aber  auch  darin  ein  Beweis,  daß  der  im  Cölibate  lebende  katholische 
Geistliche  Sorgen ,  Kummer  etc.,  die  das  Familienleben  zumal  bei 
dürftiger  Lebenshaltung  im  Gefolge  haben  kann,  und  worin  bei  man- 
chem Familienvater  gar  nicht  so  selten  der  äußere  Anlaß  zum  Selbst- 
mord zu  suchen  ist,  nicht  kennt.  Unter  den  anderen  Berufskategorien, 
die  sämtlich  eine  zum  Teil  recht  beträchtliche  Untersterblichkeit  aufzu- 
weisen haben,  stehen  aus  leicht  erklärlichen  Gründen  die  evangelischen 
Geistlichen  am  günstigsten,  darauf  folgen  die  Landlehrer,  die  Gym- 
nasial- und  städtischen  Elementarlehrer,  welche  beiden  Kategorien  nur 
wenig  differieren,  die  Universitätslehrer  und  schließlich  die  Aerzte. 
Daß  die  letzteren  öfter,  wie  die  evangelischen  Geistlichen  und  Lehrer, 
die  zum  Teil  nur  ein  recht  bescheidenes,  aber  doch  gesichertes  Ein- 
kommen haben,  Selbstmord  begehen,  kann  nicht  weiter  überraschen. 
Denn  im  ärztlichen  Stande  können  dieselben  Wechselfälle  eine  Rolle 
spielen,  wie  bei  der  großen  Masse  der  Gothaer  Versicherten,  den 
Handel-  und  Gewerbetreibenden,  bei  denen  Vermögeusverfall  und 
erschwerte  Erwerbsverhältnisse  (flas  häufigste  Motiv  zum  Selbstmord 
abgeben. 

Das  Endergebnis  der  vorstehenden  Untersuchung  nach  Todesur- 
sachen läßt  sich  nun  kurz  dahin  zusammenfassen:  die  hohe  Sterblich- 
keit, mit  welcher  die  katholischen  Geistlichen  von  sämtlichen  hier 
in  Betracht  kommenden  Berufskategorien  die  ungünstigste  bilden,  ist 
ausschließlich  auf  die  große  Frequenz  der  bösartigen  Neubildungen 
vor     allem     der    Krankheiten     der    Cirkulationsorgane     mit     Gehirn- 


230  Joh-  Karup  und  R.  Gollmer, 

schlagfluß    etc.    zurückzuführen.      Die    Entwickelung    der    genannten 
Krankheiten  wird  nicht  durch  Eigentümlichkeiten  der  Berufstätigkeit 
besonders   gefördert,   sondern   sie   ist,   zumal   soweit   es   sich   um   die 
Krankheiten  der  Cirkulationsorgane    handelt,  jedenfalls   nur    die  Folge 
gewisser  Lebensgewohnheiten,   wofür   allerdings    der  Beruf   mit  seiner 
Verpflichtung  zum  Cölibate  in  erster  Linie  zur  Verantwortung    heran- 
zuziehen sein  dürfte.     Im  Gegensatze   zu  den  katholischen  Geistlichen 
erscheinen  die  evangelischen  als  eine  recht  günstige  Berufsklasse.   Die 
relativ    geringe  Uebersterblichkeit    infolge    von   Typhus    und    akuten 
Krankheiten  der  Atmungsorgane,  die  auch  bei  den  katholischen  Geist- 
lichen  eruiert   wurde,   wird,    weil   es   sich  bei  unseren  Beobachtungen 
vorwiegend  um  die  Landgeistlichen  beider  Konfessionen  handelt,  jeden- 
falls  meist  auf  Rechnung  des  Aufenthaltes  auf   dem  Lande   und   den 
dort   oft  mangelnden    hygienischen  Einrichtungen  zu  setzen  sein.     Die 
bei   deu  Herzkrankheiten   konstatierte  Uebersterblichkeit,   die  nament- 
lich bei  den  höheren  Altern  zu  Tage  tritt,  ist  zum  Teil  der  Ausdruck 
der  besseren  wirtschaftlichen  Lage,   zum  Teil   reine  Alterserscheinung 
und    wird    durch   die    bei    den   anderen   Todesursachen    vorwiegende 
Mindersterblichkeit  mehr  als  paralysiert.     Bei  den  praktischen  Aerzten 
kommen  teils  infolge  der  Lebensweise,   teils   infolge   der   aufreibenden 
Berufstätigkeit    die    Herzkrankheiten    ganz    besonders    zur    Geltung. 
Als  durch  den  Beruf  bedingt  ist  ferner  die  starke  Frequenz  der  akuten 
Krankheiten   der   Atmungsorgane    und  ganz,   besonders   der   typhösen 
Erkrankungen  anzusehen,  auf  deren  Konto  zum  überwiegenden  Teile  die 
hohe  Sterblichkeit  der  Aerzte  in  den  Altern  26 — 60  zu  setzen  ist.    Unter 
den  verschiedenen  Lehrerkategorien  ist  die  der  Universitätslehrer  (exkl. 
Mediziner)  die  günstigste,  was  auch  bei  den  einzelnen  Todesursachen  zu 
Tage  tritt.     Eine  Ausnahme  findet  nur  bei  den  Herzkrankheiten  statt, 
deren  relativ  hohe  Frequenz  aber  ganz  wie  bei  den  evangelischen  Geist- 
lichen  zu  deuten   ist.     Was   nun  die  Lehrer  im  strengeren  Sinne,  die 
Gymnasial-  und  Elementarlehrer,   anlangt,   so  sind  eigentliche  Berufs- 
krankheiten, wie  sie  bei  den  Aerzten  so  deutlich  zu  konstatieren  sind, 
bei  ihnen  nicht  nachzuweisen.     Die  von  Richter  in  seinem  Vortrage  na- 
mentlich für  die  Elementarlehrer  angedeuteten  Berufsgefahren  existiereu 
also  nach   unseren  Beobachtungen    nicht.     Auch    die   von  Layet   ange- 
nommene  gesteigerte   Disposition    zu    katarrhalischen    Affektionen    bei 
all  den  Personeu,  die  im  Beruf  ihre  Respiratiousorgane  besonders  an- 
strengen müssen,  sowie  die  von  Meyer  gemachte  Andeutung,  daß  Indi- 
viduen mit  Anlage  zu  Geisteskrankheiten  mit  Vorliebe   den  Lehrberuf 
ergreifen,  findeil  durch  unsere  Zahlen  keine  Bestätigung.     Die  bei  den 
Gymnasiallehrern   konstatierte    Uebersterblichkeit    infolge   von    Krank- 
heiten   des   Centralnervensystems    ist   jedenfalls    nicht   allein    auf   die 
Lehrthätigkeit   zurückzuführen,    sondern   es    konkurrieren   dabei   noch 
mancherlei   andere    ätiologische   Momente.      Besonders    bemerkenswert 
ist  die  Abstufung  in    der  Frequenz   der  Lungenschwindsucht,   die   bei 
den  Gymnasiallehrern  am   niedrigsten,    bei  den  Landlehrern  am  höch- 
sten  ist   und   für   diese   das   allgemeine   Mittel   überschreitet.    Jeden- 
falls hängt  diese  Abstufung   mit  der  wirtschaftlichen  Lage  zusammen, 


Die  Mortalitätsverliältnisse  der   Lehrer  etc.  231 

zumal  die  Lungenschwindsucht  unter  den  Elementarlehrern  gerade 
da  am  häufigsten  ist,  wo  dem  Schulwesen  die  geringste  Fürsorge  ge- 
widmet wird.  Es  bestätigt  somit  unsere  Analyse  der  Todesursachen 
nur  die  Schlüsse,  die  aus  der  allgemeinen  zugehörigen  Sterblichkeit 
und  aus  Vergleichen  mit  anderen  Beobachtungen  gezogen  wurden, 
daß  nämlich  die  wirtschaftliche  Lage  bei  der  Lehrersterblichkeit  eine 
große  Rolle  spielt,  und  daß  es  demgemäß  der  Staat  und  die  Kommunen 
mit  in  der  Hand  haben,  durch  Erhöhung  der  Besoldungen  die  Gesund- 
heits-  und  Sterblichkeitsverhältnisse  eines  wichtigen  Bestandteiles  der 
Bevölkerung  aufzubessern. 


232  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung. 
in. 

Die  zweite  Lesung   des  Entwurfes    eines  Bürgerlichen  Ge- 
setzbuches für  das  Deutsche  Reich. 

(Fortsetzung) *). 
Von  Amtsrichter  Greiff. 

XXIX. 

In  dem  von  der  Ehe  handelnden  ersten  Abschnitt  des  vierten 
Buches  regelt  der  erste  Titel  die  Eingehung  der  Ehe.  Zu  diesem 
Titel  lag  ein  Antrag  vor,  welcher  bezweckte,  die  Vorschriften  über  die 
materiellen  Voraussetzungen  und  die  Form  der  Eheschliefsung  mit  dem 
Eheschliefsungsrecht  der  katholischen  Kirche  in  Einklang  zu  setzen.  Für 
den  Fall  der  Ablehnung  dieses  Antrags  wurde  von  anderer  Seite  die 
Streichung  des  ganzen  ersten  Titels  vorgeschlagen.  Dem  letzteren  Vor- 
schlag trug  die  Kommission  dadurch  Rechnung,  dafs  sie  die  Vorschriften 
des  Titels  zunächst  nur  eventuell  feststellte ,  vorbehaltlich  einer  Schlufs- 
abstimmung  über  die  Aufnahme  der  beschlossenen  Vorschriften. 

Die  an  die  Spitze  des  Titels  gestellten  Bestimmungen  über  das  Ver- 
löbnis eröffnet  der  §  1227  mit  dem  Satze,  dafs  durch  das  Verlöbnis 
eine  Verbindlichkeit  der  Verlobten  zur  Schliefsung  der  Ehe  nicht  be- 
gründet wird.  Gegen  den  Satz  ist  in  der  Kritik  vielfach  Widerspruch 
erhoben  worden.  Dieser  erschien  insofern  gerechtfertigt,  als  die  Be- 
stimmung für  den  Laien  das  Mifsverständnis  nahe  legt ,  dafs  die  Ent- 
stehung nicht  nur  einer  rechtlichen,  sondern  auch  einer  sittlichen  Ver- 
pflichtung verneint  werden  solle.  Man  ersetzte  sie  daher  durch  den  Satz, 
dafs  aus  dem  Verlöbnis  nicht  auf  Eingehung  der  Ehe  geklagt  werden 
kann.  Die  weiteren  Vorschriften  über  das  Verlöbnis  (§§  1228 — 1230) 
wurden  im  wesentlichen  beibehalten. 

Die  folgenden  Bestimmungen  über  die  Ehehindernisse  wollte 
der  zu  Anfang    erwähnte  Antrag   durch    die  Vorschrift    einleiten,    dafs  in 

1)  Vergl.  S.  56. 


Nafcionalökonomische  Gesetzgebung.  233 

Bezug  auf  das  Vorhandensein  von  Ehehindernissen  und  die  Befreiung 
von  solohen  für  die  Angehörigen  der  staatlich  anerkannten  Religionsgesell- 
schaften deren  kirchliches  Recht  mafsgebend  sein  solle ;  eine  entsprechende 
Vorschrift  empfahl  der  Antrag  bezüglich  der  Form  der  Eheschliefsung 
aufzunehmen,  sodafs  die  bürgerliche  Eheschliefsung  nur  als  sog.  Notcivil- 
ehe  beibehalten  werden  sollte.  Für  den  Fall  der  Ablehnung  des  ersten 
Vorschlags  wurden  zu  den  Bestimmungen  über  die  Ehehindernisse  im 
einzelnen  Aenderungen  beantragt,  durch  welche  in  gewissem  Umfange  die 
Eingehung  einer  nach  katholischem  Kirchenrecht  unzulässigen  Ehe  vor 
dem  Standesbeamten  ausgeschlossen  werden  sollte.  Nach  längerer  grund- 
sätzlicher Erörterung  der  Stellung  des  Gesetzbuchs  zum  kirchlichen  Ehe- 
schliefsungsrecht  entschied  sich  die  überwiegende  Mehrheit  dahin ,  mit 
dem  Entwurf  an  dem  von  der  Reichsgesetzgebung  durch  das  Personen- 
standsgesetz vom  6.  Februar  1875  einmal  eingenommenen  Standpunkt 
selbständiger  und  erschöpfender  Regelung  der  materiellen  und  formellen 
Erfordernisse  der  Eheschliefsung  durch  den  Staat  festzuhalten.  Sie  ging 
davon  aus,  dafs  in  der  Trennung  von  Staat  und  Kirche  auf  dem  Gebiete 
des  Eherechts  der  notwendige  Abschlufs  einer  langen  geschichtlichen  Ent- 
wickelung  zu  erblicken  sei,  und  dafs  es  zu  einer  so  eingreifenden  Aende- 
rung  des  bestehenden  Reichsrechts ,  wie  sie  in  der  Wiederanerkennung 
des  kirchlichen  Eheschliefsungsrechts  und  der  Beschränkung  auf  die  Not- 
civilehe  liegen  würde,  an  hinreichenden  Gründen  fehle.  Die  oben  er- 
wähnten einzelnen  Abänderungsanträge  zu  den  Vorschriften  des  hier  frag- 
lichen Unterabschnitts  wurden  sodann  im  wesentlichen  ohne  Erörterung 
abgelehnt.  Im  übrigen  erfuhren  diese  Vorschriften  folgende  erheblicheren 
Aenderungen: 

Zu  §  1233  wurde  die  Ehemündigkeit  der  Männer,  die  nach  den  Ent- 
wurf ebenso  wie  nach  den  Personenstandsgesetz  schon  mit  dem  zurück- 
gelegten 20.  Lebensjahre  eintreten  soll,  auf  die  erlangte  Volljährigkeit, 
also  auf  das  vollendete  21.  Lebensjahr,  hinaufgesetzt  und  Befreiung  von 
diesem  Erfordernis  ausgeschlossen ;  ein  minderjähriger  Mann  soll  also  nur 
durch  Volljährigkeitserklärung  die  Ehemündigkeit  erlangen  können.  Damit 
werden  die  mit  der  Minderjährigkeit  eines  Ehemanns  verknüpften 
Schwierigkeiten  vermieden.  Bezüglich  der  Ehemündigkeit  der  Frauen 
beliefs  man  es  bei  dem  mit  dem  geltenden  Recht  übereinstimmenden  Ent- 
wurf. 

Der  §  1236  wurde  durch  Aufnahme  des  Ehehindernisses  der  sog. 
affinitas  illegitima  ergänzt;  d.  h.  die  Ehe  soll  verboten  sein  zwischen 
Personen,  von  denen  die  eine  mit  Verwandten  der  anderen  in  gerader 
Linie  Geschlechtsgemeinschaft  gepflogen  hat.  Man  legte  diesem  Ehe- 
hindernis aber  nicht,  wie  sonst  dem  Ehehindernis  der  Verwandtschaft, 
trennende ,  sondern  nur  aufschiebende  Wirkung  bei ;  die  Ehe  zwischen 
den  bezeichneten  Personen  soll  also  nicht  geschlossen  werden  dürfen, 
die  geschlossene  Ehe  aber  nicht  ungiltig  sein.  Durch  diese  Regelung 
glaubte  man  den  sittlichen  Anschauungen  am  besten  gerecht  zu  werden. 
—  Dem  in  §  1237  aufgestellten  Ehehindernis  des  Ehebruchs  wurde,  ab- 
weichend vom  Entwurf,  nicht  nur  aufschiebende,  sondern  trennende  Wir- 
kung verliehen ;    die  Zulässigkeit  der  Dispensation  behielt   man    aber  bei. 


234  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Hinsichtlich  des  in  §  1238  behandelten  Erfordernisses  der  elterlichen 
Einwilligung  wurde  das  bestehende  Recht  insofern  dem  Entwurf  gegenüber 
wiederhergestellt,  als  man  die  Befugnis,  gerichtliche  Ergänzung  der  ver- 
weigerten Einwilligung  zu  verlangen,  nur  volljährigen  Kindern  beilegte. 
Die  Entscheidung  über  die  beantragte  gerichtliche  Ergänzung  übertrug 
man  jedoch,  abweichend  vom  geltenden  Recht  und  vom  Entwurf,  nicht  dem 
Prozefsgericht,  sondern  dem  Vormundschaftsgericht ,  da  man  dieses  nach 
der  ganzen  Art  seiner  amtlichen  Thätigkeit  und  nach  dem  für  dasselbe 
mafsgebenden   Verfahren   zur  Entscheidung  für  besser  geeignet  hielt. 

An  dem  Grundsatz  der  obligatorischen  Civilehe ,  mit  welchem  der 
§  1245  Abs.  1  die  folgenden  Vorschriften  über  die  Eheschliefsung 
einleitet,  wurde  unbeschränkt  festgehalten.  Der  oben  erwähnte  Antrag 
auf  Wiederanerkennung  der  kirchlichen  Eheschliefsungsform  und  Be- 
schränkung der  bürgerlichen  Eheschliefsung  auf  die  Fälle  der  Notcivil- 
ehe  wurde  mit  Rücksicht  auf  den  von  der  Mehrheit  eingenommenen  grund- 
sätzlichen Standpunkt  gar  nicht  zur  Abstimmung  gebracht,  dagegen  wurde 
vorgeschlagen,  die  kirchliche  Nottrauung  mit  bürgerlicher  Wirksamkeit  für 
die  Fälle  lebensgefährlicher  Erkrankung  eines  die  Eheschliefsung  Begehren- 
den zuzulassen,  und  eventuell  wurde  befürwortet,  in  den  gedachten  Fällen 
wenigstens  eine  Bestrafung  des  Geistlichen  nach  §§  67,  69  des  Personen- 
standsgesetzes wegen  Vornahme  der  Trauung  vor  Vollziehung  der 
bürgerlichen  Eheschliefsung  auszuschliefsen.  Die  Mehrheit  sah  jedoch 
kein  Bedürfnis  und  erachtete  es  für  bedenklich,  auch  nur  für  diese  Fälle 
eine  Ausnahme  von  der  obligatorischen  Civilehe  anzuerkennen.  —  Um 
die  Zahl  der  wegen  Formmangels  nichtigen  Ehen  möglichst  zu  vermindern, 
beschlofs  die  Kommission  in  zwiefacher  Beziehung  eine  Herabsetzung  der 
wesentlichen  Formerfordernisse,  an  deren  Nichtbeobachtung  Nichtigkeit 
der  Ehe  geknüpft  ist.  Während  nach  dem  Entwurf  nur  die  von  einem 
ordnungsmäfsig  bestellten  Standesbeamten  innerhalb  seines  Amtsbezirks 
vollzogene  Eheschliefsung  giltig  ist,  soll  nach  dem  Beschlufs  zweiter 
Lesung  eine  Ehe,  wenn  sie  vor  jemand  geschlossen  ist,  der  das  Amt 
des  Standesbeamten  öffentlich  ausübt,  nicht  deshalb  unsiltig  sein,  weil 
derselbe  nicht  Standesbeamter  war ,  es  sei  denn  ,  dafs  die  Verlobten  bei 
der  Eheschliefsung:  den  Mangel  der  amtlichen  Befugnis  gekannt  haben. 
Durch  diese  Bestimmung  wird  die  Formungiltigkeit  namentlich  in  den 
nicht  seltenen  Fällen  ausgeschlossen ,  in  denen  z.  B.  ein  Gutsvorsteher 
oder  ein  Bürgermeister  in  der  irrigen  Annahme ,  die  standesamtlichen 
Befugnisse  ohne  weiteres  von  seinem  Amtsvorgänger  überkommen  zu 
haben,  Ehen  schliefst.  Sodann  wurde  dem  Erfordernis  der  Gegenwart 
zweier  Zeugen  bei  der  Eheschliefsung  die  Bedeutung  eines  wesentlichen, 
die  Giltigkeit  der  Ehe  bedingenden  Erfordernisses  genommen. 

Während  man  so  die  Fälle  formungiltiger  Ehen  beschränkte,  wurden 
weiter  die  Rechtsfolgen,  welche  der  Entwurf  in  den  folgenden  Vorschriften 
über  die  Ungiltigkeit  der  Ehe  an  den  Mangel  der  vorgeschriebenen 
Form  knüpft,  noch  mehrfach  gemildert.  Nach  §  1252  ist  eine  wegen 
Formmangels  nichtige  Ehe  so  anzusehen ,  als  ob  sie  nicht  geschlossen 
wäre ;  ?sie  wird  nicht ,  wie  eine  aus  einem  anderen  Grunde  nichtige  Ehe, 
so  lange*"als  giltig  behandelt,  bis  sie  (durch  Tod   oder  Scheidung)  aufgelöst 


Nationalökonomische  Oesetzgebung.  235 

oder  auf  erhobene  Klage  für  ungiltig  erklärt  wird ,  sondern  die  Ehe- 
gatten können  sich  ohne  weiteres  trennen,  und  jeder,  der  ein  rechtliches 
Interesse  an  der  Nichtigkeit  hat,  kann  dieses  jederzeit  ohne  besondere 
Nichtigkeitsklage  geltend  machen.  Diese  Wirkungen  an  jede  Verab- 
säumung eines  wesentlichen  Formerfordernisses  zu  knüpfen ,  hielt  die 
Kommission  mit  zahlreichen  Stimmen  der  Kritik  für  bedenklich.  Es  soll 
daher  auch  bei  formungiltigen  Ehen  die  gleiche  Regelung,  wie  nach 
Obigem  bei  materiell-nichtigen  Ehen,  dann  Platz  greifen,  wenn  eine  solche 
Ehe  vor  einem  Standesbeamten  oder  einer  Person ,  die  nach  dem  früher 
mitgeteilten  Beschlüsse  im  gegebenen  Falle  einem  Standesbeamten  gleich- 
steht, geschlossen  und  in  das  Heiratsregister  eingetragen  ist.  In  diesem 
Falle  erschien  es  der  Bedeutung  des  Registereintrags  entsprechend ,  dafs 
die  Ehe  nur  infolge  gerichtlicher  Ungiltigkeitserklärung  als  nicht  ge- 
schlossen behandelt  werden  könne.  Um  die  Heilung  des  Formmangels  bei 
eingetragenen  Ehen  den  Eheschliefsenden  zu  erleichtern,  wenn  auch  nicht 
allein  mit  Rücksicht  auf  diese  Fälle,  stellte  man  ferner  gegenüber  einem 
aus  §  1234  herzuleitenden  Zweifel  ausdrücklich  klar,  dafs  Ehegatten  ohne 
vorgängige  Nichtigkeits-  oder  Ungiltigkeitserklärung  die  Eheschliefsung 
wiederholen  können.  Weiter  soll  eine  eingetragene  formungiltige  Ehe  als 
von  Anfang  an  giltig  angesehen  werden,  wenn  die  Ehegatten  nach  der 
Eheschliefsung  zehn  Jahre  als  Ehegatten  miteinander  gelebt  haben.  End- 
lich beschlofs  man,  die  Vorschriften  der  §§  1257,  1558,  durch  welche  bei 
materiell-nichtigen  Ehen  dem  guten  Glauben  Dritter  oder  eines  der  Ehe- 
gatten an  die  Giltigkeit  der  Ehe  Schutz  gewährt  wird,  auf  formungiltige 
eingetragene  Ehen  auszudehnen. 

Anlangend  die  aus  anderen  Gründen  als  wegen  Formmangels  nich- 
tigen Ehen,  so  ist  hier  zunächst  eine  Aenderung  der  Vorschrift  über  die 
wegen  Verletzung  des  Verbots  der  Bigamie  (§  1234)  nichtige  Ehe  zu  er- 
wähnen. Nach  dem  Entwurf  ist  die  zweite  Ehe  nichtig,  auch  wenn  die 
erste  Ehe  nichtig  oder  anfechtbar,  zur  Zeit  der  Eingehung  der  zweiten 
Ehe  aber  noch  nicht  aufgelöst  oder  für  ungiltig  erklärt  war.  Nach  dem 
Beschlufs  der  Kommission  soll  dagegen  die  zweite  Ehe  nur  dann  nichtig 
sein ,  wenn  der  sie  eingehende  Teil  zur  Zeit  der  Eingehung  mit  einem 
Dritten  in  einer  giltigen  Ehe  lebte.  An  das  neu  aufgenommene  tren- 
nende Ehehindernis  des  Ehebruchs  knüpfte  man  die  Rechtsfolge  der  Nichtig- 
keit an ;  nachträgliche  Befreiung  von  dem  Eheverbot  soll  aber  die  Ehe 
zu  einer  von  Anfang  an   giltigen  machen. 

In  den  folgenden  Bestimmungen  über  die  Anfechtbarkeit  der 
Ehe  wurde  zunächst  die  Anfechtbarkeit  wegen  Irrtums  erweitert.  Nach 
dem  Entwurf  (§  1259  Nr.  2)  kann  eine  Ehe  wegen  Irrtums  nur  ange- 
fochten werden,  wenn  infolge  desselben  der  eine  Ehegatte  die  Ehe  ohne 
den  Willen,  überhaupt  eine  Ehe  zu  schliefsen,  oder  ohne  den  Willen,  die 
Ehe  mit  dem  anderen  Teile  zu  schliefsen,  eingegangen  ist.  Wegen  blofsen 
Irrtums  über  persönliche  Eigenschaften  oder  Verhältnisse  des  anderen 
Teils  findet  eine  Anfechtung  der  Ehe  nicht  statt.  Es  mufs  vielmehr  hin- 
zukommen ,  dafs  dem  irrenden  Ehegatten  die  persönlichen  Eigenschaften 
oder  Verhältnisse  des  anderen  Teils  und  zwar  solche,  die  ihn  bei  ver- 
ständiger Würdigung"^  des    Zweckes    der  Ehe    von    der  Eheschliefsung    ab- 


236  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

halten  mufsten  und  von  denen  zugleich  vorauszusehen  war,  dafa  sie  ihn, 
wenn  er  sie  gekannt  hätte ,  von  der  Eheschliefsung  abgehalten  haben 
würden,  von  dem  anderen  Teile  verhehlt  worden  sind;  in  diesem  Falle 
gestattet  der  Entwurf  (§  1259  Nr.  1)  eine  Anfechtung  der  Ehe  wegen 
Betrugs.  Die  Kommission  beschlofs  dagegen ,  in  Uebereinstimmung  mit 
dem  überwiegenden  Teil  der  geltenden  Rechte  und  mit  vielfachen  Vor- 
schlägen der  Kritik  und  der  Regierungen,  eine  Anfechtung  der  Ehe  dann 
zuzulassen ,  wenn  ein  Ehegatte  sich  bei  der  Eheschliefsung  über  solche 
persönliche  Eigenschaften  oder  solche  persönliche  Verhältnisse  des  anderen 
Ehegatten  geirrt  hat,  die  ihn  bei  Kenntnis  der  Sachlage  und  bei  ver- 
ständiger Würdigung  des  Zweckes  der  Ehe  von  der  Eheschliefsung  abge- 
halten haben  würden.  Der  andere  Ehegatte  soll  jedoch,  abweichend  vom 
§  1270  des  Entwurfs,  falls  die  Anfechtung  wegen  Irrtums  erfolgt,  die- 
jenigen Rechte  haben,  welche  der  §  1258  im  Falle  der  Nichtigkeit  der 
Ehe  dem  gutgläubigen  Ehegatten  beilegt.  Der  Vorschlag,  neben  der  er- 
weiterten Anfechtbarkeit  wegen  Irrtums  die  Anfechtung  wegen  Betrugs 
bezw.  arglistiger  Täuschung  ganz  auszuschliefsen ,  erschien  der  Mehrheit 
mit  Rücksicht  auf  das  geltende  Recht  und  das  praktische  Bedürfnis  be- 
denklich. Die  Anfechtung  aur,  diesem  Grunde  wurde  aber  zwiefach  ein- 
geschränkt. Sie  soll  einerseits  nur  statthaft  sein,  wenn  sich  die  Täuschung 
auf  solche  Umstände  bezogen  hat ,  die  geeignet  waren ,  den  getäuschten 
Ehegatten  bei  verständiger  Ueberlegung  von  der  Eingehung  der  Ehe  ab- 
zuhalten ,  und  andererseits  soll ,  wenn  die  Täuschnng  von  einem  Dritten 
begangen  ist,  die  Anfechtung  nur  dann  zugelassen  werden,  wenn  der 
andere  Ehegatte  die  Täuschung  bei  der  Eheschliefsung  gekannt  hat,  nicht 
schon  dann,  wenn   er  dieselbe  nur  hätte  kennen  müssen. 

Der  Entwurf  (§  1259  Nr.  3)  giebt  weiter  ein  Anfechtungsrecht  dem 
Ehegatten,  der  bei  der  Eheschliefsung  nicht  ehemündig  war.  Diesen  An- 
fechtungsgrund liefs  die  Kommission  fallen;  sie  hielt  für  ausreichend,  der 
Eheunmündigkeit  die  Bedeutung  eines  aufschiebenden  Ehehindernisses  bei- 
zulegen. 

Nachdem  die  übrigen  Vorschriften  dieses  Unterabschnittes  mit  einigen 
hier  nicht  zu  erwähnenden  Abweichungen  gebilligt  worden  waren,  schritt 
man  zu  der  früher  vorbehaltenen  endgiltigen  Abstimmung  über  die  Frage, 
ob  der  erste  Titel  des  Familienrechts  in  das  Gesetzbuch  aufgenommen 
oder  gestrichen  werden  solle.  Die  Kommission  entschied  sich  mit  grofser 
Mehrheit  in  ersterem  Sinne. 

In  dem  die  Wirkungen  der  Ehe  betreffenden  zweiten  Titel  erfuhr 
der  erste  Unterabschnitt,  welcher  allgemeine  Vorschriften  enthält, 
nur  wenig  erhebliche  Aenderungen.  Hervorgehoben  sei  nur  zunächst,  dafs 
die  Frau  im  Falle  mifsbräuchlicher  Beschränkung  oder  Ausschliefsung  der 
ihr  nach  §  1278  zustehenden  sog.  Schlüsselgewalt  nicht  auf  den  Weg  des 
Rechtsstreits,  sondern  an  den  Vormundschaftsrichter  verwiesen  werden 
soll,  welcher  auf  ihren  Antrag  die  Beschränkung  oder  Ausschliefsung  auf- 
zuheben befugt  sein  soll.  Die  Vorschriften  der  §§  1280,  1281  über  die 
gegenseitige  Unterhaltspflicht  der  Ehegatten  wurden  mit  Rücksicht  auf 
den  Fall  ergänzt,  wenn  die  Ehegatten  getrennt  leben  und  einer  von  ihnen 
die  Herstellung    des    ehelichen   Lebens    verweigern    kann    und  verweigert; 


Nationalökonomische   Gesetzgebung.  237 

man  regelte  diesen  Fall  im  Auschlufs  au  deu  §  1460,  welcher  sich  auf 
die  Unterhaltspflicht  der  auf  Grund  eines  die  Trennung  von  Tisch  uud 
Bett  aussprechenden   Urteils  getreu ut  lebenden   Ehegatten   bezieht. 

Im  zweiten  Unterabschnitt  dieses  Titels  (§§  1283  —  1332)  handelt  der 
Entwurf  vom  ehelichen  Güterrecht,  d.  h.  von  den  Wirkungen  für 
die  vermögensrechtlichen  Beziehungen  der  Ehegatten ,  welche  in  Er- 
mangelung abweichender  vertragsmäfsiger  Regelung  das  Gesetz  an  die 
Eheschliefsung  knüpft;  denn  in  erster  Linie  gilt  für  die  Ordnung  des 
ehelichen  Güterrechts  der  Grundsatz  der  Vertragsfreiheit.  Auf  keinem 
Gebiete  des  bürgerlichen  Rechts  fand  der  Enfwurf  eine  solche  Mannig- 
faltigkeit der  geltenden  Rechte  vor,  wie  auf  dem  des  gesetzlichen  ehe- 
lichen Güterrechts;  die  Motive  berechnen  weit  über  100  mehr  oder  weniger 
verschiedene  Systeme  des  Güterrechts.  Dennoch  hat  sich  der  Entwurf 
dafür  entschieden ,  das  gesetzliche  eheliche  Güterrecht  einheitlich  für  das 
gesamte  Reich  zu  ordnen  und  zwar  auf  der  Grundlage  des  Systems  der 
sog.  Verwaltungsgemeinschaft.  Er  hat  sich  aber  nicht  darauf  beschränkt, 
daneben  den  Ehegatten  abweichende  vertragsmäfsige  Vereinbarungen  frei- 
zustellen, sondern  hat,  um  eine  den  besonderen  Verhältnissen  des  einzelnen 
Falles  angemessene  Ordnung  und  die  Einführung  des  Gesetzbuchs  in  den 
bisherigen  Geltungsgebieten  eines  anderen  Güterrechtssystems  zu  erleich- 
tern, die  aufser  der  Verwaltungsgemeinschaft  in  Deutschland  geltenden 
hauptsächlichen  Güterrechtssysteme  der  Gütertrennung,  der  allgemeinen 
Gütergemeinschaft,  der  Errungenschaftsgemeinschaft  und  der  Gemeinschaft 
des  beweglichen  Vermögens  und  der  Errungenschaft  als  vertragsmäfsige 
Güterstände  vollständig  ausgebildet,  so  dafs  die  Beteiligten  sich  nur  durch 
Ehevertrag  für  eine  dieser  Güterrechtsformen  zu  entscheiden  brauchen,  ohne 
jedoch  auf  dieselben  beschränkt  oder  im  einzelnen  an  die  gesetzliche 
Regelung  gebunden  zu  sein. 

Bei  der  besonderen  Wichtigkeit  und  Schwierigkeit  des  gesetzlichen 
ehelichen  Güterrechts  hatte  die  Kommission  zur  Vorberatung  des  Ab- 
schnitts eine  Subkommission  gebildet.  Diese  hatte  in  8  Sitzungen 
durch  Aufstellung  eines  vollständigen  Gegeneutwurfs  der  Beratung  der 
Hauptkommission  so  weit  vorgearbeitet ,  dafs  es  dieser  möglich  wurde, 
den  Abschnitt  mittels  einer  abgekürzten  Behandlungsweise  in  4  Sitzungen 
zu  erledigen.  Sowohl  in  der  Subkommission  wie  in  der  Kommission 
selbst  fand  der  oben  gekennzeichnete  Standpunkt,  den  der  Entwurf 
gegenüber  der  Regelung  des  ehelichen  Güterrechts  einnimmt,  im  allge- 
meinen Zustimmung.  Insbesondere  wurde  es  im  Gegensatz  zu  manchen 
Urteilen  der  Kritik  gebilligt,  dafs  der  Entwurf  ein  einheitliches  gesetz- 
liches Güterrecht  schaffen  will,  und  dafs  er  nicht,  dem  sog.  Regional- 
system  folgend,  mehrere  gesetzliche  Güterrechtssysteme  nebeneinander 
stellt  und  es  der  Landesgesetzgebung  überläfst,  für  ihr  Gebiet  oder  einen 
Teil  desselben  das  eine  oder  andere  dieser  Systeme  in  Geltung  zu  setzen. 
Ebenso  wurde  die  Wahl  eines  anderen  Systems  als  der  Verwaltungs- 
gemeinschaft zur  Grundlage  des  gesetzlichen  Güterrechts  von  keiner  Seite 
beantragt;  vereinzelt  fand  zwar  die  Ansicht  Vertretung,  dafs  die  Er- 
rungenschaftsgemeinschaft den  Vorzug  verdienen  würde,  indes  wurde 
wegen  Aussichtslosigkeit   auf   die  Einbringung    eines    bezüglichen  Antrags 


238  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

verzichtet.  Zu  Gunsten  der  Verwaltungsgemeinschaft  fiel  entscheidend  ins 
Gewicht,  dafs  dieselbe  in  dem  verhältnismäfsig  gröfsten  Teile  des  Reiches 
geltendes  Recht  ist1),  dafs  sie  ferner  am  wenigsten  tief  in  die  zur  Zeit 
der  Eheschliefsung  bestehenden  Vermögensverhältnisse  eingreife  und  da- 
durch die  Eingewöhnung  der  bisher  nicht  dem  Gebiete  der  Verwaltungs- 
gemeinschaft zugehörigen  Gebietsteile  in  das  neue  Recht  erleichtere,  sowie 
dafs  sie  durch  die  der  Erau  eingeräumte  verhältnismäfsig  selbständige 
Stellung  dem  Zuge  der  modernen  Rechtsentwickeluüg  entspreche. 

Der  Beratung  im  einzelnen  wurde  der  Subkommissionsentwurf  in  der 
Weise  zu  Grunde  gelegt,  dafs  diejenigen  Vorschriften  desselben,  zu  welchen 
kein  Abänderungsantrag  vorlag,  ohne  Erörterung  als  gebilligt  angenommen 
wurden.  Wir  schliefsen  uns  im  folgenden  der  Anordnung  an,  welche  die 
Redaktionskommission  diesem   Abschnitt  gegeben  hat  (vergl.  S.   157  ff.). 

An  dem  in  §  1283  ausgesprocheneu  Grundsatz,  dafs  das  Vermögen, 
welches  die  Frau  zur  Zeit  der  Eheschliefsung  hat  oder  während  der  Ehe 
erwirbt,  von  den  gesetzlichen  Ausnahmen  abgesehen,  der  Nutzniefsung 
und  Verwaltung  des  Mannes  unterliegt,  wurde  mit  der  Aenderung  sach- 
lich festgehalten,  dafs  man  die  Verwaltung  der  Nutzniefsung  voranstellte; 
mau  wollte  damit  das  mit  der  Verwaltungspfiicht  verbundene  Verwaltungs- 
recht als  den  wesentlichen  Bestandteil  der  ehemännlichen  Rechte  kenn- 
zeichnen. Terminologisch  wich  man  vom  Entwurf  darin  ab,  dafs  für  das 
der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  des  Mannes  unterliegende  Frauenver- 
mögen statt  des  Ausdrucks  ,, Ehegut"  wesentlich  mit  Rücksicht  auf  den 
im  gröfsten  Teile  des  Reichs  eingebürgerten  Sprachgebrauch  die  Bezeich- 
nung als  „eingebrachtes  Gut"  gewählt  wurde.  Der  §  1284,  welcher  für 
den  Fall,  wenn  die  Ehe  mit  einer  in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkten 
Frau  ohne  Einwilligung  des  gesetzlichen  Vertreters  geschlossen  wird,  den 
Eintritt  der  ehemännlichen  Verwaltung  und  Nutzniefsung  nur  hinaus- 
schiebt bis  zur  Genehmigung  der  Eheschliefsung  seitens  des  gesetzlichen 
Vertreters  oder  zur  Erlangung  der  vollen  Geschäftsfähigkeit,  wurde  dahin 
geändert,  dafs  in  dem  gedachten  Falle  niemals  der  gesetzliche  Güterstand, 
sondern  Trennung  der  Güter  nach  den  §§  1333  ff.  eintreten  soll.  Die 
Vorschriften  der  §§  1285  — 1291  über  das  sog.  Vorbehaltsgut,  d.  h.  das 
der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  des  Mannes  nicht  unterworfene  Frauen- 
vermögen,  fanden  im  wesentlichen  Billigung.  Der  §  1288  wurde  jedoch 
als  entbehrlich  und  teilweise  bedenklich  gestrichen.  Man  erklärte  ferner, 
abweichend  von  §  1291,  auf  das  Vorbehaltsgut  sämtliche  für  die  Güter- 
trennung geltenden  Vorschriften,  darunter  also  auch  die  neu  beschlossene 
Auslegungsregel  des  §  o2,  für  entsprechend  anwendbar,  die  Vorschrift 
des  §  m2  über  die  Verpflichtung  der  Frau,  dem  Manne  zur  Bestreitung 
des  ehelichen  Aufwandes  einen  Beitrag  zu  leisten ,  jedoch  mit  der  der 
Billigkeit  entsprechenden  Beschränkung,  dafs  diese  Verpflichtung  nur  inso- 
weit bestehen   soll,    als    der  Mann    nicht  schon  durch    die  Nutzungen  des 


1)  Nach  den  Motiven  umfafst  ihr  Herrschaftsgebiet  zusammen  mit  dem  des  ver- 
wandten römischen  Dotalrechts  mehr  als  17  Millionen  Einwohner,  während  das  Gebiet 
der  allgemeinen  Gütergemeinschaft  fast  11  Millionen,  das  der  Mobiliargemeinschaft  etwa 
7  157  760,  das  der  Errungenschaftsgemeinschaft  zusammen  mit  dem  der  verwandten 
Systeme  etwa  6  931090  Einwohner  zählt. 


Natioiialökonoinische  Gesetzgebung.  231) 

eingebrachten  Gutes  eineu  angemessenen  Beitrag  erhält.  In  Bezug  auf 
die  Feststellung  des  Bestandes  und  des  Zustandes  des  eingebrachten  Gutes 
legte  man  den  Ehegatten  gegeneinander  die  gleichen  Rechte  und  Pflichten 
bei,  wie  sie  der  Eigentümer  und  der  Niefsbraucher  nach  den  Beschlüssen 
2.  Lesung  haben  sollen. 

Bei  der  Regelung  der  B.echte  und  Pflichten  des  Mannes  in  Bezug 
auf  das  eingebrachte  Gut  unterscheidet  der  Entwurf  scharf  zwischen  der 
ehelichen  Nutzniefsung  und  der  Verwaltung.  Eür  erstere  werden  im  all- 
gemeinen die  Vorschriften  über  den  Niefsbrauch  für  anwendbar  erklärt 
(§  1292)  und  durch  mehrere  Sonderbestimmungen  modifiziert  (§§  1293 — 
1299);  die  §§  1317 — 1324  regeln  sodann  die  Bechte  und  Pflichten  des 
Mannes  in  Bezug  auf  die  Verwaltung,  zum  Teil  wieder  durch  Bezug- 
nahme auf  Vorschriften  über  den  Auftrag,  und  der  an  sich  schwer  ver- 
ständliche §  1325  soll  das  Verhältnis  beider  Gruppen  von  Bestimmungen 
klarstellen.  Durch  diese  Redaktionsweise  wird,  wie  in  der  Kritik  vielfach 
getadelt  ist,  der  Ueberblick  über  die  Stellung  des  Mannes  sehr  erschwert; 
namentlich  hat  die  allgemeine  Bezugnahme  auf  Vorschriften  über  den 
Niefsbrauch  sowohl  aus  diesen  formellen  wie  auch  aus  sachlichen  Gründen 
vielfachen  Widerspruch  erregt.  Die  Kommission  hielt  denselben  für  teil- 
weise begründet.  In  den  Beschlüssen  2.  Lesung  sind  daher  die  Rechte 
und  Pflichten  des  Mannes  in  Bezug  auf  die  Verwaltung  und  Nutzniefsung 
einheitlich  und  unter  Vermeidung  allgemeiner   Verweisungen  geordnet. 

Der  an  die  Spitze  der  neuen  Fassung  gestellte  §  k  stimmt  sachlich 
mit  dem  §  1292,  soweit  er  auf  §  984  verweist,  überein.  Auch  die  in  §  1 
anerkannte  Verwaltungs-  und  Auskunftspflicht  des  Mannes  ist  aus  dem 
Entwurf  entnommen.  Wesentliche  Abweichungen  enthalten  dagegen  die 
auf  das  Verwaltungsrecht  des  Mannes  bezüglichen  Vorschriften  der 
§§  m — t.  Nach  dem  Entwurf  (§§  1318  ff.)  hat  der  Mann  in  Bezug  auf  die 
Verwaltung  der  Substanz  des  Ehegutes  nur  die  Stellung  des  Verwalters 
eines  fremden  Vermögens.  Er  kann  regelmäfsig  Rechtsgeschäfte  im  Namen 
der  Frau  nur  auf  Grund  einer  Vollmacht  derselben  vornehmen;  soweit 
der  §  1318  von  dieser  Regel  (sehr  eng  begrenzte)  Ausnahmen  bestimmt, 
kann  der  Mann  gleichfalls  nur  im  Namen  der  Frau  handeln.  Wird  ein 
ihm  ohne  Vollmacht  nicht  gestattetes  Rechtsgeschäft  zum  Zweck  der 
ordnungsmäfsigen  Verwaltung  des  Ehegutes  erforderlich,  so  mufs  er 
nötigenfalls  gegen  die  Frau  darauf  klagen,  dafs  diese  das  Rechtsgeschäft 
vornehme ;  die  Frau  kann  dagegen  verlangen ,  dafs  er  sich  als  Bevoll- 
mächtigter der  Vornahme  des  Geschäfts  unterziehe.  Der  Eotwurf  2. 
Lesung  erweitert  demgegenüber  zunächst  wesentlich  den  Kreis  derjenigen 
Verfügungen  über  eingebrachtes  Gut,  die  der  Mann  ohne  Mitwirkung 
der  Frau  vornehmen  kann.  Der  Mann  soll  auch  über  Geld  und  ver- 
brauchbare Sachen  sowie  nach  Mafsgabe  des  §  1000  über  solche  nicht 
verbrauchbare  Sachen,  die  zum  Inventar  eines  Grundstücks  gehören,  ver- 
fügen und  nicht  auf  Zinsen  ausstehende  Forderungen  einziehen  können. 
Soweit  der  Mann  hiernach  ohne  Zustimmung  der  Frau  verfügen  kann,  soll 
er  nach  der  den  Beschlüssen  2.  Lesung  zu  Grunde  liegenden  Auffassung 
die  Verfügungen  nicht  nur  im  Namen  der  Frau,  sondern  kraft  des  ihm  zu- 
stehenden Verwaltungsrechts  in  eigenem  Namen  vornehmen  können.    In  Be- 


240  Nationalökonomische   Gesetzgebung. 

zug  auf  den  Gebrauch  des  ihm  eingeräumten  Verfüguugsrechts  beschränkt 
der  §  o  den  Mann  durch  obligatorische  Verpflichtungen  gegenüber  der 
Frau,  welche  im  wesentlichen  im  Anschlufs  an  den  Entwurf  geregelt  sind. 
Zu  allen  anderen  Verfügungen  über  eingebrachtes  Gut  soll  der  Mann 
nicht,  wie  nach  dem  Entwurf,  einer  Vollmacht,  sondern  der  Zustimmung 
der  Erau  bedürfen.  Diese  Aenderung  beruht  auf  der  Anschauung,  dafs 
das  Verwaltungsrecht  des  Mannes  als  des  Hauptes  der  ehelichen  Gemein- 
schaft seinem  Wesen  nach  die  Verfügungsmacht  über  das  ganze  einge- 
brachte Gut  in  sich  schliefst,  diese  Macht  aber  zum  Schutz  der  Frau 
gegen  leichtsinnigen  Gebrauch  derselben  von  Seiten  des  Mannes  durch  das 
Erfordernis  der  Zustimmung  der  Frau  beschränkt  wird.  Verweigert  die  Frau 
zu  einem  zur  ordnungsmäfsigen  Verwaltung  erforderlich  werdenden  Rechts- 
geschäft, welches  ihrer  Zustimmung  bedarf,  diese  ohne  ausreichenden 
Grund ,  so  wird  der  Mann  nicht  auf  den  Prozefsweg  verwiesen ,  sondern 
das  Vormundschaftsgericht  soll  auf  seinen  Antrag  die  Zustimmung  ersetzen 
können ;  ebenso  falls  die  Frau  durch  Krankheit  oder  Abwesenheit  an  der 
Abgabe  der  Erklärung  verhindert  und  mit  dem  Aufschübe  Gefahr  ver- 
bunden ist.  Kraft  seines  Verwaltungsrechts  soll  der  Mann  ferner  befugt 
sein,  ein  zum  eingebrachten  Gut  gehörendes  Recht  im  eigenen  Namen  ge- 
richtlich geltend  zu  machen ,  und,  soweit  er  über  das  Recht  ohne  Zu- 
stimmung der  Frau  verfügen  kann ,  soll  das  Urteil  auch  für  und  gegen 
die  Frau  wirken. 

Nachdem  man  in  dieser  Weise  die  Befugnis  des  Mannes,  über  ein- 
gebrachte Gegenstände  selbständig  in  eigenem  Namen  zu  verfügen ,  dem 
Entwurf  gegenüber  wesentlich  erweitert  hatte,  erschien  es  auf  der  anderen 
Seite  geboten,  für  die  Erhaltung  und  Sicherung  des  eingebrachten  Gutes 
anderweit  Fürsorge  zu  treffen.  Wenn  z.  B.  der  Mann  für  Rechnung  der 
Frau  im  eigenen  Namen  eingebrachte  verbrauchbare  Sachen  verkauft  oder 
vertauscht  oder  mit  Geldern  der  Frau  für  das  eingebrachte  Gut  Sachen 
in  eigenem  Namen  kauft,  so  würde  er  Eigentümer  der  erworbenen  Sachen ; 
die  Frau  hätte  zunächst  nur  eiuen  Ersatzanspruch  gegen  ihn,  und  es  bedürfte 
eines  besonderen  Uebertragungsakts ,  um  die  neuerworbenen  Sachen  zu 
ihrem  Eigentum  zu  machen.  Mit  Rücksicht  darauf,  dafs  regelmäfsig  ein 
solcher  Uebertragungsakt  nicht  stattfindet,  es  aber  der  Absicht  des  Mannes 
entspricht,  die  Frau  zur  Eigentümerin  zu  macheu,  wurde  bestimmt,  dafs, 
wenn  der  Mann  mit  Mitteln  des  eingebrachten  Gutes  Inhaberpapiere,  mit 
Blankoindossament  versehene  Orderpapiere  oder  andere  bewegliche  Sachen 
oder  ein  Recht  an  einer  solchen  Sache  oder  ein  anderes  durch  blofsen 
Abtretungsvertrag  übertragbares  Recht  erwirbt,  mit  dem  Erwerbe  das 
Eigentum  oder  das  Recht  auf  die  Frau  übergehen  soll,  es  sei  denn,  dafs 
der  Mann  nicht  für  Rechnung  des  eingebrachten  Gutes  erwerben  wollte. 
Für  die  Ausdehnung  des  hiermit  beschränkt  anerkannten  sog.  Surrogations- 
prinzips auf  den  Erwerb  anderer  Rechte  sah  man  dagegen  kein  Bedürfnis. 
—  Der  Gedanke,  der  Frau  die  Substanz  ihres  eingebrachten  Vermögens 
zu  erhalten ,  war  auch  mafsgebend  für  die  Aufnahme  der  Bestimmung, 
dafs,  was  der  Mann  an  Stelle  der  von  der  Frau  eingebrachten,  nicht  mehr 
vorhandenen  Stücke  des  Haushaltsinventars  anschafft,  wieder  eingebrachtes 
Gut  wird. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  241 

Die  in  dem  Entwurf  2.  Lesung  folgenden  §§  u — y  weichen  vom  Ent- 
wurf nur  unwesentlich  ab.  Der  §  u  Abs.  1  beschränkt  die  im  §  1 292 
enthaltene  allgemeine  Verweisung  auf  die  Vorschriften  über  den  Niefa- 
brauch  auf  die  Art,  wie,  und  den  Umfang,  in  welchem  der  Mann  die 
Nutzungen  des  eingebrachten  Gutes  erwirbt.  Während  der  §  1297  Abs.  1 
Nr.  1 — 6  in  den  §§  r — y  mit  hier  nicht  zu  erwähnenden  Aenderungen 
beibehalten  ist,  hat  der  Abs.  2  des  §  1297  nicht  Aufnahme  gefunden, 
weil  die  in  ihm  ausgesprochene  Beschränkung  der  Verpflichtung  des 
Mannes  auf  den  Betrag  der  Nutzungen  schwierige  Abrechnungen  der  Ehe- 
gatten nötig  mache  und  auch  durch  Gründe  der  Billigkeit  nur  scheinbar 
gerechtfertigt  sei.  Neu  ist  die  Bestimmung  des  §  z ,  nach  welcher  der 
Mann,  soweit  er  nach  den  §§  w — y  der  Frau  gegenüber  deren  Verbind- 
lichkeiten zu  tragen  hat ,  den  Gläubigern  neben  der  Frau  als  Gesamt- 
schuldner haften  soll;  sie  beruht  auf  den  gleichen  Erwägungen,  wie  der 
zu  §  1041  gefafste  Beschlufs  (vergl.  Bd.  LXII  S.  237).  Auch  der  Satz 
des  §  a1  Abs.  1,  dafs  der  Mann  den  ehelichen  Aufwaud  zu  tragen  habe, 
ist  im  Entwurf  nicht  ausgesprochen,  obwohl  diese  Verpflichtung  des 
Mannes  die  innere  Rechtfertigung  der  ihm  zustehenden  Nutzniefsung  und 
insofern  ein  für  das  Wesen  der  Verwaltungsgemeinschaft  kennzeichnendes 
Moment  enthält.  Die  Mehrheit  hielt  die  Aufnahme  des  Satzes  trotz  der 
gegen  seine  Notwendigkeit  und  Richtigkeit  erhobenen  Bedenken  für 
angemessen,  namentlich  mit  Rücksicht  darauf,  dafs  der  §  1419  für  die 
Errungenschaftsgemeinschaft  eine  entsprechende  Bestimmung  enthält.  Im 
Anschlufs  hieran  gab  man  der  Frau  einen  unmittelbaren  klagbaren  An- 
spruch gegen  den  Mann  darauf,  dafs  dieser  den  Reinertrag  des  einge- 
brachten Gutes ,  soweit  derselbe  zur  Bestreitung  des  eigenen  und  des  der 
Frau  und  den  gemeinschaftlichen  Kindern  zu  gewährenden  Unterhalts  er- 
forderlich ist,  zu  diesem  Zwecke  ohne  Rücksicht  auf  seine  anderweitigen 
Verbindlichkeiten  verwendet.  Man  erblickte  in  dieser  Vorschrift  eine 
zweckmäfsige  Fortbildung  des  den  §§  1298,  1299,  1328  Nr.  2  des  Ent- 
wurfs zu  Grunde  liegenden  Gedankens.  —  Der  §  b  2  des  Entwurfs  2. 
Lesung  giebt  den  §  1324  Abs.  1,  soweit  er  auf  den  §  595  Bezug  nimmt, 
mit  den  zu  letzterem  beschlossenen  Aenderungen  wieder;  eine  Verzinsungs- 
pflicht bezüglich  der  vom  Manne  aufgewendeten  Gelder  ist  jedoch,  ent- 
gegen dem  §  595  Abs.  2,  als  dem  ehelichen  Verhältnis  nicht  ensprechend 
nicht  anerkannt. 

Mit  der  freieren  Gestaltung  des  Verwaltungsrechtes  steht  in  engem 
Zusammenhange  die  in  §  c1  getroffene  Entscheidung  der  Frage,  unter 
welchen  Voraussetzungen  die  Frau  vom  Manne  Sicherheitsleistung  ver- 
langen kann.  Ein  solcher  Anspruch  soll  der  Frau  einerseits,  im  wesent- 
lichen in  Uebereinstimmung  mit  dem  Entwurf  (§§  1292,  1005),  dann 
zustehen,  wenn  durch  das  Verhalten  des  Mannes  die  Besorgnis  begründet 
wird,  dafs  die  Rechte  der  Frau  in  einer  das  eingebrachte  Gut  erheblich 
gefährdenden  Weise  verletzt  werden.  Daneben  aber  giebt  der  Entwurf 
2.  Lesung,  abweichend  vom  1.  Entwurf,  der  Frau  mit  Rücksicht  auf  die  dem 
Manne  beigelegte  Befugnis  freier  Verfügung  über  Geld  oder  andere  ver- 
brauchbare Sachen  einen  Sicherungsanspruch  auch  dann,  wenn  die  der 
Frau  aus  der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  des  Mannes  zustehenden  An- 
Dritte Folge  Bd.  VIII  (LXIII).  1  Q 


242  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

sprüche  auf  Ersatz  des  Wertes  verbrauchbarer  Sachen  erheblich  gefähr- 
det sind.  Die  Kommission  sah  keinen  Grund,  die  Frau  ungünstiger  zu 
stellen,  als  der  Besteller  eines  Niefsbrauches  an  verbrauchbaren  Sachen 
nach  §  1020  stehen  soll.  Soweit  die  Gewährung  des  fraglichen  Sicherungs- 
anspruches von  der  Tendenz  der  Konkursordnung,  die  Frau  mit  den  üb- 
rigen Gläubigern  gleichzustellen,  abweicht,  erblickte  man  in  dieser  Ab- 
weichung eine  angemessene  Berichtigung  jener  in  neuerer  Zeit  als  nicht 
schlechthin  berechtigt  erkannten  Tendenz.  Unter  den  Voraussetzungen, 
unter  welchen  die  Frau  Sicherheitsleistung  verlangen  kann,  giebt  ihr  der 
|  d1  besondere  Sicherungsrechte  in  Bezug  auf  die  zum  eingebrachten 
Gut  gehörenden  Inhaberpapiere.  Dem  Entwurf  gegenüber,  welcher 
(§  1292  verb.  mit  §  1036)  es  bei  den  für  den  Niefsbrauch  an  Schuld- 
verschreibungen und  Aktien  auf  den  Inhaber  geltenden  Vorschriften  be- 
wenden läfst,  enthält  der  §  d  '  eine  der  Vertrauensstellung  des  Mannes 
entsprechende   Abschwächung  des  der  Frau  gewährten  Schutzes. 

Eine  wesentliche  Abweichung  vom  Entwurf  enthält  der  §  e1  der 
2.  Lesung.  Während  nach  dem  Entwurf  (§  1292  verb.  mit  §  1004  und 
§  1324  Abs.  2)  den  Ehegatten  die  gerichtliche  Geltendmachung  der  aus 
der  ehelichen  Verwaltung  und  Nutzniefsung  entstehenden  gegenseitigen 
Ansprüche  schon  während  der  Dauer  des  Güterstandes  gestattet  ist,  be- 
schränkt der  §  e1  die  Frau  in  dieser  Beziehung  dahin,  dafs  sie  unbedingt 
nur  den  in  §  a l  Abs.  2  bestimmten  Anspruch  auf  Verwendung  des 
Reinertrags  des  eingebrachten  Gutes  zum  Unterhalt  der  Familie,  andere  An- 
sprüche der  bezeichneten  Art  aber  nur  unter  den  Voraussetzungen  soll 
gerichtlich  geltend  machen  können,  unter  denen  sie  Sicherheit  vom  Manne 
verlangen  kann.  Man  ging  bei  dieser  mehrfachen  Wünschen  der  Kritik 
entsprechenden  Aenderung  davon  aus,  dafs  es  mit  der  Selbständigkeit  der 
ehemännlichen  Verwaltung  nicht  vereinbar  sei,  wenn  die  Frau  wegen 
jeder  angeblichen  Verletzung  seiner  Verpflichtung  zu  ordnungsmäfsiger 
Verwaltung  ihn  nötigen  könnte,  die  Meinungsverschiedenheit  vor  Gericht 
zum  Austrag  zu  bringen,  oder  wenn  sie  jederzeit  im  Prozefswege  von 
ihm  Auskunft  über  den  Stand  der  Verwaltung  verlangen  könnte.  Eine 
Gefährdung  der  Rechte  der  Frau  durch  die  beschränkende  Vorschrift  er- 
schien ausgeschlossen.  Nach  dem  Grundgedanken  der  Beschränkung  soll 
diese  jedoch  nur  für  die  Frau  selbst,  nicht  für  ihre  Gläubiger  gelten. 
Zu  einer  ähnlichen  Einschränkung  des  Mannes  sah  man  kein  Bedürfnis, 
da  dieser  sich  wegen  seiner  Ansprüche  gegen  die  Frau  regelmäfsig  selbst 
aus  dem  eingebrachten  Gute  befriedigen  könne  und  deshalb  zur  Be- 
schreitung des  Prozefsweges  nur  ausnahmsweise  Veranlassung  habe. 

Die  §§  f1 — n  ]  der  2.  Lesung  stimmen  mit  den  entsprechenden  Vor- 
schriften des  Entwurfs  im  wesentlichen  überein.  Nur  zwei  Abweichungen 
sind  hervorzuheben.  Während  nach  §  1321  die  Frau,  wenn  ein  der 
Einwilligung  des  Mannes  bedürftiges  Rechtsgeschäft  zur  ordnungsmäfsigen 
Besorgung  ihrer  persönlichen  Angelegenheiten  erforderlich  wird,  den 
Mann  auf  Erteilung  der  Einwilligung  verklagen  mufs,  soll  entsprechend 
früheren  Beschlüssen  nach  §  p1  die  vom  Manne  ohne  ausreichenden 
Grund  verweigerte  Zustimmung  auf  Antrag  der  Frau  durch  das  Vormund- 
schaftsgerioht    ersetzt   werden.     Der  Frau    soll    ferner    aufser    zu    den    in 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  243 

§  1309  bezeichneten  Prozefsführungen  nach  §  s1  Nr.  2  der  Einwilligung 
des  Mannes  auch  nicht  bedürfen  zur  gerichtlichen  Geltendmachung  eines 
zum  eingebrachten  Gut  gehörenden  Rechts  gegen  einen  Dritten,  wenn 
der  Mann  ohne  die  erforderliche  Zustimmung  der  Frau  über  das  Kecht 
verfügt  hat.  Diese  Ergänzung  des  Entwurfs  erschien  geboten,  weil  ohne 
sie  die  Erau  nicht  nur,  wie  schon  nach  dem  Entwurf,  aufser  Stande 
wäre,  das  Recht  ohne  Zustimmung  des  Mannes  gegen  den  Dritten  zu  ver- 
folgen, sondern  auch  gegen  den  Mann  selbst  nicht  klagen  könnte,  sofern 
nicht  die  Voraussetzungen  des  §  e1   gegeben  wären. 

Den  dritten,  von  der  Schuldenhaftung  handelnden  Unterabschnitt  des 
Entwurfs  2.  Lesung  eröffnet  der  §  v1  mit  dem  sachlich  dem  Entwurf 
entsprechenden  Satz,  dafs  die  Gläubiger  des  Mannes  nicht  Befriedigung 
aus  dem  eingebrachten  Gut  verlangen  können ;  wegen  der  Wichtigkeit 
des  Satzes  erschien  es  angemessen,  ihn  auszusprechen.  Die  Vorschriften 
der  §§  w  ' — c  2  stimmen  mit  dem  Entwurf  im  allgemeinen  überein.  Je- 
doch soll  nach  §  x1  Abs.  2,  abweichend  von  §  1312  Nr.  1,  für  die 
Kosten  eines  Rechtsstreits  der  Frau  das  eingebrachte  Gut  auch  dann 
haften,  wenn  das  Urteil  in  Ansehung  des  eingebrachten  Gutes  dem  Mann 
gegenüber  unwirksam  ist.  Hiermit  hängt  die  Aenderung  zusammen,  welche 
der  §  b2   gegenüber  dem  §   1316  Abs.   2  Nr.  4  enthält1). 

Der  vierte  Unterabschnitt  des  Entwurfs  2.  Lesung,  der  von  der  Be- 
endigung der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  handelt,  weist  gegenüber  den 
§§  1327 — 1332  nur  wenige  sachliche  Abänderungen  auf.  Das  Recht  der 
Frau,  auf  Aufhebung  der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  zu  klagen,  ist 
dem  §  1328  gegenüber  erweitert.  Es  soll  ihr  einerseits  stets  zustehen, 
wenn  die  Voraussetzungen  vorliegen,  unter  denen  sie  nach  §  e1  Sicher- 
heitsleistung verlangen  kann,  also,  abweichend  vom  §  1328  Nr.  1,  auch 
unter  den  Voraussetzungen  des  §  e  1  Abs.  2.  Wegen  Verletzung  der 
Unterhaltspflicht  des  Mannes  soll  ferner  die  Frau  das  bezeichnete  Recht 
ohne  Rücksicht  auf  ein  Verschulden  desselben  haben,  während  dies  nach 
dem  §  1328  Nr.   2  zweifelhaft  erscheint. 

An  den  Schlufs  des  Abschnitts  vom  gesetzlichen  ehelichen  Güterrecht 
stellt  endlich  der  2.  Entwurf  die  Vorschriften  über  die  Gütertrennung, 
welche  der  Entwurf  als  vertragsmäfsigen  Güterstand  im  Titel  von  den 
Eheverträgen  (§§  1338 — 1340)  behandelt.  Mafsgebend  war  die  Erwä- 
gung, dafs  schon  nach  dem  Entwurf  die  Gütertrennung  in  gewissen 
Fällen  (§§  1284,  1330)  ohne  Vertrag  kraft  Gesetzes  eintritt  und  daher 
in  erster  Linie  als  subsidiärer  gesetzlicher  Güterstand  von  Bedeutung  ist. 
Die  auf  die  Gütertrennung  bezüglichen  Vorschriften  der  §§  1339,  1340 
erfuhren  nur  geringfügige  Aenderungen.  Der  Abs.  2  des  §  1340  wurde 
fallen  gelassen,  weil  durch  die  in  ihm  anerkannte  Herausgabepflicht  des 
Mannes  der  Zweck  des  Abs.  1,  Streitigkeiten  unter  den  Ehegatten  zu 
vermeiden ,  zum  Teil  vereitelt  werde.  Zu  dem  gleichen  Zwecke  fand 
die  Auslegungsregel  des  §  o  2   Aufnahme. 

1)  Auf  Seite   70  sind    in   §  a 2   Nr.    3    vor    „Verbindlichkeit"    die  Worte    „Verbind- 
lichkeiten  einschliefslich  der"   einzuschalten. 

16* 


244  Mi  s  z  e  lle  n. 


Mjiszellen. 


in. 

Die  Staats-Liegenschaftssteuer  Rufslands. 

Von  Dr.   Gustav    Sodoffsky. 

Vermittelst  eines  Allerhöchsten  Befehles  an  den  Dirigierenden  Senat 
trat  vom  1.  Juli  (alt.  St.)  d.  J.  1863  ab  an  die  Stelle  der  Kopfsteuer  in 
den  Städten  und  Flecken  Rufslands  die  Liegenschafts-  oder  Immobilien- 
steuer. 

Ursprünglich  für  das  gesamte  russische  Reich  projektiert,  konnte  das 
Gesetz  in  einigen  Ländern,  wie  Bessarabien,  dem  Lande  der  donischen 
Kosaken,  Transkaukasien  und  Sibirien ,  aus  Mangel  an  genügenden  stati- 
stischen Daten,  die  zur  gleichmäfsigen  Repartition  nötig  waren,  noch  nicht 
zur  Durchführung  gebracht  werden  und  auf  Sibirien  ist  das  Gesetz  erst 
seit  dem  Jahre   1872  ausgedehnt  worden. 

Das  betreffende  Gesetz  vom   1.   Januar   1863   lautete: 

„Zur  Verstärkung  der  Mittel  des  Reichsschatzes,  dem  neue  bedeutende 
Ausgaben  bevorstehen,  haben  Wir  es  für  nötig  erachtet,  für  das  Jahr  1863 
eine  besondere  Auflage  auf  Immobilien  in  den  Städten  und  Flecken  fest- 
zusetzen, gleichzeitig  aber,  um  die  Lage  des  zahlreichsten,  in  seinen 
Existenzmitteln  am  wenigsten  sichergestellten  städtischen  Standes  günstiger 
zu  gestalten,  die  Kopfsteuer  von  den  Meschtschanins  *)  ganz  aufzuheben, 
dergestalt,  dafs  diese  Aufhebung  sich  auf  einige  besondere  lokale  Auf- 
lagen zu  erstrecken  hat,  die  als  Ersatz  der  Kopfsteuer  von  zu  den  Städten 
angeschriebenen  Personen  gezahlt  werden. 

Nachdem  Wir  infolgedessen  die  vom  Finanzministerium  abgefafsten 
und  im  Reichsrat  beprüften  Regeln  über  die  Erhebung  der  Auflage  von 
Immobilien  in  den  Städten  und  Flecken  im  Jahre  1863  bestätigt  haben, 
übersenden  Wir  dieselben  dem  Dirigierenden  Senat  und  befehlen: 

1)  Diese  Regeln   mit  dem  Juli  1863  in  Wirksamkeit  treten  zu  lassen. 

2)  Von  da  ab,  d.  h.  von  der  zweiten  Hälfte  des  Jahres  1863,  die 
Kopfsteuer  von  den  Meschtschanins,  gleichwie  auch  die  Steuern,  die  als 
Ersatz    für    dieselbe    in    Grundlage    der    Art.    689 — 706,     730 — 736    und 


1)  Bürger,   die  nicht  zur  Gilde  steuern  —  Kleinbürger. 


M  i  sz  e  1 1  e  n.  245 

811 — 815  (Abgabenreglement  Band  V  des  Kodex  der  Reichsgesetze,  Aus- 
gabe vom  Jahre    1857)  gezahlt  werden,  aufzuheben. 

Der  Dirigierende  Senat  wird  nicht  unterlassen,  zur  Erfüllung  dessen 
die  erforderliche  Anordnung  zu  treffen  1)." 

Alexander. 

Die  erwähnten  Regeln  waren  für  die  Jahre  1863,  1864,  1865  und 
1866  nur  temporärer  Natur  und  mufsten  für  jedes  einzelne  Jahr  Aller- 
höchst bestätigt  werden. 

Am  Ende  des  Jahres  1866  wurde  die  Bestimmung  getroffen,  die 
Regeln  für  die  nächstfolgenden  Jahre  auszuarbeiten.  Dies  geschah ;  am 
4.  Oktober  1866  fand  die  Allerhöchste  Bestätigung  derselben  statt  und 
seitdem  dienen  sie  mit  nur  wenigen  Aenderungen  als  Basis  für  die  all- 
jährliche  Steuererhebung. 

In  sieben  Kapiteln  bestimmen  die  Regeln  —  die  der  Auflage  unter- 
liegenden Immobilien,  die  Auflage  und  deren  Repartition ,  die  Erhebung 
der  Auflage ,  handeln  weiter  von  den  Rückständen  und  Strafgeldern ,  von 
den  Mafsnahmen  zur  Beitreibung  der  Rückstände,  von  der  Befreiung  und 
dem  Erlafs  der  schuldigen  Steuerquoteu ,  und  schliefslich  von  der  An- 
wendung dieser  Regeln. 

Im  Nachfolgendem  möge  hier  das  Wesentlichste  aus  dem  in  Rede 
stehenden   Reglement  2)  Platz   finden. 

Der  Immobiliensteuer  unterliegen : 

a)  Alle  Immobilien,   welche  Privateigentum   sind. 

b)  Diejenigen  der  Landschaft,  den  Städten,  den  geistlichen  Ressorts 
(sowohl  der  christlichen  als  der  nichtchristlichen  Konfessionen),  den 
Wohlthätigkeitsanstalten,  gelehrten  Gesellschaften,  Institutionen  und 
Lehranstalten  gehörigen  Immobilien  oder  die  Teile  derselben,  welche 
durch  Vermieten   Erträge  gewähren. 

Ausgenommen   sind  von  der  Steuer: 

a)  Immobilien ,  die  unmittelbar  für  Rechnung  des  Reichschatzes  unter- 
halten werden. 

b)  Diejenigen  der  Landschaft,  den  Städten  und  den  obenangeführten 
Ressorts ,  Gesellschaften ,  Institutionen  und  Anstalten  gehörigen  Im- 
mobilien oder  die  Teile  derselben ,  welche  keine  P^rträge  durch  Ver- 
mietung  abwerfen  und 

c)  Immobilien ,  für  welche  die  Steuer  weniger  als  25  Kop.  betragen 
würde  3). 

Die  Immobiliensteuer  wird  erhoben  in  allen  Städten  und  Flecken,  für 
die  das  Reglement  Geltung  hat,  von  den  in  dem  Bezirke  einer  Stadt  oder 
eines  Fleckens  befindlichen  oder  auch  aufserhalb  dieses  Bezirkes  auf 
Stadtgrund  belegenen  Immobilien  (Wohnhäusern  mit  den  zu  denselben 
gehörigen  Höfen    und    Baulichkeiten ,    Fabriken ,    Betriebsanstalten ,    Bade- 


1)  cf.  ,,Die  Patente  der  livländischen  Gouvernementsregierung"  pro  1863;  vergl. 
auch  m.  Schrift:  ,,Die  Immobiliensteuer  in  Riga  und  die  Gebäudesteuer  in  Oesterreich", 
Riga  1888,  S.  20  ff. 

2)  cf.    „Die  Patente  der  livländischen  Gouvernementsregierung"   pro   1867. 

3)  Kapitel  I,   Pkt.  2  u.  3  a.  a.  O. 


246  M  i  s  z  e  1 1  e  n. 

stuben  und  überhaupt  Gebäuden  verschiedener  Art,  Stapelplätzen  und  un- 
bebauten Grundstücken,  Gemüsegärten,   Gärten,  Orangerien  u.  a.  w.)  1). 

Die  Immobiliensteuer  wird  jedes  Jahr  durch  die  Regierung  für  jedes 
Gouvernement  festgesetzt.  Die  Reparation  der  für  das  resp.  Gouverne- 
ment bestimmten  Summe  auf  die  Städte  und  in  den  Städten  auf  die  Be- 
sitzer der  Immobilien  wird  den  Landschafts-  und  den  städtischen  Kom- 
munal-Institutionen  überlassen,  und  zwai  findet  dieselbe  in  der  Regel  2) 
durch  die  Gouvernements-Landschaftsversammlungen  statt  auf  Grundlage 
der  Nachrichten,  welche  über  die  Zahl  und  den  Wert  der  in  jeder  Stadt 
und  jedem  Flecken  befindlichen  Immobilien  und  über  die  Vorteile,  die 
dieselben  bringen,  gesammelt  sind.  Die  Repartition  bedarf  der  Bestätigung 
des  Finanzministers  3). 

Die  Repartition  der  Steuersumme,  welche  von  einer  jeden  Stadt  und 
einem  jeden  Flecken  einfliefsen  mufs,  auf  die  einzelnen  Immobilien  wird 
einer  besonderen  Repartitionskommission  überlassen,  deren  Mitglieder  von 
den  Immobilienbesitzern  der  betreffenden  Stadt  oder  des  betreffenden 
Fleckens  erwählt  werden.  Zum  Zweck  der  Repartition  wird  der  Kapital- 
wert der  Immobilien  festgestellt;  die  Feststellung  findet  durch  die  Repar- 
titionskommission statt  entweder  nach  deren  eigenen  Berechnungen  oder 
gemäfs  der  Taxation  der  städtischen  Immobilien  zur  Besteuerung  zu 
städtischen  Zwecken4),  letzteres  unter  der  Voraussetzung,  dafs  diese 
Taxation    von    der  Repartitionskommission    für  genügend    erachtet  wird ö). 

Innerhalb  eines  Monats ,  vom  Tage  der  Bekanntmachung  der  Repar- 
tition, können  die  Immobilienbesitzer  Ausstellungen  gegen  die  Repartition 
bei  der  Repartitionskommission  einreichen.  Die  mit  der  Entscheidung 
der  Kommission  event.  nicht  zufriedenen  Reklamanten  können  sich  mit 
ihren  Beschwerden  an  die  Duma6)  oder  die  dieselben  ersetzenden  Insti- 
tutionen wenden,  in  welch'  letzteren  zwei  oder  drei  Glieder  aus  den 
Hausbesitzern  nach  deren  Wahl  für  Beratungen  und  Verfügungen  betreffs 
der  Immobiliensteuer  vertreten  sind. 

Für  die  Entrichtung  der  Steuer  ist  der  Septembermonat  bestimmt7). 
Die  bis  zum   1.  Oktober  nicht  entrichtete  Steuer  gilt  als  Rückstand. 

Nach  Eintritt  des  15.  eines  jeden  Monats  wird  1  °/0  als  Pön  für  den 
laufenden  Monat  vou  dem  Gesamtbetrage  des  nicht  bezahlten  Rückstandes 
berechnet  8). 

Wenn  nach  AbWf  eines  Monats ,  nach  dem  zur  Einzahlung  der 
Steuer  bestimmten  Termin,  der  Rückstand  nicht  entrichtet  ist,  so  stellen 
die  Dumas,  oder  die  dieselben  ersetzenden  Institutionen  einen  ,, Verschlag" 
über  die  im  Rückstande  verbliebenen  Immobilien  der  Polizei  zu,  damit 
eine  Inventur  derselben  aufgenommen  werde.     Spätestens  innerhalb  eines 


1)  Kapitel  I,  Pkt.  1   a.   a.   O. 

2)  Ausnahmsweise  wird  eine  besondere  „Session  für  Landesprästanden"  in  Anspruch 
genommen,  cf.   Pkt.   5,  Anm. 

3)  Kapitel  I,  Pkt.  4—6. 

4)  Dies  Verfahren  bildet   die  Regel. 

5)  Kapitel  II,  Pkt    9  u.   10. 

6)  d.  h.  das  Stadtamt. 

7)  Kapitel  III,   Pkt.   14—19. 

8)  Kapital  IV,  Pkt.  21—23. 


II  i  s  seilen.  247 

Monats  vom  Empfange  des  Verschlages  übergiebt  die  Polizei  der  Duma  oder 
der  dieselbe  ersetzenden  Institution  jene  Inventurprotokolle  zur  Anord- 
nung des   Verkaufes  der  im   Rückstande  befindlichen   Immobilien. 

In  der  Zeit  von  der  Vorstellung  des  Inventurprotokolls  bis  zum 
öffentlichen  Meistgebote  kann  der  Verkauf  noch,  durch  Zahlung  des  Rück- 
standes und  einer  Pön  von  2  Proz.  pro  Monat,  gerechnet  von  der  Auf- 
nahme des  Inventurprotokolls  an,  inhibiert  werden.  Wird  letztere  Frist 
nicht  benutzt,  so  wird  der  Verkauf  des  betreffenden  Immobils  in  seinem 
vollen  Bestände  oder  soweit  es  zur  Deckung  des  Rückstandes  erforderlich 
ist,  d.  h.  also  teilweise  bewerkstelligt  und  der  event.  restierende  Betrag 
dem  Besitzer,  wenn  keinerlei  Beitreibungen  gegen  ihn  gemeldet  wurden, 
sofort  ausgezahlt  x). 

Die  Dumas  und  die  dieselben  ersetzenden  Institutionen  sind  berech- 
tigt, Immobilien,  die  keine  Erträge  gewähren  und  deren  Besitzer  weder  ein 
festes  Gewerbe  betreiben  nooh  sichere  Existenzmittel  haben,  von  der  Steuer 
zu  befreien2).  Die  Besitzer  von  durch  Feuer  oder  andere  Unglücksfälle 
vernichteter  Immobilien  sind  von  der  ferneren  Zahlung  der  Steuer  be- 
freit; haftete  auf  dem  Immobil  ein  Rückstand,  so  wird  er  in  diesem  Falle 
gestrichen  3). 

Der  Finanzminister  ist  u.  A.  berechtigt,  in  Grundlage  dieser  Regeln 
den  Kameralhöfen,  Kreisrenteien,  Dumas  und  den  diese  ersetzenden  In- 
stitutionen und  Repartitionskommissionen  Instruktionen  zur  Richtschnur 
bei  der  Repartition  und  der  Erhebung  der  Steuer,  bei  der  Beitreibung 
der  Rückstände  und  der  Rechnungsführung  zu  erteilen ;  schliefslich  im 
Einvernehmen  mit  dem  Minister  des  Innern  Schwierigkeiten  und  Zweifel, 
die  bei  der  Erfüllung  dieser  Regeln  entstehen  könnten,  zu  entscheiden, 
jedoch  ohne    von    den  Grundprinzipien    dieses  Reglements  abzuweichen 4) 

Aenderungen  in  den  Bestimmungen  des  Reglements  fanden  nur 
äufserst  wenige  statt,  von  denen  wir  die  wichtigsten  kennen  lernen 
wollen.  Am  Ende  des  Jahres  1866  fand  die  Aufhebung  der  bis  dahin 
geltenden  zweijährigen  Steuerfreiheit  der  Neubauten  statt,  welche  Aende- 
rung  seit  1867  praktisch  durchgeführt  wurde.  Am  16.  März  des  Jahres 
1870  wurde  bestimmt,  dafs  die  Kaiserlichen  Hofbesitzlichkeiten  von  der 
Immobiliensteuer  eximiert  werden  sollten. 

Im  Jahre  1871  wurde  zum  Zweck  der  Beitreibung  der  rückständigen 
Steuern  die  Bestimmung  getroffen,  dafs,  wenn  nach  Ablauf  eines  Monats 
nach  dem  zur  Einzahlung  der  Steuer  bestimmten  Termin  der  Rückstand 
nicht  eingezahlt  sei,  auf  Anordnung  der  Polizei  zur  Tilgung  des  Rück- 
standes die  Einkünfte  aus  dem  schuldnerischen  Immobil  zu  verwenden 
seien.  Falls  dieses  Immobil  aber  keine  Einkünfte  haben  sollte  oder  falls 
ein  Einfliefsen  derselben  bis  zum  1.  Januar  nicht  zu  erwarten  sei, 
so  habe  die  Polizei  den  Verkauf  des  dem  Steuerschuldner  gehörigen 
Mobiliarvermögens  anzuordnen.  In  dem  Falle  aber,  dafs  durch  diese 
Mafsregel  der  Rückstand  bis  zum   1.  Januar  nicht  getilgt  wäre,  sollte  die 


1)  Kapitel  V,  Pkt.  24—27. 

2)  Dieses  Moment  erinnert  an  ein  persönliches  Steuersystem  ! 

3)  Kapitel  VI,  Pkt.  28—30. 

4)  Kapitel  VII,  Pkt.   30-32. 


248  Mis  zellen. 

Beitreibung  in  gesetzlicher  Grundlage  gegen  das  mit  dem  Rückstände 
notierte  Immobil  selbst  gerichtet  werden. 

Was  die  Steuersummen  anbelangt,  die  zur  Erhebung  kommen  sollten, 
so  blieben  dieselben  in  den  ersten  Jahren  nach  der  Einführung  die 
gleichen,  später  fanden  Erhöhungen  statt.  Seit  1873  sollte  zur  Unter- 
haltung der  durch  Gesetz  vom  23.  Juni  1871  in  den  neun  westlichen 
Gouvernements  eingeführten  Friedensgerichtsinstitutionen  eine  Ergänzungs- 
steuer von  den  städtischen  Immobilien  im  Betrage  von  25  Proz.  einge- 
führt werden.  Durch  das  am  31.  Mai  1872  Allerhöchst  bestätigte  Gutachten 
des  Reichsrates  wurde  für  die  Offizierseinquartierungspflicht  eine  Er- 
gänzungssteuer von  den  städtischen  Immobilien  im  Betrage  von  40  Proz. 
der  von  jeder  Stadt  zu  zahlenden  Steuersumme  festgesetzt,  mit  Ausnahme 
derjenigen  Städte,  in  welchen  Allerhöchst  bestätigte  Einquartierungssteuern 
bestanden  oder  welche  besondere  Freiheiten  bezüglich  der  Ableistung 
der  Einquartierungspflicht  genossen.  Seitdem  haben  dann  noch  wieder- 
holte Erhöhungen  der  durch  die  Immobiliensteuer  aufzubringenden  Summe 
stattgefunden. 

Die  finanzielle  Bedeutung  der  Staatsliegenschaftssteuer  in  Rufsland 
ist  keine  sehr  bedeutende,  ist  aber  in  stetem  Wachstum  begriffen. 

Der  Gesamtbetrag  der  Steuer  wurde  bei  ihrer  Einführung  im  Jahre 
1863  zunächst  auf  2  051  196  Rbl.  l)  fixiert  und  wuchs  darauf  nach  einigen 
Jahren  allmählich  nicht  wenig  au.  Pro  1874  hatte  er  bereits  die  Höhe 
von  2  669  240  Rbl.  erreicht,  um  im  nächsten  Jahre  bereits  auf  4  028  990  Rbl. 
zu  steigen.  1883  betrug  die  Steuer  5  588  458  Rbl.,  1884  bereits 
6  038  000  Rbl. 

In  den  Jahren  1887 — 1890  waren  schliefslich  aufzubringen: 

1887  6020000  Rbl. 

1888  6  494  IOO  „ 

1889  6  628  OOO  ,, 

1890  6828800  „ 

1891  6801  800  „ 

1892  6  801  800  „ 

1893  7640300  „ 


1)  Ch.  v.  Keufsler :  Zur  Reform  des  Steuerwesens  in  Rufsland,  Russ.  Revue  Bd.  XXX, 
1880,  S.  78. 


Miszellen.  249 


IV. 
Das  Papiergeld  der  Zukunft. 

Von   W.   L  e  xi  s. 

Dr.  0.  Heyn,  Papierwährung  mit  Goldreserve  für  den  Auslands- 
verkehr. Ein  Mittel  zur  Lösung  der  Währungsfrage.  Berlin  1894.  8°. 
86  SS. 

Osias  Parnes,  Internationales  Papiergeld.  Lemberg  1893.  8°. 
42  SS. 

Wenn  man  erwägt,  dafs  das  eigentliche  Betriebskapital  des  britischen 
Grofsverkehrs  durch  die  600 — 700  Hill.  Pfd.  Sterling  dargestellt  wird,  die 
als  stets  fällige  Guthaben  bei  den  Banken  stehen,  dafs  im  Londoner 
Clearinghaus  jährlich  Forderungen  und  Gegenforderungen  im  Betrage  von 
7000  Hill.  Pfd.  Sterling  ohue  Mitwirkung  einer  Banknote  oder  eines 
Goldstückes  ausgeglichen  werden,  dafs  als  Metallgrundlage  für  diesen 
grofsartigen  Umlaufsmechanismus  nur  der  Barvorrat  der  Bank  von  Eng- 
land, durchschnittlich  etwa  30  Hill.  Pfd.  Sterling,  gegeben  ist,  während 
für  den  kleineren  Barverkehr  noch  80 — 90  Mill.  Pfd.  in  Gold  im  Lande 
zerstreut  sind,  so  mufs  man  sich  unwillkürlich  fragen:  würde  dieser 
Mechanismus  nicht  mit  unveränderter  Kraft  weiter  arbeiten  können,  wenn 
der  bei  der  Bank  liegende  Sicherheitsfonds*  in  Gold  ohne  Wissen  des 
Publikums  in  die  Erde  versänke,  oder  wenn  er  überhaupt  nicht  dawäre? 
Es  dürfte  allerdings  nicht  der  ganze  Barvorrat  der  Bank  verschwinden, 
denn  man  verlangt  von  der  Bank  auch  Gold  zur  Ausfuhr  und  dies  ist 
die  allein  bedeutsame  Veranlassung  zu  dem  Verlangen  der  Einlösung 
gröfserer  Summen  von  Noten;  denn  im  inneren  Verkehr  hat  der  Kredit 
der  Noten  der  Bank  von  England  sich  seit  der  Wiederaufnahme  der  Bar- 
zahlungen unerschütterlich  behauptet  und  auch  in  den  schlimmsten  Krisen 
dachte  niemand  daran ,  die  Noten  aus  Mifstrauen  zur  Einlösung  einzu- 
reichen, vielmehr  mufste  die  Peel'sche  Akte  dreimal  suspendiert  werden, 
um  es  der  Bank  möglich  zu  machen,  noch  mehr  Noten  auszugeben.  That- 
sächlich  wäre  also  für  das  Inland  die  Einlöslichkeit  der  Noten  entbehr- 
lich; für  das  Ausfuhrbedürfnis  aber  würde  ein  sehr  mäfsiger  ständiger 
Goldvorrat,  5  bis  höchstens  10  Mill.  Pfd.  Sterling  genügen,  da  London 
ja  andererseits  auch  den  wichtigsten  Stapelplatz  für  die  Goldeinfuhr  aus 
den  Produktionsländern  bildet.  Nichts  stände  im  Wege,  auch  das  im  In- 
lande    umlaufende  Gold    durch    ein    Papiergeld   zu    ersetzen,    das  zunächst 


250  M  i  s  z  e  1 1  e  n. 

voll  gedeckt  sein  könnte ;  allmählich  würde  sich  dann  herausstellen,  dafs 
diese  Deckung  gröfstenteils ,  ja  vielleicht  gänzlich,  ein  totes  Kapital  und 
zur  Aufrechterhaltung  des  Wertes  des  Papiergeldes  gar  nicht  nötig  sei. 
So  würde  also  die  englische  Cirkulation  schliefslich  auf  dem  Depositen- 
und  Checksystem  für  den  grofsen  und  auf  Banknoten  oder  sonstigem 
Papiergeld  für  den  kleineren  Verkehr  beruhen.  Die  Geldeinheit  jedoch, 
in  der  alles  Vermögen  ausgedrückt  und  auf  die  alle  Geschäfte  bezogen 
würden,  hätte  noch  immer  eine  feste  Beziehung  zum  Golde  :  man  würde 
von  ihr  verlangen,  dafs  sie  immer  denselben  Wert  darstelle,  wie  die  in 
einem  Sovereign  enthaltene  Goldquantität.  Das  Gold  bliebe  also  das  Wert- 
mafs  für  das  britische  Papiergeld ,  das  seinerseits  wieder  Wertmafs  wäre 
für  die  Bankdepositen  und  alle  anderen  auf  Geld  lautenden  Vermögens- 
werte. Die  Eigenschaft  des  Geldes  als  des  Wertmafses  träte  bei  diesem 
System  neben  seinen  Funktionen  als  Umlaufs-  und  Zahlungsmittel  immer 
mehr  in  den  Vordergrund ,  da  auch  das  Papiergeld  für  diese  letzteren 
Zwecke  immer  weniger  gebraucht  würde.  Denn  die  Bankdepositen  ent- 
stehen bekanntlich  zum  bei  weitem  gröfsten  Teil  nicht  durch  bare  Ein- 
zahlungen ,  sondern  durch  Gutschrift  von  Wechseln  und  Checks  und  die 
Uebertraguugen  im  Giro-  und  Checkverkehr  erfolgen  ebenfalls  ohne  Mit- 
wirkung von  Geld  oder  Noten.  Aber  gerade  weil  so  enorme  Summen 
von  Kapitalvermögen  unmittelbar  von  dem  Werte  der  Geldeinheit,  auf 
die  sie  lauten,  abhängig  sind,  finden  Pläne,  die  darauf  gerichtet  sind,  das 
Metallgeld  wenigstens  im  inneren  Verkehr  durch  Papier  zu  ersetzen,  noch 
wenig  Anklang.  Niemand  bezweifelt,  dafs  der  innere  Güterumlauf  tech- 
nisch ebenso  gut  durch  Papiergeld  —  natürlich  in  Verbindung  mit  einer 
angemessenen  Bank-  und  Kreditorganisation  —  wie  durch  Metallgeld  ver- 
mittelt werden  könnte;  aber  die  meisten  Sachkundigen  bezweifeln,  dafs 
ein  Papiergeld  für  sich  allein  jemals  ein  genügend  sicheres  und  stabiles 
Wertmafs  bilden  könne;  man  verlangt  daher,  dafs  das  Papiergeld  sich 
stets  an  ein  Edelmetall ,  d.  h.  gegenwärtig  an  Gold  anlehne  und  dazu 
genüge  es  nicht,  wenn  nur  ein  dem  Ausfuhrbedarf  entsprechender  Gold- 
vorrat gehalten  werde,  sondern  die  stete  Einlöslichkeit  des  Papiergeldes 
müsse  auch  im  Inlande  aufrecht  erhalten  werden  und  der  Barvorrat  auch 
für  die  Erreichung  dieses  Zwecks  volle  Gewähr  bieten. 

Aber  auch  das  Gold  kann  sich  keiner  absoluten  Wertstabilität  rühmen 
und  theoretisch  wenigstens  könnte  mau  sich  einen  Papierumlauf  von 
solcher  Einrichtung  denken,  dafs  dieses  Geld  ein  mindestens  ebensowenig 
veränderliches,  ja  sogar  ein  noch  festeres  Wertmafs  wäre,  als  das  Gold. 
Der  Gedanke,  die  Geld  Wirtschaft  von  den  Zufälligkeiten  der  Edelmetall- 
produktion ganz  unabhängig  zu  macheu,  hat  etwas  Bestechendes,  und  da 
es  an  sich  durchaus  rationell  ist  und  seine  Schwierigkeiten  nur  in  den 
praktischen  Zuständen  der  Gesellschaft  und  der  Staaten  liegen,  so  fehlt 
es  ihm  nicht  an  Verteidigern ,  namentlich  seit  Rioardo  ihn  in  einem  ge- 
wissen Umfange  angenommen  hat.  Auch  die  beiden  oben  angeführten 
Schriften  schlagen,  wenn  auch  in  verschiedener  Gestalt,  eine  Reform  des 
Geldwesens  durch  Papiergeldausgabe  vor,  und  zwar  gehen  beide  aus  von 
der  Anschauung,  dafs  die  Edelmetalle  wegen  der  starken  Schwankungen 
ihrer  Produktion  und  der  Veränderlichkeit   der  Nachfrage  die  Eigenschaft 


M  i  sz  el  1  e  n.  251 

eines  konstanten  Wertmafses  nicht  in  genügendem  Grade  besitzen.  Heyn 
nimmt  ausdrücklich  an ,  dafs  gegenwärtig  eine  Goldverteuerung  bestehe, 
während  Parnes  sich  über  diesen  Punkt  weniger  bestimmt  ausdrückt. 
Heyn  beruft  sich  namentlich  auf  die  mehrfach  vorgekommenen  hohen 
Diskontsätze  in  Deutschland.  Aber  im  ganzen  ist  der  durchschnittliche 
Diskont  der  Reichsbank  seit  dem  Beginne  ihrer  Geschäftstätigkeit  (1876) 
niedriger  als  der  der  Preufsischeu  Bank  in  der  Periode  der  Silberwährung 
von  1847  bis  1873;  auch  ist  die  Reichsbank  nie  über  6  Prozent  hinaus- 
gegangen, während  bei  der  Preufsischen  Bank  auch  aufserhalb  der  Kriegs- 
jahre mehrfach  Sätze  von  61/.,,  7  und  71/2  Prozent  vorgekommen  sind. 
Auch  in  Frankreich  ist  der  Bankdiskont  seit  1876  durchschnittlich  nied- 
riger geblieben,  als  seit  1851  in  der  Zeit  der  intakten  Doppelwährung. 
Dafs  er  durchschnittlich  etwas  niedriger  steht,  als  der  Satz  der  deutschen 
Reichsbank,  ist  unabhängig  von  den  Währungsverhältuissen  und  beruht 
vor  allem  auf  dem  weit  gröfseren  Kapitalreichtum  Frankreichs.  Das- 
jenige Land  aber,  das  allein  die  reine  Goldwährung  und  nicht  wie 
Frankreich  und  Deutschland  zugleich  noch  eine  grofse  Summe  an  Silbev- 
kurantgeld  besitzt,  England,  hat  von  allen  den  niedrigsten  Bankdiskont 
und  auch  hier  ist  derselbe  in  den  letzten  zwanzig  Jahren  durchschnitt- 
lich niedriger  und  zugleich  stabiler  gewesen  als  in  den  vorangegangenen 
beiden  Jahrzehnten.  Auch  hat  er  seit  1874  nur  zweimal  den  Satz  von 
6  Prozent  erreicht,  während  er  diesen  früher  oft  überschritten  hat  und 
sogar  auf  8,  9  und  10  Prozent  gestiegen  ist.  Gegenwärtig  steht  der 
offizielle  Diskont  der  Bank  von  England  schon  seit  mehreren  Monaten 
auf  2  Prozeut,  auf  dem  offenen  Markte  dagegen  beträgt  er  nur  x/2  —  3/4 
Prozent  und  was  den  Goldvorrat  der  Bank  betrifft,  so  betrug  die  Total- 
reserve des  Bankdepartements  am  20  Juni  30,8  Müll.  Pfd.  Sterling,  d.  h. 
es  lag  der  früher  unerhörte  Fall  vor,  dafs  der  Barvorrat  der  Bank  um 
14  Mill.  Pfd.  gröfser  war,  als  die  Gesamtsumme  der  umlaufenden  Noten. 
Unter  solchen  Umständen  ist  es  doch  schwer,  von  Goldknappheit  und 
Goldverteuerung  zu  sprechen ,  wenn  man  darunter  das  richtige  versteht, 
nämlich  eine  Herabdrückung  der  Warenpreise  infolge  der  Unzulänglich- 
keit der  Umlaufsmittel,  und  nicht  etwa  naiver  Weise  privatwirtschaftlichen 
Geldmangel  oder  Mangel  an  Geschäftsgewinn.  Uebrigens  besteht  nur  ein 
entfernter  und  indirekter  Zusammenhang  zwischen  dem  Dikontosatze  und 
der  Kaufkraft  des  Geldes  gegen  Waren  ;  denn  der  erstere  hängt  nicht  von 
der  vorhandenen  Menge  des  baren  Geldes,  sondern  von  der  Summe  des 
verfügbaren  flüssigen  Kapitals  ab,  das  auf  Geld  lautet,  aber  nur 
zum  kleinsten  Teile  durch  effektives  Geld  dargestellt  wird.  Wie  weit 
der  Diskont  durch  die  Geldmenge  beeinflufst  wird,  hängt  hauptsächlich 
von  der  Bankgesetzgebung  ab,  und  daher  ist  dieser  Einflufs  in  England 
am  gröfsten,  in  Frankreich  aber  am  kleinsten.  Dafs  aber  die  Preis- 
erniedrigung der  meisten  Welthandelswaren  nicht  auf  Mangel  an  Metall- 
geld zurückzuführen  sei ,  halte  ich  angesichts  der  thatsächlichen  grofsen 
Vermehrung  nicht  nur  des  Goldgeldes,  sondern  namentlich  auch  des  dem 
Golde  gleichstehenden  amerikanischen  Silbergeldes  für  gewifs ;  eine  ge- 
wisse relative  Verteuerung  des  abendländischen  Geldes  infolge  der  Silber- 
entwertung  hat    nur  gegenüber    den   Erzeugnissen    der  Länder  mit  Silber- 


252  M  i  s  z  e  1 1  e  n. 

Währung  und  selbständiger  Preisbildung,  insbesondere  Ostasiens,  statt- 
gefunden. In  diesen  Ländern  ist  das  Silber  trotz  der  grofsen  Vermehrung 
seiner  Produktion  noch  nicht  erheblich  im  Werte  gesunken,  ein  Beweis, 
dafs  selbst  unter  sehr  ungünstigen  Verhältnissen  ein  Edelmetallgeld  einen 
hohen  Grad  von  Wertstabilität  zu  behaupten  vermag.  In  noch  höherem 
Grade  gilt  dies  von  dem  Golde,  dessen  jährliche  Produktion  im  Vergleich 
mit  dem  als  Geld  in  der  Kulturwelt  vorhandenen  Vorrat  noch  weit  nied- 
riger erscheint ,  als  die  des  Silbers.  Eine  Entwertung  des  Goldes,  wie 
man  sie  in  den  fünfziger  Jahren  befürchtete,  erscheint  jetzt  völlig  aus- 
geschlossen ;  eine  Werterhöhung  aber  würde  selbst  bei  bedeutender  Ver- 
minderung der  Produktion  auf  lange  Zeit  nicht  zu  merken  sein ,  wenn 
nicht  etwa  eine  gröfsere  Anzahl  von  Staaten,  die  jetzt  Papier-  oder 
Silberwährung  haben,  ebenfalls  imstande  sein  sollte,  zur  Goldwährung 
überzugehen.  Da  aber  die  etwa  in  Frage  kommenden  Staaten  verschuldet 
oder  überhaupt  wirtschaftlich  schwach  sind,  so  ist  es  durchaus  unwahr- 
scheinlich, dafs  ihnen  dieser  Schritt  gelingen  sollte.  Die  gegenwärtig  im 
Besitz  der  Goldwährung  —  mit  oder  ohne  Silberkurant  —  befindlichen 
Staaten  haben  also  keinen  Anlafs,  eine  Tendenz  zur  Wertänderung  in 
ihrer  Geldeinheit  anzunehmen  und  sie  werden  sich  daher  durch  solche 
Befürchtungen  für  die  in  den  beiden  obigen  Schriften  vorgeschlagenen 
Papiergeldexperimente  schwerlich  gewinnen  lassen. 

Aber  lassen  wir  die  Erage  der  praktischen  Verwirklichung  dieser 
Vorschläge  beiseite  und  betrachten  wir  dieselben  nur  nach  ihrem  inneren 
Gehalt.  Das  Heyn'sche  Projekt  steht  den  von  Ricardo  befürworteten  Ein- 
richtungen sehr  nahe.  In  seinen  „Vorschlägen  zur  Herstellung  eines 
billigen  und  sicheren  Geldumlaufs"  empfiehlt  Ricardo  ein  Gesetz,  nach 
dem  die  Bank  von  England  verpflichtet  sein  soll,  ihre  Noten  nicht  in 
Münzen,  sondern  in  Barren  von  Gold  und  Silber  (er  ist  entschiedener 
Silberfreund)  nach  dem  Münzpreise  einzulösen ,  während  sie  andererseits 
auch  jedes  angebotene  Quantum  Gold  zu  einem  etwas  niedrigeren  festen 
Preise  kaufen  müfste.  Irgend  eine  Bestimmung  über  das  Verhältnis  der 
Metaildeckung  zum  Notenumlauf  bestand  damals  für  die  Bank  nicht  und 
auch  Ricardo  will  in  dieser  Hinsicht  keine  weitere  Vorschrift  geben  als 
die,  dafs  die  Direktoren  der  Bank  die  Notenmeuge  stets  in  solchen 
Schranken  zu  halten  hätten ,  dafs  der  Preis  des  Barrengoldes  im  freien 
Verkehr  immer  dem  Münzpreise  in  Noten  gleichbliebe.  Der  Barvorrat 
würde  dann  thatsächlich  nur  dazu  dienen,  Gold  für  das  Ausfuhrbedürfnis 
zur  Verfügung  zu  halten,  der  innere  Geldverkehr  würde  vorzugsweise 
durch  die  (als  gesetzliches  Zahlungsmittel  anerkannten)  Banknoten  ver- 
mittelt werden  und  die  weitere  Ausprägung  von  Goldmünzen  könnte  bei 
der  vollen  Ausführung  des  Planes  eingestellt  werden.  Wir  haben  also 
hier  „Papierwährung  mit  Goldreserve  für  den  Auslandsverkehr",  zumal 
Ricardo  von  den  anfangs  erwähnten  Silberbarren  nicht  weiter  spricht.  In 
einer  späteren  (posthumen)  Schrift  über  die  Gründung  einer  Nationalbank 
legt  Ricardo  auf  die  Noteneinlösung  durch  Barren  —  die  in  der  Ueber- 
gangszeit  von  1819  bis  zur  Wiederaufnahme  der  Barzahlungen  wirklich 
angewandt  worden  war  —  kein  Gewicht  mehr;  andererseits  aber  spricht 
er  jetzt  dafür,  dafs  die  Notenausgabe  der  Bank  entzogen  und  dem  Staate 


i 


M  i  s  z  e  1 1  e  n.  253 

übertragen  werde,  jedoch  nicht  der  Regierung,  sondern   einer  unabhängigen 
Kommission,    deren   Mitglieder    nur    durch    einen     Parlamentsbeschlufs    ab- 
gesetzt werden  köunten   und   der  streng  zu  verbieten  wäre,   der  Regierung 
Vorschüsse    zu    leisten.     Beim  Ablauf   des   Privilegiums    der  Bank   soll   die 
Kommission    derselben     15    Mill.    Pfd.    Sterling    in    den    neuen    Noten    zur 
Tilgung    der  Schuld    des  Staates    bezahlen;     10    Mill.   Pfd.   in   Noten   sollen 
aufserdem  verwendet  werden,  um  teils  Goldbarren,  teils  die  in   den  Händen 
der  Bank    befindlichen    Schatzscheine    anzukaufen.     Die   Bank    hätte  dann 
ihre  eigenen  Noten  gegen  das  neue  Papiergeld  einzulösen.     Den  Provinzial- 
banken  wäre    dieselbe   Verpflichtung  aufzulegen,    und    zwar  wäre  die   Ein- 
löslichkeit    der    für    diese    bestimmten    Staatsnoteu     durch    eine    besondere 
Stempelung  auf    einen   bestimmten   Bezirk    zu  beschränken.      Die  Ausgabe- 
kommission in  London   soll  verpflichtet  sein,  jedes  ihr  angebotene  Quautum 
Gold   zu   einem  bestimmten   Preise  zu  kaufeu,   andererseits  aber  ihre  Noten 
jederzeit    auf  Verlangen  in   Goldmünzen   einzulösen,    was  voraussetzt,   dafs 
6ie    einen    Teil    ihrer    Barren    stets    ausmünzen    lasse.      Trotzdem    also   die 
Einlösung    in    Barren    in    diesem  Plane    aufgegeben   wird,    glaubt  Ricardo 
doch ,   dafs  nur  ein   sehr  mäfsiger  Barvorrat  erförderlich   sei ,   um   dem    Be- 
darf für    die  Einlösung    zu  genügen.     Da  die  Kommission    auch  die   Kasse 
des  Staates  führen  soll  und  daher  von  dieser  Seite  her  immer  etwa  4  Mill. 
Pfd.  in   Händen  haben  würde,  so   nimmt  er  an,  dafs   5  —  8    Mill.   zum   An- 
kauf von   Gold  in   Barren   und   Münzen   zu  verwenden  wären   und   daneben 
würden    9    bis    6   Mill.    in    Schatzscheineu    gehalten;     15   Mill.    Pfd.    aber 
würden   ohne  besondere  Deckung  einfach  auf  Grund   des  Staatskredits   aus- 
gegeben.    Auf  die  zwanzig  Jahre   später  erlassene  Peel'sche  Bankakte   hat 
dieses  Programm    einen  wesentlichen  Einflufs  geübt.      Es    liegt  ihm   eben- 
falls die  Annahme  zu  Grunde,    dafs  die   Einlösung  der  Noten   thatsächiich 
fast  ausschliefslich    für    den  Zweck    der  Goldausfuhr,    nicht   aber   für    den 
inneren   Verkehr    verlangt  werden   würden ,   jedoch  entfernt  der  Plan   sich 
nicht    so  weit    von    dem  Herkömmlichen    wie    der    erste.      Aber    auch  der 
erste  geht  nicht    so  weit    wie    der  Heyn'sche,    denn    er  will  grundsätzlich 
das   Gold  als  den   eigentlichen  Wertmafsstab  beibehalten,   da  ja  die  Noten- 
emission immer  so   geregelt  werden  soll ,  dafs  ein   Pfd.  Sterling  in   Papier 
geichwertig  mit  dem  in   einem  Sovereign   enthaltenen  Golde  bleibe.     Heyn 
dagegen    will    das    Papiergeld    zu    einem    völlig    selbständigen    Wertmafs 
machen.     Er  führt  aus,  dafs  dasselbe  alle  Eigenschaften  eines  guten  Geldes 
für  den   inländischen  Verkehr  —   gesetzliche  Zahlungskraft,    Handlichkeit, 
wirtschaftlichen  Wert,  Wertuniversalität,  Wertuniformität,   Wertkonstauz  — 
besitze  oder  doch  besitzen  könne,  indem  er  von   der  Ansicht  ausgeht,   dafs 
in  den  modernen  Staaten  mit  gesetzlich  geordneten   Zuständen  und  Volks- 
vertretungen   die    absichtliche  oder  auch    nur  bewufste   Herbeiführung   der 
Entwertung    des  Papiergeldes    völlig    ausgeschlossen   sei.     Wenn   bisher  in 
den   Staaten    mit  Papierwährung    fast    immer  eine    solche  Entwertung  ein- 
getreten  sei,  so   erkläre  sich  dies  daraus,    dafs  man  in  allen  diesen   Fällen 
gar  keine  Rücksicht  auf    die  Erhaltung    der  Wertkonstanz   des   Geldes  ge- 
nommen und  keine  gesetzlichen  Garantien  für   die  erforderliche   Beschrän- 
kung der  Menge  desselben  geschaffen  habe,  dafs  überhaupt  diese  schlimmen 
Erfahrungen  gröfstenteils    in  Zeiten  fallen ,    in    denen  man    sich   über  das 


254  M  i  s  z  e  1 1  e  n. 

Wesen  des  Geldes  und  die  Folgen  einer  Entwertung  desselben  nicht  klar 
war.  Andererseits  liegen  aus  der  neuesten  Zeit  Beispiele  sehr  erfolgreich 
durchgeführter  Papiergeldwirtschaften  vor,  zu  denen  vor  allem  die  fran- 
zösische in  den  Jahren  1870 — 1878  gehört,  in  der  fast  gar  kein  nennens- 
wertes Goldagio  hervorgetreten  ist.  Auch  die  österreichische  Papier- 
währung hat  ohne  Zweifel  seit  1868  trotz  der  Schwankungen  der  aus- 
wärtigen Wechselkurse  keine  erhebliche  innere  Entwertung  mehr  erfahren, 
und  der  Verfasser  hätte  in  betreff  derselben  zur  Unterstützung  seiner 
These  auch  noch  die  bemerkenswerte  Thatsache  hervorheben  können,  dafs 
der  österreichische  Papiergulden,  der  vor  dem  nominellen  Uebergange  zur 
Goldwährung  einen  Gulden  in  Silber  darstellen  sollte ,  in  den  letzten 
Jahren  vor  der  Valutareform  30  und  mehr  Prozent  mehr  wert  war,  als 
das  in  einem  geprägten  Gulden  enthaltene  Silber.  So  war  also  der 
Papiergulden  schliefslich  ein  reines  Kreditgeld  ohne  Metallbasis,  das  ge- 
wissermafsen  in  der  Luft  schwebte,  aber  sich  für  den  inneren  Verkehr 
auf  einer  konstanten  Höhe  erhielt. 

Man  kann  freilich  gegenüber  dieser  optimistischen  Ansicht  von  dem 
Verhalten  des  Staates  in  Sachen  des  Papiergeldes  —  die  sich  übrigens 
auch  bei  Ricardo  findet  —  geltend  machen ,  dafs  in  dringender  Not  und 
namentlich  im  Falle  eines  schweren  Krieges  jeder  Staat  sich  gezwungen 
sehen  werde,  auch  gegen  seine  bessere  Einsicht  sein  Papiergeld  aus  finan- 
zielle!) Gründen  ohne  Rücksicht  auf  die  zu  erwartende  Entwertung  in 
grofsem  Umfange  zu  vermehren.  Heyn  will  daher  einen  Kriegsschatz 
von  etwa  400  Mill.  M.  in  Gold  oder  in  sicheren  Wertpapieren  bereit 
halten;  aber  wenn  man  erwägt,  dafs  ein  Krieg  Deutschlands  von  ein- 
jähriger Dauer  bei  dem  heutigen  Stande  der  Heere  und  der  Machtmittel 
mindestens  fünf  Milliarden  Mark  kosten  würde,  so  ist  es  klar,  dafs  ein 
solcher  Schatz  wenig  helfen  würde  und  dafs  auch  mit  Anleihen  allein 
eine  so  enorme  Summe  nicht  in  so  kurzer  Zeit  aufgebracht  werden  könnte, 
sondern  dafs  eine  bedeutende  Ausgabe  von  Papiergeld  notwendig  zu  Hilfe 
genommen   werden   müfste. 

Für  den  auswärtigen  Verkehr  will  Heyn  allerdings  eine  Goldreserve 
behalten,  aber  dieses  Gold  —  in  Barren  —  soll  nur  eine  Ware  sein, 
deren  Versendung  wenig  kostet  und  die  im  Inlande  und  Auslande  ohne 
Rücksicht  auf  die  Menge  zu  unveränderten  Preisen  an- 
gekauft und  verkauft  werden  kann.  Um  dem  Golde  diese  Stellung  zu 
verschaffen,  genügt  es,  dafs  der  Staat  oder  die  staatliche  Notenbank  gesetz- 
lich verpflichtet  wird,  Gold  in  jeder  beliebigen  Menge  gegen  Papiergeld 
oder  Noten  zu  einem  bestimmten  Preise  anzukaufen  und  zu  verkaufen, 
wie  dies  auch  gegenwärtig  den  Notenbanken  in  den  Goldwährungsländern 
vorgeschrieben  ist.  Der  Preis  des  Goldes  in  Papier  soll  zunächst  gleich 
dem  Marktpreise  desselben  zur  Zeit  des  Uebergangs  zur  Papierwährung 
gesetzt,  dann  aber  in  kurzen  und  später  in  längeren  Zwischenräumen  dem 
Marktpreise  entsprechend  abgeändert  werden.  In  den  Zwischenzeiten  soll 
die  Bank  berechtigt  sein ,  wenn  ihr  Goldbestand  um  einen  gewissen  Be- 
trag unter  den  Normalstand  gesunken  oder  darüber  hinaus  gestiegen  ist, 
gesetzlich  bestimmte  Prämien  zu  dem  geltenden  Preise  zu  bezahlen  oder 
davon  abzuziehen. 


Mi  s  z  e  1  1  e  n.  255 

Von  dem  Ricard o'schen  Plane  eines  in  Goldbarren  einlöslichen  Papier- 
geldes unterscheidet  sich  der  Heyn'sche  also  im  wesentlichen  nur  dadurch, 
dafs  nach  dem  letzteren  das  Gold  nicht  mehr  prinzipiell  der  Wertstandard 
sein  soll  und  dafs  daher  für  die  Menge  des  auszugebenden  Papiergeldes 
nicht  die  Rücksicht  auf  die  Erhaltung  eines  dauernd  festen  Wertes 
desselben  gegen  Gold  mafsgebend  sein  soll.  Das  Gold  würde  nach  Heyn 
eine  Ware  mit  periodisch  veränderlichem  Preise  in  Papier  sein  und  auch 
innerhalb  einer  Periode  mit  festgesetztem  Werte  würden  vermöge  des 
Prämiensystems  noch  Preisschwankungen  stattfinden.  Das  Bestreben  soll 
darauf  gerichtet  sein,  den  Kankpreis  des  Goldes  mit  dem  Marktpreise  des- 
selben in  möglichst  genauer  Uebereinstimmung  zu  erhalten  und  wenn  die 
Staatsbanken  in  anderen  Ländern  dasselbe  Prinzip  befolgen,  so  würden  die 
Papierwährungen  der  verschiedenen  Staaten  vermöge  ihrer  Beziehung  auf 
den  gleichen  Marktwert  des  Goldes  stets  nahezu  in  dem  gleichen  Ver- 
hältnisse bleiben,  wie  sich  auch  der  Wert  des  Goldes  gegen  Papier  ändern 
möge.  Diese  Annahme  ist  nun  freilich  iu  ihrer  Allgemeinheit  nicht  richtig. 
Ebenso  wie  gegenwärtig  die  Wechselkurse  auf  London  in  den  verschie- 
denen Papierwährungsländern  sich  selbständig  bewegen,  also  der  Wert 
dieser  Papierwährungen  sich  teils  mehr,  teils  weniger  gegen  Gold  ver- 
schiebt, könnte  dies  auch  später  für  das  Heyn'sche  Papiergeld  in  den  ver- 
schiedenen Ländern  gelten,  wenn  die  Zahlungsbilanzen  derselben  sehr 
verschieden  sind  und  namentlich  wenn  die  einen  den  anderen  infolge 
von  Anleihen  und  sonstigen  internationalen  Kapitalanlagen  dauernd  stark 
verschuldet  sind.  Wenn  das  Gold  seines  Dienstes  als  Geldmetall  gröfsten- 
teils  oder  ganz  entsetzt  würde ,  so  würde  allerdings  eine  grofse  Masse 
dieses  Metalls  für  den  Ausgleichungsverkehr  mit  dem  Auslande  verfügbar 
werden  und  der  Preis  des  Goldes  in  Papier  um  so  mehr  zurückgehen,  je 
mehr  sich  bei  der  Bevölkerung  das  Vertrauen  auf  das  neue  Geldsystem 
befestigte  und  je  mehr  dieses  sich  ausbreitete.  Es  würde  dann  wahr- 
scheinlich eine  ebenso  grofse  Entwertung  des  demonetisierten  Goldes  ein- 
treten, wie  wir  sie  bei  dem  Silber  infolge  der  Verdrängung  desselben  aus 
der  Geldfunktion  erlebt  haben.  Dieser  drohende  Verlust  liefert  freilich 
auch  einen  schwer  wiegenden  Einwand  gegen  das  Projekt,  zumal  auch 
die  Tauglichkeit  des  Goldes  als  internationales  Ausgleichungsmittel  ver- 
mindert würde.  Heyn  schlägt  daher  vor,  dafs  die  Veräufserung  des  über- 
schüssigen, für  die  Goldreserve  des  Landes  nicht  erforderlichen  Bestandes 
an  eingeschmolzenen  Goldmünzen  nur  mit  solcher  Langsamkeit  erfolgen 
solle ,  dafs  ein  Preissturz  des  Goldes  vermieden  werde.  Aber  schon  die 
Einstellung  der  Prägungen  in  den  Hauptkulturstaaten  würde  genügen,  um 
den  Preis  des  Goldes  stark  herabzudrücken ,  wie  ja  auch  die  Silberent- 
wertung eingetreten  ist,  trotzdem  nur  ein  kleiner  Teil  der  in  Europa 
vorhandenen  Silbermünzen  verkauft  worden  ist.  England,  Deutschland, 
Frankreich,  Nordamerika  würden  im  Falle  der  Ausführung  des  Heyn'schen 
Planes  von  vornherein  eine  übergrofse  Goldreserve  besitzen  und  daher 
genötigt  sein,  den  Zuflufs  der  neuen  Produktion  durch  Herabsetzung  des 
Preises  möglichst  von  sich  abzuhalten.  Den  wirtschaftlich  schwächeren 
Ländern  würde  dadurch  der  Uebergang  zur  Goldwährung  allerdings  er- 
leichtert   werden,    aber    sie  würden    die    nötige   Goldmenge    in    der  Regel 


256  Miszelleii. 

doch  nur  durch  Anleihen  erhalten  können,  also,  wenn  sie  ohnehin  schon 
verschuldet  wären,  ihre  finanzielle  Lage  den  anderen  Staaten  gegenüber 
noch  verschlechtern.  Allerdings  würde  die  Goldentwertung  auch  ihre 
Warenausfuhr  erleichtern,  zugleich  aber  würde  diese  Entwertung  in  dem 
Papierwährungsgebiet  noch  immer  mehr  zunehmen,  denn  wenn  das  ver- 
schuldete Land  Gold  genug  zur  Ausfuhr  hätte,  so  würde  das  Gläubiger- 
land dieses  Einströmen  von  einem  gewissen  Zeitpunkte  ab  wieder  zu 
hemmen  suchen;  wenn  aber  das  erstere  nicht  genug  Gold  besafse,  so 
müfste  es  sich  durch  Herabsetzung  des  Wechselkurses  auf  das  Papier- 
währungsland eine  Vergröfserung  seiner  Warenausfuhr  verschaffen.  Die 
Länder  des  Papiergeldsystems  würden  also  durch  die  Goldentwertung  in 
eine  ähnliche  Lage  gelangen  wie  die,  in  der  sich  gegenwärtig  England 
Indien  gegenüber  befindet.  Der  Verfasser  erkennt  an,  dafs  auf  diese  Art 
eine  Schädigung  der  einheimischen  Produktion  der  Papierwährungsländer 
entstehen  könnte,  aber  er  glaubt,  dafs  sich  dieser  Uebelstand  durch  eine 
internationale  Vereinbarung  über  eine  langsame  und  vorsichtige  Ver- 
äufserung  des  Goldes,  namentlich  aber  auch  durch  Aufkauf  der  den  Preis- 
druck verursachenden  Goldmenge  vermeiden  lasse.  Also  die  Staaten 
müfsten  Anleihen  aufnehmen  oder  mehr  Papiergeld  ausgeben  (denn  Waren, 
von  denen  der  Verfasser  spricht,  haben  die  Staaten  selbst  nicht  zur  Ver- 
fügung), um  einen  bedeutenden  Teil  der  jährlichen  Goldproduktion  auf- 
zukaufen, obwohl  sie  schon  einen  Uebeiflufs  an  Gold  besäfsen  und  ihre 
eigentliche  Absicht  wäre,  sich  des  Ueberschusses  zu  entledigen.  Dieses 
Aufkaufssystem  würde  bald  ebenso  unhaltbar  werden,  wie  die  Aufspeiche- 
rung von  Silber  auf  Grund  der  Sherman-Bill  und  der  Verlust  bei  der 
schliefslichen  Veräufserung  des  Goldes  würde  ähnliche  Verhältnisse  an- 
nehmen, wie  die  Silberentwertung  nach  der  Aufhebung  jenes  amerika- 
nischen Gesetzes.  Aufserdem  aber  wurde  durch  dieses  Verfahren  den 
schwächeren  Staaten  der  Uebergaug  zur  Goldwährung  unmöglich  gemacht 
werden,  damit  aber  auch  wieder  die  Aussicht  abgeschnitten  werden,  dafs 
dem  Golde  die  Geldfunktion  in  einem  genügend  grofsen  Gebiete  erhalten 
und  dadurch  einer  zu  grofsen  Entwertung  desselben  vorgebeugt  werden 
könne.  Soweit  die  verschuldeten  Länder  aber  die  Goldwährung  oder  die 
Papierwährung  mit  Goldreserve  aufrecht  erhalten  könnten,  würde  der  von 
ihnen  in  Gold  zu  entrichtende  Saldo  von  selbst  zu  den  Notenausgabe- 
stellen der  Gläubigerstaaten  gehen ,  ein  besonderes  Aufkaufen  desselben 
also  gar  nicht  nötig  sein.  Die  Wechselkurse  in  diesen  Ländern  aber 
würden,  wie  schon  bemerkt,  keineswegs  stabil  sein,  sondern  von  dem 
besonderen  Bedarf  jedes  Landes  an  Gold  für  seine  Saldozahlung  ab- 
hängen. 

Die  Geldentwertung  würde  unter  dem  Heyn'scheu  System  überhaupt 
nur  dann  nicht  eintreten,  wenn  es  mifslänge,  d.  h.  wenn  der  gröfsere 
Verkehr  das  Papiergeld  zurückwiese  und  wieder  Goldbarren  anstatt  des 
geprägten  Geldes  als  Umlaufsmittel  benutzte.  Da  in  China  noch  jetzt 
Silberbarren  zu  diesem  Zwecke  dienen  und  in  Hamburg  das  Barrensystem 
bis  1875  bestanden  hat,  so  wäre  eine  solche  Wendung  keineswegs  un- 
wahrscheinlich, wenn  die  Staaten  versuchen  wollten,  das  Papiergeldsystem 
der    Volkswirtschaft   aufzuzwingen,     ehe    die    wirtschaftlich    mafsgebenden 


Mis  zellen.  257 

Kreise  für  dasselbe  gewonnen  wären  und  ihm  volles  Vertrauen  entgegen- 
brächten. Das  wird  nun  freilich  in  absehbarer  Zeit  schwerlich  zu  er- 
warten sein  ;  wäre  es  aber  der  Fall,  so  würde  sich  auch  wohl  die  Vor- 
aussetzung des  Verfassers  verwirklichen,  dafs  der  Staat  bald  nach  dem 
Uebergange  zu  der  Papierwährung  den  ganzen  Goldbestand  des  Landes 
in  seiner  Kasse  haben  würde.  Denn  da  die  Goldmünzen  ihre  gesetzliche 
Zahlungskraft  verlieren  würden  und  der  anderweitige  Verkauf  desselben 
als  Barren  nur  mit  Verlust  möglich  wäre,  so  würden  die  Besitzer  es  nun 
vorteilhafter  finden,  ihr  Gold  gegen  Papiergeld  zu  dem  noch  nicht  herab- 
herabgesetzten ersten  Preise  bei  der  staatlichen  Ausgabeanstalt  auszu- 
tauschen. 

Ueber  die  Hauptfrage  aber  giebt  Heyn  eine  sehr  ungenügende  Aus- 
kunft: wie  soll  die  Menge  des  von  der  Staatsanstalt  auszugebenden  Pa- 
piergeldes geregelt  werden.  Als  besonderen  Fehler  der  „offenen  Gold- 
währung" betrachtet  er  den  Umstand,  dafs  jeder  nach  seinen  privaten 
Interessen  die  Menge  des  vorhandenen  Geldes  durch  Neuprägungen  ver- 
mehren und  sie  andererseits  durch  Ausfuhr  oder  Einschmelzung  auch 
vermindern  kann.  Hierzu  wäre  freilich  zu  bemerken,  dafs  die  Vermeh- 
rung oder  Verminderung  des  Metallgeldes  keineswegs  auch  eine  ent- 
sprechende Veränderung  der  dem  Verkehr  dienenden  Summe  von  Geld- 
einheiten überhaupt  einschliefst.  Das  Notenbanksystem  und  die  sonstigen 
Hilfsmittel  des  Kreditumlaufs  haben  eine  durchgreifende  regulierende 
Wirkung,  dergestalt,  dafs,  wenn  in  stillen  Zeiten  das  Metallgeld  vermehrt 
wird,  dadurch  nur  eine  gleiche  Summe  in  Kreditumlaufsmitteln  verdrängt 
wird,  indem  namentlich  vorher  nicht  metallisch  gedeckte  Noten  in  gedeckte 
verwandelt  werden,  und  dafs  umgekehrt  eine  Ausfuhr  von  Metall  durch 
Kreditumlaufsmittel  ersetzt  werden  oder  auch  gänzlich  wirkungslos  bleiben 
kann,  wenn  nämlich  die  betreffende  Metallmenge  vorher  brach  in  den 
Bankgewölben  lag. 

Die  Bank  von  England  hätte  im  Juni  14  Mill.  Pfd.  Sterl.  über  280 
Mill.  M.  in  Gold  zur  Ausfuhr  abgeben  können  und  hätte  dann  doch  keine 
einzige  nicht  metallisch  gedeckte  Note  im  Umlauf  gehabt  und  noch  immer 
allen  Kreditbedürfnissen  genügen  können.  Auf  die  wirkliche  Prägnng  des 
Goldes  kommt  es  übrigens  nicht  an,  da  die  Notenbanken  ja  auch  Barren 
zu  einem  festen  Preise  gegen  Noten  eintauschen.  Dasselbe  soll  aber  auch 
in  dem  Heyn'schen  System  geschehen,  und  dieses  würde  also  keineswegs 
die  gewiasermafsen  irrationelle  Vermehrung  des  Geldes  infolge  der  Gold- 
produktion ausschliefsen,  sondern  sie  höchstens  durch  starke  Herabsetzung 
des  Goldpreises  erschweren  können.  Im  übrigen  aber  will  Heyn  die 
Papiergeldausgaben  einfach  durch  die  gesetzliche  Vorschrift  regeln,  dafs 
die  staatliche  Ausgabeanstalt  nicht  mehr  Noten  in  Umlauf  setzen  dürfe,  aber 
auch  so  viel  ausgeben  müsse,  als  zu  dem  bisher  landesüblichen  Zinsfufse 
mit  Berücksichtigung  der  Kisikoprämie  begehrt  werde.  Er  giebt  zu,  dafs 
sich  die  Konstanz  der  Kaufkraft  des  Geldes  nicht  erreichen  lasse  und 
will  sich  mit  dem  Gleichbleiben  des  Leihpreises  begnügen.  Dabei  ver- 
wechselt er  aber  eben,  wie  schon  oben  bemerkt,  das  effektive  Geld  mit 
dem  flüssigen  Kapital.  Die  Peel'sche  Bankakte  ist  bekanntlich  erlassen 
worden,    um   die  Bank    von  England   zu  nötigen,    in  Zeiten    des    spekula- 

Dritte  Folge  Bd.  VHI  (LXHI).  17 


258  Mis  zellen. 

tiven  Aufschwunges  die  ins  Schwindelhafte  gehende  Bewegung  nicht 
durch  Vermehrung  der  Noten  bei  gleichbleibendem  Diskont  zu  befördern. 
Man  warf  ihr  vor,  dafs  sie  die  Krisen  von  1825,  1835,  1837,  1839  durch 
ihre  Passivität  verschuldet  habe  und  wollte  sie  durch  das  neue  Gesetz 
zwingen,  die  Diskontosohraube  rechtzeitig  anzuziehen.  Ueber  die  Zweck- 
mäfsigkeit  dieses  Gesetzes  läfst  sich  streiten,  sicher  aber  ist  es,  dafs  der 
konstante  Diskontosatz  als  Norm  der  Notenausgabe  in  den  periodisch 
wiederkehrenden  Zeiten  der  steigenden  Intensität  des  Wirtschaftslebens 
die  TJeberspekulation  und  den  Schwindel  durch  Geldinflation  aufserordent- 
lich  befördern  würde.  Mit  der  in  diesem  Vorschlage  hervortretenden  An- 
schauung des  Verfassers  hängt  auch  seine  Meinung  zusammen,  dafs  die 
Krisen  durch  Geldausfuhr  und  Geldknappheit  entständen,  und  daher  nicht  mehr 
zu  befürchten  seien,  wenn  der  inländische  Verkehr  nur  auf  Papiergeld 
beruhe,  das  nicht  ausgeführt  werden  könne.  Nach  der  Erfahrung  aber 
sind  alle  grofsen  Krisen  —  auf  lokale  oder  momentane  Stockungen  kommt 
es  nicht  an  —  nur  Rückschläge  gewesen,  die  auf  eine  Schwindelperiode 
folgten,  in  der  ein  riesengrofses  luftiges  Kreditsystem  auf  einer  v  e  r  häl  t  - 
nismäfsig  zu  kleinen  Basis  von  effektivem  Geldkapital  aufgebaut 
worden  war.  Eine  Ausfuhr  von  Gold  tritt  dabei  allerdings  meistens  ein, 
und  zwar  als  Folge  der  schwindelhaften  Steigerung  aller  inländischen 
Preise;  aber  sie  ist  keineswegs  die  eigentliche  Ursache  des  Zusammen- 
bruches, der  wegen  der  inneren  Unhaltbarkeit  des  windigen  Aufbaues 
in  jedem  Falle  in  nicht  allzu  langer  Zeit  stattfinden  mufs.  Daher  folgt 
eine  solche  Katastrophe  dem  „Aufschwünge"  in  Papierwährungsländern 
eben  so  sicher  wie  in  Goldwährungsländern.  Der  Krach  von  1873  ging 
bekanntlich  in  Europa  von  Wien  aus,  also  von  einem  Papierwährungs- 
lande, und  gleichzeitig  brach,  unabhängig  von  der  europäischen,  auch  eine 
Krisis  in  Amerika  aus,  wo  damals  ebenfalls  Papierwirtschaft  bestand. 
Auch  die  Krisis  von  1893  ist  in  Amerika  nicht  durch  den  Goldabflufs 
verursacht  worden,  denn  das  ausgeführte  Gold  wurde  weit  mehr  als  er- 
setzt durch  die  auf  Grund  der  Sherman  Bill  ausgegebenen  Schatznoten 
(1263/4  Mill.  Doli.).  Den  Anlafs  zu  der  Krisis  gab  der  Zusammenbruch 
einiger  Banken  in  Colorado  infolge  des  Sturzes  des  Silberpreises,  ihr 
eigentlicher  Grund  aber  lag  wieder  in  einer  vorhergegangenen  TJeber- 
spekulation und  Ueberspannung  des  Kredits,  auf  die  jetzt  eine  allgemeine 
Erschütterung  des  Vertrauens  folgte.  Der  sogenannte  Goldmangel  aber 
bestand  auch  noch  darin,  dafs  die  Bauken  nicht  imstande  waren,  die  von 
ihnen  plötzlich  zurückgeforderten  Depositen  in  bar  herauszuzahlen,  wozu 
sie  aber  überhaupt  unter  keinen  Umständen  imstande  gewesen  wären,  da 
alle  Banken  bekanntlich  nur  einen  sehr  mäfsigen  Bruchteil  ihrer  stets 
fälligen  Verbindlichkeiten  in  barem  Gelde  gedeckt  halten.  Ein  spezieller 
Bedarf  an  Gold  war  überhaupt  nicht  vorhanden,  denn  Greenbacks,  Schatz- 
noten von  1890,  Silberdollars  und  Silbercertifikate  thaten  den  Banken  die- 
selben Dienste  wie  die  Goldmünzen  und  alle  diese  Zahlungsmittel  haben 
ihren  Pariwert  behauptet. 

Uebrigens  meint  Heyn,  wenn  man  die  vorgeschlagene  Norm  bedenk- 
lich finde,  so  könne  man  sich  auch,  freilich  auf  Kosten  des  Erfolges,  da- 
mit   begnügen,    die  Notenausgabe    durch    eine    absolute    oder    eine  Steuer- 


Miszellen.  259 

kontingentierung  zu  beschränken.  Eine  Steuerkontingentierung  würde 
indes  bei  einer  staatlichen  Notenausgabe  nicht  am  Platze  sein.  Das 
zweckmäfsigste  Verfahren  wäre  wohl  dieses,  dafs  man  neben  der  staat- 
lichen Emissionsanstalt  eine  private  Notenbank  errichtete,  für  die  Staats- 
papiergeld in  derselben  Weise  als  Deckung  diente,  wie  jetzt  das  Gold. 
Diese  eigentlichen  Banknoten  würden  dann  das  elastische  Element  unter 
den  Umlaufsmitteln  darstellen  und  sich  mittels  einer  zweckmäfsigen  Dis- 
kontopolitik den  Verkehrsbedürfnissen  anpassen  während  die  Menge  des 
Staatspapiergeldes  auf  lange  Zeit  unveränderlich  bleiben  müfste  und  nur 
ganz  allmählich  etwa  im  Verhältnis  zu  dem  Anwachsen  der  Bevölkerung 
eine   Vermehrung   erfahren  dürfte. 

Wenn  Heyn  auf  Holland  hinweist,  dessen  Geldverhältnisse  thatsäch- 
lich  dem  von  ihm  vorgeschlagenen  System  entsprächen,  so  ist  er  dazu 
allerdings  berechtigt,  denn  in  Holland  besteht  trotz  der  dort  geltenden 
Goldrechnung  nur  etwa  ein  Fünftel  der  Umlaufsmittel  aus  Gold,  die 
Hauptmasse  aber  teils  aus  Silber  und  grösstenteils  aus  Papiergeld  und 
Banknoten.  Aber  wenn  Holland  auch  nicht  viel  Gold  in  seinen  Kassen 
hat,  so  besitzt  es  andererseits  verhältnismäfsig  sehr  grofse  Summen  in 
Goldforderungen  an  das  Ausland;  es  ist  im  hervorragenden  Mafse 
Gläubigerland,  hat  daher  fortwährend  eine  günstige  Zahlungsbilanz  und 
demnach  eine  erhebliche  Goldausfuhr  nie  zu  fürchten.  Das  Beispiel  ist 
also  nur  beweiskräftig  für  reiche  und  nicht  auswärts  verschuldete 
Länder. 

Die  ungeregelte  Vermehrung  des  Geldes  infolge  der  Goldproduktion 
würde,  wie  schon  oben  bemerkt,  unter  dem  Heyn'schen  System  nicht 
beseitigt  sein,  da  ja  die  Emissionsanstalt  verpflichtet  sein  soll,  alles  ihr 
angebotene  Gold  zu  einem  bestimmten  Preise  zu  kaufen.  Wird  der  Preis 
herabgesetzt,  so  wird  dadurch  allerdings  die  gegen  neuproduziertes  Gold 
ausgegebene  Papiergeldsumme  verkleinert,  aber  zugleich  wird  der  Wert 
des  Gesamtvorrates  an  Gold,  der  zu  höheren  Preisen  erworben  ist,  herab- 
gedrückt, was  einen  sehr  grofsen  Verlust  ergeben  kann  und  aufserdem 
wird  die  Ausfuhrerleichterung  für  die  noch  auf  der  Stufe  der  Goldwährung 
stehenden  Länder  vergröfsert.  Es  fragt  sich  also,  ob  man  das  Gold  nicht 
auch  für  den  internationalen  Verkehr  entbehrlich  machen  könnte  und 
0.  Parnes  trägt  in  der  obenerwähnten  Schrift  kein  Bedenken,  diese  Frage 
zu  bejahen.  Es  handelt  sich  freilich  auch  hier  um  einen  Zukunftsplan, 
dessen  Ausführung  eine  weit  gröfsere  Solidarität  der  Xulturwelt  und  ein 
weit  gröfseres  Vertrauen  zu  der  Festigkeit  der  bestehenden  staatlichen 
und  gesellschaftlichen  Zustände  und  Institutionen  voraussetzt ,  als  in 
unserem  von  der  Furcht  vor  kriegerischen  und  sozialen  Erschütterungen 
beherrschten  Zeitalter  und  überhaupt  in  absehbarer  Zeit  erwartet  werden 
darf.  Rein  theoretisch  betrachtet  jedoch  ist  die  Parnes'sche  Broschüre 
trotz  ihrer  zahlreichen  —  vielleicht  durch  den  Ort  des  Druckes  zu  er- 
klärenden —  Druckfehler  interessant  und  lesenswert,  da  sie  eine  an 
sich  ganz  rationelle  These  mit  Geschick  verteidigt.  Ueber  gewisse  theo- 
retische Grundanschauungen  des  Verfassers  wollen  wir  nicht  diskutieren, 
auch  nicht  über  seine  Definition  des  Geldes  als  eines  „von  der  Gesamt- 
heit ausgestellten  und  auf  die  Arbeitskraft  der  Gesamtheit  hypothezierten 

17* 


260  M  i  s  z  e  1 1  e  n. 

Schuldbriefes  auf  ein  gewisses  Quantum  Arbeit".  Dafs  Papiergeld  that- 
sächlich  ein  selbständiges,  vom  Edelmetall  unabhängiges  Geld  werden  und 
dabei  unter  günstigen  Umständen  seinen  Wert  gut  behaupten  kann,  ist 
durch  die  Erfahrung  bewiesen,  und  wenn  man  mit  dem  Verfasser  an- 
nimmt, dafs  kein  Kulturstaat  sich  jemals  wieder  verleiten  lassen  werde, 
zu  dem  früher  die  Regel  bildenden  Mifsbrauch  der  Papiergeldpresse 
zurückzukehren,  so  läfst  sich  sein  System  ohne  weitere  theoretische  Vor- 
erörterungen diskutieren.  Er  erkennt  an,  dafs  die  Wechselkurse  zwischen 
den  Ländern  mit  isolierter  Papierwährung  grofsen  Schwankungen  unter- 
worfen sein  würden,  dafs  auch  innerhalb  jedes  einzelnen  Landes  kein 
Kriterium  vorhanden  sein  würde,  ob  die  Menge  des  ausgegebenen  Papier- 
geldes zu  grofs  oder  zu  klein  sei,  und  es  mufs  daher  nach  seiner  Ansicht 
ein  internationales  Austauschmittel  geschaffen  werden,  durch  das  die  ein- 
zelnen Papierwährungen  auf  demselben  Niveau  erhalten  werden  sollen 
und  dessen  Ab-  oder  Zuflufs  auch  die  Wertscbwankungen  des  blofs 
nationalen  Papiergeldes  der  einzelnen  Länder  ausgleicht.  Das  Gold, 
dem  Ricardo  und  Heyn  diese  Rolle  vorbehalten  wollen,  ist  aber  nach 
Parnes  wegen  seiner  Natur  als  eine  blofse  Ware  mit  veränderlichen 
Produktionsverhältnissen  und  veränderlichem  Werte  zu  diesem  Zwecke 
nicht  geeignet  und  er  schlägt  daher  die  Schaffung  eines  internationalen 
Papiergeldes  neben  dem  nationalen  vor.  Selbstverständlich  setzt  dies 
eine  internationale  Vereinbarung  voraus,  wodurch  die  Ausführung  des 
Planes  im  Vergleich  mit  dem  Heyn'schen  wesentlich  erschwert  wird; 
denn  der  letztere  kann  von  jedem  einzelnen  Staate  selbständig  verwirk- 
licht werden,  aber  bei  den  Vorzügen,  die  das  System  nach  der  Ansicht 
des  Verfassers  besitzt,  müfste  es  bald  bei  allen  bedeutenderen  Kultur- 
staaten von   selbst  Aufnahme  finden. 

Die  Parnes'schen  internationalen  Noten  sollen  in  allen  an  dem  Ver- 
bände beteiligten  Staaten  volle  gesetzliche  Zahlungskraft  besitzen  und  den 
einzelnen  Staaten  im  Verhältnis  zu  ihrer  gegenwärtig  bestehenden  Geld- 
cirkulation  als  unverzinsliches  Darlehen  gewährt  werden.  Jeder  Staat 
würde  übrigens  berechtigt  sein,  nach  einer  bestimmten  Kündigungsfrist 
aus  dem  Verbände  auszutreten,  wobei  er  die  ursprünglich  erhaltene 
Notensumme  der  internationalen  Kontrollkommission  zur  Vernichtung 
zurückerstatten  müfste.  Aufser  diesen  internationalen  Noten  ist  jeder 
Staat  aber  auch  berechtigt,  nach  Mafsgabe  seines  Verkehrsbedürfnisses 
nationale  Noten  auszugeben,  die  nur  in  seinem  eigenen  Gebiete  gesetz- 
liche Geltungskraft  besitzen.  Um  alle  Erschütterungen  zu  vermeiden, 
wäre  die  Gesamtsumme  der  internationalen  und  der  nationalen  Noten  dem 
Gesamtbetrage  des  zur  Zeit  der  Annahme  des  Systems  vorhandenen  Gold-, 
Silber-  und  Staatspapiergeldes  gleichzusetzen. 

Die  Einziehung  des  Edelmetallgeldes  würde,  wenn  die  öffentliche  Mei- 
nung mit  dem  neuen  Geldwesen  einverstanden  wäre,  ebensowenig  Schwierig- 
keiten machen,  wie  bei  der  Einführung  des  Heyn'schen  Systems,  da  ja 
bei  dem  Gelingen  der  Reform  ein  bedeutendes  Sinken  des  Goldpreises  zu 
erwarten  wäre  und  daher  jeder  sich  beeilen  würde,  sein  Gold  noch  zu 
dem  höchsten  Preise  gegen  Papiergeld  zu  verwerten.  Das  angesammelte 
Gold    und  Silber    würde  also  in  den  Staaten  mit  Metallwährung  zunächst 


Mi6  zellen.  261 

eine  volle  Deokung  für  die  ausgegebenen  Noten  darbieten  und  wesentlich 
zur  Befestigung  des  Vertrauens  dienen;  sollte  der  Plan  mifslingen,  so 
könnten  die  Noten  wieder  gegen  die  eingezogenen  Münzen  eingelöst 
werden. 

Der  Verkauf  des  Goldes  und  Silbers  soll  erst  später  und  möglichst 
vorsichtig  geschehen ;  doch  macht  der  Verfasser  sich  Illusionen  über  das 
Ergebnis  desselben,  denn  in  je  gröfserem  Umfange  die  Durchführung 
seines  Systems  gelänge,  um  so  gröfser  würde  die  Einbufse  bei  diesem 
Verkaufe  sein.  Die  schliefsliche  Entwertung  des  Goldes  würde  noch 
gröfser  sein  als  bei  dem  Heyn'schen  System ,  da  dieses  dem  Golde 
wenigstens  noch  die  Verwendung  als  internationales  Ausgleichungs- 
mittel läfst. 

Die  Regelung  der  Menge  der  nationalen  Noten  soll  in  jedem  Staate 
nach  dtm  Prinzipe  erfolgen,  dafs  dieselben  auf  dem  Pariwerte  mit  den 
internationalen  Noten  zu  erhalten  sind.  Sinken  sie  also  im  Kurse  gegen 
die  letzteren,  so  ist  der  Staat  verpflichtet,  so  viel  von  ihnen  einzuziehen, 
dafs  sie  wieder  auf  ihren  normalen  Wert  steigen.  Zur  Erleichterung 
dieser  Kursausgleichung  soll  auch  eine  staatliche  Notenbank  errichtet 
werden,  deren  Noten  zu  einem  Teile  durch  Staatspapiergeld,  im  übrigen 
aber  durch  kurzfristige  Wechsel  und  Lombardforderungen  zu  decken 
wären.  Diese  könnte  dann  also  auf  die  gewöhnliche  Weise  durch  ihre 
Diskontopolitik  auf  die  Wechselkurse  einwirken.  Das  regulierende  Prinzip 
für  das  nationale  Papiergeld  entspricht  also  bei  Parnes,  abweichend  von 
Heyn,  dem  Ricardo'schen,  aber  mit  dem  Unterschiede,  dafs  der  inter- 
nationale Mafsstab  nicht  durch  das  unregelmäfsig  vermehrbare  Gold, 
sondern  durch  das  internationale  Papiergeld,  das  zunächst  gar  nicht  und 
auch  später  nur  rationell  und  planmäfsig  zu  vermehren  wäre,  gegeben 
würde.  Wenn  das  vorgeschlagene  Verfahren  streng  eingehalten  werden 
könnte,  so  würde  damit  in  der  That  die  konstante  Gleichwertigkeit  der 
Noten  der  verschiedenen  Länder  gegeneinander  gesichert  sein.  Als 
weiteres  Hilfsmittel  zu  einer  ausgleichenden  Einwirkung  schlägt  der  Ver- 
fasser in  einem  nachträglichen  Zusätze  noch  vor,  dafs  auch  jede  Staats- 
notenbank noch  eine  Reserve  in  internationalen  Noten  halten,  die  auf 
Verlangen  jederzeit  gegen  nationale  Noten  ausgetauscht  werden  sollen. 
Strömten  zu  viele  von  diesen  Noten  ab,  so  wäre  dies  ein  Beweis  für 
eine  zu  grofse  Expansion  des  nationalen  Notenumlaufes. 

Die  Wechselkurse  der  verschiedenen  Länder  könnten  also  bei  dem 
Parnes'schen  System  der  Theorie  nach  leichter  stabil  gegen  einander  ge- 
halten werden  als  bei  dem  Heyn'schen,  aber  nur  unter  der  Voraussetzung, 
dafs  auch  die  wirtschaftlich  schwächeren  Länder  immer  imstande  sein 
würden,  bei  ihren  staatlichen  Emissionsanstalten  oder  ihren  Privatbanken 
eine  genügende  Summe  internationaler  Noten  in  Vorrat  zu  halten,  um 
allen  Zahlungsverbindlichkeiten  im  Auslande  gerecht  zu  werden.  Für  die 
stark  verschuldeten  Staaten  aber  würde  die  Erfüllung  dieser  Bedingung 
ebenso  schwierig  sein,  wie  gegenwärtig  die  Beschaffung  von  Gold,  ja  nooh 
schwieriger,  da  die  Menge  des  verfügbaren  Goldes-  jährlich  durch  neue 
Produktion  doch  thatsächlich  mehr  zunimmt,  als  die  Gesamtsumme  der 
internationalen   Noten    vermehrt    werden    könnte.     Und    wenn    ein  solches 


262  Misz  eilen. 

Land  auch  zu  einer  gegebenen  Zeit  einen  bedeutenden  Bestand  an  Noten 
dieser  Art  besäfse,  so  würde  es  ihn  bei  fortdauernd  stark  unterwertiger 
Zahlungsbilanz  entweder  gar  nicht  oder  nur  teilweise  durch  Vermittelung 
eines  Agios  festhalten  können.  Denn  eine  Verminderung  der  nationalen 
Noten  in  solchem  Grade ,  dafs  durch  eine  grofse  Herabdrückung  aller 
Preise  (die  übrigens  erst  im  Gefolge  einer  Krisis  eintreten  würde)  eine 
zur  Ausgleichung  der  Zahlungsbilanz  genügende  Warenausfuhr  erzwungen 
werden  könnte,  würde  den  Widerstand  aller  produktiven  Klassen  hervor- 
rufen und  sich  bald  als  undurchführbar  erweisen.  Sie  entspräche  auch 
nicht  der  wirtschaftlichen  Gerechtigkeit,  denn  es  würde  sich  in  solchen 
Fällen  nicht  darum  handeln,  eine  unberechtigte  Preissteigerung  infolge 
von  Inflation  zu  verhindern,  sondern  es  müfsten  die  inländischen  Waren, 
auch  wenn  sie  gleich  viel  Arbeit  gekostet  hätten,  wie  die  ausländischen, 
im  Preise  unter  die  letzteren  herabgesetzt  werden,  und  diese  Verbilligung 
würde  sich  nicht  nur  auf  die  wirklich  ausgeführten,  sondern  auf  die  Ge- 
samtheit aller  inländischen  Produkte  erstrecken,  zum  Nachteil  für  alle 
Schuldner  und  für  alle  Produzenten  mit  festgelegtem  Anlagekapital  und 
nicht  sehr  raschem  Umlauf  des  Betriebskapitals.  Für  ein  verschuldetes 
Land  würde  also  unzweifelhaft  eine  gewöhnliche  Papierwährung  mit  Agio 
für  das  internationale  Zahlungsmittel,  aber  mit  gleichbleibender  Menge 
des  nationalen  Papiergeldes  und  einem  nach  richtigen  Grundsätzen  ver- 
mehrbaren Banknotenumlauf  volkswirtschaftlich  vorzuziehen  sein.  Der 
Wechselkurs  auf  das  Ausland  steigt  dann  so  hoch,  bis  eine  genügende 
Warenausfuhr  zur  Deckung  des  Saldos  zustande  kommt,  aber  die 
Preise  im  Inlande  werden  von  dieser  Bewegung  nur  wenig  beeinflufst. 

Hier  kommen  wir  nun  auch  auf  die  Frage,  wie  die  erste  Verteilung 
der  internationalen  Noten  stattfinden  soll.  Der  Verfasser  meint  einfach 
durch  ein  zinsfreies  Darlehen  an  die  einzelnen  Staaten  nach  Verhältnis 
ihres  Geldumlaufs.  Aber  wenn  der  Plan  dauernd  gelänge,  so  würde 
dieses  Darlehen  einfach  zu  einem  Geschenk  werden  und  für  die  Papier- 
währungsstaaten, die  das  frühere  internationale  Zahlungsmittel,  das  Gold, 
nicht  oder  in  durchaus  ungenügender  Menge  besessen  hätten,  würde  es 
ein  grofser  Gewinn  sein ,  wenn  sie  mit  dem  neuen  unentgeltlich  aus- 
reichend ausgestattet  würden.  Indes  hätte  die  Sache  auch  ihre  Schatten- 
seite. Nehmen  wir  mit  dem  Verfasser  an,  dafs  in  Oesterreich  800  Mill. 
Gulden  cirkulieren  und  dafs  diese  durch  300  Mill.  in  internationalen  und 
500  Mill.  in  nationalen  Noten  ersetzt  würden.  Wenn  nun  der  durch  das 
Agio  zurückgehaltene  Goldvorrat  des  Landes  nur  150  Mill.  Gulden  be- 
tragen hätte  und  die  Zahlungsbilanz  infolge  finanzieller  Verschuldung 
dauernd  ungünstig  wäre,  so  würden  bald  150  Mill.  in  internationalen 
Noten  abfliefsen  und  demnach  die  Gesamtsumme  der  Umlauf smittel  auf 
650  Mill.  herabgebracht  werden.  Zunächst  würde  dieser  Ausfall  durch 
Kredithilfsmittel  gedeckt  werden  können,  jede  Erschütterung  des  Kredits 
aber  würde  eine  Krisis  herbeiführen,  nach  der  die  Preise  sich  infolge  der 
eingetretenen  Geldverminderung  nicht  mehr  auf  ihr  früheres  Niveau  heben 
könnten  und  somit  die  schädlichen  wirtschaftlichen  Folgen  einer  Geld- 
verteuerung hervortreten  würden.  Wollte  man  aber  die  ausgeströmten 
internationalen    Noten    einfach    durch   eine    Mehrausgabe    von    nationalen 


M  i  s  z  e  1 1  e  n.  263 

ersetzen,  so  läge  es  so  offen  zu  Tage,  dafs  das  Papierwährungsland  ein 
Geschenk  erhalten  hätte,  dafs  die  Zustimmung  der  übrigen  Staaten  zu 
solcher  Liberalität  sicherlich  nicht  zu  erlangen  wäre.  Ueberhaupt  würde 
die  erste  Verteilung  der  internationalen  Noten  praktisch  nur  in  der  Weise 
geregelt  werden  können,  dafs  jeder  Staat  nur  so  viel  erhielte,  als  er  gegen 
Hinterlegung  von  Gold  und  Silber  (zum  Marktpreise)  übernehmen  könnte. 
Es  würden  dann  die  Geldverhältnisse  der  verschiedenen  Länder  in  den- 
selben Beziehungen  zu  einander  bleiben  und  keine  einseitigen  Begünsti- 
gungen der  Papierwährungsländer  stattfinden.  Freilich  bliebe  dann  für 
die  letzteren  die  Ueberwindung  des  Agios  mindestens  ebenso  schwierig, 
wie  unter  der  Goldwährung. 

Im  ganzen  ergiebt  sich,  dafs  sowohl  das  Heyn'sche  wie  das  Parnes'sche 
System  sich  nur  in  Ländern  ohne  ständige  internationale  Verschuldung 
behaupten  könnte,  also  in  denen,  die  gegenwärtig  imstande  sind,  eine 
effektive  (wenn  auch  noch  nicht  reine)  Goldwährung  aufrecht  zu  erhalten. 
Feste  Wechselkurse  würden  daher,  ebenso  wie  bisher,  nur  innerhalb  dieses 
Kreises  von  reichen  und  wirtschaftlich  mächtigen  Staaten  zu  erwarten 
sein.  Krisen  infolge  von  Ueberspekulation ,  übermäfsiger  Kreditentwicke- 
lung und  Schwindel  würden  aber  auch  in  diesen  Staaten  bei  beiden 
Systemen  ebenso  leicht  vorkommen  können,  wie  gegenwärtig,  bei  der  von 
Heyn  in  erster  Linie  vorgeschlagenen  Regelung  der  Notenmenge  nach 
dem  Prinzip  der  Gleichmäfsigkeit  des  Zinsfufses  sogar  noch  leichter. 
Auch  die  Warenpreise  würden  bei  gleich  bleibendem  Papiergeldbestande 
mit  Hilfe  des  Wechsel-,  Check-,  Giro-  und  Clearingbankverkehrs  ebenso 
grofse  Schwankungen  erfahren  können  wie  bisher  unter  der  Goldwährung, 
da  solche  Schwankungen  nachweislich  ganz  unabhängig  von  der  Menge 
des  Geldes  entstehen  können. 

Ein  sehr  bedeutender  Verlust  durch  die  Entwertung  des  Goldes 
würde  unvermeidlich  sein,  wenn  auch  nur  die  zunächst  in  Frage  kommen- 
den Hauptstaaten  das  eine  oder  das  andere  System  annähmen.  Man 
könnte  freilich  sagen,  dieser  Verlust  würde  ja  weit  mehr  als  ausgeglichen 
durch  den  Wert  des  an  die  Stelle  des  Goldes  tretenden  Papiergeldes,  aber 
die  öffentliche  Meinung  wird  schwerlich  geneigt  sein ,  den  Sachwert  des 
Goldes  und  den  Kreditwert  des  Papiergeldes  in  solchem  Grade  als  gleich- 
artig anzuerkennen.  Ueberdies  aber  würde  die  Entwertung  auch  den  ge- 
samten Vorrat  an  verarbeitetem  Golde  treffen,  der  seinem  Gewichte 
nach  wahrscheinlich  nicht  kleiner  ist,  als  der  in  der  Form  von  Münzen 
vorhandene. 

Erwägt  man  ferner,  wie  viel  instinktives  Mifstrauen  gegen  die  poli- 
tischen, wirtschaftlichen  und  sozialen  Zustände  in  der  Kulturwelt  noch 
besteht,  wie  infolgedessen  das  Papiergeld  trotz  der  günstigen  neueren 
Erfahrungen  noch  immer  nur  als  ein  Notbehelf  und  nur  dasjenige  Geld, 
das  seinen  Wert  voll  in  seinem  Stoffe  in  sich  trägt,  als  wirklich  sicher 
angesehen  wird,  so  wird  man  nicht  bezweifeln  können ,  dafs  die  hier  be- 
trachteten Zukunftspläne  in  absehbarer  Zeit  niemals  eine  freiwillige  Auf- 
nahme bei  den  Staaten  finden  werden.  Wohl  aber  ist  es  möglich,  dafs 
Systeme  dieser  oder  ähnlicher  Art  im  Laufe  des  zwanzigsten  Jahrhunderts 
unter  dem  Druck  der  Umstände  und  dann  in  organischem  Wachstum  und 


264  Miszellen. 

mit  genügender  Festigkeit  sich  herausbilden  werden.  Wenn  die  Demone- 
tisierung  des  Silbers  in  ihrem  gegenwärtigen  Umfange  endgiltig  bestehen 
bleibt,  werden  sioh  immer  mehr  Staaten  genötigt  sehen,  zur  Papierwährung 
überzugehen.  Man  wird  dann  auch  immer  mehr  lernen,  eine  Papier- 
geld Wirtschaft  richtig  und  mit  möglichst  geringem  Nachteil  für  das  Ge- 
meinwohl zu  leiten ,  die  Erinnerungen  an  die  früheren  schlimmen  Er- 
fahrungen werden  sich  verwischen  und  die  Menschheit  wird  sich  immer 
mehr  mit  dem  Gedanken  an  die  Möglichkeit  eines  streng  rationellen 
Papiergeldes  vertraut  machen.  Andererseits  ist  es  nicht  unwahrscheinlich, 
dafs  schon  nach  fünfzig  Jahren  die  Zeit  der  dauernd  fortschreitenden  Ab- 
nahme der  Goldproduktion  gekommen  sein  wird,  und  dann  wird  auch  in 
den  wirtschaftlich  obenan  stehenden  Staaten  die  Aufrechterhaltung  der 
reinen  Goldwährung  sich  bald  als  unmöglich  oder  wirtschaftlich  schädlich 
erweisen.  Man  wird  dann  aber  in  diesen  Staaten  angesichts  der  weiten 
Verbreitung  des  Papiergeldsystems  nicht  etwa  zur  Silberprägung  zurüok- 
kehren,  sondern  ebenfalls  das  Papiergeld  zu  Hilfe  nehmen ,  anfangs  viel- 
leicht nach  den  Plänen  von  Eicardo  oder  Heyn,  später  vielleicht  mit 
einer  dem  Parnes' sehen  Projekt  nahekommenden  Organisation.  An  die 
internationalen  Noten  liefse  sich  auch  ein  internationales  Clearingsystem 
anschliefsen,  wie  es  von  J.  Wolf  vorgeschlagen  worden  ist.  So  dürfte 
also  die  Idee  des  rationellen  Papiergeldes  um  so  mehr  zur  Verwirklichung 
gelangen,  je  mehr  das  Gold  infolge  der  Unzulänglichkeit  seiner  Produktion 
aus  dem  Gelddienste  ausschiede,  wobei  sich  dann  zugleich  die  Möglichkeit 
ergäbe,  dafs  der  Uebergang  sich  vollzöge  ohne  die  grofse  Entwertung 
des  Goldes,  die  unter  den  Verhältnissen  der  Gegenwart  und  der  nächsten 
Zukunft  mit  jedem  Versuch  der  Ausführung  des  Heyn'schen  oder  Parnes- 
schen  Planes  verbunden  sein  würde. 


M  i  s  z  e  1 1  e  n.  265 


V. 
Die  Fürsorge  für  die  Arbeitslosen  in  England. 

Von  Max  von  Hecke  1. 

Beport  on  Agencies  and  Methods  for  Dealing  with  the  Uuemployed. 
Board  of  Trade  —  Labour  Departement.  Presented  to  both  Houses  of 
Parliament  by  Commaud   of  Her  Majesty.      London    1893. 

Die  vorliegende  Denkschrift  giebt  Aufschlufs  über  die  Ergebnisse 
einer  Enquete,  welche  das  britische  Arbeitsamt  über  die  Arbeitslosigkeit 
in  England  unternommen  hat.  In  einem  dem  Unterhause  am  28.  April 
1893  vorgelegten  Memorandum  hatte  diese  Behörde  zwei  Hauptpuukte 
für  die  eingehendere  Untersuchung  ins  Auge  gefafst.  Einerseits  sollten 
nämlich  die  Ursachen  und  die  Ausdehnung  der  unregelmäfsigen  Be- 
schäftigung der  Arbeiter  ermittelt  werden,  welche  so  häufig  zu  kürzerer 
oder  längerer  Arbeitslosigkeit  führen.  Andererseits  aber  wurde  eine  Dar- 
stellung derjenigen  Mittel  und  Wege  geplant,  durch  welche  eine  Linde- 
rung der  Folgen  der  Arbeitslosigkeit  im  vereinigten  Königreiche  versucht 
wurde.  Die  vorliegende  Veröffentlichung  beschäftigt  sich  ausschliefslich 
mit  dem  zweiten  Gegenstande  des  Programms  als  dem  praktisch  wich- 
tigeren und  sozialpolitisch  belangreicheren.  Die  andere  Seite  des  Problems 
soll  einem  späteren  Blaubuche  vorbehalten  werden.  Die  Veröffentlichung 
beabsichtigt,  vor  allem  die  wichtigsten  Kategorien  der  ständigen  und  un- 
ständigen Einrichtungen  zur  Bekämpfung  der  Uebelstände  aus  der  Arbeits- 
losigkeit in  einer  knappen  Uebersicht  zu  veranschaulichen.  Im  grofsen 
und  ganzen  erstreckt  sich  das  vorgeführte  Material  auf  jene  Veranstal- 
tungen, welche  sich  die  zeitweilige  Unterhaltung  der  aus  ihrem  Erwerbe 
geschleuderten  Personen  bis  zum  Wiedereintritt  in  eine  Arbeitsstelle  zum 
Ziele  gesetzt  haben.  Die  Erhebungen  über  die  Organisation  des  Arbeits- 
nachweises und  der  Arbeitsvermittelung  sind  dagegen  mehr  in  die  zweite 
Linie  zurückgestellt. 

Die  Enquete  teilt  den  Stoff  in  zwei  grofse  Gruppen.  Der  erste  Ab- 
schnitt beschäftigt  sich  mit  den  dauernden ,  ständigen  Einrichtungen  zu 
gunsten  der  Arbeitslosen.  Er  schildert  zunächst  die  Thätigkeit  der  Ge- 
werkvereine für  ihre  beschäftigungslosen  Mitglieder,  die  Versuche  der 
Unterstützungsvereine,  der  Arbeitsvermittelungsbureaux  und  der  Verding- 
anstalten für  Frauen  und  Mädchen.  Im  Anschlüsse  hieran  werden  die 
besonderen  Einrichtungen  zur  Beseitigung  der  Arbeitslosigkeit  geschildert, 
wie  die  Zeitungsagenturen ,    die  Agenturen    für    die  Verdingung    von  See- 


266  Miszellen. 

leuten  und  verabschiedeten  Soldaten  und  endlich  solche  für  die  Arbeitsver- 
mittelung für  entlassene  Sträflinge.  Schliefslich  werden  noch  Einrichtungen 
allgemeinen  Charakters  behandelt,  so  das  Unterstützungswesen  nach 
Armenrecht,  die  Unterstützung  durch  Wohlthätigkeits-  und  ähnliche 
Vereine,  ferner  die  Thätigkeit  der  Church  Army  Labour  Homes ,  die 
soziale  Aktion  der  Heilsarmee,  der  Training  Farm  zu  Langley  und  endlich 
der  Colonizalion  Society.  Im  Gegensatz  hierzu  beschäftigt  sich  der  zweite 
Abschnitt  der  Enquete  mit  den  vorübergehenden ,  unständigen  Veranstal- 
tungen im  Interesse  der  Arbeitslosen  durch  die  Gemeindeverwaltungen, 
die  Unterstützungsgesellschaft  der  Mansion  House  Conference  (1892 — 93) 
und  schliefslich  mit  dem  Unterstützungswesen  in  Irland. 

Diesen  beiden  Hauptabschnitten  sind  zwei  umfassendere  Exkurse  bei- 
gegeben. Der  erste  hat  die  Entwickelung  der  Arbeiterkolonien  auf  dem 
Kontinent  zum  Gegenstand  und  beschreibt  die  Arbeitsbureaux  und  Arbeits- 
börsen in  Frankreich  und  das  Industriebureau  in  Neuseeland.  Der  zweite 
dagegen  führt  den  Leser  in  das  Bereich  der  geschichtlichen  Beispiele  der 
Materie.  Hier  werden  wir  mit  dem  System  der  Arbeitslosenbeschäftigung 
nach  dem  älteren  englischen  Armenrechte,  mit  der  Geschichte  der  fran- 
zösischen Nationalwerkstätten  im  Jahre  1848  und  den  Lancashire  Cotton 
Famine  Relief  Works  in  den  Jahren   1861   bis   1864  bekannt  gemacht. 

Der  Bericht  auf  den  folgenden  Blättern  will  in  gedrängter  Kürze 
die  Ergebnisse  der  veranstalteten  Enquete  wiedergeben.  Um  den  uns 
vom  Herrn  Herausgeber  dieser  Zeitschrift  zur  Verfügung  gestellten  Raum 
nicht  zu  überschreiten ,  müssen  wir  uns  darauf  beschränken ,  die  wichtig- 
sten Mafsregeln,  die  typischen  Erscheinungen  zu  charakterisieren  und  für 
die  Einzelheiten  auf  die  Publikation  selbst  verweisen. 

I. 

Der  Grundzug  der  ganzen  sozialpolitischen  Wirksamkeit  zu  gunsten 
der  Arbeitslosen  in  England  ist  das  Prinzip  der  Selbsthilfe.  Alle  Ver- 
anstaltuugen  zur  Bekämpfung  der  Folgen  dieser  volkswirtschaftlichen 
Krankheit  gehen  — -  abgesehen  von  der  Aktion  der  Gemeinden  —  von 
privaten  Vereinen,  von  auf  dem  Grundsatze  der  Freiwilligkeit  fufsenden 
Organisationen  aus.  Nirgends  finden  wir  eine  unmittelbare  Inanspruch- 
nahme staatlicher  Bethätigung.  Ein  weiteres  bedeutsames  Merkmal  ist  die 
Fürsorge  für  die  Arbeitslosen  in  Gestalt  gewährter  Unterhaltungsbeiträge 
durch  die  verschiedenen  Institute  oder  doch  die  Beschaffung  neuer  Arbeits- 
gelegenheit durch  die  Gemeinden.  Die  Versuche,  einen  Arbeitsnachweis 
zum  Behufe  der  Arbeitsvermittelung  zu  organisieren,  treten  überall  in  die 
zweite  Linie  zurück.  Allgemein  ist  eben  hier  das  Streben  nach  möglichst 
unmittelbarer  Hilfeleistung  zu  beobachten,  während  der  Ausgleich  zwischen 
Arbeitsmangel  und  Arbeitsüberfiufs  als  ein  sekundäres  Moment  betrachtet 
wird.  Ebenso  charakteristisch  ist  es  für  den  Geist,  der  die  Arbeitslosen- 
fürsorge beherrscht,  dafs  der  praktische,  konservative  Sinn  des  Briten 
allenthalben  eine  möglichst  enge  und  scharfe  Angliederung  an  bestehende 
Einrichtungen  sucht,  und  thunlichst  die  Bildung  von  neuen  Organisationen, 
natürlich  wiederum  abgesehen  von  der  Aktion  der  Gemeinden,  zu  ver- 
meiden  sucht. 


M  i  s  z  e  1 1  e  n.  267 

Unter  allen  Veranstaltungen  der  Seibathilfe  beim  Problem  der  Arbeits- 
losigkeit stehen  die  Leistungen  der  englischen  Gewerkvereine 
obenan.  Sie  allein  haben  auf  diesem  Gebiete  Zulängliches  erzielt.  Die 
Gewerkvereine  erblicken  nämlich  gerade  in  der  Fürsorge  für  ihre  stellen- 
losen Mitglieder  einen  ihrer  Hauptzwecke  und  haben  auch  diesen  that- 
sächlich  in  grofsartigstem  Mafsstabe  durchzuführen  gewufst.  Aufserhalb 
des  britischen  Bodens  ist  nirgendwo  in  ähnlichem  Umfange  eine  Versiche- 
rung der  Arbeiter  gegen  die  Wirkungen  der  Beschäftigungslosigkeit  ge- 
schaffen worden  :).  Die  meisten  Gewerkvereine  unterstützen  ihre  aus 
Arbeitsstellen  verdrängten  Genossen  durch  Arbeitslosenbeiträge ,  Reise- 
unterstützungen oder  Einrichtungen  zum  Behufe  der  Arbeitsvermittelung. 
Andere  hinwiederum  versuchen  wenigstens  durch  entsprechende  Regelung 
der  Arbeitszeit  eine  Ausgleichung  und  bessere  Verteilung  der  Arbeits- 
gelegenheit herbeizuführen  oder  wollen  durch  anderweite  Mafsnahmen 
die  Wirkungen  der  schwankenden  Nachfrage  nach  Arbeitskräften  ein- 
dämmen. Sie  vermögsn  als  Verbindungen  der  Arbeiter  spezieller  Gewerbs- 
arten mit  mannigfachen  Verzweigungen  nach  allen  wichtigeren  Industrie- 
zentren hin  die  Fluktuationen  des  Arbeitsbedarfes  zu  verfolgen  und  die 
Lage  des  Geschäfts  zu  beurteilen.  Da  aber  die  Mittel  zum  Unterhalte 
ihrer  arbeitslosen  Genossenschafter  aus  den  Beitragsleistungen  Aller  auf- 
gebracht werden  müssen,  so  haben  die  Mitglieder  der  Gewerke  ein  leb- 
haftes Interesse  daran,  die  Beschäftigungslosen  möglichst  rasch  wieder  in 
Arbeit  zu  bringen  und  darüber  zu  wachen,  dafs  die  Gewerkskasse  nicht 
durch  Auszahlungen  an  solche  Personen  allzusehr  belastet  werde,  welche 
ein  müfsiges  Lazzaronileben  selbst  bei  dürftigster  Lebenshaltung  ange- 
strengter, wenn  auch  besser  bezahlter  Arbeit  vorziehen.  Darum  sind  auch 
die  Gewerkvereine  in  dieser  Richtung  als  Kontrollorgane  anderen  In- 
stanzen, wie  Gemeinde  oder  Staat,  überlegen,  wo  kein  so  lebhaftes  Be- 
streben Aller,  Mifsbräuche  zu  verhüten,  zum  Ausdruck  gelangen  kann. 

Die  Formen  der  Unterstützungen ,  welche  die  Gewerkvereine  ihren 
Mitgliedern   gewähren,  lassen  sich  in  vier  Gruppen   zusammenfassen. 

Die  Arbeitslosenbeiträge  (Unemployed  Benefit,  Out-of-Work- 
Benefit,  Gift,  Donation)  sind  wöchentliche  Unterstützungen,  welche  von 
den  Gewerkvereinen  den  Mitgliedern  während  der  Zeit  der  Arbeitslosig- 
keit gewährt  werden.  Im  Jahre  1891,  dem  letzten,  aus  welchem  eine 
vollständige  Statistik  vorliegt,  haben  202  Gewerkvereine  mit  682  025  Mit- 
gliedern im  ganzen  222  088  £  an  arbeitslose  Genossen  verteilt.  Der 
Höhe  nach  sind  die  Wochenbeiträge  in  den  einzelnen  Gewerkvereinen 
sehr  verschieden,  wobei  es  Regel  ist,  die  Unterstützungen  von  Woche  zu 
Woche  in  einer  sinkenden  Skala  zu  gewähren.  Der  Gewerkverein  der 
vereinigten  Zimmerleute  und  Schreiner  beispielsweise  bewilligt  für  die 
ersten  12  Wochen  einen  Beitrag  von  je  10  sh.,  welcher  sich  für  die 
folgenden  12  Wochen  auf  6  sh.  ermäfsigt.  Der  Höchstbetrag  der  Arbeits- 
losenunterstützung  innerhalb    eines    Jahres ,    auf    welche   ein    ordentliches 


1)  Vergl.  hierzu  neuerdings  Georg  Adler,  Ueber  die  Aufgaben  des  Staates 
angesichts  der  Arbeitslosigkeit.  Akademische  Antrittsrede.  Tübingen,  Laupp,  1894. 
S.   13  ff. 


268  Mis  zellen. 

Mitglied  Anspruch  erheben  kann,  beträgt  9  iß  12  sh.  (192  M.).  Andere 
Gewerkvereine  dagegen,  wie  der  Gewerkverein  der  Londoner  Wagenbauer, 
beginnen  mit  einem  Anfangssatze  von  18  sh.  in  der  Woche,  während 
andere,  besonders  der  Textilbranche  angehörige  Gewerkvereine,  mit  viel 
niedrigeren  Unterstützungen ,  z.  B.  3  sh.  6  d.  wöchentlich  anfangen.  Da 
hohe  Arbeitslosenbeiträge  leicht  die  Gefahr  mit  sich  bringen ,  aus  dem 
Arbeitslosen  trotz  aller  Vorsicht  und  Wachsamkeit  einen  arbeitsscheuen 
Arbeiter  zu  machen ,  so  hat  man  gewisse  Kautelen  zu  schaffen  gesucht. 
Darum  bringen  verschiedene  Vereine  die  gewöhnlichen  Mitgliederbeiträge 
zur  Gewerkvereinskasse  von  der  Arbeitslosenunterstützung  in  Abzug,  wie 
der  Gewerkverein  der  Messingarbeiter  und  Eisengiefser,  andere  hingegen 
lassen  die  Vereinsbeiträge  während  der  Beschäftigungslosigkeit  ruhen. 
Dritte  Gewerkvereine  endlich,  namentlich  die  Buchdrucker,  ziehen  nur 
einen  Bruchteil  der  Beitragsleistuug  ein,  solange  ein  Mitglied  sich  aufser 
Stellung  befindet.  Desgleichen  pflegt  es  Grundsatz  zu  sein,  das  Bezugs- 
recht von  Unterstützungen  an  eine  gewisse  Dauer  der  Mitgliedschaft  zu 
binden,  welche  bei  den  einen  Verbänden  längere,  bei  den  anderen  kür- 
zere Zeit  währt.  Genossenschafter,  welche  vor  Ablauf  dieser  Zeit  in 
Arbeitslosigkeit  verfallen,  empfangen  entweder  gar  keine  oder  doch  wesent- 
lich gekürzte  Arbeitslosenbeiträge.  Um  eine  Unterstützung  zu  erlangen, 
hat  jeder  Arbeitslose  ein  Arbeitslosenbuch  (Vacant  Book)  in  bestimmten 
Zeiträumen  zu  unterzeichnen.  Hierdurch  übernimmt  er  die  Verpflichtung, 
fleifsig  nach  Arbeit  zu  suchen  und  jede  sich  ihm  bietende  ,, passende", 
d.  h.  der  Branche  angemessene  Arbeitsstelle  anzunehmen.  Wer  durch 
eigene  Schuld  arbeitslos  geworden  ist,  verwirkt  damit  den  Anspruch  auf 
den  Unterhaltungsbeitrag  durch  den  Gewerkverein.  Indessen  tendiert  die 
Praxis  der  Gewerkvereine  immerhin  dahin,  die  Schuldfrage  in  zweifel- 
haften  Fällen   zu  gunsten   des  Arbeitslosen   zu  entscheiden. 

Die  Verteilung  der  Gewerkvereine  nach  ihrer  technischen  Eigenart 
gestaltet  sich  folgendermafsen.  Von  den  erwähnten  202  Gewerkvereinen, 
welche  an  ihre  Mitglieder  Unterstützungen  im  Falle  der  Arbeitslosigkeit 
gewähren,  gehören  40  mit  175  544  Mitgliedern  den  Gewerken  der  Eisen- 
industrie, dem  Maschinen-  und  Schiffsbau  an,  23  mit  97  703  Genossen- 
schaftern den  Baugewerken,  41  mit  94  881  Genossen  der  Textilindustrie, 
13  mit  65  998  Mitgliedern  den  Bekleidungsbranchen,  19  mit  34  715  Ge- 
nossenschaftern dem  Buchdruckerei-  und  Buchbindergewerbe,  28  mit  25  185 
Mitgliedern  der  Möbelfabrikation  und  den  verwandten  Gewerbszweigen, 
wie  den  Gewerkvereinen  der  Kunsttischler,  Wagenbauer,  Böttcher,  der 
Kork-,  Glas-,  Leder-  und  Töpferarbeiter,  und  endlich  10  Gewerkvereine 
mit  87  535  Arbeitern  dem  Bergbau  und  den  verwandten  Produktions- 
zweigen. 

Neben  den  Unterhaltsbeiträgen  gewährt  eine  Reihe  von  Gewerk- 
vereinen ihren  stellenlosen  Genossenschaftern  noch  besondere  Wander- 
oder Reiseunterstützungen  (Travelling  Benefit).  Diese  Zusatz- 
leistung verfolgt  den  Zweck,  die  Arbeitslosen  in  den  Stand  zu  setzen, 
auch  auswärts  ihre  Arbeitskraft  auszubieten.  Bei  einzelnen  Gewerkver- 
einen, so  namentlich  bei  denjenigen  der  Baugewerke,  ersetzt  die  Reise- 
unterstützung die  Arbeitslosenbeiträge  überhaupt.      Der  normale  Satz  be- 


Mi  sz  eil  en.  269 

trägt  dann  in  der  Regel  1  sh.  6  d.  für  den  Tag.  Zur  Vermeidung  do- 
loser  Ausbeutung  sind  gewisse  Beschränkungen  für  den  Bezieher  eingeführt. 
Die  Wandergesellen  sind  gehalten,  ohne  Unterlafs  von  Ort  zu  Ort  zu 
gehen,  sie  dürfen  sich,  ohne  Arbeit  gefunden  zu  haben,  nirgendwo  längere 
Zeit  aufhalten.  Die  Zahl  der  Tage  innerhalb  eines  Jahres,  an  welchen 
sie  eine  solche  Unterstützung  geniefsen  können,  ist  genau  begrenzt  und 
ebenso  ist  der  Bezirk  für  ihre  Wanderung  der  leichteren  Kontrolle  halber 
vorgezeichuet.  Immerhin  waren  die  Erfahrungen  mit  diesen  Reiseunter- 
stützungen mehrfach  keine  erfreulichen.  Besonders  in  den  Sommermonaten 
hat  es  sich  öfters  gezeigt,  dafs  dieselben  vou  zum  Herumschweifen  hin- 
neigenden Genossen  in  Anspruch  genommen  wurden,  und  an  Stelle  die 
Arbeitssuche  zu  erleichtern,  einzelnen  Mitgliedern  als  Zuschufs  zu  einem 
Reisegeld  dienten.  So  gestaltete  sich  diese  Unterstützung  mit  Hilfe  der 
während  der  Saison  gemachten  Ersparnisse  zu  einem  Anreiz  zum  Herum- 
reisen, ohne  dafs  die  Aufsuchung  einer  neuen  Arbeitsgelegenheit  das  ernst- 
liche Ziel  der  Wanderung  bildete.  Infolgedessen  haben  mehrere  Gewerk- 
vereine, wie  die  typographische  Vereinigung  für  Schottland,  das  System 
der  Wanderunterstützungen  wieder  beseitigt.  Noch  in  bedenklicherem 
Mafse  erwuchsen  derartige  Schwierigkeiten  bei  einer  Abart  der  Reise- 
unterstützung, dem  A  u  s  wan  d  eru  n  gs  gelde,  welches  im  Jahre  1885 
der  Gewerkverein  der  Eisengiefser  seinen  Mitgliedern  gewährte.  Einzelne 
Genossen  liefsen  sich  die  Unterstützung  auszahlen ,  begaben  sich  auf  die 
Reise  und  kehrten,  nachdem  sie  diesen  Zuschufs  verbraucht  hatten,  wieder 
in  den  Schofs  der  Heimat  zurück.  Daher  wurde  schon  nach  einigen  mifs- 
glückten  Versuchen  das  System  des  Auswanderungsgeldes  wieder  eingestellt. 
In  weit  geringerem  Grade  ist  bei  den  Gewerkvereinen  das  System  des 
Arbeitsnachweises  und  der  Arbeitsvermittelung  (Assistance 
to  Members  in  Obtaining  Work)  allgemein  organisiert.  Bei  einzelnen  Ge- 
werkvereinen, wie  z.  B.  bei  demjenigen  der  Londoner  Schriftsetzer,  pflegen 
die  Unternehmer  sehr  häufig  sich  an  den  Verein  zu  wenden,  um  ihren 
Bedarf  an  Arbeitskräften  zu  decken.  Hierdurch  wird  die  Zentralleitung 
des  Gewerkvereins  zugleich  zu  einer  Instanz  der  Arbeitsvermittelung. 
Andere,  wie  der  Gewerkverein  der  Dubliner  Bäcker,  verpönen  bei  Strafe 
des  Ausschlusses  die  Umgehung  der  Genossenschaft  als  Arbeitsvermitte- 
lungsstelle.  Immerhin  bilden  solche  Fälle  des  organisierten  Arbeitsnach- 
weises die  Ausnahme.  Bei  den  meisten  Gewerkvereinen  ist  die  Arbeits- 
suche der  individuellen  Initiative  anheimgegeben.  Die  Vereinsthätigkeit 
ist  regelmäfsig  auf  die  Bekanntmachung  von  vakanten  Arbeitsstellen  ge- 
legentlich der  gemeinsamen  Versammlungen  der  Gewerkvereinsmitglieder 
beschränkt.  Auch  wird  die  Anmeldung  arbeitsloser  Genossen  bei  Betrieben 
durch  den  Verein  gefördert.  Das  Mafs  der  Sorge,  welche  einzelne  Ge- 
werkvereine der  Unterbringung  stellenloser  Genossenschafter  zuwenden,  ist 
sehr  verschieden.  Besonders  rührig  ist  in  dieser  Richtung  der  Gewerk- 
verein der  Dampfmaschinenbauer,  während  andere  Vereine  wie  derjenige 
der  vereinigten  Zimmerleute  und  Schreiner,  kleine  Prämien  (Bonus)  von 
6  d.  für  diejenigen  aussetzen,  welche  arbeitslosen  Genossen  Beschäftigung 
verschaffen  (taking  them  off  the  [vacant]  Books).  Die  bedeutendsten  Ge- 
werkvereine veröffentlichen    periodische    Berichte,    aus  welcheu    nach  Di- 


270  Mis  zellen. 

strikten  der  Stand  des  Arbeitsmarktes  der  Branche  ersichtlich  ist,  und 
verteilen  diese  an  ihre  Mitglieder.  Andere,  wie  die  Maschinenbauer, 
Eisengiefser,  Schriftsetzer  u.  dgl.  m.  stellen  eine  Liste  der  Werkstätten 
ihres  Industriezweiges  nach  Bezirken  auf  und  überlassen  es  dann  dem 
Einzelnen,  bei  diesen  um  Arbeit  nachzuforschen. 

Endlich  haben  einzelne  Gewerkvereine  mehrfach  Versuche  angestellt, 
durch  eine  angemessene  Ausgleichung  vorhandener  Arbeitsge- 
legenheit (Equalisation  of  Work)  die  Arbeitslosigkeit  zu  bekämpfen. 
Und  nicht  selten  ist  es  ihnen  auch  thatsächlich  gelungen,  hier  Erfolge  zu 
erzielen.  Besonders  schritt  man  zu  diesem  Mittel  in  Zeiten  der  Geschäfts- 
flauheit und  wirtschaftlicher  Depressionen,  um  so  durch  die  gleichmäfsigere 
Verteilung  der  Arbeiten,  dieselben  thunlichst  für  alle  Mitglieder  nutzbar 
zu  machen.  Hier  hat  man  entweder  versucht,  durch  eine  Verkürzung  der 
Arbeitszeit  möglichst  viele  Arbeitskräfte  unterzubringen  oder  man  hat  ein 
System  abwechselnder  Beschäftigung  unter  den  Arbeitern  eingeführt  oder 
endlich  überhaupt  Mafsregelu  ergriffen,  die  auf  eine  bessere  Ausgleichung 
der  vorhandenen  Arbeitsgelegenheit  abzielen.  Auch  die  Bestrebungen  hin- 
sichtlich der  besonderen  Bezahlung  für  Ueberzeit  und  Nachtarbeit  be- 
wegen sich  in  der  gleichen  Richtung.  In  verschiedenen  Fällen  beruhen 
diese  Bestimmungen  auf  Reglements  der  Gewerkvereine,  vielfach  aber 
gründen  sie  auch  in  der  eigenen  Initiative  von  Fabrikanten,  welche  sich 
entweder  von  arbeiterfreundlichen  Motiven  leiten  lassen  oder  durch  dieses 
Verfahren  beabsichtigen,  den  altbewährten  Arbeiterstamm  der  Unternehmung 
zu  erhalten.  Allerdings  stöfst  die  Durchführung  dieser  Ausgleichung  im 
einzelnen  auf  nicht  unerhebliche  Schwierigkeiten  und  verlangt  ein  ein- 
gehendes Studium  der  besonderen  Verhältnisse  der  betreffenden  Gewerbs- 
zweige, eine  genaue  Kenntnis  des  Arbeitsmarktes  und  insbesondere  eine 
zuverlässige  Statistik  über  das  Verhältnis  der  beschäftigten  und  nichtbe- 
schäftigten Arbeiter  einer  Branche.  Wünschenswert  ist  allerdings,  dafs 
die  Gepflogenheit  der  Ausgleichung  immer  mehr  Verbreitung  finde,  was 
bei  den  dauernden  Krisen  ganzer  Industriezweige  von  gröfster  Wichtigkeit 
sein  würde. 

II. 

Von  den  übrigen  Veranstaltungen  im  Rahmen  privatwirtschaftlicher 
Bethätigung  kommen  zunächst  die  Unterstützungsvereine  (Friendly 
Societies)  in  Betracht.  Obwohl  ursprünglich  ihre  Gründung  auf  andere 
Zwecke  zurückgeht,  dieselben  sich  der  Fürsorge  ihrer  erkrankten  Mitglieder 
widmen  und  regelmäfsig  bei  Todesfällen  zu  den  Bestattungskosten  einen 
Geldbeitrag  spenden,  haben  sie  doch  neuerdings  eine  gröfsere  Thätigkeit  im 
Bereiche  der  Arbeitslosenunterstützung  entfaltet.  Dafs  gerade  diese  Seite 
der  Bedürftigkeit  verhältnismäfsig  weniger  ins  Auge  gefafst,  liegt  in  dem 
Umstände,  dafs  man  in  weiten  Kreisen  der  Ansicht  war,  dafs  die  gewerk- 
schaftlichen Organisationen  in  viel  höherem  Grade  durch  ihren  eigentüm- 
lichen Charakter  befähigt  seien,  im  Falle  der  Stellenlosigkeit  zu  sorgen  als 
die  Unterstützungsvereine,  welche  naturgemäfs  Angehörige  aller  Berufs- 
klassen in  sich  schliefsen.  Immerhin  haben  auch  diese  Vereine,  wenigstens 
die  wohlhabenderen  unter  ihnen,   es  versucht,    durch  Eröffnung  von  Sub- 


Miszellen.  271 

skriptionen  zu  gunsten  beschäftigungsloser  Arbeiter,  sowie  durch  Ge- 
währung von  Zuschüssen  (Out-of-Work-Benefits)  ihre  Thätigkeit  in  den 
Dienst  der  Fürsorge  für  die  Arbeitslosen  zu  stellen.  Für  die  richtige  Be- 
urteilung der  Sachlage  ist  es  von  Bedeutung,  dafs  vor  dem  Gesetze  über 
die  Gewerkvereine  aus  dem  Jahre  1871  viele  derselben  als  Unter- 
stützungsvereine eingetragen  waren.  Hierdurch  erscheint  die  Unter- 
scheidung zwischen  diesen  beiden  Gruppen  von  Korporationen  nur  sehr 
gering.  Der  Gewerkverein  der  vereinigten  Maschinenbauer  war  so  bis 
zum  Jahre    1885    in    der  Form    eines    Unteretützungsvereins    konstituiert. 

In  der  Regel  gründen  solche  Vereine  zum  Behufe  der  Unterstützung 
ihrer  arbeitslosen  Mitglieder  besondere  Fonds,  welche  durch  besondere 
Beiträge  zu  diesem  Zwecke  gebildet  werden.  Der  Charakter  solcher 
Leistungen  ist  teils  der  einer  reinen  Unterstützung,  teils  der  eines  Vor- 
schusses gegen  spätere  Rückzahlung  Andere  dieser  Gesellschaften  unter- 
halten die  Beschäftigungslosen  nicht  aus  speziellen  Fonds,  sondern  eröffnen 
von  Fall  zu  Fall  eine  Subskription  zu  ihren  Gunsten.  Im  grofsen  und 
ganzen  ist  die  Arbeitslosenunterstützung  durch  diese  Organisationen  eine 
immerhin  volkswirtschaftlich  und  sozialpolitisch  unerhebliche  zu  nennen. 
Vielfach  beschäftigen  sie  sich  nur  wenig  oder  nebenbei,  häufig  auch  gar 
nicht  mit  dieser  Frage.  Wo  dies  aber  gleichwohl  der  Fall  ist,  gebricht 
es  an  allgemeinen ,  typischen  Grundsätzen  der  Aus-  und  Durchführung. 
Wir  haben  es  darum  meist  mit  lokaler  Thätigkeit,  gelegentlicher  Abhilfe 
zu  thun. 

Eine  geringere  Bedeutung  als  in  anderen  Ländern  haben  in  England 
die  Arbeitsnachweise-Bureaux  (Labour  Bureaux)  und  ähnliche 
Veranstaltungen  zur  Arbeitsvermittelung  erlangt.  Eine  Reihe  von  Ein- 
richtungen, welche  auch  hier  bemüht  sind,  Arbeitslose  in  Stellung  zu 
bringen,  können  nicht  als  „  Arbeitsbureaux ",  d.  h.  Zentralstellen  für  die 
Ausgleichung  von  Angebot  und  Nachfrage  von  Arbeitskräften,  bezeichnet 
werden,  fallen  vielmehr  unter  andere  Kategorien  der  Fürsorge  für  die 
Arbeitslosigkeit.  Privatverdinganstalten  finden  sich  nur  für  Dienstboten, 
verabschiedete  Soldaten ,  Seeleute  und  entlassene  Sträflinge,  welche  aus 
verschiedenen  oder  besonderen  Ursachen  schwer  in  Arbeit  zu  bringen  sind. 
Eigentliche  Arbeitsvermittelungsstellen  teils  ständigen,  teils  unständigen 
Charakters  waren  im  Winter  1892 — 93  im  ganzen  25  in  Thätigkeit.  Von 
diesen  waren  15  nur  vorübergehend  eingerichtet,  während  die  10  übrigen, 
diejenigen  zu  Ipswich,  Egham,  Chelsea,  Battersea,  St.  Pancras,  Camber- 
well,  Westminster,  Bloomsbury,  Wolverhampton  und  Salford  ständig  funk- 
tionieren. 

Die  unständigen  Arbeitsnachweisbureaux  wurden  zum  gröfsten  Teil 
im  Verlaufe  des  Winters  durch  die  Londoner  Kirchengemeinden  oder 
andere  Lokalbehörden  in  Verbindung  mit  den  städtischen  Notstandsarbeiten 
errichtet.  In  London  fand  die  Eröffnung  dieser  Stellen  auf  Ansuchen 
des  Gewerberates  (Trades  Council)  statt.  Manche  derartige  Anstalten 
hatten  lediglich  den  Zweck,  den  städtischen  Arbeitsbedarf  mit  Arbeits- 
kräften zu  versorgen,  ohne  den  Arbeitsnachweis  für  anderweite  Arbeits- 
gelegenheit zu  organisieren.  In  anderen  Fällen  verfolgt  man  beide  Ziele, 
sowohl    die    Versorgung    der    städtischen  Arbeiten  mit  Arbeitskräften,    als 


272  Mis  zellen. 

auch  die  Herstellung  einer  Instanz,  an  welche  sich  Arbeitgeber  und  Ar- 
beitnehmer wenden  konnten.  Endlich  bezweckten  einige  dieser  Einrich- 
tungen lediglich  eine  Arbeitervermittelung  für  eine  begrenzte  Zeit  durch- 
zuführen und  waren  dabei  von  gröfserem  oder  geringerem  Erfolge  be- 
gleitet. Die  ständigen  Arbeiterbureaux  zerfallen  in  zwei  Klassen.  Die 
einen  nehmen  die  Arbeitsuchenden  ohne  weiteres  in  ihre  Register  auf, 
knüpfen  die  Aufnahme  an  keine  Bedingungen,  wie  beispielsweise  an  den  Wohn- 
sitz innerhalb  des  Bezirks,  für  welchen  das  Bureau  errichtet  ist.  Die 
anderen  unterwerfen  den  Arbeitslosen,  welcher  sich  anmeldet,  einer  mehr 
oder  weniger  eingehenden  Prüfung.  Es  ist  einleuchtend,  dafs  die  Arbeits- 
bureaux,  welche  den  einzelnen  Umständen,  der  früheren  Beschäftigung, 
der  Qualität  etc.  des  Arbeiters  nachforschen,  von  den  Arbeitgebern  lieber 
benutzt  werden,  weil  sie  hier  tauglichere  Kräfte  zu  finden  hoffen,  eine 
gewisse  Gewähr  für  die  Brauchbarkeit  zu  haben  glauben.  Indessen  bei 
alledem  bilden  die  Arbeitsbureaux  in  England  doch  im  wesentlichen  nur 
sporadische  Erscheinungen,  welche  in  ihrer  Wirksamkeit  mit  mancherlei 
Hindernissen ,  finanziellen  Nöten ,  Verwaltungsschwierigkeiten  und  vor 
allem  mit  Mangel  an  Interesse  seitens  der  Beteiligten  zu  kämpfen 
haben. 

Yon  gröfserem  Belange  sind  die  V  er  din  ga  ns  t  al  t  e  n  für  Frauen 
und  Mädchen  (Kegistries  for  Women  and  Girls),  die  der  vorgenannten 
Gruppe  nach  Wesen  und  Zweck  nahestehen.  Hier  hat  man  es  regel- 
mäfsig  mit  jungen  Erauen  und  Mädchen  zu  thuu,  welche  gegen  mancher- 
lei wirtschaftliche  und  sittliche  Gefahren  eines  besonderen  Schutzes  bei 
der  Stellensuche  bedürfen.  Die  Unterbringung  erstreckt  sich  dabei  auf 
die  meisten  weiblichen  Berufsarten,  auf  die  höheren  wie  niederen  Stellungen 
als  Geschäftsgehilfinnen  in  Magazinen,  Läden,  Warenhäusern,  sowie  als 
Gesinde.  Der  Arbeitsnachweis  wird  hier  teils  durch  Verein sthätigkeit, 
teils  durch  private  Unternehmungen  bewirkt.  Von  ersteren  verdienen 
zunächst  zwei  Gesellschaften,  die  Metropolitan  Association  for  Befriending 
Toung  Servants  (M.  A.  B.  Y.  S.)  und  die  Girls  Friendly  Society  (G.  F. 
S.)  Erwähnung.  Die  M.  A.  B.  J.  S.,  welche  im  Jahre  1875  gegründet 
wurde,  hat  es  sich  zur  Aufgabe  gemacht,  vor  allem  für  zwei  Gruppen 
verlassener  junger  Mädchen  Fürsorge  zu  treffen,  nämlich  einerseits  für 
die  Kinder,  welche  aus  den  „Armenschulen"  Londons  entlassen  werden 
und  hilflos  nach  Broterwerb  Umschau  halten  müssen  und  andererseits 
für  die  verwahrlosten  Kinder  (children  of  the  street).  Auf  diese  Weise 
wurden  im  Jahre  1892  3392  Mädchen  untergebracht.  Die  Gesellschaft 
unterhält  in  London  30  Filialen.  Um  aber  diese  Arbeiterinnen  vorüber- 
gehend gegen  Gefahren  zu  schützen,  bevor  sie  von  der  einen  Stellung 
zur  anderen  gelangen,  hat  die  M.  A.  B.  Y.  S.  in  Verbindung  mit  15  Filialen 
Dienstbotenherbergen  errichtet,  wo  dieselben  Aufnahme  finden.  Der  für 
die  Verpflegung  zu  errichtende  B  >ringfügige  Betrag  beläuft  sich  von 
3  sh.  6  d.  bis  6  sh.  für  die  Woche  und  von  8  d.  bis  1  sh.  für  den 
Tag.  Mädchen  über  zwanzig  Jahre  haben  die  höchsten  Wochensätze, 
7  und  8  sh.  zu  entrichten.  Die  G.  F.  S.,  gleichfalls  1875  gestiftet,  hat 
einen  wesentlichen  konfessionellen  Charakter.  Die  Genossenschafter 
(„Associates"),    nicht    aber    die    Mitglieder,     haben    dem    anglikanischen 


Miszellen.  273 

Glaubensbekenntnis  anzugehören.  Die  Organisation  der  Gesellschaft  schliefst 
sich  der  Verfassung  der  englischen  Hochkirche  an,  und  zerfällt  in  Diö- 
zesen, Ruridekanate  und  Kirchspiele.  Die  Mitglieder  sind  entweder  „Ge- 
nossenschafter" oder  einfache  Mitglieder.  Wenn  ein  Mitglied  den  Aufent- 
halt wechselt,  so  mufs  dessen  Genossenschafter  dasselbe  mit  einer  „Em- 
pfehlung" (commendation)  an  die  Filiale  des  Vereins  ausrüsten.  Ist 
keine  Filiale  an  dem  neuen  Aufenthaltsorte,  so  ist  die  Empfehlung  an 
den  nächstgelegenen  Tochterverein ,  eventuell  an  den  Pfarrer  des  be- 
treffenden Kirchspiels  zu  richten,  damit  sich  diese  des  Mitglieds  annehmen, 
für  seine  Unterkunft  sorgen  und  an  seinem  Wohlbefinden  Anteil  nehmen, 
Die  Gesellschaft  zählt,  einschliefslich  15  081  Genossenschaftern  der  ar- 
beitenden Klasse,  138  910  Mitglieder,  unter  welchen  fast  alle  weiblichen 
Berufsarten  vertreten  sind.  Die  M.  A.  B.  Y.  S.  und  die  G.  F.  S.  stehen  in 
einem  Kartellverhältnis  und  ergänzen  sich  wechselseitig.  Nur  beschäftigt 
sich  die  Abteilung  für  Arbeitsvermittelung  der  G.  F.  S.  fast  ausschliefs- 
lich  mit  der  Unterbringung  weiblicher  Dienstboten. 

Endlich  befinden  sich  in  allen  Teilen  Englands  private  S  teilen - 
vermittelungsbureaux  für  Dienstboten  (Private  Registries 
for  Domestic  Servants),  welche  gegen  bestimmte  Gebühren  Beschäftigung 
nachweisen.  So  z.  B.  befindet  sich  in  London  ein  grofses  Bureau,  welches 
sich  vornehmlich  die  Arbeitsvermittelung  des  besseren  Dienstpersonals 
für  das  vereinigte  Königreich  zur  Aufgabe  macht  und  je  nach  Höhe  des 
Lohnes  oder  Gehaltes  2  sh.  6  d.  bis  10  sh.  als  Vermittelungsgebühr  er- 
hebt. Die  Anstalt  wird  sowohl  von  Arbeitgebern  als  von  Stellesuchen- 
den benutzt.  Im  Jahre  1892  erhielt  das  Bureau  38  595  Anfragen  von 
Arbeitgebern  und  36  580  von  Arbeitnehmern.  Die  Gebühren  anderer 
Verdinganstalten,  welche  sich  vornehmlich  mit  der  Unterbringung  der 
eigentlichen  Dienstbotenkategorie  befassen,  sind  bei  weitem  niedriger. 

Dem  Namen  nach  mögen  hier  als  Arbeitsvermittelungsinstitute  er- 
wähnt werden  die  Zeitungs-  und  Annoncenagenturen.  Dann 
nooh  die  besonderen  Anstalten  für  den  Arbeitsnachweis  ausgedienter 
Soldaten,  verabschiedeter  Seeleute  und  entlassener 
Sträflinge,  Organisationen,  welche  in  den  Händen  privater  Vereine 
liegen  und  welche  in  Gemäfsheit  der  Eigenart  ihres  Zweckes,  den  sie 
verfolgen,  einer  zuweilen  sehr  schwierig  durchzuführenden  Regelung  be- 
dürfen, 

III. 

Neben  diesen  Versuchen,  die  Arbeitslosigkeit  als  eine  stets  wieder- 
kehrende Krankheit  des  "Wirtschaftslebens  zu  bekämpfen ,  kommt  eine 
Gruppe  von  Veranstaltungen  in  Betracht,  welche  für  Stellenlose  infolge  von 
solchen  Fluktuationen  des  Arbeitsmarktes  Fürsorge  treffen,  die  auf  aufser- 
ordentliche,  exceptionelle  Umstände  zurückzuführen  sind.  Naturgemäfs 
zerfallen  diese  Einrichtungen  je  nach  der  Dauer,  auf  welche  sie  berechnet 
sind,  in  ständige  und  vorübergehende. 

Unter  den  ständigen  Instituten  nehmen  Armenrecht  und  Ar- 
menpflege den  breitesten  Raum  ein.  Ein  wesentlicher  Charakterzug 
des  Armenrechtes  ist  es,  dafs  dasselbe  sich  nicht  mit  der  Arbeitslosigkeit 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXIU).  j  o 


274  Miszellen. 

und  ihren  wirtschaftlichen  Folgen  an  sich  beschäftigt,  sondern  für  jeden 
Notstand,  aus  welchen  Ursachen  derselbe  immer  entsprungen  sein  mag, 
Fürsorge  zu  treffen  sucht.  Die  Unterstützung  nach  Armenrecht  indivi- 
dualisiert von  Fall  zu  Fall,  ohne  auf  den  Wert  der  geleisteten  Arbeit 
Rücksicht  zu  nehmen.  Sie  behandelt  einen  Bedürftigen  ohne  Familie 
anders  als  einen  Arbeitslosen,  welcher  noch  für  Angehörige  zu  sorgen 
hat,  obwohl  die  in  Gestalt  von  Arbeitslohn  bezahlte  Arbeit  in  beiden 
Fällen  die  gleiche  ist.  Endlich  wird  das  System  der  Armenpflege  da- 
durch gekennzeichnet,  dafs  die  Armenverwaltung,  gewisse  Bedingungen 
vorausgesetzt,  jeden  Hilfsbedürftigen  unterstützen  mufs.  Dieselbe  befindet 
sich  nicht  in  der  Lage  privater  Vereine,  welche  unter  verschiedenen 
Möglichkeiten  die  Auswahl  haben,  welche  den  einen  unterstützen  können, 
während  sie  den  anderen  abweisen.  Auch  können  die  Armenpfleger  nicht 
wie  städtische  Behörden  die  tauglichsten  und  brauchbarsten  Arbeitslosen 
für  die  gemeindlichen  Notstandsarbeiten  einstellen  und  die  weniger  an- 
wendbaren Kräfte  abschütteln.  Dadurch  unterscheidet  sich  das  Armen- 
recht wiederum  von  den  anderweiten  Einrichtungen  und  Veranstaltungen 
der  Fürsorge  für  die  Arbeitslosen.  Auf  die  materielle  Seite ,  auf  die 
Formen,  Voraussetzungen  und  die  Durchführung  der  Grundsätze  der  eng- 
lischen Armengesetzgebung  soll  an  dieser  Stelle  nicht  weiter  eingegangen 
werden,  nachdem  dessen  Grundsätze  allgemein  bekannt  und  erst  neuer- 
dings in  zusammenfassender  Darstellung  von  sehr  sachkundiger  Hand  be- 
arbeitet worden  sind  *).  Im  allgemeinen  läfst  sich  auch  hier  nicht  in 
Abrede  stellen ,  dafs  die  Fürsorge  für  die  Arbeitslosen  durch  das 
System  der  Armenpflege  bestenfalls  nur  leisten  kann,  dafs  eben  thatsäch- 
lich  niemand  verhungert.  Dagegen  ist  seine  Wirksamkeit  ohnehin  auf 
ein  ziemlich  enges  Gebiet  beschränkt,  mit  der  Armenunterstützung  sind 
vielfach  politische  wie  soziale  Nachteile  verbunden,  mit  ihr  ein  starker 
Zwang  und  gewissermafsen  eine  Herabdrückung  der  bürgerlichen  Stellung 
verknüpft.  Darum  wird  die  Armenpflege  immer  nur  ein  höchst  mangel- 
hafter Notbehelf  für  die  Bekämpfung  der  Arbeitslosigkeit  in  der  modernen 
Volkswirtschaft  bleiben. 

Der  Armenpflege  stehen  zunächst  eine  Reihe  von  freiwilligen  Or- 
ganisationen, für  welche  die  Charity  Organisation  Society  und  ähnliche 
Vereine  typisch  sind,  die  ein  Netz  über  das  ganze  Land  ausgespannt 
haben.  Ihrem  Wesen  nach  sind  sie  Vereinigungen  freiwilliger  Wohl- 
thätigkeitsbestrebungen,  welche  als  ständige  Veranstaltungen  sich  die 
Linderung  der  Folgen  der  Arbeitslosigkeit  zum  Ziele  gesetzt  haben. 
Ihre  leitende  Maxime  ist,  möglichst  zu  individualisieren  und  auf  Grund 
örtlicher  Erfahrungen  durch  die  Organisation  von  Bezirksausschüssen  eine 
nach  Kräften  spezialisierende  Thätigkeit  zu  entfalten.  Sie  wollen  mit 
hilfreicher  Hand  besonders  da  eintreten,  wo  Armenpflege  oder  private 
Wohlthätigkeit  Lücken  gelassen  haben.  Sie  bestreben  sich  aber  nur  dann 
mit  ihrer  teils  ergänzenden,  teils  ersetzenden  Funktion  einzusetzen,  wenn 


1)  A  sohrott,  Das  englische  Armenwesen  in  seiner  historischen  Entwickelung  und 
heutigen  Gestalt.  Leipzig  1886.  Art.  „Armenwesen"  (Grofsbritannieu)  im  Handwörter- 
buch für  Staatswissenschaften,  Bd.  I,  S.  873 — 883  vom  gleichen  Verfasser. 


Mis  zellen.  275 

durch  energisches  Eingreifen  in  exceptionellen  Notstandsfällen  eine  Hei- 
lung aussichtsreich  ist.  Zu  diesem  Behufe  nehmen  diese  Vereine  vor 
allem  mit  der  Armenpflege  Fühlung,  suchen  sich  in  der  Art  in  die 
Arbeiten  zu  teilen,  dafs  sie  dieser  diejenigen  Fälle  überlassen,  welche 
auf  allgemein  typische  Krankheitserscheinungen  der  Volkswirtschaft  zu- 
rückgehen, der  Vereinsthätigkeit  aber  solche  vorbehalten,  bei  denen  es 
sich  um  Besonderheiten  der  Hilfsbedürftigkeit  handelt.  Die  Bezirksaus- 
schüsse, an  deren  Spitze  eine  Zentralstelle  wirkt,  setzen  sich  daher  mit 
den  Armenpflegern  und  anderen  personen-  und  ortskundigen  Leuten  in 
Verbindung,  ziehen  Erkundigungen  an  Ort  und  Stelle  ein,  nehmen  von 
den  Wohnungs-  und  Lebensverhältnissen  des  Bedürftigen  Einsicht,  prüfen 
auf  Grundlage  dieses  Materials  die  Hiltsbedürftigkeit,  den  Grad  und  die 
Art  der  zweckmäfsigen  Unterstützung  und  entscheiden  über  deren  ge- 
eignetste Form.  Die  Vereinsstatuten  setzen  fest,  welche  Gruppen  von 
Personen  überhaupt  von  jeglicher  Unterstützung  auszuschliefsen  sind,  wie 
notorische  Trunkenbolde,  Leute  von  zweifelhaftem  Rufe,  Arbeitsscheue, 
Leute,  die  überhaupt  fast  nie  in  regelmäfsiger  Arbeitsstellung  sich  be- 
finden u.  dgl.  m.  Die  Unterstützung  wird  nur  in  der  Wohnung  des 
Bedürftigen,  niemals  im  Bureau  des  Bezirksausschusssa  verabreicht.  Die 
gewährte  Unterstützung  besteht  teils  in  Geld,  teils  in  Naturalien,  je  naoh- 
dem  es  für  angemessen  erachtet  wird. 

Es  ist  klar,  dafs  die  Charity  Organisation  Society  zu  ihrem  Wirk- 
samwerden einer  grofsen  Anzahl  opferfreudiger  Leute  bedarf,  welche  mit 
hingebendem  Eifer  sich  der  Pflege  des  Unterstützungswesens  widmen,  die 
unablässig  Erkundigungen  einziehen,  die  einzelnen  Fälle  prüfen,  die 
Kontrolle  übernehmen  und  ihre  Zeit  und  Mühewaltung  in  den  Dienst 
dieser  Gesellschaften  stellen.  Diese  Vereine  haben  aber  neben  ihrer 
praktischen  Thätigkeit  noch  die  Aufgabe  sich  gestellt,  wissenschaftliche 
und  statistische  Grundlagen  für  die  Beurteilung  und  Lösung  der  Arbeits- 
losenfrage  zu  liefern. 

Andere  ständig  wirkende  Agentien  in  der  Fürsorge  für  die  Arbeits- 
losen in  Form  von  Arbeiterkolonien  oder  Werkstätten  bestehen  in  Eng- 
land nur  einzeln  und  ausnahmsweise.  Indessen  mufs  hier  wenigstens  die 
soziale  Aktion  der  Heilsarmee  (Social  Wing  of  the  Salvation 
Army)  erwähnt  werden,  deren  Thätigkeit  wesentlich  mit  ihren  religiösen 
Bestrebungen  zusammenhängt.  Die  Heilsarmee  hat  neben  allgemein  phil- 
anthropischen Anstalten,  wie  Depot  von  Nahrungsmitteln,  Rettungshäusern 
u.  s.  w.  in  dreifacher  Weise  für  die  Arbeitslosen  zu  sorgen  gesucht.  Ein- 
mal hat  sie  eine  Arbeitsbörse  (National  Labour  Exchange)  errichtet,  wo 
für  arbeitsfähige  Beschäftigungslose  der  Arbeitsnachweis  vermittelt  wird. 
Dieselbe  wird  vom  Hauptquartier  auB  geleitet  und  steht  mit  den  Asylen 
für  Obdachlose  in  Verbindung.  Sodann  unterhält  die  Heilsarmee  Arbeits- 
werkstätten (Elevator  Workshops),  in  welchen  eine  Anzahl  der  bei  der 
Arbeitsbörse  vorgemerkten  Arbeitslosen  in  verschiedener  Weise  beschäftigt 
wird.  Und  endlich  hat  sie  in  Essex  eine  Farmerkolonie  (Farm  Colony) 
ins  Leben  gerufen,  in  welcher  Arbeitskräfte  der  „Elevator"- Werkstätteu, 
sowie  auoh  solche  Personen  beschäftigt  werden,  welche  sich  direkt  an  die 
Verwaltung  der  Kolonie    wenden.      Die    ganze    soziale  Aktion    der  Heils- 

18* 


276  Mis  zellen. 

urmee  ist  verhältnismäfsig  jung,  sie  besteht  iu  nennenswertem  Umfang 
erst  seit  1891.  Trotzdem  hat  sie  es  verstanden,  auch  innerhalb  dieses 
kleinen  Spielraums  recht  anerkennenswerte  Resultate  zu  erzielen. 

Zwischen  diesen  Versuchen  und  der  sozialen  Reformarbeit  der  ver- 
schiedenen Zweige  der  Charity  Organisation  Society  bestehen  mancherlei 
Unterschiede.  Denn  abgesehen  von  dem  religiösen  Beiwerk  der  Heils- 
armee ist  deren  soziale  Thätigkeit  in  höchstem  Grade  zentralisiert,  während 
dort  der  Schwerpunkt  auf  der  Dezentralisation  und  Lokalisierung 
liegt.  Der  Grundzug  der  Heilsarmee  ist  die  unmittelbare  Versorgung  mit 
Arbeit  und  ihre  ganze  Organisation  ist  darauf  gerichtet,  unabhängig  von 
anderen  Einrichtungen  zu  wirken,  ohne  auf  diese  Rücksicht  zu  nehmen, 
zu  ergänzen,  zu  unterstützen.  Die  Charity  Organisation  Society  dagegen 
sucht  mit  anderen  Anstalten  stete  Fühlung  zu  nehmen  und  unterzieht  die 
Hilfsbedürftigen  einer  genauen  Prüfung.  Gerade  das  Letztere  aber  spielt 
bei  der  Heilsarmee  nur  eine  untergeordnete  Rolle.  Aufser  London  hat 
die  Heilsarmee  sich  bestrebt,  mit  einem  Netze  gleichartiger  Institute  auch 
das  übrige  Land  zu  umspannen. 

Die  Kirchen-Arbeiterheime  (Church  Army  Labour  Homes) 
wollen  in  den  ärmsten  und  bedürftigsten  Pfarreien  für  Arbeitslose  eine 
Unterkunft  schaffen,  um  die  aus  ihren  Arbeitsstellen  Verdrängten  vor 
Verwahrlosung  zu  schützen,  sie  zur  Arbeit  und  Thätigkeit  anzuhalten, 
damit  sie  nicht  infolge  von  Beschäftigungslosigkeit  arbeitsscheu  werden, 
hoffnungslos  verkommen  und  zum  Verbrechertum  herabsinken.  Die  Zahl 
der  Untergebrachten  soll  so  beschränkt  sein,  dafs  eine  persönliche  Beein- 
flussung und  Beaufsichtigung  des  Einzelnen  möglich  ist.  Das  Maximum 
beträgt  daher  25  Personen  für  je  ein  Arbeiterheim.  Die  erste  dieser  An- 
stalten ward  Ende  1889  eröffnet.  Heute  bestehen  6  für  Männer,  1  für 
Frauen  und  1  für  jugendliche  Personen.  Jeder  Aufnahme  geht  eine  ge- 
naue Prüfung  des  Falles  voran,  ob  Aussicht  auf  Hilfe  besteht,  während 
sonst  das  Armenrecht  einzutreten  hat.  Die  Kirchen -Arbeiterheime  be- 
thätigen  ihre  Wirksamkeit  thunliohst  in  Verbindung  mit  den  Armen- 
pflegern, den  Bezirksausschüssen  der  Charity  Organisation  Society  und 
anderen  Veranstaltungen  zur  Fürsorge  für  Arbeitslose. 

Jeder  Hausgenosse  soll  durch  seine  Arbeit  6  sh.  in  der  Woche  ver- 
dienen, wofür  ihm  Verpflegung  verabreicht  wird.  Erreicht  sein  Arbeits- 
verdienst diese  Summe  in  einer  Woche  einmal  nicht,  so  erleidet  er  von 
seinen  folgenden  Wochenlöhnen  keinen  Abzug,  falls  er  nach  besten  Kräften 
seine  Verrichtungen  versieht.  Wenn  aber  einer  aus  Trägheit  oder  Nach- 
lässigkeit den  Wochenansatz  für  die  Verpflegung  nicht  erarbeitet,  kann  er 
sofort  entlassen  werden.  Was  ein  Hausgenosse  über  6  sh.  verdient,  wird 
für  ihn  als  Ersparnis  zurückgelegt.  In  den  beiden  ersten  Monaten  erhält 
jeder  seinen  vollen  Arbeitsverdienst,  die  Hälfte  im  dritten  und  keine  Ent- 
lohnung im  vierten  Monat.  Denn  nach  einem  Vierteljahre  wird  ange- 
nommen, dafs  die  Zeit  hinreichend  lang  gewesen  sei,  um  sich  aufserhalb 
der  Herberge  um  Arbeit  umzusehen.  Aufserdem  erhält  jeder  Insasse 
wöchentlich  1  sh.  Taschengeld  zu  freier  Verfügung.  Der  Ueberschufs 
über  7  sh.  wird  zur  Bekleidung  oder  zum  Unterhalte  seiner  Frau  und 
Kinder  verwendet  oder  dem  Arbeiter  beim  Verlassen  des  Heims  ausbezahlt. 


M  i  s  z  e  1 1  en.  277 

Ein  wesentlicher  Grundton  der  ganzen  Einrichtung  ist  die  Hinleitung  auf 
sittlichen,    christlichen   Lebenswandel,    auf   streng   hoohkirchliches  Leben. 

Der  Erziehungshof  in  Langley  (Training  Farm  at  Langley) 
ist  eine  Anstalt,  in  welcher  Arbeitslose  geschult  werden,  um  taugliche 
Arbeitskräfte  für  die  Farmen  in  Kanada  abzugeben.  Die  betr.  Leute 
werden  von  der  Charity  Organisation  Society,  der  Seif  Help  Emigration 
Society  und  dem  Direktor  der  Anstalt  ausgewählt.  Wenn  möglich,  ent- 
richten die  Gesellschaften,  welche  die  Leute  empfehlen,  oder  sonst  Gönner 
und  Freunde  derselben  für  sie  einen  kleinen,  wöchentlichen  Unter- 
haltsbeitrag. Das  Unternehmen  wird  von  einem  erfahrenen  Verwalter  ge- 
leitet, welcher  über  8  Arbeiter  die  Aufsicht  führt  und  die  Arbeiten  der 
Farm  leitet.  Bewerber  müssen  den  Weg  von  45  Meilen  zur  ,,Bird  Green 
Farm"  von  London  aus  zu  Fufs  zurücklegen  und  ohne  Bezahlung  in  der 
Farm  arbeiten.  Sie  leben  in  strenger  Disziplin  in  dem  Hause  mit  dem 
Verwalter  und  seiner  Familie  zusammen,  allwo  sie  unentgeltlich  verpflegt 
werden.  Die  Zeit  ihres  Aufenthalts  währt  6  bis  8  Wochen.  Jeder  dieser 
Arbeiter  erhält,  sobald  er  sich  die  nötige  Fertigkeit  im  Gebrauche  der 
Ackergerätschaften  und  in  den  landwirtschaftlichen  Arbeiten  angeeignet 
hat,  eine  Anstellung  in  Pflanzungen  von  Kanada.  Die  Ueberfahrtskosten 
werden  ganz  oder  wenigstens  zum  Teil  von  der  Seif  Help  Emigration  So- 
ciety bestritten.  Ueber  das  Fortkommen  der  Auswanderer  erhält  die  An- 
stalt Berichte.  Von  denselben  haben  sich  bis  jetzt  nur  3  als  zur  Kolonial- 
arbeit untauglich  erwiesen  und  mufsten  zurückbefördert  werden x).  Das 
ganze  Institut  dient  indessen  weniger  einem  einheitlichen  Prinzipe  der 
Fürsorge  für  die  Arbeitslosen,  als  es  vielmehr  im  Interesse  der  Koloni- 
sation wirkt,  um  die  kanadischen  Farmen  mit  den  erforderlichen  und  aus- 
reichend geschulten  Arbeitskräften  zu  bevölkern. 

Die  Arbeiterkolonien-Gesellschaft  (Home  Colonization  So- 
ciety) in  Westmoreland  ist  ein  Versuch,  das  System  der  Arbeiterkolonien, 
wie  es  in  Holland  besteht,  auch  auf  britischem  Boden  einzubürgern.  Die 
holländischen  Einrichtungen  dienten  hier  zum  Vorbild.  Man  will  arbeits- 
fähigen Arbeitslosen  in  „Industriedörfern"  Unterkunft  und  Arbeit  ver- 
schaffen. Nach  dem  im  Jahre  1888  entworfenen  Plane  sollte  eine  Anzahl 
von  arbeitsfähigen  Männern  und  Frauen  in  irgend  einem  ländlichen  Di- 
strikte angesiedelt  und  ihnen  ein  Land  zur  Bewirtschaftung  übergeben 
werden.  Auf  diese  Weise  sollten  sie  in  den  Stand  gesetzt  werden,  ihre 
eigenen  Bedürfnisse  durch  ihre  eigene  Arbeitsthätigkeit  zu  befriedigen  und 
es  sollte  hierdurch  die  Benutzung  eines  Marktes  überflüssig  gemacht 
werden.  Sie  sollten  selbst  ihr  Brot  produzieren  und  backen,  ihre  Kleider 
selbst  weben  und  verfertigen,    die  Erzeugnisse  gegenseitig  austauschen  u. 


1)  Von  72  Arbeitslosen  (Mai  1891  bis  Juni  1893) 

a)  kamen  in  der  Farm  überhaupt  Dicht  an 6 

b)  wurden  wegen  Unbotmäfsigkeit  und  schlechter  Führung  entlassen  12 

c)  fanden  eine  Unterkunft  in  England  selbst 5 

d)  wurden  nach  Kanada  ausgeschifft 39 

e)  wurde  nach  Neuseeland  ausgeschifft 1 

f)  befanden  sich  (Juni  1893)  in  der  Farm  zu  Langley      ...  9 


72 


278  M  i  s  z  e  1 1  e  n. 

dgl.  m.  Gegen  persönliche  Dienstleistungen  sollen  die  Kolonisten  die 
nötige  Nahrung,  Bildungs-,  Heilmittel  etc.  empfangen.  Ein  Teil  des  Bodens 
wird  gemeinschaftlich  bewirtschaftet  und  sein  Ertrag  auf  dem  Markte  ver- 
kauft, um  die  Unterhaltskosten  der  Kolonie  zu  bestreiten.  Heute  schon 
besitzt  die  Kolonie  131  Acres  Land,  das  von  22  Ansiedlern  bebaut  wird. 
Diese  Kolonie  ist  als  eine  ständige  Einrichtung  gedacht;  die  Arbeitslosen 
sollen  hier  eine  dauernde  Heimstätte  finden.  Es  ist  also  nicht  beabsich- 
tigt, den  Arbeitslosen  nur  solange  eine  Unterkunft  zu  gewähren,  bis  sie 
eine  passende  Arbeitsstelle  gefunden  haben.  Im  ersten  Jahre  schien  die 
junge  Unternehmung  eine  Zeit  lang  gefährdet,  da  Streitigkeiten  über  die 
Verwaltung  und  Leitung  der  Arbeiterkolonie  entstanden.  Einzelne  der 
ersten  Ansiedler  scheinen  keine  eigentlichen  Arbeitslosen  gewesen  zu  sein, 
sondern  lediglich  durch  den  Reiz,  in  einer  Gemeinde  eine  Bolle  zu  spielen, 
angelockt  worden  zu  sein.  Erst  mit  Beseitigung  der  turbulenten  Elemente 
traten  normale  Zustände  wieder  ein,  konnte  eine  gedeihliche  Entwickelung 
angebahnt  werden. 

Neuerdings  hat  sich  eine  andere  Gesellschaft,  die  English  Land  Co- 
lonization  Society  gebildet,  mit  dem  Zwecke,  Farmerkolonieen  zu  gründen. 
Ein  praktisches  Ergebnis  ist  indessen  bislang  noch  nicht  zu  verzeichnen. 

IV. 

Der  Arbeitsnachweis  und  die  Arbeitsvermittelung  in  Gestalt  vorüber- 
gehender unständiger  Einrichtungen  wurden  im  Winter  1892 
bis  1893  vornehmlich  von  den  Gemeindebehörden  organisiert.  Auf  den 
wirtschaftlichen  Aufschwung,  welcher  mit  dem  Jahre  1888  einsetzte  und 
1890  seinen  Höhepunkt  erreicht  hatte,  war  eine  Zeit  beträchtlicher  De- 
pression gefolgt.  Die  Raschheit,  mit  der  sich  dieser  Umschwung  voll- 
zog, hatte  auch  eine  zunehmende  Arbeitslosigkeit  in  breiten  Schichten 
der  Arbeiterschaft  im  Gefolge.  Nach  den  Monatsausweisen  der  Gewerk- 
vereine ergab  sich  im  zweiten  Halbjahr  1892  folgendes  Verhältnis 
zwischen  der  Zahl  der  Arbeiter  der  Gewerkvereine  und  ihren  stellenlosen 
Mitgliedern.  Es  betrugen  nämlich  die  Arbeitslosen  von  der  Gesamtzahl 
im  Monat 


Juli 

5»90 

Proz 

August 

5»oo 

>» 

September 

6,20 

>t 

Oktober 

7.30 

» 

November 

8,20 

)> 

Dezember 

10,20 

»» 

Zum  Vergleiche  hierzu  mögen  hier  die  Prozentsätze  eingeschaltet 
werden,  welche  nach  der  Statistik  der  Gewerkvereine  von  1887  — 1892 
bestanden.  Diese  waren  von  1887 — 1890  im  allmählichen  Sinken  be- 
griffen, sie  begannen  mit  9  Proz.  im  Jahre  1887,  um  in  der  Folgezeit 
fortwährend  herabzugehen.  Ihren  tiefsten  Stand  weisen  sie  im  Februar 
1890  auf,  in  welchem  sie  auf  1,50  Proz.  zurückgehen.  Von  dieser  Zeit 
an  beobachten  wir  ein  langsames  Steigen,  welches  im  Dezember  1892 
auf  10,20  Proz.  emporschnellt.     Zur    richtigen  Beurteilung    dieser  Zahlen 


Misz  eilen.  279 

ist  jedoch  zu  bemerken,  dafs  die  Gewerkvereine  diese  statistischen  Daten 
Gewerken,  wie  denjenigen  der  Maschinen-  und  Schiffbauer  vornehmlich 
entnehmen,  also  zur  Aufnahme  Industriezweige  wählen,  welche  für  die 
geringfügigsten  Wandlungen  des  Arbeitsmarktes  sehr  empfindlich  sind. 
Um  deswillen  kann  man  aber  auch  füglich  annehmen,  dafs  im  Durch- 
schnitte zur  Charakterisierung  der  Arbeitslosenstatistik  diese  Zahlen  zu 
hoch  gegriffen  sind,  dafs  sie,  um  zur  Vergleichung  brauchbar  zu  sein, 
entsprechend  reduziert  werden  müssen.  Der  Report  glaubt  als  Anhalts- 
punkt eine  Verhältniszahl  von  4  :  10  bezeichnen  zu  dürfen.  Auoh  ist 
zu  bemerken,  dafs  der  Begriff  „arbeitslos"  nach  der  Terminologie  der  Ge- 
werkvereine sich  nicht  deckt  mit  „unterstützungsbedürftig"  und  dafs  nicht 
jeder,  welcher  in  ihrer  Statistik  als  „unemployed"  aufgeführt  ist,  Anspruch 
auf  „Arbeitslosenbeiträge"  (Unemployed  Benefit)  erheben  kann,  weil  das 
Moment  der  Notlage,  der  distress,  mangelt. 

Dieser  Notstand,  welcher  sich  infolge  der  anhaltenden  wirtschaft- 
lichen Depression  unter  der  Arbeiterschaft  einstellte,  veranlafste  die  Ge- 
meindebehörden und  Gemeindeverwaltungen  wenigstens  zu  versuchen,  die 
Folgen  der  dauernden  Arbeitslosigkeit  zu  lindern.  Die  Bestrebungen 
zeigten  sich  zunächst  in  London,  wo  das  Elend  besonders  bedenkliche 
und  bedrohliche  Dimensionen  angenommen  hatte;  später  folgten  die  In- 
dustriecentren in  den  Provinzen  des  Reiches  nach. 

Auf  einem  Delegiertentag  des  Londoner  Gewerberates  am  22.  Sept. 
1892  wurde  beschlossen,  mit  den  Vereinen,  welche  mit  dem  Gewerberate 
Beziehungen  unterhalten,  in  Verbindung  zu  treten,  wie  mit  der  South 
Side  Labour  Protection  League,  der  Shipping  Trades  Federation',  dem 
Poplar  Labour  Eleotoral  Committee  u.  dgl.  Mittels  dieser  Vereinigungen 
sollte  eine  ungefähre  Schätzung  der  Zahl  der  Arbeitslosen  in  London 
versucht  und  sollten  zugleich  Mittel  und  Wege  angegeben  werden,  wie 
diese  Tausende  von  brotlosen  Arbeitern,  deren  Zahl  beim  hereinbrechen- 
den Winter  von  Tag  zu  Tag  wuchs,  nützlich  zu  beschäftigen  seien. 
Ungefähr  tausend  Fragebogenexemplare  wurden  an  Arbeiterorganisationen 
und  andere  Stellen  mit  der  Bitte  versendet,  Mitteilungen  über  Zahl  und 
Beschäftigung  der  unverschuldet  Arbeitslosen  dem  Amte  zukommen  zu 
lassen.  Dem  Fragebogen  sollten  Atteste  beigeschlossen  werden,  dafs  die 
namhaft  gemachten  Personen  ganz  oder  teilweise  aufser  Stellung  seien. 
Nur  56  Formulare  wurden  an  die  Ausgabestelle  zurückgeleitet  und  zwar 
die  Mehrzahl  mit  dem  Bemerken,  dafs  die  Sache  „praktisch  ohne  Wert" 
sei.  Nach  dem  Fehlschlagen  dieses  Projektes  wandte  sich  der  Gewerbe- 
rat an  die  Londoner  Gemeindeverwaltung.  Diese  wurde  ersucht,  Mafs- 
regeln  zu  treffen,  um  die  herrschende  Arbeitslosigkeit  und  Arbeitsnot  zu 
lindern  und  in  einem  Cirkular  die  Bezirks  Verwaltungen  aufzuforden,  sie 
sollten  in  ihren  Bezirken  möglichst  ausgedehnte  Notstandsarbeiten  in  An- 
griff nehmen  lassen.  Desgleichen  erging  an  die  Londoner  Pfarrdistrikte 
und  ähnlichen  Verwaltungsstellen  ein  Rundschreiben,  welches  dieselben 
bat,  temporär  Arbeitsnachweisstellen  (Temporary  Labour  Exchanges)  ein- 
zurichten, um  den  Arbeitslosen  vakante  Arbeitsstellen  nachzuweisen  und 
die  ArbeitBvermittelung  zu  organisieren.  Ebenso  fand  der  Gewerberat 
eine    Vertretung    von     6    Delegierten    im    Verbände     einer    Organisation, 


280  Miszellen. 

welche  von  der  sozialdemokratischen  Vereinigung  und  anderen  Arbeiter- 
und politischen  Vereinen  im  Herbste  gebildet  wurde  zum  Zweck,  die  Er- 
laubnis zur  Abhaltung  öffentlicher  Versammlungen  auf  dem  Trafalgar 
Square  zu  erwirken.  Nachdem  dies  erreicht  war,  nahm  der  Ausschufs 
den  Titel  Unemployed  Organisation  Committee  an  und  stellte  sich  die 
Aufgabe,  durch  öffentliche  Agitation  die  gemeindlichen  Behörden  zur  Be- 
schäftigung der  Arbeitslosen  zu  veranlassea. 

Dieses  Komittee  veranstaltete  eine  Reihe  von  Arbeitslosen-Meetings, 
entsendete  Deputationen  an  die  Regierungs-  und  Ministerialbehörden,  so- 
wie an  die  Kommunalverwaltungen. 

Am  14.  November  1892  erliefs  die  Stadtverwaltung  ein  Cirkular  an 
die  ihr  unterstellten  Behörden.  Abgesehen  von  verschiedenen  Versuchen 
einzelner  Kirchspielverwaltungen  in  London,  dem  Municipal  Relief  Work 
und  der  Mansion  House  Conference ,  haben  eine  Anzahl  von  Gemeinde- 
organen in  London  Einrichtungen  zur  vorübergehenden  Unterstützung  der 
Arbeitslosen  geschaffen.  In  der  Hauptsache  haben  sie  sich  indessen  darauf 
beschränkt,  Geld-  oder  andere  Unterstützungen  durch  Schaffung  von 
Arbeitsgelegenheit  nach  mehr  oder  weniger  sorgfältigen  Erhebungen  zu 
gewähren.  In  Poplar,  St.  George- in-the-East,  Hoxton,  Newington  und 
Camberwell  wurden  vorübergehend  Ausschüsse  eingerichtet,  welche  mit 
einer  Zentralorganisation ,  dem  Clearing  House  for  the  Unemployed ,  in 
Verbindung  standen.  Die  Lokalkomitees  wurden  zusammengesetzt,  ganz 
oder  teilweise  aus  den  Kreisen  der  Arbeitslosen  selbst,  während  der  zu- 
ständige Pfarrer  oder  sonst  eine  geeignete  Person  den  Vorsitz  führte. 
Die  Mitglieder  des  Arbeitslosenkomitee  erhielten  Geldentschädigungen  in 
Beträgen  von  10  sh.  bis  25  sh.  per  Woche,  bezw.  6  d.  für  die  Stunde, 
um  über  die  Bewerber  Erhebungen  pflegen  zu  können.  Diejenigen 
Arbeitslosen,  welche  als  „qualifiziert"  bezeichnet  wurden,  erhielten  Unter- 
stützungen gegen  entsprechende  Arbeitsleistungen.  Die  Skala  der  Sätze 
wurde  von  der  Zentralstelle  aufgestellt  und  wechselte  je  nach  dem  Um- 
fange der  Familie  des  Arbeitslosen.  Die  Nachforschungen  waren  indessen 
nicht  überall  von  wünschenswertem  Erfolge  begleitet.  Im  allgemeinen  gab 
man  verheirateten  Arbeitslosen  unter  55  Jahren  den  Vorzug  bei  der  An- 
stellung. Die  Mittel  zur  Durchführung  dieser  sozialen  Aktion  wurden 
zum  Teil  durch  einen  Garantiefonds,  welchen  die  Zentralstelle  angesammelt 
hatte,  zum  Teil  durch  lokale  Subskriptionen  aufgebracht.  Im  ganzen  ver- 
teilte das  Central  Clearing  House  durch  Vermittelung  von  6  Lokalkomitees 
722  £ ,  wozu  noch  die  Subskriptionen  der  Bezirksausschüsse  kamen. 
Auch  durch  andere,  bereits  bestehende  Organisationen,  wie  die  Charity 
Organisation  Society,  hat  das  Central  Clearing  House  etwa  die  gleiche 
Summe  zur  Verwendung  gelangen  lassen.  Alles  in  allem  genommen  läfst 
sich  die  Höhe  der  gesamten  Unterstützungen  etwa  auf  2500  £  veran- 
schlagen. 

In  den  Provinzen  des  Reiches  wurden  ähnliche  sozialpolitische 
Aktionen  zu  gunsten  der  Arbeitslosen  ins  Werk  gesetzt,  von  welchen 
diejenigen  in  Leeds  und  Liverpool  die  bedeutendsten  waren.  Denn  ge- 
rade in  diesen  Industriezentren  hat  der  Notstand  der  Arbeitslosigkeit  in 
besonderem  Mafse  die  Aufmerksamkeit  weiter  Bevölkerungsklassen  auf 
sich  gelenkt. 


Miszellen.  281 

In  Leeds  war  die  Kalamität  der  Arbeitslosigkeit  durch  die  dauernde 
Depression  der  Eisenindustrie  eine  besonders  akute  und  der  Mangel  an 
Arbeit  nahm  während  des  Herbstes  1892  und  des  Winters  1892 — 93  in 
beträchtlichem  Umfange  zu.  Schon  im  Herbste  wurden  zahlreiche  Arbeits- 
losen-Meetings veranstaltet  auf  den  Town  Hall  Square,  infolge  deren  die 
Gemeindeverwaltung  eine  Summe  von  10  000  £  zu  gunsten  der  Arbeits- 
losen votierte.  Dieselben  wurden  zu  Erdarbeiten  bei  Herstellung  von 
neuen  Parks  und  Anlagen  im  Distrikte  verwendet.  Demgemäfs  wurde 
von  dem  City  Engineers  Office  eine  Arbeitslosenstatistik  aufgenommen, 
bei  welcher  jeder  Bewerber  persönlich  zu  erscheinen  hatte  und  die  Frage- 
punkte beantworten  mufste.  Diese  bezogen  sich  auf  Alter,  Beschäftigung, 
Familienstand,  Bezeichnung  des  letzten  Arbeitgebers,  Dauer  der  Arbeits- 
losigkeit, Ursache  der  Aussoheidung  aus  der  letzten  Arbeitsstelle,  Länge 
des  Aufenthalts  in  Leeds,  Zahl  der  Familienmitglieder  ohne  selbständigen 
Erwerb,  anderweite  Unterstützungen  u.  s.  w.  Die  Angaben  konnten  im 
einzelnen  naturgemäfs  nicht  alle  kontrolliert  werden  ,  doch  wurde  der 
letzte  Arbeitgeber  des  Bewerbers  über  die  wichtigsten  Punkte  um  Auf- 
schlufs  ersucht.  Jeder  zugelassene  Arbeitslose  wurde  die  ersten  oder  die 
letzten  drei  Tage  der  Woche  zu  einem  Stundenlohn  von  5  d.  mit  neun- 
stündiger Arbeitszeit  von  der  Ortsverwaltung  beschäftigt,  so  dafs  er  sich 
in  der  Woche  11  sh.  3  d.  verdienen  konnte.  Die  übrigen  drei  Tage  der 
Woche  konnte  er  sich  anderwärts  um  Arbeit  umsehen.  Die  Notstands- 
arbeiten begannen  am  15.  Dezember  und  endigten  am  26.  April,  als  die 
gröfsten  Schwierigkeiten  überwunden  waren.  Nach  Schlufs  dieser  Arbeiten, 
als  der  tüchtigere  Teil  der  Arbeitslosen  Unterkunft  gefunden  hatte,  während 
zahlreiche,  weniger  taugliche  Arbeiter  wegen  Ungehorsam  oder  sonstiger 
Vergehen  entlassen  wurden,  erneuerten  diese  letzteren  die  Meetings. 
Neue  Notstandsarbeiten  wurden  nicht  mehr  in  Angriff  genommen,  doch 
wurde  ein  „Arbeitsbureau"  errichtet. 

In  Liverpool  tritt  alljährlich  in  den  Wintermonaten  ein  gröfserer 
oder  geringerer  Notstand  ein,  welcher  durch  die  Stagnation  der  Arbeiten 
auf  den  Docks  etc.  verursacht  wird.  Eine  Depression ,  welche  6ich  im 
Schiffsgewerbe  in  der  letzten  Zeit  geltend  machte,  hat  im  letzten  Winter 
die  chronische  Arbeitslosigkeit  zu  einer  akuten  gesteigert.  Die  ohnehin 
1891 — 92  länger  als  gewöhnlich  anhaltende  Notlage  wurde  noch  durch 
die  Geschäftsstille,  Ausstände  und  Flauheit  in  anderen  Erwerbszweigen, 
insonderheit  auf  dem  Gebiete  der  Baumwollenindustrie  noch  vermehrt. 
Die  Arbeitslosen  erreichten  eine  Zahl  von  10  047,  wovon  2025  Dock- 
arbeiter, 1691  Arbeiter  der  Baumwollen-  und  verwandten  Industrien,  751 
Matrosen  waren  und  497  den  Gewerben  des  Schiffsbaus  angehörten.  Aus 
den  Arbeitslosenversammlungen  ging  die  „Association  of  the  Unemployed 
hervor,  welche  von  privaten  Subskriptionen  unterstützt  wurde  und  3774 
Beschäftigungslose  registrierte.  "Von  diesen  waren  nur  2,90  Proz.  ge- 
lernte Arbeiter.  Doch  nur  der  geringste  Teil  derselben,  etwa  80  Mann, 
konnten  von  dieser  Vereinigung  in  Arbeitsstellen  untergebracht  werden.  In 
den  Monaten  Februar  bis  Mai  trat  eine  neue  Gesellschaft,  die  Liverpool 
Central  Kelief  Society  in  Thätigkeit,  welche  sich  mit  der  Charity  Organi- 
sation Society  verband.      Ebenso    wurde    der  Arbeitsnachweis    von    neuem 


282  Miszellen. 

durch  das  Central  Labour  Bureau  organisiert,  das  gegen  eine  kleine  Ge- 
bühr 2100  Arbeitslose  registrierte.  Aber  auch  diese  Anstalt  prosperierte 
nicht  und  vermochte  nur  30 — 40  Leuten  Arbeit  zu  verschaffen.  Eine 
gröfsere  Aktion  kam  hier  nicht  zustande,  vornehmlich  deswegen,  weil  das 
Liverpool  Trades'  Council  der  Ansicht  war,  dafs  die  Arbeitslosendemon- 
strationen das  Elend  in  viel  grelleren  Farben  male,  als  es  den  That- 
sachen  entspreche.  Die  Folge  davon  sei  ein  Anreiz  für  die  Unternehmer, 
in  den  Zeiten  der  herrschenden  Geschäftsflauheit  eine  Herabsetzung  der 
Löhne  zu  versuchen. 

Auch  in  anderen  Centren  der  industriellen  Thätigkeit  hat  man  in 
gröfserem  oder  geringerem  Umfange  der  Arbeitslosigkeit  durch  die  Aus- 
führung von  Notstandsarbeiten  entgegenzutreten  gesucht.  Der  Erfolg  war 
dabei  ein  höchst  verschiedener. 

Hiermit  schliefsen  wir  unseren  Bericht.  Wir  haben  in  demselben 
versucht,  die  Bestrebungen  zu  charakterisieren,  welche  in  Grofsbritannien 
zur  Bekämpfung  der  Arbeitsnot,  zur  Linderung  der  wirtschaftlichen  und 
sozialen  Folgen  der  Arbeitslosigkeit  ins  Leben  traten.  Wir  haben  uns 
dabei  aber  zugleich  auf  die  Schilderung  des  Typischen  beschränken  müssen 
und  verweisen  für  alle  Detail ausführungen  auf  die  Enquete  selbst.  Viel- 
leicht ist  es  dem  Referenten  doch  einigermafsen  geglückt,  ein  Bild  der 
Fürsorge  für  die  Arbeitslosen  zu  entwerfen,  die  hauptsächlichsten  Grund- 
züge zu  schildern. 

Auf  die  beiden  Exkurse,  welche  den  Titel  Foreign  and  Colonial 
Examples  und  Historical  Examples  führen,  konnten  wir  des  Näheren  nicht 
eingehen,  ohne  den  verfügbaren  Raum  erheblich  zu  überschreiten.  Sie 
enthalten  indessen  zum  grofsen  Teil  bekannte  Thatsachen,  welche  bereits 
anderwärts,  wie  die  deutschen  Arbeiterkolonien,  die  Nationalwerkstätten 
und  Arbeitsbörsen  in  Frankreich  u.  s.  w.,  eine  eingehendere  Behandlung 
und  Darstellung  gefunden  haben. 

Würzburg,  August  1894. 


L  i  1 1  e  r  a  t  u  r.  283 


Litteratur. 


i. 

Lehr,  J.,  Grundbegriffe  und  Grundlagen  der  Volkswirtschaft. 

Zur  Einführung  in  das  Studium    der  Staatswissenschaften.     Leipzig  1893. 

C.  L.  Hirsohfeld.     gr.  8.     XIV  u.  375  SS.     Zugl.  1.  Band  der  I.  Abteilung 

des    „Hand-    und    Lehrbuchs    der    Staats  Wissenschaften     in     selbständigen 

Bänden"  herausgegeben  von  Kuno  Frankenstein. 

Besprochen  von  W.  L  e  x  i  s. 

Der  vorliegende  erste  Band  des  von  Dr.  Frankenstein  unternommenen 
staatswissenschaftlichen  Sammelwerkes  bildet,  wie  dies  auch  für  die  übrigen 
Bände  des  Gesamtwerkes  vorgesehen  ist,  ein  für  sich  abgeschlossenes 
Ganzes.  Er  behandelt  die  methodischen  Fragen  der  Volkswirtschaftslehre, 
die  Gesellschafts-,  Rechts-  und  Wirtschaftsordnung  als  notwendige  Voraus- 
setzung jeder  wirtschaftlichen  Kultur,  hauptsächlich  aber  die  Grundbegriffe, 
die  den  allgemeinen  Rahmen  für  jedes  die  volkswirtschaftlichen  Erschei- 
nungen wissenschaftlich  erfassende  System  bilden  müssen.  Der  Verfasser 
hat  im  wesentlichen  nur  die  Volkswirtschaft  in  ihrer  gegenwärtigen  Ge- 
stalt im  Auge;  das  historische  Element  tritt  fast  gänzlich  zurück,  was 
namentlich  in  dem  ziemlioh  kurz  gefafsten  Abschnitt  über  die  Gesell- 
schafts-, Rechts-  und  Wirtschaftsordnung  manchem  auffallen  wird.  Das 
Werk  sollte  eben  einen  rein  theoretischen  Charakter  haben  und  dem- 
nach sind  denn  auch  fünf  Sechstel  des  gesamten  Baumes  der  Unter- 
suchung der  allgemeinen  Begriffe ,  wie  Wirtschaft  und  Wirtschaftlichkeit, 
Wert,  Gut,  Vermögen,  Reiohtum,  Preis  gewidmet.  Die  Erörterung  des 
Preisbegriffs  verlangt  auoh  schon  eine  Darstellung  der  Preisbildung, 
die  wieder  nicht  ohne  die  allgemeine  Lehre  von  Arbeitslohn  und  Zins 
gegeben  werden  konnte ,  während  die  Einzelheiten  dieser  Lehren  dem 
folgenden  Bande  vorbehalten  sind.  Die  Eigentümlichkeit  und  das  Ver- 
dienst des  Werkes  besteht  nun  hauptsächlich  darin,  dafs  es  mit  umsichtiger 
Kritik  eine  Vermittelung  zwischen  den  neueren  Theorien  der  „öster- 
reichischen" Schule  namentlich  in  betreff  des  Wertes  und  der  „klassischen" 
Lehre  unternimmt  und  zugleich  in  möglichst  elementarer  Form  die  mathe- 
matische Methode,    wie  sie    von  Walras   und  anderen  ausgebildet  worden 


284  Litteratur. 

ist,  für  die  allgemeine  wirtschaftliche  Theorie  zu  verwerten  sucht,  ohne 
jedoch  den  Formeln  einen  zu  grofsen  Raum  zu  gewähren  und  mit  be- 
ständiger Erläuterung  ihrer  Ergebnisse  durch  Zurückgreifen  auf  die  un- 
mittelbare Anschauung. 

Lehr  will  den  neuen  Werttheorien  keineswegs  die  Bedeutung  bei- 
messen, die  von  manchen  ihrer  Vertreter  für  sie  in  Anspruch  genommen 
wird ,  aber  er  nimmt  Grenznutzen  und  Grenzwert  als  wohlberechtigte 
Begriffe  an,  die  zur  Aufhellung  der  psychologischen  Grundlagen  der  Wert- 
lehre mit  Nutzen  verwendet  werden  können.  In  der  That  ist  nicht  zu 
bezweifeln,  dafs  diese  Begriffe  sich  allmählich  auch  in  die  elementaren 
Lehrbücher  Eingang  verschaffen  werden,  wenn  sie  auch  zur  Vermehrung 
unserer  Einsicht  in  das  Getriebe  des  volkswirtschaftlichen  Prozesses  in 
seiner  thatsächlichen  heutigen  Gestalt  nicht  allzu  viel  beitragen  können.  Der 
Grenznutzen  tritt  schliefslich  doch  nur  —  allerdings  als  ein  besserer  Er- 
satz —  an  die  Stelle  des  „konkreten  Gebrauchswertes"  und  er  wird  wie  dieser 
aus  den  ganz  subjektiven  Empfindungen  der  einzelnen  Individuen  abge- 
leitet. In  der  Betrachtung  der  volkswirtschaftlichen  Massenerscheinungen 
aber  wird  auf  den  Gebrauchswert  unmittelbar  gar  keine  Rücksicht  ge- 
nommen; er  kommt  nur  mittelbar  als  die  Ursache  der  Nachfrage  zur 
Wirkung,  die  Nachfrage  aber  wird  nur  als  eine  Gesamterscheinung  auf- 
gefafst,  in  der  die  einzelnen  subjektiven  Gebrauchswertschätzungen  als 
solche  verschwinden.  Die  Gröfse  und  die  Aenderungen  der  Nachfrage 
können  statistisch  ermittelt  werden,  bei  theoretischen  Untersuchungen  aber 
wird  sie  einfach  wie  eine  Veränderliche  x  behandelt,  von  der  es  genügt 
zu  wissen,  dafs  sie  im  allgemeinen  mit  steigendem  Preise  abnimmt  und 
mit  sinkendem  zunimmt.  Nun  kann  man  ja  sagen,  es  wäre  doch  jeden- 
falls interessant  zu  erfahren,  wie  diese  Massenerscheinung  der  Nachfrage 
in  der  Volkswirtschaft  aus  den  individuellen  Wertschätzungen  hervorgehe. 
Ohne  Zweifel,  aber  die  Grenznutzentheorie  ist  weit  entfernt,  diese  Auf- 
gabe für  eine  entwickelte  Geldwirtschaft  mit  allgemeiner  Arbeitsteilung 
wirklich  zu  lösen.  Handelte  es  sich  um  eine  isolierte  Naturalwirtschaft, 
so  würde  die  Verwertung  des  Begriffs  des  Grenznutzens  allerdings  so 
ziemlich  die  einzige  Möglichkeit  darbieten,  einige  theoretische  Beziehungen 
in  die  im  übrigen  einfach  deskriptive  Darstellung  einer  solchen  Wirt- 
schaft hineinzubringen.  Man  könnte  die  an  sich  gänzlich  inkommensurablen 
Gebrauchswerte  von  Mitteln  zur  Befriedigung  verschiedenartiger  Bedürf- 
nisse, wie  z.  B.  von  Nahrungsmitteln  und  Brennmaterialien  wenigstens 
einigermafsen  vergleichbar  machen ,  indem  man  die  Nutzwirkungen  der 
letzten  nooh  verbrauchten  Mengen  einander  gleich,  also  z.  B.  die  Nutz- 
wirkung des  letzten  in  der  Wirtschaft  nach  verbrauchten  Pfundes  Brot 
gleich  der  der  letzten  zehn  Pfund  Holz  setzte ,  wobei  die  kleinsten  Zu- 
satzmengen vorläufig  und  annähernd  im  Verhältnis  zu  dem  thatsächlichen 
Gesamtverbrauch  der  einzelnen  Güter  in  einem  gewissen  Zeiträume  an- 
zunehmen wären.  Es  würde  dabei  vorausgesetzt,  dafs  der  Wirtschaftende 
durch  Erfahrung  allmählich  herausgebracht  hätte,  auf  welche  Art  er 
seine  und  die  ihm  noch  etwa  zur  Verfügung  stehende  fremde  Arbeits- 
kraft am  zweckmäfsigsten  ausnutzen,  d.  h.  ein  Maximum  der  Befriedigung 
seiner  Bedürfnisse    erlangen    könne,    und    wenn  dieses  Maximum  erreicht 


L  i  1 1  e  r  a  t  u  r.  285 

wäre ,    so    würden    eben    nach    dem    Gossen'schen  Satze    die  Genufs-    oder 
Nutzwirkungen  der  letzten  noch  verwendeten  Gütermengen  einander  gleich 
sein.     Freilich  würde  sich  daraus  noch  immer  nicht  die  Gröfse  der  Nutz- 
wirkung der    gesamten    verwendeten   Mengen   ableiten  lassen,  aber  immer- 
hin wäre    wenigstens    an   einem   bestimmten   Punkte    eine   Vergleichbarkeit 
der    Gebrauchswerte     ermöglicht     und     die    Bedeutung    dieses    Ergebnisses 
würde    um  so  gröfser  sein ,   je  zahlreicher    und  mannigfaltiger  die  in  der 
Wirtschaft  mit  einem  gegebenen  Arbeitsaufwande    erzeugten  Güter  wären, 
da  dann  die  verfügbare  Menge    eines  jeden    einzelnen    um  so  kleiner  und 
der    Grenznutzen    und    Grenzwert    desselben    um    so    gröfser    wäre.     Aber 
die    isolierte    Naturalwirtschaft    bleibt   immer    ein    sehr    unergiebiges    und 
rasch  erschöpftes  Untersuchungsfeld ,    weil    sie    in  der  höheren  Kulturent- 
wickelung der  menschlichen  Gesellschaft  keinen  Kaum  mehr  findet.     Auch 
für    die  Theorie   des    naturalen  Tausches,    bei    dem    beide  Beteiligten    nur 
ihren  Ueberflufs  weggeben  und  den  Rest  ihres  eigenen  Erzeugnisses  selbst 
brauchen,  kann  der  Begriff  des  Grenznutzens  noch  mit  Anschaulichkeit  zur 
Anwendung    gebracht    werden.      Es    fördert    in    der  That    unsere  Einsicht 
in  diesen  Vorgang,  wenn  wir  uns  klar  machen,  dafs  für  jeden  der  beiden 
Tauschenden    der  Grenznutzen    des    Restes    seiner    eigenen  Ware    mit  der 
Verminderung  dieses  Restes  steigt,    während  andererseits  der  Grenznutzen 
der  eingetauschten  Ware  mit  der  Menge  derselben  immer    mehr  abnimmt, 
dafs  also  jeder  den  Tausch  so  lange  fortzusetzen  geneigt  sein  wird,  bis  der 
Grenznutzen    der    beiden  Güterarten    für   ihn    gleich    wäre.      Nimmt   man 
ferner   an ,    dafs    der  Gesamtvorteil ,    den    die    beiden  Personen  durch  den 
Austausch  erlangen,  möglichst  grofs  werde,  so  ergiebt  sich  daraus  ein  be- 
stimmtes   Austauschverhältnis,     d.    h.    ein    bestimmter    Preis    der    einen 
Ware  durch  eine  Menge  der  anderen  ausgedrückt,    und   zwar  von  solcher 
Gröfse,    dafs    dabei    der    Grenznutzen    beider  Waren    für    beide    Personen 
gleich  wird,  für  jede  die  zuletzt  eingetauschte  oder  hingegebene  Menge 
gerade  ihren  Preis    wert   ist ,    während    die  vorher  ausgetauschten  Teil- 
mengen für  jeden  Beteiligten  noch  mehr  als  ihren  Preis  wert  waren.  — 
Aber  dieser  naturale  Tauschverkehr    ist    wieder    von    so  äufserst  geringer 
praktischer  Bedeutung   in    der    entwickelten  Volkswirtschaft,    dafs  es  sich 
kaum  lohnt,  ihn  zum  Gegenstand  besonderer  Untersuchungen    zu  machen. 
Bei  der  bestehenden  Geldwirtschaft  in   Verbindung  mit  der  Arbeitsteilung 
haben  die  Gegenstände,    die   jemand    herstellt   oder   mit    denen  er  Handel 
treibt,  meistens  für  ihn  selbst  überhaupt  keinen  Gebrauchswert  und  jeder 
ihm    auf  dem  Lager   bleibende  Rest  würde  ihm    geradezu  Schaden  verur- 
sachen.    Aber  auch  selbst  diejenigen,  die,  wie  die  Landwirte,    wenigstens 
einen  Teil  ihrer  Produkte  selbst  verzehren,  tauschen  das  Uebrige  nicht  aus 
gegen  Güter    von    konkretem  Gebrauchswert,    sondern    gegen  Geld.     Auf 
dieses  aber    passen    die  Anschauungen    überhaupt  nicht  mehr,    von  denen 
man  bei  der  ursprünglichen  Betrachtung  der   subjektiven  Nützlichkeit  be- 
stimmter Gebrauchs-    oder  Verbrauchsgegenstände    ausgegangen    ist.     Geld 
hat  als  solohes  überhaupt  keinen  konkreten  Gebrauchswert  im  eigentlichen 
Sinne,    es  hat  nur  Tauschwert    und    auch  diesen   nur  in  abstrakter  Form, 
es  kann  überhaupt   zu  einem  rein  formalen  Hilfsmittel  des  Verkehrs  aus- 
gebildet   werden,    wie    die    Möglichkeit   eines    seinen    Wert   behauptenden 


286  Litteratur. 

Papiergeldes  beweist.  Man  kann  nun  ja  allerdings  sagen,  dafs  das  Geld 
für  jeden  Besitzer  eine  gewisse  abstrakte  Nutzwirkung  habe,  die  sich  auf 
eine  unberechenbare ,  unendlich  mannigfaltige  Art  in  die  Befriedigung 
einzelner  konkreter  Bedürfnisse  auflöst.  Die  Grö'fse  dieser  abstrakten 
Nutzwirkung  aber  hängt  von  der  Menge  des  dem  Einzelnen  zur  Ver- 
fügung stehenden  Geldes  ab ,  insbesondere  also  von  seinem  Einkommen ; 
dieses  aber  ist  wieder  bedingt  durch  den  gröfseren  oder  geringeren  Er- 
folg, mit  dem  er  seine  wirtschaftlichen  Leistungen  in  der  Gesellschaft 
anderen  gegenüber  verwerten  kann ,  also  namentlich  auch  abhängig  von 
seinem  Kapitalbesitz  oder  Kapitalmangel  und  von  seiner  ökonomischen 
Abhängigkeit  oder  Machtstellung.  Das  Einkommen  eines  jeden  Einzelnen 
hängt  demnach  von  dem  Einkommen  und  den  Vermögensverhältnissen  aller 
anderen  Mitglieder  der  Gesellschaft  ab,  und  dieselbe  Abhängigkeit  be- 
steht auch  für  die  Art,  wie  der  Einzelne  sein  Einkommen  verteilt,  um 
sich  die  Mittel  zur  Befriedigung  seiner  verschiedenen  Bedürfnisse  anzu- 
schaffen. Daher  ist  auch  die  Kurve,  durch  die  man  sich  die  Beziehung 
zwischen  der  Nutzwirkung  und  der  Menge  eines  Gutes  für  eine  bestimmte 
Person  dargestellt  denken  kann,  keineswegs  einfach  durch  das  Verhältnis 
bestimmt,  wie  der  subjektive  Genufs,  der  durch  das  Gut  für  den  Besitzer 
erzeugt  wird,  mit  der  Menge  desselben  abnimmt,  sondern  die  zur  Ver- 
fügung stehende  Menge  ist  selbst  wieder  jederzeit  bedingt  durch  die  all- 
gemeine Verteilung  der  übrigen  Einkommen,  oder  mathematisch  ausge- 
drückt, das  für  jede  gegebene  Zeit  dem  A  zustehende  Einkommen  xa , 
von  dem  die  Gröfse  des  ihm  gestatteten  Gütergenusses  abhängt,  ist  auch 
eine  Funktion  der  Einkommen  xb)  xc  u.  s.  w. ,  die  gleichzeitig  dem  B, 
C  u.  s.  w.  zu  Gebote  stehen.  Die  Einwirkung  der  letzten  subjektiven 
Einzelfaktoren  auf  die  Gesamterscheinung  sind  also  durch  Geldwirtschaft 
und  allgemeine  wirtschaftliche  Arbeitsteilung  so  verwickelt,  dafs  sie  auch 
in  Gedanken  gar  nicht  mehr  verfolgt  und  höchstens  rein  formal  durch 
unlösliche  und  im  Grunde  nichtssagende  Gleichungen  dargestellt  werden 
kann.  Da  nun  überdies  in  der  Volkswirtschaft  sich  jedermann  bei 
Produktion  und  Kauf  und  Verkauf  ausschliefslich  durch  die  Erwägung 
von  Kosten,  Gewinn  und  Verlust  leiten  läfst  und  die  der  Nachfrage  zu 
Grunde  liegenden  subjektiven  Momente  gänzlich  aufser  Betracht  bleiben,  so 
ist  nicht  abzusehen,  wie  die  Untersuchung  der  letzteren  zu  einem  besseren 
Verständnis  der  thatsächlichen  volkswirtschaftlichen  Massenerscheinungen 
(z.  B.  der  thatsächlichen  Bewegungen  des  allgemeinen  Preisniveaus  in 
ihrem  Zusammenhang  mit  dem  Geldvorrat  und  den  übrigen  Umlaufs- 
mitteln) führen  könnte,  zumal  gegenwärtig  noch  fast  alle  für  den  Verkehr  in 
Betracht  kommenden  Güter  als  mit  gleichbleibenden  oder  infolge  der 
Verbesserungen  der  Technik  und  des  Transportwesens  mit  abnehmenden 
Kosten  beliebig  vermehrbar  angesehen  werden  können.  Nur  auf  die  Art, 
wie  der  Einzelne  sein  Einkommen  auf  die  Befriedigung  seiner  verschiedenen 
Bedürfnisse  verwendet,  haben  die  Erwägungen  des  Grenznutzens  Einflufs 
und  es  ist  möglich,  wenn  auch  keineswegs  gewifs,  dafs  in  vielen  wohl- 
geordneten Haushaltungen  annähernd  wirklich  das  Maximum  der  bei  dem 
gegebenen  Einkommen  mögliohen  Nutzwirkung  erzielt,  wobei  dann  die 
Nutzwirkung  des  für  die  Geldeinheit  zu  erlangenden  letztens  Mengenteils 
für  alle  Güter  die  gleiche  ist. 


Litteratur.  287 

Lehr  tritt  der  Ansicht  der  österreichischen  Theoretiker  entgegen, 
nach  der  der  Wert  der  ganzen  im  Besitze  einer  Person  befindlichen  Menge 
eines  Gutes  gleich  dem  Werte  des  letzten  Teiles  ,  dem  Grenzwert,  multi- 
pliziert mit  der  Menge  sein  soll.  Hiernach  würde  also,  wenn  der  Grenz- 
wert null  oder  Negativ  wäre,  der  Wert  der  ganzen  Menge  für  den  Be- 
sitzer ebenfalls  Null  oder  negativ  werden.  Wenn  dieser  z.  B.  nicht  mehr 
als  10  Einheiten  des  Gutes  mit  Nutzen  verwenden  kann,  so  würde  also  nach 
jener  Anschauung  der  bei  einem  Vorrat  von  9  Einheiten  noch  vorhandene 
positive  Wert  der  ganzen  Menge  verschwinden,  wenn  noch  eine 
zehnte  Einheit  in  seinen  Besitz  käme  und  wenn  das  Hinzukommen 
einer  elften  Einheit  für  ihn  schon  lästig  und  unbequem  wäre,  diese  Ein- 
heit aber  einen  negativen  Wert  für  ihn  hatte,  so  würde  auch  die  ganze 
Menge  einen  solchen  für  ihn  erhalten.  Auch  wenn  man  sich  der  Unter- 
schiede zwischen  der  Nützlichkeit  und  dem  hier  in  Rede  stehenden 
Wert  vollkommen  bewufst  ist,  behalten  solche  theoretische  Konsequenzen 
im  Gegensatz  zu  den  Erfahrungen  des  gewöhnlichen  Lebens  etwas  sehr 
Paradoxes.  Lehr  verwirft  daher  jene  Annahme  und  stellt  seinerseits  den 
Satz  auf,  die  einzelnen  Mengenteile  der  von  uns  erworbenen  Güter  hätten 
für  uns  die  Bedeutung,  die  je  ihrer  Wirkung  entspreche,  wenn  man  auch 
eine  Bezifferung  und  Summierung  nicht  vornehmen  könne  und  sich  mit 
der  einfachen  Thatsache  begnügen  müsse,  dafs  uns  die  ganze  Menge,  wie 
wir  sie  wirtschaftlich  verwenden  können,  mindestens  ihren  Preis  wert 
sei.  Im  allgemeinen  sind  nach  seiner  Auffassung  Wert  und  Preis  ver- 
schieden, indem  der  erstere  häufig  subjektiv  weit  höher  geschätzt  wird, 
als  der  für  das  Gut  zu  entrichtende  Preis;  der  Grenzwert  dagegen  fällt 
normalerweise  mit  dem  Preise  zusammen.  Man  wird  daher  ohne  Zweifel 
nur  so  lange  neue  Mengen  eines  Gutes  anschaffen,  als  der  Wert  des  letzten 
Mengenteiles  das  zu  bringende  Opfer  noch  lohnt,  und  der  dem 
Preise  gleiche  Grenzwert  gilt  auch  für  jede  Einheit  der  ganzen  Menge. 
Aber  auf  diese  Art  ist  die  Frage  von  dem  Gebiet  der  subjektiven  Wert- 
schätzung auf  das  des  Tauschwertes  übergeführt  und  für  den  Satz ,  dafs 
die  einzelnen  Mengenteile  für  uns  je  die  Bedeutung  haben,  die  ihrer 
Wirkung  entspricht,  keine  nähere  Begründung  gegeben.  Soll  diese  „Be- 
deutung" die  Nutzwirkung  der  einzelnen  Mengenteile  sein,  so  ist  es 
allerdings  unzweifelhaft,  dafs  man  sagen  kann:  in  dem  ganzen  Vorrat  ist 
ein  Teil  vorhanden,  der  die  Nutzwirkung  einer  ersten  Mengeneinheit, 
ein  Teil,  der  die  Nutzwirkung  einer  zweiten  Mengeneinheit,  ein  Teil,  der 
die  Nutzwirkung  einer  dritten  Mengeneinheit  besitzt  u.  s.  w.,  wenn  man 
sich  die  Nutzwirkungen  so  abgestuft  denkt,  wie  sie  bei  successiver  Bildung 
eines  Vorrats  aus  vielen  Mengeneinheiten  in  abnehmender  Gröfse  auf- 
treten. Aber  die  Nutzwirkung  fällt  nicht  mit  dem  Werte  zusammen, 
vielmehr  kann  dieser  verschwinden,  während  jene  unverändert  bleibt. 
Der  Satz  der  österreichischen  Theoretiker  bezieht  sich  aber  gerade  auf 
den  subjektiven  Wert  und  er  Bteht  nicht  eigentlich  mit  der  Erfahrung 
des  thatsächlichen  Wirtschaftslebens  in  Widerspruch,  sondern  er  kommt 
in  der  Wirklichkeit  auf  wirtschaftliche  Güter  gar  nicht  zur  An- 
wendung. Bei  ausgebildetem  Verkehr  wird  ein  nützlicher  Gegenstand,  der 
nicht  zu  der  Klasse    der  sogenannten  freien  Güter  gehört,    der  also  einen 


288  Litteratur. 

wenn  auch,  nur  geringen  Grad  von  Seltenheit  mit  Rücksicht  auf  das  in 
der  ganzen  Gesellschaft  vorhandene  Bedürfnis  besitzt,  für  seinen  Besitzer, 
auch  wenn  dieser  weit  mehr  davon  hat,  als  er  für  sich  brauchen  kann, 
schwerlich  jemals  auf  den  Wert  Null  sinken  und  wohl  niemals  einen 
negativen  Wert  erhalten.  Aber  sehen  wir  auch  ganz  von  der  Möglich- 
keit eines  Austausches  oder  Verkaufs  ab,  und  erwägen  wir  nur  die  Wert- 
schätzung eines  vorhandenen  Vorrats  an  dauerhaften  Gebrauchsgegen- 
ständen, ohne  dafs  eine  Vergrößerung  desselben  beabsichtigt  wird.  Es 
fragt  sich  dann:  unter  welchen  Umständen  verschwindet  die  Selten- 
heit dieses  Gegenstandes  als  Bedingung  seines  Wertes?  Wenn  der  Be- 
sitzer auch  nur  10  Einheiten  für  sich  brauchen  kann,  so  kann  er  doch 
noch  recht  wohl  dieser  Güterart  einen  Seltenheitsgrad  und  somit  auch 
einen  Wert  zuerkennen,  wenn  sein  Vorrat  15  oder  20  beträgt.  Wenn  er 
weifs,  dafs  ein  solches  Gut  schwer  wieder  zu  erlangen  ist,  so  wird  er 
sogar  einen  bedeutenden  Ueberschufs  noch  als  Sicherheitsvorrat  für  wert- 
voll halten;  auch  denkt  er  vielleicht  an  die  Möglichkeit  eines  steigenden 
Bedarfs  in  der  Zukunft,  sei  es  für  seine  Person  oder  für  seine  Nach- 
kommen ;  und  selbst  der  blofse  Gedanke,  dafs  das  Gut  für  andere 
Menschen  sehr  selten  sei,  kann  genügen,  um  dem  Besitzer  einen  überflüssig 
grofsen  Vorrat  desselben  sehr  wertvoll  zu  machen.  Kurz,  nur  die  im 
eigentlichen  Sinne  freien  Güter,  die  einem  jeden  in  beliebiger  Menge 
ohne  weiteres  zur  Verfügung  stehen,  haben  trotz  ihrer  Nützlichkeit  keinen 
Wert  im  wirtschaftlichen  Sinne  (obwohl  man  auch  gegen  diesen  Satz  mit 
Lehr  einige  Einschränkungen  geltend  machen  kann);  diejenigen  Güter 
aber,  die  für  die  Gesellschaft  im  ganzen  einen  gewissen  Seltenheitsgrad 
besitzen,  werden  auch  für  die  Einzelnen,  denen  sie  im  Ueberflufs  zur  Ver- 
fügung stellen,  nicht  nur  einen  Tauschwert,  sondern  auch  einen  auf  der 
Anerkennung  ihrer  gesellschaftlichen  Seltenheit  beruhenden  subjektiven 
Wert  behalten.  Mit  anderen  Worten,  auch  die  subjektive  Wertschätzung 
der  Güter  hängt  nicht  ausschliefslioh  von  den  rein  persönlichen  sub- 
jektiven Bedürfnissen  und  Empfindungen  des  Besitzers  ab ,  sondern  wird 
mittelbar  auch  durch  den  allgemeinen  gesellschaftlichen  Zusammenhang 
beeinflufst  und  der  Grenzwert  der  nicht  freien  Güter  kann  daher  nur  in 
Ausnahmefällen,  die  für  den  volkswirtschaftlichen  Prozefs  keine  Bedeutung 
haben,  Null  oder  negativ  werden. 

Bei  der  mathematischen  Behandlung  der  Wertlehre  betrachtet  der 
Verfasser  die  Nutzwirkung  der  jedesmal  vorhandenen  ganzen  Menge 
eines  Gutes  als  eine  Funktion  dieser  Menge.  Für  die  von  ihm  gewählte 
analytische  Darstellung  ist  dieses  Verfahren,  bei  dem  der  Grenznutzen 
als  die  erste  Ableitung  jener  Funktion  erscheint,  wohl  das  zweckmäfsigste, 
während  für  die  graphische  Darstellung  wohl  die  von  Gossen  angewandte 
Methode  sich  mehr  empfiehlt,  nach  der  die  jedesmalige  Intensität 
der  Genufs-  oder  Nutzwirkung  als  Funktion  der  Menge  ausgedrückt  wird, 
also  die  Ordinaten  der  Kurve  bildet,  deren  Abscissen  die  Mengen  sind. 
Die  Frage,  ob  überhaupt  rein  innerliche,  subjektive  Genufs-,  Befriedigungs- 
oder Wertempfindungen  als  mathematische  Gröfsen  behandelt  werden 
können,  will  ich  hier  nicht  berühren,  obwohl  mir  die  Bejahung  derselben 
keineswegs  zweifellos  erscheint.     Eine   weitere  Frage  wäre,   wie    sich  die 


L  i  1 1  e  r  a  t  u  r.  289 

Ton  Lehr  angenommene,  die  Nutzwirkung  darstellende  Funktion  zum 
Wert  als  Funktion  der  Menge  verhält.  Denn  die  erstere  Funktion  kann 
auch  für  ein  freies  Gut  ohne  wirtschaftlichen  Wert  aufgestellt  werden. 
Da  aber  die  nicht  freien,  also  wirtschaftlichen  Güter  nach  dem  oben  Ge- 
sagten in  der  bestehenden  hoch  entwickelten  Gesellschaftsordnung  im  all- 
gemeinen von  jedem  Besitzer,  auch  wenn  er  einen  Ueberflufs  davon  hat, 
doch  wegen  ihrer  gesellschaftlichen  Seltenheit  geschätzt  werden,  so  kann 
man  sich  jede  Schätzung  ihrer  Nutzwirkung  auch  mit  einer  Wertaner- 
kennung verbunden  denken  und  dann  auch  die  von  Lehr  für  die  erstere 
angenommene  Funktion  noch  als  Darstellung  des  subjektiven  Wertes  in 
seiner  Abhängigkeit  von  der  Menge  betrachten.  Angenommen  nun,  die 
Gleichungen  der  Nutzwirkungen  wären  für  die  in  Betracht  kommenden 
Güter  und  Personen  gegeben  —  was  in  Wirklichkeit  nie  der  Fall  ist 
und  wegen  der  von  unzähligen  Umständen,  namentlich  auch  den  wirtschaft- 
lichen Machtverhältnissen  abhängenden  Veränderlichkeit  der  individuellen 
subjektiven  Empfindungen  nicht  möglich  sein  wird  —  so  würde  sich  damit 
noch  kein  einziges  wirtschaftliches  Problem  lösen  lassen,  wenn  nicht  noch 
eine  weitere,  die  Umstände  näher  bestimmende  Annahme  hinzu  käme. 
Diese  Annahme  ist  die,  dafs  ein  Maximum  des  Nutzens  erreicht 
■werde,  sei  es  für  den  sein  Einkommen  oder  seine  Arbeitskraft  auf  den 
Erwerb  verschiedener  Güter  verteilenden  Einzelnen ,  sei  es  für  mehrere 
mit  einander  Güter  austauschende  Personen.  Nun  kann  man  aber  fragen, 
ob  denn  die  Maximum-Bedingung  in  der  Wirklichkeit  in  der  Regel  wenig- 
stens annähernd  erfüllt  sei.  Nimmt  man  an  ,  dafs  die  grofse  Mehrzahl 
der  Menschen  ihre  Wirtschaft  möglichst  zweckmäfsig  und  rationell  ein- 
richten und  insbesondere  ihre  Konsumtion  möglichst  vollkommen  ihren 
Mitteln  anpassen,  so  wird  man  jene  Frage  in  betreff  des  Güterverbrauchs 
innerhalb  der  einzelnen  Wirtschaft  wohl  bejahen  dürfen;  dagegen  darf 
man  mit  Sicherheit  behaupten,  dafs  bei  der  gegenwärtig  bestehenden  Ge- 
staltung des  Güteraustausches  das  Maximum  der  möglichen  Nutzwirkung 
nicht  erreicht  wird.  Dieses  Maximum  wäre  nur  zu  erwarten,  wenn  alle 
an  dem  Austausch  Beteiligten,  d,  h.  unter  den  bestehenden  Verhältnissen 
alle  Käufer  und  Verkäufer,  sich  in  wirtschaftlicher  Sachkunde,  Erwerbs- 
geschicklichkeit  und  ökonomischer  Macht  gleichständen,  was  aber  that- 
sächlich  nicht  der  Fall  ist.  So  werden  in  zahlreichen  Fällen  Uebervor- 
teilungen  möglich,  durch  die  der  eine  Teil  mehr  verliert,  als  der  andere 
gewinnt,  also  volkswirtschaftlich  ein  Ueberschufs  an  Verlust  entsteht,  was 
aber  den  Gewinnenden  nicht  berührt  und  nicht  von  der  weiteren  Ver- 
folgung seines  Vorteils  abhält.  Die  Uebervorteilung  der  Käufer  ist  am 
leichtesten  möglich,  wenn  diese  als  Konsumenten  dem  letzten  Verkäufer 
gegenüberstehen.  Es  fehlt  ihnen  dann  meistens  die  fachmäfsige  Waren- 
kenntnis, auf  die  der  Verkäufer  in  seinem  Verkehr  mit  dem  Grofshändler 
oder  dem  Fabrikanten  sich  stützt.  Ueberhaupt  verhalten  sich  dieselben 
Personen  als  Konsumenten  häufig  nicht  so  vorsichtig  und  streng  be- 
rechnend, wie  als  Geschäftsleute  in  ihrer  Erwerbsthätigkeit.  Konsumenten 
vollends,  die  genötigt  sind,  auf  Kredit  zu  kaufen,  unterliegen  häufig  einer  förm- 
lichen Bewucherung,  indem  der  Verkäufer  ihre  Notlage  ausbeutet,  um  einen 
noch  höheren  Preis    zu  erlangen,    als    sich  durch    die  Rücksicht  auf  Zins 

Dritte  Folge  Bd.  VJU  (LXIII).  19 


290  Litt  erat  ur. 

und  Risiko  rechtfertigen  läfst.  Am  deutlichsten  und  allgemeinsten  aber  tritt 
die  Wirkung  der  ungleichen  ökonomischen  Macht  in  dem  Tauschverhältnis 
von  Arbeit  und  Lohn  zu  Tage.  Der  Arbeiter  kann  seine  Ware,  die 
Arbeitskraft,  nicht  lange  zurückhalten ,  wenn  er  nicht  dem  Hunger  ver- 
fallen will;  der  Unternehmer  als  Käufer  der  Arbeitskraft  aber  kann  warten 
und  kann  daher,  wenigstens  wenn  er  nur  vereinzelten  Arbeitern  gegenüber- 
steht, den  Lohn  auf  den  dem  „Schwitzsystem"  entsprechenden  Stand 
herabdrücken.  Dafs  bei  der  so  entstehenden  grofsen  Verschiedenheit  der 
Einkommen  kein  Maximum  des  Gütergenusses  in  der  Gesellschaft  bestehen 
kann,  läfst  sich  auch  ohne  alle  mathematischen  Formeln  leicht  ersehen. 
Wenn  das  Einkommen  von  1000  Personen,  die  mehr  als  10  000  M.  jähr- 
lich haben,  um  je  100  vermindert,  dagegen  das  von  1000  anderen,  die  weniger 
als  1000  M.  jährlich  einnehmen,  um  je  100  M.  erhöht  würde,  so  würde 
sich  offenbar  die  Gesamtsumme  des  Genusses  in  der  Gesellschaft  erhöhen ; 
und  solche  Schlufsfolgerungen  kann  man  noch  sehr  weit  fortsetzen.  Man 
könnte  nun  allerdings  sagen,  die  Kurve  der  Nutzwirkung  des  Lohnes  für 
den  Arbeiter  bestimmt  sich  nach  den  nun  einmal  gegebenen  ökonomischen 
Marktverhältnissen,  die  Seltenheit  aller  Güter  ist  für  ihn  gröfser,  als  sie 
bei  einer  anderen  gesellschaftlichen  Verteilungsordnung  sein  würde,  wenn 
also  die  gegebene  Ordnung  und  die  ihr  entsprechende  Kurve  als  geltend 
vorausgesetzt  wird,  so  vollzieht  sich  im  übrigen  der  Austausch  von  Arbeit 
und  Lohn  so,  dafs  relativ,  nämlich  auf  dieser  Basis,  ein  Maximum  des 
Genusses  erreicht  wird.  Jedenfalls  mufs  aber  bei  dieser  Auffassuug  be- 
achtet werden ,  dafs  die  Nützlichkeitskurve  nicht  einfach  von  der  sub- 
jektiven Schätzung,  sondern  auch  von  den  gesellschaftlichen  Zuständen  ab- 
hängt, dafs  sie  sich  ändert,  wenn  die  ökonomische  Macht  der  Arbeiter 
zunimmt  oder  abnimmt.  Im  übrigen  aber  ist  in  Bezug  auf  die  Gleichungen, 
die  man  für  den  Tauschverkehr  zweier  Personen  aufzustellen  pflegt,  zu 
bemerken,  dafs  dieselben  in  den  meisten  Fällen  und  namentlich  auch  für 
den  Austausch  von  Arbeit  und  Lohn  der  Wirklichkeit  nicht  entsprechen. 
Es  wird  nämlich  angenommen ,  dafs  jeder  Tauschende  den  Teil  seines 
Gütervorrates,  den  er  nicht  umtauscht,  selbst  benützen  könne  und  zwar 
so,  dafs  die  Nutzwirkung  der  Mengeneinheit  für  ihn  um  so  mehr  steige, 
je  kleiner  der  Best  werde.  Das  mag  man,  wenn  es  sich  um  den  Kauf 
einer  Ware  handelt,  in  betreff  des  im  Besitze  des  Käufers  befindlichen 
Geldes  zugeben;  für  die  Ware  des  Verkäufers  aber  gilt  es  bei  der 
heutigen  Ausdehnung  der  gesellschaftlichen  Arbeitsteilung  in  der  Regel 
nicht,  und  es  gilt  vollends  nicht  für  den  Arbeiter,  der  nichts  anzu- 
bieten hat,  als  seine  Arbeitskraft.  Findet  er  für  diese  keinen  Abnehmer, 
so  ist  sie  ihm  vollständig  nutzlos  und  sie  verschwindet  spurlos  mit  jeder 
Stunde,  die  er  müfsig  bleiben  mufs.  Mit  anderen  Worten,  die  Nutzwirkung 
seiner  Arbeitskraft  ist  für  den  Arbeiter  selbst  nicht  eine  Funktion 
der  für  ihn  verfügbaren  Gröfse  dieser  Arbeitskraft,  sondern  sie  ist  kon- 
stant gleich  Null,  sowohl  beim  Beginn  des  Austausches  derselben,  als 
auch  in  jeder  vorgerückteren  Phase  dieses  Geschäfts.  Daher  bestimmt 
sich  das  Maximum  der  Nutzwirkung  bei  diesem  Austausch  lediglich  nach 
den  Interessen  des  Käufers  der  Arbeitskraft:  dieser  giebt  einen  Teil 
seines    Geldes    hin    und    erhält    dafür    eine    gewisse  Arbeitsgröfse    und    er 


Litteratur.  291 

wird  diesen  Tausch  so  lange  fortsetzen,  bis  er  das  Maximum  des  Vor- 
teils für  sich  erreicht  hat.  Den  Preis  der  Arbeit  aber,  d.  h.  den  Geld- 
betrag, den  er  für  die  Gröfseneinheit  derselben  giebt,  wird  der  Käufer 
so  niedrig  zu  halten   suchen,   als  es  die  Umstände  irgendwie   erlauben. 

Lehr  hebt  übrigens  auch  selbst  die  enge  Begrenzung  des  Nutzens 
der  mathematischen  Methode  hervor.  Auch  warnt  er  vor  der  Meinung, 
als  ob  wegen  der  mathematischen  Richtigkeit  der  aus  den  Formeln  ab- 
geleiteten Schlufsfolgerungen  auch  die  Voraussetzungen  der  Formeln  als 
zutreffend  anzusehen  seien.  Ueberhaupt  lassen  sich  nur  gewisse  ganz 
allgemeine  Folgerungen  aus  den  Formeln  mit  der  Erfahrung  vergleichen 
und  durch  dieselbe  bestätigen;  diese  aber  können  weit  einfacher  aus  un- 
mittelbaren Betrachtungen  ohne  allen  mathematischen  Apparat  abgeleitet 
werden  und  dabei  hat  man  den  Vorteil  zu  erkennen,  wie  sie  sich  aus 
dem  Zusammenwirken  menschlicher  Motive  ergeben,  während  die  mathe- 
matische Ableitung  mit  dem  Drehen  der  Kurbel  einer  Rechenmaschine 
zu  vergleichen  ist,  wobei  der  Uebergang  von  den  Bedingungen  der  Auf- 
gaben zu  der  Lösung  verdeckt  bleibt.  Auch  die  mathematische  Ableitung 
des  naturgemäfsen  Arbeitslohns  v.  Thünens  unterwirft  Lehr  einer  be- 
rechtigten Kritik,  mit  dem  Resultate,  dafs  die  Formel  auch  theoretisch 
nicht  zutreffend  sei  und  dafs  nicht  etwa  ihre  Wirksamkeit  nur  durch  die 
unvollständige  Verwirklichung  ihrer  Voraussetzungen  verdeckt  oder  ver- 
hindert werde.  In  Bezug  auf  den  Zins  kommt  Lehr  ebenfalls  zu  dem 
Ergebnis,  dafs  ein  „natürlicher"  Satz  desselben  sich  weder  mathematisch 
noch  auf  anderem  Wege  ableiten  lasse.  Er  begnügt  sich  mit  einer  Theorie 
der  Preisbildung,  die  den  Zins  als  ein  Ergebnis  konkurrierender  Be- 
strebungen erklärt,  ohne  dafs  es  notwendig  und  immer  möglich  wäre,  gleich- 
zeitig ein  besonderes  Verdienst  des  Kapitalisten  zu  konstruieren,  wegen  dessen 
seiner  Mitwirkung  an  der  Produktion  ein  Anteil  am  Reinertrag  gebühre. 
Daher  erhebt  der  Verfasser  auch  wesentliche  Bedenken  gegenüber  dem  von 
Böhm-Bawerk  und  anderen  gemachten  Versuche,  den  Zins  aus  der  Un- 
gleichheit in  der  Schätzung  der  Gegenwarts-  und  Zukunftsgüter  abzu- 
leiten oder  zu  rechtfertigen.  Er  weist  darauf  hin,  dafs  uns  in  vielen 
Fällen  Güter  in  der  Zukunft  wertvoller  sind  als  sie  in  der  Gegenwart  er- 
scheinen. Für  einen  einzelnen  Menschen  würden  1000  Kilo  Brot  in  der 
Gegenwart  wenig  Wert  haben  ,  da  sie  gröfstenteils  unbenutzt  verderben 
würden ,  und  er  würde  sie  gewifs  gern  für  das  Versprechen  hingeben, 
dafs  ihm  1000  Tage  lang  täglich  ein  Kilo  frisches  Brot  geliefert  würde. 
Man  kann  hinzufügen ,  dafs  auch  diejenigen,  die  von  ihren  Zinsen  leben 
wollen,  die  Rentner,  sehr  unglücklich  sind ,  wenn  sie  eine  grofse  Summe 
in  der  Gegenwart  im  Kasten  behalten  müssen ,  weil  sie  keine  genügend 
sichere  und  einträgliche  Anlage  dafür  finden.  Für  die  Arbeiter  beschäftigen- 
den Unternehmer  ist  allerdings  ein  gegenwärtiges  Kapital  wertvoller  als 
ein  zukünftiges,  aber  doch  wohl  deswegen,  weil  sie  mit  dem  ersteren  in 
der  Zwischenzeit  einen  Gewinn  erzielen  können,  indem  sie  Arbeit  zu 
einem  billigeren  Preise  kaufen,  als  dem,  zu  welchem  sie  in  dem  fertigen 
Produkt  verwertet  wird.  Für  die  Arbeiter  sind  natürlich  nur  die  gegen- 
wärtigen Unterhaltsmittel  von  Nutzen,  weil  sie  in  Erwartung  der  künftigen 
verhungern    würden.      Es    kommt    ganz    auf    den    Standpunkt    des    Beur- 

19* 


292  Litteratur. 

teilers  an ,  ob  er  das  so  entstehende  Uebergewicht  des  Gegenwartswertes 
für  den  Arbeiter  aus  dem  ökonomischen  Machtverhältnis  von  Unter- 
nehmer und  Arbeiter  oder  aus  der  weder  dem  Unternehmer  noch  dem 
Arbeiter  zum  Bewufstsein  kommenden  inneren  Natur  von  Gegenwarts- 
und Zukunftswerten  ableiten  will.  Jedenfalls  geht  man  im  wirklichen 
wirtschaftlichen  Leben,  wie  Lehr  bemerkt,  nicht  von  der  Ungleichheit 
dieser  Wertschätzungen  aus,  um  aus  ihnen  den  Zins  zu  erklären,  sondern 
man  schätzt  umgekehrt  wegen  der  Einwirkung  des  Zinses  auf  die  Preis- 
bildung die  Gegenwartsware  höher  als  die  Zukunftsware.  Mit  Recht  hebt 
Lehr  auch  hervor,  dafs  die  U  n  si  ch  erheit  des  Zukunftswertes  den  Zins 
nicht  erklären  könne.  Diese  rechtfertigt  nur  die  Berechnung  einer  Risiko- 
prämie, die  Eigentümlichkeit  einer  solchen  aber  besteht  darin,  dafs  sie 
im  Laufe  der  Zeit  oder  beim  Zusammenfassen  einer  gröfseren  Zahl  von 
Fällen  durch  die  Verluste  aufgewogen  wird.  Der  eigentliche  Zins  besteht 
neben  der  Risikoprämie  und  erscheint  auch  in  solchen  Fällen,  in  denen 
eine  Unsicherheit  des  Zukunftswertes    praktisch    völlig    ausgeschlossen    ist. 


Uebersicbt  über   die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     293 


Uebersicht   über    die  neuesten  Publikationen  Deutschlands 
und  des  Auslandes. 

1.     Geschichte  der  Wissenschaft.     Encyklopädisches.     Lehrbücher.     Spezielle 
theoretische  Untersuchungen. 

Wickseil,  Knut,  (Lic.  phil.),  Ueber  Wert,  Kapital  und  Rente  nach 
den  neueren  nationalökonomischen  Theorien.  Jena,  Gustav  Fischer, 
1893.      143  SS. 

Naumann,  Moriz,  (Dr.),  Die  Lehre  vom  Wert.  Leipzig,  Duncker 
und  Humblot,   1893.     74  SS. 

Schröder,  H.  (Grofsh.  bad.  Oberamtmann),  Der  wirtschaftliche  Wert, 
Begriff  und  Normen.    Berlin,  Puttkammer  und  Müblbrecht,   1894.   103  SS. 

In  den  vorliegenden  3  Schriften  wird  der  Theorie  des  Grenzwertes 
gedacht,  in  derjenigen  von  Wickseil  unter  Anwendung  des  mathematischen 
Rüstzeugs,  während  Naumann  und  Schröder  sich  desselben  nicht  bedient, 
dafür  aber  auch  die  von  ihnen  besprochenen  Fragen  nicht  so  tief  und 
kritisch  behandelt  haben,  wie  es  durch  Wickseil  geschehen  ist. 

W  i  c  k  8  e  1 1  erörtert  im  ersten  Abschnitt  seiner  Arbeit  „die  neue  Theorie 
des  Wertes"  und  zwar  unter  Anlehnung  an  Walras,  im  zweiten,  welchen 
er  „mehr  als  sein  geistiges  Eigentum"  bezeichnet,  „die  neue  Theorie  des 
Kapitals  nebst  ihren  Beziehungen  zur  Theorie  des  Arbeitslohnes,  der  Boden- 
rente und  der  Güterwerte".  Unter  voller  Anerkennung  der  Verdienste 
von  Menger,  v.  Böhm-Bawerk,  Jevons  und  Walras  tritt  er  den  Ausfüh- 
rungen dieser  Schriftsteller  doch  mehrfach  entgegen.  Insbesondere  ver- 
sucht er  einigen  Sätzen  von  v.  Böhm-Bawerk ,  vor  allem  solchen  über 
Begründung  und  Höhe  des  Zinses  eine  erweiterte  Fassung  zu  geben.  In 
der  richtigen  Erkenntnis,  dafs  die  Ableitung  allgemeiner  Sätze  aus  Bei- 
spielen leicht  zu  fehlerhaften  Schlufsfolgerungen  führt,  bedient  er  sich 
der  allgemein  gehaltenen  Formel.  Allerdings  tritt  auch  hierbei  die  be- 
kannte Thatsache  zu  Tage,  dafs  die  Mathematik  mehr  in  negativer  Be- 
ziehung, vorzüglich  aber  als  Mittel,  um  von  anderen  Seiten  leichthin 
aufgestellte  und  gern  allgemein  als  richtig  hingenommene  Sätze  kritisch 
zu  prüfen  und  Anschauungen  zu  klären,  gute  Dienste  leistet  als  in  posi- 
tiver Hinsicht,  wenn  es  gilt,  neue  Gedanken  aufzustellen.  Wickseil  knüpft 
im  zweiten  Abschnitte  an  die  Zinstheorie  von  v.  Böhm-Bawerk  und  an 
dessen  Darlegungen  über  die  Verlängerung  der  Produktionsperioden  (,, Pro- 
duktionsumwege") an,  kommt  dabei  zu  schärferer  Fassung  als  v.  Böhm- 
Bawerk,  aber,  unter  etwas  allzu  reichlicher  Anwendung  von  Formeln,  über 


294     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

die  teils  hypothetischen  Voraussetzungen,  von  denen  er  ausgeht,  nicht 
hinaus. 

Die  einseitig  negative  Richtung  des  Historismus  ist  nach  Wicksell 
nicht  besonders  geeignet,  den  Einflufs  und  das  Ansehen  der  National- 
ökonomie zu  heben.  Die  deutschen  Gelehrten  aber  hätten  nach  1878  es 
vorgezogen,  sich  mit  den  historischen  Untersuchungen  als  vergleichsweise 
ungefährlicher  zu  beschäftigen  unter  Vermeidung  „der  Streitfragen  des 
Tages".  Ohne  Zweifel  sei  eine  der  Hauptursachen  der  wenig  befriedigen- 
den Entwickelung  der  deutschen  Nationalökonomie  darin  zu  suchen,  dafs 
die  Lehrfreiheit  auf  diesem  Gebiete,  besonders  während  der  Geltung  des 
Sozialistengesetzes,  in  hohem  Grade  eingeschränkt  gewesen  sei.  Es  mag 
wohl  sein,  dafs  in  jener  Zeit  ängstliche  Gemüter  sich  etwas  enge  Grenzen 
gesteckt  haben;  indes  die  Lehrfreiheit  ist  keineswegs  eingeengt  worden. 
Ausländer  haben,  wie  ich  aus  persönlicher  Erfahruug  weifs,  in  jener  Zeit 
die  Stellung  der  deutschen  Dozenten  vielfach  falsch  beurteilt  und  nichts 
weiter  als  Gespenster  gesehen.  Die  bezüglichen  Bemerkungen  Wicksell's 
dürfen  als  unzutreffend  zurückgewiesen  werden. 

Naumann  teilt  uns,  wie  er  selbst  bemerkt,  die  Ergebnisse  seines 
Nachdenkens  nur  mit,  weil  er  gaubt,  in  der  Hauptsache  neue  oder  fast 
gar  nicht  betretene  Wege  eingeschlagen  zu  haben.  Die  Grenzwerttheoretiker 
haben  nach  ihm  den  Fehler  begangen,  dafs  sie  nicht  konsequent  genug 
gewesen  seien,  sie  seien  infolge  davon  auf  Irrwege  geraten,  dafs  sie  dem 
Kosteuwert  nicht  die  ihm  gebührende  gesonderte  Stellung  angewiesen,  so- 
dann dadurch,  dafs  sie  zwischen  subjektiven  und  objektiven  Bestimm- 
gründen  des  Wertes  nicht  scharf  genug  unterschieden  hätten. 

Das  wesentlich  Neue,  was  der  Verfasser  bietet,  ist  die  Unterscheidung 
der  Fälle,  in  welchen  Gegenstände  nach  dem  „Kostenwert",  von  jenen, 
in  denen  sie  nach  dem  „Nutzwert"  geschätzt  würden.  Sachen,  die  man 
nicht  besitze,  bewerte  man  nach  dem  Nutzen,  welchen  sie  uns  brächten. 
Alan  werde  sie  erst  dann  zu  erwerben  suchen,  wenn  ihr  Nutzwert  min- 
destens gleich  den  Kosten  sei.  Besitze  man  aber  eine  Sache  und  könne 
man  eine  gleiche  wieder  erwerben,  so  gehe  mit  dem  Verlust  der  ersten 
Sache  nicht  ihr  Nutzwert  verloren,  sondern  es  entstehe  nur  die  Unlust 
eines  zweiten  Erwerbs.  Man  schätze  demgemäfs  solche  Dinge,  welche 
man  besitze,  nicht  nach  ihrem  Nutzwert,  sondern  nach  ihren  Wiederer- 
werbskosten,  nach  dem  Kostenwert.  Sollte  aber  nicht  dieser  zweite  Fall 
mit  dem  ersteren  für  unsere  Frage  ganz  identisch  sein  ?  An  einen  Wieder- 
erwerb wird  man  doch  nur  dann  denken,  wenn  der  Nutzwert  mindestens 
gleich  dem  Kostenwert  ist.  Und  im  ersten  Falle  könnte  ja  auch  eine  zweite 
gleiche  Sache  zum  Erwerb  bereit  stehen.  Immer  aber  würde  nur  die 
Unlust  des  Erwerbes  entstehen  und  mit  dieser  die  Lust  verglichen,  welche 
aus  der  Sache  erwächst. 

Bei  Gegenständen  nun,  welche  nicht  wieder  erworben  werden  könnten, 
komme  schlechthin  der  volle  Nutzwert  in  Betracht. 

Ich  denke  mir  die  Sache  einfach  so.  Ich  bewerte  die  Dinge  nach 
allen  Vorteilen,  welche  sie  für  mich  haben,  opfere  aber  für  dieselben  nie 
mehr,  als  ich  mufs,  und  unter  keinen  Umständen  mehr,  als  ich  sie  bewerte. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.      295 

Verwende  ich  Gegenstände  für  irgend  einen  Zweck,  können  dieselben  auch 
anderweit  ausgewertet  werden,  so  mufs  ich  streben,  im  einen  Fall  min- 
destens einen  gleich  hohen  Nutzen  zu  erzielen  wie  im  anderen,  d.  h. 
rechnerisch  wird,  wie  dies  ja  auch  allgemein  geschieht,  je  eine  Verwen- 
dungsweise der  anderen  als  Kosten  aufgerechnet.  In  vielen  Fällen  des 
praktischen  Lebens  wird  man  sich  überhaupt  nicht  viel  mit  subtilen 
Wertschätzungen  befassen  und  zwar  immer  dann  nicht,  wenn  gar  keine 
Vergleichungen  anzustellen  sind.  Mit  diesen  wenigen  Worten  sind  im 
wesentlichen  die  Ausführungen  erschöpft,  von  denen  der  Verfasser  an- 
nimmt, dafs  sie  neu  seien. 

Den  vom  Verfasser  aufgestellten  Begriffen  Schenkungs-  und  Erfül- 
lungswert (Verwendung  zur  Erfüllung  obliegender  Verpflichtungen)  lege 
ich  keine  besondere  Bedeutung  bei.  Je  nach  den  Zwecken,  denen  wir 
vermittelst  eines  Gegenstandes  genügen,  könnten  wir  noch  von  gar  vielen 
Wertarten  sprechen. 

S.  33  meint  der  Verfasser,  drei  ihrer  Qualität  nach  ganz  gleiche 
Teile  einer  Güterart  schätze  man  nicht  verschieden,  jeden  der  drei  Teile 
schätze  man  gleich  dem  unwichtigsten  Bedürfnis.  Zwei  Teile  aber  werde 
man  nicht  doppelt  so  hoch  wie  eins,  sondern  höher  schätzen.  „Drei  wer- 
den viel  mehr  als  dreimal  so  hoch  geschätzt  wie  eins",  denn  vom  Besitze 
des  ganzen  Vorrates  hänge  die  Befriedigung  aller  drei  Bedürfnisse,  also 
auch  das  dringendste  ab.  Umgekehrt  sei  das  Bild,  wenn  man  die  drei 
Teilmengen  nicht  besitze.  Der  Widerspruch,  über  den  ich  hier  (ebenso 
S.  52)  nicht  hinauszukommen  vermag,  beruht  wohl  in  einer  Ungenauigkeit 
der  Ausdrucksweise. 

Schröder  will,  im  Gegensatze  insbesondere  zur  klassischen  Wert- 
theorie ,  welche  die  beliebig  reproduzierbaren  Güter  und  die  übrigen 
unterscheide,  eine  einheitliche  Werttheorie  darstellen,  welche  beiden  Seiten 
des  wirtschaftlichen  Wertes,  dem  Kosten-  wie  dem  Nutzenwert,  gerecht 
■werde,  während  die  Grenzwerttheorie  aus  dem  subjektiven  Nutzenwert 
heraus  allein  die  wirtschaftlichen  Werterscheiuungen  erklären  und  die 
Wertgesetze  ableiten  wolle.  Der  Grundgedanke,  an  welchen  er  sich  hält, 
bezieht  sich  auf  die  bekannte  Erscheinung,  dafs  innerhalb  gewisser  Grenzen 
mit  Ausdehnung  der  Produktion  die  Kosten  derselben  relativ  steigen  und 
dafs  im  allgemeinen  der  Wert,  welchen  man  einer  Gütermenge  beilegt, 
mit  Zunahme  der  letzteren  nicht  im  gleichen  Mafse  wie  diese  sich  er- 
höht. Wie  von  einem  Grenznutzen,  so  kann  mau  da  auch  wohl  von 
Grenzkosten  sprechen,  ohne  dafs  damit,  aufser  der  Wortzusammensetzung, 
etwas  Neues  gewonnen  ist.  Statt  des  kurzen  Ausdrucks  Kosten  be- 
dient sich  der  Verfasser  der  Bezeichnung  Kostenwert  und  unterscheidet 
dabei  zwischen  einem  subjektiven  und  objektiven,  absoluten  und  relativen. 
Die  Begriffsbestimmung  läfst  in  Bezug  auf  Klarheit  leider  viel  zu  wünschen 
übrig.  „Der  wirtschaftliche  Akt",  heifst  es,  „beginnt  mit  einer  Aktion  de3 
Menschen,  deren  Wirkung,  auf  ihn  geschätzt,  ich  Kostenwert  nenne."  „Unter 
subjektivem  Kostenwert  verstehe  ich  die  Wirkung  einer  bestimmten  wirt- 
schaftlichen Thätigkeit  auf  den  wirtschaftenden  Menschen,  von  diesem 
geschätzt."     Der   rein  subjektive  Kostenwert  ist  dem  Verf.  derjenige,    bei 


296     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

■welchem  die  Wirkung  einer  ganz  bestimmten  konkreten  Arbeitsleistung 
auf  das  wirtschaftende  Subjekt  von  diesem  geschätzt  wird  und  die  augen- 
blickliche Beschaffenheit  des  wirtschaftenden  Menschen  zum  Ausdruck 
kommt.  Sehe  mau  von  den  momentanen  Stimmungsschwankungen  ab, 
betrachte  man  mithin  das  Subjekt  als  ein  konstantes,  so  komme  man  zum 
subjektiven  Kostenwert  im  weiteren  Sinne.  Als  „absoluten  Kostenwert" 
bezeichnet  der  Yerf.  die  Mehrkosten,  welche  durch  Herstellung  je  der 
teuersten  kleinen  Produktenmenge  erwachsen.  Werden  die  Gesamtkosten 
mehrerer  auf  einander  folgender  verschieden  teuerer  Produkte  durch  die 
Menge  der  letzteren  dividiert,  so  stellt  der  Quotient  eine  Mittelgröfse  dar. 
Diese  nennt  der  Verf.  den  „relativen  Kostenwert".  Für  den  Markt  soll 
nun  nicht  der  subjektive,  sondern  der  objektive  Kostenwert  von  Bedeu- 
tung sein.  Der  Verkehr  ignoriere  die  subjektive  Seite  des  Kostenwertes 
der  verschiedenen  zu  Markt  kommenden  Produzenten  und  mache  bei  Be- 
stimmung des  quantitativen  Austauschverhältnisses  zwischen  verschie- 
denen Gütern  einen  einzigen  subjektiven  Kostenwert  zum  Vertreter  der 
anderen. 

Aehnliche  Unterscheidungen  macht  der  Verfasser  bei  dem  „Nutzen- 
wert". Subjektiver  Nutzenwert  ist  ihm  „die  Wirkung,  welche  den  Erfolg 
der  wirtschaftlichen  Thätigkeit,  welche  ein  Gut,  in  dem  wirtschaftliche 
Arbeit  materialisiert  ist,  auf  den  wirtschaftenden  Menschen  hervorbringt, 
von  diesem  geschätzt",  objektiver  Nutzenwert  „der  niederste  auf  dem 
Markte  noch  befriedigte  Grenznutzen".  Als  subjektiven  wirtschaftlichen 
Wert  bezeichnet  der  Verfasser  „die  Wirkung  eines  wirtschaftlichen  Aktes 
oder  eines  wirtschaftlichen  Gutes  auf  den  wirtschaftenden  Menschen  in 
ihrer  Totalität,  Kosten  und  Nutzenwert  zusammen,  von  dem  wirtschaften- 
den Menschen  geschätzt",  als  wirtschaftlichen  Grenzwert  „die  Differenz 
zwischen  Nutzen-  und  Kostenwert  des  Grenzproduktes"  etc. 

Vorstehende  Definitionen  habe  ich  trotz  der  Beschränktheit  des  zur 
Verfügung  stehenden  Baumes  hier  wiedergegeben,  um  damit  meinen  Wunsch 
als  begründet  erscheinen  zu  lassen,  es  hätte  der  Verf.  weniger  spintisieren, 
dafür  aber  etwas  präziser  und  klarer  sein  sollen.  Mit  grofsem  Ernste 
trägt  er  die  einfachsten  Dinge  vor,  welche  eigentlich  keiner  besonderen 
Auseinandersetzung  bedürfen.  Hätte  er  sich  einer  schlichten  Ausdrucks- 
und Betrachtungsweise  bedient,  so  hätte  er  sich  viele  seiner  etwas  ge- 
künstelten Begriffsbilduugen  ersparen  können.  Allerdings  wäre  dann  der 
Anlafs  zur  Veröffentlichung  der  Broschüre  in  Wegfall  gekommen. 

München.  J.  Lehr. 

Bamberger,  L.,  Charakteristiken.  Berlin,  Rosenbaum  &  Hart,  1894.  gr.  8. 
VI — 328  SS.  M.  5. — .  (Inhalt:  Adam  Lux.  —  Moritz  Hartmann.  —  Reminiscenzen  an 
Napoleon  III.  —  Eduard  Lasker.  —  Zur  Erinnerung  an  Friedrich  Kapp.  —  Karl  Hille- 
brand.  —  Heinr.  v.  Treitschke.  — -  Heinrich  Hombergers  Essays.  —  Ernst  Renan.  — 
Ad    Soetbeer.   —  Arthur  Chuquet.  —  Otto  Gildemeister.  — ) 

Ernst,  P.,  Die  gesellschaftliche  Reproduktion  des  Kapitals  bei  gesteigerter  Pro- 
duktivität der  Arbeit.     Berlin,  Harnisch  &  C°,   1894.     Roy.-8.     84  SS.     M.   1. — . 

Herkner,  H.  (o  .Piof.  der  Volkswirtschaftslehre,  techn.  Hochsch.,  Karlsruhe),  Die 
Arbeiterfrage.  Eine  Einführung.  Berlin.  Guttentag,  1894.  gr.  8.  VIII — 298  SS.  M.  4.—. 
(Inhalt:  I.  Teil.  Soziale  Geschichte:  Frankreich;  England;  Deutschland.  —  II.  Teil. 
Soziale  Theorie  und  Kritik :  Die  Arbeiterfrage  vom  sittlichen  Standpunkte ;   der   Liberalis- 


Uebersicht  über  die   neuesten   Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     297 

mus;  der  Kommunismus.  —  III.  Teil.  Soziale  Reform:  Der  wirtschaftliche  Fortschritt; 
Freie  Organisationen  ;   Staat  und   Gemeinde.) 

Katö,  Hiroyuki  (weil.  Rektor  der  kais.  Universität  zu  Tokyo),  Der  Kampf  ums 
Recht  des  Stärkeren  und  seine  Entwickelung.  Berlin,  Friedländer  &  Sohn,  1894.  gr.  8. 
II — 154  SS.  M.  3. — .  (Aus  dem  Inhalte:  Das  angeborene  Meuschenrecht  —  Das  Recht 
des  Stärkeren.  —  Die  Identität  der  Freiheit  und  des  Rechtes  des  Stärkeren  ;  das  Ver- 
hältnis des  Rechtes  des  Stärkeren  zum  Rechte  im  wahren  Sinne.  —  Der  Kampf  ums 
Recht  des  Stärkeren  zwischen  Herrschenden  und  Beherrschten  und  seine  Entwicke- 
lung. —  Der  Kampf  ums  Recht  des  Stärkeren  zwischen  Freien  und  Unfreien,  und  seine 
Entwickelung.  —  Der  Kampf  ums  Recht  des  Stärkeren  zwischen  Männern  und  Weibern 
und  seine  Entwickelung.  —  Der  Kampf  ums  Recht  des  Stärkeren  zwischen  Rassen,  Völ- 
kern und  Staaten.  —  etc.) 

Kraepelin,  E.,  (Prof.  der  Psychiatrie,  Heidelberg),  Ueber  geistige  Arbeit.  Jena, 
Fischer,   1894.     gr.   8.     26  SS.     M.   0,60. 

Lasson,  Ad.,  Lotterie  und  Volkswirtschaft.  Berlin,  Simion,  1894.  gr.  8.  64  SS. 
M.   1. — .     (A.   u.  d.   T. :  Volkswirtschaftliche  Zeitfragen,  Heft   123   und   124.) 

Werunsky,  A.  (Laudesadvokat),  Grundzüge  des  Entwickelungsganges  der  Volks- 
wirtschaftslehre in  übersichtlicher  Darstellung,  zugleich  eine  Einführung  in  das  Studium 
der  Nationalökonomie  überhaupt.     Zittau,   Pahl,    1894.     gr.  8.     38   SS.     M.    1. — . 

Wie  studiert  man  Nationalökonomie?  Von  einem  Volkswirt.  Leipzig,  Rofsberg, 
1894.     8.     16  SS.     M.  0,60. 


Beaudouin,  E.  (prof.  ä  la  faeulte  de  droit  de  Grenoble),  La  limitation  des  fonds 
de  terre  dans  ses  rapports  avec  le  droit  de  propriete.  Etüde  sur  l'histoire  du  droit 
romain  de  la  propriete.     Paris,  Larose,   1894.      8.     fr.   10. — . 

Funck-Brentano,  Th.  ,  La  politique.  Principes,  critiques  reformes.  Paris, 
Rousseau,  1893.  gr.  in-8.  430  pag.  fr.  7,50.  (Table  des  matieres:  La  seience  et  l'art  de 
la  politique.   —   L'Etat  et  le  peuple.  —  Le  pouvoir  souverain  et  les   fonctions  publiques. 

—  La  Constitution  reelle  et  la  Constitution  ecrite  de  l'Etat.  —    La  politique  et  l'histoire. 

—  La  politique  es  les  lois.  —  La  politique  et  les  congres.  —  La  question  ouvriere.  — 
La  question  sociale.  —  La  crise  industrielle    et    commerciale.  —  Les  finances  publiques. 

—  L'instruction  publique.  —  L'appauvrissement  des  classes  moyennes.  —  La  misere  des 
classes  inferieures.  —  Revision  des  tarifs  douaniers.  —  Reforme  des  impöts.  —  Amor- 
tissement  de  la  dette.  —  Reorganisation  de  l'instruction  publique.  —  Legislation  ou- 
vriere. —  Röle  de  la  religion.  —  La  politique  etrangere.  Talleyrand.  —  Situation  generale 
des  grandes  puissances.  —  L'Europe  et  la  peninsule  des  Balkans.  —  L'Europe  et  l'Alsace- 
Lorraine.  —  Les  alliances.  —  L'armee  et  la  flotte.  —  Les  colonies.  —  Les  ressources 
sociales  et  politiques  de  la  France.   — ) 

N  audier,  F.  (avocat),  Le  socialisme  et  la  revolution  sociale.  Etüde  historique 
et  philosophique.     Paris,  F.  Alcan,   1894.      12.     fr.   3,50. 

Tarroux,  F.,  Lettres  sur  le  socialisme.  Paris,  Fischbacher,  1894.  16.  IX — 396  pag. 
fr.  5.  — .  (Table  des  matieres:  I  n'y  a  pas  seulement  des  questions  sociales;  il  y  a 
une  question  sociale.  —  Ceux  qui  nient  et  ceux  qui  affirment  l'existence  de  la  question 
sociale.  —  Du  scandale  que  souleve  le  mot  socialisme.  —  II  n'est  pas  possible  d'ignorer 
l'existence  de  plusieurs  especes  de  socialisme.  —  Le  socialisme  est  un  fait  de  tous  les 
temps  et  de  tous  les  peuples.  —  Mission  sociale  du  Christ ;  deviation  de  l'eglise.  — 
Tout  le  monde  fait  du  socialitme.  —  Progres  du  socialisme  revolutionnaire.  —  Le  pauvre 
et  l'eglise.  —  II  y  a  un  socialisme  chretien.  —  Du  collectivisme.  —  Principe  funda- 
mental de  la  nouvelle  societe  :  la  propriete    individuelle.  —    De  la  propriete  industrielle. 

—  Le  travail.  —  La  loi  de  l'offre  et  de  la  demande.  —  Droits  du  travail  qui  decoulent 
de  sa  nature.  —  Vices  du  travailleur.  —  Du  travail  industriel.  —  Le  salariat  ne  peut 
etre  supprime.  —  De  la  condition  sociale.  —  Importance  de  la  question  des  loyers  rela- 
tivement  aux  travailleurs.  —  Notion  de  l'impot.  —  Moyens  de  remplacer  les  impots 
supprimes.  —  Du  commerce.  —  Abolition  des   monopoles.  —  I  y  a  toujours  des  pauvres. 

—  Le  pauvre  est  confie  d'abord  ä  la  chatite  et,  ä  son  defaut,  k  l'Etat.  —  etc.) 

Annual  register,  the.  A  review  of  public  events  at  home  and  abroad  for  the 
year  1893.  2  parts.  London,  Longmans,  Green,  &  C°,  1894.  Roy.  in-8.  V— 500  and 
231  pp.,  cloth.  18/. — .  (Contents:  Part  I:  EDglish  history:  State  of  parties.  —  The 
Home  Rule  Bill.  Second  reading  debate.  —  The  Home  Rule  Bill  in  committee.  —  The 
Home  Rule  Bill  in  the  Lords.   —   The  Parish   Councils  Bill.  —  Scotland  and  Ireland.  — 


298     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Foreign  and  colonial  history.  —  Part  II:  Chrouicle  of  events  in  1893.  —  Obituary  of 
eminent  persons.  —  etc.) 

Hobson,  J.  A.,  The  evolution  of  modern  capitalism.  A  study  of  machine  pro- 
duction.  London,  W.  Scott,  1894.  8.  XIV— 388  pp.,  cloth.  3/.6.  (Contents:  Intro- 
duction.  —  Structure  of  industry  before  machinery.  —  The  order  of  development  of 
machine  industry.  —  The  structure  of  modern  industry.  —  The  formation  of  monopolies 
in  capital.  —  Economic  powers  of  the  trust.  —  Machinery  and  industrial  depression.  — 
Machinery  and  demand  for  labour.  —  Machinery  and  the  quality  of  labour.  —  The  eco- 
nomy  of  high  wages.  —  Some  effects  of  modern  industry  upon  the  workers  as  consu- 
mers.  —  Women  in  modern  industry.  —  Machinery  and  the  modern  town.  —  Civili- 
sation  and  industrial  development.  — 

Hobson,  J.  A.,  Subjective  and  objective  view  of  distribution.  Philadelphia,  Ameri- 
can Academy  of  political  and  social    science,    1894.     8.     45  and  67   pp.     $  0,25. 

Rosewater,  Frank,  '96:  a  romance  of  Utopia ;  presenting  a  Solution  of  the 
labor  problem,  a  new  God  and  a  uew  religion.  Omaha  (Nebraska,  U.  St.),  the  Utopia 
C°,  1894.  8.  VI— 268  pp.  $  0,50.  (Ein  1896  bis  1930  in  dem  im  Herzen  Afrikas 
belegenen  Phantasiestaate  Utopia  spielender  Staatsroman  mit  originellen  Ausführungen 
neuer  Theorien  über  Arbeit,  Arbeit  und  Kapital ,  Verteilung  und  Umlauf  der  Güter  etc.) 

Guar  nie  ri,  L.,  Radicali-socialisti  dell'  avvenire  in  Italia :  principi  e  programma. 
Roma,  tip.  di  Ed.  Perino  ed.,  1894.     8.     56  pp. 

Feenstra,  A.,  Beginselen  der  staathuishoudkunde.  Gorinchem ,  J.  Noorduyn  & 
Zoon,   1894.     8.     IV— 103  blz.     fl.   1.—. 

Bran as,  A.,  Historia  et-onömica.     Madrid,  Suarez,   1894.     8.     pes.   7. — . 

Sänchez  de  Toca,  J.,  Problemas  econömieos  y  sociales.  Madrid,  G.  Hermandez, 
1894.     8.     pes.  4.—. 

2.     Geschichte  und  Darstellung  der  wirtschaftlichen  Kultur. 

R  a  t  z  e  1 ,  Fried  r. ,  Politische  und  Wirtschaftsgeographie  der 
Vereinigten  Staaten  von  Amerika.  Zweite  Auflage.  (Zweiter  Band  von 
des  Verf.  Werk :  Die  Vereinigten  Staaten  von  Amerika.)  München, 
R.  Oldenbourg,  1893.  XVI,  763  SS.  gr.  8°  mit  einer  Kulturkarte  und  16 
Kärtchen  und  Plänen  .im  Text. 

Im  rechten  Augenblick  für  den  Strom  deutscher  Reisenden,  den  die 
Weltausstellung  nach  Chicago  lockte,  erschien  diese  neue  Bearbeitung  des 
kulturgeographischen  Teiles  des  bedeutendsten  Werkes,  das  die  Gesamt- 
darstellung der  Union  sich  zur  Aufgabe  gemacht  hatte.  Dem  Umfange 
nach  stimmt  sie  überraschend  genau  mit  der  ersten  Auflage  überein. 
Aber  der  Verf.  hat  Recht,  auf  der  Schwelle  der  Vorrede  sein  Werk  als 
ein  neues  Buch  zu  bezeichnen.  Auf  die  gedrängte  Einzelbeschreibung 
der  Staaten  und  Territorien,  welche  die  letzten  100  Seiten  der  ersten 
Auflage  einnahm  und  bei  der  raschen  Entwickelung  der  Besiedelung  heute 
nicht  mehr  in  Gestalt  eines  so  eng  begrenzten  Anhangs  hätte  geboten 
werden  können,  hat  der  Verf.  dieses  Mal  lieber  vollkommen  verzichtet. 
Er  hat  dadurch  Raum  gewonnen,  die  allgemeine  Darstellung  noch  reich- 
haltiger zu  gestalten  und  tiefer  zu  begründen.  Zu  beidem  luden  un- 
widerstehlich ein  die  Ergebnisse  der  grofsen,  in  weitläufigen  statistischen 
Werken  niedergelegten  Arbeiten  des  10.  und  11.  Census  (1880  und  1890). 
Für  ihre  vergleichende  Verwertung  fiel  nicht  nur  ihre  vollkommenere 
Durchführung  förderlich  ins  Gewicht,  sondern  besonders  einladend  die 
Thatsache,  dafs  beide  Zählungen  weder  von  einander  noch  von  dem  vor- 
angegangenen 9.  Census  (18  70)  durch  eine  so  einschneidende  Katastrophe 
getrennt  waren,  wie  sie  in  dem  noch  weiter  zurückliegenden  Jahrzehnt 
der  Bürgerkrieg  herbeigeführt  hatte.     Zwanzig  Jahre  ruhiger,  ungestörter 


Uebersicht  über  die  neuesten   Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.      299 

Entwickelung  in  einem  so  viel  uud  mannnigfach  ausgestatteten  Wirt- 
schaftsgebiete mufsten  für  jeglichen  Zweig  der  Nationalökonomie  und 
Statistik  eine  Fülle  lehrreicher  Erfahrungen  zeitigen.  Grundlagen,  Mittel 
und  Erfolge  des  amerikanischen  Wirtschaftslebens  haben  in  dieser  Zeit 
sich  erheblich  verändert  und  der  Union  mit  gesteigerter  Bedeutuug  auch 
ein  erhöhtes  Selbstgefühl  und  wachsende  Ansprüche  im  Verkehrsleben 
der  Erdoberfläche  begründet.  Es  wäre  naturgemäfs  unmöglich,  im  Rahmen 
eines  geographischen  Werkes  eine  Uebersicht  über  die  wechselnden  Strö- 
mungen des  wirtschaftlichen  Lebens  der  Union  in  dieser  ergebnisreichen 
Zeit  zu  bieten.  Hier  gilt  es  weniger  den  Entwickelungsgang  mit  allen 
Wendungen,  als  vielmehr  das  als  Grundlage  der  nächsten  Zukunft  dienende 
Ergebnis,  den  gegenwärtigen  Zustand  zu  betonen,  und  zweifellos  wird  jeder 
am  Leben  jenseits  des  Ozeans  Interesse  Nehmende  dem  Verf.  Dank  wissen 
für  die  grofse  Sorgfalt,  mit  der  er  aus  den  unablässig  weiter  rauschenden 
üriginalquelleu  schöpfend,  ein  klares,  in  wohlgewählten  statistischen 
Ziffern  und  selbständigen  Urteilen  gefafstes  Bild  der  transatlantischen 
Kulturwelt  entworfen  hat.  Einer  Welt ,  die  so  rascher  Umgestaltung 
unterliegt,  konnte  nur  ein  ebenso  beweglicher  Geist  mit  leichtflüssigem 
Gedankenzuge  gerecht  werden.  Das  empfindet  man  besonders  lebhaft, 
wenn  man  die  umgegossene,  vielfach  ganz  neu  begründete  Darstellung 
mit  der  13  Jahre  älteren  Vorgängerin  vergleicht.  Relativ  am  vollsten 
ist  die  alte  Anlage  erhalten  in  dem  3.  und  4.  Hauptabschnitt :  der  Wirt- 
schaftsgeographie (Land-  und  Waldwirtschaft,  Bergbau,  Gewerbe,  Ver- 
kehr, Handel)  und  dem  Bilde  des  staatlichen  und  geistigen  Lebens.  Nur 
ist  überall  eine  knappere,  straffere  Fassung  der  Darstellung  eingetreten 
und  eine  dem  Fortschritt  der  Thatsachen  entsprechende  Neubearbeitung 
und  Ergänzung  erfolgt.  Dagegen  haben  durchgreifende  Umgestaltungen 
und  ansehnliche  Erweiterungen  erfahren  die  ethnographische  und  statistische 
Behandlung  der  Bevölkerung  im  1.  und  2.  Hauptabschnitt  und  die  Ein- 
leitung, welche  die  natürlichen  Bedingungen  der  Kulturentwickelung  des 
Gebietes  betrachtet.  Die  Wendung  in  dem  Verhalten  der  Union  gegen 
die  Einwanderung  regte  an  zu  einer  Würdigung  des  Zustromes  fremder 
Ansiedler,  zur  Betrachtung  der  Verschiebung  der  Wauderziele,  zur  Prü- 
fung und  Deutung  des  allmählich  mäfsiger  werdenden  Wachstums  der 
Volkszahl  und  der  Ursachen,  die  ihre  geographische  Verteilung  ver- 
ändern. Unter  den  Bevölkerungselementen  der  Union  schienen  die  Neger 
einer  ganz  besonderen  Beachtung  wert,  weil  das  Censuswerk  etwas  zu 
einseitig  die  grofse  Sterblichkeit,  die  unter  ihnen  herrscht,  betont,  und 
geneigt  ist,  die  Zukunftsbedeutung  der  Farbigen  zu  unterschätzen.  R.  hebt 
demgegenüber  hervor,  dafs  aufser  der  wachsenden  Ausbreitung  der  Neger 
über  alle  Teile,  namentlich  über  alle  Städte  der  Union,  auch  eine  Ver- 
dichtung der  Negerbevölkerung  in  einem  Teile  der  Südstaaten  bemerkbar 
ist  und  hier  unvermeidlich  eine  den  amerikanischen  Freistaaten  sonst 
fehlende  Zerklüftung  der  Gesellschaft  sich  entwickelt,  je  bestimmter  die 
weifse  Bevölkerung  eine  Mischung  mit  der  farbigen  ablehnt.  Welche 
Gestalt  die  Negerfrage  der  Zukunft  hier  annehmen  wird,  ist  noch  schwer 
abzusehen;  aber  auf  ein  Zusammenschwinden  der  schwarzen  Bevölkerung 
(71/2    Mill.)  ist  nicht  zu  rechnen.      Am    tiefsten    greift    die   Umgestaltung 


300     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

des  Werkes  in  der  Einleitung.  Hier  haben  insbesondere  die  allgemeinen 
Abschnitte  Lage,  Peripherie  (Grenzen  und  Küsten),  Raum  (S.  1 — 105), 
die  früher  nur  durch  eine  kurze,  knappe  Gedankenreihe  vertreten  waren, 
einen  ganz  neuen  Ausbau  erhalten,  der  dem  Verf.  Gelegenheit  giebt,  den 
beherrschenden  Blick,  die  Gewöhnung  an  grofse  Anschauungen  zu  be- 
währen in  einer  würdigen  ideenreichen  und  fesselnden  Darstellung.  Liegt 
demnach  auch  der  Schwerpunkt  der  neuen  Vorzüge,  die  R.'s  politische 
Geographie  der  V.  St.  gewonnen  hat,  entschieden  auf  geographischem 
Gebiet,  so  wird  doch  auch  der  Nationalökonom  mit  Befriedigung  hier 
die  Ergebnisse  der  jüngsten  Fortentwickelung  dieses  Wirtschaftsgebiete» 
niedergelegt  und  in  urteilsvollem  Zusammenhange  verwertet  finden. 

Breslau.  J.  Parts  eh. 

Müller,  Ew.,  Das  Wendentum  in  der  Niederlausitz.  Kottbus ,  H.  Differt,  1894. 
gr.  8.     X— 192   SS.  mit  11   Tafeln  Abbildungen  und   1   Spraehkärtchen.     M    3,50. 

Rachfahl,  F.  (Privatdozent,  Kiel),  Die  Organisation  der  Gesamtstaatsverwaltung- 
Schlesiens  vor  dem  dreifsigjährigen  Kriege.  Leipzig,  Duncker  &  Humblot,  1894.  gr.  8. 
XII — 482  SS.  M.  10. — .  (Staats-  und  sozialwissenschaftliche  Forschungen.  Herausgegeben 
von  G.   Schmoller,  Band  XIII,  Heft  1.) 


Combes  de  Lestrade  (le  vicomte) ,  La  Sicile  sous  la  monarchie  de  Savoie. 
Paris,  Guillaumin,  1894.  in-18  Jesus.  IV— 422  pag.  fr.  3,50.  (Table  des  matieres: 
Livre  I.  L'etat  present :  Aspect  general  de  l'ile.  —  La  grande  propriete.  —  Les  proprie- 
taires  de  terres  divisees.  —  Les  villes.  —  Le  gaspillage  des  activites.  —  Les  grandes 
villes.  —  La  classe  intermddiaire.  —  Les  paysans.  —  Les  contrats  agraires  actuels.  — 
Les  municipalites  et  les  octrois.  —  Les  mines  de  soufre.  —  Livre  II.  Les  utopies:  Les 
reformes  projetees.  —  Le  metayage  obligatoire.  —  Le  parti  socialiste  en  Sicile.  — 
Reformes  de  l'exploitation  soufriere.  —  Resume  des  utopies  proposees.  —  Livre  III.  La 
Solution  :  Possibilit6  du  relevement  de  la  Sicile.  —  La  decentralisation.  —  L'autonomie 
de  la  Sicile  serait  profitable  ä  l'Italie  tout  entiere.  —  Possibilite  de  l'autonomie  sans 
modifier  l'essence  du  Statut.  —  Livre  IV.  Conclusion  :  Condamnation  de  l'Italie  une.  — 
Le  federalisme.    —  L'avenir:  La  resurrection  de  la  Sicile  et  la  France.  —  etc.) 

Enquete  sur  les  conditions  de  l'habitation  en  France.  Les  maisons  types,  avec 
une  introduetion  de  M.  Alfred  de  Foville  (membre  du  comite-  des  travaux  historiques  et 
scientifiques  (section  des  sciences  economiques  et  sociales)  du  Ministere  de  l'instruction 
publique.)     Paris,  Leroux,  1894.     8.      LI — 386  pag.   avec  figures  et  planches. 

de  Ganniers,  A. ,  Le  Maroc  d'aujourd'hui,  d'hier  et  de  demain :  Paris,  Jouvet  & 
Cie  ,   1894.     8      illustre  de  38  gravures  et  aecompague  d'une  carte,     fr.  3,50. 

Nieole,  J.,  Le  livre  du  Prefet  ou  l'^dit  de  l'Empereur  Leon-le  Sage  sur  les  corpo- 
rations  de  Constantinople.  Truduction  du  texte  grec  de  Geneve,  avec  une  introduetion 
et  des  notes  explicatives.  Geneve  1894.  8.  (Le  Prefet  de  Constantinople  etait  grand- 
maitre  des  corporations.  L'edit  traite  des  diverses  attributions  et  des  reglements  des 
divers  corps  de  metiers  aux  IX  e  et  Xe  siecles  [886  ä  911].) 

Pensa,  H.  (avocat,  secretaire  de  la  delegation  senatoriale  en  Algerie),  L'Algerie. 
Voyage  de  la  Commission  senatoriale  d'etudes  des  questions  Algeriennes,  presidee  par 
J.  Ferry.  Paris,  J.  Rothschild,  1894.  8.  500  pag.  avec  carte  imprime  en  5  couleurs, 
indiquant  l'itineraire  de  la  delegation  et  le  programme  de  la  colonisation  de  1891  ä  1895. 
fr.  10. — .  (Sommaire:  Organisation  politique  et  administrative.  —  Justice.  —  Securitö. 
—  Instruction  publique.  —  Travaux  publics.  —  Colonisation  francaise  et  europeenne.  — 
Agriculture  et  forets.  —  Propriete  et  etat  civil  chez  les  indigenes.  — ) 

Egypt,  N°  1  (1894).  Report  on  the  finance,  administration,  and  condition  of 
Egypt,  and  the  progress  of  reforms.  London,  printed  by  Harrison  &  Sons,  1894.  Folio. 
38  pp.  (Presented  to  both  Houses  of  Parliament,  April  1894.)  [Contents:  Annual  report 
on  the  year  1893,  by  Lord  Cromer.  —  A  memorandum  by  Mr.  Garstin  on  the  work 
done  by  the  Public  Works  Department  during  1893.  — ] 

Fowler,  J.  K.  („Rusticus"  pseud.),  Recollections  of  old  country  life,  social,  poli- 
tical,  sporting,  and  agricultural.  New  York,  Longmans,  Green  &  C°,  1894.  XX — 235  pp., 
clotb.     Ä  3.—. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     301 

Toynbee,  A.,  Lectures  on  the  industrial  revolution  of  tlie  18th  Century  in  Eng- 
land. With  memoir  by  B.  Jowett.  4th  edition  with  appendix.  London,  Longmans,  1894. 
8.     350  pp.      10/.6. 

Sicilia.  Torino,  fratelli  Bocca  edit.,  1894.  16.  374  pp.  1.3,50.  (Estr.  dal  indice : 
La  popolazione. —  Condizioni  economiche:  agricoltura,  iudustria,  commercio. —  Cultura, 
ingegni  arti,  lettere.  —  Piaglie :  il  malandrinaggio.  —  La  raatia  e  l'omertä.  —  L'agita- 
zione   sociale,  i  fasci.  —    Difesa  della   Sicilia.  —  Appendice  al   capitolo   dei  fasci.  — ) 

Jacobs,  J.,  Het  familie-  en  karapongleven  of  Groot-Atjeh.  Leiden,  E.  J.  Brill, 
1894.     8.     fl.   15.-. 

3.  Bevölkerungslehre  und  Bevölkerungspolitik.    Auswanderung  und  Kolonisation. 

Bau  mann,  0.,  Die  kartographischen  Ergebnisse  der  Massai-Expedition  des  Deut- 
schen Antisklavereikomitees.  Gotha,  Perthes,  1894.  Roy. -8.  56  SS.  mit  Originalkarte 
des  nördlichen  Deutsch-OstatVika,  4  Blatt  im  Mafsst.  1  :  600  000.  M.  7.—.  (A.  u.  d.  T  : 
Petermanns  Mitteilungen,   hrsg.   von  Supan,   Ergänzungsheft   Nr.  111.) 

Beneke,  AI.,  Die  Ausbildung  der  Kolonialbeamten.  Im  Auftrage  der  deutschen 
Kolonialgesellschaft  unter  Benutzung  amtlicher  Quellen  dargestellt.  Berlin,  C.  Heymann, 
1894.     gr.  8.     VII— 90  SS.     M.  2.—. 

Weidmann,  C,  Deutsche  Männer  in  Afrika.  Lexikon  der  hervorragendsten  deut- 
schen Afrikaforscher,  Missionare  etc.  Lübeck,  B.  Nöhring ,  1894.  gr.  8.  194  SS.  mit 
64  Porträts  in   Lichtdruck.     M.   6. — . 


de  Santa-Anna  Nery,  F.  J.,  L'emigration  et  l'immigration  pendant  les  derniers 
annees:   commuuication.     Genova,  tip.   dell'  istituto  Sordomuti,   1893.      8.      60  pp. 

Booth,  C  h. ,  The  aged  poor  in  England  and  Wales.  Condition.  London,  Mac- 
millan  &  C°,  1894.  VI  — 525  pp.,  cloth.  10/.20.  (Contents:  Part  I.  General  compa- 
risons:  1.  Suminary  of  material  used.  2.  Analysis  of  population  by  groups.  3.  Compa- 
rison  by  groups  (Proportion  of  old  people.  Proportion  of  the  old  in  receipt  of  relief. 
Proportion  of  out-relief  given).  4.  Comparison  between  London  and  other  great  centres 
of  population.  5.  Results  of  maximum  and  minimum  proportion  of  out-relief.  6.  Old 
age  pauperism  and  movements  of  population.  7.  Influence  of  decreasing  rates  of  general 
pauperism.  8.  Total  numbers  of  aged  paupers.  9.  The  efifect  of  age  on  pauperism.  — 
Part  II.  Individual  comparisons.  —  Part  III.  Reports  on  the  condition  of  the  old.  — 
Part  IV.    Old  age  in  villages.  — ) 

Portal,  G.  (the  late),  The  British  mission  to  Uganda  in  1893.  Edited  by  Renuell 
Rodd.  With  an  introduetion  by  Lord  Cromer.  London,  E.  Arnold,  1894.  8.  With 
40  illustrations.     21/.—. 

Magliano  di  Villar  S.  Marco  R.,  L'emigrazione  italiana  in  America  ne'  suoi 
rapporti  coli'  economia  nazionale :  relazione.     Genova,   tip.   Sordomuti,   1894.     8.      12   pp. 

Operato  dell'  ufficio  di  agricoltura  e  colonizzazione  dell'  Eritrea.  Relazione  L. 
Franchetti,  in  appendice  alla  relazione  annuale  della  colonia  eritrea  (28  aprile  1894). 
Roma,  tip.  della  Camera  dei  Deputati,   1894.     4.     50  pp. 

4.     Bergbau.     Land-  und  Forstwirtschaft.     Fischereiwesen. 

Burlage,  E.,  Die  Pfändung  bei  Personen,  welche  Landwirtschaft 
betreiben.  Zugleich  ein  Beitrag  zur  allgemeinen  Lehre  von  den  Pfän- 
dungsbeschränkungen.     Berlin,   Otto  Liebmann,    1893.   8°.   103   SS, 

Vorstehende  Schrift  verdankt  ihre  Entstehung  dem  Umstände,  dafs 
die  juristische  Theorie  und  Praxis  der  Auslegung  des  §  715,  Nr.  5  der 
C.P.O.  bisher  nur  geringe  Aufmerksamkeit  zugewandt  haben.  Hiernach 
sind  der  Pfändung  nicht  unterworfen  „bei  Personen,  welche  Landwirt- 
schaft betreiben,  das  zum  "Wirtschaftsbetriebe  unentbehrliche  Gerät,  Yieh- 
und  Feldinventarium  nebst  dem  nötigen  Dünger,  sowie  die  landwirtschaft- 
lichen Erzeugnisse ,  welche  zur  Fortsetzung  der  Wirtschaft  bis  zur 
nächsten  Ernte  unentbehrlich  sind."  Wenn  bekanntlich  auch  den  übrigen 
Berufs-  und  Erwerbsständen  ähnliche  Schutzbestimmungen  zur  Seite 
stehen,    so    sind  dieselben  doch  nicht  so  weitgehend    wie    die    mit  obiger 


302     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und   des  Auslandes. 

Vorschrift  der  Landwirtschaft  gewährten.  Die  auch  Tom  Verf.  anerkannte 
sozialpolitische  Berechtigung  dieser  Ausnahmestellung  der  Landwirtschaft 
hinsichtlich  der  Pfändungsbeschränkungen  ist  übrigens,  wie  durch  einen 
kurzen  historischen  Rückblick  nachgewiesen  wird,  schon  von  dem  älteren 
Recht  als  ein  Bedürfnis  empfunden  worden.  Dem  Verf.  ist  es  in  seiner 
Schrift  vor  allem  darum  zu  thun,  bezüglich  der  Auslegung  jener  wichti- 
gen Bestimmung  auf  die  Schaffung  fester  Normen  hinzuwirken  und  die 
bei  ihrer  praktischen  Anwendung  sich  erhebenden  Zweifel  und  Unsicher- 
heiten zu  beseitigen.  Es  darf  'erwartet  werden,  dafs  die  klaren,  von 
voller  Beherrschung  des  Stoffes  zeugenden  Ausführungen  diesen  ihren 
Zweck  erreichen.  Der  Verf.  benutzt  die  Gelegenheit,  um  in  der  juristisch 
viel  umstrittenen  Frage  der  Einwirkung  des  Willens  des  Schuldners  auf 
die  Piändbarkeit  seinen  Standpunkt  darzulegen.  Endlich  ergeben  sich 
ihm  aus  seinen  Untersuchungen  mehrere  Abänderungsvorschläge  bezüglich 
des  §  715  der  C.P.O.  sowie  der  verwandten  Bestimmungen  des  Ent- 
wurfs eines  bürgerlichen  Gesetzbuches.  Die  Schrift  ist  nicht  nur  für 
Juristen  von  Interesse,  sondern  kann  auch  Landwirten  und  Sozial- 
politikern zur  Berücksichtigung  empfohlen  werden. 

Köln.  Dr.  A.  Wirminghaus. 

Arndt,  Ad.  (k.  preufs.  OBergR.  u.  Prof.,  Halle),  Bergbau  und  Bergbaupolitik. 
Leipzig,  Hirschfeld,  1894.  gr.  8.  VIII— 247  SS.  M.  6,80.  (A.  u.  d.  T. :  Hand-  und 
Lehrbuch  der  Staatswissenschaften  hrsg.  von  K.  Frankenstein,  Abteil.  I.  Volkswirtschafts- 
lehre,  Bd.   11.) 

Gassebner,  H.,  Die  Pferdezucht  in  den  im  Reichsrate  vertretenen  Königreichen 
und  Ländern  der  österreichisch-ungarischen  Monarchie.  I.  Das  Staatspferdezuchtwesen. 
Wien,   k.   k.  Hof-  und  Staatsdruckerei,   1893.     gr.  in-8. 

Heydecke  (Kulturingenieur),  Die  Bekämpfung  der  verheerenden  Ueberschwem- 
mungen,  des  Wassermangels  und  der  Dürre.  Eine  kultur-  und  hydrotechnische  Abhand- 
lung in  volkstümlicher  Darstellung.  Braunschweig,  J.  H.  Meyer,  1894.  gr.  8.  30  SS. 
M.  1.—. 

Lemberg,  H.,  Die  Steinkohlenzechen  des  niederrheinisch-westfälischen  Industrie- 
bezirks.    Dortmund,  C.  L.  Krüger,  1894.      12.     55  SS.     M.   1,50. 

Malachowski,  H.  (K.  Regierungs-BauM.),  Anlage,  Einrichtung  und  Bauausfüh- 
rung ländlicher  Arbeiterwobnungen.  Nach  Bauplänen  des  k.  preufs.  Ministeriums  für 
Landwirtschaft,  Domänen  und  Forsten  und  der  deutschen  Landwirtschaftsgesellschaft. 
Berlin,  P.  Parey,  1894.  4.  IV  — 71  SS.  mit  XXI  Tafeln  und  einem  ausführlichen  Kosten- 
anschlage.    M.  4. — . 

Platzmann  (Saida-Kreischa),  Die  wahren  Ursachen  der  jetzigen  Krisis  am  Pro- 
duktenmarkt und  über  einige  Mittel,  den  landwirtschaftlichen  Betrieb  dagegen  zu  schützen. 
Dresden,  Friese  &  v.  Puttkamer,   1894.      gr.  8.      32   SS.     M.  0,50. 

Preufs,  W.,  Welche  Einrichtungen  der  Besitzer  sind  geeignet,  ländliche  Arbeiter 
vom  Zug  nach  der  Stadt  zurückzuhalten?  Berlin,  Parey,  1894.  8.  32  SS.  M.  0,50. 
(Gekrönte  Preisschrift.) 

Ruhland,  G.  (Dozent  für  Nationalökonomie,  Zürich),  Leitfaden  zur  Einführung  in 
das  Studium  der  Agrarpolitik.     Berlin,   Parey,   1894.     gr.   8.     IV— 61   SS.     M.    1,20 

Schindler,  Fr.  (Prof.),  Die  Flachsbau-  und  Flachshandelsverhältnisse  in  Rufs- 
land mit  besonderer  Rücksicht  auf  die  baltischen  Gouvernements.  Wien ,  A.  Holder, 
1894.     8.     48  SS.     M.    1,20. 

v.  Skarzynski,  Witold,  Die  Agrarkrisis  und  die  Mittel  zu  ihrer  Abhilfe.  Grund- 
züge eines  agrarpolitischen  Programms.  Als  Referat  für  ,,die  Grundkreditkommission" 
des  „Bundes  der  Landwirte"  gedruckt  und  herausgegeben.  Berlin,  F.  Teige,  1894.  gr.  8 
III— 127   SS.     M.    1,50. 

Wohltmann,  F.  (Prof.,  Breslau),  Landwirtschaftliche  Reisestudien  über  Chicago 
und  Nordamerika.     Breslau,  Schlettersche  Buchhdl,   1894.  gr.  8.   VIII— 440  SS.    M.  6. — 

Zuns,  J.,   Die  Verminderung    der  Bodenverschuldung    durch    eine    Steuer    auf  Rest- 


Uebersicht  über  die  neuesten   Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     303 

kaufgelder  für  den  gröfseren   Grundbesitz.  Frankfurt  a/M.,  Bechhold,   1894.  gr.   8.  23  SS 
M.  0,50.  

Frank,  Yorkshire  fishing  and   shooting.     York,  Sampson,   1894.     8.      1/. — . 

Le  Neve  Foster  (Prof.  of  minitig  at  the  Royal  College  of  Bcience,  London),  Ore 
and  stone  mining.  London,  Griffin  &  C°,  1894.  gr.  in-8.  With  716  illustrations.  34/. — . 
(Contents  :  Mode  of  oecurrence  of  rniuerals.  —  Boring.  —  Breaking  ground.  —  Suppor- 
ting  excavations.  —  Exploitation.  —  Haulage  or  transport.  —  Hoisting  or  winding.  — 
Drainage.  —  Ventilation.  —  Lighting.  —  Descent  and  aseent.  —  Dressing.  —  Principles 
of  employment  of  mining  labour.  —  Legislation  atfecting  mines  and  quarries.  —  Con- 
dition  of  the  miner.   —   Accidents.  — ) 

Report  of  the  Inspector  of  Irish  fisheries.  On  the  sea  and  inland  fisheries  of 
Ireland  for   1893.     London,  printed  by  Eyre  &  Spottiswoode,   1894.     gr.  in-8.      1/.3. 

Giannuzzi,  V.,  La  questione  agrieola  in  Italia.  Milano,  tip.  di  S.  Ghezzi,  1894. 
8.     18  pp. 

Risultati  delle  coltivazioni  sperimentali  del  frumento:  anni  1889 — 92.  Roma, 
tip.  nazionale  di  G.  Bertero,  1894.  8.  XXIII— 321  pp.  1.  2,50.  (Pubblicazione  del 
Ministerio  di  agricoltura,  industria  e  commercio,   direzione  generale  dell'   agricoltura.) 

Traina,  A.,  Pro  agro  nostro :  prestito  senza  interesse  per  riscattare  le  terre  da 
ripartirsi  a  160  mila  proletari.     Palermo,  tip.   Settimana  commerciale,    1894.     16.     31   pp. 

Katona,  Mör.  ,  A  magyar  csaladi  hitbizomäny.  Budapest,  Franklin,  1894.  8. 
392   SS.      (Das  ungarische  Familienfideikommifs,  von  Moritz   Katona.) 

K  a  r  e  1  i  n.  OöuuiHHoe  B^aflime  Bt  Poetin  An.  A.  KapcaiiHa.  St.  Petersburg, 
Souvorin,   1893.      16.      (Die  Gemeindedomäne  in  Rufsland,   von  Ar.   A.   Karelin.) 

5.     Gewerbe  und  Industrie. 

Berichte  der  schweizerischen  Fabrikinspektoren  über  ihre  Amtsthätigkeit  in  den 
Jahren  1892  und  1893.  Aarau  ,  Sauerländer  &  C°,  1894.  gr.  8.  236  SS.  M.  2,80. 
(Deutscher  und  französischer  Text.  Veröffentlicht  vom  schweizerischen  Industrie-  und 
Land  wirtschaftsdepartement.) 

Brunstein,  L.  (Hof-  u.  Ger.-Advok.),  Die  Patentreform  in  Oesterreich  nach  den 
Vorentwürfen  des  k.  k.  Handelsministeriums,  Referat  zu  einem  Gutachten  des  juridischen 
Doktorenkollegiums  in  Wien.  Teil  I.  Wien,  Manz,   1894.  gr.  8.  VIII— 131  SS.     M.  3.—. 

Hieke,  W.,  Litteratur  zur  Geschichte  der  Industrie  in  Böhmen  bis  zum  Jahre 
1850.  Prag,  Verlag  des  Vereins  zur  Geschichte  der  deutschen  Industrie  in  Böhmen, 
1893.     gr.  8.     XV— 133  SS.     M.  2,40. 

Juri  seh,  K.  W.  (Dozent,  Kgl.  technische  Hochschule),  Die  Fabrikation  von  schwe- 
felsaurer Thonerde.  Berlin,  Fischers  technologischer  Verlag,  1894.  gr.  8.  IV — 113  SS. 
(Aus  dem  Inhalte:  Geschichtliche  Entwickelung  und  Patentlitteratur.  —  Wirtschaftliches. 
—  Statistik.   — ) 

van  Marken,  J.  C.  (Direktor  der  Niederländischen  Prefshefe-  und  Spiritusfabrik 
in  Delft),  Durch  Arbeit  für  die  Arbeit.  Ein  neuer  Versuch  praktischer  Durchführung 
der  Gewinnbeteiligung    der  Arbeiter.     Dessau,    P.  Baumann,    1894.     8.     20  SS.     M.  0,60. 

Schwiedland,  E.,  Kleingewerbe  und  Hausindustrie  in  Oesterreich.  Beiträge  zur 
Kenntnis  ihrer  Entwickelung  und  ihrer  Existenzbedingungen.  2  Teile.  Leipzig,  Duncker 
&  Humblot,  1894.  gr.  8.  (I.  Allgemeiner  Teil:  Die  wirtschaftliche  Stellung  der  Haus- 
industrie und  des  Kleingewerbes.  X — 229  SS.  M.  4,40;  II.  Besonderer  Teil :  Die  Wiener 
Muscheldrechsler.     VI— 450   SS.     M.  7,60.) 


Monthaye,  E.  (capitaine-commandant  d'Etat-major) ,  Krupp  h  l'Exposition  de 
Chicago  de  1893.  Bruxelles,  Mucquardt,  1894.  gr.  in-8.  140  pag.  avec  XXXI  planches, 
la  Photographie    du    pavillon  Krupp  a  Chicago  et  le  plan  des  acieries  d'Essen.     fr.   5,40. 

Report,  Xlth  ,  0f  the  Comptroller  General  of  patents,  designs,  and  trade  marks 
with  appendices  for  the  year  1893.  London,  printed  by  Darling  &  Son,  1894.  Folio. 
22  pp.     (Presented  to  both  Houses  of  Parliament.) 

Roth  well,  R.  P.,  The  mineral  industry :  its  statistics ,  technology,  and  trade. 
Vol.  II.     London,  Scientific  Publishing  C°,   1894.     8.      1050  pp.     25/.—. 

6.     Handel  und  Verkehr. 
Bericht  der  Handelskammer  zu  Bielefeld  für  das  Jahr  1893,  umfassend  die  Kreise- 
Bielefeld  (Stadt-  und  Landkreis),    Halle,    Wiedenbrück    und    einen    Teil  des  Kreises   Her 
ford.     Bielefeld,    Druck    der  A.-G.  Wächter,    Bielefelder   Zeitung,    1894.     8.     V— 90  SS. 


304     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutscblands  und  des  Auslandes. 

Bericht  der  Handelskammer  für  den  Regbez.  Oppeln,  den  Handel-  und  Gewerbe- 
treibenden ihres  Bezirkes  erstattet,   1893.  Oppeln,    Druck  von  E.   Raabe,   1894.   8.    140  SS. 

Bericht,  summarischer,  der  Handels-  und  Gewerbekammer  in  Olmütz  über  die 
geschäftlichen  Verhältnisse  in  ihrem  Bezirke  während  des  Jahres  1893.  Olmütz,  Hölzel, 
1894.     XXII— 81   SS.  mit  1   graphischen  Tafel      M.   2,80. 

Deutscher  nautischer  Verein.  Verhandlungen  des  XXV.  Vereinstages,  Berlin, 
den  26.  und  27.  Februar  1894.  Kiel,  Druck  der  „Nord-Ostsee-Zeitung'',  1894.  gr.  8. 
155   SS.  und  Anhang    XXII  SS. 

Goldschmidt,  F.,  Die  soziale  Lage  und  die  Bildung  der  Handlungsgehilfen. 
Berlin,   Springer,  1894.     gr.   8      48  SS.     M.  0,80. 

Handels-  uud  Gewerbekammern,  die,  kaufmännischen  Korporationen  und  die  dem 
deutschen  Handelstage  angehörigen  wirtschaftlichen  Vereine  des  Deutschen  Reichs.  Ein 
nach  Staaten  geordnetes  Verzeichnis  dieser  Korporationen  und  ihrer  Mitglieder,  nebst 
Angabe  der  bezügl.  hauptsächlichsten  Gesetzesbestimmungen  und  des  Umfangs  der  ein- 
zelnen Bezirke  und  einer  Karte  der  deutschen  Handelskammern.  Zusammengestellt  von 
dem  Bureau  des  Deutschen  Handelstages.  Berlin,  Liebheit  &  Thiesen,  1894.  gr.  4. 
VI— 50  SS.     M.   1,50. 

Hess  (BauR.  a.  D.,  Hannover),  Der  masurische  Schiffahrtskanal  in  Ostpreufsen. 
Im  Auftrage  des  landwirtschaftlichen  Centralvereins  für  Littauen  und  Masuren  erstattet. 
Königsberg  i/Pr.,  Braun  &  Weber,  1894.  gr.  8.  135  SS.  mit  2  kartographischen  An- 
lagen.     M    2. — . 

Jahresbericht  der  Handelskammer  für  Aachen  und  Burtscheid  für  das  Jahr 
1893.  Aachen,  Druck  von  H.  Georgi,  1894.  gr.  8.  V — 271  SS.  mit  5  kartographischen 
Anlagen. 

Jahresbericht  des  kgl.  Kommerzkollegiums  zu  Altona  für  1893.  Altona,  Druck 
von  H.  W.  Köbner  &  C°,  1894.     Folio.     75  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Bochum  für  das  Jahr  1893.  Bochum, 
Druck  von  Hoppstädter  &  O  ,   1894.     Folio.     67  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Breslau  für  das  Jahr  1893.  2  Teile. 
(Teil  II:  Breslaus  resp.  Schlesiens  Handel  und  Industrie  im  Jahre  1893.)  Breslau,  Druck 
von  O.  Gutsmann,  1894.  gr.  8.  XI — 399  SS.  mit  tabellarischen  und  graphischen  An- 
lagen. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Bromberg  für  1893.  Bromberg,  Buch- 
druckerei G.   Böhlke,   1894.     Folio.     61    SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu^Dortmund  für  das  Jahr  1893.  Dortmund, 
Druck  von  W.  Crüwell,    1894.     Folio.     60  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Düsseldorf  pro  1893.  Düsseldorf,  Druck 
von  Ed.  Lintz,  1894.  gr.  8.  134  SS.  und  Verzeichnis  der  in  die  Handelsregister  zu 
Düsseldorf  eingetragenen  Handelsfirmen  und  Handelsgesellschaften.     65   SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  für  Elberfeld  pro  1893.  Elberfeld,  gedruckt 
bei  S.  Lucas,   1894.     Folio.      52   SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Frankfurt  a/Oder  über  das  Jahr  1893. 
Frankfurt  a/Oder,  Druck  von  Trowitzsch  &  Sohn,   1894.     Folio.      82   SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Halle  a|S.,  1893.  Halle  a/S.,  Druck  der 
Buchdruckerei  des  Waisenhauses,  1894  Folio.  XLII — 100  SS.  nebst  graphischer  Dar- 
stellung der  Preise  von  rohem  und  raffiniertem  Zucker  in  Halle  a/S.  während  der  Jahre 
1892  und  1893  für  100  kg.  (Der  Bezirk  der  Handelskammer  umfafst  die  Kreise  Bitter- 
feld, Delitzsch,  Eckartsberga,  Stadtkr.  Halle,  Mansfelder  Gebirgskreis  (mit  Ausschlufs 
von  Ermsleben),  Mansfelder  Seekreis,  Merseburg,  Naumburg,  Querfurt,  Saalkreis,  Weifsen- 
fels,  Wittenberg  und  Zeitz.) 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Hanau  für  1893.  Hanau,  Kittsteinersche 
Buchdruckerei,   1894.     gr.   8.     VI— 194  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  für  den  Kreis  Heidelberg  nebst  der  Stadt 
Eberbach  für  1893.  Heidelberg,  Buchdruckerei  von  Ad.  Emmerling  &  Sohn,  1894.  gr.  8. 
VI— 175  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Hildesheim  über  das  Jahr  1893.  Hildes- 
heim, Druck  von  Gebr.   Gerstenberg,   1894.     8.     IV — 118  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Koblenz  für  1893.  Teil  II.  Koblenz, 
Krabbensche  Buchdruckerei,  1894.     Folio.     40  SS. 

Jahresbericht    der  Handelskammer    zu    Köln    für     1893.     Köln,    M.  Du  Mont- 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     305 

Schauberg,  1894.  gr.  8.  XI — 304  SS.  (Aus  dem  Inhalt:  Handels-  und  Industriegesetz- 
gebung. —  Zoll-  und  Steuerwesen.  Handelsverträge.  —  Geld-  und  Kreditwesen.  —  Ver- 
sicherungswesen.  —  Verkehrswesen.  —    Innere  Angelegenheiten    des  Handelsstandes.   — ) 

Jahresbericht  über  den  Gang  des  Handels,  der  Industrie  und  der  Schiffahrt 
•von  Magdeburg  im  Jahre  1893.  Magdeburg,  Fabersche  Buchdruckerei,  1894.  Folio. 
102  SS. 

Jahresbericht  der  grofsherz.  Handelskammer  zu  Mainz  für  das  Jahr  1893. 
Mainz,  Buchdruckerei  von  H.  Prickarts,  1894.  gr.  8.  VI  — 194  SS.,  einschl.  13  städ- 
tische Uebersicbten  in  Tabellenform. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Neufs  für  das  Jahr  1893.  Neufs,  Druck 
von  L.  Schwann,  1894.     8.     40  SS. 

Jahresbericht  der  pfälzischen  Handels-  und  Gewerbekammer  für  das  Jahr  1893. 
I.,  gutachtlicher  Teil.  Ludwigshafen  a.  Rh.,  Baursche  Buchdruckerei,  1894.  gr.  8.  VIII — 
200  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Posen  für  1893.  Posen,  Hofbuchdruckerei 
W.  Decker  &  C°,  1894.  gr.  8.  VI— 172  SS.  mit  graphischer  Darstellung  der  Getreide- 
preise zu  Posen  von   1883   bis   1893   in  gr.-folio. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Saarbrücken  für  1893.  Saarbrücken, 
Druck  von  Gebr.  Hofer,   1894.     4.     61  SS. 

Küste,  die,  von  Annam.  Im  Auftrage  der  Direktion  der  Seewarte  aus  dem  neuesten 
französischen  Segelhandbuch  übersetzt.  Berlin,  Mittler  &  Sohn,  1894.  Roy. -8.  40  SS. 
(Beiheft  2  zu  den  ,,Annalen  der  Hydrographie  und  Maritimen  Meteorologie",   1894.) 


Chemins  de  fer;  postes ;  telegraphes;  marine.  Compte  rendu  des  Operations 
pendant  l'annee  1892.  4  parties.  Bruxelles,  impr.  Goemaere,  1893.  Folio.  XIII — 137, 
21,  23,  15  pag.  avec  2  cartes.  (Rapports  prdsentes  aux  Chambres  legislatives  par  le 
Ministre  des  chemins  de  fer,  postes  et  telegraphes  [relat.  aux  chemins  de  fer  en  exploi- 
tation,  postes,  telegraphes  et  marine]  et  par  le  Ministre  de  l'agriculture,  de  l'industrie 
et  des  travaux  publics  [relat.  aux  chemins  de  fer  en  construction  et  ä  l'administration 
des  ponts  et  chauss^es.] 

Repertoire  de  la  legislation  des  chemins  de  fer  francais.  Reseaux  secondaires 
et  tramways.  Situation  au  31  decembre  1893.  Paris,  imprim.  nationale,  1894.  in-4.  306  pag. 
(Publication  du  Ministere  des  travaux  publics.) 

A  n  n  u  a  1  statement  of  the  trade  of  the  U.  K.  with  foreign  countries  and  british 
possessions  for  the  year  1893.  Compiled  in  the  Custom  House  from  documents  collected 
by  that  Department.  London,  printed  by  Darling  &  Son,  1894.  Folio.  IX — 459  pp. 
3/. 10.  (Parliam.  paper.  Presented  to  both  Houses  of  Parliament  by  command  of  Her 
Majesty.) 

Bell,  H.  (Consulting  engineer  for  State  railways  to  the  government  of  India), 
Railway  policy  in  India.  London,  Rivington,  Percival  &  C°,  1894.  8.  with  maps  and 
plans.  16/. — .  (Contents:  Historical  sketch.  —  Guarantees  and  assistance.  —  State  con- 
struction and  administration.  —  History  of  the  gauge  on  Indian  railways.  —  Rates  and 
fares.  —  Indian  railway  legislation.  —  etc.  —  Appendices:  Standard  dimensions  to  be 
observed  on  railways  in  India.  —  Indian  Railway  Act.  —  List  of  Indian  railways, 
showing  lengths  and  other  Statistical  figures,   1892.   — ) 

China.  Imperial  Maritime  Customs.  III.  Miscellaneous  series,  N°  6.  List  of  the 
Chinese  lighthouses,  lightvessels,  buoys,  and  beacons  for  1894  (corrected  to  ls'  December 
1893).  XXIInd  issue.  Shanghai,  Kelly  &  Walsh,  and  London,  King  &  Son,  1894.  4. 
50  pp.  with  3  charts.  $  0,50.    (Published  by  order  of  the  Inspector  general  of  customs.) 

7.     Finanzwesen. 
K  il  1  er  m  an  n  ,  J.  G.    (k.  LandGer.R.,    Passau),    Mittelstand    und    Besitzsteuer    mit 
ihren  innigen  gegenseitigen  Beziehungen.  München,  J.   Schweitzer,   1894.  gr.  8.  IV — 52  SS. 
M.   0,60. 


Seligman,  E.  R.  A.,  Progressive  taxation  in  theory  and  practice.  Baltimore, 
American  Economic  Association,  1894.  8.  II — 222  pp.  $  1. — .  (Publications  of  the 
Society,  vol.  IX,  Nos  1  and  2.  Contents  :  The  history  of  progressive  taxation.  —  The 
theory  of  progressive  taxation.  —  Application  of  the  progressive  principle  to  American 
taxation.  —  Bibliography.  — ) 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXIII).  20 


306     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Sbardolini,  Dominatore,  II  dazio  consumo  alle  porte  di  Brescia.  Brescia, 
tip.  istituto  Pavoni,  1894.      16.     21   pp. 

Sidney-Sonnino  (Ministro),  Esposizione  finanziaria  letta  nella  seduta  del  21  feb- 
braio  alla  Camera  dei  Deputati.     Roma,  tip.   di  6.   Bertero,   1894.      4.      83  pp." 

Stato  di  previsione  della  spesa  del  Ministero  della  guerra  per  l'esercizio  finanziario 
1894 — 95.  Relazione  F.  Pais  (28  aprile  1894).  Roma,  tip.  della  Camera  dei  Deputati, 
1894.      4.     88  pp. 

Vinci,  G.  (avvocato),  L'imposta  di  ricchezza  mobile  in  Italia  nel  suo  funziona- 
mento.     Palermo,  tip.  S.  Chiliemi,  1893.     16.     33  pp. 

iS.     Geld-,  Bank-,  Kredit-  und  Versicherungswesen. 

Ring,  Viktor,  Das  Reichsgesetz  betr.  die  Kommanditgesellschaften 
auf  Aktien  und  die  Aktiengesellschaften  vom  18.  Juli  1884.  Zweite  Auf- 
lage, Berlin   1893.      756  SS. 

Der  Verfasser  hatte  sich  schon  bei  der  ersten  Auflage  seines  Kom- 
mentars die  Aufgabe  gestellt,  eine  in  gröfseren  Zügen  gehaltene  Erläu- 
terung der  Grundsätze  des  Gesetzes  in  der  Form  eines  Kommentars  zu 
bieten.  Er  hat  diesen  Standpunkt  auch  in  der  vorliegenden  zweiten  Auf- 
lage festgehalten.  Dagegen  liegt  im  einzelnen  eine  völlige  Umarbeitung 
vor.  Was  die  Anordnung  des  Stoffes  betrifft,  so  schliefst  sich  die  Er- 
örterung im  Gegensatze  zur  ersten  Auflage  nicht  mehr  der  Kommandit- 
gesellschaft auf  Aktien,  sondern  der  Aktiengesellschaft  an,  und  sind  die 
Erläuterungen  selbst  in   einzelne  überschriebene  Abschnitte  eingeteilt. 

Das  Bestreben,  gewissermafsen  ein  System  in  der  Form  eines  Kom- 
mentars zu  bieten,  ist  gewifs  anerkennenswert,  wenn  auch  naturgemäfs 
nur  mangelhaft  realisierbar.  Der  Hauptwert  des  Ring' sehen  Kommen- 
tars liegt  jedoch  u.  E.  nicht  in  den  theoretischen  Erörterungen,  welche 
vielfach  zum  Widerspruch  herausfordern,  sondern  in  der  juristischen  Schärfe 
bei  Entscheidung  der  unzähligen  Einzelfragen,  welche  sich  bei  der  An- 
wendung des  Gesetzes  ergeben.  In  letzterer  Beziehung  nimmt  Ring  die 
erste  Stelle  unter  den  Kommentatoren  des  Aktiengesetzes  ein. 

Wenn  wir  in  Nachstehendem  einigen  Bedenken  gegen  die  Aus- 
führungen Ring 's  Ausdruck  geben,  so  soll  hierdurch  das  hohe  Verdienst 
des  Verfassers  gewifs  in  keiner  Weise  geschmälert  werden. 

Die  Ansicht,  dafs  ein  austretender  Komplementär  lediglich  die  Fort- 
führung seines  Namens  in  der  Firma,  nicht  aber  die  Fortführung 
der  Firma  überhaupt  untersagen  könne  (S.  40),  widerspricht  dem  Wort- 
laute des  Art.  24  Abs.  2  H.G.B.  und  den  Protokollen  (S.  922);  sie  be- 
dürfte jedenfalls  eingehenderer  Begründung. 

Irrtümlich  ist  die  Annahme  (S.  78),  dafs  sich  die  Rechte  desjenigen, 
der  gutgläubig  Aktien  vom  Nichteigentümer  erwirbt,  nach  Art.  306  H.  G. 
B.  bestimmen  (was  auch  Petersen  und  Pechmann  S.  136  annehmen); 
denn  Art.  306  findet  auf  Namenaktien  wie  überhaupt  auf  Wertpapiere 
keine  Anwendung.  Es  ist  also  für  diese  Frage  lediglich  das  bürgerliche 
Recht  entscheidend. 

In  der  vielerörterten  Streitfrage,  ob  die  Aktiengesellschaft  bei  Erwerb 
eines  bestehenden  Handelsgeschäftes  mit  der  Firma  diese  letztere  neben 
ihrer  ursprünglichen  Firma  für  den  Umkreis  des  erworbenen  Geschäftes 
fortführen  könne,  nimmt  Ring  (S.  184)  den  Standpunkt  ein,  die  Gesell- 
schaft könne    zwar    eine  solche  Firma    erwerben    und    wieder    ver- 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     307 

äufsern,  aber  nicht  sie  führen,  da  sie  nur  durch  eine  Firma  ßich 
verpflichten  könne  (Art.  229  Abs.  2).  Diese  Meinung  ist  u.  E.  nach 
zwei  Eichtungen  verfehlt.  Wenn  nämlich  die  Gesellschaft  die  erworbene 
Firma  nicht  führen  darf,  so  kann  sie  dieselbe  auch  nicht  mit  dem  Ge- 
schäfte veräufsern.  Nach  Art.  23  H.  G.  B.  kann  mit  dem  Geschäfte  nur 
diejenige  Firma  veräufsert  werden,  welche  für  das  Geschäft  „bisher" 
geführt  wurde ;  damit  ist  nicht  eine  Firma  gemeint,  die  früher  irgend 
einmal  für  dieses  Geschäft  geführt  wurde,  sondern  diejenige,  unter 
welcher  das  Geschäft  im  Zeitpunkte  der  Yeräufserung  be- 
trieben wurde.  Diese  Firma  kann  aber  nach  Ring  nicht  die  frühere 
Firma  des  erworbenen  Geschäftes  sein,  da  ja  eben  diese  Firma  von  der 
Gesellschaft  nicht  weitergeführt  werden  darf.  Aber  auch  die  Annahme, 
dafs  die  Aktiengesellschaft  sich  nur  durch  eine  Firma  verpflichten  könne, 
ist  durch  den  Hinweis  auf  Art.  229  Abs.  2  nicht  zu  begründen.  Wollte 
man  aus  dem  Gebrauch  des  Wortes  „Firma"  in  der  Einzahl  schliefsen, 
dafs  das  Gesetz  nur  eine  Firma  zulasse,  so  müfste  man  dasselbe  nach 
Art.  86,  87,  88,  111  u.  s.  w.  für  die  offene  Handelsgesellschaft,  ja  auch 
für  den  Einzelkaufmann  annehmen. 

Die  aus  der  Vorgeschichte  des  Gesetzes  entnommenen  Argumente 
Hing's  dafür,  dafs  unter  „einfacher  Stimmenmehrheit"  die  absolute 
Majorität  zu  verstehen  sei  (S.  204),  können  nicht  als  durchschlagend  er- 
achtet werden.  Das  Gesetz  mufs  zunächst  aus  sich  selbst  erklärt  werden. 
Nun  enthält  das  Aktiengesetz  keine  Bestimmung  für  den  Fall,  dafs  drei 
oder  mehr  Ansichten  in  der  Generalversammlung  durch  Stimmen  vertreten 
sind,  deren  keine  die  absolute  Majorität  für  sich  gewinnt.  Da  eine  ana- 
loge Anwendung  des  §  198  Abs.  2  des  Gerichtsverfassungsgesetzes  (wie 
sie  Behrend  vorschlägt)  unzulässig  und  überdies,  wenn  es  sich  nicht 
um  Zahlen  handelt,  unzureichend  ist,  so  führt  die  Auffassung  R  i  n  g '  s  zur 
Annahme  einer  Gesetzeslücke  —  eine  Konsequenz,  die  ohne  jegliche  Ver- 
gewaltigung des  Gesetzestextes  vermieden  wird,  wenn  man  unter  einfacher 
Stimmenmehrheit  die  relative  Majorität  versteht. 

Die  Konstruktion,  dafs  vermittelst  des  Beschlusses  der 
sog.  Errichtungsversammlung  (Art.  210a)  der  Gesellschafts- 
vertrag geschlossen  werde  (S.  259),  ist  deshalb  unhaltbar,  weil 
ein  Vertrag  nicht  durch  Majoritätsbeschlufs  geschlossen  werden 
kann. 

Ring  erachtet  die  Verschleierung  einer  nicht  in  die  vorgeschriebene 
Aufwandsberechnung  aufgenommenen  Vergütung  an  Gründer  in  Bilanzen 
und  Büchern  nicht  für  eine  Mitwirkung  zur  Verheimlichung 
im  Sinne  des  Art.  213a  Abs.  4  Ziff.  1,  sondern  als  eine  Verheimlich- 
ung der  Verheimlichung  (S.  315).  Wer  aber  die  Verheimlichung 
verheimlicht,  wirkt  auch  zur  Verheimlichung  selbst  mit ;  denn  wenn  er 
nicht  thätig  wäre,  würde  möglicherweise  die  verheimlichte  Thatsache  selbst 
nicht  geheim  bleiben. 

Personen,  welche  anonyme  Ankündigungen  von  Aktien  er- 
lassen, unterliegen  nach  Ring  nicht  der  Haftung  der  Emissionshäuser 
(Art.  213  b).  Da  das  Gesetz  von  „Ankündigungen"  schlechthin  spricht 
und    der    Begriff  „Ankündigung"    ein    Bekenntnis    der  Autorschaft  nicht 

20* 


308     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des   Auslandes. 

fordert,  ist  es  an  sich  schon  bedenklich,  anonyme  Ankündigungen  von 
Art.  213b  auszuschließen.  Ueberdies  aber  ist  der  von  Ring  angeführte 
Grund,  dafs  das  Publikum  auf  den  Namen  der  Emissionshäuser  hin  kaufe, 
für  die  gesetzliche  Haftung  der  letzteren  gegenüber  der  Gesell- 
schaft nicht  durchschlagend;  denn  diese  Haftung  beruht  nicht  auf  der 
Stellung  der  Emittenten  zum  Publikum,  sondern  auf  der  Annahme, 
dafs  die  Emissionshäuser  präsumtive  Mitgründer  (im  wirtschaft- 
lichen Sinne)  seien.  Nur  als  solche  unterliegen  sie  der  Haftung  aus  Art. 
213  b  gegenüber  der  Gesellschaft,  an  deren  fehlerhafter  Entstehung  sie 
neben  den  Gründern  im  Sinne  des  Gesetzes  Schuld  tragen.  —  Auch  die 
Gründe  R  i  n  g  '  s  für  die  Annahme,  dafs  die  Prüfungspflicht  der  Emissions- 
häuser mit  dem  Augenblick  der  öffentlichen  Ankündigung  aufhöre  (S.  320), 
sind  nicht  überzeugend. 

Nur  ein  Versehen  ist  es  zu  nennen,  wenn  S.  351  von  den  in  Ge- 
mäfsheit  des  Art.  207a  Abs.  3  „unter  dem  Nennbetrage  ausge- 
gebenen Aktien"  die  Rede  ist,  statt  von  den  auf  einen  Betrag  von 
weniger  als   1000   M.   gestellten  Aktien. 

S.  353  sagt  der  Verfasser:  „Die  Erhöhung  des  Grundkapitals  kann 
durch  Zuschüsse  auf  sämtliche  Aktien  bewirkt  werden,  allein  nur,  sofern 
alle  Aktionäre  zustimmen  (Art.  219)."  Es  kann  dies  nur  dahin  ver- 
standen werden,  dafs  eine  Erhöhung  der  Nominalbeträge  durch  Statuten- 
änderungsbeschlufs  nicht  zulässig  sei.  Nun  wird  nach  Art.  219  die  Ver- 
pflichtung des  Aktionärs  durch  den  Nominalbetrag  der  Aktie  (bezw.  den 
höheren  Emissionskurs)  begrenzt;  diese  Grenze  findet  nach  Art.  209 
Abs.  2  Ziff.  3  im  Statut  ihren  Ausdruck  und  ist  demnach  gemäfs  Art.  215 
variabel.  Etwaige  Gründe  gegen  diese  sich  aus  dem  Gesetze  mit  zwingen- 
der Notwendigkeit  ergebende  Folgerung  müfsten  zum  mindesten  eingehend 
dargelegt  werden. 

S.  406  billigt  Ring  den  Gläubigern  der  Aktiengesellschaft  einen 
unmittelbaren  Anspruch  gegen  die  Aktionäre  insoweit  zu,  als  diese  den 
gesetzlichen  Bestimmungen  entgegen  Zahlungen  von  der  Gesellschaft  em- 
pfangen haben  und  hierbei  nicht  in  gutem  Glauben  waren.  Diese  An- 
nahme ist  angesichts  des  Art.  207  Abs.  1  als  den  Grundprinzipien  des 
Aktiengesetzes  widersprechend  zu  verwerfen,  ganz  abgesehen  davon,  dafs 
die  Fassung  des  Art.  218  im  Gegensatze  zu  der  des  Art.  198  gegen  die 
Ansicht  Ring's  spricht.  Letztere  mufs  um  so  mehr  auffallen,  als  Ring 
bei  Art.  198  sagt:  „Der  Grundsatz  der  Nichthaftung  des  Aktienkomman- 
ditisten findet  in  der  positiven  Rechtsnorm  dieses  Artikels 
seine  Grenze."  Wenn  es  bei  der  Kommanditgesellschaft  auf  Aktien  nur 
die  positive  Gesetzesbestimmung  ist,  auf  welcher  die  Haftung  gegenüber 
den  Gläubigern  beruht,  so  liegt  doch  kein  Grund  vor,  diese  Haftung  bei 
der  Aktiengesellschaft  ohne  positive  Rechtsnorm  als  bestehend  anzu- 
nehmen. 

München.  Dr.  Richard  Schmidt. 

Götze,  Taschenkalender,  1894,  zum  Gebrauche  bei  Handhabung  der  Arbeiterver- 
sicherungsgesetze für  Behörden,  Versicherungsanstalten,  Berufsgenossenschaften  etc.  Nach 
amtlichen  Quellen  zusammengestellt.  Jahrg.  VI,  1894.  3  Teile.  Berlin,  Liebel,  1894. 
12.  geb.  M.  7. — .  (Teil  I.  Kranken-  und  Unfallversicherung;  Teil  II:  Invaliditäts- 
und Altersversicherung;   Teil  III:  Ortsübliche  Tagelöhne,  etc.) 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen   Deutschlands  und   des  Auslandes.     309 

Hall,  H.  (Bankbeamter),  Die  Versicherung  gegen  Stellenlosigkeit  im  Handelsge- 
werbe auf  Grund  der  Enquete  des  Deutschen  Verbandes  kaufmännischer  Vereine  vom 
Herbste   1892.      München,  J.  Schweitzer,   1894      gr.   8.     72   SS.      M.  1,20. 

Neumann- Hofer,  Ad.,  Depositengeschäfte  und  Depositenbauken.  Theorie  des 
Depositenbankwesens.     Leipzig,    C.   F.   Winter,    1894.       gr.   8.     VII — 231   SS.     M.  4. — . 

Salings  Börsenjahrbuch  für  1894/95.  Ein  Handbuch  für  Bankiers  und  Kapitalisten. 
Bearbeitet  von  W.  L.  Hertslet.  Berlin,  Haude  &  Spener,  1894.  8.  XXIV— 1460  SS., 
geb.   M.   10.     (A.   u.    d.   T. :  Salings  Börsenpapiere,  II.  (finanzieller)  Teil,   18.   Aufl.) 

Schmerler,  B.  (Versicherungsmathematiker,  Steglitz  bei  Berlin),  Die  Sterblich- 
keitserfahrungen unter  den  Rentenversicherten  ,  sowie  die  für  die  bekanntesten  Rentner- 
sterbetafeln zu  B1/2  und  4°/0  berechneten  Grundziffern  (30  Tabellen).  Berlin,  Selbst- 
verlag des   Verfassers,    1893.     gr.   8.     IV— 80  SS.     M.   3,60. 

Silberkommission.  Stenographische  Berichte  über  die  Verhandlungen  der 
Kommission  behufs  Erörterung  von  Mafsregeln  zur  Hebung  und  Befestigung  des  Silber- 
werts. Sitzung  1  bis  15,  vom  22.  Februar  bis  30.  Mai  1894  (insgesamt  473  SS.).  Nebst 
Anlagen  (Drucksachen)  dazu  Nr.  1  —  23.  Berlin  1894.  Folio  (soweit  als  publiziert).  [Aus- 
zug aus  dem  Inhalt  der  Drucksachen:  Nr.  1.  Bericht  über  die  Nachhaltigkeit  des  Gold- 
bergbaues in  der  südafrikanischen  Republik  Transvaal.  —  Nr.  3.  v.  Mirbachscher  An- 
trag betr.  Entwurf  eines  Reichsmünzgesetzes.  —  Nr.  5.  Vorschläge  zur  Hebung  des 
Silberwertes,  von  (Prof.)  Lexis.  —  Nr.  6.  Uebersichten  betreffend  die  Durchführung  der 
deutschen  Münzreform.  —  Nr.  8.  Zur  Vorgeschichte  der  deutschen  Münzreform,  von  Bam- 
berger. —  Nr.  10.  Statistische  Notizen  zusammengestellt  im  kais.  Statist.  Amte  betr. 
Edelmetallgewinnung  der  Erde  in  den  Jahren  1801 — 92,  Edelmetallgewinnung  in  Deutsch- 
land 1872 — 93.  Ein-  und  Ausfuhr  von  Gold  und  Silber  in  Deutschland  1872 — 93.  etc. — 
Nr.  11.  Vorschläge  von  Uebergangsmafsregeln  zur  Hebung  des  Silberwertes,  von  Arendt. 
—  Nr.  12.  Die  gegenwärtige  Lage  der  Edelmetallgewinnung  der  Erde  ,  von  (GORegR.) 
Hauchecorne  (67  SS.).  —  Nr.  13.  Der  deutsche  Thalerumlauf.  —  Nr.  14.  Zur  Vorge- 
schichte der  deutschen  Münzreform,  von  Arendt.  —  Nr.  15.  Der  deutsche  Thalerumlauf. 
Bemerkungen  zu  Drucksache  Nr.  13,  von  Arendt.  —  Nr.  16.  Zur  Vorgeschichte  der 
deutschen  Münzreform,  von  Bamberger  (Replik  auf  Nr.  14  der  Drucksachen).  —  Nr.  18. 
Währungsfrage  und  Industrie.  Eine  Denkschrift  für  die  Silberkommission  1894,  von  O. 
Wülting  (M. -Gladbach).  —  Nr.  19.  Ist  eine  erhebliche  Schwächung  des  deutschen  Gold- 
bestandes nach  Durchführung  der  vertragsmäfsigen  Doppelwährung  zu  fürchten  ?  von  (Prof.) 
Lotz.  (Bemerkungen  zur  Debatte  über  Antrag  der  HH.  Arendt,  v.  Kardorff,  Leuschner 
und  Wülfing  [Nr.  7  der  Drucksachen  :]  Errichtung  eines  Doppelwährungsbundes,  welcher 
die  freie  Prägung  von  Gold  und  Silber,  womöglich  auf  Grundlage  der  Relation  1:  15l/2 
zuläfst).  —  Nr.  20.  Zur  Vorgeschichte  der  deutsehen  Münzreform  ,  von  Arendt  (Antwort 
auf  Nr.  16  der  Drucksachen.)  —  Nr.  21.  Die  deutschen  Silberverkäufe  im  Vergleich  mit 
der  Silberproduktion.  —  Nr.  23.  Ueber  das  Vorkommen  und  die  Nachhaltigkeit  des  Goldes 
in  wirtschaftlicher  Beziehung,  von  (Berginsp.)  Wimmer.]  — 

Verwaltungsbericht  des  Generaldirektors  der  Landfeuersozietät  des  Herzogtums 
Sachsen  für  das  Jahr  1893.     Merseburg,  Druck  von   Fr.  Stollberg,  1894.     gr.  4.    44  SS. 

Volkmann,  H.,  Der  zinsfreie  und  der  zinspflichtige  Realkredit  für  Stadt  und  Land 
oder  sichere  Hilfe  der  Landwirtschaft  und  dem  Hausbesitz.  Königsberg,  Bon,  1894. 
gr.  8.     32  SS.     M.  0,50. 


Arnaune,  A.  (prof.  ä  l'Ecole  des  sciences  polit.),  La  monnaie,  le  credit  et  le 
change.     Paris,  Alcan,   1894.     8.     11—407  pag.     fr.  7.—. 

Bamberger,  L.,  Le  metal-argent  ä  la  fin  du  XIXe  siecle.  Traduit  par  R.  G. 
Le>y.  Paris,  Guillaumin ,  1894.  8.  XIII — 352  pag.  fr.  8.  (Faisant  le  Vlle  volume 
de  la  Collection  des  auteurs  etrangers  contemporains.  Table  des  matieres :  Les  destinees 
de  l'Union  latine.  —  L'argent.  —  Les  sophismes  des  partisans  de  l'argent.  — ) 

de  Besse,  L.  (capucin),  Les  banques  populaires  sont  des  institutions  de  paix 
sociale.     Bordeaux,  impriin.  Delmas,   1894.     8.     27  pag. 

Bressolles,  P.  (avocat  ä  la  Cour  d'appel),  La  liquidation  de  la  compagnie  de 
Panama.  Commentaire  thöorique  et  pratique  de  la  loi  du  lerjuillet  1893.  Paris,  A. 
Rousseau,    1894.     in-18.     fr.  3. — . 

Conference  monetaire  entre  la  Belgique,  la  France,  la  Grece,  lTtalie  et  la  Suisse 
en  1893.  Arrangements  et  proces-verbaux.  Paris,  imprim.  nationale,  gr.  in-4.  VI — 137  pag. 
(Publication  du  Ministere  des  affaires  etrangeres.) 


310     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Tremerel,  G.  (prof.  ä  l'Eeole  d'administration  militaire  de  Vincennes),  Des  societes 
cooperatives  de  consommation  a  l'etranger  et  en  France.  Historique,  application,  regime 
legal,  but  et  avenir  de  la  Cooperation.  Paris,  Giard  &  E.  Briere,  1894.  gr.  in-8.  271  pag. 
fr.  5. — .  (Table  des  matieres  :  Introduction.  —  Mouvement  cooperatjf  en  Europe  et  aux 
Etats-Unis.  Historique  et  etat  actuel  des  societes  cooperatives  en  Angleterre  ,  Allemagne, 
Italie,  Suisse,  Belgique,  Holiande,  Espagne  et  Portugal,  France,  aux  Etats-Unis.  —  Appli- 
cation du  principe  cooperatif  dans  les  armees  francaises  et  etrangeres :  Angleterre ,  Alle- 
magne, Italie,  Hollande,  France.  —  Regime  legal  des  societes  de  consommation.  —  But 
et  avenir   de  la  Cooperation.  — ) 

Frederiksen,  D.  M.,  Mortgage  banking  in  America.  Paris,  impr.  Davy,  1894. 
8.     32   pp.      (From  the  „Journal  of  political  economy,  U.  St.   A",  for  march   1894.) 

Indian  raiiway  companies  1894.  A  bandbook  for  officials,  Stockbrokers,  and 
Investors.      London,  F.  C.  Mathieson  &  Sons,   1894.    8.    47   pp.    1/. — .    (issued  annually.) 

Ross,  E.  Alsworth,  Total  Utility  Standard  of  deferred  payments.  Philadelphia, 
American  Academy  of  political  and  social  science,  1894.  8.  $  0,25.  (Publications  of 
the  Society,  N°  107.) 

Stokes,  A.  Phelps,  Joint-metallism  :  a  plan  by  which  gold  and  silver  together, 
at  rations  always  based  on  their  relative  market  values,  may  be  made  the  metallic  basis 
of  a  sound,  honest,  self-regulating,  and  permanent  currency  without  frequent  recoinings, 
and  without  danger  of  one  metal  driving  out  the  other.  New  York,  G.  P.  Putnam's 
Sons,  1894.  12.  VIII— 124  pp.,  cloth.  $  0,75.  (Questions  of  the  day  series,  N°  79.) 
[Ursprünglich  in  der  „New  York  Evening  Post",  der  „New  York  Times"  und  der  „New 
York  Tribüne"  in  Briefform  veröffentlicht.] 

Walker,  Fr.  A.,  Bimetallism  :  a  tract  for  the  times.  Boston,  Damrell  &  Upham, 
1894.     8.     24  pp.     $  0,10. 

Genzardi,  E.,  Usura  ed  usurai:  mali  e  rimedi.  Palermo,  tip.  Bizzarrilli,  1894. 
16.      59  pp.     1.  0,60. 

9.     Soziale  Frage. 

Frage,  die  soziale.  Ein  Beitrag  zur  Lösung  derselben  vom  Standpunkte  der  ge- 
sunden Vernunft.  Von  einem  Oesterreicher.  Dresden,  Reifsner,  1894.  gr.  8.  III — 82  SS. 
M.   1.— . 

Protokoll  der  2.  ordentlichen  Gesamtverbandsversammlung  zu  Berlin  am  22.  Fe- 
bruar 1894.  (Gesamtverband  deutscher  Verpflegungsstationen  [Wanderarbeitsstätten].) 
Bielefeld,  Schriftenuiederlage  der  Anstalt  Bethel,   1894.     gr.  8.     52   SS.      M.   0,75. 

Steck,  A.,  Beiträge  zur  Erkenntnis  der  sozialen  Frage  und  ihrer  möglichen  Lö- 
sung.    Zürich,  Buchhdl.   des  Schweiz.  Grütlivereins,    1894.     gr.   8.      134  SS.     M.   1,20. 

Vorster,  J.,  Der  Sozialismus  der  gebildeten  Stände.  2.  Aufl.  Köln,  Schmitz, 
1894  gr.  8.  49  SS.  M.  0,50.  (Vortrag  gehalten  in  der  Generalversammlung  des  Vereins 
der  Industriellen  des  Regbez.  Köln  am  20.  April   1894.) 


Bechaux,  A.  (prof.  d'economie  polit.,  Lille),  Les  revendications  ouvrieres  en 
France.  Paris,  A.  Rousseau,  1894.  in-18.  271  pag.  fr.  3,50.  (Table  des  matieres: 
Le  travail  de  l'ouvrier.  —  La  legislation  internationale  du  travail.  —  Le  salaire  de 
l'ouvrier.  —  L'epargne  de  l'ouvrier.  —  Le  credit  de  l'ouvrier.  —  Les  accidents  du  travail 
de  l'ouvrier.  —  Les  syndicats  ouvriers.  —  La  vieillesse  de  l'ouvrier.  —  La  represen- 
tation  politique  des  ouvriers.  —  Appendices :  La  methode  d'observation  par  les  mono- 
graphies  de  famille.  Les  recompenses  a  l'Exposition  d'economie  sociale  de  1889,  section 
XIV.  — ) 

De  passe,  H.,  Transformations  sociales.     Paris,  F.  Alcan,  1894.      12.     fr.   3,50. 

Drioux,  J.  (Substitut  du  procureur  g^neral  ä  Orleans),  Etüde  sur  la  repression  du 
vagabondage  et  de  la  mendicite  en   Beigique.     Paris,  Pichon,   1894.      8.     56   pag. 

Marie,  J.  (avocat,  prof.  k  la  faculte  de  droit  de  Caen),  La  famille  de  l'ouvrier, 
ses  joies  et  ses  devoirs.     Caen,  impr.   Valin,   1894.     8.      241   pag.      fr.  2. — . 

Spoto,  H.  S.,  Tisseur  de  San  Leucio  (province  de  Caserte,  Italie),  ouvrier-tacheron- 
proprietaire  dans  le  Systeme  des  engagements  volontaires  permanents  d'apres  les  renseigne- 
ments  recueillis  sur  les  lieux,  en  avril  1892.  Paris,  Firmin-Didot  &  Cie  ,  1894.  gr.  in-8. 
fr.  2.  — .     (A.   s.  1    t. :   Les  ouvriers  des  deux  mondes,   2^me  Serie,  fascic.   34.) 

Danesi,  A.  G.  (prof.),  Socialismo  e  migliore  avvenire  dell'  operaio :  discorso. 
Mistretta,  tip.   del  „Progresso",    1894.      16.     1.   1. — . 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     311 

Zani,  Bart,  (avvocato),  La  questione  monetaria  in  relazione  alla  questione  sociale. 
Mantova,  tip.   G.  Mondovi,   1893.      8.     41   pp. 

10.     Gesetzgebung. 

Bestimmungen,  gesetzliehe,  über  Gemeindewaldungen  und  Gehöferschaften. 
Trier,  Paulinus-Druckerei,   1894.     8.     21    SS.     M.   0,25. 

Hai  dien,  O.  (Landrichter),  Das  neue  landwirtschaftliche  Nachbarrecht  in  Württem- 
berg nach  dem  Gesetz  vom  15.  Juni  1893.  3.  Aufl.  Stuttgart,  Kohlhammer,  1894.  gr.  8. 
VII— 103  SS.     M.    1,20. 

Kloeppel,  P.  (Privatdoz.,  Leipzig),  Das  Reichsprefsrecht.  Nach  Gesetz  und  Recht- 
sprechung für  die  Bedürfnisse  der  Rechtsauwendung  wissenschaftlich  dargestellt.  Leipzig, 
C.   L.  Hirschfeld,   1894.     gr.   8.     XV— 494   SS.     M.   11,50. 

Parisius,  L.  und  H.  Crüger,  Das  Reichsgesetz  betreffend  Gesellschaften  mit 
beschränkter  Haftung  vom  20.  April  1892.  Systematische  Darstellung  und  Kommeutar 
nebst  Statutenentwürfen  etc.     Berlin,  Guttentag,   1893.     gr.  8.      VIII — 332   SS.     M.  3,50. 


Brucker,  G.  (avocat  ä  la  Cour  d'appel),  La  protection  des  enfants  maltraites  et 
moralement  abandonnes.  (Commentaire  theorique  et  pratique  de  la  loi  du  24  juillet  1889.) 
fr.  6.—. 

Glard  ,  J.  (avocat  k  la  Cour  d'appel),  Droit  romain  :  De  la  fiducie ;  droit  franijais  : 
De  la  condition  des  meubles  en  droit  international  prive  (these).  Orleans,  impr.  Morand, 
1894.     8.     284  pag. 

Kerly,  D.  M.,  The  law  of  trade  marks,  trade  name,  and  merchandise  marks.  With 
chapters  on  trade  secret  and  trade  übel.     London,   Sweet  &  M.,   1894.     8.      25/.  — . 

Walmesley,  O.  (Barrister-at-law),  Guide  to  the  mining  laws  of  the  world.  Lon- 
don, Eyre  &  Spcttiswoode,    1894.     Roy  in-8.,  cloth.      5/. — . 

Sprenger  van  Eyk,  J.  P.,  De  wet  ter  belasting  van  bedrijfs-  en  andere  in- 
iomsten  toegelicht.     'sHage,  Mart.  Nijhoff,    1894.     gr.   8.     VI — 168   blz.     fl.   1,25. 

Vissering,  G.,  De  wet  of  het  faillissement  en  de  surseance  van  betaling.  Prak- 
tische handleiding  met  tekst  der  wet  etc.  Amsterdam,  J.  H.  de  Bussy,  1894.  gr.  8. 
VIII— 199  blz.     geb.     fl    1,50. 

Wattel,  H.  M.  J.,  Inleiding  tot  de  beoefening  van  het  Nederlandsch  privatrecht. 
2   dln.     'sHage,  Gebr.   Belinfante,    1894.     8.     fl.   13,10. 

Orbaneja  y  Majada,  E.,  Diccionario  de  legislaciön  de  instrucciön  publica. 
2   tomes.     Valladolid,  J.  Pastor,   1894.     4.     pes.   30. — . 

11.     Staats-  und  Verwaltungsrecht. 

Bamberg.  Verwaltungsbericht  des  Stadtmagistrates  Bamberg  für  die  Jahre  1891 
und   1892.     Bamberg,    Gärtners  Buchdruckerei,    1894.     8.      VI — 97   SS.  u.  Beilagen  in-4. 

v.  Brauchitsch,  M.,  Die  neuen  preufsischen  Verwaltungsgesetze.  Nach  dem 
Tode  des  Verfassers  umgearbeitet,  fortgeführt  und  hrsg.  von  Studt  und  Braunbehrens. 
Band  III.  12.  bis  auf  die  Gegenwart  fortgeführte  Gesamtauflage.  (IV.  Bearbeitung.) 
Berlin,  Heymann,  1894.  gr.  8.  X — 897  SS.  geb.  M.  8. — .  (Inhalt:  Angelegenheiten 
der  Stadt-,  Landgemeinden  und  Gutsbezirke;  ferner  Armen-,  Schul-,  Einquartierungs-  und 
Sparkassenangelegenheiten.) 

Etats  der  Stadt  Iserlohn  für  1894/95.  Iserlohn,  Druck  von  Fr.  Dofsmann,  1894. 
Folio.     120  SS. 

Handbuch,  konservatives.  2.  umgearbeitete  und  vermehrte  Auflage.  (Abgeschlossen 
am  1.  Mai   1894.)     Berlin,  H.  Walther,   1894.     gr.   8.      VIII— 444  SS.,  geb.  M.   2,50. 

Jahrbuch  der  preufsischen  Gerichtsverfassung,  redigiert  im  Bureau  des  Justiz- 
ministeriums. Jahrgang  XXI,  geschlossen  Mitte  Mai  1894.  Berlin,  v.  Decker,  1894.  8. 
XII— 504   SS. 

Landwehr,  H.,  Die  Kirchenpolitik  Friedrich  Wilhelms,  des  Grofsen  Kurfürsten. 
Auf  Grund  arcbivalischer  Quellen.  Berlin,  Hofmann  &  C°,  1894.  8.  VIII— 385  SS. 
M.  7,20. 

Neswadba,  A.  (OPolizeiR),  Die  k.  k.  Sicherheitswache  in  Wien  1869—1894. 
Jubiläumsschrift.     Wien,  Eisenstein  &  C°,    1894.     gr.   8.     V— 310  SS.     M.   2.—. 

Philippi,  F.  (k.  Staatsarchivar),  Zur  Verfassungsgeschichte  der  westfälischen  Bi- 
schofsstädte. Osnabrück,  Rackhorst,  1894.  gr.  8.  VIII — 104  SS.,  einschl.  des  urkund- 
lichen Anhangs.     Nebst  4  geschichtlichen  Stadtplänen.     M.   3. — . 


312     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Schrader,  L.  (OLGerichtsassist.),  Die  Verwaltung  der  Gefangenen-Arbeitsverdienst- 
kassen bei  den  gerichtlichen  Gefängnissen  in  Preufsen.  Systematische  Zusammenstellung 
der  in  Beziehung  auf  die  Gefangenenbeschäftigung  und  die  Berechnung  und  Verwendung 
des  Arbeitsverdienstes  ergangenen  Vorschriften,  etc.  Hamm  i.  W.,  Griebsch,  1894.  gr.  8. 
IV— 147  SS.    M.  3.—. 

Verhandlungen  des  XVII.  Westpreufsischen  Provinziallandtages  vom  27.  Fe- 
bruar bis  einschliefslich  den  3.  März  1894.  Danzig,  A.  W.  Kafemann,  1894.  Folio. 
XV— 39  u.  53  SS.  nebst  XXI  Anlagen  =  330  SS.,  sowie  Vorlagen  und  Etats  =  366  SS. 


Annuaire  de  la  presse  francaise  et  du  monde  politique.  Directeur:  Henri  Avenel  t 
XVieme  annee :  1894.  Paris,  Quantin,  1894.  8.  1600  pag.,  relie\  fr.  12.—.  (Table: 
Le  journalisme  et  la  politique  en  1894.  —  Mouvement  des  journaux  en  1893 — 1894.  — 
Statistique  electorale  de  la  France.  —  Tableau  general  des  elections  de  1893.  —  Re- 
paration politique  des  deputes  ayant  pris  part  ä  la  legislature  1889 — 93.  —  Le  livre 
d'or  de  la  presse  francaise.  —  Les  syndicats  de  la  presse  en  France.  —  Le  monde 
politique.  —  etc.) 

Batiffol,  L.  (ancien  eleve  de  l'Ecole  des  Chartres),  Jean  Jouvenel,  Prevot  des 
marchands  de  la  ville  de  Paris  (1360—1431).  Paris,  H.  Champion,  1894.  8.  fr.  10. — ^ 
(These  soutenue  ä  la  faculte  des  lettres  de  Paris  sur  un  sujet  qui  interesse  l'histoire  de 
l'administration  parisienne.) 

Chabrillat,  E.  (attache  au  Ministere  des  finances)  et  A.  Saillard  (ancien  redacteur 
au  Ministere  des  travaux  publics),  Les  carrieres  administratives.  Nouveau  guide  des 
candidats  aux  emplois  des  ministeres  et  des  grandes  administrations.  Preface  de  Fr. 
Passy  (membre  de  l'Institut).  Paris  et  Nancy,  Berger-Levrault  &  C'e  ,  1894.  gr.  in-8. 
XXI — 398  pag.  fr.  5. — .  (Ouvrage  indiquant,  pour  chaque  administration,  les  attri- 
butions  generales,  l'organisation,  les  traitements,  les  conditions  d'admission,  les  program- 
mes  et  les  sujets  de  compositions  donnes  dans  les  derniers  concours.) 

Corniquet,  L.  A.  (avocat  ä  la  Cour  de  Paris),  L'insaislssabilite  du  foyer  de 
famille  aux  Etats-Unis.  Etüde  sur  le  homestead.  Paris,  Pedone-Lauriel,  1894.  8.  fr.   7. — . 

Loftus.  The  diplomatic  reminiscences  of  Lord  Augustus  Loftus,  1862 — 1879. 
2^  series.  2  vols.  London,  Cassell  &  C°,  1894.  gr.  in-8.  XII— 390  and  XII— 353  pp., 
cloth.      32/.—. 

Horvath,  Janos,  A  raagyar  kirälysäg  kö'zjoga.  Budapest,  Dobrowsky  &  Franke, 
1894.     8.     594  SS.     (Das  Staatsrecht    des  Königreichs    Ungarn,    von    Johann  Horvath.) 

Olay,  György,  Bekes  värmegye  1848 — 1849.  2  Bde.  Gyula,  Joh.  Dobay,  1893. 
8.     600  SS.     (Das  Bekeser  Komitat  in  den  Jahren  1848/9,  von  Georg  Olay.) 

M  a  g  n  i ,  C 1.,  Marco  Minghetti  uomo  di  stato :  teorie  di  governo,  principi  teorici 
pratici  di  economia  politica  sociale,  massime  e  consigli  desunti  dai  discorsi  parlamentari 
alla  Camera  dei  Deputati  ed  al  Senato,  riprodotti  e  riordinati  per  argomento  e  materia. 
Torino,  L.  Roux  &  C°,  1894.     8.     212  pp.     1.  2,50. 

Kringelbach,  G.  N.,  Den  civile  centraladministration  1848 — 1893.  Kopenhagen, 
Reitzel,   1894.     8.     kr.   3,50. 

Regne  11,  A.,  Stadskommunens  författning  och  fö'rvaltning  enligt  olika  länders  lag- 
stiftning.     Lund,  Gleerup,  1894.     8.     kr.  5.—. 

12.     Statistik. 
Allgemeines. 
Ferraris,  C.  F.,    Professioni  e  classi    e    loro    rilevazione    statistica.     Padova,  tip- 
G.  B.  Randi,   1894.    Lex. -8.    20  pp.    (Memoria  letta  alla  R.  Accademia  di  scienze,  lettere 
ed  arti  in  Padova  nella  tornata  del  giorno   15  aprile   1894.) 

Deutsches  Reich. 
Beiträge  zur  Statistik  des  Grofsherzogtums  Hessen.  Band  XXXVIII,  Heft  1: 
Erhebungen  über  die  vor  dem  Erlafs  des  Gesetzes  vom  28.  September  1887  beschlossenen 
Feldbereinigungen  (Zusammenlegungen),  bearbeitet  von  A.  Klaas  (grofsh.  Landeskultur- 
inspektor). —  Uebersicht  der  Geschäfte  der  ordentlichen  streitigen  Gerichtsbarkeit  bei 
dem  grofsh.  Oberlandesgerichte  zu  Darmstadt  und  bei  den  Gerichten  und  Staatsanwalt- 
schaften im  Bezirke  desselben  während  des  Geschäftsjahres  1893.  Darmstadt,  Jonghaus, 
1894.  4.  IV — 2"0  u.  28  SS.  (Herausgegeben  von  der  grofsh.  Zentralstelle  für  di& 
Landesstatistik.) 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen   Deutschlands    und  des  Auslandes.     313 

Jahrbuch,  statistisches,  für  das  Deutsche  Reich.  Herausgegeben  vorn  kais.  stati- 
stischen Amt.  Jahrgang  XV:  1894.  Berlin,  Puttkammer  &  Mühlbrecht ,  1894.  gr.  8. 
X — 208  SS.     Mit   2  Blatt  graphischen  Darstellungen.      M.   2. — . 

Kriminalstatistik  für  das  Jahr  1891.  Bearbeitet  im  Reichsjustizamt  und  im 
kais.  statistischen  Amt.  Berlin,  Puttkammer  &  Mühlbrecht,  1894.  Imp.  in-4.  IV — 49,  40 
u.  343  SS.  mit  8  Blatt  kartographischen  Darstellungen.  M.  10. — .  (A.  u.  d.  T.  :  Statistik 
des  Deutschen   Reichs,  Neue  Folge,   Bd.   LX1V.) 

Kriminalstatistik  für  das  Jahr  1892.  Bearbeitet  im  Reichsjustizamt  und  im 
kais.  statistischen  Amt.  Berlin,  Puttkammer  &  Mühlbrecht,  1894.  Imp.  in-4.  IV — 341  SS. 
M.  10. —  (A.  u.  d.  T. :  Statistik  des  Deutschen  Reichs,  Neue  Folge,  Bd.  LXXI,  Heft  1 : 
Tabellenwerk.)  [Bemerkung  :  Das  die  Erläuterungen  zu  den  Tabellen  enthaltende  Heft  2 
wird  kostenfrei  nachgeliefert.] 

Statistik  der  Güterbewegung  auf  deutschen  Eisenbahnen  nach  Verkehrsbezirken 
geordnet.  Band  XLVIII  ,  Jahrg.  XI:  Jahr  1893.  Berlin,  C.  Heymann,  1894.  Imp.-4. 
405  SS.    geb.    M.   11.—. 

Zur  Statistik  der  Sparkassen  im  Königreich  Sachsen.  Unterlage  zu  dem  Vortrage 
des  (GFinR.  BürgerM.)  Beutler-Dresden  über  die  normale  Höhe  des  Reservefonds  der  Spar- 
kassen, die  Anlegung  der  Sparkassenbestände  und  die  Aufstellung  der  Abschlüsse,  ge- 
halten auf  dem  sächsischen  Gemeindetage  in  Meifsen  den  6.  Juli  1894.  Dresden,  Leh- 
mannsche  Buchdruckerei,  1894.  gr.  8.  18  SS.  (Bearbeitet  im  statistischen  Amte  der 
Stadt  Dresden.) 

Oesterreich. 
Gebarung,  die,  und  die  Ergebnisse  der  Unfallstatistik  der  im  Grunde  des  Gesetzes 
vom  28.  Dezember  1887  (R.G.B1.  Nr.  1  ex  1888),  betreffend  die  Unfallversicherung  der 
Arbeiter  errichteten  Arbeiter-Unfallversicherungsanstalten  im  Jahre  1892.  Wien,  k.  k. 
Hof-  und  Staatsdruckerei,  1894.  gr.  4.  289  SS.  (Vom  Minister  des  Innern  dem  Reichs- 
rate mitgeteilt.) 

Belgien. 

Annuaire  statistique  de  la  Belgique.  XXIV^rne  annee,  1893.  Bruxelles,  imprim. 
A.  Mertens,  1894.  gr.  in-8.  IX — 375  pag.  et  table  XXI  pag.  (Sommaire:  Territoire 
et  population.  —  Etat  politique  intellectuel  et  mural.  —  Etat  agricole,  industriel  et  com- 
mercial.) 

Releve-  olficiel  de  chiffre  de  la  population  du  royaume  de  Belgique,  par  province, 
par  arrondissement  administratif  et  par  commune  ä  la  date  du  31  decembre  1893.  Bruxelles, 
impr.  de  la  regie  du  „Moniteur  Beige",  1894.  Imp.  in-4.  12  pag.  (Publication  de 
l'administration  de  la  statistique  generale.) 

Statistique  medicale  de  l'armee  Beige,  ann£e  1892.    Bruxelles,  impr.  J.  Goemaere, 

1893.  Roy.  in-8.     XIX— 49  pag. 

Holland. 
Jaarcijfers  uitgegeven  door  de  Centrale  commissie  voor  de  statistiek.     Kolonien, 
1892   en  vorige  jaren.     'sGravenhage   1894.    gr.   in-8.    XXI — 122  pp.     (Statistisches  Jahr- 
buch der  niederländischen  Kolonien  für  das  Jahr  1892  und  rückwärts  bis  1875.) 

Schweiz. 
Ergebnisse,     die,    der    eidgenössischen     Volkszählung    vom     1.  Dezember  1888. 
Band  III :   Die  Unterscheidung    der  Bevölkerung    nach    dem  Berufe.     Bern,    Orell  Füssli, 

1894.  4.  37  u.  248  SS.  mit  4  Tafeln  kartographischer  Darstellungen.  (A.  u.  d.  T. : 
Schweizerische  Statistik,  Lieferung  96,  herausgegeben  vom  statistischen  Bureau  des  eidg. 
Departements  des  Innern.) 

Schweden. 
Bidrag    tili  Sveriges    officiela    Statistik.     B.  Rättsväsendet,    ny  följd  (Neue  Folge) 
XXXV,   1.   2.    (Statistik  der  schwedischen   Civil-  und  Strafrechtspflege  für   1892.)  XVII— 
50  u.  VI— 44  pp.  —  C.  Bergshandteringen.  (Montanstatistik  für  1892.)    XVI — 18  pp.  — 

E.  Inrikes  sjöfart  och    handel  (Binnenschiffahrt    und  -Handel    für   1892.)     XI — 36  pp.  — 

F.  Utrikes  handel  och  sjöfart.  I.  Utrikes  handel.  (Aufsenhandel-  und  Schiffahrt,  I.  Ab- 
teilung: Auswärtiger  Handel  für  1892.)  XI — 177  pp.     II.   Utrikes  sjöfart. 


314     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Norwegen. 
Norges  officielle  Statistik,  III.  Rsekke  (Serie)  N°  167.  Folkemsengdens  Bevsegelse 
1886/90.  N°  V:  Aaret  1890.  49  pp.  (Bewegung  der  Bevölkerung  in  dem  Jahrfünft 
1886/90,  N°  5:  Jahrg.  1890.)  —  N°  168.  De  offentlige  Jernbaner.  Beretning  om  de 
norske  Jernbaners  Drift  i  Terminen  lste  Juli  1891  til  30te  Juni  1892.  XLI— 278  pp.  (Bericht 
über  die  öffentlichen  Eisenbahnen  Norwegens  für  das  Betriebsjahr  1891/92.)  —  N°  169. 
Tabeller  vedkommende  Norges  Skibsfart  i  Aaret  1891.  X— 134  pp.  —  N°  170.  Statistik 
over  Norges  Fabrikanlseg  ved  Udgangen  af  Aaret  1890.  XXIV — 107  pp.  (Statistik  der 
industriellen  Betriebe  nach  dem  Stande  vom  31.  Dezember  1890.)  —  N°  171.  Tabeller 
vedkommende  Skiftevsesenet  i  Norge  i  Aaret  1890.  XIV — 51  pp.  (Statistik  des  Besitz- 
wechsels, der  Konkurse,  der  Pupillengüter  im  Jahr  1890.) —  N°  172.  Rekruteringsstatistik 
for  den  norske  Armee  for  Aaret  1892.  IV — 36  pp.  —  N°  173.  Tabeller  vedkommende 
Norges  Sparebanker  i  Aaret  1892.  X — 71  pp.  —  N°  174.  Tabeller  vedkommende  Norges 
Handel  i  Aaret   1892.  XI — 234  pp.   —   8  Hefte.     Kristiania  1893.     gr.   8. 

Afrika  (Aegypten). 
Commerce,  le,  exterieur  de  l'Egypte  pendant  l'annee   1893.      Alexandrie,  imprim. 
Carriere,   1894.  Roy.  in-8.   LI  — 139  pag.    (Publication  de  la  Direction  generale  des  douanes 
egyptiennes.) 

13.     Verschiedenes. 

Adler,  Sigmund,  Eheliches  Güterrecht  und  Absehichtuugsrecht 
nach  den  ältesten  bayerischen  Rechtsquellen.     Leipzig   1893.     112   SS. 

Nachdem  der  Verfasser  früher  das  Wartrecht  der  Erben  nach  alt- 
bayerischem Rechte  dargestellt  hat,  unterzieht  er  in  vorliegender  Arbeit 
andere  wichtige  Beziehungen  zwischen  Familie  und  Grundbesitz  für  das- 
selbe Rechtsgebiet  einer  eingehenden  Untersuchung.  Der  Reichtum  der 
Quellen  gerade  dieses  Gebietes  veranlafst  ihn  zur  Beschränkung  auf  die 
altbayerischen   Rechtsquellen. 

Die  Entstehungszeit  des  Abschichtungsrechts  der  Eltern  und  Kinder, 
die  das  Prinzip  der  Unveräufserlichkeit  des  Hausvermögens  durchbricht, 
läfst  sich  trotz  der  Fülle  der  Urkunden  auch  für  das  bayerische  Stammes- 
recht nicht  nachweisen.  Im  Gegensatze  zu  Heusler  kommt  A.  zu  dem 
Ergebnis,  dafs  Veräufserungen  aus  dem  ungeteilten  Hausvermögen  des 
weiteren  Verwandtenkreises  zulässig  waren. 

Die  Frage  des  Abteilungsanspruchs  der  Ehefrau  bei  Abschichtung 
des  ehemännlichen  Gutes  führt  zu  einer  Untersuchung  des  altbayerischen 
ehelichen  Güterrechts,  die  sich  namentlich  auf  eine  Klarlegung  der  Rechts- 
verhältnisse der  Errungenschaft,  der  dos  und  justitia  erstreckt.  Es  zeigt 
sich  eine  so  starke  Verbreitung  der  gesamten  Hand  im  alten  Bayern,  dafs 
der  Gedanke  einer  späteren  Rezeption  der  fiänkischen  Errungenschafts- 
gemeinschaft wird  aufgegeben  werden  müssen.  Diese  ist  selbständig  in 
Bayern  erwachsen.  Die  Bestellung  der  Morgengabe  als  Quote  hat  auch 
hier  der  Gütergemeinschaft  die  Wege  gebahnt. 

Die  Resultate  werden  in  überzeugender  Weise  aus  den  Quellen  her- 
ausgearbeitet. Es  ist  eine  gründliche,  gediegene  Untersuchung,  die  A. 
hier  geliefert  hat.  Rückschlüsse  aus  späteren  Rechtsbildungen  hätten,  mit 
besonnener  Kritik  angewendet,  die  Bedeutung  der  Arbeit  ebenso  wie  Aus- 
blicke in  die  analogen  Verhältnisse  anderer  Stammesrechte  erhöht.  Der 
Verfasser  lehnt  aber  grundsätzlich  eine  solche  Ausdehnung  seiner  Unter- 
suchung ab,  so  dafs  ihm  diese  Selbstbeschränkung  nicht  zum  Vorwurf 
gemacht  werden  soll. 

Jena.  Eduard  Rosenthal. 


Uebersicht  über"  die  neuesten   Publikationen   Deutschlands  und  des  Auslandes.     315 

Arbeiten  aus  dem  kais.  Gesundheitsamte.  Band  IX,  Heft  2.  Berlin,  Springer, 
1894.  Roy.-8.  Mit  11  Tafeln  etc.  (Darin,  SS.  139  bis  378:  Die  Influenzaepidemie  des 
Winters   1889/90  im  Deutschen   Reiche,  von  P.   L.  Friedrich.   —  etc.) 

Bekämpfung,  die,  der  Infektionskrankheiten.  Hygienischer  Teil  von  (OIngenieur) 
Bris,  (Prof.)  Pfuhl  und  (Hafenarzt)  Nocht.  Herausgegeben  von  (Stabsarzt,  Prof.)  Behring. 
Leipzig,  G.  Thieme,  1894.  Roy. -8.  XXXI — 493  SS.  mit  14  Abbildungen  und  3  Tafeln. 
M.   12.—. 

Bludau,  A.,  Die  Oro-  und  Hydrographie  der  preufsischen  und  pommerschen  Seen- 
platte. Gotha,  Perthes,  1894.  Roy. -8.  63  SS.  mit  Höhenschichtenkarte  der  preufs.  Seenplatte, 
Mafsstab  1:500  000.  M.  6. — .  (A.  u.  d.  T. :  Petermanns  Mitteilungen,  hrsg.  von  A. 
Supan,  Ergänzungsheft  Nr.    110.) 

Blum,  Hans,  Fürst  Bismarck  und  seine  Zeit.  Eine  Biographie  für  das  deutsche 
Volk.     I.  Halbband.     München,   Beck,   1894.      8       273  SS.     M.   2,50. 

F  eitler,  S.  (Privatdoz.,  techn.  Hochschule  Brunn),  Leichtfafslicher  Leitfaden  der 
Technologie  der  landwirtschaftlichen  Gewerbe  (Zucker,  Bier,  Spiritus,  Branntwein  und 
Prefshefe)  zum  Gebrauche  für  Kameralbeamte,  Finanzorgane,  Zucker-  und  Branntweinsteuer- 
Kontrollsbeamte  etc.  Wien,  Holder,  1894.  gr.  8.  XII— 367  SS.  mit  72  in  den  Text 
gedr.   Abbildungen.     M.   6,50. 

Forschungen  zur  brandenburgischen  und  preufsischen  Geschichte.  Neue  Folge 
der  „Märkischen  Forschungen".  In  Verbindung  mit  Fr.  Holtze,  G.  Schmoller,  A.  Stölzel 
und  H.  v.  Treitschke  herausgegeben  von  A.  Naudö,  Band  VII,  1.  Hälfte.  Leipzig,  Duncker 
&  Humblot,   1894.     gr.   8.     298   SS.     M.   6.—. 

Herstatt,  W.  (k.  OekonomieR.)  und  O.  Kamp  (Vorsitzender  des  Vereins  für  Haus- 
haltungsschulen) ,  Die  hauswirtschaftliche  Unterweisung  der  Landmädchen  und  Frauen  in 
Deutschland  und  im  Ausland.  Grundzüge  der  bestehenden  Einrichtungen  und  Anleitung 
zur  Schaffung  ähnlicher  Vorkehrungen.  Wiesbaden,  Bergmann,  1894.  gr.  8.  VI — 314  SS. 
M.  5.—. 

Krebs,  W.,  Die  Erhaltung  der  Mausfelder  Seen.  Vorschläge  eines  Meteorologen  zur 
Selbsthilfe.     Leipzig,  ühl,  1894.     gr.  8.     IV— 41  SS.     M.  0,75. 

Lexikon  der  gesamten  Technik  und  ihrer  Hilfswissenschaften.  Herausgegeben 
von  O.  Lueger  (Prof.  und  Civilingenieur,  Stuttgart)  im  Verein  mit  Fachgenossen.  Abtei- 
lung I,  1.  Hälfte.  Stuttgart,  Deutsche  Verlagsanstalt.  Imp.-Lex.-8.  80  SS.  mit  zahlreichen 
Abbildungen.  M.  2,50.  (Das  vollständige  Werk  wird  25  Abteilungen  in  der  Gesamt- 
stärke von   250  Bogen   umfassen      Der  Preis  jeder  Abteilung  ist  auf  M.  5  festgesetzt.) 

Näcke,  P.  (Arzt  an  der  Irrenanstalt  zu  Hubertusburg,  Sachsen),  Verbrechen  und 
Wahnsinn  beim  Weibe  mit  Ausblicken  auf  die  Kriminalanthropologie  überhaupt.  Klinisch- 
statistische,  anthropologisch-biologische  und  kraniologische  Untersuchungen.  Wien,  V. 
Braumüller,   1894.     gr.   8.     VIII— 257  SS.  mit  2   Tabellen  in  qu.-folio.     M.   5.—. 

Pohlmann,  W.  (Prof.),  Die  Juden  und  die  körperliche  Arbeit.  Vortrag,  Berlin, 
Harrwitz,   1894.      gr.  8.     21   SS.     M.  0,50. 

Ranke,  Joh.  (Prof.).  Der  Mensch.  2.  neubearbeitete  Aufl.  Bd.  I:  Entwickelung, 
Bau  und  Leben  des  menschlichen  Körpers.  Leipzig  und  Wien,  Bibliographisches  Institut, 
1894.  Roy.-8.  XVI— 639  SS.  mit  650  Abbildungen  im  Text  und  26  Farbendrucktafeln 
von  W.   Etzold,  E.  Eyrich,   G.   Klepzig,   G.  Mützel,  A.  Walker  etc.  geb.   M.   15. — . 

v.  Rziha,  F.  (Ritter,  Prof.  an  d.  techn.  Hochschule,  Wien),  Das  Problem  der 
Wiener  Wasserversorgung.  Wien,  Hartleben,  1894.  gr.  8.  63  SS.  M.  1,50.  (Sonder- 
abdruck aus   der  „Neuen   Freien  Presse".) 

Reddersen,  H.  O.,  Hauswirtschaftliche  Unterweisung  der  Mädchen  aus  den  unbe- 
mittelten Ständen  und  die  Bremer  Haushaltungsschulen.  Bremen,  v.  Halem,  1894.  gr.  8. 
32   SS.     M.   0,40. 

Schriften  der  Physikalisch-ökonomischen  Gesellschaft  zu  Königsberg  in  Pr.,  Jahr- 
gang XXXIV:   1893.     Königsberg,  W.  Koch,   1893.      4.     VI— 76   u.   46   SS. 

Schwarz,  O.  (Sanitätsarzt,  Direktor  des  städtischen  Schlachthofes  zu  Stolp  i.  P.), 
Bau,  Einrichtung  und  Betrieb  von  öffentlichen  Schlachthöfen.  Berlin,  Springer,  1894. 
gr.   8.     VIII— 238  SS.  mit  Textabbildungen   und   1   Taf.      M.   5.—. 

Somogyi,  E.,  Ludwig  Kossuth.  Sein  Leben  und  Wirken.  Leipzig,  O.  Wigand, 
1894.     gr.  8.  IV— 214  SS.     M.  3.—. 

Wehberg,  H.  (Dr.  med.,  Düsseldorf),  Die  Erlösung  der  Menschheit  vom  Fluche 
des  Alkoholes.      Berlin  und  Neuwied,   Heusers  Verlag,    1894.  gr.   8.   32  SS.   M.   0,75. 


316  ^ie  periodische  Presse  des  Auslandes. 

Denisow,  P.,  Anglais  et  nihilistes  allies.  ReveMations  dediees  a  la  jeunesse  russe. 
Geneve,  imprim.  independante,   1892.     8. 

Guillon,  E.,  Les  complots  militaires  sous  le  Consulat  et  l'Empire  d'apres  les 
documents  inedites  des  archives.  Paris,  Plön,  1894.  in- 18  Jesus  IV — 279  pag.  fr.  3,50. 
(Table  des  matieres:  Paris  en   1802.   —    Rennes  en   1802.  —    Soult  en   Portugal  (1809). 

—  Le  complot  d'Oporto  (1809).  —  Le  capitaine  Argenton.  Le  proces  Argenton  (1809). — 
Le  complot  Fouchö-Bernadotte  (1809).  —  La  conspiration  Malet  et  la  verite"  sur  les  Phila- 
delphes  (1812).  —  Les  complots  de  Tours  et  de  Toulon  (1813).  —  Les  trahisoos  de 
1813.  —  Murat.     Les  marcSchaux  (1814).   —    etc.) 

JUmoires,  les,  d'une  inconnue,  publies  sur  le  manuscrit  original  1780 — 1816. 
Paris,  Plön,  1894.  gr.  in-8.  XII— 419  pag.  fr.  7,50.  (Zur  Geschichte  der  Gesellschaft 
in  Frankreich  während  der  Revolution  und  dem  ersten  Kaiserreich  von  hervorragendem 
Interesse.) 

Rapport  triennal  sur  la  Situation  de  l'instruction  primaire  en  Belgique,  prdsente 
aus  Chambres  legislatives  le  1er  avril  1892,  par  M.  de  Burlet  (Ministre  de  l'int^rieur  et 
de  l'instruction  publ.).  XVIieme  periode  triennale  1888-1889-1890.  Bruxelles,  impr. 
J.  Goemaere,  1892.     Folio.     CLXXXII—  655  pag. 

Rapport  triennal  sur  l'etat  de  l'enseignement  moyen  en  Belgique  presente"  aux 
Chambres  legislatives  le  30  novembre  1892.  Xllli&ne  periode  triennale  1888-1889- 
1890.     Bruxelles,  impr.  J.   Goemaere,    1893.     Folio.     CLXIII— 295  pag. 

Situation  de  l'enseignement  superieur  donne  aux  frais  de  l'Etat.  Rapport  triennal, 
presente  aux  Chambres  legislatives,  le  30  novembre  1892,  par  M.  J.  de  Burlet  (Ministre 
de  l'interieur  et  de  l'instruction  publique).  Annees  1889,  1890  et  1891.  Bruxelles,  impr. 
J.  Goemaere,  1893.     Folio.  CCLXXVIII— 555  pag. 

Weyl,  E.,  La  flotte  de  guerre  et  les  arsenaux.  Paris,  Plön,  1894.  in-18  j^sus. 
VI — 250  pag.  fr.  3,50.  (Table  des  matieres :  La  marine  militaire.  L'etat-major  general 
et  les  directions.  Les  inspections  generales  et  les  conseils.  La  methode  de  travail.  Les 
officiers  de  marine.  Les  Services  techniques.  Les  ^coles.  Les  arsenaux.  L'Etat  et  l'industrie. 
La  flotte.  La  critique  du  navire  de  guerre.  Note  sur  le  budget  francais  de  1895.  Note 
sur  le  budget  anglais  de  1894/95.  Note  sur  le  budget  de  la  marine  allemande  de  1894/95. 

—  etc.) 

A  n  n  u  a  1  report  of  the  Board  of  regents  of  the  Smithsonian  Institution  ,  showing 
the  Operations,  expenditures,  and  conditions  of  the  Institution  to  July,  1891.  Washington, 
Government  Printing  Office,  1893.  gr.  in-8.  XXIX — 715  pp.  with  diagrams,  Charts  etc., 
cloth. 

Wall,  A.  J.,  Asiatic  cholera:  its  history,  pathology ,  and  modern  treatment.  Lon- 
don, H.   K.  Lewis,   1893.     8. 

White,  H.  A.  (late  Superintendent  of  Ballarat  gaol) ,  Crime  and  criminals  in 
Australia.  With  descriptions  of  some  notorious  gangs  of  Bushrangers.  London,  Ward  & 
Downey,   1894.     crown-8.     6/. — . 

Williamson,  G.  C,  The  money  of  the  bible.  New  York  and  Chicago,  F.  H. 
Revell  C°,  1894.     12.     96  pp.     illustrated,  cloth.     $   1.—. 

Polacco,  V.  (prof.),  La  questione  del  divorzio  e  gli  israeliti  in  Italia.  Padova, 
fratelli  Drucker  edit.,  1894.     16.     75  pp.     1.  1 — . 


Die  periodische  Presse  des  Auslandes. 

A.     Frankreich. 

Annales  de  l'Ecole  libre  des  sciences  politiques,  N°  2,  Mars  1894:  De  l'etablisse- 
ment  d'une  legislation  internationale  sur  le  transport  des  marchandises  par  chemins  de 
fer,  par  G.  Durant.  —  Les  institutions  de  credit  dans  l'Empire  russe,  par  Labordere.  — 
N°  3,  Mai  1894 :  Le  droit  international  prive  et  la  Conference  de  La  Haye,  par  (prof.) 
L.  Renault.  —  etc. 

Bulletin  du  Ministere  de  l'agriculture.  XlH^e  annee,  1894,  N°3:  De  l'enseigne- 
ment agricole  en  France,  par  Tisserand  (conseiller  d'Etat,  directeur  de  i'agriculture). 
[pag.  229  ä  296.]  —  Rapport  sur  les  ficelles  destinees  aux  moissonneuses-Jieuses,  par 
Ringelmann.  —  niieme  memoire  sur  l'influence  des  ^claircies ,  par  Claudot  (inspecteur 
adjoint  des  forets).  —  etc. 


Die  periodische  Presse   des  Auslandes.  317 

Bulletin  de  l'Office  du  travail,  Ire  annee,  1894,  Nos  4  et  5,  Avril  et  Mai:  Mouve- 
inent  social  en  France:  Le  chömage  professionnel.  Mouvement  syndieal.  Les  greves. 
Conciliation  et  arbitrage  en  France  et  ä  l'ötranger.  Situation  industrielle.  Correspondances 
regionales.  Commission  du  travail  de  la  Chambre  des  deputes.  Vl^me  congres  du  credit 
populaire.  Les  retraites  des  agents  de  la  Compagnie  d'Orlöans.  Professions  des  etrangers 
en  France.  —  Mouvement  social  a  l'etranger:  Grande-Bretagne:  Le  Labour  Department 
anglais ;  La  semaine  de  quarante-huit  heures ;  Les  conclusions  de  la  Commission  royale 
du  travail  ;  Les  trade-unions  en  1892.  Belgique :  Les  conditions  du  travail  dans  les 
travaux  publics.  —  Actes  et  documents  officiels.   —  Jurisprudence.  —  etc.   — 

Journal  de  la  Societe  de  statistique  de  Paris,  N°  6,  Juin  1894:  Proces-verbal  de 
la  seance  du  16  mai  1894.  —  Etüde  comparative  du  uiandat  de  poste  francais  et  du 
mandat  de  poste  en  Suisse,  en  Belgique,  en  Allemagne  et  en  Autriche,  par  Vannacque.  — 
Chronique  de  statistique  coloniale,  par  Ch.  Cerisier.  —  Chronique  de  statistique  generale 
(Grande-Bretagne,  Tunisie,  Etats-Unis  d'Amerique),  par  D.  Bellet.  —  Les  Emissions  et 
remboursements,  en   1893,  d'obligations  de  chemins  de  fer.    —  etc. 

Revue  d'^conomie  politique.  Vllle  annee,  1894,  N°  6,  Juin:  Essai  sur  la  valeur: 
1.  Notion  de  la  valeur  et  ses  differentes  especes ;  2.  Les  problemes  de  la  thöorie  de  la 
valeur;  3.  Histoire  dogmatique  de  la  theorie  de  la  valeur;  4.  Elements  de  la  theorique 
positive  de  la  valeur  subjective,  par  E.  de  Böhm-Bawerk.  —  La  mutualite  et  l'assistauce 
sociale,  par  E.  Fournier  de  Flaix.  —  Etüde  sur  la  duree  de  la  garantie  d'interets  promise 
par  l'Etat  aus  compagnies  des  chemins  de  fer  d'Orleans  et  du  Midi  par  les  lois  du 
20  novembre  1883,  etc.  etc.,  par  H.  St.  Marc.  —  Chronique  economique,  par  Ch.  Gide 
et  M.  Lambert.  —  Chronique  legislative  par  E.  Villey.  —  Congres  des  banques  popu- 
laires.   —  etc. 

Revue  internationale  de  sociologie,  publiee  sous  la  direction  de  Rene  Worms 
(Paris).  2e  annee,  1894,  N°  6,  Juin:  Une  loi  sociologique,  par  G.  Fiamingo.  —  Lois 
de  la  vie  et  de  la  mort  des  nations,  par  G.  de  Lapouge.  —  La  sociologie  et  l'economie 
politique,  par  Rene  Worms.  —  Mouvement  social:  Belgique,  par  O.  Pyfferoen  :  1.  Re- 
formes  politiques  ;  2.  Questions  de  langues;  3.  Institutions  de  prevoyance ;  4.  Reformes 
morales ;   5.   Reformes  ^conomiques ;   6.   Le  contrat  de  travail.  —  etc. 

B.  England. 
Board  of  Trade  Journal,  Vol.  XVI,  N°  95,  June  1894:  Foreign  exhibitions  and 
commercial  museums  —  Russia's  foreign  trade  in  1893.  —  Crisis  in  the  Caucasiau 
petroleum  trade.  —  French  industrial  and  commercial  legislation  in  1893.  —  The  Lyons 
silk  industry.  —  The  seamen's  deserters'  question  in  the  U.  States.  —  Canada  and  West 
Indian  trade.  —  The  economic  resources  of  the  Argentine  Republic.  —  The  goldfields  of 
British  Guiana.   —  Canadian    tariff  changes.   —  Tariff    changes    and    customs    regulations. 

—  Extracts  from  diplomatic  and  consular  reports.  —  State  of  the  skilled  labour  market, 
etc.   —  Statistics  of  trade,  emigration,  fisheries,  etc.  — 

Contemporary  Review,  the.  July  1894:  History  ',of  English  policy,  by  (Sir) 
J.  R.  Seeley.  —  Alsace  and  Lorraine,  by  S.  J.  Capper.  —  The  prospects  of  liberal 
reunion,  by  T.  H.  S.  Escott.  —  Incidents  of  labour  war  in  America,  by  W.  T.  Stead.  — 
The  Armenian  question,  II:  In  Russia,  by  H.  F.  B.  Lynch.  —  Do  glaciers  excavate? 
by  (Prof.)  T.  G.  Bonney.  —  Hampstead  Heath,  by  Ph.  Robinson.  —  Employers'  liability, 
by  A.  D.  Provand.  —  etc. 

Economic  Journal,  ed.  by  Edgeworth,  N°  13  (vol.  IV),  March  1894:  „Metayage" 
in  Western  France,  by  H.  Higgs  and  R.  Lambelin.  —  Some  economic  aspects  of  the 
coal  dispute,  1893,  by  J.  E.  C.  Munro.  —  The  coal  strike  and  a  minimum  wage,  by 
F.  D.  Longe.  —  The  theory  of  international  value,  by  (Prof.)  F.  Y.  Edgeworth  (part  I). 

—  The  wife's  contribution  to  family  income,  by  (Miss)  Ada  Heather  Bigg.  —  The  effects 
of  the  depreciation  of  silver,  with  special  reference  to  the  Indian  currency  experiment, 
by  (Prof.)  J.  S.  Nicholson.  — 

Humanitarian,  the.  Edited  by  Victoria  Woodhull  Martin.  New  series ,  July 
1894:  The  new  education,  by  (Sir)   H.   E.  Roscoe.  —  The  unsolved  riddle,  by  the  editor. 

—  The  church  and  labour  problems,  by  (the  Rev.)  the  Dean  of  Ely.  —  The  position 
of  animals,  by  (Lady)  Burton.  —  The  vivisection  controversy ,  by  E.  Berdoe.  —  The 
home-loving  woman,  by  (Lady)  Violet  Greville.  —  Infancy :  its  perils  and  safeguards, 
by  H.  R.  Jenes.  —  etc. 

Journal  of  the  Royal  Statistical  Society  (published  quarterly).  Vol.  LVII,  part  2, 
June,  1894 :  Statistics  of  pauperism  in  old  age,  by  Ch.  Booth,  with  discussion  of  Booth's 


318  ^'e  periodische  Presse  des  Auslandes. 

paper.  —  Conditions  and  prospects  of  populär  education  in  India,  by  J.  A.  Baines,  with 
discussion.  —  Modes  of  census-taking  in  the  British  dominions  ,  by  R.  H.  Hooker ,  with 
discussion.  —  Tables  of  the  production  of  gold  and  silver  in  the  world  since  the  disco- 
very  of  America.  —  Census  of  England  and  Wales  :  Deputation  to  the  President  of  the 
Local  Government  Board.  —  Agricultural  returns  of  1893.  —  Comparability  of  trade 
statistics  of  various  countries,  by  A.  E.  Bateman.  —  Statistics  of  the  consumption  of 
tea.  —  etc. 

New  Review,  the.  July  1894:  The  budget  of  1894,  by  (Sir)  J.  Lubbock.  —  British 
Central  Africa,  by  H.  H.  Johnston.  —  Secrets  from  the  court  of  Spain  (III)  —  Munici- 
palities  at  work,  I.  Birmingham,  by  F.  Dolman.  —  Edmund  Yates,  an  appreciation  and 
a  retrospect,    by  T.  H.  S.  Escott.  —  etc. 

Nineteenth  Century,  the.  June  1894:  Checks  on  democracy  in  America,  by  G. 
Washburn  Smalley.  —  India :  The  political  outlook,  by  (General  Sir)  G.  Chesney.  —  The 
Queen  and  Lord  Palmerston,  by  (the  Hon.)  R.  B.  Brett.  —  Pedigrees  of  british  and 
american  horses,  by  J.  Irvine  Lupton.  —  Modern  explosives,  by  Wendwort  Lascelles- 
Scott.  —  The  proposed  Nile  reservoir :  1.  The  devastation  of  Nubia,  by  (Prof.)  Mab  äff y ; 
2.  The  submergence  of  Philae,  by  F.  Dilon.  —  The  evicted  Tenants  Bill,  by  (Lord)  Mont- 
eagle.  —  The.crying  need  for  reforms  in  our  Company  law,  by  (h.  Hon.  Judge)  Emden.  —  etc. 

C.  Oesterreich. 
Deutsche  Worte.  Monatshefte  herausgegeben  von  E.  Pernerstorfer.  Jahrg.  XIV, 
1894,  Mai-  und  Juniheft:  Einführung  in  die  Kriminalstatistik  an  der  Hand  einer  Kritik 
der  schweizerischen  Erhebung,  von  G.  H.  Schmid  (Dozent,  Zürich).  —  Das  künftige  Amt 
für  Arbeitsstatistik  in  Oesterreich,  von  G.  Kohn  (Wien).  —  Zur  Kritik  des  österreichi- 
schen Strafgesetzeutwurfes,  von  Leo  Verkauf  (Wien).   —  Der  Statistik  Licht  und  Schatten. 

—  Ein  Zermalmer  des  Alleszermalmers  ,  von  F.  v.  Feldegg  (Wien) :  [Referat  über  das 
Buch :  „Sturz  der  Metaphysik  als  Wissenschaft,  Kritik  des  transzendentalen  Idealismus 
Kants,  von  H.  Gartelmann".] 

Monatsschrift  für  christliche  Sozialreform,  Gesellschaftswissenschaft  etc.  Be- 
gründet von  K.  v.  Vogelsang,  fortgesetzt  von  (Prof.)  J.  Scheicher.  Jahrg.  XVI,  1894, 
Heft  2,  3  und  4 :  Es  mufs  aber  doch  sein,  vom  Herausgeber.  —  Freund  Liberalismus, 
von  Lucius.  (1.  Artikel  u.  Fortsetz.  1  u.  2.)  —  Arbeiterwohlfahrtseinrichtungen,  von 
G.  Heim  (Wunsiedl).  —  Soziale  Streiflichter,  von  J.  Hanika.  —  Die  Hungerrevolution  in 
Sizilien,  von  M.  V.  (I.  u.  Schlufsartikel).  —  Was  ist  Kapital?  von  W.  Hohoff.  (II.  Ar- 
tikel u.  Schlufs.)  —  Hüben  und  drüben ,  vom  Herausgeber.  —  Ueber  die  Arbeiterfrage, 
ihre  Entstehung  und  die  Bestrebungen  zu  ihrer  Lösung ,  von  Th.  Unkel.  (I.  Artikel.)  — 
Die  innerliche  Ueberwindung  der  Sozialdemokratie,  vom  Herausgeber.  —  Das  Urheber- 
recht der  bildenden  Kunst.  Vortrag  ,  von  K.  Scheimpfiug  (I.).  —  Vierter  Parteitag  der 
österreichischen  Sozialdemokratie  (Ostern   1894),  von  M.  V. —  Soziale  Randglossen.  —  etc. 

D.     Rufsland. 

Bulletin  russe  de  statistique  financiere  et  de  legislation.    Ire  annee,  N°  3,   Mai  1894  : 

Traite  de  commerce  avec  la  Serbie.  —  Oukase  imperial  relatif  ä  la  conversion  des  divers 

emprunts  5°/0.    Arrete  ministeriel  pris  en  execution  du  dit  oukase.  —    Assurances  sur  la 

vie :  Interdiction  des  tontines.  —    Projet  de  taxation    du    vin    naturel  et  du  viu  artificiel. 

—  Propriete  fonciere  et  dette  fonciere.  Statistique  de  la  dette  fonciere.  —  Banque  de 
Russie:  Bilans  au  13  et  au  28  avril  1894  ;  places  bancables.  —  Salaires  agricoles  (ouvrier  ä 
l'annde). —  Exportations  et  importations,  1891,  1892  et  1893. —  Exportation  des  cereales, 
1886 — 1893.  —  Surfaces  emblavees,  production,  exportation  et  consommation  des  cerea- 
les, 50  prov.  de  la  Russie  d'Europe.  —  Exportation  du  lin  et  du  chanvre.  —  Les  con- 
versions  russes  (1888 — 1893).  —  Les  fonds  russes  avant  les  conversions.  —  Les  com- 
pagnies  russes  d'assurances  sur  la  vie.  —  Recettes  et  depenses  du  Tresor  en  janvier 
1894.  —  etc. 

E.  Italien. 
Giornale  degli  Economisti.  Rivista  mensile.  Giugno  1894:  Le  amministrazioni 
locali.  L'ordinamento  degli  impiegati  dello  Stato,  per  C.  Rosmini.  —  II  riordinamento 
delle  borse  di  commercio,  per  G.  Valenti  (artic.  1).  —  II  socialismo  nelle  pubblicazioni 
della  „Fabian  Society",  per  H.  W.  Mallock.  —  Previdenza,  per  C.  Bottoni.  —  Atti  delf 
Associazione  ecouomica  liberale  italiana.   —  La  situazione  del  mercato  monetario,  per  X. 

—  Cronaca,  per  V.  Pareto.  —  Supplemento :  Saggio  di  bibliografia  economica  italiana 
(1870 — 90),  per  A.  Bertolini  (continuazione). 


Die   periodische  Presse  Deutschlands.  319 

Rivista  delle  beneficenza  pubblka  e  di  igiene  sociale.  Anno  XXII,  N°  5,  31  Maggio 
1894:  Gli  oj.pedali  dei  bambiui,  per  A.  Mandelli.  —  La  casa  benefica  pei  giovani  dere- 
litti,  per  V.  Bersezio.  —  L'E>posizione  operaia  alla  Esposizioni  riunite  di  Milano,  per 
A.  T.  —  Sopra  un  nuovo  colorifero  ad  aria  costrutto  completamente  in  terra  refrattaria. 
Esame  tecnico-igienico  pei  (ingegn.)  N.  Cbiapponi  e  Gorini.  —  Cronaca  della  beneficenza, 
della  previdenza,  della  cooperazione  e  di  l'atti  sociali  interessanti   i  lavoratori.  —  etc. 

G.  Holland, 
de  Economist,  opgericht  door  J.  L.  de  Bruyn  Kops.  XLI1I.  jaargang,  1894,  Juni 
(in  holländischer  Sprache) :  Etwas  über  Raftinationsverluste  in  den  Zuckerraffinerien  und 
die  Zuckeraccise  in  Holland,  von  J.  W.  GunniLig.  —  Der  Achtstundenarbeitstag,  von  V. 
S.  —  Der  Anteil  des  Staats  an  der  öffentlichen  Armenpflege  nach  ,,H.  Smissaert,  het 
aandeel  van  den  Staat  in  de  verzorging  der  armen'',  von  Ph.  Falkenburg.  —  Wirtschafts- 
chronik.  —  Handelschronik.  — 

H.      Schweiz. 

Schweizerische  Blätter  lür  Wirtschafts-  und  Sozialpolitik.  Jahrg.  II,  1894, 
Nr.  11,  1.  Juni:  Zur  Arbeiterversicherung  in  der  Schweiz,  von  E.  Lange  (Berlin). —  Zu 
einem  neuen  Buche:  „Kritische  Beiträge  zur  Erkenntnis  unserer  sozialen  Zustände  und 
Theorien,  von  (Prof.)  Jul.  Platter",  von  (Prof.)  G.  Adler.  —  Sozialpolitische  Rundschau  : 
Arbeitsnachweis  und  Arbeitsstatistik.  Ueber  das  Verhältnis  von  Arbeitslohn  und  Arbeits- 
zeit zur  Arbeitsleistung,  Arbeiterinnenschutz  in  der  Schweiz.  —  Wirtschaftschronik:  Zum 
Zollkrieg  der  Schweiz  mit  Frankreich.  Zur  wirtschaftlichen  Lage  der  Westschweiz  im 
Jahre  1893.  Die  Getreideernte  in  der  Schweiz.  Handelsverkehr  der  Schweiz  mit  Frank- 
reich. —  Die  Versicherungskasse  gegen  Arbeitslosigkeit  in  Bern.  —  Statistische  Notizen. 
—   etc. 

L'Union  postale.  (Berne)  N°  7,  1er  juillet  1894:  La  nouvelle  loi  suisse  sur  la 
regale  des  postes  l^fin).  —  Le  service  des  postes  egyptiennes  en   1893.' —  etc.  — 

K.  Spanien. 
El  Economist  a.  Madrid,  1894,  Kos  410 — 417:  Cuestiones  sociales :  El  socialismo 
cristiano.  —  El  emprestito.  —  La  situaciön  de  la  Hacienda.  —  Companias  industriales 
de  Espana.  —  Informaciön  monetaria  eu  Berlin.  —  Los  mercados  del  dinero.  —  El 
comercio  exterior  de  Espana.  —  Compania  arrendaria  de  tabacos.  —  Reformes  fiscales  en 
Holanda.  —  Los  documentos  en  Espaua.  —  Companias  industriales  de  Espana.  —  La 
compania  de  tabacos.  —  Nuova  teoria  sobre  los  cambios  internacionales.  —  Proyecto  de 
presupuesto  de  Francia  para  1895.  —  Los  ferro-carriles  espanoles.  —  El  discurso  del 
Sr.  Gamazo.   —  El  comercio  y  los  cambios  en  Filipinas.  —  etc. 

L.  Amerika. 
Yale  Review,  the.  A  quarterly  Journal  of  history  and  political  science.  Vol.  II, 
N°  4,  February  1894:  Comment :  Some  defects  in  our  legislative  machinery  ;  the  decline 
of  individual  responsibility  in  the  U.  States  ;  some  notes  on  the  winter's  distress.  —  The 
law  and  the  policy  for  Hawaii,  by  Th.  S.  Woolsey.  —  The  ecclesiastical  treatment  of 
usury,  by  H.  C.  Lea.  —  European  Bureaus  of  labor  statistics  ,  by  E.  R.  L.  Gould.  — 
Jefferson  and  the  social  compact  theory,  by  G.  P.  Fisher.  —  English  labor  in  and  out 
of  Parliament,  by  E.  Porritt.  —  etc.  Yale  Review.  Vol.  III,  N°  1,  May  1894:  Com- 
ment :  The  existing  depression  compared  with  its  predecessors.  etc.  —  Black  friday, 
1869,  by  H.  White.  —  Historical  industries,  by  J.  Schouler.  —  Corporations  and  the 
legislature,  by  H.  C.  White.  —  Ulrich  von  Hütten  in  the  light  of  recent  investigation, 
by  F.  P.  Goodrich.  —  The  condition  of  the  southern  farmer,  by  Fr.  W.  Moore.  —  The 
Russian-American   extradition  treaty,  by  J.   A.  Hourwich.  -—  etc. 


Die  periodische  Presse  Deutschlands. 

Annalen  des  Deutschen  Reichs  für  Gesetzgebung,  Verwaltung  und  Statistik.  Jahrg. 
XXVII,  1894,  Nr.  8:  Die  Reichssteuergesetzentwürfe  von  1893.  (Fortsetzung.)  —  Der 
Entwurf  eines  preufsischen  Wassergesetzes,  von  (ORechnR.)  Zeller.  —  Denkschrift,  be- 
treffend   Umgestaltung    der    preufsischen    Eisenbahnbehörden,    vom  April  1894.  —  Denk- 


320  Die  periodische  Presse  Deutschlands. 

schrift  über  das  Patentgesetz  vom  7.  April  1891  und  das  Gesetz  ,  betreffend  den  Schutz 
von  Gebrauchsmustern  vom  1.   Juni   1891.  (Dez.   1893.)   Mit  5  Anlagen.   — 

Archiv  für  Eisenbahnwesen.  Herausgegeben  im  Ministerium  der  öffentlichen  Arbeiten. 
Jahrg.  1894,  Heft  4,  Juli  und  August:  Die  Güterbewegung  auf  den  deutschen  Eisen- 
bahnen im  Jahre  1893  im  Vergleich  zu  der  in  den  Jahren  1892,  1891  und  1890,  von 
Thamer.  —  Die  Kosten  der  Gleisunterhaltung,  von  Sigle.  —  Die  schweizer  Arbeiterschutz- 
gesetzgebung   im    Transportgewerbe,    von   Erlanger.  —    Die    russische  Nordbahnfrage.   

Die  Naftaindustrie  Bakus  im  Jahre   1893.   —  Die  Eisenbahnen  in  Australien.   —   etc. 

Archiv  für  Post  und  Telegraphie.  Jahrg.  1894,  Nr.  11  u.  12,  Juni:  Ueber  Viel- 
fachumschalter und  deren  Verwendung  bei  den  Fernsprechvermittelungsanstalten  der  Reichs- 
Telegraphenverwaltung  (Artikel  I  u.  II).  —  Die  Einheitsbewegung  im  Verkehrswesen 
Australasiens  (Artikel  I  u.  II).  —  Zur  Geschichte  des  Begriffs  „Pferdestärke".  —  Unfug 
mit  Briefmarken.  —  Wilhelm  Röscher  (Nachruf).  —  etc. 

C  hristlich  -soziale  Blätter.  Katholisch-soziales  Zentralorgan.  Jahrg.  XXVII,  1894, 
Heft  9   und   10:   Oesterreichisches,  von  A.  Tr.  —  Zur  Lohnfrage.  —  Zur  Maifeier  1894. 

—  Die  Landarbeiter  und  die  wirtschaftliche  Notlage.  —  Die  sozialdemokratische  Poesie 
mit  der  Anlage:  Sozialdemokratische  Litteraturaugabe.  —  Der  Brotkonsum  im  Deutschen 
Reiche.   —   Sozialpolitische  Rundschau,  IV.   —  etc. 

Deutsche  Revue  über  das  gesamte  nationale  Leben  der  Gegenwart.  Herausgegeben 
von  Richard  Fleischer.  Jahrg.  XIX,   1894,  Juni:  Crispi   bei  Bismarck.  Artikel  3  (Schlufs). 

—  Die  Lebensgemeinde  in  der  Fläche  des  Ozeans,  von  Hensen.  —  Der  Ruin  der  eng- 
lischen Landwirtschaft,  von  W.  C.  Tetley.  —  Erinnerungen  von  meiner  Reise  um  die 
Welt,  1887/88,  von  Prinz  Bernhard  von  Sachsen-Weimar  (III.  Artikel).  —  Erinnerungen 
aus  dem  Leben  von  H.   V.  v.   Unruh,  von  H.  v.   Poschinger  (III.  Artikel).   —  etc. 

Landwirtschaftliche  Jahrbücher.  Herausgegeben  von  H.  Thiel,  Band  XXIII, 
1894,  Heft  2  u.  3  :  Die  Düngungen  und  die  Düngungskosten  in  viehlosen  Wirtschaften 
gegenüber  denen  in  vielhaltenden  Wirtschaften,  von  K.  Müller  (Alzey).  [S.  167 — 332.]  — 
Beiträge  zur  Kenntnis  der  intramolekularen  Atmung,  von  N.  v.  Chudiakow.  —  Unter- 
suchungen über  die  alkoholische  Gärung,  von  demselben.     Mit  5   Tafeln.  — 

Masius'  Rundschau.  Blätter  für  Versicherungswissenschaft  etc.  Neue  Folge,  Jahr- 
gang VI,  1894,  Heft  6  und  7:  Die  Entwickelung  der  Lebensversicherung  in  Deutsch- 
land. —  Aus  dem  Berichte  des  eidgenössischen  Versicherungsamts  für  1892.  —  Lebens- 
versicherung und  Tontine.  —  Die  Lebensversicherung  der  Arbeiter  in  Deutschland.  — 
Die  Prolongationsklausel  in  der  Feuerversicherung.  —  Anzeigepflicht  bei  Erneuerung  der 
Versicherung.  —  Versicherungsgesetzgebung    —  etc. 

Preufsische  Jahrbücher.  Herausgegeben  von  Hans  Delbrück.  Band  LXXVII, 
Heft  1,  Juli  1894:  Der  Einflufs  des  juristischen  Elements  in  den  Behörden  der  preußi- 
schen Landeskirchen,  von  (KonsistorialR.)  C.  Balan.  —  Sozialpolitik  im  Gütertarif,  von 
(RegR.  a.  D.)  R.  Menz.  —  Wilhelm  Röscher  f,  von  (Prof.)  K.  Bücher.  —  Die  Fried- 
richsuniversität zu  Halle.  —  Die  Reichssteuerreform  und  die  Konversion  der  Staatsan- 
leihen. — 

Vereinsblatt  für  deutsches  Versicherungswesen.  Redakteur:  J.  Neumann.  Jahrg. 
XXII,  1894,  Nr.  5  und  6:  Feuerversicherung  im  Königreich  Sachsen. —  Zwangsversiche- 
rung für  Gebäude  in  Preufsen.  —  Zur  Rechtsprechung  des  Reichsgerichts  etc.  in  Ver- 
sicherungsangelegenheiten.  — 

Zeitschrift  für  Kleinbahnen.  Herausgegeben  im  Ministerium  der  öffentlichen 
Arbeiten.  Jahrg.  I,  Heft  7,  Juli  1894:  Nachweisung  der  in  Preufsen  vor  dem  Inkraft- 
treten des  Gesetzes  vom  28.  Juli  1892  genehmigten  und  jetzt  als  Kleinbahnen  im  Sinne 
dieses  Gesetzes  anzusehenden  Eisenbahnen,  sowie  der  nach  dem  Inkrafttreten  des  genannten 
Gesetzes  genehmigten  Kleinbahnen,  nach  dem  Stande  vom  31.  Dezember  1893.  —  Vor- 
schläge für  die  Einrichtung  der  Betriebsverwaltung  einer  Kleinbahn,  von  (Reg.-  u.  BauR.) 
H.  Jacobi,  Kassel  (Schlufs).  —  Die  Brölthaler  Eisenbahn,  von  (RegBauMstr.)  Lauer 
(Elberfeld).     Mit  3  Taf.     (Fortsetzung.)  —  etc. 


Frommannsche  Buchdruckerei  (Hermann  Pohle)  in  Jena. 


Backhaus.  Die  Arbeitsteilung  iu   der  Landwirtschaft.  321 


III. 

Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft. 

Von 

Prof.  Dr.  Backhaus,  Göttingen. 

Allgemeines. 

In  der  wissenschaftlichen  Behandlung  der  Frage  über  die  Durch- 
führung der  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft  ist  man  seit  den 
Tagen  von  Adam  Smith  bis  auf  heute  nicht  viel  weiter  gekommen. 
Der  Satz:  „The  nature  of  agriculture,  indeed  does  not  admit  of  so 
many  subdivisions  of  labor,  nor  of  so  complete  a  Separation  of  one 
business  from  another,  as  manufactures" *)  findet  sich  immer  wieder, 
mehr  oder  weniger  modifiziert,  iD  späteren  Werken.  Ja  man  hat  viel- 
fach noch  nicht  einmal  von  Seiten  späterer  Autoren  eine  so  umfassende 
Darstellung  wie  Adam  Smith  gegeben,  denn  dieser  denkt  doch  in 
dem  angeführten  Citat  einmal  an  die  Teilung  einzelner  Arbeiten  und 
dann  auch  an  die  Trennung  der  Produktionsrichtung  in  verschiedenen 
Landwirtschaftsbetrieben  je  nach  ihren  hauptsächlichsten  Produkten. 
Es  sind  das  diejenigen  Seiten  der  Arbeitsteilung,  auf  die  es  meines 
Erachtens  für  die  Landwirtschaft  am  hauptsächlichsten  ankommt  und 
es  sollen  diese  Seiten  auch  gerade  in  der  nachfolgenden  Untersuchung 
behandelt  werden. 

Man  hat  mit  der  vielfach  schon  zum  Schlagwort  und  zur  Phrase 
gewordenen  Bezeichnung  „Arbeitsteilung"  so  vielerlei  ins  Auge  gefaßt, 
daß  es  nötig  ist,  das  zu  behandelnde  Gebiet  genauer,  namentlich  in 
Hinsicht  auf  die  Benennung  zu  kennzeichnen.  Es  ist  eine  Unter- 
scheidung in  technische,  berufsmäßige  und  internationale  Arbeitsteilung 
getroffen  worden 2),  dann  wieder  in  zeitliche,  persönliche,  räumliche 
Arbeitsteilung3).    Schmoller4)  spricht  von  natürlicher,   sozialer,   poli- 


1)  Adam  Smith  ,  An  inquiry  into  the  nature    and    causes    of    the    wealth  of  nations, 
1791,   S.   9. 

2)  Handwörterb.  d.  Staatswissensch.,  Jena   1890,  I,  S.   380. 

3)  Schönberg,  Handb.  der  politisch.  Oekonomie,  Tübingen   1882,  S.   167. 

4)  Jahrbuch  für  Gesetzgeb.,  Verwalt.  u.  Volkswirtsch.,  Leipzig  1889.  S.   1035. 
Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXIII).  2 1 


322  Backhaus, 

tischer,  geistiger  und  volkswirtschaftlicher  Arbeitsteilung.  Doch  zeigen 
sich  diese  und  andere  Unterscheidungen  für  den  vorliegenden  Zweck 
als  unzureichend,  weshalb  ich  diejenigen  Zweige,  die  hier  behandelt 
werden  sollen,  als  wirtschaftliche  und  technische  Arbeitsteilung 
bezeichnen  möchte.  Ich  verstehe  unter  der  ersten  die  Teilung  eines  Ge- 
werbes, hier  der  Landwirtschaft  in  verschiedene  Zweige,  unter  der 
letzteren  Bezeichnung  die  Zerlegung  der  wirklichen  Arbeiten  innerhalb 
eines  Gewerbes,  wie  sie  Adam  Smith  in  seinem  klassischen  Beispiel 
von  der  Nadel fabrikation  trefflich  schildert.  Beide  Arten  der  Arbeits- 
teilung haben  vieles  Gemeinsame  und  Uebereinstimmende.  Die  tech- 
nische Arbeitsteilung  wird  meistens  erst  durch  die  wirtschaftliche 
möglich  und  die  letztere  erlangt  durch  die  erstere  ihre  Hauptvor- 
teile —  ein  Umstand,  der  in  der  Litteratur  viel  zu  wenig  be- 
achtet ist. 

Es  mögen  zunächst  einige  charakteristische  Ansichten  über  unseren 
Gegenstand  und  zwar  von  Nationalökonomen  wie  von  Landwirtschaftlern 
folgen,  wobei  zu  bemerken  ist,  daß  in  sehr  vielen  Lehr-  und  Hand- 
büchern der  Nationalökonomie  wie  landwirtschaftlichen  Betriebslehre 
hierauf  überhaupt  kein  Bezug  genommen  wird. 

v.  Hermann  x)  unterscheidet  eine  primitive  Arbeitsteilung  in  der 
Sonderung  der  selbständig  betriebenen  Erwerbsgeschäfte  und  eine 
sekundäre  Scheidung  der  Arbeiten,  die  wieder  in  eine  ökonomische 
und  technische  Arbeitsteilung  zerfällt.  Bezüglich  der  ökonomischen 
Arbeitsteilung  drückt  er  sich  in  Anwendung  auf  die  Landwirtschaft 
aus :  „Im  Landbau  und  bei  der  Viehzucht  und  den  damit  verbundenen 
Geschäften  findet  sich  fürs  erste  die  Scheidung  der  selbständigen  Er- 
werbsgeschäfte, vorwalteud  nur  nach  Gruppen,  seltener  nach  Gattung 
und  nach  Art  der  Produkte",  und  über  die  letztere :  „Die  Unterteilung 
der  Arbeiten  ist  fast  in  allen  Geschäften  der  Landwirtschaft  von  der 
Jahreszeit  abhängig  und  durch  sie  beschränkt."  Der  Autor  verbreitet 
sich  ausführlich  über  die  Vorteile  und  Vorbedingung  der  Arbeits- 
teilung, sucht  auch  die  beiden  angeführten  Sätze  noch  näher  zu  be- 
leuchten, ohne  indessen  viel  Neues  dabei  zu  Tage  zu  fördern. 

Röscher2)  schildert  zwar  in  §  57  an  Beispielen  aus  England  eine 
verhältnismäßig  weit  ausgedehnte  wirtschaftliche  Arbeitsteilung  in  der 
Landwirtschaft,  behandelt  dann  aber  in  §  59  bei  Besprechung  der 
Bedingungen  nur  die  technische  Arbeitsteilung  im  Landbau,  bezüglich 
deren  ähnliche  Gesichtspunkte  wie  von  v.  Hermann  vorgebracht 
werden.  In  eingehender  Weise  beschäftigt  sich  Schmoller  3)  mit  der 
landwirtschaftlichen  Arbeitsteilung,  wobei  er  jedoch  der  wirtschaft- 
lichen Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft  keine  sehr  hohe  Bedeu- 
tung zuweist,  wie  sich  dies  aus  folgenden  Sätzen  ergiebt:  „Die  land- 
wirtschaftliche Unternehmung  löst  sich  nicht  ganz  von  der  Familien- 
wirtschaft los,  so  wie  es  die  moderne  gewerbliche  Unternehmung  thut." 


1)  Staatswissenschaftl.  Untersuch.,  München   1870,  S.    195  ff. 

2)  Grundlage  der  Nationalökonomie.     Stuttgart  1883. 

3)  Schmoller  a.  a.  O.  S.  1035. 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwii  tschaft.  323 

„Die  selbständige  Produktion  der  Lebensmittel  giebt  eine  Unabhängig- 
keit und  Sicherheit,  wie  keine  andere  wirtschaftliche  Thätigkeit."  Es 
tritt  Schmoller  dann  auch  den  Ansichten  Xenophons,  die  in  späterer 
Zeit  von  Luther  bis  auf  die  Physiokraten  immer  wiederkehrten,  daß 
der  Landbau  Reichtum ,  Gesundheit  und  Kriegstüchtigkeit  befördere 
und  die  Tugend  der  Ackerbauer  über  die  alle  anderen  Stände  zu 
stellen  sei,  mit  den  Worten  entgegen:  „Aller  höherer  Wohlstand  und 
auch  der  beste  Teil  unserer  sittlichen  Fortschritte  beruht  auf  einer 
Arbeitsteilung,  die  über  den  Ackerbau  hinausgeht." 

Von  landwirtschaftlichen  Autoren  hat  Thaer  x)  die  Lehren  Adam 
Smith's  von  der  Arbeitsteilung  für  die  Landwirtschaft  nutzbringend 
zu  machen  gesucht.  Er  behandelt  aber  nur  die  technische  Arbeits- 
teilung, deren  Anwendung  er  mit  warmen  Worten  empfiehlt  und 
mancherlei  Beispiele  angiebt,  wie  dieselbe  praktisch  ausgeführt  werden 
kann.  Die  wirtschaftliche  Arbeitsteilung  erwähnt  er  jedoch  gar  nicht, 
ja  arbeitet  derselben  sogar  entgegen  durch  Empfehlung  vieler  neuer 
Kulturpflanzen,  ohne  vor  einer  zu  großen  Komplizierung  der  Landguts- 
wirtschaft zu  warnen.  In  seiner  Wirtschaft  Möglin  betrieb  er  auch 
selbst  die  Kultur  einer  sehr  großen  Zahl  landwirtschaftlicher  Nutz- 
pflanzen 2). 

Thaer's  großer  Schüler  v.  Thünen  geht  im  „Isolierten  Staat",  ob- 
wohl er  darin  so  viele  eingehende  Kalkulationen  über  Arbeit  ange- 
stellt, viele  Lehren  von  Adam  Smith  weiter  verarbeitet  und  für 
die  Landwirtschaft  angewandt  hat,  sowie  auch  in  seinen  übrigen 
Schriften  auf  die  Frage  der  Arbeitsteilung  gar  nicht  ein. 

Friedrich  Gottlob  Schulze  3)  hat  wie  viele  andere  wirtschaftliche 
Fragen,  auch  die  Bedeutung  der  Arbeitsteilung  für  die  Landwirtschaft 
wohl  erkannt  und  verbreitete  sich  über  die  Durchführung  derselben  in 
seinem  Lehrbuch  eingehender,  schildert  sogar  Adam  Smith's  Beispiel 
von  der  Nadelfabrikation  und  andere  gewerbliche  Exempel.  Aber  auch 
hier  ist  nur  von  technischer  Arbeitsteilung  die  Rede. 

Am  eingehendsten  behandelt  von  älteren  landwirtschaftlichen 
Autoren  unseren  Gegenstand  v.  Pabst 4),  der  in  seinem  Lehrbuch  neun 
Paragraphen  darüber  giebt,  noch  viel  weitgehender  wie  Thaer  angiebt, 
wie  die  Arbeitsteilung  auch  für  die  Landwirtschaft  möglich  ist,  aller- 
dings lediglich  auch  nur  unter  Arbeitsteilung  die  technische  nach  un- 
seren Begriffen  auffaßt. 

Von  neueren  Autoren  geht  Settegast5)  auf  die  Anwendung  der 
Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft  ein,  drückt  jedoch  seine  Ansicht 
dahin  aus,  daß  die  technische  Arbeitsteilung  mehr  Schaden  als  Nutzen 
bringen  könne,  indem  er  z.  B.  sagt:  „In  Anbetracht  der  eben  hervor- 
gehobenen Schattenseiten,  von  welchen  sich  die  Arbeitsteilung  in  ihrer 


1;  Thaer,   Grundsätze    der  rationellen  Landwirtsch.     Neue  Ausg.     Berlin  1880,  S.  85. 

2)  Thaer,  Geschichte  meiner  Wirtschaft  zu  Möglin.     Berlin   1815. 

3)  Lehrbuch  der  allgetn.  Landwirtsch.    Leipzig  1863. 

4)  Landwirtschaft!.  Betriebslehre,    Darmstadt  1848,   S.   34. 

5)  Settegast,  Die  Landwirtschaft  und  ihr  Betrieb,  Breslau  1885,  S.  421. 

21* 


324  Backhaus, 

höchsten  Entwickelung  nicht  frei  machen  kann,  dürfte  es  kaum  zu  be- 
klagen sein,  daß  es  die  Eigenart  des  Betriebes  der  Landwirtschaft  nicht 
zuläßt,  sich  dieser  Beförderungsmittel  der  Arbeit  in  dem  Umfange  zu 
bedienen,  wie  es  in  manchen  industriellen  Thätigkeiten  ausführbar  ist." 
Der  wirtschaftlichen  Arbeitsteilung  steht  Settegast  freundlicher  gegen- 
über, wie  dies  aus  seinen  Auslassungen  über  Organisation  des  Betriebes 
in  Rücksicht  auf  Absatz  und  Verkehr x),  über  die  Stellung,  die  er  der 
Viehhaltung  und  industrieller  Thätigkeit  in  der  Landwirtschaft  ein- 
räumt, ersichtlich  ist. 

Pohl 2)  giebt  über  die  technische  Arbeitsteilung  keine  Auslassungen, 
wohl  aber  über  die  wirtschaftliche,  wenn  er  auch  das  Wort  selbst  nicht 
gebraucht,  in  Schilderungen  der  Entwickelung  der  Landgutswirtschaft, 
die  er  in  3  Stadien  einteilt,  in  die  Oikoswirtschaft,  in  die  kameralisti- 
sche  Landgutswirtschaft  und  das  tertiäre  Stadium  der  Landgutswirt- 
schaft. 

Geschichtliches. 

Es  fehlt  nicht  in  der  Litteratur  an  historischen  Phantasiegemälden 
über  unseren  Gegenstand,  wie  der  Mensch  als  Jäger,  Nomade  und  auch 
im  ersten  Stadium  als  Ackerbauer  vollständige  Oikoswirtschaft  trieb, 
wie  er  alle  seine  Bedürfnisse  selbst  produzierte,  deshalb  der  Landbau- 
betrieb ein  sehr  vielseitiger  war,  wie  dann  allmählich  eine  stärkere 
Arbeitsteilung  eintrat  und  zwar  die  Scheidung  in  der  Arbeit  zuerst 
nach  Geschlecht  und  nach  Beruf  erfolgte,  dann  mit  dem  Wachsen  der 
Bedürfnisse  ein  Austausch  zwischen  verschiedenen  Oikoswirtschaften 
stattfand,  wie,  nachdem  der  Naturalverkehr  durch  den  Geldverkehr  er- 
setzt wurde  und  auch  das  Transportwesen  sich  vervollkommnete,  eine 
immer  stärkere  Arbeitsteilung  eintrat  und  deshalb  auch  der  Betrieb 
der  Landwirtschaft  immer  einfacher  sich  gestaltete  und  wie  nach  dem 
Grundsatz  der  fortschreitenden  Arbeitsteilung  eine  weitere  Verein- 
fachung in  Aussicht  steht,  obwohl  die  Natur  der  Landwirtschaft  es  be- 
dingt, daß  die  Arbeitsteilung  der  Industrie  nicht  erreicht  werden  kann. 

Mit  derartigen  oberflächlichen  Ausführungen  ist  recht  wenig  ge- 
than.  Prüft  man  die  Verhältnisse  auf  Grund  genau  verbürgter  An- 
gabe sorgfältiger,  so  findet  man  in  vielen  Beziehungen  gerade  das  Ent- 
gegengesetze dieser  Darstellungen.  Man  findet  im  allgemeinen  den 
Entwicklungsgang  so,  daß  bei  einer  sehr  niedrig  entwickelten  Volks- 
wirtschaft durch  die  geringen  Bedürfnisse  der  Menschen  der  Betrieb 
der  Landwirtschaft  ein  außerordentlich  einfacher  ist,  namentlich  da 
es  auch  an  Kapital  fehlt,  um  die  Landwirtschaft  intensiver  zu  ge- 
stalten, und  da  auch  der  Ueberfluß  an  Grund  und  Boden  wie  der  ge- 
ringe Wert  landwirtschaftlicher  Produkte  eine  stärkere  Verwendung 
von  Arbeit  auf  das  Land  nicht  zweckmäßig  erscheinen  läßt.  Mit  dem 
Steigen  der  Volkswirtschaft,  mit  der  Vermehrung  der  Bedürfnisse,  dem 
Steigen  des  Luxus  gestaltet   sich  dann   auch  der  Landbau  immer  in- 


1)  Daselbst,  S.   246. 

2)  Pohl,  Landwirtschaft!.  Betriebslehre.     Leipzig   1885. 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  3W^5 

tensiver  und  vielseitiger  und  es  scheint,  daß  die  Arbeitsteilung,  ob- 
wohl sie  gleichzeitig  in  der  Industrie  so  großen  Fortschritt  herbei- 
führte, in  der  Landwirtschaft  verhältnismäßig  wenig  angewandt  wird, 
vielfach  allerdings  durch  die  mangelnde  Intelligenz  der  Landwirte  und 
das  Nichterkennen  wirtschaftlicher  Gesetze,  bis  auf  einer  sehr  hohen 
Stufe  der  Volkswirtschaft,  aber  einer  Stufe,  wie  sie  z.  B.  im  klassischen 
Altertum  nicht  erreicht  wurde,  die  auch  in  unserer  Zeit  erst  im  An- 
fang begriffen ,  indem  nämlich  ein  technisch  sehr  hoch  entwickelter 
Ackerbaubetrieb,  ein  stark  konsumtionsfähiger  Markt,  ein  reger  Verkehr 
und  ein  vorzügliches  Transportwesen  die  Vorbedingungen  sind,  auch 
in  der  Landwirtschaft  eine  stärkere  wirtschaftliche  und  technische 
Arbeitsteilung,  die  also  einer  Vereinfachung  der  einzelnen  Landwirt- 
schaftsbetriebe gleichkommt,  eintritt.  Daß  eine  weitgehende  Arbeits- 
teilung in  der  Landwirtschaft  möglich  ist,  läßt  sich  aber  aus  einer 
ganzen  Reihe  bestehender  Beispiele  ersehen. 

Aus  dem  Altertum  lassen  manche  Nachrichten  es  als  zutreffend 
erscheinen,  daß  in  den  ältesten  Zeiten  der  Landbaubetrieb,  obwohl 
eine  Arbeitsteilung  noch  sehr  wenig  eingetreten  war,  doch  sehr  einfach 
sich  gestaltete.  Aus  den  Schilderungen  Homers  in  der  Iliade  und  der 
Odyssee  ersehen  wir,  daß  bei  einer  so  gering  entwickelten  Arbeits- 
teilung, bei  der  die  Penelope  selbst  mit  Weben  sich  beschäftigte  und 
bei  der  die  Fürstin  die  Mägde  zum  Spinnen  anhielt,  trotzdem  der 
Landwirtschaftsbetrieb  ein  sehr  einfacher  gewesen  sein  muß,  denn  alle 
die  Speisen  und  Gerichte,  die  bei  den  Festmählern  und  von  den 
schwelgenden  Freiern  verzehrt  wurden,  waren  außerordentlich  einfach 
und  gehen  meist  über  Brot  und  Fleisch  nicht  hinaus.  Auch  im  alten 
Testament  findet  man  ähnliche  Verhältnisse. 

In  der  Blütezeit  des  klassischen  Altertums  tritt  uns  eine  bedeu- 
tendere Erweiterung  der  Landwirtschaft,  aber  eine  verhältnismäßig 
geringe  Arbeitsteilung  entgegen.  Columella  schildert  im  ersten  seiner 
12  Bücher  De  re  rustica,  wie  er  sich  das  Ideal  eines  Landgutes  denkt. 
Es  soll  ein  Teil  Ackerland  sein,  ein  Teil  Wiesen,  die  durch  lebendige 
Quellen  und  Bäche  bewässert  werden  können,  ein  Teil  Garten,  ein  Teil 
Weideplätze,  ein  Teil  Rohrplätze,  während  ein  anderer  Teil  noch  mit 
Holz  bewachsen  sein  soll.  Ein  Teil  des  Areals  würde  am  besten  in 
der  Ebene,  ein  anderer  Teil  an  Anhängen  gelegen  sein  und  zwar  sollen 
auch  einige  Hügel  frei  von  Bäumen  und  zu  Ackerland  nutzbar  sein, 
weil  sich  dieser  Boden  zu  Saatland  besser  eignet  als  die  Ebene,  auf 
der  es  in  mäßig  trockenem  und  fettem  Grunde  allerdings  besser  wächst. 
Es  wird  dann  weiter  gewünscht,  daß  andere  Hügel  mit  Oelbäumen 
und  Weinstöcken  und  dem  nötigen  Pfahlholz  bepflanzt  seien,  daß  an- 
dere Berge  Bauholz  oder  Stein  zu  notwendigem  Bau  enthalten,  andere 
Futterkräuter  für  das  Vieh  hervorbringen.  Endlich  dürfe  es  nicht  an 
Viehherden  aller  Gattungen  fehlen,  welche  auf  dem  Felde  und  in  den 
Büschen  weiden.  —  Dieses  Ideal  des  römischen  Landbauschriftstellers 
bildet  allerdings  einen  Betrieb,  wie  er  vielseitiger  kaum  gedacht  werden 
kann.  Es  beschreibt  dann  auch  Columella  in  seinem  Buch  den  zweck- 
mäßigen  Anbau   von   ca.   50  landwirtschaftlichen  Kulturpflanzen.     Es 


326  Backhaus, 

wird  ferner  gelehrt  die  Zucht  und  Pflege  von  Pferden,  Rindvieh,  Schafen, 
Schweinen,  Ziegen,  Eseln,  Hunden,  Federvieh  verschiedenster  Art,  endlich 
auch  Fischzucht  und  Bienenzucht,  so  daß  die  Landwirtschaftsbetriebe, 
die  so  viele  Kulturpflanzen  und  so  viele  Haustierarten  zur  Auswahl 
hatten,  jedenfalls  bedeutend  vielseitiger  gewesen  sind  als  in  früheren 
Zeiten. 

Freilich  fehlen  auch  die  Anzeichen  nicht,  daß  schon  zur  Zeit  der 
Römer  eine  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft  sich  herausgebildet 
hatte,  indem  ja  zur  Versorgung  des  volkreichen  Roms  Getreide  aus 
Sizilien  und  Afrika,  Viehzuchtprodukte  aus  Gallien  und  Germanien 
eingeführt  wurden,  mithin  in  diesen  Ländern  gerade  die  landwirtschaft- 
liche Produktion  auf  einen  Ueberschuß  in  den  betreffenden  Produkten 
hinarbeitete. 

Ueber  den  Ackerbau  der  alten  Germanen,  in  deren  wirtschaft- 
licher Thätigkeit  doch  eine  sehr  geringe  Arbeitsteilung  vorhanden 
war ,  liegen  sichere  Nachrichten  vor ,  daß  derselbe  trotzdem  äußerst 
einfach  gewesen  sein  muß.  Von  Getreide  baute  man  fast  nur  Hafer, 
der  die  Hauptbrotfrucht  bildete;  auch  Gerste  wurde  nach  Tacitus 
gebaut,  jedenfalls  aber  in  geringer  Ausdehnung.  Langethal1)  ist  der 
Ansicht,  daß  Roggen  von  den  Germanen  noch  nicht  gekannt  sei,  daß 
vielmehr  frumentum,  welches  Tacitus  erwähnt,  auf  Spelz  sich  beziehe. 
Wurzelgewächse  erwähnt  Plinius  nur  3  als  in  Germanien  gebaut.  Auch 
Leinbau  wurde  damals  getrieben.  Damit  mögen  aber  auch  die  haupt- 
sächlichsten landwirtschaftlichen  Kulturpflanzen  erschöpft  sein.  Die 
Viehzucht  gestaltet  sich  allerdings  verhältnismäßig  vielseitiger,  wie  dies 
überhaupt  in  älteren  historischen  Epochen  der  Fall  ist.  Schon  zu 
Homers  Zeiten  hatte  man  unsere  heutigen  hauptsächlichsten  4  Haus- 
tierarten Pferd,  Rind,  Schaf  und  Schwein,  wozu  sich  damals  auch 
noch  als  in  größerem  Maßstabe  gezüchtet  die  Ziege  gesellte. 

Wie  ganz  anders  gestaltet  sich  das  Bild  der  Landwirtschaft 
im  Mittelalter,  wo  eine  ganze  Anzahl  neuer  Nutzpflanzen  in  Deutsch- 
land eingeführt  waren  und  die  verfeinerten  Bedürfnisse  einen  viel- 
seitigeren Anbau  nötig  machten,  wo  aber  auch  infolge  des  gering  ent- 
wickelten Transportwesens  die  meisten  Kulturpflanzen  an  Ort  und  Stelle 
oder  nicht  weit  von  dem  Konsumtionsplatz  angebaut  werden  mußten. 
Der  Hopfenzusatz  zu  dem  Bier  war  im  13.  Jahrhundert  aufgekommen 
und  wir  sehen  deshalb  im  14  —  16.  Jahrhundert  an  dem  Nordrande 
des  Harzes  einen  sehr  starken  Hopfenbau  entwickelt,  der  heute  dort 
vollständig  aufgehört  hat,  weil  in  anderen  Gegenden  der  Hopfenbau 
lucrativer  sich  zeigte  und  der  Transport  von  diesen  Gegenden  ermög- 
licht ist.  Die  letzten  Hopfenanlagen  wurden  am  Nordharz  in  Wasser- 
leben erst  1869  aufgegeben. 

Der  kirchliche  Kultus  des  Mittelalters  machte  die  Einführung 
zweier  anderer  Betriebszweige  an  vielen  Orten  notwendig,  nämlich 
des  Weinbaues  und  der  Fischzucht.  Es  finden  sich  an  vielen  Orten 
in  Norddeutschland  die  Spuren  früheren  Weinbaues.     Man  mühte  sich 


1)  Langethal,  Gesch.  d.  deutsch.  Landwirtsch.,  Jena  1847,  S.  25. 


Die  Arbeitsteilung  in   der   Landwirtschaft.  327 

trotz  des  schon  in  damaliger  Zeit  als  „sauer  und  essigartig"  be- 
zeichneten Weines  mit  dessen  Gewinnung  ab,  weil  eine  Beschaffung 
von  anderen  Gegenden,  wie  dies  heute  der  Fall  ist,  nicht  möglich  war. 
Die  Fischzucht  ist  heute  ebenfalls  nicht  mehr  so  verbreitet  wie  im 
Mittelalter,  weil  die  evangelische  Bevölkerung  der  Fischspeisen  nicht 
so  bedarf  wie  die  katholische  des  Mittelalters  für  die  Fastenzeit,  weil 
für  sie  andere  Kulturarten  sich  rentabler  erwiesen. 

Weitere  Fortschritte  zeigen  sich  im  Mittelalter  gegenüber  der 
Urzeit  iu  der  Entwickelung  des  Obstbaues,  der  bei  den  Germanen  fast 
gar  nicht  gekannt  war,  indem  diese  nur  wildes  Obst  benutzten.  Auch 
Korbweiden  wurden  im  Mittelalter  angebaut. 

Eine  Uebersicht  über  die  vielerlei  Kulturpflanzen,  die  zu  Ende  des 
Mittelalters,  beispielsweise  am  Rhein,  angebaut  wurden,  giebt  Lange- 
thal x).  Wir  erfahren,  daß  damals  am  Rhein  schon  ca.  20  Arten  Feld- 
lrüchte  gebaut  wurden,  daß  ferner  eine  große  Anzahl  Küchengewächse, 
Arzneikräuter,  Wurzelgewächse,  Zierpflanzen,  Obstarten  bekannt  waren. 

Die  Viehzucht  hat  allerdings  keinen  vielseitigeren  Betrieb  gegenüber 
den  ältesten  Zeiten  gewannen,  da  keine  neuen  Haustierarten  hinzu- 
gekommen waren.  Dagegen  hatte  man  in  landwirtschaftlichen  Ge- 
werben eine  Vermehrung  der  Betriebszweige  erhalten.  Von  Brauereien 
bestanden  zu  Ausgang  des  Mittelalters  und  auch  in  Beginn  der  Neuzeit 
eine  große  Anzahl  in  Verbindung  mit  Landwirtschaftsbetrieben.  Die 
Klöster  hatten  dieses  Gewerbe  überall  teils  in  Verbindung  mit  den 
Klöstern,  teils  auf  ihren  Gütern  zur  Einführung  gebracht.  Die  Einrich- 
tung, die  sich  heute  noch  in  Bayern  findet,  daß  in  Dörfern  in  dem  Ge- 
meindebrauhaus und  auf  großen  Gütern  in  dem  eigenen  Brauhaus 
sich  die  Landwirte  den  Haustrunk  selber  herstellen,  war  früher  sehr 
viel  mehr  verbreitet,  wurde  aber  und  wird  heute  immer  mehr  auf- 
gegeben, nachdem  die  fortschreitende  Arbeitsteilung  derartige  kleine 
Betriebe  als  irrationell  erscheinen  läßt. 

Einen  ähnlichen  Entwickelungsgang  hat  das  Gewerbe  der  Brannt- 
weinbrennerei genommen.  Zu  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  gab  es 
in  der  Grafschaft  Wernigerode  ca.  60  Branntweinbrennereien,  während 
1861  nur  noch  sechs  bestanden,  von  denen  bis  heute  wiederum  einige 
zum  Stillstand  gekommen  sind.  —  Müllereien ,  Ziegel-  und  Kalk- 
brennereien waren  in  früherer  Zeit  ebenfalls  viel  mehr  landwirtschaft- 
liche Gewerbe  als  wie  heute  und  waren  auch  in  größerer  Zahl,  aller- 
dings als  kleine  Betriebe  vorhanden. 

Recht  deutlich  ist  die  vielseitige  Gestaltung  der  Landwirtschafts- 
betriebe Deutschlands  zu  Ende  des  Mittelalters  und  Beginn  der  Neu- 
zeit durch  die  Hausväterlitteratur  ersichtlich,  wird  doch  in  diesen 
Werken,  z.  B.  in  dem  von  v.  Münchhausen 2)  über  die  allerver- 
schiedensten  Dinge  geschrieben ,  die  zum  Betrieb  einer  regelrechten 
Landwirtschaft  nötig  sind  und  wird  doch  damit  zugleich  auch  dem 
Wirtschafter  eine  solche  Vielseitigkeit  und  solche  Zersplitterung  zuge- 


1)  Langethal  a.  a.  0.  S.  202. 

2)  v.  Münchhausen,  Der  Hausvater.      Hannover   1766. 


328  Backhaus, 

mutet,  daß  eine  gute  Leistung  in  allen  Zweigen  ausgeschlossen  ist. 
Da  finden  sich  nicht  nur  Lehren  für  den  Ackerbau  und  Viehzucht- 
betrieb, sondern  auch  tausend  Rezepte  für  Hauswirtschaft,  für  Heil- 
kunst, Zauberregeln,  Regeln  für  Beschäftigung  als  Patriot,  Politikus 
und  Seelsorger,  u.  a.  m. 

Es  möchte  nach  dem  Geschilderten  erscheinen ,  als  ob  im  Ver- 
gleich zu  früheren  Jahrhunderten  der  Landwirtschaftsbetrieb  ein  ein- 
facherer geworden  und  eine  vermehrte  Arbeitsteilung  also  einge- 
treten sei.  Dem  ist  jedoch  durchaus  nicht  so.  Wohl  ist  nach  einzelnen 
Richtungen  hin  eine  Vereinfachung  erfolgt,  namentlich  in  Bezug  auf 
landwirtschaftliche  Gewerbe  und  auch  in  der  Viehzucht.  Es  wurden 
doch  in  frühereu  Zeiten  auf  den  meisten  Landgütern  alle  wichtigen 
Haustierarten,  also  Pferd,  Rind,  Schaf  und  Schwein  gehalten  und  ge- 
züchtet. Ja  sogar  Ziegenzucht,  Eselhaltung,  Geflügelzucht,  Bienen- 
zucht waren  damals  viel  verbreiteter.  Trotzdem  war  aber  der  Land- 
wirtschaftsbetrieb im  allgemeinen  nicht  komplizierter,  denn  alle  die 
vielen  genannten  Kulturpflanzen,  die  man  allerdings  schon  kannte, 
wurden  zum  größten  Teil  doch  nur  in  kleinem  Maßstabe  meist  in 
Gärten  angebaut,  während  zum  Anbau  im  Großen  auf  dem  Felde  nur 
ganz  wenig  Kulturpflanzen  kamen,  die  auch  zur  Nahrung  des  Volkes 
bei  damaligen  einfachen  Bedürfnissen  Abwechselung  genug  boten.  An 
einigen  Beispielen  sei  dies  noch  näher  dargestellt. 

An  anderer  Stelle  habe  ich  einmal  einen  Vergleich  gezogen  zwischen 
dem  Landwirtschaftsbetrieb  auf  einem  Gute  im  Jahre  1529 — 1557, 
aus  welcher  Zeit  Nachrichten  vorliegen,  und  dem  Betrieb  von  heute  x), 
aus  dem  überraschend  hervorgeht,  wie  sehr  durch  die  heutige  inten- 
sivere Bewirtschaftung  auch  eine  größere  Vielgestaltigkeit  in  dem  Be- 
trieb eingetreten  ist.  Auf  dem  Gute  Schmatzfeld2)  war  im  Jahre 
1592  das  Ackerland  bestellt  mit 


3.85 

Proz. 

Weizen 

19,38 

,, 

Roggen 

15,38 

?j 

Gerste 

23,85 

!) 

Hafer 

0,23 

5? 

Erbsen 

37,31 

J, 

Brache 

Ein  ähnliches  Bild  zeigt  sich  von  anderen  Gütern  der  Grafschaft 
Wernigerode,  ein  sehr  starkes  Ueberwiegen  der  Brache  und  zwar 
meistens  mehr  als  1/3  der  Fläche,  Vorwiegen  des  Haferbaues  vor 
anderen  Kulturpflanzen ,  ein  geringer  Weizenbau  und  ein  fast  ver- 
schwindend kleiner  Anbau  von  Blattpflanzen.  Auf  Schraatzfeld  wurde 
z.  B.  der  geringe  Anbau  von  Erbsen  während  des  17.  Jahrhunderts 
wiederum  vollständig  fallen  gelassen.  Im  Jahre  1879  betrug  der  An- 
bau der  Ackerfläche  dieses  Gutes,  welches  sich  in  seiner  Gesamtgröße 
nicht  verändert  hatte,  während  allerdings  das  Ackerland  durch  Um- 
bruch von  Weide  größer  geworden  war : 

1)  Backhaus,  Entwickelung  der  Landwirtsch.  auf  den  Gräfl.  Stollberg- Wernigerode'schen 
Domänen,  Jena   1888,  S.   159. 

2)  Ebendaselbst,  S.   186. 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  329 


17,77 

Proz. 

Weizen 

0.43   Proz 

Kartoffeln 

0,06 

., 

Roggen 

26,13 

Zuckerrüben 

0,70 

,, 

Raps 

6,31 

Luzerne 

13-78 

Gerste 

2,10 

Steinklee 

14,73 

5, 

Hafer 

6,92 

Wickfutter 

6,27 

,, 

Erbsen 

1,10        „ 

Mais 

1.12 

5' 

Wicken 

0,93 

Lein 

0,70 

-, 

Brache 

0,95        ., 

verpachtet 

Während  des  19.  Jahrhunderts  wurde  auf  diesem  Gut  außer  den 
soeben  aufgezählten  Kulturpflanzen  auch  noch  in  mehr  oder  weniger 
größerer  Ausdehnung  angebaut :  Sommerrübsen ,  Bohnen ,  Linsen, 
Sommerroggen,  Kohl,  Futterrüben,  Mohrrüben,  Rotklee,  Esparsette, 
Weideklee,  Mohn. 

Aehnliche  Verhältnisse  ermittelte  ich  auf  den  Stollberg'schen  Do- 
mänen Ilsenburg  und  Wasserleben1)  und  Wendorfl'2)  auf  den  Gütern 
Altenrode,  Drübeck  und  Veckenstedt.  Es  finden  sich  sogar  auf  diesen 
Gütern  noch  Kulturpflanzen  in  der  neueren  Zeit  angebaut,  die  auf 
Gut  Schmatzfeld  nicht  kultiviert  wurden,  z.  B.  Buchweizen,  Grünroggen, 
Dotter. 

Selbst  in  der  Viehzucht  hat  nach  verschiedenen  Richtungen  hin 
der  Landwirtschaftsbetrieb  auf  den  Gräfl.  Stollberg'schen  Domänen  sich 
nicht  vereinfacht,  sondern  kompliziert.  Man  hatte  dort  schon  im 
16.  Jahrhundert  eine  Art  Arbeitsteilung  in  der  Viehzucht  eingerichtet, 
indem  auf  den  administrierten  Gütern  Schmatzfeld  und  Veckenstedt 
nur  Milchkühe  gehalten  wurden,  während  in  Wernigerode  keine  Milch- 
viehhaltung existierte,  dagegen  von  jenen  Gütern  die  Kälber  hinge- 
bracht wurden,  um  sie  hier  aufzuziehen  und  dann  wieder  die  Milch- 
kühe an  jene  Güter  abzugehen.  Auf  diese  Weise  wurde  der  Vieh- 
zuchtsbetrieb ein  etwas  einfacherer.  Auf  anderen  Gütern  war  er  aller- 
dings recht  kompliziert,  indem  man  Zucht  aller  Tierarten  betrieb,  da- 
durch einen  großen  Bestand  von  Jungvieh  verschiedener  Jahrgänge 
hatte  und  auch  auf  eine  vielseitige  Nutzung  der  Haustiere  Rücksicht 
nahm.  Es  dienten  z.  B.  die  Schafe  ganz  allgemein  im  16.  Jahrhundert 
nicht  nur  zur  Fleisch-  und  Wollproduktion,  sondern  auch  zur  Milch- 
lieferung. Man  verstand  es  aber  doch  wieder  den  Viehzuchtsbetrieb 
zu  vereinfachen  durch  Verpachtung  der  Viehhaltung,  was  in  der  Graf- 
schaft Wernigerode  hauptsächlich  im  17.  und  18.  Jahrhundert  eintrat. 
Der  erste  Pachtkontrakt  über  eine  Schäferei  in  Wernigerode  fand  sich 
vom  Jahre  1594.  Graf  Görtz-Wrisberg3)  berichtete  sogar,  daß  in  der 
Provinz  Hannover  schon  im  Jahre  1556  Schäfereiverpachtungen  statt- 
gefunden hatten.  Es  wurden  aber  nicht  nur  die  Schäfereien,  sondern 
auch  die  Rindviehhaltung  auf  den  Wernigerode'schen  Gütern  verpachtet. 
Eine  weitere  Vereinfachung  der  Viehhaltung  bestand  auf  diesen  Gütern 
darin,   daß  man  in   früherer  Zeit   keine  Zugochsen    hatte,   die   erst  in 


1)  Ebendaselbst  S.   185  u.   188. 

2)  Wendorfif,    2   Jahrhund,    landwirtsch.    Entwickel.    Gräfl.  Stollb.   Wernigerode'schen 
Dom.,  Berlin   1890,  S.   72,   78,  82. 

3)  Görtz-Wrisberg,    Die  Entwickel.   der  Landwirtsch.    auf   den  Görtz-Wrisberg'schen 
Gütern.     Leipzig   1880. 


330  Backhaus, 

neuerer  Zeit  aufgekommen  sind.  Auch  Pferde  waren  auf  den  Gräfl. 
Stollberg'schen  Gütern  im  vorigen  Jahrhundert  sehr  wenig  vorhanden, 
weil  ja  die  Gespannarbeiten  durch  die  dienstpflichtigen  Unterthanen 
ausgeführt  wurden.  Letztere  führten  auch  die  meisten  Handarbeiten 
aus,  so  daß  sehr  wenig  Gesinde  auf  den  Gütern  gehalten  zu  werden 
brauchte  und  auch  dadurch  der  Betrieb  sich  sehr  vereinfachte. 

Wenn  trotzdem  der  Viehhaltungsbetrieb  früherer  Zeit  auf  den 
Gräfl.  Stollberg'schen  Gütern  ein  etwas  vielseitigerer  war  als  heute, 
wo  auf  manchen  Gütern  hauptsächlich  Milchwirtschaft,  auf  anderen 
Mast,  auf  anderen  Zucht  getrieben  und  namentlich  nicht  die 
Zucht  von  allen  Haustierarten  ausgeführt  wird,  so  ist  zu  sagen,  daß 
die  ganze  Viehhaltung  in  früherer  Zeit  viel  weniger  Arbeit  und  Auf- 
merksamkeit erforderte  wie  heute.  Daß  das  Vieh  sehr  spärlich  ge- 
füttert wurde,  erhellt  daraus,  daß  die  Viehzahl  in  den  letzten  300 
Jahren  in  der  Grafschaft  Wernigerode  sich  nicht  bedeutend  vermehrte. 
Bis  zum  Beginn  dieses  Jahrhunderts  dachte  man  gar  nicht  daran,  Rind- 
vieh und  Schafe  mit  etwas  anderem  zu  füttern,  als  Stroh  und  sehr 
wenig  Heu  im  Winter,  Weide  auf  permanentem  Weideland  und  Brach- 
feldern im  Sommer.  An  Pferde  und  Schweine  wurden  sogar  in  früherer 
Zeit  sehr  wenig  Körnerfuttermittel  verabreicht.  Dann  begann  man 
im  Anfang  dieses  Jahrhunderts  die  Umänderung  und  den  Uebergang 
zur  Stallfütterung,  die  Vergleichung  aller  möglichen  künstlichen  Futter- 
mittel. Gleichzeitig  verwandte  man  eine  rege  Thätigkeit  auf  Ver- 
besserung der  Zubereitung  des  Futters,  Verbesserung  der  Viehzucht 
durch  Einführung  fremder  Rassen,  durch  neue  Stalleinrichtungen,  durch 
bessere  Pflege  und  Haltung,  durch  Errichtung  einer  Molkerei  zur 
besseren  Milchverwertung  u.  s.  w.,  und  manches  davon  geschah  nicht 
zum  Nutzen  des  Reinertrages  der  Viehhaltung  und  zur  Bessergestal- 
tung mancher  Zweige,  beispielsweise  der  Aufzucht. 

Recht  drastisch  ist  die  Veränderung  der  Landwirtschaft  auf  diesen 
Gütern  während  der  letzten  Jahrhunderte  aus  den  Geldrechnungen 
ersichtlich,  die  dort  von  einigen  Domänen  fortlaufend  von  200 — 300 
Jahren  vorliegen.  Im  16.,  17.  und  auch  im  18.  Jahrhundert  sind  die 
Geldeinnahmen  der  Güter  nur  aus  ganz  wenigen  Produkten  her- 
stammend, während  heute  aus  einer  2 — 3fach  so  großen  Anzahl  die 
Einnahmen  und  zwar  in  bedeutend  größeren  Summen  erwachsen. 
Noch  mehr  ist  aber  dies  mit  den  Ausgaben  der  Fall.  Im  Jahre  1536 
wurden  z.  B.  von  dem  Gut  Schmatzfeld  bezahlt : 

14  Gulden  8     Groschen   Abgaben, 

55  „  I21/2     ,,          Gesindelohn, 

4  ,,                                    Bau-  und  Reparaturkosten, 

8  „  16           ,,         für  Pferde, 

während  z.  B.  im  Jahre  1880  die  Gesamtausgabe  von  ca.  190045,75 
Mark  sich  auf  hunderte  und  tausende  verschiedene  Ausgabeposten 
verteilte. 

Einen  ähnlichen  Entwickelungsgang ,  wie  er  eben  von  den  Gräfl. 
Stollberg'schen  Gütern  kurz  skizziert  wurde  und  der  zeigt,  daß  mit 
fortschreitender  Kultur,    wie  oft   behauptet   worden   ist,    nicht    eine 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  331 

größere  Arbeitsteilung  und  Vereinfachung  des  Betriebes  in  der  Land- 
wirtschaft eintrat,  sondern  im  Gegenteil  eine  stärkere  Komplizierung, 
ist  auch  von  anderen  Gegenden  nachgewiesen,  z.  B.  von  Heisig  in 
Schlesien  l).  Im  17.  und  18.  Jahrhundert  wurde  dort  hauptsächlich 
Hafer,  Gerste,  Roggen  und  in  bedeutend  geringerer  Ausdehnung  Weizen, 
Erbsen,  Lein  gebaut,  während  heute  mindestens  doppelt  so  viel  Kultur- 
pflanzen zum  Anbau  kommen.  Vor  1646  wurden  keine  Zugochsen  ge- 
halten und  die  Pferde  der  Güter  dienten  zu  nichtlandwirtschaftlichen 
Zwecken.  Schweine-  und  Rindviehzucht  wie  auch  Bienenzucht  sind  erst 
in  der  neuesten  Zeit  mächtig  aufgeblüht,  während  allerdings  Schaf-, 
Ziegen-  und  Geflügelzucht  zurückgegangen  sind. 

Hanssen  2)  beschreibt  die  landwirtschaftlichen  Verhältnisse  früherer 
Zeiten  des  Gutes  Rundhof  in  Angeln  in  Schleswig,  wo  ein  ganz  anderes 
Wirtschaftssystem  als  auf  den  genannten  Gegenden  am  Harz  und  in 
Schlesien  seit  langer  Zeit  gebräuchlich  ist,  nämlich  im  Gegensatz  zu 
der  Körnerwirtschaft  und  der  Fruchtwechselwirtschaft,  die  Feldgras- 
oder Koppelwirtschaft.  Es  wurde  1609  daselbst  überwiegend  nur  Hafer 
gebaut,  Gerste  und  Roggen  in  geringer  Ausdehnung  und  Weizen  und 
Buchweizen  in  noch  geringerer.  Auf  dem  Maierhofe  Drüld  wurden 
1609  aufgemessen  185  Hdsch.  Hafer,  44  Hdsch.  Gerste,  9  Hdsch. 
Roggen.  Heute  werden  in  Angeln  viel  mehr  Nutzpflanzen  angebaut. 
Eine  Brauerei  wurde  im  18.  Jahrhundert  auf  Rundhof  eingerichtet, 
die  aber  heute  wieder  eingegangen  ist.  Die  Viehwirtschaft  war  in 
früheren  Zeiten  vielseitiger  wie  heute,  wo  hauptsächlich  Milchwirt- 
schaft getrieben  wird,  aber  man  vereinfachte  auch  durch  Verpachtung 
den  Betrieb. 

Selbst  aus  der  fruchtbaren  Provinz  Sachsen,  dicht  vor  den  Thoren 
von  Halle,  den  Gütern  Giebichenstein  und  Cröllwitz  giebt  Nobiling  3) 
an,  daß  dort  1685  Roggen,  Gerste,  Hafer  in  etwa  gleicher  Aus- 
dehnung gebaut  wurde,  Erbsen  und  Weizen  in  sehr  viel  geringerem 
Maße  und  Wicken,  Rübensaat,  Hirse  und  Lein  nur  in  ganz  verschwin- 
dender Menge,  während  heute  in  derselben  Gegend  doch  ein  sehr  viel- 
seitiger Anbau  des  Ackerlandes  stattfindet. 

Jetziger  Stand  der  landwirtschaftlichen  Arbeits- 
teilung. 

Wurde  schon  soeben  im  Anschluß  an  historische  Daten  erwiesen, 
daß  eine  Arbeitsteilung  in  der  landwirtschaftlichen  Produktion  heute 
viel  weniger  besteht,  als  man  es  nach  dem  allgemeinen  Grundsatz  der 
fortschreitenden  Arbeitsteilung  erwarten  sollte,  so  möge  dies  an  einigen 
Beispielen  noch  besonders  dargestellt  werden. 

Daß  die  berufliche  Arbeitsteilung  gerade  in  der  Landwirtschaft 
eine  nicht  sehr  weitgehende  ist,  beweisen  folgende  Zahlen,  die  ich  nach 

1)  Heisig,    Die    histor.  Entwickel.  der    landwirtsch.  Verhältn.  auf  Schaffgotschischem 
Güterkomplex.     Jena   1884. 

2)  Hanssen,  Agrarhistor.  Abhandl.      Leipzig   1884. 

3)  Nobiling,  Beitr.  z.  Gesch.  d.   Landwirtsch.  des  Saalkreises.     Berlin  1876. 


332  Backhaus, 

Schmoller1)  wiedergebe:  „Im  1.  und  2.  weimarischen  Verwaltungs- 
bezirk weist  Hildebrand  auf  5577  rein  agrarische  11  752  Wirtschaften 
nach,  die  Landwirtschaft  mit  einem  anderen  Beruf  verbinden.  Rümelin 
hat  für  Württemberg  gezeigt,  daß  auf  117  000  landwirtschaftliche 
Familien  etwa  99  000  kommen,  die  gemischter  Natur  sind  und  78  000 
Parzellenbesitzer  in  vorwiegend  anderen  Lebensstellungen.  Von  5,2 
Millionen  landwirtschaftlicher  Betriebsleiter,  die  1882  im  Deutschen 
Reiche  waren,  haben  2,3  Millionen  oder  44,6  Proz.  noch  einen  anderen 
Beruf. 

Ueber  die  Organisationsverhältnisse  deutscher  Landwirtschafts- 
betriebe und  vornehmlich  über  die  Frage,  einen  wie  vielseitigen  Charakter 
die  Produktion  trägt,  läßt  sich  aus  der  allgemeinen  Betriebsstatistik 
kein  Aufschluß  entnehmen,  weil  hier  die  einzelnen  Betriebe  nicht  zur 
Darstellung  kommen  und  eine  Angabe,  welche  Kulturpflanzen  in  einem 
größeren  Verwaltungsbezirke  gebaut  werden,  welche  Zweige  der  Tier- 
zucht kultiviert  werden ,  hat  für  unseren  Zweck  keinen  Wert.  Eine 
persönliche  Kenntnisnahme  der  landwirtschaftlichen  Verbältnisse  in  den 
meisten  Distrikten  Deutschlands  hat  mich  jedoch  überzeugt,  daß  in 
sehr  vielen  Gegenden  eine  recht  große  Vielseitigkeit,  ja  eine  sehr 
starke  Zersplitterung  des  Betriebes  besteht  und  eine  Arbeitsteilung 
sehr  wenig  Platz  gegriffen  hat. 

Ueber  die  Frage  der  Zweckmäßigkeit  der  Arbeitsteilung  der  Land- 
wirtschaft sollen  unten  noch  nähere  Ausführungen  gegeben  werden. 
Es  sei  hier  vorweg  nur  bemerkt,  daß  ein  derartiger  vielseitiger  Be- 
trieb allerdings  an  manchen  Orten  wohl  ganz  zweckmäßig  ist,  daß 
aber  auch  an  sehr  vielen  Plätzen  der  alte  Hauswirtschaftsbetrieb 
früherer  Zeiten  zu  sehr  beibehalten  worden  ist  zum  Nachteil  der  be- 
treffenden Wirtschafter,  zum  Nachteil  der  ganzen  Kulturentwickelung. 
So  findet  man  auf  schwerem  Boden  Roggen  angebaut,  während  Weizen 
einen  viel  höheren  Ertrag  geben  würde,  weil  man  den  Roggen  für  den 
Haushalt  zum  Brotbacken  braucht.  Es  wird  häufig  Samenbau  z.  B. 
von  Rüben,  Klee  ausgeführt,  um  nur  den  Samen  für  den  eigenen  Be- 
darf zu  erhalten,  anstatt  viel  besseren  Samen  von  solchen  Gütern  an- 
zukaufen, die  aus  dem  Samenbau  eine  Spezialität  machen.  Man 
findet  in  Zuckerrübenwirtschaften  bei  ausschließlicher  Stallfütterung 
Rindviehaufzucht,  weil  man  die  benötigten  Milchkühe  gern  selbst  auf- 
ziehen will  und  einen  Austausch  verschiedener  Wirtschaften  nicht  für 
zweckmäßig  hält,  resp.  eine  Antipathie  dagegen  hat,  die  oft  gar  nicht 
näher  erläutert  werden  kann.  Das  in  vieler  Beziehung  sehr  zu  billigende 
Bestreben,  die  Wirtschaft  auf  Selbstproduktion  aller  benötigten  Dinge 
zu  basieren,  geht  in  diesen  und  anderen  Fällen  zu  weit. 

Eine  solche  tadelnswerte  Vielseitigkeit  und  Zersplitterung  des 
Landwirtschaftsbetriebs  findet  sich  im  allgemeinen  mehr  in  kleineren 
Wirtschaften,  die  ja  aus  natürlichen  Gründen  mehr  zum  Hausbetrieb 
neigen  als  größere,  aber  sie  wird  doch  auch  auf  größeren  Gütern  aus- 
geführt und  es  ist  namentlich  hier  das  Prinzip  der  Sicherheit,  welches 


1)  Schmoller  a.  a.  0.  S.   1072. 


Die  Arbeitsteilung  in   der  Landwirtschaft.  333 

man  als  Grund  für  solche  Vielseitigkeit  anführt,  das  Prinzip,  den  Er- 
trag des  Gutes  nicht  auf  eine  Karte  zu  setzen ,  sondern  auf  recht 
viele  Zweige  aufzubauen,  damit  eine  möglichste  Stetigkeit  in  den  Land- 
wirtschaftsbetrieb hineinkomme.  Daß  dieses  Prinzip  nicht  immer  das 
richtige  ist,  soll  unten  noch  näher  nachgewiesen  werden. 

Es  ist  aber  auch  die  Vielseitigkeit  der  landwirtschaftlichen  Produk- 
tion vielfach  die  Folge  einer  unrationellen  Schematisierung,  einer  Nach- 
ahmung anderer  Verhältnisse,  obwohl  die  natürlichen  Produktions- 
bedingungen ganz  andere  sind.  So  hat  man  im  allgemeinen  in  Deutsch- 
land das  Fruchtwechselsystem  von  England  eingeführt,  hat  es  aber 
vielfach  nicht  verstanden,  auch  die  englische  Einfachheit  der  Produk- 
tion mit  zu  übernehmen,  sondern  hat  gerade  durch  die  Einführung 
des  Fruchtwechsels  eine  große  Zahl  neuer  Kulturpflanzen  zum  Anbau 
gebracht  und  den  Betrieb  dadurch  viel  komplizierter  und  nicht  immer 
rationeller  gemacht. 

Es  trägt  auch  an  dieser  Vielseitigkeit  unsere  landwirtschaftliche 
Litteratur  und  die  Art  der  landwirtschaftlichen  Belehrung  Schuld.  Es 
wird  in  Hand-  und  Lehrbüchern  über  Pflanzenbau  fast  von  jeder 
Kulturpflanze  so  viel  Rühmliches  erwähnt,  es  werden  in  landwirtschaft- 
lichen Zeitschriften  immer  wieder  neue  Kulturpflanzen  angepriesen  oder 
die  Kultur  bekannter  Nutzpflanzen  so  warm  empfohlen,  daß  der  Land- 
wirt zur  Einführung  mancher  neueren  Kulturpflanzen  und  durch  andere 
Empfehlungen  auch  zur  Komplizierung  des  Viehwirtschaftsbetriebes 
leicht  veranlaßt  wird.  Es  ist  mir  doch  selbst  so  ergangen,  daß  ich, 
durch  die  Litteratur  und  durch  Vorlesungen  der  hohen  Bedeutung 
mancher  Gewächse  felsenfest  überzeugt,  in  der  landwirtschaftlichen 
Praxis  auf  dem  Gute  Rudlos  in  Hessen,  woselbst  wegen  verschiedener 
Bodenverhältnisse  bereits  16  Kulturpflanzen  angebaut  wurden ,  noch 
7  neue  dazu  einführte,  womit  allerdings  auch  der  Zweck  der  Be- 
lehrung für  die  daselbst  auszubildenden  Landwirte  im  Auge  behalten 
wurde.  Es  hat  sich  aber  bald  eine  derartige  Vielseitigkeit  des  Be- 
triebes als  unrationell  herausgestellt  und  heute  ist  die  Anzahl  der 
Kulturpflanzen   wieder  auf  17  zurückgegangen. 

Gerade  in  der  Viehzucht  trifft  man  auf  deutschen  größeren  Land- 
gütern eine  zu  große  Mannigfaltigkeit  des  Betriebes,  während  eine 
Art  Arbeitsteilung  viel  zweckmäßiger  wäre.  Man  hat  auf  einem  Gut 
2 — 3  verschiedene  Arten  Zugtiere,  man  betreibt  die  Zucht  aller  Haus- 
tiere, dazu  vielleicht  noch  Mast,  Milchwirtschaft,  Zuchtviehverkauf. 
Man  treibt  vielfach  alles,  aber  nichts  ordentlich. 

Wie  gerade  in  dem  bäuerlichen  Betrieb  und  besonders  in  Süd- 
deutschland die  Zersplitterung  in  der  Produktion  einzelner  Landgüter 
eine  weitgehende  ist,  zeigt  sich  aus  der  in  Baden  angestellten  land- 
wirtschaftlichen Enquete1).  In  den  37  Gemeinden,  in  denen  Erhe- 
bungen stattfanden,  wurden  von  den  wichtigsten  Kulturpflanzen  (also 
nebensächlichere  sind  hierbei  nicht  beachtet)  angebaut: 


1)    Erhebungen  über  die  Lage  der  Landwirtschaft  d.  Grofsherzogtums  Baden,    1883. 


334 


Backhaus, 

einer 

Gemeinde 

18  \ 

erschied 

» 
zwei  < 

11 
JJ 

11 

Gemeinden 

17 
16 
15 
14 

ii 
ii 
ii 

ii 

fünf 

15 

13 

ii 

zehn 

11 

12 

ii 

fünf 

11 

11 

ii 

zwei 

11 

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ii 

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8 

ii 

einer 

11 

7 

ii 

einer 

11 

6 

ii 

zwei 

11 

5 

ii 

Ebenso  war  auch  der  Viehzuchtsbetrieb  in  den  meisten  bäuerlichen 
Betrieben,  die  bei  der  Erhebung  näher  untersucht  wurden,  ein  sehr 
vielgestaltiger,  indem  nicht  nur  in  den  meisten  Gütern  fast  alle  Haus- 
tierarten vertreten  waren,  sondern  auch  noch  verschiedene  Betriebs- 
zweige der  Viehzucht  ausgeführt  wurden. 

Betrachten  wir  aus  der  großen  Zahl  einzelner  Bauerngüter,  die 
in  diesem  Enquetebericht  beschrieben  sind,  zwei  etwas  näher.  Da  ist 
aufgeführt  ein  größeres  Bauerngut  in  der  Gemeinde  Dittwar,  Amts- 
bezirk Tauberbischofsheim,  10,52  ha  groß,  in  ca.  130  Parzellen  gelegen. 
Nach  den  Kulturarten  setzt  sich  das  Gut  zusammen  aus  Krautgarten, 
Oedungen  mit  Bäumen,  Anger,  Wiesen,  Weinbergen,  Oedungen,  Wald. 
Es  werden  gebaut  von  Kulturpflanzen  Dinkel,  Mengfrucht,  Roggen,  Gerste, 
Erbsen,  Wicken,  Linsen,  Hafer,  Kartoffeln,  Runkeln,  Rotklee,  Luzerne, 
Esparsette,  und  außerdem  sind  als  besondere  Betriebszweige  Obstbau, 
Wiesenbau  und  Weinbau  vorhanden.  Der  Viehstand  besteht  aus  2 
Kühen,  2  Rindern,  2  Kälbern,  3  Schafen,  2  Schnittschweinen,  3  Gänsen, 

5  Hühnern,  10  Bienenstöcken.  Es  ist  dieses  ein  verhältnismäßig  größeres 
Gut.  In  derselben  Gemeinde  ist  aber  auch  ein  mittelgroßes  Gut,  5,91  ha 
groß,  in  ca.  70  Parzellen  gelegen,  welches  ganz  dieselbe  Anzahl  Kultur- 
pflanzen mit  Ausnahme  des  Hafers  baut  und  auch  dieselben  Vieharten 
außer  Bienen  besitzt.  Es  können  natürlich  hierbei  nur  so  kleine  Flächen 
bebaut  werden,  daß  z.  B.  nur  3,5  Zentner  Linsen,  1  Zentner  Erbsen, 
34  Zentner  Kartoffeln,  46  Centner  Runkeln  geerntet  werden.  Ob  hier 
eine  Vereinfachung  nicht  möglich  war,  erscheint  mir  doch  sehr  frag- 
lich, könnte  doch  recht  wohl  der  Linsenbau  weggelassen  und  auch 
andere  Früchte  vielleicht  gänzlich  fallen  gelassen  werden. 

Ein  Gut  in  der  Gemeinde  Ichenheim,  Amtsbezirk  Laar,  13,5  ha 
groß,  in  ca.  58  Parzellen  gelegen,  baut  folgende  Kulturpflanzen :  Weizen, 
Halbweizen,  Roggen,  Gerste,  Hafer,  Maisfutter,  Welschkorn,  Rotklee, 
Luzerne,  Inkarnatklee,  Kartoffeln,  Runkeln,  Topinambur,  Möhren, 
Stoppelrüben,  Tabak,  Hopfen.  Außerdem  wird  Wiesenbau  und  Obstbau 
betrieben.     Der  Viehstand   setzt  sich  zusammen   aus  3  Ackerpferden, 

6  Kühen,  2  Kalbinnen,  2  Kälbern,  2  Zuchtschweinen,  4  Mastschweinen, 
25  Hühnern,  6  Bienenstöcke.     Das  in  derselben  Gemeinde  beschriebene 


Die  Arbeitsteilung  in   der  Landwirtschaft.  335 

kleinere  BauerDgütchen  von  4,86  ha  Größe  hat  dieselben  Kulturpflanzen 
außer  Hopfen  und  auch  der  Viehstand  besteht  aus  den  gleichen  Vieh- 
arten mit  Ausnahme  der  Bienen.  Weshalb  gerade  in  dieser  Ge- 
meinde, wo  doch  Handelsfruchtbau  betrieben  wird,  eine  solche  Kom- 
plizierung des  Betriebes  vorgenommen  ist,  ist  schwer  verständlich. 

Daß  in  dem  benachbarten  Lothringen  ähnliche  Verhältnisse  wie 
in  Baden,  auch  auf  größeren  Gütern  existieren,  ist  bekannt.  Es  sei 
hier  nur  noch  auf  ein  Beispiel  aufmerksam  gemacht,  nämlich  das  Gut 
Bellevue1)  93,19  ha  groß,  bestehend  aus  den  Kulturarten  Ackerland, 
Hopfenanpflanzungen,  Wiesen,  Teiche  und  Gärten,  welches  in  den  70er 
Jahren  bebaut  wurde  mit  den  Kulturpflanzen:  Tabak,  Zuckerrüben, 
Topinambur,  Mais  zum  Grünfüttern  und  Körnerernte,  Luzerne,  Klee 
mit  Timotheegras,  Weizen,  Mischkorn,  Koggen,  Hafer,  Kopfkohl, 
Raps,  Karotten,  Wicken  und  Buchweizen. 

Eine  derartige  Vielseitigkeit  des  Betriebes  ist  allerdings  nur  in 
günstigem  Klima  möglich  und  wir  sehen  z.  B.  auch  in  Baden  in  den 
Schwarzwaldwirtschaften  eine  verhältnismäßig  einfachere  Bewirtschaf- 
tung. Desgleichen  sind  in  Ostpreußen  viel  einseitigere  Betriebe,  weil  das 
rauhere  Klima  viele  Kulturpflanzen  Süddeutschlands  dort  unmöglich 
macht.  Auch  in  Schleswig -Holstein  sind  die  Verhältnisse  weit  ein- 
facher, z.  B.  werden  von  Gut  Großnordsee2)  als  angebaute  Kultur- 
pflanzen genannt:  Raps,  Weizen,  Hackfrucht  (Kartoffeln  und  Rüben), 
Gerste,  Hafer,  Erbsen  und  Kleegras  und  Weide. 

Aber  auch  in  Norddeutschland  kommen  Betriebe  mit  starker  Viel- 
seitigkeit vor.  Es  sei  als  Beispiel  hier  angeführt  das  Rittergut  Cunrau 3), 
welches  allerdings  durch  verschiedene  Bodenverhältnisse  zu  einem  viel- 
seitigen Betrieb  genötigt  ist.  Es  wurden  daselbst  nach  den  Veröffent- 
lichungen Rimpau's  gebaut  ca.  20  verschiedene  Kulturpflanzen  im  Großen, 
außerdem  wurde  auch  Obstbau  und  Korbweidenkultur  betrieben,  ferner 
Forstwirtschaft  und  Fischzucht,  von  technischen  Gewerben  Brennerei 
und  Molkerei,  und  schließlich  auch  die  Haltung  sämtlicher  Haustier- 
arten. 

Beispiele  durchgeführter  landwirtschaftlicher  Arbeits- 
teilung. 

WTar  in  dem  vorigen  Abschnitt  auseinandergesetzt  worden,  wie  in 
vielen  Gegenden  der  Landwirtschaftsbetrieb  sehr  wenig  nach  dem 
Prinzip  der  Arbeitsteilung  eingerichtet  ist  und  noch  recht  oft  das 
Gepräge  des  auf  vielseitige  Produktion  arbeitenden  Hauswirtschafts- 
betriebes trägt,  so  sind  aber  auch  andererseits  Anzeichen  und  Bei- 
spiele genug  vorhanden,  daß  eine  Art  Arbeitsteilung  in  der  Landwirt- 
schaft Platz  gegriffen  hat. 

Ein  Zeichen  für  eine  bestehende  volkswirtschaftliche,  ja  weltwirt- 


1)  Bauer,  Wirtschaft!.  Stud.  in  franz.  Musterwirtsch.,  Hannov.  1880,  S.  34. 

2)  Hirschfeld,  Beschreibung  eines  adligen  Gutes  in  Schleswig-Holstein,  Kiel  1867,  S.  19. 

3)  Rinipau,  Die  Bewirtschaftung  des  Ritterguts  Cunrau.     Berlin  1887. 


336  Backhaus, 

schaftliche  Arbeitsteilung  ist  ja  schon  der  starke  Austausch  in  Land- 
wirtschaftsprodukten verschiedener  Länder,  womit  bewiesen  wird,  daß 
in  vielen  Ländern  die  Landwirtschaft  durchaus  nicht  in  dem  Verhältnis 
des  Konsums  die  Produkte  liefert,  wie  es  in  früherer  Zeit  war,  sondern 
daß  nach  anderen  Prinzipien  der  Landwirtschaftsbetrieb  eingerichtet 
ist  und  hierbei  hauptsächlich  die  dicht  bevölkerten  Länder  die  Pro- 
duktion mancher  Konsumstoffe  anderen  Ländern  überlassen.  Krämer  x) 
hat  sehr  interessante  Zusammenstellungen  angefertigt  über  die  großen 
Mengen  landwirtschaftlicher  Produkte,  welche  zwischen  verschiedenen 
Ländern  in  der  Neuzeit  ausgetauscht  werden,  z.  B.  nach  den  stati- 
stischen Erhebungen  in  den  70er  Jahren  150  Mill.  Zentner  mehlhaltige 
Körnerfrüchte  und  10  Mill.  Zentner  Fleisch. 

Daß  auch  innerhalb  eines  Landes  bereits  eine  weitgehende  land- 
wirtschaftliche Arbeitsteilung  eingeführt  ist,  ersehen  wir  an  Erhebungen 
aus  dem  Königreich  Sachsen  2),  worüber  in  folgender  Tabelle  einige 
Zahlen  angeführt  sein  mögen. 

(Siehe  Tabelle  auf  S.  337.) 

Man  ersieht  aus  dieser  Tabelle,  wie  große  Unterschiede  in  dem 
Anbau  der  einzelnen  Kulturpflanzen  in  Sachsen  herrschen,  obwohl  die 
Konsumtion  von  den  meisten  Landwirtschaftsprodukten  innerhalb  des 
Landes  ziemlich  die  gleiche  ist.  Man  hat  also  dem  verschiedenen 
Boden  und  Klima  in  der  Organisation  der  dortigen  Landwirtschaft 
weitgehende  Rechnung  getragen,  um  nur  sichere  Früchte  erzielen  zu 
können.  Es  mag  aber  auch  vielfach  das  Streben  nach  Arbeitsteilung, 
nach  Vereinfachung  des  Betriebes  maßgebend  gewesen  sein,  wie  sich 
das  namentlich  aus  der  Kultur  des  Flachses,  dem  Anbau  von  Klee- 
samen, von  Kraut  und  Kohl  ergiebt,  auf  die  die  natürlichen  Verhält- 
nisse nicht  so  von  Einfluß  sein  können.  Es  zeigt  sich  das  namentlich 
an  der  Verteilung  des  Schweinebestandes,  denn  das  Schwein  ist  ein 
Haustier,  welches  verhältnismäßig  wenig  an  natürliche  Verhältnisse 
gebunden  ist. 

Diese  Zahlen  bieten  auch  einen  Beleg  dafür,  daß  heute  nicht  ledig- 
lich die  Gunst  der  Absatzverhältnisse  für  die  Einrichtung  des  Land- 
wirtschaftsbetriebes in  erster  Linie  bestimmend  ist,  wie  es  v.  Thünen 
nachgewiesen  und  wie  es  auch  früher  der  Fall  war,  daß  heute  viel 
mehr  die  Produktionsverhältnisse  grundlegend  einwirken. 

Interessant  sind  die  in  Beschreibung  der  sächsischen  Landwirt- 
schaft dargelegten  Brennereiverhältnisse.  Die  Anzahl  der  Brennerei- 
betriebe hat  sich  nämlich  vom  Jahre  1836 — 1886  von  1684  auf  629 
vermindert,  obwohl  der  Verbrauch  von  Rohstoffen  von  640997  hl  auf 
2  272  744  hl  in  derselben  Zeit  gestiegen  ist. 

Es  ist  dies  ein  trefflicher  Beweis,  wie  sehr  man  in  diesem  land- 
wirtschaftlichen Gewerbe  bestrebt  war,  eine  bessere  Konzentrierung, 
Großbetriebe,  also  Arbeitsteilung  durchzuführen.  Sieht  man  sich 
auf  einzelnen  Landwirtschaftsbetrieben   in   Deutschland   um   in  Bezug 


1)  Krämer,   Beiträge  z.  Wirtschaftslehre  des  Landbaues.     Aarau  1881. 

2)  v.  Langsdorf,   Die  Landwirtschaft  im  Königr.  Sachsen.     Dresden  1889. 


Die  Arbeitsteilung  in  der    Landwirtschaft. 


337 


Verteilung    des    Pflanzenbaues,    des   Schaf-    und   Schweinebestandes  im   Königreich 
Sachsen  nach  Amtshauptmannschaften  1883. 


Amtshauptmann  - 
Schäften 

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6 

7 

8 

9 

10 

11 

12 

13 

14 

15 

16 

17 

Annaberg 

i3<*  96,4 

3,6 

59,4 

1,5 

1,5 

8,0 

19,8 

13,3 

0,4 

2,6 

25 

355 

— 

0,6 

149 

32 

Auerbach 

28,5  89,5 

10,5 

56,4 

3,3 

0,1 

9,8 

1,1 

23-1 

0,6 

1,5 

18 

3 

— 

2,9 

104 

82 

Bautzen 

59,1  [8o,c 

19,9 

69,0 

21,1 

0,2 

11,2 

0,2 

14,8 

1,9 

1,8 

247 

248     33 

3.8 

240 

75 

Borna 

48,0 

71.4 

27,6 

68,2 

26,5 

0,5 

8,2 

0,2 

14,3 

2.7 

3,4 

393 

15 

160 

6,7 

579 

207 

Chemnitz 

31.1 

90.4 

9,6 

67,7 

IO,l 

0,I5 

10,8 

5,3 

15,0 

1,7 

3  2 

24 

59 

— 

3-3 

309 

25 

Dippoldiswalde 

30,0 

87,8 

12,2 

66,6 

3,3 

1,3 

11,7 

10,2 

9,4 

0,9 

2,2 

49 

523 

5 

2,4 

211 

30 

Döbeln 

48,2 

72,8 

26.7 

80,6 

14,2 

1,6 

10,0 

1,4 

12,0 

2,4 

1,1 

322 

80 

424 

2,6 

470 

265 

Dresden-A. 

61,1 

68,5 

3M 

78,3 

9,0 

0,4 

8.0 

0.7 

12,2 

3,3 

1,6 

104 

3 

76 

3-0 

491 

35 

Dresden-N. 

63,9 

93,6 

6,0 

75,7 

20.5 

Ol 

8,0 

0.2 

14,8 

2,2 

2,8 

28 

25 

3 

1,9 

364 

5 

Flöha 

20.4 

87,4 

12,6 

64,2 

13,0 

2,0 

11,5 

7,8 

14,0 

1,4 

2,6 

9 

11 

— 

2,2 

274 

72 

Freiberg 

20,7 

84,7 

14,8 

64,0 

4,9 

1,1 

10,2 

11,3 

13,2 

1,0 

2,4 

127 

924 

— 

2.7 

277 

98 

Glauchau 

47*9 

90,4 

9,5 

70,6 

19-5 

0,2 

10,6 

0.3 

15,3 

2,2 

3-5 

6 

33 

— 

5,0 

443 

8 

Grimma 

5o,9 

76,6 

23,4 

76,8 

18,7 

1.4 

6,6 

1,3 

»5,7 

2,9 

1,4 

196 

99 

11 

3,5 

497 

3X9 

Grofsenhain 

63,7 

91,8 

7,9 

88,5 

10.1 

O.i 

5,4 

0,6 

14,6 

1,7 

0,8 

103 

46     95 

3,3 

425 

161 

Eamenz 

68,4 

92.0 

7,7 

77,1 

19.5 

0,1 

9,0 

0,1 

14,3 

1,8 

1,6 

117 

298 

1 

4,4 

347 

119 

Leipzig 

54-6 

71.0 

28, G 

61,0 

34,8 

0.4 

8,1 

0,4 

13,8 

4,2 

1,5 

534 

— 

537 

4-7 

520 

297 

Löbau 

49-5 

76,9 

23,1 

70,3 

10.9 

0,5 

13,6 

0,4 

14,1 

1,7 

1,4 

150 

90 

182 

5,8 

150 

121 

Marienberg 

9,6 

94-3 

4,7 

62,3 

3-8 

1,7 

10,7 

18,9 

13,6 

0,7 

3,3 

24 

156 

— 

2,4 

201 

56 

Meifsen 

53,9 

67,9 

31,4 

82,6 

15,1 

1,3 

8,1 

!,1 

12,5 

2,7 

0,8 

285 

6 

187 

1,4 

59i 

296 

Oelsnitz 

39-3 

86,7 

12,5 

53,3 

19,4 

O.l 

8,7 

0,4 

19,9 

0,8 

1,4 

39 

64 

— 

7-2 

77 

120 

Oschatz 

52,5 

75-4 

24,6 

80,0 

18.3 

1,2 

8,0 

2,0 

14,2 

2,6 

0,4 

309 

— 

32 

2,7 

529 

363 

Plauen 

39,6 

83,7 

15.4 

54,9 

31,4 

0,1 

10,9 

1,0 

16,0 

1,1 

1,2 

145 

73 

— 

5,2 

182 

228 

Pirna 

5o,9 

81.7 

18.3 

69,7 

20,5 

0,6 

14,5 

0,8 

12,9 

1,9 

3,3 

180 

U3     43 

2,5 

247 

94 

Bochlitz 

42,8 

90.1 

9,2 

73-2 

15,6 

0,6 

10,9 

0,6 

12,9 

2,3 

3,o 

67 

100 

2 

6,0 

375 

61 

Schwarzenberg 

23,6 

97,7 

2,3 

60,6 

0,7 

0,2 

9-4 

12,0 

19,3 

1,0 

2,2 

— 

24 

— 

3-5 

180 

8 

Zittau 

49,6 

84.0 

15-9 

73.o 

6,1 

0,7 

12,1 

0,2 

9,7 

2,2 

1,9 

35 

17 

54 

4-7 

157 

9i 

Zwickau 

41,5 

92,1 

6,1 

66,8 

15,9 

0,2    IO,7 

1,7 

16,1 

1,3 

2,5 

68  | 

3-8 

353 

58 

im  Königreich 

47,7 

3603 

3444 

I2105 

146 

auf  die  uns  beschäftigende  Frage,  so  finden  sich  viele  Beispiele,  und 
namentlich  sind  es  die  rationell  wirtschaftenden  und  fortschreitenden 
Güter,  die  den  Betrieb  auf  möglichste  Einfachheit  der  Produktion  ba- 
siert haben. 

Das  Gut  Salz  münde,  welches  schon  als  hervorragendster  Wirt- 
schaftsbetrieb der  ganzen  Welt  bezeichnet  wurde,  hat  beispielsweise 
trotz  seines  riesigen  Areals  und  seiner  starken  Industriewirtschaft, 
seiner  vielen  technischen  Nebengewerbe,  eine  verhältnismäßig  ein- 
fache Organisation.  Nach  den  Angaben  von  Grouven  1)  gebe  ich  die 
Feldbestellung  von  1865,  nach  einer  freundlichen  Mitteilung  des  jetzigen 
Besitzers  die  Feldbestellung  von  1894: 


1)  Grouven,  Salzjnünde.     Berlin,  1866. 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXIII). 


22 


338 


B 

ic  kba  us 

1 

1865 

1894 

Morgen 

ha 

Raps 

IOO 

— 

Weizen 

800 

584 

Koggen 

1600 

408 

Gerste 

950 

301 

Hafer 

I200 

306 

Erbsen 

— 

IOI 

Kartoffeln 

1600 

400 

Rüben 

2900 

732,5 

Klee 

1320 

368 

Wickfutter 

— 

10 

Mais 

130 

5 

Linsen 

— 

4 

Samenrüben 

80 

div.  kleine  Saaten  230 

— 

Wiesen 

320 

55 

Summa     II  230     3274,5 

Die  Viehhaltung  ist  auch  verhältnismäßig  einfach  und  nach  dem 
Prinzip  der  Arbeitsteilung  eingerichtet,  indem  der  ganze  Viehbestand  von 


1865 

1894 

Pferden       180 

198 

Ochsen        450 

727 

Kühe           250 

312 

Jungvieh    100 

— 

Schweine    250 

134 

Schafe       4000 

4505 

auf  die  verschiedenen  Güter  von  Salzmünde  so  verteilt  ist,  daß  auf 
dem  einen  hauptsächlich  Milchwirtschaft,  auf  dem  anderen  Mast-,  auf 
dem  anderen  Schafhaltung  u.  s.  w.  getrieben  wird;  Kälberaufzucht 
findet  nicht  statt.  Alle  Kälber  werden  nach  8  Tagen  der  Kuh  abge- 
nommen und  sogleich  an  den  Fleischer  verkauft,  während  zum  Ersatz 
der   abgehenden  Kühe  Rinder  direkt  aus  Holland  angekauft   werden. 

Die  technischen  Gewerbe  des  Betriebes  dienen  nur  zur  Ver- 
arbeitung der  Rohprodukte  der  eigenen  Wirtschaft  resp.  zur  Fabrika- 
tion der  nötigen  Hilfsstoffe.  Als  nicht  landwirtschaftliches  Gewerbe 
tritt  nur  noch  eine  Ziegelei  und  Porzellanerde-Schlemmerei  hinzu.  Die 
übrigen  Gewerbe  sind  Zuckerfabrik,  Brennerei,  Mühle  und  früher  Dünger- 
fabrik. 

Einen  ähnlichen  Betrieb  wie  Salzmünde  hat  auch  der  ca.  8000 
Morgen  große  Besitz  Benkendorf ')  bei  Halle  a/S.,  wo  im  Jahre  1885/86 
das  Areal  bestellt  war  mit: 


3°,  6  2 

"/ 
fo 

Rüben, 

25,52 

» 

Weizen, 

12,30 

». 

Kartoffeln, 

8,25 

,, 

Gerste, 

6,7  6 

»» 

Klee, 

6,56 

., 

Roggen, 

5.39 

>, 

Erbsen, 

3.89 

.j 

Hafer, 

0,71 

»t 

Mais. 

1)  Rümker,  Benkendorf  u.  s.  Nebengüter.     Thiel's  Jahrbücher,  1887. 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  339 

Die  Viehhaltung  ist  so  eingerichtet,  daß  in  Benkendorf  nur  Kühe 
und  Pferde,  auf  dem  Gut  Delitz  nur  Ochsen  und  Schafe,  im  Schotterey 
nur  Ochsen,  in  Lauchstädt  und  Beuchlitz  Pferde,  Ochsen,  Kühe  und 
Schafe  stehen.  Es  findet  keine  Aufzucht  von  Rindvieh  statt.  Die 
Schafzucht  ist  verhältnismäßig  einfach  eingerichtet  und  die  Schweine- 
zucht von  keiner  nennenswerten  Ausdehnung. 

Selbst  in  Süddeutschland  fehlt  es  an  derartigen,  nach  dem  Prinzip 
der  Arbeitsteilung  eingerichteten  Betrieben  nicht.  Es  sei  hier  genannt 
der  Rheinfelderhof1)  bei  Groß-Gerau  in  Starkenburg,  inmitten  einer 
Gegend  gelegen  mit  vorwiegendem  bäuerlichen  Betrieb,  mit  starkem 
Handelsfruchtbau,  gutem  Klima,  vorzüglichen  Absatzverhältnissen  und 
deshalb  meistens  von  großer  Vielseitigkeit.  Von  den  zu  dem  Gut  ge- 
hörigen 210  ha  Ackerland  werden  50  Proz.  bebaut  mit  Hackfrucht, 
Kartoffeln  und  Zuckerrüben,  wovon  je  nach  den  Konjunkturen  die  eine 
oder  andere  überwiegt.  Von  den  übrigen  50  Proz.  nimmt  der  Hafer 
das  größte  Areal  ein,  da  er  ganz  besonders  gut  auf  diesem  Boden  ge- 
deiht. Ferner  wird  Gerste  augebaut  und  Winterweizen,  dieser  jedoch 
nicht  mehr  in  großer  Ausdehnung,  weil  die  Bestellung  im  Herbst  eine 
schwierige  ist.  Andere  als  diese  5  Früchte  kommen  auf  dem  Rhein- 
felderhof nicht  zum  Anbau.  Die  Viehhaltung  beschränkt  sich  neben 
dem  geringen  Zugvieh,  da  die  Hauptarbeit  durch  Dampfpflug  und 
Feldeisenbahn  ausgeführt  wird,  hauptsächlich  auf  Milchvieh,  das  durch 
Zukauf  ergänzt  wird.  Eine  geringe  Anzahl  von  Schafen  wurde  für 
Händler  auf  deren  Risiko  gefüttert,  und  die  Schweinezucht  diente  nur 
für  den  Hausbedarf.  Die  Erträge  dieses  Gutes  sind  in  diesen  5  Haupt- 
früchten allerdings  ganz  enorm  und  der  ganze  Betrieb  zählt  zu  den 
besten  Wirtschaften  Süddeutschlands. 

Eine  Vereinfachung  des  Betriebs  erfolgt  auch  durch  die  gänzliche 
Auslassung  der  Viehhaltung,  was  ja  jetzt  auf  vielen  Gütern  Deutsch- 
lands schon  mit  gutem  Erfolg  ausgeführt  ist.  Es  giebt  viehlose  Wirt- 
schaften in  den  verschiedensten  klimatischen  Verhältnissen  Deutsch- 
lands, sowohl  auf  schwerem  wie  leichtem  Boden,  z.  B.  auf  dem  Weiler- 
hof bei  Darmstadt,  Gutleuthof  bei  Frankfurt  a.  M.,  Oberwartha  bei 
Dresden,  Maulbeerwalde  im  Ost-Priegnitzer  Kreise,  Lupitz  in  der  Mark 
u.  a.  m. 

Daß  auch  auf  den  großen  Herrschaften  Oesterreich-Ungarns  der 
Betrieb  möglichst  nach  dem  Prinzip  der  Arbeitsteilung  eingerichtet 
ist,  ersieht  man  beispielsweise  aus  der  Beschreibung  der  Herrschaft 
Bellye  in  Ungarn  2).  Der  ganze  riesige  Komplex  in  der  Größe  von  109  062 
Joch  wird  hauptsächlich  bebaut  mit  Weizen,  Roggen,  Gerste,  Hafer, 
Mais,  mit  relativ  wenig  Futtergewächsen,  und  von  Handelsfrüchten 
mit  Hopfen,  Hanf  und  Wein.  Hiervon  sind  manche  Früchte  in  ge- 
ringer Ausdehnung  angebaut,  z.  B.  nur  500  Joch  Roggen,  dagegen 
3000—3400  Joch  Weizen  und  4000—4400  Joch  Mais.     Der  Hanfbau 


1)  P.  Schulze-Röfsler,    Ein    landw.    Betr.  i.  Grofsh.  Hessen.     Fühling's  Landw.  Ztg., 
1889. 

2)  Die  Herrschaft  Bellye.     Wien,  1883. 

22* 


340  Backhaus, 

wird  im  Großen  auf  ca.  400  Joch  betrieben,  und  es  ist  eine  besondere 
Hanffabrik  etabliert  worden.  Der  Hopfenbau  ist  erst  neu  eingeführt 
und  wurde  nach  der  Berichterstattung  nur  auf  79  Joch  kultiviert.  Als 
Futterpflanzen  dienen  hauptsächlich  Luzerne,  Kleegrasgemenge  und 
Futterrüben.  Für  den  Weinbau  sind  63  Joch  bestimmt.  Die  Vieh- 
haltung der  Wirtschaft  ist  so  eingerichtet,  daß  auf  den  verschiedenen 
Gütern  verschiedene  Haustiere  gehalten  werden  und  dadurch  alle  Vieh- 
zuchtszweige im  Großbetrieb  gehandhabt  werden. 

Einen  Großbetrieb  in  Böhmen,  die  Besitzung  des  Fürstenhauses 
Schwarzenberg,  beschreibt  Krafft 1).  Dieser  gewaltige  Besitz  von  über 
30  Quadratmeilen  Größe  wird  sehr  rationell  bewirtschaftet  und  zwar 
strenge  nach  dem  Prinzip  der  möglichsten  Ausdehnung  lohnender 
Pflanzen.  Es  wird  z.  B.  auf  dem  Hauptgut,  Domäne  Lobositz 
V3  des  ganzen  Areals  mit  Zuckerrüben  bebaut,  5/12  mit  Halm- 
frucht, die  sich  verteilt  auf  W7eizen,  Roggen,  Gerste,  Hafer,  V«.  auf 
Klee  und  1/12  mit  Hülsenfrüchten,  Erbsen  und  Bohnen,  sowie  etwas 
Futtermais.  In  der  Viehzucht  sind  ähnliche  Einrichtungen  getroffen, 
wie  auf  den  schon  erwähnten,  anderen  Großbetrieben.  Es  wird  von 
Krafit  ausdrücklich  darauf  aufmerksam  gemacht,  wie  weitgehend  die 
Teilung  der  Produktionsrichtung  auf  dieser  Herrschaft  ausgeführt  ist'2). 

Als  ein  Land,  in  welchem  die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft 
viel  weiter  gegangen  ist,  kann  Großbritannien  gelten,  ein  Land, 
das  ja  seit  langer  Zeit  in  Deutschland  als  Beispiel  gedient  hat  und 
das  auch  nach  mancher  Richtung  hin  noch  jetzt  für  uns  ein  Beispiel 
bieten  kann,  denn  die  englischen  Landwirte  haben  es  verstanden,  trotz 
viel  ungünstigerer  Verhältnisse  als  in  Deutschland  sich  vor  der  hart- 
drückenden überseeischen  Konkurrenz  über  Wasser  zu  halten.  So 
muß  es  den  deutschen  Landwirten  auch  zu  denken  geben,  daß  die 
praktischen  Engländer  den  Landwirtschaftsbetrieb  im  allgemeinen  viel 
mehr  nach  dem  Prinzip  der  Arbeitsteilung  eingerichtet  haben  als 
in  Deutschland.  Man  baut  dort  fast  gar  keine  Oelfrüchte  mehr,  weil 
das  Oel  aus  anderen  Gegenden  so  billig  nach  dem  englischen  Markt 
gebracht  wird,  daß  der  Oelfruchtbau  als  nicht  lohnend  betrachtet  wird. 
Leinbau  wird  nur  in  Irland  in  nicht  sehr  großer  Ausdehnung  betrieben. 
Außer  Hopfen  baut  man  keine  eigentliche  Handelsfrucht.  Kartoffeln 
werden  nur  für  menschliche  Nahrung,  nicht  also  für  Brennereizwecke 
oder  Fütterungszwecke  angebaut.  Es  giebt  keinen  Zuckerrübenbau.  Der 
Roggen  wird  als  Brotfrucht  fast  gar  nicht  kultiviert,  nur  in  sehr 
geringer  Ausdehnung  als  Grünfutterpflanze.  So  bleibt  dann  schließ- 
lich nur  der  Anbau  des  Weizens  als  Brotfrucht,  von  Gerste  und  Hafer 
als  Sommerfrucht,  von  Bohnen,  Erbsen,  Rüben,  Klee  und  Gras  als 
Viehfutter  übrig.  Auf  allen  englischen  Farmen  kommt  dieser  Betrieb 
auch  nach  außen  deutlich  zum  Ausdruck,  denn  man  merkt  es  in  jeder 
Weise,  wie  außerordentlich  viel  einfacher  und  dadurch  billiger  die 
dortige  Wirtschaft  ist. 


1)  Krafft,  Ein  Grofsgrundbesitz  der  Gegenwart.     Wien,  1872. 

2)  S.  155. 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  341 

Trotzdem  der  Hauptbetrieb  der  englischen  Landwirtschaft  auf 
Futterbau  gerichtet  ist  und  die  Viehzucht  in  diesem  Lande  über  den 
reinen  Ackerbau  überwiegt,  findet  man  aber  auch  diese  auf  eDglischen 
Landgütern  in  verhältnismäßig  viel  einfacherer  Weise  betrieben  als 
in  Deutschland,  indem  dort  auf  den  meisten  Farmen  das  Hauptge- 
wicht auf  die  Zucht  oder  die  Haltung  einer  Viehart  nur  gelegt  wird. 
Man  spricht  sogar  von  Schaffarmen,  Rindviehfarnien,  Milchwirtschaften, 
Pferdefarmen  u.  s.  w.  Allerdings  werden  auf  vielen ,  ja  den  meisten 
Gütern  mehrere  Haustierarten  gewählt,  aber  immer  prävaliert  doch 
In  der  Bedeutung  eine  weit  über  die  anderen.  Gerade  durch  dieses 
Prinzip  der  Arbeitsteilung  hat  die  englische  Viehzucht  ihren  hohen 
Standpunkt  erreicht,  und  dieser  bildet  einen  vortrefflichen  Beweis  für 
die  hohen  Vorteile,  welche  in  solcher  wirtschaftlichen  Teilung  der 
Arbeit  liegen. 

Man  macht  in  England  auch  innerhalb  einer  Nutztierart  noch  weitere 
Unterabteilungen,  so  z.  B.  in  der  Milchwirtschaft,  wo  man  auseinander- 
scheidet die  Produktion  von  Milch  zum  Frischverkauf  von  der  Produktion 
von  Milch  zu  Butterbereitung  und  Produktion  von  Milch  zu  Käseberei- 
tung. Für  jeden  besonderen  Zweck  sind  andere  Viehrassen  und  andere 
Handhabungen  der  Viehzucht  üblich.  Die  Pferdezucht  teilt  sich  in 
eine  ganze  Reihe  von  Unterabteilungen:  in  die  Zucht  der  allerschwersten 
Karrenpferde  (Shires),  in  die  Zucht  etwas  leichterer,  zur  Ackerarbeit 
tauglicher  Arbeitspferde  (Clydesdales) ,  in  die  Zucht  von  Rennpferden 
(Vollblut),  von  Jagdpferden  (Hunters),  von  eleganten  Reit-  und  Kutsch- 
pferden (Hackneys),  von  reinen  Kutschpferden  (Norfolk-Traber) ,  von 
gewöhnlichen  Kutschpferden  (Parkhorses)  und  von  Ponies  verschieden- 
ster Art.  Man  teilt  weiter  ein  die  Zucht  in  diejenigen  von  Gebrauchs- 
tieren und  von  Zuchttieren.  Viele  Farmen  betreiben  die  erstere,  an- 
dere die  letztere,  und  es  herrscht  zwischen  beiden  ein  reger  Austausch 
ihrer  Produkte. 

Als  ein  Beispiel  eines  englischen  Landwirtschaftsbetriebes  sei  hier 
die  Farm  South- Auchenbrain  *)  in  Ayr  in  Schottland  angeführt.  Die 
Farm  umfaßt  86  ha  Land.  Davon  werden  nur  8  ha  mit  Hafer  und 
1,5  ha  mit  Turnips  bestellt;  alles  übrige  ist  Grasland,  teils  Wiesen, 
teils  Ackergrasland,  das  zum  größten  Teil  mit  WTeidegang,  zum  Teil 
auch  durch  Abmähen  benutzt  wird.  Die  Fruchtfolge  lautet  einfach: 
2  Jahre  Hafer  und  dann  8 — 15  Jahre,  solange  der  Ertrag  noch  gut  ist, 
Kleegras.  Als  Zugvieh  sind  5  Pferde  vorhanden.  Die  Hauptviehhaltung  ist 
Rindviehzucht  mit  Milchwirtschaft ;  es  werden  40  Kühe  sowie  die  davon 
entstehende  Nachzucht  gehalten;  etwas  Schaf-  und  Schweinezucht 
wird  ebenfalls ,  jedoch  nur  in  geringer  Ausdehnung  betrieben.  Es  ist 
dies  also  reiner  Viehzuchtsbetrieb  mit  Graswirtschaft  von  mittlerer 
Größe. 

Welche  Verhältnisse  aber  auch  im  Ackerbaubetrieb  dort  herrschen, 
ist  ersichtlich  aus  einer  Darstellung  der  Farm  East-Barm  bei  Dunbar 
in  Schottland.    Es  wurden  daselbst  während  meines  Besuchs  im  Jahre 


1)  Backhaus,  Deutsche  landwirtsch.  Presse,   1893,  S.  466. 


342  Backhaus, 

1892  gebaut:  300  acres  Kartoffeln,  100  acr.  Turnips,  95  acr.  Weizen, 
65  acr.  Hafer,  55  acr.  Gerste,  90  acr.  Klee.  Die  Viehhaltung  setzte 
sich  hier  zusammen  aus  den  Arbeitspferden,  ca.  700  Schafen,  von 
denen  die  Nachzucht  als  Schlachtvieh  verkauft  wurde,  und  aus  Rind- 
vieh, welches  mager  gekauft  und  auf  der  Farm  gemästet  wurde. 

Als  das  klassische  Land  einer  weit  ausgedehnten  Arbeitsteilung  in 
der  Landwirtschaft  muß  Nordamerika  gelten,  ein  Land,  in  welchem 
allerdings  die  Verhältnisse  so  ganz  anders  als  in  der  alten  Welt  liegen. 
Die  weitgehende  Arbeitsteilung  wurde  dort  hauptsächlich  dadurch 
herbeigeführt,  daß  das  Land  von  einer,  aus  bereits  hochentwickelten 
Kulturländern  kommenden  Bevölkerung  besiedelt  wurde  und  daß  gün- 
stige natürliche  Verhältnisse,  nämlich  Boden  und  Klima,  ferner  günstige 
Transportverhältnisse,  teils  durch  die  natürlichen  Wasserwege  Nord- 
amerikas, teils  durch  angelegte  Kanäle  und  die  mit  bewundernswerter 
Schnelligkeit  durch  das  ganze  Land  gebauten  Schienenwege,  eine  ganz 
andere  Einrichtung  des  Landbaues  als  in  der  alten  Welt  ermöglichten. 
Dazu  trat  noch  der  Umstand,  daß  der  Amerikaner  ein  vorzüglicher 
Spekulant  und  rechnender  Kaufmann  ist,  der  deshalb  den  Landwirt- 
schaftsbetrieb weniger  nach  den  Grundsätzen  der  Agrikultur  als  nach 
den  Aussichten  auf  rasch  möglichsten  Geldertrag  einrichtete.  Die  Land- 
wirtschaft hat  daher  in  Nordamerika  fast  durchweg  einen  sehr  ein- 
seitigen Charakter,  aber  diese  Einseitigkeit  unterscheidet  sich  von  der- 
jenigen, die  in  der  Landwirtschaft  Europas  in  früheren  Zeiten  herrschte, 
dadurch,  daß  sie  nicht  die  Folge,  geringerer  Bedürnisse  wie  hier,  son- 
dern eben  die  Folge  einer  weitgehenden  Arbeitsteilung  ist. 

Selbst  in  denjenigen  Gegenden,  in  denen  europäische  landwirt- 
schaftliche Verhältnisse  noch  am  getreuesten  kopiert  sind,  in  denen 
gerade  durch  Deutsche  eine  sorgfältigere  Kultur  mit  Rücksicht  auf 
Stoffersatz  und  fortschreitende  Verbesserung  des  Bodens  eingeführt 
ist,  herrscht  eine  viel  größere  Einfachheit  als  bei  uns. 

Auf  der  Farm  Riverside  bei  Jefferson,  Wisc,  auf  der  verhältnis- 
mäßig intensiv  und  vielseitig  gewirtschaftet  wird,  war  z.  B.  die  Frucht- 
folge : 

1)  Mais  gedüngt. 

2)  Hafer  oder  Gerste. 

3)  und  4)  Klee. 
5)  Winterweizen. 

Die  Viehhaltung  bestand  aus  den  Arbeitspferden,  25  Kühen, 
15  Stück  Jungvieh  und  einer  nicht  unbeträchtlichen  Schweinezahl 
(15  Sauen,  1  Eber  uud  50 — 70  Mast-  und  jungen  Schweinen). 

Die  Einseitigkeit  der  amerikanischen  Landwirtschaft  geht  am 
weitesten  in  den  reinen  Getreidefarmen,  wie  sie  in  verschiedenen 
Gegenden  dort  vorkommen  und  auf  denen  nur  eine  Frucht  angebaut 
wird.  Bekannt  sind  die  Weizenfarmen  Norddakota's,  Besitzungen  von 
1000  bis  100  000  Morgen  groß,  auf  denen  nur  Sommerweizen  und  zwar 
jetzt  schon  bis  20  Jahre  lang  hintereinander  angebaut  worden  ist.  Der 
Betrieb  ist  ein  denkbar  einfacher,  denn  zu  der  Einfachheit  des  Kultur- 
planes  treten  auch  noch   technische  Vereinfachungen  hinzu.    Es  wird 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  343 

kein  ständiges  Personal  gehalten,  es  werden  nur  in  der  Aussaat  und 
Erntezeit  vorübergehend  Leute  engagiert.  Um  aber  mit  den  teuren 
Arbeitskräften  möglichst  zu  sparen,  ist  ein  sehr  starker  Maschinen- 
betrieb angewandt.  In  Norddakota  sind  für  die  Ernte  Selbstbinder 
gebräuchlich ,  während  in  Californien  die  sogen.  Headers ,  die  nur 
die  Aehren  vom  Getreide  abschneiden ,  gebraucht  werden.  Man  hat 
sogar  komplizierte  Ernte-  und  Dreschmaschinen,  wobei  die  Aehren 
direkt  nach  dem  Abschneiden  in  einer  Dreschtrommel  entkörnt  werden, 
die  Frucht  in  Säcken  aufgefangen  wird  und  alles  übrige  auf  dem  Lande 
bleibt. 

Es  giebt  auch  im  Red-River-Thal  kleinere  Farmen  mit  derartigen 
Betrieben,  und  dort  rechnet  man,  daß  ein  Mann  120  acres  =  45  ha 
bewirtschaften  kann.  Bei  den  Arbeiten,  bei  denen  eine  Zusammen- 
wirkung vieler  Arbeitskräfte  nötig  ist,  z.  B.  dem  Dreschen,  wird  sich 
dann  von  den  verschiedenen  kleinen  Farmern  gegenseitig  ausgeholfen, 
oder  es  giebt  auch  Maschinenunternehmer,  die  das  nötige  Arbeitspersonal 
auf  die  Farm  mitbringen.  Eine  Viehhaltung  zur  Verwertung  von 
Ackerbauprodukten  giebt  es  auf  diesen  Farmen  meistens  nicht;  man 
treibt  also  vollständigen  Raubbau.  Selbst  das  Zugvieh  wird  in  Cali- 
fornien während  des  größten  Teils  des  Jahres  auf  Bergweiden ,  gänz- 
lich sich  selbst  überlassen ,  ernährt  und  nur  zu  den  Arbeitszeiten  auf 
den  Farmen  verwandt,  während  in  Dakota  das  Zugvieh  das  ganze  Jahr 
hindurch  auf  den  Farmen  gepflegt  werden  muß.  Auf  den  meisten 
dieser  Landgüter  giebt  es  außer  Wohnhaus,  primitiven  Ställe  für  das 
Zugvieh  und  Schuppen  zur  Unterbringung  der  Maschinen  gar  keine 
Gebäude.  Es  sind  jedenfalls  die  arbeitsextensivsten  Ackerbauwirt- 
schaften, die  man  sich  denken  kann  lebt  doch  auf  manchem  Gut  von 
10000  Morgen  Größe  während  des  größten  Teils  des  Jahres  nur  ein 
Verwalter.  Der  Kapitalbedarf  ist  allerdings  durch  die  starke  Verwen- 
dung der  Maschinen  nicht  gering.  Wohltmann  x)  berechnet  das  tote 
Betriebsinventar  einer  derartigen  gut  eingerichteten  Wirtschaft  auf 
ca.  20  000  M.  pro  1000  Morgen.  Nach  Semler  2)  sollen  die  Produk- 
tionskosten auf  den  Riesenweizenfarmen  im  Red-River-Thal  sich  auf 
40  Cents  pro  Bushel  stellen  (pro  100  k  6,22  M.). 

Daß  eine  derartige  Wirtschaftsweise  aus  verschiedenen  Gründen 
vollständig  irrationell  ist  und  namentlich  für  europäische  Verhältnisse 
nicht  in  Frage  treten  kann,  wird  unten  noch  näher  dargestellt  werden. 
Es  können  solche  Betriebe  überhaupt  nur  auf  kurze  Zeit  durchgeführt 
werden,  und  die  besseren  Farmen  in  Norddakota  und  Minnesota  sind 
auch  schon  mit  einer  Betriebsumänderung  vorgegangen.  Man  hat  mehr 
Kulturpflanzen  in  die  Wirtschaft  aufgenommen,  Gebäude  errichtet, 
Nutzvieh  angeschafft,  wenn  auch  allerdings  ein  Stoffersatz  hierbei  zu- 
nächst noch  nicht  gewährt  wird.  Aber  es  wird  auch  dieser  nicht  mehr 
lange  Zeit  vermieden  werden  können. 

Wie  in  Dakota  und  Californien  der  Weizen  und  zwar  dort  Sommer- 


1)  Wohltmann,  Landwirtsch.  Reisestud.,  Breslau  1894. 

2)  Semler,  Nordamerikan.  Konkurrenz,  Wismar  1887,  S.   227. 


344  Backhaus, 

weizen,  hier  Winterweizen  kultiviert  wird,  so  giebt  es  in  Montana 
Landwirtschaftsbetriebe,  die  die  Gerste  als  alleinige  Frucht  anbauen, 
und  der  Betrieb  ist  hier  ein  ähnlicher  wie  dort.  Wie  im  Getreide- 
bau geht  die  Einseitigkeit  der  Produktion  in  amerikanischen  Wirt- 
schaften auch  bezüglich  anderer  Kulturpflanzen  sehr  weit.  Interessant 
für  mich  war  nach  dieser  Richtung  der  Besuch  einiger  Weinfarmen  in 
Fresno  in  Californien.  Mr.  Butler  hat  hier  eine  Farm  von  ca.  250  ha 
Größe.  Davon  ist  fast  das  ganze  Areal  zu  W'einbau  angelegt;  das 
ganze  Areal  kann  durch  künstliche  Bewässerung  überstaut  werden 
und  die  Fruchtbarkeit  ist  deshalb  bei  reichem  Boden  und  gutem  Klima 
eine  sehr  hohe.  Von  Tieren  werden  auf  dieser  Farm  nur  Pferde  ge- 
halten, für  die  das  meiste  Futter  angekauft  wird.  6  Leute  ständiges 
Personal  sind  vorhanden  und  werden  das  ganze  Jahr  hindurch  mit 
Arbeiten  in  den  Weinanlagen  beschäftigt.  Während  der  Traubenlese 
werden  jedoch  300  Arbeiter  und  zwar  hauptsächlich  Chinesen  auf  einige 
Wochen  engagiert. 

Interessant  ist  nun,  daß  auf  dieser  Farm  nicht  eine  Verteilung 
der  Arbeit  vorgenommen  wird,  indem  die  Weintrauben  teils  zur  Wein-, 
teils  zur  Rosinenbereitung  verwandt  werden,  welche  beide  Kulturen 
in  der  Gegend  üblich  siud,  sondern  es  werden  sämtliche  Trauben  als 
Rosinen  versandt.  Die  Trauben  werden  im  Feld  auf  besonders  ange- 
fertigten Holzgestellen  an  der  Sonne  getrocknet,  dann  nach  den  Pack- 
häusern gefahren  und  dort  in  neue  Holzkisten  sehr  geschmackvoll 
verpackt,  sodann  in  ganzen  Eisenbahnladungen  versandt.  Ein  Eisen- 
bahngeleise führt  direkt  an  die  Packhäuser  heran ;  es  werden  alljähr- 
lich ca.  800  Tonnen  Rosinen  verschickt. 

Benachbart  zu  diesem  Gut  ist  Mr.  Barton's  Weinanlage,  die 
900  acres  =  364,5  ha  groß  ist.  Hier  wird  nun  der  größte  Teil  der 
Trauben  zu  Wein  verarbeitet.  In  der  Traubenlese  werden  die  Trauben 
auf  vierspännigen  Wagen  nach  dem  Hauptgebäude  gefahren ,  wo  mit 
maschinellen  Vorrichtungen  das  Mahlen  und  Pressen  der  Trauben  er- 
folgt und  dann  in  großartigen  Kellerräumen  die  Gärung  und  Lage- 
rung des  Weines  stattfindet.  Die  jährliche  Produktion  beträgt  ca. 
250000  Gallonen  WTein. 

Interessant  ist  auch  der  Obstbau  Nordamerikas.  Derselbe  wird 
nicht  wie  bei  uns  als  Nebenzweig  betrieben,  sondern  auf  besonders 
dazu  eingerichteten  Farmen,  auf  denen  deshalb  der  Anbau  und  nament- 
lich die  Verwertung  eine  recht  zweckmäßige  ist.  Aber  auch  innerhalb 
des  Obstbaues  geht  die  Arbeitsteilung  weiter.  Man  hat  Pfirsich- 
farmen  in  Pennsylvanien ,  Delaware  und  New-Jersey,  Apfelfarmen  am 
Hudson,  Zwetschenfarmen  in  Oregon,  Orangefarmen  in  Florida  und 
Süd-Californien ,  Kirsch-,  Birnen-  und  Brombeerfarmen  in  Mittel- 
Californien. 

Ich  besuchte  in  Süd-Californien  den  Ort  River-Side  in  der  Nähe 
von  Los  Angelos,  wo  man  durch  künstliche  Bewässerung  aus  einer 
öden  trostlosen  Wüste  in  wenigen  Jahren  ein  wahres  Paradies  geschaffen 
hat.  Dort  wird  in  der  ganzen  Gegend  fast  nur  Orangekultur  ge- 
trieben und   die  Großartigkeit  der   Produktion   erhellt  z.    B.   daraus, 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  345 

daß  allein  an  der  Eisenbahnstation  in  River-Side  alljährlich  2500  Eisen- 
bahnladungen Orangen  versandt  werden  sollen.  Die  Größe  der  einzelnen 
Besitzungen  ist  hier  nur  10—40  acres. 

Auch  der  Gemüsebau  wird  in  Nordamerika  auf  ähnliche  Weise 
betrieben.  Ich  besuchte  Gemüsebetriebe  in  der  Nähe  von  Portland 
in  Oregon,  von  denen  manche  nur  5  acres  groß  waren,  jedoch  der  be- 
treifenden Familie  ein  reichliches  und  gutes  Auskommen  boten.  Der 
Betrieb  ist  hier  so,  daß  die  betreffenden  Farmer  nur  wenige  Sorten 
Gemüse  kultivieren ,  diese  aber  dadurch  in  größeren  Massen  produ- 
zieren können  und  dann  eine  Verwertung  durch  Versendung  im  Großen 
erzielen.  So  giebt  es  Gärtnereien,  die  sich  hauptsächlich  mit  Anbau 
von  Erdbeeren  befassen  und  hiervon  ganz  ungeheuere  Quantitäten  ver- 
schicken, andere  Farmen,  die  z.  B.  nur  Preißelbeeren  anbauen,  andere 
hauptsächlich  Melonen  oder  Bataten  u.  s.  w. 

Die  Verwertung  von  Gemüse  und  Früchten  läßt  sich  bei  der- 
artigem Großbetrieb,  wenn  nicht  Frischabsatz  möglich  ist,  nur  durch 
Konservefabrikation  ermöglichen  und  es  findet  diese  in  der  That  in 
sehr  großem  Maße  statt. 

Auch  in  der  Viehzucht  ist  der  Landwirtschaftsbetrieb  in  Nord- 
amerika ein  sehr  einseitiger.  Bekannt  sind  die  ungeheuren  Steppen- 
wirtschaften in  Texas,  Montana,  Colorado,  Utah,  in  denen  ganz  aus- 
schließlicher Viehzuchtbetrieb  stattfindet  und  zwar  auch  meistens 
nur  die  Zucht  einer  Viehart.  Man  sieht  dort  ungeheure  Pferdeherden, 
hat  dann  wieder  sog.  Rindviehranches  und  an  anderen  Plätzen  vor- 
herrschend Schaf  züchtereien.  Es  sind  dies  allerdings  Betriebe,  die 
durch  die  besonderen  Boden-  und  Klimaverhältnisse  dort  bedingt 
und  kaum  anders  möglich  sind.  Aber  auch  in  den  intensiver  be- 
wirtschafteten Gegenden .  in  denen  auch  Ackerbau  möglich  ist, 
wird  die  Viehzucht  verhältnismäßig  einseitig  betrieben.  Ich  besuchte 
die  Windsorfarm  bei  Denver,  die  1000  acres  groß  war;  davon  wurden 
300  acres  gepflügt  und  bewässert,  während  der  Rest  als  permanentes 
Grasland  lag.  Das  kultivierte  Land  wurde  bestellt  mit  300  acres 
Luzerne,  150  acres  Mais,  250  acres  Hafer.  Der  Mais  wurde  zum  Teil 
grün  gefüttert,  zum  Teil  eingesäuert,  um  als  Winterfutter  zu  dienen. 
Auf  der  Farm  wurden  gehalten  40  Pferde,  150  Milchkühe,  350  Stück 
Jungvieh  und  300  Schweine.  Der  Hauptbetrieb  der  Farm  war  Milch- 
wirtschaft und  es  wurden  in  der  That  sehr  beträchtliche  Quantitäten 
Milch  produziert.  Das  Jungvieh  diente  fast  nur  zur  Ergänzung  der 
Milchkühe,  doch  wurden  auch  einige  Tiere  gemästet.  Die  Schweine 
wurden  als  Ergänzung  zur  Milchwirtschaft  gehalten,  weil  auf  dem  Gut 
Molkerei  vorhanden  war,   wurden  jedoch  auch  auf  der  Weide  ernährt. 

Eine  Farm,  auf  der  hauptsächlich  Milchwirtschaft  betrieben  war, 
lernte  ich  in  Darlington  in  Pennsylvanien  kennen,  wo  auf  690  acres 
Land  300  Milchkühe  gehalten  wurden  und  der  ganze  Betrieb  nur  auf 
Produktion  von  Milch,  die  durch  Frischverkauf  und  Verarbeitung  in 
eigener  Molkerei  sehr  gut  verwertet  wurde,  gerichtet  war. 

In  der  Farm  Lindenwood  fand  ich  einen  Betrieb,  dessen  Schwer- 
punkt in  Schweinezucht  lag;  es  wurden  auf  dem  Gut  von  760  acres 
Größe  ca.  400  Schweine  gehalten. 


346  Backhaus, 

Die  Farm  Wayne  in  Illinois  im  Besitz  des  Mr.  Dunham  befaßte 
sich  ausschließlich  mit  Pferdezucht  und  zwar  Zucht  französischer 
Kutschpferde  wie  französischer  schwerer  Schläge. 

Es  giebt  sogar  in  Amerika  Farmen,  die  sich  ausschließlich  mit 
gutem  Erfolg  der  Geflügelzucht  widmen.  Die  Arbeitsteilung  geht  aber 
noch  weiter,  indem  auf  Hühnerfarmen  nur  Hühner,  auf  Truthühner- 
farmen nur  Truthühner  nach  vielen  Tausenden  gezogen  werden. 

Es  wird  natürlich  auch  auf  solchen  Geflügelfarmen  auf  Eier- 
produktion Gewicht  gelegt.  Die  Ausbrütung  erfolgt  mit  großen  Brut- 
maschinen. 

Farmen,  die  sich  ausschließlich  der  Bienenzucht  widmen,  giebt  es 
ebenfalls  in  verschiedenen  Staaten  der  Union. 

In  den  Südstaaten,  wo  die  Plantagenwirtschaft  zu  Hause  ist, 
findet  sich  auch  ein  ganz  einseitiger  Betrieb,  indem  auf  den  einen 
Besitzungen  Baumwolle,  auf  anderen  Reis,  auf  anderen  Tabak  gebaut 
wird  und  gewöhnlich  werden  für  diese  Farmen  die  Hauptmengen  an 
Lebensmitteln,  als  Getreide,  Vieh,  Fleisch,  Milch,  Butter,  Käse  etc. 
aus  den  Nordstaaten  beschafft. 

Semler  beschreibt  eine  Farm  in  Mittelcalifornien  von  ca.  10  000 
acres  Größe,  auf  welcher  nur  Oelfrüchte,  hauptsächlich  Mohn  und 
Flachs  angebaut  wurden. 

Bezeichnend  für  die  amerikanische  Landwirtschaft  ist  es,  daß  die 
Systematisierung  der  Landwirtschaftsbetriebe  nicht  nach  Wirtschafts- 
systemen in  der  Weise,  wie  es  bei  uns  üblich  ist,  erfolgt,  sondern  nach 
den  Produktionsrichtungen.  In  dem  Buch  „The  Model  farms  and  their 
methods",  in  welchem  über  100  Farmen  ')  Amerikas  beschrieben  sind, 
wird  als  nähere  Bezeichnung  der  Farmen  z.  B.  gesagt  Weizenfarm, 
Gerstenfarm,  Schaffarm,  Milchwirtschaftsfarm  u.  s.  w.  Es  kommen 
allerdings  dann  auch  Getreidefarmen  vor,  auf  denen  also  mehrere  Arten 
Getreide  gebaut,  ferner  stock.-farms ,  auf  denen  die  Zucht  mehrerer 
Haustierarten  betrieben  wird  und  schließlich  auch  sog.  mixed  hus- 
bandry  farms,  auf  denen  also  ein  gemischter  Betrieb  ausgeführt  wird. 

Arbeitsteilung  in  Hilfszweigen  der  Landwirtschaft. 

Seither  wurde  nur  die  Arbeitsteilung  in  Bezug  auf  die  pflanzliche 
und  tierische  Produktion  betrachtet.  Es  ist  aber  auch  noch  eine  Art 
Arbeitsteilung  in  den  Hilfszweigen  der  Landwirtschaft  möglich  und 
wir  sehen,  daß  hierin  auch  außerordentlich  verschieden  die  Verhält- 
nisse liegen.  Es  zeigt  sich  gerade  mit  fortschreitender  Kultur  die 
Arbeitsteilung  hierin  sehr  weitgehend. 

In  primitiven  Gegenden  fabriziert  sich  der  Landwirt  seine  nötigen 
Geräte  selbst;  es  giebt  dort  also  nicht  einmal  Handwerker,  die  sich 
diesen  Arbeiten  widmen.  In  weiter  vorgeschrittenen  Gegenden  findet 
man,  wie  dies  in  Deutschland  ja  meistens  üblich  ist,  Handwerker  aller 
Art,  Schmiede,  Stellmacher,    Sattler  u.  s.  w.,   die  den  Landwirten  die 


1)  Chicago,  Knobel  &  Co.  1881. 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  347 

Herstellung  ihrer  Geräte,  Geschirre  und  andere  Hilfsmittel  abnehmen. 
In  Nordamerika  ist  man  aber  schon  auf  so  hoher  Stufe  angelangt,  daß 
auch  der  Handwerker  auf  dem  Lande  fast  gar  nicht  mehr  existiert. 
Die  Farmer  beziehen  ihre  benötigten  Maschinen,  Geräte,  Geschirre  von 
großen  Fabriken,  die  durch  ihren  Großbetrieb  außerordentlich  billig 
herstellen  können,  so  daß  gerade  Maschinen  und  Geräte  in  Amerika, 
wo  sonst  viele  industrielle  Produkte  teurer  sind  als  in  Deutschland, 
einen  bedeutend  geringeren  Preis  haben.  Der  Landwirt  sucht  sich 
dann  in  mancherlei  Handfertigkeiten  so  weit  auszubilden  und  die 
Agricultural  Colleges  legen  besonderen  Wert  darauf,  den  Schüler  in 
allerlei  Holz-  und  Metallarbeiten  zu  unterrichten,  daß  er  in  der  Lage 
ist,  nötige  Reparaturen  auszuführen.  Außerdem  sind  die  Geräte  und 
Maschinen  so  eingerichtet,  daß  die  einzelnen  Teile  bequem  ersetzt 
werden  können  und  die  Maschinenfabriken  versehen  den  Farmer  mit 
ausführlichen  Katalogen,  nach  denen  derselbe  Reserveteile  bestellen 
kann. 

Die  Herstellung  von  Bauten  aller  Art  wird  im  primitiven  Land- 
wirtschaftsbetriebe ebenfalls  von  dem  Wirtschafter  selbst  ausgeführt, 
während  auf  einer  höheren  Stufe  der  Volkswirtschaft  dies  besonderen 
Bauhandwerkern  überlassen  wird. 

Eine  ganz  große  Reihe  von  benötigten  Stoffen  und  Materialien 
werden  von  vielen  Landwirten  in  der  eigenen  Wirtschaft  hergestellt, 
während  in  anderen  Gegenden  wieder  besonderen  Industrieen  dies 
zufällt.  Als  Beispiel  sei  die  Kunstdüngerbereitung  angeführt.  Früher 
wurde  wohl  Aufschließung  von  Knochen,  Verarbeitung  von  Kadavern 
auf  Landgütern  vorgenommen,  und  noch  heute  pflegen  manche  Güter 
Chilisalpeter  in  rohem  Zustande  zu  beziehen  und  dann  zu  zer- 
kleinern, während  meistens  doch  alle  diese  Arbeiten  von  Kunstdünger- 
fabriken in  die  Hand  genommen  sind  und  hier  auch  durch  Verwendung 
von  Maschinen,  durch  Betrieb  im  Großen  bedeutend  besser  und  wohl- 
feiler ausgeführt  werden  können.  So  ähnlich  geht  es  mit  Medika- 
menten und  manchen  anderen  Dingen.  Auf  der  oben  erwähnten  Herr- 
schaft Salzmünde  bestand  z.  B.  früher  eine  Kunstdüngerfabrik.  Heute 
ist  sie  aufgegeben. 

Sogar  in  der  Aufbewahrung  von  Produkten  ist  eine  Arbeitsteilung 
eingetreten.  In  Amerika  z.  B.  werden  die  Getreidevorräte  nicht  auf 
der  Farm  gelagert,  sondern  in  den  Elevators,  in  denen  zugleich  auch 
die  Reinigung  des  Getreides  vorgenommen  wird,  wo  durch  sehr  sinn- 
reiche Einrichtung  und  maschinelle  Hilfskraft  die  Bereitung  und  ins- 
besondere auch  die  Verladung  des  Getreides  mit  unglaublich  geringen 
Kosten  ausgeführt  wird.  So  ähnlich  giebt  es  in  jedem  größeren 
amerikanischen  Ort  sogen.  „Cold  storages",  das  sind  durch  Natureis 
oder  Eismaschinen  kühl  gehaltene  Räume,  in  denen  Fleisch,  Wildpret 
und  andere  leicht  verderbliche  Stoffe  gegen  eine  bestimmte  Taxe  auf- 
genommen und  gelagert  werden. 

Insbesondere  ist  es  die  Hauswirtschaft  im  engeren  Sinne 
oder  die  Haushaltung,  wie  sie  gewöhnlich  bezeichnet  wird,  in  der 
eine  weitgehende" Arbeitsteilung  eintreten  kann.    Es  ist  in  der  deutschen 


348  Backhaus , 

Landwirtschaft  fast  allgemein  üblich ,  das  benötigte  Brot  selbst  zu 
backen  und  Hausschlachtungen  vorzunehmen.  Die  Verfertigung  von  Be- 
kleidungsgegenständen wird  auch  jetzt  noch  in  vielen  Gegenden  als 
Nebenzweig  betrieben.  Früher  wurde  ja  ganz  allgemein  Flachs  ge- 
baut und  im  Winter  in  jedem  Landwirtschaftsbetrieb  gesponnen,  ge- 
woben u.  s.  w.  Ja  es  wurden  z.  B.  Tierfelle  gegerbt  oder  auch  durch 
einen  Gerber  zubereitet,  um  dann  in  dem  Haus  durch  einen  vorüber- 
gehend angenommenen  Schuhmacher  und  Sattler  oder  event.  auch 
durch  den  Landwirt  und  dessen  Leute  selbst  die  Herstellung  von 
Schuhen  oder  Geschirren  auszuführen.  In  vielen  Gegenden  hat  das 
Brotbacken  im  Haus  schon  längst  aufgehört,  weil  der  Bäcker  besseres 
und  billigeres  Brot  zu  liefern  imstande  ist.  In  Amerika  habe  ich 
vielfach  gefunden,  daß  es  den  Farmern  außer  Notschlachtungen  nicht 
einfällt,  im  Haus  zu  schlachten,  daß  sie  vielmehr  die  gemästeten 
Schweine  und  Rinder  viele  hundert  Meilen  weit  nach  den  großen 
Schlachthäusern  verkaufen,  um  von  dort  Schinken,  Würste,  Schmalz 
wieder  zurückzubeziehen.  Sie  behaupten  hierbei  sich  viel  besser  zu 
stehen,  denn  einen  Metzger  für  Hausschlachtungen  zu  engagieren, 
würde  bei  den  dortigen  hohen  Löhnen  etwa  10 — 15  M.  pro  Tag 
kosten ;  außerdem  hat  man  gar  nicht  die  Einrichtungen  und  Vor- 
kehrungen zum  Schlachten,  zum  Räuchern,  Pökeln  etc.  Man  ist  auch 
bei  dem  Mangel  an  Arbeitskräften  so  beschäftigt,  und  namentlich  sind 
die  Hausfrauen,  die  bei  weitem  nicht  so  viel  Dienstpersonal  haben  als 
bei  uns,  so  mit  Arbeit  überlastet,  daß  man  die  Mehrarbeit  durch  Haus- 
schlachtungen vermeidet  und  viel  zweckmäßiger  fertige  Fleischpro- 
dukte bezieht,  die  in  den  großartigen  Schlachthäusern  mit  außer- 
ordentlich geringen  Kosten  und  in  vorzüglicher  Qualität  hergestellt 
werden. 

In  Westdeutschland  giebt  es  Landgüter,  die  es  vorziehen,  anstatt 
Kraut  zu  bauen  und  dieses  im  Herbst  einzumachen,  das  fertige  Sauer- 
kraut von  Sauerkrautfabriken  zu  beziehen.  Die  Fabrik  ist  aber  auch 
in  der  Lage,  da  die  benachbarten  Landwirte  ihr  große  Krautlieferungen 
machen  und  sie  dann  mit  Maschinen  die  Bereitung  vornimmt,  ein 
billiges  und  gutes  Produkt  herzustellen. 

Die  Verfertigung  von  Kleidungsgegenständen  wird  auch  mit 
Recht  immer  mehr  besonderen  Industrien  von  den  Landwirten  über- 
lassen. 

Hierher  ist  auch  zu  rechnen  die  Verköstigung  von  Gesinde  und 
Tagelöhnern  auf  größeren  Gütern.  Früher  war  es  allgemein  üblich, 
diese  Verköstigung  auf  dem  Gute  auszuführen,  während  heute  immer 
mehr  dazu  übergegangen  wird,  die  Verköstigung  den  Arbeitern  selbst 
zu  überlassen.  Es  könnte  dies  merkwürdig  erscheinen,  weil  doch  das 
erstere  Prinzip  eigentlich  mehr  der  fortschreitenden  Arbeitsteilung 
widerspricht.  Dies  ist  jedoch  durchaus  nicht  so,  weil  die  verheirateten 
Arbeiter  doch  ihren  Haushalt  haben  und  es  deshalb  eigentlich  eine 
unnötige  Komplizierung  ist,  wenn  noch  einmal  auf  dem  Gute  Ein- 
richtungen für  Verköstigungen  getrofien  werden.  Es  erscheint  dies 
auch   aus   anderen   Gründen   unzweckmäßig,   weil   der  Arbeiter,    wenn 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  349 

er  sich  in  seiner  Familie  verköstigt,  weniger  Ansprüche  stellt,  als 
wenn  ihm  die  Kost  als  Lohn  verabreicht  wird  und  weil  schließlich 
auch  das  Familienleben  des  Arbeiters  durch  eine  Verköstigung  außer 
dem  Hause  leidet.  Für  Arbeitspersonal,  welches  nicht  einen  Haus- 
stand besitzt,  ist  allerdings  die  Verköstigung  auf  größeren  Gütern 
nicht  zu  vermeiden  und  es  wird  diese  auch  in  den  Großbetrieben 
Amerikas  ausgeführt.  Doch  hat  man  auch  hierin  durch  Einrichtung 
von  sogen.  Garküchen  die  Arbeit  dem  Gutsbetrieb  abzunehmen  und 
besonderen  Betriebszweigen  zu  übertragen  gesucht. 

Technische  Arbeitsteilung. 

Es  ist  einleuchtend,  daß  in  so  vielseitigen  Betrieben,  wie  sie  von 
Baden  beispielsweise  geschildert  wurden,  eine  technische  Arbeitsteilung 
fast  gar  nicht  stattfinden  kann,  daß  in  derartigen  Landwirtschaften 
das  vorhandene  Arbeitspersonal  die  allerverschiedensten  Arbeiten,  die 
bei  der  vielseitigen  pflanzlichen  und  tierischen  Produktion  vorkommen, 
während  des  Jahres  ausführen  müssen.  Tritt  aber  eine  wirtschaftliche 
Arbeitsteiluug  in  der  Landwirtschaft  ein,  vereinfacht  sich  also  der 
Betrieb,  so  kann  natürlicherweise  auch  die  technische  Arbeitsteilung 
mehr  angewandt  werden;  das  Personal  kann  mehr  mit  der  Ausführung 
derselben  Arbeit  für  längere  Zeit  beschäftigt  werden  und  alle  die  be- 
kannten Vorteile  der  Arbeitsteilung  treten  hierbei  ein. 

Diese  technische  Arbeitsteilung  ist  im  landwirtschaftlichen  Groß- 
betrieb namentlich  weit  mehr  anzuwenden  als  im  Kleinbetrieb.  Dort 
hat  man  besondere  Leute  für  Viehwartung,  ja  sogar  für  jede  Vieh- 
art, die  also  während  des  ganzen  Jahres  sich  hiermit  beschäftigen. 
Ja  man  ist  auf  vielen  Gütern  schon  so  weit  gegegangen,  daß  man  eine 
Person  anstellt,  die  nur  das  Putzen  der  Tiere  auszuführen  hat,  daß 
ein  Mann  sich  fortwährend  mit  der  Bearbeitung  des  Düngers  und 
Kompostes  auf  dem  Landgute  beschäftigt.  Man  hat  Leute,  die  fort- 
während mit  Hofarbeiten,  auf  Fruchtboden  und  im  Keller  etc.  thätig 
sind;  man  hat  einen  Wiesenwärter,  der  sich  fast  nur  mit  Wiesenbau 
beschäftigt. 

Sehr  zweckmäßig  ist  es,  wenn  Arbeiter  sich  auf  Arbeiten,  die 
weniger  wie  die  Ernte  und  Bestelluugsarbeiten  an  eine  bestimmte 
Jahreszeit  gebunden  sind,  spezialisieren.  So  giebt  es  z.  B.  Erdarbeiter, 
die  die  Ausführung  von  Drainagen  übernehmen  und  es  ist  erstaunlich, 
was  solche  Leute  durch  ihre  Uebung  bedeutend  mehr  leisten  und  da- 
durch selbst  bei  beträchtlich  höherem  Verdienst  die  Drainierung  mit 
geringeren  Kosten  ausführen  können,  als  wenn  der  Landwirt  mit  seinen 
ständigen  Leuten  diese  Meliorationen  ausführen  würde.  Es  giebt 
Leute,  die  sich  hauptsächlich  mit  Wegebau  beschäftigen,  andere  mit 
Ziegelbrennen.  Arbeiten,  wie  Obstbaumschneiden,  Schafscheren  eignen 
sich  ebenfalls  gut  für  Spezialisierung. 

Ja  selbst  in  den  Arbeiten  der  Bestellung  und  der  Ernte  hat  schon 
eine  Arbeitsteilung  Platz  gegriffen,  die  auch  für  den  kleineren  Land- 
wirt zugänglich  ist,  indem  z.  B.  mit  Dampfdreschmaschinen,  zu  denen 


350  Backhaus, 

eventuell  auch  die  nötigen  Arbeitsleute  gestellt  werden,  der  Ausdrusch 
des  Getreides  besorgt  wird.  So  ähnlich  werden  ja  von  anderen  Unter- 
nehmern mit  Dampfpflügen  auch  die  hauptsächlichsten  Bestellungs- 
arbeiten dem  Landwirt  abgenommen  und  in  Amerika  giebt  es  sogar 
Unternehmer,  die  mit  Erntemaschinen  (Selbstbinder,  Headers  oder 
kombinierten  Erntemaschinen)  von  Farm  zu  Farm  ziehen ,  um  für 
kleinere  Landwirte  das  Getreidemähen  ausführen. 

Wie  weit  bei  deutschen  Landwirten  die  Gedanken  an  Vereinfachung 
der  Wirtschaft  durch  Einrichtung  der  verschiedenen  bisher  erwähnten 
arbeitsteiligen  Momente  auf  ihren  Gütern  schon  gehen,  ersieht  man 
aus  einer  Notiz  des  Besitzers  einer  viehlosen  Wirtschaft  *),  der  nach 
seinem  Erfolge  ein   denkender  und   intelligenter  Landwirt   sein   muß: 

„Wenn  ich  mehr  Aufregung  und  Aerger  vertragen  könnte,  mir  auch 
der  ewige  Wechsel  mit  Leuten  nicht  unangenehm  wäre,  eo  würde  ich 
folgendermafsen  wirtschaften.  Ich  bin  überzeugt,  dafs  dies  die  höchste 
Rente  einer  viehlosen  Wirtschaft  ergiebt. 

Ich  würde  gar  keine  Leute  in  meinen  Wohnungen  halten ,  sondern 
letztere  vermieten  oder  verkaufen,  wozu  bei  mir  gute  Gelegenheit  ist, 
und  nur  so  viel  Baum  reservieren,  dafs  ich  60 — 70  Schnitter  beherbergen 
könnte,  die  etwa  Ende  März  antreten  müfsten. 

Zur  Bedienung  der  in  diesem  Fall  nötigen  40  Pferde  würde  ich  mir 
fremde  Leute  aus  den  benachbarten  Bauerndörfern  annehmen,  hiermit  die 
Frühjahrssaat  besorgen ,  Kartoffeln  pflanzen ,  hacken  und  später  auch  die 
Klee-,  Heu-  und  Kornernte  verrichten.  Alsdann  rücken  2  Dampfdresch- 
maschinen an,  die  entweder  aus  der  Hocke  oder  Miete  alles  Korn  sofort 
ausdreschen ;  dasselbe  wird  samt  Stroh  und  Heu  sofort  zur  Bahn  abge- 
liefert. 

Bis  Mitte  Oktober  wäre  die  Kartoffelernte  beschafft  und  abgefahren, 
inzwischen  auch  die  Saatzeit  besorgt  und  die  Brache  mit  Dampf  tief 
gepflügt.  Hierauf  werden  alle  Pferde  per  Auktion  verkauft,  so  dafs  kein 
Stück  Vieh  auf  dem  Hofe  verbleibt. 

Im  Anfang  November  würde  ich  mich  meinetwegen  nach  Italien  oder 
sonstwohin  begeben  und  auf  dem  ganzen  Gute  nur  eine  zuverlässige  Per- 
son im  Wohnhause,  vielleicht  den  Jäger,  zur  Beaufsichtigung  des  Forstes, 
des  Feldes  und  Hofes  zurücklassen.  Ende  März  würde  ich  dann  wieder 
zurückkehren.  Somit  würde  ohne  Zweifel  ein  ganz  bedeutendes  Futter- 
korn für  die  Pferde  und  Tagelohn  gespart,  da  gerade  die  Arbeiten,  die 
man  in  den  Monaten  November,  Dezember,  Januar,  Februar  bis  Mitte 
März  mit  ihren  kurzen  Tagen  vornimmt,  verhältnismäfsig  am  meisten 
Geld  kosten.  Man  ist  gezwungen  bei  Wintertag,  wo  der  Schnee  haus- 
hoch vor  der  Thüre  liegt,  den  Leuten,  noch  dazu  in  einem  viehlosen 
Betriebe,  Arbeit  zu  geben,  die  nichts  einbringt.  Ich  rechne  hierbei,  wenn 
ich  die  Sache  nicht  zu  hoch  veranschlage,  mindestens  5000  M.  rein  weg- 
geworfenes Geld  resp.  Differenz  gegen  meine  jetzige  Wirtschaftsmetode 
heraus." 


1)  Wodarg,  Fünf  Jahre  viehlose  Wirtschaft  in  Maulbeerwalde.   Deutsche  landwirtsch. 
Presse,  1893,  S.  771. 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  351 

Vorteile  der  landwirtschaftlichen  Arbeitsteilung. 

Bezüglich  der  technischen  Arbeitsteilung  sind  schon  oft 
die  Vorteile  eingehend  auseinandergesetzt  worden.  Hatte  man  von 
Seiten  der  Autoren  auch  haupsächlich  die  Industrie  im  Auge,  so  gelten 
doch  die  meisten  angeführten  Vorteile  auch  für  die  Landwirtschaft. 
Es  treten  namentlich  in  der  Landwirtschaft  auch  weniger  die  Nach- 
teile der  Arbeitsteilung  hervor,  wie  sie  von  verschiedener  Seite  dar- 
gelegt und  besonders  von  Karl  Marx  in  so  düsteren  Farben  gemalt 
wurden. 

Die  Schilderungen  des  sozialistischen  Schriftstellers  über  die  Nach- 
teile der  Arbeitsteilung,  des  Großbetriebs  und  der  kapitalistischen 
Landwirtschaft1)  machen  sich  mancher  Unrichtigkeit  schuldig;  er  baut 
auf  den  zum  größten  Teil  falschen  Raubbaulehren  Liebig's  auf  und  kommt 
deshalb  zu  falschen  Schlüssen.  Bezüglich  der  Wirkung  der  Arbeits- 
teilung, indem  sie  den  Arbeiter  unselbständig  macht,  ihn  zur  Maschine 
durch  die  einseitige  Leistung  herunterdrückt,  ist  zu  bemerken,  daß 
derartige  bedenkliche  Folgen  in  der  Landwirtschaft  nicht  eintreten 
können,  weil  hier  die  technische  Arbeitsteilung  doch  nie  in  so  ex- 
tremer Weise  wie  in  der  Industrie  vorkommen  kann.  Man  muß  auch 
Cohn 2)  beistimmen,  daß  durch  die  Arbeitsteilung  der  Verdienst  so 
gehoben  wird,  daß  der  Arbeiter  sich  doch  wieder  eine  angenehmere 
Lebensstellung  beschaffen  kann  als  wie  ohne  sie  und  daß  immer  noch 
die  Arbeiter  in  der  Neuzeit,  selbst  bei  einseitiger  Beschäftigung  eine 
bessere  Situation  haben,  als  bei  den  Bauten  der  ägyptischen  Pyramiden, 
der  römischen  Militärstraßen,  der  Stadtwälle  und  Burgen  des  Mittel- 
alters. Gerade  auf  dem  Lande  ist  zu  bemerken ,  wie  der  sehr  ein- 
seitig beschäftigte  Arbeiter,  z.  B.  der  Viehwärter,  doch  wieder  in  den 
Mußestunden  fleißig  seinen  Garten  bestellt,  wie  er  also  bei  seiner  ein- 
seitigen Beschäftigung  nicht  Kenntnis  anderer  Arbeiter  verlernt  und 
sicherlich  nicht  schlechter  gestellt  ist  als  ein  Arbeiter,  der  bald  zu 
dieser,  bald  zu  jener  Arbeit  sich  wenden  muß.  Selbst  eine  so  über- 
aus einseitige  landwirtschaftliche  Arbeit,  daß  ein  Mann  Tag  für  Tag 
mit  Viehputzen  beschäftigt  wird,  hat  durch  den  während  der  Arbeit 
stattfindenden  —  man  könnte  fast  sagen  zur  Freundschaft  werdenden  — 
Verkehr  mit  Hunderten  von  lebenden  Wesen  viel  weniger  Einförmiges 
und  Abstumpfendes  als  die  Arbeit  eines  Nagelschmiedes,  der  das  ganze 
Jahr  hindurch  nur  bestimmte  Hammerschläge  auf  ein  totes  Stück  Eisen 
richtet. 

Mehr  wie  von  der  technischen  Arbeitsteilung  sollen  hier  von  der 
wirtschaftlichen  Arbeitsteilung  die  vorteilhaften  Momente  in  Bezug  auf 
die  Landwirtschaft,  die  in  der  Litteratur  weniger  oder  gar  nicht  dar- 
gelegt sind,  behandelt  werden.  Den  Vorteil,  daß  durch  eine  einseitige 
Beschäftigung  der  Landwirt  eine  hervorragende  Fertigkeit 
gerade  in  diesem  Betrieb   erlangt,  möchte  ich  für  den  gewöhnlichen 


1)  Karl  Marx,  Das  Kapital.    Hamburg  1867. 

2)  Cohn,  System  der  Nationalökonomie,  Stuttgart  1885,  S.  324. 


352  Backhaus, 

Landwirtschaftsbetrieb  nicht  so  hoch  anschlagen.  Es  zeigt  die  Erfah- 
rung, daß  der  gute  Rindviehzüchter  auch  recht  wohl  die  Zucht  anderer 
Haustiere  zweckmäßig  zu  leiten  versteht.  Der  gute  Ackerbauer  wird 
keine  Schwierigkeiten  haben,  den  Anbau  der  allerverschiedensten  Kultur- 
pflanzen auszuführen.  Es  besitzen  doch  alle  landwirtschaftlichen  Pro- 
duktionen eine  gewisse  Aehnlichkeit  und  vieles  ist  aus  Erfahrung  der 
einen  Produktion  für  die  andere  zu  verwenden. 

Der  Vorteil  der  höheren  Fertigkeit  tritt  allerdings  auch  in  der 
Landwirtschaft  deutlich  hervor,  sowie  es  sich  um  Qualitätsleistungen 
handelt,  sowie  also  über  den  gewöhnlichen  Landwirtschaftsbetrieb,  der 
zur  Produktion  der  vegetabilischen  und  animalischen  Nahrungsmittel 
dient,  hinausgegangen  wird.  Es  erfordert  Qualitätsleistung  in  der 
Landwirtschaft  so  hohe  Intelligenz  und  Aufmerksamkeit,  daß  man  sie 
am  besten  Spezialisten  überläßt,  also  beispielsweise  die  Produktion 
hochwertvoller  Zuchttiere  besonderen  Hochzüchtern,  die  Hervorbrin- 
gung vorzüglichen  Samens  besonderen  Samenbauern,  ja  sogar  die  Ver- 
besserung der  Kulturpflanzen  besonderen  Saatzüchtern.  Der  deutsche 
Zuckerrübenbau  würde  nicht  so  weit  gekommen  sein,  wie  er  heute  ist, 
wenn  jeder  Zuckerrübenbauer  den  benötigten  Samen  selbst  in  der  Wirt- 
schaft produziert  hätte.  Dadurch,  daß  man  dies  Spezialisten  über- 
ließ, die  nun  mit  allen  Hilfsmitteln  der  Wissenschaft  und  Technik  vor- 
gingen, beispielsweise  sorgfältig  die  einzelnen  Rüben,  die  zur  Samen- 
gewinnung in  den  nächsten  Jahren  ausgesteckt  werden  sollten,  aus  der 
ganzen  Rübenernte  auslasen ,  von  jeder  einzelnen  Rübe  durch  Porali- 
sation  eines  Probestückchens  den  Zuckergehalt  ermittelten  und  nur 
die  zuckerreichsten  Rüben  zum  Samenbau  verwandten,  ist  der  wunder- 
bare Fortschritt,  daß  man  heute  das  Dreifache  an  Zucker  in  der  Rübe 
besitzt  als  früher,  erreicht  worden. 

Mehr  noch  als  den  Vorteil  der  höheren  Fertigkeit  des  Betriebes 
möchte  ich  den  Umstand  stellen,  daß  bei  einer  einseitigen  Produktion 
die  Vorteile  des  Großbetriebs  eintreten  und  daß  es  dadurch 
dem  Mittel-  und  Kleinbetrieb  möglich  wird,  zu  den  Vorteilen,  die  er 
gegenüber  dem  Großbetrieb  besitzt,  auch  noch  die  Nachteile,  die  er 
wiederum  vor  diesem  hat,  außerordentlich  zu  reduzieren.  Wenn  der 
badische  Bauer  mit  30  Morgen  Land  statt  15  Kulturpflanzen,  die  des- 
halb nur  in  sehr  kleinem  Maßstabe  kultiviert  werden  können,  5  ver- 
schiedene Pflanzen  auswählt,  so  werden  die  Anbauverhältnisse  so- 
fort 3m al  größer  und  es  ist  einleuchtend,  daß  er  auf  derselben  Fläche 
eine  Frucht  rascher  säen,  daß  er  sie  schneller  abmähen,  sie  auch  mit 
weniger  Kosten  ausdreschen  wird  als  3  verschiedene  Früchte,  und 
schließlich  auf  dem  Getreideboden  von  einer  Frucht  mehr  lagern  kann, 
als  von  3  verschiedenen. 

Es  dürfte  auch  in  einem  derartigen  einseitigen  Betriebe  ein  ge- 
ringerer Kapitalbedarf  vorhanden  sein ,  womit  allerdings  den 
Ausführungen  Hermann's1)  widersprochen  wird,  welcher  sagt:  „Die 
Umwandlung  jedes  von  Einem   betriebenen  Geschäftes  mit  mehreren 


1)  v.  Hermann,  Staatswissensch.  Untersuchungen,  München  1870,  S.  205. 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  353 

Arbeiten  in  ein  Geschäft  mit  verteilter  Arbeit  setzt  daher  jedenfalls 
ein  weit  größeres  Kapital  voraus,  als  wenn  es  einer  betreibt".  Es 
scheint  doch  eher  hier  das  Umgekehrte  der  Fall  zu  sein.  An  anderer 
Stelle  giebt  auch  v.  Hermann  zu,  daß  durch  arbeitsteilige  Betriebe  an 
Werkzeugen  und  Maschinen  gespart  wird  und  dies  dürfte  gerade  in 
der  Landwirtschaft  eintreten.  Ein  rationell  wirtschaftender  Landwirt 
muß  heute  einen  Trieur  besitzen,  um  die  Saatfrucht  zu  präparieren. 
Die  Anschaflungskosten  und  Bearbeitungskosten  des  Trieurs  bleiben 
sich  aber  ziemlich  gleich,  ob  derselbe  nun  für  Bearbeitung  von  100  Ztr. 
oder  1000  Ztr.  Getreide  dient.  Der  Landwirt  muß  eine  Häckselmaschine 
haben,  einerlei,  ob  er  20  oder  30  Kühe  besitzt,  und  es  wird  der  Kuh- 
stall für  30  Kühe,  auf  das  Stück  berechnet,  auch  weniger  Baukosten 
verursachen  als  wie  der  Stall  für  20  Kühe.  Es  wird  also,  auf  die 
Einheit  berechnet,  ein  geringerer  Kapitalbedarf  nötig  sein,  wenn  der 
Landwirtschaftsbetrieb  ein  einfacher  ist  und  deshalb  die  einzelnen 
Zweige  im  größeren  Maßstab  betrieben  werden  können. 

In  dem  vielseitigen  Landwirtschaftsbetriebe  müssen  für  die  vielerlei 
Zweige  Kapitalaufwendungen  gemacht  werden,  die  gerade  durch  die 
Kleinheit  der  einzelnen  Produktion  oft  nicht  genügend  ausgenutzt 
werden,  sofort  aber  zur  Ausnutzung  kommen,  wenn  der  Betriebszweig 
größer  wird,  womit  gleichzeitig  andere  Betriebszweige  und  die  dafür 
gemachten  Kapitalanlagen  in  Wegfall  kommen.  Es  ist  dies  ja  auch 
ein  Vorteil  des  Großbetriebes. 

Freilich  kann  auch  im  arbeitsteiligen  Betriebe  der  Kapitalaufwand 
ein  großer  werden,  wenn  z.  B.  durch  die  Einseitigkeit  des  Betriebs  in 
■einer  Jahreszeit  so  viel  Arbeiten  zu  überwinden  sind,  daß  hierfür  kost- 
spielige Maschinenankäufe  ausgeführt  werden  müssen,  wie  es  in  den 
Weizenfarmen  Nordamerikas  der  Fall  ist,  wo  z.  B.  auf  einer  1500 
Morgen  großen  Farm  21000  M.  Kapitalwert  in  Maschinen  vorhanden 
sind  und  die  große  Dalrymple-Farm  allein  180  Selbstbinde-Mäh- 
maschinen besitzt. 

Es  kann  auch  durch  die  Einseitigkeit  des  Betriebs  ein  größeres 
Betriebskapital  deshalb  nötig  sein,  weil  die  Geldeinnahmen  dann  ge- 
wöhnlich zu  einer  bestimmten  Jahreszeit  nur  kommen,  z.  B.  bei  dem 
reinen  Viehzuchtsbetrieb  nur  nach  dem  Verkauf  der  Jahresnachzucht, 
weshalb  die  Wirtschaftskosten  des  ganzen  übrigen  Jahres  durch  ein 
genügend  vorhandenes  Betriebskapital  gedeckt  werden  müssen. 

Ein  Vorteil  in  dem  einseitig  eingerichteten  Landwirtschaftsbetrieb 
gegenüber  dem  Hauswirtschaftsbetrieb  ist  nicht  gering  anzuschlagen, 
nämlich  die  größere  Sparsamkeit,  die  dann  mit  denjenigen  Ge- 
brauchsstoffen der  Wirtschaft,  die  angekauft  werden  müssen,  eintritt, 
anstatt  der  weniger  sparsamen  Verwendung,  die  nachgewiesenermaßen 
mit  selbstproduzierten  Stoffen,  Nahrungs-  und  Futtermitteln  ausge- 
führt wird.  Muß  beispielsweise  die  Milch,  Butter  und  Käse  für  eine 
Hauswirtschaft  angekauft  werden,  so  wird  damit  besser  gewirtschaftet, 
als  wenn  diese  Produkte  in  großen  Massen  in  der  Wirtschaft  selbst 
gewonnen  werden,  wobei  sehr  oft  eine  so  große  Verschwendung  ein- 
tritt,  daß  der  Wirtschafter  am  Jahresschlüsse   bei   rechnungsmäßiger 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXI1I).  23 


354  Backhaus, 

Prüfung  seines  Betriebes  selbst  darüber  erstaunt,  welche  Summen  hier 
angelaufen  sind.  —  Auch  mit  selbstproduzierten  Futtermitteln  wird 
oft  nicht  ökonomisch  genug  gewirtschaftet. 

Eine  sehr  segensreiche  Folge  der  Arbeitsteilung  in  der  Landwirt- 
schaft beruht  in  der  Verbesserung  des  Absatzes.  In  dem  Ab- 
satz für  landwirtschaftliche  Produkte  findet  man  oft  ganz  merkwürdige 
Erscheinungen.  Trotz  eines  hohen  Bedarfs  an  manchen  Produkten 
kann  der  Landwirt  für  dieselben  vielfach  keinen  Absatz  finden.  Der 
Grund  liegt  meistens  in  der  Zersplitterung  des  Betriebes.  Der  Land- 
wirt, der  jährlich  ein  Pferd  groß  zieht,  kann  dasselbe  meistens  nur 
sehr  schlecht  verwerten,  wenn  nicht  der  Zufall  ihm  hierbei  behilflich 
ist.  Er  wird  auch  in  diesem  Falle  von  dem  Handelsmann  gewöhnlich 
sehr  stark  ausgenutzt.  Zieht  er  dagegen  jährlich  10  Pferde  auf,  so 
ist  die  Verwertung  des  Pferdes  meistens  eine  bessere;  es  lohnt  sich 
für  diese  Zahl  zur  Ermittelung  der  besten  Absatzwege  Aufwendungen 
zu  machen;  man  kann  größere  Händler  und  Käufer  heranziehen.  — 
Ein  Landwirt,  der  in  abgelegener  Gegend  5  Zentner  Hopfen  baut,  wird 
mit  denselben  oft  nicht  viel  anfangen  können.  Ganz  anders,  wenn  er 
100  Ztr.  Hopfen  zum  Verkauf  besitzt.  "Wegen  dieser  Menge  wird  schon 
ein  Händler  einen  Weg  nach  dem  betreffenden  Gute  riskieren  oder  eine 
größere  Brauerei  wird  sich  auf  den  Ankauf  einer  solchen  Menge  ein- 
lassen. Kurz,  wenn  also  in  Landwirtschaftsbetrieben  einzelne  Produkte, 
diese  aber  in  großer  Menge  erzeugt  werden,  so  ist  der  Absatz  und  die 
Verwertung  eine  viel  bessere. 

Noch  vorteilhafter  gestalten  sich  die  Absatzverhältnisse,  wenn 
ganze  Gegenden  einen  besonderen  Betriebszweig  kultivieren  und  da- 
durch einen  gewissen  Ruf  erhalten.  Es  trägt  also  die  Arbeitsteilung 
zwischen  verschiedenen  Gegenden  gerade  hierdurch  gute  Früchte. 
Im  Großherzogtum  Hessen  werden  z.  B.  vereinzelt  ebenso  gute  Tiere 
der  Simmenthaler  Rasse  gezüchtet  als  im  badischen  Oberland,  aber 
die  Verwertung  ist  eine  viel  geringere,  weil  letzteres  einen  be- 
deutenden Ruf  in  der  Zucht  der  Simmenthaler  Rindviehrasse  be- 
sitzt, dadurch  Käufer  in  Oberbaden  stets  vorhanden  sind  und  auch 
die  Tiere,  weil  sie  aus  diesem  Landstrich  stammen,  schon  besser  be- 
zahlt werden.  So  ähnlich  ist  es  mit  der  renommierten  Pferdezucht 
Ostpreußens,  mit  der  Schweinezucht  in  Meißen,  mit  dem  Hopfenbau  in 
Saatz  und  Spalt,  mit  der  Saalgerste,  mit  dem  berühmten  Saatgut  aus 
der  Probstei,  mit  dem  Schweizer  Käse,  der  Holsteiner  Butter  u.  a.  m. 

Es  lassen  sich  auch,  wenn  eine  derartige  Arbeitsteilung  Platz  ge- 
griffen hat  und  gerade  ein  Betriebszweig  auf  einem  Landgut  oder  in 
einer  ganzen  Gegend  besonders  betrieben  wird,  mancherlei  Einrich- 
tungen zur  Erzielung  eines  besseren  Absatzes  bilden.  Die  Gänseleber- 
pasteten-Industrie in  Straßburg  entstand  so,  ebenso  Konservefabrikeu 
in  Gegenden  mit  Gemüse-  und  Obstbau. 

Daß  in  einem  arbeitsteiligen  Betrieb  auch  eine  große  Ersparnis 
in  der  Versendung  der  Produkte  eintritt,  ist  selbstverständlich.  Es 
ist  eigentlich  doch  ein  Anachronismus,  wie  Bauersfrauen  bei  uns  mit  ein 
paar  Eiern,  etwas  Butter  und  Gemüse  auf  den  Markt  ziehen.    In  Nord- 


Die  Arbeitsteilung  in  der   Landwirtschaft.  355 

amerika  kommt  derartiges  nicht  vor,  weil  selbst  der  kleinste  Farmer 
solche  Produkte  in  größerem  Maßstabe  erzeugt  und  dann  die  Ver- 
sendung in  zweckmäßiger  geschmackvoller  Verpackung  per  Wagen  oder 
Eisenbahn  an  den  Marktplatz  ausführt. 

Den  besten  Beweis  für  die  Vorteile  der  arbeitsteiligen  Landwirt- 
schaft ist  der  Umstand,  daß  solche  Gegenden,  die  einem  Betriebszweig 
sich  mit  besonderer  Sorgfalt  widmeten ,  gerade  hierdurch  einen  Auf- 
schwung zu  verzeichnen  haben ,  wie  dies  in  Deutschland  an  vielen 
Beispielen  konstatiert  werden  kann.  Aber  auch  von  den  einzelnen 
Landwirtschaftsbetrieben,  in  denen  man  das  Prinzip  der  Arbeitsteilung 
anzuwenden  gesucht  hat,  ist  zu  konstatieren,  daß  dies  mit  einem 
pekuniär  sehr  günstigen  Erfolg  geschehen  ist.  Von  allen  den  oben 
als  Beispiel  durchgeführter  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft  er- 
wähnten Betrieben  ist  ein  recht  günstiges  Prosperieren  zu  konstatieren. 
Man  wird  oft  finden,  daß  Landwirte,  die  sich  mehr  auf  Kultivierung 
eines  Betriebszweiges  warten,  bald  ihre  Fachgenossen  mit  vielgestaltigem 
Hauswirtschaftsbetrieb  überflügelten. 

An  dieser  Stelle  mag  auch  darauf  hingewiesen  sein,  daß  das 
Prinzip  der  Sicherheit  der  Erträge,  welches  man  dem  sehr  viel- 
seitigen Betrieb  einräumte,  durchaus  nicht  ganz  zutreffend  ist.  Material 
hierzu  bieten  die  Untersuchungen  Hecke's  1),  der  ermittelte,  daß  unter 
den  verschiedensten  Verhältnissen  verschiedene  Früchte,  beispielsweise 
Hafer  und  Weizen,  allerdings  in  einzelnen  Jahren  verschiedene  Erträge 
ergeben ,  wonach  es  als  richtig  erscheinen  muß,  den  ganzen  Betrieb 
nicht  auf  eine  Frucht  zu  basieren.  Es  wird  aber  dann  weiter  ermittelt, 
daß  in  besserem  Klima  die  Schwankungen  in  verschiedenen  Jahren  viel 
geringer  sind  als  wie  in  schlechterem  Klima,  wonach  gerade  in  günstigen 
klimatischen  Verhältnissen  Einseitigkeit  des  Betriebes  weniger  gefähr- 
lich erscheint.  Dann  kommt  aber  für  uns  das  hochwichtige  Resultat, 
daß  eine  überraschende  Gleichmäßigkeit  der  Erträge  mehrerer  Kultur- 
pflanzen im  Durchschnitt  mehrerer  Jahre  stattfindet,  daß  also  die  Sicher- 
heit des  Betriebes,  die  man  durch  vielseitigen  Anbau  erreichen  will, 
gerade  so  gut  erreicht  wird,  wenn  man  mit  wenigen  Kulturpflanzen 
den  Betrieb  auf  eine  so  lange  Reihe  von  Jahren  basiert,  daß  der 
Erntedurchschnitt  erreicht  wird.  Es  wird  also  ein  Pächter,  der  nur 
auf  ganz  wenige  Jahre  Grund  und  Boden  bewirtschaftet,  durch  eine 
einseitige  Produktion  in  großen  Schaden  kommen  können,  dagegen 
weniger,  wenn  auf  genügend  lange  Zeit  die  Pachtung  währt,  damit 
gute  und  schlechte  Ernten  sich  in  dieser  Zeit  ausgleichen  können,  wobei 
natürlich  Vorbedingung  ist,  daß  in  guter  Zeit  für  die  schlechte  Zeit 
die  nötiven  Reserven  zurückgelegt  werden.  Diese  Verhältnisse  treffen 
ebenso  für  Handelsfrüchte  wie  Getreide  wie  Futterpflanzen  zu,  sind 
aber  bezüglich  der  letzteren  anders  zu  betrachten  als  bezüglich  der 
beiden  ersten,  weil  eine  Stetigkeit  in  der  Futterproduktion  behufs 
Haltung  eines  gleichmäßigen  Viehstapels  sehr  wichtig  ist.  Hiervon 
noch  später. 


t 


1)  Hecke,   Die  Schwankung  d.  Roh-  u.  Reinertrags  einz.  Landgüter.     Wien   1887. 

23* 


356  Backhaus, 

Ich  möchte  aber  sodann  die  Ansicht  aussprechen,  daß  im  allge- 
meinen dem  Landwirt  bei  Beachtung  der  natürlichen  Verhältnisse  und 
in  Rücksicht  auf  die  Absatzverhältnisse  so  sehr  viele  Kulturpflanzen 
überhaupt  nicht  eine  Garantie  für  Sicherheit  der  Erträge  bieten,  daß 
nur  verhältnismäßig  wenig  Kulturpflanzen  bei  einer  strengen  Auswahl 
als  rentabel  übrig  bleiben.  Es  giebt  Beispiele  genug,  daß  Landwirte, 
die  auf  Grund  von  Empfehlungen  verschiedene  neue  Kulturpflanzen 
einführten,  ihren  Betrieb  durch  Aufnahme  verschiedener  Handels- 
früchte etc.  recht  vielgestaltig  und  rentabel  zu  machen  suchten  und 
bedeutend  geringere  Erträge  von  ihren  Gütern  hatten,  als  wie  andere 
Landwirte,  die  bei  den,  als  volltragend  und  sicher  erprobten  Früchten 
blieben. 

Einen  Beleg  hierfür  finde  ich  in  den  „landwirtschaftlichen  Erfah- 
rungen und  Einrichtungen  eines  schlesischen  Gutspächters  der  Neu- 
zeit" *).  Der  betreffende  Landwirt  berichtet,  daß  er  versuchte,  statt  des 
seither  betriebenen  Getreide-  und  Kartoffelbaues  Handelsgewächsbau 
aller  Art  einzurichten;  er  baute  außer  Zuckerrüben  Flachs,  der  im 
Stroh  verkauft  werden  mußte,  dann  statt  des  zu  billigen  Rapses  weißen 
Senf,  ferner  blauen  Mohn  und  große  Linsen.  Die  Erträge  von  diesen 
Früchten  stellten  sich  aber  bald  als  ziemlich  unsicher  heraus  bei  ver- 
hältnismäßig großen  Auslagen  und  es  zeigte  sich  der  Anbau  so  un- 
lohnend, daß  alle  diese  Früchte  bis  auf  die  Zuckerrüben  wieder  auf- 
gegeben wurden. 

Ein  weiterer  Beleg  bietet  sich  aus  dem  Göttinger  Versuchsfeld. 
Dort  war  von  Prof.  Drechsler 2)  im  Jahre  1873  ein  Teil  des  Ver- 
suchsfeldes zu  Versuchen  über  verschiedene  Fruchtfolge  und  Wirt- 
schaftssysteme eingerichtet  worden,  womit  gleichzeitig  auch  weitere 
Fragen  in  Bezug  auf  Statik  und  Düngung  gelöst  werden  sollten. 

Feld  B  wurde  angelegt  zu  9  Schlägen  ä  10  Ar  und  sollte  nach 
einer  aus  der  Dreifelderwirtschaft  abgeleiteten  rationellen  Fruchtfolge 
bestellt  werden.  Als  der  Zweck  des  Feldes  wird  insbesondere  ge- 
nannt „Erzielung  der  unter  den  gegebenen  Verhältnissen  höchst  mög- 
lichen Erträge"  und  die  ganze  Behandlung  dieses  Feldes  wurde  von 
vornherein  entsprechend  diesem  Zwecke  ausgeführt.  Insbesondere 
wurden  Handelsgewächse  gebaut  und  versucht,  den  Boden  vor  der  Raps- 
bestellung noch  möglichst  hoch  auszunutzen.  Wenn  die  Aussaat  des 
Rapses  mißrät  und  umgepflügt  werden  muß,  sollte  Dotter  oder  Mohn 
gebaut  werden.     Die  Fruchtfolge  war: 

1)  Winterwicken 

2)  Raps 

3)  Roggen 

4)  Erbsen 

5)  Weizen 


1)  Deutsch,  landwirtsch.  Presse  1893,  No.  93. 

2)  Drechsler,  Das  landwirtsch.  Stud.  a.  d.  Univers.  Göttingen  1875  u.  1885. 


Die  Arbeitsteilung  in   der  Landwirtschaft.  357 

6)  Rüben 

7)  Gerste 

8)  Klee 

9)  Weizen. 

Das  Feld  C,  3  Felder  ä  10  Ar,  wurde  dagegen  nach  der  Frucht- 
folge : 

1)  Brache,  besömniert 

2)  Winterfrucht, 

3)  Sommerfrucht, 

also  Dreifelderwirtschaft  bebaut,  und  es  kamen  hier  die  Früchte  Kar- 
toffeln, Roggen,  Hafer  und  in  den  Jahren  1876,  77,  78  und  80  statt 
des  Hafers  Gerste  und  Sommerweizen  zum  Anbau.  Im  Jahre  1879 
und  86  wurde  auch  noch  etwas  Sommerweizen,  vermutlich  für  ausge- 
gangene Winterfrucht  angebaut. 

Ich  stelle  nun  eine  Berechnung  über  die  Bruttogelderträge  dieser 
beiden  Felder  während  der  Jahre  1874 — 90,  von  denen  mir  die  Ernte- 
erträge nach  dem  Bestellungs-  und  Ernteregister  des  Versuchsfeldes 
vorliegen.  Als  Preise  habe  ich  die  Durchschnittspreise  der  20  Jahre 
1868 — 1887  nach  der  preußischen  Statistik  zu  Grunde  gelegt,  weil  es 
mir  richtiger  erschien  diese  Preise  zu  verwenden ,  als  wie  die  wirk- 
lichen erlösten  Preise,  indem  doch  von  dem  Versuchsfeld  die  kleinen 
Qualitäten  nicht  in  der  besten  Weise  immer  verwertet  werden  können. 
Für  Mohn  war  es  mir  jedoch  nicht  möglich,  Preise  aus  der  Statistik 
zu  ermitteln,  weshalb  hierfür  die  bei  dem  Verkauf  erlösten  Preise  ein- 
gesetzt wurden.  Für  Dotter  ermittelte  ich  Preise  durch  Auszug  aus 
dem,  für  diese  Frucht  in  der  deutschen  landwirtschaftlichen  Presse  in 
dem  betreffenden  Jahre  angegebenen  Marktpreise.  Für  Raps  wurden 
von  den  Jahren  1881  und  82  die  wirklich  erzielten  Erlöse  eingesetzt, 
von  den  Jahren  1876  und  79,  von  welchem  ich  die  erzielten  Geld- 
erlöse nicht  ermitteln  konnte,  Marktpreise  nach  derselben  Ermittelung 
wie  bei  dem  Dotter.  Von  Heu  und  Stroh  wurden  ebenfalls  Markt- 
preise eingesetzt  und  von  denjenigen  Futtermitteln,  die  im  allgemeinen 
keine  Marktpreise  haben,  als  Pferdebohnen,  Runkeln ,  Winterwicken 
(Körner  und  Stroh),  Erbsenstroh,  Grünmais,  wurden  die  Preise  nach 
der  bekannten  Surrogatrechnung,  indem  zunächst  der  Preis  einer  Futter- 
werteinheit im  Heu  berechnet  wurde  und  dieser  Preis  dann  für  die 
Futterwerteinheit  in  den  anderen  Futtermitteln  eingesetzt  wurde.  Es 
wurde  sich  hierbei  nach  den  Gehaltszahlen  von  Wolff  gerichtet  und 
das  Verhältnis  von  verdaulichem  Protein  zu  Fett  zu  stickstofffreien 
Stoffen  wie  6:2,5:1  angenommen. 

Die  Geldertragsrechnung  stellt  sich  danach  wie  folgt: 

(Siehe  Tabelle  auf  S.  358.) 

Man  ersieht  aus  diesen  Zusammenstellungen ,  daß  bei  der  vielsei- 
tigen Bewirtschaftungsweise  des  Feldes  B,  bei  dem  starken  Anbau 
von  Handelsgewächsen,  bei  der  strengen  Einhaltung  des  Fruchtwech- 
sels, absolut  nicht  die  Absicht  des  Versuchs  erreicht  wurde,  nämlich 
den  höchst  möglichsten  Reinertrag  zu  erzielen,  daß  vielmehr  bei  der 
Dreifelderwirtschaft  des   Feldes  C   ein   bedeutend  höherer  Geldertrag 


358 


B  ackhaus, 


Einzelpreis 

Erntefeld   C. 

pro    100   kg 

Geldbt 

trag 

M. 

Pf. 

M. 

Pf. 

Roggen 

4  608,6    kg    Körner 

16 

50 

760 

41 

II  701.7     „     Stroh  und  Spreu 

4 

68 

547 

63 

Hafer 

6  242        ,,     Körner 

15 

08 

941 

29 

7  265        „     Stroh  und  Spreu 

4 

68 

340 

— 

Gerste 

797,7     ,,     Körner 

15 

77 

125 

79 

1  °77,4     >>     Stroh  und  Spreu 

4 

68 

50 

42 

Sommerweizen       325,0     ,,     Körner 

20 

24 

05 

78 

771        ,,     Stroh  und   Spreu 

4 

68 

36 

08 

Kartoffeln 

38  333       » 

5 

5i 

2112 

14 

Summa 

|  4979 

54 

Einzelpreis 

Ernte 

feld    B. 

pro    100   kg 

Geldbetrag 

M. 

Pf. 

M. 

Pf. 

Dotter 

19      kg 

Körner 

28 

38 

5 

39 

I09 

Stroh  und  Spreu 

4 

68 

5 

10 

Mohn 

728        „ 

532  kg  ä  28        Pf.  =  148,96 
90  „  „  35          »    =    31.50 

I  402        „ 

106   „  „  36,50    „    =     38.69 

4 

68 

219 

65 

15 

Stroh  und  Spreu 

61 

Mais  (Grünfutter) 

7  700       „ 

I 

16 

89 

32 

Sommerweizen 

559       ., 

Körner 

20 

24 

113 

H 

1518       „ 

Stroh  und  Spreu 

4 

68 

7i 

04 

Wintergerste 

186       „ 

Körner 

15 

77 

29 

33 

942       „ 

Stroh  und  Spreu 

4 

68 

44 

08 

Pferdebohnen 

250 

Körner 

16 

19 

40 

47 

260      „ 

Stroh  und  Spreu 

5 

69 

H 

79 

Weizen 

9  986,4    ,, 

Körner 

20 

24 

2  021 

24 

24  008       ,, 

Stroh  und  Spreu 

4 

68 

1  123 

57 

Roggen 

5  187.5    „ 

Körner 

16 

50 

855 

93 

13988       „ 

Stroh  und  Spreu 

4 

68 

654 

63 

Sommergerste 

5°54>8    „ 

Körner 

15 

77 

797 

14 

7884.2    „ 

Stroh  und  Spreu 

4 

68 

368 

98 

Hafer 

667,0    ,. 

Körner 

15 

08 

100 

58 

2054,5    „ 

Stroh  und  Spreu 

4 

68 

96 

15 

Erbsen 

1  475.9    » 

Körner 

22 

13 

326 

62 

3  598       „ 

Stroh  und  Spreu 

4 

54 

163 

34 

Buschbohnen 

1  344       » 

Körner 

30 

02 

403 

46 

789       „ 

Stroh  und  Spreu 

4 

68 

36 

92 

Kleegrasheu 

11  694       „ 

6 

60 

77i 

80 

Kartoffeln 

12  545       .. 

5 

5i 

691 

22 

Runkeln 

131  855       ,. 

1 

47 

1938 

26 

Winterwicken 

1  022,3    ,, 

Körner 

16 

92 

172 

97 

5614       .. 

Stroh 

4 

67 

262 

17 

Raps                835   kg    Körner 

260  kg  ä  24,50  M  =  63,70  M. 

260  „  „30,58  „  =79.50  „ 

2960       ,, 

315  „  „23,28  „  —  73.33  ., 

4 

68 

216 

138 

53 

Stroh  und  Spreu 

52 

Summa     |  II  837   |    45 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  359 

erzielt  wurde.  Beachtet  man,  daß  das  Feld  C  nur  30  Ar  groß  ist, 
so  würde  bei  dieser  Bewirtschaftuugsweise  auf  einem  Feldstück  von 
der  Größe  wie  B  ein  Bruttoertrag  von  14  938,^2  M.  erzielt  worden  sein, 
während  auf  Feld  B  nur  11  837,45  M.  sich  ergeben.  Auf  die  Unkosten  der 
Produktion  braucht  man  bei  derartigen  Differenzen  gar  nicht  weiter  ein- 
zugehen, indem  sie  das  Resultat  doch  nicht  erheblich  verändern.  Die 
Dünguug  wurde  genau  nach  dem  Nährstoffbedarf  der  Gewächse  gere- 
gelt, wie  dies  Drechsler  in  seiner  „Statik  des  Landbaues",  Göttingen 
1869  näher  dargelegt  hat  und  es  dürften  auf  beiden  Feldern  sich 
hierin  keine  großen  Verschiedenheiten  ergeben.  Die  Kosten  der  Bear- 
beitung sind  jedenfalls  auf  Feld  B  noch  höher  wie  auf  F'eld  C  durch 
den  stärkeren  Hackfrucht-  und  Handelsfruchtbau. 

Ich  gebe  selbst  zu,  daß  gegen  Einzelheiten  der  soeben  vorgeführten 
Berechnungen  sich  Einwände  erheben  lassen,  daß  es  z.  B.  richtiger 
erscheint,  die  Ernteerträge  der  einzelnen  Jahre  nach  dem  Durchschnitts- 
preise desselben  Jahres  zu  bewerten  und  nicht  also  die  Gesamternte- 
erträge nach  Gesamtdurchschnittspreisen.  Es  kann  getadelt  werden, 
daß  die  Stroh-,  Spreu-  und  Heuerträge  nach  Marktpreisen  berechnet 
worden  sind.  Indessen  werden  nach  angestellter  Kalkulation  auch  durch 
andere  Berechnungsmodi  die  Hauptresultate,  um  die  es  sich  hier  han- 
delt, nicht  irritiert  und  auch  gegen  andere  Berechnungsmodi  liegen 
Bedenken  vor. 

Schwierigkeiten   der  Arbeitsteilung  in  der  Land- 
wirtschaft. 

Natürliche  uud  wirtschaftliche  Schwierigkeiten  verschiedenster  Art 
sind  es,  die  der  vermehrten  Anwendung  der  Arbeitsteilung  in  der  Land- 
wirtschaft, so  sehr  nach  den  im  vorigen  Abschnitt  gegebenen  Ausfüh- 
rungen viele  Vorteile  dadurch  herbeigeführt  werden  können,  sich  gegen- 
überstellen. Ich  will  hier  hauptsächlich  die  Schwierigkeiten  der  wirt- 
schaftlichen Arbeitsteilung  behandeln,  da  die  technische  Arbeitsteilung 
nach  dieser  Richtung  hin  genügend  bekannt  und  in  der  Litteratur 
eingehender  behandelt  ist. 

Es  ist  selbstverständlich,  daß  bei  Organisation  einer  Landguts- 
wirtschaft man  nur  solche  Betriebszweige  ins  Auge  fassen  kann  ,  die 
unter  den  lokalen  natürlichen  Verhältnissen  gedeihen.  In  erster  Linie 
ist  hier  das  Klima  ausschlaggebend  und  beeinflußt  die  Auswahl  der 
Kulturpflanzen  wie  der  Haustierarten ;  in  zweiter  Linie  ist  es  die  Be- 
schaffenheit des  Bodens,  so  sehr  man  auch  durch  die  neueren  Fort- 
schritte in  der  Landwirtschaft  das  Gedeihen  der  Kulturpflanzen  durch 
eine  rationelle  mechanische  und  chemische  Bearbeitung  des  Bodens 
von  der  Beschaffenheit  desselben  unabhängiger  als  früher  machen 
konnte. 

Sind  unter  den  gegebenen  Verhältnissen  die  zweckmäßigsten  Kultur- 
pflanzen ausgewählt,  so  ist  es  kein  Zweifel,  daß  durch  eine  sehr  ge- 
ringe Anzahl  derselben,  womöglich  durch  eine  einzige  Kulturpflanze 
eine    sehr   einseitige   Ausnutzung   der   Bodenkräfte    statt- 


360  Backhaus, 

findet,  so  daß  die  Ausgleichung  dieser  Nachteile  entweder  ganz  unmög- 
lich wird  oder  mit  so  großen  Kosten  verknüpft  ist,  daß  der  Reinertrag 
des  betreffenden  Anbaues  zu  sehr  reduziert  wird.  Man  ist  allerdings 
heute  durch  die  künstliche  Düngung  in  der  Lage ,  die  Nährstoffe  des 
Bodens,  die  durch  solche  einseitige  Produktion  entzogen  sind,  wieder 
genügend  zurückzuerstatten.  Dadurch  ist  also  das  chemische  Gleich- 
gewicht wohl  verhältnismäßig  leicht  herzustellen,  aber  hierbei  muß 
doch  gerade  der  Kostenpunkt  sehr  eingehend  in  Erwägung  gezogen 
werden  und  vielfach  wird  sich  die  Kalkulation  so  stellen,  daß  durch 
Auswahl  mehrerer  Kulturpflanzen  durch  eine  bessere  Ausnutzung  der 
Bodenstoffe  und  eine  deshalb  nur  geringere  Düngung  die  Bewirtschaf- 
tung eine  zweckmäßige  ist. 

Es  kommt  ferner  in  Betracht ,  daß  die  Pflanzen  ihren  Nährstoff- 
bedarf aus  verschieden  tiefen  Bodenschichten  entnehmen ,  daß  manche 
Kulturpflanzen  in  lukrativer  Weise  stickstoffsammelnd,  andere  nur 
stickstoffzehrend  sind,  daß  die  Ansprüche  an  die  Konzentration  und 
Lösung  der  Nährstoffe  bei  den  einzelnen  Pflanzen  verschieden  sind,  daß 
durch  die  dichte  Belaubung  und  Beschattung  der  Blattpflanzen  auf 
den  physikalischen  Zustand  des  Bodens,  die  Feuchtigkeitsverhältnisse 
und  die  Unkrautvertilgung  vorteilhaft  eingewirkt  wird,  durch  die  Halm- 
früchte aber  nicht;  daß  die  Rückgabe  an  humusbildender  organischer 
Substanz  durch  Wurzelrückstände  und  oberirdische  Teile  bei  den 
Kulturpflanzen  sehr  verschieden  ist.  —  Alles  dies  sind  Gründe  dafür, 
daß  durch  Anbau  mehrerer  Früchte  eine  bessere  Bodenausnutzung  statt- 
findet. 

Es  ist  aber  unbestreitbar,  daß  durch  die  neuere  Landbautechnik 
immer  mehr  eine  öftere  Wiederkehr  der  Kulturpflanzen  und  Aufeinander- 
folge ermöglicht  wird ;  man  erkennt  dies  auffallend  daraus,  wie  ängst- 
lich die  früheren  Landbauschriftsteller  in  ihren  Empfehlungen  ähn- 
licher Früchte  auf  demselben  Felde  waren.  Thaer  schreibt  z.  B. l) : 
„Weizen  in  seine  eigene  Stoppel  gesät,  mißrät  so  sehr,  daß  man  fast 
nichts  Schlechteres  bauen  kann."  „Der  Weizen  nach  Gerste  schlägt 
sehr  zurück."  „Weizen  nach  Lein  gerät  ärmlich".  Man  wird  heute 
solche  strenge  Regeln  im  allgemeinen  nicht  mehr  aufstellen. 

Ein  weiterer  Uebelstand  ist  der,  daß  bei  einem  sehr  einseitigen 
Anbau  der  Kulturpflanzen  die  tierischen  und  pflanzlichen 
Parasiten  derselben  so  stark  sich  vermehren,  daß  eine  öftere  Wieder- 
kehr dieser  Kulturpflanzen  auf  demselben  Feldstücke  sich  verbietet. 
Allerdings  hat  man  in  der  Bekämpfung  dieser  Parasiten  großartige 
Fortschritte  in  der  letzten  Zeit  gemacht,  aber  man  beherrscht  diese 
Kalamität  absolut  sicher  nicht. 

Für  einen  einseitigen  Anbau  von  Getreide  und  von  Handelsge- 
wächsen in  einer  Wirtschaft  ist  sodann  der  Rückersatz  der  ent- 
nommenen Bodenstoffe  ein  schwieriges  Problem  und  verbietet  viel- 
fach ebenfalls  die  einseitige  Durchführung.  Man  wird  nämlich  in  den 
meisten  Fällen  hierbei  zu  der  Ueberzeugung  kommen,   daß  der  Rück- 


1)  Thaer's,  Grundsätze  der  rationellen  Landwirtschaft,  Berlin   1880,  S.  827. 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  361 

ersatz  am  zweckmäßigsten  nicht  durch  käufliche  Düngemittel  gegeben 
wird,  sondern  durch  die  in  der  Wirtschaft  erzielten  Duugstoffe,  d.  h. 
man  wird  es  als  das  Ratsamste  erachten,  neben  Getreide  und  Handels- 
gewächsen auch  Futter  zu  bauen,  um  eine  Viehhaltung  zu  ermöglichen 
und  den  Stalldünger  zur  Düngung  zu  verwenden,  womit  also  die  Wirt- 
schaft einen  vielseitigeren  Charakter  annimmt.  Daß  bei  dieser  Frage 
des  Wiederersatzes  nur  diejenigen  I'tianzenstotfe  berücksichtigt  zu  werden 
brauchen ,  die  wirklich  in  der  Abnahme  begriffen  sind  und  nicht  die- 
jenigen ,  die  auf  unabsehbare  Zeit  hinaus  in  genügender  Quantität  im 
Boden  vorhanden  sind,  ist  selbstverständlich. 

WTir  kommen  zu  den  wirtschaftlichen  Schwierigkeiten.  Wo  Ein- 
richtungen, wie  Flurzwang,  übermäßige  Feldzerstückelung  noch  bestehen, 
wird  natürlicherweise  jede  freie  Bewegung  des  Wirtschaftens  gehemmt 
und  dort  mag  auch  die  Einführung  eines  arbeitsteiligen  Betriebes  für 
den  Einzelnen  unmöglich  sein,  allerdings  nicht  für  die  Gesamtheit,  die 
zunächst  jene  hindernden  Einrichtungen  aus   dem  Weg   räumen   muß. 

Wenn  die  Landwirtschaft  nach  den  Prinzipien  der  Arbeitsteilung 
eingerichtet  ist,  so  wird  dadurch  ein  größerer  Austausch  der 
Produkte  zwischen  den  einzelnen  Landgütern  als  auch  zwischen  dem 
Land  und  den  übrigen  Erwerbszweigen  hervorgerufen ;  es  wird  also 
der  Handel  dadurch  außerordentlich  vermehrt,  resp.  ein  gut  einge- 
richtetes Handelswesen  ist  die  Vorbedingung  für  solche  Betriebsweise. 
Leider  ist  aber  gerade  in  Deutschland  der  Handel  nicht  in  der  WTeise 
entwickelt,  daß  er  der  Einführung  einer  stärkeren  Arbeitsteilung  in 
der  Landwirtschaft  keine  Schwierigkeiten  in  den  Weg  legt.  Aus  allen 
Landesteilen  hört  man  Klagen  über  den  schlecht  entwickelten,  ja  un- 
reellen Zwischenhandel.  Von  Baden  wird  z.  B.  in  der  oben  erwähnten 
Enquete  berichtet,  wie  dort  ganz  weit  verbreitet  eine  grobe  Uebervor- 
teilung,  ja  selbst  Bewucherung  der  Landwirte  durch  den  Zwischen- 
handel stattfindet. 

Wenn,  wie  es  in  Deutschland  der  Fall  ist,  das  Getreide  von  dem 
kleineren  Landwirt  durch  einen  hausierenden  Händler  aufgekauft,  von 
diesem  dann  nach  kostspieligem  Transport  an  einen  größeren  Händler 
abgegeben  wird,  von  diesem  womöglich  noch  einmal  an  ein  Engros- 
geschäft verhandelt  wird,  alles  mit  umständlichen  Transporten  und 
bedeutenden  Kosten  durch  Lagerung  in  unpraktischen  Lagerräumen 
verbunden ,  wenn  dann  von  dem  Engrosgeschäft  das  Getreide  an  den 
Müller  geht,  von  diesem  wiederum  nach  kostspieligen  Transporten  auf 
teuren  Eisenbahnen  mit  unpraktischen  Verladevorrichtungen  durch  eine 
oder  mehrere  Zwischenhändler  an  den  Bäcker,  der  durch  einen  ver- 
alteten Betrieb  und  viele  unnötige  Arbeitskräfte  sehr  viele  Unkosten 
in  seinem  Geschäft  hat  und  diese  auf  seine  Produkte  natürlich  auf- 
schlagen muß,  wenn  solche  Verhältnisse  herrschen,  so  ist  es  aller- 
dings für  den  Landwirt  besser,  selbst  zu  backen,  anstatt  das  Brot  von 
dem  Bäcker  zu  kaufen  oder  auch  nur  Roggen  oder  Mehl  von  Händ- 
lern zu  erstehen.  Auch  ein  Austausch  ihrer  Produkte  unter  den  Land- 
wirten selbst  wird  durch  solche  eben  skizzierten  ungünstigen  Handels- 
zustände  erschwert,   weil  die  Preise  des  Getreides  durch  die  Art  und 


362  Backhaus, 

Weise  dieses  Handels  beeinflußt  und  die  Landwirte,  wenn  sie  jene 
Preise  bei  ihrem  Austausch  zu  Grunde  legen,  nicht  die  thatsächlichen 
Werte  ihrer  Produkte  sich  gegenseitig  vergüten. 

In  Amerika,  wo  der  Farmer  sein  produziertes  Getreide  in  dem, 
an  der  nächsten  Eisenbahnstation  gelegenen  Elevator  stets  nach  den 
Notierungen  der  großen  Börsenplätze  verkaufen  kann  oder  auch  das 
Getreide  dort  zum  Lagern  abliefern  und  den  empfangenen  Lagerschein 
sodann  an  jedem  Börsenplatz  selbst  verkaufen  kann,  wo  er  anderer- 
seits von  den  Elevators  nach  den  Börsenberichten  stets  Getreide  an- 
kaufen kann  und  dann  wieder  durch  vorzügliche  Transporteinrich- 
tungen, durch  außerordentlich  praktisch  eingerichtete  Mühlen  und 
Bäckereien  die  Unkosten  bei  der  Verarbeitung  des  Getreides  verhält- 
nismäßig gering  sind,  dort  ist  es  schon  eher  möglich,  daß  der  Farmer 
nur  ganz  wenige  Produkte  in  der  Wirtschaft  erzeugt,  diese  verkauft 
und  z.  B.  das  benötigte  Brot,  falls  er  selbst  keinen  Weizen-  oder 
Roggenbau  treibt,  wieder  ankauft. 

Wenn,  wie  es  bei  uns  vorkommt,  hausierende  Viehhändler  dem 
Landwirt  etwaiges  verkäufliches  Vieh  zu  niederen  Preisen  abschwatzen, 
wenn  dann  womöglich  ein  Tier  von  einem  Handelsmann  auf  den  Markt 
transportiert  wird,  also  der  Transport  dadurch  ein  sehr  teurer  wird, 
und  wenn  dann  das  Metzgergewerbe  so  arbeitet,  daß  beispielsweise  in 
einer  Göttiuger  Schlächterei  die  Verarbeitungskosten  pro  Schwein  sich 
auf  17,96  Mk.  stellen,  während  in  einem  großen  Schlachthaus  in  Chi- 
cago trotz  doppelt  hoher  Arbeitslöhne  die  Arbeitslohnkosten  pro  Schwein 
nur  auf  4,65  M.  sich  berechnen,  dann  thut  der  Landwirt  auch  besser, 
die  für  seinen  Hausbedarf  nötigen  Schlachtungen  selbst  vorzunehmen 
und  ev.  die  dafür  nötigen  Tiere  in  der  Wirtschaft  selbst  zu  produzieren, 
wenn  auch  die  anderen  Verhältnisse  hierfür  durchaus  nicht  günstig  sind. 

An  dieser  Stelle  muß  ein  schon  oben  gestreifter  Uebelstand  der 
wirtschaftlichen  Arbeitsteilung,  nämlich  die,  durch  einseitigen  Anbau 
bedingten  stärkeren  Schwankungen  im  Jahresertrag  und  Unsicher- 
heit des  Betriebes  noch  eingehender  berührt  werden.  Es  mag  nach 
dieser  Richtung  hin  wörtlich  ein  Urteil  angeführt  werden,  welches  in 
der  badischen  Enquete  angeführt  ist1):  „Die  Erhebungen  haben  in 
beiden  Beziehungen  dargethan,  bezw.  die  vorher  schon  bekannte  That- 
sache  bestätigt,  daß  je  vielseitiger  der  landwirtschaftliche  Betrieb  sich 
gestaltet  und  eine  je  mannigfaltigere  Benutzung  die  Beschaffenheit  des 
Bodens  und  des  Klimas  zuläßt,  um  so  mehr  befriedigendere  Zustände 
für  die  bäuerliche  Bevölkerung  sich  zu  entwickeln  pflegen  und  daß  die 
prekärsten  und  unter  Uinstäuden  kritischsten  Verhältnisse  sehr  leicht 
da  entstehen,  wo  alles  sozusagen  auf  eine  Karte  gesetzt  ist.  Im 
höchsten  Grade  ist  dies  bei  den  Rebgemeinden  der  Fall." 

Dieses  Urteil  scheint  jeder  Sympathie  für  stärkere  Arbeitsteilung 
in  der  Landwirtschaft  den  Todesstoß  zu  geben.  Dem  ist  jedoch  durch- 
aus nicht  so.  Bei  näherer  Betrachtung  der  Enqueteresultate  zeigt  sich 
nämlich,   daß  z.  B.  für  den  Rebort  Zell-Weiherbach  und  Efringen   die 


l)  Landwirtschaft!.  Enquete  von  Baden  1883,  S.   12. 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  363 

Weinerträgnisse  der  Jahre  1873 — 82  zu  Grunde  gelegt  wurden,  in 
welche  7  Fehljahre  fielen.  In  zwei  anderen  Reborten  erklärt  sich 
das  ungünstige  Resultat  der  betreffenden  Wirtschaft,  über  die  eine 
Rentabilitätsberechnung  angestellt  wurde,  dadurch,  daß  zwei  Verwandte 
mit  zu  verköstigen  sind  mit  einem  Aufwand  von  426  M.,  daß  ferner 
durch  vorhandenes  Kapitalvermögen  ein  wesentlich  besserer  Kosttisch 
geführt  wurde,  als  er  sonst  üblich  ist.  Ueberhaupt  sind  in  den  Reb- 
orten Badens  die  Unkosten  des  Haushalts,  insbesondere  der  Verköstigung 
höher  als   wie   an   anderen  Orten. 

Ich  habe  die  Enquetezahl  nach  letzterwähntem  Gesichtspunkt  einer 
speziellen  Berechnung  unterworfen  und  komme  dabei  zum  Resultat, 
daß  im  Durchschnitt  von  den  61  Wirtschaften  ohne  Weinbau,  über  die 
Rentabilitätsberechnungen  gegeben  sind,  die  Rente  vom  vorhandenen 
Vermögen  (Wert  des  Grund  und  Bodens  und  Betriebskapitals)  1,4  Proz. 
beträgt,  während  von  den  9  Wirtschaften  mit  Weinbau  die  Rente  im 
Durchschnitt  0,25  Proz.  ist. 

Rebwirt-  Nicht-Reb- 
schaften wirtschaften 
Es  stellt  sich  der  Aufwand  der  Verköstigung  pro  Tag  und  Person          67,1  Pf.        63,7  Pf. 
„       „        „       11           11          für  Kleidung           „    Jahr  „         „               55,00  M.        52,3  M. 

Hierzu  ist  noch  zu  bemerken,  daß  in  den  Rebwirtschaften  man 
es  mit  verhältnismäßig  kleineren  Betrieben  zu  thun  hat  als  in  den 
Nichtreborten,  wo  doch  recht  viele  große  Bauerngüter  vorhanden  sind, 
so  daß  der  Aufwand  für  Verköstigung  und  Kleidung  in  Anbetracht 
der  Vermögensverhältnisse  in  den  Reborten  sich  zu  hoch  stellt.  Es 
repräsentiert  der  allein  in  den  Rebwirtschaften  im  Haushalt  gebrauchte 
Wein  und  das  sogen.  Tresterwasser  eine  solche  Summe,  daß  dieselbe 
0,867  Proz.  des  Vermögenswertes  ausmacht,  daß  also  die  Rente  sich 
durch  Ausfall  dieser  Summe  um  0,867  Proz.  erhöhen  würde,  wonach 
also  zwischen  den  Reborten  und  Nichtreborten  durchaus  kein  sehr 
großer  Unterschied  besteht.  Bedenkt  man  dann  weiter,  daß  gerade 
die  Reborte  sehr  stark  bevölkert  sind,  daß  auch  in  denselben,  wie  in 
der  Enquete  nachgewiesen,  vielfach  überflüssige  Arbeitskräfte  vor- 
handen sind,  beachtet  man  die  in  der  Enquete  angenommenen  un- 
günstigen Ertragsjahre,  so  muß  man  sagen,  daß  durch  diese  Enquete 
eher  das  Gegenteil  bewiesen  wird,  als  in  dem  oben  wörtlich  angeführten 
Ausspruche  des  Berichts  gesagt  wird,  nämlich,  daß  gerade  durch  den 
einseitigen  Betrieb  des  Weinbaues  noch  ein  hoher  Ertrag  erzielt  wird. 

Allerdings  ist  aus  den  badischen  Verhältnissen  ersichtlich,  daß 
bei  einem  derartigen  einseitigen  Betrieb  und  Handelsgewächsbau,  wie 
es  in  den  Weinwirtschaften  der  Fall  ist,  es  unbedingt  nötig  ist,  daß 
in  günstigen  Jahren  Reserven  für  ungünstige  erspart  und  daß  in  solchen 
guten  Zeiten  auch  die  Lebensverhältnisse  nicht  über  das  richtige  Maß 
gesteigert  werden  dürfen. 

Es  scheint  mir  also  auch  durch  diesen  Enquetebericht  und  durch 
ähnliche  Ausführungen  nicht  erwiesen,  daß  der  vielseitige  Betrieb  im 
allgemeinen  der  vorteilhafteste  sei.  Ich  möchte  deshalb  auf  dem  oben 
schon   erwähnten  Standpunkt   beharren,    nämlich,   daß   allerdings   bei 


364  Backhaus, 

einseitigerem  Kulturpflanzenanbau  große  Schwankungen  in  den  Jahres- 
erträgen vorhanden  sind,  wie  es  namentlich  in  den  angeführten  Unter- 
suchungen von  Hecke  erwiesen  ist,  daß  jedoch  für  Getreidebau  und 
Handelsgewächsbau  die  Jahresschwankungen  keine  bedeutende  Schwie- 
rigkeit für  vermehrte  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft  bieten,  weil 
in  einer  bestimmten  Reihe  von  Jahren  die  Erträge  doch  wieder  sich 
ausgleichen,  daß  aber  in  Bezug  auf  Futterproduktion  andere  Ver- 
hältnisse herrschen.  Hier  muß  auf  Stetigkeit  des  Futterertrages  hin- 
gearbeitet werden;  es  sind  deshalb  mehrere  Futterpflanzen  anzubauen 
resp.  Gemengesaaten  auszuführen,  um  durch  die  Schwankungen  ein- 
zelner Kulturpflanzen  nicht  in  Schaden  zu  kommen. 

Ueberhaupt  sind  sog.  Gemengesaaten  nach  unserer  Beziehung  hin 
wie  einfache  Früchte  zu  betrachten,  da  die  Unkosten  der  Saat,  Pflege, 
Ernte  und  Verwertung  dieselben  sind. 

In  der  landwirtschaftlichen  Betriebslehre  findet  man  bezüglich  der 
Wirtschaftsorganisation  von  Seiten  der  meisten  Autoren  die  Empfehlung, 
eine  möglichste  Ausgleichung  der  landwirtschaftlichen  Arbeiten  anzu- 
streben, d.  h.  also  mit  anderen  Worten  eine  verhältnismäßig  hohe  Viel- 
seitigkeit des  Betriebes  anzustreben,  weil  ja  gerade  bei  dem  einseitigen 
Betrieb  auch  die  Arbeiten  sich  auf  bestimmte  Jahreszeiten 
stark  anhäufen.  Es  liegt  allerdings  eine  der  größten  Schwierig- 
keiten der  Durchführung  der  wirtschaftlichen  Arbeitsteilung  der  Land- 
wirtschaft in  diesem  Punkte.  Im  allgemeinen  muß  jedoch  eine  der- 
artige Empfehlung,  wie  sie  eben  genannt  wurde,  nicht  als  die  richtige 
bezeichnet  werden.  Es  ist  überhaupt  schwierig,  hierfür  allgemeine 
Regeln  aufzustellen;  man  muß  vielmehr  im  einzelnen  Fall  Berechnung 
und  Kalkulation  anstellen.  Ein  thatsächliches  Beispiel  liegt  vor,  daß 
auf  einem  Gut  von  300  ha  Größe  die  Einfügung  eines  Rapsschlages 
von  12,5  ha  in  dem  Ackerbaubetrieb  sehr  zweckmäßig  erschien,  weil 
hierbei  die  Arbeiten  für  die  Rapsbestellung  und  auch  die  Bearbeitung 
des  Feldes  nach  Raps  während  der  arbeitsfreien  Sommerzeit  geschehen 
und  in  der  sehr  drängenden  Herbstbestellungszeit  dann  ein  Pferde- 
gespann weniger  gehalten  werden  konnte.  Man  war  in  diesem  Falle 
wohl  davon  überzeugt,  daß  z.  B.  Weizenbau  statt  Raps  einen  viel 
höheren  Ertrag  geben  würde,  daß  der  Raps  auch  eine  gewisse  Viel- 
seitigkeit in  den  Betrieb  brachte,  weil  hauptsächlich  als  Winterfrüchte 
Weizen  und  Roggen  gebaut  wurde.  Wenn  man  jedoch  berechnet,  daß 
das  für  Durchführung  des  Weizenbaues  auf  dem  betreffenden  Schlage 
nötige  Pferdegespann  auch  während  des  übrigen  Teils  des  Jahres  un- 
produktiv gehalten  werden  muß  und  dadurch  der  Weizenbau  bei  2500  M. 
Jahreskosten  eines  Pferdegespanns  um  200  M.  pro  ha  sich  verteuert, 
wenn  man  weiter  beachtet,  daß  die  günstige  Vorfruchtwirkung  des 
Rapses  etwa  auf  80  M.  pro  ha  anzuschlagen  ist,  so  stellt  sich  der 
Unterschied  zwischen  Raps  und  Weizenbau  zu  gunsten  des  ersteren 
auf  280  M.  pro  ha,  eine  Summe,  die  durch  höhere  WTeizenernte  nicht 
eingebracht  werden  kann,  da  der  Mehrertrag  des  Weizens  höchstens 
auf  200  M.  pro  ha  anzuschlagen  ist.  Wenn  aber  etwa  durch  Annahme 
von   Lohnl'uhrwerk  die  Weizenbestellung  und   Bearbeitung  des  Feldes 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  365 

nach  dem  Weizen  in  dieser  Wirtschaft  ohne  erhebliche  Mehrkosten 
ausgeführt  werden  könnten,  so  würde  der  WTeizenbau  doch  als  das 
Richtige  erscheinen.  Es  dürften  auch  wirklich  durch  den  Bestellungs- 
und Ernteaufvvaud  einige  Mehrkosten  für  den  Weizen  gegenüber  dem 
Raps  erwachsen  und  es  würde  dennoch  bei  200  M.  Differenz  ein  Vorteil 
gegenüber  dem  Weizenbau  verbleiben  können. 

Wie  mit  den  Gespannarbeiten  verhält  es  sich  auch  mit  den  Hand- 
arbeiten. Durch  einseitige  Wirtschaftsbetriebe  werden  die  Handarbeiten 
auf  manchen  Zeiten  zu  sehr  angehäuft  und  man  muß  einen  vielseitigeren 
WTirtschaftsbetrieb  einrichten,  um  die  Arbeiter  stets  nutzbringend  be- 
schäftigen zu  können.  Wenn  z.  B.  in  einer  Wirtschaft  Roggen  und 
Kartoffeln  als  rentabelste  Früchte  betrachtet  werden  müssen,  so  wird 
doch  etwa  die  Einführung  von  Kleebau  als  nötig  erscheinen,  um  die 
Arbeitskräfte  zwischen  Kartoffelbestellung  und  Roggenernte  und  anderer- 
seits zwischen  Roggenernte  und  Kartoffelernte  durch  den,  in  diese 
Periode  fallenden  ersten  und  zweiten  Kleeschnitt  beschäftigen  zu  können. 

Diese  Verteilung  der  Arbeit  ist  also  ein  wesentlicher  Hinderungs- 
grund für  Anwendung  der  wirtschaftlichen  Arbeitsteilung  in  der  Land- 
wirtschaft. Es  muß  aber  darauf  aufmerksam  gemacht  werden,  daß 
doch  mannigfaltige  Einrichtungen  zur  Ueberwindung  dieser  Schwierig- 
keiten existieren. 

Um  starke  Gespannarbeiten  in  einzelnen  Perioden  zu  überwinden, 
können  z.  B.  vorübergehende  Ochsenhaltung,  Annahme 
von  Mietfuhrwerk,  Zuhilfenahme  des  Dampf  pfluges, 
Anlage  von  Feldeisenbahnen  dienen. 

Schwieriger  wird  der  Ersatz  menschlicher  Arbeitskräfte  in  solchen 
Hauptarbeitsperioden.  Dazu  dient  ja  einmal  die  Einrichtung  der 
Wanderarbeiter  oder  Sachsengänger.  Dies  ist  jedoch  ein  sehr  frag- 
liches Mittel,  denn  gerade  die  Wanderarbeiter  sind  Elemente,  die  den 
Geist  der  neueren  sozialistischen  Irrlehren,  der  Unzufriedenheit  und 
andere  Unzuträglichkeiten  in  die  ländliche  Arbeiterbevölkerung  hinein- 
bringen. Eine  ganze  Reihe  anderer  Momente  spricht  gegen  die  ver- 
mehrte Ausführung  der  Wanderarbeitereinrichtung  und  man  wird  gut 
thun,  so  viel  diese  Einrichtung  zu  vermeiden,  wie  es  möglich  ist.  Ganz 
wird  dies  jedoch  nicht  der  Fall  sein.  Jedenfalls  wird  für  den  Land- 
wirt in  pekuniärer  Hinsicht  auch  bei  höherer  Löhnung  der  Wander- 
arbeiter es  zweckmäßig  sein,  für  drängende  Arbeitsperioden  sich  solche 
zu  beschaffen  und  auch  für  die  Arbeiter  kann  dieses  System,  wenn 
sie  in  der  anderen  Jahreszeit  lohnenden  Verdienst  finden,  recht  vor- 
teihaft  sein. 

Eine  gewisse  Verteilung  der  Arbeiten  tritt  auch  bei  einseitigem 
Wirtschaftsbetrieb  ein,  wenn  von  den  ausgewählten  Kulturpflanzen  ver- 
schiedene Varietäten  angebaut  werden,  deren  Bestellung  und 
Erntezeit  verschieden  ist. 

Ein  oft  genanntes  Mittel  zum  Ersatz  menschlicher  Arbeitskräfte 
während  landwirtschaftlicher  Hauptarbeitsperiode  ist  eine  stärkere  An- 
wendung der  Maschinenarbeit.  In  dieser  Beziehung  ist  man  in  der 
deutschen  Landwirtschaft  gegenüber  England  und  besonders  Amerika, 


366  Backhaus, 

wie  jeder,  der  die  Verhältnisse  in  diesen  Ländern  kennt,  eingestehen 
muß,  sehr  weit  zurück.  Man  ist  zum  Teil  zurück  in  dem  Maschinen- 
bau, indem  man  in  Deutschland  nicht  so  billige  und  zweckmäßige 
Maschinen  hat  als  z.  B.  in  Amerika  und  man  ist  zurück  in  der  Hand- 
habung und  der  Verwendung  der  Maschinen,  die  zum  Teil  eine  außer- 
ordentlich große  Ersparung  an  menschlichen  Arbeitskräften  erlauben  1). 
Ein  weiteres  Mittel  zur  Ueberwindung  dieser  Schwierigkeit  be- 
steht in  der  Steigerung  der  Leistungsfähigkeit  der  vor- 
handenen Arbeiter  während  der  Hauptarbeitszeiten.  Manchem 
Landwirt  wird  dies  unmöglich  und  derartige  Empfehlung  vielleicht 
lächerlich  erscheinen,  aber  es  läßt  sich  dieselbe  doch  wohl  realisieren. 
In  der  Industrie  werden  auch  bei  besonders  eiligen  Bestellungen  Ueber- 
stunden  gemacht.  Der  Regierungsbeamte  oder  der  Gelehrte  muß  auch 
zu  manchen  Zeiten  das  Zwei-  und  Dreifache  seiner  gewöhnlichen  Arbeit 
leisten.  So  läßt  sich  auch  in  der  Landwirtschaft,  insbesondere  durch 
vermehrte  Anwendung  von  Accord-  und  Prämienlöhnung  die  Leistungs- 
fähigkeit der  Arbeiter  ganz  bedeutend  für  die  drängenden  Arbeits- 
perioden steigern.  Freilich  darf  eine  derartige  außerordentliche  An- 
strengung nicht  während  der  weniger  drängenden  Arbeitszeit  fort- 
gesetzt werden,  da  sonst  der  Arbeiter  bald  erschlaffen  würde.  Wenn 
aber  der  Arbeiter  während  der  wichtigsten  Arbeitszeit  eine  gute  Leistung 
ausführt,  so  sollte  auch  von  Seiten  der  Landwirte  nicht  so  übermäßig 
Wert  darauf  gelegt  werden,  daß  sie  in  anderen  Zeiten  immer  nutz- 
bringend beschäftigt  werden.  Gerade  durch  solche  fortwährende  ängst- 
lich überwachte  Thätigkeit  wird  der  Arbeiter  schließlich  abgestumpft 
und  verliert  die  Lust,  wenn  es  nötig  ist,  auch  einmal  mehr  zu  leisten. 

Für  Einseitigkeit  in  der  Viehhaltung  besteht  eine  Schwierigkeit 
darin,  daß  die  Viehhaltung  sehr  oft  dazu  dienen  muß,  Abfälle  und 
Nebenprodukte  aller  Art  zu  verwerten  und  deshalb  eine  vielseitige 
Viehhaltung  erwünscht  ist.  So  erscheint  sehr  oft  Schweinehaltung  als 
notwendig,  um  die  Abfälle  der  Hauswirtschaft  zu  verwerten,  Schaf- 
haltung um  die  Stoppelweide  im  Herbst  auszunutzen  u.  s.  w.  Es  ist 
aber  zu  sagen,  daß  hier  auch  vielfach  falsche  Kalkulation  zu  Grunde 
gelegt  wird,  indem  sehr  oft  besser  derartige  Abfälle  und  Nebenprodukte 
verderben  würden,  als  mit  einer  unzweckmäßigen  Viehhaltung  dadurch 
den  Landwirtschaftsbetrieb  zu  beschweren;  auch  können  solche  Ab- 
fälle vielfach  anderweitig  verwertet  werden. 

Die  Lehre  Roschers  2),  daß  die  Grenze  der  Arbeitsteilung  von  der 
Ausdehnung  des  Markts  bedingt  sei,  findet  auch  in  der  Land- 
wirtschaft ihre  Bestätigung.  Es  kann  deshalb  die  Arbeitsteilung  in 
der  Landwirtschaft  nur  Platz  greifen,  wenn  ein  guter  Markt  für  die 
Landwirtschaftsprodukte  vorhanden  ist  und  wenn  auch  ein  regerer  Aus- 
tausch der  Produkte  zwischen  den  einzelnen  Landwirtschaftsbetrieben 
möglich    ist.     Das    letztere    trifft    für    kleinere    Distrikte    auf    keine 


1)  Vergl.    Backhaus ,    Landwirtsch.    aus  Chicago    u.  Am.     Hannov.    land-    und  forst- 
wirtsch.  Zeitg.  1893,  No.  38  u.  46. 

2)  Röscher,  Grundlage  d.  Nation.-Oekon.,  Stuttgart  1883,  S.   130. 


Die  Arbeitsteilung  in   der  Landwirtschaff.  367 

Schwierigkeiten,  während  eine  Arbeitsteilung  der  Landwirtschaft  in 
größeren  Ländergebieten  nur  dann  möglich  ist,  wenn  ein  gutes  Trans- 
portwesen den  Austausch  zwischen  den  einzelnen  Landgütern  und 
auch  die  Ueberführuug  von  landwirtschaftlichen  Produkten  nach  Städten 
und  Industriebezirken  ermöglicht.  Gerade  das  schlecht  entwickelte 
Transportwesen  früherer  Zeiten  war  ja  die  Ursache ,  daß  nur  Haus- 
wirtschaft betrieben  werden  konnte,  daß  man  sogar  versuchte,  in  Elbinge- 
rode  am  Harz  Weinbau  zu  betreiben  u.  dergl.  m.  Aber  die  Zeiten 
haben  sich  geändert  und  das  Transportwesen  hat  unglaublichen  Auf- 
schwung genommen.  —  Es  dürfte  am  Platze  sein,  einige  Angaben 
Engels1)    hierüber   anzuführen. 

Vergleicht  man  die  Eisenbahntarifsätze  von  1878,  1863,  1848  mit 
den  Kosten  der  Wagenförderung  auf  der  Landstraße  vor  Einführung 
der  Eisenbahn  im  Jahre  1836,   so  ergiebt  sich  ein  Verhältnis 

der  Tarifsätze      1878      1863      1848      1836 
wie  I     :     1,85     :   9  4   :    33,3 

Engel  berechnet,  daß  im  Jahre  1844 — 1878  in  Preußen  durch  die 
Eisenbahn  und  zwar  einmal  durch  die  billige  Beförderung  von  Personen 
und  Gütern  und  dann  durch  Zeitgewinn  ein  Gewinn  für  die  Nation 
von  20317  Mill.  Mk.  entstanden  sei.  Der  Eisenbahnverkehr  zwischen 
Dresden  und  Leipzig,  von  dem  die  einsichtigen  Begründer  der  betreffen- 
den Eisenbahnlinie  schüchtern  anführten,  daß  er  sich  einmal  verdoppeln 
könne,  hat  sich  bis  zum  Jahre  1878  um  das  42-fache  vermehrt.  Ja 
sogar  der  Frachtsatz  der  Ozeandampfer  beispielsweise  für  Getreide 
von  New- York  nach  Liverpool  hat  sich  von  6,'20 — 10,56  penc.  in  den 
70er  Jahren  bis  auf  2,90  penc.  im  Jahre  1892  pro  Bushel  Weizen 
reduziert 2). 

Die  Industrie  hat  von  derartigen  riesigen  Fortschritten  des  Ver- 
kehrs reichlich  Anwendung  gemacht.  Dort  wird  z.  B.  die  Baumwolle 
aus  Indien  nach  Manchester  gefahren,  dort  versponnen,  das  Garn  an 
einem  anderen  Platz  gefärbt,  wieder  an  einem  anderen  Platz  gewoben, 
worauf  Appretur  und  weitere  Verarbeitung  zu  Kleidungsstücken  wie- 
der an  anderen  Orten  stattfindet.  Eisenerze  gewinnt  man  in  Spanien, 
unterwirft  sie  dem  Hochofenprozeß  am  Rhein,  verwandelt  das  Roh- 
eisen in  den  Besseraer  Stahlwerken  in  Essen  zu  Stahl,  der  dann  in 
verschiedenen  anderen  Orten  noch  weiter  verarbeitet  wird.  Es  dürfte 
also  an  der  Zeit  sein,  daß  die  Landwirtschaft  mehr  wie  seither  von 
der  Verbesserung  des  Transportwesens  Gebrauch  macht  und  es  dürfte 
die  Verkehrssteigerung,  die  bei  einer  vermehrten  Anwendung  der  Ar- 
beitsteilung in  der  Landwirtschaft  stattfindet,  eine  ganz  enorme  wer- 
den können.  Andererseits  ist  auch  wohl  denkbar,  daß  wie  in  der 
seitherigen  Weise  auch  weiter  eine  Vervollkommnung  des  Transport- 
wesens stattfindet  und  dadurch  die  Anwendung  der  Arbeitsteilung 
in  der  Landwirtschaft  erleichtert  wird.  Daß  z.  B.  Deutschland  gegen 
Amerika  in  dem  Eisenbahnwesen  in  vieler  Beziehung  weit  zurück  ist, 


1)  Engel,  Das  Zeitalter  d.   Dampfes,  Berlin   1880,  S.   157,  163,   168. 

2)  Report  of  the  secretary  of  Agriculture,   Washington    1893,  S.  470. 


368  Backhaus, 

steht  außer  Frage.  Der  Busbel  Weizen,  der  im  Jahre  1870  von 
Chicago  nach  New- York  noch  für  30  Cents  gefahren  wurde,  wurde  im 
Jahre  1892  zu  14,25  Cents  verfrachtet.  Die  Fracht  pro  Tonne  be- 
rechnet sich  danach  auf  22,05  M.,  während  nach  dem  preußischen 
Eisenbahntarif  und  zwar  nach  dem  billigsten  Spezialtarif  Nr.  3  zu 
2,6  Pf:  pro  Tonne  und  km  und  1,20  M.  Speditionsgebühr  die  Fracht 
betragen  würde  40,94  M.  Die  Vorkehrungen  der  amerikanischen 
Eisenbahnen  für  Viehtransport,  Gemüse-,  Obst-  und  Milchversendungen 
sind  viel  besser  als  die  in  Deutschland.  Die  Sorge  der  Eisenbahnen 
um  die  Hebung  des  Verkehrs  ersieht  man  z.  B.  aus  dem  Umstand, 
daß  von  Eisenbahngesellschaften  große  Elevatoren  eingerichtet  werden 
u.  a.  m. 

Wie  weit  läßt  sich  die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirt- 
schaft durchführen? 

Aus  der  historischen  Betrachtung  der  Entwickelung  der  Arbeits- 
teilung in  der  Landwirtschaft  und  nach  dem  im  letzten  Abschnitt  be- 
rührten Grundsatze,  daß  die  Arbeitsteilung  in  den  transportabelsten 
Produkten  am  leichtesten  durchzuführen  ist,  kann  man  die  Lehre  auf- 
stellen, daß  die  Arbeitsteilung  sich  zunächst  in  den  landwirtschaft- 
technischen Gewerben  entwickelt,  dann  in  Bezug  auf  die  Viehzucht 
und  zuletzt  erst  für  den  reinen  Ackerbau.  Dies  giebt  Fingerzeige  für 
den  praktischen  Landwirt,  wo  er  mit  Einführung  des  arbeitsteiligen 
Betriebes  zunächst  den  Hebel  anzusetzen  hat.  In  erster  Linie  ist  sich 
zu  fragen,  ob  vorhandene  technische  Gewerbe  am  richtigen  Platze 
sind  oder  nicht,  um  event.  sie  ganz  wegfallen  zu  lassen  oder  zu  ver- 
größern, damit  sie  der  Konkurrenz  gewachsen  sind,  denn  diese  tech- 
nischen Gewerbe  können  eben  nur  dort  bestehen,  wo  die  Vorbedingungen 
günstig  sind;  sie  müssen  mit  Nachteil  arbeiten,  wo  sie  es  nicht  sind 
und  können  auch  in  letzteren  Fällen  durch  den  leicht  möglichen  Trans- 
port ihrer  Produkte  entbehrt  werden.  Es  sind  auch  im  allgemeinen 
bei  ihnen  die  Großbetriebe  den  Kleinbetrieben  überlegen. 

In  zweiter  Linie  ist  eine  Vereinfachung  des  Landwirtschaftsbe- 
triebes in  der  Viehzucht  am  leichtesten  möglich  und  der  Landwirt 
thut  wohl,  unter  den  hunderterlei  verschieden  möglichen  Einrichtungen 
der  Viehhaltung  in  Hinsicht  auf  die  Art  der  Haustiere,  die  Nutzung 
derselben  und  Kombination  verschiedener  Nutzungen  und  verschiedener 
Haustierhaltungen  mit  einander  sich  diejenigen  auszuwählen,  welche 
den  natürlichen  und  wirtschaftlichen  Verhältnissen  des  betreffenden 
Gutes  am  besten  entsprechen,  wobei  nach  den  früher  erwähnten  Ge- 
sichtspunkten eine  möglichste  Vereinfachung  vorzunehmen  ist  und  nur 
diejenigen  Zweige  zu  wählen  sind,  die  unumgänglich  beibehalten  werden 
müssen. 

An  den  Ackerbau  kann  man  erst  in  letzter  Instanz  an  vermehrter 
Anwendung  der,  Arbeitsteilung  denken  und  zwar  kann  auch  innerhalb 
des  Ackerbaues  eine  Stufenleiter  aufgestellt  werden,  nach  welcher  die 
Durchführung  der  Arbeitsteilung  möglich  ist. 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  369 

Am  ehesten  durchführbar  ist  die  Arbeitsteilung  in  dem  Handels- 
gewächsbau, worunter  die  Kultur  von  PflanzeD,  die  in  den  Fabriken 
weiter  verarbeitet  werden  als  Zuckerrüben,  Kartofleln,  Cichorien,  dann 
auch  Pflanzen  wie  Hopfen,  Wein,  Oelfrüchte,  ferner  Feldgärtnerei, 
Gemüsebau,  Samenbau  etc.  zu  verstehen  ist. 

Für  die  meisten  dieser  Früchte  ist  es  entschieden  ein  Vorteil, 
falls  sie  überhaupt  zum  Anbau  kommen,  daß  sie  auch  gleich  auf  einer 
größeren  Fläche  des  vorhandenen  Kulturlandes  angebaut  werden.  Es 
ist  auch  möglich,  auf  eine  oder  mehrere  dieser  Pflanzen  oder  dieser 
Kulturen  (z.  B.  Gemüsebau)  sich  hauptsächlich  zu  werfen,  während 
andere  Landwirtschaftsbetriebe  wieder  gänzlich  deren  Kultur  aufgeben, 
kurz  also  wirtschaftliche  Arbeitsteilung  hierin  möglichst  auszuführen. 
In  diesem  Handelsgewächsbau  muß  auch  dem  deutschen  bäuer- 
lichen Landwirt  zur  Zeit  ein  besonders  zu  beachtender  Kulturzweig 
genannt  werden,  da  es  gerade  in  diesen  Kulturen  eines  vermehrten  Ar- 
beitsaufwandes bedarf,  der  bäuerliche  Wirt  aber  in  der  Beschaffung 
der  nötigen  Arbeitskräfte  so  immense  Vorteile  gegenüber  dem  Groß- 
landwirt besitzt  und  auch  durch  derartige  Kulturen  der  Kleinbe- 
trieb zum  Großbetrieb  nach  Verhältnis  des  aufgewendeten  Kapitals, 
der  Arbeit  und  der  Produktion  umgewandelt  werden  kann.  Es  dürften 
auch  die  im  bäuerlichen  Betrieb  sehr  oft  vorhandenen  überflüssigen 
Arbeitskräfte,  die  aber  z.  B.  als  Mitglieder  der  Familie  nicht  zum 
Verlassen  des  Hauses  sich  entschließen  können,  durch  Hackfruchtbau, 
Feldgärtnerei,  Gemüsekultur  und  den  hierzu  nötigen  Meliorationen 
als  Drainage,  Bewässerung,  Rajolen  etc.  vorteilhafter  ausgenutzt  werden, 
als  wenn  z.  B.  die  betreffenden  Arbeitskräfte  mit  der  Sichel  das  Ge- 
treide abschneiden,  in  der  Heuernte  sich  3mal  mehr  Arbeit  machen 
als  nötig  ist  und  viele  Arbeiten  ausführen,  die  weit  billiger  und  besser 
durch  Maschinen  geleistet  würden.  Allerdings  erlangt  derartige  Kultur 
wie  Gemüsebau  eine  gewisse  Energie  und  kaufmännische  Routine.  Es 
ist  dazu  unumgänglich  nötig,  daß  der  Gemüsebau  von  vielen  Land- 
wirten ausgeführt  wird,  große  Mengen  vorzüglichen  und  gleichartigen 
Gemüses  erzeugt  werden,  wobei  dann,  wenn  Frischverkauf  nicht  mög- 
lich ist,  durch  Konserve-  und  Präservefabriken  eine  Verwertung  mög- 
lich ist.  Das  Gleiche  gilt  vom  Obstbau,  der  überhaupt  als  zweck- 
mäßige Ergänzung  des  Gemüsebaues  zu  betrachten  ist,  ebenso  Beeren- 
obstkultur.  Die  Anfänge  solcher  Unternehmungen  sind  in  Deutschland 
vielfach  gemacht. 

Nach  dem  Handelsfruchtbau  läßt  sich  die  wirtschaftliche  Arbeits- 
teilung am  stärksten  auf  den  Getreidebau  anwenden.  Hier  aber 
machen  schon  die  Ansprüche  der  Fruchtfolge  und  der  Arbeitsüber- 
windung eine  Wahl  mehrerer  Getreidearten  und  einen  Wechsel  mit 
Handelsfrüchten  oder  Futterpflanzen  nötig.  Sowie  aber  bei  Getreide- 
bau und  Handelsfruchtbau  auch  Futterstoffe  für  Viehhaltung  in  der 
eigenen  Wirtschaft  gewonnen  werden  und  erst  recht  bei  Futterbau 
auf  dem  Ackerland,  erscheint  eine  etwas  vielseitigere  Auswahl  von 
Futterpflanzen  nötig,  um  eine  möglichst  gleichmäßige  Futterproduktion 
durchzusetzen. 

Dritte  Folge  Bd.  VB1  (LXHI).  24 


370  Backhaus, 

Auch  in  Verbindung  der  genannten  Hauptzweige  der  Landwirt- 
schaft kann  eine  Arbeitsteilung  eintreten,  insbesondere  in  der  Ver- 
bindung von  Ackerbau  und  Viehzucht.  Es  hat  sich  der  viehlose  Be- 
trieb auf  leichtem  wie  schwerem  Boden  nach  den  bisherigen  Er- 
fahrungen als  vollständig  durchführbar  erwiesen  und  es  kann  recht 
zweckmäßig  sein,  wenn  auf  diese  Weise  von  einzelnen  Landwirten  nur 
Ackerbau  betrieben  wird  und  dadurch  neben  Getreide  und  Handels- 
gewächsen auch  Futtermittel  produziert  werden,  die  anderen  Land- 
wirten wieder  eine  vermehrte  Viehhaltung  und  Viehzucht  ermöglichen. 
Freilich  wird  für  den  viehlosen  Betrieb  immer  nur  eine  vereinzelte 
Anwendung  möglich  sein,  aber  jedenfalls  eine  sehr  viel  stärkere  wie 
seither,  wie  es  auch  durch  die  stete  Zunahme  viehloser  Betriebe  er- 
wiesen ist. 

Fragen  wir  uns  nun,  nach  welchen  Prinzipien  und  Unterschei- 
dungen die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft  auszuführen  ist,  so 
ist  zu  bemerken: 

1)  Nach  den  verschiedenen  natürlichen  Verhältnissen,  in  erster 
Linie  Klima,  in  zweiter  Linie  Boden.  Es  hat  also  die  Arbeitsteilung 
zwischen  verschiedenen  Klimaten  und  zwischen  verschiedenen  Boden- 
verhältnissen hauptsächlich  zu  erfolgen. 

2)  Nach  örtlichen  Verhältnissen.  Wenn  auch  nach  der  seither 
erfolgten  Entwickelung  des  Transportwesens  die  Entfernung  von  dem 
Markte  auf  die  Organisation  der  Landwirtschaft  nicht  von  dem  Ein- 
fluß ist,  wie  es  v.  Thünen  in  dem  „Isolierten  Staat"  darzustellen  ver- 
suchte, so  sind  doch  die  Entfernungen  von  dem  Markte  für  die  Or- 
ganisation immerhin  von  Einfluß  und  es  hat  eben  die  Arbeitsteilung 
so  sich  zu  gestalten,  daß  die  voluminöseren  Produkte  in  der  Nähe  des 
Marktes,  die  konzentrierteren  in  ferneren  Gegenden  produziert 
werden. 

3)  Nach  wirtschaftlichen  Verhältnissen.  Hier  sind  anzuführen 
die  schon  im  vorhergehenden  Abschnitt  angedeuteten  Einflüsse  als 
Zwischenhandel,  Transportwesen  und  namentlich  noch  eine  Beziehung, 
die  seither  nicht  erörtert  wurde,  nämlich  eine  Arbeitsteilung  zwischen 
Groß-  und  Kleinbetrieb.  Es  kann  von  außerordentlich  förderndem 
Einfluß  sein,  wenn  Groß-  und  Kleinbetrieb  Hand  in  Hand  gehen  und 
die  Vorteile  beider  sich  so  treffend  ergänzen,  die  Nachteile  reduziert 
werden.  Eine  solche  Verteilung  der  Arbeit  kann  z.  B.  in  Bezug  auf 
Ackerbau  und  Viehzucht  stattfinden.  Der  Großbetrieb  ist  in  der  Lage, 
durch  Verwendung  von  Dampfpflug,  schweren  Arbeitspferden  und  vor- 
züglichen Pflügen  besser  Tiefkultur  zu  betreiben  wie  der  Kleinland- 
wirt. Drillsaat,  Maschinenhacken,  Maschinenernte,  Verwendung  von 
Kunstdünger  läßt  sich  auf  den  großen  Feldstücken  des  Großbetriebes 
ebenfalls  besser  durchführen ;  Beschaffung  von  besserem  Saatgut  ist 
leichter  möglich ;  kurz,  der  Ackerbau  hat  in  dem  Großbetrieb  mancherlei 
Vorteile  gegenüber  dem  Kleinbetrieb,  namentlich  in  der  Kultur  von 
Früchten,  die  weniger  Handarbeit  beanspruchen,  als  Getreide  und 
Futter.  Hingegen  hat  in  der  Viehhaltung,  insbesondere  in  den  Zweigen, 
die  eine  sehr  sorgfältige  Pflege  erfordern,   der   Kleinlandwirt  vieles 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  371 

voraus.  Z.  B.  in  einem  Viehzuchtszweig  wie  Kuhhaltung  mit  Milch- 
wirtschaft, event.  auch  mit  Zucht,  wo  aller  Erfolg  so  von  der  sorg- 
fältigen Pflege,  von  der  peinlichen  Fütterung,  dem  guten  Melken, 
Futterzubereitung  abhängt,  muß  der  Kleinlaudwirt,  der  die  Arbeiten 
selbst  ausführt,  dem  Großlandwirt  überlegen  sein.  Da  ist  denn  recht 
empfehlenswert,  wenn  ein  Zusammenwirken  stattfindet,  indem  der 
Großlandwirt  das  von  ihm  erzeugte  Futter  an  den  Kleinlandwirt  ver- 
kauft. Ein  jeder  kann  sich  bei  diesem  Modus  recht  gut  stehen.  Auch 
innerhalb  der  Viehzucht  erscheint  eine  Arbeitsteilung  zwischen  Groß- 
und  Kleinbetrieb  vorteilhaft  und  wird  auch  in  manchen  Gegenden  so 
gehandhabt,  indem  z.  B.  der  Großlandwirt,  dem  es  für  seinen  großen 
Viehstand  leichter  möglieb  ist,  gute  Zuchttiere  zu  beschaffen  als  dem 
Kleinlandwirt,  hauptsächlich  Zuchttiere,  weibliche  und  männliche  hält, 
die  fallenden  jungen  Tiere  an  den  Kleinlandwirt  verkauft,  der  nun 
die,  viele  Arbeit  und  Sorgfalt  erfordernde  Aufzucht  in  die  Hand  nimmt, 
worauf  die  aufgezogenen  Tiere  wieder  von  dem  Großlandwirt  ange- 
kauft werden,  denn  dieser  braucht  sie  zur  Ergänzung  seines  Vieh- 
standes und  kann  auch  den  Absatz  infolge  seines  größeren  Bestandes 
und  seines  größeren  Betriebes  besser  handhaben  als  der  Kleinlandwirt. 
Zwar  kann  der  bäuerliche  Wirt  alle  diese  Vorteile  des  Großbetriebes 
durch  die  Association  erlangen,  aber  dieser  stellen  sich  vielfach 
mancherlei  Hindernisse  entgegen. 

4)  Schließlich  sind  auch  verschiedener  Besitz  an  Kapital,  an  Ar- 
beitskräften und  an  Intelligenz  des  Betriebsleiters  Momente,  die 
zweckmäßig  zu  einer  Anwendung  der  Arbeitsteilung  führen. 

Wie   ist   das  Verhältnis  der   wir  tschaf  tlichen  Arbeits- 
teilung   zu   dem    für   die  Landwirtschaft   aufgestellten 
Wirtschaftssysteme? 

Daraufhin  ist  zu  bemerken,  daß  in  allen  Wirtschaftssystemen  die 
wirtschaftliche  Arbeitsteilung  in  mehr  oder  wenig  starker  Ausdehnung 
angewandt  werden  kann,  allerdings  in  den  intensiveren  Systemen  mehr 
als  in  anderen.  Es  dürfte  aber  gerade  durch  eine  stärkere  Aus- 
dehnung der  wirtschaftlichen  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft  die 
ganze  bis  jetzt  aufgestellte  Ordnung  der  Wirtschaftssysteme  umge- 
staltet werden.  Es  hält  sehr  oft  außerordentlich  schwer,  einen 
Wirtschaftsbetrieb  in  eines  der  bis  jetzt  bestehenden  Wirtschafts- 
systeme einzureihen,  und  es  dürfte  doch  angebracht  sein,  ein  Wirt- 
schaftssystem, welches  als  das  vollkommenste  hingestellt  wird,  welches 
aber  eigentlich  gar  kein  System  ist,  nämlich  das  freie  Wirtschafts- 
system, bei  dem  mit  dem  Wort  frei  gerade  so  viel  Unfug  getrieben 
wird,  als  mit  dem  Wort  liberal  in  der  Politik,  etwas  genauer  zu 
systematisieren.  Es  erscheint  da  eine  Einteilung  und  Bezeichnung 
nach  Art  der  Produktionsrichtung,  wie  dies  in  der  Industrie  beispiels- 
weise üblich  ist  und  auch  von  der  amerikanischen  Landwirtschaft  oben 
schon  geschildert  wurde,  also  Bezeichnung  nach  Zuckerrüben  wirt- 
schaften, Getreidewirtschaften,  Rindviehzuchtbetrieben,  Milchwirtschafts- 

24* 


372  Backhaus, 

betrieben  oder  Zuckerrüben-,  Weizen-  und  Milchwirtschaftsbetrieben  etc. 
ganz  zweckmäßig  sein. 

Aufgabe    von   Privaten,   Korporationen    und   Staat    in 
Bezug  auf  Durchführung   der   landwirtschaftlichen  Ar- 
beitsteilung. 

Von  den  vielen  Aufgaben,  die  behufs  vermehrter  Anwendung  der 
Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft  auszuführen  sind,  lasten  die 
meisten  auf  dem  landwirtschaftlichen  Unternehmer  selbst.  Der  deutsche 
Landwirt  sei  daran  erinnert,  daß  nach  dieser  Richtung  hin  ein  großes  Feld 
der  Thätigkeit  sich  für  ihn  bietet  und  daß  in  Anwendung  der  Arbeits- 
teilung außerordentlich  viel  zur  Hebung  des  Landwirtschaftsbetriebes 
liegen  dürfte.  Er  kann  in  dieser  Beziehung  von  seinen  amerikanischen 
Kollegen  manches  lernen.  Der  deutsche  Landwirt  ist  ein  sorgfältiger 
Ackerbauer,  guter  Viehzüchter  und  fleißiger  Wirt,  aber  der  ameri- 
kanische ist  mehr  rechnender,  spekulativer  Kaufmann  und  namentlich 
letzteres  dürfte  dem  deutschen  Landwirt  zur  Nachahmung  sehr  em- 
pfohlen sein.  Wie  leicht  sich  der  Deutsche  nach  dieser  Richtung  hin 
verändern  kann ,  ersieht  man  an  den  in  Amerika  eingewanderten 
Deutschen.  Es  ist  interessant,  in  Amerika  zu  beobachten,  wie  deutsche 
Bauern,  die  doch  von  Jahrhunderten  her  durch  ihren  starren  Konser- 
vatismus bekannt  sind,  in  der  neuen  Welt  in  ganz  kurzer  Zeit 
entsprechend  den  sie  umgebenden  gänzlich  veränderten  Verhältnissen 
ebenfalls  sich  umändern,  recht  tüchtige  Geschäftsleute  und  intelligente 
rechnende  Spekulanten  werden. 

Wie  nützlich  aber  ein  solcher  Uebergang  vom  einfachen  Hauswirt 
zum  landwirtschaftlichen  Industriellen  oder  landwirtschaftlichen  Kauf- 
mann ist,  beweist  ja  der  Umstand,  daß  der  amerikanische  Farmer 
bei  doppelt  so  hohen  Arbeitslöhnen  als  in  Deutschland,  bei  durchaus 
nicht  besserem  Boden,  viel  geringerer  Ernte,  ganz  bedeutend  geringe- 
ren Preisen  der  Produkte,  die  oft  nur  die  Hälfte  der  bei  uns  üblichen 
Preise  erreichen,  mit  unseren  Landwirten  zu  konkurrieren  vermögen. 
Freilich  wurde  und  wird  noch  in  sehr  vielen  Teilen  Amerikas  rück- 
sichtsloser Raubbau  betrieben,  aber  immer  mehr  geht  man  auch  dort 
zur  Ersatzwirtschaft  über. 

In  Deutschland  sollte  doch  bei  viel  höheren  Preisen  der  Produkte, 
bei  geringerer  Entfernung  zum  Markt  eine  vermehrte  Anwendung 
der  Arbeitsteilung  viel  weniger  Schwierigkeiten  bieten  als  in  Amerika. 

Nicht  nur  in  wirtschaftlicher  Beziehung  und  in  der  Organisation 
seines  Betriebes  ist  aber  eine  größere  Rührigkeit  für  den  deutschen 
Landwirt  erforderlich,  um  eine  segenbringende  Arbeitsteilung  in  seinem 
Berufszweige  mehr  zu  ermöglichen,  sondern  auch  eine  Verfolgung  aller 
technischen  Fortschritte  und  Errungenschaften,  um  die  mancherlei 
Schwierigkeiten,  die  sich  nach  den  obigen  Ausführungen  der  Durch- 
führung eines  einseitigeren  Betriebes,  namentlich  in  Bezug  auf  den 
Ackerbau,  in  Düngung,  Bestellung,  Pflege  und  Ernte  der  Kultur- 
pflanzen entgegenstellen,  zu  überwinden. 


Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft.  373 

In  vielen  Beziehungen  ist  jedoch  der  einzelne  Landwirt  machtlos, 
um  nach  der  mehrerwähnten  Richtung  hin  eine  wünschenswerte  Ver- 
besserung durchzuführen.  Es  bieten  sich  zunächst  da  mancherlei 
Aufgaben  für  Korporationen  und  Associationen.  Wir  sahen,  daß  die  Ar- 
beitsteilung erst  dann  gute  Früchte  trägt,  wenn  in  größeren  Distrikten 
von  den  Landwirten  bestimmte  Produktionsrichtungen  eingeschlagen 
werden.  Es  ist  also  nötig,  daß  ein  genossenschaftlicher  Zusammen- 
schluß stattfindet,  damit  Vereinbarungen  über  die  auszuführenden 
Kulturen  getroffen  werden  und  namentlich  dann  auf  genossenschaftlichem 
Wege  die  Verwertung  der  landwirtschaftlichen  Produkte  in  die  Hand 
genommen  wird.  Es  sind  nach  verschiedener  Richtung  hin  dazu  be- 
bereits  Anläufe  in  Deutschland  gemacht,  aber  die  ganze  Sache  steckt 
doch  noch  in  den  Kinderschuhen,  während  man  in  anderen  Ländern 
in  Bezug  auf  den  genossenschaftlichen  Absatz  und  Verwertung  land- 
wirtschaftlicher Produkte  in  mancher  Beziehung  bessere  Einrichtungen 
bereits  geschaffen  hat.  Nach  verschiedensten  Richtungen  hin  existieren 
in  dieser  Beziehung  Genossenschaften,  z.  B.  Saatgutzucht-  Konserven- 
bereitungs-,  Müllerei-,  Schlacht-,  Viehverkaufs-,  Molkerei-,  Obstverwer- 
tungs-,  Sauerkrautbereitungsgenossenschaften  u.  a.  m. 

Für  den  Staat  bleiben  jedoch  auch  mancherlei  Aufgaben  übrig, 
die  durch  Private  und  Associationen  nicht  erreicht  werden  können. 
Wir  sahen,  daß  Voraussetzungen  für  eine  stärkere  Arbeitsteilung  in 
der  Landwirtschaft  ein  sehr  reger  Handel  ist  und  es  erscheint  deshalb 
gerade  bei  unseren  bäuerlichen  Verhältnissen  zweckmäßig,  wenn  der 
unbehilfliche,  wirtschaftlich  schwache  Bauersmann  vor  betrügerischem 
Zwischenhandel  geschützt  wird,  was  bis  zu  einer  höheren  Intelligenz 
unserer  bäuerlichen  Bevölkerung  nur  durch  gesetzliches  Eingreifen 
geschehen  kann.  Gar  manche  Auswüchse  des  Geschäftslebens  sind 
entstanden  und  entstehen  immer  noch,  die  nur  durch  staatliches  Ein- 
greifen bekämpft  werden  können. 

Weiterhin  ist  es  das  Transportwesen,  welches  als  eine  ganz  not- 
wendige Voraussetzung  einer  stärkeren  Arbeitsteilung  angesehen 
werden  muß  und  dessen  Förderung  ja  in  Deutschland  auch  haupt- 
sächlich dem  Staat  untersteht,  dessen  Hebung  aber,  wie  oben  gezeigt 
wurde,  recht  wünschenswert  ist. 

R  e  s  u  m  6. 

1)  Die  Arbeitsteilung  in  Anwendung  auf  die  Landwirtschaft  ist 
hauptsächlich  von  Bedeutung  in  der  Gliederung  in  verschiedene  Pro- 
duktionsrichtungen (wirtschaftliche  Arbeitsteilung).  Dadurch  wird  auch 
eine  Teilung  der  einzelnen  Arbeiten  (technische  Arbeitsteilung)  ge- 
fördert, doch  kann  diese  immerhin  nur  in  geringem  Maße  durchgeführt 
werden. 

2)  Eine  historische  Studie  zeigt,  daß  trotz  eines  stärkeren  Haus- 
wirtschaftsbetriebes in  früherer  Zeit  der  Landwirtschaftsbetrieb  heute 
im  allgemeinen  viel  komplizierter  ist,  also  die  Arbeitsteilung  nicht 
mit  der  Vermehrung  der  Bedürfnisse  und   der  dadurch  verursachten 


374  Backhaus.  Die  Arbeitsteilung  in  der  Landwirtschaft. 

Vermehrung    landwirtschaftlicher    Produktionszweige    Schritt    gehal- 
ten hat. 

3)  Man  muß  den  deutschen  Landwirten  den  Vorwurf  machen, 
daß  sie  die  gewaltigen  Fortschritte  des  Transportwesens  und  der 
Technik  des  Landbaues  nicht  genügend  nach  der  Richtung  ausgenutzt, 
daß  sie  ihre  Betriebe  vereinfachten  und  von  einem  unrationell  gewor- 
denen Hauswirtschaftsbetrieb  sich  mehr  emanzipierten. 

4)  Zahlreiche  Beispiele  aus  Deutschland  und  namentlich  auch  aus 
England  und  Nordamerika  zeigen,  daß  in  der  Landwirtschaft  eine 
weitgehende  Arbeitsteilung  möglich  ist  und  zwar  in  den  landwirt- 
schaftlichen Gewerben,  Viehzucht,  Ackerbau  als  auch  Hilfszweigen  der 
Landwirtschaft,  sogar,  jedoch  in  geringerem  Grade,  auch  in  den  ein- 
zelnen landwirtschaftlichen  Arbeiten. 

5)  Durch  die  Anwendung  der  wirtschaftlichen  Arbeitsteilung  in 
der  Landwirtschaft  ergeben  sich  eine  ganze  Reihe  solch  bedeutende 
Vorteile,  daß  man  hierin  ein  Förderungsmittel  allerersten  Ranges  zur 
Hebung  des  landwirtschaftlichen  Gewerbes  erblicken  muß. 

6)  Schwierigkeiten  natürlicher  und  wirtschaftlicher  Art  setzen 
allerdings  der  landwirtschaftlichen  Arbeitsteilung  eine  bestimmte 
Grenze,  doch  ist  recht  wohl  eine  Ueberwindung  vieler  Schwierigkeiten 
zum  Teil  möglich,  zum  Teil  durch  die  Fortschritte  in  der  landwirt- 
schaftlichen Technik  und  in  dem  Wirtschaftsleben  zu  erwarten. 

7)  Die  Durchführung  einer  höheren  landwirtschaftlichen  Arbeits- 
teilung, also  einseitigere  Produktion,  läßt  sich  zunächst  ermöglichen 
bei  den  landwirtschaftlichen  technischen  Gewerben,  dann  der  Vieh- 
zucht, dem  Handelsgewächsbau,  sodann  im  Getreidebau  und  erst  in 
letzter  Linie  bei  dem  Futterbau.  Die  Arbeitsscheidung  ist  haupt- 
sächlich auszuführen  zwischen  Orten  mit  verschiedenem  Klima  und 
verschiedenen  Bodenverhältnissen,  zwischen  Wirtschaften  mit  ver- 
schiedenen Absatzverhältnissen,  zwischen  Groß-  und  Kleinbetrieb  und 
Betrieben  mit  verschiedenem  Besitz  an  Kapital,  Arbeitskräften  und 
Intelligenz  des  Leiters. 

8)  Wenn  auch  die  wichtigsten  Aufgaben  zwecks  Durchführung 
einer  höheren  Arbeitsteilung  für  den  einzelnen  Landwirt  erwachsen, 
so  lassen  sich  doch  manche  notwendigen  Hilfsmittel  nur  durch  Asso- 
ciation (Verwertung  landwirtschaftlichen  Produkte)  und  durch  den  Staat 
(Verbesserung  des  Zwischenhandels,  Hebung  des  Transportwesens)  er- 
möglichen. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  375 


Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

IV. 

Die  zweite  Lesung  des  Entwurfes    eines  Bürgerlichen  Ge- 
setzbuches für  das  Deutsche  Reich. 

(Fortsetzung) 1). 

Von  Amtsrichter  Greiff. 

XXX. 

In    dem  von  den  Eheverträgen    handelnden    dritten  Titel    blieben 
die  allgemeinen  Vorschriften   der    §§   1333 — 1337  im  wesentlichen 


Vorläufige  Zusammenstellung  der  Kommissionsbeschlüsse.     (Fortsetzung.) 

II.     Vertragsmäfsiges  Güterrecht. 

1.     Allgemeine  Vorschriften. 

§  1333.  (1333,  1338.)  Die  Ehegatten  können  ihre  güterrechtlichen  Verhältnisse 
durch  Vertrag  regeln  ,  insbesondere  auch  nach  der  Eingehung  der  Ehe  den  Güterstand 
durch  Vertrag  aufheben  oder  ändern  (Ehevertrag). 

Wird  durch  Ehevertrag  die  Verwaltung  und  Nutzniefsung  des  Mannes  ohne  Verein- 
barung   eines  anderen  Güterstandes  ausgeschlossen,    so  gilt  Gütertrennung  als    vereinbart. 

§  1334.  Der  Güterstand  kann  nicht  durch  Verweisung  auf  ein  nicht  mehr  geltendes 
oder  auf  ein  ausländisches  Gesetz  bestimmt  werden. 

Hat  der  Mann  zur  Zeit  der  Eingehung  der  Ehe  oder,  falls  der  Vertrag  nach  der 
Eingehung  der  Ehe  geschlossen  wird  ,  zur  Zeit  des  Vertragsabschlusses  seinen  Wohnsitz 
im  Auslande,  so  ist  die  Verweisung  auf  ein  an  diesem  Wohnsitze  geltendes  Güterrecht 
zulässig. 

§  1335.     Der  Ehevertrag  bedarf  der  gerichtlichen  oder  notariellen  Form. 

§  1336.  (1336,  1337.)  Wird  durch  Ehevertrag  die  Verwaltung  und  Nutzniefsung 
des  Mannes  aufgehoben  oder  geändert,  so  können  Einwendungen  aus  der  Aufhebung  oder 
der  Aenderung  gegen  ein  zwischen  einem  Dritten  und  einem  Ehegatten  vorgenommenes 
Rechtsgeschäft  oder  gegen  ein  zwischen  ihnen  ergangenes  rechtskräftiges  Urteil  dem 
Dritten  gegenüber  nur  geltend  gemacht  werden,  wenn  die  Aufhebung  oder  die  Aende- 
rung zur  Zeit  der  Vornahme  des  Rechtsgeschäfts  oder  zur  Zeit  des  Eintritts  der  Rechts- 
hängigkeit im  Güterrechtsregister  eingetragen  oder  dem  Dritten  bekannt  war. 

Das  Gleiche  gilt,  wenn  eine  im  Güterrechtsregister  eingetragene  Regelung  des  Güter- 
verhältnisses aufgehoben  oder  geändert  wird. 

§  1337  vergl.  §  1336. 

1)  Vergl.  S.  232. 


376  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

unverändert.  Die  Mehrheit  lehnte  es  namentlich  ab ,  den  Abschlufs  von 
Eheverträgen  nach  Eingehung  der  Ehe  auszuschliefsen  oder  für  solche 
Eheverträge  die  Abschliefsung  vor  Gericht  oder  Notar  vorzuschreiben  oder 
endlich  zu  gestatten,  dafs  die  Eheschliefsenden  durch  eine  vor  dem  Standes- 
beamten abzugebende  Erklärung  sich  einem  der  im  Gesetzbuch  geordneten 
vertragsmäfsigen  Güterstände  unterwerfen.  Der  Abs.  2  des  §  1335  wurde 
als  entbehrlich  gestrichen.  Die  den  zweiten  Unterabschnitt  bildenden  Be- 
stimmungen der  §§  1338  — 1340  über  die  Trennung  der  Güter  waren, 
abgesehen  von  dem  sachlich  nicht  beanstandeten  §  1338,  bereits  früher 
erledigt. 

Als  zweiten  vertragsmäfsigen  Güterstand  regeln  die  §§  1341  ff.  die  all- 
gemeine Gütergemeinschaft.  Während  nach  dem  Entwurf  der  auf 
die  Einführung  dieses  Güterstandes  gerichtete  Vertrag,  falls  einer  der  Vertrag- 
sehliefsenden  in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkt  ist,  sowohl  von  diesem 
selbst  mit  Zustimmung  seines  gesetzlichen  "Vertreters  als  auch  in  seinem 
Namen  von  dem  gesetzlichen  Vertreter  abgeschlossen  werden  kann,  be- 
schlofs  die  Kommission  zur  Vermeidung  von  Kollusionen  des  Vertreters 
mit  dem  anderen  Vertragschliefsenden,  die  letztere  Art  des  Vertragschlusses 
nicht  zuzulassen.  Das  im  §  1341  Abs.  2  aufgestellte  Erfordernis  vor- 
mundschaftsgerichtlicher Genehmigung  des  Vertrages  wurde  nur  für  die 
Fälle  beibehalten,  in  denen  der  nicht  voll  geschäftsfähige  Teil  unter  Vor- 
mundschaft, nicht  für  diejenigen,  in  denen  er  unter  elterlicher  Gewalt 
steht,  weil  es  in  den  letzteren  Fällen  mit  der  Stellung  des  Inhabers  der 
elterlichen  Gewalt  nicht  vereinbar  erschien.  Die  Bestimmungen  der 
§§  1342 — 1345  über  die  Entstehung  des  Gesamtguts  und  das  bezüglich  des- 


§  1338  vergl.  §  1333  Abs.  2. 

§  1339  Abs.  1—3  vergl.  %m*,  Abs.  4,  5  vergl.  §n*. 

Anmerkung.  Gemeint  sind  hier  und  im  folgenden  die  Vorschriften  des  gesetz- 
lichen Güterrechts. 

§  1340  vergl.  §  1281c. 

2.     Allgemeine  Gütergemeinschaft. 

§  1341.  Ein  Ehevertrag,  durch  welchen  die  allgemeine  Gütergemeinschaft  verein- 
bart wird,  kann  nicht  durch  den  gesetzlichen  Vertreter  eines  Minderjährigen ,  sondern 
nur  von  dem  Minderjährigen  unter  Zustimmung  des  Vertreters  geschlossen  werden.  Das 
Gleiche  gilt  für  einen  Volljährigen,  der  in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkt  ist. 

Steht  die  gesetzliche  Vertretung  einem  Vormunde  zu,  so  ist  die  Genehmigung  des 
Vormundschaftsgerichts  erforderlich. 

§  1342.  (1342,  1343.)  Das  Vermögen  des  Mannes  und  das  Vermögen  der  Frau 
werden  durch  die  allgemeine  Gütergemeinschaft  gemeinschaftliches  Vermögen  beider  Ehe- 
gatten (Gesamtgut).  Zu  dem  Gesamtgute  gehört  auch  das  Vermögen,  welches  der  Mann 
oder  die  Frau  während  der  Dauer  der  Gütergemeinschaft  erwirbt. 

Die  einzelnen  Vermögensgegenstände  werden  gemeinschaftlich,  ohne  dafs  es  einer 
Uebertragung  bedarf.  Dies  gilt  auch  von  solchen  Gegenständen,  zu  deren  Uebertragung 
die  Eintragung  in  das  Grundbuch  erforderlich  ist;  jeder  Ehegatte  kann  die  Berichtigung 
des  Grundbuchs  verlangen. 

§   1343  vergl.  §   1342. 

§  1344.  (1344,  1345.)  Die  Ehegatten  können  nicht  über  ihre  Anteile  an  dem 
Gesamtgut  und  an  den  einzelnen  dazu  gehörenden  Gegenständen  verfügen ;  keiner  der 
Ehegatten  ist  berechtigt,  Teilung  zu  verlangen. 

Gegen    eine    zum    Gesamtgute    gehörende   Forderung    kann    der  Schuldner    nur  eine 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  377 

selben  bestehende  Rechtsverhältnis  wurden  mit  den  früher  beschlossenen 
Vorschriften  über  das  Gesellschaftsvermögen  und  die  Gemeinschaft  in  Ein- 
klang gebracht.  Von  den  folgenden  auf  das  Vorbehaltsgut  bezüglichen  Be- 
stimmungen wurde,  entsprechend  den  zu  den  §§  1288,  1291  gefafsten  Be- 
schlüssen, der  §  1348  gestrichen,  der  §  1350  geändert.  Als  eine  zweite 
Art  von  nicht  zum  Gesamtgut  gehörendem  Vermögen  der  Ehegatten  kennt 
der  Entwurf  neben  dem  Vorbehaltsgut  das  sog.  Sondergut,  d.  i.  solches  Ver- 
mögen, welches  für  Rechnung  des  Gesamtguts  in  der  Weise  verwaltet 
wird,  dafs  die  Nutzungen  zu  dem  Gesamtgut  in  demselben  Umfange  ge- 
hören, in  welchem  bei  dem  gesetzlichen  ehelichen  Güterstande  die  Nutz- 
ungen des  Eheguts  dem  Ehemann  gehören.  Sondergut  sind  nach  §  1351 
zunächst  die  durch  Rechtsgeschäft  nicht  übertragbaren,  einem  Ehegatten 
gehörenden  Gegenstände  (z.  B.  Lehen,  Familienfidcikommisse) ;  aufserdem 
aber  kann  Sondergut  willkürlich  geschaffen  werden  durch  Ehevertrag  und 
bezüglich  der  von  einem  Dritten  zugewendeten  Gegenstände  durch  Be- 
stimmung des  Dritten;  endlich  sollen  die  gemäfs  §  1414  an  die  Stelle  von 
Sondergutsgegenständen  tretenden  Vermögensbestandteile  wieder  Sondergut 
werden.  Die  Mehrheit  beschlofs,  die  für  das  Sondergut  des  Entwurfs 
kennzeichnende  rechtliche  Gestaltung  nur  bezüglich  der  rechtsgeschäftlich 
nicht  übertragbaren  Gegenstände  auszusprechen,  die  gemäfs  §  1411  an 
die  Stelle  solcher  Gegenstände  tretenden  Ersatzstücke  aber,  sofern  sie  nicht 


solche  Forderung  aufrechnen ,    deren  Berichtigung    aus    dem  Gesamtgute  verlangt  werden 
kann. 

Anmerkung.  Im  Art.  11  des  Entwurfes  des  Einführungsgesetzes  soll  zum  teil- 
weisen Ersätze  des  §  1345  Abs.  1,  des  §  1373  Abs.  1  Satz  1,  des  §  1397  Abs.  1,  des 
§  1406  Abs.  1,  3,  des  §  1417,  des  §  1429  Abs.  1  und  des  §  1431  Abs.  1  des  Entw.  I 
folgende  Vorschrift  in  die  Civilprozefsordnung  als  §  754  a  eingestellt  werden : 

Bei  dem  Güterstande  der  allgemeinen  Gütergemeinschaft,  der  Errungenschaftsge- 
meinschaft sowie  der  Fahrnisgemeinschaft  ist  der  Anteil  eines  der  Ehegatten  an  dem 
Gesamtgut  und  an  den  einzelnen  dazugehörenden  Gegenständen  der  Zwangsvollstreckung 
nicht  unterworfen.  Das  Gleiche  gilt  bei  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft  von 
den  Anteilen  des  überlebenden  Ehegatten  und  der  Abkömmlinge. 

Nach  Auflösung  der  Gemeinschaft    ist    der  Anteil  am  Gesamtgute    zu  Gunsten  der 
Gläubiger  des  Anteilsberechtigten  der  Zwangsvollstreckung  unterworfen. 
§  1345  vergl.  §  1344. 

§  1345  a.  (1351.)  Von  dem  Gesamtgut  ausgeschlossen  sind  die  zu  dem  Vermögen 
des  Mannes  oder  der  Frau  gehörenden  Gegenstände,  welche  nicht  durch  Rechtsgeschäft 
übertragen  werden  können.  Auf  solche  Gegenstände  finden  die  bei  der  Errungenschafts- 
gemeinschaft für  das  eingebrachte  Gut  geltenden  Vorschriften,  mit  Ausnahme  des  §  1414, 
entsprechende  Anwendung. 

§  1346.  (1346,  1347,  1349.)  Von  dem  Gesamtgut  ausgeschlossen  ist  das  Vorbe- 
haltsgut. 

Vorbehaltsgut    ist,    was    durch    Ehevertrag    für    Vorbehaltsgut    eines    der    Ehegatten 
erklärt  ist  und  was  von  einem  der  Ehegatten    nach  Mafsgabe  der  §§  f,  g  erworben  wird. 
§  1347  vergl.  §  1346. 
§  1348  gestrichen. 
§  1349  vergl.  §  1346. 

§  1350.  Auf  das  Vorbehaltsgut  der  Frau  finden  die  bei  der  Gütertrennung  für  das 
Vermögen  der  Frau  geltenden  Vorschriften  entsprechende  Anwendung ;  die  Frau  hat 
jedoch  den  im  §m2  bestimmten  Beitrag  zur  Bestreitung  des  ehelichen  Aufwandes  dem 
Manne  nur  insoweit  zu  leisten,  als  die  in  das  Gesamtgut  fallenden  Einkünfte  zur  Bestrei- 
tung des  Aufwandes  nicht  ausreichen. 
§  1351   vergl.  §   1345  a. 


378  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

selbst  wieder  unübertragbar  sind,  zu  Gesamtgut  werden  zu  lassen.  Sie 
ging  bei  diesem  Beschlufs  teilweise  von  der  Absicht  aus,  entsprechend 
vielfachen  Wünschen  der  Kritik  die  rechtsgeschäftliche  Schaffung  von 
Sondergut  auszuschliefsen,  während  ein  anderer  Teil  der  Mehrheit  nur 
die  ausdrückliche  Anerkennung  der  Zulässigkeit  von  Sondergut  dieser  Art 
für  entbehrlich  hielt. 

Die  Vorschriften   der   §§  1352 — 1358    über    die  Verwaltung  des  Ge- 


§  1352.  Das  Gesamtgut  unterliegt  der  Verwaltung  des  Mannes.  Der  Mann  ist  ins- 
besondere zum  Besitze  der  zu  dem  Gesamtgute  gehörenden  Sachen  berechtigt  und  befugt, 
über  das  Gesamtgut  zu  verfügen,  sowie  Reehtsstreitigkeiten,  die  sich  auf  das  Gesamtgut 
beziehen,  im  eigenen  Namen  zu  führen. 

Die  Frau  wird  durch  die  Verwaltungshandlungen  des  Mannes  weder  Dritten  noch 
dem  Manne  gegenüber  persönlich  verpflichtet. 

§  1353.  (1353  Abs.  1.)  Der  Mann  bedarf  der  Zustimmung  der  Frau  zur  Ver- 
fügung über  das  Gesamtgut  als  Ganzes,  zur  Eingehung  der  Verpflichtung  zu  einer  solchen 
Verfügung  sowie  zu  einer  Verfügung  über  Gesamtgut ,  durch  welche  eine  ohne  die  Zu- 
stimmung  der  Frau  eingegangene  Verpflichtung  dieser  Art  erfüllt  werden  soll. 

§  1353  a.  (1353  Abs.  1.)  Der  Mann  bedarf  der  Zustimmung  der  Frau  zur  Ver- 
fügung über  ein  zum  Gesamtgute  gehörendes  Grundstück  sowie  zur  Eingehung  einer  Ver- 
pflichtung zu  einer  solchen  Verfügung. 

§  1353  b.  (1353  Abs.  2,  3.)  Der  Mann  bedarf  der  Zustimmung  der  Frau  zu  einer 
Schenkung  aus  dem  Gesamtgute ,  zu  einem  Schenkungsversprechen  sowie  zu  einer  Ver- 
fügung über  Gesamtgut,  durch  welche  ein  ohne  die  Zustimmung  der  Frau  erteiltes  Schen- 
kungsversprechen erfüllt  werden  soll. 

Ausgenommen  sind  Schenkungen,  durch  die  einer  sittlichen  Pflicht  oder  einer  auf 
den   Anstand  zu  nehmenden  Rücksicht  entsprochen  wird. 

§  1353  c.  Hat  der  Mann  ohne  Einwilligung  der  Frau  ein  Rechtsgeschäft  der  in  den 
§§  1353 — 1353b  bezeichneten  Art  vorgenommen,  so  finden  die  für  eine  Verfügung 
der  Frau  über  eingebrachtes  Gut  geltenden  Vorschriften  der  §§g* — i1  entsprechende 
Anwendung,  die  Vorschrift  des  §  g1  mit  der  Mafsgabe,  dafs  die  Verweigerung  der  Geneh- 
migung durch  die  Frau  dem  anderen  Teile  gegenüber  unwirksam  ist  und  ihre  Genehmi- 
gung nur  dann  als  verweigert  gilt,  wenn  der  Mann  nicht  binnen  zwei  Wochen  nach  dem 
Empfang  einer  Aufforderung  des  anderen  Teiles  diesem  die  Genehmigung  oder  eine  sie 
ersetzende  Entscheidung  des  Vormundschaftsgerichts  mitteilt. 

§  1353 d.  (1353  Abs.  4.)  Ist  zur  ordnungsmäfsigen  Verwaltung  des  Gesamtguts 
ein  Rechtsgeschäft  der  in  den  §§  1353,  1353  a  bezeichneten  Art  erforderlich,  so  kann 
die  Zustimmung  der  Frau ,  wenn  sie  von  ihr  ohne  ausreichenden  Grund  verweigert  wird, 
auf  Antrag  des  Mannes  durch  das  Vormundschaftsgericht  ersetzt  werden. 

Das  Gleiche  gilt ,  wenn  die  Frau  durch  Krankheit  oder  durch  Abwesenheit  an  der 
Abgabe  der  Erklärung  verhindert  und  mit  dem  Aufschübe  Gefahr  verbunden  ist. 

§  1353  e.  (1364.)  Der  Mann  ist  der  Frau  für  die  Verwaltung  des  Gesamtguts  nicht 
verantwortlich.  Er  hat  jedoch  für  eine  Verminderung  des  Gesamtguts,  welche  er  in  der 
Absicht ,  die  Frau  zu  benachteiligen ,  oder  durch  ein  ohne  die  erforderliche  Zustimmung 
der  Frau  vorgenommenes  Rechtsgeschäft  herbeigeführt  hat,  zu  dem  Gesamtgut  Ersatz  zu 
leisten. 

§  1354.  Hat  der  Mann  ohne  die  erforderliche  Zustimmung  der  Frau  über  ein  zu 
dem  Gesamtgute  gehörendes  Recht  verfügt,  so  kann  die  Frau  das  Recht  ohne  Mitwirkung 
des  Mannes  gegen  Dritte  gerichtlich  geltend  machen.  Dies  gilt  auch  von  dem  Anspruch 
auf  Berichtigung  des  Grundbuchs ,  wenn  auf  Grund  einer  solchen  Verfügung  eine  Ein- 
tragung in  das  Grundbuch  erfolgt  ist. 

§  1355.  Zur  Annahme  oder  Ausschlagung  einer  der  Frau  angefallenen  Erbschaft 
oder  eines  ihr  angefallenen  Vermächtnisses  ist  nur  die  Frau  berechtigt ;  die  Einwilligung 
des  Mannes  ist  nicht  erforderlich.  Das  Gleiche  gilt  von  dem  Verzicht  auf  den  Pflicht- 
teil sowie  von  der  Ablehnung  eines  der  Frau  gemachten  Vertragsantrags  oder  einer  ihr 
gemachten  Schenkung. 

§  1356.  Wird  von  der  Frau  ein  Erwerbsgeschäft  selbständig  betrieben  ,  so  finden 
die  Vorschriften  des  §  q '    entsprechende  Anwendung. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  379 

samtguts  erfuhren  nur  in  §  1353  Abs.  4  und  §  1354  Aenderungen,  welche 
dem  zum  gesetzlichen  Güterrecht  gefafsten  Beschlüssen  entsprechen.  Im 
§  1359  wurde  die  Bestimmung  des  Abs.  2,  derzufolge  der  Mann  für  Ver- 
bindlichkeiten der  Frau,  welche  Gesamtgutsverbindlichkeiten  sind,  auch 
persönlich  haftet,  dadurch  wesentlich  abgeschwächt,  dafs  die  persönliche 
Haftung  des  Mannes  für  solche  Verbindlichkeiten  der  Frau,  die  im  Ver- 
hältnis der  Ehegatten  zu  einander  nicht  dem  Gesamtgut  zur  Last  fallen 
(§  1367),  mit  der  Auflösung  der  Gütergemeinschaft  erlöschen  soll.  Da 
die  persönliche  Haftung  des  Mannes  im  wesentlichen  bezweckt,  die  Gläu- 
biger der  Frau  gegen  einen  sie  gefährdenden  Mifsbrauch  des  dem  Manne 
während  der  Dauer  der  Gütergemeinschaft  zustehenden  Verwaltungsrechts 
zu  schützen,  erschien  es  billig,  sie  bezüglich  der  bezeichneten  Verbind- 
lichkeiten der  Frau  mit  der  Beendigung  der  Gütergemeinschaft  fortfallen 
zu  lassen.      Von  den  folgenden  Bestimmungen  wurden  die  §§   1362,   1366, 


§  1357.  Zur  Fortsetzung  eines  bei  dem  Eintritte  der  Gütergemeinschaft  anhängigen 
Rechtsstretis  bedarf  die  Frau  nicht  der  Zustimmung  des  Mannes. 

§  1358.  Ist  der  Mann  durch  Krankheit  oder  durch  Abwesenheit  verhindert,  ein  auf 
das  Gesamtgut  sich  beziehendes  Rechtsgeschäft  vorzunehmen  oder  einen  auf  das  Gesamt- 
gut sich  beziehenden  Rechtsstreit  zu  führen,  so  kann  die  Frau,  wenn  mit  dem  Aufschübe 
Gefahr  verbunden  ist,  im  eigenen  Namen  oder  im  Namen  des  Mannes  das  Rechtsgeschäft 
vornehmen   oder  den  Rechtsstreit  führen. 

§  1358a.  (1370)  Steht  der  Mann  unter  Vormundschaft,  so  hat  der  Vormund  ihn 
in  den  Rechten  und  Pflichten  zu  vertreten,  welche  sich  aus  der  Verwaltung  des  Gesamt- 
guts für  ihn  ergeben.      Dies  gilt  auch  dann,  wenn  die  Frau   Vormund  ist. 

§  1358  b.  (1366.)  Ist  zur  ordnungsmäfsigen  Besorgung  der  persönlichen  Angelegen- 
heiten der  Frau  ein  Rechtsgeschäft  erforderlich  ,  welches  die  Frau  mit  Wirkung  für  das 
Gesamtgut  nicht  ohne  Zustimmung  des  Mannes  vorzunehmen  berechtigt  ist ,  so  kann  die 
Zustimmung,  wenn  sie  von  dem  Manne  ohne  ausreichenden  Grund  verweigert  wird,  auf 
Antrag  der  Frau  durch  das  Vormundschaftsgericht  ersetzt  werden. 

§  1359.  Die  Gläubiger  des  Mannes  können  in  allen  Fällen,  die  Gläubiger  der  Frau, 
soweit  sich  nicht  aus  den  §§  1362 — 1362  b  ein  anderes  ergiebt,  Befriedigung  aus  dem 
Gesamtgute  verlangen  (Gesamtgutsverbindlichkeit). 

Für  Verbindlichkeiten  der  Frau,  welche  Gesamtgutsverbindlichkeiten  sind ,  haftet 
der  Mann  auch  persönlich.  Die  Haftung  erlischt  mit  der  Auflösung  der  Gütergemein- 
schaft, wenn  die  Verbindlichkeiten  im  Verhältnisse  der  Ehegatten  zu  einander  nicht  dem 
Gesamtgute  zur  Last  fallen. 

§   1360  gestrichen;  vergl.  die  Anmerkung  zu  §w1. 
§   1361   gestrichen. 

Anmerkung.  Im  Art.  13  des  Entwurfes  des  Einführungsgesetzes  sollen  zum  teil- 
weisen Ersätze  der  §§  1361,  1375,  des  §  1399  Abs.  2,  des  §  1406  Abs.  1,  3,  des  §  1424 
Abs.  2,  des  §  1429  Abs.  1  und  des  §  1431  Abs.  1  des  Entw.  1  folgende  Vorschriften  in 
die  Konkursordnung  als  §   1  a  eingestellt  werden  : 

Wird  bei  dem  Güterstande  der  allgemeinen  Gütergemeinschaft,  der  Errungenschafts- 
gemeinschaft sowie  der  Fahrnisgemeinschaft  das  Konkursverfahren  über  das  Ver- 
mögen des  Ehemanns  eröffnet,  so  gehört  das  Gesamtgut  zur  Konkursmasse  ;  eine  Aus- 
einandersetzung des  Gesamtguts  zwischen  den  Ehegatten  findet  nicht  statt. 

Durch  das  Konkursverfahren  über  das  Vermögen  der  Ehefrau  wird  das  Gesamt- 
gut nicht  berührt. 

Wird  über  das  Vermögen  eines  der  Ehegatten  nach  der  Auflösung  der  Güter- 
gemeinschaft und  vor  der  Auseinandersetzung  das  Konkursverfahren  eröffnet,  so 
gehört  der  Anteil  dieses  Ehegatten  an  dem   Gesamtgute  zur  Konkursmasse. 

Diese  Vorschriften  finden  bei    der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft  mit  der  Mafs- 
gabe  entsprechende  Anwendung,  dafs  an  die  Stelle  des  Ehemanns  der  überlebende 
Ehegatte  und  an  die  Stelle  der  Ehefrau  die  Abkömmlinge  treten. 
§  1362.     (1362  Nr.  1.)     Das  Gesamtgut  haftet   für  Verbindlichkeiten  der  Frau,    die 


380  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

1367  mit  Rücksicht  auf  die  bezüglich  des  gesetzlichen  Güterrechte  und 
des  Sonderguts  gefafsten  Beschlüsse  geändert.  Insbesondere  nahm  man 
den  Satz  auf,  dafs  der  eheliche  Aufwand  dem  Gesamtgut  zur  Last  fällt. 
Die  dem  §   1868    neu  hinzugefügte  Vorschrift  des  §  1368    Abs.   1    der  2. 


nach  dem  Eintritte  der  Gütergemeinschaft  aus  Rechtsgeschäften  oder  gerichtlichen  Ent- 
scheidungen entstanden  sind,  nur  dann,  wenn  die  Vornahme  des  Rechtsgeschäfts  oder  die 
Führung  des  Rechtsstreits  mit  Zustimmung  des  Mannes  erfolgt  oder  ohne  seine  Zustim- 
mung ihm  gegenüber  wirksam  ist  oder  soweit  das  Gesamtgut  bereichert  ist. 

Für  die  Kosten  eines  Rechtsstreits  der  Frau  haftet  das  Gesamtgut  auch  dann  ,  wenn 
das  Urteil  dem  Manne  gegenüber  unwirksam  ist. 

§  1362  a.  (1362  Nr.  2.)  Das  Gesamtgut  haftet  nicht  für  Verbindlichkeiten  der  Frau, 
die  infolge  des  Erwerbes  einer  Erbschaft  oder  eines  Vermächtnisses  entstanden  sind,  wenn 
die  Frau  die  Erbschaft  oder  das  Vermächtnis  nach  dem  Eintritte  der  Gütergemeinschaft 
als  Vorbehaltsgut  erworben  hat. 

§  1362  b.  (1362  Nr.  3.)  Das  Gesamtgut  haftet  nicht  für  Verbindlichkeiten  der 
Frau ,  die  nach  dem  Eintritte  der  Gütergemeinschaft  infolge  eines  zum  Vorbehaltsgute 
gehörenden  Rechtes  oder  des  Besitzes  einer  dazu  gehörenden  Sache  entstanden  sind,  es 
sei  denn,  dafs  das  Recht  oder  die  Sache  zu  einem  Erwerbsgeschäfte  gehört,  das  von  der 
Frau  mit  Einwilligung  des  Mannes  selbständig  betrieben  wird. 

§   1363  gestrichen. 

Anmerkung.  Der  §  1363  des  Entw.  I  soll  in  den  Titel  über  die  Unterhalts- 
pflicht eingestellt  werden. 

§  1364  vergl.  §  1353  e. 

§  1364  a.     Der  eheliche  Aufwand  fällt  dem  Gesamtgute  zur  Last. 

§  1365  vergl.  §  1368  a. 

§   1366  vergl.  §  1358  a. 

§  1367.  (1367  Abs.  1,  2  Nr.  1,  2,  4.)  Im  Verhältnisse  der  Ehegatten  zu  einander 
fallen  folgende  Gesamtgutverbindlichkeiten  demjenigen  Ehegatten  zur  Last ,  in  dessen 
Person  sie  entstanden  sind: 

1.  die  Verbindlichkeiten  aus  einer  von  ihm  nach  dem  Eintritte  der  Gütergemeinschaft 
begangenen  unerlaubten  Handlung  oder  aus  einem  wegen  einer  solchen  Handlung 
gegen  ihn  gerichteten  Strafverfahren ; 

2.  die  Verbindlichkeiten  aus  einem  auf  sein  Vorbehaltsgut  sich  beziehenden  Rechtsver- 
hältnis ,  auch  wenn  sie  vor  dem  Eintritte  der  Gütergemeinschaft  oder  vor  der  Zeit 
entstanden  sind,  zu  welcher  das  Gut  Vorbehaltsgut  geworden  ist; 

3.  die  Verbindlichkeiten  aus  einer  gerichtlichen  Entscheidung  über  eine  der  unter  den 
Nr.  1,  2  bezeichneten  Verbindlichkeiten ,  einschliefslich  der  Verbindlichkeit  zur  Tra- 
gung der  Kosten. 

§  1367  a.  (1367  Abs.  1,  2  Nr.  3,  4.)  Im  Verhältnisse  der  Ehegatten  zu  einander 
fällt  die  Verbindlichkeit  der  Frau  zur  Tragung  der  Kosten  des  Rechtsstreits  zwischen  ihr 
und  dem  Manne  der  Frau  zur  Last. 

Das  Gleiche  gilt  von  der  Verbindlichkeit  der  Frau  zur  Tragung  der  Kosten  eines 
Rechtsstreits  zwischen  ihr  und  einem  Dritten ,  es  sei  denn ,  dafs  das  Urteil  dem  Manne 
gegenüber  wirksam  ist  oder  der  Rechtsstreit  eine  persönliche  Angelegenheit  der  Frau 
betrifft  und  dafs  die  Aufwendung  der  Kosten  den  Umständen  nach  geboten  war. 

§  1368.  Im  Verhältnisse  der  Ehegatten  zu  einander  fällt  eine  Ausstattung  ,  die  der 
Mann  einem  nicht  gemeinschaftlichen  Kinde  aus  dem  Gesamtgute  zugesichert  oder  gewährt 
hat,  dem  Vater  oder  der  Mutter  des  Kindes,  der  Mutter  jedoch  nur  insoweit  zur  Last, 
als  sie  zugestimmt  hat  oder  die  Ausstattung  nicht  das  dem  Gesamtgut  entsprechende 
Mafs  übersteigt. 

Hat  der  Mann  einem  gemeinschaftlichen  Kinde  eine  Ausstattung  aus  dem  Gesamt- 
gute zugesichert  oder  gewährt ,  so  fällt  die  Ausstattung  dem  Manne  insoweit  zur  Last, 
als  sie  das  dem  Gesamtgut  entsprechende  Mafs  übersteigt. 

§  1368  a.  (1365.)  Macht  der  Mann  aus  dem  Gesamtgut  eine  Verwendung  auf  sein 
Vorbehaltsgut,    so    hat    er    den  Wert    des  Verwendeten    zu    dem  Gesamtgute  zu  ersetzen. 

Macht  der  Mann  aus  seinem  Vorbehaltsgut  eine  Verwendung  auf  das  Gesamtgut,  so 
kann  er  Ersatz  aus  dem  Gesamtgute  verlangen. 


NationalökoDomische   Gesetzgebung.  381 

Lesung  entspricht  dem  Gedanken    des    §  2161    Abs.    1   des  Entwurfs    und 
dem  französischen  Kecht. 

Das  Kecht  der  Frau,  auf  Auflösung  der  Gütergemeinschaft  zu  klagen, 
wurde  gegenüber  dem  §  1372  zwiefach   erweitert.      Einmal  soll  im  Ealle 


§  1369.  Was  ein  Ehegatte  zu  dem  Gesamtgut  oder  was  die  Frau  zu  dem  Vorbe- 
haltsgute des  Mannes  schuldet,  ist  erst  bei  der  Auflösung  der  Gütergemeinschaft  zu  leisten ; 
soweit  jedoch  zur  Berichtigung  einer  Schuld  der  Frau  ihr  Vorbehaltsgut  ausreicht,  hat 
sie  die  Schuld  schon  vorher  zu  berichtigen. 

Was  der  Mann  aus  dem  Gesamtgute  zu  fordern  hat,  kann  er  gleichfalls  erst  bei  der 
Auflösung  der  Gütergemeinschaft  fordern. 

§  1370  vergl.  §  1358  a. 

§  1371   Nr.    1,  3  gestrichener.  2   vergl.  §   1372  b. 

§    1372.     Die  Frau  kann  auf  Auflösung  der    Gütergemeinschaft  klagen: 

1.  wenn  der  Mann  ein  Rechtsgeschäft  der  in  den  §§  1353  bis  1353  b  bezeichneten  Art 
ohne  Zustimmung  der  Frau  vorgenommen  hat  und  eine  erhebliche  Gefährdung  der 
Frau  zu  besorgen  ist ; 

2.  wenn  der  Mann  das  Gesamtgut  in  der  Absicht,  die  Frau  zu  benachteiligen,  ver- 
mindert hat; 

3.  wenn  der  Mann  seine  Verpflichtung,  der  Frau  und  den  gemeinschaftlichen  Abkömm- 
lingen den  Unterhalt  zu  gewähren,  verletzt  hat  und  für  die  Zukunft  eine  erhebliche 
Gefährdung  des   Unterhalts  zu  besorgen  ist; 

4.  wenn  der  Mann  wegen  Verschwendung  entmündigt  ist  oder  wenn  er  das  Gesamtgut 
durch   Verschwendung  erheblich  gefährdet; 

5.  wenn  das  Gesamtgut  infolge  von  Verbindlichkeiten,  die  in  der  Person  des  Mannes 
entstanden  sind,  in  solchem  Mafse  überschuldet  ist,  dafs  ein  späterer  Erwerb  der 
Frau  erheblich  gefährdet  wird. 

§  1372  a.  Der  Mann  kann  auf  Auflösung  der  Gütergemeinschaft  klagen,  wenn  das  Gesamt- 
gut infolge  von  Verbindlichkeiten  der  Frau,  die  im  Verhältnisse  der  Ehegatten  zu  einander 
nicht  dem  Gesamtgute  zur  Last  fallen,  in  solchem  Mafse  überschuldet  ist,  dafs  ein  späterer 
Erwerb   des  Mannes  erheblich  gefährdet  wird. 

§  1372b.  (1371  Nr.  2  und  1381  Abs.  2.)  Die  Auflösung  der  Gütergemeinschaft 
tritt  in  den  Fällen  der  §§  1372,  1372  a  mit  der  Rechtskraft  des  Urteils  ein.  Für  die 
Zukunft  gilt  Gütertrennung. 

Dritten  gegenüber  ist  die  Auflösung  der  Gütergemeinschaft  nur  nach  Mafsgabe  des 
§   1336  wirksam. 

§  1372  c.  (1381  Abs.  1.)  Wird  die  Gütergemeinschaft  durch  Ehevertrag  auf- 
gelöst ,  so  gilt  für  die  Zukunft  Gütertrennung ,  sofern  nicht  im  Vertrag  ein  anderes 
bestimmt  ist. 

§  1373.  (1376.)  Ist  die  Gütergemeinschaft  aufgelöst,  so  findet  in  Ansehung  des 
Gesamtguts  die  Auseinandersetzung  in  Ermangelung  einer  anderen  Vereinbarung  nach 
den  §§  1377—1380  statt. 

§  1373a.  (1373  Abs.  1)  Bis  zur  Auseinandersetzung  können  die  Ehegatten  nicht 
über  ihre  Anteile  am  Gesamtgut  und  den  dazu  gehörenden  einzelnen  Gegenständen  ver- 
fügen ,  auch  nicht  Teilung  einzelner  Gegenstände  verlangen ;  für  die  Aufrechnung  gegen 
eine  zum  Gesamtgute  gehörende  Forderung  gilt  die  Vorschrift  des  §   1344  Abs.   2. 

Die  Verwaltung  des  Gesamtguts  steht  bis  zur  Auseinandersetzung  beiden  Ehegatten 
gemeinschaftlich  zu;  jeder  von  ihnen  ist  dem  anderen  verpflichtet,  zu  Mafsregeln  mitzu- 
wirken, die  zur  ordnungsmäfsigen  Verwaltung  erforderlich  sind. 

Anmerkung.  Im  Art.  11  des  Entwurfes  des  Einführuugsgesetzes  sollen  zum  teil- 
weisen Ersätze  des  §  1374,  des  §  1406  Abs.  1,  3,  des  §  1429  Abs.  1  und  des  §  1431 
Abs.  1  des  Entw.  I  folgende  Vorschriften  in  die  Civilprozefsordnung  eingestellt  werden  : 
§  671  d.  Nach  Auflösung  der  allgemeinen  Gütergemeinschaft,  der  Errungen- 
schaftsgemeinschaft sowie  der  Fahrnisgemeinschaft  ist  vor  der  Auseinandersetzung 
die  Zwangsvollstreckung  in  das  Gesamtgut  nur  zulässig,  wenn  beide  Ehegatten  zu 
der  Leistung  oder  der  Ehemann  zu  der  Leistung  und  die  Ehefrau  zur  Gestattung 
der  Zwangsvollstreckung  verurteilt  sind. 


382  Nationalökonomische    Gesetzgebung. 

verschwenderischen  Verhaltens  des  Mannes  die  Klage  nicht  erst  statthaft 
sein,  wenn  die  Besorgnis  gerechtfertigt  ist,  dafs  der  Mann  sich  oder  seine 
Familie  dem  Notstande  preisgiebt,  sondern  es  soll  genügen,  dafs  er  durch 
Verschwendung  das  Gesamtgut  erheblich  gefährdet,  und  die  Klage  soll 
stets  gegeben  sein  im  Falle  der  Entmündigung  des  Mannes  wegen  Ver- 
schwendung, ohne  dafs  das  Prozefsgericht  das  Vorhandensein  ihrer  Vor- 
aussetzungen nachzuprüfen  hat.  Ein  Antrag,  der  Frau  die  Klage  auch 
dann  zu  gestatten,  wenn  der  Mann  aus  anderem  Grunde  entmündigt  oder 
nach  §  1757  des  vormundschaftlichen  Schutzes  fiir  bedürftig  erklärt  ist, 
wurde  abgelehnt.  Man  gewährte  der  Frau  die  Klage  zweitens  auch  dann, 
wenn  das  Gesamtgut  infolge  von  Verbindlichkeiten,  die  in  der  Person  des 
Mannes  entstanden  sind,  in  solchem  Mafse  überschuldet  ist,  dafs  ein  spä- 
terer Erwerb  der  Frau  erheblich  gefährdet  wird.  Für  diesen  Beschlufs 
war  die  Erwägung  mafsgebend,  dafs  der  im  Entwurf  durchgeführte 
Gedanke,  nur  wegen  Verschuldens  des  Mannes  die  Auflösuugsklage  zuzu- 
lassen, dem  praktischen  Bedürfnis  nach  Schutz  der  Frau  und  der  Kinder 
nicht  gerecht  werde.  Das  Klagerecht  der  Frau  an  die  Eröffnung  des  Kon- 
kurses über  das  Vermögen  des  Mannes  zu  knüpfen,  erschien  namentlich 
in  den  Fällen  unbillig,  in  denen  der  Konkurs  durch  Schulden  oder  un- 
wirtschaftliches Verhalten  der  Frau  herbeigeführt  wird.  Ein  entsprechendes 
Recht,  auf  Auflösung  zu  klagen,  gab  man  endlich  bei  Vermögensverfall 
der  Frau  dem  Manne.      Die  Vorschriften  über  das  Rechtsverhältnis   nach 


§  671  e.  Ist  die  Auflösung  der  allgemeinen  Gütergemeinschaft,  der  Errungen- 
schaftsgemeinschaft oder  der  Fahrnisgemeinschaft  nach  der  Beendigung  eines  Rechts- 
streits eingetreten  ,  so  finden  auf  die  Erteilung  einer  in  Ansehung  des  Gesamtguts 
gegen  die  Ehefrau  vollstreckbaren  Ausfertigung  des  gegen  den  Ehemann  erlassenen 
Urteils  die  Vorschriften  der  §§  665—668,  671   entsprechende  Anwendung. 

§  671  f.     Die  Vorschriften  der  §§  671  d,    671  e  finden  nach  Auflösung  der  fort- 
gesetzten Gütergemeinschaft  mit  der  Mafgabe    entsprechende  Anwendung ,    dafs  an 
die  Stelle  des  Ehemannes  die    überlebende  Ehefrau  und  an   die  Stelle  der  Ehefrau 
die  Abkömmlinge  treten. 
§  1373  b.     (1373   Abs.  2.)     Was    vor    der    Auseinandersetzung    auf    Grund    eines  zu 
dem  Gesamtgute  gehörenden  Rechtes    oder  als  Ersatz  für    die  Zerstörung ,    Beschädigung 
oder    Entziehung    eines    zu    dem    Gesamtgute    gehörenden    Gegenstandes    oder    durch    ein 
Rechtsgeschäft  erworben   wird,  das  sich  auf  das  Gesamtgut  bezieht,  wird  Gesamtgut. 
§  1374  gestrichen. 
§  1375  gestrichen. 

Anmerkung.     Vergl.  die  Anmerkung  zu  §   1361. 
§   1376  vergl.  §   1373. 

§  1377.  (1377  Abs.  1,  1378  Abs.  1.)  Aus  dem  Gesamtgute  sind  zunächst  die  Ge- 
samtgutsverbindlichkeiten zu  berichtigen.  Fällt  eine  Gesamtgutsverbindlichkeit  im  Ver- 
hältnisse der  Ehegatten  zueinander  einem  der  Ehegatten  allein  zur  Last,  so  kann  dieser 
die  Berichtigung  aus  dem  Gesamtgute  nicht  verlangen. 

Zur  Berichtigung  der  Gesamtgutsverbindlichkeiten  ist  das  Gesamtgut,  soweit  erforder- 
lich, in  Geld  umzusetzen. 

§  1377  a.  (1377  Abs.  2 — 4.)  Der  nach  der  Berichtigung  der  Gesamtgutsverbind- 
lichkeiten verbleibende  Ueberschufs  gebührt  den  Ehegatten  zu  gleichen  Teilen. 

Was  einer  der  Ehegatten  zu  dem  Gesamtgute  zu  ersetzen  verpflichtet  ist ,  mufs  er 
sich  auf  seinen  Teil  anrechnen  lassen.  Soweit  die  Ersatzleistung  nicht  durch  Anrechnung 
erfolgt,  bleibt  der  Ehegatte  dem  anderen  verpflichtet. 

§  1378.  (1378  Abs.  2.)  Die  Teilung  des  Ueberschusses  erfolgt  nach  den  Vorschriften 
über  die  Gemeinschaft.  Jeder  Ehegatte  kann  jedoch  die  ausschliefslich  zu  seinem  persön- 
lichen Gebrauche    bestimmten    Sachen,    insbesondere  Kleider    und  Schmucksachen ,    sowie 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  383 

Auflösung  der  Gütergemeinschaft  und  die  Auseinandersetzung  erfuhren 
eine  erhebliche  Ergänzung  zum  Schutze  der  Gläubiger,  deren  Forderungen 
vor  der  Teilung  des  Gesamtguts  unter  die  Ehegatten  aus  dem  Gesamtgut 
hätten  berichtigt  werden  müssen,  aber  nicht  berichtigt  sind.  Nach  dem 
Entwurf  und  dem  zu  §  1359  gefafsten  Beschlüsse  könnte  ein  solcher 
Gläubiger  des  Mannes  sich  nur  an  den  Mann  und  an  dessen  Vermögen, 
einschliefslich  der  demselben  zugeteilten  Gesamtgutsgegenstände  und  des 
demselben  etwa  gegen  die  Frau  zustehenden  Anspruchs  auf  Herausgabe 
der  ihr  zugeteilten  Gesamtgutsgegenstände  halten;  ein  solcher  Gläubiger 
der  Erau  könnte  sich  an  die  Erau  halten,  an  den  Mann  dagegen  nur  in- 
soweit, als  dieser  nach  dem  Beschlufs  zu  §  1359  auch  nach  Auflösung 
der  Gütergemeinschaft  ihm  noch  persönlich  haltet.  Die  Mehrheit  war 
der  Ansicht,  dafs  durch  diese  Regelung  die  Gläubiger  nicht  genügend  ge- 
schützt seien,  und  hielt  es  namentlich  für  bedenklich,  wenn  den  Ehe- 
gatten die  Möglichkeit  gegeben  werde,  durch  den  vom  Willen  der  Gläubiger 
unabhängigen  Akt  der  Teilung  denselben  den  Zugriff  auf  das  als  Kredit- 
grundlage angenommene  Gesamtgut  zu  entziehen  oder  doch  zu  erschweren. 


diejenigen  Gegenstände  gegen  Ersatz  des  Wertes  übernehmen ,  welche  er  in  die  Güter- 
gemeinschaft gebracht  oder  während  derselben  durch  Erbfolge  oder  Vermächtnis  oder  mit 
Rücksicht  auf  ein  künftiges  Erbrecht  durch  Schenkung  oder  als  Ausstattung  erworben  hat. 

§  1378  a.  Sind  die  Ehegatten  geschieden  und  ist  nur  einer  von  ihnen  für  schuldig 
erklärt,  so  kann  der  andere  Ehegatte  verlangen,  dafs  ihm  der  Wert  desjenigen,  was  er 
mehr  als  der  schuldige  Ehegatte  in  die  Gütergemeinschaft  eingebracht  hat,  als  Voraus 
zugeteilt  wird,  sofern  der  Wert  des  Gesamtguts  den  Wert  des  von  den  beiden  Ehegatten 
Eingebrachten  erreicht.  Ist  der  Wert  des  Gesamtguts  geringer ,  so  kann  der  nicht  für 
schuldig  erklärte  Ehegatte  Teilung  in  der  Art  verlangen,  dafs  jedem  Ehegatten  der  Wert 
des  von  ihm  Eingebrachten  nach  Abzug  der  Hälfte  des  Fehlbetrages  zurückerstattet  wird. 

Der  Wert  des  Eingebrachten  bestimmt  sich  nach  der  Zeit  des  Einbringens.  Als 
eingebracht  ist  anzusehen,  was  eingebrachtes  Gut  gewesen  sein  würde,  wenn  Errungen- 
schaftsgemeinschaft bestanden  hätte. 

Die  gleichen  Rechte  hat  ein  Ehegatte,  wenn  die  Ehe  wegen  seiner  Geisteskrankheit 
geschieden  worden  ist. 

§  1379.  Wird  die  Gütergemeinschaft  auf  Grund  des  §  1372  oder  des  §  1372  a  auf- 
gelöst, so  kann  der  Ehegatte,  welcher  das  Urteil  erwirkt  hat,  verlangen,  dafs  die  Aus- 
einandersetzung so  erfolgt,  wie  wenn  der  Anspruch  auf  Auseinandersetzung  mit  der  Er- 
hebung der  Klage  auf  Auflösung  der  Gütergemeinschaft  rechtshängig  geworden  wäre. 

§  1379a.  Wird  das  Gesamtgut  geteilt,  bevor  die  Gesamtgutsverbindlichkeiten  be- 
richtigt worden  sind,  so  haftet  jeder  Ehegatte  für  eine  nicht  in  seiner  Person  entstandene 
Gesamtgutsverbindlichkeit  dem  Gläubiger  persönlich.  Die  Haftung  beschränkt  sich  jedoch 
auf  die  ihm  zugeteilten  Gegenstände. 

Anmerkung.  Der  in  der  Anmerkung  zu  §  362  (II.  Lesung)  gemachte  Vorbe- 
halt gilt  auch  für  die  Vorschrift  des  §   1379  a. 

§  1380.  Ist  die  Berichtigung  einer  Gesamtgutsverbindlichkeit  unterblieben  ,  die  im 
Verhältnisse  der  Ehegatten  zu  einander  dem  Gesamtgut  oder  dem  Manne  zur  Last  fällt, 
so  hat  der  Mann  dafür  einzustehen,  dafs  die  Frau  von  dem  Gläubiger  nicht  in  Anspruch 
genommen  wird.  Die  gleiche  Verpflichtung  hat  die  Frau  dem  Manne  gegenüber ,  wenn 
die  Berichtigung  einer  Gesamtgutsverbindlichkeit  unterblieben  ist ,  die  im  Verhältnisse 
der  Ehegatten  zu  einander  der  Frau  zur  Last  fällt. 

§   1381   vergl.  §§   1372  b  und  1372  c. 

Anmerkung.  Es  wird  vorausgesetzt,  dafs  in  das  für  erforderlich  erachtete  Reichs- 
gesetz über  die  Angelegenheiten  der  freiwilligen  Gerichtsbarkeit  eine  Vorschrift  aufge- 
nommen wird,  nach  welcher  das  zuständige  Amtsgericht  auf  Antrag  eines  Ehegatten  durch 
Verhandlung  mit  den  Ehegatten  die  Auseinandersetzung  des  Gesamtguts  im  Falle  der 
Auflösung  der  Gütergemeinschaft  zu  vermitteln  hat. 


384  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Man  beschlofs  daher,  in  dem  vorausgesetzten  Falle  jeden  Ehegatten  für 
eine  nicht  in  seiner  Person  entstandene  Gesamtgutsverbindlichkeit  per- 
sönlich haften  zu  lassen,  so  jedoch,  dafs  die  Haftung  sich  auf  die  ihm  zu- 
geteilten Gesamtgutsgegenstände  beschränkt;  indes  behielt  man,  entsprechend 
dem  Beschlüsse  zu  §  319,  sich  vor,  erst  nach  der  Beratung  des  Inventar- 
rechts zu  entscheiden,  ob  der  Ehegatte  nur  mit  den  zugeteilten  Gegen- 
ständen oder  bis  zu  deren  Werte  mit  seinem  ganzen  Vermögen  haften 
soll.  Durch  eine  dem  Entwurf  fremde,  für  das  Gesetz  über  die  freiwillige 
Gerichtsbarkeit  in  Aussicht  genommene  Vorschrift  soll  den  Ehegatten  ge- 
stattet werden,  bei  der  Auseinandersetzung  sich  der  Vermittelung  des  zu- 
ständigen Amtsgerichts  zu  bedienen.  Abweichend  vom  §  1382  erschien 
es  in  dem  Falle,  wenn  die  Gütergemeinschaft  durch  Ehevertrag  aufgelöst 
wird,  dem  mutmafslichen  Willen  der  Ehegatten  entsprechend,  Güter- 
trennung eintreten  zu  lassen;  und  ebenso  sah  man  keinen  Grund,  im 
Falle  der  Auflösung  durch  Urteil  der  Frau  die  Wahl  des  gesetzlichen 
Güterstandes  an  Stelle  der  Gütertrennung  offen  zu  halten. 

Die  Regelung  der  gütergemeinschaftlichen  Erbfolge, 
welcher  der  Entwurf  sich  mit  §  1382  zuwendet,  gestaltet  sich  verschieden 
für  die  Fälle  der  beerbten  und  der  unbeerbten  Ehe,  d.  h.  je  nachdem 
beim  Tode  des  einen  Ehegatten  ein  gemeinschaftlicher  Abkömmling  vor- 
handen ist  oder  nicht.  Bei  unbeerbter  Ehe  regelt  sich  die  Erbfolge  in 
den  Nachlafs  des  verstorbenen  Ehegatten ,  zu  welchem  insbesondere 
dessen  Anteil  am  Gesamtgut  gehört,  nach  den  allgemeinen  Vorschriften ; 
der  überlebende  Ehegatte  wird  also,  falls  gesetzliche  Erbfolge  eintritt, 
neben  (nicht  gemeinschaftlichen)  Abkömmlingen  des  Verstorbenen  zu  x/4 
der  Erbschaft  berufen ,  neben  Eltern  des  Verstorbenen  oder  deren  Ab- 
kömmlingen oder  Grofseltern  zu  1/2,  in  Ermangelung  solcher  Verwandten 
allein.  Dem  gegenüber  lagen  zwei  Anträge  vor,  welche  es  nur  im  Falle 
des  Vorhandenseins  nicht  gemeinschaftlicher  Abkömmlinge  beim  Entwurf 
belassen,  beim  Vorhandensein  anderer  Verwandten  aber  teils  deren  Erb- 
recht zu  Gunsten  des  überlebenden  Ehegatten  beseitigen,  teils  diesem  an 
den  Erbteilen  derselben  einen  Niefsbrauch  einräumen  wollten.  Die  Mehr- 
heit billigte  jedoch  den  Standpunkt  des  Entwurfs. 

Bei  beerbter  Ehe  wird    nach    dem  Entwurf  (§  1384)  der  überlebende 


§  1382.  (1382,  1383  Abs.  1.)  Wird  die  Ehe  durch  den  Tod  eines  Ehegatten  auf- 
gelöst und  ist  ein  gemeinschaftlicher  Abkömmling  nicht  vorhanden ,  so  gehört  der  Anteil 
des  verstorbenen  Ehegatten  am  Gesamtgute  zum  Nachlasse.  Die  Beerbung  des  Ehegatten 
erfolgt  nach  den  allgemeinen  Vorschriften. 

§  1383.  (1383  Abs.  2  Satz  1,  1384.)  Sind  bei  dem  Tode  eines  Ehegatten  gemein- 
schaftliche Abkömmlinge  vorhanden,  die  zur  gesetzlichen  Erbfolge  berufen  sind,  so  wird 
zwischen  ihnen  und  dem  überlebenden  Ehegatten  die  Gütergemeinschaft  fortgesetzt.  Der 
Anteil  des  verstorbenen  Ehegatten  am  Gesamtgute  gehört  in  diesem  Falle  nicht  zum 
Nachlasse ;  im  übrigen  erfolgt  die  Beerbung  des  Ehegatten  nach  den  allgemeinen  Vor- 
schriften. 

Sind  neben  den  gemeinschaftlichen  Abkömmlingen  nicht  gemeinschaftliche  Abkömm- 
linge vorhanden ,  so  bestimmen  sich  ihr  Erbrecht  und  ihr  Erbteil ,  auch  im  Verhältnisse 
zu  den  gemeinschaftlichen  Abkömmlingen,  in  gleicher  Weise,  wie  wenn  fortgesetzte  Güter- 
gemeinschaft nicht  eingetreten  wäre. 

§  1384  vergl.  §  1383. 

§   1385  gestrichen. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  385 

Ehegatte  zu  der  (den  Anteil  am  Gesamtgut  mitumfassenden)  Erbschaft 
des  Verstorbenen,  falls  nur  gemeinschaftliche  Abkömmlinge  vorhanden 
sind,    als  Alleinerbe,    falls    auch  nicht  gemeinschaftliche  Abkömmlinge  des 


§  1386.  Der  überlebende  Ehegatte  kann  die  Fortsetzung  der  Gütergemeinschaft  ab- 
lehnen. Auf  die  Ablehnung  finden  die  für  die  Ausschlagung  einer  Erbschaft  geltenden 
Vorschriften  des  §  2028  Abs.  2,  3  und  der  §§  2029  —  2033,  2035,  2036,  2039,  2041, 
2043   entsprechende  Anwendung. 

Lehnt  der  Ehegatte  die  Fortsetzung  der  Gütergemeinschaft  ab ,  so  gilt  das  Gleiche 
wie  im  Falle  des  §   1382. 

§  1387.  Jeder  Ehegatte  kann  die  Fortsetzung  der  Gütergemeinschaft  unter  den  Vor- 
aussetzungen ausschliefsen,  unter  welchen  er  berechtigt  sein  würde,  dem  anderen  Ehe- 
gatten den  Pflichtteil  zu  entziehen  oder  auf  Auflösung  der  Gütergemeinschaft  zu  klagen. 
Auf  die  Ausschliefsung  finden  die  Vorschriften  über  die  Entziehung  des  Pflichtteils  ent- 
sprechende Anwendung. 

Schliefst  ein  Ehegatte  die  Fortsetzung  der  Gütergemeinschaft  aus,  so  gilt  das  Gleiche 
wie  im  Falle  des  §  1382. 

§  1388.  Jeder  Ehegatte  kann  für  den  Fall,  dafs  die  Ehe  durch  seinen  Tod  aufgelöst 
wird,  einen  gemeinschaftlichen  Abkömmling  von  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft  durch 
Verfügung  von  Todeswegen  ausschliefsen.  Der  Pflichtteil  des  ausgeschlossenen  Abkömm- 
lings ist  der  gleiche  wie  im  Falle  des   §   1382. 

§  1389.  (1389  Abs.  1.)  Jeder  Ehegatte  kann  für  den  Fall,  dafs  mit  seinem  Tode 
fortgesetzte  Gütergemeinschaft  eintritt,  den  einem  anteilsberechtigten  Abkömmlinge  bei 
der  Auflösung  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft  gebührenden  Anteil  am  Gesamtgute 
durch  Verfügung  von  Todes  wegen  bis  auf  die  Hälfte  herabsetzen.  Er  kann  einem  an- 
teilsberechtigten Abkömmlinge  durch  Verfügung  von  Todeswegen  auch  das  Recht  ein- 
räumen ,  das  Gesamtgut  oder  einzelne  dazu  gehörende  Gegenstände  gegen  Ersatz  des 
Wertes  zu  übernehmen. 

§  1389  a.  (1389  Abs.  2.)  Jeder  Ehegatte  kann  für  den  Fall,  dafs  mit  seinem  Tode 
die  fortgesetzte  Gütergemeinschaft  eintritt,  einem  anteilsberechtigten  Abkömmlinge  den 
ihm  bei  der  Auflösung  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft  gebührenden  Anteil  am  Ge- 
samtgute durch  Verfügung  von  Todeswegen  entziehen,  wenn  die  Voraussetzungen  vorliegen, 
unter    welchen   er  berechtigt  sein  würde,    dem  Abkömmlinge  den  Pflichtteil  zu  entziehen. 

Liegen  die  Voraussetzungen  vor,  unter  welchen  der  Ehegatte  berechtigt  sein  würde, 
den  Abkömmling  nach  §  2002  zu  beschränken,  so  kann  er  eine  entsprechende  Beschrän- 
kung in  Ansehung  des  Anteils  anordnen. 

Die  Vorschriften  der  §§  2006—2008  finden  auf  die  Entziehung  oder  die  Beschrän- 
kung entsprechende  Anwendung. 

§  1389  b.  (1389  Abs.  2.)  Ueber  den  einem  Abkömmlinge  in  Gemäfsheit  des  §  1389 
Satz  1  oder  des  §  1389  a  Abs.  1  entzogenen  Betrag  kann  der  Ehegatte  auch  zu  Gunsten 
eines  Dritten  von  Todeswegen  verfügen. 

§  1390.  Zur  Wirksamkeit  der  in  den  §§  1388— 1389  b  bezeichneten  Verfügungen 
eines  Ehegatten  ist  die  Zustimmung  des  anderen  Ehegatten  erforderlich.  Die  Zustim- 
mung bedarf  der  gerichtlichen   oder  notariellen  Form ;  sie  ist  unwiderruflich. 

§  1391.  Die  Vorschriften  über  den  aufserordentlichen  Pflichtteil  finden  zu  Gunsten 
eines  anteilsberechtigten  Abkömmlings  entsprechende  Anwendung  ;  die  Auflösung  der  fort- 
gesetzten Gütergemeinschaft  gilt  als  Erbfall,  der  dem  Abkömmlinge  zur  Zeit  der  Auf- 
lösung gebührende  Anteil  am  Gesamtgut  als  der  gesetzliche  Erbteil  und  die  Hälfte  des 
Wertes  dieses  Anteils  als  Pflichtteil. 

§  1392.  Liegen  die  Voraussetzungen  vor,  unter  welchen  ein  gemeinschaftlicher  Ab- 
kömmling erbunwürdig  ist,  so  ist  er  auch  der  ihm  am  Gesamtgute  der  fortgesetzten 
Gütergemeinschaft  zustehenden  Rechte  unwürdig.  Die  Vorschriften  über  die  Erbunwür- 
digkeit finden  entsprechende  Anwendung. 

§  1393.  Zur  Wirksamkeit  eines  Vertrags,  durch  den  ein  gemeinschaftlicher  Ab- 
kömmling einem  der  Ehegatten  gegenüber  für  den  Fall,  dafs  die  Ehe  durch  dessen  Tod 
aufgelöst  wird,  auf  seine  Rechte  am  Gesamtgute  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft  ver- 
zichtet, ist  die  Zustimmung  des  anderen  Ehegatten  erforderlich.  Die  Zustimmung  bedarf 
der  gerichtlichen  oder  notariellen  Form  ;  sie  ist  unwiderruflich.  Die  für  den  Erbverzicht 
geltenden  Vorschriften  finden  entsprechende  Anwendung, 

Dritte  Folge  Bd.  TIH  (LXIII).  2  5 


386  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Verstorbenen  vorhanden  sind ,  insoweit  als  Erbe  berufen,  als  er  und 
die  gemeinschaftlichen  Abkömmlinge  nach  den  allgemeinen  gesetzlichen 
Vorschriften  berufen  werden  würden,  wenn  Gütergemeinschaft  nicht  be- 
standen hätte.  Zugleich  entsteht  kraft  Gesetzes  zwischen  dem  über- 
lebenden Ehegatten  und  den  nach  den  allgemeinen  Vorschriften  als 
gesetzliche  Erben  berufenen  gemeinschaftlichen  Abkömmlingen  das  in 
den   §§    1396 — 1409    näher    geregelte    Rechtsverhältnis    der    fortgesetzten 


§  1393  a.  (1392  Abs.  2.)  Ist  ein  gemeinschaftlicher  Abkömmling  durch  Verfügung 
von  Todeswegen  von  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft  ausgeschlossen  oder  ist  er  der 
ihm  am  Gesamtgute  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft  zustehenden  Rechte  für  unwürdig 
erklärt  oder  hat  er  nach  §  1393  auf  seine  Rechte  verzichtet,  so  gilt  er  in  Ansehung  der 
fortgesetzten  Gütergemeinschaft  als  vor  dem  Erbfalle  gestorben. 

§   1394  gestrichen. 

§   1395  gestrichen. 

§  1396.  (1396  Abs.  1,  5,  1397  Abs.  1.)  Das  Gesamtgut  der  fortgesetzten  Güter- 
gemeinschaft besteht  aus  dem  ehelichen  Gesamtgute,  soweit  dieses  nicht  nach  §  1383 
Abs.  2  oder  nach  §  1388  an  einen  nicht  anteilsberechtigten  Abkömmling  fällt,  und  aus 
dem  Vermögen ,  welches  der  überlebende  Ehegatte  aus  dem  Nachlasse  des  verstorbenen 
Ehegatten  oder  nach  dem  Eintritte  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft  erwirbt. 

Das  Vermögen ,  welches  ein  gemeinschaftlicher  Abkömmling  zur  Zeit  des  Eintritts 
der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft  hat  oder  später  erwirbt,  gehört  nicht  zu  dem  Ge- 
samtgute. 

Auf  das  Gesamtgut  finden  die  Vorschriften  des  §  1342  Abs.  2  und  des  §  1344  ent- 
sprechende Anwendung. 

§  1396  a.  (1396  Abs.  2—4.)  Vorbehaltsgut  des  überlebenden  Ehegatten  ist,  was 
er  bisher  als   Vorbehaltsgut    gehabt  hat    und    was    er    nach  Mafsgabe  der  §§  f,  g  erwirbt. 

Gehören  zu  dem  Vermögen  des  überlebenden  Ehegatten  Gegenstände,  die  nicht  durch 
Rechtsgeschäft  übertragen  werden  können,  so  finden  auf  sie  die  bei  der  Errungenschaftsge- 
meinschaft für  das  eingebrachte  Gut  des  Mannes  geltenden  Vorschriften ,  mit  Ausnahme 
des  §   1414,   entsprechende  Anwendung. 

§  1397.  (1397  Abs.  2.)  Stirbt  ein  anteilsberechtigter  Abkömmling,  so  gehört  sein 
Anteil  am  Gesamtgute  nicht  zu  seinem  Nachlasse.  Hinterläfst  er  Abkömmlinge,  welche 
anteilsberechtigt  sein  würden,  wenn  der  verstorbene  Ehegatte  gleichzeitig  mit  ihm  gestorben 
wäre,  so  treten  sie  au  seine  Stelle.  Hinterläfst  er  solche  Abkömmlinge  nicht,  so  wächst 
sein  Anteil  den  übrigen  anteilsberechtigten  Abkömmlingen  des  verstorbenen  Ehegatten  und, 
wenn  solche  nicht  vorhanden  sind,   dem  überlebenden  Ehegatten  an. 

§  1398.  (1398  Abs.  1 — 3.)  Ein  anteilsberechtigter  Abkömmling  kann  auf  seinen 
Anteil  am  Gesamtgute  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft  verzichten.  Der  Verzicht  ist 
dem  für  den  Nachlafs  des  verstorbenen  Ehegatten  zuständigen  Gerichte  gegenüber  in 
öffentlich  beglaubigter  Form  zu  erklären.  Das  Nachlafsgericht  soll  die  Erklärung  dem 
überlebenden  Ehegatten  und  den  übrigen  anteilsberechtigten  Abkömmlingen  mitteilen. 

Der  Verzicht  kann  auch  durch  Vertrag  mit  dem  überlebenden  Ehegatten  und  den 
übrigen  anteilsberechtigteu  Abkömmlingen  erfolgen.  Der  Vertrag  bedarf  der  gerichtlichen 
oder  notariellen  Form. 

Der  Verzicht  hat  die  gleichen  Wirkungen  ,  wie  wenn  der  Verzichtende  zur  Zeit  des 
Verzichts  ohne  Hinterlassung  von  Abkömmlingen  gestorben  wäre. 

§  1398  a.  (1398  Abs.  4.)  Ist  dem  anteilsberechtigten  Abkömmlinge  für  den  Ver- 
zicht eine  Abfindung  gewährt  worden,  so  können  der  überlebende  Ehegatte  und  die 
übrigen  anteilsberechtigten  Abkömmlinge  vereinbaren ,  in  welcher  Weise  die  Abfindung 
bei  der  Auseinandersetzung  berücksichtigt  werden  soll.  Die  Vereinbarung  bedarf  der 
gerichtlichen  oder  notariellen  Form.  Die  Vereinbarung  ist  auch  denjenigen  Abkömm- 
lingen gegenüber  wirksam,  welche  erst  später  in  die  fortgesetzte  Gütergemeinschaft  ein- 
treten. 

Ist  eine  solche  Vereinbarung  nicht  getroffen,  so  wird  die  Abfindung  bei  der  Ausein- 
einandersetzung  in  das  Gesamtgut  eingerechnet  und  auf  die  den  Ankömmlingen  gebüh- 
rende Hälfte  angerechnet. 

§  1399.     (1399  Abs.  1.)     Die  Rechte    und  Verbindlichkeiten  des    überlebenden  Ehe- 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  3g7 

Gütergemeinschaft.  Darin,  dafs  diese  besondere  yütergemeinschaftliche  Erb- 
folge bei  der  allgemeinen  Gütergemeinschaft  stets  Platz  greifen  soll,  falls 
sie  nicht  durch  Ehevertrag  besonders  ausgeschlossen   ist,   fand   der   Entwurf 


gatten  sowie  der  anteilsberechtigten  Abkömmlinge  in  Ansehung  des  Gesamtguts  der  fort- 
gesetzten Gütergemeinschaft  bestimmen  sich  nach  den  §§  1352  bis  1354,  1368  a;  der 
überlebende  Ehegatte  hat  die  rechtliche  Stellung  des  Mannes,  die  anteilsberechtigten  Ab- 
kömmlinge haben  die  rechtliche  Stellung  der  Frau. 

Was  der  überlebende  Ehegatte  zu  dem  Gesamtgute  der  fortgesetzten  Gütergemein- 
schaft schuldet  oder  aus  dem  Gesamtgute  zu  fordern  hat,  ist  erst  bei  der  Auflösung  der  fort- 
gesetzten  Gütergemeinschaft  zu  leisten. 

§  1399  a.  (1384  Abs.  1,  1399  Abs.  2.)  Gesamtgutsverbindlichkeiten  der  fortgesetzten 
Gütergemeinschaft  sind  alle  Verbindlichkeiten  des  überlebenden  Ehegatten  sowie  solche 
Verbindlichkeiten  des  verstorbenen  Ehegatten ,  welche  Gesamtgutsverbindlichkeiten  der 
ehelichen   Gütergemeinschaft  waren. 

§  1399  b.  (1384  Abs.  1,  1399  Abs.  2.)  Für  die  Gesamtgutsverbindlichkeiten  der 
fortgesetzten  Gütergemeinschaft  haftet  der  überlebende  Ehegatte  persönlich.  Er  kann 
jedoch  diese  Haftung,  soweit  sie  ihn  nur  infolge  des  Eintritts  der  fortgesetzten  Güter- 
gemeinschaft trifft,  nach  den  für  das  Inventarrecht  des  Erben  geltenden  Vorschriften  auf 
den  Bestand  des  Gesamtguts  zur  Zeit  des  Eintritts  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft 
beschränken. 

Eine  persönliche  Haftung  der  anteilsberechtigten  Abkömmlinge  für  die  Verbindlich- 
keiten des  verstorbenen  oder  des  überlebenden  Ehegatten  wird  durch  die  fortgesetzte 
Gütergemeinschaft  nicht  begründet. 

§  1400.  (1400  Abs.  1,  2  Nr.  1,  2,  Abs.  3,  1401  Abs.  2.)  Im  Verhältnisse  des 
überlebenden  Ehegatten  zu  den  anteilsberechtigten  Abkömmlingen  fallen  dem  überleben- 
den Ehegatten  zur  Last : 

1.  die  ihm  bei  dem  Eintritte  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft  obliegenden  Gesamt- 
gutsverbindlichkeiten, für  welche  das  eheliche  Gesamtgut  nicht  haftete  oder  welche 
im  Verhältnisse  der  Ehegatten  zu  einander  ihm  zur  Last  fielen  ; 

2.  die  nach  dem  Eintritte  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft  entstandenen  Gesamt- 
gutsverbindlichkeiten, welche,  wenn  sie  während  der  ehelichen  Gütergemeinschaft  in 
seiner  Ferson  entstanden  wären,  im  Verhältnisse  der  Ehegatten  zu  einander  ihm  zur 
Last  gefallen  sein  würden  ; 

3.  eine  Ausstattung ,  die  er  einem  anteilsberechtigten  Abkömmling  in  einem  dem  Ge- 
samtgute nicht  entsprechenden  Mafse  oder  die  er  einem  nicht  anteilsberechtigten 
Abkömmlinge  gewährt  oder  zugesichert  hat. 

§  1400  a.  (1400  Abs.  2  Nr.  3,  Abs.  3,  4,  1402  Abs.  2.)  Verbindlichkeiten  des 
verstorbenen  Ehegatten,  die  ihm  im  Verhältnisse  der  Ehegatten  zu  einander  zur  Last 
fielen,  müssen  sich  die  anteilsberechtigten  Abkömmlinge  bei  der  Auseinandersetzung  auf 
ihren  Anteil  insoweit  anrechnen  lassen,  als  nicht  der  überlebende  Ehegatte  von  den  Erben 
des  verstorbenen  Ehegatten  Deckung  hat  erlangen  können. 

In  gleicher  Weise  haben  sich  die  anteilsberechtigten  Abkömmlinge  anrechnen  zu 
lassen,  was  der  verstorbene  Ehegatte  zu  dem  Gesamtgute  zu  ersetzen  hatte. 

§   1401   vergl.   §   1400  Abs.   2. 

§  1402   Abs.   1   gestrichen,  Abs.   2  vergl.  §   1400  a  Abs.   2. 

§  1403.  (1403  Nr.  4,  5.)  Der  überlebende  Ehegatte  kann  die  fortgesetzte  Güter- 
gemeinschaft jederzeit  durch  seine  einseitige  Erklärung  auflösen.  Die  Erklärung  ist  dem 
für  den  Nachlafs  des  verstorbenen  Ehegatten  zuständigen  Gerichte  gegenüber  in  öffentlich 
beglaubigter  Form  abzugeben.  Das  Nachlafsgericht  soll  die  Erklärung  den  anteilsberech- 
tigten Abkömmlingen  und,  wenn  der  überlebende  Ehegatte  gesetzlicher  Vertreter  eines 
Abkömmlings  ist,  dem  Vormundschaftsgerichte  mitteilen. 

Die  Auflösung  kann  auch  durch  Vertrag  zwischen  dem  überlebenden  Ehegatten  und 
den  anteilsberechtigten  Abkömmlingen  erfolgen. 

§  1404.  (1403  Nr.  1,  2,  1404.)  Die  fortgesetzte  Gütergemeinschaft  wird  durch  den 
Tod  sowie  durch  die  Wiederverheiratung  des  überlebenden  Ehegatten  aufgelöst. 

Will  der  überlebende  Ehegatte  zu  einer  neuen  Ehe  schreiten  ,  so  hat  er  dies,  wenn 
ein  anteilsberechtigter  Abkömmling  minderjährig  oder  bevormundet  ist,  dem  Vormund- 
schaftsgericht   anzuzeigen ,    ein  Verzeichnis    des  Gesamtguts    einzureichen    und  unter  Auf- 

25* 


388  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

die  Zustimmung  der  Mehrheit.  Dagegen  entschied  sich  diese  für  eine 
andere  juristische  Konstruktion  des  bei  beerbter  Ehe  eintretenden  Rechts- 
verhältnisses.     Es    erschien    ihr    unnatürlich,    dafs    die    gemeinschaftlichen 


lösung  der  Gütergemeinschaft  die  Auseinandersetzung  herbeizuführen.  Das  Vormund- 
schaftsgericht kann  jedoch  gestatten,  dafs  die  Auflösung  der  Gütergemeinschaft  bis  zur 
Eheschliefsung  unterbleibt  und  dafs  die  Auseinandersetzung  erst  später  erfolgt. 

§  1404a.  Die  Auflösung  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft  tritt,  wenn  der  über- 
lebende Ehegatte  für  tot  erklärt  wird,  mit  dem  Zeitpunkt  ein,  welcher  als  Zeitpunkt  des 
Todes  gilt. 

§  1405.  (1403  Nr.  3,  1405  Abs.  1.)  Ein  anteilsberechtigter  Abkömmling  kann 
gegen  den  überlebenden  Ehegatten  auf  Auflösung  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft 
klagen : 

1.  wenn  der  überlebende  Ehegatte  ein  Rechtsgeschäft  der  in  den  §§  1353  bis  1353  b 
bezeichneten  Art  ohne  Zustimmung  des  Abkömmlings  vorgenommen  hat  und  eine 
erhebliche  Gefährdung  desselben  für  die  Zukunft  zu  besorgen  ist; 

2.  wenn  der  überlebende  Ehegatte  das  Gesamtgut  in  der  Absicht,  den  Abkömmling 
zu  benachteiligen,  vermindert  hat; 

3.  wenn  der  überlebende  Ehegatte  seine  Verpflichtung,  dem  Abkömmling  den  Unterhalt 
zu  gewähren,  verletzt  hat  und  für  die  Zukunft  eine  erhebliche  Gefährdung  des 
Unterhalts  zu  besorgen  ist ; 

4.  wenn  der  überlebende  Ehegatte  wegen  Verschwendung  entmündigt  ist  oder  wenn  er 
das  Gesamtgut  durch  Verschwendung  erheblich  gefährdet ; 

5.  wenn  der  überlebende  Ehegatte  die  elterliche  Gewalt  über  den  Abkömmling  ver- 
wirkt hat  oder,  sofern  sie  ihm  zugestanden  hätte,  verwirkt  haben  würde. 

§  1405  a.  (1403  Nr.  3,  1405  Abs.  2.)  Die  Auflösung  der  fortgesetzten  Gütergemein- 
schaft tritt  in  den  Fällen  des  §  1405  mit  der  Rechtskraft  des  Urteils  ein.  Sie  tritt  für 
alle  Abkömmlinge  ein,  auch  wenn  das  Urteil  nur  auf  die  Klage  eines  Abkömmlings  er- 
gangen ist. 

§  1406.  (1406  Abs.  1.)  Ist  die  fortgesetzte  Gütergemeinschaft  aufgelöfst,  so  findet 
in  Ansehung  des  Gesamtguts  die  Auseinandersetzung  in  Ermangelung  einer  anderen  Ver- 
einbarung nach  den  §§   1406  a,   1406  b  statt. 

Bis  zur  Auseinandersetzung  bestimmt  sich  das  Rechtsverhältnis  der  Teilhaber  am 
Gesamtgute  nach  den  §§   1373  a,    1373  b. 

§  1406a.  (1406  Abs.  1,  2,  4,  6,  1407  Abs.  1.)  Auf  die  Auseinandersetzung  finden 
die  Vorschriften  der  §§  1377,  1377  a,  des  §  1378  Satz  1  und  der  §§  1379  bis  1380  mit 
der  Mafsgabe  entsprechende  Anwendung,  dafs  an  die  Stelle  des  Mannes  der  überlebende 
Ehegatte,  an  die  Stelle  der  Frau  die  anteilsberechtigten  Abkömmlinge  treten.  Die  im 
§  1377  a  Abs.  2  Satz  2  bezeichnete  Verpflichtung  besteht  nur  für  den  überlebenden  Ehe- 
gatten, nicht  für  die  Abkömmlinge. 

§  1406  b.  (1406  Abs.  5,  1407  Abs.  2.)  Der  überlebende  Ehegatte  ist  berechtigt, 
das  Gesamtgut  oder  einzelne  dazu  gehörende  Gegenstände  gegen  Ersatz  des  Wertes  zu 
übernehmen.     Das  Recht  geht  nicht  auf  die  Erben  über. 

Wird  die  fortgesetzte  Gütergemeinschaft  auf  Grund  des  §  1405  durch  Urteil  aufge- 
löst, so  steht  dem  überlebenden  Ehegatten  das  im  Abs.  1  bestimmte  Recht  nicht  zu. 
Die  anteilsberechtigten  Abkömmlinge  können  in  diesem  Falle  diejenigen  Gegenstände 
gegen  Ersatz  des  Wertes  übernehmen,  welche  der  verstorbene  Ehegatte  nach  §  1378  zu 
übernehmen  berechtigt  gewesen  wäre.  Das  Recht  kann  von  ihnen  nur  gemeinschaftlich 
ausgeübt  werden. 

Anmerkung.  Vorausgesetzt  wird,  dafs  die  in  der  Anmerkung  zu  §  1381  be- 
zeichnete Vorschrift  auf  die  Auseinandersetzung  bei  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft 
erstreckt  wird. 

§   1407  Abs.  1  vergl.  §  1406  a,     Abs.  2  vergl.  §  1406  b  Abs.  2. 

§  1408.  Mehrere  anteilsberechtigte  Abkömmlinge  teilen  die  .ihnen  zufallende  Hälfte 
des  Gesamtgutes  unter  sich  nach  dem  Verhältnisse  der  Anteile,  zu  welchen  sie  als  ge- 
setzliche Erben  des  verstorbenen  Ehegatten  berufen  sein  würden,  wenn  dieser  erst  zur 
Zeit  der  Auflösung  der  fortgesetzten   Güfergemeinschaft  gestorben  wäre. 

Das  Vorempfangene  kommt  nach  den  für  die  Ausgleichung  unter  Abkömmlingen  des 
Erblassers  geltenden  Vorschriften  insoweit  zur  Ausgleichung,  als  die  Ausgleichung  nicht 
bereits  bei  der  Teilung  des  Nachlasses  des    verstorbenen  Ehegatten  erfolgt  ist. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  389 

Abkömmlinge  yom  Erbrecht  des  erstversterbenden  Ehegatten  ausgeschlossen 
sein  sollen ;  insbesondere  erblickte  man  in  der  Art,  wie  der  Entwurf 
(§  1395)  die  Rechte  dieser  Abkömmlinge  bezüglich  eines  Vorbehaltsguts 
des  Verstorbenen  regelt,  eine  erhebliche  Gefährdung  derselben.  Zu  einer 
einfacheren,  leichter  verständlichen  und  dem  Wesen  der  allgemeinen  Güter- 
gemeinschaft besser  entsprechenden  Gestaltung  des  Verhältnisses  glaubte 
man  zu  gelangen,  indem  man  im  Anschlufs  an  die  deutschrechtliche  An- 
schauung davon  ausging,  dafs  mit  dem  Tode  des  einen  Ehegatten  das  Recht 
des  anderen  an  sich  kraft  des  in  dem  Gemeinschaftsverhältnisse  begründe- 
ten Anwachsungsrechts  sich  auf  das  ganze  Gesamtgut  erstrecke,  dafs  aber 
vermöge  der  Natur  des  Gesamtguts  als  Hausvermögens  die  bis  dahin 
zwischen  den  Ehegatten  bestehende  Gemeinschaft  nunmehr  von  dem  Ueber- 
lebenden  mit  den  gemeinschaftlichen  Abkömmlingen  fortgesetzt  werde. 
Während  hiernach  bezüglich  des  Anteils  des  Verstorbenen  am  Gesamtgut 
für  den  Ueberlebenden  und  die  gemeinschaftlichen  Abkömmlinge  eine  Erb- 
folge überhaupt  nicht  eintritt,  sollen  bezüglich  des  Vorbehaltsgutes  des 
Verstorbenen  für  diese  Personen  und  bezüglich  der  Beerbung  des  Ver- 
storbenen durch  die  nicht  gemeinschaftlichen  Abkömmlinge  die  allgemeinen 
erbrechtlichen  Vorschriften  Platz  greifen.  Zufolge  der  beschlossenen  Aen- 
derung  der  Grundauffassung  wurden  die  §§  1385,  1394,  1395,  der  §  1402 
Abs.  1  und  der  §  1409  als  entbehrlich  gestrichen,  der  §  1386  und  der 
§   1399   Abs.  2  umgestaltet. 

Von  den  zu  den  übrigen  Bestimmungen  dieses  Abschnitts  gefafsten 
Beschlüssen  sind  noch  folgende  hervorzuheben:  Während  nach  §  1389 
einem  anteilsberechtigten  Abkömmling  der  ihm  bei  der  Auflösung  der  fort- 
gesetzten Gütergemeinschaft  gebührende  Anteil  nur  zu  Gunsten  eines 
anderen  anteilsberechtigten  Abkömmlings  durch  letztwillige  Verfügung 
eines  Ehegatten  ganz  oder  teilweise  entzogen  werden  kann,  gestattete  man, 
um  die  Verfügungsfreiheit  der  Ehegatten  nicht  zu  sehr  zu  beschränken, 
dem  Ehegatten  auch,  zu  Gunsten  eines  Dritten  über  den  dem  Abkömmling 
entzogenen  Betrag  von  Todeswegen  zu  verfügen.  Abweichend  vom  §  1389 
Abs.  2  soll  ferner  jeder  Ehegatte  auch  unter  den  Voraussetzungen  der 
sog.  Enterbung  in  guter  Absicht  gemäfs  §  2002  eine  dieser  Vorschrift 
entsprechende  Beschränkung  bezüglich  des  Anteils  eines  anteilsberechtigten 
Abkömmlings  anordnen  dürfen.  —  Im  Anschlufs  an  §  1389  gelaugte  auf 
Grund  mehrerer  Anträge  die  Frage  zu  eingehender  Erörterung,  ob,  ab- 
weichend vom  Entwurf,  den  anteilsberechtigten  Abkömmlingen  bei  dem 
Eintritt  der  Volljährigkeit  oder  bei  der  Verehelichung  oder  sonstigen  Be- 
gründung eines  selbständigen  Haushalts  ein  Recht  auf  Abschichtuug  d.   h. 


§  1408  a.  Soweit  die  anteilsberechtigten  Abkömmlinge  nach  §  1379  a  den  Gesamt- 
gutsgläubigern haften,  sind  sie  im  Verhältnisse  zu  einander  nach  der  Gröfse  ihres  Anteils 
am  Gesamtgute  verpflichtet.  Die  Verpflichtung  beschränkt  sich  auf  die  ihnen  zugeteilten 
Gegenstände. 

Anmerkung.  Der  in  der  Anmerkung  zu  §  362  gemachte  Vorbehalt  gilt  auch 
für  die  Vorschrift  des  §  1408  a. 

§  1409.  (1383  Abs.  2  Satz  2).  Die  Ehegatten  können  die  fortgesetzte  Gütergemein- 
schaft durch  Ehevertrag  ausschliefsen ;  sie  sind  jedoch  nicht  berechtigt,  durch  Ehevertrag 
oder  durch  Verfügung  von  Todeswegen  sonstige  Anordnungen  zu  treffen,  die  mit  den 
Vorschriften  der  §§  1383  bis   1408  a  im  Widerspruche  stehen. 


390  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

auf  Auszahlung  des  auf  seinen  Anteil  am  Gesamtgut  fallenden  Geldbetrages 
oder  wenigstens  ein  Recht  auf  eine  angemessene  Ausstattung  aus  dem 
Gesamtgut  gewährt  werde  solle.  Die  Kommission  machte  sich  vor- 
her über  die  vom  Entwurf  in  §  1500  berührte  Frage  schlüssig,  inwie- 
weit im  allgemeinen  und  ohne  Rücksicht  auf  das  im  einzelnen  Falle  be- 
stehende Güterrecht  eine  Rechtspflicht  der  Eltern  zur  Ausstattung  der 
Kinder  anerkannt  werden  solle  und  entschied  sich,  abweichend  vom  Ent- 
wurf, für  die  Anerkennung  einer  solchen  Pflicht  der  Eltern  gegenüber 
einer  sich  verheiratenden  Tochter.  (Das  Nähere  hierüber  wird  später  mit- 
geteilt werden.)  Ein  über  diesen  allgemeinen  Ausstattungsanspruch  der 
Tochter  hinausgehendes  Ausstattungsrecht  oder  ein  Abschichtungsrecht  der 
anteilsberechtigten  Abkömmlinge  lehnte  die  Mehrheit  dagegen  ab.  Die 
Gewährung  des  letzteren  Rechts  hielt  sie  für  nicht  vereinbar  mit  dem 
Grundgedanken  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft,  dem  mutmafslichen 
Willen  der  Ehegatten  bei  Vereinbarung  der  allgemeinen  Gütergemeinschaft 
und  dem  berechtigten  Interesse  des  überlebenden  Ehegatten.  Eine  Be- 
einträchtigung dieses  Interesses  befürchtete  sie  aber  auch  von  dem  vor- 
geschlagenen Ausstattungsanspruch,  gegen  welchen  aufserdem  die  Unmög- 
lichkeit hinreichend  bestimmter  Begrenzung  seines  Umfangs  ins  Gewicht 
fiel.  Der  §  1398  selbst  wurde,  von  weiteren  Aenderungen  abgesehen, 
durch  die  dispositive  Vorschrift  des  §  1398  a  Abs.  2  der  2.  Lesung  er- 
gänzt. Der  neu  autgenommene  §  1404  a  entspricht  dem  Beschlüsse  zu 
§  21.  Der  §  1405  Abs.  1  Nr.  5  des  Entwurfs  ist  im  §  1405  Nr.  5  der 
2.  Lesung  ergänzt.  Durch  den  oben  erörterten  §  1379  a  ist  die  Aufnahme 
des  neuen  §  1408  a  notwendig  geworden.  Die  Beschlüsse  über  die  fort- 
gesetzte Gütergemeinschaft  waren  zunächst  nur  als  eventuelle  gefafst;  die 
Mehrheit  entschied  sich  jedoch  schliefslich  endgültig  für  die  Aufnahme  des 
Instituts. 

Die   folgenden     Vorschriften    über    die    vertragsmäfsigen    Güterstände 
der    Errungenschaftsgemeinschaft    (§§    1410 — 1430)    und    der 


3.  Errungenschaftsgemeinschaft. 

§  1410  gestrichen. 

§  1411.  (1411  Abs.  1,  1417.)  Was  der  Mann  oder  die  Frau  während  der  Errungeu- 
schaftsgemeinschaft  erwirbt ,  wird  gemeinschaftliches  Vermögen  beider  Ehegatten  (Ge- 
samtgut). 

Auf  das  Gesamtgut  finden  die  für  die  allgemeine  Gütergemeinschaft  geltenden  Vor- 
schriften des  §  1342  Abs.  2  und  der  §§  1344,  1352  bis  1356,  1358,  1358  a  An- 
wendung. 

§  1412.  Eingebrachtes  Gut  eines  Ehegatten  ist,  was  ihm  bei  dem  Eintritte  der  Er- 
rungenschaftsgemeinschaft gehört. 

§  1412  a.  (1415.)  Eingebrachtes  Gut  eines  Ehegatten  sind  solche  Gegenstände, 
welche  nicht  durch  Rechtsgeschäft  übertragen  werden  können,  sowie  solche  Rechte,  welche 
mit  seinem  Tode  erlöschen  oder  deren  Erwerb  durch  den  Tod  eines  der  Ehegatten  be- 
dingt ist. 

§  1413.  Eingebrachtes  Gut  eines  Ehegatten  ist,  was  durch  den  Ehevertrag  für  ein- 
gebrachtes Gut  erklärt  ist. 

§  1413  a.  (1412.)  Eingebrachtes  Gut  eines  Ehegatten  ist,  was  er  von  Todeswegen 
oder  mit  Rücksicht  auf  ein  künftiges  Erbrecht,  durch  Schenkung  oder  als  Ausstattung 
erwirbt.  Ausgenommen  ist  ein  Erwerb,  der  den  Umständen  nach  zu  den  Einkünften  zu 
rechnen  ist. 

§  1414.     Eingebrachtes  Gut  eines  Ehegatten  ist,    was  er  auf  Grund  eines  zu  se'nem 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  391 

Gemeinschaft  des  beweglichen  Vermögens  und  der  Er- 
rungenschaft (§§  1431  — 1434)  erfuhren  im  wesentlichen  nur  die- 
jenigen Aenderuugen,    welche    sich    aus  den  Beschlüssen  zum  gesetzlichen 


eingebrachten  Gute  gehörenden  Rechtes  oder  als  Ersatz  für  die  Zerstörung,  Beschädigung 
oder  Entziehung  eines  zu  dem  eingebrachten  Gute  gehörenden  Gegenstandes  oder  durch 
ein  Rechtsgeschäft  erwirbt,  das  sich  auf  das  eingebrachte  Gut  bezieht.  Ausgenommen 
ist  der  Erwerb  aus  dem  Betriebe  eines  Erwerbsgeschäftes. 

§  1415     vergl.  §  1412  a. 

§  1415  a.  (1411  Abs.  2,  1417.)  Das  eingebrachte  Gut  wird  für  Rechnung  des  Ge- 
samtgutes in  der  Weise  verwaltet,  dafs  die  Nutzungen,  welche  nach  den  für  den  Güter- 
stand der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  geltenden  Vorschriften  dem  Manne  zufallen,  zu 
dem  Gesamtgute  gehören. 

Auf  das  eingebrachte  Gut  der  Frau  finden  im  übrigen  die  Vorschriften  der  §§  k  bis 
u,   b1    bis  c2   entsprechende  Anwendung. 

§  1416.  (1416,  1417  Abs.  1.)  Vorbehaltsgut  der  Fran  ist,  was  durch  Ehevertrag 
für  Vorbehaltsgut  erklärt  ist  oder  was  von  der  Frau  nach  Mafsgabe  der  §§  f,  g  erworben 
■wird.  Für  das  Vorbehaltsgut  gilt  das  Gleiche,  wie  nach  §  1 350  für  das  Vorbehaltsgut 
bei  der  allgemeinen  Gütergemeinschaft. 

Vorbehaltsgut  des  Mannes  ist  ausgeschlossen. 

§  1416a.  (1421  Abs.  1.)  Es  wird  vermutet,  dafs  das  vorhandene  Vermögen  Gesamt- 
gut sei. 

§  1416  b.  (1422.)  Jeder  Ehegatte  kann  verlangen,  dafs  der  Bestand  seines  eigenen 
und  des  dem  anderen  Ehegatten  gehörenden  eingebrachten  Gutes  durch  Aufnahme  eines 
Verzeichnisses  unter  Mitwirkung  des  anderen  Ehegatten  festgestellt  wird.  Auf  die  Auf- 
nahme des  Verzeichnisses  finden  die  für  den  Niefsbrauch  geltenden  Vorschriften  des  §  945 
Anwendung. 

Jeder  Ehegatte  kann  den  Zustand  der  zu  dem  eingebrachten  Gute  gehörenden  Sachen 
auf  seine  Kosten  durch   Sachverständige  feststellen  lassen. 

Anmerkung.  Es  wird  vorausgesetzt,  dafs  die  in  der  Anmerkung  zu  §  944 
(II.  Lesung)  in  das  Reichsgesetz  über  die  Angelegenheiten  der  freiwilligen  Gerichtsbarkeit 
verwiesenen  Vorschriften  auf  diesen  Fall  erstreckt  werden. 

§   1417     vergl    §  1411  Abs.  2,  1415  a  Abs.  2,  1416  Abs.   1  Satz  2. 

§   1418.  (1418,   1419.)     Der  eheliche  Aufwand  fällt  dem   Gesamtgute  zur  Last. 

Das  Gesamtgut  trägt  auch  die  Lasten  des  eingebrachten  Gutes  beider  Ehegatten ; 
der  Umfang  des  Lasten  bestimmt  sich  nach  den  bei  dem  Güterstande  der  Verwaltung 
und  Nutzniefsung  für  das  eingebrachte  Gut  der  Frau  geltenden  Vorschriften  der  §§  v 
bis  y. 

§   1419     vergl.  §  1418  Abs.  1. 

§  1420     vergl.  §   1427  a. 

§   1421      verg.  §§   1416  a  und  1427  b. 

§   1422     vergl.  §  1416  b. 

§  1423.  (1423  Abs.  1,  4.)  Das  Gesamtgut  haftet  für  alle  Verbindlichkeiten  des 
Mannes,  für  die  Verbindlichkeiten  der  Frau  nur  in  den  Fällen  der  §§  1423  a  bis  1423  d 
(Gesamtgutsverbindlichkeiten). 

Für  Verbindlichkeiten  der  Frau,  die  Gesamtgutsverbindlichkeiten  sind,  haftet  der 
Mann  auch  persönlich.  Die  Haftung  erlischt  mit  der  Auflösung  der  Errungenschafts- 
gemeinschaft, wenn  die  Verbindlichkeiten  im  Verhältnisse  der  Ehegatten  zu  einander  nicht 
dem   Gesamtgute  zur  Last  fallen. 

§  1423  a.  (1423  Abs.  2  Nr.  1.)  Das  Gesamtgut  haftet  für  Verbindlichkeiten  der 
Frau,  die  zu  den  im  §  1418  Abs.  2  bezeichneten  Lasten  des  eingebrachten  Gutes  gehören. 

§  1423  b.  (1423  Abs.  2  Nr.  2,  3,  Abs.  3.)  Das  Gesamtgut  haftet  für  Verbindlich- 
keiten der  Frau,  die  nach  dem  Eintritte  der  Errungenschaftsgemeinschaft  aus  Rechtsge- 
schäften oder  aus  gerichtlichen  Entscheidungen  entstanden  sind : 

1.  wenn  die  Vornahme  des  Rechtsgeschäfts  oder  die  Führung  des  Rechtsstreits  mit 
Zustimmung  des  Mannes  erfolgt  oder  ohne  seine  Zustimmung  ihm  gegenüber  wirk- 
sam ist  oder  soweit  das  Gesamtgut  bereichert  ist ; 

2.  wenn  ein  von  der  Fran  mit  Einwilligung  des  Mannes  selbständig  betriebenes  Erwerbs- 
geschäft die  Vornahme  des  Rechtsgeschäfts  oder  die  Führung  des  Rechtsstreits  mit 
sich  bringt. 


392  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Güterrecht  und  zur  allgemeinen  Gütergemeinschaft  ergabeu.  Termino- 
logisch wich  man  darin  ab,  dafs  für  das  vom  Entwurf  als  Sondergut  be- 
zeichnete  Vermögen    der   Ausdruck   , eingebrachtes    Gut"    gewählt   wurde, 


§  1423  c.  (1423  Abs.  2  Nr.  4.)  Das  Gesamtgut  haftet  für  Verbindlichkeiten  der 
Frau,  die  nach  dem  Eintritte  der  Errungenschaftsgemeinschaft  infolge  eines  ihr  zustehen- 
den Rechtes  oder  des  Besitzes  einer  ihr  gehörenden  Sache  entstanden  sind,  wenn  das 
Recht  oder  die  Sache  zu  einem  Erwerbsgeschäfte  gehört,  das  von  der  Frau  mit  Einwilli- 
gung des  Mannes  selbständig  betrieben  wird. 

§  1423  d.  (1425.)  Das  Gesamtgut  haftet  für  Verbindlichkeiten  der  Frau,  die  ihr 
auf  Grund  der  gesetzlichen  Unterhaltspflicht  ihren  Verwandten  gegenüber  obliegen. 

§  1424  gestrichen. 

Anmerkung.     Vergl.  die  Anmerkungen  zu  §  w1  und   zu  §   1361. 

§   1425  gestrichen. 

Anmerkung.  Der  §  1425  des  Entw.  I  soll,  soweit  er  nicht  durch  den  §  1423  d 
erledigt  ist,  in  den  Titel  über  die  Unterhaltspflicht  eingestellt  werden. 

§  1426.  (1426  Abs.  2,  Nr.  1,  5.)  Im  Verhältnisse  der  Ehegatten  zu  einander  fallen 
folgende  Gesamtgutsverbindlichkeiten  demjenigen  Ehegatten  zur  Last,  in  dessen  Person 
sie  entstanden  sind : 

1.  die  Verbindlichkeiten  aus  einem  auf  sein  eingebrachtes  Gut  oder  sein  Vorbehaltsgut 
sich  beziehenden  Rechtsverhältnis,  auch  wenn  sie  vor  dem  Eintritte  der  Errungen- 
schaftsgemeinschaft oder  vor  der  Zeit  entstanden  sind,  zu  welcher  das  Gut  einge- 
brachtes Gut  oder  Vorbehaltsgut  geworden  ist; 

2.  die  Verbindlichkeiten  aus  einer  gerichtlichen  Entscheidung  über  eine  der  unter  Nr.  1 
bezeichneten  Verbindlichkeiten,  einschliefslich  der  Verbindlichkeit  zur  Tragung  der 
Kosten. 

§  1426  a.  (1426  Abs.  2  Nr.  2 — 5.)  Im  Verhältnisse  der  Ehegatten  zu  einander 
fallen  dem  Manne  zur  Last: 

1.  die  vor  dem  Eintritte  der  Errungenschaftsgemeinschaft  entstandenen  Verbindlichkeiten 
des  Mannes ; 

2.  die  Verbindlichkeiten  des  Mannes ,  welche  der  Frau  gegenüber  aus  der  Verwaltung 
ihres  eingebrachten  Gutes  entstanden  sind  ,  soweit  nicht  das  Gesamtgut  zur  Zeit  der 
Auflösung  der  Errungenschaftsgemeinschaft  bereichert  ist ; 

3.  die  Verbindlichkeiten  des  Mannes  aus  einer  von  ihm  nach  dem  Eintritte  der  Errungen- 
schaftsgemeinschaft begangenen  unerlaubten  Handlung  oder  aus  einem  wegen  einer 
solchen  Handlung  gegen  ihn  gerichteten  Strafverfahren  ; 

4.  die  Verbindlichkeiten  des  Mannes  aus  einer  gerichtlichen  Entscheidung  über  eine  der 
unter  den  Nrn.  1  bis  3  bezeichneten  Verbindlichkeiten  ,  einschliefslich  der  Verbind- 
lichkeit zur  Tragung   der  Kosten. 

§  1426  b.  (1426  Abs.  2  Nr.  1,  2,  5.)  Die  Vorschriften  des  §  1426  und  des  §  1426  a 
Nr.  1,  4  finden  insoweit  keine  Anwendung,  als  die  Verbindlichkeiten  nach  §  1418  Abs.  2 
von  dem  Gesamtgute  zu  tragen  sind. 

Das  Gleiche  gilt  von  den  Vorschriften  des  §  1426  insoweit,  als  die  Verbindlich- 
keiten durch  ein  für  Rechnung  des  Gesamtguts  betriebenes  Erwerbsgeschäft  oder  infolge 
eines  zu  einem  solchen  Erwerbsgeschäfte  gehörenden  Rechtes  oder  des  Besitzes  einer 
dazu  gehörenden  Sache  entstanden  sind. 

§  1427.  Hat  der  Mann  einem  Kinde  eine  Ausstattung  zugesichert  oder  gewährt,  so 
finden  die  Vorschriften  des    §   1368  entsprechende  Anwendung. 

§  1427  a.  (1420.)  Soweit  das  eingebrachte  Gut  eines  Ehegatten  auf  Kosten  des 
Gesamtguts  oder  das  Gesamtgut  auf  Kosten  des  eingebrachten  Gutes  eines  Ehegatten  zur 
Zeit  der  Auflösung  der  Errungenschaftsgemeinschaft  bereichert  ist,  mufs  aus  dem  bereicherten 
Gute  zu  dem  anderen  Gute  Ersatz  geleistet  werden.  Weitergehende,  auf  besonderen 
Gründen  beruhende  Ansprüche  bleiben  unberührt. 

§  1427b.  (1421  Abs.  2.)  Sind  verbrauchbare  Sachen,  die  zu  dem  eingebrachten 
Gute  eines  Ehegatten  gehört  haben,  nicht  mehr  vorhanden,  so  wird  zu  Gunsten  des 
Ehegatten  vermutet,  dafs  die  Sachen  in  das  Gesamtgut  verwendet  seien  und  dieses  um 
den  Wert  der  Sachen  bereichert  sei. 

§  1428.  Was  ein  Ehegatte  zu  dem  Gesamtgut  oder  was  die  Frau  zu  dem  einge- 
brachten Gute  des  Mannes  schuldet,  ist  erst  bei  der  Auflösung  der  Errungenschaftsgemein- 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  393 

weil    dieses    Vermögen     dem    im    gesetzlichen    Güterrecht    mit    dem    letz- 
teren    Ausdruck    benannten    Traueugut      entspricht.       Von     der      Bestim- 


schaft  zu  leisten;  soweit  jedoch  zur  Berichtigung  einer  Schuld  der  Frau  ihr  eingebrachtes 
Gut  oder  ihr  Vorbehaltsgut    ausreicht,    hat    sie    die  Schuld  schon    vorher    zu    berichtigen. 

Was  der  Mann  aus  dem  Gesamtgute  zu  fordern  hat,  kann  er  gleichfalls  erst  bei  der 
Auflösung  der  Errungenschaftsgemeinschaft  fordern. 

§  1429.  (1429  Abs.  2.)  Die  Auflösung  der  Errungenschaftsgemeinschaft  tritt  mit 
der  Rechtskraft  des  Beschlusses  ein,  durch  welchen  der  Konkurs  über  das  Vermögen  des 
Mannes  eröffnet  wird. 

§  1429  a.  (1429  Abs.  2.)  Die  Auflösung  der  Errungenschaftsgemeinschaft  tritt, 
wenn  ein  Ehegatte  für  tot  erklärt  wird,  mit  dem  Zeitpunkt  ein,  welcher  als  Zeitpunkt 
des  Todes  gilt. 

§  1429  b.  (1429  Abs.  1,  3.)  Die  Frau  kann  in  den  Fällen  des  §  d2  Nr.  1,  3,  4 
und  des  §  1372,  der  Mann  kann  in  dem  Falle  des  §  1372  a  auf  Auflösung  der  Errungen- 
schaftsgemeinschaft klagen. 

Die  Auflösung  tritt  mit  der  Rechtskraft  des  Urteils  ein. 

§  1429  c.  (1429  Abs.  1,  2.)  Wird  die  Errungenschaftsgemeinschaft  nach  den  §§  1429 
bis  1429  b  aufgelöst,  so  gilt  für  die  Zukunft  Gütertrennung. 

Wird  die  Errungenschaftsgemeinschaft  durch  Ehevertrag  aufgelöst ,  so  tritt  für  die 
Zukunft  gleichfalls   Gütertrennung  ein,  sofern  nicht  im  Vertrag  ein    anderes  bestimmt  ist. 

Dritten  gegenüber  ist  die  Auflösung  der  Errungenschaftsgemeinschaft  auch  in  den 
Fällen  des  Abs.   1   nur  nach  Mafsgabe  des  §   1336  wirksam. 

§  1429  d.  (1417,  1429  Abs.  1,  4.)  Ist  die  Errungenschaftsgemeinschaft  aufgelöst, 
so  findet  in  Ansehung  des  Gesamtguts  die  Auseinandersetzung  in  Ermangelung  einer 
anderen  Vereinbarung  nach  den  §§  1377  bis  1378,  1379  bis  1380  statt.  Bis  zur  Aus- 
einandersetzung bestimmt  sich  das  Rechtsverhältnis  der  Ehegatten  nach  den  §§  1373  a, 
1373b. 

Für  das  eingebrachte  Gut  der  Frau  gelten  die  Vorschriften  der  §§  g2  bis  i2. 

Anmerkung.  Die  nach  der  Anmerkung  zu  §  1381  in  Aussicht  genommene  Vor- 
schrift soll  auch  für  die  Errungenschaftsgemeinschaft  gelten. 

§  1430.  (1430  Abs.  1,  2.)  Ist  die  Errungenschaftsgemeinschaft  durch  die  Eröff- 
nung des  Konkurses  über  das  Vermögen  des  Mannes  aufgelöst  worden,  so  kann  die  Frau 
auf  Wiederherstellung  der  Gemeinschaft  klagen.  Das  gleiche  Recht  steht,  wenn  die  Ge- 
meinschaft durch  die  Todeserklärung  aufgelöst  ist,  dem  für  tot  erklärten  Ehegatten  zu, 
falls  er  noch  lebt. 

Ist  die  Gemeinschaft  auf  Grund  des  §  d2  Nr.  3,  4  aufgelöst  worden,  so  kann  der 
Mann  unter  den  im  §k2  Abs.  1  bezeichneten  Voraussetzungen  auf  Wiederherstellung  der 
Gemeinschaft  klagen. 

§  1430  a.  (1430  Abs.  3.)  '  Die  Wiederherstellung  der  Errungenschaftsgemeinschaft 
tritt  mit  der  Rechtskraft  des  Urteils  ein.  Die  Vorschriften  des  §  g2  Abs.  2  finden  ent- 
sprechende Anwendung.  Dritten  gegenüber  ist  die  Wiederherstellung  nur  nach  Mafsgabe 
des  §   1336  wirksam. 

Im  Falle  der  Wiederherstellung  wird  dasjenige  Vermögen  der  Frau  Vorbehaltsgut, 
welches  ohne  die  Auflösung  der  Gemeinschaft  Vorbehaltsgut  geblieben  oder  geworden 
sein  würde. 

4.     Fahrnisgemeinschaft. 

§  1431.  Auf  die  Gemeinschaft  des  beweglichen  Vermögens  und  der  Errungenschaft 
(Fahrnisgemeinschaft)  finden  die  für  die  allgemeine  Gütergemeinschaft  geltenden  Vor- 
schriften Anwendung,  soweit  sich  nicht  aus  den    §§   1432   bis    1434    ein    anderes    ergiebt. 

§  1431a.  (1431  Abs.  1,  1432  Abs.  1.)  Von  dem  Gesamtgut  ausgeschlossen  ist  das 
eingebrachte  Gut  eines  Ehegatten. 

Auf  das  eingebrachte  Gut  finden  die  bei  der  Errungenschaftsgemeinschaft  für  das 
eingebrachte  Gut  geltenden  Vorschriften  Anwendung. 

§  1432.  Eingebrachtes  Gut  eines  Ehegatten  ist  das  unbewegliche  Vermögen,  welches 
er  bei  dem  Eintritte  der  Fahrnisgemeinschaft  hat  oder  während  der  Gemeinschaft  durch 
Erbfolge,  Vermächtnis  oder  mit  Rücksicht  auf  ein  künftiges  Erbrecht,  durch  Schenkung 
oder  als  Ausstattung  erwirbt. 


394  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

mung  des  §  1412,  derzufolge  Sondergut  eines  Ehegatten  ist,  was  er 
während  der  Dauer  der  Errungenschaftsgemeinschaft  durch  Schenkung 
oder  als  Ausstattung  erwirbt,  wurde  derjenige  Erwerb  ausgenommen, 
der  den  Umständen  nach  zu  den  Einkünften  zu  rechnen  ist.  Man 
hatte  hierbei  z.  B.  Schenkungen  im  Auge,  die  ein  Ehegatte  in  Be- 
ziehung auf  seine  Erwerbsthätigkeit  oder  aus  Anlafs  derselben  erhält, 
namentlich  Trinkgelder,  ferner  solche  Schenkungen,  welche  zur  Tra- 
gung eines  an  sich  dem  Gesamtgut  zur  Last  fallenden  Aufwandes  oder 
zur  Befriedigung  laufender  an  sich  aus  dem  Gesamtgut  zu  bestreitender 
Bedürfnisse  des  Haushalts  einem  Ehegatten  gemacht  werden,  z.  B.  jähr- 
liche Zuschüsse  der  Eltern.  Bezüglich  derartiger  Zuwendungen  nahm  man 
an,  dafs  sie  nach  dem  Grundgedanken  der  Errungenschaftsgemeinschaft  in 
das  Gesamtgut  fallen  müfsten.  Abweichend  vom  §  1416  beschlofs  man 
ferner,  Vorbehaltsgut  nur  für  die  Frau,  nicht  für  den  Mann  zuzulassen. 
Für  ein  besonderes  Vorbehaltsgut  des  Mannes  sah  man  kein  Bedürfnis, 
da  es  dem  Ehegatten  freistehe,  gewisse  Einkünfte  durch  Vereinbarung  dem 
Manne  zuzuweisen.  Zu  §  1429  Abs.  2  Satz  1  wurde  auch  die  Todes- 
erklärung der  Frau  als  Grund  der  Auflösung  der  Errungenschaftsgemein- 
schaft anerkannt  und  demgemäfs  in  Ergänzung  des  §  1430  Abs.  1  auch 
der  Frau  ein  Recht,  auf  Wiederherstellung  der  Gemeinschaft  zu  klagen, 
eingeräumt.  Der  Satz  2  des  §  1430  Abs.  2,  nach  welchem  die  Frau  im 
Falle  der  Auflösung  der  Gemeinschaft  durch  Eröffnung  des  Konkurses  über 
das  Vermögen  des  Mannes  den  Anspruch  auf  Wiederherstellung  der  Ge- 
meinschaft verliert,  wenn  der  Anspruch  nicht  vor  Beendigung  des  Kon- 
kurses rechtshängig  gemacht  wird,  wurde  in  der  Erwägung  gestrichen,  dafs 
die  Frau  oft  zu  dieser  Zeit  noch  nicht  in  der  Lage  sei,  zu  entscheiden, 
ob  sie  ohne  Gefährdung  ihres  künftigen  Erwerbs  die  Wiederherstellung 
der  Gemeinschaft    herbeiführen  könne.  —  Bei  den  im   Entwurf  2.  Lesung 


Zu  dem  unbeweglichen  Vermögen  im  Sinne  dieser  Vorschrift  gehören  die  Grundstücke 
nebst  Zubehör,  die  Rechte  an  Grundstücken,  mit  Ausnahme  der  Hypotheken,  Grund- 
schulden und  Rentenschulden,  sowie  Forderungen,  welche  auf  die  Uebertragung  des  Eigen- 
tums an  Grundstücken  oder  auf  die  Begründung  oder  Uebertragung  eines  der  bezeich- 
neten Rechte  oder  auf  Befreiung  des  Grundstücks  von  einem  solchen  Rechte  gerichtet  sind. 

§  1432  a.  (1432  Abs.  1.)  Eingebrachtes  Gut  eines  Ehegatten  sind  solche  Gegen- 
stände, welche  nicht  durch  Rechtsgeschäft  übertragen  werden  können. 

§   1432  b.     (1432  Abs.    1.)     Eingebrachtes  Gut  eines  Ehegatten  ist: 

1.  was  durch  Ehevertrag  für  eingebrachtes  Gut  erklärt  ist; 

2.  was  er  nach  Mafsgabe  des  §f  erwirbt,    sofern    die  Bestimmung    dahin    getroffen  ist, 
dafs  der  Erwerb  eingebrachtes  Gut  sein  soll. 

§  1432  c.  (1432  Abs.  1.)  Eingebrachtes  Gut  eines  Ehegatten  ist,  was  er  in  der 
im  §  1414  bezeichneten  Weise  erwirbt.  Diese  Vorschrift  findet  keine  Anwendung  auf 
Gegenstände,  die  nur  deshalb  eingebrachtes  Gut  sind,  weil  sie  nicht  durch  Rechtsgeschäft 
übertragen  werden  können. 

§   1432  d.     (1431   Abs.   1,  1346.)     Vorbehaltsgut  des  Mannes  ist  ausgeschlossen. 

§  1433.  Erwirbt  ein  Ehegatte  während  der  Fahrnisgemeinschaft  durch  Erbfolge, 
Vermächtnis  oder  mit  Rücksicht  auf  ein  künftiges  Erbrecht ,  durch  Schenkung  oder 
als  Ausstattung  Gegenstände,  die  teils  Gesamtgut,  teils  eingebrachtes  Gut  werden,  so 
fallen  die  infolge  des  Erwerbes  entstandenen  Verbindlichkeiten  im  Verhältnisse  der  Ehe- 
gatten zu  einander  dem  Gesamtgut  und  dem  Ehegatten,  welcher  den  Erwerb  macht,  ver- 
hältnismäfsig  zur  Last. 

§  1434.  Fortgesetzte  Gütergemeinschaft  tritt  bei  der  Fahrnisgemeinschaft  nur  ein, 
wenn  sie  durch  Ehevertrag  vereinbart  ist. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  395 

als  Fahrnifsgemeinschaft  bezeichneten  Güterstande  der  Gemeinschaft  des  be- 
weglichen Vermögens  und  der  Errungenschaft  wurde  Vorbehaltsgut  des 
Mannes  gleichfalls  ausgeschlossen.  Aufserdem  liefs  man,  abweichend  vom 
§  1434,  die  vertragsmäfsige  Einführung  der  fortgesetzten  Gütergemeinschaft 
zu.  Bei  der  nahen  Verwandtschaft  der  Fahrnifsgemeinschaft  mit  der  all- 
gemeinen Gütergemeinschaft  sah  man  zum  Ausschlufs  der  fortgesetzten 
Gütergemeinschaft  keinen  Grund.  Da  jedoch  der  hier  fragliche  vertrags- 
mäfsige Güterstand  wesentlich  darauf  berechnet  ist,  in  dem  bisherigen 
Geltungsgebiet  der  Mobiliargemeinschaft,  also  namentlich  in  dem  Gebiete 
des  französischen  Rechts,  die  Beibehaltung  des  bisherigen  Rechts  zu  er- 
möglichen, dem  französischen  Recht  aber  die  Fortsetzung  der  Gemeinschaft 
fremd  ist,  glaubte  man  den  Eintritt  derselben  von  einer  besonderen  auf 
ihn  gerichteten  ehevertraglicheu  Vereinbarung  abhängig  macheu  zu  ßollen. 
Dagegen  fand  ein  Antrag,  welcher  auch  bei  der  Errungenschaftsgemein- 
schaft  die  Vereinbarung  der  Fortsetzung  der  Gemeinschaft  zulassen  wollte, 
nicht  die  Billigung  der  Mehrheit. 

Von  den  Vorschriften  des  vierten  Titels  über  das  eherechtliche 
Register  erfuhren  nur  der  §  1435  Abs.  1  und  der  §  1437  sachliche 
Aenderungen,  welche  sich  aus  dem  §  1435  Abs.  2  Satz  2  und  den  §§  1437, 
1437a  der  2.   Lesung  ergeben. 


III.     Güterrechtsregister. 

§  1435.  (1435,  1436  Abs.  2.)  Ist  zur  Wirksamkeit  eines  Ehevertrags  oder  einer 
anderen  Thatsache  Dritten  gegenüber  die  Eintragung  in  das  Güterrechtsregister  erforder- 
lich, so  hat  die  Eintragung  in  das  Register  des  Bezirks  zu  erfolgen,  in  welchem  der 
Mann  seinen  Wohnsitz  hat. 

Das  Register  wird  von  den  Amtsgerichten  geführt.  Durch  Anordnung  der  Landes- 
justizverwaltung kann  die  Führung  des  Registers  für  mehrere  Amtsgerichtsbezirke  einem 
Amtsgericht  übertragen  werden. 

§   1436  vergl.   §   1435  Abs.   1,  §   1437  a. 

§  1437.  (1437,  1438.)  Die  Eintragung  soll  nur  auf  Antrag  und  nur  insoweit  er- 
folgen, als  sie  beantragt  ist.  Der  Antrag  ist  vor  dem  Amtsgerichte  zu  Protokoll  zu  er- 
klären oder  dem  Gericht  in  öffentlich   beglaubigter  Form  einzureichen. 

Die  Eintragung  erfolgt  in  den  Fällen  des  §  1275  a  Abs.  2  und  des  §  q1  auf  Antrag 
des  Mannes.  In  den  anderen  Fällen  ist  der  Antrag  beider  Ehegatten  erforderlich ;  jeder 
Ehegatte  ist  dem  anderen  zur  Mitwirkung  verpflichtet.  Es  genügt  jedoch  zur  Eintragung 
eines  Ehevertrags  oder  einer  auf  einer  gerichtlichen  Entscheidung  beruhenden  Aenderung 
in  den  vermögensrechtlichen  Verhältnissen  der  Ehegatten  der  Antrag  eines  Ehegatten, 
wenn  mit  dem  Antrage  der  Ehevertrag  oder  die  mit  dem  Zeugnisse  der  Rechtskraft  ver- 
sehene gerichtliche  Entscheidung  vorgelegt  wird. 

§  1437  a.  (1436  Satz  2.)  Verlegt  nach  der  Eintragung  der  Mann  seinen  Wohnsitz 
in  einen  anderen  Bezirk,  so  mufs  die  Eintragung  im  Register  dieses  Bezirkes  wiederholt 
werden.  Der  Antrag  eines  der  Ehegatten  genügt,  wenn  mit  dem  Antrag  eine  nach  der 
Aufhebung  des  bisherigen  Wohnsitzes  erteilte  Abschrift  der  früheren  Eintragung  vorge- 
legt wird.     Die  Abschrift  mufs  öffentlich  beglaubigt  sein. 

Ist  die  Eintragung  nicht  binnen  sechs  Wochen  nach  der  Begründung  des  neuen 
Wohnsitzes  beantragt  worden  ,  so  verliert  die  frühere  Eintragung  ihre  Kraft ;  sie  wird 
wieder  wirksam,    wenn    der  Mann    den   Wohnsitz  in    den    früheren  Bezirk    zurückverlegt. 

§   1438  vergl.   §   1437  Abs    2   Satz  2. 

§  1439.  Das  Amtsgericht  soll  jede  Eintragung  durch  Einrückung  in  das  für  seine 
Bekanntmachungen  bestimmte  Blatt  unverzüglich  veröffentlichen.  Ist  eine  Aenderung 
des  Güterstandes  eingetragen ,  so  hat  sich  die  Bekanntmachung  auf  die  Bezeichnung  des 
Güterstandes  und,  wenn  dieser  abweichend  vom  Gesetze  geregelt  ist,  auf  eine  allgemeine 
Bezeichnung  der  Abweichung  zu  beschränken. 


39g  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

In  dem  von  der  Auflösung  der  Ehe  handelnden  fünften  Titel 
regelt  der  erste  Abschnitt  die  Scheidung  und  Trennung  von  Tisch 
und  Bett.  Man  entschied  sich  auf  Anregung  eines  Mitgliedes  dahin,  die 
Vorschriften  dieses  Titels  wiederum  zunächst  durch  eventuelle  Abstim- 
mungen festzustellen  und  über  die  Aufnahme  des  ganzen  Titels  erst  in 
einer  Schlufsabstimmung  Beschlufs  zu  fassen.  Der  in  §  1440  Abs.  1  an 
die  Spitze  gestellte  Grundsatz,  dafs  die  Auflösung  der  Ehe  vor  dem  Tode 
eines  der  Ehegatten,  abgesehen  von  dem  in  §  1464  geregelten  Falle  der 
Auflösung  infolge  Todeserklärung,  nur  durch  gerichtliches  Urteil  erfolgen 
kann,  wurde,  entsprechend  der  Beurteilung,  welche  das  Scheidungsrecht 
des  Entwurfs  auch  anderweit  vom  katholisch-konfessionellen  Standpunkte 
aus,  insbesondere  durch  den  Beschlufs  der  35.  Generalversammlung  der 
Katholiken  Deutschlands  in  Freiburg  1888,  erfahren  hat,  insoweit  ange- 
fochten, als  die  Scheidung  danach  stets  die  Auflösung  der  Ehe  dem  Bande 
nach  zur  Folge  haben  soll,  und  es  wurde  beantragt,  zusätzlich  zu  be- 
stimmen, dafs  für  den  der  katholischen  Kirche  angehörenden  Ehegatten 
die  Scheidung  nur  die  Auflösung  der  häuslichen  und  ehelichen  Gemein- 
schaft bewirke,  nicht  aber  ihn  berechtige,  während  des  Lebens  des  anderen 
Ehegatten  eine  neue  Ehe  zu  schliefsen.  Die  weit  überwiegende  Mehrheit 
der  Kommission  hielt  jedoch  an  ihrer  früher  gekennzeichneten  Grundauf- 
fassung von  der  Aufgabe  und  der  Stellung  des  staatlichen  Eherechts  gegen- 
über dem  kirchlichen  fest  und  lehnte  den  Antrag  ab.  Im  übrigen  fand 
der  Grundsatz  des  §  1440  Abs.  1  Billigung,  namentlich  auch  insofern,  als 
er  ein  landesherrliches  Scheidungsrecht  verneint.  Während  der  Abs.  3 
des  §  1440  beständige  Trennung  von  Tisch  und  Bett  ausschliefst  und  zeit- 
weilige Trennung  nur  in  den  Fällen  des  §  1444  für  zulässig  erklärt,  em- 
pfahl ein  Antrag,  beim  Vorhandensein  jedes  Scheidungsgrundes  dem  schei- 
dungsberechtigten Ehegatten  auch  eine  Klage  auf  dauernde  Aufhebung 
der  häuslichen  und  ehelichen  Gemeinschaft  zu  geben  und  weiter  zu  be- 
stimmen, dafs  der  beklagte  Ehegatte  statt  der  Aufhebung  der  Gemeinschaft 
Scheidung  verlangen  könne,  sowie  dafs  auf  Grund  des  auf  Aufhebung  der 
Gemeinschaft  erkennenden  Urteils  jeder  Ehegatte,  solange  das  eheliche 
Leben  nicht  wiederhergestellt  sei,  auf  Scheidung  klagen  könne.  Der  Au- 
trag wurde  jedoch  abgelehnt.  Die  Mehrheit  erwog  namentlich,  dafs  der- 
selbe seinen  hauptsächlichen  Zweck,  dem  scheidungsberechtigten  Ehegatten 
ein  Zuwarten  mit  der  Scheidungsklage  zu  ermöglichen  und  dadurch  die 
Aussöhnung  der  Ehegatten  zu  erleichtern,  nicht  erreiche,  dieser  Zweck  sich 
vielmehr  auf  anderem  Wege  besser  und  einfacher  erreichen  lasse  (vergl. 
die  Beschlüsse  zu  §  1444  und  §  1447),  und  dafs,  soweit  der  Antrag  den 
gegen  die  Scheidungsklage  obwaltenden  konfessionellen  Bedenken  begegnen 


§  1439  a.  (1435  Abs.  2.)  Das  Register  ist  öffentlich.  Die  Einsicht  des  Registers 
ist  während  der  gewöhnlichen  Dienststuuden  jedem  gestattet.  Von  den  Eintragungen  kann 
gegen  Erlegung  der  Kosten  eine  Abschrift  gefordert  werden  ;  die  Abschrift  ist  auf  Ver- 
langen zu  beglaubigen. 

Sechster  Titel. 
Scheidung  der  Ehe. 
§   1440.     Eine  Ehe  kann    nur    durch    gerichtliches    Urteil    geschieden    werden.      Die 
Scheidung  ist  nur  aus  den  in  den    §§   1441   bis   1445  a  bestimmten   Gründen  zulässig. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  397 

wolle,  er  hierzu  teils  nicht  nötig,  teils  nicht  geeignet  sei.  Der  Satz  1  des 
§  1440  Abs.  3  wurde  jedoch  als  entbehrlich  gestrichen,  weil  er  sich  ledig- 
lich gegen  den  reichsrechtlich  bereits  beseitigten  früheren  Rechtszustand 
wende.  Der  Satz  2  kam  durch  den  zu  §  1444  gefafsten  Beschlufs  in 
Wegfall. 

Die  Vorschriften  der  §§  1441  — 1443,  welche  die  absoluten  Scheidungs- 
gründe, d.  h.  die  unbedingt  zur  Scheidung  berechtigenden  Gründe  regeln, 
blieben  unverändert;  der  Vorschlag,  die  bösliche  Verlassung  (£  1443)  als 
absoluten  Scheidungsgrund  fallen  zu  lassen ,  erschien  schon  im  Hinblick 
auf  das  geltende  Recht  unannehmbar.  Neben  die  absoluten  stellt  der 
§   1444  relative  Scheidungsgründe,    d.  h.  solche,  die  nur   dann  zur  Schei- 


§  1441.  Ein  Ehegatte  kann  auf  Scheidung  klagen,  wenn  der  andere  Ehegatte  sich 
des  Ehebruchs  oder  einer  nach  den  §§  171,  175  des  Strafgesetzbuchs  strafbaren  Hand- 
lung schuldig  gemacht  hat. 

Das  Recht  des  Ehegatten  auf  Scheidung  ist  ausgeschlossen ,    wenn  er  dem  Ehebruch 
oder  der  strafbaren  Handlung  zugestimmt  oder  sich  der  Teilnahme  schuldig  gemacht  hat. 
§   1442.     Ein  Ehegatte  kann  auf  Scheidung  klagen,    wenn    der  andere  Ehegatte  ihm 
nach  dem  Leben  getrachtet  hat. 

§  1443.  Ein  Ehegatte  kann  auf  Scheidung  klagen,  wenn  der  andere  Ehegatte  ihn 
böslich  verlassen  hat. 

Bösliche  Verlassung  liegt  nur  vor: 
1.  wenn  ein  Ehegatte  zur  Herstellung  der  häuslichen  Gemeinschaft  rechtskräftig  ver- 
urteilt worden  ist  und  ein  Jahr  lang  gegen  den  Willen  des  anderen  Ehegatten  in 
böslicher  Absicht  dem  Urteile  keine  Folge  geleistet  hat; 
2  wenn  ein  Ehegatte  sich  ein  Jahr  lang  gegen  den  Willen  des  anderen  Ehegatten  in 
böslicher  Absicht  von  der  häuslichen  Gemeinschaft  fern  gehalten  hat  und  die  Vor- 
aussetzungen für  die  öffentliche  Zustellung  seit  Jahresfrist  gegen  ihn  bestanden 
haben. 

Die  Scheidung  ist  im  Falle  der  Nr.  2  unzulässig,  wenn  die  Voraussetzungen  für  die 
öffentliche  Zustellung  am  Schlüsse  der  mündlichen  Verhandlung,  auf  welche  das  Urteil 
ergeht,  nicht  mehr  bestehen. 

§  1444.  Ein  Ehegatte  kann  auf  Scheidung  klagen,  wenn  der  andere  Ehegatte  durch 
schwere  Verletzung  der  durch  Ehe  begründeten  Pflichten  oder  durch  ehrloses  oder  unsitt- 
liches Verhalten  eine  so  tiefe  Zerrüttung  des  ehelichen  Verhältnisses  verschuldet  hat,  dafs  dem 
Ehegatten  die  Fortsetzung  der  Ehe  nicht  zugemutet  werden  kann.  Als  schwere  Ver- 
letzung der  Pflichten  gilt  insbesondere  eine  grobe  Mifshandlung. 

Anmerkung.  Im  Artikel  11  des  Entwurfes  des  Einführungsgesetzes  soll  zum 
teilweisen  Ersätze  des  §  1444  der  §  580  der  Civilprozefsordnung  durch  folgende  Vor- 
schriften ersetzt  werden : 

§  580.  Hat  der  Kläger  die  Aussetzung  des  Verfahrens  über  eine  Ehescheidungs- 
klage beantragt,  so  darf  das  Gericht  auf  Scheidung  nicht  erkennen,  bevor  die  Aus- 
setzung stattgefunden  hat.  Das  Gleiche  gilt,  wenn  die  Scheidung  auf  Grund  des 
§  1444  des  Bürgerlichen  Gesetzbuchs  beantragt  ist  und  die  Aussicht  auf  Aussöh- 
nung der  Parteien  den  Umständen  nach  nicht  ausgeschlossen  erscheint. 

Auf  Grund  dieser  Bestimmungen  darf  die  Aussetzung  im  Laufe  des  Rechtsstreits 
nur  einmal  und  höchstens  auf  zwei  Jahre  angeordnet  werden. 

§  580  a.  Die  Aussetzung  des  Verfahrens  über  eine  Klage  auf  Herstellung  des 
ehelichen  Lebens  kann  das  Gericht  von  Amtswegen  anordnen,  wenn  es  die  Aus- 
söhnung der  Parteien  tür  nicht  unwahrscheinlich  erachtet.  Auf  Grund  dieser  Be- 
stimmung darf  die  Aussetzung  im  Laufe  des  Rechtsstreits  nur  einmal  und  höch- 
stens auf  ein  Jahr  angeordnet  werden. 
§   1445  gestrichen. 

§  1445a.  Ein  Ehegatte  kann  auf  Scheidung  klagen,  wenn  der  andere  Ehegatte  in 
Geisteskrankheit  verfallen  ist,  die  Krankheit  während  der  Ehe  mindestens  drei  Jahre 
gedauert  und  einen  solchen  Grad  erreicht  hat,  dafs  die  geistige  Gemeinschaft  zwischen 
den  Ehegatten  aufgehoben ,  auch  jede  Aussicht  auf  Wiederherstellung  derselben  ausge- 
schlossen ist. 


398  Nationalökonomisehe  Gesetzgebung. 

düng  führen,  wenn  sie  im  einzelnen  Falle  eine  so  tiefe  Zerrüttung  des  ehe- 
lichen Verhältnisses  verursacht  haben,  dafs  dem  anderen  Ehegatten  die 
Fortsetzung  der  Ehe  nicht  zugemutet  werden  kann ;  als  relativen  Schei- 
dungsgrund in  diesem  Sinne  bezeichnet  der  §  1444  jedoch,  nicht  nur  be- 
stimmte einzelne  Handlungen,  sondern  im  allgemeinen  jede  schwere  Ver- 
letzung der  dem  einen  Ehegatten  gegen  den  anderen  obliegenden  ehelichen 
Pflichten  sowie  ehrloses  oder  unsittliches  Verhalten.  Gegenüber  dieser 
Regelung  wurde,  wie  in  der  Kritik,  so  auch  in  der  Kommission  das  Be- 
denken erhoben,  dafs  sie  dem  richterlichen  Ermessen  zu  weiten  Spielraum 
lasse  und  daher  zur  Rechtsunsicherheit  führe,  und  es  wurde  empfohlen, 
statt  dessen  den  absoluten  Gründen  die  Verurteilung  wegen  eines  während 
der  Ehe  begangenen  entehrenden  Verbrechens  mit  einer  Freiheitsstrafe 
von  mindestens  3  Jahren  hinzuzufügen,  als  relative  Gründe  nur  fortge- 
setzte gesundheitsgefährdende  Mifshandlung  und  absichtliche  hartnäckige 
Nichterfüllung  der  ehelichen  Pflichten  aufzustellen  und  daneben  die  Schei- 
dung auf  Grund  gegenseitiger  Einwilligung  zuzulassen.  Die  Mehrheit  war 
jedoch  der  Ansicht,  dafs  die  grundsätzliche  Bestimmung  der  relativen 
Gründe,  wie  sie  der  §  1444  enthalte,  dem  Bedürfnisse  des  Lebens  besser 
gerecht  werde;  sie  billigte  auch  im  einzelnen  die  Voraussetzungen  des 
§  1444,  nur  erschien  es  teils  überflüssig,  teils  irreführend,  wenn  der  Ent- 
wurf als  Beispiel  ehrlosen  oder  unsittlichen  Verhaltens  die  Begehung  eines 
entehrenden  Verbrechens  oder  Vergehens  nach  Schliefsung  der  Ehe  be- 
zeichnet, und  man  liefs  diese  Exemplifikation  daher  weg.  Der  Vorschlag, 
als  Beispiel  solches  zur  Scheidung  berechtigenden  Verhaltens  die  schuld- 
hafte Verweigerung  der  kirchlichen  Trauung  anzuführen,  wurde  abgelehnt; 
man  hielt  den  Zusatz  zum  Teil  für  unvereinbar  mit  der  Stellung  des  staat- 
lichen Eherechts  zur  kirchlichen  Trauung,  teilweise  für  überflüssig,  da, 
soweit  er  richtig  sei,  er  sich  von  selbst  verstehe. 

In  den  Fällen  des  §  1444  kann  nach  dem  Entwurf  nur  ausnahms- 
weise sofortige  Scheidung  verlangt  werden,  wenn  nämlich  nach  den  Um- 
ständen des  Falles  die  Aussicht  auf  Herstellung  des  ehelichen  Verhältnisses 
ausgeschlossen  ist.  Regelmäfsig  kann  der  unschuldige  Ehegatte  nur  Tren- 
nung von  Tisch  und  Bett  verlangen  und  erst,  wenn  die  in  dem  hierauf 
ergehenden  Urteil  bestimmte  Trennungszeit  abgelaufen  ist,  kann  er  auf 
Grund  des  Urteils  in  einem  zweiten  Prozefs  auf  Scheidung  klagen.  Die 
Bestimmungen  bezwecken,  eine  Aussöhnung  der  Ehegatten  zu  befördern. 
Die  Mehrheit  nahm  jedoch  an,  dafs  dieser  Zweck  durch  den  Entwurf  nicht 
erreicht  werde,  weil  durch  die  dem  Trennungsurteil  vorangehende  gericht- 


Anmerkung.     Im  Artikel  11   des  Entwurfes  des  Einführuugsgesetzes  soll  folgende 
Vorschrift  in  die  Civilprozefsordnung  als  §  581  a  eingestellt  werden  : 

Auf  Scheidung  wegen  Geisteskrankheit  darf  nicht    erkannt    werden  ,    bevor    das 
Gericht  einen  oder  mehrere  Sachverständige  über  den  Geisteszustand  des  Beklagten 
gehört  hat. 
Die  Entscheidung  der  Frage,    ob  die  Unanwendbarkeit    des  §   369   Abs.  4   der  Civil- 
prozefsordnung   auf    die    von  Amtswegen    erfolgende  Zuziehung    von    Sachverständigen  in 
Scheidungsprozessen  ausdrücklich  auszusprechen  ist,  bleibt  der  Beratung  des  Einführungs- 
gesetzes vorbehalten. 

§  1446.     Das    Recht    auf  Scheidung   erlischt   in    den    Fällen    der  §§  1441  bis  1444 
durch  Verzeihung. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  399 

liehe  Erörterung  der  die  Klage  begründenden  Thatsachen  die  Zerrüttung 
des  ehelichen  Verhältnisses  eher  gesteigert  werde;  auch  sah  sie  in  dem 
Erfordernis  einer  zweiten  auf  Scheidung  gerichteten  Klage  eine  unzweck- 
mäßige Formalität.  Man  beschlofs  daher,  das  Institut  der  Klage  auf  zeit- 
weilige Trennung  von  Tisch  und  Bett  ganz  fallen  zu  lassen  und  auch  in 
den  Fällen  des  §  1444  dem  unschuldigen  Ehegatten  die  Scheidungsklage 
zu  geben,  im  Interesse  thunlichster  Aufrechterhaltung  der  Ehe  aber  die 
Vorschriften  des  §  580  der  Civilprozefsordnung  dahin  zu  ändern,  dafs  im 
Ehescheidungsprozesse  das  Verfahren  auf  Antrag  des  Klägers  stets  und 
bei  einer  auf  §  1444  gestützten  Scheidungsklage  auch  von  Amtflwegen 
dann  auszusetzen  sei,  wenn  die  Aussicht  auf  Aussöhnung  der  Parteien 
den  Umständen  nach  nicht  ausgeschlossen  erscheint.  Infolge  dieses  Be- 
schlusses erledigten  sich  alle  folgenden  Vorschriften  über  die  Trennung 
von  Tisch  und  Bett. 

Man  kam  hierauf  zur  Erörterung  der  Frage,  ob  die  Scheidungsgründe 
des  Entwurfs  einer  Ergänzung  bedürften.  Es  lagen  in  dieser  Beziehung 
zunächst  zwei  Anträge  auf  Zulassung  der  Scheidung  auf  Grund  gegen- 
seitiger Einwilligung  der  Ehegatten  vor;  die  erforderliche  Gewähr  gegen 
Mifsbrauch  dieses  ScheiduDgsgrundes  wollte  der  eine  der  Anträge  im  An- 
schlufs  an  das  französische  Recht  durch  erschwerende  Formvorschriften, 
der  andere  dadurch  schaffen,  dafs  er  neben  der  Einwilligung  eine  die 
Fortsetzung  der  Ehe  ausschliefsende  Zerrüttung  des  ehelichen  Verhält- 
nisses als  Voraussetzung  aufstellte.  Die  Kommission  lehnte  jedoch  beide 
Anträge  ab,  weil  sie  dieselben,  namentlich  den  ersten,  mit  der  dem  Ent- 
wurf zu  Grunde  liegenden  Auffassung  der  Ehe  als  einer  über  dem  indivi- 
duellen Belieben  der  Ehegatten  stehenden  höheren  sittlichen  und  recht- 
lichen Institution  für  nicht  vereinbar  hielt,  während  nach  dem  zweiten 
aufserdem  der  Hauptvorteil  der  Scheidung  auf  Grund  gegenseitiger  Ein- 
willigung, dafs  nämlich  eine  gerichtliche  Feststellung  des  wahren  Grundes 
vermieden  werde,  verloren  gehe.  —  Es  war  weiter  zu  der  Frage  Stellung 
zu  nehmen,  ob  Geisteskrankheit  als  Scheidungsgrund  anerkannt  werden 
solle.  Der  Standpunkt  des  Entwurfs,  welcher  unter  strengem  Festhalten 
an  dem  Grundgedanken,  dafs  nur  wegen  schweren  Verschuldens  eines  Ehe- 
gatten Scheidung  zuzulassen  sei,  die  Scheidung  wegen  Geisteskrankheit 
verwirft,  hat  in  der  Kritik  überwiegend  Widerspruch  erfahren.  Die  Mehr- 
heit der  Kommission  ging  davon  aus,  dafs  gegenüber  dem  geltenden  Kecht, 
welches  den  fraglichen  Scheidungsgrund  in  weitem  Umfange  anerkennt, 
und  angesichts  der  unverkennbaren  wirtschaftlichen  Nachteile  und  sitt- 
lichen Gefahren,  die  aus  der  Aufrechterhaltung  der  Ehe  für  den  gesunden 
Ehegatten  und  die  Kinder  nicht  selten  erwüchsen,  eine  Abweichung  von 
dem  bezeichneten  Grundgedanken  des  Entwurfs  gerechtfertigt  und  geboten 
erscheine,  sofern  es  gelinge,  die  Voraussetzungen  der  Scheidung  aus  diesem 
Grunde  angemessen  und  bestimmt  genug  festzustellen.  Unter  den  zahl- 
reichen zu  der  Frage  gestellten  Anträgen  bestand  darin  im  wesentlichen 
Uebereinstimmung,  dafs  nur  in  besonders  gearteten  Fällen  der  Geistes- 
krankheit die  Scheidung  zuzulassen  sei.  Für  die  Bestimmung  dieser  Fälle 
erblickte  die  Mehrheit  den  leitenden  Gesichtspunkt  darin,  dafs  die  geistige 
Krankheit  gewissermafsen  den  geistigen  Tod  des  einen  Ehegatten  zur  Folge 


400  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

haben  müsse;  nur  unter  dieser  Voraussetzung  rechtfertige  sich  die  Auf- 
lösung der  Ehe  entsprechend  der  Auflösung  durch  den  leiblichen  Tod. 
Man  erforderte  demgemäfs  einen  solchen  Grad  der  Geisteskrankheit,  dafs 
durch  diese  die  geistige  Gemeinschaft  zwischen  den  Ehegatten  aufgehoben 
sei.  Als  weitere  Voraussetzung  stellte  man  daneben  Unheilbarkeit  der 
Geisteskrankheit  auf  und,  um  bei  der  Schwierigkeit  der  Feststellung  dieses 
Moments  möglichste  Gewähr  für  die  Richtigkeit  derselben  zu  schaffen, 
forderte  man  weiter  eine  mindestens  dreijährige  Dauer  der  Krankheit 
während  der  Ehe.  Der  Vorschlag,  zu  diesem  Zweck  eine  längere  Beob- 
achtung des  Kranken  in  einer  öffentlichen  Irrenanstalt  oder  einer  landes- 
gesetzlich den  öffentlichen  Anstalten  in  dieser  Hinsicht  gleichgestellten 
Privatirrenanstalt  vorzuschreiben,  wurde  abgelehnt,  teils  wegen  der  mit 
einer  solchen  Vorschrift  verbundenen  Kostenbelastung,  namentlich  aber 
deswegen,  weil  die  Voraussetzungen  der  Unterbringung  in  eine  Irrenan- 
stalt der  landesgesetzlichen  Regelung  unterliegen  und  von  dieser  daher 
mittelbar  die  Durchführung  der  reichsrechtlichen  Vorschrift  abhängen 
würde.  Zweckmäfsig  erschien  es  endlich,  dem  Prozefsgericht  die  Ver- 
nehmung von  Sachverständigen  über  den  Geisteszustand  des  beklagten 
Ehegatten  zur  Pflicht  zu  machen. 

Nach  §   1447   Abs.  1  ist  in  den  Fällen  der  §§  1441,  1442,   1444  die 


§  1447.  (1447  Abs.  1—4.)  Die  Scheidungsklage  mufs  in  den  Fällen  der  §§  1441 
bis  1444  binnen  sechs  Monaten  von  dem  Zeitpunkt  an  erhoben  werden,  in  welchem  der 
Ehegatte  von  dem  Scheidungsgrunde  Kenntnis  erlangt  hat.  Die  Klage  ist  ausgeschlossen, 
wenn  seit  dem  Eintritte  des  Scheidungsgrundes  zehn  Jahre  abgelaufen  sind. 

Die  sechsmonatige  Frist  läuft  nicht  ab,  solange  die  häusliche  Gemeinschaft  der  Ehe- 
gatten aufgehoben  ist.  Wird  jedoch  der  zur  Klage  berechtigte  Ehegatte  von  dem  anderen 
Ehegatten  aufgefordert ,  entweder  die  häusliche  Gemeinschaft  herzustellen  oder  die  Schei- 
dungsklage zu  erheben,  so  läuft  die  Frist  von  dem  Empfange  der  Aufforderung. 

Der  Erhebung  der  Klage  steht  die  Ladung  zum  Sühnetermine  gleich.  Die  Ladung 
verliert  ihre  Wirkung,  wenn  der  zur  Klage  berechtigte  Ehegatte  im  Sühnetermine  nicht 
erscheint  oder  wenn  er  nicht  binnen  drei  Monaten  nach  der  Beendigung  des  Sühnever- 
fahrens die  Klage  erhebt. 

Auf  den  Lauf  der  Fristen  finden  die  für  die  Verjährung  geltenden  Vorschriften  der 
§§   169,   171    entsprechende  Anwendung. 

Anmerkung.  Im  Artikel  11  des  Entwurfes  des  Einführungsgesetzes  sollen  die 
Vorschriften  der  §§   571,  572   der  Civilprozefsordnung  dahin  geändert  werden: 

§  571.  Der  Kläger  hat  bei  dem  Amtsgerichte,  vor  welchem  der  Ehemann  seinen 
allgemeinen  Gerichtsstand  hat,  die  Anberaumung  eines  Sühnetermines  zu  beantragen 
und   zu  diesem  Termine  den  Beklagten  zu  laden. 

§  572.  Die  Parteien  müssen  in  dem  Sühnetermine  persönlich  erscheinen;  Bei- 
stände können  zurückgewiesen  werden. 

Erscheint  der  Kläger  oder  erscheinen    beide  Parteien  im  Sühnetermine  nicht,  so 

mufs  der  Kläger  die  Anberaumung    eines   neuen  Sühnetermins  beantragen  und  den 

Beklagten  zu  dem  Termine  laden      Erscheint  der  Kläger,  aber  nicht  der  Beklagte, 

so  ist  der  Sühneversuch  als  mifslungen  anzusehen. 

§   1447  a.     (1447  Abs.   5.)     Ein  Scheidungsgrund    kann    nach    dem  Ablaufe    der    für 

seine  Geltendmachung  im    §   1447    bestimmten   Frist    in    einem    anhängigen    Rechtsstreite 

geltend  gemacht    werden,    sofern  die  Frist    zur  Zeit  der  Erhebung    der  Klage  noch  nicht 

abgelaufen  war. 

§  1448.  Thatsachen,  auf  die  eine  Scheidungsklage  nicht  mehr  gegründet  werden 
kann,  dürfen  zur  Unterstützung  einer  auf  andere  Thatsachen  gegründeten  Scheidungsklage 
geltend  gemacht  werden. 

§  1449.  Wird  die  Ehe  aus  einem  der  in  den  §§  1441  bis  1444  bestimmten  Gründe 
geschieden ,  so  ist  in  dem  Urteil  auszusprechen ,  dafs  der  Beklagte  die  Schuld  an  der 
Scheidung  trägt. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  -IQl. 

Scheidungsklage  ausgeschlossen,  wenn  sie  nicht  binnen  sechs  Monaten  er- 
hoben wird,  nachdem  der  unschuldige  Ehegatte  von  dem  Scheidungsgrunde 
Kenntnis  erlangt  hat.  Diese  Vorschrift  erachtete  man  für  insofern  be- 
denklich, als  sie  den  unschuldigen  Ehegatten  zu  schleuniger  Erhebung  der 
Klage  drängt.  Anknüpfend  an  die  Thatsache,  dafs  der  Ehegatte  es  oft 
vorzieht,  sich  zunächst  nur  thatsächlich  von  dem  schuldigen  Teil  zu  trennen 
und  dafs  solche  Trenuuug  nicht  selten  zur  Aussöhnung  der  Gatten  führt, 
bestimmte  man  daher,  dafs,  solange  die  häusliche  Geraeinschaft  der  Ehe- 
gatten aufgehoben  ist,  die  sechsmonatige  Ausschlufsfrist  nicht  laufen  soll, 
gab  dem  schuldigen  Ehegatten  aber  das  Hecht,  den  anderen  aufzufordern, 
dafs  er  entweder  die  häusliohe  Gemeinschaft  herstelle  oder  die  Scheidungs- 
klage erhebe,  mit  der  Wirkung,  dafs  vom  Empfange  der  Aufforderung  die 
Frist  wieder  zu  laufen  beginnt.  Diese  Bestimmungen  dienen  zugleich  als 
ein  weiterer  Ersatz  für  die  beseitigte  Klage  auf  Trennung  von  Tisch  und 
Bett.  Die  im  §  1447  Abs.  2  bestimmte  absolute  Ausschlufsfrist  von 
30  Jahren  wurde  auf  10  Jahre  herabgesetzt.  Man  dehnte  endlich  die 
Vorschriften  des  §  1447  auch  auf  den  Fall  der  böslichen  Verlassung 
(§  1443)  aus.  Abweichend  vom  §  1450  soll  bei  Scheidung  wegen  Ehe- 
bruchs die  Person  des  mitschuldigen  Dritten  nicht  notwendig  in  der  Ur- 
teilsformel,  sondern  nur  im  Urteil  festgestellt  zu  werden  brauchen,  weil 
die  Möglichkeit  von  Irrtümern  eine  minder  schroffe  Form  der  Feststellung 
ratsam  erscheinen  liefs. 

Bezüglich  der  Vermögensauseinanderselzung  der  geschiedenen  Ehe- 
gatten beläfst  es  der  Entwurf  bei  den  allgemeinen,  für  den  betreffenden 
Güterstand  geltenden  Vorschriften,  insbesondere,  abweichend  vom  über- 
wiegenden Teil  der  geltenden  Rechte,  auch  in  den  Fällen,  in  denen  all- 
gemeine oder  partikulare  Gütergemeinschaft  bestanden  hat.  Die  Kom- 
mission war  dagegen,  in  Uebereinstimmung  mit  mehrfachen  Aeufserungen 
der  Kritik,  der  Ansicht,  dafs  in  diesen  Fällen  die  Anwendung  der  allge- 
meinen Vorschriften  grofse  Härten  für  den  unschuldigen  Ehegatten  zur 
Folge  habe,  dem  schuldigen  Teil  aber  Vorteile  gewähre,  in  denen  unter 
Umständen  ein  Anreiz  liegen  könne,  einen  Grund  zur  Scheidung  zu 
schaffen.  Als  das  Ziel  der  Regelung  sah  man  an,  zu  verhindern,  dafs  der 
schuldige  Ehegatte  aus  der  Scheidung  Gewinn  ziehe ;    nicht    dagegen  bc- 


Ist  von  dem  Beklagten  Widerklage  erhoben  und  wird  auch  diese  für  begründet 
erkannt,  so  sind  beide  Ehegatten  für  schuldig  zu  erklären.  Ohne  Erhebung  einer  Wider- 
klage ist  auf  Antrag  des  Beklagten  im  Falle  der  Scheidung  auch  der  Kläger  für  schuldig 
zu  erklären,  wenn  Thatsachen  vorliegen,  die  den  Beklagten  berechtigen  würden,  auf 
Scheidung  zu  klagen,  oder  wenn  das  Recht  des  Beklagten  auf  Scheidung  zwar  durch 
Verzeihung  oder  durch  Zeitablauf  ausgeschlossen  ist ,  aber  zur  Zeit  des  Eintritts  des  von 
dem  Kläger  geltend   gemachten   Scheidungsgrundes  noch  bestanden  hat. 

§   1450  gestrichen. 

Anmerkung.  Im  Artikel  11  des  Entwurfes  des  Einlührungsgesetzes  soll  zum 
Ersätze  des  §  1450  des  Entw.  I  folgende  Vorschrift  in  die  Civilprozefsordnung  als  §  581  b 
eingestellt  werden  : 

Wird  wegen  Ehebruchs  auf  Scheidung  erkannt,  so  ist  in  dem  Urteile  die  Person 
festzustellen  ,  mit  welcher  der  Ehebruch  begangen  worden  ist ,  wenn  sie  sich  aus 
den  Verhandlungen  ergiebt. 

§   1451   vergl.  die  Anmerkung  zu  §§   1254—1256. 

§   1452.     Die  Auflösung  der  Ehe  tritt  mit  der  Rechlskraft  des  Scheidungsurteils  ein. 

Dritte  Folge  Bd.  VHI  (LXII1).  26 


402  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

zweckte  man  die  Einführung  einer  Art.  Ehescheidungsstrafe,  vielmehr  billigte 
man,  dafs  der  Entwurf  solche  grundsätzlich  verwirft.  Yon  diesen  Er- 
wägungen aus  gelangte  man  zu  den  neuen  Vorschriften  des  §  1453  a  der 
2.  Lesung.  Den  gleichen  Schutz,  wie  bei  Scheidung  wegen  Verschuldens 
eines  Ehegatten  dem  anderen  Ehegatten ,  glaubte  man  bei  Scheidung 
wegen  Geisteskrankheit  dem  geisteskranken  Ehegatten  gewähren  zu  sollen. 
Der  in  §   1454    geregelte  Unterhaltsanspruch    des    unschuldigen  Ehe- 


§  1453.  Ist  ein  Ehegatte  allein  für  schuldig  erklärt,  so  kann  der  andere  Ehegatte 
Schenkungen,  die  er  ihm  während  des  Brautstandes  oder  während  der  Ehe  gemacht  hat, 
widerrufen.      Die  Vorschriften  des  §  477   finden  Anwendung. 

Der  Widerruf  ist  ausgeschlossen,  wenn  seit  der  Rechtskraft  des  Scheidungsurteils 
ein  Jahr  verstrichen  oder  wenn  der  Schenker    oder    der  Beschenkte  gestorben  ist. 

§  1453  a.  Sind  die  Ehegatten  geschieden  und  ist  nur  einer  von  ihnen  für  schuldig 
erklärt ,  so  kann  der  andere  verlangen ,  dafs  ihm  der  Wert  desjenigen  ,  was  er  mehr  als 
der  schuldige  Ehegatte  in  die  Gütergemeinschaft  eingebracht  hat,  als  Voraus  zugeteilt 
wird,  sofern  der  Wert  des  Gesamtguts  den  Wert  des  von  beiden  Ehegatten  Eingebrachten 
erreicht  Ist  der  Wert  des  Gesamtguts  geringer,  so  kann  der  nicht  für  schuldig  erklärte 
Ehegatte  Teilung  in  der  Art  verlangen,  dafs  jedem  Ehegatten  der  Wert  des  von  ihm 
Eingebrachten  nach  Abzug  der  Hälfte  des  Fehlbetrags  zurückerstattet  wird. 

Der  Wert  des  Eingebrachten  bestimmt  sich  nach  der  Zeit  des  Einbringens.  Als 
eingebracht  ist  anzusehen  ,  was  eingebrachtes  Gut  gewesen  sein  würde ,  wenn  Errungen- 
schaftsgemeinschaft  bestanden  hätte. 

Die  gleichen  Rechte  hat  ein  Ehegatte  ,  wenn  die  Ehe  wegen  seiner  Geisteskrankheit 
geschieden  worden  ist. 

§  1454.  Der  allein  für  schuldig  erklärte  Mann  hat  der  geschiedenen  Frau  den 
standesmäfsigen  Unterhalt  insoweit  zu  gewähren ,  als  sie  ihn  nicht  aus  den  Einkünften 
ihres  Vermögens  und,  sofern  bei  Ehefrauen  ihres  Standes  Erwerb  durch  eigene  Arbeit 
üblich  ist,  aus  dem  Ertrag  ihrer  Arbeit  zu  bestreiten  vermag. 

Die  allein  für  schuldig  erklärte  Frau  hat  dem  geschiedenen  Manne  den  standes- 
mäfsigen  Unterhalt  insoweit  zu  gewähren,  als  er  aufser  Stande  ist,  sich  selbst  zu  unter- 
halten. 

§  1454  a.  (1454  Abs.  1.)  Ist  der  allein  für  schuldig  erklärte  Ehegatte  bei  Berück- 
sichtigung seiner  sonstigen  Verpflichtungen  aufser  Stande,  ohne  Gefährdung  seines  eigenen 
standesmäfsigen  Unterhalts  dem  anderen  Ehegatten  den  Unterhalt  zu  gewähren ,  so  ist 
er  berechtigt,  von  den  zu  seinem  Unterhalte  verfügbaren  Einkünften  zwei  Dritteile  oder, 
wenn  diese  zu  seinem  notdürftigen  Unterhalte  nicht  ausreichen,  so  viel  zurückzubehalten, 
als  zu  dessen  Bestreitung  erforderlich  ist. 

Der  Mann  ist  der  Frau  gegenüber  unter  den  Voraussetzungen  des  Abs.  1  von  der 
Unterhaltspflicht  ganz  befreit,  wenn  die  Frau  den  Unterhalt  aus  dem  Stamme  ihres  Ver- 
mögens bestreiten  kann. 

§  1454  b.  (1454  Abs.  1.)  Der  Unterhalt  ist  durch  Entrichtung  einer  Geldrente  nach 
Mafsgabe  des  §  702  zu  gewähren.  Ob,  in  welcher  Art  und  für  welchen  Betrag  der 
Unterhaltspflichtige  Sicherheit  zu  leisten  hat,  bestimmt  sich  nach  den  Umständen  des 
Falles.  Statt  der  Rente  kann  der  Berechtigte  eine  Abfindung  in  Kapital  verlangen,  wenn 
ein  wichtiger  Grund  vorliegt. 

Im  übrigen  finden  die  für  die  Unterhaltspflicht  der  Verwandten  geltenden  Vorschriften 
der  §§  1487,  1488,  des  §  1490  Abs.  1,  des  §  1492  und  für  den  Fall  des  Todes  des 
Berechtigten  die  Vorschriften  des  §   1496  entsprechende  Anwendung. 

§  1454  c.  (1454  Abs.  1,  2.)  Die  Unterhaltspflicht  erlischt  mit  der  Wiederverhei- 
ratung des   Berechtigten. 

Im  Falle  der  Wiederverheiratung  des  Verpflichteten  finden  die  Vorschriften  des  §  1482  a 
entsprechende  Anwendung. 

§  1454  d.  (1454  Abs.  1.)  Die  Unterhaltspflicht  erlischt  nicht  mit  dem  Tode  des 
Verpflichteten. 

Die  Unterhaltspflicht  der  Erben  unterliegt  nicht  den  Beschränkungen  des  §  1454  a. 
Der  Berechtigte    mufs    sich    jedoch    die  Herabsetzung    der  Rente    bis    auf   die  Hälfte  der 


Nationalökonomiscbe  Gesetzgebung.  403 

gatten  gegen  den  schuldigen  wurde  in  mehrfacher  Hinsicht  für  den  erste- 
ren  günstiger  gestaltet.  Währeud  nach  dem  Entwurf  eine  den  Anspruch 
begründende  Bedürftigkeit  des  Berechtigten  nur  anzunehmen  ist,  wenn 
dieser  wegen  Vermögenslosigkeit  und  Erwerbsunfähigkeit  aufser  Staude  ist, 
sich  selbst  zu  unterhalten,  soll  es  nach  dem  Beschlufs  der  Kommission, 
falls  die  Frau  der  unschuldige  Teil  ist,  schon  genügen,  dafs  6ie  ihren 
standesmäfsigen  Unterhalt  nicht  aus  den  Einkünften  ihres  Vermö- 
gens und,  sofern  bei  Ehefrauen  ihres  Standes  Erwerb  durch  Arbeit  üblich 
ist,  aus  dem  Ertrag  ihrer  Arbeit  zu  bestreiten  vermag.  Mafsgebend  für 
die  Aenderung  war  der  Gesichtspunkt,  dafs  der  unschuldige  Ehegatte 
bezüglich  des  Unterhaltsanspruchs  durch  die  Scheidung  nicht  un- 
günstiger gestellt  werden  solle.  Unter  dem  gleichen  Gesichtspunkt  beliefs 
man  es  für  den  Mann  beim  Entwurf.  —  Nach  diesem  ist  eine  weitere 
Voraussetzung  des  Unterhaltsanspruchs,  dafs  der  schuldige  Ehegatte  bei 
Berücksichtigung  seiner  anderweitigen  Verpflichtungen  im  Stande  ist,  den 
Unterhalt  ohne  Beeinträchtigung  seines  eigenen  standesmäfsigen  Unterhalts 
zu  gewähren.  Die  Kommission  hielt  demgegenüber  die  in  §  1454  a  der 
2.  Lesung  getroffene  Regelung  für  der  Billigkeit  besser  entsprechend.  — 
Nach  dem  Entwurf  erlischt  der  Unterhaltsanspruch  mit  dem  Tode  des 
Verpflichteten.  Dies  erschien  dem  leitenden  Gedanken  insofern  wider- 
sprechend,  als  der  unschuldige  Ehegatte,  falls  zur  Zeit  des  Todes  des 
Verpflichteten  die  Ehe  noch  bestanden  hätte,  zwar  auch  den  Unterhalts- 
anspruch verloren,  dafür  aber  ein  Erbrecht  gehabt  haben  würde.  Ande- 
rerseits war  eine  Begrenzung  des  Anspruchs  gegenüber  den  Erben  des 
Verpflichteten  geboten,  weil  ohne  sie  der  Berechtigte  unter  Umständen 
mehr  erlangen  würde,  als  wenn  die  Ehe  erst  durch  den  Tod  aufgelöst 
worden  wäre.  Bezüglich  der  Begrenzung  folgte  man  dem  Vorbilde  des 
preufsischen  Rechts  (vergl.  §  1454  d  der  2.  Lesung).  Auch  in  Betreff 
des  Unterhaltsanspruchs  gab  man  im  Falle  der  Scheidung  wegen  Geistes- 
krankheit dem  kranken  Ehegatten  die  gleichen  Rechte  wie  in  anderen 
Fällen  dem  unschuldigen  Ehegatten ;  man  erblickte  hierin  auch  einen  ge- 
wissen Schutz  gegen  mifsbräuchliche  Geltendmachung  dieses  Scheidungs- 
grundes. 

In  betreff  des  Namens  der  geschiedenen  Frau  hielt  die  Kommission 
im  Anschlufs  an  verschiedene  Stimmen  der  Kritik  für  geboten ,  von  der 
Regel  des  §  1455,  nach  welcher  die  Frau  den  Familiennamen  des  Mannes 


Einkünfte  gefallen  lassen,  welche  der  Verpflichtete  zur  Zeit  des  Todes  aus  seinem  Ver- 
mögen bezog. 

§  1454  e.  Ist  die  Ehe  wegen  Geisteskrankheit  eines  Ehegatten  geschieden,  so  hat 
ihm  der  andere  Ehegatte  den  Unterhalt  in  gleicher  Weise  zu  gewähren,  wie  ein  allein 
für  schuldig  erklärter  Ehegatte. 

§   1455.     Die  geschiedene  Frau  behält  den  Familiennamen  des  Mannes. 

Ist  die  Frau  allein  für  schuldig  erklärt,  so  verliert  sie  den  Familiennamen  des 
Mannes  und  erhält  ihren  Familiennamen  wieder,  wenn  der  Mann  ihr  die  Fortführung 
seines  Namens  untersagt  und  der  zuständigen  Behörde  hiervon  Anzeige  macht. 

Ist  die  Frau  nicht  oder  nicht  allein  für  schuldig  erklärt,  so  kann  sie  durch  eine  der 
zuständigen  Behörde  gegenüber  abzugebende  Erklärung  ihren  Familiennamen  oder,  sofern 
sie  vor  der  Eingehung  der  geschiedenen  Ehe  Witwe  war,  ihren  Witwennamen  wieder 
annehmen. 

§  1456.     Solange  die  geschiedenen  Ehegatten  leben ,    steht  die  Sorge  für  die  Person 

26* 


404  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

behält,  im  Interesse  sowohl  des  an  der  Scheidung  unschuldigen  Mannes 
als  der  unschuldigen  oder  nicht  allein  schuldigen  Frau  Ausnahmen  dahin 
zuzulassen,  dafs  dem  Manne  das  Recht  zustehen  soll,  der  Frau  die  Füh- 
rung seines  Familiennamens  zu  untersagen,  der  Frau  das  Recht,  den 
Familiennamen  des  Mannes  abzulegen.  —  Von  den  Vorschriften  über  das 
Rechtsverhältnis  zwischen  den  geschiedenen  Ehegatten  und  den  gemein- 
schaftlichen Kindern  erfuhr  nur  der  §  1458  AenderuugeD,  welche  6ich 
an  die  Bestimmungen  des  §  1339  anschliefsen.  Die  Verpflichtung  der 
Frau,  zum  Unterhalt  eines  gemeinschaftlichen  Kindes  beizutragen,  soll  nicht 
schlechthin  dann  wegfallen,  wenn  dem  Manne  die  Nutzniefsung  an  dem 
Kindesvermögen  zusteht,  sondern  nur  insoweit,  als  die  Kosten  des  Unter- 
halts durch  die  Nutzniefsung  gedeckt  werden;  die  Frau  soll  ferner  unter 
den  Voraussetzungen  des  §  1458  Abs.  2  der  2.  Lesung  den  Beitrag  zur 
eigenen  Verwendung  zurückbehalten  können. 

Die  §§  1459 — 1461,  welche  die  Wirkungen  der  einstweiligen  Tren- 
nung von  Tisch  und  Bett  regeln,  kamen  infolge  des  zu  §  1444  gefafsten 
Beschlusses  in  Wegfall.  Im  §  1462,  welcher  die  während  des  Scheidungs- 
prozesses zulässigen  einstweiligen  Verfügungen  betrifft,  wurde  bezüglich 
der  Regelung  der  Unterhaltspflicht  der  Ehegatten  das  vom  Entwurf  aner- 
kannte freie  richterliche  Ermessen  dadurch  beschränkt,  dafs  die  Regelung 
nach  Mafsgabe  des  §  1461  Abs.  2 — 4  oder  des  sachlich  übereinstimmenden 
§  1281a  der  2.  Lesung  erfolgen  soll.  Während  ferner  der  Abs.  2  des  §  1462 
gewisse  Voraussetzungen  für  die  Zulässigkeit  des  Antrags  auf  Erlassung 
der  einstweiligen  Verfügungen  aufstellt,   erschien  es  richtiger,  nur  die  Zu- 


der  gemeinschaftlichen  Kinder,  wenn  nur  einer  der  Ehegatten  für  schuldig  erklärt  ist, 
dem  anderen  Ehegatten  zu.  Sind  beide  Ehegatten  für  schuldig  erklärt,  so  steht  die  Sorge 
für  die  Söhne  unter  sechs  Jahren  und  für  die  Töchter  der  Mutter,  für  die  Söhne  über 
sechs  Jahre  dem  Vater  zu.  Das  Vormundschaftsgericht  kann  eine  abweichende  Anord- 
nung treffen,  wenn  eine  solche  im  Interesse  der  Kinder  durch  besondere  Umstände  ge- 
boten ist ;  die  Anordnung  kann  aufgehoben  werden,  wenn  sie  im  Interesse  der  Kinder 
nicht  mehr  erforderlich  ist. 

Die  Sorge  für  die  Person  der  Kinder  im  Sinne  des  Abs.  1  umfafst  nicht  die  gesetz- 
liche  Vertretung. 

Im  übrigen  werden  die  aus  der  elterlichen  Gewalt  sich  ergebenden  Rechte  und  Pflichten 
durch  die  Scheidung  nicht  berührt. 

§  1457.  Der  Ehegatte,  welchem  nach  §  1456  die  Sorge  für  die  Person  eines  Kindes 
nicht  zusteht,  behält  die  Befugnis,  mit  dem  Kinde  persönlich  zu  verkehren.  Das  Vor- 
mundschaftsgericht kann  diesen  Verkehr  näher  regeln. 

§  1458.  Die  Frau  ist  verpflichtet,  dem  Manne  aus  den  Einkünften  ihres  Vermögens 
sowie  aus  dem  Ertrag  ihrer  Arbeit  oder  eines  von  ihr  selbständig  betriebenen  Erwerbs- 
geschäfts einen  angemessenen  Beitrag  zur  Bestreitung  des  einem  gemeinschaftlichen  Kinde 
von  ihm  zu  gewährenden  Unterhalts  zu  leisten,  soweit  nicht  die  Kosten  des  Unterhalts 
durch  die  ihm  an  dem  Vermögen  des  Kindes  zustehende  Nutzniefsung  gedeckt  werden. 
Der  Anspruch  des  Mannes  ist  nicht  übertragbar. 

Steht  der  Frau  die  Sorge  für  die  Person  des  Kindes  zu  und  ist  eine  erhebliche  Ge- 
fährdung des  Unterhalts  des  Kindes  zu  besorgen,  so  kann  die  Frau  den  Beitrag  zur 
eigenen  Verwendung  insoweit  zurückbehalten,  als  dies  zur  Bestreitung  des  Unterhalts 
erforderlich  ist. 

§   1459  gestrichen. 

§   1460  gestrichen. 

§   1461   gestrichen. 

§§  1462,  1463  vergl.  die  Anmerkung  zu  §§  1254—1256  unter  2. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  4'  '5 

lässigkeit  der  einstweiligen  Verfügungen  selbst  von  jenen  Vor- 
aussetzungen abhängig  zu  macheu,  den  Antrag  aber  schon  vorher  zuzu- 
lassen. 

Die  §§  1464,  1465  behandeln  die  Auflösung  der  Ehe  infolge 
Todeserklärung.  Die  Todeserkläruug  eines  Ehegatten  läfst  an  ßich 
die  Ehe  fortbestehen,  giebt  aber  dem  anderen  Ehegattin  das  Recht,  eine 
neue  Ehe  zu  schliefsen  (§  1235),  und  mit  der  Eingehung  der  neuen  Ehe 
wird  die  frühere  aufgelöst,  es  sei  denn,  dafs  der  wiederheiratende  Ehegatte 
bei  der  Eingehung  der  zweiten  Ehe  weifs,  dafs  zu  dieser  Zeit  der  für  tot 
erklärte  Ehegatte  noch  lebt.  Diese  vou  einem  grofsen  Teile  der  geltenden 
staatlichen  Ehegesetze,  namentlich  aber  vom  katholischen  und  gemeinen  pro- 
testantischen Eherecht  abweichende  Regelung  hat  in  der  Kritik  lebhaften 
Widerspruch  hervorgerufen,  insbesondere  deshalb-,  weil  sie  im  Falle  der 
Rückkehr  des  für  tot  erklärten  Ehegatten  zu  schweren  Gewissenskonflikten 
führe,  indem  der  wiederheiratende  Ehegatte  nach  staatlichem  Rechte  an 
seine  zweite  Ehe,  nach  kirchlichem  an  die  erste  gebunden  sei.  Auch  die 
Kommission  hielt  in  dieser  Hinsicht  Abhülfe  für  geboten.  Es  erschien 
hierzu  aber  nicht  notwendig  und  mit  Rücksicht  auf  die  wünschenswerte 
Sicherung  der  zweiten  Ehe  nicht  ratsam,  diese  Ehe  grundsätzlich  als 
nichtig  zu  behandeln  und  sie  nur  gültig  werden  zu  lassen,  wenn  die 
erste  Ehe  vor  Erhebung  der  Nichtigkeitsklage  aufgelöst  werde.  Vielmehr 
entschied  sich  die  Mehrheit  dahin,  in  den  Fällen,  in  denen  der  für  tot  er- 
klärte Ehegatte  noch  lebt,  jedem  Ehegatten  der  zweiten  Ehe  ein  Anfech- 
tungsrecht zu  geben,  sofern  er  nicht  bei  der  Eheschliefsung  die  Unrich- 
tigkeit der  Todeserklärung  gekannt  habe.  Um  aber  den  gutgläubigen 
neuen  Ehegatten  im  Falle  der  Anfechtung  der  zweiten  Ehe  durch  den 
wiederheiratenden    Ehegatten    für    den  Verlust    seiner    erbrechtlichen  Aus- 


Siebenter  Titel 
Auflösung  der  Ehe  im   Falle  der  Todeserklärung. 

§  1464.  Ist  einer  der  Ehegatten  für  tot  erklärt,  so  wird  die  Ehe  dadurch  aufgelöst, 
dafs  der  andere  Ehegatte  sich  wieder  verheiratet.  Die  Ehe  bleibt  auch  dann  aufgelöst, 
wenn  die  Todeserklärung  infolge  einer  Anfechtungsklage  aufgehoben  wird  oder  wenn 
die  neue  Ehe  nach  den   §§   1259  a  bis   1259  e  anfechtbar  ist  und  angefochten   wird. 

Die  Auflösung  tritt  nicht  ein  ,  wenn  beide  Ehegatten  bei  der  Eheschliefsung  gewufst 
haben  ,  dafs  der  für  tot  erklärte  Ehegatte  die  Todeserklärung  überlebt  hat  oder  wenn 
die  neue  Ehe  aus  einem  anderen  Grunde  nichtig  ist. 

§  1464  a.  Ist  der  für  tot  erklärte  Ehegatte  noch  am  Leben,  so  kann  jeder  Ehegatte 
der  neuen  Ehe  diese  aufechten,  es  sei  denn,  dafs  er  bei  der  Eheschliefsung  wufste ,  dafs 
der  für  tot  erklärte  Ehegatte  noch  lebte.  Die  Anfechtung  mufs  binnen  sechs  Monaten 
von  dem  Zeitpunkt  an  erfolgen  ,  in  welchem  der  anfechtende  Ehegatte  erfahren  hat,  dafs 
der  für  tot  erklärte  Ehegatte  noch  lebt. 

Die  Anfechtung  ist  ausgeschlossen  ,  wenn  die  neue  Ehe  durch  den  Tod  eines  Ehe- 
gatten aufgelöst  ist. 

§  1464  b.  Macht  der  Ehegatte  der  früheren  Ehe  von  dem  ihm  nach  §  1464  a  zu- 
stehenden Anfechtungsrechte  Gebrauch,  so  hat  er  dem  anderen  Ehegatten  nach  Mafsgabe 
der  §§  1454  bis  1454  d  Unterhalt  zu  gewähren,  sofern  nicht  der  andere  Ehegatte  bei  der 
Eheschliefsung  wufste,  dafs  der  für  tot  erklärte  Ehegatte  noch  lebte. 

§  1465.  Ist  die  Ehe  nach  §  1464  aufgelöst,  so  bestimmt  sich  die  Sorge  für  die 
Person  der  gemeinschaftlichen  Kinder  nach  den  Vorschriften,  welche  gelten,  wenn  die 
Ehe  geschieden  ist  und  beide  Ehegatten  für  schuldig  erklärt  sind.  Auf  die  Unterhalts- 
pflicht finden  die  Vorschriften  des  §   1458  Anwendung. 


406  Nationalökonomische  Gesetzgebung, 

sichten  zu  entschädigen,  gewährte  man  ihm  einen  entsprechenden  Unter- 
haltsanspruch wie  dem  unschuldigen  geschiedenen  Ehegatten.  Zu  Gunsten 
des  wiederverheirateten  Ehegatten  erschien  eine  gleiche  Bestimmung  ent- 
behrlich, weil  für  ihn  infolge  der  Anfechtung  die  erste  Ehe  und  damit 
der  Unterhaltsanspruch  gegen  seinen  ersten  Ehegatten  wieder  auflebt. 
Abgesehen  von  den  auf  das  Anfechtungsrecht  bezüglichen  Zusätzen  erfuhr 
der  §  1464  noch  zwei  Aenderungen.  Während  nach  dem  Entwurf  durch 
die  zweite  Ehe  die  erste  dann  nicht  aufgelöst  wird,  wenn  der  wieder- 
heiratende Ehegatte  bei  der  Eheschliefsung  weifs,  dafs  sein  erster  Gatte 
noch  lebt,  soll  nach  den  Beschlüssen  der  Kommission  nur  der  böse  Glaube 
der  beiden  die  zweite  Ehe  schliefsenden  Ehegatten  der  zweiten  Ehe 
die  auflösende  Wirkung  nehmen,  böser  Glaube  aber  schon  angenommen 
werden,  wenn  diese  Ehegatten  wissen,  dafs  der  für  tot  erklärte  Ehegatte 
die  Todeserklärung  überlebt  hat. 

Man  kam  schliefslich  zu  der  früher  vorbehaltenen,  endgültigen  Ab- 
stimmung über  die  Frage  der  Aufnahme  oder  Ablehnung  des  ganzen  Titels ; 
bei  derselben  entschied  sich  die  grofse  Mehrheit  der  Kommission  für  die 
Aufnahme. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  407 


V. 
Das  Gesetz  über  die  Abzahlungsgeschäfte  l ). 

Von  Rechtsanwalt  Dr.   Ludwig  Fuld  in  Mainz. 

Nachdem  die  Frage,  in  welcher  Weise  die  Gesetzgebung  gegen  die 
mit  den  Abzahlungsgeschäften  verbundenen  Mifs-  und  Uebelstände  ein- 
zuschreiten habe ,  die  öffentliche  Diskussion  seit  langer  Zeit  beherrscht 
hatte,  nachdem  in  einer  reichen  und  wertvollen  Litteratur  die  Einzel- 
heiten des  Vorgehens  von  sachverständiger  Seite  besprochen  worden  waren, 
sahen  sich  die  verbündeten  Regierungen  veranlafst,  umfassende  Erhebungen 
darüber  zu  veranstalten ,  ob  ein  Bedürfnis  für  die  Regelung  des  Abzah- 
lungshandels vorhanden  sei.  Das  Ergebnis  dieser  Erhebungen  war  die 
Bejahung  der  Frage  und  es  wurde  demgemäfs  dem  Reichstag  am  23.  De- 
zember 1892  der  Entwurf  eines  Gesetzes  betreffend  die  Abzahlungsge- 
schäfte vorgelegt. 

Der  Reichstag  verwies  denselben  an  eine  Kommission,  die  ihn  einer 
eingehenden  Beratung  unterzog  und  mit  verschiedenen  Aenderungen  und 
einigen  Zusätzen  annahm;  infolge  der  Auflösung  des  Reichstags  gelangte 
die  Vorlage  nicht  mehr  zur  Erledigung.  Am  13.  Dezember  1893  wurde 
ein  neuer  Entwurf  vorgelegt ,  der  zwar  im  allgemeinen  dem  ersten  ent- 
sprach, jedoch  die  von  der  Reichstagskommission  beschlossenen  Zusätze 
und  Aenderungen  berücksichtigt  hatte;  von  einer  Verweisung  desselben 
au  eine  Kommission  sah  der  Reichstag  ab  und  beschlofs  die  Beschlufs- 
fassung  im  Plenum  vorzunehmen.  Ohne  sachliche  Abänderungen  wurde 
die  Vorlage  genehmigt ,  die  Annahme  derselben  erfolgte  durch  eine  aus 
sämtlichen  Parteien  mit  alleiniger  Ausnahme  der  deutsch-freisinnigen  be- 
stehenden Mehrheit.  Das  Gesetz  ist  am  29.  Mai  1894  als  Reichsgesetz 
verkündet  worden. 

Während  es  bei  der  Erörterung  der  gegen  den  Abzahlungshandel 
gerichteten  Vorschläge  nicht  an  mafslosen  und  unvernünftigen  Projekten 
gefehlt  hatte  ,  deren  Verwirklichung  das  Fortbestehen  des  Abzahlungs- 
handels in  Frage  gestellt  hätte,  war  es  das  Bestreben  der  verbündeten 
Regierungen,  jede  zu  weit  gehende  Regelung  zu  vermeiden  und  sich  nur 
auf  das  unbedingt  Notwendige  zu  beschränken.  Die  eminente  sozial- 
politische Bedeutung  des  Abzahlungsgeschäftes  wurde  von  ihnen  voll  und 
ganz  anerkannt  und  sie  waren  mit  nichten  gewillt,  die  Gesetzgebung  in 
den  Dienst  derjenigen  zu  stellen,    welche  aus  Gründen  der  Geschäftskon- 


1)  Diese  Ausführungen  dienen   gleichzeitig  zur  Ergänzung   des  Artikels  „Abzahlungs- 
geschäfte" im   „Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften"  I.  Bd.  S.   14  fg. 


408  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

kurrenz  die  schärfsten  repressiven  Mafsregeln  dagegen  verlangten.  Nach 
Ausicht  der  verbündeten  Regierungen  war  die  Hauptursache  der  berechtig- 
ten Klagen  über  die  Abzahlungsgeschäfte  in  der  Bedrückung  der  Käufer 
durch  harte  Vertragsbestimmungen  Beitens  der  Verkäufer  zu  suchen,  denen 
dieserhalb  durch  besondere  gesetzliche  Bestimmungen  entgegenzutreten 
war.  Damit  war  der  Inhalt  des  in  Betracht  kommenden  Gesetzes  für  die 
Reichsgesetzgebung  von  selbst  gegeben ;  zu  weitaus  dem  gröfsten  Teile 
mufste  derselbe  dem  bürgerlichen  Rechte  angehören  und  nur  vereinzelt 
kam  das  Straf-  und  Gewerberecht  dabei  ergänzend  in  Betracht.  Zu  einer 
Erweiterung  der  strafgesetzlichen  Bestimmungen  lag  um  so  weniger  ein 
Anlafs  vor,  als  durch  die  Novelle  zu  dem  Wuchergesetz  vom  19.  Juni 
1893,  welche  den  Begriff  der  wucherlichen  Ausbeutung  auf  alle  zweisei- 
tigen Verträge  ausgedehnt  hat,  die  Möglichkeit  gegeben  ist,  auch  ein  wuche- 
risches Verhalten  in  dem  Betriebe  der  Abzahlungshändler  unter  Strafe  zu 
stellen.  Der  Reichstag  war  in  der  Hauptsache  mit  dieser  grundsätzlichen 
Ansicht  der  verbündeten  Regierungen  einverstanden ,  eine  Erweiterung 
des  Gesetzes  durch  die  Ausschliefsung  des  Abzahlungshandels  von  dem 
Gewerbebetriebe  im  Umherziehen  wurde  zwar  angeregt,  jedoch  im  Hin- 
blick auf  die  seitens  einer  Bundesregierung  ohnehin  schon  dem  Bundes- 
rate vorgeschlagene  weitere  Beschränkung  dieses  Gewerbebetriebes  nicht 
weiter  verfolgt. 

Vor  allem  schreitet  das  Gesetz  gegen  die  Verwirkungsklausel 
ein,  hierunter  versteht  man  die  Verabredung,  dafs,  wenn  der  Verkäufer 
sich  das  Rücktrittsrecht  von  dem  Vertrage  wegen  der  Nichterfüllung  der 
dem  Käufer  obliegenden  Verpflichtungen  vorbehalten  hat  und  von  dem- 
selben Gebrauch  macht,  er  nicht  nur  die  verkaufte  Sache  wieder  an  sich 
nehmen,  sondern  auch  alle  von  dem  Käufer  gezahlten  Beträge  unverkürzt 
behalten  darf;  in  dieser  Klausel  wird  nicht  mit  Unrecht  ein  Beweis  dafür 
erblickt,  dafs  das  geltende  Recht  unter  dem  Deckmantel  der  sog.  Vertrags- 
freiheit die  schlimmste  Ausbeutung  der  wirtschaftlich  schwachen  Klassen 
gestattet;  freilich  bedient  sich  nicht  nur  der  Abzahluugshandel  der  Ver- 
wirkungsklausel, auch  in  dem  Versicherungsrecht  spielt  dieselbe  eine  grofse 
Rolle  und  man  wird  nicht  in  Abrede  stellen  können,  dafs  die  Art  und 
Weise  ihrer  Anwendung  auch  hier  oft  genug  eine  harte  genannt  werden 
mufs,  jedenfalls  hat  aber  bislang  nur  der  Gebrauch  derselben  im  Abzah- 
lungshandel die  öffentliche  Aufmerksamkeit  in  besonderem  Mafse  auf  sich 
gezogen.  Das  Gesetz  verbietet  dieselbe  schlechthin ;  tritt  der  Verkäufer 
auf  Grund  des  vorbehaltenen  Rücktrittsrechts  von  dem  Vertrage  zurück, 
oder  macht  er  von  dem  Eigentumsvorbehalte  Gebrauch  und  nimmt  auf 
Grund  desselben  die  verkaufte  Sache  wieder  an  sich,  so  haben  beide 
Teile,  der  Verkäufer  und  der  Käufer,  die  Pflicht,  dem  anderen  die  auf 
Grund  des  Vertrags  empfangenen  Leistungen  zurückzugewähren,  der  Ver- 
käufer gelangt  6omit  wieder  in  den  Besitz  der  verkauften  Sache ,  der 
Käufer  in  den  Besitz  der  von  ihm  gezahlten  Teilzahlungen  mit  Ausnahme 
des  Betrags ,  auf  welchen  der  Verkäufer  dem  Gesetze  zufolge  Anspruch 
hat;  dieser  Betrag  besteht  aber  einmal  aus  dem  Ersatz  für  die  infolge 
des  Vertrags  gemachten  Aufwendungen,  ferner  aus  dem  Ersatz  für  die 
Beschädigung    und  Verschlechterung    der    Sache,    aus   der  Vergütung    für 


Nationalökonomiische  Gesetzgebung.  409 

die  Wertminderung,  die  seit  der  Uebergabe  an  den  Käufer  eingetreten 
ist  und  6chlief8lich  aus  der  Vergütung  für  den  Gebrauch  oder  die  Nutz- 
ung ,  welche  der  Käufer  in  der  Zeit  von  der  Uebergabe  bis  zu  der 
Kücknahme  gehabt  hat;  Vereinbarungen,  durch  welche  sich  der  Verkäufer 
eine  bessere  und  höhere  Vergütung  sichern  will,  bind  ungiltig,  wenn  sie 
vor  Ausübung  des  Rücktrittsrechtes  getroffen  worden  sind.  In  diesen 
Bestimmungen,  welche  den  Inhalt  der  §§  1  und  2  des  Gesetzes  bilden, 
liegt  der  Schwerpunkt  der  neuen  Regelung,  der  Praxis  werden  dieselben 
jedenfalls  am  meisten  zu  schaffen  macheu.  An  abfälligen  Kritiken  der- 
selben hat  es  nicht  gefehlt,  man  hat  insbesondere  geltend  gemacht,  dafs 
durch  diese  Vorschriften  der  Käufer  jederzeit  den  Verkäufer  zwingen  könne, 
die  verkaufte  Sache  an  sich  zu  nehmen  und  bezüglich  der  von  ihm  begehrten 
Vergütung  einen  Prozefs  zu  beginnen,  bei  welchem  die  Aussichten,  in  den 
B:-sitz  der  ihm  zustehenden  Vergütung  zu  kommen ,  vielfach  nicht  be- 
sonders günstige  seien.  Dieser  Vorwurf  kann  in  der  allgemeinen  Form, 
in  welcher  er  erhoben  worden  ist,  nicht  als  begründet  erachtet  werden, 
digegen  ist  zuzugeben,  dafs  in  manchen  Fällen  die  erwähnten  Bestimmungen 
allerdings  von  böswilligen  Schuldnern  in  der  bezeichneten  Weise  niifs- 
braucht  werden  können.  Der  solide  Abzahlungshandel  wird  durch  den 
Erlafs  des  Gesetzes  zu  gröfserer  Vorsicht  veranlafst,  er  wird  sich  die 
Person  der  Käufer  etwas  genauer  ansehen  und  prüfen  müssen ,  ob  die- 
selben so  gestellt  sind,  dafs  eine  Zwangsvollstreckung  unter  Umständen 
gegen  sie  mit  Aussicht  auf  Erfolg  eingeleitet  werden  kann.  Mag  die 
Passung  der  in  Frage  kommenden  Bestimmungen  auch  nach  mehreren 
Richtungen  hin  als  eine  mangelhafte  zu  bezeichnen  und  immerhin  zuzu- 
geben sein ,  dafs  eine  bessere  Regelung  des  allerdings  recht  schwierigen 
Punktes  wohl  möglich  gewesen  wäre,  so  darf  doch  den  übertriebenen 
Befürchtungen  nicht  zugestimmt  werden,  denen  zufolge  der  Betrieb  des 
Abzahlungsgeschäftes  für  verschiedene  Industriezweige  kaum  mehr  auf- 
rechterhalten werden  könnte.  Wenn  der  Käufer  6ich  den  von  dem  Ver- 
käufer beanspruchten  Betrag  nicht  abziehen  läfst,  mufs  dieser  bei  dem 
ordentlichen  Richter  Klage  erheben  und  seinen  Schaden  nachweisen.  Die 
freie  Stellung,  welche  der  deutsche  Richter  auf  Grund  der  Civilprozefs- 
ordnung  gegenüber  Schadensersatzklagen  hat,  ermöglicht  es  den  Gerichten, 
in  vielen  Fällen  von  der  Erhebung  eines  sachverständigen  Gutachtens 
Umgang  zu  nehmen  und  nach  ihrer  Personen-  und  Sachkenntnis  über  die 
Höhe  des  Anspruchs  zu  entscheiden. 

Eine  weitere  Bestimmung  des  Gesetzes  beschäftigt  sich  mit  der  Ver- 
einbarung einer  Konventionalstrafe;  es  ist  in  dem  Abzahlungs- 
geschäft bisher  vielfach  üblich  gewesen,  dafs  die  Erfüllung  der  dem  Käufer 
obliegenden  Verpflichtungen  durch  die  Vereinbarung  einer  hohen  Kon- 
ventionalstrafe erzwungen  wird,  dies  gilt  vor  allem  von  der  Verpflichtung 
des  Käufers,  die  Teilzahlungen  pünktlich  zu  leisten.  Das  Gesetz  giebt  dem 
Richter  das  Recht,  solche  Strafen,  wenn  sie  unverhältnismäßig  hoch  sind, 
auf  Antrag  des  Käufers  durch  Urteil  auf  einen  angemessenen  Betrag  herab- 
zusetzen, vorausgesetzt,  dafs  eine  Entrichtung  der  Strafe  noch  nicht  statt- 
gefunden hat.  Diese  Erweiterung  der  richterlichen  Befugnisse  steht  in 
Einklang    mit    der    heutigen    Rechtsentwickelung;     nach    Einführung    des 


410  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

bürgerlichen  Gesetzbuchs  wird  der  Richter  jeder  Konventionalstrafe  gegen- 
über ein  unbeschränktes  Ermäfsigungsrecht  besitzen. 

Die  Termi  n  s  verf  al  1  kla  usel  bildet  den  Gegenstand  einerweiteren 
Bestimmung;  in  zahlreichen  bei  den  Abzahlungsgeschäften  gebräuchlichen 
Vertragsformularen  rindet  sich  die  Bestimmung,  dafs  die  Nichtbezahlung, 
welcher  die  unpünktliche,  d.  h.  verspätete  Zahlung  gleichgestellt  wird,  einer 
fälligen  Rate  die  Fälligkeit  des  ganzeu  noch  ausstehenden  Schuldbetrags 
zur  Folge  hat;  eine  solche  Vereinbarung  kann  in  Zukunft  rechtsgiltig  nur 
unter  der  Voraussetzung  getroffen  werden,  dafs  der  Käufer  mit  mindestens 
zwei  aufeinander  folgenden  Teilzahlungen  ganz  oder  teilweise  im  Verzuge 
ist  und  der  Betrag,  mit  dessen  Zahlung  er  in  Verzug  ist,  mindestens  dem 
zehnten  Teile  des  Kaufpreises  gleichkommt;  die  Verfallklausel  wird  hier- 
nach in  doppelter  Beziehung  beschränkt,  wodurch  die  Möglichkeit  ihrer 
Anwendung  vermindert  ist. 

Die  bisher  erörterten  Bestimmungen  erleiden  auf  alle  Abzahlungs- 
geschäfte Anwendung,  gleichviel  in  welche  Rechtsform  dieselben  ge- 
kleidet sind.  Das  Gesetz  erwähnt  besonders  der  Rechtsform  der  Miets- 
verträge und  bezeichnet  es  als  bedeutungslos,  ob  dem  Empfänger  der 
Ware  ein  Recht  eingeräumt  ist,  später  das  Eigentum  an  der  Sache  zu 
erwerben  oder  nicht.  Vielfach  wird  das  Abzahlungsgeschäft  in  einer  Rechts- 
form abgeschlossen,  welche  nicht  die  des  Kaufes  ist,  besonders  beliebt  ist 
die  Form  der  Miete;  das  Gesetz  legt  auf  diese  juristischen  Unterschiede 
keinen  Wert;  mafsgebend  ist  lediglich,  ob  ein  Rechtsgeschäft  in  Frage 
steht,  durch  welches  die  wirtschaftlichen  Zwecke  des  Abzahlungsgeschäftes 
erreicht  werden  sollen;  sobald  diese  Frage  zu  bejahen  ist,  finden  die  neuen 
Bestimmungen  Anwendung;  der  wirtschaftliche  Zweck  des  Abzahlungsge- 
schäftes besteht  aber  in  der  Verschaffung  des  den  ordnungsgemäfsen  Ge- 
brauch ermöglichenden  Besitzes  gegen  Bezahlung  der  dafür  vereinbarten 
Gebühr  in  periodischen  Teilbeträgen,  der  Käufer  wird  in  die  Lage  gesetzt, 
mit  einer  Sache  schalten  und  walteu  zu  können ,  wie  es  der  Eigentümer 
kann.  Die  privatrechtlichen  Unterschiede  zwischen  Kauf,  Miete  und  Ge- 
brauchsleihe haben  hiernach  für  die  Entscheidung  der  Frage,  ob  Veran- 
lassung vorliegt,  ein  Rechtsgeschäft  der  Beurteilung  durch  das  neue  Gesetz 
zu  unterstellen,   keinen   Wert. 

Während  es  sich  bei  den  bisher  besprochenen  Bestimmungen  um 
privatrechtliche  Vorschriften  handelte,  welche  sich  mit  dem  Inhalte  des 
Vertrags  bei  dem  Abzahlungsgeschäfte  beschäftigen,  ist  nunmehr  einer 
Vorschrift  zu  gedenken,  welche  gewerbe-  bezw.  polizeirechtlichen  Inhaltes 
ist.  Der  Verkauf  von  Lotterielosen  oder  Inhaberpapieren  mit  Prämien 
oder  von  Bezugs-  oder  Anteilscheinen  auf  solche  Lose  oder  Inhaberpapiere 
mit  Prämien  gegen  Teilzahlungen  ist  bei  Strafe  von  fünfhundert  Mark 
verboten;  dem  Verkaufe  steht  jede  auf  die  gleichen  Zwecke  abzielende 
Veräufserung  gleich.  Für  das  Verbot  und  die  Strafverhängung  bildet  es 
keinen  Unterschied,  ob  die  Uebergabe  des  Papiers  vor  oder  nach  der 
Zahlung  des  Preises  erfolgt  ist.  Bei  den  Beratungen  des  Reichstags  war 
beantragt  worden,  das  Verbot  auf  die  Veräufserung  von  Wertpapieren  jeder 
Art  zu  erstrecken,  indessen  wurde  der  Antrag  abgelehnt,  nachdem  sich  der 
Vertreter  des  Bundesrates  dagegen   ausgesprochen  hatte  mit  der  Begründung, 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  411 

dafs  durch  diese  Erweiterung  auch  das  6olide  Bank-  und  Anlagegeschäft 
eine  Schädigung  erfahren  werde.  Ob  diese  Begründung  auf  Beifall  An- 
spruch erheben  kann,  mufs  dahingestellt  bleiben. 

Da  die  Gründe,  welche  es  der  Gesetzgebung  angemessen  erscheinen 
liefsen,  durch  besondere  Bestimmungen  gewisse  bei  dem  Abzahlungsgeschäft 
vorkommende  Vertragsklauseln  zu  verbieten  oder  doch  ihre  Rechtswirksam- 
keit von  besonderen  Voraussetzungen  abhängig  zu  machen,  für  das  Gebiet  des 
kaufmännischen  Verkehrs  im  engeren  und  eigentlichen  Sinne  nicht  als  vor- 
handen anerkannt  werden  können,  so  ist  die  Anwendbarkeit  des  Gesetzes  in 
denjenigen  Fällen  ausgeschlossen,  in  welchen  als  Empfänger  der  Ware  ein  in 
das  Handelsregister  eingetragener  Kaufmann  figuriert.  Als  zweifelhaft  ist 
es  zu  bezeichnen,  ob  auch  das  Verbot  der  Veräufserung  von  Lotterielosen 
und  Inhaberpapieren  mit  Prämien  dem  eingetragenen  Kaufmann  gegenüber 
nicht  zur  Anwendung  kommen  soll.  Aus  der  Entstehungsgeschichte  des 
Gesetzes  läfst  sich  ein  bestimmtes  Urteil  nicht  gewinnen  ,  da  die  Absicht 
des  Gesetzes  jedenfalls  dahin  gegangen  ist,  den  auf  diese  Klassen  von 
Wertpapieren  gerichteten  Abzahlungshandel,  der  erfahrungsgemäfs  mit  den 
gröfsten  Uebervorteilungen  und  Schwindeleien  verbunden  war,  gründlich 
zu  beseitigen,  so  verdient  die  Ansicht  den  Vorzug,  welche  dieses  Verbot 
auch  dem  eingetragenen  Kaufmann  gegenüber  zur  Anwendung  gebracht 
wissen  will.  Endlich  ist  zu  erwähnen,  dafs  der  im  Privatrecht  allgemein 
anerkannte  Rechtssatz,  wonach  neuen  Gesetzen  die  rückwirkende  Kraft 
versagt  bleibt,  auch  für  das  Gebiet  der  Abzahlungsgeschäfte  ausdrücklich 
anerkannt  ist;  Verträge,  welche  vor  dem  Inkrafttreten  des  neuen  Gesetzes 
abgeschlossen  sind,  unterliegen  seinen  Vorschriften  nicht;  dies  bezieht  sich 
sowohl  auf  die  bedingt  wie  die  unbedingten  vor  dem  gedachten  Zeitpunkte 
abgeschlossenen   Verträge. 

Aus  dem  Vorstehenden  ist  zu  ersehen,  dafs  das  Gesetz  nach  ver- 
schiedenen Richtungen  hin  die  Vertragsfreiheit  der  Kontrahenten  ein- 
schränkt —  zum  Vorteile  der  wahren  Vertragsfreiheit;  die  Vertragsklauseln, 
welche  verboten  oder  nur  unter  besonderen  Voraussetzungen  als  rechts- 
wirksam anerkannt  werden,  sind  lediglich  von  den  Abzahlungshändlern 
in  ihrem  eigenen  Interesse  in  die  Verträge  aufgenommen  worden,  der 
Käufer  mufs  sich  damit  einverstanden  erklären,  wenn  er  überhaupt  Waren 
gegen  Abzahlung  erwerben  will.  Bei  dieser  Sachlage  ist  es  vollkommen 
gerechtfertigt,  wenn  die  Gesetzgebung  die  formelle  Vertragsfreiheit  be- 
schränkt; die  formelle  Beschränkung  ist  mit  einer  Sicherung  der  materiellen 
Vertragsfreiheit  gleichbedeutend. 

Von  Interesse  ist  es,  dafs  fast  zu  derselben  Zeit,  in  welcher  der 
Reichstag  mit  der  Beratung  des  vorstehend  dargestellten  Gesetzes  be- 
schäftigt war,  auch  das  österreichische  Abgeordnetenhaus  sich  mit  der 
Erörterung  der  gleichen  Materie  befafste ;  auch  in  Oesterreich  steht  das 
Einschreiten  der  Gesetzgebung  gegen  die  Abzahlungsgeschäfte  schon  seit 
Jahren  auf  der  Tagesordnung  und  bereits  im  Jahre  1890  wurde  von  der 
Regierung  der  Entwurf  eines  Gesetzes  betreffend  die  Veräufserung  be- 
weglicher Sachen  gegen  Ratenzahlung  vorgelegt,  der  im  wesentlichen  dem 
entspricht,  welcher  jetzt  das  Abgeordnetenhaus  beschäftigt  hat.  Der  In- 
halt desselben  ist  wesentlich  verschieden  von  dem  des  deutschen  Gesetzes; 


412  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

zu  erwähnen  ist  insbesondere,  dafs  Hausierern  der  Abschlufs  von  Ab- 
zahlungsgeschäften sowie  die  Einladung  zum  Abschlufs  solcher  Geschäfte 
untersagt  ist,  sowie  dafs  derjenige  mit  Geldstrafe  bedroht  wird,  welcher 
bei  der  Veräufserung  beweglicher  Sachen  gegen  Ratenzahlung  den  Leicht- 
sinn, die  Yerstaudes6chwäche  oder  Unerfahrenheit  des  Erwerbers  dadurch 
ausbeutet,  dafs  er  diesen  zu  Anschaffungen  beredet,  welche  den  wirtschaft- 
lichen Verhältnissen  desselben  offenbar  nicht  entsprechen.  Man  darf  wohl 
behaupten,  dafs  die  letztere  Bestimmung  entschieden  zu  weit  geht  und  das 
Abzahlungsgeschäft,  wenn  sie  strenge  gehandhabt  wird,  teilweise  unmöglich 
macht;  der  Gesetzgeber  mutet  in  dieser  Bestimmung  dem  Abzahlungsver- 
käufer  eine  Prüfung  der  Verhältnisse  des  Käufers  zu,  die  derselbe  bei 
bestem  Willen  nicht  erfüllen  kann. 


Natior.alökonomische  Gesetzgebung.  413 


VI. 
Das  Reichs  Stempelgesetz  vom  27.  April  1894. 

Die  durch  Reichsgesetze  vom  1.  Juli  1881  und  29.  Mai  1885  einge- 
führten Verkehrsteuern  *)  lasten  auf  Aktien,  Renten-  und  Schuldverschrei- 
bungen, auf  Kauf-  und  sonstigen  Anschaffungsgegenständen  über  gewisse 
gesetzlich  näher  bestimmte  Gegenstände  und  auf  Lotterielosen.  Der  im 
November  1893  vorgelegte  Entwurf  wegen  Aenderung  des  Reichsstempel- 
gesetzes enthielt  eine  Erhöhung  der  Steuersätze  unter  Tarifnummer  1 — 5 
(Verdoppelung  der  Abgabe  für  inländische  Effekten,  Verdreifachung  für 
ausländische,  Verdoppelung  des  Umsatzstempels,  Erhöhung  der  Abgabe  für 
Lotterielose)  und  beabsichtigte  Einführung  eines  neuen  Stempels  auf 
Quittungen,  Checks,  Giroanweisungen  und  Frachtbriefe.  Bei  den  Be- 
ratungen der  Kommission  wurden  letztere  neuen  Steuern  abgelehnt, 
während  anderenfalls  einige  Bestimmungen  des  Entwurfs  und  Tarifs  ein- 
schneidende Aenderungen  erfuhren.  Nachstehende  Uebersicht  enthält  eine 
Zusammenstellung  der  Grundprinzipien. 

Das  neue  Reichsstempelgesetz  zerfällt  in  4  Abschnitte :  Wertpapiere, 
Kauf-  und  sonstige  Anschaffungsgeschäfte,  Lotterielose  und  allgemeine  Be- 
stimmungen. 

1)  Steuer  von  Aktien  und  für  den  Handelsverkehr  be- 
stimmter Renten-  und  Schuldverschreibungen  einschl.  der  aus- 
gegebenen Interimsscheine.  Gegenstand  der  Besteuerung  ist  bei  inlän- 
dischen Werten  die  Ausgabe  (Emission),  bei  ausländischen  deren  Eintritt 
in  den  inländischen  Verkehr  (Veräufserung ,  Verpfändung,  Leistung  der 
Zahlung,  Aushändigung  u.  s.  w.  [Tarif  Nr.  1  b]).  Verpflichtet  zur  Ent- 
richtung der  Steuer  ist  im  ersten  Falle  die  Ausgabestelle,  im  zweiten  alle 
diejenigen  Personen,  welche  beim  Geschäft  beteiligt  sind  (Ausgabe,  Ver- 
äufserung. Verpfändung  u.  s.  w.). 

Befreit  von  der  Abgabe  sind  u.  a.  alle  vor  dem  1.  Juli  1881  bereits 
ausgegebenen  inländischen  Aktien,  Renten-  und  Schuldverschreibungen,  dann 
die  Anlehen  des  Reichs  und  der  Bundesstaaten,  inländische  von  Aktien- 
gesellschaften für  gemeinnützige  Zwecke  für  die  minder  begüterten  Volks- 
klassen ausgegebenen  Wertpapiere  unter  bestimmten  Voraussetzungen. 
Alle  vor  dem  1.  Mai  1894  ausgegebenen  inländischen  und  die  abgestempelten 
ausländischen  Wertpapiere  werden  nach  dem  Gesetze  vom  1.  Juli  1881 
beurteilt.  Vor  diesem  speziell  ausgestellte  ungestempelte  ausländische 
Werte  sind,  wenn  sie  bis  zum  1.  November  1894  zur  Stempelung  vor- 
gelegt werden,  nach  dem  früheren  Gesetz,  später  nach  dem  neuen  Tarif 
für  inländische  zu  stempeln.  Eine  Erweiterung  der  Steuerpflicht  aus- 
ländischer   Werte    tritt    insofern    ein,    als   die    Zusendung    und    Abholung 

1)  Ueber    die  Vorgeschichte    dieser    beiden  Gesetze    und  über    dieselben  vergl.  diese 
Jahrbücher  45.  Band  (N.  F.   11.  Bd.)  S.  33  fg. 


414  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

aus  dem  Auslände  auf  Grund  eines  Geschäftsabschlusses  im  Auslande,  der 
Aushändigung  im  Inlande  gleich  geachtet  wird  (Anlage  zur  Tarifnummer   1). 

Das  Reichsstempelgesetz  bestimmt  (§§  2 — 6,  7.  Nummer  1 — 3)  nun- 
mehr für  Wertpapiere  sechs  Steuersätze,  nämlich:  1  pro  Mille  (10  Pf.  von 
je  100  M.)  für  inländische  auf  den  Inhaber  lautende,  auf  Grund  staat- 
licher Genehmigung  auegegebene  Renten-  und  Schuldverschreibungen  der 
Kommunalverbände  und  Kommunen;  2  pro  Mille  (20  Pf.  von  je  100  M.) 
für  gleiche  Werte  der  Korporationen  ländlicher  oder  städtischer  Grund- 
besitzer, Grundkredit-  und  Hypothekenbanken  oder  Transportgesellschaften 
(früher  nur  1  pro  Mille);  4  pro  Mille  (40  Pf.  von  je  100  M.)  bei  ander- 
weiten Renten-  und  Schuldverschreibungen  (früher  2  pro  Mille);  6  pro 
Mille  (60  Pf.  von  je  100  M.)  für  solche  Werte  ausländischer  Staaten, 
Korporationen,  Aktiengesellschaften  oder  industrieller  Unternehmer  und  für 
sonstige  für  den  Handelsverkehr  bestimmte  ausländische  Werte;  1  Prozent 
(1  M.  von  je  100  M.)  für  inländische  Aktien  (früher  5  pro  Mille  des  Nenn- 
wertes);    l1/2    Prozent  (1,50  M.   von  je   100  M.)  für  ausländische  Aktien. 

Für  Genufsscheine  ist  eine  feste  Abgabe  (50  Pf.,  3  M.  und  5  M.  für 
jede  einzelne  Urkunde)    festgesetzt. 

2)  Steuer  von  Kauf-  und  Anschaffungsgeschäften. 
Gegenstand  der  Besteuerung  sind  wie  bisher  a)  Kauf-  und  sonstige  An- 
schaffungsgeschätte ,  d.  i.  auf  den  Erwerb  von  Eigeütum  gerichtete  ent- 
geltliche Verträge  über  ausländische  Banknoten,  ausländisches  Papiergeld, 
ausländische  Geldsorten  und  über  folgende  Wertpapiere:  Aktien,  Aktien- 
anteilscheine, Interimsscheine,  Reuten-  und  Schuldverschreibungen;  b) 
Kauf-  und  sonstige  Anschaffungsgeschäfte,  welche  uuter  Zugrundelegung 
von  Usancen  an  einer  Börse  geschlossen  werden  (Loco-,  Zeit-,  Pix-, 
Termin-,  Prämien-  u.  s.  w.  Geschäfte),  über  Mengen  von  Waren,  die 
börsenmäfsig  gehandelt  werden ,  d.  h.  für  welche  Terminpreise  notiert 
werden  (7,  Nummer  4a,  b).  Der  Steuerpflicht  unterliegen:  1)  im  Inlande 
abgeschlossene  Geschäfte  unbedingt;  2)  im  Auslande  oder  durch  Korre- 
spondenz zwischen  einem  Orte  des  Inlandes  und  einem  Orte  des  Aus- 
landes abgeschlossene  Geschäfte.  Die  Abgabepflicht  besteht  für  bedingte 
und  unbedingte  Geschäfte,  als  solches  gilt  auch  die  Verabredung  der  Ver- 
schiebung auf  einen  späteren  Termin.  Bei  Geschäftsabschlufs  durch  Kom- 
missionäre ist  das  Geschäft  zwischen  Kommissionär  und  Dritten,  wie 
zwischen  Kommissionär  und  Kommittenten  steuerpflichtig.  Wenn  jemand 
im  Arbitrageverkehr  unter  Tarifnummer  4a  1  und  2  fallende  Gegenstände 
derselben  Gattung  im  Inlande  gekauft  und  im  Auslande  verkauft  hat  und 
umgekehrt,  oder  an  dem  einen  Börsenplatz  des  Auslandes  gekauft  und  an 
dem  anderen  verkauft  hat,  so  ermäfsigt  sich  die  Stempelabgabe  um  1/.?0 
vom  Tausend,  wenn  die  beiden  Geschäfte  zu  festen  Kursen  an  demselben 
oder  an  zwei  unmittelbar  folgenden  Börsentagen  abgeschlossen  sind. 
Gleiches  gilt,  wenn  An-  und  Verkäufe  von  ausländischen  Banknoten  oder 
Papiergeld,  Geschäfte  über  Kontanten  und  Wechsel  gegenüberstehen.  Eine 
Abgabe  wird   weiter  nicht  erhoben: 

a)  Falls  der  Wert  des  Geschäftsgegenstandes  nicht  mehr  als  600  M. 
beträgt ; 

b)  falls  die  börsenmäfsigen  Waren  von  einem  der  Vertragsschliefen- 
den im  Inlande  hergestellt  sind ; 


Nationalökonomische   Gesetzgebung.  415 

c)  für  Ausrechnung  der  Schuldverschreibungen  der  Pfandbriefinstitute 
und   Hypothekenbanken  an   den   kredituehmeuden   Grundbesitzer; 

d)  für  sog.  Kontantgeschäfte  über  die  Gegenstände  unter  No.  4  a  1 
des  Tarifs,  sowie   ungemünztes  Gold   oder   Silber ; 

e)  von  Geschäften  zur  Versicherung  von  Wertpapieren  gegen  Aus- 
lösung. 

Endlich  bleiben  bestimmte  Tauschgeschäfte  und  unentgeltliche  Leih- 
geschäfte steuerfrei  ^§§    7  — 13   Reichsgesetz). 

Die  Steuer  berechnet  sich  vom  Werte  des  Gegenstandes  des  Ge- 
schäftes, und  zwar  in  Abstufungen  von  20  bezw.  40  Pf.  für  je  1000  M. 
oder  einen  Bruchteil  dieses  Betrages.  Der  Wert  wird  nach  dem  verein- 
barten Kauf-  und  Lieferungspreis,  sonst  durch  den  mittleren  Börsen-  und 
Marktpreis  am  Tage  des  Abschlusses  bestimmt. 

Für  das  abgabepflichtige  Geschäft  besteht  der  Schlufsnotenzwang 
(§§  9,  10);  die  Schlufsnote  ist  vom  zur  Abgabe  zunächst  Verpflichteten 
(§  9)  doppelt  auf  mit  Stempelmarken  versehenen  Formularen  auszustellen. 
Die  Schiufsnoten  werden,  nach  der  Reihenfolge  numeriert,  die  gesetzlich 
bestimmte  Zeit  (5   bezw.   1   Jahr)  aufbewahrt  (§    14). 

3)  Gegenstand  der  Besteuerung  von  Lotterielosen  ist  die 
Veranstaltung  öffentlicher  Lotterien  und  Ausspielungen  im  Reichsgebiet, 
sowie  die  Einführung  ausländischer  Lose  oder  Ausweise  über  Spieleinlagen. 
Die  Stempelabgabe  beträgt  10  Prozent,  die  Erhebung  erfolgt  bei  deutschen 
Unternehmungen  vom  planmäfsigen  Preise  (Nennwerte)  sämtlicher  Lose 
oder  Ausweise,  bei  ausländischen  von  dem  Preise  der  einzelnen  Lose  in 
Abstufungen  von  50  Pf.  für  je  5  M.  oder  einen  Bruchteil  dies  Betrags. 
Die  Pflicht  zur  Steuerentrichtung  liegt  dem  Veranstalter  der  Lotterie  bezw. 
dem  Einführer  aus  dem  Auslande  oder  Empfänger  ob.  Sie  hat  jedenfalls 
vor  Beginn  des  Vertriebs,  bei  ausländischen  Losen  und  Ausweisen  über 
Spielanlagen  spätestens  binnen  3  Tagen  nach  Einführung  oder  Empfang 
zu  geschehen.  Den  Spieleinlagen  stehen  die  Wetteinsätze  bei  öffentlichen 
Rennen  und  ähnlichen  Veranstaltungen  gleich.  Auch  die  Lose  der  in 
einzelnen  Bundesstaaten  bestehenden  Staatslotterien  unterliegen  der  Ab- 
gabe. Befreit  sind  Lose  der  behördlich  genehmigten  Ausspielungen  uud 
Lotterien,  sofern  der  Gesamtpreis  der  Lose  einer  Ausspielung  die  Summe 
von  100  M.  und  bei  Ausspielungen  zu  ausschliefslich  mildthätigen  Zwecken 
25  000   M.  nicht  übersteigt. 

4)  Die  Erhebung  geschieht  durch  die  Steuerbehörden  der  Einzel- 
staaten. Der  Ertrag  fliefst  wie  bisher,  nach  Abzug  der  Erhebungs-  und 
Verwaltungskosten  zu  2  Prozent,  in  die  Reichskasse  und  wird  den  Staaten 
nach  Mafsgabe  der  Bevölkerungsziffer  überwiesen  (§§  44,  45).  Ueber  die 
Verpflichtung  zur  Entrichtung  der  reichsgesetzlich  festgestellten  Abgaben 
ist  der  Rechtsweg  zugelassen. 

5)  Zur  Verhütung  von  Defraudationen  und  Zuwiderhandlungen  sind 
Geld-  und  Ordnungsstrafen  vorgesehen  (§§  3,  4,  19 — 21,  26 — 34);  eine 
Verwandlung  in  Freiheitsstrafen   bei  Unvermögenheit    findet  nicht   statt  *). 


1)  Siehe  A.  Reisenegger  (Oberverwaltungsrat  im  Bayr.  Staatsministerium  der  Finanzen), 
Das  Reichsstempelgesetz  vom  27.  April  1894. 


416  Mis  zellen. 


Miszellen. 


vi. 

Die  Allmenden  in  Baden. 

Von  Willy  Wygodzinski. 

Litter  atur. 

Laveleye,  Das  Ureigentum.     Deutsch  von  Bücher.     Leipzig  1879. 

Buchenberger,   Agrarwesen  und  Agrarpolitik.     I.      1892. 

Riidt  v.  Collenberg,  Die  landwirtschaftlichen  Verhältnisse  des  Grofsherzogtums 
Baden.  (Aus:  Festschrift  für  die  Mitglieder  der  XXI.  Versammlung  deutscher  Land- 
und  Forstwirte.  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Land-  und  Forstwissenschaft  in  Baden. 
Heidelberg  1860.) 

Beiträge  zur  Statistik  der  inneren  Verwaltung  des  Grofsherzogtums  Baden.  Heft  9. 
Die  Gemeinden  des  Grofsherzogtums  Baden,  deren  Vermö'gonsverhältnisse ,  Einnahmen 
und  Ausgaben.  1858/59.  Heft  37.  Die  landwirtschaftlichen  Haushaltungen  des  Grofs- 
herzogtums Baden  nach  der  Aufnahme  vom  10.  Januar  1873.  Karlsruhe  1878.  Heft  40. 
Uebersicht  der  Hauptergebnisse  der  Forsteinrichtung  in  den  Domänen-,  Gemeinde- 
und  Körperschaftswaldungen  nach    dem  Stande  vom   1.  Januar  1876.     Karlsruhe   1878. 

Erhebungen  über  die  Lage  der  Landwirtschaft  im  Grofsherzogtum  Baden  1883,  ver- 
anstaltet durch  das  Grofsherzogliche  Ministerium  des  Inneren.     3   Bände. 

Buchenberger,  Das  Verwaltungsrecht  der  Landwirtschaft  und  die  Pflege  der  Land- 
wirtschaft im  Grofsherzogtum  Baden.      Tauberbischofsheim   1887. 

Die  Erhaltung  und  Verbesserung  der  Schwarzwaldweiden.  Amtliche 
Darstellung,  gefertigt  im  Auftrage  des  Grofsherzogl.  Badischen  Ministeriums  des  Inneren. 
2   Bände  nebst  Anlagen.      Karlsruhe   1889/90. 

Wieland  t,  Die  badische  Gemeindegesetzgebung.     2.    Aufl.     I.      Heidelberg    1883. 

Seit  Haxthausen  und  Maurer  das  Gemeineigentum  an  Grund  und 
Boden  wiederentdeckten ,  dessen  Kenntnis  bei  den  Volkswirten  der  indi- 
vidualistischen Schule,  die  damit  nichts  anzufangen  wufsten ,  so  ziemlich 
verloren  gegangen  war,  ist  eine  grofse  und  wertvolle  Litteratur  über 
diesen  Gegenstand  erwachsen.  Es  ist  aber  fast  ausschliefslich  die  geschicht- 
liche Entwickelung  des  Grundeigentums,  die  darin  Behandlung  gefunden 
hat,  während  die  Untersuchung  seiner  gegenwärtigen  Gestalt  und  Wir- 
kung etwas  vernachlässigt  wurde.  Nur  über  Bufsland  und  die  Schweiz 
sind  wir  näher  unterrichtet.  Ueber  die  im  Südwesten  Deutschlands  noch 
in  grofsem  Umfange  vorhandenen  Allmenden  ist  seit  der  grundlegenden 
Darstellung,  die  Bücher  im  neunten  Kapitel  seiner  Bearbeitung  von 
Laveleye's    „Propriete   primitive"    gab,    eine    spezielle  Untersuchung  noch 


M  i  3  z  e  11  en.  417 

nicht  erschienen.  Die  neuesten  Darstellungen  der  Allmende  von  Bücher 
im  „Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften"  und  von  Buchenberger  in 
seinem  „Agrarwesen"  mufsten  ihrem  Zwecke  gemäfs  das  Eingehen  auf 
die  speziellen   Verhältnisse  der  einzelnen   Länder  vermeiden. 

Es  soll  nun  im  folgenden  der  Versuch  gemacht  werden,  unter  direktem 
Anschlufs  an  Bücher  die  neueste  Entwickelung  und  Gestaltung  der  All- 
mendenverhältnisse  in  Baden  zu  schildern.  Benutzt  sind  an  Material 
hauptsächlich  die  badische  Landwirtschaftsenquete  von  1883,  die  Erhe- 
bungen über  die  Schwarzwaldweiden  von  1889/90  und  das  ausgezeichnete 
„Verwaltungsrecht  der  Landwirtschaft"  in  Baden  von  Buchenberger, 
als  dessen  "Werk  wohl  auch  die  beiden  Enqueten  zu  betrachten  sind. 


Die  badische  Gemeindeordnung  von  183  1,  welche  die 
Nutzung  des  Gemeindevermögens  eingehend  regelt,  scheidet  zwischen  dem 
Kämmereivermögen ,  das  für  öffentliche  Gemeindezwecke  gebraucht  wird, 
und  der  eigentlichen  Allmende ,  deren  Eigentum  der  Gemeinde ,  deren 
Nutzung  aber  den  Bürgern  angehörig  ist. 

Die  Verteilung  des  Kämmereivermögens  ist  vom  Gesetz  mög- 
lichsteingeschränkt: zuvor  mufs  jeder  Gemeindebürger  einen  halben  Morgen 
Acker  oder  einen  halben  Morgen  Wiesen  oder  einen  Morgen  Ackerland 
oder  einen  Morgen  Wiesen  zum  Allmendgenusse  erhalten ;  der  Ertrag  des 
zu  veräufsernden  Grundstückes  mufs  zur  Bestreitung  sämtlicher  Gemeinde- 
bedürfnisse entbehrlich  sein ;  drei  Viertel  der  Stimmen  aller  Bürger  müssen 
in  die  Teilung  willigen ,  und  schliefslich  ist  Staatsgenehmigung  erforder- 
lich. Die  Gemeinden  sollten  auf  diese  Weise  auf  eine  sichere  finanzielle 
Basis  gestellt  werden,  eine  Absicht,  die  vollkommen  erreicht  worden  ist. 
Wo  man  vor  der  Gemeindeordnung  von  1831  das  Gemeindegut  an  die 
damaligen  Bürger  verteilt  hat,  ist  es  überall  zu  einer  Verarmung  der 
Gemeinde,  Anwachsen  der  Gemeindeschulden  u.  s.  w.  gekommen  *).  Dabei 
ist  es  den  neuen  Eigentümern  selten  gelungen,  öich  im  Besitz  zu  halten. 
Bei  den  Gemeinden  ohne  eigenes  Vermögen  sind  die  Steuern  nicht  unbe- 
trächtlich gestiegen.  Das  zum  Teil  sehr  bedeutende  Vermögen  an  Liegen- 
schaften ,  das  die  Gemeinden  zum  Vorteil  ihrer  Kasse  verwalten ,  besteht 
nach  Rüdt  v.  Collenberg2)  in  der  Kheinthalebene  zum  Teil  aus  ehema- 
ligen Gemeindeweiden,  die  durch  die  Rektifikation  des  Rheins  und  der 
kleineren  Gewässer  kulturfähig  geworden  sind;  auch  Verbindungen  längs 
des  Rheins  und  Waldausstockungen  haben  es  vermehrt.  Die  Art  der 
Nutzung  regelt  sich  naturgemäfs  so,  dafs  das  Ackerland  verpachtet,  das 
Wiesengelände  und  der  Wald  selbstverwaltet  und  ihr  Ertrag  jährlich  ver- 
kauft wird.  Wie  die  Grenzen  zwischen  der  Nutzung  als  Gemeindeland 
und  der  Austeilung  zur  Allmend  zu  ziehen  ist,  das  ist  eine  quaestio  facti. 
Entscheidend  ist  die  finanzielle  Sicherstellung  der  Gemeinde.  In  einzelnen 
Orten  ist  der  Gemeindebesitz  so  grofs,  dafs  nicht  nur  sämtliche  Ausgaben 
gedeckt  werden  können,  sondern  die  Bürger  auch  noch  bar  Geld  heraus- 


1)  Vgl.  Erhebungen  über  die  Lage  der  Landwirtschaft  in  Baden  1883.  Bericht  über 
Sulzfeld  (X,  S.   22)  und  über  Neulufsheim  (XI,  S.   1). 

2)  Die  landwirtschaftlichen  Verhältnisse  in  Baden,  Heidelberg  1860,  S.   148. 
Dritte  Folge  Bd.  VHI  (LXTfl).  27 


418  M  isz  eil  en. 

bekommen;  dem  dürfte  die  Zuweisung  eines  Stück  Landes,  wobei  die 
zu  leistende  Arbeit  eine  Gegenleistung  darstellt,  aus  psychologischen  Gründen 
weitaus  vorzuziehen  sein.  In  der  Enquete  von  1883  *)  wird  von  der 
Gemeinde  Eichen  berichtet,  dafs  bei  den  Verpachtungen  der  Gemeinde- 
grundstücke jeder  Pächter  das  von  ihm  beliebte  Gelände  durch  gegensei- 
tiges Einvernehmen  zu  einem  billigen  Pachtpreise  erhält,  dafs  sogar  ein- 
zelne Familien  ortsüblich  im  Pachtbesitze  dieser  Grundstücke  verbleiben. 
Hier  liegt  die  Gefahr  sehr  nahe,  dafs  sich  ein  Interessentenring  bildet,  der 
sich  durch  systematische  Niederhaltung  der  Pachtpreise  auf  Kosten  der 
Gemeinde  bereichert.  Wenn  die  Gemeinde  in  die  private  Konkurrenz 
eintritt,  so  sollte  sie  den  üblichen  Pachtzins  fordern,  zumal  sie  schon  durch 
die  blofse  Thatsache  der  Verpachtung  ihrer  ausgedehnten  Ländereien  den 
Pachtpreis  niederdrücken  mufs.  Will  sie  ihren  ärmeren  Mitgliedern  Land 
verschaffen ,  so  geschieht  das  besser  in  der  Form  der  Allmende  gegen 
eine  kleine   Abgabe. 

Der  Sondernutzung  durch  die  einzelnen  Gemeindemitglieder  unter- 
liegt Gemeindebesitz  von  Wald,  Weide,  Acker  und   Wiese. 

Nach  einer  Aufnahme  von  1876  2)  nehmen  die  Waldun  gen  34,65  Proz. 
der  gesamten  Landesfläche  des  Grofsherzogtums  Baden  ein;  davon  gehören 
47,io  Proz.  den  Gemeinden.  Der  Wald  selbst  ist  nicht  Allmend,  sondern 
Kämmereivermögen ;  die  Beförsterung  der  Gemeindewaldungen  unterliegt 
den  Forstpolizeigesetzen.  Die  Sondernutzung  des  Waldes  besteht  haupt- 
sächlich in    Weide-,   Holz-  und  Streunutzung. 

Schon  in  dem  Forstgesetz  von  1833  wurde  im  Interesse  der  Wald- 
kultur das  besonders  schädliche  Weiden  der  Schafe  und  Ziegen  in  Wal- 
dungen gänzlich  untersagt,  die  Mastberechtigung  der  Schweine  für  ablösbar 
erklärt.     Jetzt   spielt    die  Waldweide    kaum    noch    eine    gröfsere  Bolle. 

Ueber  die  sehr  wichtige  Holznutzung  liegt  zunächst  die  von 
Bücher  bereits  ausgiebig  benutzte  Statistik  von  1854  3)  vor;  dann  eine 
Statistik  von  1874 4).  Nach  dieser  wurden  unter  175  144  Berechtigte 
690  000  Ster  Brennholz,  7,2  Millionen  Wellen,  2,5  Millionen  Torfstücke 
im  Gesamtwert  von  2,7  Millionen  Mark  verteilt.  Der  Wert  der  Holz- 
nutzungen ist  im  einzelnen  sehr  verschieden,  von  noch  nicht  1  Gulden 
bis  gegen  120  Gulden.  In  einzelnen  Gemeinden  wird  nicht  nur  der  ganze 
Brennbedarf  der  Gemeindemitglieder  gedeckt,  sondern  auch  noch  Holz  zum 
landwirtschaftlichen  Gebrauch,  wie  Bohnenstangen  und  Bebstäbe,  selbst 
Bauholz  geliefert.  Bisweilen  knüpft  sich  die  Berechtigung,  besonders  zum 
Bauholzbezug,  an  bestimmte  Höfe;  auch  wo  dies  nicht  der  Fall  ist,  haben 
die  Beicheren  natürlich  gröfseren  Vorteil  davon. 

Der  Enquetebericht  hebt  an  mehreren  Stellen 5)  die  hohe  Bedeutung 
der  Bürgernutzungen    hervor.      Die  Art,    wie    sich  die  Verteilung    in    der 


1)  Erhebungen  IX,  S.   3. 

2)  Beiträge  zur  Statistik  der  inneren  Verwaltung  des  Grofsherzogtums  Baden,  Heft  40, 
Karlsruhe  1878. 

3)  Beiträge  zur  inneren  Statistik  Badens,  Heft  9,   Karlsruhe  1858/59. 

4)  Buchenberger,  Agrarwesen,  Bd.  I,  S.  301. 

5)  Erhebungen   XXVII    (Griefsen)    S.    3,    XXXIV    (Wasser)    S.    4,    XXXVI    (Main- 
wangen),  S.  3. 


M  i  sz  eil  e  n.  419 

Praxis  regelt,  möge  durch  zwei  Beispiele  aus  der  Enquete  illustriert  werden. 
In  Mainwangen  (Erhebungen  XXXVI)  ruht  auf  27  der  dortigen  44  Wohn- 
häuser eine  Gabholzberechtigung  in  Beträgen  von  12,  16,  28  und  32  Ster 
Scheit-  und  Prügelholz  nebst  den  daran  abfallenden  Keisigwellen.  Die 
Gabholzberechtigung  kann  nicht  mit  der  Erlangung  des  Gemeiudebürger- 
rechtes  erworben  werden ,  sondern  ruht  lediglich  auf  den  betreffenden 
Wohnhäusern,  sofern  sie  vom  Eigentümer  bewohnt  werden.  Sie  deckt  den 
durchschnittlichen  Bedarf  der  berechtigten  Wohnungen  an  Heizmaterial. 
Die  Gesamtverpflichtung  des  Gemeindewalds  beträgt  500  Ster  Scheit-  und 
Prügelholz  nebst  Wellen.  —  Die  Gemeinde  Oberbichtlingen  (Erhebungen 
XXXIV)  verteilt  an  die 

I.  Klasse  mit  3  Berechtigten   39     Ster  Mischholz  und  66  Wellen, 
II«       »         »     8  »  l^1/2  »  n  »     33        „ 

■H-t-       »>         ))     **  »  '         >»  »  >>      *■"        tt 

Die  Auflage  auf  den  Bürgernutzen  beträgt  bei  der 

I.  Klasse  51   M.  38   Pf.»    ,         „„   _.    TT  .  ,     _  _  B. 

jr  ,  q  1  q         '   dazu  80  Pf.  Holzmacherlohn   pro  Ster  und 

ii.       „        iy    „     iö    „    >  2  M    6()  pf   prQ   10Q  WelleQ 

In  Bezug  auf  die  Streunutzung1)  kollidieren  die  Interessen  der 
Land-  und  der  Forstwirtschaft  aufs  schärfste.  In  den  Gegenden  mit  vor- 
wiegendem Kleinbesitz,  also  vor  allem  in  der  Bheinthalebene,  wo  die  ein- 
zelne Parzelle  einen  sehr  hohen  Wert  hat,  tritt  naturgemäfs  der  Getreide- 
bau hinter  dem  Kartoffel-  und  Gemüsebau  einerseits,  dem  Handelsgewächs- 
und  Kebbau  andererseits  zurück.  Ein  grofser  Teil  der  angebauten  Hack- 
früchte wird  von  der  Familie  selbst  konsumiert,  so  dafs  die  Viehfütterung 
viel  von  dem  wenigen  Stroh  erfordert,  wie  auch  für  die  übliche  Stroh- 
bedachung grofse  Mengen  von  Langstroh  alljährlich  verbraucht  werden. 
Die  Folge  ist  ein  Mangel  an  Strohstreu  und  ein  besonders  in  futterarmen 
Jahren  wie  im  vorigen  dringendes  Verlangen  nach  Abgabe  von  Waldstreu. 
Die  Regierung  hat  auf  jede  Weise  versucht2),  der  übergrofsen  Ausnutzung 
des  Waldes  entgegenzuwirken,  durch  Verbote,  durch  kontrollierte  Streu- 
nutzungspläne, selbst  durch  Abgabe  von  Streu  aus  den  Domänenwaldungen 
zu  ermäfsigtem  Preise,  ohne  dafs  es  ihr  gelungen  wäre,  des  Uebels  Herr 
zu  werden.  Sehr  treffend  bemerkt  der  Enquetebericht  der  Gemeinde  Unter- 
scheidenthal 3)  über  die  allzu  starke  Inanspruchnahme  des  Waldes  zu  Streu- 
zwecken :  „Ob  wir  hierfür  dem  Landwirt  einen  unbedingten  Tadel  aus- 
sprechen sollen,  erscheint  uns  zweifelhaft.  Derselbe  weifs  recht  gut,  dafs 
die  Streunutzung  dem  Walde  schadet;  aber  die  Not  drängt  ihn,  auf  dessen 
höchste  Holzrente  zu  verzichten ,  weil  er  Streu  für  sein  Vieh  und  Stoff- 
ersatz für  seine  Ernten  braucht.  Auf  der  anderen  Seite  weifs  er,  dafs 
der  nebenanliegende  Grofsgrundbesitzer  reichlich  für  die  Erziehung  grofser 
und  billiger  Holzvorräte  sorgt  und  selbst  nicht  für  Geld  gern  Streumaterial 
abgiebt.      Kurz :    Streu  ist  ihm  mehr  wert  als  Holz,    und  deshalb  wird  er 


1)  Buchenberger,  Das  Verwaltungsrecht  und  die  Pflege  der  Landwirtschaft  im  Grofs- 
herzogtum  Baden,  passim.     Bücher  geht  auf  die  Frage  nicht  ein. 

2)  Wielandt,  Badisches  Gemeinderecht,  Bd.  I,  1883,  S.  179. 

3)  Erhebungen  VII,  S.  4. 

27* 


420 


Mi  sz  e  11  en. 


besonders  insolange  taub  bleiben  gegen  jede  Mahnung  bezüglich  der  Streu- 
nutzung, als  es  ihm  an  barem  Gelde  fehlt  zur  Beschaffung  von  Surrogaten 
von  Streu  oder  Dünger."  Die  naturale  Waldnutzung  ist  also  gerade  für 
den  kleinen  Mann  eine  Lebensfrage,  um  so  mehr,  je  intensiver  die  Wirt- 
schaft wird,  d.  h.  Einschränkung  des  Halmfruchtbaus  und  stärkere  Kapital- 
zuführung verlangt.  —  Festzuhalten  ist  unter  allen  umständen  an  dem 
Gemeinde-,  bezw.  Staatsbesitze  des  Waldes.  Der  Privatwald  wird,  wie 
derselbe  Enquetebericht1)  sagt,  oft  nur  als  das  Mittel  betrachtet,  den 
Besitznachfolger  in  den  Stand  zu  setzen,  seinen  Verpflichtungen  gegen 
den  Besitzvorgänger  oder  dessen  Rechtsnachfolger  Genüge  zu  leisten. 
„Der  Wald  und  die  von  auswärts  kommende  Frau  müssen  die  Lücke  aus- 
füllen, welche  die  Abfindung  der  Miterben  in  das  Vermögen  des  Haupt- 
erben gerissen  hat." 

Die  Weiden  beschränken  sich  fast  ausschliefslich  auf  das  Gebirge. 
Während  in  ganz  Baden  nach  der  Statistik  der  landwirtschaftlichen  Haus- 
haltungen von  1873  2)  7,8  Proz.  der  landwirtschaftlich  benutzten  Fläche 
auf  die  Weiden  entfällt,  sinkt  diese  Verhältniszahl  im  Kreise  Mannheim 
auf  0,2,  in  den  Kreisen  Karlsruhe  und  Heidelberg  sogar  auf  0, 1  Proz.  und 
steigt  in  den  Gebirgskreisen  Lörrach,  Freiburg  und  Villingen  auf  18,7  bis 
22,4  Proz.  Von  der  Weide  entfallen  auf  die  Allmend  3) :  im  ganzen  Grofs- 
herzogtum  19,9  Proz.,  in  Heidelberg  0,  in  Waldshut  55,8,  in  Lörrach 
69,8  Proz.  Die  Prozentzahlen  für  alle  Kreise  in  ihrer  Zusammenstellung  nach 
Kulturarten  überhaupt  und  nach  der  Besitzart  ihrer  Weiden  sind  folgende: 


Zusammensetzung  nach  der 

Zusammensetzung  der 

Weide 

Kulturart 

in  Proz. 

nach  der  Besitzart  in 

Proz. 

Kreis 

9 
M 

u 

< 

0 
0 

0 

a 
3 

a 

Ol 

1° 

S 

□ 

s 

0 

CS 

Cm 

□ 
0 

a 

< 

Dienstland 
und  Nutz- 
niefsung 

Constanz 

75,o 

22,1 

1,6 

1,3 

56.0 

28,5 

15,4 

0,1 

Villingen 

53,i 

24,5 

.  — 

22,4 

90,1 

4.5 

5.2 

0,2 

Waldshut 

6l,2 

28,3 

0,8 

9>? 

39,5 

3-8 

55-8 

0,9 

Freiburg 

50,1 

25,1 

4,8 

2O,0 

87,5 

4-4 

7,6 

0,5 

Lörrach  . 

48,9 

28,4 

4,0 

18,7 

29,6 

0,5 

69,8 

0,1 

Offenburg 

58,0 

28,1 

3,1 

10,8 

98,8 

0,4 

0,7 

0,1 

Baden     . 

62,9 

3*i» 

3,8 

2,2 

90,9 

1,1 

5,i 

2,9 

Carlsruhe 

78,0 

19,6 

2,3 

0,1 

36,6 

55,8 

7,5 

0,1 

Mannheim 

79-8 

18,7 

1,3 

0,2 

3!>o 

59,i 

9,9 

— 

Heidelberg 

86,8 

10,9 

2,2 

0,1 

60,4 

38,6 

— 

1,0 

Mosbach 

84,0 

12,0 

3,1 

0,9 

69,1 

30,4 

0,1 

0,4 

Grofsherzogtum 

Ba 

len 

67,7 

21,9 

2,6 

7,8 

75,3 

4,* 

19,9 

0,4 

Für    die    an    Wichtigkeit    überwiegenden    Schwarzwaldweiden 
liegt  nun  eine    amtliche  Darstellung  vor4),    die  im  Auftrage  des  Ministe- 


1)  Erhebungen  VII,  S.  5. 

2)  Beiträge  zur  Statistik  der  inneren  Verwaltung  des  Grofsherzogtums  Baden,  Heft  37 : 
Die  landwirtschaftlichen  Haushaltungen  nach  der  Aufnahme  vom  10.  Januar  1873,  Karls- 
ruhe 1878,  S.  XIV. 

3)  Statistik  von   1873,  S.   153. 

4)  Die  Erhaltung  und  Verbesserung  der  Schwarzwaldweiden  im  Amtsbezirk  Schönau. 


Mi  s  ze  11  e  n.  421 

riums  des  Inneren  nach  einer  im  Jahre  1887  aufgenommenen  Enquete 
angefertigt  wurde.  Die  Erhebungskommission  bestand  aus  den  Vorständen 
der  Kulturinspektion  Freiburg,  sowie  der  Bezirksforsteien  Schönau  und 
Todtnau;  die  Leitung  der  Arbeiten  war  dem  Zentralbureau  für  Meteoro- 
logie und  Hydrographie  übertragen.  Diese  Zusammensetzung  der  Kom- 
mission entsprach  der  Beteiligung  von  wasserwirtschaftlichen  und  forst- 
wirtschaftlichen Interessen  neben  solchen  der  Landwirtschaft  an  der  Frage 
der  Neuregelung  der  Weideverhältnisse.  Ihr  Bericht ,  an  den  sich  die 
folgenden  Ausführungen  anschliefsen,  kommt  zu  wesentlich  ungünstigeren 
Resultaten  über  die  Gemeinweiden  als  Bücher,  der  übrigens  bei  Baden 
nicht  speziell  auf  die  Weiden  eingeht. 

Der  Amtsbezirk  Schönau,  auf  den  sich  dieser  Bericht  bezieht, 
umfafst  26  Gemeinden  mit  59  Gemarkungen ;  er  liegt  im  Kreise  Lörrach, 
mitten  im  Gebirge,  südlich  vom  Feldberg.  Klima  und  Bodengestaltung 
weisen,  wenigstens  im  nördlichen  Teile  des  Bezirks,  die  Bevölkerung  auf 
die  Viehzucht  als  landwirtschaftlichen  Haupterwerbszweig  hin.  Der  spär- 
liche Ackerbau  in  den  tiefgelegenen  geschützten  Thalgründen  vermag  nicht 
die  zur  Ernährung  der  Bewohner  nötigen  Feldfrüchte  zu  produzieren. 
Im  südlichen  Teile  dagegen,  wo  das  Klima  milder  ist,  übertrifft  das  Acker- 
feld die  dem  Weidgange  überlassene  Fläche.  Von  den  20  413,7  ha  Ge- 
samtfläche der  Gemarkungen  entfallen  34,7  Proz.  auf  Weiden,  12,4  Proz. 
auf  Wiesen,  40,7  Proz.  auf  Wald,  12,3  Proz.  auf  Ackerfläche  und  son- 
stiges; scheidet  man  den  Wald  aus,  so  entfallen  nach  der  Statistik  von 
1873  l)  auf  die  Weide  60,6  Proz.,  auf  Wiese  23,7  Proz.,  auf  Acker 
15,7  Proz.  In  der  nördlich  gelegenen  1744  ha  grofsen  Gemarkung  Todt- 
nau sind  bei  526  ha  Weide  und  1052  ha  Wald  nur  25  ha  oder  1,4  Proz. 
der  Gesamtfläche  Ackerland  und  sonstiges  Gelände  vorhanden,  während 
sich  in  der  südlichsten  Gemeinde  Zell  nur  4,7  Proz.  Weiden  gegen 
30,2  Proz.  Acker  finden.  Von  den  7088  ha  Weiden  sind  nur  rund  274  ha 
Privatbesitz;  alles  übrige  ist  Eigentum  der  Gemeinde.  Die  Weideberech- 
tigung ist  durchaus  demokratisch  geordnet;  jeder  kann  gegen  Erlegung 
eines  Weidegeldes  pro  Stück  Vieh  so  viel  auftreiben,  wie  er  will.  So- 
lange die  Bauern  die  Alleinherrscher  in  dieser  Waldeinsamkeit  waren, 
hielten  sie  im  allgemeinen  kaum  mehr  Vieh,  als  sie  für  die  Zwecke  ihres 
eigenen  Wirtschaftsbetriebes  brauchten,  zumal  eine  Absatzmöglichkeit  nach 
aufserhalb  nicht  gegeben  war.  Das  änderte  sich  mit  einem  Schlage,  als 
um  die  Mitte  des  Jahrhunderts  die  Industrie  ihren  Einzug  in  das  Wie- 
senthal hielt  und  zahlreiche  Arbeiter  sich  häuslich  niederliefsen.  „Die 
Entfernung  der  Bauernhöfe,  der  tiefe  Schnee  des  Winters,  und  die  Un- 
zulänglichkeit der  Produktion  erschwerten  den  die  Thalsohle  bewohnen- 
den Angestellten,  Handwerkern  und  Fabrikarbeitern  den  Bezug  von 
Milch,  Butter  und  Käse  und  nötigten  sie,  diese  fast  unentbehrlichen 
Nahrungsmittel  im  Hause  zu  erzeugen,  bezw.  eigenes  Vieh  zu  halten, 
nachdem    sie    ein    kleines  Wiesenstück    erworben  hatten.     Zur  selben  Zeit 


Amtliche  Darstellung,  gefertigt  im  Auftrage  des  Grofsherzogl.  Badischen  Ministeriums  des 
Inneren.  Karlsruhe  1889.  Nebst  Anlagen,  bearbeitet  im  Ministerium  des  Inneren.  Karls- 
ruhe 1889. 

1)  Beiträge  zur  Statistik  der  inneren  Verwaltung  Badens.     Heft  37,  S.  150. 


422  M  i  s  z  e  1 1  e  n. 

zogen  die  Vieh-  und  Fleischpreise  an  und  stiegen  auf  eine  bis  dahin  noch 
nicht  erreichte  Höhe.  Milch  und  Molkereiprodukte,  Fleisch  und  Vieh 
waren  auf  einmal  gesuchte  Produkte,  zu  deren  Erzeugung  der  Bauer 
durch  tägliche  Nachfrage  und  klingende  Münze  mehr  und  mehr  angeregt 
wurde.  Es  trat  somit  auch  eine  Vergröfserung  der  bäuerlichen  Viehbe- 
stände ein."  Nach  einer  dem  Bericht  beigefügten  Statistik,  die  auf  den 
Weidprotokollen  beruht,  hat  sich  in  dem  Bezirk  Schönau  die  Zahl  des 
Rindviehes  von  3656  Stück  im  Jahre  1818  auf  8317  Stück  im  Jahre 
1855  vermehrt;  die  letztere  Zahl  ist  seitdem  nicht  mehr  wesentlich  über- 
schritten worden.  Diese  starke  Vermehrung  war  nur  durch  die  Allmend- 
weiden  ermöglicht.  Im  Sommer  sucht  das  Vieh  sein  Futter  in  der  Haupt- 
sache auf  der  Weide,  und  nur  im  Winter,  von  Oktober  bis  Mai,  wird  es 
im  Stalle  gehalten.  So  säumten  denn  die  neuen,  an  Wiesenbesitz  armen 
Viehhalter  nicht,  viele  Tiere  auf  die  Weide  zu  schicken,  was  denn  die 
gröfseren  und  eingesessenen  Viehbesitzer  wiederum  ihrerseits  veranlafste, 
mehr  Vieh  zur  Herde  zu  senden.  Dies  fortgesetzte  gegenseitige  Ueber- 
bieten  hat  zu  einer  Uebersetzung  der  Ställe  geführt,  und  heute  wird 
etwa  ein  Drittel  Vieh  mehr  gehalten,  als  aus  dem  Futtererträgnisse  des 
Bezirks  ernährt  werden  kann.  Die  Folgen  dieser  unvorsichtigen  Vieh- 
haltung zeigten  sich  nach  zwei  Seiten  hin,  in  der  Verschlechterung  der 
Qualität  des  Viehes  und  in  der  Zerstörung  der  Weiden. 

Die  Uebersetzung  der  Ställe  mit  Vieh  ist  so  grofs,  dafs  in  langen 
Wintern  das  Dachstroh  als  Futter  dienen  mufs.  Sobald  im  Frühjahr  an 
den  sonnigen  Hängen  der  Schnee  schmilzt,  wird  das  Vieh  ausgetrieben, 
und  dann  kommt  die  Weide  bis  zum  nächsten  Winter  nicht  mehr  in 
Buhe.  Die  Entwickelung  der  Pflanzen  wird  gestört,  die  Basenbildung 
verkümmert,  die  vom  Vieh  unberührten  Gräser  und  Unkräuter  nehmen 
überhand,  also  einerseits  Verheidung,  andererseits  Entblöfsung  des  Bodens 
von  der  gegen  die  Angriffe  des  Wassers  schützenden  dichten  Basendecke 
und  Abschwemmung,  dann  Bildung  von  Butschungen ,  Schrunden  und 
Bunsen,  bis  schliefslich  an  die  Stelle  des  berasten  Weidefeldes  die  nackte 
Trümmerhalde  getreten  ist. 

Eine  weitere  Verschlechterung  des  Bodens  bewirkt  der  ganz  primi- 
tive Reutfeldbetrieb,  zu  dem  der  Maugel  an  Ackerland  zwingt.  Bei  Be- 
ginn der  Brache  wird  bisweilen  Gras  angesät,  gewöhnlich  aber  geschieht 
gar  nichts.  Von  manchen  jetzt  ertraglosen  Weidfeldern  ist  bekannt,  dafs 
sie  ihre  vegetabilische  Pflanzendecke  durch  wiederholtes  Schorben  völlig 
eingebüfst  haben.  Im  Jahre  1887  kam  dieser  höchst  verderbliche  Reut- 
feldbetrieb in  25  von  den  59  Gemarkungen  des  Bezirks  vor,  dem  39,34 
Proz.  der  Gesamtfläche  der  Weide  von  3202,5  ha  unterlag.  Irgendwelche 
erhebliche  Anstrengungen  zur  Verbesserung  dieser  Uebelstände  haben  die 
meisten  dieser  Gemeinden  nicht  gemacht.  Nur  18  Proz.  der  Hoch  weiden, 
von  den  Thalweiden  sogar  nur  3  Proz.  konnte  die  Untersuchungs- 
kommission als  gut  bezeichnen.  Es  seien  im  Amtsbezirk  Schönau,  so 
sagt  der  Bericht,  grofse  Flächen  vorhanden,  deren  Zustand  das  öffentliche 
Interesse  gefährdet  und  der  Betrieb  der  Weidewirtschaft  sei  ein  derarti- 
ger, dafs  in  nicht  ferner  Zeit  weitere  ausgedehnte  Flächen  in  denselben 
Zustand    herunterkommen    müfsten.      Der    gegenwärtige    Weidefeldbetrieb 


Mis  zellen.  423 

sei  nicht  eine  Nutzniefsung,  sondern  ein  allmähliges  Aufzehren  des  Ge- 
meindevermögens zum  Schaden  der  späteren  Generationen  und  zum  Schaden 
der  Allgemeinheit. 

Im  Jahre  1889  wurde  die  Untersuchung  der  Weidverhältnisse  auf 
die  Amtsbezirke  Staufen,  Freiburg,  Neustadt  und  St.  Blasien 
ausgedehnt1).  Die  Ergebnisse  waren  hier  ebenso  unbefriedigend. 
Die  Allmendweiden  sind  noch  iu  28  Gemarkungen,  welche  das  nördliche 
Wiesenthal  umrahmen,  in  einer  Flächenausdehnung  von  5111  ha  vor- 
handen. Soweit  jene  Orte  in  das  Zentrum  des  Gebirgslandes  fallen,  be- 
herrscht der  Weidebetrieb  und  die  Viehaufzucht  noch  ganz  das  wirt- 
schaftliche Leben  wie  im  Amtsbezirk  Schönau,  wo  aber  die  Nähe  des 
Khein-  und  Dreisamthaies  auch  für  andere  Produkte  als  Vieh  einträgliche 
Absatzgebiete  erschlossen  hat,  oder  wo  das  flacher  und  geschützter  liegende 
Gebäude  eine  ausgedehntere  Ausnutzung  als  Ackerland  gestattet,  ist  die 
Bevölkerung  freiwillig  oder  unfreiwillig  zu  einer  anderen  Wirtschaftsweise 
übergegangen.  In  beiden  Fällen  haben  die  Weidefelder  sich  verschlechtert, 
in  dem  einen  durch  zu  starke  Ausnutzung,  in  dem  anderen  durch  Ver- 
nachlässigung. Die  wirtschaftlichen  Resultate  der  Viehhaltung  lassen  sich 
in  dem  zusammenfassen,  was  eine  der  untersuchten  Gemeinden,  Witten- 
schwand,  bereits  in  dem  Enquetebericht  von  1883  2)  sagt:  Die  Benutzung 
der  Weide  hat  nur  für  die  Aufzucht  und  Haltung  von  Jungvieh  Bowie 
für  die  Ziegenhaltung  wirklichen  Wert,  während  die  durch  den  Austrieb 
der  Kühe  gemachte  Futterersparnis  durch  den  Verlust  von  Milch  und 
Dünger  aufgehoben  wird.  Demnach  hat  die  Benutzung  der  Weide  auf 
die  Lage  der  ansässigen  Bevölkerung  den  Einflufs,  dafs  eine  regelmäfsige 
Sommerstallfütterung  keinen  Eingang  hat  finden  können  und  infolgedessen 
eine  genügende  Düngererzeugung  unmöglich  gemacht  wurde,  die  Felder 
und  Wiesen,  mit  Ausnahme  der  den  Ortschaften  zunächst  liegenden,  ver- 
armten und  die  Viehzucht  selbst  in  ihrer  Entwickelung  und  Ertragsfähig- 
keit zurückgehalten  wurde. 

Die  gegebene  Schilderung  zeigt,  zu  welchen  Konsequenzen  die  unbe- 
grenzte reale  Nutzung  der  Gemeindeweide  führt.  Die  natürliche  Bevölke- 
rungsausdehnung hat  hier  zerstörend  auf  die  alte  Wirtschaftsgemeinschaft 
gewirkt.  Die  von  der  Kommission  vorgeschlagenen  Abhilfmafsregeln 
laufen  zum  Teil  auch  darauf  hinaus,  die  ungemessenen  Nutzungen  in  ge- 
messene zu  verwandeln ;  sie  wollen  vor  allem  eine  sachgemäfse  Beschrän- 
kung der  Weidefläche  und  Weidezeit  sowie  die  Bestimmung  der  Maxi- 
malzahl des  aufzutreibenden  Viehes  3).  Dabei  könnten  wohl  die  kleinen 
Leute  schlecht  wegkommen,  aber  doch  nicht  schlechter  als  jetzt,  wo  sie 
zum  gröfsten  Teile  Verlustwirtschaft  treiben.     Auch    köunten    sie   ja    da- 


1)  Die  Erhaltung  und  Verbesserung  der  Schwarzwaldweiden  in  den  Amtsbezirken 
Staufen,  Freiburg,  Neustadt  und  St.  Blasien.  Amtliche  Darstellung,  gefertigt  im  Auf- 
trage des  Grofsherzoglich  Badischen  Ministeriums  des  Innern.     Karlsruhe   1890. 

2)  Erhebungen  XXIX,  S.   3,  4. 

3)  Wo  die  Weiden  nicht  im  Besitze  der  Gemeinde,  sondern  von  Genossenschaften 
sind,  findet  eine  Uebersetzung  mit  Vieh  nicht  statt,  demgemäfs  auch  keine  Deterioration 
der  Weiden.  Vgl.  Erhaltung  und  Verbesserung  der  Schwarzwaldweiden  in  den  Amtsbe- 
zirken Staufen,  Freiburg  u.  s.  w.  S.  33. 


424 


M  i  s  z  e  11  en. 


durch  begünstigt  werden,  dafs  jedem  Besitzer  mindestens  eine  Kuh  oder 
die  entsprechende  Anzahl  Ziegen  aufzutreiben  gestattet  würde.  Zum  Teil 
haben  die  vorgeschlagenen  Mafsregeln  die  Tendenz,  den  nach  Ansicht  der 
Sachverständigen  unvermeidlichen  Untergang  der  Gemeindeweide  zu  be- 
schleunigen; der  geringere  Boden  solle  aufgeforstet,  die  flachen  sonnige- 
ren Stücke  in  Allmendfeld  als  Acker  oder  Wiese  umgewandelt  werden, 
um  den  allgemeinen  Uebergang  zum  Futterbau  und  zur  Stallfütterung  zu 
ermöglichen.  Diese  Mafsregeln  scheinen  doch  zu  radikal :  ein  grofser  Teil 
der  Gemeinweiden  besteht  aus  Gelände,  dessen  Entfernung  vom  Dorfe  eine 
Nutzung  als  Acker  oder  Wiese  unmöglich  macht ;  und  eine  vollständige 
Aufteilung  der  Weide  schädigt,  wie  die  Erfahrungen  im  östlichen  Preufsen 
ergeben  haben,  die  landwirtschaftlichen  Arbeiter  und  auch  die  kleineren 
Bauern  empfindlich,  von  den  Industriearbeitern,  Dorfhandwerkern  etc. 
ganz  abgesehen.  Immerhin  scheint  es,  dafs  die  Viehwirtschaft  im  badi- 
schen Schwarzwald  einen  Grad  der  Intensität  erreicht  hat,  der  ein  Fort- 
bestehen der  Gemeindeweide  in  ihrer  bisherigen  Nutzungsweise  und 
ihrem  bisherigen  Umfange  nicht  rätlich  erscheinen  läfst. 

Nach  der  Statistik  von  1873  bestehen  49,2  Proz.  des  Allmendlandes 
aus  Acker,  23,1  Proz.  aus  Wiesen,  die  zur  Sondernutzung  verteilt 
werden.  Auf  das  Rebland  entfällt  nur  0,5  Proz.  Die  Allmend  bildet  mit 
61  954  Morgen  4,1  Proz.  des  gesamten  Ackerlandes,  mit  29  157  Morgen 
6  Proz.  der  Wiesen.  Der  Hauptteil  entfällt  auf  die  Bheinebene  von  Lahr 
bis  Weinheim.  Die  Prozentzahlen  der  Zusammensetzung  von  Acker  und 
Wiese  nach  der  Betriebsart  in   den  einzelnen  Kreisen   sind  folgende: 


Zusammensetzung    der 

Acker 

Zusammensetzung  der  Wiesen 

nach  der  Besitzart  in 

Proz. 

nach  der  Besitzart  in 

Proz. 

Kreis 

S 
s 
"a 

ja 

a 
0 

a 

a  i3  sc 
J5  ö  a 

In  "  ,v) 

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a 

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Nutz- 
fsung 

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SD 

Cli 

S  -ö    « 

W 

< 

5  g  ö 

W 

3 

q  3  a 

Constanz 

78,9 

17,8 

2,7 

0,6 

78,0 

15,7 

5,3 

1,0 

Villingen  . 

81,1 

8,8          9,4 

0,7 

84,9 

8,3 

5,6 

1,2 

Waldshut  . 

91,5 

5,1 

2,8 

0,6 

93-2 

5.0 

0,7 

1,1 

Freiburg  . 

77,5 

15,5 

4,9 

2,1 

85,8 

8,2 

4,3 

1,7 

Lörrach 

82,5 

9,4 

6,1 

2,0 

89,2 

8,2 

0,2 

2,4 

Offenburg . 

73a 

17,5 

6,8 

2,6 

83,7 

7,2 

6,9 

2,2 

Baden   . 

74-5 

13,7 

7,7 

4,1 

75,2 

9,0 

12,2 

3,6 

Karlsruhe  . 

71,8 

19,1 

5.8 

3,3 

68,7 

12,5 

16,0 

2,8 

Mannheim 

57.1 

33,1 

7,4 

2,4 

74-4 

9.5 

15,3 

0,8 

Heidelberg 

65,7 

3°,  3 

1,6 

2,4 

66,6 

23,7 

7,4 

2,3 

Mosbach    . 

86,1 

12,3        0,7 

0,9 

86,3 

11,6 

0.6 

1,5 

Grofsherzogtum  Baden     | 

77.5 

16,6 

4.1 

1,8 

82,0 

10,2 

6,0 

1,8 

Soweit  zu  ersehen  ist,  kommt  die  Allmend  den  kleineren  Besitzern 
reichlich  zu  gute;  in  der  Wirtschaftsklasse  von  0 — 5  Morgen  bestehen 
13,3  Proz.  des  bewirtschafteten  Areals  aus  Allmend,  während  der  Prozent- 
anteil in  der  Klasse  von  50 — 100  Morgen  auf  0,6  Proz.  sinkt.  Ueber 
Zahl  und  Gröfse  der  GenuMose  liegt  nur  die  bereits  von  Bücher  benutzte 
Statistik  von   1854  vor.      Nach  dieser   betrug   die  Gesamtzahl  der  im  Ge- 


Miszellen.  425 

nusse  stehenden  Bürger  und  Bürgerwitwen  90  098  in  727  Orten;  der 
Durchschnitt  eines  Genufsloses  betrug  1,104  Morgen.  Allerdings  konnte 
mehr  als  die  Hälfte  der  Gemeinden  nur  Anteile  unter  und  bis  zu 
einem  Morgen  ausgeben;  indessen  genügt  diese  Fläche  doch,  um  bei  sorg- 
fältiger Bearbeitung  dem  Tagelöhner  oder  Handwerker  Kartoffeln  und  Ge- 
müse zu  liefern.  Nach  der  Statistik  von  1873  umfassen  sogar  10  Proz. 
aller  landwirtschaftlichen  Haushaltungen  nicht  mehr  als  1  Morgen,  143 
Gemeinden  gaben  Lose  von  2 — 10  Morgen;  das  will  etwas  heifsen,  denn 
über  71  Proz.  aller  landwirtschaftlichen  Haushaltungen  umfassen  nach  der- 
selben Statistik  nicht  mehr  als  10  Morgen.  In  vielen  Gemeinden  reicht 
eine  Ackerfläche  von  5 — 10  Morgen  zur  Ernährung  einer  Familie  aus; 
rechnet  man  dazu  die  Waldnutzungen,  so  ergiebt  sich,  dafs  die  Existenz 
vieler  tausender  Familien  in  Baden  sich  ganz  oder  hauptsächlich  auf  die 
Allmende  gründet.  Und  das  ist  kein  entwürdigendes  Almosen,  welches 
den  Empfänger  der  Arbeit  überheben  soll,  sondern  ein  gutes  Recht,  das 
überdem  die  Arbeit  des  Berechtigten  verlangt,  wenn  er  daraus  Nutzen 
ziehen  will.  So  ist  auch  der  Enquetebericht  von  1883  des  Lobes  voll1), 
ein  Beweis,  dafs  sich  die  Allmende  auch  jetzt  noch  bewährt.  Ueberall 
wird  hervorgehoben,  dafs  sie  ein  Herabsinken  der  kleinsten  Wirte  in  das 
Proletariat  hindern,  während  die  Gemeinden,  die  keinen  Allmendbesitz 
mehr  haben,  dies  auf  das  lebhafteste  bedauern. 

Die  Verteilung  der  Allmendstücke  innerhalb  der  gesetzlichen  Vor- 
schriften ist  sehr  verschieden.  Selbst  periodische  Neuauslosung  kommt 
noch  vor,  so  in  der  Gemeinde  Hutterheim  2).  Dort  ist  der  Allmendbesitz 
ziemlich  bedeutend;  er  nimmt  27,19  Proz.  der  gesamten  landwirtschaftlich 
benutzten  Fläche  ein.  Es  giebt  Teilallmende,  die  alle  10  Jahre  wieder 
verteilt  wird,  uud  Allmendstücke  auf  Lebensdauer;  letztere  überwiegen. 
207  Bürger  haben  zur  Zeit  Allmendstücke  auf  Lebensdauer,  103  Bürger 
nur  Teilallmende.  Von  dieser  erhält  jeder  Bürger  den  gleichen  Anteil 
der  zur  Verteilung  kommenden  Fläche;  in  den  Genufs  der  Allmendstücke 
auf  Lebensdauer  rücken  die  jüngeren  Bürger  auf  Absterben  in  der  Weise 
ein,  dafs  die  jeweilig  durch  den  Tod  freigewordene  Allmend  unter  die  25 
nächsten  Anwärter  verteilt  wird.  So  kann  es  20  bis  25  Jahre  dauern, 
bis  der  Bürger  in  den  Genufs  der  vollen  Allmend  tritt.  —  In  der  Ge- 
meinde Mingolsheim 3)  beträgt  die  Allmend  258,85  ha  bei  einem  land- 
wirtschaftlichen Gesamtareal  von  859  ha.  Das  Allmendland  ist  in  2  Klassen 
eingeteilt,  die  in  eine  Anzahl  Lose  mit  gleichmäfsig  verteilter  Bodenfläche 
zerfallen,  und  zwar  enthält  Klasse  I  235  Lose  von  je  65  ar,  Klasse  II 
164  Lose  von  je  30  ar.  Das  Allmendland  wird  auf  Lebensdauer  verteilt; 
die  Witwe  des  Berechtigten  tritt  bei  dessen  Ableben  in  den  Genufs  ein 
und  verliert  ihn  nur  bei  Wiederverheiratung.  Stirbt  ein  Mingolsheimer 
Bürger,  ehe  er  allmendberechtigt  geworden  ist,  so  rückt  seine  Witwe  zu 
derselben  Zeit  in  den  Allmendgenufs  ein,  in  welcher  der  Verstorbene  allmend- 
berechtigt geworden  wäre.     Der  junge  Bürger  tritt  mit  dem    25.  Lebens- 


1)  Vgl.  z.  B.  Erhebungen  XII  S.  6,  XIII  S.  5,   XVIII  S.  3,  XXI  S.  2,    XXV  S.  2. 

2)  Erhebungen  XIII,  S.  3  ff. 

3)  Erhebungen  XIV,   S.  3. 


426 


Mi  szell  e  n. 


jähre  in  den  Rang  um  Bewerbung  seines  Allmeudteils  ein,  vorausgesetzt 
dafs  die  gesetzlichen  Erfordernisse  (eigene  Haushaltung  oder  Gewerbebetrieb 
auf  eigene  Rechnung)  vorhanden  sind.  Infolge  der  Zuteilung  auf  Lebens- 
dauer ist  die  Bewirtschaftung  des  Allmendlandes  im  allgemeinen  eine  nahezu 
ebensogute  wie  die  des  eigenen  Grundbesitzes,  vollständig  beim  Ackerland, 
weniger  beim  entfernt  liegenden  Wiesland.  Dasselbe  Urteil  über  die  Be- 
handlung der  Allmende  fällen  übereinstimmend  alle  Berichte1);  es  ist 
auch  kein  Grund  vorhanden,  warum  bei  einer  Zuteilung  auf  Lebenszeit 
Raubbau  wie  bei  kurzfristigen  Pachtungen  eintreten  sollte.  Auch  Land 
im  Privateigentum  wird  unter  Umständen  vernachlässigt,  ohne  dafs  sich 
etwas  dagegen  thun  liefse,  während  bei  der  Allmend  die  Gemeinde  stets 
das  Recht  hat,  einem  schlechten  "Wirte  seinen  Anteil  zu  entziehen  2).  Un- 
günstig liegen  die  Verhältnisse  dort,  wo  bei  einem  an  und  für  sich  rich- 
tigen System  des  Aufsteigens  in  höhere  Klassen  der  Berechtigte  stets  ein 
neues  Grundstück  erhält,  wie  es  in  Hemsbach3)  der  Fall  ist.  Der  an- 
gehende junge  Bürger  erhält  zunächst  nur  Bürgerholzabgabe  ohne  Grund- 
besitz;  dann  rückt  er  auf  Absterben  in  die  5  höheren  Klassen  ein,  die  ihm 
einen  Grundbesitz  von  4  — 160  ar  gewähren.  Doch  behält  er  das  ihm 
bereits  zugeteilte  Grundstück  nur  beim  Aufsteigen  in  die  dritte  Klasse ; 
von  da  an  giebt  er  es  ab,  wenn  er  ein  gröfseres  erhält.  Es  ergiebt  sich 
dabei   folgendes  Bild4): 


CG 

CS 

Berechtigte 

Nutzung 

Auflage  (Abgabe  an  Rente) 

1 

Die    57    jüng- 
sten Bürger 

Eine    Holzgabe    im    Werte    von    16    Mark 
nach  Abzug    der  Holzmacherlöhne.     Sie 
begreift    a)  Weichholz    aus    18-jährigem 
Schlage,     b)    Eichenschälprügelholz     aus 
demselben    Schlage,    c)     Eichennutzholz 
von    älteren    Eichen    zu    Weinbergsholz 
bestimmt. 



2 

Die    75  nächst 
älteren  Bürger 

Dieselbe  Holzgabe  und    an  Liegenschaften 
k  4  a  71   m  Wiese 

Auflage                  —  M.    7  Pf. 

3 

Die  29   nächst 
älteren  Bürger 

Dieselben  Bezüge  wie  Klasse  2,  aufserdem 
noch  k  42  a  44  m  Wiesen    (die    sogen 
Waidstücke) 

Auflage              ä     5   „  35  „ 

4 

Die  125  nächst 
älteren  Bürger 

An  Acker  und  Wiesen  ä  76  a  40  m  unter 
Verlust  der  Bezüge  von  Klasse  3. 

Auflage  ä  16  „  74  „ 
24  Becher  Korn  k —   „  48,, 

5 

Die   19  nächst 
älteren  Bürger 

An    Acker     und     Wiese    k    98    a     57     m 
unter  Verlust  der  Bezüge  von  Klasse  4. 

Auflage  ä  22  „  74  „ 
44  Becher  Korn  k—  „  88  „ 

6 

Die  125  älte- 
sten Bürger 

An    Acker    und     Wiesen     k     I     ha    60    a 
59  m,    unter    Verlust    der    Bezüge    von 
Klasse  5- 

Auflage  a  63  „  8  ,, 
144  Becher  Korn  k  2  „   88  „ 

Summa :  430  Be- 
rechtigte 


1)  Erhebungen  XIV  S.  3,  XXI  S.   3,  XXXV  S.   2. 

2)  Gemeindeordnung  §  110.      Fraglich    ist    nur,    wie  weit    die  Bauern    geneigt    sind, 
dieses  Recht  gegen  einen  der  Ihrigen  auszuüben. 

3)  Erhebungen  XII  S.   5,   31. 

4)  Vgl.  dazu  die  Schilderung,    die  Bücher    über  die  Hemsbacher  Verhältnisse    in  den 
70er  Jahren  giebt.     (üreigentum   S.   204  ff.) 


M  i  s  z  e  1 1  e  n.  427 

Ist  die  Zahl  der  Bürger  gröfser  als  430,  so  beziehen  die  Ueberzähligen 
keine  Holzgabe  und  rücken  auf  Absterben  ein. 

Hier  sind  die  Unzuträglichkeiten  der  Pacht  in  Beziehung  auf  die 
Produktion  noch  vermehrt,  da  der  Bauer  nicht  einmal  weifs,  wie  lange  er 
das  Grundstück  behalten  wird.  Es  ist  der  Allmondberechtigto  hier  gleich- 
sam tenant  at  will,  nur  dafs  der  Tod  noch  unberechenbarer  ist  als  ein 
irischer  Landlord.  Aber  diese  Art  der  Zuteilung  häogt  mit  dem  WeBen 
der  Allmende  durchaus  nicht  zusammen,  und  es  hindert  nichts,  ein  an- 
deres System  anzuwenden,  das  die  Vorzüge  der  beiden  geschilderten  Sy- 
steme vereinigt:  den  lebenslänglichen  Besitz  derselben  Parzelle  wie  in 
Mingolsheim  und  die  Vergröfserung  des  Anteils  mit  wachsendem  Alter 
wie  in  Hemsbach.  Dies  ist  der  Fall  zum  Teil  in  Huttenheim,  ferner  z.  T. 
in  Ichenheim  x).  Dort  erhält  jeder  in  den  Genufs  eintretende  Bürger  zu- 
erst 1,  dann  2  bis  6  Lose  a  9  a,  zusammen  also  schliefslich  54  a  an  ver- 
schiedeneu Stellen  der  Gemarkung.  Nicht  nur,  dafs  diese  Art  des  Auf- 
rückens nach  dem  Alter  dem  Wachsen  der  Familie  und  der  Einsicht  des 
Wirts  entspricht,  nach  dem  übereinstimmenden  Zeugnis  aller  Berichte  2) 
hat  sie  auch  die  Wirkung,  die  Lage  der  älteren  Familienmitglieder  zu  er- 
leichtern. Es  ist  bekannt,  zu  welchen  überaus  häfslichen  Konsequenzen 
das  System  des  Altenteils  fast  durchweg  geführt  hat ;  der  alte  Bauer,  der 
seinen  Hof  dem  Sohne  abtrat,  gilt  als  unnützer  Esser,  und  man  läfst  es 
ihn  fühlen.  Hier  ist  es  umgekehrt.  Die  Alten  werden  von  ihren  Kin- 
dern oder  sonstigen  Verwandten  sehr  gern  ins  Haus  genommen,  da  sie  die 
ziemlich  beträchtliche  Allmendnutzung  mitbringen.  Sie  werden,  wie  der 
charakteristische  Ausdruck  lautet,  „um  die  Allmend  gehalten".  Die  All- 
mend  spielt  hier  die  Rolle  einer  ausgezeichneten  Altersversicherung. 

Die  Vorteile  der  Allmend  sind  unzweifelhaft  grofse.  Trotzdem  oder 
gerade  deshalb  darf  man  es  sich  nicht  verhehlen,  dafs  unter  den  ob- 
waltenden Umständen  ihre  weitere  Fortdauer  in  der  bisherigen  Form  und 
Nutzungsweise  gefährdet  ist.  Es  handelt  sich  dabei  um  das  Grundproblem 
der  ganzen  Volkswirtschaft,  um  die  Bevölkerungsvermehrung.  Wie  diese 
durch  den  Zwang  zu  intensiver  Wirtschaft  die  Gemeindeweide  allmählich 
vernichtet,  so  mufs  es  mit  der  Zeit  dahin  kommen,  dafs  auch  die  Acker- 
und  Wiesenparzellen  der  Allmende  zu  einem  Umfange  herabsinken ,  wo 
ihr  Wert  minimal  wird ,  oder  dafs  die  Anzahl  der  Berechtigten  die  Zahl 
der  Genufslose  soweit  übersteigt,  dafs  diese  nur  noch  von  verhältnismäfsig 
wenigen  genützt  werden  kÖDnen.  Dafs  diese  Befürchtungen  nicht  rein 
theoretischer  Natur  sind,  sondern  ihre  sehr  reale  Unterlage  in  den  Er- 
scheinungen der  letzten  Jahrzehnte  haben,  beweist  unter  anderen  das  Bei- 
spiel der  Gemeinde  Hemsbach.  In  dieser  betrug  die  Zahl  der  im  Allmend- 
genufs  befindlichen  Bürger  nach  der  Statistik  von  1854  360,  in  den  siebziger 
Jahren  nach  Bücher3)  gegen  400  und  im  Jahre  1883  4)  bereits  430.  Ob 
diese  kolossale  Steigerung,  die  sogar  trotz  teilweisen  Rückgangs  der  Be- 
völkerungsziffer5)   vor    sich  gegangen    ist,    durch   eine  Verkleinerung  der 


1)  Erhebungen  XXI  S.   2. 

2)  üreigentum  S.  226.     Erhebungen  VIII  S.  3,  XII  S.  5. 

3)  Üreigentum,   S    204. 

4)  Erhebungen  XII,  S.  4. 

5)  Erhebungen  XII,  S.  12. 


428  M  i  s  z  e  1 1  e  n. 

einzelnen  Lose  oder  durch  Inanspruchnahme  des  Kämmereivermögens  er- 
möglicht wurde,  ist  nicht  zu  ersehen ;  doch  ist  dem  letzteren  Wege  auf 
die  Dauer  durch  die  gesetzlichen  Bestimmungen  vorgebeugt.  Die  Allmend 
hat  sogar  selbst  die  Tendenz  ,  das  natürliche  Abströmen  der  Bevölkerung 
in  ungesunder  Weise  zu  hindern1).  Die  mannigfachen  Vorteile,  welche 
die  Allmendberechtigung  verheilst,  fesseln  die  jungen  Burschen  und  Mädchen 
ans  Dorf;  so  werden  allzu  frühe  Heiraten  hervorgerufen  (der  Eintritt  in 
die  Zahl  der  Berechtigten  setzt  eigenen  Hausstand  voraus) ,  und  da  die 
Allmend  doch  immer  erst  spät  zufällt,  meist  auch  nicht  genügt,  den  für 
eine  Familie  nötigen  Lebensunterhalt  allein  zu  produzieren,  so  wird  die 
an  und  für  sich  schon  allzu  grofse  Nachfrage  nach  freien  Ländereien  und 
Pachtland  mit  allen  daraus  folgenden  weiteren  Nachteilen  noch  gesteigert. 
Bücher  erklärt  es  für  einen  Vorzug  der  Allmendgemeinden,  dafs  in  ihnen 
„jenes  ungesunde  Andrängen  der  ärmeren  Landbevölkerung  nach  den 
Städten  und  in  die  Fabrikdistrikte,  welches  die  Landwirtschaft  der  Arbeits- 
kräfte beraubt  und  eine  so  grofse  Masse  unsicherer  Existenzen  schafft", 
in  geringerem  Mafse  stattfinde2).  Unzweifelhaft  richtig,  wenn  nämlich 
wirklich  auf  dem  Lande  noch  viel  Arbeitskräfte  gebraucht  werden  wie  im 
östlichen  Deutschland.  Für  Baden  dagegen ,  insbesondere  in  der  Rhein- 
thalebene, dürfte  für  viele  Dörfer  das  Ende  der  Aufnahmefähigkeit  von 
Menschen  gekommen  sein  oder  doch  in  absehbarer  Zeit  kommen.  Es  er- 
heben sich  auch  Warnungsstimmen  in  diesem  Sinne.  So  sagt  Wörishoffer 
in  seinem  Berichte  über  die  soziale  Lage  der  Zigarrenarbeiter  im  Grofs- 
herzogtum  Baden  (S.  83)  trotz  aller  Anerkennung  der  Vorteile  der  All- 
mend: „Diese  Wirkung  (das  Hinausschieben  des  Zeitpunkts  des  Eintritts 
in  den  Genufs)  ist  aber  nur  eine  günstige,  weil  sonst  der  Hang  am  Orte 
zu  bleiben  unter  den  jungen  Leuten  noch  mehr  zunehmen  würde,  als  es 
ohnedem  schon  seit  der  durch  die  Zigarrenfabriken  vorhandenen  Verdienst- 
gelegenheit gewachsen  ist.  Mit  diesem  Hange,  am  Ort  zu  bleiben,  bezw. 
mit  der  Möglichkeit  ihn  zu  befriedigen,  ist  überall  auch  die  Unternehmungs- 
lust und  das  Selbstvertrauen  unter  der  Bevölkerung  zurückgegangen,  die 
das  Risiko  scheut,  sich  unter  fremden  Verhältnissen  eine  bessere  Existenz 
zu  gründen."  Und  in  dem  Enquetebericht3)  heifat  es:  „Es  kann  nicht 
in  Abrede  gestellt  werden ,  dafs  ein  so  grofser  Allmendnutzen,  wie  er  in 
Huttenheim  besteht,  den  nicht  zu  leugnenden  Nachteil  im  Gefolge  hat, 
dafs  die  Bevölkerung  es  an  intensivem  Fleifse  und  regem  Arbeitsgeiste 
im  allgemeinen  fehlen  läfst;  auch  den  Gewerbebetrieb  läfst  der  grofse 
Allmendnutzen  auf  eine  hohe  Stufe  nicht  gelangen,  weil  die  jungen  Leute 
nur  kurze  Zeit  aufserhalb  des  Ortes  sich  aufzuhalten  pflegen,  vielmehr 
zeitig  wieder  nach  Hause  streben,  um  so  rasch  als  möglich  in  den  Ge- 
nufs der  Allmend  zu  gelangen." 

In  der  Mehrzahl  der  Fälle  wird  wohl  immer  noch  die  alte  Nutzungs- 


1)  Erhebungen  XIII,  5,   15;  XIV,  S.  3,  7. 

2)  Ureigentum,  S.  227.  Buchenberger  schliefst  sich  in  seiner  „Agrarpolitik"  der 
Auffassung  Büchers  an,  obgleich  er  bei  einer  früheren  Gelegenheit  scharfe  Worte  gegen 
die  Schollenkleberei  gesprochen  hat.  Vgl.  Schriften  des  Vereins  für  Sozialpolitik  XXVIII, 
1884,   S.  35. 

3)  Erhebungen  XIII,  S.  5. 


Miszellen.  429 

weise  der  Allmend  (Zuteilung  an  die  Bürger  mit  Aufrücken  der  Berech- 
tigten; Beginn  der  Berechtigung  mit  dem  25.  Jahre)  beibehalten  werden 
können;  wo  dagegen  die  Bevölkerung  über  den  Nahrungsspielraum  des 
Dorfes  hinausgewachsen  ist,  wird  man  eich  zu  einer  Aenderung  der 
Nutzungsweise  entschliefsen  müssen,  um  die  Allmend  überhaupt  zu  retten. 
Freilich  ist  dabei  jede  Schablouisierung  zu  vermeiden.  Man  kann  daran 
denken,  die  Allmend  ganz  oder  zum  Teil  zum  Kämmereivermögen  zu 
schlagen,  um  das  Dorf  finanziell  zu  sichern,  eine  Politik,  wie  sie  nament- 
lich in  Württemberg  verfolgt  worden  ist.  Oder  man  macht,  wie  das  in 
Elsafs-Lothringen  vorkommt,  mit  der  sozialpolitischen  Bedeutung  der 
Allmende  ernst  und  teilt  sie  den  Aermsten  an  Stelle  der  Armenunterstützung 
zu.  Der  dritte  Weg  endlich,  der  sich  wohl  am  gangbarsten  erweisen 
würde,  ist  die  Heraufsetznng  der  Altersgrenze  für  den  Eintritt  in  den 
Genufs,  die  natürlich  bei  jeder  Gemeinde  in  Beziehung  zu  der  Zahl  und 
Gröfse  der  vorhandenen  Allmendlose  gesetzt  werden  müfste. 


430 


Miszellen. 


VII. 

Selbstmordstatistik  der  wichtigsten  Länder  Europas. 

Tab.  I. 

1.  Deutschland. 


Jahr 


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Preufsen. 


1877—84 
(Durchschn.) 
1885 
1886 
1887 
1888 
1889 
1890 
1891 

1879—86 
(Durchschn.) 
1887 
1888 
1889 
1890 

1862—86 
(Durchschn.) 
1887 
1888 
1889 
1890 
1891 
1892 
1893 

1872—85 
(Durchschn.) 
1886 
1887 
1888 
1889 
1890 
1891 


5054  4096 
6028  481 1 
6212I5047 
58984703 

5393:4255 
56564460 
59784691 
62004931 


405  2044 
3792161 
402  2013 
435  1861 
446  1868 
460  2046 
492  2087 


2264  I234 
2321  1267 
2277  1212 
1872  1166 
2103  1 171 
2170  1213 
2328  1189 


3003 
3084 
2830 
2480 
2683 
2804 
2961 


1858 
1962 
1874 
183/ 
1889 
2022 
2063 


858  1372(592651 
1492  1245:420792 
1747J  960  421  762 
852  362769 
856  355  8>7 
887  431  789 
8471418964 
9431459843 


[619 
'430 
H83 
'1607 

639 


3109 
3632 
3838 

36i5 
3276 

3354 
3425 
3542 


953  527 
1 150  636 
1105  682 
1 100  637 

979588 
1021I723 
1191  767 

I220|804 


1192527 
1582  603 
1671  623 

1559551 

1468  421 

•  443403 
1605485 

1661  444 


362 
477 
5°4 
5J9 
50* 

565 
520 

579 


Bayern. 


726 

593 

377 

130 

137 



_ 

824 

662 

66 

280 

326 

152 

387 

323 

251 

267 

99 

— 

414 

'75 

172 

360 

52 

66 

754 

621 

75 

264 

271 

144 

332 

3i6 

239 

203 

77 

— 

401 

138 

136 

3ii 

30 

42 

737 

623 

65 

258 

246 

162 

289 

339 

241 

246 

81 

— 

375 

140 

146 

261 

49 

46 

661 

5i6 

62 

213 

251 

126 

281 

281 

199 

205 

74 

37 

334 

125 

138 

257 

46 

40 

18,5 

21,3 

21,  H 

20 

18,3 

19 

19.8 

20,3 


13.5 

13.7 
I3»3 
11,8 


Sachsen. 


866 
1104 
1050 
1102 
1066 
1172 
1179 
1188 


695 

97 

286 

291 

185 

426 

272 

_ 

_ 

_ 

564 

176 

70 

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32,2 

889 

130 

354 

402 

305 

544 

346 

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732 

195 

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356 

105 

115 

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108 

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385 

218 

53o 

309 

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667 

199 

89 

325 

96 

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859 

83 

266 

328 

173 

537 

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691 

198 

127 

284 

61 

148 

32 

835 

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538 

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613 

232 

109 

294 

90 

143 

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902 

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577 

354 

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234 

122 

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86 

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141 

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Württemberg. 


331 

281 

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167 

104 

104 

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324 

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303 

231 

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110 

120 

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104 

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30 

28 

177 

50 

37 

121 

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24 

322 

265 

39 

103 

119 

59 

125 

131 

91 

121 

25 

32 

194 

41 

55 

13° 

40 

26 

291 

241 

28 

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102 

101 

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137 

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24 

341 

272 

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94 

148 

67 

169 

127 

121 

132 

37 

8 

209 

52 

5i 

150 

48 

3i 

1)  Der    starke   Rückgang    gegenüber    den   Vorjahren  erklärt  sich    aus    der    1890    erfolgten  Einstellung 
einer  besonderen  Berufsklasse  „persönliche  Dienstleistungen". 


M  i  s  z  c  lle  n. 


431 


Tab.  I  (Fortsetzung). 


Jahr 


Faun 

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Mutmafsliche 

Alter 

sta 

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Berut 

Toaesar 

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Ursachen 

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Baden. 


1876—85 
(Durchschn.) 
1886 
1887 
1888 
1889 
1890 
1891 
1892 


306 

260 

17 

94 

119 

72 

!32 

125 

"5 

103 

35 



169 

52 

53 

320 

260 

22 

92 

119 

73 

I49 

126 

84 

101 

32 

44 

162 

56 

7i 

— 

— 

— 

320 

263 

21 

112 

120 

62 

131 

I46 

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25 

39 

16.3 

49 

63 

— 

— 

— 

346 

296 

23 

98 

140 

80 

169 

119 

125 

109 

4« 

27 

215 

48 

52 

— 

— 

— 

312 

257 

17 

102 

116 

72 

139 

126 

86 

102 

33 

46 

176 

45 

53 

— 

— 

— 

275 

229 

25 

78 

107 

60 

Il8 

I07 

90 

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24 

30 

158 

51 

42 

— 

— 

— 

353 

283 

23 

89 

152 

82 

165 

121 

85 

116 

30 

62 

199 

55 

63 

— 

— 

— 

359 

187 

54 

56 

— 

— 

— 

Hessen. 


1883—86 
^Durchschn.) 
1887 
1888 
1889 
1890 
1891 

228 
230 

234 
240 

234 
238 

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19,9 
19,8 

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21,4 


Tab.  II. 


Jahr 


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1884 
1885 
1886 
1887 
1888 
1889 


1886 
1887 
1888 
1889 
1890 
1891 


2.  Frankreich. 


7572I5964 
7902  6345 
8187  6471 
8202  6434 
8451  6663 
8180  6381 


398  1848 
389  2095 
386  2172 
402  1891 
4482148 
469  2129 


2902  2255 

2958  2202 
3II925IO 
3064  276O 

3'47  2615 
3008  2494 


3365 
3578 
3656 
37o6 
3752 
3670 


2623 
2812 
2895 
2894 
2842 

2745 


2376 
2400 
2621 
2614 
2800 
2552 


2109 
2141 
2358 
2276 

2113 

1944 


922 

937 
1030 

967 
11 24 

964 


3303 

348o 
347i 
346i 
3694 
355i 


2069 
2066 
2263 
2213 
2243 
2159 


984 
1084 
1062 
1081 

832 


2168 
2112 

2134 
2023 

1987 

1555 


809? 
868 
949 
934 


1228 
1321 

I332 
1407 
1494 
1491 


3.  Italien. 


1225 

1007 

1449 

1182 

'590 

1280 

1463 

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1659 

1.356 

1710 

1385 

20,9 

21,3 

21,4 

21,4 

22 

21 


99 

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213 

343 

374 

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629 

531 

328 

632 

673 

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394 

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636 

559 

328 

672 

717 

262 
271 

406 
411 

418 
426 

— 

— 

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4,48 
5.63 

432 


M  i  s  z  e  1 1  e  n. 


Tab.  II  (Fortsetzung). 


Jahr 


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Alter 

Familien- 
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Todesart 

Mutmafsliche 
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4.  Oesterreich. 


1884 
1885 
1886 
1887 
1888 
1889 
1890 


3783 
3891 
3837 
3844 
3690 

3733 
3715 

3000 
3J07 
3013 
3032 
2881 
2925 
2929 

1678 

1758 
1727 

»735 
1696 
1608 

1049 
1060 
1027 
1040 

963 
919 

604 
619 
606 
600 

555 
778 

— 

— 

— 

5.   Belgien. 


1881—85 
(Durch- 
schnitt) 
1886 
1887 
1888 
1889 
1890 
1891 


602 

506 

629 

54i 

766 

637 

699 

589 

749 

621 

724 

590 

768 

648 

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185 

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108 

288 

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316 

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63 

217 

285 

131 

322 

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112 

66 

235 

290 

158 

323 

283 

176  151 

108 

47 

203 

304 

163 

333 

269 

180  160 

103 

54 

229 

325 

164 

35b 

284 

172  185 

117 

287 

166 

73 







302 

158 

107 

— 

— 

— 

360 

188 

117 

— 

— 

— 

373 

159 

112 

— 

— 

— 

383 

176 

123 

— 

— 

— 

385 

164 

106 

— 

— 

— 

3^9 

199 

103 

— 

— 

— 

1884 
1885 
1886 
1887 
1888 
1889 
1890 


1885 
1886 
1887 


1885 
1886 
1887 
1888 
1889 
1890 
1891 


1887 
1888 


647 
661 
692 
626 
609 
663 
633 


2647 
2585 
2575 


2020 
1998 
1972 


6.  Schweiz. 


(Nähere  Angaben  fehlen  in   der  amtl.  Statistik.) 


7.  Rufslan  d. 


8.  England    und    Wales. 


2007 

1529 

197 

910 

727 

167 

2254 

1694 

237 

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202 

2234 

1675 

250 

1006 

784 

194 

2308 

1732 

250 

833 

821 

193 

2170 

1626 

256 

970 

759 

180 

2205 

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242 

1019 

735 

201 

2485 

1863 

195 

1200 

836 

205 

669 

609 

697 
769 
590 

629 
701 


382 
514 

500 

453 
503 
504 
559 


47i 
560 

600 

568 
578 
581 
693 


9.  Schottland. 


228I 
219I 


5-8 
5,6 


M  i  sz  e  1 1  e  n. 


433 


Tab.  II  (Fortsetzung). 


Jahr 


Alter 

Familien- 
stand 

Beruf 

Todesart 

Mutmafsliche 
Ursachen 

öS  X. 

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1887 
1888 
1889 


1887 
1888 
1889 


1887 
1888 
1889 


1885 
1886 
1887 
1888 
1889 
1890 
1891 


1887 
1888 
1889 
1890 
1891 


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121 

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11.  H  olland. 


238 
268 
232 

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12.  Schweden. 


13.  Norwegen. 


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— 

14. 

Dänemark. 

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— 

— 

5,8 
5,9 

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II 

12,1 
11,3 


2,9 
2.8 
2,8 
2,9 
2,7 
2,4 
2,3 


25,3 
25,2 
26,8 
25,T 

24,2 


Dritte  Folge  Bd.  VIII  (I.XIII). 


28 


434  M  i  s  z  e  1 1  e  n. 


VIII. 
Der  Stand  der  Eisenbahnfrage  in  Californien. 

Eine  Kritik  der  Methode  der  Eisenbahnverwaltung. 
Von  Prof.  Dr.  F.  C.  Clark. 

Der  gegenwärtige  Stand  der  Eisenbahnfrage  in  Californien  ist  inter- 
essant, eigentümlich  und  in  mancher  Hinsicht  einzig  in  seiner  Art. 

Wer  durch  den  Staat  reist,  kann  nicht  umhin  die  scheinbare 
Einheit  der  Organisation  des  Eisenbahntransports  zu  bemerken,  aber 
wenn  er  länger  yerweilt,  wird  er  auch  das  verhältnismäfsige  Zurückbleiben 
industrieller  Unternehmungen  gewahr  und  hört  von  allen  Seiten  unzählige 
Klagen  über  Unterdrückung  und  Eisenbahntyrannei.  In  einem  Staate, 
welcher  sich  mit  Recht  der  Menge,  Gröfse  und  Verschiedenartigkeit  seiner 
Produkte  rühmt,  wird  man  natürlich  eine  grofse  Mannigfaltigkeit  der 
Industrie,  besonders  der  Fabriken,  vereinigt  mit  einer  Anzahl  unabhängiger 
Transportgesellschaften  zu  finden  erwarten.  Was  jedoch  die  letzteren 
betrifft,  so  ist  hier  die  Anzahl  durch  Gröfse  ersetzt,  und  es  zeigt  sioh  ein 
entschiedener  Mangel  an  Verschiedenartigkeit. 

Während  die  Mehrzahl  der  Staaten  östlich  der  Rocky  Mountains 
lange  unter  der  übergrofsen  Konkurrenz  der  Eisenbahnen  gelitten  hat,  ist 
Californien  andererseits  durch  den  Mangel  derselben  geschädigt. 

Pas  Geschäft  des  Transports  von  Gütern  und  Personen  durch  die 
Eisenbahn  liegt  in  Californien  absolut  in  der  Hand  einer  einzigen  Gesell- 
schaft. Diese  Gesellschaft,  The  Southern  Pacific  Company  (der 
Titel  ist  zu  beachten)  wurde  im  Staat  Kentucky  im  März  1885  gesetzlich 
anerkannt  zu  dem  vorgeblichen  Zweck,  „an  der  Pacific-Küste  und  im  Süd- 
westen Eisenbahnen  zu  besitzen ,  in  Betrieb  zu  setzen ,  sie  zu  pachten 
und  zu  verwalten";  aber  hinzugefügt  mufs  werden,  auch  zu  dem  Zweck, 
gewisse  Bestimmungen  der  Verfassungen  und  Gesetze  der  Staaten  und 
Territorien,  in  welchen  Eisenbahnstrecken  lagen,  zu  umgehen. 

Die  ganze  Route,  auf  welcher  diese  Gesellschaft  ihre  Thätigkeit 
erstreckte,  und  die  sie  grofsenteils  auch  besafs,  betrug  am  31.  Dezember 
1892  6525,98  engl.  Meilen.  Dieses  kolossale  Eisenbahnnetz  ist  in  2  Teile 
geteilt:  die  Pacificabteilung  und  die  atlantische.  El  Paso  ist  der  Scheide- 
punkt. Zu  der  Pacificstrecke  gehören :  die  südliche  Pacific- Eisenbahn  von 
Californien ,  die  südliche  Pacific- Eisenbahn  von  Arizona ,  die  südliche 
Pacific-Eisenbahn  von  Neu-Mexiko ,    die    südliche  Pacifio-Küsteneisenbahn, 


M  i  s  z  e  1 1  e  n.  435 

die  nördliche  Eisenbahn,  die  nördliche  Californien-Eisenbahn,  die  Central- 
Pacific-Eisenbahn,  die  Oregon-Eiseubahn,  die  Portland-  und  Yamhill-Eisen- 
bahu  und  die  Californien-Central-Eisenbahn.  Zu  dem  atlantischen  Teile  ge- 
hören :  die  Morgans  Louisiana-  und  Texas-Eisenbahn,  die  westliche  Louisiana- 
Eisenbahn,  die  Eisenbahn  von  Texas  und  New  Orleans,  die  Golf-,  westliche 
Texas-  und  Pacific- Eisen  bahn ,  die  Eisenbahn  von  Galveston,  Harrisburg 
und  San  Antonio,  die  Eisenbahn  von  New- York,  Texas  und  Mexico,  und 
die  Texas-Transport-Gesellschaft.  Wenn  man  auch  die  Dampferlinien 
berücksichtigt,  welche  diese  Gesellschaft  in  Händen  hat,  z,  B.  die  Pacific 
Mail  S.  S.  Co. ;  die  occidentale  und  Orientale  S.  S.  Co.,  die  Linie  zwischen 
Panama  und  New- York,  und  die  Linie  zwischen  Galveston  und  New-York, 
so  bekommt  man  einen  Begriff  von  der  Gröfse  und  der  Macht  des  Mono- 
pols dieser  Gesellschaft.  So  seltsam  wie  es  auch  scheinen  mag,  steht  doch 
diese  Ausdehnung  im  direkten  Verhältnis  zu  dem  industriellen  Verfall 
San  Franeiscos  seit  1885. 

Weiter  nördlich  sind  die  Verkehrsmittel  verhältnismäfsig  besser  und 
daher  lenken  Portland,  Tacoma  und  Seattle  den  Orienthandel  in  den  letzten 
Jahren  stetig  von  San  Francisco  ab  und  daher  kommen  auch  die  reichen 
natürlichen  Hilfsmittel  von  Oregon  und  Washington  zur  Entwickelung; 
während  diese  Staaten  früher  nach  San  Francisco  wie  nach  einem  Markt 
und  Einschiffungspunkt  tendierten.  Wenn  auch  der  augenblickliche  Mangel 
an  Konkurrenz  in  San  Francisco  nicht  der  alleinige  Grund  ist,  so  ist  der- 
selbe doch  der  hauptsächlichste  für  die  veränderte  Pachtung  des  Verkehrs 
und  hat  den  Fortschritt  des  Staates  wesentlich  gehemmt.  Jedes  Jahr 
dehnen  die  Kaufleute  aus  Portland  im  nördlichen  Californieu  ihren  Detail- 
verkauf östlicher  Produkte  immer  mehr  nach  San   Francisco  hin  aus. 

Auf  einer  genauen  Eisenbahnkarte  von  Californien  erkennt  man  auf 
den  ersten  Blick  die  Lage  der  Transportverhältnisse.  Wie  vorher  bemerkt, 
besitzt  und  verwaltet  die  Southern  Pacific  Company  alle  Verkehrsmittel 
nach  San  Franzisco  zu  Land  und  zum  Teil  auch  zu  Wasser.  In  der  That  ist 
es  fast  unmöglich  von  San  Francisco  in  die  Nähe  oder  Ferne  zu  ver- 
reisen, ohne  erst  einen  bedeutenden  Beitrag  an  die  Gesellschaft  zu  zahlen. 
Wenn  man  ein  Billet  nach  Chicago  über  Ogden  hat,  nimmt  die  Southern 
Pacific  46  Proz.  vom  Preise  des  Billets;  nimmt  man  seinen  Weg  über 
Mojave,  ferner  über  die  Atchison,  Topeka  und  Santa  Fe,  so  fallen  18  Proz. 
davon  der  Southern  Pacific  nach  dem  gegenwärtig  geltendem  Ueberein- 
kommen  zu.  Ist  das  Billet  für  nördlich  nach  Chicago  laufende  Eisen- 
bahnlinien giltig,  so  sind  die  Prozentsätze  folgende :  Ueber  Portland,  dann 
über  die  Northern  Pacific  oder  Great  Northern  fallen  36  Proz.  auf  die 
Southern  Pacific;  führt  der  Weg  über  Cauadian  Pacific,  dann  wird  der 
ganze  Lokaltarifsatz  nach  Portland  von  der  Southern  Pacific  in  Anspruch 
genommen,  das  beträgt  zwanzig  Dollar  oder  32  Proz.  des  Fahrgeldes  nach 
Chicago ,  obgleich  die  Passagiere  nur  ein  Fünftel  der  Strecke  darauf  be- 
fördert werden.  Aber  das  ist  noch  nicht  alles.  Ob  man  sich  für  den 
Küstendampfer  über  Los  Angelos  entscheidet  oder  den  längeren  Weg  über 
Panama  vorzieht,  die  Southern  Pacific  sichert  sich  in  jedem  Falle  einen 
oder  mehrere  Coupons  des  Passagierbilletes.  Wenn  man  bei  der  „Sunset 
Route",    d.  i.  über  El  Paso,    reist,    so    benutzt    man    eine    Eisenbahnlinie 

28* 


436  Mis  zellen. 

dieser  Gesellschaft  auf  die  gröfsere  Strecke,  und  diese  nimmt  einen 
entsprechenden  Anteil  von  jedem  Billet  für  sich  in  Anspruch,  gleichviel 
ob  man  nach  Chicago,  New- York  oder  Europa  fährt.  Neben  den  Eisen- 
bahn- und  Dampferlinien  besitzt  und  verwaltet  diese  Gesellschaft  auch  die 
bedeutendsten  Drahtseilbahnen  von  San  Francisco  und  für  diese  mufs  man 
auch  beisteuern.  Die  Oaklandfähren  und  die  Pacific  Güterspeditionsgesell- 
schaft dürfen  auch  nicht  bei  einer  detaillierten  Darstellung  übersehen 
werden.  Es  würde  in  der  That  schwer  sein,  ein  strenger  durchgeführtes 
Monopol  als  dieses  zu  finden.  Ein  Studium  der  Lage  der  Strafseneisen- 
bahn  und  der  Fährenfrage  würde  augenblicklich  vom  ökonomischen  so- 
wohl als  auch  vom  sozialen  Gesichtspunkte  aus  sehr  interessant  sein,  an- 
gesichts der  wachsenden  Aussichten  auf  erfolgreiche  Konkurrenz;  doch 
wir  müssen  uns  auf  die  Eisenbahnfrage  beschränken. 

Zuerst  möchte  ich  bemerken,  dafs  die  Ursachen  der  momentanen  Ver- 
kehrslage im  Gegensatz  zu  dem,  was  man  wohl  zuerst  vermutet,  unseres 
Erachtens  nach  ebenso  der  Schlaffheit  des  Publikums,  wie  dem  offensiven  Vor- 
gehen der  betr.  Aktiengesellschaft  zuzuschreiben  sind.  Die  Kaufleute 
von  San  Francisco ,  durch  die  vierziger  und  fünfziger  Jahre  an  einen 
Profit  von  75  bis  100  Proz.  gewöhnt,  sind  nicht  geneigt,  sich  jetzt  für 
so  geringen  Gewinn  anzustrengen,  wie  moderne  industrielle  Unternehmungen 
ihnen  bieten.  Wenn  man  die  soziale  Apathie  und  die  hier  herrschende 
undurchdringliche  Gleichgiltigkeit  gegenüber  neuen  Bedingungen  unter 
denen  sieht,  deren  grofser  Einflufs  am  leichtesten  die  Fesseln  der  Tyrannei 
brechen  könnte,  so  ist  man  geneigt,  mit  dem  calabrischen  Mönche  zu 
sagen :  „The  people  is  a  beast  of  muddy  brain."  Jedoch  ist  der  Gesell- 
schaft die  Lage  der  Dinge  von  Anfang  an  wohl  bekannt  gewesen ,  und 
sie  war  sehr  beflissen  sich  den  Vorteil  zu  wahren,  welche  die  natürliche 
Lage  der  Verhältnisse  ihr  bot. 

Diese  Lage  ist  vom  sozialen  Gesichtspunkt  aus  betrachtet  weder  un- 
bekannt noch  unnatürlich.  Das  Transportwesen  aller  grofsen  modernen 
Unternehmungen  hat  die  gröfsteu  Fortschritte  gemacht  und  macht  sie 
noch  ferner.  In  der  That  liegt  es  in  der  Natur  derselben  und  in  den 
Umständen,  dafs  dieses  bestimmend  für  das  Schicksal  von  anderen  Unter- 
nehmungen, Städten  und  Staaten  ist,  die  alle  vollständig  von  den  Trans- 
portanstalten abhängig  sind.  Die  Verbindung  von  3  oder  4  Eisenbahn- 
systemen zu  einem  grofsen  Verbände  unter  einer  Verwaltung  würde  in 
der  herrschenden  Tagesmeinung  für  ein  Zeichen  des  Fortschrittes  ge- 
halten werden ;  aber  bei  solcher  Berechnung  sollte  man  nicht  versäumen 
das  abzuziehen,  was  doch  entschieden  abgezogen  werden  mufs,  nämlich 
die  zahlreichen  Unternehmungen,  die  dadurch  belastet  oder  völlig  zu  Grunde 
gerichtet  werden.  Wir  finden  hier  ein  Prinzip  der  Eisenbahnökonomie, 
nämlich  das ,  dafs  die  Transportmittel,  bei  denen  sich  durch  Lage  und 
Natur  der  Sache  der  Einflufs  des  Fortschrittes  zuerst  bemerkbar  macht, 
die  industrielle  Gesellschaft  entweder  zu  unterstützen  oder  zu  hemmen 
imstande  sind. 

Gemäfs  der  jetzigen  Organisation  der  Aktiengesellschaften  hat  ein 
einzelner  Beamter  oder  mehrere  Beamte  die  ganze  Macht  und  Initiative 
in    der    Hand.     Infolge    dessen    ist     die    industrielle    Thätigkeit    der  Ge- 


Miszellen.  437 

samtheit  in  einem  solchen  Falle,  wie  er  für  unsere  Betrachtung  vor- 
liegt, ganz  von  ihrer  Willkür  abhängig.  Sie  entscheiden,  ob  eine  in- 
dustrielle Unternehmung  gegründet  werden  darf  oder  nicht.  Will  sich 
ein  Konkurrent  niederlassen,  so  wird  er  selbstverständlich  abgewiesen. 
Ist  es  aber  ein  Günstling,  so  wird  die  Erlaubnis  erteilt.  Ohne  Ueber- 
treibuug  kann  gesagt  werden,  dafs  bei  den  bestehenden  Umständen  ein 
einziger  Mann  in  San  Francisco  in  der  Lage  ist,  jedes  grofse  Etablisse- 
ment an  der  Marktstrafse  in  30  Tagen  zu  schliefsen  und  den  Handel  im 
Hafen  von  San  Francisco  in  3  Monaten  zu  zerstören.  Er  kann  das  mit 
der  ihm  verliehenen  Macht,  bevor  Staat  und  Gemeinde  durch  die 
Mittel,  welche  sie  zur  Verhinderung  einer  sozialen  Tyrannei  geschaffen 
hat,  einschreiten  könnte.  Dies  erklärt  nicht  nur  die  kritische  Lage  in 
Californien ,  sondern  beweifst  auch  die  allgemeine  Gefahr  der  unbe- 
schränkten, ungeordneten  Macht  solcher  Gesellschaften,  und  zu  gleicher 
Zeit  giebt  es  Aufschlufs  darüber,  wer  die  Verantwortung  trägt.  Diese 
Macht  über  die  Industrie,  von  der  hier  die  Rede  ist,  ist  die  Macht 
der  Tarifregulierung.  Aber  bei  näherer  Betrachtung  enthält  jede 
Eisenbahnfrage  dieser  Art  auch  ein  politisches  Moment,  welches  zu  dem 
volkswirtschaftlichen  oder  industriellen  Moment  hinzutritt.  Man  hat 
in  Pennsylvanien,  in  New- York  dieselbe  Beobachtung  zu  Anfang  der  70er 
Jahre  gemacht;  10  Jahre  später  in  Jowa  und  Minnesota.  Die  Geschichte 
der  Eisenbahnmonopole  der  Vergangenheit,  sowie  die  Beobachtungen  in  der 
Gegenwart  haben  ergeben,  dafs  ein  Privateisenbahnmonopol  unter  einer 
demokratischen  Regierung  nicht  existieren  kann,  ausgenommen  durch  Um- 
gehung des  Gesetzes  oder  Bestechung  der  Gerichtsbarkeit.  Eine  Eisen- 
bahngesellschaft ist  eine  Schöpfung  des  Staates  und  es  liegt  in  der  Natur 
der  Sache,  dafs  sie,  um  ihre  Unabhängigkeit  gegen  Einmischungen  zu 
wahren,  gezwungen  ist,  der  Gewalt,  d.  h.  der  Gesetzgebung  zu  trotzen, 
die  sie  geschaffen  hat. 

Die  Lage  in  Californien  ist  in  dieser  Hinsicht  typisch.  Californien 
ist  der  einzige  Staat,  dessen  Eisenbahnbehörde  direkt  durch  die  Ver- 
fassung eingerichtet  wurde  und  deren  Rechte  und  Pflichten  ausdrücklich 
gesetzlich  normiert  wurden.  Unter  den  verliehenen  Rechten  und  aufer- 
legten Pflichten  ist  besonders  hervorzuheben : 

„Tarife  festzustellen  für  den  Passagier-  und  Frachtverkehr  durch  die 
Eisenbahn-  oder  Transportgesellschaften  und  von  Zeit  zu  Zeit  dieselben 
mit  den  etwaigen  Veränderungen  zu  veröffentlichen."  Dem  Wortlaut  der 
Verfassung  nach  ist  die  Behörde  unbedingt  hierzu  verpflichtet.  Unge- 
achtet dieser  Thatsache  hat  die  gegenwärtige  Kommission,  die  aus  drei 
Männern  ohne  besondere  Fachbildung  besteht,  die  Verfassung  ignoriert, 
und  der  Staatssenat,  durch  die  Eisenbahnen  beeinflufst,  hat  ausdrücklich 
ihr  Vorgehen  gebilligt.  Im  Anfang  des  Jahres  1893  wurde  eine  Bill  bei 
dem  gesetzgebenden  Körper  beantragt,  welche  die  Kommissionsmitglieder 
wegen  Versäumnis,  Unzuverlässigkeit  und  Vernachlässigung  der  Pflichten 
ihres  Amtes  entsetzen  sollte.  Die  Bill  ging  im  Unterhaus  mit  der 
notwendigen  2/3 -Majorität  durch,  aber  sie  wurde  nicht  vom  Senat  bestätigt 
infolge  des  Druckes,  den  die  Eisenbahngesellschaften  in  gewohnter  Weise 
ausübten.  In  Bezug  darauf  bemerkte  eine  San  Franciscoer  Zeitung  vom 
1.  März   1893: 


438  M  i  s  z  e  1 1  e  n. 

„Das  Vorgehen  des  Senates  bekundet  klar  die  Stellung  seiner  Mit- 
glieder zu  den  Eisenbahnen.  Die  Wahl  blieb  nur  zwischen  dem  Volk 
und  der  Eisenbahn.  Es  war  in  dieser  Beziehung  keine  Möglichkeit  einer 
Meinungsverschiedenheit.  Jeder  Senator  wufste,  dafs  die  Kommissions- 
mitglieder sich  geweigert  hatten,  ihre  Pflicht  zu  thun,  welche  die  Ver- 
fassung ihnen  auferlegt.  Dies  hat  jeder  in  Californien  klar  erkannt,  der 
bemüht  war,  diesen  Vorgängen  zu  folgen.  Dies  wird  von  der  Kommission 
in  ihrem  offiziellen  Berichte  zugestanden". 

Nachdem  die  Bill  abgelehnt  war,  galt  die  Sache  für  erledigt;  die 
Kommission  bezog  weiter  ihre  Einnahmen  von  4000  Doli,  jährlich,  und 
der  Buchstabe  wie  der  Geist  der  Verfassung  sind  in  den  Augen  des 
ganzen  Volkes  verletzt.  Wo,  mufs  man  fragen,  liegt  nun  eigentlich  der 
Fehler?  Wer  ist  verantwortlich  für  diese  Lage  der  Dinge?  Die  Antwort 
auf  diese  beiden  Fragen  ist  dieselbe ;  sie  lautet :  hauptsächlich  das  Volk 
selbst.  Die  öffentliche  Meinung  hat  sich  nicht  bestimmt  gegen  ein 
solches  Verfahren  ausgesprochen.  Das  Wahlrecht  ist  von  denen  nicht 
treulich  ausgeübt,  welche  es  ausüben  könnten  und  sollten. 

Die  Schilderung  der  Lage  in  New  York,  die  wir  in  einem  Artikel 
von  Prof.  Hart  in  der  P.olitical  Science  Quarterly  (1892)  finden,  gilt  auch 
für  Californien.  Das  Volk  versteht  nicht,  wie  die  Eisenbahnen  es  thun, 
wie  sehr  das  Gesamtwohl  in  industrieller  sowohl,  als  auch  in  politischer 
Beziehung  von  der  Volksvertretung  abhängt,  noch  viel  weniger  versteht 
es ,  dafs  das  Allgemeinwohl  nicht  gleichbedeutend  ist  mit  dem  über- 
mäfsigen  Wachstum  einer  einzigen  Aktiengesellschaft.  Bis  das  Volk  von 
Californien  überzeugt  wird,  dafs  es  seine  industriellen  Interessen  mit  dem- 
selben Eifer  verteidigen  müsse,  den  es  bewiesen  hat  in  der  Gewährung 
der  wertvollen  Privilegien  und  Konzessionen,  mufs  es  darauf  gefafst  sein, 
die  Frucht  seiner  Gleichgültigkeit  zu  ernten.  Es  ist  undenkbar  zu  glauben, 
und  es  wäre  Verrat  zuzugeben,  dafs  solche  Uebel  bei  einem  Regie- 
rungssystem wie  das  amerikanische  nicht  ausgerottet  werden  können.  Das 
Mittel  mufs  aber  nicht  in  einer  neuen  Gesetzgebung  gefunden  werden, 
sondern  vielmehr  in  der  Befolgung  der  Gesetze,  welche  schon  in  dem 
Gesetzbuch  enthalten  sind. 

Aber  andererseits  verdient  das  Volk  nicht  den  ganzen  Tadel,  wenn 
auch  die  Initiative  einer  Verbesserung  der  Uebelstände  schon  bei  der 
Wahlurne  beginnen  mufs.  Eine  unbefangene  Behandlung  des  Gegen- 
standes mufs  also  den  Schwerpunkt  der  Mifsstände  in  der  Natur  der 
Aktiengesellschaft  selbst  sehen.  Die  Ziele  derselben  sind  sowohl  volks- 
wirtschaftlich wie  privatwirtschaftlich  in  wenigen  Worten  charakterisiert: 
rücksichtslose  und  selbstsüchtige  Vergröfserung  ihrer  Macht. 

Das  Wohl  der  Gesamtheit,  wovon  ihr  eigener  dauernder  Wohlstand 
abhängt,  wird  geopfert,  wie  es  bei  vielen  ähnlichen  Gesellschaften  der 
Fall  ist,  um  augenblickliche  Dividenden  zu  erzielen.  Die  Privatgesell- 
schaften können  sich  wohl  Befreiung  von  politischer  Kontrolle  erkaufen, 
sie  können  aber  nicht  das  soziale  Gleichgewicht,  die  gegenseitige  Hilfe 
und  die  Gerechtigkeit  über  den  Haufen  werfen,  ohne  schliefslich  ihre 
eigene  ökonomische   Wohlfahrt  dadurch  zu  schädigen. 

Betrachtet  man  die  Frage  der  Tarifierung,  so  sieht  man,  dafs  zwischen 


Misz  eilen.  439 

der  Einführung  eines  Tarifs,  welcher  eine  landesübliche  Dividende  sichert, 
und  der  Auferlegung  eines  höchstmöglichen  Tarifs  ein  grofser  Unterschied 
ist.  Aber  das  ist  nicht  der  einzige  Unterschied  —  jenes  ergiebt  sich 
naturgemäfs  aus  den  Verhältnissen,  dieses  dagegen  ist  Willkür;  jenes  ist 
beständig,  dieses  ist  fortdauernd  schwankend.  Es  ist  gar  keine  Frage, 
dafs  es  für  alle  Beteiligten,  Direktoren,  Aktionäre,  Angestellte,  Produzenten 
wie  Konsumenten  viel  besser  ist,  wenn  eine  Eisenbahn  eine  einheitliche 
und  mäfsige  Tarifierung  annimmt,  als  eine  die  das  Publikum  ausbeutet. 
Oft  werden  die  ökonomischen  Interessen  ganz  vergessen  über  der  Gier  nach 
industrieller  Macht.  Liegt  dieseMacht  in  Privathänden,  so  mufs  sie  demo- 
kratische Institutionen  in  autokratische  verwandeln  und  dadurch  alleiniger 
Richter  bei  der  eignen  Tyrannei  werden.  Die  Existenz  eines  solchen 
Monopols  lähmt  den  Unternehmungsgeist  und  den  Fleifs ;  der  unvernünf- 
tige Gebrauch  solcher  Macht  erschüttert  das  Vertrauen  des  Volkes  und 
hat  dauernde  Mifsstände  zur  Folge. 

Das  Vorhergehende  ist  nicht  eine  Kritik  der  Menschen,  sondern  der 
Methoden.  Ein  Beispiel  soll  uns  die  Methode,  wie  man  in  Californien 
Tarife  festzustellen  pflegt,  erhellen.  Wir  wollen  ein  typisches  nehmen: 
Ein  kleiner  Produzent  in  R.  —  einer  Station  50 — 60  engl.  Meilen  von 
San  Francisco  entfernt  —  wollte  sein  Einkommen  erhöhen  durch  den 
Verkauf  seiner  Produkte  auf  dem  Markt  von  San  Francisco.  Er  ging  zu 
dem  dortigen  Betriebsdirektor  der  Eisenbahngesellschaft,  um  sich  über  die 
Höhe  des  Tarifs  zu  unterrichten.  Nachdem  der  Direktor  sich  genau  nach 
der  Art  und  der  Quantität  seiner  Produkte,  deren  Preis  in  R.  und  der 
Zeit  des  Abschickens  erkundigt  hatte,  antwortete  er,  dafs  er  den  Tarif  nicht 
angeben  könnte,  er  sich  aber  darüber  informieren  und  ihm  am  folgenden 
Tage  Nachricht  zukommen  lassen  wolle.  Darauf  telegraphierte  er  in  dieser 
Angelegenheit  an  die  Eisenbahndirektion  in  San  Francisco ;  diese  erkun- 
digte sich  auf  dem  dortigen  Markte  nach  dem  Verkaufspreis  der  betreffenden 
Waren  und  telegraphierte  dann  den  Tarifsatz  nach  R.  Der  angegebene 
Frachtsatz  betrug  den  Unterschied  zwischen  dem  Marktpreis  in  R.  und 
dem  zu  Sau  Francisco,  so  dafs  jede  Steigerung  des  Profites  für  unseren 
Produzenten  ausgeschlossen  war.  Auf  diese  Weise  machte  sich  die  Eisen- 
bahngesellschaft zum  „residuary  legatee"  —  indem  sie  den  ganzen  Profit 
einzog  und  somit  das  Aufblühen  des  Unternehmens  hemmte,  statt  es  zu 
pflegen  und  zu  begünstigen.  Ist  es  zu  viel  gesagt,  wenn  man  solche  Me- 
thode als  despotisch  und  kurzsichtig  bezeichnet  und  ihr  vorwirft,  die 
Geschäfte  und  Verkehrsunternehmungen  zu  zerstören  ?  Nicht  selten  sieht 
man  das  Getreide  in  Säcken  neben  dem  Eisenbahngeleise  in  San  Joaquin 
Thal  aufgeschichtet,  um  da  monatelang  —  selbst  die  Regenzeit  über  — 
zu  lagern,  bis  ein  angemessener  Tarif  den  Verkauf  auf  dem  Markt  er- 
möglicht. Viele  der  unerschöpflichen  landwirtschaftlichen  Hilfsmittel 
Californiens  schlummern  jetzt  aus  Mangel  an  Absatz,  weil  es  an  ver- 
nünftiger Tarifierung  fehlt.  Solange  bei  der  gegenwärtigen  Organisation 
unbeschränkte  Macht,  ohne  im  einzelnen  verantwortlich  zu  sein,  in  der 
Hand  eines  einzigen  Beamten  liegt,  dessen  einzige  Sorge  ist,  bei  den 
Direktoren  in  Gunst  zu  stehen,  was  ihm  auch  gelingt  auf  Kosten  des 
Publikums,    dessen  Interessen    er    mit  Füfsen  tritt,    statt   wie  er  vernünf- 


440  M  i  s  z  e  1 1  e  n. 

tigerweise  thun  sollte,  ihm  zu  dienen,  bleibt  es  nur  eine  Frage  der 
Zeit,  wann  die  Grenze  der  Toleranz,  die  in  jeder  menschlichen  Gesellschaft 
existiert,  erreicht  sein  und  die  öffentliche  Meinung  sich  geltend  machen 
wird.  Dafs  dies  nicht  schon  in  Californien  geschehen  ist,  haben  wir  oben 
gesehen.  Dafs  es  aber  nicht  mehr  lange  ausbleiben  wird,  zeigen  mannig- 
fache Vorboten,  vor  allem  das  energische  "Wachsen  der  Konkurrenz.  In 
der  Nordamerikanischen  Navigationgesellschaft  ist  kürzlich  der  Pacific  Mail 
S.  S.  Co.  ein  Konkurrent  auf  dem  Wege  nach  Panama  erwachsen ;  in 
der  Davies  Ferry  Transfer  Co.  ein  Konkurrent  für  den  Oaklandverkehr, 
während  die  Atchison  Topeka  und  Santa  Fe  erfolgreich  mit  der  Southern 
Pacific  nach  Los  Angeles  konkurriert  hat;  und  für  den  internationalen 
Verkehr  und  für  längere  Strecken  bestimmt  the  Canadian  Pacific  jetzt  die 
Tarife  nach  New  York  und  Liverpool.  Vom  Osten  kommt  allmählich  die 
Konkurrenz  durch  die  Ausdehnung  der  drei  gröfsten  Eisenbahnnetze :  der 
Burlington-Bahn,  der  Rock-Island-Bahn,  und  der  Chicago-  und  Northwestern- 
Bahn.  Es  ist  nur  eine  Frage  der  Zeit,  dafs  jede  dieser  Linien  ihren 
eigenen  Weg  nach  der  Pacificküste  haben  und  eigene  Zweiglinien  bilden  wird. 
Zum  Schlufs  möchte  ich  noch  bemerken,  dafs  die  Eisenbahnfrage  in 
Californien  einer  falschen  ökonomischen  Auffassung  entspringt.  Die  in 
Amerika  allgemein  angenommene  Theorie  der  Eisenbahnen,  dafs  die  Inter- 
essen einer  Privatgesellschaft  notwendig  das  wirtschaftliche  Wohl  der  Ge- 
samtheit fördern,  ist  vielmehr  falsch  und  wird  nicht  durch  Thatsachen  be- 
stätigt, weder  in  Californien  noch  sonstwo.  Aber  andererseits  ist  es  richtig, 
dafs  wenn  eine  solche  Aktiengesellschaft  die  Interessen  der  Gesamtheit  be- 
günstigt, sie  dadurch  auch  ihren  eigenen  Vorteil  wahrnimmt.  Dies  ist  be- 
sonders von  einer  Eisenbahngesellschaft  zu  sagen  wegen  des  öffentlichen 
Charakters  ihrer  Funktionen.  Nicht  ein  dem  Publikum  entgegenkommendes 
Vorgehen  seitens  der  Eisenbahn  wird  einen  Bankrott  verursachen.  Eine 
Eisenbahngeseilschaft  ist  wesentlich  eine  volkswirtschaftliche  Institution. 
Das  Benehmen  des  Publikums  aber  gegen  solche  Institutionen,  sowie  das 
Vorgehen  derselben  gegen  die  Gesamtheit  beweist,  dafs  man  sich  noch 
nicht  klar  ist  über  die  tiefe  Bedeutung  dieser  für  die  soziale  Welt.  Die 
obige  Kritik  weist  auf  die  Thatsache  hin,  dafs  die  Eisenbahnpolitik  vor 
allem  das  Gesamtwohl  im  Auge  haben  mufs.  Sie  sollte  auf  ein  höheres 
soziales  Niveau  erhoben  werden. 


Miszellen.  441 


IX. 

Die  Preise  des  Jahres  1893  verglichen  mit  den 
Vorjahren. 

Auf  Grund  des  Materials  in  „Hamburgs  Handel  und  Schiffahrt"  haben 
wir  im  Anschlufs  an  unsern  vorjährigen  Artikel  und  nach  derselben  Methode 
in  den  folgenden  Tabellen  die  Preise  für  das  vorige  Jahr  dargestellt. 

Das  arithmetische  Mittel  der  Preise  für  163  Waren  ergiebt  fast  die- 
selbe Ziffer  wie  die  Vorjahre,  im  Verhältnis  zu  dem  Durchschnitt  von 
1847 — 80  gleich  100,  92,8,  gegenüber  dem  Durchschnitt  von  1871 — 80 
83,06.  Die  Kolonialwaren  sind  auf  102  gestiegen,  gegenüber  dem  Durch- 
schnitt von  1847 — 80  stehen  sie  sogar  auf  129.  Auch  Baumwolle  ist 
gegen  das  Vorjahr  eine  Kleinigkeit  gestiegen,  um  5  Proz.,  ebenso  Indigo, 
Salpeter,  Palmenöl,  aber  Baumwolle  sowohl  wie  diese  letzteren  Artikel  stehen 
beiden  Grundperioden  gegenüber  noch  immer  aufserordentlich  tief,  auf  ca. 
65.  Dasselbe  ist  von  den  Hauptmetallen  zu  sagen.  Namentlich  das  Blei 
ist  seit  dem  vorigen  Jahre  erheblich  zurückgegangen,  von  16,7  auf  13,13  M. 
Auch  die  Steinkohle  hat  den  Preis  von  1892  nicht  halten  können,  steht 
aber  immerhin  noch  höher,  als  während  der  achtziger  Jahre,  gegenüber 
den  Siebzigern  allerdings  nur  wie   100  zu  77. 

Hoch  bedeutender  war  der  Bückgang  der  Getreidepreise.  War  in  dem 
vorigen  Jahre  das  Verhältnis  noch  gegenüber  der  Periode  von  1847 — 80 
wie  100  zu  78,5  so  in  dem  letzten  Jahre  wie  100  zu  61,4  und  gegenüber 
der  Zeit  von  1871 — 80  wie  100  zu  60. 

Die  19  von  uns  besonders  herausgegriffenen  Artikel  ergeben  in  dem 
letzterwähnten  Verhältnis  65,5  gegen  77  im  Jahre  1892  und  89  im  Jahre 
1891.  Das  Ergebnis  ist  mithin  ein  wesentlich  anderes  als  das  des  arith- 
metischen Mittels  der  gröfseren  Eeihe  von  Waren,  welche  einen  Stillstand 
in  der  Preisreduktion  annehmen  läfst. 


442 


Misz  e  1 1  en. 


Tabelle  I. 

Die  Preisentwickelung  im  Hamburger  Handel  während  der  letzten 

Dezennien. 

Durchschnittswert  verschiedener  Handelsartikel  in  Mark  pro  Centner 
nach  der  nach  den  Hamburger  Börsenpreisen  deklarierten  Einfuhr. 


Durchschnittspreise 

der  Jahre 

1-.' 

Ware 

1847 
—50 

1851 
—60 

1861 
—70 

1847 
—  70 

1871 
—80 

1881 
—85 

1886 
—90 

1890 

1891 

1892 

1893 

1 

Kaffee,  Brasil 

35»io 

45,io 

54,88 

47,51 

73,70 

45,66 

68,64 

8l, 80 

76,53 

69,74 

78,73 

2 

Kakao 

64,86 

47,94 

56,49 

54,32 

63,30 

74,61 

67,69 

66,05 

7L90 

71,16 

74-50 

3 

Thee 

144,48 

152,31 

I56,19 

152,62 

132-13 

106, 08 

99,04 

99,23 

107,37 

81,29 

79,46 

4 

Zucker,  roher 

22,83 

26,11 

23,78 

42,56 

26,81 

20,97 

14,69 

13,24 

15,09 

— 

— 

5 

Korinthen 

23,97 

31,02 

18,58 

24,66 

22,07 

20,54 

19,08 

18, 46 

19,97 

17,40 

11,81 

6 

Rosinen 

21,36 

29,05 

26,71 

26,79 

26,66 

26,19 

21,03 

24,38 

23,42 

18,68 

15,77 

7 

Mandeln 

56,28 

64,50 

67,14 

64,23 

71,24 

71,79 

71,09 

83,90 

86,40 

67,25 

6l, 38 

8 

Pfeffer 

27,54 

41,28 

35,9i 

36,75 

5!,58 

64,40 

70,05 

56,66 

43,70 

33,57 

30,86 

9 

Kokosöl 

45-93 

44,10 

48.12 

46,08 

41,07 

34,48 

28,69 

29,02 

30,63 

28,80 

28,70 

10 

Palmöl 

32,73 

39.01 

38,37 

37,70 

37.87 

3L  63 

21,93 

23,32 

24,06 

21.74 

24,62 

11 

Indigo 

431-25 

587,08 

750,87 

629,35 

701,13 

637,26 

537,92 

463,82 

534,59 

450,86 

547,80 

12 

Mahagoniholz 

10,95 

12,04 

11,97 

11,83 

10,95 

9.62 

9,59 

12,20 

9,56 

8,56 

7,35 

13 

Baumwolle 

55-68 

53,08 

119,68 

8l, 26 

65,87 

52,83 

48,80 

49,86 

47,19 

39,49 

42,17 

14 

Seide 

I93L82 

1773,46 

2069,53 

1923,22 

1975-25 

1553,69 

1295,07 

1107,76 

1005,93 

— 

— 

15 

Flachs 

47,40 

50,58 

75-01 

60,2  3 

6l, 78 

64,09 

45,^5 

39,19 

36,79 

— 

— 

16 

Hanf 

35,91 

36,46 

35,oi 

35.76 

35.05 

30,82 

30,36 

28,06 

28,73 

28,05 

29,67 

17 

Reis 

16, 83 

13,03 

11,60 

13,03 

10,61 

9,26 

8,50 

8,81 

9,08 

8,83 

7,21 

18 

Weizen 

9,72 

11,47 

IO,93 

10,95 

11,43 

9,34 

7,36 

7,40 

9,23 

8,03 

6,01 

19 

Roggen 

6,12 

8,49 

8,29 

7,99 

8,49 

7,65 

5,54 

6.36 

8,65 

8,44 

5,ii 

20 

Gerste 

7,17 

8,20 

8,71 

8,24 

10,53 

8,86 

5,93 

5,53 

6,40 

4,99 

4.7S 

21 

Hafer 

5.58 

7,74 

7.59 

7,32 

8,05 

7,25 

5,83 

6,35 

6,70 

5.72 

6,13 

22 

Hopfen 

44,88 

90,99 

108,31 

90,52 

136,24 

159,50 

85,22 

124,05 

167,46 

— 

— 

23 

Kleesaat 

32,61 

53,02 

56,46 

51,05 

58,72 

54,82 

45,24 

39,51 

44,56 

49,6  0 

51,53 

24 

Raps  u.  Rübsaat 

12,96 

15,25 

15.78 

15-09 

H.77 

13,65 

12,00 

12,68 

12,58 

10,45 

IO,9S 

25 

Rüböl 

36,27 

40,60 

39,78 

39,54 

33.94 

30,67 

27,47 

30,43 

28,37 

— 

— 

26 

Leinöl 

29,19 

34.30 

36,75 

34.47 

31.21 

25,83 

22,07 

24,42 

24,20!    20,77 

22,45 

2  7 

Kalbfelle 

78,00 

110,92 

123,28 

111,42 

114,76 

96,60 

71,47 

64,18 

67,75     64,71 

56,04 

28 

Borsten 

177,73 

242,93 

241,14 

231,62 

358,53 

399.92 

275,30 

199,33 

237,70233,13 

216,96 

29 

Pferdehaare 

138,24 

186,42 

174,61 

173,47 

178,93 

168,59 

145,05 

140,41 

120,691      — 

— 

3d 

Wachs 

x34>04 

153,93 

152,83 

150,16 

115,60 

91,08 

71,43 

67,29 

70,72    75,54 

78,11 

31 

Talg 

41,07 

49,68 

44.10 

45.92 

41,21 

39,63 

28,37 

27,95 

27,95     28,75 

31,93 

32 

Thran 

28,05 

35,59 

38,68 

35.62 

29,27 

28,58 

18,88 

16,42 

19,65      l6,S9 

15,61 

33 

Butter 

60, 9  6 

79,08 

93,94 

82,25 

IIO,35 

106,72 

71,94 

49,75 

74,78 

— 

— 

34 

Schmalz 

46,56 

56,23 

55,27 

54-22 

47,13 

47.60 

37,25 

33,84 

33,25 

37,35 

46,91 

35 

Heringe 

8,49 

10,89 

11,41 

10,72 

13,06 

13,42 

9,97 

9,98 

II, 67 

10,00 

10,19 

36 

Eisen,  rohes 

3.72 

3>87 

3,45 

3.67 

4,32 

2,90 

2,72 

3,20 

2,78 

2,71 

2,84 

37 

Zink,  rohes 

I5.54 

21,39 

19,99 

19,83 

22,36 

16, 85 

13,87 

18, 15 

19,04 

— 

— 

38 

Zinn 

80,10 

120,4  6 

111,15 

109,85 

105,81 

93,4  2 

92,71 

88,60 

87,10 

86,06 

88,3s 

39 

Kupfer 

85,98 

105,88 

87,39 

94.86 

83,50 

65,02 

56,22 

55.24 

57,69 

53,15 

50,85 

40 

Blei 

18,24 

21,69 

20,05 

20,43 

22,92 

14,12 

20,11 

20,63 

23,23 

16,71 

13,1s 

41 

Quecksilber 

418,14 

236,74 

225,35 

362,20 

339,65 

192,13 

245,21 

297,10 

241,37 

214,97 

187,4« 

42 

Steinkohlen  und 

Koks 

0,78 

0,84 

0,7  9 

0,81 

0,89 

0,6  3 

0,63 

0,79 

0,81 

0,74 

0,6$ 

43 

Salpeter 

12,81 

15,99 

13,17 

14,28 

13,81 

11,83 

9,22 

8,01 

8,33 

8,46 

8,9« 

44 

Eisen  in  Stangen 

engl. 

9,66 

9,97 

9,2  2 

9,61 

IO,91 

7,04 

6,87 

8,49 

7,75 

6,94 

6,1s 

45 

Baumwollengarn 

90,42 

95.82 

209,40 

142,24 

164,43 

137,43 

162,37 

136,86 

131,71 

146,81 

159,21 

46 

Wollen-  u.  Halb- 

wollengarn 

308,07 

269,49 

355,78 

311,87 

316  32 

233,40 

203,05 

201,38 

197,15 

193,98 

201,12 

47 

Leinengarn 

155.85 

157,33 

162,30 

159.15 

128,19 

151,64 

IÖO, 84 

185,85 

186,91 

183,30 

180,5s 

Mi  s  zellen. 


443 


Prozentverhältnis  gegen  der 

Durchschnitt 

Nr. 

Ware 

der 

Jahre   1847—70 

=  100 

1847 

1871 

1881 

1886 

—70 

—80 

—85 

—  90 

1890 

1891 

1892 

1893 

1 

Kaffee,  Brasil 

IOO 

I55»i3 

96,11 

144,47 

172,17 

l6l, 08 

146,77 

165,71 

2 

Kakao 

IOO 

116,53 

137,35 

124,61 

121,59 

132,36 

131,00 

137,15 

3 

Thee 

IOO 

86,5  7 

69,51 

64,89 

65,01 

70,35 

53,26 

52,06 

4 

Zucker,  roher 

IOO 

109,16 

85,38 

59,81 

53,91 

61,44 

— 

— 

5 

Korinthen 

IOO 

89,50 

83,29 

77,37 

74-86 

80,98 

70,56 

47,89 

6 

Rosinen 

IOO 

99,51 

97,76 

78,50 

91,00 

87,42 

69,73 

58,87 

7 

Mandeln 

IOO 

IIO,91 

111,77 

110,68 

130,62 

!34,52 

104,70 

95,56 

8 

Pfeffer 

IOO 

140,35 

175,24 

190,61 

!54,18 

118,91 

91,35 

83,97 

9 

Kokosöl 

IOO 

89,13 

74,83 

62,26 

62,98 

66,4  7 

62,50 

62,28 

10 

Palmöl 

IOO 

100,45 

83,90 

58,17 

61,86 

63,82 

57,67 

65,31 

11 

Indigo 

IOO 

111,41 

IOI,26 

85.47 

73,70 

84,94 

71,64 

87,1.4 

12 

Mahagoniholz 

IOO 

92,56 

82,16 

84,11 

103,13 

80,8 1 

72,36 

62,13 

13 

Baumwolle 

IOO 

81, 06 

65,01 

60,05 

6l, 36 

58,07 

48,60 

52,02 

14 

Seide 

IOO 

I02, 71 

80,79 

67,34 

57,59 

52,34 

— 

— 

15 

Flachs 

IOO 

102,57 

106,41 

75-63 

65,07 

6l, 08 

— 



16 

Hanf 

IOO 

98,01 

86,19 

84,90 

78,47 

80,34 

78,44 

82,97 

17 

Reis 

IOO 

81,43 

71,07 

65,23 

67,61 

69,68 

67,77 

55,33 

18 

Weizen 

IOO 

104,38 

85,30 

67,21 

67,58 

84,29 

73,36 

54,88 

19 

Roggen 

IOO 

IOO, 26 

95>74 

69,34 

79,60 

108,29 

105,63 

63,96 

20 

Gerste 

IOO 

127,79 

107,52 

71,97 

67,11 

77,67 

60, 5  6 

57,28 

21 

Hafer 

IOO 

109,97 

99,04 

79>64 

86,7  5 

91,52 

78,14 

83,74 

22 

Hopfen 

IOO 

!50,51 

176,20 

94,15 

137-04 

185,00 

— 

— 

23 

Kleesaat 

IOO 

H5-02 

107,38 

88,62 

77,39 

87,29 

97,16 

100,92 

24 

Raps  u.  Riibsaat 

IOO 

97,88 

90,46 

79,52 

84,03 

83,37 

69,25 

72,83 

25 

Rüböl 

IOO 

85,84 

77,57 

69,46 

76,96 

71,75 

— 

— 

26 

Leinöl 

IOO 

90,54 

74,93 

64,03 

70,84 

70,21 

60, 26 

65,13 

27 

Kalbfelle 

IOO 

103,00 

86,70 

64,14 

57,50 

60,81 

58,08 

50,30 

28 

Borsten 

IOO 

155-22 

172,66 

118,86 

86,06 

102,62 

IOO,65 

93,67 

29 

Pferdehaare 

IOO 

103,15 

97,19 

83,62 

80,94 

69,57 

— 

30 

Wachs 

IOO 

76,98 

60, 66 

47,57 

44,81 

47,10 

50,31 

52,02 

31 

Talg 

IOO 

89,74 

86,30 

6t, 78 

60, 87 

60.87 

62,61 

69,53 

32 

Thran 

IOO 

82,17 

80,24 

53,00 

46,15 

55,17 

47,42 

43,82 

33 

Butter 

IOO 

134,16 

129,75 

87,47 

60,49 

90,92 

— ' 

34 

Schmalz 

IOO 

86,92 

87,79 

68,70 

62,41 

61,27 

68,89 

86,52 

35 

Heringe 

IOO 

121,94 

125,30 

93,00 

93,10 

108,86 

93-28 

94,49 

36 

Eisen,  rohes 

IOO 

IX7,71 

79-02 

74,11 

87,19 

75,75 

73,84 

77,38 

37 

Zink,  rohes 

IOO 

112,76 

84,97 

69,94 

91,53 

96,02 

— 

— 

38 

Zinn 

IOO 

96,32 

85,04 

84,40 

80,66 

79,29 

78,34 

80,40 

39 

Kupfer 

IOO 

88,02 

68,54 

59,27 

58,23 

60, 82 

56,03 

53,61 

40 

Blei 

IOO 

112,19 

69,11 

98,43 

145,03 

113,70 

81,79 

64,27 

41 

Quecksilber 

IOO 

I29.54 

73,28 

93,52 

113,31 

92,25 

81,99 

71,50 

42 

Steinkohlen  und 

Koks 

IOO 

109,88 

77,78 

77,77 

97,53 

100,00 

91,36 

85,19 

43 

Salpeter 

IOO 

96,71 

82,84 

64,57 

56,09 

58,33 

59,24 

62,81 

44 

Eisen  in  Stangen 

engl. 

IOO 

113,53 

73,26 

71,49 

88,35 

80, 6  4 

72,22 

63.78 

45 

Baumwollengarn 

IOO 

U5-60 

96,62 

114,15 

96,22 

92,60 

103,25 

111,93 

46 

Wollen-    u.  Halb- 

wollengarn 

•IOO 

101,43 

74,84 

65,11 

64,57 

63,22 

62,20 

64,49 

47 

Leinengarn 

IOO 

80,55 

95,28 

IOI,06 

Il6,78 

117,44 

"5, '7 

113,43 

444 


Miszellen. 


<D 
•m 

a 

a 
© 

© 
P 

ö 

© 


© 

•o 
© 

ö    'S 

5  'S 
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446 


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X. 

Die  neueste  Entwickelung  der  Gründungsthätigkeit 
in  Deutschland. 

Von  R.  van  der  Borght. 

Im  Heft  4  des  VI.  Bandes  der  III.  Folge  dieser  Jahrbücher,  S.  586 
u.  ff.,  ist  die  Zahl  der  in  den  Jahren  1884 — 1892  in  Deutschland  ge- 
gründeten Aktiengesellschaften  mitgeteilt  worden  auf  Grund  der  Veröffent- 
lichungen im  Centralhandelsregister  für  das  Deutsche  Reich.  Diese  Zahlen 
bis  Mitte  des  laufenden  Jahres  zu  ergänzen,  ist  die  Absicht  der  nach- 
folgenden Zeilen.  Dabei  sollen  nur  für  die  beiden  letzten  Semester  ein- 
gehende Angaben   gemacht  werden. 

Als  gegründet  wurden  im  Centralhandelsregister  veröffentlicht: 


im  II.  Sem.    1893        im  I.  Sem.  1894 


Gruppe: 


1)  Bäder,  Hotels,  Gesellschafts-  u.  Vergnügungs- 
lokale  

2)  Bau-  u.  Terrainspekulations-Gesellschaften 

3)  Bergwerks-Gesellschaften 

4)  Chem.  Industrie  (spez.  Sprengstoffe   u.  Verw.) 

5)  Druck  und  Verlag 

6)  Elektrizitätsgesellschaften 

7)  Gemeinnützige  Gesellschaften 

8)  Lederfabrikation 

9)  Metallverarbeitung 

10)  Maschinenbauaustalten,  Schiffswerfte,  Apparate- 
herstellung (exkl.  Nähmaschinen)     .... 

11)  Nähmaschinenfabrikation 

12)  Nahrungs-  und  Genufsmittelindustrie : 

a)  Brauereien . 

b)  Konservenfabriken 

c)  Mühlen 

d)  Eiswerke 

e)  Stärkefabriken 

f)  Weingesellschaften 

g)  Zuckerfabriken 

h)  Sonstige 

13)  Industrie  der  Steine  und  Erden: 

a)  Baumaterial-,  Cement-,  Oefen-,  Ziegelei- 
Asphaltfabriken  ctc 

b)  Glasfabriken 

14)  Spinnereien  und  Webereien 

15)  Verkehrsgesellschaften: 

a)  Eisenbahnen  (einschl.  Kleinbahnen)  .     . 

b)  Strafsenbahnen 

c)  Schiffahrtsgesellschaftcn 

d)  Lagerhäuser 

16)  Verschiedenes 

Sa.       34 

17)  Versicherungsgesellschaften 2 

18)  Banken,  Sparkassen  u.  sonstige  Kreditinstitute         5 

Zusammen       41 


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Zahl 

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Gesell- 

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2 

3  250000 

4 

1  720  OOO 

3 

2  865  000 

— 

— 

I 

450  000 

3 

393  000 

3 

1  824  000 

— 

— 

223  000 

1 

I  OOO  OOO 

450  000 

— 

— 

30000 

— 

— 

2  800  000 

1 

90000 

150000 

— 

— 

900000 

1 

300  OOO 

1  000  000 

2 

I  180000 

9 

4  23I7SO 

1 

96  OOO 

— 

— 

2 

2  720  OOO 

2 

2  850000 

4 

5  100  000 

3 

4  467  000 

1 

I  100  000 

2 

420000 

1 

135000 

— 

— 

1 

60000 

1 

1  583  000 

2 

I  320000 

— 

— 

35535000 

1  500  000 

2  185  OOO 


46         35  894  350 

7       30  960  000 


39220000        53       66854350 


M  i  s  z  e  1 1  e  n.  447 

Das  Durchschnittskapital  stellte  sich  hiernaoh  im  II.  Semester  1893 
auf  956  600  M.  und  im  I.  Semester  1894  auf  1  261  403  M.;  im  I.  Semester 
1893  *)  wurden  dagegen  55  Gesellschaften  mit  63  555  500  M.  Kapital 
(oder   1191918  M.  im  Durchschnitt)  gegründet,  darunter  u.  a. 

Baugesellschaften    u.    Verwandte  4  Gesellschaften  mit  3720000  M. 

Bergbau  u.  Hüttenwesen  I  „  ,,  650  000  „ 

Chem.  Industrie  3  „  ,,  4  850  OOO  „ 

Elektrizitätsgesellschaften  I  „  „  40  OOO  „ 

Metallverarbeitung  I  .,  ,,  3  OOO  OOO  „ 

Maschinenbau  etc.  2  „  ,,  5  500  000  „ 

Textilindustrie  I  ,,  ,,  450  OOO  ,, 

Brauereien  7  ,,  „  1755000  „ 

Zuckerfabriken  I  „  „  1  200  OOO  „ 

Eisenbahnen  5  ,,  ,,  II  230  OOO  ,,     u.   s.  w. 

Im  ganzen  halten  sich  die  Kapitalien  nach  wie  vor  sehr  niedrig. 
Gröfsere  Kapitalien  kommen  nur  vor  im  II.  Semester  1893  bei  der  Aktien- 
gesellschaft Thiederhall  (Salzbergwerk)  mit  4  Mill.  M.  und  bei  der  Elek- 
trizitäts-Aktiengesellschaft vorm.  Schuckert  &  Co.  mit  12  Mill.  M.,  und  im 
I.  Semester  1894  bei  den  Hamburger  Elektrizitätswerken  mit  6  Mill.  M., 
der  westdeutschen  Bodenkreditanstalt  zu  Köln  mit  8  Mill.  M.  und  der 
Rhein. -Westfälischen  Bodenkreditbank  zu  Köln  mit  20  Mill.  M. ;  dabei 
ist  aber  zu  berücksichtigen ,  dafs  vou  dem  Kapital  der  beiden  letzt- 
genannten Gesellschaften  nur  25  Prozent  eingezahlt  sind.  Das  niedrigste 
Kapital  war  im  I.  Semester  1894  25  000  M.  bei  der  Aktiengesellschaft 
Logenhaus  zu  Reutlingen  und  im  II.  Semester  1893  1000  M.  bei  dem 
katholischen  Gesellenhaus  in  Andernach.  Wie  sehr  im  übrigen  die  kleinen 
Kapitalien  überwiegen,  ist  aus  der  nachstehenden  Uebersicht  zu  erkennen 
(die  GruppenzifFern  entsprechen  der  ersten  Tabelle  dieses  Artikels). 

Das  Kapital  betrug  a)  im  II.  Semester   1893: 

bis  über  über  über  über       über         über        über       über 

Gruppe    10  000   10  000—     100  000—    250  000—   Y2— 1   1— 21/2  21/,,—  5   5—10  10  Mill. 
M.      100  000  M.  250  000M.   500  000  M.  Mill.M.  Mill.M.  Mill.M.  Mill.M.      M. 

10  —  I  2  I            —          —           —          — 

12  a—  2  1  ______ 

12  c  —  —  —  —                1—                         —          — 

12  f  —  I  —  —              _____ 
12h  —  —  —  !_____ 

13  a  —  —  —  I                i____ 
13b  —  I  —  ______ 

14  __  _  _                r              1          _           _          — 

15a  —             —  —  —                13          —           —          — 

15b  —             —  —  __i___ 

15c  —              —  I  ______ 

I5d  —               1  —  ______ 

16  —  —  I  —  —  I  —  —  — 

17  —             —                 —                    I                i____ 
18 — 2 — I I I  —  —  — 

Sa.  1  10  4  7981  "1 


1)  Nach    Hergenhahn's    Berechnungen    in    der    Wochenschrift    für   Aktienrecht    und 
Bankwesen,   II.  Jahrg.,  No.   15. 


448  Mis  zellen. 

b)  im  I.  Semester    1894: 

bis  über  über  über  über       über       über       über       über 

Gruppe    10000   10000—    100000—    250000—   7S— 1    x~ 2V9  2V2— 5    5—10  lOMill. 
M.     100  000M.  250  000M.  500  000M.  Mill.M.  Mill.M.  Mill.M.  Mill.M.      M. 

1—  3  i  i_____ 

2—  i  —  !_____ 

4  _  _  i  i_____ 

5  —  —  I  i  _  _  _  _  _ 

10  —  —  —  —  21  —  —  — 

12  a  —  —  —  i  2           —          —           —          — 

12b  —  —  I  ______ 

12  c  —  —  —  I  _____ 

12  d  —  i  —  —  _____ 

12  e  —  —  —  —  —           —             i__ 

12  f  —  —  i  —  _____ 
12g—  —  —  —  i____ 
12h  —  —  —  —  i____ 

13  a  —  3  2  i  12          —          —          — 

14  —  —  —  —  I  i  —  —  — 

15  a-—  __3___ 
15  b—  I  —  I  —  —  —  —  — 
15  d  —  —  —  —  —  i___ 
18—                I  —  2                2            —           —              II 

~~Sa.  io  8  n  io  10  i  2  i 

Ueber  500  000  M.  gingen  hiernach  nicht  hinaus 

im  II.  Semester  1893     22  Gesellschaften  =  53,7   %  der  Gesamtzahl 
»      I-  „  1894     29  „  =  54,7   0/0     „  „  . 

über  1   Hill,  kamen  nicht  hinaus 

im  II.  Semester  1893     31    Gesellschaften  =  75,6  %  der  Gesamtzahl 
„     I.         „  1894     39  „  _  73,6  0/0    „  „ 

Die  rückläufige  Bewegung  der  Gründun gsthätigkeit,  die  nach  1889 
einsetzte,  hat  seitdem  ununterbrochen  fortgedauert,  wie  folgende  Ueber- 
sicht  zeigt.     Es  wurden  gegründet 

Kapital 
Gesellschaften  im    ganzen         pro  Gesellschaft 

Mill.    M.  Mill.  M. 

1884  153  111,24         0,72 

1885  70  53,47         0,76 

1886  113  103,94  0,92 

1887  168  128,41  o,76 

1888  184  193,68  1,05 

1889  360  402,54  1,12 

1890  236  270,99  1,16 

1891  160  90,24  0,56 

1892  129  80,50  0,62 

1893  96  102, 78  1,07 

Von  den  gegründeten  Gesellschaften  ist  —  wie  überhaupt  in  den 
letzten  Jahren  —  ein  starker  Bruchteil  durch  Umwandlung  von  Privat- 
unternehmungen mäfsigen  Umfanges  entstanden.  Ein  Teil  der  Umwand- 
lungen von  Privatunternehmungen  in  Gesellschaftsunternehmungen  mit 
geteiltem  Risiko  ist  allerdings  auf  die  Form  der  Gesellschaft  mit  be- 
schränkter Haftung  abgeleitet  worden ;  aber  der  Form  der  Aktiengesell- 
schaften wird  doch  noch  in  vielen  Fällen  der  Vorzug  gegeben,  vermutlich 
in  erster  Linie  deshalb ,  weil  die  Verfügung  über  das  angelegte  Kapital 
bei  der  Aktiengesellschaft  wesentlich  leichter  ist. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     449 


Uebersicht   über   die  neuesten  Publikationen  Deutschlands 
und  des  Auslandes. 

1.     Geschichte  der  Wissenschaft.     Encyklopädisches.     Lehrbücher.     Spezielle 
theoretische  Untersuchungen 

Philipp  ovich,  Eugen  von,  Grundrifs  der  politischen 
Oekonomie.  Erster  Baud :  Allgemeine  Volkswirtschaftslehre.  (Aus 
„Handbuch  des  öffentlichen  Hechts  der  Gegenwart",  hgg.  von  Marquardsen 
und  Seydel,  Einleitungsband.)  Ereiburg  i.  B.  und  Leipzig.  1893.  gr.  8°. 
VIII  und  348  SS. 

Das  hier  genannte  Lehrbuch  hat  Philippovich  vor  etwa  1 1/2  Jahren 
veröffentlicht,  ohne  ihm  ein  begleitendes  Vorwort  mit  auf  den  Weg  zu 
geben.  Vielleicht  hat  der  Verfasser  längere  Zeit  geschwankt,  ob  er  einige 
Worte  dem  Werke  voranschicken  solle  oder  nicht  und  ist  dann  schliefs- 
lich  zu  dem  Ergebnis  gekommen  :  es  sei  besser,  nichts  zu  sagen.  Wäre 
er  in  seinen  Erwägungen  zu  dem  anderen  Resultat  gelangt,  dann  würde 
er  wohl  in  der  einleitenden  Vorbemerkung  auf  das  grofse  Bedürfnis  nach 
einem  erweiterten  Grundrifs,  einem  knapp  gefafsten  Lehrbuch  hingewiesen, 
auf  der  anderen  Seite  aber  jener  zahlreichen  Schwierigkeiten  gedacht 
haben,  die  sich  der  Abfassung  eines  solchen  Werkes  in  den  Weg  stellen. 
Unsere  grofs  augelegten  nationalökonomischen  Lehr-  und  Handbücher  sind 
für  die  Mehrzahl  unserer  Studierenden  zu  kostspielig,  die  kleineren  Grund- 
risse —  soweit  sie  überhaupt  wissenschaftliche  Bedeutung  haben  —  bieten 
in  der  Regel  zu  wenig.  Seitdem  das  vortreffliche  Rausche  Lehrbuch  ver- 
altet ist,  ist  diese  Lücke  in  unserer  Litteratur  immer  empfindlicher  her- 
vorgetreten. Und  dennoch  scheuten  viele  vor  dieser  Aufgabe,  die  sich 
hier  bot,  zurück.  Das  Unfertige  unserer  Wissenschaft  und  die  mit  Vor« 
liebe  getriebene  Spezialforschung  hemmten  in  gleicher  Weise.  Man  zog 
die  Detailuntersuchung,  die  zu  neuen  Aufschlüssen  führte,  der  zusammen- 
fassenden Darstellung,  die  zumeist  mit  den  Forschungsergebnissen  Anderer 
sich  begnügen  mufste,  vor.  Wenn  Philippovich  trotz  alledem  — ■  vielleicht 
mit  einiger  Selbstüberwindung  —  an  jene  andere  Aufgabe  herantrat  und 
den  gegenwärtigen  Stand  des  Wissens  in  diesem  Grundrifs  darzulegen  sich 
bemühte,  so  wird  ihm  die  Wissenschaft,  zumal  er  seine  Aufgabe  in  so 
ausgezeichneter  Weise  gelöst  hat,  zu  aufrichtigem  Dank  verpflichtet  sein. 

Indem  ich  in  eine  Besprechung  des  Werkes  eintrete,  mag  es  mir  ge- 
stattet sein,  zunächst  den  Plan  des  ganzen  kurz  mitzuteilen.  Die  Dar- 
stellung soll  in  drei  Teile    zerfallen.     Der    erste    in    diesem    ersten  Bande 

Dritte  Folge  Bd.  VÜI  (LXIH).  29 


450    L'ebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

gebotene  Teil  legt  das  Wesen  der  wirtschaftlichen  Erscheinungen  und 
ihrer  Zusammenhänge  in  der  verkehrswirtschaftlichen  Organisation  der 
Volkswirtschaft  der  Gegenwart  klar  (Allgemeine  Volkswirtschaftslehre) ; 
ein  zweiter  Teil  wird  die  Darstellung  der  Entwickelungsbewegung  um- 
fassen, in  der  sich  diese  Organisation  unter  dem  bestimmenden  Einflüsse 
der  Interessen  der  einzelnen  Gesellschaftsgruppen  wie  des  Staates  befindet 
(Volkswirtschaftspolitik) ;  daran  soll  sich  ein  die  wirtschaftliche  Organisa- 
tion der  öffentlichen  Gemeinwirtschaften  und  ihre  Entwickelungsbewegung 
umfassender  Teil  (Finanzwissenschaft)  anschliefsen.  Der  zweite  Band  — 
Teil  2  und  3  umfassend  —  liegt  noch  nicht  vor.  Hier  kommt  also  nur 
der  erste  Teil,  die  sog.  „Allgemeine  Volkswirtschaftslehre",  in  Betracht. 
Die  Behandlung  derselben  schliefst  sich  an  die  grofsen  Kategorien  des 
wirtschaftlichen  Verkehrslebens  an:  Produktion  und  Erwerb  in 
ihren  Elementen  und  in  ihrer  Organisation:  das  Wesen  der  Produktion, 
die  Produktionsfaktoren  (Land,  Kapital,  Arbeit) ;  die  verkehrswirtschaft- 
lichen Produktionsformen,  die  Produktionsformen  der  verkehrslosen  Wirt- 
schaft; Grofs-  und  Kleinbetriebe;  extensive  und  intensive  Wirtschafts- 
betriebe;  endlich  das  regelnde  Prinzip  der  Produktion  und  des  Erwerbs 
(2.  Buch).  Verkehr  und  Verkehrsmittel:  Die  Organisation  des 
Verkehrs;  das  Wertproblem;  die  Preisbildung;  das  Geld;  der  Kredit 
(3.  Buch).  Einkommen  und  Einkommens  bildung:  Unter- 
nehmereinkommen ;  Besitzeinkommen ;  Arbeitseinkommen.  Versicherung  ; 
Armenversorgung.  Güterverbrauch  (4.  Buch).  Dieser  systematischen 
Darstellung  der  wirtschaftlichen  Thatsachen  und  Zusammenhänge  nach 
den  vier  angegebenen  Bichtungen  (Buch  2 — 4)  geht  in  der  Einleitung  eine 
Erörterung  über  Wesen  und  Probleme  der  Volkswirtschaft 
und  im  ersten  Buche  eine  Untersuchung  der  Entwickelungsbedin- 
gungen  der  Volkswirtschaft  voraus.  Den  Abschlufs  des  Werkes 
mit  Buch  5  bildet  eine  Kennzeichnung  der  wirtschaftspolitischen 
Parteien,  die  sich  auf  der  Grundlage  einer  Beurteilung  der  Wirtschafts- 
verfassung der  Gegenwart  gebildet  haben. 

Soviel  über  den  Plan  des  Werkes.  Betrachten  wir  die  Ausführung, 
so  kann  ich  natürlich  —  dies  sei  sofort  bemerkt  —  nicht  alles  hervor- 
heben, was  mir  bei  der  Lektüre  aufgefallen  ist;  nur  auf  einige  Punkte 
möchte  ich  aufmerksam  machen. 

Und  da  will  ich  beginnen  mit  dem  Titel  des  Buches.  Warum  in 
aller  Welt  ist  wieder  die  Bezeichnung  „Politische  Oekonomie"  gewählt? 
Es  kann  nur  wegen  der  internationalen  Gebräuchlichkeit  geschehen  sein. 
Aber  ist  dies  wirklich  ein  ausschlaggebender  Grund?  Weil  dieser  Grund- 
rifs,  wie  ich  zuversichtlich  hoffe,  in  Vieler  Hände  kommen  wird,  gerade 
deshalb  bedauere  ich,  dafs  auch  in  ihm  an  diesem  unbestimmten  und 
nichtssagenden  Ausdruck  festgehalten  ist. 

Ueber  die  Gruppierung  des  Stoffs  will  ich  mit  dem  Verfasser  nicht 
rechten.  Ein  derartiges  kurz  gefafstes  Lehrbuch,  das  vornehmlich  den 
Studierenden  als  Unterlage  bei  ihren  volkswirtschaftlichen  Studien  dienen 
soll,  kann,  ja  darf  die  einmal  übliche  Einteilung  nicht  verlassen,  mufs 
sich  wenigstens  im  wesentlichen  an  sie  anschliefsen.  Aber  mir  ist 
doch  zweifelhaft,    ob    es    bei  Beibehaltung    des   Philippovich'sohen  Planes 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     451 

geboten  war,  im  3.  Buch  das  Geld-  und  Kreditwesen,  im  4.  Buch  die 
Versicherung  und  die  Armenversorgung  so  ausführlich  zu  behandeln,  wie 
dies  geschehen  ist.  Die  allgemeinen  Erörterungen  über  Wesen  des  Geldes 
und  Kredits  etc.  sind  hier  natürlich  nicht  zu  entbehren,  aber  die  speziellen 
Ausführungen  über  die  staatliche  Ordnung  des  Geldwesens,  über  Währung 
und  Münze,  die  Angaben  über  den  Stand  des  Notenbankwesens  etc.  etc. 
fallen  m.  E.  nicht  in  eine  Darstellung  des  „Wesens  der  wirtschaftlichen 
Erscheinungen  und  ihrer  Zusammenhänge".  Daran  halte  ich  fest,  trotz- 
dem ich  den  Bemerkungen  des  Verfassers  auf  S.  154  am  Ende  beipflichte. 
Die  Betrachtungen  über  Versicherung  und  Armenversorgung  sind  aller- 
dings kürzer.  Aber  warum  werden  hier  die  neuen  deutschen  Arbeiter- 
versicherungsgesetze behandelt?  An  dieser  Stelle  ist  zu  viel  gesagt,  im 
ganzen  meines  Dafürhaltens  zu  wenig!  Gerade  hier  vermisse  ich  dann 
auch  weitere  statistische  Angaben,  welche  der  Verfasser  sonst  in  so  zweck- 
mäfsiger  Weise  einschaltet. 

Weun  ich  in  diesen  Abschnitten  somit  das  eine  und  andere  streichen 
möchte,  um  es  in  den  zweiten  Band  zu  verweisen,  der  doch  einmal  um- 
fangreicher werden  mufs,  so  würde  ich  in  dem  1.  Buche,  welches  über 
„die  Entwickelungsbedingungen  der  Volkswirtschaft"  handelt,  hie  und  da 
eine  gröfsere  Ausführlichkeit  wünschen.  Zu  kurz  vor  allem  sind  die  Aus- 
führungen über  Eigentum  und  Erbrecht.  Diese  Institutionen  erheischen 
eine  viel  eingehendere  Begründung.  Dasselbe  gilt  im  Hinblick  auf 
die  Geschichte  der  Nationalökonomie.  Philippovich  kommt  auf  dieselbe 
zu  sprechen  in  der  Einleitung  unter  „Litteratur"  S.  26  fg.  und  vornehm- 
lich im  letzten  Buch;  allein  im  wesentlichen  handelt  es  sich  um  eine 
Charakterisierung  der  heutigen  wirtschaftlichen  und  sozialen  Parteien. 
Nun  gebe  ich  gern  zu,  dafs  auf  eine  Kennzeichnung  der  verschiedenen 
modernen  Richtungen  und  Bestrebungen  der  Schwerpuukt  zu  legen  ist, 
auch  bin  ich  weit  davon  entfernt,  einer  oberflächlichen  literarhistorischen 
Darstellung  das  Wort  zu  reden,  allein  einige  wenige  Betrachtungen  über  die 
antike  und  mittelalterliche  Volkswirtschaft  und  über  die  in  jener  Zeit  ver- 
tretenen volkswirtschaftlichen  Lehren  wären  in  einem  solchen  dem  Unterricht 
dienenden  Werke  wohl  am  Platze  gewesen.  Auch  die  wenigen  Bemerkungen 
über   die    merkantilistische  Wirtschaftspolitik  können  nicht  befriedigen. 

Doch  genug!  Es  ist  wahrlich  nicht  schwer,  weitere  Wünsche  zu 
äufsern.  Es  lassen  sich  auch  einige  Unrichtigkeiten,  welche  mit  unter- 
laufen sind,  hervorheben,  auf  Wiederholungen,  die  vielleicht  hätten  ver- 
mieden werden  können,  welche  aber  in  einem  solchen  "Werke  nie  ganz  zu 
vermeiden  sind,  kann  man  aufmerksam  machen.  —  Allein,  was  besagen 
derartige  Ausstellungen,  wenn  man  sich  die  grofsen  Vorzüge  des  Buches 
vergegenwärtigt:  die  übersichtliche  Behandlung  des  Stoffs,  die  Klarheit  in 
der  Ausführung,  die  wohlthuende  Objektivität  der  Darstellung,  die  Sorg- 
falt in  den  Litteraturangaben  und  in  den  statistischen  Belegen !  Ich  habe 
den  Grundrifs  häufiger  zur  Hand  genommen  und  stets  mit  gröfster  Befrie- 
digung in  ihm  gelesen.  Wir  haben  kein  ähnliches  kurzes  Kompendium, 
welches  den  Bedürfnissen  des  Unterrichts  in  so  ausgezeichneter  Weise 
Rechnung  trägt  und  die  einschlagenden  Fragen  so  scharf  und  klar  be- 
handelt.    Das  mufs  anerkannt  und  mufs  ausgesprochen  werden! 

29* 


452     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Öeutschlands  und  des  Auslandes. 

Einzelne  Partien  scheinen  mir,  wie  dies  in  der  Natur  der  Dinge 
liegt,  ganz  besonders  gelungen.  Ich  denke  vornehmlich  an  einzelne  Ab- 
schnitte des  1.  und  3.  Buches,  dann  an  das  soeben  schon  genannte  5.  Buch 
über  die  wirtschaftspolitischen  Parteien.  Endlich  einmal  in  einem  der- 
artigen Lehrbuche  eine  sachgemäfse,  zusammenhängende  Ausführung  über 
den  heutigen  Sozialismus!  Wer  sich  z.  E.  nach  dem  Schönberg'schen 
Handbuch  über  den  modernen  Sozialismus  unterrichten  will,  dürfte  schwer- 
lich eine  richtige  Vorstellung  erhalten;  in  der  3.  Auflage  findet  sich  m. 
W.  noch  nicht  ein  "Wort  über  die  materialistische  Geschichtsauffassung. 
Ueber  Lassalle  wird  auf  nahezu  drei  Seiten  gebandelt,  über  Marx  auf 
etwa  einer  Seite!  Der  grofse  Unterschied  zwischen  dem  Sozialismus 
Marxistischer  Richtung  und  allen  früheren  sozialistischen  Systemen,  Las- 
salle's  Bestrebungen  eingeschlossen,  tritt  dort  so  gut  wie  gar  nicht  hervor. 
Ganz  anders  bei  Philippovich,  der  eine  durchweg  befriedigende  Darstel- 
lung giebt. 

Indes,  was  mich  vor  allem  an  dem  Grundrifs  so  sympathisch  berührt 
hat  und  worin  auch  wohl  nicht  die  geringste  Bedeutung  desselben  liegt, 
sind  die  allseitige  Berücksichtigung  und  glückliche  Vereinigung  der 
Forschungsergebnisse  der  deutschen  historischen  und  der  abstrakten  öster- 
reichischen Schule.  In  dem  Abschnitt  über  die  Wertlehre,  in  welchem 
dieses  schwierige  Problem  in  äufserst  klarer  Weise  behandelt  worden  ist, 
folgt  er  —  was  ich  mit  Freuden  begrüfse  —  den  Lehren  Menger's,  Wiesers, 
Böhm  Bawerk's.  Ebenso  in  dem  Kapitel  über  den  Preis.  Hier  freilich 
würde  ich  gern,  wenn  ich  doch  noch  einmal  einen  Wunsch  äufsern  soll, 
einiges  eingehender  behandelt  gesehen  haben  ;  auf  die  Kleinhandelspreise, 
auf  die  Einwirkung  dieser  auf  die  Grofshandelspreise  etc.  hätte  mehr  Rück- 
sicht genommen  werden  können.  Gerade  wenn  man  sich  auf  den  Stand- 
punkt des  Lernenden  stellt,  erscheint  dies  m.  E.  geboten. 

Kann  somit  die  österreichische  Schule  mit  Befriedigung  auf  diese  und 
manche  andere  Kapitel  des  Buches  blicken,  so  werden  doch  auch  anderer- 
seits die  Anhänger  der  historischen  Richtung  dem  Werke  ihre  Anerken- 
nung nicht  versagen  können.  Philippovich  ist  sichtlich  bemüht,  zwischen 
beiden  Richtungen  zu  vermitteln,  eine  Verständigung  herbeizuführen,  der 
wir  uns  auch  thatsächlich,  wenn  manche  Anzeichen  nicht  trügen,  mehr 
und  mehr  nähern.  „Die  Beschreibung  wirtschaftlicher  Thatsachen  und 
die  Darstellung  ihres  geschichtlichen  Werdegangs",  so  führt  er  aus,  „sind 
die  unmittelbare  Voraussetzung  sowohl  eines  theoretischen  Verständnisses, 
wie  einer  politischen  Beurteilung.  Nur  aus  der  Kenntnis  der  Erschei- 
nungen erwächst  die  Erkenntnis  und  nur  das  Verständnis  des  Gewordenen 
ermöglicht  das  des  Werdenden.  Aber  als  letzte  Aufgabe  der  Wirtschafts- 
wissenschaft erscheint  doch  die  theoretische  und  die  politische  Behand- 
lung." Das  ist  der  Weg,  den  wir  gehen  müssen,  wollen  wir  uns  vor 
Einseitigkeit  bewahren !  Nicht  Theorie  allein  und  nicht  Geschichte  allein, 
sondern  Geschichte  und  Theorie.  Von  dieser  Auffassung  durchdrungen, 
hat  der  Verfasser  seinen  Grundrifs  geschrieben,  dem  ich  gerade  deshalb 
auch  die  weiteste  Verbreitung  wünsche. 

Und  wenn  der  verehrte  Kollege,  nachdem  er  jetzt  seine  Kräfte  wieder 
in  den  Dienst  seiner  Heimat  gestellt  hat,  in  seinem  neuen  Wirkungskreise 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     453 

in  diesem  Geiste  weiter  arbeitet  und  sich  bemüht,  die  Beziehungen  zwischen 
Deutschland  und  Oesterreich  zu  pflegen  und  zu  möglichst  innigen  zu  ge- 
stalten, so   kann  dies  der  Wissenschaft  nur  zum  Segen  gereichen. 

Breslau.  Ludwig  Elster. 

Hildebrand,  Richard,  Ueber  das  Problem  einer  allgemeinen 
Entwicklungsgeschichte  des  Rechts  und  der  Sitte.  Inaugurationsrede. 
Graz  1894.  8°.  33  SS. 

Das  Problem,  welches  in  dieser  Rektoratsrede  erörtert  wird,  ist  das 
Problem  der  Sozialgeschichte  überhaupt.  Denn  Recht  und  Sitte  sind 
Aeufserungen  gesellschaftlichen  Lebens ;  ihre  Entwickelung  ist  mit  der 
Entwickelung  der  Gesellschaft  aufs  engste  verknüpft ,  und  da  letztere 
wieder  durch  die  Entwickelung  der  Wirtschaft  bedingt  ist,  so  wird  sich 
eine  vergleichende  Rechts-  und  Sittengeschichte  auf  der  Grundlage  einer 
allgemeinen  Wirtschaftsgeschichte  aufzubauen  haben.  Der  Verf.  folgt 
nicht  diesem  Gedankengange;  aber  er  gelangt  doch  zu  dem  gleichen 
Resultate. 

Er  bespricht  zunächst  den  Unterschied  zwischen  den  älteren  und  den 
neueren  entwickelungsgeschichtlichen  Untersuchungen;  erstere  bewegen 
sich  im  nationalen  Rahmen,  letztere  suchen  das  allen  Völkern  Gemein- 
same ;  erstere  beschäftigen  sich  mit  der  Vergangenheit  der  Kulturvölker, 
letztere  wenden  die  vergleichende  Methode  an  und  studieren  insbesondere 
auch  die  Einrichtungen  kulturarmer  Völker  der  Gegenwart;  erstere  lassen 
geschichtsphilosophische  Ideen  wirken,  letztere  suchen  nach  der  Weise 
der  Naturforscher  die  Thatsachen  zu  erklären,  welche  übereinstimmend 
bei  allen  oder  doch  vielen  Völkern  hervortreten.  Die  nationalen  Unter- 
schiede in  Recht  und  Sitte  sind  ihnen  zum  gröfsten  Teile  nur  Unterschiede 
in  der  Entwickelungsstufe.  Bei  ihrer  Erklärung  hat  man  sich  vor  aprio- 
ristischen  Voraussetzungen  wie  derjenigen  einer  „sittlichen  Bestimmung 
des  Menschengeschlechts"  zu  hüten  ;  sie  kann  auch  nicht  auf  dem  Wege 
„juristischen  Denkens"  gefunden  werden.  Um  Aufschlufs  zu  gewinnen 
über  die  Entstehung  der  Lebensformen,  mufs  man  auf  die  Natur  der 
Lebensprozesse  eingehen.  Aus  dieser  Erkenntnis  sind  Versuche  ent- 
sprungen, die  verschiedenen  Völker  und  Zeiten  nach  Kulturstufen  zu 
ordnen.  Allein  die  „Kultur"  ist  zu  mannigfaltig;  das  Leben  der  Völker 
schreitet  bald  mehr  in  der  einen,  bald  in  der  anderen  Richtung  vorwärts; 
einen  in  gleicher  Richtung  sich  fortbewegenden  Entwicklungsgang  weist 
nur  das  Teilgebiet  der  wirtschaftlichen  Kultur  auf,  weil  ihr 
Fortschreiten  auf  der  elementaren  Thatsache  der  Bevölkerungszunahme 
beruht.  Die  Unterscheidung  ökonomischer  Entwicklungsstufen  ist  zu- 
gleich eine  Altersbestimmung  der  den  ökonomischen  Erscheinungen  parallel 
laufenden  Erscheinungen  des  Rechts  und  der  Sitte  und  ermöglicht  es,  die 
Verursachung  der  letzteren  aufzufinden.  Der  Verf.  versucht  dies  an 
einigen  dem  Gebiete  des  Familienrechts  entnommenen  Beispielen  zu  ver- 
anschaulichen, in  welchen  er  eine  von  den  seitherigen  Annahmen  ab- 
weichende Aufeinanderfolge  aus  wirtschaftsgeschichtlichen  Gründen  an- 
nehmen zu  müssen  glaubt,  und  schliefst  mit  wenigen  allgemeinen  metho- 
dischen Bemerkungen.  Im  einzelnen  hätte  ich  gegen  die  Darlegungen 
H.'s   manches    einzuwenden.      So    ist     eine    Behandlung    der    Eigentums- 


454     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

formen  (S.  11)  nicht  weniger  logisch-aprioristisch  als  die  der  Juristen, 
und  seine  Erklärung  des  Mutterrechtes  (S.  28  f.)  kann  nach  keiner 
Seite  befriedigen.  Allein  ich  habe  durch  derartige  Ausstellungen  mir 
die  Freude  an  der  knappen,  klaren  und  geistvollen  Behandlung  der  ganzen 
Frage  nicht  trüben  lassen  und  möchte  sie  auch  den  Lesern  nicht  nehmen, 
die  ich  der  gehaltvollen  Schrift  in  grofser  Zahl  nicht  blofs  unter  den 
Nationalökonomen,  sondern  auch  unter  den  Juristen,  Historikern  und 
Ethnographen  wünsche. 

Leipzig.  K.  Bücher. 

Carnegie,  A.,  Die  Pflichten  des  Reichtums.  2  Aufsätze.  Vom  Verfasser  autoris. 
deutsche  Ausgabe.     Leipzig,  P.  Hobbing,  1894.     gr.  8.     46  SS.     M.  0,60. 

Handwörterb'uch  der  Staatswissenschaften.  Herausgegeben  von  (Proff.  Drr-)  J. 
Conrad,  L.  Elster,  W.  Lexis,  E.  Loening.  Lieferung  32  u.  33.  Vorzugsrente  —  Zwischen- 
handel. [Schlufs  des  Werkes.]  Jena,  G.  Fischer,  1894.  Roy.-8.  X,  Bd.  VI  Bogen  37 
—60.     M.  5.—. 

Loserth,  J.  (Prof.),  Der  Kommunismus  der  mährischen  Wiedertäufer  im  16.  und 
17.  Jahrhundert.  Beiträge  zu  ihrer  Geschichte,  Lehre  und  Verfassung.  Wien,  F.  Temsky, 
1894.     Lex.-8.     188  SS.     M.  3,60. 

Muehlpfordt,  W.,  Preis  und  Einkommen  in  der  privatkapitalistischen  Gesell- 
schaft.    Königsberg,  Hartung'sche  Buchdruckerei,  1894.     8.     54  SS.     (Dissertation.) 

Plechauow,  G.,  Anarchismus  und  Sozialismus.  Berlin,  Verlag  des  „Vorwärts", 
1894.     gr.  8.     84  SS.     M.  0,40. 

Schneider,  C.  M.,  Die  sozialistische  Staatsidee,  beleuchtet  durch  Thomas  v.  Aquin. 
Paderborn,  Bonifacius-Druckerei,  1894.     8.     98  SS. 

Staatslexikon.  Herausgegeben  im  Auftrage  der  Görresgesellschaft  zur  Pflege 
der  Wissenschaft  im  katholischen  Deutschland  durch  Ad.  Bruder,  Kustos  der  k.  k.  Uni- 
versitätsbibliothek Innsbruck.  Heft  31.  Freiburg  i/Br.,  Herder,  1894.  gr.  8.  5  Bogen 
(od.  Bd.  IV  Heft  1).  M.  1,50.  (Angabe  der  gröfseren  Artikel:  Oesterreich-Ungarn ; 
Oldenburg;  Orden,  religiöse;  Panslavismus ;  Papiergeld;  Papierwährung,  Papst.) 


Dollfus,  C  h.,  Les  problemes.  Probleme  Economique.  Probleme  international. 
Probleme  religieux.  Paris,  Fischbacher,  1893.  8.  fr.  6. — .  (Extrait  de  la  table  des 
matieres :  I.  Le  probleme  economique :  La  loi  de  nutrition.  —  Du  droit  k  l'existence.  — 
L'utopie  collectiviste.  —  La  propriEtE  individuelle.  —  Le  capital.  —  Materialisme  et 
mysticisme.  —  Le  patronat.  —  Le  socialisme  d'Etat.  —  Les  Solutions  partielles  par 
l'association.  —  L'assistance.  —  H.  Le  probleme  international:  La  guerre.  III.  Le  pro- 
bleme religieux :    L'anthropomorphisme  du  passe"  et  de  l'avenir.  — ) 

Duthoit,  E.  (maitre  des  Conferences  a  la  facultE  de  droit  de  Lille),  L'enseignement 
du  droit  et  des  sciences  politiques  dans  les  universites  d'Italie.  Saint-Dizier,  imprim. 
St.-Aubin  &  Thevenot,  1894.     in-18  Jesus.     185  pag. 

Ott,  A.,  TraitE  d'Economie  sociale  ou  l'economie  politique  coordonnEe  au  point  de 
vue  du  progres.  2iöme  Edition  entierement  refondue  et  mise  au  courant.  2  vols.  Paris, 
Fischbacher,  1894.  in-18  jEsus.  fr.  8.—.  (Extrait  de  la  table  des  matieres:  Objet,  but, 
methode  et  division  de  la  science  Economique :  Donnees  gEnErales.  —  Definition.  —  Rap- 
ports de  l'economie  sociale  avec  les  autres  sciences  sociales.  —  De  la  methode  en  econo- 
mic sociale.  —  DEveloppement  historique  des  faits  Economiques.  —  Division  de  l'eco- 
nomie sociale.  Position  des  problemes :  I.  Des  travaux  necessaires  pour  la  conservation 
sociale.  II.  Le  dEveloppement  Economique  dans  ses  rapports  avec  les  conditions  generales 
du  progres.  — ) 

Recolin,  Ch.,  Solidaires.  Essai  de  sociologie  chretienne.  2ieme  Edition.  Paris, 
Fischbacher,  1893.  in-16.  (Table:  Le  fait  de  la  solidarite :  Les  formes  naturelles  du 
fait,  l'Evolution,  1'hEreditE,  la  division  du  travail,  l'imitation.  —  Transformation  du  fait 
en  devoir.  —  Application  du  devoir :  La  question  sociale.  L'education.  Le  mariage. 
L'eglise.  —  L'achevement  du  devoir:  le  salut  universel.  — ) 

Mazimann,  A.,  Le  socialisme  de  l'avenir,  ou  la  mutualitE  par  l'Etat.  Paris, 
Giard  &  Briere,   1894.     8.     15  pag. 

Thirion,  E.,  Morale  et  religion.  Paris,  Fischbacher,  1893.  in-18  Jesus,  fr.  3,50. 
(Extrait  de  la  table  des  matieres :  La  morale  humaine.  —    Origine  et    dEveloppement  du 


Uebersicht  über   die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     455 

,,Moi".  —  L'individualisme.  —  Egoisme  et  altruisme  —  Morale  issue  du  „Moi".  — 
L'altruisme  est  un  dgoisme  raisonne\   —    Liberte,  responsabilite.   — ) 

Spencer,  Herbert,  Problemes  de  morale  et  de  sociologie,  traduit  par  H.  de 
Varigny.  Paris,  Guillaumin  &  O  ,  1894.  8.  fr.  9. — .  (Collection  des  auteurs  etrangers 
contemporains,  vol.  IX.) 

A  ss  ante,  A.,  Monarchia  e  socialismo :  prefazione.  Napoli,  Gil  Blas  edit.,  1894. 
8.     33  pp. 

Gontento,  Aldo,  La  teoria  del  salario  nel  concetto  dei  principali  economisti. 
Milano,  fratelli  Dumolard  edit.,  1894  16.  374  pp.  1.  3 — .  (Contiene :  Del  lavoro.  — 
Del  salario.  —  Domanda  e  ofierta  di  merci ;  costo  di  produzione.  —  Caratteri  e  coudi- 
zioni  differenti  del  lavoro  in  confronto  alle  altre  merci  ,  dei  venditori  di  merci  dai  ven- 
ditori  di  lavoro.  —  Domanda  e  offerta  di  lavoro,  costo  di  produzione.  —  Legge  speciale 
del  salario ;  le  premesse  della  teoria  generale.  —  Origine  della  teoria  del  wages-fund.  — 
La  teoria  del  salario  in  Inghilterra.  —  La  teoria  del  salario  in  Germania.  —  La  teoria 
del  salario  in  Austria.  —  La  teoria  del  salario  in  Francia.  —  La  teoria  del  salario  in 
Italia.  —  I  socialisti.  — ) 

Frigieri,  A.  (prof.),  II  socialismo:  dialoghi  fra  il  sac.  di  Pietro  e  il  sarto  Amadio. 
Palermo,  tip.  edit.  G.  Bondi  &  C,  1893.     16.      183  pp.     1.   1,20. 

Quaglino,  Born.,  Studi  e  fenomeni  sociali.  Parte  I.  Milano,  fratelli  Dumolard 
edit.,  1894.     16.     334  pp.     1.  3.—. 

2.     Geschichte  and  Darstellung  der  wirtschaftlichen  Kultur. 

Rieger,  P.,  Versuch  einer  Technologie  und  Terminologie  der  Handwerke  in  der 
MiSnäh.  Teil  I:  Spinnen,  Färben,  Weben,  Walken.  Breslau,  Druck  von  Grafs,  Barth 
&  C°,  1894.     8.     50  SS.  mit  2  Abbildungen.     (Dissertation.) 

Trinius,  A.,  Thüringer  Wanderbuch.  Band  V.  Minden,  J.  C.  C.  Bruns,  1894. 
gr.  8.     VIII— 311  SS.     M.   5,50. 

Vogelstein,  H.,  Die  Landwirtschaft  in  Palästina  zur  Zeit  der  MiSnah.  Teil  I : 
Der  Getreidebau.  Breslau,  Druck  von  Grafs,  Barth  &  C°,  1894.  8.  78  SS.  mit  2  Ab- 
bildungen.    (Dissertation.) 


B  r  i  n  e  ,  Lindsay  (Vice-Admiral),  Travels  amongst  American  Indians  ,  their  ancient 
earthworks  and  temples  including  a  journey  in  Guatemala  ,  Mexico  and  Yucatan  :  and  a 
visit  to  the  ruins  of  Patinamit,  Utalan,  Palenque  and  Uxmal.  London,  Low,  1894. 
Roy. -8.     XVI — 422  pp.  with  map  and  illustrations.     21/. — . 

Danson,  J.  T.,  Our  next  war  in  its  commercial  aspects.  London,  E  Wilson,  1894. 
crown-8.     7/.6. 

Dicey,  E.,  The  peasant  State:  an  account  of  Bulgaria  in  1894.  London,  Murray, 
1894.     8.     332  pp.     12/.—. 

de  Lacouperie,  T„  Western  origin  of  the  early  Chinese  civilisation,  from  2300 
B.  C.  to  200  A.  D.     London,  Asher,  1894.     8.     21/.—. 

P  r  y  e  r  ,  W.  B.  (Mrs.),  A  decade  in  Borneo.  With  an  introduction  by  J.  Hatton. 
London,  Hutchinson,  1894.     crown-8.     200  pp.     3/. 6. 

Vincent,  Howard  (Mrs.),  China  to  Peru  over  the  Andes:  a  journey  through 
South  America.  With  reports  and  letters  on  british  interests  in  Brazil,  Argentina,  Chili, 
Peru,  Panama,  and  Venezuela.     London,  Low,     1894.     8.     336  pp.     7/.6. 

Ravenna,  E,  Pareggio  economico  e  pareggio  finanziario:  conferenza  tenuta  il 
26  novembre  1893  al  collegio  dei  ragionieri  di  Palermo.  Palermo,  tip.  Bizzarrilli,  1894. 
8.     27  pp. 

S  i  p  i  o  n  e ,  C.  (prof.),  Rimedi  per  salvare  l'Italia  dall'  attuale  miseria  ,  proposti  agli 
onorevoli  senatori  e  deputati  del  Regno.     Acireale,  tip.  edit.  V.  Micale,  1894.    8.    39  pp. 

3.  Bevölkerungslehre  und  Bevölkerungspolitik.    Auswanderung  und  Kolonisation. 
Jahrbuch,  koloniales.     Beiträge  und  Mitteilungen  aus  dem  Gebiete  der  Kolonial- 
wissenschaft    und    Kolonialpraxis.      Herausgegeben    von    Gustav    Meinecke.      Jahrg.  VII 
(das  Jahr  1894).     Heft  1  u.  2.     Berlin,  C.  Heymanns  Verlag,  1894.  gr.  8.  III— 144  SS. 
M.  6.—. 


Ory,  P.  (Resident  de  France  en  Ann  am  et  au  Tonkin),    La  commune    annamite  au 
Tonkin.     Paris,  librairie  coloniale  (A.   Challamel),  1894.     8.     fr.  3,50. 


456     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Kayserling,  M.,  Christopher  Columbus  and  the  participafion  of  the  jews  in  the 
Spanish  and  Portuguese  discoveries.  Translated  by  C.  Gross.  London,  Longmans,  1894. 
crown-8.     5/. — . 

4.     Bergbau.     Land-  und  Forstwirtschaft.     Fischereiwesen. 

Festschrift  zur  Feier  des  75-jährigen  Bestehens  der 
Oldenburgischen  Landwirtschafts-Gesellschaft.  Hgg.  vom 
Centralvorstande.  Bearbeitet  vom  Generalsekretär  Dr.  Wilhelm  Rode- 
wald.    Berlin   1894. 

In  einem  starken  Bande  werden  viele  interessante  Mitteilungen  über 
Landwirtschaft  und  Kulturentwickelung  in  Oldenburg  gemacht,  wobei 
namentlich  gezeigt  wird,  wie  das  landwirtschaftliche  Vereinswesen  förder- 
lich und  hebend  in  vieler  Beziehung  für  das  Oldenburger  Land  gewesen 
ist.  Die  Oldenburgische  Landwirtschafts-Gesellschaft  glänzt  sowohl  durch 
ihren  langen  Bestand ,  wie  auch  durch  eine  gute  Verbreitung ,  denn  sie 
zählte  in  dem  Jahre  1893  3176  Mitglieder,  während  noch  im  Jahre  1853, 
also  35  Jahre  nach  der  Gründung,  nur  418  Mitglieder  existierten.  Aller- 
dings ersieht  man  aus  einer  beigefügten  Karte  über  das  Verhältnis  der 
Anzahl  der  Mitglieder  der  Oldenburgischen  Landwirtschafts-Gesellschaft  zu 
der  selbständiger  Betriebsleiter,  dafs  in  dem  weitaus  gröfsten  Teil  des 
Landes  auf  100  landwirtschaftliche  Betriebsleiter  von  Wirtschaften  über 
5  ha  Gröfse  nur  10 — 20  Mitglieder  entfallen  und  sogar  einige  Distrikte 
unter  10,  einige  gar  keine  Mitglieder  aufweisen. 

Der  erste  Teil  der  Festschrift  behandelt  die  Geschichte  der  Olden- 
burgischen Landwirtschafts-Gesellschaft  vom  1.  Mai  1818,  vom  Tage  der 
Gründung,  bis  zum  Jahre  1893.  Ist  auch  an  anderen  deutschen  Orten 
das  landwirtschaftliche  Vereinswesen  schon  älter,  z.  B.  die  Königl.  Land- 
wirtschafts-Gesellschaft zu  Celle  schon  1764  gegründet,  so  ist  die  Olden- 
burgische  Landwirtschafts- Gesellschaft  doch  eine  der  ersten  landwirtschaft- 
lichen Vereine  Deutschlands.  Sie  wurde  in  das  Leben  gerufen  durch 
einen  trefflichen  Aufruf  in  den  Oldenburgischen  Blättern  vom  10.  November 
1817,  in  denen  das  Prinzip  der  Selbsthilfe  und  des  vereinigten  Vorgehens 
in  kräftigen  Zügen  geschildert  wird.  Das  Beispiel  englischer  Verhältnisse 
mag,  wie  in  sehr  vielen  anderen  Beziehungen,  hier  förderlich  auf  die  Ent- 
wickelung  in  Oldenburg  gewesen  sein.  Auf  der  1.  Generalversammlung 
der  Gesellschaft  im  Jahre  1821  wurde  eine  grofse  Zahl  Medaillen  für 
verdienstvolle  Leistungen  ausgeschrieben  und  zwar  für  Einführung  der 
Stallfütterung  in  Verbindung  mit  einem  zweckmäfsigen  Feldsystem,  Auf- 
findung des  Mergels,  Veredelung  der  Schafzucht,  Neuanbau  auf  unkulti- 
viertem Lande,  Beförderung  der  Obstbaumzucht,  Beförderung  des  Hanf- 
baues, Beförderung  des  Hopfenhandels,  Bewässerung  der  Wiesen,  Be- 
förderung des  Wühlens  in  der  Marsch  und  verschiedene  andere  Dinge. 
Die  verschiedensten  Mafsnahmen  wurden  von  der  Gesellschaft  in  den 
nächsten  Jahren  mit  und  ohne  Erfolg  versucht  oder  unterstützt,  z.  B. 
Einführung  von  Kunstdünger,  Einführung  des  Tabakbaues,  der  Seiden- 
raupenzucht, Unterstützung  des  Tierschauwesens  u.  s.  w. 

Im  allgemeinen  war  der  Wirkungskreis  der  Gesellschaft  in  den  ersten 
Decennien  kein  sehr  grofser,  wogegen  in  den  1850er  Jahren  ein  frischer 
Aufschwung   zu    konstatieren    ist,    besonders   nach    der  Reorganisation  der 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.    457 

Gesellschaft  im  Jahre  1859.  Vermittelung  der  Wissenschaft  mit  der  prak- 
tischen Landwirtschaft,  Belehrung  und  Verständigung  der  Landwirte,  Ver- 
tretung der  landwirtschaftlichen  Interessen  wurden  jetzt  als  die  allge- 
meinen Ziele  der  Gesellschaft  bezeichnet.  Neue  Statuten  wurden  aus- 
gearbeitet und  eine  ganze  Reihe  von  hochwichtigen  Förderungsmafsregeln 
in  die  Hand  genommen.  Namentlich  wurde  sich  der  Hebung  der  Vieh- 
zucht angenommen  und  die  hohe  Blüte,  welche  die  Oldenburger  Viehzucht 
heute  besitzt,  ist  jedenfalls  mit  auf  das  thätige  Eingreifen  der  Landwirt- 
schafts-Gesellschaft zurückzuführen,  wenn  diese  auch  bescheiden  ihr  Blühen 
und  Gedeihen  dem  Eingreifen  der  verschiedenen  Landesfürsten  zuschreibt. 
Stierkörungen  wurden  als  wesentlichstes  Mittel  zur  Hebung  der  Rindvieh- 
zucht in  Oldenburg  auf  Betreiben  der  Landwirtschafts-Gesellschaft  ein- 
geführt, die  Einführung  staatlicher  Stammregister  für  das  Oldenburger 
Kutschpferd  eingeleitet ,  die  Hebung  der  Schaf-  und  Schweinezucht  durch 
Import  bewährter  Kulturrassen  gehoben.  Auch  mit  der  Organisation  von 
Viehversicherungs  -  Gesellschaften  beschäftigte  man  sich  eingehend.  In 
dieser  Zeit  fanden  auch  die  ersten  Beratungen  über  Einführung  einer 
Hagelversicherungs-Gesellschaft  statt.  Um  der  Drainage,  welche  bereits 
in  damaliger  Zeit  beträchtliche  Fortschritte  gemacht  hatte,  ausgedehntere 
Einführung  im  Herzogtum  zu  verschaffen,  bewilligte  die  Gesellschaft 
Unterstützungen  in  Höhe  von  5  Thalern  per  Jyck  drainierten  Landes.  Im 
Jahre  1860  wurde  sich  energisch  mit  Begründung  einer  Ackerbauschule 
in  Oldenburg  befafst. 

Ein  sehr  vorteilhafter  Fortschritt  jener  Epoche  war  die  Reorganisation 
des  Tierschauwesens  und  es  wurde  im  Jahre  1868  die  erste  Landes- 
ausstellung in  Oldenburg  eröffnet,  die  seitdem  öfter  wiederholt  und  mäohtig 
zum  Fortschritt  anregte.  Der  Förderung  des  Molkereiwesens  wurde  sich 
ebenfalls  von  der  Gesellschaft  angenommen.  Wichtige  Gründungen  der 
Neuzeit  war  die  Einrichtung  eines  chemischen  Laboratoriums  unter  Lei- 
tung des  Herrn  Dr.  Petersen ,  einer  3000  Bände  starken  landwirtschaft- 
lichen Bibliothek,  die  Begründung  eines  Landwirtschafts-Blattes  für  das 
Herzogtum  Oldenburg,  welches  in  einer  Auflage  von  3300  Exemplaren 
erscheint. 

Der  zweite  Teil  des  Werks  beschäftigt  sich  mit  Beschreibung  der 
Landwirtschaft  und  ihres  Betriebes  im  Herzogtum  Oldenburg.  Es  finden 
sich  hier  eine  Menge  landwirtschaftlich  und  volkswirtschaftlich  inter- 
essanter Angaben.  Im  allgemeinen  ersieht  man  hieraus,  auf  welche 
hohe  Stufe  die  Landwirtschaft  in  diesem  von  der  Natur  allerdings  mit 
guten,  aber  auch  mit  bösen  Gaben  ausgestatteten  Land  gelangt  ist. 

Allgemeinere  Kapitel  dieses  Teils  sind:  „Die  Kulturentwickelung  in 
den  Marschen",  ,,Zur  Geschichte  der  Deichordnung"  und  „Deiche  und 
Siele". 

Ausführliche  statistische  Angaben  werden  '  durch  den  Vorstand  des 
herzoglichen  statistischen  Bureaus,  Dr.  Kollmann,  in  den  Kapiteln:  „Die 
Bevölkerung  in  ihrer  Ausbreitung  und  ihrem  Wachstum"  und  „Umfang 
und  die  Beschaffenheit  der  Viehhaltung  auf  Grund  der  Viehzählung"  ge- 
macht. Ebenso  bieten  die  Angaben  über  landwirtschaftliche  Arbeitslöhne 
in  den  verschiedenen  Abteilungen  des  Herzogtums  wertvolle  statistische 
Unterlagen. 


458     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Es  kommen  sodann  einige  Spezialabteilungen  von  verschiedenen 
Autoren  über  den  landwirtschaftlichen  Betrieb  in  den  Weser-  und  Moor- 
marschen, im  Jeverland,  auf  der  Oldenburger  Geest,  im  Münsterland. 

Ueber  die  hochentwickelte  Oldenburger  Pferde-  und  Kindviehzucht 
berichtet  Rodewald  selbst  in  2  Kapiteln  eingehender.  Schaf-  und  Schweine- 
zucht, Ziegen-,  Geflügel-,  Bienen-  und  Fischzucht  werden  in  anderen 
Kapiteln  dargestellt.  Auf  allen  diesen  Gebieten  hat  man  in  Oldenburg 
rege  gearbeitet  und  dadurch  eine  recht  hohe  Stufe  im  Vergleich  zu 
anderen  Ländern  erlangt.  Ja  sogar  im  Obst-  und  Gartenbau  sind  trotz 
des  ungünstigen  Klimas  nach  den  diesbezüglichen  Berichten  in  Oldenburg 
von  jeher  grofse  Anstrengungen  gemacht  worden.  Auch  eine  Konserve- 
Fabrik  besteht  in  der  Stadt  Oldenburg,  so  dafs  ein  feldmäfsiger  Gemüse- 
bau daselbst  für  viele  Landwirte   zur  Möglichkeit  geworden  ist. 

Von  landwirtschaftlichen  Nebengewerben  spielt  die  Molkerei  in  Olden- 
burg die  gröfste  Rolle,  bestanden  doch  daselbst  im  Jahre  1891  34  Molke- 
reien mit  ca.  2500  Milchlieferanten.  Allerdings  berechnet  der  Referent 
über  diesen  Gegenstand,  Oekonomierat  Petersen-Eutin ,  dafs  nur  von 
10  000  Kühen  die  Milch  in  Molkereien  verarbeitet  wird,  während  im 
Herzogtum  80  000  Kühe  gehalten  werden,  so  dafs  immer  noch  iür  die 
Bildung  -von  Molkereigenossenschaften  ein  weites  Feld  offen  ist. 

Das  landwirtschaftliche  Genossenschaftswesen  ist  in  Oldenburg  recht 
gut  entwickelt  und  wird  in  der  Neuzeit  namentlich  mit  allen  Mitteln  ge- 
fördert, nachdem  v.  Mendel  während  der  Zeit  seines  Generalsekretariats 
in  Oldenburg  energisch  die  Hebung  desselben  in  die  Hand  genommen 
hatte.  Die  Oldenburgische  Land  wirtschafts- Gesellschaft  hat  auf  jede 
Weise  die  Bildung  landwirtschaftlicher  Genossenschaften  unterstützt. 
Es  existieren  in  Oldenburg  eine  grofse  Anzahl  landwirtschaftlicher 
Konsumvereine,  die  sich  zu  einer  Centralgenossenschaft  vereinigt  haben 
behufs  gemeinschaftlichen  Bezugs  von  Waren.  Im  Jahre  1892  betrug 
der  Gesamtumsatz  der  Konsumvereine  535  410  M.  Auch  die  Molkerei- 
genossenschaften haben  sich  zu  einem  Verband  vereinigt,  der  einen  ge- 
meinsamen Verkauf  von  Butter  betreibt,  eine  beratende  Kontrolle  über 
den  Betrieb  der  Meiereien  ausübt,  Vertretung  gemeinsamer  Interessen,  Auf- 
findung von  Absatzquellen  sich  zur  Aufgabe  gestellt  hat,  gleichmäfsige 
Packung  etc.  verfolgt. 

Aufserdem  ist  das  Genossenschaftswesen  in  Oldenburg  noch  realisiert 
durch  eine  Hengstversicherungs-Genossenschaft,  durch  den  Löninger  Pro- 
duzentenverein und  durch  zahlreiche  Hengst-  und  Bullenhaltungsgenossen- 
schaften. 

Das  landwirtschaftliche  Kreditwesen  ist  nach  den  Darstellungen  des 
Oberfinanzrats  Bucholz  in  vorliegendem  Werke  von  Bedeutung  durch  die 
Bodenkredit-Anstalt,  die  in  den  10  Jahren  1883—1893  564  Darlehen 
mit  1746  298  M.  verausgabte,  ferner  durch  verschiedene  andere  Bank- 
und  Kreditinstitute  in  den  einzelnen  Aemtern  des  Herzogtums.  Zahl- 
reiche Spar-  und  Darlehnskassen ,  Gewerbebanken,  Vorschufsvereine, 
Pfennigsparkassen  werden  aufgezählt. 

Auch  des  Versicherungswesens  hat  man  in  Oldenburg  zur  Förderung 
der    Landwirtschaft    sich    eifrig    bedient.      Es    werden    in    der    Festschrift 


Uebersicbt  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.       459 

Daher  beschrieben  :  Lebensversicherung,  Feuerversicherung,  Hagelversiche- 
rung ,  welche  letztere  mit  Erfolg  durch  die  Oldenburgische  Hagelver- 
sichungs-Gesellschaft  ausgeführt  wird.  Sogar  das  Viehversicherungswesen 
ist  sehr  stark  ausgebildet.  Es  bestanden  z.  B.  im  Jahre  1891  139  Kuh- 
kassen, 8  Pferdeversicherungen,  11  Schweineversicherungs-Gesellschaften 
und  1  Kasse  zur  Versicherung  von  Rindvieh  und  Schafen.  Sodann  ist  aber 
im  Jahre  1893  auf  Einrichtung  der  Oldenburgischen  Landwirtschaft  noch 
eine  allgemeine  Viehversioherungs-Gesellschaft  für  das  ganze  Herzogtum 
begründet  worden. 

In  besonderen  Kapiteln  werden  in  der  Festschrift  noch  behandelt 
„Die  Anwendung  landwirtschaftlicher  Maschinen  und  Geräte  von  1818 — 93", 
„Die  Hufbeschlagsschule  in  Oldenburg",  „Das  Veterinärwesen  im  Herzog- 
tum Oldenburg",  „Die  öffentlichen  Verkehrswege",  „Betrachtung  über  die 
bisherige  und  fernere  Entwickelung  der  heimischen  Schiffahrt". 

Das  Werk  ist  durch  verschiedene  Abbildungen  und  durch  einen  An- 
hang mit  graphischen  Darstellungen  über  die  Entwickelung  der  Landwirt- 
schafts-Geseilschaft  und  durch  kartographische  Uebersichten  über  ver- 
schiedene landwirtschaftliche  Verhältnisse  vorzüglich  ausgestattet.  Es 
leidet  an  dem  Fehler  aller  Sammelwerke,  dafs  die  einzelnen  Teile  nicht 
gleichmäfsig  bearbeitet  sind.  Es  bildet  jedoch  ein,  mit  grofsem  Fleifs  und 
Sachkenntnis  zusammengestelltes  wertvolles  Nachschlagebuch  für  landwirt- 
schaftliche und  volkswirtschaftliche  Spezialstudien  und  stellt  zugleich  ein 
Stück  Kulturgeschichte  im  Nordwesten  Deutschlands  während  der  letzten 
75  Jahre  in  ausführlicher  Weise  dar. 

Göttingen.  Prof.  Dr.  Backhaus. 

Agrarkonferenz,  die,  vom  28.  Mai  bis  2.  Juni  1894.  Bericht  über  die  Ver- 
handlungen der  von  Sr.  Exzellenz  dem  kgl.  preufsischen  Minister  für  Landwirtschaft, 
Domänen  und  Forsten  zur  Erörterung  agrarpolitischer  Mafsnahmen  einberufenen  Konferenz. 
Berlin.  Parey,  1894.  Lex.-8.  XVIII— 368  SS.  M.  8.—.  (A.  u.  d.  T. :  Landwirtschaft- 
liche Jahrbücher.     Hrsg.  von    (GORegR )  H.  Thiel,    Band  XXIII    [II.    Ergänzungsband].) 

Christiani,  J.  G.,  Ueber  die  Waldarbeiterverhältnisse  auf  dem  badischen  Schwarz- 
wald in  Vergangenheit  und  Gegenwart.  Karlsruhe,  Gutsch,  1894.  gr.  8.  III — 127  SS. 
mit  1   graph.  Tafel.     M.  2.—  . 

Dahlen,  H.  W.  (Generalsekret,  des  Deutschen  Weinbauvereins),  Bericht  über  die 
Verhandlungen  bei  Gelegenheit  der  Generalversammlung  des  Deutschen  Weinbauvereins 
in  Neuenahr  am  14.  und  15.  Sept.  1893.     Mainz,  Druck  von  v.  Zabern,   1894.     8.    111  SS. 

Frank  el,  H.,  Der  Kampf  gegen  die  Margarine.  Mit  besonderer  Berücksichtigung 
der  Anträge  des  „Bundes  der  Landwirte".     Weimar,  R.  Wagner  Sohn,   1894.    8.    47  SS. 

Fürst,  H.  (OForstR.) ,  Chronik  der  kgl.  bayerischen  Forstlehranstalt  Aschaffen- 
burg für  die  Jahre  1844 — 1894.  Zu  Ehren  ihres  50-jähr.  Bestehens  herausgegeben. 
Aschaffenburg,  Krebs,   1894.     gr.  8.     VI— 119  SS.     geb.  M.  3. — . 

Hertzog,  A.,  Was  der  Landwirt  wissen  soll.  Eine  kurze  Darstellung  der  theo- 
retischen Grundlagen  der  heutigen  Landwirtschaft.  Zabern,  Fuchs,  1894.  8.  VIII — 148  SS. 
M.   1,80. 

Rotar,  M.  S.,  Die  Wahrheit  über  den  Wiener  Saatenmarkt,  offen  dargelegt.  Wien, 
A.  Schulze,  1894.     gr.  8.     16  SS.     M.  0,60. 

Wittenberg,  H.  (Pastor),  Woran  leidet  der  Landarbeiterstand  in  den  östlichen 
Provinzen  und  wie  ist  ihm  zu  helfen?  Preisschrift  aus  dem  Wettbewerb  der  Zeitschrift: 
„Das  Land".     Berlin,  Trowitzsch  &  Sohn,  1894      gr.  8.     36  SS.     M.  0,80. 

Z  u  n  s  ,  J.,  Eine  Verminderung  der  Schattenseiten  des  Anerbenrechts.  Frankfurt  a/M., 
Bechhold,   1894.     gr.  8.     11   SS.     M.  0,50. 

Zwicky,  C.  (Prof.),  Wasserversorgung  für  ein  gröfseres,  isoliertes  Landgut.  Zürich, 
Speidel,  1894.     gr.  8.     36  SS.  mit  Figuren.     M.  0,80. 


460     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

de  B  o  i  x  o  ,  P.  (inspecteur  des  forets),  Les  forets  et  le  reboisement  dans  les  Pyrendes- 
Orientales.     Poitiers,  impr.  Blais,  Roy  &  O  ,   1894.     8.     48  pag. 

Brichemin,  L.  (secretaire  de  la  Society  nationale  d'aviculture  de  France),  Elevage 
moderne  des  animaux  de  bassecour.  Poules  et  poulaillers ;  Elevage  naturel  et  artificiel ; 
monographie  de  toutes  les  races.     Paris,  Dentu,  1894.     4.     VII — 383  pag.  av.  fig. 

Broilliard,  C.  (ancien  prof.  ä  l'Ecole  forestiere),  Le  traitement  des  bois  en 
France ;  estimation,  partage  et  usufruit  des  forets.  Nouvelle  edition.  Nancy  et  Paris, 
Berger-Levrault  &  O  ,  1894.     8.     XIII— 687  pag.     fr.  7,50. 

Effere,  Les  mines  du  Goldberg  au  moyen-äge.  Paris,  imprim.  Chaix,  1894.  8. 
23  pag.     (Extrait  du  Journal :  „le  Genie  civil".) 

Larbaletrier  (prof.  d'agriculture),  Petit  dictionnaire  d'agriculture,  de  zootechnie 
et  de  droit  rural.     Paris,  A.  Colin  &  C>e ,  1894.     in-18  Jesus,  relie  toile.     fr.  2,50. 

Voeux  de  l'assemblee  generale  de  la  Socidte  des  agriculteurs  de  France  (1868 — 
1893),  recueillis  et  mis  en  ordre  par  M.  le  comte  de  Lucay  (vice-president)  et  P.  Senart 
(secretaire).     2e  rirage.     Paris,  impr.   Noizette,   1894.     8.     XXVIII— 257  pag. 

Zolla,  D.  (prof.  d'economie  rurale  et  de  16gislation  ä  l'Ecole  nationale  d'agricul- 
ture de  Grigoon),  Code-manuel  du  proprietaire  agriculteur.  Paris,  Giard  &  Briere,  1894. 
in-18  Jesus.  312  pag.  fr.  3,50.  (Petite  encyclopedie  sociale,  economique  et  financiere, 
tome  10.) 

Abraham,  F.,  The  new  era  of  the  goldmining  industry  in  the  Witwatersrand. 
Translated  by  H.   S.  Simonsen.     London,  E.  Wilson,  1894.     crown-8      1/. — . 

Agriculture.  Organisation  of  Departments  of  agriculture  in  foreign  countries, 
and  the  nature  of  the  assistance  rendered  by  the  State  in  the  interests  of  agriculture. 
Reports  from  H.  Maj's  Representatives  abroad.  London,  printed  by  Eyre  &  Spottiswoode, 
1894.     8.     (Parliamentary  paper.) 

Comes,  O,  La  coltivazione  sperimentale  dei  tabacchi  nell'  anno  1893.  Roma,  tip. 
nazionale  di  G.  Bertero,  1894.  8.  VI — 122  pp.  (Pubblicazione  del  Ministero  delle 
linanze:   direzione  generale  delle  privative.) 

Fazio,  C.,  L'agricoltura  nella  legislazione  italiana  :  saggio  storico-giuridico.  Portici, 
stab.  tip.  Vesuviano,  1893.     8.     81  pp.     1.  2. — . 

Rocca,  P.,  La  piccola  proprietä;  come  nasce,  come  muore :  studio  sulla  piccola 
proprietä  fondiaria  nel  Monferrato.  Milano,  1894.  16.  15  pp.  1.  0,10.  (Estr.  dalla 
„Critica  sociale",  anno  IV,  N°  6.) 

5.     Gewerbe  and  Industrie. 

Schulze-Gävernitz,  v.,  Der  Grofsbetrieb,  ein  wirtschaftlicher 
und  sozialer  Fortschritt.  Eine  Studie  auf  dem  Gebiete  der  Baumwoll- 
industrie.    Leipzig  1892.  281   SS. 

Das  vorliegende  Werk  stellt  sich  als  das  ökonomische  Korollar  der 
sozialpolitischen  Anschauungen  dar,  welche  der  Verfasser  in  seinem  1890 
erschienenen  gröfseren  Werke,  „Zum  sozialen  Frieden"  betitelt,  niederge- 
legt hat :  die  zuerst  von  Brentano  und  der  historischen  Schule  mit  Nach- 
druck vertretene  Auffassung  von  der  günstigen  Wirkung  völlig  ent- 
wickelter Grofsindustrie  auf  die  Hebung  der  lohnarbeitenden  Klassen  soll 
hier  für  ein  Hauptgebiet  des  englischen  Grofsgewerbes,  die  Baumwoll- 
industrie, ihren  induktiven  Beweis  finden.  Der  Verf.  nimmt  seinen  Aus- 
gangspunkt von  dem  Zwiespalte ,  der  in  der  Frage  nach  dem  volks- 
wirtschaftlichen Nutzen  hoher  Löhne  die  ganze  ältere  ökonomische 
Litteratur  Englands  durchzieht;  das  richtige  Urteil  könne  hier  nur  dann 
gewonnen  werden,  wenn  man  die  widersprechenden,  theoretischen  An- 
sichten als  die  natürlichen  Glieder  einer  Entwickelung  auffasse,  die 
parallel  läuft  mit  der  zu  Grunde  liegenden  Entwickelung  der  Produktions- 
verhältnisse. Denn  nur  als  der  Ausdruck  historischer  Wirtschaftsformen 
sind  die  jeweils  herrschenden  ökonomischen  Theorien  richtig  zu  ver- 
stehen.    Darum    bedeutet  Ricardo's    Lohntheorie    einen    wissenschaftlichen 


XJebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     461 

Rückschritt  gegenüber  der  Ansicht  Tucker's  von  dem  Nutzen  hoher  Löhne  : 
praktisch  aber  war  erstere  der  natürliche  AusÜufs  der  jugendlichen  in- 
dustriellen Entwickelung  Englands  zu  Beginn  des   19.  Jahrhunderts. 

Für  diese  ist,  wie  Verf.  ausführt,  das  eherne  Lohngesetz  begründet, 
aber  auch  nur  für  diese  :  die  Fortbildung  und  Vollendung  grofsindustrieller 
Produktion  bringt  als  Gegenbild  notwendig  die  Hebung  der  lohnarbeiten- 
den Klassen  hervor. 

Die  englische  Baumwollindustrie  als  die  Grundlage  und  der  Typus 
moderneu  Grofsgewerbes  verdankt  ihre  Entstehung  dem  Zusammentreffen 
mehrerer  Faktoren :  der  hohen  Blüte  des  englischen  Handels,  dem  grofaen 
Ausmafse  persönlicher  Freiheit  und  Sicherheit  des  Eigentums,  als  den 
Ergebnissen  der  nationalen  historischen  Entwickelung,  endlich  der  That- 
sache,  dafs  die  Baumwollindustrie  als  neues  Gewerbe  von  Anfang  an  frei- 
geblieben ist  von  den  Hemmnissen  zunftmäfsiger  Gewerbepolizei.  Die 
weitere  Entwickelung  erfolgt  nun  unter  dem  Drucke  internationaler  Kon- 
kurrenz. Der  Prozefs,  der  sich  dadurch  vollzieht,  trägt  zweifachen 
Charakter:  er  bewirkt  einerseits  eine  steigende  Produktivität  der  Arbeit, 
hervorgerufen  durch  unaufhörliche  technische  Verbesserung,  und  die  Folge 
davon,  Sinken  der  Arbeitskosten  und  Verbilligung  des  Produktes,  gleich- 
zeitig aber  auf  der  anderen  Seite  ein  Steigen  des  absoluten  Arbeitsver- 
dienstes bei  fortgesetztem  Fallen  des  Stücklohnes  und  Verminderung  der 
Arbeitszeit.  Die  Konkurrenz  selbst  mit  den  niedrigsten  Löhnen  des  Fest- 
landes wird  hierdurch  möglich,  so  dafs  die  technische  Verbesserung  zu- 
gleich mit  ungeheuerer  Steigerung  der  Produktion  in  demselben  Mafse 
Erweiterung  des  Absatzgebietes  bewirkt.  Im  Zusammenhange  damit  steht 
das  dauernde  Sinken  der  Anschaffungspreise  des  Rohmaterials,  gefördert 
durch  die  steigende  Technik  und  Arbeitsteilung  des  Handels. 

Welcher  Art  ist  nun  der  Einflufs  dieses  wirtschaftlichen  Prozesses 
auf  Lohn  und  Lebenshaltung  der  englischen  Baumwollarbeiter  gewesen? 
ist  die  pessimistische  Auffassung  von  der  notwendigen  Zorreibung  der 
Mittelstände,  der  Proletarisierung  grofser  Schichten  der  Bevölkerung  zu 
gunsten  weniger  Kapitalbesitzer  und  die  daran  geknüpfte  weitere  Theorie 
im  Einklang  mit  den  Thatsachen?  Der  Verf.  will  auch  hier  den  Wider- 
spruch der  Meinungen  evolutionistisch  lösen.  Jener  ersten  Periode  der 
Industrie,  die  sich  durch  hohe  Produktionskosten,  geringe  Technik  und 
Monopolstellung  charakterisiert,  entspricht  das  eherne  Lohngesetz  und 
entspringt  die  intransigente  Arbeiterpartei,  wie  sie  die  Chartistenbewegung 
darstellt;  letztere  aber  als  erste  soziale  Wirkung  wachsender  Grofsin- 
dustrie  löst  die  soziale  Beformbewegung  aus,  die  ihrerseits  durch  Arbeiter- 
schutzgesetzgebung, Verbot  der  Kinderarbeit,  Verminderung  der  Arbeits- 
zeit die  technisch-ökonomische  Entwickelung  vorwärts  treibt.  Das  nächste 
Resultat  ist  ein  Steigen  des  Lohnes  und  der  Lebenshaltung  der  Arbeiter, 
damit  aber  zugleich  der  Konsumtion,  die  nun  befruchtend  auf  die  Massen- 
erzeugung zurückwirkt.  So  zeigt  die  grofsindustrielle ,  nationale  Pro- 
duktion und  Konsumtion  das  Bild  des  geschlossenen  Kreislaufes  des 
Lebens.  Die  endliche  soziale  Folge  dieser  Entwickelung  ist  Ausgleich 
der  Vermögensgegensätze,  Bildung  neuer  Mittelklassen.  —  Auch  in  der 
deutschen  Baumwollindustrie,    deren  Verhältnisse    zum  Vergleiche   dienen, 


462     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

sieht  der  Verf.  den  gleichen  Prozefs  sich  vollziehen.  Allerdings  ist  die 
deutsche  Industrie  heute  noch  durchaus  rückständig  gegenüber  dem  Stande 
der  Dinge  in  Lancashire,  da  ja  selbst  noch  iu  der  Spinnerei,  vornehmlich 
aber  in  der  Weberei  die  hausindustrielle  Arbeit  bedeutenden  Anteil  an 
der  Produktion  hat ;  jedoch  auch  hier  werden  dieselben  Erscheinungen 
wie  in  England  sichtbar,  die  Tendenz  zum  Ersatz  von  Arbeit  durch 
Kapital,  zur  Zusammenfassung  und  Arbeitsteilung,  die  Accumulation  des 
Kapitals  und  die  dadurch  bewirkte  Erhöhung  der  Durchschnittsspindelzahl. 
Es  erscheint  somit  der  Schlufs  zwingender  Natur,  dafs  auch  die  sozialen 
Wirkungen  in  Deutschland  die  gleichen  sein  müssen;  eine  Steigerung 
der  Löhne  tritt  denn  auch  nach  des  Verf.  Ansicht  aus  den  Ergebnissen 
der  Reichsenquete  deutlich  hervor.  Andererseits  scheint  Schulze-Gävernitz 
die  geringe  Bedeutung  dieser  Lohnsteigeruug  nicht  zu  verkennen,  sofern 
man  dies  seinen  Ausführungen  über  die  geringe  Konsumtionskraft  der 
deutschen  Arbeiter  für  Textilartikel  entnehmen  darf. 

Nur  in  wenigen  grolsen  Zügen  konnte  der  reiche  Inhalt  der  treff- 
lichen Monographie  angedeutet  werden;  die  anschauliche,  durch  historische 
und  wirtschaftliche  Einzelausführungen  belebte  Darstellung  eines  bedeut- 
samen Gebietes  englischer  Grofsindustrie  verdient  volle  wissenschaftliche 
Anerkennung.  Die  Beantwortung  der  Frage,  ob  des  Verf.  Schlufsfolge- 
rungen  auch  in  allen  Punkten  zu  folgen  wäre,  bedürfte  allerdings  eines 
weiteren  Rahmens  der  Besprechung,  als  hier  geboten  scheint;  jedenfalls 
aber  ist  der  gelungene  Nachweis ,  dafs  der  technische  Fortschritt  der 
Baumwollindustrie  eine  dauernde  Hebung  der  arbeitenden  Klassen  in 
England  zur  Folge  gehabt,  als  ein  wertvolles  Ergebnis  der  Forschung 
festzuhalten,  wenn  man  auch  dabei  nicht  wird  vergessen  dürfen,  neben 
dem  Typischen  stets  das  Besondere  im  Auge  zu  behalten,  die  spezifische 
Entwickelung  der  Sozialpolitik  und  des  sozialen  Bewufstseins  der  herrschen- 
den Klassen  Englands  stets  als  Faktoren  von  allergröfster  Bedeutung  an- 
zusehen. 

Wien.  Dr.  Josef  Redlich. 

B  ö  1 1  g  e  r  ,  H.,  Der  Bauschwindel  und  das  Pfandvorrecht  der  Bauhandwerker,  Liefe- 
ranten u.  s.  w.     Braunschweig,  Limbach,  1894.     gr.  8.     48  SS.     M.  1. — . 

Centralmarkenregister  des  k.  k.  Handelsministeriums  1894.  Heft  5.  Wien, 
Hof-  und  Staatsdruckerei.    S.  37—488  mit  Abbildungen.     M.  3,50. 

Fall  Seeger,  der.  Ein  Notschrei  des  rechtlosen  Bauhandwerkes.  (Von  Kassandra.) 
Leipzig,  R.  Werther,  1894.     gr.  8.     46  SS.     M.  0,60. 

Häntzschel,  W.  (Civil-lng.),  Der  Patentschwindel.  Ein  offenes  Wort  über  das 
Patentgeschäft  im  In-  und  Auslande,  Teil  I.  Leipzig  1894.  gr.  8.  40  SS.  (Selbst- 
verlag.)    M.  0,50. 

Marabini,  E.,  Bayerische  Papiergeschichte.  Nach  archivalischen  Quellen  verfafst. 
Teil  I.  Nürnberg,  Raw,  1894.  8.  (A.  u.  d.  T. :  Die  Papiermühlen  im  Gebiet  der  wei- 
land freien  Reichsstadt  Nürnberg.  147  SS.  mit  100  Abbildgn.,  6  Tafeln  und  1  Karte.) 
M.  4,50. 

v.  Posanner,  Benno  (Frh.),  Technologie  der  landwirtschaftlichen  Gewerbe, 
nebst  einer  kurzen  Abhandlung  über  Mineralöle  etc.  4.  Aufl.  Band  I.  Wien,  Hof-  und 
Staatsdruckerei,  1894.  gr.  8.  XI— 390  SS.  Mit  zahlreichen  Textholzschn.,  70  Tafeln, 
17  Farbendruckbildern  und  12  Orig.-Dispositionsplänen.  M.  10.  (Inhalt:  Das  Wasser 
und  die  Wärme.  —  Die  Stärkefabrikation.  —  Die  Bierbrauerei.) 

Stammer,  K.,  Der  Dampf  in  der  Zuckerfabrik.  (Zusatzband.)  Unter  Mitwirkung 
von  Fachmännern  herausgegeben.  Magdeburg,  A.  Rathke,  1894.  gr.  8.  VIII — 303  SS. 
mit  152  Figuren,     geb.     M.  10. — . 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     463 

C  assin,  E.  (ingenieur  des  mines),  Historique  du  plncement  des  ouvriers.  Paris, 
impr.   Cliaix,    1894.     8.      14  pag. 

Couhen,  C 1.  (avocat  ä  la  Cour  d'appel  de  Paris),  La  propri^te"  industrielle, 
artistique  et  litteraire.  Tome  I.  Paris,  Larose,  1894.  8.  fr.  10. — .  (Der  II.  und  Schlufsbd. 
erscheint  im  November.) 

Description  des  machines  et  proccdüs  pour  lesquels  des  brevets  d'invention  ont 
ete  pris  sous  le  regime  de  la  loi  du  5  juillet  1844.  Tome  LXXVIII  (li*re  et  2'^m«  par- 
ties).  Nouvelle  s^rie,  2  vols.  Paris,  imprim.  nationale,  1894.  in-4.  479  pag.  et  94  planches, 
526  pag.  et   73  planches. 

Milhaud,  L.,  Les  questions  ouvrieres.  Les  rßformes  possibles  et  pratiques  dans 
les  questions  ouvrieres.     Paris,   Giard   &  Briere,   1894.     in-18  j^sus.     203  pag.     fr.   2,50. 

Pill  et,  J.  (ingenieur  des  arts  et  manufactures)  ,  Causeries  sur  le  dessin  industriel. 
Annde   1894.     Guise,  imprim.   Bare,   1894.     8.     476   pag.   av.  planches  et  vignettes. 

Sagnier,  U.  (ingenieur  des  arts  et  manufactures),  Du  gazogene  et  de  Ses  appli- 
cations.  Lille,  imprim.  Danel,  1894  8.  46  pag.  av.  figures.  (Publication  de  la  „Societe 
industrielle  du  nord  de  la  France".) 

Hörne,  H.  P.,  The  binding  of  books :  an  essay  on  tbe  bistory  of  gold-tooled 
bindings.     New  York,    Scribner's    Sons,    1894.     8.     XIII — 224  pp.,    illustrated.     $  2,50. 

Hooper,  W.  H.  and  W.  C.  Phillips,  A  manual  of  marks  on  pottery  and 
porcelain.  A  dictionary  of  easy  reference.  New  edition,  with  corrections  and  additions. 
London,  Macmillan  &  C°,   1894.      16.     228  pp.     4/.6. 

Tuit,  J.  E.,  The  Tower  bridge :  its  history  and  construction  from  the  date  of  the 
earliest  project  to  the  present  time.    London,   „Engineer"   Office,    1894.   4.   100  pp.  5/. — . 

Unwin,  W.  C,  On  the  development  and  transmission  of  power  from  central  stations. 
Being  the  Howard  lectures,  1893.     London,  Longmans,  1894.     8.     10/. — . 

Zoppetti,  V.  (prof.),  Manuale  di  siderurgia  (fabbricazione  della  ghisa,  del  ferro 
e  dell*  acciaio),  pubblicato  e  completato  per  cura  dell'  ingegn.  Eg.  Garuffa.  Milano,  U. 
Hoepli,   1894.     16.     IV— 368  pp.  c.  fig. 

6.     Handel  und  Verkehr. 

Schanz,  Georg,  Die  Kettenschleppschiffahrt  auf  dem  Main.  8°. 
101   SS.     Bamberg,   1893,  C.  C.  Buchner. 

Derselbe,  Der  Donau-Main-Kanal  und  seine  Schicksale.  8°.  190  SS. 
(mit  einer  Karte).     Bamberg,   1894,  C.  C.  Buchner. 

Schanz  hat  sich  durch  diese  beiden  „Studien  über  die  bayerischen 
Wasseratrafsen"  ein  wirkliches  Verdienst  erworben.  Beide  zeichnen  sich 
durch  eine  ruhige  und  nur  von  sachlichen  Erwägungen  geleitete  Beur- 
teilung der  in  Betracht  kommenden  Fragen  aus  und  bieten  überdies  eine 
Fülle  geschichtlichen  und  statistischen  Materials,  das  mit  kritischer  Sorg- 
falt ausgewählt  ist. 

Der  Schwerpunkt  der  erstgenannten  Schrift  liegt  in  der  Besprechung 
der  wirtschaftlichen  Bedeutung  und  den  Aussichten  der  geplanten  und  als 
Staatsunternehmung  gedachten  Kettenschleppschiffahrt  von  Aschaffenburg 
bis  Kitzingen.  Der  Verf.  hält  eine  Rentabilität  dieser  Unternehmung  für 
möglich,  wenn  der  Staat  ihr  einen  beträchtlichen  Teil  der  Dienstkohlen 
überläfst;  im  übrigen  kann  das  gröfsere  Projekt  der  Mainkanalisierung 
nach  seiner  Anschauung  der  Einführung  der  Kettenschleppschiffahrt  nicht 
entgegenstehen.  Der  Ausdehnung  der  Kettenschleppschiffahrt  von  Kitzingen 
bis  Bamberg  steht  er  dagegen  skeptisch  gegenüber. 

Die  zweite  Schrift  schildert  Vorgeschichte  und  Entstehung  des  jetzigen 
Donau-Main-Kanals  und  legt  weiterhin  dessen  Unzulänglichkeit  dar.  Als  tem- 
poräre Mafsregel  zur  Hebung  des  Kanalverkehrs  empfiehlt  der  Verf.  eine 
Ermäfsigung   der    Kanalgebühren.     Ueber   das    grofse    Projekt    eines   voll- 


464     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

ständigen  Umbaus  des  Kanals  stellt  Schanz  eine  besondere  Studie  in  Aus- 
sicht, von  der  man  wohl  eine  sorgfältige  Behandlung  des  Gegenstandes 
erwarten  darf. 

Aachen.  R.  van  der  Borght. 

Eisenbahnschematismus  für  Oesterreich-Ungarn.  Jahrgang  XX  pro  1894/95 
Wien,  Manz,   1894.     gr.   8.     XII— 522   SS.     geb.     M.   6. 

Handbuch  für  die  deutsche  Handelsmarine  auf  das  Jabr  1894.  Herausgegeben 
im  Reicbsamt  des  Innern.  Berlin,  G.  Reimer,  1894.  gr.  8.  VI,  128;  164  u.  175  SS. 
M.  7.—. 

Handelskammer  des  Kreises  Eupen.  Jahresbericht  für  1893.  Eupen  ,  Druck 
von  C.  J.  Mayer,  1894.     Folio.     24  SS. 

Handelskammer  Metz.  Jahresbericht  über  ihre  Thätigkeit  vom  1.  April  1893 
bis  31.  März  1894.  Metz,  Buchdruckerei  P.  Even,  1894.  gr.  8.  71  u.  71  SS.  nebst 
6  statistischen  Tabellen  in  quer-folio.     (Mit  französischer  Uebersetzung.) 

Handelskammer  zu  Mülhausen  im  Elsafs.  Jahresbericht  für  1893.  2  Teile. 
Mülhausen,  Druck  von  Wwe  Bader  &  Cie  ,  1894.  4.  (Teil  I:  Ansichten,  Gutachten, 
Wünsche,  Mitteilungen   63  SS.;  Teil  II:  Statistik  XCVI  SS.) 

Jahresbericht  der  Handelskammer  für  die  Kreise  Arnsberg,  Meschede  und  Brilon 
für  das  Jahr  1893.  Arnsberg,  Druck  von  F.  W.  Becker,  1894.  Folio.  14  SS.  (einschl. 
Verzeichnis  der  eingetragenen  Handelsfirmen). 

Jahresbericht  der  Handels-  und  Gewerbekammer  zu  Chemnitz  1893.  Teil  I. 
Chemnitz,  Ed.  Focke,  1894.  Roy.-8.  XXXIX— 189  SS.  (Inhalt.  Ansichten,  Gutachten 
und  Wünsche:  1.  Einrichtungen  für  Handel  und  Industrie  (mit  Ausschlufs  der  Verkehrs- 
anstalten). 2.  Verkehrseinrichtungen  (Eisenbahn-,  Post-  und  Telegraphenwesen.  Schiffahrt. 
Bericht  über  die  Sitzungen  des  sächsischen  Eisenbahnrates  ,  Sitzung  vom  2.  II  und  vom 
6.  VI.  1893).  —  3.  Oeffentliche  Lasten  und  Abgaben:  Zoll-  und  Steuerwesen.  Handels- 
verträge. — ) 

Jahresberi  cht  des  Vorsteheramtes  der  Kaufmannschaft  zu  Danzig  über  seine 
Thätigkeit  im  Mai  1893/94  und  über  Danzigs  Handel,  Gewerbe  und  Schiffahrt  im  Jahre 
1893.     Danzig,  Druck  von  E.  Groening,  1894.     Folio.     131  SS. 

Bericht  der  Handels-  und  Gewerbekammer  zu  Dresden  1893.  Dresden,  Druck 
von  C.  Heinrich,   1894.     gr.  8.     X— 231  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  für  den  Stadtkreis  Duisburg  über  das  Jahr 
1893.     Duisburg,  gedruckt  bei  F.  H.  Nieten,  1894.     gr.  8.     89  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  für  die  Stadt  und  den  Kreis  Görlitz  auf  das 
Jahr  1893.     Görlitz,  Druck  von  Hoffmann  &  Reiber,   1894.     8      101  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Göttingen  für  das  Jahr  1893.  Göttingen, 
Druck  der  Dieterich'schen  Univ. -Buchdruckerei,  1894.  8.  V — 108  SS.  mit  3  tabellarischen 
Beilagen. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Hannover  für  das  Jahr  1893.  Hannover, 
Druck  von  W.  Riemschneider,  1894.  gr.  8.  VIII— 236  SS.  (Mit  Getreidepreistabelle 
für  1893  und  Tabelle  über  die  Marktpreise  verschiedener  landwirtschaftlicher  Gegenstände 
zu  Hannover,  Hameln  und  Celle.) 

Jahresbericht  der  Handelskammer  des  Kreises  Iserlohn  für  das  Jahr  1893. 
Iserlohn,  Druck  von  A.  Heine,   1894.     8.     24  u.  24  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  für  die  Kreise  Karlsruhe  und  Baden  für 
1893.     Karlsruhe,  Braun'sche  Hofbuchdruckerei,  1894.     8.     VIH— 234  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Kiel  für  1893.  Jahrg.  XXII.  3  Teile. 
Kiel,  Druck  des  Verlags  der  Nord-Ostsee-Zeitung,    1894.     gr.   8.     XXII— 147   u.   106  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Krefeld  für  1893.  Nebst  einem  Anhang. 
(S.  105 — 22) :  Die  Zollsätze  auswärtiger  Staaten  für  die  Erzeugnisse  der  Krefelder  In- 
dustrie.    Krefeld,  Druck  von  Kramer  &  Baum,  1894.     Folio.     VIII— 122   SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Lauban  für  das  Jahr  1893.  Lauban, 
Druck  von  C.  Goldammer,  1894.     Folio.     25  SS. 

Jahresbericht  der  bergischen  Handelskammer  zu  Lennep.  Umfassend  die  Kreise 
Gummersbach,  Lennep,  Remscheid,  Wipperfürth  und  die  Bürgermeistereien  Kronenberg, 
Velbert,  Wülfrath.   1893.  Remscheid,  Druck  von  H.  Krumm,   1894.     8.     VI — 55  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  in  Limburg  a.  d.  Lahn  für  1893.  Limburg, 
Schlinck'sche  Buchdruckerei,  1894.     gr.  8.     57  SS.  mit    statistischer  Tabelle  in  qu.-folio. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.      465 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Lüneburg  vom  Jahre  1893.  Lüneburg, 
Druck  der  v.   Stern'schen   Buchdruckerei,   1894.     Folio.     30  SS. 

Jahresbericht  per  Handelskammer  zu  Minden  für  das  Jahr  1893.  Minden  i  W., 
Druck  von   Leonardy  &  C°,   1894.     gr.   8.      135  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  M.Gladbach  pro  1893.  M.Gladbach, 
Druck  von   W.  Hütter,   1894.     Folio.      51   SS. 

Jahresbericht  der  Handels-  und  Gewerbekammer  zu  Plauen  auf  das  Jahr  1893. 
Teil  I.  Plauen,  W.  Wieprecht,  1894.  gr.  8.  IV— 280  SS.  (S.  98—196  Erzeugnisse 
der  Textilindustrie.) 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Schweidnitz  umfassend  die  Kreise  Reichen- 
bach, Schweidnitz,  Striegau  und  Waidenburg  für  das  Jahr  1893.  Schweidnitz,  Buch- 
druckerei  von  Ad.   Schreyer,   1894.      Folio.     79  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  für  den  Kreis  Solingen  pro  1893.  Solingen 
1894.  Folio.  87  SS.  (S.  74  u.  ff.  Nachweisung  der  handelsgerichtlich  eingetragenen 
Firmen  und  Gesellschalten  des  Kreises  Solingen,  welche  bis  zum  1.  Mai  1894  einschl. 
zur  Eintragung  gelangt  sind.) 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Stolberg  (Rheinland)  für  1893.  Aachen, 
Druck  von  C.  H.  Georgi,   1894.     Folio.     30  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Stralsund  für  1893.  Stralsund,  Druck 
der  k.  Regierungsdruckerei,  1894.      8.     64  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  für  den  Kreis  Thorn  für  das  Jahr  1893. 
Thorn,  Buchdruckerei  Thorner  Ostdeutsche  Zeitung,  1894.     gr.  8.     96  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Trier  für  das  Jahr  1893.  Trier,  Fr. 
Lintz'sche  Buchdruckerei,   1894.     Folio.     54  SS. 

Jahresbericht  der  Handels-  und  Gewerbekammer  für  Unterfranken  und  Aschaffen- 
burg 1892/93.  Würzburg,  Druck  der  Kohl,  und  Hecker'schen  Buchdruckerei,  1894. 
gr.  8.  V11I— 304  SS.  (S.  104—267;  Berichte  über  die  wirtschaftliche  Lage:  Gutachten, 
Ansichten  und  Wünsche  aus  Interessentenkreisen.) 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Wesel  mit  den  Wahlbezirken  Wesel, 
Emmerich  und  Bocholt  für  das  Jahr  1893.  Jahrg.  LVI.  Wesel,  Buchdruckerei  von 
Fincke  &  Mallinckrodt,  1894.  8.  94  SS.  Mit  graphischer  Darstellung  in  gröfst  quer- 
folio:  Preise  für  ,,good  average  Santos  Caffee"  in  Hamburg  am  Sonnabend  einer  jeden 
Woche  in  den  Jahren  1881  — 1892. 

Kandt,  Mor.  ,  Ueber  die  Entwickelung  der  australischen  Eisenbahnpolitik,  nebst 
einer  Einleitung  über  das  Problem  der  Eisenbahnpolitik  in  Theorie  und  Praxis.  Berlin, 
H.  Mamroth,  1894.     gr.  8.     XXXIV— 263  SS.     M.  4,50. 

Weissenbach,  Placid,  Rückkauf  oder  Expropriation ?  Ein  Beitrag  zur  Ver- 
staatlichung der  schweizerischen  Eisenbahnen.  Basel,  B.  Schwabe,  1894.  gr.  8.  58  SS. 
M.  1.—. 

Winter,  P.,  Ueber  die  Gewinnabsicht  als  ein  wesentliches  Merkmal  des  Begriffes 
,, Handelsgeschäft".     Breslau,  W.  Koebner,   1894.     8.     40  SS.     (Dissertation.) 


Annuaire  de  la  marine  de  commerce  francaise.  Guide  du  commerce  d'importation 
et  d'exportation.  1894  (11«  annee).  Paris,  A.  Challamel,  1894.  gr.  in-8.  cartonne" 
toile.     fr.  16 — . 

Francois,  G.,  Le  commerce.  Paris,  L.  Chailley,  1894.  8.  cart.  en  toile  fr.  4. 
(Bibliotheque  des  sciences  sociales  et  polit.   dirigöe  par  Ch.   Benoist  et  A.  Liesse.) 

Cr  and  all,  C.  L.,  Railway  and  other  earthwork  tables.  New  York,  J.  Wiley  & 
Sons,  1894.     8.    cloth.     $  1,50. 

Davies,  G.  C,  Cruising  in  the  Netherlands:  a  handbook  to  certain  of  the  rivers 
and  canals  of  Holland,  Friesland,  and  the  North  of  Belgium.  London,  Jarrold,  1894. 
8.     210  pp.     1./6. 

Maclay,  E.  Stanton,  A  history  of  the  United  States  navy  from  1775  to  1893; 
with  technical  revision  by  Roy  C.  Smith.  (2  vols.)  Vol.  I.  New  York,  Appleton,  1894. 
8.  XXXH — 575  pp.  with  illustrations,  diagrams  of  important  battles  and  maps  of  the 
scenes  of  naval  Operations.     £  3,50. 

Cereseto,  G.   C.   (avvocato),  Le  strade  vicinali.    Torino,  Unione  tipograf.-editrice, 

1894.     8.     150  pp.     1.  2. — .     (Contiene:  Legislazione  delle  strade  vicinali.   —  Le  strade 

agrarie.  —  Gli  elenchi  delle  strade  vicinali.  —  Condizione  giuridica  delle  strade  vicinali. 

—  La  manutenzione  delle  strade  vicinali ;  riunione  degli  utenti ;  consorzio  permanente.  — 

Dritte  Folge  Bd.  VDI  (LX11I).  3Q 


466     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Fondo  speciale  per  la  conservazione  delle  strade  vicinali.  —  Attribuzioni  di  vigilanza 
dei  comuni  sulle  strade  vicinali.  —  Legge   sui    lavori  pubblici  delle  strade  ordinarie.  — ) 

Cresto,  G.  B.,  La  nostra  legislazione  sui  francobolli,  con  cenni  storici  dal  1818 
ai  nostri  giorni.  Milano ,  tip.  G.  Gussoni,  1894.  16.  197  pp.  1.  2,50.  (Contiene : 
Fogli  carta  postale  bollata.  —  Francobolli.  —  Officina  carte  valori.  —  Francobolli  ita- 
liani  ,,Estero".  —  Francobolli  di  Stato.  —  Segnatasse.  —  Regno  lombardo-veneto.  —  Stato 
della  chiesa.  —  Ducato  di  Modena.  —  Parma.  —  Toscana.  —  Napoli  e  Sicilia.  — 
Romagne.  —  Repubblica  di  S.  Marino.  —  Monaco.  —  Sui  francobolli  nuovi  dei  cessati 
governi  italiani.  — ) 

Di  Martire,  R.  (ingegn.) ,  L'equitä  nei  contratti  d'appalto  di  lavori  pubblici  in 
relazione  con  la  questione  sociale  ed  economica.  Roma,  tip.  dell'  Unione  cooperativa 
editrice,  1894.  8.  35  pp.  (Estr.  dal  „Bollettino  delle  finanze,  ferrovie  e  lavori  pubblici, 
industrie  e  commercio,  anno  XXVII:   1894.) 

Perron  e,  Fr.  (avvocato),  L'idea  sociale  nel  diritto  commerciale.  Napoli,  L.  Pierro 
edit.,    1894.      16.     52  pp. 

Tabella  indicante  i  valori  delle  merci  nell'  anno  1893  per  le  statistiche  commer- 
ciftli,  approvata  con  decreto  ministeriale  10  marzo  1894.  Roma,  tip.  nazionale  di  G. 
Bertero,  1894.  8.  74  pp.  (Pubblicazione  dei  Ministero  delle  finanze:  direzione  generale 
delle  gabelle.) 

7.     Finanzwesen. 

Ergänzungssteuergesetz,  das,  vom  14.  Juli  1893,  nebst  Ausführungsan- 
weisung des  Finanzministers  vom  3.  April  1894  und  technische  Anleitung  vom  26.  Dezember 
1893  für  die  erstmalige  Schätzung  des  Wertes  der  Grundstücke  behufs  Veranlagung  der 
Ergänzungssteuer.     Leipzig,  Pfeffer,   1894.     gr.    8.     77   SS.     M.   1,10. 

Gauss,  F.  G.  (Wirkl.  Geh.  OFinR.),  Die  Ergänzungssteuer  in  Preufsen  nach  dem 
Gesetze  vom  14.  Juli  1893.  2  Teile.  Berlin,  Heymann,  1894.  Roy.-8.  IV— 332  u. 
315  SS.     M.   18.—. 

Generalzolltarif  aller  Staaten  und  Kolonien,  nach  dem  bis  Mai  1894  er- 
schienen amtlichen  Material  zusammengestellt.  Berlin,  Stankiewicz,  1894.  gr.  8.  271  SS. 
M.   5. — .     (Aus  „Exporthandadrefsbuch  von   Deutschland".) 

v.  Metterhaüsen,  W.,  Die  direkten  Landessteuern  im  Grofsherzogtum  Mecklen- 
burg-Schwerin seit  dem  landesgrundgesetzlichen  Erbvergleich  vom  18.  April  1755. 
Güstrow,  Opitz  &  C°,  1894.     gr.  8.     VIII— 119  SS.     M.  2.—. 


Dominion  of  Canada.  Estimates  for  fiscal  year  ending  30th  June,  1895.  Quebec 
1894.     Folio. 

Hunt  er,  W.  W.  (Sir),  Bengal  MS.  records :  a  selected  list  of  14136  letters  on  the 
Board  of  revenue ,  Calcutta  1782—1807.  4  vols.  London,  W.  H.  Allen,  1894.  8. 
30/.—. 

Alessio,  G.  (prof.),  La  funzione  dei  tesoro  nello  stato  moderno.  Padova,  fratelli 
Drucker  edit.,   1894.     8.      142  pp.      1.  2,50. 

Raccolta  delle  disposizioni  di  massima,  relative  al  riordinamento  dell'  imposta  fon- 
diaria.  Anni  1889 — 1891.  Volume  II — III.  Roma,  tip.  Elzeviriana ,  1889—93.  8. 
594  e  383  pp.     (Pubblicazione  dei  Ministero  delle  finanze:    giunta  superiore  dei  catasto.) 

van  der  Feen,  R.,  De  bedrijfsbelasting.  Practiche  verklaring  der  wet  met  het 
oog  op  het  invullen  der  biljetten,  met  voorbeelden  opgehelderd.  Amsterdam  1894.  kl.  8. 
fl.  0,25. 

Typaldos-Basias,  A.,  ÜEpl  tsXcoviocxgüIv  SaafJioXoYtav ,  Orcö  A.  TunaXSov- 
Mrcaaia.  'A^Tjvai?,  A.  Konstantinides,  1893.     8.     (Die  Zolltarife.) 

8.     Geld-,  Bank-,  Kredit-  und  Versicherungswesen. 

F  ritsch,  Th.,  Zwei  Grundübel:  Bodenwucher  und  Börse.  Eine  gemeinverständ- 
liche Darstellung  der  brennendsten  Zeitfragen.  Leipzig,  Beyer,  1894.  gr.  8.  299  SS. 
M.  2.—. 

Handbuch  der  süddeutschen  Aktiengesellschaften:  Bayern,  Württemberg  und  Baden. 
Jahrgang  XII:  1894/95.  Mit  Anhang:  ,,Die  bayerischen  Staats-  und  Kommunalanleihen" 
und  einem  Bankierverzeichnis,  bearbeitet  von  F.  Bonschab.  München,  G.  Franz,  1894. 
gr.  8.     XXIV— 431  SS.     M.  6.—. 

Jahrbuch    der  Berliner    Börse,  1894 — 1895.     XVI.    Ausgabe.     Eine  Nachschlage- 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     467 

buch  für  Bankiers  und  Kapitalisten.  Herausgegeben  von  der  Redaktion  des  „Berliner 
Aktionär".     Berlin,  Mittler  &  Sohn,   1894.     gr.  8.     XLVI— 691    SS.  geb.     M.   10.—. 

v.  Neumann,  V.  (Montanindustrieller),  Die  Versicherungstecbnik  in  Bruderladen- 
gesetz und  Musterstatut.  Eine  versicherungstechnische  Studie  von  einem  Nichtversiche- 
rungstechniker.     Wien,  Perles,   1894.     gr.  8.     III — 50  SS.     M.   1,20. 

Schenk,  C.  (RegAss.).  Die  Invaliditäts-  und  Altersversicherung  der  Hausweber  und 
Hauswirker  nach  der  Bekanntmachung  vom  1.  März  1894.  Für  den  Bezirk  des  herzogl. 
Landratsamts  Altenburg  zusammengestellt.  Altenburg,  Geibel,  1894.  gr.  8.  16  SS. 
M.   0,20. 

Zakrzewski,  C.  A. ,  Die  Organisation  des  landwirtschaftlichen  Kreditwesens. 
Als  Korreferat  für  „Die  Grundkreditkommission"  des  „Bundes  der  Landwirte"  gedruckt 
und  herausgegeben.     Berlin,  G.   Schuhr,   1894.     gr.  8.     VII  — 52  SS.     M.   1. — . 


Queant  (anc.  Doyen  Abbe),  L'assurance  et  la  religion,  une  question  d'economie 
politique.     Traduit  de  l'allemand.     Trier,  Stephanus,    1894.     8.      23  SS.     M.   0,40. 

Chadwyck-Healey,  C.  E.  H.,  A  treatise  on  the  law  and  practice  relating  to 
Joint  stock  companies  under  the  Acts  of  1862 — 1890.  3rd  edition.  London,  Sweet  &  M., 
1894.     Roy.-8.      1200  pp.     40/.—. 

George,  E.  M.,  The  silver  and  Indian  currency  questions.  Treated  in  a  practical 
manner.     London,  E.   Wilson  &  C°,  1894.     crown-8.      1/.3. 

Helm,  E.,  The  Joint  Standard :  a  piain  exposition  of  monetary  principles  and  of 
the  monetary  controversy.      London,  Macmillan,   1894.     crown-8.      220  pp.     3/6. 

Schraut,  M.,  Currency  and  international  banking.  London,  E.  Wilson,  1894. 
8.     1/.-. 

Albanese,  C,  Lo  stato  assicuratore.     Palermo,  R.  Sandron  edit.,   1893.     8.     35  pp. 

Belloli,  C.  G.,  Del  disegno  di  legge  sulle  imprese  di  assicurazione.  Milano,  tip. 
A.  Rancati,   1894.     8.     40  pp. 

Strenna  dell'  assicurazione  (a  cura  di  V.  Bario.)  Roma,  tip.  dell' Unione  coopera- 
tiva  editrice,   1894.      16°M.     120  pp.   c.  fig. 

A(sser),  (H.  L.),  Uitvoerbaar  bimetallisme  ?  Schets  eener  internationale  munt- 
conventie.     Amsterdam,  J.   Claussen,   1894.     gr.   8.      23  pp.     fl.  0,25. 

Ferguson,  J.  Helenus,  Het  bimetallisme  en  de  jongste  muntverordening  van 
Britisch-Indie.  Eene  schets  op  het  gebied  der  staathuishoudkunde.  Amsterdam,  L.  J.  Veen, 
1894.     gr.  8.     8  en  81  blz. 

9.     Soziale  Frage. 

Bericht  über  die  28.  Generalversammlung  und  die  Delegiertenversammlung  des 
Vaterländischen  Frauenvereins  am  22.  und  23.  Mai  1894.  Berlin,  Buchdruckerei  „Die 
Post",   1894.     8.     IV— 273  SS. 

Effner,  E.,  Das  platte  Land  und  die  Sozialdemokratie.  Berlin,  Verlag  des  „Vor- 
wärts",  1894.     gr.  8       32   SS.     M.  0,20. 

Mügel,  H  (Pfarrer  in  Bischweiler),  Religion  und  Sozialdemokratie.  Strafsburg, 
Heitz,  1894.     kl.  8.     40  SS.     M.  0,50. 

Natorp,  P.  (Prof),  Pestalozzis  Ideen  über  die  Arbeiterbildung  und  soziale  Frage. 
Eine  Rede.     Heilbronn,  E.  Salzer,  1894.     8.     34  SS.     M.  0,40. 

von  der  Passer,  A.,  Eva  aus  dem  Mittelstande.  Die  Bedeutung  der  Frau  im 
gesellschaftlichen  Kampfe  der  Gegenwart.  Leipzig,  Bacmeisters  Verlag,  1894.  8.  60  SS. 
M.  0,50. 


Charlier,  J.,  La  question  sociale  resolue,  prec^dee  du  testament  philosophique 
d'un  penseur.     Paris,  Lecene,  Oudin  &  O-,  1894.  8.  fr.  3,50. 

C  h  r  i  s  t  i  a  n  i  s  m  e  ,  le,  et  la  question  sociale.  Conferences  donnees  dans  la  salle 
de  la  Reformation,  ä  Geneve,  sous  les  auspices  de  la  Societe  chr^tienne  suisse  d'econo- 
mie sociale.  Paris,  Fischbacher,  1893.  8.  fr.  1,50.  (Sommaire :  Le  christianisme  et  la 
reforme  soiciale,  par  Lacheret.  —  Le  protestantisme  et  la  reTorme  sociale,  par  Allier. 
—  Le  socialisme  chretien  en  Allemagne,  par  Stoecker.  — ) 

Rochetin,  E.,  La  caisse  nationale  de  prevoyance  ouvriere  et  l'intervention  de 
l'Etat.  Paris,  Guillaumin  &  Ci« ,  1894.  in-18.  fr.  3,50.  (Sommaire:  Historique,  defi- 
nition  et  avantages  du  principe  mutuel.  —  Critique  du  projet    de    la    commission  du  tra- 

30* 


468     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

vail.     Rapport    de    M.  Guiyesse.  —  Expose1    d'un    projet    nouveau    sans    charges    pour    le 
budget    — ) 

Sa  hl  er,  L.,  La  Cooperation  au  pays  de  Montbeliard  et  ses  rapports  avec  la  ques- 
tion  sociale.  Paris,  Fischbacher,  1894.  gr.  in-8.  fr.  2. —  (Sommaire :  Considerations 
generales.  —  Quelques  mots  sur  certaines  causes  d'inegalite.  —  Le  cooperativisme  ou 
collectivisme  cooperatif.  —  Examen  des  doctrines  du  cooperativisme.  —  De  la  production. 
- —  De  la  production  cooperative.  —  Des  societes  cooperatives  de  consommation.  — 
Debüts  de  l'industrie  dans  le  pays  de  Montbeliard.  —  Les  sociei^s  cooperatives  aux  en- 
virons  de  Montbeliard.  — ) 

Drage,  G.,  (Secretary  to  the  Labour  Commission),  The  unemployed.  London, 
Macmillan,  1894.  8.  388  pp.  3./6.  (Contents:  On  the  agencies  dealing  with  the  unem- 
ployed, on  what  has  been  done  to  solve  the  problem,  nature  and  causes  of  the  present 
distress,  with  suggestions  and   remedies.) 

Jeans,  J.  Stephen,  Conciliation  and  arbitration  in  labour  disputes:  An  histo- 
rical  sketch  and  brief  Statement  of  the  present  position  of  the  question  at  home  and 
abroad.     London,   Crosby  Lockwood  &  Son,   1894.     crown-8.     XIV — 194  pp.   2/. 6. 

Peters,  Madison,  C.  (Rev),  Wrongs  to  be  riglited :  fearless  speeches  on  live 
questions.  New  York,  L'Artiste  Publication  C°,  1894.  12.  152  pp.  $  0,25.  (Discussions 
on  social  and  political  questions :  Rum  and  rogue  rule  in  New  York.  —  Police  black- 
mailing.  —  The  pope  and  the  public  schools.  —  Tenement-house  landlordism.  —  The 
Chinese  question.  —  Utah  and  Statehood.  —  The  dissipations  of  fashionable  life.  — 
The  crimes  against  our  naturalization  laws.  —  etc.) 

Socialism  or  protection  :  Which  is  it  to  be  ?  a  question  for  the  classes  and  the 
masses,  by  M.  H.  London,  Leadenhall  Press,   1894.  8.  80  pp.    1/.   — 

Towards  Utopia  :  being  speculations  in  social  evolution,  by  a  free  lance,  author 
of  „the  cry  of  the  children",  etc.  London,  Swan  Sonnenschein,  1894.  crown-8.  VI — 249 
pp.  3/6. 

Tuckwell,  Gertrude  M.,  The  State  and  its  children.  London,  Methuen, 
1894.   crown-8.  VI — 164  pp.  2/.6.     (Social  questions  of  to-day.) 

C  u  r  c  i  o  ,  F.  P.  (avvocato),  Seguitemi :  parole  di  pace  fra  le  classi  sociali.  Napoli, 
tip.  del  Tasso,  1893.  8.  96  pp  1.  1. — .  (Contiene  :  Ricchezza  e  sue  fonti.  —  Pauperismo 
e  sue  cause.  ■ —  Ricerche  storiche  sul  pauperismo.  —  Attuale  guerra  del  pauperismo  alla 
ricchezza.  —  Analisi  sommaria  delle  questione  sociale.  —  Azione  dello  stato.  —  Possibile 
conciliazione.   — ) 

Dessi-Magnetti,  V.,  Sulla  questione  sociale:  opinione.  Roma,  tip.  Regniani, 
1894.  8.  11  pp. 

Siotto  Pintor,  M.,  La  riforma  sociale  in  Italia:  tentativo  di  critica  e  di  rico- 
struzione.     Firenze,  R.   Bemporad  &  figlio,   1894.   8.  450  pp.   1.   8.   — 

Kempe,  A,  Jets  over  de  ongelijkheid  in  stand  en  over  sociale  toestanden.  Rotter- 
dam, Nijgh  &  v.  Ditmar,   1894.  gr.  8.   29  blz.    fl.  0,40. 

10.     Gesetzgebung. 

Becker,  G.  (Rechtsanw),  Das  Reichsgesetz  betreffend  die  Abzahlungsgeschäfte, 
vom  16.  Mai  1894,  gemeinverständlich  dargestellt.  Berlin,  Thiele,  1894.  8.  II — 47  SS. 
M.  0,60. 

Curti,  A.,  Pfändungspfandrecht  und  Gruppenpfändung.  Studien  aus  dem  Gebiete 
des  schweizerischen  Betreibungsrechtes.  Zürich,  E.  Speidel,  1894.  gr.  8.  IV — 145  SS. 
M.   2.—  . 

Honemann,  W.  (Refer.),  Das  Verhältnis  zwischen  der  Defraudation  der  Zölle 
und  Verbrauchssteuern  und  dem  Betrüge  nach  deutschem  Reichsrecht.  Halle  a/S.,  1894. 
8.  VI— 44  SS.  (Dissertation.) 

Jan  us,  P.,  (Referend),  Der  Erwerb  des  Eigentums  am  Wildergut.  Breslau  1894. 
8.  76  SS.  Dissertation.  (S.  13 — 33 :  Geschichtliche  Entwickelung  des  Jagdrecbts  in 
Deutschland.) 

v.  S  c  h  i  1  g  e  n  (OLGerichtsR.),  Das  Gesetz  betr.  die  Fischerei  der  Ufereigentümer 
in  den  Privatflüssen  der  Provinz  Westfalen  vom  30.  Juni  1894,  nebst  den  übrigen  für  die 
Provinz  Westfalen  ergangenen,  die  Fischerei  betreffenden  Gesetzen  und  Verordnungen. 
Hamm,  Griebsch,  1894.    8.    IV— 82   SS.     M.   1.—. 

Schmid,  R.,  Die  strafrechtliche  Verantwortlichkeit  für  Prefs vergehen.  Zürich, 
Schulthefs,   1894.     gr.     8.    VH— 145  SS.     M.  2.—. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.      469 

Schwarz,  C.  (LandesgerR.),  Das  österreichische  Konkursrecht.  Bd.  I :  Materielles 
Konkursrecht.     Wien,  Mauz,  1894.    gr.   8.    X— 295  SS.    M.   7,20. 

S  t  o  e  p  e  1,  P.  (weiland  JustizR  ,  Potsdam),  Preufsischer  Gesetzkodex.  Supplement 
1892—1893  mit  Register  zur  3.  Aufl.  (Hrsg.  von  (GerichtsAss.)  Brach.)  Frankfurt  u./O. 
Trowitzsch  &  Sohn,   1894.     gr.   8.      674   SS.  mit  Porträt.     M.   7.  —  . 

Besson,  E.  (sous-chef  ä  la  Direction  generale  de  l'enregistrement,  membre  de  la 
Soci^te  de  legislation  comparee),  La  legislation  civile  de  l'Algerie.  Etüde  sur  la  condition 
des  personnes  et  sur  le  regime  des  biens  en  Algdrie.  Paris,  Chevalier-Marescq  &  Cie  , 
1894.  8.  fr.  6. — .  (Ouvrage  couronne  par  la  faculte  de  droit  de  Paris,  prix  Rossi 
de  1893). 

Bouvier-Bangillon  (pro!  de  droit  commercial  a  la  faculte  de  droit  d'Aix, 
etc.),  La  legislation  nouvelle  sur  les  societes.  Loi  du  1er  aoüt  1893.  Commentaire 
theorique  et  pratique.      Paris,   Larose,   1894.     8.      fr.   5. — . 

Cypres,  L.,  Droit  romain  :  De  la  curie  au  Bas  Empire;  droit  francais  :  l'assurance 
sur  la  vie  etudiee  au  point  de  vue  e'conomique  (these).  Paris,  Chevalier-Marescq  &  Cie  , 
1894.  8.   352  pag. 

Drucker,  G.  (avocat  ä  la  Cour  d'appel),  De  la  protection  de  l'enfant  contre  les 
abus  de  la  puissance  paternelle,  en  droit  romain  et  en  droit  francais  (these.)  Paris, 
Rousseau,    1894.     8.     427   pag. 

Gallier,  A.  (medecin  veterinaire),  Jurisprudence  commerciale.  Traite  des  vices 
redhibitoires  dans  les  ventes  ou  echanges  d'animaux  domestiques  ;  commentaire  de  la  loi 
du  2  aoüt  1894.     2e  edition.     Paris,  Asselin  &  Houzeau,  1894.     8.     XI— 779  pag. 

La  cava  (Ministre  de  l'agriculture,  de  l'industrie  et  du  commerce),  La  legislation 
des  accidents  du  travail  en  Italie.  Projet  de  loi  presente  par  M.  Lacava  et  modifie  par 
la  commission  de  la  Chambre  des  deputes.  Analyse  et  traduction  par  E.  Grüner  (ingenieur 
civil   des  mines.)     Bar-le-Duc,  impr.   Contant-Laguerre,   1894.     8.      16  pag. 

Robinet,  E,  (avocat),  Droit  romain:  De  l'acceptilation ;  droit  francais:  Des 
liberalites  testamentaires  en  faveur  des  personnes  morales  (these.)  Grenoble,  Baratier  & 
Dardelet,  1894.     8.     217  pag. 

Rousseau,  G.  (avocat),  Droit  romain:  Du  partage  ä  Rome ;  droit  francais:  De 
l'effet  declaratif  du  partage  (these).  Saint-Dizier,  impr.  St.-Aubin  &  Thevenot,  1894.  8. 
293  pag. 

H  edder  wick,  T.  C.  H.,  The  sale  of  food  and  drugs :  the  Acts  of  1875  and  1879. 
With  notes.     London,  Eyre  &  Spottiswoode,  1894.     8.     3/. — . 

Servants  and  masters :  the  law  of  disputes,  rights,  and  remedies,  in  piain  language, 
by  a  barrister.     London,  H.  Cox,  1894.     8.     36  pp.     1/.— . 

T  y  s  e  r ,  C.  R.,  The  law  relating  to  losses  under  a  policy  of  marine  insurance. 
London,  Stevens  &  S.,   1894.     crown-8.     10/.6. 

11.     Staats-  und  Verwaltungsrecht. 

Acta  borussica.  Denkmäler  der  preufsischen  Staatsverwaltung  im  18.  Jahrhundert. 
IV.  Berlin,  Parey,  1894.  gr.  8.  143  u.  843  SS.  geb.  M.  21.—.  (A.  u.  d.  T. :  Die 
Behördenorganisation  und  die  allgemeine  Staatsverwaltung  Preufsens  im  18.  Jahrhundert. 
Band  I:  Akten  von  1701  bis  Ende  Juni  1714,  bearbeitet  von  G.  Schmoller  und  O. 
Krauske.  Mit  einer  Einleitung  über  Behördenorganisation,  Amtswesen  und  Beamtentum 
von  G.  Schmoller.) 

Backhaus,  W.  E.,  Vom  rechten  Staate.  6  staatsphilosophische  Abhandlungen. 
Braunschweig,  Limbach,   1894.     gr.  8.     48  SS.     M.   1. — . 

Beamtengesetz,  das  badische,  und  die  Gehaltsordnung,  diese  in  der  Fassung 
vom  9.  Juli  1894  nebst  Ergänzungsvorschriften.  Karlsruhe,  J.  Lang,  1894.  12.  III— 186 
SS.     geb.    M.  1,20. 

Brieg.  Bericht  über  Verwaltung  und  Stand  der  Gemeindeangelegenheiten  der  Stadt 
Brieg  pro  1.  April  1891/92  und  teilweise  bis  Ende  1892.  Brieg,  O.  Falchs  Buchdruckerei, 
1894.     8.     IV— 82  SS. 

Folkerts,  H,  Die  Verfassungswidrigkeit  des  §  36  der  revid.  Geschäftsordnung 
des  Deutschen  Reichstags  vom  10.  Febr.  1876,  betr.  die  Oeffentlichkeit  der  Reichstags- 
verhandlungen.    München,  J.  Schweitzer,  1894.     gr.  8.     30  SS.     M.  0,80. 

Halley,  A.  (Minist. R),  Die  neue  Gemeindeordnung  für  Elsafs-Lothringen  ver- 
glichen mit  den  Bestimmungen  der  geltenden  Gemeindegesetzgebung.  Strafsburg,  Trübuer, 
1894.     8.     VII— 228  SS.     geb.     M.  4.—. 


470     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Hannover.  Haushaltungspläne  der  kgl.  Haupt-  und  Residenzstadt  Hannover  für 
das  Rechnungsjahr  vom  I.  IV.  1894  bis  Ende  März  1895.  Hannover,  Druck  von  Th. 
Schäfer,   1894.     4.     223  SS. 

Hof-  und  Staatshand  buch  des  Königreichs  Württemberg.  Herausgegeben  von  dem 
Kgl.  statistischen  Landesamt,  1894.  Stuttgart,  Druck  von  W.  Kohlhammer,  1894.  gr.  8. 
XXXII— 891   SS. 

Liegnitz.  Bericht  über  Stand  und  Verwaltung  der  Gemeindeangelegenheiten  der 
Stadt  Liegnitz  für  das  Etatsjahr  1893/94.  Liegnitz,  Druck  von  Heinze,  1894.  gr.  4. 
100  SS. 

Luckenwalde.  Bericht  über  Verwaltung  und  Stand  der  Gemeindeangelegen- 
heiten der  Stadt  Luckenwalde  pro  1892/93.  Luckenwalde,  Druck  von  H.  Kobisch,  1894. 
gr.  4. 

Mülheim  a.  d.  Ruhr.  Haushaltsplan  für  das  Jahr  1894/95.  Mülheim  a.  d.  Ruhr 
1894.     kl.  4.      134  SS. 


L'Al  s  a  c  e -L  o  r  r  ai  n  e  devaut  l'Europe.  Essai  de  politique  positive,  par  Patiens 
(ps).     Saint-Denis,  impr.  Bouillant,   1894.     in-18  Jesus.     XI — 586  pag.     fr.   3,50. 

Guillaume  (le  baron,  conseiller  de  la  legation  de  Belgique  ä  la  Haye),  Le  mariage 
en  droit  international  prive"  et  la  confeVence  de  la  Haye.  Bruxelles,  Muquardt,  1894.  8. 
560  pag.     fr.   7,50. 

Borgeaud,  C,  The  rise  of  modern  democracy  in  old  and  New  England;  tr.  by 
(Mrs.)  Birkbeck  Hill.     New  York,    Scribner's    Sons,    1891.      12.     XVI— 168  pp.,     cloth. 

#1— 

Douglas,  J,  Canadian  independence,  annexation  and  British  imperial  federation. 
London,  Putnam's  Sons,   1894.     crown-8.     3/.6. 

Lund,  J.  Keighley,  England  and  the  Continental  powers :  a  consideration  of  some 
questions  of  foreign  policy.  London,  Swan  Sonnenschein  ,  1894.  crown-8.  IV — 95  pp. 
2/.6. 

Stevens,  C.  Ellis,  Sources  of  the  Constitution  of  the  United  States  considered 
in  relation  to  colonial  and  English  history.  New  York,  Macmillan  &  C°,  1894.  12., 
cloth.     $  1,50. 

White,  A.,  The  English  democracy:  its  promises  and  perils.  London,  Swan  Son- 
nenschein,  1894.     8.     248  pp.     7|  6. 

Codice  di  pubblica  sicurezza:  raccolta  di  leggi,  regolamenti,  circolari,  istruzioni 
ministeriali,  etc.     Napoli,  tip.   E.  Pietrocola,   1893.      16       1303   pp.     1    6. — . 

Guidotti,  G.,  Un  anno  di  dittatura  in  Italia.  Palermo-Torino,  C.  Clausen  edit., 
1894.      16.     222  pp.     1    2,50. 

NeppiModona,  L.  (avvocato),  La  pubblica  amministrazione  considerata  nelle 
sue  linee  generali  e  piü  particolarmente  in  rapporto  alla  giustizia  amministrativa.  Firenze, 
tip.  di  Mar.  Ricci,  1894.  8.  207  pp.  1.  3. — .  (Contiene:  La  pubblica  amministrazione 
e  la  giustizia  amministrativa.  —  Cenni  storici  sull'  ordinamento  degli  istituti  di  giustizia 
amministrativa  nei  vari  stati.  —  La  giustizia  amministrativa  in  Italia.  —  Legge  organica 
sul  consiglio  di  stato,  2  giugno   1889,  N°   6166.  — ) 

Raccolta  generale  sistematica  di  tutta  la  legislazione  vigente  nel  regno  d'Italia, 
ordinata  a  cura  di  una  societä  di  funzionari  dell'  amministrazione  centrale  dello  Stato. 
Parte  I:  Organizzazione  dello  Stato.  Napoli,  tip.  della  casa  edit.  E.  Pietrocola,  1895. 
8.  X— 573  pp.  1.  6. — .  (Contiene:  CostituZione,  confinazione,  capitale  del  regno.  — 
Stemma,  bandiera,  festa  nazionale.  —  II  re  e  la  famiglia  reale.  —  Ordini  cavallereschi ; 
titoli  nobiliari.  —  Precedenze  e  dignita.  —  II  parlamento.  —  Diritti  civili  e  politica. — 
Atti  del  governo.  —  Feste  civili.  —  II  potere  esecutivo.  —  Consiglio  di  Stato.  —  Corte 
dei  conti.  —  Contenzioso  amministrativo.  —  Conflitti  di  attribuzioni  comunali  e  provin- 
ciali.  —   Stato  degli  impiegati.   —  Istituzioni  comunali  e  provinciali.    — ) 

12.     Statistik. 
Deutsches  Reich. 

Jahrbuch,  statistisches,  für  das  Grofsherzogtum  Baden.  Jahrg.  XXV:  1892. 
Karlsruhe,  Macklot,  1894.     Lex.-8.     XVIII— 399  SS.     M.   7,50. 

Kalender  und  statistisches  Jahrbuch  für  das  Königreich  Sachsen,  nebst  Markt- 
verzeichnissen   für    Sachsen    etc.    auf   das    Jahr  1895.     Dresden,  Heinrich,  1894.     gr.   8. 


Uebersicht  über  die  neuesten   Publikationen   Deutschlands  und   des  Auslandes      47 1 

IV — 92  und  XI — 272  SS.  M.  1. — .  (Herausgegeben  vom  statistischen  Bureau  des  k. 
sächsischen  Ministeriums  des  Innern.) 

Statistik  des  Deutschen  Reichs.  Neue  Folge,  Band  LXXIII.  A.  u.  d.  T. :  Aus- 
wärtiger Haudel  des  deutschen  Zollgebiets  im  Jahre  1893.  Teil  1:  Der  auswärtige 
Handel  nach  Menge  und  Wert  der  Warengattungen  und  der  Verkehr  mit  den  einzelnen 
Ländern.  Berlin,  Puttkammer  &  Mühlbrecht,  1894.  Roy. -4.  IV—494SS.  M.  6.— 
(Herausgegeben  vom  kais.   statistischen   Amt.) 

Statistik  des  Herzogtums  Sachsen-Meiningen.  Band  V,  Nr.  7  :  Jagdstatistik  nach 
dem  Stande  vom  1.  Februar  1894  Meiningen,  Druck  der  Keyfsnerschen  Hof  buchdruckerei, 
1894.     4.     (Beilage  zum  Meininger  Regierungsblatt  Nr.    122   vom  3.  August   1894.) 

Uebersichten,  tabellarische,  des  Hamburgischen  Handels  im  Jahre  1894  zusam- 
mengestellt von  dem  handelsstatistischen  Bureau.  4  Teile.  Hamburg,  Druck  von  Schröder 
&  Jeve,  1894  Imp.-4.  78  u.  110  u  134  u.  23  SS.  (Inhalt :  Seeschiffahrt.  —  Flußschiffahrt.  — 
Wareneinfuhr.  —  Warenausfuhr.  —  Seeversicherungen.  —  Auswandererbeförderung  über 
Hamburg.  —   Banken,  Wechsel-  und  Geldverkehr.) 

Zusammenstellung,  übersichtliche,  der  wichtigsten  Angaben  der  deutschen 
Eisenbahnstatistik,  nebst  erläuternden  Bemerkungen  und  graphischen  Darstellungen,  bear- 
beitet im  Reichseisenbahnamt.  Band  XII:  Betriebsjahr  1892/93.  Berlin,  Mittler  &  Sohn, 
1894.     gr.  4.     91   SS.  mit   1   färb.   Karte.      M.   3. — . 

Statistique  generale  des  assurances  ouvrieres  en  Allemagne  de  1885  ä  1893, 
suivi  d'un  apercu  sur  l'organisation  interieure  de  l'office  imperial  des  assurances ;  par  E. 
Grüner  (ingenieur  civil  des  mines).  Bar-le-Duc,  impr.  Contant-Laguerre,  1894.  8.  55  pag. 
(Extrait  du  Bulletin  du  comite  permanent  du  congres  des  accidents  du  travail,  5e  annee, 
1894.) 

O  esterrei  eh. 

Oesterreichisches  statistisches  Handbuch  für  die  im  Reichsrate  vertretenen 
Königreiche  und  Länder.  Nebst  einem  Anhang  für  die  gemeinsamen  Angelegenheiten 
der  österreichisch-ungarischen  Monarchie.  Herausgegeben  von  der  k.  k.  statistischen 
Centralkommission.  Jahrg.   XII:    1893.   Wien,  Gerold  &  Sohn,   1894.    gr.   8.    IV— 330  SS. 

Frankreich. 

Enquetes  et  documents  relatifs  ä  l'enseignement  superieur,  L:  Rapports  des  con- 
seils  generaux  des  facultes  pour  l'annee  scolaire  1892 — 1893.  Paris,  impr.  nationale, 
1894.  8.  223  pag.  (PublicatioD  du  Ministere  de  l'instruction  publique,  des  beaux-arts 
et  des  eultes.) 

Statistique  des  incendies  et  des  sauvetages  pour  lesquels  le  regiment  de  sapeurs- 
pompiers  a  ete  appele  pendant  l'annee  1893.  Paris,  impr.  nationale,  1894.  8.  36  pag. 
et  planches  en  noir  et  en  coul.     (Publication  de  la  prefecture  de  police.) 

Statistique  penitentiaire  pour  l'annee  1891.  (40e  annee )  Expose  general  de 
la  Situation  des  Services  et  des  divers  etablissements ,  präsente  ä  M.  le  ministre  de 
l'interieur  par  Duflos  (directeur  de  l'administration  penitentiaire).  Melun ,  imprim.  admi- 
nistrative, 1894.     8.     CXXXIII— 457  pag. 

Statistique  du  port  de  Marseille  (22e  annee,  1893).  Marseille,  impr.  Barlatier  & 
Barthelet,  1894.  gr.  in-4.  V — 58  pag.  et  plan.  (Publication  faite  par  le  service  du 
port.) 

R  u  fs  1  a  n  d. 

Beiträge  zur  Statistik  des  Rigaschen  Handels.  Jahrgang  1892.  Abteilung  2: 
Rigas  Handelsverkehr  auf  den  Eisenbahnen.  Herausgegeben  im  Auftrage  der  handels- 
statistischen Sektion  des  Rigaer  Börsenkomitees.  Riga,  Ruetz  Buchdruckerei,  1894. 
Imp-4.     X— 121  SS. 

Italien. 

Statistica   gindiziaria    civile    e    commerciale    per  l'anno     1892.     Roma,  tipografia 

Bertero,  1894.  Roy  in-8.  CXXIII— 156  pp.  1.  2,50.  (Pubblicazione  della  Direzione 
generale  della  statistica.) 

Statistica    giudiziaria    penale    per    l'anno    1892.  Roma,    tipogr.    Bertero,    1894. 


472     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Roy.   in-8.     24 — CCXXIX — 370    pp.     1.    4. — .     (Pubblicazione    della   Direzione    generale 
della  statistica.) 

Amerika.     (Argentinien.) 
Anuario    estadfstico  de    la   ciudad    de    Buenos    Aires.      Ano    III:    1893.     Buenos 
Aires  1894.     Roy.    in-8.     XXXIII — 338    pp.     (Publicaciön    de    la    Direcciön    general    de 
estadistica  municipal.) 

—  (Uruguay.) 

Comercio  exterior  y  movimento  de  navegaciön  de  la  Republica  oriental  del 
Uruguay  y  varios  otros  datos  correspondientes  al  ano  1893  comparado  con  1892.  Monte- 
video 1894.     gr.  in-8.     32  pp.     (Publicaciön  de  la  Direcciön  de  estadistica  general.) 

—  (Jamaica.) 

Jamaica.  Annual  report  of  the  Registrar-General  for  the  year  endiug  31st. 
March,   1893.     Jamaica  1894.     Folio. 

—  (Mexico.) 

N  o  t  i  c  i  a  s  del  movimiento  maritimo  exterior  y  interior  de  la  Republica  Mexi- 
cana  durante  1892 — 93.  Mexico  1894.  Folio.  (Publicaciön  de  la  Direcciön  general  de 
estadistica.) 

13.  Verschiedenes. 

Hochstädt,  Max,  Die  Sünden  unserer  Gesellschaft.  Berlin,  Steinitz,  1894.  gr. 
8.      154  SS.     M.  2.—.     (A.  u.  d.  T. :  Moderne  Sünden.     IV.) 

Loewenthal,  E.,  Der  Anarebismus  und  das  Recht  der  Schwachen  oder  die  3 
Grundübel  unserer  Zeit.     Berlin,  Brieger,   1894.     gr.  8.      22  SS. 

Tittel,  E.,  Die  natürlichen  Veränderungen  Helgolands  und  die  Quellen  über  die- 
selben.    Leipzig,  Fock,  1894.     gr.  8.     IV  — 155  SS.     M.  2,50. 


Bourdeau,  L.,  Histoire  de  l'alimentation.  Paris,  F.  Alcan,  1894.  8.  fr.  5. — . 
(Sommaire:  Substances  alimentäres.  —  Procedes  de  conservation.  —  Histoire  de  la 
cuisine.  —  Pain.   —  Boissons.   —  Service  des  repas.  — ) 

Gourgeot,  F.,  (interprete  prineipal  de  l'arm^e  d'Afrique  en  retraite),  La  domi- 
nation  juive  en  Algerie.      Alger,  imprim.  Fontana  &  C»«  ,   1894.     8.     179  pag.     fr.    1,75. 

Picaud,  A.,  Conferences  d'hygiene,  r^digees  conformement  aux  programmes  offi- 
ciels,  classe  de  philosophie  (enseignement  classique)  classe  de  premiere  (enseignement 
moderne),  ecoles  normales  primaires,  6coles  primaires  supeVieures.  Paris,  librairie  artistique, 
H.  Falque,   1894.     8.     fr.   6.—. 

Aspects  of  modern  study:  being  University  Extension  addresses  by  Lord  Play- 
fair, Canon  Browne,  Mr.  Goschen,  Mr.  John  Morley,  Sir  James  Paget,  etc.  etc.  London, 
Macmillan,   1894.     crown-8.     VIII- 187   pp.      2/.6. 

Dubois,  F.,  The  anarchist  peri).  Translated  edited,  and  enlarged  with  a  supple- 
mentary  chapter  by  Ralph  Derechef.     London,   Unwin,   1894.     8.     275   pp.     5/. — . 

D  y  m  o  n  d  ,  J  ,  Essays  on  the  principles  of  morality,  and  on  the  rights  and  obli- 
gations  of  mankind.   9*1*  edition      Dublin,  Eason,   1894.     8.      302  pp.      1/. — . 

Sala,  G.  A.,  Things  I  have  seen  and  people  I  have  known  2  vols.  London, 
Cassell,   1894.     crown-8.     580  pp.      21/.—. 

War  in  g,  G.  E.,  Modern  methods  of  sewage  disposal,  for  towns,  public  institutions, 
and  isolated  houses.     London,   Low,   1894.  crown-8.     252  pp.     10./6. 

World 's  Columbian  Exposition.  International  Congress  of  charities,  correction, 
and  philanthropy.  Hospitals,  dispensaries,  and  nursing :  papers  and  discuSsions  in  the 
International  Congrefs  of  charities,  etc.,  section  III,  Chicago,  June  12  to  17,  1893  ;  ed. 
by  J.  S.  Billings  and  H.  M.  Hurd  (M.  Drr.).  Baltimore,  John  Hopkins  Press,  1894.  8. 
XIV — 719  pp.     with  diagrams,  cloth.     $  5. — . 


Die  periodische  Presse  des  Auslandes.  473 

Die  periodische  Fresse  des  Auslandes. 

A.    Frankreich. 

Bulletin  de  l'Office  du  travail.  Ire  annee,  1894,  N°  6  et  7,  Juin  et  Juillet  : 
Mouvement  social  en  France:  Le  chomage  professionnel.  Mouvement  syndical.  Les 
greves.  Conciliation  et  arbitrage :  Le  nouveau  tarif  des  bonnetiers  de  Falaise ;  La  greve 
des  cochers  de  Londres.  Institutions  de  prevoyance.  Situation  industrielle.  Correspon- 
dances  regionales.  Vlieme  congres  du  credit  populaire.  Les  asiles  de  nuit  ä  Paris.  Chroni- 
que  legislative,  etc.  —  Mouvement  social  äl'etranger:  Les  conditions  du  travail  dans  les 
travaux  publics  (Hollande).  Le  regime  des  boissons  spiritueuses  en  Suede  et  Norvege. 
Allemagne;  Autriche  (l'Etat  et  la  petite  industrie,  etc ) ;  Grande-Bretagne  (Greve  des 
mineurs  ecossais,  etc.);  Norvege;  Russie ;  Suisse ;  Etats-Unis.  —  Loi  sur  les  caisses  de 
secours  et  de  retraite  des  ouvriers  mineurs.   —  etc. 

Bulletin  de  statistique  et  de  legislation  comparee.  XVIIIieme  annee,  1894,  Juillet: 
A.  France,  colonies,  etc. :  Loi  sur  les  caisses  de  secours  et  de  retraites  des  ouvriers 
mineurs.  —  Loi  relative  aux  contributions  directes  et  aux  taxes  y  assimilees  de  l'exercice 
1895.  —  La  commission  de  l'impot  sur  les  revenus.  —  Les  bons  du  Tregor.  Les  con- 
tributions directes  et  les  taxes  assimilees.  Les  revenus  de  l'Etat.  —  Le  commerce 
exterieur  pendant  le  1er  semestre  1894.  —  Statistique  des  fabriques,  entrepöts,  magasins 
de  vente  en  gros  et  magasins  de  vente  en  dt'tail  soumis  aux  exercices  des  agents  des 
contributions  indirectes.  —  Achats  de  rentes  effectu^s  par  la  Caisse  des  d^pots  et  consig- 
nations  pendant  le  1er  semestre  de  1894.  Achats  et  ventes  de  rentes  effectues  pour  le 
compte  des  departements.  —  Les  recettes  des  chemins  de  fer,  ler  semestre  1894.)  — 
Algerie:  La  vente  des  poudres  a  feu.  —  B.  Pays  etrangers:  Situation  des  principales 
banques  d'emission  ä  la  fin  du  2e  trimestre  de  1894.  —  Allemagne:  La  dette  hypo- 
th^caire  de  Prusse.     La  Bourse  de  Berlin  (Bourse  des  produits).  —  Angleterre :  Le  tabac. 

—  Autriche-Hongrie :  Les  caisses  d'epargne.  —  Belgique :  La  Caisse  generale  d'epargne 
depuis  1865.  —  Espagne  :  Le  projet  de  budget  pour  l'exercice  1894/95.  —  Italie : 
Les  rectifications  du  budget  de  1893/94.  —  Grece :  Les  droits  de  timbre.  Les  impots 
directs.  —  Norvege:  Resultats  budgetaires  des  exercices  1889/90,  1890/91  et  1891/92.  — 
Etats-Unis:  Le  caisses  d'epargne  depuis  1820.  Le  commerce  exterieur  depuis  1845.  — 
Chine:  Le  commerce  exterieur  en    1893.   — 

Journal  du  droit  international  prive1  et  de  la  jurisprudence  comparee.  Annee 
XXI  (1894)  Nos  1/2,  3/4:  La  Conference  de  la  Haye  relative  au  droit  international  prive, 
par  A.  Laine  (prof.  ä  la  faculte  de  droit  de  Paris).  —  De  la  retroactivite  de  la  loi 
francaise  du  26  juin  1889  sur  la  nationale,  par  P.  Esperson  (prof.  ä  l'Universitö  de 
Pavie).  —  L'arbitrage  de  la  mer  de  Behring,  par  H.  Fromageot  (avocat  ä  la  Cour  de 
Paris).  —  De  la  protection  des  creanciers  d'un  Etat  etranger,  par  Kebedgy.  —  De  la 
condition  juridique  des  Etrangers  d'apres  les  lois  et  traites  en  vigueur  sur  le  territoire  de 
l'Empire  d'Allemagne,  par  J.  Keidel  (attache  au  gouvernement  d^partemental  de  la  Haute- 
Baviere).  —  Des  crimes  ou  delits  commis  par  des  Francais  ä  l'etranger.  Observations 
critiques,  par  A.  Le  Poittevin  (prof.  adjoint  a  la  faculte  de  droit  de  Paris).  De  l'influence 
que  peut  exercer  sur  la  validite  d'une  Substitution  un  changement  de  nationale  du  greve\ 
par  G  Diena  (avocat  a  Florence).  —  Le  proces  d'espionnage  de  Leipzig  et  la  loi  alle- 
mande  du  3  juillet  1893  sur  la  divulgation  des  secrets  militaires,  par  J  Trigant-Geneste 
(conseiller  de  prefecture  de  Saöne-et-Loire).  —  Des  droits  en  Roumanie  d'un  Etat  etranger 
appele  par  testament  ä  recueillir  la  succession  d'un  de  ses  sujets  (affaire  Zappa)  Reponse 
a  M  A.  Desjardins,  par  G.  G.  Flaischlen  (ler  president  du  tribunal  de  Galatz).  — 
Arrangement  greco-bulgare  relatif  aux  questions  de  nationalite'  pendantes  entre  les  deux 
pays,  par  N    Yantcheff  (juge  au  tribunal  de  premiere  instance  ä  Philippopoli).  —  etc. 

Journal  des  Economistes.  Revue  mensuelle.  Lille  annee  (1894)  N°  15:  Juillet 
1894:  Les  banques  aux  Etats-Unis,  par  G.  Francois.  —  Revue  des  principales  publi- 
cations  economiques  de  l'etranger,  par  Maur.  Block.  —  Le  developpement  d'une  colonie 
francaise :   La  Guyane,  par  D.   Bellet.   —   L'Alge>ie  appreciee  par   un  anglais ,    par  D.   B. 

—  Souvenirs  de  voyage :  I.  Borneo.  II  Les  Anglais  dans  l'Inde,  par  Meyners  d'Estrey. 
Necrologie :  Guillaume  Röscher,  par  Maur.  Block.  —  Bulletin :  Loi  sur  les  caisses  de 
secours  et  retraites  pour  les  ouvriers  mineurs.     Circulaire  relative  a  l'application  de  cette 


474  Die  periodische  Presse   des  Auslandes. 

loi.  La  defense  du  commerce  ext6rieur  dans  le  Parlement.  Programme  economique  et 
social  de  l'oeuvre  des  cercles  catholiques  d'ouvriers.  —  Societe  d'economie  politique. 
Reunion  du  5  juillet  1894:  Convient-il  de  denoncer  l'Union  monetaire  latine  le  31  ddceinbre 
prochain?  —   Chronique  economique.  —  etc. 

Journal  de  le  Societe  de  statistique  de  Paris.  XXXVieme  annee,  1894,  N°  7, 
Juillet:  Proces-verbal  de  la  seance.  du  20  juin  1894.  —  Impot  sur  les  revenus.  Kapport 
et  decret  relatifs  ä  l'institution  d'une  commission  extraparlementaire.  —  L'archeologie, 
son  domaine  et  son  influence  sur  les  progres  materiels  et  moraux  du  XIX  e  siecle,  par 
Aug.  Nicaise.  —  La  statistique  du  travail  en  Allemage,  par  A.  Liegeard.  —  Bibliographie  : 
,,R.  dalla   Volta,  Les  formes  du  salaire."     Compte  rendu  par  E.   Rochetin    —  etc. 

Re  forme  sociale.  Bulletin  de  la  Societe  d'economie  sociale.  Ille  serie,  N°  82  et 
83:  16  Mai  et  1er  juin  1894:  La  vraie  Amerique,  par  Raphael  G.  Levy  (prof.).  —  De 
la  succession  testamentaire  et  legitime  en  Portugal,  par  F.  Lepelletier.  —  Un  nouvel 
etat  social  dans  l'Inde  et  ses  consequences  au  point  de  vue  European,  par  Barbe  (avec 
discussion).  — ■  Une  famille  ouvriere  d'Orleans,  pr^cis  de  monographie,  par  R.  Gilbert.  — 
Le  mouvement  social  en  Belgique,  par  (le  baron)  J.  d'Anethan.  —  Chronique  du  mouve- 
ment  social,  par  A.  Fougerousse.  —  Charit^  et  oeuvres  sociales ,  discours  de  G.  Picot 
(de  l'Institut).  —  Souvenirs  d'un  voyage  au  Congo,  par  Maur.  Barrat.  —  Enseignement 
primaire  et  instituteurs,  par  H.  Joly.  —  Une  enquete  patronale  a  propos  des  logements 
ouvriers  ä  Berlin,  per  E.  Dubois  (prof.  ä  l'Universite  de  Gand).  —  Comment  on  fonde 
de  nouveaux  villages  francais  au  Canada ;  Montmartre,  Notre  Dame  de  Lourdes  et  Saint- 
Claude.   —  Une  nouvelle  institution  de  patronage  ä  Paris,   par  L.  N.   Rozet.   —  etc. 

Revue  d'economie  politique  (Paris).  8e  annee,  1894,  Nos  7/8:  Juillet-Aoüt:  Travail 
des  femmes  et  des  enfants  a  New  York,  par  (Mme)  A.  S.  Daniel.  —  Reformes  fiscales  en 
Angleterre,  par  E.  Fournier  de  Flaix.  —  L'enseignement  technique,  par  G.  Francois.  — 
L'economie  politique  et  la  question  sociale,  par  J.  E.  Blondel.  —  Etüde  sur  la  duree  de 
la  garantie  d'intörets  promise  par  l'Etat  aux  compagnies  des  chemins  de  fer  du  Midi  et 
de  l'Orleans.     Appendice,  par  H.  St. -Marc.   —  Chronique  legislative.   —   etc.   —   etc. 

Revue  maritime  et  coloniale.  Livraison  393  et  394,  Juin  et  Juillet  1894:  Influence 
de  la  puissance  maritime  sur  l'histoire  (1660 — 1783")  [„Influence  of  sea  power  upon 
history"],  par  A.  T.  Mahan  [Captain,  United  States  Navy]  traduit  par  Boisse  (suite  1 
et  2).  —  Le  port  et  le  quartier  maritime  de  La  Seyne,  par  Vinson.  —  Statistique  des 
naufrages  et  autres  accidents  de  mer ,  pour  l'annee  1892.  Rapport  au  Ministre  par 
E.  Fabre  (administrateur  de  l'etablissement  des  invalides  de  la  marine.  —  La  guerre  du 
Paraguay,  par  Chabaud-Arnault.  —  Chronique  du  port  de  Lorient  de  1803  ä  1809,  par 
Lallemand  (suite  1).  —  Vocabulaire  des  poudres  et  explosifs  (suite  16).  —  Chronique. 
—  Peches  maritimes :  La  grande  peche  et  les  secours  medicaux  aux  pecheurs,  par  Du 
Bois  de  Saint-Sevrin.  Le  budget  des  peches  en  Norvege.  Pisciculture,  marine  en  Ecosse, 
par  E.  Canu.  Projet  de  creation  d'une  ecole  professionnelle  regionale  des  peches  maritimes, 
par  P.  Gourret.  Les  pecheries  de  la  Corse.  Rapport  du  departement  des  pecheries  de 
Terre-Neuve  pour  1893.  La  peche  ä  Boulogne-sur-mer,  par  Sauvage.  —  Etat  et  de>e- 
loppement  des  flotilles  de  peche  ä  l'6tranger,  par  E.  Canu.  Situation  de  la  peche  et  de 
l'ostr&culture  pendant  les  mois  d'avril  et  de  mai   1894.  —  etc. 

B.     England. 

Board  of  Trade  Journal.  Vol.  XVII,  N°  96,  July  1894:  The  Royal  Commission 
on  labour.  —  Foreign  exhibitions.  —  The  French  sugar  duties.  —  Licorice-root  trade 
in  Trans-Caucasia.  —  Proposed  establishment  of  a  Department  of  commerce  in  the  United 
States.  —  Florida  as  a  field  for  emigration.  —  New  gold  mining  law  of  Mexico.  —  The 
foreign  trade  of  China  in  1893  —  Canadian  tarifF  changes  (continued). —  Tariff  changes 
and  customs  regulations.  —  Extracts  from  diplomatic  and  consular  reports.  —  General 
trade  notes.  —  State  of  the  skilled  labour  market,  etc.  —  Statistics  of  trade,  emigration, 
fisheries,  etc.  — 

Contemporary  Review,  the.  August  1894:  Sir  William  Hareourt's  budget,  by 
(Lord)  Farrer.  —  The  witch  of  Endor  and  Professor  Huxley ,  by  A.  Lang.  —  Wby  not 
municipal  pawnshops ,  by  R.  Donald.  —  The  federation  of  the  English-speaking  people. 
A  talk  with  Sir  G.  Grey,  by  J.  Milne.  —  The  home  or  the  barrack  for  the  children  of 
the  State,  by  (Mrs.)  Barnett.  —  The  policy  of  labour,  by  Clem.   Edwards.  —  etc. 

Economic  Journal.  (Journal  of  the  British  Economic  Association)  edited  by 
Edgeworth,  Vol.  IV  N°   14,  June  1894 :  Results   of  the  retail  liquor  trafic  without  private 


Die  periodische  Presse  des  Auslandes.  475 

profits,  by  J.  Graham  Brooks.  —  Banking  in  Canada,  by  B.  E.  Walker.  —  Ricardo  in 
Parliament,  by  E.  Cannan  (part.  1).  —  The  Indian  currency  question  ,  by  F.  C.  Harri- 
son.   —  etc. 

Economic  Review,  the.  Published  quarterly  for  the  Oxford  University  brauch 
of  the  Christian  Social  Union.  Vol.  IV,  N°  3,  July  1894  :  The  co-partnership  of  labour, 
by  H.  Vivian  and  A.  Williams.  —  Tricks  with  textiles ,  by  one  in  the  trade.  —  Two 
dialogues  on  socialism,  by  J  M.  Ludlow.  —  Wage-earners  in  Western  Queensland,  by 
(Archdeacon)  G.  M.  L.  Lester.  —  The  Church  and  her  elemeutary  schools ,  by  (Rev.) 
G.  W.  Gent.  —  Co-operative  credit,  by  H.  W.  Wolff.  —  Town  life  in  the  XVth  Cen- 
tury, by  Alice  Law.  —  Legislation,  parliamentary  inquiries  and  official  returns,  by  E. 
Cannan.  —  etc. 

Fortnightly  Review,  the.  July  and  August  1894:  Socialism  and  natural  selection, 
by  K.  Pearson.  —  A  lesson  from  the  „Chicago"  (by  Nauticus).  —  Notes  ou  England, 
by  P.  Verlaine.  —  The  King,  the  Pope,  and  Crispi,  by  (the  Rev.)  H.  R.  Hawais.  —  Working- 
class  Settlements,  by  Ch.  Hancock.  —  Silver  and  the  tariff  at  Washington,  by  (Lord) 
Farrer.  —  Rejoinders,  by  Moreton  Frewen  (Prof.),  Nicholson,  and  F.  J.  Faraday.  — 
The  Boer  question,    by  H.   H.   Johnston.    —    A   visit  to  Corea ,  by  A.   H.   Savage-Landor. 

—  A  week  on  a  labour  settlement,  by  John  Law.  —  Bookbinding,  its  processes  and 
ideal,  by  T.  J.  Cobden-Sanderson.   —    Government  life  insurance,   by  (Sir)  Julius  Vogel. 

—  The  gold   Standard,   by   Brooks  Adams    —   etc. 

Human  itari  an.  A  monthly  magazine,  edited  by  Victoria  Woodhull  Martin.  Vol.  V, 
N°  2,  August  1894:  The  federation  of  the  Anglo-Saxon  race,  by  (Sir)  G.  Grey.  —  Basis 
of  physical  life,  by  the  editor.  —  International  arbitration  and  peace,  by  (Sir)  J.  Lub- 
bock.  —  The  new  Hedonism,  by  (the  Rev.  Prof.)  Bonney.  —  The  position  of  Japanese 
women,  by  Douglas  Sladen.  —  Some  fruits  of  vivisection ,  by  (Surgeon-General)  Ch.  A. 
Gordon.   —  etc. 

New  Review,  the.  August  1894:  The  evicted  tenants,  by  T.  W.  Russell.  —  The 
grievances  of  railway  passengers,  by  L.  A.  Atherley  Jones.  —  Secrets  from  the  Court  of 
Spain,  IV.  —  The  chaos  of  marriage  and  divorce  laws  ,  by  J.  Henniker  Heaton.  —  A 
woman's  doss  house,  by  T.  Sparrow.  —  The  race  to  the  polar  region,  by  H.  Ward.  — 
The  possibilities  of  the  metropolitan   parks,  by  (the  Earl)  of  Meath.   —  etc. 

Nineteenth  Century.  A  monthly  review  edited  by  J  Knowles.  N°  209  July  1894: 
Carnot,  by  A.  Ch.  Swinburne.  —  The  failure  of  the  Labour  Commission,  by  (Mrs.)  Sidney 
Webb  —  The  partition  of  Africa,  by  A.  Silva  White.  —  Delusions  about  tropical  culti- 
vation,  by  (Sir)  W.  Des  Voeux  —  Religion  in  primary  schools,  by  J.  G.  Fitch.  — 
Competitive  examinations  in  China,  by  T  L.  Bullock.  —  Proposed  overthrow  of  the 
Church  in  Wales,  by  Lewis  T.  Dibdin  (Chancellor  of  the  dioceses  of  Durham,  Exeter, 
and  Rochester).  —  College  discipline,  by  L.  A.  Selby-Bigge  (ex-Proctor).  —  A  land  of 
incredible  barbarity  [Morocco],  by  (the  Earl  of)  Meath.  —  The  centenary  of  E.  Gibbon, 
by  Fr.  Harrison.  —  etc. 

C.     Oesterreich-Ungarn. 

Deutsche  Worte.  Monatshefte  herausgegeben  von  Engelbert  Pernerstorfer.  Jahr- 
gang XIV,  1894,  7.  u.  8.  Heft,  Juli  und  August:  Das  soziale  Elend  und  „die  Gesell- 
schaft" in  Oesterreich,  von  T.  W.  Teisen  (IV.  [Schlufs]).  —  Genossenschaftliche  Selbst- 
hilfe. Vortrag,  gehalten  am  Verbandstag  der  ostschweizerischen  landwirtschaftlichen  Ge- 
nossenschaft zu  Brugg,  den  20.  Mai  1894,  von  (Prof.)  J.  Platter  (Zürich).  —  Ein  Hand- 
buch der  Kriminalanthropologie  („Naturgeschichte  des  Verbrechers"  von  Kurella),  von 
(Prof.)  F.  Tönnies  (Kiel).  —  Agrarisches,  von  Max  May  (Heidelberg).  —  Ein  ponophysio- 
kratisches  System  der  Volkswirtschaftslehre  (mit  besonderer  Bezugnahme  auf  „Arbeit  und 
Boden,  Grundlinien  einer  Ponophysiokratie,  von  O.  Effertz"),  von  L.  Pohle  (Leipzig).  — 
Die  Frauenfrage  im  Lichte  der  ethischen  Entwickelung,  von  Irma  v.  Troll-Borostyani 
(Salzburg).  —  Von  der  Zukunft  der  Philosophie.  Mit  apologetisch-kritischer  Berücksich- 
tigung der  Inaugurationsrede  von  Ad.  Exner :  „Ueber  politische  Bildung",  von  Fr.  Bren- 
tano. —  etc. 

O  e  s  ter  r  e  i  c  h  -  Ungarische  Revue.  Herausgegeben  und  redigiert  von  A.  Mayer- 
Wyde  Jahrgang  IX  (1894)  Band  16,  Heft  3  :  Der  Dakoromanismus,  von  (Prof.)  J.  H. 
Schwieker.  —  Geburt  und  Taufe,  Tod  und  Begräbnis  in  Oberösterreich,  von  Fr.  P.  Piger. 
—  Geistiges  Leben  in  Oesterreich  und  Ungarn:  Referate  über:  ,,  Frachtporto ,  von  J. 
Wilhelm"  ;    „Rechtsurkunden  der    österreichischen  Eisenbahnen ,    von  R.   Schuster  (Edler) 


476  Die  periodische  Presse  des  Auslandes. 

v.  Bonnott  und  A.  Weeber" ;  „Zur  Nebenbahnfrage  in  Oesterreich,  von  S.  Sonnenschein". 

—  etc. 

Statistische  Monatsschrift.  Herausgegeben  von  der  k.  k.  statistischen  Central- 
kommission.  Jahrgang  XX,  1894,  Heft  7.  Juli:  Kritische  Bemerkungen  über  Statistik 
der  landwirtschaftlichen  Bodenbenutzung  und  der  Ernten ,  von  J.  (Ritter)  Lorenz  v. 
Liburnau.  —  Anbauflächen  der  Zuckerrüben  nach  dem  Stande  vom  1.  Juni  1894.  Zusam- 
mengestellt im  k.  k.  Ackerbauministerium.  (Mit  1  Karte.)  —  Zur  Frage  der  Perioden- 
bildung in  der  Verwaltungsstatistik,  von  J.  —  Der  Verkehr  auf  der  oberen  Donau  im 
Jahre  1893,  von  Pizzala.  —  Der  Schiffs-  und  Warenverkehr  auf  der  Elbe  im  Jahre 
1893,  von  Pizzala.  —  Arbeitsstatistik  in  den  Niederlanden.  —  Aus  den  Sitzungen  der 
k.   k.  statistischen   Centralkommission.  —  etc. 

D.  Rufsland. 
Bulletin  russe  de  statistique  financiere  et  de  legislation.  Ire  annee,  N°  4,  Juin 
1894  :  Projet  de  Convention  commerciale  entre  la  Russie  et  l'Autriche-Hongrie.  —  Com- 
merce de  la  Russie  avec  l'Autriche-Hongrie.  —  Principales  exportations  et  importations  de 
la  Russie  en  1893  et  pendant  la  periode  quinquennale  1888  ä  1892  —  Cours  de  fonds 
russes  or  et  credit  1887  ä  1894.  —  Dette  fonciere.  Progression  de  l'endettement  du  sol 
de   1889  ä   1893  et  ä  1894.  —  Obligations  foncieres  en  circulation  au   ler  janvier    1894. 

—  Bilans  comparatifs  (1873 — 1893)  de  la  Banque  centrale  de  credit  foncier  de  Russie. — 
L'impöt  foncier  (propri^te  rurale).  —  Quantites  de  vins  etraugers  consommees  en  Russie 
depuis  1865.  —  Exportation  et  importation  de  l'or  et  de  l'argent  pendant  les  sept  annees 
1887 — 93,  production  pendant  la  periode  sexennale  1887 — 1892.  —  Salaires  agricoles 
au  printemps  de  1894.  —  Recettes  et  depenses  du  Tresor  pendant  les  2  premiers  mois 
de  1894.  —  Banques  russes  d'escompte  et  de  credit  mobilier.  Capital  social,  reserves, 
prix  des  actions  au  31  mai  n.  s.  1894.  —  Production  et  exportation  des  pricipales 
cereales.  —  etc. 

E.     Italien. 

Giornale  degli  Economisti.  Rivista  mensile.  Luglio  e  Agosto  1894:  La  espor- 
tazione  dei  principali  prodotti  agrari  dall'  Italia  nel  periodo  1862 — 92,  per  L.  Einaudi.  — 
L'emigrazione  italiana  nell'  Europa  centrale  e  Orientale,  per  P.  Sitta.  —  II  massimo  di 
utilita  dato  dalla  libera  concorrenza,  per  V.  Pareto.  —  Nota:  II  laboratorio  di  economia 
in  Torino.  —  Previdenza,  per  C.  Bottoni.  —  L'indirizzo  teorico  nella  scienza  finanziaria, 
per  C.  A.  Conigliani.  —  II  riordinamento  delle  Börse  di  commercio ,  per  G.  Valenti.  — 
Nota  :  Di  una  confederazione  fra  i  monti  di  pietä  del  regno  e  di  un  ufficio  centrale  di 
collegamento ,  per  A.  Fanelli.  —  Atti  dell'  Associazione  economica  liberale  italiana, 
adunanca  del  29  Maggio  —  adunanca  del  6  Luglio  1894.  —  La  situazione  del  mercato  mone- 
tario,  per  X.  —  Cronaca,  per  V.  Pareto.  —  Supplemente-  al  Agosto  1894:  La  parteci- 
pazione  degli  operai  al  profitto.     Saggio  bibliografico,  per  L.  Cossa.  — 

Rivista  della  beneficenza  pubblica  e  di  igiene  sociale.  Anno  XXII,  1894,  N°  6, 
30  Giugno :  II  nuovo  ospedale  militare  di  Roma  al  Monte  Celio,  per  (Colonnello)  L. 
Ricciardi.  —  Una  casa  di  lavoro  a  Bruxelles ,  per  G.  C.  Calvi.  —  L'assicurazione  degli 
operai  contro  le  malattie  nel  1892  in  Austria.  —  Le  istituzioni  di  beneficenza  e  l'imposta 
sulla  ricchezza  mobile,  per  E.  Stelluti  Scala.  —  La  societä  di  previdenza  fra  gli  ufficiali 
del  regno  esercito  e  della  regio  marina,  per  (avvocato)  C.  Peano.  —  Cronaca  della  bene- 
ficenza, della  previdenza,  della  cooperazione  e  di  fatti  sociali  interessanti  i  lavoratori.  — 
Pareri  del  Consiglio  di  Stato.   —  etc. 

G.  Belgien  und  Holland. 
Revue  sociale  et  politique,  publiee  par  la  Societe  d'etudes  sociales  et  politiques 
(fondateur:  A.  Couvreur)  [Bruxelles].  IVteme  annee,  1894,  N°  3:  Le  monopole  d'alcool, 
par  E.  Alglave.  —  Les  progres  de  l'instruction  primaire  publique  en  Grande-Bretagne 
et  en  Irlande,  par  E.  L.  Stanley.  —  Informations  diverses  :  Belgique :  Congres  international 
sur  la  legislation  douaniere  et  la  reglementation  du  travail  ;  Congres  international  pour 
l'etude  des  questions  relatives  au  patronnage  des  condamn^s,  des  enfants  moralemeut 
abandonnes,  des  vagabonds  etc.  Allemagne :  Le  congres  international  des  mineurs  Etats- 
Unis  :  Le  stock  de  l'or.  France :  Les  projets  d'impot  sur  le  revenu ;  La  session  de  Paris 
de  l'Institut  de  droit  international.  Grande-Bretagne:  Les  trades-unions  en  1892.  Suisse: 
Congres  international  de  Zürich  pour  la  protection  ouvriere.  —  etc. 


Die  periodische  Presse  des   Auslände*.  477 

Economist,  de,  opgericht  door  J.  L.  de  Bruyn  Kops.  XLIII.  jaargang,  1894, 
Juli — Augustus.  (Deutsche  Uebersetzung  der  Titelangabe  in  holländischer  Sprache):  Das 
Verhältnis  zwischeu  Einkommen  und  Wohnungsmiete  in  Amsterdam,  von  C.  T.  Knotten- 
belt.  —  Bestimmungen  enthaltender  Gesetzentwurf  zur  Verhütung  übermäfsiger  Arbeits- 
leistung in  holländischen  Brot-,  Zwieback-  und  Kuchenbäckereien  und  in  holländischen 
Brotfabrikeu,  von  H.  Pyttersen.  —  Revision  des  holländischen  Gemeindewesuns,  von  J. 
Sickenga.  —  Zwei  bimetalli.sti.sche  Konferenzen:  2.  u.  3.  Mai  1894  im  Mansion  Ilouse 
zu  London  und  18.  Juni  1894  im  Haag  (letztere  einberufen  von  der  Holländischen  Laud- 
wirtschaftsgesellschaft),  von   G.   M.   Boissevain.  —  Wirtschaftschronik.  —  Handelschronik. 

—  etc. 

H.     Schweiz. 

Schweizerische  Blätter  für  Wirtschafts-  und  Sozialpolitik.  Redigiert  von  0. 
Wullschleger.  Jahrg.  II,  1894.  Nr.  12—16,  15.  Juni— August  1894:  Zur  Monopolisie- 
rung der  Wasserkräfte  in  der  Schweiz,  von  O.  Wullschleger.  —  Bastiat  redivivus,  von 
A.  Mülberger.  —  Staatliche  Unterstützung  der  Landwirtschaft  im  Kanton  Zürich.  —  Die 
gegenwärtige  Lohnbewegung  in  der  Schweiz  (Schlufs).  —  Die  Bodenverschuldung  im 
Kanton  Luzern,  von  J.  Schwendimann.  —  Die  Versicherung  gegen  die  Folgen  der  Arbeits- 
losigkeit im  Kanton  St.  Gallen,  von  Ferd.  Stolz.  —  Die  Arbeitslosenversicherung  der 
englischen  Gewerkvereine,  von  (Prof.)  G.  Adler.  —  Der  achtstündige  Arbeitstag,  von 
J.  Rahm  (Aarburg).  —  Tirolische  Bauernnot,  von  (Prof.)  J.  Platter  (Artikel  1  u.  2).  — 
Zur  eidgenössischen  Verwaltungsreform,  von  J.  Litschi.  —  Gewerbliches  Bildungswesen. 
Förderung  der  Berufslehre  beim  Meister.  Befähigungsnachweis  im  Handwerk.  Gewerbliche 
Fachschulen.  (Die  darüber  von  der  Delegiertenversammlung  des  schweizerischen  Gewerbe- 
vereins am  7.  u.  8.  VII.  in  Herisau  angenommenen  Thesen.)  —  Die  Leistungen  des 
schweizerischen  Arbeitersekretariats,  von  Hans  Müller.  —  Eisenbahnverstaatlichung  in 
der  Schweiz;  Bauerntag  am  22.  Juli  in  Zürich;  Vollzug  des  schweizerischen  Fabrik- 
gesetzes. —  Der  soziale  Krieg  in  den  Vereinigten  Staaten  von  Amerika.  —  Die  Berufs- 
verhältnisse in  der  Schweiz.  —  etc. 

L' Union  postale.  XIXe  volume,  1894,  N°  8,  Berne,  ler  aoüt:  Extraits  des  rapports 
de  l'administration  des  postes  suisses  sur  ia  gestion  et  sur  le  resultat  de  ses  comptes  en 
1893.  —  La  caisse  d'epargne  postale  des  Pays-Bas  en  1892.  —  La  caisse  d'epargne 
postale  de  Hongrie  en  1892.  —  etc. 

K.  Spanien. 
El  Economist  a.  Ano  1894.  N°s  418 — 427:  Conferencia  internaciönal  bimetalica 
de  Londres.  —  La  crisis  econömica  en  la  isla  de  Cuba.  —  La  crisis  monetaria.  —  El 
banco  hipotecario  en  1893.  —  La  rivelacion  del  presupuesto  del  1893 — 94.  —  El  problema 
de  los  ferrocarriles.  —  El  optimismo  en  la  Hacienda.  —  Los  presupuestos  de  1894/95. — 
Los  bancos  y  las  bolsas  en  el  primer  semestre  de  1894  —  La  riqueza  industrial  de 
Espana.  —  El  reinado  del  dinero.  —  Espana  comercial.  —  Situaciön  general  de  los 
tratados  de  comercio  en  Europa.  —  Una  invencion  fiscal.  —  Situaciön  econömica  del 
Brasil.  —  El  alza  de  los  cambios.  —  El  banco  de  Hespana  en  1891  y  1894.  —  Re- 
forma  monetaria  en  Puerto  Rico.  — 

L.     Amerika. 

Bulletin  of  American  Geographical  Society  (published  quarterly).  Vol.  XXVI,  N°2, 
June  30,  1894  :  The  Japanese  life  and  customs  as  contrasted  with  those  of  the  Western 
World.  (With  the  treaty  question),  by  Kinza  Riuge  M.  Hirai.  —  The  sacred  Symbols 
and  numbers  of  aboriginal  America  in  ancient  and  modern  times,  by  Francis  Perry.  — 
Washington  letter.   —   Geographical  notes,  by  G.   C.  Hurlbut.  —  etc. 

Political  Science  Quarterly.  Edited  by  the  University  faculty  of  political  science 
of  Columbia  College.  Volume  IX,  June  1894,  N°  2:  The  Pacific  Railroad  telegraphs, 
by  L.   C.  Merriam    —  Giffen's  case  against  bimetallism,  by  R.  Hazard  and  Ch.  B.  Spahr. 

—  The  railway  gross  receipt  tax,  by  (Prof.)  F.  J.  Goodnow.  —  Origin  of  standing  com- 
mittees,  by  (Prof.)  J.  E.  Jameson.  —  British  local  finance,  II.,  by  G.  H.  Blanden.  — 
Rccord  of  political  events,  by  (Prof.)  W.   A.  Dunning.  —  etc. 


478  *-*'e  periodische  Presse  Deutschlands. 


Die  periodische  Fresse  Deutschlands. 

Arbeiterfreund,  der.  Zeitschrift  für  die  Arbeiterfrage.  Herausgegeben  von 
(Proff.  D".)  Viktor  Böhmert  und  R.  v.  Gneist.  Jahrg.  XXXII,  1894,  2.  Vierteljahrs- 
heft: Wilhelm  Roschers  Stellung  zur  Volkswirtschaftslehre  und  Arbeiterfrage,  von  V. 
Böhmert.  —  Nochmals  der  Arbeitsnachweis,  von  K.  Möller.  —  Ferd.  Lassalle  im  Licht, 
der  heutigen  Sozialdemokratie,  von  Wilhelm  Böhmert.  —  Deutsche  Arbeitsstätten  in  ihrere 
Fürsorge  für  das  Wohl  der  Arbeiter,  von  Max  May.  —  Der  XII.  deutsche  Kongrefs  für 
erziehliche  Knabenhandarbeit.  —  Wirtschaftlich-soziale  Vierteljahrschronik ,  April  bis 
Juni.  —  etc. 

Archiv  für  Post  und  Telegraphie.  Nr.  13  und  14,  Juli  1894:  lieber  Vielfach- 
umschalter und  deren  Verwendung  bei  den  Fernsprechvermittelungsanstalten  (Schlufs).  — 
Die  Einheitsbewegung  im  Verkehrswesen  Australasiens  (Schlufs).  —  Die  englischen  Post- 
sparkassen im  Jahr  1892.  —  Ueber  die  Induktion  in  Fernsprechleitungen.  —  Der  Betriebs- 
fonds der  preufsischen  Postverwaltung  und  der  Reichs-,  Post-  und  Telegraphenverwaltung, 
1727 — 1893.   —  Siams  Handels-  und  Verkehrsverhältnisse  im  Jahr  1892.  —  etc. 

Ch  ris  tli  ch  -soziale  Blätter.  Katholisch-soziales  Centralorgan.  Jahrgang  XXVH  : 
1894.  Heft  11/12  u.  13/14:  Die  schweizerische  Fabrikinspektion  1892  und  1893.  — 
Die  politische  Oekonomie,  einst  und  jetzt.  —  Der  21.  Juni  1894  in  Budapest,  von  A. 
Tr.  —  Denkschrift  über  die  Lage  der  Landwirtschaft  und  die  Organisation  des  Bauern- 
standes für  den  VI.  (Wirtschafts-)Ausschufs  der  bayerischen  Abgeordnetenkammer  erstattet 
von  dem  Abgeordneten  Jaeger.  —  Die  Wertdefinitionen  der  volkswirtschaftlichen  Lehr- 
bücher. —  Das  neue  Sozialprogramm  der  katholischen  Sozialreformer  Frankreichs.  — 
Ein  katholisch-soziales  Programm  (mit  Fortsetzung  1  und  2).  —  Sozialpolitische  Rund- 
schau  V.,  VI.  und  VII.  — 

Deutsche  Revue  über  das  gesamte  nationale  Leben  der  Gegenwart,  herausgegeben 
von  R.  Fleischer.  Jahrg.  XIX,  1894,  Juli  und  August:  Die  wunderbarsten  Phänomene 
des  Nichtbewufstseins,  von  C.  Lombroso.  —  Blicke  auf  die  ärztliche  Thätigkeit  in  der 
Vorzeit  und  in  der  Gegenwart,  von  A.  Graefe.  —  Fortleben,  von  (Prof.)  L.  Büchner. — 
Theater  und  Gesellschaft,  von  (Prof.)  H.  Bulthaupt.  —  Protektionismus  und  Isolierung, 
von  A.  Naquet.  —  Der  Berlin-Ostseekanal,  von  (Vizeadmiral)  Batsch.  —  Ungedruckte 
Briefe  des  Grafen  Cavour  (I.  und  IL).  —  Erinnerungsblätter,  von  Johanna  Kinkel  (IV. 
und  V  ).  —  Fürst  Bismarck  und  die  Parlamentarier,  von  H.  v.  Poschinger  (I.  und  IL).  — 
Erinnerungen  aus  dem  Leben  von  Hans  Viktor  von  Unruh,  von  H.  v.  Poschinger  (IV. 
und  V.).  —  Prinz  Bernhard  von  Sachsen-Weimar :  Erinnerungen  von  einer  Reise  um  die 
Welt  1887/88  (IV.   und  V.).  etc. 

Jahrbuch  für  Gesetzgebung,  Verwaltung  und  Volkswirtschaft  im  Deutschen  Reich. 
Jahrg.  XVHI  (1894).  Herausgegeben  von  Gustav  Schmoller.  Heft  3,  erste  Abteilung: 
Der  deutsche  Beamtenstaat  vom  16. — 18.  Jahrhundert.  Rede  gehalten  auf  dem  deutschen 
Historikertag  zu  Leipzig  am  29.  März  1894,  von  G.  Schmoller.  —  Die  Lage  der  deutschen 
Seefischerei,  von  (GORegR.)  L.  Bartels.  (Vortrag  gehalten  in  der  Berliner  Staatswissen- 
schaftlichen Gesellschaft.)  —  Die  Kleinbahnen  und  die  Mittel  ihrer  Förderung.  (Vortrag 
gehalten  in  der  Berliner  Staatswissenschaftlichen  Gesellschaft)",  von  (GORegR.)  Gleim.  — 
Die  geschichtlichen  Ursachen  der  irischen  Agrarverfassung ,  von  Moritz  Jaffe.  —  Die 
amtliche  Arbeiterstatistik  des  Deutschen  Reichs,  von  H.  v.  Scheel.  —  Die  Reform  unserer 
Sozialversicherung,  von  W.  Kulemann.  —  Oesterreichische  und  deutsche  Arbeiterversiche- 
rung, von  P.  Köhne.  —  Die  preufsische  Agrarkonferenz,  von  M.  Sering.  —  Statistik  der 
jugendlichen  Fabrikarbeiter,  von  K.  Oldenberg.  —  Die  Neuordnung  der  staatswissen- 
schaftlichen Prüfungen  in  Belgien.  — 

Journal  für  Landwirtschaft.  Im  Auftrage  der  k.  Landwirtschaftsgesellschaft  zu 
Hannover  herausgegeben  und  redigiert  von  G.  Liebscher.  Bd.  XLII ,  Heft  2 ,  Juli 
1894:  Ueber  den  Bau  der  Samenschale  einiger  Brassica-  und  Sinapisarten,  von  O.  Burchard- 
(Hamburg.)  Mit  4  Tafeln.  —  Untersuchungen  über  das  Rind  der  Wahima  (Watussi-) 
Stämme  (Bos  Zebu  africanus  Watussi),  von  L.  Adametz  (o.  ö.  Prof.,  Krakau).  Mit  1  Tafel. 
—  Kritische  Geschichte  der  Lehre  von  der  Fettbildung,  von  Selik  Soskin.  (Von  der 
k.  Landwirtschaftlichen  Hochschule  zu  Berlin  gekrönte  Preisschrift.)  —  Ergänzungsheft: 
Gedächtnisrede  auf  G.  Drechsler  und  W.  Henneberg,  von  Liebscher.  — 

Neue  Zeit,  die.     Revue  des  geistigen  und  öffentlichen  Lebens.     Jahrg.  XII,  Band  2 


Die  periodische  Presse  Deutschlands.  479 

(1893 — 94),  Nr.  33  bis  Nr.  43:  Die  Lage  in  Oesterreich  und  der  sozialdemokratische 
Parteitag,  von  Viktor  Adler.  —  Zur  Naturgeschichte  des  politischen  Verbrechers  von 
Fr.  Grofse  (Leipzig-Reudnitz).  —  Die  Feldarbeiterbewegung  in  Ungarn.  —  Lombroso  und 
sein   Verteidiger,    von  K.  Kautsky.    —  Die  Prefszustände  in  Oesterreich,    von   J.  Ingwer. 

—  Eine  neue  Geschichte  der  Trade  Union-Bewegung  in  England  (,,Uowell ,  Trade 
Unionism  old  and  new"),  von  Ed.  Bernstein.  —  Der  Schutz  der  jugendlichen  Arbeiter, 
von  H.  Rohrlack.  —  Commonweal  and  industrial  armies ,  von  Ph.  Kappaport.  —  Die 
Judenausweisungen  in  Rufsland  und  die  polnische  Frage,  von  Rezawa.  —  Für  zahlen- 
rechtes Wahlverfahren,  von  Peter  Braun.  —  Einiges  vom  Neuen  Unionismus  in  England, 
von  E.  Aveling.  —  Zur  Frage  der  Geschlechtscharaktere  bei  den  Menschen,  von  Ed.  Bern- 
stein. —  Das  Spiritusmonopol.  —  Wie  in  Rumänien  die  Bojaren  und  Klöster  die  Wälder 
erworben  haben,  von  Joan  Nadejde.  —  Mann  und  Weib,  vou  H.  B.  Adams-VValther.  — 
Die  Berliner  Dainenmäntelkonfektion,  von  B.  Heymann.  —  Auf  nach  Washington  !  (Ueber 
die  Coxey- Bewegung)  von  G.  A.  Hoehn.  —  Briefe  aus  England.  —  Die  französischen 
Sozialisten  in  der  Kammer,  von  Ch.  Bonnier.  —  Beiträge  zur  Eutwickelungsgeschichte 
der  Grofsindustrie  in  Deutschland.  —  Die  Krisis  in  der  sozialistischen  Bewegung  Hollands, 
von  H.  Polak.  —  Zwei   Kapitel    aus  dem  dritten  Bande  des   „Kapital"  ,    von   Karl  Marx. 

—  Eine  Schwergeburt  (über  den  polnischen  Demokratismus  seit  1863),  von  Rezawa  — 
Zur  neueren  Rodbertus-Litteratur ,  von  F.  Mehring.  —  Die  Ergebnisse  der  Gewerbe- 
aufsicht in   Bayern,   Württemberg  und  Hessen,   von   Max  Quarck.   —  etc. 

Preufsische  Jahrbücher.  Herausgegeben  von  Hans  Delbrück.  Band  LXXVII, 
Heft  2,  August  1894:  Die  Akademie  zu  Münster  und  ihr  katholischer  Charakter,  von 
Cajus.  —  Ueber  die  Vereinfachung  der  Arbeiterversicherung,  von  R.  v.  Landmann 
(k.  bayer.  Bevollmächtigter  zum  Bundesrat).  —  Der  neue  österreichische  Entwurf  einer 
Zivilprozeßordnung,  von  K.  Schneider  (Landrichter,  Kassel).  —  Das  Testament  Leo  XIII., 
von  (Prof.)  A.   Harnack.   —  etc. 

Vereinsblatt  für  deutsches  Versicherungswesen.  Redigiert  von  J.  Neumann. 
Jahrg.  XXII,  1894,  Nr.  7:  Die  Verhandlungen  der  bayerischen  Abgeordnetenkammer 
vom  14.  u.  15.  III.  1894  bezgl.  der  darin  von  dem  Abgeordneten  Ratzinger  angegriffenen 
„Aachener  und  Münchener  Feuerversicherungsgesellschaft"  —  Feuerversicherungsgeschäft 
in  England  in  den  Jahren   1889   bis   1893.  —  etc. 

Verhandlungen,  Mitteilungen  und  Berichte  des  Centralverbandes  deutscher 
Industrieller.  Herausgegeben  von  H.  A.  Bueck.  Nr.  62,  August  1894:  Ein  neues  Logier- 
haus auf  der  Krupp'schen  Gufsstahlfabrik  zu  Essen.  —  Zur  Arbeiterbewegung.  —  Kosten 
der  letzten  grofsen  Streiks  in  Nordamerika.  —  Der  Achtstundentag  in  England.  —  Mit- 
teilungen über  die  Ausfuhr  deutscher  Waren  nach  Südafrika.  —  Mitteilungen  über  die 
Einfuhr  von  Maschinen  in  Indien.  —  Ueber  einige  wirtschaftliche  Erscheinungen  und  Streit- 
fragen der  Gegenwart.  —  Die  Entwickelung  der  Augsburger  Industrie  im   19.  Jahrhundert. 

—  etc. 

Verwaltungsarchiv.  Zeitschrift  für  Verwaltungsrecht  und  Verwaltungsgerichts- 
barkeit. Herausgegeben  von  M.  Schultzenstein  und  A.  Keil.  Band  III,  Heft  1/2,  August 
1894:  Die  polizeilichen  Verfügungen  zur  Verhütung  strafbarer  Handlungen  (oder  Unter- 
lassungen) und  deren  Durchführung  nach  preufsischem  Recht,  von  (AGerR.)  E.  Neukamp 
(Göttingen).  —  Gerichte  und  Verwaltungsbehörden  in  Brandenburg-Preufsen.  III.  Artikel, 
von  (GJustR.  Prof.)  E.  Loening.  —  Die  Verwaltungsgerichtsbarkeit  und  die  öffentlichen 
Rechte,  von  (Prof.)  K.  (Frh.)   v.  Stengel  (Würzburg.)  —  etc. 

Zeitschrift  des  k.  preufsischen  statistischen  Bureaus.  Herausgegeben  von  dessen 
Direktor  E.  Blenck.  Jahrg.  XXXIV",  1894,  2.  Vierteljahrsheft:  Die  preufsischen  Spar- 
kassen im  Rechnungsjahre  1892  bezw.  1892/93.  Im  amtlichen  Auftrage  bearbeitet  von 
G.  Evert  (RegR.).  —  Statistische  Korrespondenz.  —  Besondere  Beilage:  Wirkliche  und 
Mittelpreise  der  wichtigsten  Lebensmittel  für  Menschen  und  Tiere  in  den  bedeutendsten 
Marktorten  der  preufsischen  Monarchie  während  des  Kalenderjahres  1893  bezw.  des  Ernte- 
jahres  1892/93.  —  etc. 

Zeitschrift  für  Kleinbahnen.  Herausgegeben  im  Ministerium  der  öffentlichen 
Arbeiten.  Jahrg.  I,  1894,  Heft  8:  August:  Die  Plattformbahn,  von  Klinke  (k.  Eisen- 
bahnbau- und  Betriebsinspektor).  —  Die  Brölthaler  Eisenbahn,  von  (RegBauM.)  Lauer 
(Schlufs).  —  Zur  Spurweitenfrage,  von  Peters  (k.  Eisenbahnbau-  und  Betriebsinspekt.).  — 
Gesetzgebung.  —  Kleine  Mitteilungen.  —  etc. 

Zeitschrift  für  Litteratur  und  Geschichte  der  Staatswissenschaften.  Heraus- 
gegeben von  Kuno  Frankenstein.     Band  III,    1894,    Heft  1    bis  3:    Auf  dem  Wege    zur 


480  Die  periodische  Presse  Deutschlands. 

Gewerbefreiheit  in  Preufsen,  von  Kurt  v.  Rohrscheidt  (Fortsetzung;  Abschnitt  7—9).  — 
Lehrsätze  über  die  ökonomischen  Kategorien,  von  Cort  van  der  Linden  (Prof.,  Amster- 
dam). —  Der  soziale  Kongrefs  zu  Prankfurt  a/M.  am  8.  und  9.  Oktober  1893,  von 
Rud.  Grätzer.  —  Zur  Biographie  des  Stifters  der  Physiokratie ,  Francois  Quesnay,  von 
(Prof.)  Oncken.  —  Bibliographie  des  Arbeiterversicherungswesens  im  Deutschen  Reiche, 
von  K.   Frankenstein  (III  und  IV).  —  etc. 

Zeitschrift  für  Sozial-  und  Wirtschaftsgeschichte.  Herausgegeben  von  Dn-  St. 
Bauer,  C.  Grünberg,  L.  M.  Hartmann,  E.  Szanto.  Band  II  Heft  3,  1894:  üeber  den  Ein- 
flufs  der  Grundherrlichkeit  und  Friedrichs  des  Grofsen  auf  das  schlesische  Leinengewerbe. 
Eine  Antwort  an  meine  Kollegen  Grünhagen  und  Sombart  in  Breslau,  von  L.  Brentano. 
—  Der  dänische  Staatsbankerott  im  Jahre  1813,  von  M.  Rubin.  —  etc. 

Zeitschrift  für  die  gesamte  Strafrechtswissenschaft.  Hrsg.  von  (Proff .  D"-) 
F.  v.  Liszt  und  K.  v.  Lilienthal.  Band  XV,  Heft  1 :  Die  Abstimmung  in  Strafgerichten. 
Abstimmung  nach  Gründen  oder  dem  Gesamtergebnis  ?  von  (RAnw.)  H.  Heinemann.  — 
Der  Stoofssche  Entwurf  eines  schweizerischen  Strafgesetzbuches,  von  (Prof.)  v.  Lilienthal 
(Marburg).  —  Die  Autorität  der  reichsgerichtlichen  Entscheidungen  in  Strafsachen,  von 
(Landrichter)  K.  Schneider  (Kassel).  —  Dolus  eventualis  und  Gefährdung,  von  (Prof.) 
C.  Stoofs  (Bern).  —  Beiträge  zur  Lehre  von  der  Teilnahme,  von  (LandGerR.)  Haupt 
(Leipzig).  —  Internationale  Strafrechtschronik:  Oesterreich  1890 — 1893.  Redigiert  von 
(Prof.)  Friedmann  (Wien).  —  etc. 


Krommannsche  buchdruckerei  (Hermann  Fohle)  in  Jena. 


Kurt  von  Rohrscheidt,  Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  etc.        481 


IV. 

Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und 
Gewerbefreiheit. 

Von 

Kurt  von  Rohrscheidt, 

Regierungsassessor. 
(Schlufs.) 

III.  Abschnitt. 

Die  allgemeinen  Innungsverhältnisse  nach  Einführung 
der  Gew  erbefreihei  t. 

Wie  wir  bereits  gesehen  haben,  gewann  die  Gewerbefreiheit 
in  der  preußischen  Monarchie  immer  mehr  gesetzgeberischen  Boden 
und  wurde  schließlich,  abgesehen  von  dem  Herzogtum  Sachsen  und 
dem  Stralsunder  Regierungsbezirk,  überall  herrschend.  Teils  be- 
stand sie  neben  den  Zünften  in  denjenigen  Landesteilen,  welche  1810 
zum  Staate  gehört  hatten,  gemäß  dem  Edikte  vom  7.  September  1811, 
teils  war  sie  unbeschränkt  in  den  ehemals  französischen  und  west- 
fälischen Territorien,  wo  alle  Zünfte  aufgehoben  waren.  Wenn  also 
ein  Lehrling  bei  einem  Unzünftigen  auslernte,  so  erwuchs  ihm  nur  der 
Nachteil,  daß  er  im  Herzogtum  Sachsen  und  in  Neuvorpommern  sein 
Gewerbe  nicht  selbständig  ausüben  durfte,  da  ihn  eine  Zunft  nicht  in 
ihre  Mitte  aufnahm.  Ueberhaupt  war  ein  Dutzend  Jahre  nach  Ein- 
führung der  Gewerbefreiheit  in  Preußen  die  Zunft  Verfassung  in 
ganz  Deutschland  so  durchlöchert,  daß  ein  wandernder  Ge- 
selle, mit  dem  Zeugnis  seiner  Ortspolizeibehörde  versehen,  fast  überall 
Arbeit  fand,  ohne  daß  sich  jemand  um  seine  zünftige  oder  unzünftige 
Eigenschaft  bekümmerte.  Wir  können  dem  Ausspruche  Meier' s1) 
ohne  Bedenken  zustimmen ,  daß  es  im  Wesen  jeder  Reformgesetz- 
gebung liege,  in  der  Anwendung  der  neuen  Prinzipien  zu  weit  zu 
gehen.    Eine  Reform,  die  Erfolg  haben  will ,   wird  stets  im  Eifer  des 


1)  Meier,  Die  Reform  der  Verwaltungsorganisation  unter  Stein  und  Hardenberg  (Berlin 
1881),  S.   136. 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXIII).  31 


482  Kurt  von  Rohrscheidt, 

Vorwärtsstrebens  zunächst  über  das  Ziel  hinauseilen.  Nur  mit  solchem 
impulsiven  Vorgehen  wird  etwas  erreicht  werden,  ja  man  kann  wohl 
sagen,  daß  nicht  genug  erzielt  werden  würde,  wenn  nicht  zuerst 
zuviel  gethan  worden  sei.  Das  „Zuviel"  geht  später  am  Schleifstein 
der  praktischen  Erfahrung  von  selbst  ab.  So  steht  es  auch  mit  der 
Hardenberg'schen  Gewerbereform.  Von  unserem  Standpunkte  aus 
können  wir  ohne  weiteres  sagen,  daß  sie  damit  einen  Fehler  beging, 
auf  die  vollständige  Auflösung  der  Innungen  hinzuarbeiten  und 
die  Neubildung  solcher  im  allgemeinen  zu  verbieten.  Allein  es  wäre 
kaum  möglich  gewesen ,  bei  dem  Bruche  mit  dem  veralteten  Zunft- 
zwange einen  anderen  Standpunkt  einzunehmen.  Die  obligatorischen 
Innungen  hatten  sich  als  schädliche,  den  gesamten  Staatsorganismus 
störende  Elemente  erwiesen.  Als  Zwangsverbände  mußten  sie  daher 
fallen,  und  man  duldete  die  bestehenden  noch  als  freie  Genossen- 
schaften lediglich  deshalb,  um  nicht  zu  sehr  und  mit  einem  Male 
wohlerworbene  privatrechtliche  Verhältnisse  zu  vernichten.  Das  Fort- 
bestehen und  die  Weiterbildung  freiwilliger  Innungen  zu  begünstigen, 
dazu  lag  keine  Veranlassung  vor,  da  kein  Grund  war,  zu  hoffen,  daß 
solche  Verbände  dem  Staat  wie  den  einzelnen  Gewerbetreibenden  wieder 
von  Nutzen  sein  könnten. 

In  anderen  Staaten,  die  gleichfalls  zeitweise  unter  französischer 
Gesetzgebung  gestanden  hatten,  wurde  dagegen  das  alte  Zunftwesen 
wieder  hergestellt.  So  erließ  z.B.  die  „Königliche  Großbrit  an - 
nisch-Hannöve  rsche  Pr  o  vinzialregier  un  g  von  Ostfries- 
land" zu  Aurich  am  11.  August  1819  eine  Bekanntmachung1),  durch 
welche  die  von  der  holländisch-französischen  Gesetzgebung  im  Fürsten- 
tum Ostfriesland  und  dem  Harrlingerlande  (1809)  eingeführte  allge- 
meine Gewerbefreiheit  eingeschränkt  und  die  aufgehobenen  Zünfte, 
Aemter  und  Innungen  wieder  hergestellt  wurden.  Man  bezeichnete 
genau  die  einzelnen  Städte  und  Flecken,  in  denen  die  früheren 
Zünfte  wieder  aufleben  und  neue  sich  bilden  sollten,  und  gab  nur  für 
gewisse  Handwerke,  die  für  die  Bauern  unentbehrlich  waren, 
das  platte  Land  frei.  Letztere  umfaßten  die  Grobschmiede,  Zimmer- 
leute, Rademacher,  Schneider,  Schuster,  Weiß-  und  Grobbrotbäcker, 
Böttcher,  Maurer,  Tischler,  Dachdecker,  Drechsler  und  Lichtzieher. 
Diese  Handwerker  mußten  auch,  falls  in  dem  Amte,  wo  sie  sich  an- 
setzten, eine  Zunft  ihres  Gewerbes  sich  befand,  ihr  Geschäft  erlernt 
und  ein  Meisterstück  gemacht  haben,  während  sonst  es  der  Ortsobrig- 
keit überlassen  blieb,  sich  von  ihrer  Geschicklichkeit  zu  überzeugen. 
Wer  in  die  Rechte  der  Zünfte  unbefugterweise  eingriff,  dem  sollte 
das  Handwerkszeug  genommen  und  zum  Besten  der  Zunft- 
kasse an  den  Meistbietenden  verkauft  werden.  Bei  Fortsetzung  solcher 
Eingriffe  konnte  der  Pfuscher  aus  dem  Zunftdistrikt  entfernt 
werden. 

Die  Beschränkung  der  Gewerbe  auf  die  Städte  geschah  wohl  an- 
änglich  notgedrungen,   weil   dort    die   größte    Sicherheit   zu    er- 


1)  Kamptz,  Annalen,  III,  S.  1029. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  483 

hoffen  war,  bis  nach  und  nach  teils  auf  dem  Wege  der  Veräußerung 
teils  zum  Dank  für  geleistete  Hilfe  der  Landesherr  den  Städten  die 
Rechte  des  Gewerbebetriebes  als  ausschließliche  verlieh.  Diese 
Privilegien  bildeten  sich  immer  weiter  aus  und  festigten  sich  in  dem 
Maße,  als  die  Städte  durch  ihre  steigende  Einwohnerzahl^  ihre 
wachsenden  Geldmittel  und  durch  ihre  steuerlichen  Leistungen  an  Be- 
deutung au  sich  wie  für  den  Staat  gewannen.  Daher  kam  es,  daß 
die  Landhandwerker  zunächst  spärlich  sich  fanden  und  auch  da, 
wo  sie  geduldet  wurden,  manchen  Beschränkungen  unterworfen  waren. 
Sie  standen  entweder  außerhalb  der  Zunftordnung  uud  durften  keine 
Lehrlinge  oder  Gesellen  annehmen,  oder,  wenn  sie  für  zünftig  aner- 
kannt wurden,  mußten  sie  sich  den  Innungen  der  benachbarten  Städte 
anschließen  und  hatten  dann  Umstände  und  Kosten,  aber  keinen  Nutzen 
vom  Verbände.  Die  städtische  Kommune  beruhte  im  Mittelalter  so 
sehr  auf  den  Gewerken,  daß  der  Verband  der  letzteren  gleich- 
bedeutend mit  dem  der  Stadt  war  und  daher  jeder  Bürger  Mit- 
glied einer  Innung  sein  mußte.  Wenn  also  Nichthandwerker  wie  Ge- 
lehrte, Künstler,  Rentner,  das  Bürgerrecht  ausüben  wollten,  so  traten 
sie  einem  Gewerk  als  Ehrenmitglieder  bei.  Der  Magistrat  hatte 
zum  Teil  Beisitzer  aus  den  Gewerken  und  fungierte  seinerseits  wieder 
als  nächste  Aufsichtsbehörde,  indem  er  Vertreter  als  Gewerks- 
patrone  in  die  Versammlungen  der  Innungen  entsandte.  Später 
wurde  wenigstens,  wie  noch  in  der  Städteordnung  von  1808,  der  Grund- 
satz festgehalten,  daß  niemand  berechtigt  sein  solle,  die  vorzugs- 
weise den  Städten  beigelegten  Gewerbe  selbständig  in  der  Stadt- 
gemeinde zu  betreiben,  der  darin  nicht  auch  das  Bürgerrecht  erlangt 
hätte.  Aus  diesen  Verhältnissen  erklärt  sich  das  Bestreben  der  Ort- 
schaften Stadtrechte  zu  erlangen ,  sobald  dies  die  Einwohnerzahl  nur 
irgend,  zu  rechtfertigen  schien.  So  entstanden  eine  Menge  kleiner  Städte, 
denen  alle  Vorbedingung  für  eine  gedeihliche  Ausbildung  wirklich 
städtischen  Lebens  vollkommen  fehlte,  die  aber,  weil  man  Bedenken 
trug,  einmal  verliehene  Stadtrechte  zu  entziehen,  immer  nur  ein  halbes 
Leben  fristeten.  In  solchen  behielten  die  räumlichen  Verhält- 
nisse über  die  persönlichen  durchaus  das  Uebergewicht.  Es  ent- 
schied für  die  Entnahme  des  Bedarfs  im  allgemeinen  nicht  die  Quali- 
tät der  Ware,  sondern  die  Nachbarschaft  des  Gewerbetreibenden. 
Solcher  durch  die  lokalen  Verhältnisse  bedingte  Ausschluß  der  Kon- 
kurrenz war  natürlich  für  die  Ausbildung  der  Handwerke  so  ungünstig 
wie  möglich.  Wenn  man  die  preußische  Statistik  vom  Jahre  1837 
betrachtet,  so  erstaunt  man  über  die  große  Anzahl  dorfartiger 
Städte,  denn  von  972  Ortschaften,  die  bei  den  landständischen  Ver- 
sammlungen als  Städte  zugezogen  wurden,  hatten  nicht  weniger  als 
162  nur  1000—1500  Einwohner,  77  nur  600—1000  und  24  unter  600 
bis  herab  auf  252  Einwohner. 

Soweit  die  Gewerbefreiheit  die  bestehenden  Zünfte  geschont  hatte, 
waren  dieselben  nun  nicht  etwa  von  der  früheren  Verfassung  freige- 
worden, sodaß  die  künftige  Gestaltung  ihrer  eignen  Verhältnisse  ihnen 
selbst  überlassen  wurde.    Sie  blieben  vielmehr  an  ihre  Privilegien  und 

31* 


484  Kurt  von  Rohrscheidt, 

Artikel,  wie  bisher,  vollständig  gebunden,  und  keine  Innung  (auch 
Mittel  oder  Amt  genannt)  durfte  daran  eigenmächtig  etwas  ändern. 
Der  Lehrling  wurde  also  gewöhnlich  nach  Vollendung  des  vierzehnten 
Lebensjahres,  nachdem  er  die  Elementarschule  absolviert  hatte,  in  den 
Zunftverband  aufgenommen.  Hatte  er  keinen  hinreichenden  Unter- 
richt erhalten,  so  mußte  während  der  Lehrzeit  das  Versäumte  nach- 
geholt werden.  Der  Lehrling  sollte  bei  seinem  Meister  nicht  nur  das 
Handwerk  lernen,  sondern  auch  seine  Erziehung  vollenden.  Er 
stand  daher  unter  der  väterlichen  Zucht  des  Meisters.  Das 
Uebereinkommen  über  die  Aufnahme  des  Lehrlings  wurde  in  die  Re- 
gister des  Gewerkes  eingetragen,  und  dieser  Akt  hieß  das  Ein- 
schreiben. Die  Lehrzeit  betrug  drei  bis  fünf  Jahre,  nur  selten 
dauerte  sie  bei  gewissen  Handwerken  oder  nach  den  Umständen  des 
Lehrverhältnisses  länger.  Der  Lehrling  war  Mitglied  der  Hausgenos- 
senschaft seines  Meisters,  von  dem  er  neben  dem  Unterricht  auch  Woh- 
nung und  Kost  erhielt.  Dafür  war  ein  gewisses  Lehrgeld  zu 
entrichten,  und  wenn  dies  wegen  Armut  des  Lehrlings  nicht  ganz  oder 
nur  teilweise  gezahlt  werden  konnte,  lohnte  der  Lehrling  durch  eine 
bestimmte  Dienstzeit  in  späteren  Jahren  die  von  dem  Meister 
getragene  Mühe  und  Ausgabe.  Da  die  Handwerkerfamilien  vielfach 
kein  Gesinde  für  die  persönlichen  Bedürfnisse  hielten,  letztere  viel- 
mehr von  den  Mitgliedern  des  Hauses,  namentlich  den  weiblichen, 
selbst  erfüllt  wurden,  so  war  der  Lehrling,  der  eben  innerhalb  der 
Hausgenossenschaft  stand,  gehalten,  an  den  häuslichen  Verrich- 
tungen teilzunehmen  und  sich  dabei  auch  den  Anordnungen  der 
Meistersfrau  zu  fügen. 

Nach  der  Lehrzeit  trat  der  Lehrling  durch  den  feierlichen  Akt 
des  Lossprechens  oder  Ausschreibens  in  den  Stand  der 
Gesellen  über.  Zum  Ausweis  darüber,  daß  er  genügende  Kennt- 
nisse und  Fertigkeiten  erlangt  hatte,  erhielt  er  vom  Gewerbe  einen 
Lehrbrief  ausgefertigt.  Die  Zunftgewohnheit  nahm  es  für  anstän- 
dig an,  daß  der  junge  Geselle  nunmehr  noch  einige  Zeit  bei  seinem  vor- 
maligen Lehrherrn  arbeite,  indem  dadurch  beide  Teile  bekundeten, 
daß  sie  wohl  mit  einander  zufrieden  gewesen  seien  und  sich  nur  un- 
gern trennten.  Hierauf,  und  zwar  spätestens  nach  einem  Jahre, 
war  der  Geselle  verpflichtet,  auf  die  Wanderschaft  zu  gehen, 
in  der  Regel  drei  Jahre  lang.  Meistens  aber  wurde  diese  Wanderzeit 
aus  Neigung  oder  aus  Veranlassung  der  besonderen  Lebensverhält- 
nisse erheblich  verlängert.  Während  der  Wanderjahre  sollte  der 
Geselle  die  Ortschaften  aufsuchen,  wo  sein  Gewerbe  von  hervorragend 
geschickten  Meistern  ausgeübt  wurde,  ja  hin  und  wieder  waren 
die  einzelnen  Städte,  wo  der  betreffende  Handwerkszweig  ausnehmend 
in  Blüte  stand,  genau  vorgeschrieben.  Die  wandernden  Gesellen  waren 
zum  Zwecke  ihres  Fortkommens  wesentlich  auf  die  Unterstützun- 
gen ihrer  Zunft  angewiesen,  welche  ihnen  zunächst  nach  Handwerks- 
gebrauch, dann  aber  nach  ausdrücklicher  Vorschrift  der  Privilegien 
gereicht  werden  mußten.  Bei  den  sogenannten  geschenkten  Zünf- 
ten lag  es  den  Meistern  ob,  den  Gesellen ,  welchen  sie  keine  Ar- 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  485 

beit  geben  koünteD,  ein  Nachtlager  mit  Kost,  sowie  einen  Zehrpfennig 
zu  verabreichen,  während  sonst  die  am  Orte  in  Arbeit  stehenden  Ge- 
sellen das  Geschenk  zu  gewähren  hatten.  Die  einwandernden  Gesellen 
meldeten  sich  auf  der  Herberge,  wo  auch  die  Meister  ihre  Gehilfen 
suchten,  wo  überhaupt  alles,  was  die  Gesellen  anging,  bekannt  gemacht 
und  verhandelt  wurde.  Lehrbrief  und  die  erhaltenen  Kundschaften 
wiesen  den  neuen  Gesellen  bezüglich  seiner  Tüchtigkeit  und  seines 
Wohlverhaltens  aus.  Meister  und  Gesellen  hatten  gegenseitig  das  Recht, 
sich  nach  kurzer  Frist  die  Arbeit  zu  kündigen ,  was  gewöhnlich  am 
Ende  jeder  Woche  geschehen  konnte.  In  früheren  Zeiten  war  es 
allgemein,  daß  der  Geselle  seine  Wohnung  und  Kost  beim  Meister 
hatte;  dies  Prinzip  war  in  der  Zeit,  von  welcher  wir  jetzt  sprechen, 
nämlich  in  der  nach  1811  und  vor  1845,  schon  sehr  durchbrochen. 
Bei  den  meisten  Gewerken,  namentlich  in  den  größeren  Städten,  wohn- 
ten die  Gesellen  nicht  mehr  beim  Meister  und  beköstigten  sich  selbst. 
Anders  war  es  im  allgemeinen  nur  da,  wo  die  Betnebsverhaltnisse 
des  Gewerbes,  wie  z.  B.  bei  den  Bäckern,  ein  Wohnen  des  Ge- 
sellen beim  Meister  durchaus  nötig  machten.  Keine  Vorschrift  bestimmte, 
wie  lange  die  Gesellen  an  einem  und  demselben  Orte  in  Arbeit  stehen 
sollten.  Daher  kam  es,  daß  in  den  ersten  Jahren  des  stärkeren  Wander- 
triebes häufiger  Wechsel  vorkam,  während  die  älteren  Gesellen 
sich  nach  Arbeitsstellen  umsahen ,  die  ihnen  eine  längere  sichere  Be- 
schäftigung versprachen.  Nach  der  mittelalterlichen  Zunftverfassung 
war  es  oft  geradezu  verboten,  daß  der  Geselle  sich  als  solcher  bereits 
verheiratete;  wo  es  geschah,  wurde  der  Betreffende  hinter  seinen 
unverheirateten  Genossen  zurückgesetzt,  ja  in  gewisser  Weise  als  un- 
ehrlich angesehen.  Das  Landrecht  verbot  zwar,  den  Gesellen  aus 
diesem  Grunde  das  Meisterrecht  zu  versagen,  allein  es  war  gewöhn- 
lich, daß  Gesellen,  welche  sich  verheirateten,  auch  freiwillig  den  An- 
spruch aufgaben,  zünftige  Meister  zu  werden.  Sie  arbeiteten  entweder 
ihr  Leben  lang  als  Gesellen ,  oder  traten ,  wenn  sie  ein  Gewerbe  auf 
eigene  Rechnung  unternehmen  wollten,  ganz  aus  der  Zunft. 

Wer  auf  solche  Weise  sein  Handwerk  vorschriftsmäßig  erlernt 
hatte  und  unbescholten  war,  besaß  einen  rechtlichen  Anspruch, 
von  einer  Innung  als  Meister  aufgenommen  zu  werden,  so  bald  er  das 
Meisterstück  gemacht  und  die  bestimmten  Kosten  gezahlt  hatte. 
Oft  wurde  auch  verlangt,  daß  der  Geselle  bereits  ein  Jahr  bei  Meistern 
desjenigen  Gewerks  gearbeitet  hatte,  bei  welchem  er  sich  nachher  als 
Meister  wollte  aufnehmen  lassen  (aufs  Jahr  arbeiten,  Mutjahr).  Die 
Vorschriften  über  das  anzufertigende  Meisterstück  waren  in  jedem 
Privileg  enthalten.  Das  Meisterrecht,  welches  von  einem  Gewerke 
erteilt  war,  mußte  von  allen  Gewerken  der  Zunft  beachtet 
werden.  Besondere  Verpflichtungen  für  den  jungen  Meister  bestanden 
nur  noch  in  der  Erwerbung  des  Bürgerrechts,  sowie  in  der  Ent- 
richtung eines  Eintrittsgelds  und  laufender  Beiträge  bei 
solchen  Innungen,  welche  im  Besitze  besonderer  Anstalten  sich  befanden. 
Jeder  in  das  Gewerk  aufgenommene  Meister  hatte  die  Befugnis,  sein 
Gewerbe  mit  Gesellen  und  Lehrlingen  für  eigene  Rechnung  zu  betreiben, 


486  Kurt  von  Rohrscheidt, 

den  Gewerksversamtnluugen  beizuwohnen  und  an  den  Beratungen  mit 
Stimmrecht  teilzunehmen.  Die  Gewerke  bildeten  besondere  Korpo- 
rationen, hatten  Aelteste  und  Beisitzer,  welche  die  Aufsicht  über  die 
gemeinsamen  Anstalten  ausübten ,  das  Vermögen  verwalteten  und  in 
gewerblichen  Angelegenheiten  ein  Schiedsrichteramt  bekleideten.  Viele 
Gewerke  hatten  Einrichtungen  zur  Pflege  kranker  Gesellen  und  Lehr- 
linge, zur  Unterstützung  verarmter  oder  altersschwach  gewordener 
Meister,  zur  Besorgung  eines  anständigen  Begräbnisses  verstorbener 
Angehöriger  des  Gewerks,  zur  Fortsetzung  des  Gewerbes  für  Rech- 
nung der  Meisterwitwen  und  zur  Bevormundung  verwaister  Kinder. 
Manche  Gewerke,  wie  die  der  Bäcker,  Schuster,  Fleischer  u.  s.  w., 
besaßen  besondere  Gebäude  zum  Feilhalten  und  Ausstellen  ihrer 
Waren.  Jeder  Meister  hatte  seinen  besonderen  Stand ,  und  die  Zahl 
der  ersteren  war  durch  die  Zahl  der  letzteren  bedingt.  Der  Inhaber 
eines  solchen  Standes  konnte  diesen  vererben  oder  verkaufen,  nur  durfte 
ihn  kein  anderer  als  ein  vom  Gewerk  aufgenommener  Meister  wirk- 
lich in  Gebrauch  nehmen.  Andererseits  mußte  jeder,  der  ein  solches 
Gewerbe  ausüben  wollte,  nicht  nur  von  der  Innung  aufgenommen,  son- 
dern auch  in  den  Besitz  eines  derartigen  Standes,  einer  Bank,  ge- 
kommen sein.  Diese  Bänke  wurden  mit  der  Zeit  sehr  beliebt,  weil 
ihr  Wert  mit  der  Zunahme  der  Bevölkerung  und  Wohlhabenheit  einer 
Stadt  ständig  stieg.  Zur  Aufhebung  und  Ablösung  der  Bankgerechtig- 
keiten, welche  an  manchen  Orten  ein  Haupthindernis  für  die  Ausbrei- 
tung der  Idee  der  Gewerbefreiheit  waren,  hatte  das  Gewerbepolizei- 
edikt v.  7.  Sept.  1811  Versuche  gemacht,  die  allerdings  vielfach  nicht 
in  Wirklichkeit  traten.  Wenngleich  schon  durch  den  Reichstags- 
Abschied  vom  22.  Juni  1731  alle  Verbindungen  unter  den  ein- 
zelnen Innungen,  in  der  Zunft,  bei  strengen  Strafen  untersagt  waren, 
so  erhielten  sie  sich  thatsächlich  doch  bis  in  das  Zeitalter  der  Gewerbe- 
freiheit hinein.  Sie  beruhten  wesentlich  auf  einer  gegenseitigen  Aner- 
kennung der  von  den  zugehörigen  Gewerken  angefertigten  Lehr- 
briefe, Gesellenkundschaften  und  Zeugnissen  über  ein 
nach  Zunftgebrauch  erlangtes  Meisterrecht.  Namentlich  die  wan- 
dernden Gesellen,  welche  auf  Grund  ihrer  Lehrbriefe  und  Kund- 
schaften an  dem  Genüsse  aller  Gewerksvorteile  theilnahmen,  hatten 
die  Sicherheit,  nicht  nur  von  jedem  Meister,  der  Gehilfen  brauchte, 
ohne  Bedenken  aufgenommen  zu  werden,  sondern  auch,  falls  keine 
Arbeit  für  sie  vorhanden  war,  überall  die  übliche  Unterstützung, 
nötigenfalls  auch  Verpflegung  in  Krankheitsfällen,  zu  erhalten.  Wurde 
in  einem  Gewerke  der  Handwerksbrauch  verletzt,  so  betrachteten  die 
andern  Gewerke  dasselbe  nicht  mehr  als  zur  Zunft  gehörig 
und  versagten  den  von  ihm  ausgestellten  Lehrbriefen ,  Kundschaften 
und  Meisterrechtsbescheinigungen  den  Glauben.  Trotzdem  diese  Selbst- 
hilfe auch  in  Preußen  streng  untersagt  war,  wurde  sie  doch  fortwäh- 
rend unter  Formen  ausgeübt,  welche  sich  der  gesetzlichen  Ahndung 
entzogen. 

In  vorstehender  Uebersicht  sind  wir  im  allgemeinen  der  Darstel- 
lung gefolgt,  welche  der  bekannte  Direktor  des  statistischen  Bureaus 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  487 

in  Berlin,  J.  G.  Hoffmann,  welcher  als  gründlicher  Kenner  des 
Gewerbewesens  einen  hervorragenden  Anteil  an  der  Ausgestaltung  der 
gewerblichen  Reformgesetze ,  insbesondere  des  Gewerbepolizeiedikts 
vou  1811,  gehabt  hat,  giebt  *).  Hoffmann  steht  durchaus  auf  dem 
Standpunkte  der  Gewerbefreiheit,  allein  er  nimmt  doch  die  Innungen 
in  ihrer  damaligen  Gestaltung  gegen  manchen  Tadel  in  Schutz,  der 
gegen  ihre  Verfassung  laut  geworden  war,  und  meint,  daß  die  meisten 
Vorwürfe  nicht  das  Innungswesen  selbst,  sondern  die  offenbaren 
Mißbräuche  oder  den  Unverstand  träfen,  der  an  sich  sehr 
zweckmäßige  Anordnungen  im  einzelnen  unrichtig  anwende.  Wohlver- 
standen ,  es  handelt  sich  hier  nicht  mehr  um  eine  Verteidigung  der 
obligatorischen,  sondern  der  damals  noch  erhaltenen,  in- 
mitten der  Gewerbefreiheit  neben  den  unzünftigen  Gewerbetreibenden 
auf  ihrer  alten  Basis  stehenden  Innungen.  Wir  lehnen  uns  auch  im 
folgenden  an  die  Hofifmann'schen  Ausführungen  an,  da  sie  am  besten 
hinüberleiten  zu  dem  Standpunkte  der  späteren  Gesetzgebung  wegen 
Wiederzulassung  fakultativer  Innungsverbände,  sowie 
zu  der  großen  Tagesfrage  der  Jetztzeit,  der  erneuten  Einführung 
des  Zunftzwanges. 

In  erster  Linie  sagt  Hoflfmann,  würde  die  lange  Dauer  der 
Lehrzeit  getadelt,  und  es  wäre  wohl  richtig,  daß  die  Handgriffe, 
welche  der  Lehrling  gewöhnlich  erlernte,  meistens  in  ebensoviel  Wochen 
oder  Monaten  eingeübt  werden  könnten,  als  nach  der  Zunftverfassung 
dazu  Jahre  nötig  wären.  Hierbei  übersehe  man  aber,  daß  der  Lehr- 
ling eben  dem  Meister  nicht  nur  zur  Erlernung  des  Handwerks,  son- 
dern auch  zur  Vollendung  der  Erziehung  übergeben  werde. 
Die  meisten  Handwerke  forderten  zu  ihrem  Betriebe  maunigfaltige 
Anwendung  der  Körperkräfte,  welche  der  Mensch  dann  am  sichersten 
erlerne,  wenn  er  aus  der  Kindheit  in  das  Jünglingsalter  übertrete, 
wo  der  Körper  noch  bildsam  genug,  aber  doch  schon  zum  Ertragen 
ungewöhnter  Anstrengungen  hinreichend  erstarkt  sei.  Selbst  Hand- 
werker, bei  denen  es  sehr  wenig  auf  Körperkraft  anzukommen  scheine, 
bedürften  einer  frühen  Uebung,  um  gewisse  Stellungen  des 
Leibes  oder  gewisse  Bewegungen  der  Gliedmaßen  zehn,  zwölf  und  gar 
mehr  Stunden  des  Tages  mit  der  Leichtigkeit  auszuhalten,  womit 
ein  für  die  ganze  Lebensdauer  gewähltes  Geschäft  betrieben  werden 
müsse,  wenn  es  den  Menschen  nicht  unglücklich  machen  solle.  Es 
wäre  aber  nicht  zweifelhaft,  daß  Menschen,  die  eben  nur  der  Kindheit 
entwachsen  seien,  bloß  dadurch,  daß  sie  die  zum  Handwerksbetriebe 
erforderlichen  Kunstgriffe  erlernt  hätten,  noch  keineswegs  als  zur 
Selbständigkeit  herangereift  gelten  könnten.  Die  Regel,  daß  der 
für  die  Wissenschaften  erzogene  Jüngling  im  allgemeinen  erst  nach 
Vollendung  des  18.  Lebensjahres  reif  sei,  zur  Universität  ent- 
lassen zu  werden,  gelte  auch  für  den  Uebergang  des  Lehrlings  zum 
Gesellenstande,  und  zwar  für  diesen  um  so  sicherer,  als  das  unstäte 
Wanderleben  noch  mehr  Anlaß  zu  Verirrungen   enthalte   als   die  aka- 

1)  J.  G.  Hoffmann,  Die  Befugnisse  zum  Gewerbebetriebe  (Berlin  1841)  S.  86  ff. 


jqq  Kurt  von  Rohrscheidt, 

demische  Freiheit.  Die  längere  Dauer  der  Lehrzeit  sei  auch  nicht 
einmal  ein  Nachteil,  sondern  vielmehr  eine  Wohlthat,  welche  für  die 
ersten  3  bis  5  Jahre  nach  vollendeter  Kindheit  Unterhalt,  Auf- 
sicht und  nachhaltige  Bildung  für  ein  lohnendes  Gewerbe 
der  großen  Anzahl  derjenigen  zusicherten,  welche  sich  sonst  in  Gesinde- 
diensten oder  Fabrikarbeiten  kümmerlich  forthelfen  müßten,  ohne  da- 
durch Anspruch  auf  eine  bessere  Zukunft  erwerben  zu  können. 

Als    zweiten   Vorwurf   mache   man   den   Innungen,    daß   sie   den 
Lehrlingen  mancherlei  häusliche,   Wirtschaft  lieh  e  Verrich- 
tungen  auftrügen.     Allein   es   liege   die    Sache  häufig   so,   daß  ein 
Waisenknabe  von  einem  Meister  aufgenommen    werde,   der  ihm  gegen 
Leistung    von   Gesindediensten    völligen   Unterhalt  gewähre   und  ihm 
nebenbei  noch  das  Handwerk  lernen  lasse.     Ein    solcher  Knabe  könne 
sich    doch    nur   glücklich   schätzen.    In   anderen  Fällen    aber,   wo  die 
Ausbildung  im  Handwerk  der  eigentliche  Zweck  des  Lohnverhält- 
nisses  sei,   und   der  Lehrling   nur   nebenbei   häusliche  Dienste   zu 
verrichten   habe,   werde  letzterer  vom  Gesetze  geschützt.    Das  Land- 
recht bedrohe  diejenigen  Meister  mit  Strafe,  welche  ihre  Lehrburschen 
mit  Verrichtungen   für    die   persönliche    Bequemlichkeit    der   Familie 
überbürdeten,  und  denen  es  nur  darauf  ankomme,  sich  durch  Annahme 
von  Lehrlingen  wohlfeile  Gesindedienste  zu  verschaffen.     Trete  keine 
Ueberbürdung    ein,    so    könne   man   es    als    einen   sehr    löblichen 
Brauch  ansehen,   den  Lehrling  in  der  Familie  wie  den  eigenen  Sohn 
zu  behandeln.    Ein   solches  Verhältnis   sei  freilich   nicht   passend  für 
Jünglinge  aus  gebildeten  Ständen,   die  ein  Handwerk  erlernen 
sollten.     Diese  würden   nicht  zur  Vollendung  ihrer  Erziehung  in  die 
väterliche   Zucht  des  Meisters   gegeben,   auch   mute   man   ihnen    zu 
Hause  keine  Dienste   zu.     Allein   solche  Fälle  kämen   doch   nur  ganz 
vereinzelt  vor.     Daran   hätte   die  alte  Zunftverfassung  gedacht, 
wenn   sie  den  Meistern   erlaubte,   ihre   eigenen  Söhne   von   ihrem 
Gewerke  an   einem   und   demselben  Tage   als  Lehrlinge  ein- 
und   auszuschreiben,   d.   h.   sie   zu  Gesellen   erklären  zu  lassen,   ohne 
ihnen    vorher   die   zunftmäßige  Lehrzeit   aufzuerlegen.     Dieser  Brauch 
habe   den  Meistern   die   Möglichkeit   gegeben,   ihren   Söhnen   während 
der  Zeit,   die  nicht  zur  Ausbildung  im  Handwerk   verbraucht  würde, 
noch   anderen   Unterricht  und    eine  edlere   Erziehung   angedeihen   zu 
lassen,  als  es   beim  Durchmachen   der  gewöhnlichen  Lehrzeit   in  der 
Werkstätte  möglich  gewesen  wäre.    Hoffmann  meint,   daß  der  Weg- 
fall   dieserBegünstigung    manche    wohlhabende    Handwerker 
veranlasse,   ihre  Söhne   trotz  vorhandener  guter  Anlagen  nicht  dem 
Gewerbe  zu  widmen,  sondern  sie  für  ein  akademisches  Studium,  für 
die  Kaufmannschaft  oder  Landwirtschaft  zu  bestimmen.    Es  mag  dies 
mit  als  ein  Neben gr und  für  die  Entvölkerung  des  Handwerks  durch 
mangelnden  Nachwuchs  aus  Handwerkskreisen  gelten,   aber  doch  wohl 
nur   als   ein   solcher.     Meistens   werden    andere   Veranlassungen    aus- 
schlaggebend gewesen   sein.     Die   Stellung    eines   Staatsbeamten    fing 
namentlich  unter  Hardenberg  mehr  und  mehr  an  an  Bedeutung  und  An- 
sehen  zu   gewinnen.     Sein  Beruf  umgab  ihn  mit  einem  Schimmer  der 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  489 

Autorität,  der  auch  auf  das  elterliche  Haus  zurückstrahlte.  Und 
weDn  die  Gehaltsverhältnisse  nicht  glänzend  waren,  nun  so  reichte 
der  väterliche  Erwerb  eines  arbeitsvollen  Lebens,  der  seit  Generationen 
aufgesparte  Familienfonds  vollkommen  aus,  den  jungen  Beamten  auch 
nach  dieser  Seite  zu  sichern.  Die  Landwirtschaft  erschien  ebenfalls 
als  ein  fruchtbares  Versuchsgebiet.  Die  Güter  waren  nach  den  Kriegen 
erstaunlich  billig  geworden,  und  es  war  sicher  ein  verlockender  Ge- 
danke, die  Nachfolger  der  alten  Gutsherrn  zu  spielen.  Endlich  ver- 
sprach auch  die  Kaufmannschaft  einen  lohnenden  Gewinn,  nachdem 
alle  hemmenden  äußeren  und  inneren  Schranken  gefallen  waren,  und 
Handel  und  Verkehr  zu  wachsen  begannen.  Das  naturgemäße  Be- 
streben des  Vaters,  dem  Sohn  eine  vorteilhaftere  und  be- 
quemere Laufbahn  anzuweisen,  wurde  durch  die  neue  Gesetz- 
gebung erleichtert  und  begünstigt.  Da  man  jederzeit  die  Möglichkeit 
hatte,  in  den  alten  Stand  zurückzutreten,  das  Handwerk  der  Vorfahren 
wieder  aufzunehmen,  schien  ein  Versuch  nicht  schädlich,  ob  nicht  doch 
ein  anderer  Lebensberuf,  als  der  des  Vaters,  mehr  Ehre  und  Vorteil 
verspräche.  Jedenfalls  kam  aber  durch  solche  Verhältnisse  das  Hand- 
werk in  eine  schiefe  Lage.  Schon  früher  waren  die  Gewerke  auf 
einen  bestimmten  Kreis  der  Bürgerschaft  angewiesen, 
sie  bildeten  in  sich  ein  abgeschlossenes  Ganze,  waren  fast  erbliche 
Verbindungen.  Der  Landmann  fand  als  Leibeigener  oder  Höriger 
des  Gutsherrn  in  ihnen  keine  Aufnahme,  Ritter  und  Patrizier 
schlössen  sich  als  eine  höhere  Kaste  von  ihnen  ab,  die  katholische 
Geistlichkeit  war  ehelos,  und  Kaufleute  und  Künstler 
sonderten  sich  als  Großbürger  von  den  Handwerkern  als  Kleinbürger 
vollständig.  Selbst  den  Zufluß  aus  ihren  eigenen  Kreisen  beschränkten 
die  Zünfte  noch  dadurch,  daß  sie  uneheliche  Kinder  oder  Per- 
sonen, die  durch  irgend  welche  Umstände,  z.  B.  durch  Verkehr  mit 
unehrlichen  Leuten,  durch  Verletzung  von  Bräuchen  und  Vorschriften 
einen  Makel  an  sich  hatten,  nicht  in  die  Innung  aufnahmen  oder 
sie  ausstießen.  Diese  Zustände  wurden  dadurch  noch  schwieriger, 
daß  die  Nachkommen  wohlhabender  Handwerker  anfingen,  in  den 
höheren  Mittelstand  überzugehen  und  das  Handwerk  zum  Schaden 
der  Gewerbsamkeit  und  der  Sittlichkeit  meist  Zufluß  von  armen 
und  schlecht  erzogen  en  Lehrlingen  erhielt,  während  die  seit 
Jahrhunderten  im  Handwerk  gewonnenen  Kapitale  und  Kenntnisse  ab- 
gezogen wurden. 

Weiter  tadelte  man  an  den  Einrichtuügen  des  Gesellenstan- 
des, daß  sie  den  Handwerker  verhinderten,  sich  so  zeitig  häuslich 
niederzulassen,  als  es  für  die  allgemeine  Wohlfahrt  wünschenswert 
wäre.  Wenn  aber  ein  Lehrling  mit  vollendetem  14.  Lebensjahre  Auf- 
nahme fand,  so  wurde  er  bei  5-jähriger  Lehrzeit  nach  dem  19.  Jahre 
Geselle.  Hielt  er  dann  anstandshalber  noch  1  Jahr  bei  seinem 
früheren  Meister  aus,  wanderte  3  Jahre  und  arbeitete  endlich  noch 
1  Jahr  an  dem  Orte,  wo  er  das  Handwerk  betreiben  wollte,  so  ver- 
gingen 5  Gesellenjahre.  Er  war  also  vollkommen  imstande,  mit 
Vollendung   des   24.   Lebensjahres,   also   mit   erlangter   Voll- 


490  Kurt  von  Rohrscheidt, 

jährigkeit  nach  damaligen  Vorschriften,  einen  selbständigen  Gewerbe- 
betrieb zu  beginnen,  und  Hoflmann  meint  mit  völligem  Recht,  daß  dies 
um  so  mehr  frühe  genug  sei,  als  mit  minderjährigen  Hausvätern  der 
öffentlichen  Wohlfahrt  wenig  gedient  wäre. 

Ein  noch  allgemeinerer  Vorwurf  traf  die  Wanderpficht  der 
Gesellen,  und  Hoffmann  erkennt  an,  daß  die  Gewerbsamkeit  und  Sitt- 
lichkeit dabei  mehr  wage  als  gewinne.  Die  meisten  Gesellen  zögen 
nicht  mit  einem  bestimmten  Plane  wegen  Verbesserung  ihrer 
Handwerkskenntnisse  aus,  sondern  auf  gut  Glück,  auf  unsichere  Ge- 
rüchte hin,  unter  oft  ganz  irrigen  Vorstellungen  und  durch  zufällige 
Bekanntschaften  bewogen.  Auch  sei  es  ein  reiner  Zufäll,  wenn  der 
einwandernde  Geselle  eine  Werkstätte  treffe,  in  der  er  etwas  lernen 
könne,  da  er  ja  seinen  Meister  sich  nicht  selbst  aussuchen  dürfe, 
sondern  den  nehmen  müsse,  der  an  der  Reihe  sei,  Gehilfen  zu 
bekommen.  Diese  Einrichtung,  die  dem  Zwecke,  Belehrung  zu  suchen, 
so  grell  widerspreche  und  nur  getroffen  sei,  um  Streitigkeiten  unter 
den  Meistern  zu  vermeiden,  erschwere  die  Bildung  eines  tüch- 
tigen Gesellenstandes.  Denn  wenn  der  Geselle  mit  seinem 
Lohnherrn,  den  er  erhalten,  nicht  zufrieden  sei,  könne  er  zwar  aufkün- 
digen, aber  er  dürfe  sich  keinen  andern  Meister  wählen,  sondern 
müsse  weiter  wandern.  So  entstehe,  auf  diese  Weise  begünstigt, 
ein  unstätes  Wanderleben,  dem  sich  die  Gesellen  oft  halbe  Jahre  lang 
auf  Kosten  ihrer  Gewerbsgenossen  hingäben.  Aber  dennoch  sei  es 
wünschenswert,  das  Wandern  beizubehalten  und  nur  seine  Formen  zu 
verbessern.  Es  bedeute  eine  große  Wohlthat  für  den  jungen  Gesellen, 
einige  Jahre  vom  Hause  entfernt  zu  sein,  denn  durch  diese  Unter- 
brechung des  täglichen  Sehens  und  Beobachtens  werde  erst  recht  klar 
und  deutlich,  welche  Fortschritte  er  in  seiner  ganzen  inneren  Ent- 
wickeluug  gemacht  habe.  Er  erhalte  eher  die  Anerkennung  der  er- 
langten Reife,  als  man  sie  ihm  gebeu  würde,  wenn  er  daheim 
geblieben  wäre.  Die  Notwendigkeit  schon,  in  der  Fremde  mehr  Auf- 
merksamkeit auf  sich  und  seine  Handlungen  zu  haben,  als  zu  Hause, 
beschleunige  die  Fortschritte  in  der  Ausbildung  des  Charakters.  Auch 
dem  Handwerke  selbst  komme  das  Wandern  zu  gute,  indem 
der  Geselle  die  Zustände  an  den  einzelneu  Orten  vergleiche  und  aus 
diesem  Vergleiche  erheblich  lerne.  Schließlich  kehrten  nicht  alle 
Gesellen  wieder  in  den  Heimatsort  zurück,  namentlich  in 
den  größern  Städten  ließen  sich  viel  Fremde  nieder,  und  gerade  diese 
Mischung  aus  Einheimischen  und  Angezogenen  trage  viel  dazu  bei, 
sich  von  dem  Banne  örtlicher  Gewohnheiten  freizumachen 
und  nicht  einseitig  zu  werden.  Thatsächlich  seien  es  auch  nicht  die 
Bräuche  örtlicher  Gewerke,  sondern  die  in  der  ganzen  Zunft 
eingewurzelten  Vorurteile,  die  so  schwer  auszurotten  seien,  daß 
über  den  Starrsinn  unter  den  Handwerkern  mit  Grund  geklagt  werden 
könne. 

Ganz  besonders  aber  verurteile  man  die  Formen,  unter  denen  das 
Meisterrecht  erworben  werde,  namentlich  das  Anfertigen  kostbarer 
und  unverkäuflicher   Meisterstücke     und   die  durch  Schmausereien 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zuuftzwang  und  Gewerbefreiheit.  491 

und  viele  Nebenausgaben  verursachte  Schröpfung  der  jungen  Mei- 
ster. Diese  Mißbräuche  seien  wohl  längst1)  bei  hoher  Strafe  ver- 
boten worden,  beständen  aber  dennoch  ruhig  fort.  Namentlich  liege 
eine  Gefahr  in  der  Kleinheit  der  Gewerke,  denn,  wo  wenige  Meister 
vorhanden  seien,  erhielten  persönliche  Rücksichten  leicht  das  Ueber- 
gewicht,  Verwandtschaft,  Verschwägerung,  Gunst  oder  Ungunst,  un- 
lautere Privatvorteile,  Sorge  von  Abbruch  an  Nahrung,  das  seien  häufig 
mehr  die  Beweggründe  für  ihre  Handlungen,  als  das  Bewußtsein 
derP  fliehten,  die  sie  den  Ortsgemeinden  und  dem  Staate  schul- 
dig seien.  Von  diesen  Aufgaben  gegen  den  Staat  beständen  überhaupt 
nur  sehr  dunkle  Begriffe  und  Vorstellungen.  Hoffmann  klagt 
hierüber  laut:  „Die  Zunftverfassung  bewegt  sich  gegenwärtig  in  einem 
Wirbel,  worin  sie  —  wie  das  Schiff  im  Meeresstrudel  —  notwendig 
untergehen  muß,  wenn  nicht  Rettung  durch  eine  höhere  Macht  er- 
scheint. Den  Gewerken  entziehen  die  gebildeten  Stände  ihre 
Achtung  und  die  Regierungen  ihr  Vertrauen,  weil  der  bemerkbare 
Mangel  an  edler  Bildung  weder  Achtung  noch  Vertrauen  auf- 
kommen läßt:  und  dieser  Mangel  dauert  fort,  weil  jene  Geringschätzung 
und  jenes  Mißtrauen  nicht  nur  Menschen  von  besserer  Bildung  abhält, 
in  die  Zunft  einzutreten,  sondern  derselben  sogar  auch  diejenigen  Bil- 
dungsmittel entfremdet ,  welche  durch  den  Betrieb  zünftiger  Gewerbe 
gewonnen  wurden.  Der  wohlhabend  gewordene  Handwerker  schämt 
sich  des  Meistertitels  und  nennt  sich  Fabrikant.  Seine 
Söhne  werden  Kaufleute,  Gutsbesitzer  oder  Staatsbeamte ;  seine  Töchter 
locken  durch  ihre  Mitgift  Freier  aus  höheren  Ständen  und  verschmähen 
zünftige  Bewerber.  Sind  irgend  Gründe  vorhanden ,  die  Zunftverfas- 
sungen wegen  eines  edleren  Kernes,  der  in  ihnen  liegt,  zu  retten,  so 
vermögen  das  nur  die  gebildeten  Stände  und  die  Regierungen,  indem 
sie  mit  Achtung  und  Vertrauen  den  Zunftgenossen  entgegenkommen 
und  der  gegenwärtigen  Generation  derselben  Nachsicht  wegen  des 
Mangels  an  Bildung  bezeigen,  der  als  Rest  der  Vergangenheit  noch 
an  ihnen  haftet.  Damit  eine  solche  Vorbereitung  besserer  Tage  für 
die  Zünfte  möglich  werde,  ist  es  unvermeidlich,  fortan  nur  solchen 
gewerblichen  Korporationen  die  Befugnis  zur  Erteilung  des 
Meisterrechts  zu  belassen,  welche  durch  die  Zahl  ihrer  Mitglieder, 
durch  den  Umfang  und  das  Geschick,  womit  wenigstens  ein  Teil  der- 
selben sein  Gewerbe  betreibt,  und  durch  ein  kenntliches  Bestreben  der 
Besten  nach  gründlicher  Bildung,  Achtung  und  Vertrauen  bei  milder 
Beurteilung  zu  wecken  wohl  geeignet  sind." 

Hoff  mann  spricht  sich  entschieden  für  Beibehaltung  zweck- 
mäßiger Meisterstücke  aus.  Zwar  könne  kein  Meisterstück, 
wenn  es  auch  noch  so  trefflich  sei,  verbürgen,  daß  der  Verfertiger 
auch  Zeit  und  Material  so  zu  sparen  wisse,  daß  er  wohlfeile  Arbeit 
zu  liefern  vermöge,  ferner  garantiere  es  nicht  die  redliche  Gesin- 
nung, auch  für  Kunden,  die  nicht  Sachkenner  seien,   dauerhaft  und 


1)  Der    Regensburger    Reichstagsabschied  v.  22.  Juni  1731    und    das    Edikt    König 
Friedrich  Wilhelms  I.  v.  6.  August  1732. 


492  Kurt  von  Rohrscheidt, 

billig  zu  arbeiten.  Aber,  wenn  auch  die  Meisterstücke,  ebensowenig 
wie  die  Prüfungen  der  Beamten,  Lehrer,  Aerzte,  den  Besitz  aller 
der  Eigenschaften  nachweisen  könnten,  welche  zur  glücklichen  Führung 
der  Geschäfte  gehörten,  so  bekundeten  sie  doch  den  Besitz  sehr 
wesentlicher  Teile  dieser  Eigenschaften.  Ferner  erweckten  öffent- 
lich abgelegte  Beweise  von  Geschicklichkeit  ein  Selbstgefühl,  welches 
den  Menschen  erhebe  und  ein  wirkliches  Bildungsmittel  für  ihn 
werde.  Freilich  müßten,  um  der  "Willkür  Schranken  zu  setzen,  all- 
gemeine Gesetze  bestimmen,  welche  Beweise  für  die  erlangte 
Geschicklichkeit  zur  Aufnahme  Gewerbetreibender  jedenfalls  hinreichend 
seien. 

Ein  großer  Fehler  der  alten  Zunftverfassung  wäre  es  gewesen, 
auch  nahe  verwandte  Gewerbe  bezüglich  ihrer  Verrichtungen  und 
Verfertigung  von  Waren  scharf  voneinander  zu  trennen, 
zumal  die  fortschreitende  Kultur  stets  neue  Bedürfnisse  aufgefunden 
habe,  für  deren  Befriedigung  die  Zuständigkeit  der  einzelnen  Innungen 
zweifelhaft  geworden  sei.  Man  habe  freilich  in  einzelnen  Fällen  den 
Ausweg  gefunden,  die  streitige  Arbeit  für  eine  beiden  Parteien 
erlaubte  zu  erklären,  im  allgemeinen  aber  habe  die  Neigung  vor- 
gewaltet, scharfe  Grenzlinien  zu  ziehen.  Es  war  durch  nichts  zu  recht- 
fertigen, aus  den  Stuhlmachern  ein  besonderes  Gewerk  zu  bilden, 
und  da,  wo  sie  bestanden,  den  Tischlern  zu  verbieten,  Stühle  an- 
zufertigen und  umgekehrt.  So  trennte  man  die  Pantoffelmacher 
welche  nur  Fußbekleidungen  ohne  Hackeuleder  herstellen  durften,  von 
den  Schustern,  die  Kleinbinder,  die  nur  hölzerne  Gefäße  mit 
einem  Boden  machten,  von  den  Böttchern,  die  Losbäcker, 
welche  lediglich  mit  Hefen  bereitetes  Backwerk  aus  Weizen-  und  Roggen- 
mehl verfertigten,  von  den  Fast-  oder  Festbäckern,  die  sich  des 
Sauerteigs  bedienten,  die  Sporer  von  den  Kleinschmieden, 
die  Schwertfeger  von  den  Gürtlern,  sogar  die  Tuchbereiter  von 
den  Tuchscherern  u.  s.  w.  Diese  überflüssigen,  für  die  Gewerb- 
samkeit  schädlichen  und  iür  das  Publikum  höchst  unbequemen  Schei- 
dungen suchte  die  spätere  Gesetzgebung,  für  Preußen  namentlich  das 
Gewerbepolizeiedikt  von  1811,  aufzuheben  und  verwandte  Gewerbe  unter 
einem  Gewerbeschein  betreiben  zu  lassen.  Die  „Stuhlmacher  haltens 
mit  den  Tischlern",  „die  Zeugschmiede  mit  den  Schlossern",  so  lautete 
hierfür  später  die  Bezeichnung. 

Als  einen  wirklichen ,  das  ganze  Zunftwesen  durchziehenden  und 
durchsetzenden  Mißstand  bezeichnet  es  Hoffmann,  wenn  allen  gegen- 
teiligen Verordnungen  und  Gesetzen  zum  Trotze  die  Verbindung 
der  örtlichen  Gewerke  untereinander ,  was  mit  dem  Worte 
„Zunft"  im  eigentlichen  Sinne  angedeutet  wurde,  weiter  fortbestand. 
Dieser  Zustand  habe  es  verschuldet,  daß  seit  Jahrhunderten  verpönte 
Mißbräuche  dennoch  unausrottbar  geblieben  seien  und  eine  davon 
gereinigte  Zunftverfassung  sich  durchaus  nicht  wolle  herstellen  lassen. 
Selbst  wenn  die  Gewerke  eines  Staates  den  guten  Willen  hätten, 
sich  den  Landesordnungen  zu  fügen  und  die  alten  Uebelstände  zu 
beseitigen,  so  würden  sie  dennoch  dazu  unvermögend  sein.     Denn  da 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit  493 

der  Zunftverband  sich  weit  über  die  Grenzen  eines  Territoriums  aus- 
dehne, würde  ein  solches  Vorgehen  von  den  andern  Mitgliedern  der 
Verbindung  damit  beantwortet  werden,  daß  man  den  fügsamen  auf- 
kündigte und  die  von  ihnen  ausgestellten  Lehrbriefe,  Kundschaften 
und  Meisterrechtsbescheinigungen  nicht  mehr  als  gültig  anerkenne. 
Diese  Innungen  kämen  dann  in  Gefahr,  keinen  Gesellen  mehr  zu  er- 
halten, was  den  Anfang  von  ihrem  Untergange  bilden  würde.  Anderer- 
seits habe  der  Zusammenhang  unter  den  Innungen  thatsächlich  so 
lange  nicht  entbehrt  werden  können,  als  die  Wanderpflicht  all- 
gemein und  in  der  üblichen  Form  bestanden,  weil  in  der  gegenseitigen 
Anerkennung  der  ausgestellten  Kundschaften  uud  Lehrbriefe  die  Basis 
für  die  ganze  Wanderschaft  gegeben  war. 

— ,  Ebenso  wie  die  Verbindungen  unter  den  Gewerken,  hatten  Reichs- 
und Landesgesetze  danach  gestrebt,  die  Gesellenverbände,  welche 
Korporationen  neben  oder  innerhalb  der  Innungen  bildeten,  auf- 
zuheben. Aber  auch  hier  verfuhr  man  nicht  durchgreifend  genug. 
Denn  während  man  ihnen  die  besonderen  Kassen  und  Laden  nahm, 
wollte  man  doch  das  Gute  nicht  zerstören  und  hielt  es  für  nützlich, 
daß  die  Gesellen  sich  zur  Verpflegung  erkrankter  und  Unterstützung 
dürftiger  und  arbeitsloser  Gewerbsgenossen  zusammenthaten ,  ohne  zu 
bedenken,  daß  an  letzterer  Vereinigung  sich  der  ganze  Gesellenverband 
wieder  aufrichtete  und  festhielt. 

Hoffmann  kommt  daher  zu  dem  Schlüsse,  daß  nicht  in  der 
äußeren  Gestaltung  des  damaligen  Zunftlebens,  sondern  in  seinen 
Grundlagen  der  Quell  seiner  Mängel  zu  suchen  sei.  Er  meint,  daß 
zwar  Handwerkerarbeit  besser  als  gemeine  Tagelöhnerarbeit  bezahlt 
werde,  aber  keineswegs  so  gut,  daß  die  Verrichtungen  eines  ein- 
zelnen Mannes  hinreichen  könnten,  um  eine  Familie  so  zu  ernähren, 
wie  es  der  Anstand  in  einer  ehrsamen  Bürger-  und  Handwerkerfamilie 
erfordere.  Vielmehr  müsse  sowohl  innerhalb  als  außerhalb  der  Zunft- 
verfassung der  Meister  neben  dem  Ertrage  seiner  eigenen  Arbeit  auch 
einen  Teil  dessen  beziehen,  was  seine  Gehilfen  durch  ihre  Arbeit 
erwürben.  Könne  man  sich  doch  einen  anständigen  Bürger  und  Meister 
in  den  städtischen  Gewerken  gar  nicht  anders  denken,  als  in  einer  mit 
Gesellen  und  Lehrlingen  besetzten  Werkstätte!  Man  müsse  im  allge- 
meinen annehmen,  daß  ein  Meister  für  einen  auskömmlichen  Lebens- 
unterhalt etwa  noch  zwei  Gesellen  und  einen  Lehrling  nötig 
habe.  Danach  müßten ,  wie  schon  früher  ausgeführt  ist ,  etwa  drei- 
mal soviel  Gehilfen  als  Meister  vorhanden  sein.  Die  Gewerbestati- 
stik1) vom  Ende  des  Jahres  1837  ergebe  aber  für  den  preußi- 
schen Staat  folgendes  Resultat: 

(Siehe  Tabelle  auf  S.  494.) 

Die  Tabelle  läßt  ersehen,  daß,  außer  in  den  40  größten  Städten 
der  preußischen  Monarchie ,  die  Zahl  der  Gehilfen  überall  kleiner 
war,  als  die  der  Meister.     Aus   diesen   Verhältnissen,  wie  sie  das 


1)  Es  ist  interessant,  diese  Statistik  vom  Jahre  1837  mit  der  am  Schlüsse  des  1.  Ka- 
pitels angegebenen  vom  Jahre  1828  zu  vergleichen. 


494 


Kart  von  Rohrscheid  t. 


Es  gab 

i.d. 

lOgröfsten 

i.  d.  30 

i.  d. 

auf  dem 

Zu- 

bei den : 

Städten : 

nächsten: 

übrigen  : 

Lande: 

sammen 

Schneidern 

j 

2846 

3188 

18  399 

34  772 

59  205 

Meister 

j 

5671 

2892 

10  240 

9  HO 

27913 

Gehilfen 

Schustern 

i 

5554 

5020 

31  319 

31815 

73  708 

Meister 

I 

6550 

4842 

20  193 

8031 

39616 

Gehilfen 

Grobschmieden 

| 

325 

400 

4  524 

27329 

32  578 

Meister 

I 

1049 

717 

4  246 

10  619 

16  631 

Gehilfen 

Schlossern    und 

{ 

1194 

1047 

8  282 

7098 

17  621 

Meister 

Kleinschmieden 

2498 

1338 

6293 

5028 

15*57 

Gehilfen 

Tischlern 

j 

2824 

2017 

10372 

15643 

30856 

Meister 

j 

5205 

2555 

8503 

5231 

21  494 

Gehilfen 

Rad-  und  Stell- 

) 

247 

256 

2978 

11  689 

15  I70 

Meister 

machern 

/ 

5°i 

348 

1805 

2  664 

5  318 

Gehilfen 

Böttchern 

1 

77i 

747 

4907 

6812 

13  237 

Meister 

988 

728 

2  605 

I274 

5  595 

Gehilfen 

Bäckern 

} 

1174 

1268 

9  802 

II  193 

23  437 

Meister 

/ 

2034 

1581 

5291 

I  546 

10452 

Gehilfen 

Fleischern 

I 

1121 

1143 

7770 

6819 

16853 

Meister 

I 

1200 

863 

3720 

I  204 

6987 

Gehilfen 

praktische  Leben  gestaltet  hatte,  geht  hervor,  daß  die  Zunftver- 
fassung sich  mit  sich  selbst  in  einem  offenbaren  Widerspruch 
befand,  wenn  sie  ihren  Mitgliedern  einmal  die  Garantie  bieten  wollte, 
in  angemessenen  Lebensjahren  selbständig  zu  werden,  andererseits 
aber  auch  einen  auskömmlichen  Lebensunterhalt  zu  gewinnen. 
Denn  entweder  waren  genügend  Gehilfen  vorhanden,  um  den  Meister- 
familien eine  anständige  Existenz  zu  sichern;  dann  durften  bei  wei- 
tem nicht  alle  Gesellen  darauf  hoffen,  im  normalen  Lebensalter 
selbständig  werden  und  einen  eigenen  Hausstand  gründen  zu  können. 
Oder  aber,  es  gab  gerade  so  viel  Gesellen,  daß  sie  voraussichtlich  etwa 
im  30.  Lebensjahre  Meister  werden  konnten,  so  war  ihre  Anzahl  viel 
zu  gering,  als  daß  der  Bedarf  gedeckt  worden  wäre.  Es  mußten  unter 
letzteren  Verhältnissen  viele  Meister  nur  ein  kümmerliches  Da- 
sein fristen  oder  als  Gesellen  bei  anderen  Meistern  arbeiten.  Waren 
zu  viel  Gehilfen  vorhanden,  so  war  die  unausbleibliche  Folge,  daß 
eine  größere  Anzahl  von  ihnen  auch  sehr  spät  an  die  Gründung  eines 
eigenen  Haushalts  heranging  und  nach  ihrem  Ableben  Söhne  und  Töchter 
in  noch  unversorgtem  jugendlichen  Alter  hinterließ.  Letzterer  Zu- 
stand war  früher  überall  da  eingetreten,  wo  die  Zünfte  sich  gegen  den  An- 
drang zum  Gewerbebetriebe  dadurch  wehrten,  daß  sie  eine  Schließung 
des  Gewerks  auf  eine  bestimmte  Anzahl  Meister  durchsetzten,  bez. 
ein  derartiges  Privilegium  um  bedeutende  Summen  vom  Landesherrn 
erkauften.  Solche  Rechte  zu  erteilen,  war  man  ehemals  um  so  mehr 
bereit,  als  sie  ein  geeignetes  Mittel  zu  sein  schienen,  den  Bestand 
wohlhabender  Bürger  zu  erhalten.  Es  trat  nunmehr  ein  Ueberfluß 
an  Gesellen  ein,  welche  auf  das  Freiwerden  von  Meisterstellen  warten 
mußten,  ehe  sie  selbst  Meister  werden  konnten.  Wenn  sie  nicht  auf 
die  Gründung  einer  Familie  vollständig  verzichten  wollten,  verheirateten 
sie  sich  als  Gesellen  und  suchten  ihren  Unterhalt,   wie  es  kam, 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  495 

auf  rechtlichem  oder  unrechtlichem  Wege.  Vielfach  erhielten  sie  bei 
zünftigen  Meistern  keine  Arbeit  mehr,  wurden  auch  nicht  weiter  unter 
den  Gesellen  auf  der  Herberge  geduldet,  und  so  suchten  sie  dann  das 
Gewerbe  für  eigene  Rechnung  heimlich  zu  betreiben.  Dazugab 
es  immer  Gelegenheit,  weil  bei  den  Wachstum  der  Städte  die  Bedürf- 
nisse wuchsen,  während  bei  der  Geschlossenheit  der  Zünfte  die  Anzahl 
der  Meister  nicht  zunahm.  Diese  Pfuscher  flüchteten  auch  unter 
den  Schutz  der  Gerichtsbarkeit  der  geistlichen  Stifte  und  der  Ritter- 
gutsbesitzer und  wurden  den  Zünften  um  so  gefährlicher,  als  sie  alles 
daran  setzen  mußten,  durch  Güte  der  Arbeit  und  Billigkeit  des  Preises 
Kunden  zu  gewinnen.  Ein  anderer  Teil  der  Gesellen,  der  diesen  Weg 
nicht  einschlug,  ergab  sich  einem  unstäten  Gesellenleben  und  verwil- 
derte auf  der  Wanderschaft.  Er  kam  sittlich  herunter ,  verlor 
den  Geschmack  an  der  ehrlichen  Arbeit  und  zog  es  vor,  mit  Hilfe 
der  zunftmäßigen  Unterstützungen  ein  beschäftigungsloses  Wanderleben 
zu  führen.  Es  war  für  solche  Gesellen  von  Reiz,  die  jüngeren  Genossen  zu 
beherrschen,  ihre  gesammelten  Erfahrungen  gaben  ihnen  von  vornherein 
ein  entschiedenes  Uebergewicht,  und  vielfach  triumphierte  ihre  gewis- 
senlose Verführungskunst  über  den  schwächlichen  Widerstand  des 
harmlosen  Muttersöhnchens.  Wurden  die  verheirateten  Pfuscher  arbeits- 
unfähig, so  fielen  sie  der  öffentlichen  Armenpflege  zur  Last, 
während  alte  Wanderburschen  stets  von  den  Gewerken  versorgt  werden 
mußten,  bis  sie  vom  Elend  ihres  Vagabondenlebens  aufgerieben  wurden 
oder  wegen  Diebstahls  oder  sonstiger  Verbrechen  in  die  Gefängnisse  und 
Zuchthäuser  gerieten.  Trotzdem  schreckte  ein  solcher  Ausgang  selten 
jemand  ab ,  seine  Kinder  dem  Handwerk  zu  widmen ,  weil  man  den 
Untergegangenen  die  Schuld  allein  und  nicht  auch  den  Verhältnissen 
beimaß  und  weil  man  ferner  zunächst  nur  darauf  sah,  daß  der  Unter- 
halt des  Sohnes  bis  zum  beginnenden  Mannesalter  gesichert  sei. 

Hoffmann  hält  nun  die  Reformation  des  Gesellenwesens 
für  einen  der  wesentlichsten  Punkte,  wenn  man  an  Stelle  der  durch 
gehäufte  Mißbräuche  unhaltbar  gewordenen  Zunftverfassung  etwas 
anderes,  Lebensfähiges  setzen  wolle.  Der  wahrhaft  tüchtigen,  ge- 
schickten und  fleißigen  Gesellen  seien  keineswegs  zu  viele  vorhanden, 
das  Bestreben  der  Meister,  sich  einander  gute  Gesellen  abspenstig  zu 
machen,  könne  vielmehr  als  ein  Beweis  des  Gegenteils  gelten.  Es  sei 
daher  durch  Anordnungen,  welche  die  Zahl  der  Gesellen  zu  vermin- 
dern trachteten,  der  Gewerbsamkeit  nicht  aufzuhelfen,  vielmehr  komme 
es  nur  darauf  an,  demjenigen  Teile  der  Gesellen,  welcher  nicht  die  Hoff- 
nung haben  könne,  als  Meister  einen  anständigen  Unterhalt  für 
eigene  Rechnung  zu  finden,  eine  Stellung  anzuweisen,  wobei  ihm  die 
Führung  eines  Hausstandes  ohne  drückende  Nahrungssorgen 
möglich  bleibe,  Ein  verheirateter  Geselle  befinde  sich  bei  gleicher 
Geschicklichkeit,  Thätigkeit  und  Sittlichkeit  offenbar  besser  als  ein 
Meister,  der  so  wenigsichereArbeit  habe,  daß  er  es  nicht  wagen 
könne,  einen  Gehilfen  anzunehmen.  Bleibe  ein  Teil  seines  Verdienstes 
auch  in  den  Händen  des  Meisters,  der  ihn  beschäftige,  so  habe  er  doch 
wiederum  keine  Auslagen  für  Material,    keine  Verluste  bei  unsicheren 


496  Kurt  von  Rohrscheidt, 

Kunden  und  keine  Versäumnis  durch  Arbeitsbestellungen.  Anstands-  oder 
Gemeindepflichten,  die  auch  den  ärmeren  Meister  träfen,  lägen  dem  Ge- 
sellen nicht  ob.  Dazu  komme,  daß  der  Geselle,  namentlich  in  den  an- 
sehnlichen Städten,  nicht  mehr  in  Kost  und  Wohnung  beim 
Meister  stehe,  und  so  falle  ein  Haupthindernis  der  Verheiratung  fort. 
Ferner  erspare  die  größere  Zuverlässigkeit  älterer  erfahrener  Gesellen 
dem  Meister  manchen  Verlust,  den  ihm  der  Leichtsinn  jüngerer  manch- 
mal bereite.  So  werde  es  möglich  sein,  dem  verheirateten  Gesellen 
einen  höheren  Lohn  zu  bewilligen,  während  dessen  Frau  auch  selbst 
noch  einen  Zuschuß  zur  Wirtschaft  verdienen  könne.  Aus  diesen 
Gründen  erstände  bereits  allmählich  bei  manchen  Handwerkern  ein 
Stamm  verheirateter  Gesellen,  und  diese  fingen  schon  an,  eine  be- 
sondere Abteilung  unter  den  Gehilfen  zu  bilden,  indem  sie  nicht 
mehr  auf  die  Wanderschaft  gingen,  nicht  zur  Unterstützung 
wandernder  Gesellen  beitrügen,  die  Herberge  mieden  und  so  dem 
Unfuge,  der  bisweilen  von  dort  ausgehe,  fern  blieben. 

Aber  auch  für  die  unverheirateten  Gehilfen  seien  die  bestehen- 
den Gesellenverbände  recht  wohl  entbehrlich.  Da  sie  in  der  Regel  kein 
anderes  Einkommen  als  den  Arbeitslohn  besäßen,  so  sei  es  ein 
unnützer  Umweg,  wenn  milde  Anstalten  zur  Verpflegung  kranker  und 
bedürftiger  Gesellen  nicht  von  den  Meistern  unmittelbar, 
sondern  durch  die  Beiträge  der  bei  ihnen  in  Arbeit  stehenden  Gesellen 
unterhalten  würden.  Es  wäre  zwar  entschieden  von  einer  gewissen 
sittlichen  Bedeutung,  wenn  diese  Leistungen,  obwohl  aus  den 
Taschen  der  Meister  stammend,  doch  durch  die  Hände  der  Gesellen 
gegeben  würden,  aber  dieser  Vorteil  stände  doch  nicht  im  Verhältnis 
zu  den  vielfachen  Nachteilen,  die  durch  die  Zusammenkünfte  erwüchsen, 
zu  welchen  die  gemeinsamen  Auflagen  den  Vorwand  abgäben.  Bei 
diesen  Monats-  oder  Quartalversammlungen  werde  erwiesenermaßen 
das  Doppelte  und  Dreifache  von  dem  vertrunken  und  verzehrt,  was 
die  Abgabe  bilde.  Solchen  Zechausgaben,  die  eben  auch  als  Ehren- 
sache gälten,  könne  sich  selbst  der  nicht  entziehen,  der  sie  vermeiden 
möchte.  Schlimmer  sei  es  aber  noch,  daß  sich  bei  diesen  Zusammen- 
künften die  Gesellen  als  Körperschaft  betrachteten,  welche  über 
sich  selbst  Polizei  auszuüben  und  gemeinsame  Rechte  zu  verteidigen 
habe.  Bei  solchen  Gelegenheiten  würden  neue  Gesellen  gehänselt, 
Uebertretungen  von  Handwerksbräuchen  bestraft,  und  es  helfe  selbst 
nichts,  die  Versammlungen  unter  die  Aufsicht  eines  angesehenen 
Meisters  oder  einer  obrigkeitlichen  Person  zu  stellen,  da  der  Einzelne 
wenig  unter  einer  Menge  junger  Leute  vermöge  und  sich  daher  kluger- 
weise zurückziehen  werde,  wenn  das  Auflegen  vorüber  sei,  ohne  weiter 
darauf  zu  dringen ,  daß  die  Versammelten  gleichzeitig  auseinander- 
gingen. Selbst  wenn  die  Beiträge  aus  den  Werkstätten  durch  Boten 
abgeholt  würden,  ließe  es  sich  nicht  vermeiden,  daß  die  Gesellen 
wenigstens  einmal  im  Jahre  zur  Rechnungslegung  zusammenkämen. 
Eine  solche  Vereinigung,  die  nicht  gut  verboten  werden  könne,  würde 
dann  noch  viel  zahlreicher  besucht  und  festlicher  gefeiert  werden,  weil 
sie  seltener  stattfände.    Nur  wenn   die  Meister  sich  entschlössen,  die 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zünftzwang  und   Gewerbefreiheit.  497 

milden  Anstalten  zur  Verpflegung  und  Unterstützung  von  Gesellen 
unmittelbar  zu  unterhalten,  ohne  den  in  Arbeit  stehenden  Ge- 
sellen deshalb  förmlich  einen  Abzug  zu  machen,  werde  es 
möglich  sein,  den  Gesellenverband,  der  dann  zwecklos  wäre,  gänz- 
lich aufzulösen.  Trotz  der  neuen  Ausgabe  würden  aber  dennoch 
die  Meister  keinen  Verlust  erleiden,  da  sie  auch  wieder  mehr  von  den 
Gesellen  fordern  könnten,  und  der  Grundsatz,  den  der  kurzsichtige 
Eigennutz  gewöhnlich  zu  seinem  großen  Schaden  übersehe,  werde  sich 
auch  hier  bestätigen,  nämlich,  daß  die  bestbezahlte  Arbeit  unter  ver- 
ständiger Leitung  zugleich  die  wohlfeilste  sei. 

Was  die  Wanderp  flicht  der  Gesellen  betreffe,  so  habe  sie,  wie 
bereits  ausgeführt  ist,  ebenso  ihre  unleugbaren  Vorteile  wie  unver- 
kennbaren Nachteile,  und  es  sei  daher  nur  darauf  zu  wirken, 
letztere  nach  Möglichkeit  zu  beseitigen.  Alle  verständigen  Väter  in 
den  mittleren  und  höheren  Ständen  unterließen  es  nicht,  ihre  Söhne 
eine  Zeitlang  abseits  von  alten  Freunden  und  Gönnern  in  die  Welt 
zu  schicken,  sei  es  in  eine  bestimmte  Anstalt,  Fabrik,  Oekonomie, 
Universität  oder  überhaupt  nur  auf  Reisen.  Andererseits  läge  in  den 
jungen  Leuten,  wenn  sie  gesund  an  Leib  und  Seele  wären,  schon  selbst 
der  Trieb,  sich  an  fremden  Orten  umzusehen  und  ihre  Kunst,  deren 
sie  sich  bewußt  geworden,  allein  ohne  väterliche  Hilfe  und  Obhut  zu 
versuchen.  Daher  sei  es  nicht  erforderlich,  bei  den  Handwerkern  die 
Wanderschaft  zu  einer  gesetzlichen  Verpflichtung  zu  machen. 
Man  könne  sie  um  so  mehr  in  das  Belieben  eines  jeden  setzen,  als 
zum  Wandern  ein  gewisser  Grad  von  Bildung  sowohl  wie  einige 
Mittel  gehörten,  die  nicht  alle,  welche  zum  Wandern  verpflichtet 
würden,  besäßen.  Und  ohne  die  erforderliche  Bildung  und  die  nötigen 
Mittel  seien  die  Gefahren  der  Wanderschaft  zu  groß ,  als  daß  diese 
Hoffnung  auf  Erfolg  rechtfertigte.  Ueberhaupt  befinde  sich  ein  Teil 
der  Handwerksgesellen  offenbar  in  einer  Lage,  in  der  ihm  die  Wander- 
schaft mehr  Schaden  als  Nutzen  bringen  müsse.  Man  möge 
sie  daher  nur  gestatten,  nicht  gebieten.  Werde  die  Ver- 
pflichtung zum  Wandern  aufgehoben,  so  schwinde  auch  die  Notwendig- 
keit, dasselbe  durch  Verpflegung  des  Gesellen,  Darreichung  des  Zehr- 
pl'ennigs  u.  s.  w.  zu  befördern.  Der  reisende  Handwerksgeselle  trete 
in  die  Reihe  der  Reisenden  anderer  Stände,  er  werde  gleich  diesen 
in  Gasthöfen  und  Wirtshäusern  nach  dem  Maße  seiner  Bildung  und 
Mittel  Unterkommen  suchen  und  auf  Unterstützung  nur  insoweit 
Anspruch  machen  können,  als  dies  wegen  besonderer  Unfälle  von 
anderen  Reisenden  ebenfalls  geschehen  dürfe.  Hoffmann  spricht  hierbei 
die  allerdings  unerfüllt  gebliebene  Erwartung  aus,  daß  alsdann  nicht 
mehr  Tausende  von  jungen  kräftigen  Männern  planlos  im  Lande 
umherirrten  und  einen  großen  Teil  ihrer  Zeit  unter  dem  Vorwande, 
Arbeit  zu  suchen,  in  verderblichem  Müßiggange  verschwendeten.  Der 
Handwerkerstand  werde  allmählich  die  bisher  gewöhnliche  Wander- 
schaft entbehren  lernen,  und  der  Geselle  sich  nur  dann  auf  Reisen 
begeben,   wenn  er  einen  hinreichenden  Zehrpfennig  besitze.    Er  werde 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXIII).  g2 


498  Kurt  von  Rohrscheidt, 

eicht  mehr  ziellos  umherstreifen,  sondern  nur  solche  Orte  aufsuchen, 
wo  er  Erwerb  oder  Belehrung  zu  finden  hoffe. 

Es  könne  überhaupt  nur  nach  gänzlicher  Auflösung  des 
Gesellenverbandes  und  Abschaffung  der  bestehenden  Form  des 
Wanderns  dahin  kommen,  daß  Vermögen  undBildung  sich  wieder 
dem  Handwerkerstand  zuwendeten  und  darin  verblieben.  Solange  der  ent- 
lassene Lehrling  ohne  Rücksicht  auf  seine  Bildungsstufe  genötigt  werde, 
die  Herbergen  zu  besuchen  und  mit  jedem  Gesellen  seiner  Zunft 
Brüderschaft  zu  trinken,  ferner  wandern  zu  müssen  und  da  Arbeit 
anzunehmen,  wie  es  die  Reihe  vorschreibe,  solange  sei  nicht  daran 
zu  denken,  daß  junge  Leute  von  edlerBildung  sich  dem  zünftigen 
Handwerk  würden  widmen  wollen.  Es  werde  viel  zu  wenig  erkannt, 
wie  sehr  daran  gelegen  sei,  daß  die  sogenannten  gemeinen  Handwerke 
auch  von  wohlhabenden  und  gebildeten  Männern  betrieben  und  zu 
Ehren  gebracht  würden.  Wohlhabende  Käufer  wendeten  sich  deshalb 
nur  zur  Fabrik,  weil  das  Handwerk  ungeschickt  und  teuer  zugleich 
aus  Mangel  an  Einsicht  und  Verlag  sei.  Würde  dasselbe  von  Männern 
betrieben,  die  mit  den  Bedürfnissen  der  gebildeten  Stände  durch  ihr 
eigenes  Leben  vertraut,  guten  Geschmack  mit  der  lebendigen  Kenntnis 
der  Materialien,  Werkzeuge  und  Handgriffe  vereinigten,  so  könne  man 
sehr  viel  bessere  Handwerkerarbeiten  zu  verhältnismäßig  billigen 
Preisen  erhalten.  Hierdurch  werde  auch  der  Sinn  für  ein  eigentüm- 
liches Gepräge  der  Bedürfnisse  weiter  in  den  Mittelstand  hinein  ver- 
breitet, und  dadurch  der  flachen  Modesucht  entgegengearbeitet, 
welche  das  gedankenlose  Nachahmen  zum  Gotte  des  Tages  erhebe. 
Viele  Söhne  der  mittleren  Stände  würden  das  Handwerk  zum  Lebens- 
berufe wählen ,  wenn  es  erlernt  und  betrieben  werden  könnte,  ohne 
daß  sie  genötigt  wären,  den  Anspruch  auf  das  gesellige  Verhältnis  auf- 
zugeben, an  das  sie  durch  Erziehung  und  Umgang  gewöhnt  seien. 
Bisher  beschränke  eine  leidige  Schicklichkeit  ihre  Wahl  auf  die  so- 
genannten liberalen  Beschäftigungen,  worin  nur  entweder  mit 
seltenen  Naturgaben  oder  bedeutendem  Vermögen  etwas  zu  erreichen 
sei.  Die  Handwerke  sänken  dadurch,  daß  sich  ihnen  die  ihnen  zu- 
kommenden Anlagen  entzögen,  zur  Tagelöhnerarbeit  herab, 
während  in  die  liberalen  Beschäftigungen  durch  diejenigen  Elemente, 
welche  eigentlich  durch  ihre  Naturanlagen  zur  Ausübung  eines  Ge- 
werbes bestimmt  seien,  etwas  H an  dwerks mäßiges  sich  eindränge. 
Durch  solche  Zustände  litten  beide  Berufsarten  auf  gleiche  Weise. 

In  nachstehendem  soll  noch  mit  einigen  Worten  darauf  einge- 
gangen werden,  welche  Stellung  die  Gesetzgebung  und  die 
Verwaltungspraxis  nach  1811  den  erhalteuen  Innungen  gegen- 
über einnahm.  Letztere  fingen  an,  sich  lediglich  als  geduldete 
Privatgesellschaften  und  nicht  mehr  an  die  früheren  Zunftgesetze  ge- 
bunden anzusehen,  das  heißt,  sie  nahmen  das  Gute  aus  ihrer  zünftigen 
Stellung  und  aus  der  Gewerbefreiheit,  wie  es  ihnen  beliebte,  und  er- 
laubten sich  die  größten  Willkürlichkeiten.  Die  Regierungen 
hatten  daher  mehrfach  Anlaß,  ausdrücklich  bemerklich  zu  machen, 
daß  die  Innungen  auch  jetzt  noch  den  bezüglich  der  Zunftverbindung 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  499 

erlassenen  Verordnungen  aufs  strengste  nachkommen  müßten.  So 
schärfte  eine  Verordnung  der  Königsberger  Regierung  vom 
13.  Mai  1819  *)  den  Innungen  wieder  ein,  daß  einem  Meister,  der 
die  vorschriebenen  Bedingungen  erfüllt  habe  (§  249  T.  II  Tit.  8  A.  L.  R.), 
auch  dann  nicht  die  Aufnahme  in  die  Zunft  verweigert  werden  könne, 
wenn  er  bereits  früher  das  Gewerbe  selbständig  zunftfrei  betrieben 
habe.  Die  Zünfte  dürften  es  sich  ferner  nicht  beikommen  lassen, 
Gewerbetreibende  aus  anderen  Orten,  wo  solche  Verbindungen  eben- 
falls beständen,  aufzunehmen ,  am  wenigstens  aber,  wie  der  Fall  vor- 
gekommen sei,  es  ihnen  zur  Pflicht  machen,  sich  am  Orte  der 
Aufnahme  nicht  niederzulassen.  Was  die  Meisteraufnahme 
anbetreffe,  so  hätten  die  Zünfte  weder  hinsichtlich  des  Meister- 
stücks noch  der  Gebühren  mehr  zu  fordern,  als  in  den  Privilegien 
vorgeschrieben  sei.  Wolle  ein  bereits  aufgenommener  Meister  seinen 
Wohnort  verändern  und  sich  der  Zunft  am  Platze  seiner  neuen 
Niederlassung  anschließen,  so  müsse  seine  Aufnahme  gegen  die  gewöhn- 
lichen Gebühren  und  nach  den  Nachweise  guter  Führung  unweiger- 
lich geschehen.  Sodann  wurde  die  Vorschrift  aus  dem  Gewerbepolizei- 
edikt in  die  Erinnerung  zurückgerufen ,  daß  zünftige  Gesellen ,  ohne 
eine  Aenderung  ihrer  Zunftverhältnisse  zu  erleiden,  auch  bei  zunft- 
freien Meistern  arbeiten  dürften. 

Auch  im  Marktverkehr  hatten  sich  die  zünftigen  von  den  un- 
zünftigen Meistern  streng  geschieden,  und  noch  im  Jahre  1837  trugen 
z.B.  die  Schuhmacher  zu  Star  gar  d  darauf  an,  diese  Einrichtung 
wiederherzustellen  und  jede  gemischte  Budenstellung  zu  unter- 
sagen. Der  Minister  des  Innern  beschied  sie  unter  dem  15.  Juni  1837  2), 
daß  die  Zunfteinrichtung  mit  dem  Marktverkehr  gar  nichts  gemein  habe. 
Die  Vorschriften  über  die  Anorderung  der  Budenplätze  seien  rein 
polizeilicher  Natur,  und  man  könne  nicht  absehen,  weshalb  ein 
zünftiger  Meister  auf  dem  Markte  in  polizeilicher  Hinsicht  vor  einem 
unzünftigen  begünstigt  oder  auch  nur  von  ihm  unterschieden  werden 
solle.  In  denjenigen  Landesteilen,  welche  noch  die  alte  Zunftverfassung 
besaßen,  blieben  natürlich  auch  die  Landhandwerker  verpflichtet, 
das  Meisterrecht  bei  irgend  einer  inländischen  Innung  zu  erwerben 
und  sich  zu  einer  solchen  Innung  zu  halten3). 

Mehrfach  wurde  es  zweifelhaft,  inwieweit  frühere  gewerbliche  Vor- 
schriften nach  Einführung  des  neuen  freiheitlichen  Systems  noch  Gültig- 
keit hatten,  oder  mit  anderen  Worten,  ob  das  Gewerbepolizeiedikt  vom 
7.  September  1811  der  Inbegriff  der  gesamten  Gewerbepolizeigesetz- 
gebung sei  oder  nicht.  Dies  war  nicht  der  Fall 4).  Das  Edikt  ent- 
schied nur  die  Frage,  ob  und  unter  welchen  Bedingungen  der  Betrieb 
eines  Gewerbes  einem  Individuum  gestattet  sein  solle.  Es  enthielt 
aber  keine  Bestimmungen  darüber,  wie  das  gestattete  Gewerbe  von 
den  Konzessionierten  auszuüben  sei.    Mithin  blieben  die  über  die  Art 


1)  Kamptz'  Annalen  Bd.  III,  S.   537. 

2)  Ebenda  Bd.  XXI.  S.  526. 

3)  Ebenda  Bd.  XXI,  S.   526. 

4)  Ebenda  Bd.  II,  S.  856. 


32* 


500  Kürt  von  Rohrs  cheidt, 

des  Betriebes  einzelner  Gewerbe  vorhandenen  Reglements,  soweit  sie 
sich  hierauf  beschränkten,  erhalten.  Dies  galt  z.  B.  auch  von  dem 
Trödlerreglement  vom  21.  Oktober  1788.  Das  Edikt  vom  7. 
September  1811  nannte  in  §  131  unter  den  Gewerben,  wobei  die 
öffentliche  Sicherheit  Gefahr  lief,  die  Trödler,  d.  h.  solche  Leute, 
welche  mit  alten  Sachen  handeln,  und  machte  ihr  Recht  zum  Gewerbe- 
betriebe von  der  Genehmigung  der  mit  der  örtlichen  Sicherheit  be- 
auftragten Polizeibehörde  abhängig,  deren  Erteilung  lediglich  dem  Er- 
messen der  letzteren  in  §  133  anheimgestellt  wurde.  Die  Behörde 
hatte  die  Pflicht,  diese  Genehmigung  zu  versagen,  wenn  sie  überzeugt 
war,  daß  der  Antragsteller  die  Verbindlichkeiten  zu  erfüllen  unfähig 
sei,  welche  im  sicherheitspolizeilichen  Interesse  gefordert 
werden  müßten.  Der  Handels-  und  der  Polizeiminister  entschieden 
daher  unter  dem  26.  September  1818,  daß  mit  Recht  die  Genehmigung 
zum  Trödelhandel  einem  jeden  nicht  erteilt  werde,  der  nicht 
schreiben  und  lesen  könne  und  daher  unfähig  sei,  die  vorgeschriebenen 
Bücher  zu  führen,  welche  nicht  aus  kaufmännischen,  sondern  aus 
sicherheitspolizeilichen  Gründen  angelegt  werden  und  dazu  dienen 
sollten,  gestohlenen  Sachen  und  Dieben  auf  die  Spur  zu  kommen. 

In  denjenigen  Landesteilen,  welche  noch  ihre  alte  gewerbliche 
Verfassung  behalten  hatten,  blieben  auch  provinzialrechtliche  Sonder- 
gesetze bestehen.  So  galt  in  dem  vormals  sächsischen  Gebiete 
noch  das  Mandat  vom  16.  August  1746,  durch  welches  den  Juden 
der  Hausierhandel  untersagt  war,  als  Gesetz.  Dies  hatte  zur 
Folge,  daß  nicht  nur  den  in  diesem  Territorium  ansässigen  Juden, 
sondern  auch  solchen  aus  anderen  Bezirken,  welche  in  den  altsäch- 
sischen Distrikten  hausieren  wollten,  der  Gewerbeschein  versagt 
wurde  1).  Eine  mildere  Auslegung  der  Bestimmungen  durch  Ministerial- 
reskript  vom  29.  April  1831 2)  ging  dahin,  daß  das  Mandat  kein  all- 
gemeines und  unbedingtes  Verbot  beabsichtige ,  sondern  sich 
nur  auf  die  Erlaubnis  zum  Jahrmarktshandel  beziehe  und 
lediglich  in  dieser  Beziehung  anordne,  daß  derselbe  nicht  auf  den 
einzelnen  Vertrieb  und  das  Hausieren  erstreckt  werden  solle.  Es  sei 
der  den  Juden  zu  verstauende  Handel  bloß  von  dem  Inhalte  der  den- 
selben erteilten  speziellen  Konzessionen  abhängig  gemacht  worden, 
weshalb,  falls  eine  solche  Konzession  einen  Juden  zum  Gewerbebetrieb 
im  Umherziehen  berechtige,  das  sächsische  Gesetz  weiter  nicht  ent- 
gegenstehe, vielmehr  werde  dadurch  dem  überall  hervortretenden 
Grundsatz  desselben,  strenge  Aufsicht  über  den  jüdischen  Handel 
zu  führen,  vollkommen  genügt.  Diese  Auffassung  hat  sich  jedoch, 
wenn  sie  überhaupt  jemals  praktisch  geworden  ist ,  nicht  lange  ge- 
halten, da  ein  Ministerialreskript  vom  19.  April  1837  genau  wieder 
auf  dem  entgegengesetzten  Standpunkte  steht.  In  diesen  Landesteilen 
zog  man  auch  sonst  noch  alle  Konsequenzen  der  alten  Gewerbever- 
fassung.   So  entschied  z.  B.  ein  Ministerialerlaß  vom  10.   April 


1)  Kamptz'  Annalen,  Bd.  XIII,  S.   620;    Bd.  XXI,  S.   533. 

2)  Ebenda  Bd.  XV,  S.   396. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  501 

1837  x),  daß,  wenngleich  die  Befugnis  zum  selbständigen  Betriebe  eines 
zünftigen  Gewerbes  nach  sächsischer  Verfassung  durch  Gewinnung  des 
zünftigen  Meisterrechts  erlangt  werde,  letzteres  doch  nur  mit  voller 
Wirkung  bei  solchen  Innungen  erworben  werden  könne,  deren  Privi- 
legien entweder  von  dem  Landesherrn  selbst  oder  in  seinem 
Auftrage  von  der  Landesregierung  als  höchsten  Verwaltungsbehörde 
erteilt  oder  anerkannt  seien.  Mithin  wären  nur  diejenigen,  welche  bei 
einer  solchen  Innung  Meister  geworden,  zur  Aufnahme  an  anderen 
Orten  ohne  weiteres  geeignet.  Meister  dagegen,  welche  das  Meister- 
recht bei  Innungen  erworben,  deren  Artikel  nur  mit  Genehmigung 
ihrer  Ortsmagistrate  versehen  seien,  hätten,  da  diesen  Statuten  eine 
rechtliche  Wirkung  über  die  Grenzen  der  Stadt  und  ihres  Weichbildes 
hinaus  nicht  beiwohnen,  auf  eine  gleiche  Befugnis  keinen  An- 
spruch, weshalb  die  Innung  eines  anderen  Orts  die  Aufnahme 
solcher  Meister  ablehnen  könne. 

Ueber  die  Qualifikation  zum  selbständigen  Gewerbebetriebe 
wurden  mehrere  interpretierende  Reskripte  erlassen.  In  einer  Cirkular- 
verfügung  vom  15.  November  1833  2)  ordnete  der  Handelsminister  v. 
Schuckmann  an,  daß,  da  nach  dem  damaligen  Zustande  der  allgemeinen 
Bildung  Fertigkeit  im  Lesen  und  Schreiben,  sowie  Kenntnis  der 
ersten  Elemente  der  Rechenkunst  bei  jedem  Individuum,  das  ein 
Gewerbe  ausüben  wolle,  vorausgesetzt  werden  könne,  in  allen  Fällen, 
wo  eine  Prüfung  als  Bedingung  gemacht  sei,  diese  auf  Lesen,  Schreiben 
und  Rechnen  zu  richten  wäre,  und  das  Zeugnis  verweigert  werden  solle, 
wo  der  Kandidat  solche  Fertigkeiten  nicht  besitze. 

Was  die  Unbescholtenheit  als  Voraussetzung  zum  selb- 
ständigen Gewerbebetrieb  betrifft,  so  wechselten  die  Gesetzesvorschriften 
hierüber  den  Standpunkt.  Das  Edikt  vom  2.  November  1810  hatte  in 
§  19  angeordnet,  daß  im  allgemeinen  niemandem  der  Gewerbeschein 
versagt  werden  solle,  der  ein  Attest  der  Polizeibehörde  seines  Ortes 
über  seinen  rechtlichen  Lebenswandel  beibringe.  Hieraus  war  zu 
folgern,  daß  bei  allen  Gewerben  die  Zulassung  zum  Gewerbebetriebe 
von  einem  solchen  Zeugnisse  abhängig  sei.  Später  hatte  §  2  des  Ge- 
setzes vom  7.  September  1811  bestimmt,  wem  wegen  Bescholtenheit 
das  Recht,  Bürger  oder  Gemeindemitglied  zu  sein,  gesetzlich  versagt 
werde,  der  dürfe  auch  auf  Grund  eines  Gewerbescheines  kein  Gewerbe 
selbständig  treiben,  dessen  Ausübung  das  Bürgerrecht  oder 
den  Beitritt  zur  Gemeinde  erfordere.  Danach  durfte  der 
Bescholtene  ebenfalls  solche  Gewerbe  treiben,  die  der  letzten  Beschrän- 
kung nicht  unterlagen.  Weiter  aber  sollte  nach  der  Allerhöchsten 
Kabinetsordre  vom  6.  April  1823  die  Versagung  des  Bürger- 
rechtes und  die  Ausschließung  von  dem  schon  gewonnenen  in  allen 
durch  die  Städteordnung  bezeichneten  Fällen  nur  den  Verlust  der 
Ehrenrechte  nach  sich  ziehen,  auf  Grundbesitz  und  Gewerbebetrieb 
aber  von  keinem  Einflüsse  sein.    Somit   konnten  also  jetzt  die 


1)  Ebenda  Bd.  XXI,  S.  511. 

2)  Kamptz'  Annalen,  Bd.  XVII,  S.   1043. 


502  Kurt  von  Rohrscheidt, 

polizeilichen  Moralitätsatteste  nur  von  denjenigen  noch  gefordert 
werden,  welche  nach  §  21  des  Gewerbesteuesediktes  vom  2.  November 
1810  und  §§  82  ff.  des  Gewerbepolizeiediktes  vom  7.  September  1811 
den  Nachweis  ihrer  besonderen  Qualifikation  zu  erbringen 
hatten1).  Wo  nach  §  131  des  letzteren  Gesetzes  Unbescholtenheit  für 
den  Gewerbebetrieb  Voraussetzung  war2),  da  sollte  diese  zwar  nach 
den  im  Einzelfalle  vorwaltenden  Umständen  beurteilt  werden,  jedoch 
wurde  für  wissenswert  erachtet,  dabei  bestimmte  allgemeine  Ge- 
sichtspunkte festzuhalten.  Als  solche  bezeichnete  das  Ministerial- 
reskript  vom  16.  Dezember  1834  nicht  nur  die  Vorschriften  über  Ver- 
lust und  Wiederverleihung  der  Nationalkokarde,  sondern  auch 
die  in  §  600  der  Kriminalordnung  aufgeführten  Bestimmungen  über 
die  Verjährung  der  geringeren  Verbrechen.  Wenn  das 
Gesetz  die  Bestrafung  gewisser  Verbrechen  nach  einem  Zeiträume  von 
5  Jahren  nicht  mehr  für  erforderlich  halte,  so  würde  es  unbillig  und 
hart  sein,  nach  dieser  Zeit  an  die  Erinnerung  des  Verbrechens  ge- 
werbliche Nachteile  in  einem  solchen  Falle  knüpfen  zu  wollen, 
in  welchem  der  Verbrecher  wirklich  gestraft  worden,  und  wenn  durch 
sein  nachheriges  Betragen  nachgewiesen  sei,  daß  die  Strafe  ihren  Zweck, 
die  Besserung,  erreicht  habe. 

Mit  dem  Lehrlingswesen  hat  sich  die  Verwaltungsthätigkeit 
der  damaligen  Periode  sehr  wenig  befaßt.  Es  kam  nur  zu  einzelnen 
Erlassen,  wenn  die  Zünfte  begannen,  sich  auch  auf  diesem  Gebiete 
Uebergriffe  zu  erlauben.  So  wies  der  Handelsminister  in  einem 
Reskripte  vom  18.  Juni  1831  3)  darauf  hin,  als  eine  Innung  einen 
unzünftigen  Lehrling  mit  einem  Lehrbriefe  ausgestattet  hatte,  daß 
nur  solche  Lehrlinge  von  einer  Zunft  losgesprochen  werden  dürften, 
welche  bei  einem  der  Zunft  angehörenden  Meister  gelernt  hätten.  Die 
Befähigung  eines  unzünftigen  Lehrlings  aber,  als  Gehilfe  zu  arbeiten, 
habe  nach  den  §§11  und  12  des  Gesetzes  vom  7.  September  1811 
zu  erfolgen,  und  die  Zünfte  seien  auch  zur  Fassung  eines  abändernden 
Beschlusses  nicht  berechtigt.  Es  müsse  daher  der  erteilte  Lehrbrief 
für  unwirksam  erklärt  werden.  Ferner  wurde  durch  einen  mini- 
steriellen Erlaß  vom  12.  September  1835  4)  festgestellt,  daß  die 
vom  Staate  bestätigten  Innungen  bei  Kindern  von  Personen,  denen 
das  Armenrecht  zugestanden  sei,  sowie  bei  Lehrlingen,  die  sich  in 
Ermangelung  der  Mittel  zur  Entrichtung  des  Lehrgeldes  zu  einer 
längeren  Lehrzeit  verbindlich  gemacht  hätten,  analog  zur  unent- 
geltlichen Verrichtung  der  aus  der  Zunftverfassung  entspringenden 
Handlungen  des  Aufdingens  und  Lossprechens  angehalten  werden 
könnten. 

Auf  dem  Gebiete  des  Gesellen  wesens  dagegen,  das  allerdings 
einer  Reform  besonders  bedürftig  erschien,  sind  die  ergangenen  Regle- 
ments und  Entscheidungen  ziemlich   zahlreich.     Durch   gemeinsamen 


1)  Ebenda  Bd.  XVII,  S.  490,  492;  Bd.  XIV,  S.  819. 

2)  Ebenda  Bd.  XVIII,  S.  1100. 

3)  Ebenda  Bd.  XV,  S.  379. 

4)  Ebenda  Bd.  XX,  S.   221. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  503 

Erlaß     des    Handelsministers     und    des    Ministers    des    Innern    vom 

24.  Oktober  1820 1)  wurde  zunächst  festgestellt,  daß  sich  die 
Gesindeordnung  vom  8.  November  1810  nur  auf  solche  Personen  be- 
ziehe, welche  zu  häuslichen  oder  wirtschaftlichen  Diensten  gedungen 
würden,  daher  also  auf  G  ewerbsgehilfen  keine  A  n  wen  dun  g 
finde.  Für  letztere,  soweit  sie  unzünftig,  wären  lediglich  die  Vor- 
schriften des  8.  Abschnittes  Teil.  I  Tit.  II  A.  L.  R.  in  Geltung.  Da 
sich  die  zünftigen  Gewohnheiten  im  wesentlichen  erhielten,  wurden 
auch  alle  Mißbräuche,  die  auf  der  Wanderschaft,  beim  Zusprechen 
oder  beim  Aufgeben  der  Arbeit  üblich  waren,  wohl  konserviert.  Ein 
besonderer  Mißstand  war  es,  daß  die  Gesellen  häufig  ohne  die  vor- 
herige vierzehntägige  Aufkündigung  die  Meister  verließen,  oder  daß 
sie  sich  auch  an  Werktagen,  namentlich  an  den  blauen  Montage  n, 
der  Arbeit  entzogen.  Mehrfach  sahen  sich  daher  die  Regierungen 
veranlaßt2),  auf  die  einschlägigen  Vorschriften  des  allgemeinen 
Landrechts  mit  Strenge  hinzuweisen.  Dieses  bedrohte  auch  jeden 
Herbergsvater,  der  an  einem  Werktage,  insbesondere  am  Mon- 
tage, einen  in  Arbeit  stehenden  Gesellen  während  der  gewöhnlichen 
Arbeitszeit  bei  sich  duldete,  oder  ihm  Speisen  und  Getränke  verabfolgte, 
mit  einer  Strafe  von  2 — 5  Thalern.  Einzelne  Gewerke  leisteten  be- 
sonders viel  in  solchen  Unordnungen,  und  namentlich  galt  dies  von 
den  Müllern,  bei  welchen  die  Kontrolle  wegen  der  Zerstreutheit 
ihrer  Wohnsitze  so  wie  so  schon  schwer  genug  war.  Bei  den  Ver- 
sammlungen der  Müllergewerke  im  Königreich  Preußen  hatte 
sich  der  Brauch  ausgebildet,  daß  hierzu  außer  den  in  Arbeit  stehen- 
den Gesellen  auch  eine  Menge  von  Feierburschen  sich  einfanden, 
und  zwar  nicht  nur  aus  preußischem,  sondern  sogar  aus  fremdem  Ge- 
biete. Diese  ließen  sich  tagelang  auf  gemeinschaftliche  Kosten  unter- 
halten und  gaben  zu  vielen  Unruhen  Veranlassung.  So  vereitelten  sie 
die  guten  Zwecke  der  Versammlung,  die  auf  Schlichtung  von  Streitig- 
keiten, Rechnungslegung,  Meister-  und  Gesellensprechen,  Annahme  der 
Lehrburschen,  Ablieferung  der  Beiträge,  Bekanntmachung  neuer  Ge- 
setze u.  s.  w.  gerichtet  waren  und  verleiteten  außerdem  noch  or- 
dentliche Gesellen  zu  Müßiggang  und  Ausschweifungen.  Schon  durch 
Verfügung    der    Gumbinner    Kriegs-    und    Domänenkammer    vom 

25.  Januar  1806  war  daher  angeordnet  worden,  daß  kein  Feierbursche, 
der  nicht  wenigstens  9  Monate  im  Jahre  in  Arbeit  gestanden  habe 
oder  schuldlos  außer  Diensten  gewesen  sei,  keine  Verpflegung  und 
kein  Geschenk  aus  der  Lade  erhalten  solle.  Zu  den  Hauptversamm- 
lungen der  Provinz,  die  alle  am  Montage  nach  Johanni  stattzufinden 
hatten,  wurden  nur  bestimmte  Gesellen  und  Altgesellen  zugelassen, 
insbesondere  stellte  man  den  Feierburschen,  die  sich  einzudrängen  be- 
absichtigten, sofortige  Arretierung  in  Aussicht.  Den  Meistern  verbot 
man  die  Aufnahme  solcher  Gesellen,  die  an  den  Versammlungen  teil- 
zunehmen nicht  berechtigt  waren,  und  machte  allen  Ratsassessoren  und 


1)  Ebenda  Bd.  IV,  S.   874. 

2)  Kamptz'  Annalen  Bd.  VII,  S.  942. 


504  Kurt  von  Rohrscheidt, 

Altmeistern  nachdrückliche  Strenge  zur  Pflicht.  Namentlich  sollte 
auch  mit  Ernst  darauf  gehalten  werden,  daß  keine  verbotenen  Zechen 
und  Schmausereien  der  Gesellen  stattfänden,  daß  sich  letztere  von  den 
losgesprochenen  Lehrlingen  kein  Freibier  oder  Geld  zum  Verzehren 
geben  ließen.  Wie  sehr  diese  Verordnung  das  Schicksal  aller  Besse- 
rungsversuche teilte,  nämlich  nichts  zu  nützen,  geht  wohl  schon 
daraus  hervor,  daß  die  Gumbinner  Regierung  sie  unter  dem  15.  März 
1823 x)  von  neuem  in  Erinnerung  bringen  mußte.  Sowie  das  viele 
lästige  Ansprechen  der  Müllergesellen  als  eine  Last  empfunden  wurde, 
so  drückend  war  namentlich  in  Berlin  ein  anderer  Brauch  bei  Ge- 
sellen und  Lehrburschen  vieler  Gewerke,  nämlich  der  der  Neujahrs- 
gratulation. Der  Minister  des  Innern  erklärte  sich  daher  auf  An- 
trag des  Magistrats  unter  dem  15.  Januar  1825  2)  damit  einverstanden, 
daß  diese  Sitte  abgeschafft  wurde. 

Vor  allen  Dingen  aber  richtete  man  ein  scharfes  Auge  auf  die  wan  - 
dernden  Gesellen.  Viele  Umstände  wirkten  zusammen ,  in  einzelnen 
Regierungsbezirken  geradezu  einen  Notstand  herbeizuführen.  Da 
manche  Landesteile  durch  die  Kriege  völlig  ausgesogen  waren,  ferner 
kurz  danach  im  Jahre  1817  viele  deutsche  Gebiete  unter  einem  em- 
pfindlichen Getreidemangel  litten,  der  große  Teurung  der  ersten 
Lebensbedürfnisse  hervorrief,  so  kam  es,  daß  die  Handwerksburschen 
sich  nach  den  wohlhabenderen  Landesteil  e  n  hinzogen  und 
hier  in  ungewöhnlich  großer  Zahl  auftraten.  Diese  wurde  noch  da- 
durch vermehrt,  daß  die  aus  den  neuen  Provinzen  der  Monarchie 
stammenden  Gesellen,  welche  sonst  in  fremde  Staaten  gewandert  waren, 
nun  als  zum  Kriegsdienst  Verpflichtete  auf  den  Umfang  des  preußischen 
Staates  beschränkt  blieben.  Bei  der  Ueberfüllung  einzelner  Gebiete 
nötigte  die  Unmöglichkeit,  bei  ihren  Zunftgenossen  Arbeit  und  damit 
Unterkommen  und  Verdienst  zu  bekommen,  viele,  das  Mitleid  anderer 
anzusprechen,  und  so  nahm  stellenweise  die  Bettelei  erschreckend 
überhand.  Es  erschien  nun  ebenso  unbillig  als  unausführbar,  der- 
gleichen beim  Betteln  betroffene  Gesellen  ohne  weiteres  und  ohne  allen 
Unterschied  in  Straf-  oder  Zwangsarbeitsanstalten  zu  stecken,  da  sie 
in  der  Regel  nicht  in  die  Klasse  der  mutwilligen  Bettler  ge- 
hörten, sondern  nur  aus  Mangel  an  Arbeit  und  Unterstützung  aus  den 
Gewerksladen  zum  Ansprechen  der  Einwohner  gezwungen  wurden. 
Die  Regierungen  machten  daher,  wie  unter  dem  18.  August  1817  die 
zu  Frankfurt  a./0. 3),  die  Magistrate  darauf  aufmerksam,  die  Ge- 
werke an  ihre  Verpflichtungen  zu  erinnern  und  nötigenfalls  aus  der 
Ortsarmenkasse  angemessene  Zehrgelder  zur  Fortsetzung  der 
Wanderung  in  die  nächste  Stadt  den  Bedürftigen  zu  verabfolgen. 
Die  angebliche  Unzulänglichkeit  der  städtischen  Armeufonds  könne 
keinen  Grund  abgeben,  sich  von  dieser  Verpflichtung  loszusagen,  da 
mancher  Bürger  gern  einen  erhöhten  Beitrag  zur  Armenkasse  zahlen 


1)  Ebenda  Bd.  VII,  S.  159. 

2)  Ebenda  Bd.  IX,  S.  217. 

3)  Kamptz'  Annalen  Bd.  I,  S.  210. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  505 

werde,  wenn  er  dadurch  von  der  lästigen  Hausbettelei  befreit  würde, 
und  für  die  Mitglieder  solcher  Gewerke,  deren  wandernde  Gesellen 
herkömmlich  weder  von  den  Meistern,  noch  aus  der  Gewerkslade  ein 
Geschenk  erhielten,  sei  es  um  so  mehr  Pflicht,  reichlichere  Beiträge 
zu  diesem  Behufe  zur  städtischen  Armenkasse  zu  leisten.  Wenn  diese 
Einrichtungen  erst  getroffen  wären,  so  dürfe  man  auch  erwarten,  daß 
niemand  durch  eine  unzeitige  Mildthätigkeit  in  Spendung 
von  Gaben  den  Zweck  der  Polizeibehörden  vereitle,  sondern  jeder  die 
Ansprechenden  an  die  OrJsarmen-  oder  Gewerkskassen  verwiese. 

Die  bisherigen  Verordnungen  bez.  der  wandernden  Gesellen  er- 
schienen immer  mehr  einer  Revision  bedürftig  zu  werden,  vornehm- 
lich meinte  man  die  Wanderschaft  als  Verpflichtung  im  Interesse 
des  Handwerks  entbehren  zu  können.  Eine  Allerhöchste  Kabi- 
netsordre  vom  1.  August  1831  1)  hob  daher  die  in  den  Innungs- 
artikeln zwangsweise  vorgeschriebene  Wanderpflicht  gänzlich  auf. 
Da  jedoch  mit  der  Bestimmung  gewisser  Wanderjahre  beabsichtigt 
und  der  noch  bestehende  Zunftverband  wesentlich  darauf  gerichtet 
sei,  daß  die  Lehrlinge  eines  zünftigen  Handwerks  nach  ihrer  Los- 
sprechung noch  eine  festgesetzte  Zeit  hindurch  die  erlernte  Profession 
als  Gesellen  betrieben,  so  solle  kein  zünftiger  Handwerksgeselle  vor 
Ablauf  der  zum  Wandern  bestimmten  Zeit  ohne  ausdrück- 
liche Genehmigung  der  Provinzialregierung  zur  Erlangung  des 
zunftmäßigen  Meisterrechts  zugelassen  werden.  In  letzterer 
Bestimmung  lag  zugleich  die  Absicht,  zum  Besten  der  Meister  die 
Zahl  derGesellen  nicht  unter  das  Maß  herabzudrücken, 
welches  die  Zunftverfassung  selbst  angab,  und  zum  Besten  der  Ge- 
sellen ein  vorzeitiges  Drängen  zum  Meisterrechte  vor  Abschluß 
der  gewerblichen  Bildung  zu  verhindern. 

Ein  Ministerialreskript  vom  1.  September  1832 2)  spricht  sich 
ausdrücklich  dahin  aus,  daß  diese  Kabinetsordre  nicht  die  Absicht 
gehabt  habe,  die  Befugnis  zum  selbständigen  Gewerbebetriebe  zu  be- 
schränken und  damit  eine  wesentliche  Bedingung  der  bisherigen  Ge- 
setzgebung zu  vernichten.  Ob  es  besorglich  sei,  die  Zahl  der  un- 
zünftigen Gewerbetreibenden  zu  vermehren,  könne  unerörtert  bleiben, 
denn  durch  die  Aufhebung  der  Wanderpflicht  werde  der  Zunftverband 
nicht  erschwert,  vielmehr  von  einer  lästigen  Bedingung  des  Eintrittes 
befreit,  die  manchen  habe  abhalten  können,  demselben  beizutreten, 
oder  vielleicht  bestimmen  müssen,  den  Zunftverband  zu  verlassen  und 
unzünftig  zu  werden. 

Durch  Cirkularerlaß  vom  24.  April  1833 3)  übersandte  der 
Minister  des  Innern  an  sämtliche  Regierungen  ein  „Regulativ  in 
betreff  des  Wanderns  der  Gewerbsgehülfen"  vom  gleichen 
Tage  zur  Verhütung  des  zwecklosen  Umherschweifens  mittelloser  und 
arbeitsscheuer  Handwerksburschen,  da  trotz   der  genannten  Kaoinets- 


1)  Ebenda  Bd.  XVI,  S.  472. 

2)  Kamptz'  Annalen,  Bd.  XVI,  S.  690. 

3)  Ebenda  Bd.  XVII,  S.   185  ff. 


506  Kurt  von  Rohrscheidt, 

ordre  noch  eine  große  Anzahl  von  Gesellen  durch  Mißbräuche  beim 
Wandern  das  Publikum  belästige  und  die  öfientliche  Sicherheit  ge- 
fährde. In  diesem  Regulativ  wurde  bestimmt,  daß  Wanderpässe 
oder  Wanderbücher  nur  solchen  Inländern  erteilt  werden 
sollten,  welche  eine  Kunst  oder  ein  Handwerk  trieben,  bei  welchem 
das  Wandern  allgemein  üblich  und  zur  Vervollkommnung  an- 
gemessen sei.  Ferner  mußten  die  Nachsuchenden  unbescholten 
und  körperlich  gesund,  sowie  außer  den  erforderlichen  Kleidungs- 
stücken und  Wäsche  im  Besitze  von  wenigstens  5  Thalern  Reise- 
geld sein.  Sie  durften  endlich  das  30.  Lebensjahr  noch  nicht 
überschritten,  auch  nicht  schon  vorher  5  Jahre  mit  oder  ohne 
Unterbrechung  auf  der  Wanderschaft  zugebracht  haben.  Die  Dauer 
der  Wanderpässe  sollte  5  Jahre  nicht  überschreiten.  Für  die  aus- 
ländischen Gesellen  galten  noch  besondere  Bestimmungen.  Der 
Wandernde  konnte  zwar  die  Orte,  die  er  besuchen  wollte,  beliebig 
selbst  wählen,  mußte  aber  zunächst  der  den  Paß  ausstellenden  Behörde 
und  dann  weiter  der  jedesmaligen  Polizeibehörde  des  Ortes,  wo  er 
Rast  machte,  den  nächsten  Bestimmungsort  bezeichnen.  Von 
dieser  selbst  gewählten  Route  durfte  der  Wandernde  nicht  ab- 
weichen; wollte  er  es  doch  thun  oder  erkrankte  er  auf  dem  Wege 
oder  fand  Arbeit,  so  mußte  er  der  nächsten  Polizeibehörde,  bezw.  der 
des  Ortes,  Anzeige  machen,  damit  das  Wanderbuch  oder  der  Paß  be- 
richtigt wurde.  Wollte  der  Wandernde  am  Bestimmungsorte  keine 
Arbeit  annehmen  oder  fand  er  keine,  so  durfte  er  nicht  über  die  von 
der  Polizei  festgesetzte  Zeit  dort  verweilen ;  die  Dauer  etwaiger  Arbeit 
wurde  dagegen  im  Passe  vermerkt.  Die  Fortsetzung  der  Wan- 
derung wurde  untersagt  und  der  Geselle  mit  Zwangsroute  zu- 
rückbefördert, wenn  er  von  dem  Wege  abwich,  in  den  Verdacht 
zwecklosen  Umhertreibens  kam,  wenn  er,  abgesehen  vom  Falle  einer 
Krankheit,  8  Wochen  arbeitslos  gewesen  war,  wenn  er  um  Unter- 
stützung angesprochen  hatte,  und  endlich,  wenn  er  ein  Verbrechen 
beging.  Gesellen  ohne  Legitimation  war  das  Wandern  überhaupt 
nicht  gestattet,  solchen,  welche  schon  einmal  an  den  Ausgangsort 
zurückgewiesen  worden,  durfte  ein  neuer  Wanderpaß  erst  nach  Ablauf 
von  6  Monaten  ausgestellt  werden.  Bei  nochmaliger  Zurückweisung 
erhielten  sie  einen  Reisepaß  überhaupt  nicht  wieder.  Durch  Erlaß 
vom  19.  März  1833  *)  wurde  bestimmt,  daß  die  sogenannten  Frei- 
knechte (Knechte  der  Scharfrichter  und  Abdecker)  überall  nicht 
zu  denjenigen  Personen  zu  rechnen  seien,  welchen  förmliche  Wander- 
pässe erteilt  werden  dürften,  vielmehr  sollten  denjenigen  von  ihnen, 
welche  sich  von  einem  Orte  zum  andern  begeben  wollten,  nur  gewöhn- 
liche, auf  ein  bestimmtes  Reiseziel  lautende  Reisepässe  ver- 
abfolgt werden.  Ein  späteres  Reskript  vom  30.  November 
1833 2)  führte  aus,  daß  das  frühere  Wandern  der  Freiknechte  zu 
mannigfachen  Belästigungen  des  Publikums  und  Beschwerden  Veran- 


1)  Kamptz  Annalen,  Bd.  XVII,  S.   190. 

2)  Ebenda  Bd.  XVII,  S.  1060. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  507 

lassung  gegeben,  ja  selbst  die  öffentliche  Sicherheit  gefährdet  habe. 
Deshalb  und,  da  diese  Leute  nicht  zu  wandern  brauchten,  um  sich  in 
ihrem  Gewerbe  zu  vervollkommnen,  könnten  sie  keine  Wanderpässe  er- 
halten, und  es  müsse  den  Scharfrichtern  überlassen  bleiben,  auf  wel- 
chem Wege  sie  sich  ihre  Knechte  verschaffen  wollten. 

Die  Rücksendung  des  Handwerksburschen  an  den  Ort  der 
Ausstellung  des  Wanderpasses  war  nicht  nur  zur  Vermeidung  weit- 
läufiger Ermittelungen  über  die  Heimat  des  Betreffenden  angeordnet, 
sondern  man  wollte  dadurch  auch  vermeiden,  daß  die  Erteilung  von 
Pässen  als  ein  Mittel  zur  Entfernung  lästiger  Subjekte  be- 
nutzt wurde.  War  dieser  Ort  der  Ausfertigung  des  Passes  nicht  auch 
zugleich  Heimatsort,  so  verstand  es  sich  von  selbst,  daß  der  Wandernde 
demnächst  dahin  verwiesen  werden  konnte  (Min.Reskr.  v.  23.  Juli 
1833  1).  Aus  diesem  Grunde  erschien  es  wünschenswert,  daß  die  aus- 
stellende Behörde  stets,  ev.  durch  Korrespondenz  mit  der  Heimats- 
behörde, die  heimatlichen  Verhältnisse  des  Handwerksburschen  vorher 
feststellte  und  letzteren  so  lange  zurückhielt,  damit  später  nicht 
Umständlichkeiten  und  unnütze  Kosten  erwüchsen 2). 

Eine  Folge  der  Kabinetsordre  vom  1.  August  1831 ,  welche  eben 
bezweckte,  daß  nur  solche  Gesellen  das  Wandern  betrieben,  die  im 
Besitze  genügender  Geldmittel  waren  und  daher  weder  ihren  Gewerbs- 
genossen noch  anderen  zur  Last  fielen,  war  es,  daß  nunmehr  die  mit 
der  Wanderpflicht  in  Zusammenhang  stehende  Verbindlichkeit  zur 
Verabreichung  von  Unterstützungen  an  Wanderburschen 
wegfiel.  Die  fernere  Aufrechterhaltung  dieses  Zwanges  würde,  wie 
ein  Minis  terialresk  rip  t  vom  30.  September  1833  3)  aus- 
führte, zur  Folge  gehabt  haben,  daß  auch  ferner  noch  mittellose  Ge- 
sellen zur  Wanderschaft  angelockt  wären  und  so  der  Erreichung  des 
beabsichtigten  wohlthätigen  Zweckes  zum  Nachteile  der  Gewerbe- 
treibenden störend  entgegengewirkt  hätten.  Ein  späterer  Erlaß  vom 
27.  Mai  1834 4)  lehnt  eine  Abänderung  der  Bestimmungen  ab,  da 
etwa  dadurch  eintretende  Verlegenheiten  durch  die  von  fast  allen 
Provinzialbehörden  anerkannten  wohlthätigen  Folgen  aufgewogen  wür- 
den. Namentlich  die  Vorschrift,  daß  niemand ,  der  bereits  das  30. 
Lebensjahr  überschritten  oder  schon  vorher  5  Jahre  gewandert  habe, 
einen  Wanderpaß  erhalten  solle,  sei  sehr  mit  Vorbedacht  erlassen, 
weil  der  eigentliche  Zweck  der  Wanderschaft,  die  Vervollkomm- 
nung im  Gewerbe,  nur  bei  jüngeren  Handwerksgesellen  vorausge- 
setzt und  erreicht  werden  könne,  während  bei  den  älteren,  wie  die 
Erfahrung  lehre,  das  fortdauernde  Wandern  ebenso  oft  die  Ursache 
als  die  Folge  einer  vorherrschenden  Neigung  zum  müßigen  Umher- 
treiben sei.  Als  in  demselben  Jahre  Mühlenbesitzer  darum  eiukamen, 
die  Müllergesellen  von  dieser  Vorschrift  zu   dispensieren,   wurde   dies 


1)  Ebenda  Bd.  XVII,  S.  508. 

2)  Ebenda  Bd.  XVTI,  S.  797. 

3)  Ebenda  Bd.  XVII,  S.  800. 

4)  Ebenda  Bd.  XVIII,  S.  519. 


508  Kurt  von  Rohrscheidt, 

durch  Ministerialerlaß  vom  6.  Oktober  1834  l)  rundweg  ab- 
geschlagen, weil  gerade  die  Gehilfen  dieses  Gewerbes  die  Befugnis 
zum  Wandern  mißbrauchend,  in  großer  Anzahl  das  Land  durchzögen 
und  belästigten. 

Zum  Schlüsse  dieses  Abschnitts  wollen  wir  in  Kürze  die  Hoff- 
mann'schen  Vorschläge  zur  Wiederbelebung  der  Handwerke  an- 
führen, welche  um  so  interessanter  sind,  als  sie  sich  mit  Bestrebungen 
der  Gegenwart  berühren.  Achtbare  Gewerke,  so  meint  der  geist- 
volle Theoretiker,  der  aber  alle  seine  Theorien  auf  gründlichen  prak- 
tischen Erfahrungen  aufbaute2),  seien  vor  allem  der  einzige  sichere 
Grundstein  einer  achtbaren  Zunftverfassung.  Letztere  könne  da  nicht 
vorhanden  sein,  wo  nur  eine  sehr  geringe  Anzahl  an  Kenntnissen 
und  Vermögen  gleich  dürftige  Handwerker  ein  Gewerk  bildeten.  Sollte 
das  Innungswesen  vom  Verfall  zu  einem  würdigeren  Leben  gerettet 
werden,  so  wäre  es  unerläßlich,  die  Wirksamkeit  dieser  großen 
Anzahl  kraftloser  Gewerke  gänzlich  aufzuheben  und 
Korporationen  dagegen  einzusetzen,  welche  eine  bessere 
Stellung  im  bürgerlichen  Leben  behaupten  könnten.  Freilich  scheine 
es  bedenklich,  alle  diejenigen  Gewerke  sofort  aufzuheben,  denen  es  an 
Kräften  fehle,  sich  in  eine  solche  Korporation  zu  verwandeln,  denn 
viele  besäßen  ein  Eigentum,  das  nicht  sogleich  nach  seinem  wahren 
Werte  veräußert  werden  könne,  andere  hätten  Schulden,  die  nur 
allmählich  abzutragen  seien,  wieder  anderen  liege  die  Unterhaltung 
gemeinnütziger  Anstalten  ob,  die  nicht  ohne  Vorbereitung 
oder  Ersatz  aufgehoben  werden  dürften,  und  so  habe  jeder  einzelne 
dieser  Fälle  eine  eigentümliche,  sorgfältige  Behandlung  nötig.  Sicherer, 
wenn  auch  langsamer,  werde  die  Verbesserung  des  Zustandes  der  zünf- 
tigen Handwerker  erreicht,  wenn  den  aufzulösenden  Gewerken  zunächst 
nur  die  Befugnis  entzogen  würde,  das  Meisterwerk  zu  ver- 
leihen und  neue  Mitglieder  aufzunehmen.  Während  ein 
solches  Gewerk  auf  diese  WTeise  allmählich  aussterbe,  setzten  sich  neue 
Meister  nur  mit  Genehmigung  der  Ortsbehörde  an,  und  der  veränderte 
Zustand  des  Handwerks  werde  so  allmählich  eingeleitet.  Gewerke,  welche 
bedeutend  genug  seien,  um  in  verbesserter  Gestalt  erhalten  und  selbst 
mit  größeren  Befugnissen  ausgestattet  zu  werden,  müßten  eine  be- 
trächtliche Anzahl  selbständiger  Mitglieder  haben,  die  an  sich 
um  so  kleiner  sein  könne,  je  angesehener  und  vermögender  die  ein- 
zelnen Meister  wären.  Hoffmann  will  bei  den  so  verschieden  gearteten 
Gewerksverhältnissen  keine  bestimmte  Anzahl  vorschlagen,  stellt  aber 
in  Frage,  ob  etwa  24  selbständige,  vom  Betriebe  ihres  Gewerbes 
wirklich  lebende  Meister  als  Mindestzahl  genügen  dürften.  Im  allge- 
meinen sollten  die  Mitglieder  eines  Gewerks  auch  Mitglieder  einer 
Ortsgemeinde  sein.  Handwerke,  welche  nur  auf  zerstreut  im  Lande 
umherliegenden  Anstalten  betrieben  werden  könnten,  wie  z.  B.  die 
Müllergewerke,  würden   allerdings,  falls   auf  dieser  Regel  streng  be- 


1)  Kamptz'  Annalen,  Bd.  XVIII,  S.  1104. 

2)  Hoffmann,  Befugnis  z.  Gewerbebetrieb,  S.  153  ff.,  S.  206  ff. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  509 

standen  würde,  fast  niemals  Korporationen  bilden  können.  Da  jedoch 
für  diese  ein  Verband  besonders  nützlich  wäre,  so  sei  als  Ausnahme 
den  etwa  einen  landrätlichen  Kreis  bewohnenden  Meistern  die  Ver- 
einigung in  eine  Korporation  zu  gestatten. 

Solchen  Korporationen  will  Hotfmann  ein  besonderes  Beglau- 
bigungsrecht in  Gewerksangelegenheiten  beilegen,  sie  sollten  für 
Verwaltungsbehörden  und  Gerichte  Gutachten  abgeben.  Ferner  ge- 
steht er  ihnen  ein  schiedsrichterlichesErkenntnis  in  Streitig- 
keiten ihrer  Mitglieder  unter  sich  oder  mit  ihren  Gehilfen  und  Lehr- 
lingen in  Gewerbesachen  zu,  überträgt  ihnen  die  Fürsorge  für  die 
Witwen  und  Waisen  der  Korporationsangehörigen  und  die  Er- 
haltung milder  Stiftungen  zu  Gunsten  der  Gewerbsgenossen. 
Um  diesen  Verpflichtungen  vollständig  zu  genügen,  müsse  außer  Zweifel 
sein,  daß  die  Mitglieder  rechtliche  und  mit  angemessenen  Kenntnissen 
versehene  Männer  wären.  In  Bezug  hierauf  gebühre  ihnen  die  Be- 
fugnis, nach  zweckmäßiger  Prüfung,  namentlich  nach  Vorlegung  eines 
probehaltigen  Meisterstücks,  das  Meisterrecht  zu  erteilen. 
Dieses  Recht  solle  einen  Anspruch  zur  Aufnahme  in  die  Korpo- 
ration bez.  einer  andern  inländischen  Korporation,  an  deren  Sitze  sich 
der  Inhaber  niederlassen  wolle,  verleihen.  Wer  das  Meisterrecht  be- 
sitze, sei  befugt,  möge  er  nun  Mitglied  einer  Gewerbskorporation  ge- 
worden sein  oder  nicht,  seine  Lehrlinge  nach  beendeter  Lehrzeit  einer 
solchen  Korporation  zur  Prüfung  vorzustellen,  um  ihnen  ein  Zeugnis 
über  ihre  Fertigkeiten,  also  einenLehrbrief,  zu  verschaffen.  Letz- 
terer diene  seinem  Inhaber  innerhalb  des  ganzen  Staates  zum  Beweise, 
daß  er  zum  Dienste  als  Geselle  gehörig  vorbereitet  sei.  Bei  Ver- 
leihung des  Meisterrechts  könne  es  nur  auf  eine  Entscheidung 
darüber  ankommen,  ob  hinlängliche  Gewerbskenntnis  vor- 
handen sei,  dagegen  bleibe  es  gleichgültig,  auf  welchem  WTege 
dieselbe  erlangt  worden.  Aber  keiner  Korporation  dürfe  gestattet 
werden,  jemanden  zur  Bewerbung  um  das  Meisterrecht  zuzulassen, 
der  einen  anstößigen  Lebenswandel  führe  oder  sich  durch 
schlechte  Handlungen  öffentliche  Verachtung  zugezogen  habe. 
Hoflfmann  glaubt,  daß  in  den  Vorrechten,  welche  die  Handwerker- 
korporationen auf  diese  WTeise  erhielten,  Reiz  genug  liege,  die 
Aufnahme  darin  nachzusuchen,  daß  ihnen  ferner  ein  hinreichender 
Einfluß  damit  zugewiesen  wäre,  um  alles  das  Gute  zu  bewirken, 
was  die  Zunftverfassung  zu  schaffen  versuche,  und  daß  dennoch  auch 
Freiheit  genug  bleibe,  um  den  üblen  Folgen  von  Anmaßung  vor- 
zubeugen, welche  von  den  gewerblichen  Korporationen  mißbräuchlich 
versucht  werden  könnte.  Menschen,  welche  mit  Neigung  und  Kenntnis 
an  gleichen  Orten  das  gleiche  Gewerbe  ausübten,  würden  sich  einander 
so  nahe  gebracht,  daß  sie  sich  entweder  freundlich  oder  feind- 
lich berührten.  Es  müsse  daher  jeder  Regierung  angelegen  sein,  gute 
Beziehungen  unter  den  Gewerbetreibenden  derselben  Art  hervorzurufen 
und  sorgsam  zu  pflegen,  Anlaß  zu  Zwiespalt  hinwegzuräumen  und  offenen 
Hader  oder  heimlichen  Haß  nirgends  aufkommen  zu  lassen.  Hierin 
liege  ein  Grund,  Genossenschaften,  welche  sich  unter  Gewerbe- 


510  Kurt  von  R o  hrsch eidt , 

treibenden  derselben  Art  bildeten,  zu  begünstigen  und  beson- 
ders zur  Veredlung  der  Mittel  zu  benutzen,  wodurch  jeder  einzelne 
Teilnehmer  seinen  Erwerb  zu  vermehren  trachte.  Hieraus  folge  in- 
dessen keineswegs,  daß  für  jedes  Gewerbe  zunftartige  Verbände 
mit  ausschließlichen  Berechtigungen  gebildet  werden  müßten.  Wo  nicht 
besondere  Verhältnisse  vorlägen,  wirkten  freieVereine,  denen  bei- 
zutreten niemand  genötigt  sei,  viel  wohlthätiger.  Solche  Vereine, 
welche  sich  nach  den  wechselnden  Bedürfnissen  bildeten  und  auflösten, 
zeitweise  neue  Mitglieder  aufnähmen  und  alte  entließen,  anerkannt 
Besseres  freudig  ergriffen  und,  was  sich  nicht  als  tüchtig  bewähre, 
willig  aufgäben,  seien  ganz  besonders  geeignet,  den  Fortschritten 
an  Kenntnis  und  Bildung  Bahn  zu  brechen,  Verirrungen  des  Gewerbe- 
fleißes vorzubeugen  und  unedle  Richtungen  desselben  durch  zeitiges 
Ausscheiden  auf  unbedeutenden  Erfolg  zu  beschränken.  Gemeinsame 
Anstalten  zur  Verbreitung  von  Kenntnissen,  zu  milden  Zwecken,  zur 
Förderung  einer  anständigen  Geselligkeit  seien  die  natürlichen 
Mittelpunkte  solcher  Vereinigungen.  Die  Regierung  möge  zunächst 
durch  den  Vorstand  der  Orts-  und  Kreisgemeinden  die  Freiheit  hierin 
überall  aufrecht  erhalten ,  der  Zucht  der  öffentlichen  Meinung  Unbe- 
fangenheit und  Achtung  sichern,  und  entschiedener  Unsittlichkeit  und 
Unlauterkeit  strengstes  Beharren  auf  Recht  und  Ehre  ent- 
gegensetzen: dann  aber  ohne  Aengstlichkeit  und  übereiltes  Einmischen 
der  Macht  des  gesunden  Verstandes  und  der  guten  Natur  freier  und 
glücklicher  Menschen  vertrauen.  Was  in  Berlin  infolge  der  Einholung 
des  Königs  und  der  Huldigung  im  Herbste  des  Jahres  1840  durch 
gewerbliche  Genossenschaften  bewirkt  worden  sei,  möge  als 
Beispiel  einer  glücklichen  Benutzung  der  Kräfte  solcher  Vereine  in 
gesegnetem  Andenken  bleiben,  aber  es  möge  auch  nie  gemißbraucht 
werden,  um  darauf  eine  Verteidigung  unhaltbarer  Mißbräuche 
und  dem  Aufblühen  der  Gewerbsamkeit  feindseliger  Anstalten 
zu  gründen. 

IV.  Abschnitt. 

Die  Wünsche  der  Handwerker;  Aufgaben  und  Pflichten 
der  Innungen  in  der  Gegenwart. 

In  meinen  früher  in  dieser  Zeitschrift  veröffentlichten  Aufsätzen  *) 
sind  in  ausführlicher  Weise  die  Gründe  dargelegt,  weshalb  in  Preußen 
zu  Anfang  dieses  Jahrhunderts  die  alte  Zunftverfassung,  das  Innungs- 
wesen alsZwangsanstalt,  fallen  mußte.  Solange  die  Zünfte  des 
Mittelalters  von  sozialer  Bedeutung  waren,  solange  nicht  nur  das  Stadt- 
regiment, sondern  selbst  die  Staatsgewalt  mit  ihnen  als  einer  ansehn- 
lichen Macht  zu  rechnen  hatte,  waren  sie  ein  Gebilde  von  Saft  und 
Kraft.  Nicht  nur  allein  von  dem  Streben  nach  Erwerb  und  Gewinn 
erfüllt,    waren  sie  sich   ihrer   bürgerlichen  Aufgabe  voll   bewußt.    Sie 


1)  Dritte  Folge,  Bd.  V,  Heft  3.  4.  5  u.   6  dieser  Jahrbücher:    Kurt  v.  Rohrscheidt, 
Unter  dem  Zunftzwange  in  Preufsen  während  des  18.  Jahrhunderts. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  511 

fühlten  sich  als  Repräsentanten  des  ehrbaren  und  wohlhäbigen  Bürger- 
turas, und  wenn  sie  trotzig  den  starken  Nacken  hoben  gegen  das 
städtische  Regiment,  gegen  Rittertum  oder  bischöfliche  Gewalt,  so  er- 
füllten sie  im  Haushalte  des  14.,  15.  und  16.  Jahrhunderts  ihre  Mission 
und  brachten  die  Städte  in  Flor  und  Blüte.  Der  vielverzwei^te  Bund 
der  Zünfte  ragte  weit  über  die  einzelnen  Staatswesen  Deutschlands 
hinaus,  ja  erstreckte  sich  in  das  deutsche  Ausland  und  bildete  einen 
eigentümlichen  Organismus  in  und  neben  dem  Staate.  Freilich,  das 
Bewußtsein  der  inneren  Kraft,  das  Gefühl  der  eigenen  Bedeutung  ver- 
führte die  Zünfte  nicht  selten  zu  offenem  Widerstand  gegen 
die  Staats-  und  Reichshoheit,  namentlich,  wenn  es  sich  um  Wahrung 
ihrer  Sonderstellung,  ihrer  Bräuche  und  Eigentümlichkeiten  handelte. 
Solche  Widersetzlichkeit,  die  sogar  in  Tumult  und  Aufruhr  ausartete, 
wurde  um  so  gefährlicher,  je  mehr  die  Staatsregierungen  erstarkten 
und  in  Erfüllung  ihrer  Aufgaben  das  natürliche  Bestreben  zeigten,  die 
Interessen  aller  Staatsbürger  miteinander  in  Einklang  zu  bringen, 
also  die  früher  notwendig  gewesene  besondere  Bevorzugung  ein- 
zelner Klassen  derselben,  soweit  sie  für  andere  zu  einem  Druck 
und  einer  Gefahr  wurde,  nach  Möglichkeit  abzuschwächen.  Namentlich 
begann  auch  eine  Anschauung  zum  Durchbruch  zu  kommen,  die  man 
in  der  Neuzeit  eine  sozialpolitische  nennen  würde,  daß  es  nämlich 
angezeigt  sei,  nicht  nur  im  allgemeinen  das  Publikum  gegen  zu  hohe 
Warenpreise  zu  schützen,  sondern  insbesondere  im  Interesse  der 
Armen  eine  übermäßige  Verteuerung  der  notwendigen  Lebensbedürf- 
nisse, also  in  erster  Linie  des  Brotes  und  des  Fleisches,  zu 
verhindern.  Diese  Auffassung  ließ  zunächst  die  obrigkeitlichen  Preis- 
festsetzungen und  endlich  das  große  System  der  Polizeitaxen  ent- 
stehen, welches  sich  über  den  ganzen  gewerblichen  Verkehr,  über 
Waren  wie  Lohnverhältnisse  ausbreitete.  Wenn  man  einen  Beweis 
dafür  brauchte,  daß  das  bloße  Erwerbsleben  auf  die  Dauer  ebenso- 
wenig im  stände  ist,  eine  ganze  Gesellschaftsklasse  wie  einen  einzelnen 
Menschen  auf  der  Höhe  seiner  Aufgabe  zu  erhalten,  so  würde  die 
Geschichte  der  Zünfte  uns  diesen  Beweis  nicht  schuldig  bleiben.  Sie 
belegt  von  neuem  die  Wahrheit,  daß  nur  die  idealen  Güter,  nur 
das  Bewußtsein  einer  großen,  nicht  rein  materiellen  Bestimmung,  nur 
der  Gedanke  der  Pflichterfüllung  gegen  die  Mitmenschen,  gegen  Fa- 
milie oder  Volk,  dem  Individuum  sowohl  wie  einem  ganzen  Stande 
den  innern  Halt  giebt  durch  das  Leben,  wie  durch  die  Jahrhunderte 
hindurch.  Dieser  sittliche  Kern  begann  bei  den  Zünften  zu  faulen, 
als  sie  keinen  Beruf  nach  außen  mehr  zu  erfüllen  hatten ,  da  die 
Staatsgewalt  stark  genug  wurde,  ohne  die  eigenmächtige 
und  eigenwillige  Hilfe  diesen  Korporationen  ihrer  Bestimmung  gerecht 
zu  werden.  Die  Zünfte  verstanden  es  nicht,  sich  in  die  neue  Wen- 
dung zu  schicken ,  ihren  inneren  Beruf  zu  erfassen ,  und  so  kam  es, 
daß  sie  sich  bald  überall  in  Gegensatz  zur  Staatsordnung  brachten, 
daß  sie,  statt  hilfreich  und  förderlich  in  der  Entwickelung  des  Ganzen 
zu  sein,  zum  steten  Hemmschuh  wurden. 

Je  mehr  die  alten  Zünfte  an  idealen  Werten  verloren,  um  so 


512  Kurt  von  kohrscheidt, 

mehr  zogen  sie  sich  zurück  auf  das  Gebiet,  welches  ihnen  nun  allein 
noch  verblieb,  auf  den  nüchternen  Boden  des  Egoismus.  Ihre 
Selbstsucht  wuchs  iu  erschreckender  Weise,  und  bald  begannen  unter 
derselben  nicht  nur  die  Konsumenten,  sondern  auch  die  eigenen  Ge- 
nossen, sowie  das  Handwerk  selbst  zu  leiden.  Die  Innungen  setzten 
die  Preise  für  ihre  Waren  genau  fest  und  banden  an  deren  Einhal- 
tung die  einzelnen  Meister.  Letztere  konnten  sich  dieser  Anordnung 
nicht  entziehen,  wenn  sie  nicht  Gefahr  laufen  wollten,  wegen  dieser 
Sünde  gegen  den  Zunftgebrauch  für  unehrlich  erklärt  zu  werden 
und  künftig  weder  Gesellen  noch  Lehrlinge  zu  erhalten,  also  der 
Verkümmerung  und  dem  schließlichen  Ruin  anheimzufallen.  Dem  Pub- 
likum half  keine  Klage  gegen  solche  Teuerung,  denn  es  war  ja 
genötigt,  lediglich  bei  zünftigen  Meistern  seine  Bedürfnisse  zu  be- 
friedigen, und  nur  bei  einem  geringen  Teile  des  Haushaltsbedarfes 
konnte  wohl  gewartet  werden,  bis  ein  Markt  oder  eine  Messe  Ge- 
legenheit zu  Einkäufen  bot,  die  wenigstens  in  gewissem  Maße  den 
Vorteil  einer  wenn  auch  beschränkten  Konkurrenz  genossen.  Und  selbst 
wo  Taxen  bestanden,  halfen  dieselben  meist  nicht  viel,  da  die  Meister 
sie  entweder  zu  umgehen  wußten  oder  es  verstanden,  bei  ihrer  Auf- 
stellung eine  für  sie  günstige  Norm  zu  erwirken.  Die  Taxen  waren 
daher  gewöhnlich  höher,  als  die  Preise  bei  einer  freien  Konkurrenz 
sich  gebildet  haben  würden.  Unter  diesem  Zwange  litt  auch  der 
Rechtszustand  des  Staates  selbst,  denn  in  dem  Bestreben,  billigere 
Waren  zu  erhalten,  begünstigten  die  Abnehmer  das  Emporkommen 
des  an  sich  verbotenen  Pfuschertums.  Sie  gaben  ihre  Aufträge 
und  Bestellungen  heimlich  an  sogenannte  Pfuscher  und  Störer, 
die  die  Waren  fertigten,  ohne  als  unzünftige  und  vielleicht  nicht  ein- 
mal handwerksmäßig  ausgebildete  Leute  dazu  berechtigt  zu  sein. 
Diese  Pfuscher  rekrutierten  sich  gewöhnlich  aus  Gesellen,  die  bei 
der  Ueberzahl  der  Meister  nie  hoffen  durften,  je  einmal  einen  selb- 
ständigen Gewerbebetrieb  zu  beginnen  oder  aus  solchen  Gehilfen, 
welche  sich  gegen  den  Zunftgebrauch  als  solche  verheiratet 
hatten  und,  nun  mit  dem  Makel  der  Unehrlichkeit  behaftet,  weder 
von  einem  Meister  Arbeit  erhielten  noch  selbst  Meister  werden  konnten, 
aber  doch  eine  Familie  zu  ernähren  hatten.  Die  Zünfte  boten  freilich 
alles  auf,  diesen  heimlichen  Gewerbebetrieb  zu  stören,  die  wegen  ihrer 
Billigkeit  nicht  ungefährliche  Konkurrenz  zu  vernichten.  Sie  erlaubten 
sich  eigenmächtige  Gewaltthätigkeiten  gegen  die  Pfuscher, 
so  sehr  auch  die  Gesetze  solche  Selbsthilfe  verboten,  und  schädigten 
dadurch  wieder  die  Rechtsordnung  des  Staates.  Alle  obrigkeitlichen 
Mahnungen  und  Drohungen  konnten  die  Bitterkeit  nicht  tilgen,  mit 
welchem  die  Zünfte  heimlich  und  öffentlich  ihre  Mitbewerber  ver- 
folgten. 

Ebenso  wie  die  Innungen  sich  in  einen  Gegensatz  zu  den  Interessen 
des  Publikums  setzten,  ebenso  mehrte  sich  ihr  Egoismus,  ihr  Brotneid 
gegen  den  Andrang  anderer  zum  selbständigen  Gewerbebetrieb. 
Es  ist  ein  ganzes  scharfsinniges  System  von  Bedrückungen,  Aus- 
saugung  und:_ Schikanen,    durch  welches  jemand  abgeschreckt  werden 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  513 

sollte,  in  den  Zunftverband  einzutreten  und  den  vorhandenen  Meistern 
und  ihren  Nachkommen  das  Brot  zu  kürzen.  Geradezu  unfaßbar  er- 
scheint es  uns  jetzt,  welchen  Quiilereien  sich  ein  junger  Mann  zu  unter- 
ziehen hatte,  der  ein  Handwerk  ergreifen  wollte,  unter  welchem  Bann  er 
stand,  ehe  er  das  ersehnte  Ziel  erreichte.  Da  wurde  die  Ehrlichkeit  und 
Reinheit  des  Handwerks  als  Vorvvand  gebraucht,  Söhnen  von  unehe- 
licher Geburt,  Kindern  von  Verbrechern  und  von  solchen  Eltern, 
deren  Stand  mit  einem  Makel  des  Vorurteils  behaftet  war,  den  Ein- 
tritt in  die  Zunftgenossenschaft  überhaupt  zu  versagen.  Dem  Auf- 
genommenen nahm  man  ein  hohes  Lehrgeld  ab,  legte  ihm  eine 
oft  übermäßig  lange  Lehrzeit  auf  und  verlängerte  letztere  noch 
ungebührlich,  wenn  der  Knabe  zu  arm  war,  um  das  gauze  Lehr- 
geld zu  entrichten.  Während  der  Lehrzeit  hatte  er  sich  manche 
Hänseleien  und  oft  eine  geradezu  grausame  Behandlung 
von  Meister  und  Gesellen  gefallen  zu  lassen,  er  wurde  nicht  selten 
mit  häuslichen  Verrichtungen,  häufig  auch  unwürdiger  Art, 
überbürdet,  und  wenn  er  endlich  losgesprochen  wurde,  zahlte  er  dafür 
hohe  Gebühren  und  gab  Trinkgelage  und  Schmausereien,  wie  sie  die 
Zunftsitte  oder  Unsitte  für  anständig  hielt.  Der  junge  Geselle 
mußte  bei  den  Zusammenkünften  aufwartende  Dienste  verrichten,  war 
überall  an  bestimmte  Formen  und  Formeln  bei  Ansprache  und 
Antwort  gebunden,  mußte  auch  auf  der  Wanderung  in  den  Her- 
bergen genau  den  vorgeschriebeneu  Handwerksgruß  bringen,  wollte 
er  nicht  Strafe  zahlen  oder  gar  an  den  Ort  seines  letzten  Aufenthalts 
zurückgeschickt  werden,  um  den  Gruß  von  neuem  und  richtig  zu  holen. 
Er  durfte  nicht  bei  einem  Meister,  der  in  Verruf  erklärt  war, 
Arbeit  nehmen,  wollte  er  nicht  selbst  in  Gefahr  kommen,  unehrlich 
zu  werden  und  die  Zunftgenossen  meiden  zu  müssen.  Er  hatte  die 
feindseligen  und  gehässigen  Gebräuche  zu  beobachten,  die 
ganz  verwandte  Gewerke  in  zwei  getrennte  Lager  schied ,  bloß  weil 
man  vielleicht  eine  bestimmte  Verfertigungsart  einer  Ware  aus  thö- 
richtem  Vorurteil  für  unpassend  hielt.  Er  durfte  sich  nicht  beikom- 
men lassen,  einen  Selbstmörder  abzuschneiden  oder  aus  dem  Wasser 
zu  holen  oder  ihn  zu  Grabe  zu  bringen,  wenn  er  diese  menschen- 
freundliche That  nicht  mit  den  Verlust  seiner  „Ehrlichkeit"  bezahlen 
wollte.  Wenn  seine  Mittel  ihm  nicht  erlaubten,  eine  Bankgerech- 
tigkeit zu  erwerben  oder,  wenn  er  wegen  Geschlossenheit  der  Zunft 
oder  Ueberfüllung  an  Meistern  nicht  daran  denken  konnte,  einen 
selbständigen  Gewerbebetrieb  zu  beginnen,  mußte  er  des  eigenen 
Hausstandes  entbehren.  Denn  wenn  er  sich  als  Geselle  verheiratete, 
traf  ihn  der  Fluch  der  Unehrlichkeit,  der  das  Zunftmitglied  überall- 
hin verfolgte,  wenn  es  nur  um  ein  weniges  von  den  Bräuchen  und 
Mißbräuchen  der  Gesellschaft  abwich.  Dagegen  mußte  er  an  vielen 
Orten ,  wenn  er  sich  um  die  Meisterschaft  bewarb  ,  dem  Gewerke  zu- 
gleich seine  künftige  Hausfrau  benennen  können.  Diese  in  ihrer 
ursprünglichen  Veranlassung  löbliche  Sitte  wurde  mit  der  Zeit  dadurch 
verwerflich,  daß  sie  Veranlassung  bot,  denjenigen  den  Eintritt  in  die 
Zunft   leicht  zu  machen ,   welche  eines   Meisters  Tochter  oder  Witwe 

Dritte  Folge  Bd.  VIIJ  (LXII1).  33 


514  Kurt  von  Rohrscheidt, 

ehelichen  wollten ,  anderen  dagegen  die  Aufnahme  noch  Möglichkeit 
zu  erschweren.  Waren  die  Gesellenjahre  endlich  überstanden,  das 
„Mutjahr"  abgearbeitet,  so  hatte  der  Geselle,  welcher  sich  selbständig 
machen  wollte,  ein  Meisterstück  zu  fertigen.  Dies  sollte  ursprüng- 
lich sowohl  von  der  Kunstfertigkeit  als  dem  Geschmack  des  jungen 
Handwerkers  Zeugnis  ablegen ,  später  aber  artete  diese  Prüfung  zu 
einer  raffinierten  Quälerei  des  Stückmeisters  aus.  Man  gab  ihm  auf, 
die  seltsamsten,  altertümlichsten  Gegenstände  anzufertigen,  die  ebenso 
ungeheuer  kostspielig  als  unverkäuflich  waren,  so  daß  der 
Bewerber  um  die  Meisterschaft  vielleicht  sein  ganzes  erspartes  Kapital 
daran  zusetzte. 

Eine  der  ergötzlichsten  Zunftschikanen  in  dieser  Hinsicht  erzählt 
Raum  er  in  seinen  Lebenserinnerungen  (Bd.  I,  S.  49  fi.),  und  zwar  aus 
seiner  Referendarzeit  in  Berlin.  Er  berichtet;  „Eines  Tages  erschien 
der  Altmeister  der  Maurerinnung,  um  Auskunft  über  die  Beschwerde 
eines  Gesellen  zu  erteilen.  Man  hatte  diesem,  als  er  sich  um  die 
Meisterschaft  bewarb,  aufgegeben:  er  solle  den  Plan  entwerfen  zu 
einem  Schlosse,  worin  drei  fürstliche  Familien  wohnen  könnten, 
ohne  sich  in  die  Quere  zu  kommen ;  und  zwar  solle  dies  Schloß  auf 
einem  P'ünfeck  erbaut  werden.  Der  Altmeister  konnte  die  Schikane 
nicht  leugnen ,  welche  in  der  Aufgabe  zu  Tage  lag,  schlug  aber  mit 
der  Hand  auf  seinen  Bauch  und  rief:  „Meine  Herren,  wir  Meister 
haben  nicht  das  liebe  Brot!"  Da  der  Mann  ungeheuer  dick  war,  ent- 
stand ein  ungeheures  Gelächter,  in  welches  er  zuletzt  einstimmte." 

Auch  bei  der  Anfertigung  des  Meisterstückes  war  der  Bedrückung 
Thür  und  Thor  geöffnet,  da  die  gemachten  Fehler  entweder  mit 
Geld  abgebüßt  werden  konnten  oder  die  Zurückweisung  zur  Folge 
hatten.  War  dieser  Engpaß  glücklich  zurückgelegt,  so  erwartete  den 
jungen  Meister  neue  Drangsal,  denn  während  er  vorher  die  beauf- 
sichtigenden Meister  gehörig  hatte  bewirten  müssen,  so  mußte  er  nun 
ein  Gelage  dem  ganzen  Gewerke,  den  sämtlichen  Meisterfamilien 
zurichten,  und  wie  manchem  Gesellen  sind  hierfür  die  letzten  Bar- 
mittel draufgegangen ,  die  er  zur  Ausstattung  und  Eröffnung  seiner 
Werkstatt  so  nötig  gehabt  hätte!  Wie  mancher  mag  mit  Schulden 
und  Seufzen  seiu  Handwerk  begonnen  haben,  weil  er  sah ,  daß  er  noch 
für  Jahre  hinaus  an  der  Last  zu  tragen  haben  würde.  Aber  dies  war 
ja  das  Ziel  der  ganzen  Bedrückung,  ein  junger  Meister  in  solchen 
ärmlichen  Verhältnissen  war  kein  gefährlicher  Konkurrent,  die  Menge 
der  Sorgen  und  der  Mangel  an  Betriebsmitteln  hielten  ihn  kräftig 
nieder.  Dagegen  wurde  den  Meistersöhnen  nach  jeder  Richtung 
der  Weg  geebnet,  ihnen  konnte  der  Lehrlingsstand  ganz  erlassen  werden, 
ihnen  wurden  überall  die  größten  Erleichterungen  zu  teil.  Man  sieht, 
die  Form  des  Zunftwesens  wurde  nach  und  nach  lediglich  auf  Sicher- 
stellung der  Meister  und  ihrer  Familien  zugehauen. 

Das  Schwinden  der  allgemein-sittlichen,  nicht  individuell-egoi- 
stischen, Triebkraft  mußte  einen  Rückgang  der  Handwerke  selbst  zur 
Folge  haben.  Die  Meister  hatten  ja  das  nur  auf  sie  angewiesene  Publi- 
kum völlig  in  der  Hand,  die  Bedürfnisse  des  Menschen  traten  ein, 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  515 

wiederholten  und  steigerten  sich  mit  der  Notwendigkeit  eines  Natur- 
gesetzes, und  zu  ihrer  Befriedigung  mußte  man  sich  an  die  zünf- 
tigen Gewerbetreibenden  wenden,  unter  denen  keine  große  Wahl  war. 
Was  Wunder,  wenn  ein  erheblicher  Prozentsatz  von  ihnen  es  bequemer 
fand,  die  bestellte  Arbeit  sowohl  zu  der  Zeit,  die  ihnen  paßte,  wie 
in  der  Güte,  die  sie  für  hinreichend  hielten,  zu  liefern,  als  die 
Wünsche  des  Auftraggebers  zu  berücksichtigen.  Letzterer  mußte  auch 
mit  geringerer  Qualität  unzufrieden  sein,  war  doch  keinerlei  Konkurrenz, 
in  welcher  der  Antrieb  zur  bestmöglichen  Befriedigung  des  Kunden 
liegt,  vorhanden.  Ja,  man  schränkte  selbst  auf  Messen  und  Märk- 
ten, die  doch  für  sie  einen,  wenn  auch  spärlichen  Ersatz  bieten 
sollten,  die  Freiheit  des  Einkaufens  öfter  noch  dadurch  ein,  daß  man 
zu  Beginn  des  Marktes  während  einer  gewissen  Zeit  nur  die  Orts- 
meister feilbieten  ließ.  Selbstverständlich  kam  nun  diesen  der 
erste  ungestüme  Andrang  der  Kauflust,  die  um  so  ungestümer  ist, 
weil  sie  fürchtet,  später  nicht  befriedigt  zu  werden,  allein  zu  gute. 
Auch  die  gegen  Ueberteuerung  des  Publikums  erlassenen  Preistaxen 
übten  wieder  ihren  Rückschlag  auf  die  Güte  der  Produkte.  Was  lag 
dem  Bäcker,  was  dem  Fleischer  an  der  Güte  seiner  Waren, 
da  sein  Verdienst  für  deu  Scheffel  Mehl  oder  für  jeden  Ochsen  genau 
feststand!  Und  was  hatte  wieder  der  Landmann  für  ein  Interesse, 
gutes  Schlachtvieh  aufzuziehen,  da  das  schlechte  und  geringe  minde- 
stens denselben  Absatz  fand!  Ebenso  stand  es  mit  den  Getränken. 
Mußte  es  dem  Brauer  nicht  ganz  gleichgültig  sein,  wenn  sein  Bier 
nur  eine  mittlere  Güte  gewonnen  hatte,  da  es  um  so  sicherer  getrunken 
wurde,  als  unter  der  Herrschaft  der  Zwangs-  und  Bannrechte  viel- 
leicht ein  ganzer  Distrikt  auf  seine  Produktion  angewiesen  war?  Ein 
weiteres  Hemmnis  in  der  Entfaltung  der  Handwerke  waren  die  be- 
stimmten Grenzen,  die  einem  jeden  gezogen  waren,  und  die  Eifer- 
sucht, mit  der  jedes  verwandte  Gewerk  ein  etwaiges  Ueberschreiten 
der  gezogenen  Schranken  belauerte.  Die  Begriffe  verkehrten  sich,  ein- 
ander nahestehende  Gewerke,  Nachbarn  im  gewerblichen  Sinne,  waren 
geborene  Feinde.  Dieser  an  sich  unnatürliche,  aber  durch  die  ganze 
Zunftorganisation  bedingte  Zustand  verwickelte  erklärlicherweise  die 
Gewerke  in  eine  endlose  Reihe  von  Streitigkeiten,  und  es  wird 
uns  als  Beispiel  berichtet1),  daß  in  Frankreich  die  Schneider 
und  Trödler  mehr  als  250  Jahre  über  die  Frage  prozessiert  hätten, 
welche  Kleider  zu  den  alten  und  welche  zu  den  neuen  zu  rechnen 
seien,  und  obgleich  darüber  vom  Jahre  1500 — 1776  etwa  30  000 
Erkenntnisse  gefällt  wären,  so  sei  der  Streit  auch  1776  noch  nicht 
entschieden  gewesen. 

So  verlor  sich  allmählich  die  einst  inhaltreiche  und  hochbedeutende 
Zunftverfassung  in  einem  Gewirr  von  Mißbräuchen  aller  Art,  gegen 
die  der  Staat  lange,  wenn  auch  vergeblich,  kämpfte.  Ein  Leben  ohne 
die  idealen  Güter  der  Vergangenheit,  nur  ausgefüllt  von  den  Regungen 


1)  Lotz,    Revision  der  Grundbegriffe   der  Nationalwirtschaftslehre  (Koburg  und  Leip- 
zig 1813)  Bd.  III,  S.  35,  Änm. 

33* 


516  Kurt  von  Rohrscheidt, 

des  Egoismus,  hatte  der  zünftige  Meister  zu  führen.  Läppisch  ge- 
wordenes und  oft  unchristliches  Ceremonienwesen  ohne  geistigen  In- 
halt zog  seine  nüchterne  und  drückende  Fessel  um  die  einzelnen  Mit- 
glieder des  Verbandes.  Die  früher  für  Geist  und  Gemüt  bedeutungs- 
vollen und  erhebenden  Formen  wurden  zu  banalen  Formeln  oder 
zur  gefährlichen  Hemmung  in  der  Entwickelung  der  Einzelnen  wie  des 
Ganzen.  Eine  unbehagliche  Stimmung  lag  über  der  gesamten  zünftigen 
Organisation.  Das  Standesgefühl,  das  Bewußtsein  der  Meister- 
ehre, nach  außen  hin  aufrecht  erhalten,  schwächte  sich  nach 
innen  und  daher  in  seinem  eigentlichen  Werte  ab.  Das  Gefühl  einer 
großen  Mission ,  einer  Bestimmung  für  die  Allgemeinheit ,  für  den 
Staat  ging  verloren,  und  der  reine  Erwerbstrieb,  der  sehr 
niedriger  Art  ist,  sobald  er  allein  den  Menschen  erfüllt,  beherrschte 
alle  Bewegungen  und  Bestrebungen.  So  kam  eine  Schlaffheit 
und  Lauheit  über  die  Innnngen,  wie  sie  bei  einem  Menschen  hervor- 
tritt, der  eine  Aufgabe  seines  Lebens  erfüllt  hat  und  die  Ziele  noch 
nicht  erkennen  kann,  für  welche  ihn  die  Zukunft  bestimmt  hat.  In 
dem  bald  leisen,  bald  stärkeren  Drängen  der  Staatsbehörden  zu  einer 
Reform  sahen  sie  nichts  weiter  als  einen  Angriff  auf  ihre  geheiligten 
Rechte,  als  einen  unerlaubten  Versuch,  sie  dem  Untergange  zu  weihen. 
Daher  hielten  sie  mit  einer  uns  fast  unverständlichen  Starrheit  an 
den  Traditionen  der  Vergangenheit  fest  und  glaubten  unter  dem  zer- 
fetzten Banner  ihrer  alten  Institution  auch  die  neuen  Kämpfe  sieg- 
reich auszufechten.  Aber  so  wenig  die  Ritterrüstung  des  Mittelalters 
vor  der  Waffe  der  Neuzeit  standhielt,  so  wenig  schützten  das  Zünftler- 
tum  seine  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  vererbten  Gewohnheiten  vor 
den  mit  Gewalt  sich  Bahn  brechenden  modernen  wirtschaftlichen  An- 
schauungen. 

Es  kam  hinzu,  daß  dem  Handwerk  immer  weniger  gesundes 
und  edleres  Blut  zufloß.  Die  Achtung  der  gebildeten  Stände 
fehlte  ihm,  und  so  zogen  diese  es  vor,  ihre  Kinder  lieber  anderen 
Berufsarten  zuzuwenden,  als  sie,  selbst  wenn  sie  besondere  Anlagen  für 
irgend  ein  Handwerk  zeigten,  den  Quälereien  und  der  Erniedrigung  einer 
zünf tierischen  Ausbildung  auszusetzen.  Auch  boten  die  Innungen, 
mochten  sie  nun  geschlossen  oder  nicht  geschlossen  sein ,  keine  Ge- 
währ dafür,  daß  der  junge  Mann,  wie  bereits  früher  ausgeführt  ist, 
zu  einer  naturgemäßen  Zeit  selbständiger  Meister  werden  konnte,  und 
ein  Leben  mit  einer  überlangen  Gesellenzeit  eröffnete  ihm  gerade 
keine  günstigen  Aussichten.  Es  war  aber  ganz  natürlich,  daß  eine 
Täuschung  über  die  Sicherheit  des  künftigen  Lebeusberufs ,  die 
geradezu  durch  die  Zunftverfassung  hervorgerufen  worden  war,  bei 
weitem  niederschlagender  und  gar  demoralisierender  auf  den  in  seiner 
Hoffnung  Betrogenen  wirken  mußte,  als  wenn  er  ohne  andere  Hoff- 
nungen als  die  auf  seine  eigene  Kraft  und  Tüchtigkeit  seine  Bahn 
allein  bestimmt  und  die  Gefahr  des  Gelingens  oder  des  Mißglückens 
selbst  auf  sich  genommen  hätte. 

Aber  trotz  alledem  war  der  Staat  mit  einer  übermäßigen  Geduld 
während  eines  langen  Zeitraumes  bemüht  gewesen,  erst  durch  einzelne 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang    und   Gewerbefreiheit.  517 

Verwaltungsakte,  dann  mittels  einer  durchgreifen  den  Reform 
(1732 — 1774)  die  alten  Zünfte  mit  ihren  Zwangsrechten  zu  er- 
halten. Es  stellte  sich  jedoch  bald  heraus,  daß  man  durch  Beschnei- 
den der  Auswüchse  nicht  den  siechen  Organismus  heilen  konnte.  Die 
Krankheit  steckte  im  Blute,  da  konnten  äußere  Mittel  keine  neue 
Lebenskraft  geben.  Auch  kein  Elixier  aus  der  Hand  des  Staates  wollte  sich 
als  Verjüngungstrank  erweisen,  der  alte  Zunftkörper  sank  unrettbar 
dahin,  und  der  Druck  der  Zeitumstände  traf  mit  der  neuen  Weltan- 
schauung zusammen  ,  ihm  das  Grab  zu  bereiten.  Dem  Anfang  dieses 
Jahrhunderts  schien  es  undenkbar,  daß  das  Handwerkswesen  in  neuer 
Gestalt,  eine  Geburt  der  neuen  Zeit,  sich  phöuixgleich  aus  der  Asche 
erheben  könnte.  Die  Behörden  betrachteten,  von  einem  kräftigen  Ueber- 
druß  an  allem,  was  Zunft  hieß,  erfaßt,  die  Innungen  als  abgethan 
und  überwunden,  und  die  Tendenz  der  Gesetzgebung  ging  auf  ihre 
völlige  Auflösung  hinaus.  Damals  schrieb  ein  Mitglied  der  Düssel- 
dorfer Regierung,  der  Regierungsrat  Freiherr  v.  Ulmenstein1):  „Wir 
haben  diese  Genossenschaften  ,  diese  Zünfte  gekannt,  wir  haben  unter 
ihnen  gelebt,  wir  haben  sie  in  ihren  mannigfaltigsten  Verzweigungen 
und  Gestaltungen  zu  beobachten  Gelegenheit  gehabt,  aber  wir  müssen 
doch  der  wohlbegründeten  Meinung  sein,  daß  sie  bloß  deshalb  vermißt 
werden,  weil  teils  die  Macht  der  Gewohnheit  sie  uns  befreundet, 
teils,  weil  seit  der  Zeit,  als  diese  Institute  aufgehört  haben,  zu  leben, 
manches  sich  ereignet,  manches  sich  neu  gebildet  hatte,  was  uns  fremd- 
artig und  selbst  lästig  und  unbequem  sein  mußte.  Wir  machten  als- 
dann den  Fehlschluß ,  daß ,  weil  beides ,  das  Aufhören  des  alten  und 
das  Eintreten  des  neuen  Verhältnisses ,  so  ziemlich  gleichzeitig  war, 
weil  das  Neue  gerade  die  Stelle  des  Alten  eiunahm,  nun  auch  zwischen 
beiden  eine  Kausalverbindung  vorhanden,  daß  von  Ursache  und  Wir- 
kung die  Rede  sein  müsse Jedes  Institut  von  historischer 

Begründung,  wie  die  Zünfte,  zerfällt  auch  in  der  Regel  mit  der 
Zeit,  welcher  es  seine  Bildung  verdankt.  Haben  die  Zwecke  aufgehört, 
so  bleiben  gewöhnlich  nur  die  Mißbräuche  übrig,  oder  diese 
bilden  vielmehr  ein  ganz  neues,  der  früheren  Bestimmung  ganz  frem- 
des Institut.  Wenn  der  Kern  der  Frucht  verschwunden  oder  von  dem 
Wurme  zernagt  ist,  so  braucht  die  Schale  nicht  länger  aufbewahrt  zu 
werden.  Daß  die  kriegerische  Bestimmung  der  Zünfte  aufgehört 
habe,  wird  uns  jeder  zugestehen,  die  frühere  gewerbliche  ist  auch 
nicht  mehr  vorhanden.  Die  Gewerbe  bedürfen  nicht  ferner  eines  be- 
sonderen Schutzes  in  der  Verbindung  ihrer  Genossen;  es  sind  keine 
Geheimnisse  mehr  zu  wahren,  kein  Gewerbe  ist  mehr  auf  mühsamem 
Wege  zu  erlernen.  Die  Theorie  jedes  Handwerkes  ist  längst  bekannt 
und  beschrieben,  und  es  kommt  nur  auf  die  Erlernung  der  mechani- 
schen Fertigkeiten,  der  Handgriffe  und  auf  die  Anwendung  der  Ma- 
schinen an.  Bloß  mit  dem  staatsrechtlichen  oder  staatswirtschaft- 
lichen Zwecke  wird  noch  ein  Spiel  getrieben,  durch  welches  gewisser- 


1)  Frhr.  v.  Ulmenstein,  Die  preufsische  Städteordnung  und  die  französische  Kommu- 
nalordnung (Berlin  1829),  S.  97  ff. 


518  Kurt  von  Rohrscheidt, 

maßen  in  die  gewerblichen  Verhältnisse  etwas  Aehnliches  gebracht 
werden  soll,  was  man  durch  die  veraltete  Rittertümlichkeit  des  Mittel- 
alters unter  den  höhereu  Ständen  wieder  einzubürgern  beab- 
sichtigt. 

Wir  möchten  vorab  bestreiten,  daß  das  genossenschaftliche 
Aneinanderschließen    Gewerbetreibender   ein    so    natürliches 
Bedürfnis  sei.     Das  Anschließen  des  Menschen  an  die  Familie,  an  die 
Kommune,  an  den  Staat  liegt  tief  in  ihm  begründet;   die  Natur,  die 
Religion  und   das  Bedürfnis,   seiner  höheren  Bestimmung   zu  genügen, 
drängen  ihn  hierzu ;  was  noch  dazwischen  eingeschoben  wird,  ist  Menschen- 
werk und  muß  besonders  in   unserer  Zeit   störend   und   hindernd  ein- 
wirken.    Es  ist  auch  durchaus  unwahr,  daß  die  meisten  und  wichtig- 
sten Gewerbe,  aller  Störungen  ohnerachtet,  in  einer  Verbindung  geblie- 
ben seien.     In  den  östlichen  Provinzen  des   preußischen  Staates 
wurden  die  Zünfte  gar  nicht  aufgehoben,  als  die  Staatsverwaltung  die 
Gewerbefreiheit  aussprach ;  sie  bestehen  noch  und  haben  gerade  durch 
ihr  Bestehen  der  guten  Sache   der  Gewerbefreiheit  sehr  gescha- 
det.    Im  Besitze  von  Vermögen,  Häusern,  gemeinschaftlichen  Kassen, 
Fundationen,  und  was  die  Hauptsache  ist,  im  Besitze  von  ausgebrei- 
teten Verbindungen  unter  sich,  üben  sie  noch  eine  sehr  große  Ge- 
walt über  diejenigen  Handwerker  aus,  welche,  ohne  ihnen  beizutreten, 
ein  Gewerbe   treiben   wollen.     Wir  können ,   auf  gute  Autoritäten  ge- 
stützt, hier  selbst  die  Stadt  Berlin  als  Beispiel   anführen.     Die  so- 
genannten Pfuscher,   deren  Zurückgehen  und  Verarmen  gewöhnlich 
als  ein  Beweis  gegen  die  Freiheit  der  Gewerbe  angeführt  wird,  sind 
häufig   durch   den   Zunftgeist   unterdrückte  Handwerker. 
Es  ist  daher  durchaus  nicht  befremdend,   daß  da,  wo  man  die  Zünfte 
nicht  aufhob,  wo  man  ihnen  sogar  die  W'afl'en  zum  Kampfe  gegen  die 
Gewerbefreiheit  belies,  die  Gewerbe  in  einer  Verbindung,  ähnlich  der 
früheren,  verblieben  sind.    In  den  westlichen  Provinzen   dagegen, 
wo  unter  der  französischen  Herrschaft  die  vollständige  Aufhebung  der 
Zünfte  erfolgte,   sind  auch  keine  Spuren    der  letzteren   zurückge- 
blieben, denn  die  Gesellenhandwerksladen,   welche  noch  in   mehreren 
Städten    des    vormaligen   Großherzogtums  Berg    bestehen,   und    woran 
alle  Gesellen   des  In-  und   Auslandes,   sie  mögen   zünftig   oder   nicht 
zünftig  sein,   teilnehmen,   und  die  damit  verbundeneu  Gesellenherbergen 
sind  durchaus  nicht   dahin   zu   rechnen.     Gerade  in   diesen  Provinzen 
war  auch  bereits   früher  teils   gar   kein ,    teils   ein   sehr  gemilderter 
Zunftzwang  vorhanden,  und  eben   diese  Freiheit  des  Gewerbes  hat  so 
wesentlich    zu    der    gewerblichen    Aufnahme    der    Grafschaft 
Mark    und   des   eigentlichen   Großherzogtums  Berg   beigetragen,    daß, 
wenigstens   in   der  früheren  Zeit,   man   sehr  wohl   diejenigen   Bezirke, 
in  welchen  die  meiste  Gewerbefreiheit  anzutreffen  war,  an  ihrer  indu- 
striellen Betriebsamkeit  und   der  Vorzüglichkeit  ihrer  Gewerbeerzeug- 
nisse erkennen  konnte.     Die  Grafschaft  Mark  hatte  noch  in  dem  letzten 
Jahrzehnte   des   vorigen  Jahrhunderts   geschlossene   Zünfte ,   und  das 
platte  Land  war  in  dieser  Beziehung  der  Städtetributär,  als  die  oberste 
Verwaltungsbehörde    mit   Zustimmung    der   damaligen    Landstände  es 


Vor-   und   Rückblicke  auf  Zunftzwang  und   Gewerbefreiheit.  519 

auswirkte,  daß  die  städtische  Thoraccise  der  Hauptsache  nach  auf- 
hörte, das  platte  Land  es  übernahm,  einen  bedeutenden  Teil  des  da- 
durch in  den  Landeskassen  entstehenden  Ausfalles  zu  decken  und  sich 
dadurch  Freiheit  des  Handels  und  der  Gewerbe  zu  erkaufen.  Noch 
nicht  sehr  lange  hatte  aber  diese  Einrichtung  bestanden ,  als  m;in 
schon  bei  vielen  Gewerben  die  geschickteren  Arbeiter  und  ein  reges 
gewerbliches  Leben  auf  dem  platten  Lande,  da  aber,  wo 
die  städtischen  Zünfte  noch  geblieben  waren ,  gerade  das  Gegenteil 
antraf.  Die  bereits  früher  begründeten  Fabrikenverhältnisse 
sind  hierbei  gar  nicht  in  Anschlag  gebracht  worden. 

Gegenseitige  Mitteilungen  über  Stand,  Fortschritte,  Hindernisse 
und  Bedürfnisse  des  Gewerbes  sind  durch  die  Zünfte  eher  gehemmt 
als  befördert  worden ;  Geheimniskrämerei,  Handwerksneid  und  ein  An- 
kleben an  den  alten  Formen  waren  die  charakteristischen  Kennzeichen 
der  Gilden  und  Innungen,  und  die  Geschichte  der  Gewerbe  hat  es 
erwiesen,  daß  gerade  diejenigen  Kunstfertigkeiten,  deren  Erlernung  und 
Betrieb  größtenteils  unabhängig  von  dem  Zunftverbande  war,  sich 
vorzugsweise  vervollkommnet  haben  oder  doch  wenigstens  nicht 
zurückgeblieben  sind.  Wir  wollen  als  solche  nur  die  Uhrmacher,  die 
Gold-  und  Silberarbeiter,  wenigstens  in  den  meisten  Städten,  und  die 
sogenannten  Mechaniker  —  Verfertiger  von  mathematischen  Instru- 
menten u.  s.  w.  —  hier  namhaft  machen.  Für  die  Kontrolle  der  Ge- 
sellen, für  die  Zurechtweisung  der  Faulen  und  Sittenlosen  war  auch 
nicht  zum  besten  gesorgt,  wenn  es  erlaubt  ist,  von  den  Her- 
bergsgelagen, von  den  blauen  Montagen,  dem  Fechten  und  Betteln  der 
Handwerksgesellen  und  dem  rohen  Pennalismus  —  wenn  wir  dies  Wort 
hier  gebrauchen  dürfen  —  welche  in  diesen  Verbindungen  herrschten, 
einen  Schluß  zu  ziehen.  Alle  diese  Ausgeburten  sind  eben  Schöpfungen 
der  Zünfte  und  konnten  nur  mit  diesen  fallen.  Die  Erziehung  durch 
die  Körperschaft  scheint  uns  die  mangelhafteste  zu  sein,  welche 
es  nur  irgend  geben  kann.  Durch  das  Leben  muß  der  Mensch  erzogen 
werden,  das  Leben  in  der  Körperschaft  ist  aber  kein  freies,  son- 
dern ein  höchst  befangenes  Treibhaus-  oder  Mistbeetleben.  Gesetz- 
mäßige Freiheit  in  dieser  Beziehung  ist  das  höchste  Gut  des  Menschen. 
Die  Geschichte  aller  enggeschlossenen  und  keine  freie  Bewegung  ge- 
stattenden Körperschaften,  sie  mochten  geistliche  oder  weltliche  sein, 
hat  gezeigt,  wohin  der  Geist  der  Klausur,  der  Geist  der  Kaste  führt: 
zur  Entnervung,  zur  Abstumpfung  des  Volkes 

Möge  doch  in  dem  Gebiete  der  staatswirtschaftlichen  Politik  nur 
immer  das  Klare,  das  Einfache,  das  Natürliche  und  Unverkünstelte 
seine  wohlerworbenen  Rechte  behaupten  und  das  Verkünstelte ,  Ver- 
schrobene und  in  ein  mataphysich-mystisches  Dunkel  Gehüllte  ver- 
drängen !  Die  neueste  Zeit  hat  uns  so  manches  wiedergebracht ,  was 
besser  der  Vergessenheit  übergeben  gewesen  wäre ;  wir  haben  uns  vor 
unserem  eigenen  Schatten  gefürchtet,  wir  haben  es  bitter  bereut,  ein- 
mal etwas  kühn  und  frei  gedacht  und  geschrieben  zu  haben,  wir  haltei. 
es  für  einen  Fieberparoxismus,  unsere  Vernunft  und  bloß  diese  ge- 
braucht zu  haben  !  .  . .  .   Das  heilige  Interesse  der  Menschheit  undades 


520  Kurt  von  Rohrscbeidt, 

Staates  bindet  inniger  als  eine  Zunft.  In  der  Stuben  luft  der  ge- 
schlossenen Korporation  artet  der  Mensch  aus,  er  bedarf  der  freien 
Luft,  des  Lichtes,  der  Wärme,  wenn  er  gesund  bleiben  soll.  Der 
Egoismus  der  Korporation  ist  der  furchtbarste ,  den  es  geben 
kann,  aus  ihm  ist  die  Intoleranz  aller  Jahrhunderte  hervorgegangen, 
Ströme  Blut  sind  durch  ihn  vergossen  worden;  durch  ihn  aufgereizt, 
hat  die  Inquisition  ihre  Scheiterhaufen  erbauet,  und  aus  seiner 
Hand  die  Mordfackel  empfangen,  um  Andersdenkende  dem  Feuertode 
zu  weihen." 

Aus  diesen  Worten  spricht  der  ganze  Widerwille,  den  die 
Behörden  aus  der  auf  Erfahrung  beruhenden  Ueberzeugung  gewonnen, 
daß  nämlich  alle  Reformversuche  nichts  genützt  hatten,  die  Zünfte  einer 
ihrer  Vergangenheit  würdigen  Zukunft  entgegenzuführen.  Man  betrach- 
tete es  vielmehr  noch  als  einen  großen  Fehler,  daß  die  Gesetzgebung 
von  1810  und  1811  nicht  das  ganze  Zunftwesen  mit  Stumpf  und  Stil 
vertilgt,  sondern  die  bestehenden  Innungen  neben  dem  freien 
Gewerbebetriebe  erhalten  hatte.  Bald  danach  änderte  sich  allerdings 
der  Standpunkt  erheblich,  als  man  sah,  daß  von  der  Auflösungs- 
befugnis, welche  den  Innungen  das  Gesetz  gab,  so  gut  wie  gar 
nicht  Gebrauch  gemacht  wurde,  als  die  Zünfte  ihre  Existenzberech- 
tigung zu  einer  Zeit  bewiesen,  da  der  Staat  sie  zu  vernichten  trach- 
tete. Man  kann  freilich  kaum  beurteilen,  wie  die  Verhältnisse  sich 
würden  gestaltet  haben,  wenn  im  ganzen  Staate  wie  in  den  westlichen 
Provinzen  die  alten  Verbäude  durchweg  beseitigt  worden  wären. 
Daß  man  die  alten  Zünfte,  wenn  auch  ohne  Zwangsrechte,  gleichwie 
eine  Erinnerung  an  die  Vergangenheit  und  eine  Ermunterung  für  die 
Zukunft,  bestehen  ließ,  gab  der  Situation  ein  eigentümliches,  etwas 
unklares  Gepräge.  Man  kann  nicht  wissen,  ob  die  Gewerbetreibenden 
sich  nicht  doch  in  den  neuen  Zustand  der  Dinge  hineingefunden  hätten, 
wenn  ihnen  nicht  immer  die  Wahrzeichen  der  alten  Zeit  vor  Augen 
standen.  Jedenfalls  lag  etwas  Widerspruchsvolles  in  der  Er- 
haltung der  bisherigen  Verbände  und  in  dem  Verbot  von  Neubildungen. 
Wenn  jene  dem  Staatswohle  nicht  gefährlich  waren,  was  sollten  neue 
Vereinigungen  schaden ,  da  man  ihnen  ja  die  drohende  Kralle  des 
Zwanges  beschnitten  hatte.  Man  kam  daher  bald  genug  zu  der  Ueber- 
zeugung, daß  diese  Inkonsequenz  abzustellen  und  die  Neugründung 
fakultativer  Innungen  zu  gestatten  sei.  Sah  man  doch  die 
Uebelstände,  welche  im  Gefolge  der  Gewerbefreiheit  eingezogen  waren, 
namentlich  Vagabundentum  und  vielfach  mangelnde  Ausbil- 
dung der  Lehrlinge  und  Gesellen.  Beide  Uebel  wären  voraussicht- 
lich von  den  Innungen,  auch  in  ihrer  loseren  Verbindung,  erheblich 
abgeschwächt  worden,  und  die  Pflege  der  Standesehre  und  des  berech- 
tigten Handwerksstolzes  konnte  in  ihnen  wieder  eine  Heimstätte  finden. 
Dies  war  die  veränderte  Stellung,  welche  schon,  wie  wir  bereits  früher 
ausgeführt  haben,  Hoffmann  einnahm,  als  er  vorschlug,  die  mit  nur 
einergeringenAnzahlvon  Meistern  besetzten  alten  Zünfte,  die 
bloß  als  ein  Ballast  für  das  Handwerk  erschienen,  aufzulösen,  dagegen 
neue,   größere   und   wohlhabende  Korporationen   aus   den 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  521 

Ortsmeistern  eines  Gewerbes  zu  bilden  und  ihnen  gewisse  wichtige 
schiedsrichterliche,  erzieherische  und  andere  Befugnisse  zuzuweisen. 
Er  nannte  solche  Verbände  jedenfalls  nur  deshalb  Korporationen  und 
nicht  Innungen,  um  den  Irrtum  zu  vermeiden,  daß  sie  wieder 
mit  Zwangsrechten  ausgestattet  werden  sollten.  In  der  späteren 
Zeit  ist  das  Innungswesen  von  neuem  mehr  und  mehr  in  die  Mitte  des 
Gewerberechts  eingerückt  und  zum  Kernpunkt  der  Gewerbegesetze 
geworden. 

Sehen  wir  uns  noch  kurz  die  jetzige  Gestaltung  des  Inuungs- 
wesens  an!  Was  Hoffmann  noch  1840  für  die  Innungen  wünschte 
und  zu  ihrer  Reformation  für  nötig  hielt,  genossenschaftliche  Verei- 
nigung, Zufluß  aus  den  gebildeten  Ständen,  das  Wohlwollen  der  Regie- 
rung, alles  das  haben  sie  jetzt  erreicht  und  genießen  die  Früchte 
davon.  Der  Zusammenschluß  in  neue  Verbände  ist  befördert,  und 
letztere  selbst  sind  mit  den  wertvollsten  Vorrechten  ausgestattet,  die 
Meister  vereinigen  sich  zu  gemeinsamer  Produktion  und  werden  da- 
durch leistungsfähig  selbst  gegenüber  dem  außerhalb  der  Innung  ste- 
henden Großkapital.  Das  Handwerk  steht  wieder  durch  seine  erwor- 
bene Bildung  und  Leistungsfähigkeit  hochgeachtet  da,  und  das  Wohl- 
wollen der  Regierung  für  dasselbe  ist  ein  unbestreitbares.  Auch  das 
Mißverhältnis  zwischen  der  Anzahl  der  Meister  und  Gesellen  ist  nicht 
mehr  von  der  Bedeutung,  wie  sie  noch  Hoffmann  erwähnen  mußte, 
seitdem  die  menschliche  Hilfe  und  Arbeitskraft  im  Kleinbetriebe  viel- 
fach durch  Maschinen  ersetzt  und  ergänzt  werden  kann.  Und 
doch  hat  sich  in  der  Lage  wenig  geändert!  Die  Klagen  des  Hand- 
werks sind  dieselben  geblieben  wie  ehemals,  und  wenn  die  Prophe- 
zeiungen, welche  bei  Erlaß  jedes  Gewerbegesetzes  im  Laufe  des  Jahr- 
hunderts ausgesprochen  wurden ,  sich  auch  nur  teilweise  bewahrheitet 
hätten,  so  wäre  das  Fahrzeug  des  Handwerks  längst  rettungslos  dem 
Abgrunde  zugetrieben.  Worau  liegt  es  also,  daß  alles  Wohlwollen 
des  Staats,  alle  genossenschaftlichen  Bestrebungen  so  rein  erfolg- 
los sollen  gewesen  sein?  Es  sind  zwei  Punkte,  auf  welche  sich  die 
Klagen  konzentrieren:  das  immer  noch  darniederliegende  St  and  es  - 
bewußtsein,  teilweise  resultierend  aus  einer  mangelhaften  Aus- 
gestaltung des  Lehrlingswesens,  und  der  nicht  genügende 
materielle  Gewinn  aus  dem  Handwerksbetriebe.  Daß  es 
notwendig  ist,  daß  es  auch  im  Gange  der  ganzen  Gesetzgebung 
liegt,  einesteils  dem  Meistertitel  wieder  zu  seinem  alten  Rechte 
zu  verhelfen,  andererseits  größere  Garantien  gegen  die  oft  oberfläch- 
liche, ja  gewissenlose  Ausbildung  der  Lehrlinge  zu  schaffen, 
muß  ohne  weiteres  zugestanden  werden.  Es  ist  auch  sicherlich  richtig, 
daß  der  Eintritt  in  die  Innung  Rechte  verleihen  muß,  welche  be- 
gehrenswert sind ,  damit  nicht  alle  kapitalkräftigen  Unternehmer, 
welche  den  Anschluß  an  einen  Verband  materiell  nicht  brauchen  und 
aus  Standesrechten  sich  nichts  machen,  außerhalb  der  Innung  bleiben. 

Wenn  aber  jetzt  darüber  Klage  geführt  wird,  daß  nicht  alle 
Handwerker  einen  ausreichenden  Gewinn  erzielen,  so  wird  das 
wohl  eine  Klage  sein,  die  in  Ewigkeit  nicht  verstummen  kann.     War 


522  'Kurt  von  Rohrscheidt, 

es  denn  zur  Zeit  der  alten  Zünfte  mit  ihren  gemeinsamen  Zwangs- 
rechten anders?  Man  lese  nur  die  Berichte  aus  dem  vorigen  und  zu 
Anfang  dieses  Jahrhunderts  über  die  Ueberfüllung  der  Gewerbe 
in  vielen  Städten.  Oft  war  nur  die  Hälfte  der  vorhandenen  Meister 
imstande,  sich  einigermaßen  von  ihrem  Gewerbe  zu  nähren,  während  die 
andere  Hälfte  Gesellendienste  verrichtete  oder  sich  als  gewöhnliche  Arbeiter 
verdung,  um  nur  ihre  Existenz  zu  fristen.  Wo  die  Zünfte  geschlossen 
waren,  da  wurde  allerdings  den  einmal  vorhandenen  Meistern  ein  ausgie- 
biges Einkommen  gesichert.  Wie  stand  es  aber  um  die  Gesellen,  die  in  das 
Mannesalter  eintraten  und  sich  vergeblich  nach  einer  offenen  Meister- 
stelle umsahen.  Sie  konnten  keinen  Hausstand  sich  schaffen,  zogen 
unstät  auf  der  Wanderschaft  umher  und  verlotterten  und  verbummelten. 
Die  besseren  trugen  die  Knechtschaft  langjährigen  oder  ewigen  Ge- 
sellentums  mit  sich  herum,  ohne  die  belebende  Aussicht,  das  Ziel  des 
normalen  Menschen,  die  Gründung  einer  Familie,  zu  erreichen.  Die 
kräftigsten  Elemente  befreiten  sich  auch  wohl  gewaltsam  von  der  nach- 
schleppenden Kette,  solche  Gesellen  verheirateten  sich  ;  und  da  sie  dann 
meist  kein  Unterkommen  bei  einem  Meister  fanden,  machten  sie  sich 
notgedrungen  kein  Gewissen  daraus,  ins  Handwerk  zu  pfuschen. 
Und  glauben  denn  die  Handwerker  Jetzt  ein  besseres  materielles 
Resultat  zu  erreichen,  wenn  alle,  welche  das  Gewerbe  betreiben, 
genötigt  würden,  in  die  Innung  einzutreten?  Würden  die  reichen  Meister 
nicht  immerfort  in  der  Lage  sein,  größere  Quantitäten  Rohmaterial 
anzukaufen,  mehr  Waren  auf  Lager  herzustellen  und  so  je  nach  den 
Konjunkturen  der  Zeitverhältnisse  besser  und  billiger  zu  verkaufen? 
Oder  denkt  man  etwa  auch  hier  wieder  an  die  alten  Zunftmittel:  Fest- 
setzung der  Warenpreise  für  alle  Mitglieder  und  Be- 
schränkung der  Produktion.  Möglich,  daß  auch  an  die  Wieder- 
einführung solcher  Unmöglichkeiten  geglaubt  wird!  Nein,  es  ist  auch 
den  heutigen  Innungen  der  Vorwurf  nicht  zu  ersparen,  der  ihnen  schon 
von  Hoflfmann  gemacht  wurde,  daß  sie  nur  ganz  unvollkommene  und 
dunkle  Begriffe  von  ihren  Pflichten  gegen  die  Ortsgemeinden  und 
gegen  den  Staat  besäßen,  derentwegen  ihnen  doch  eigentlich  nur  die 
Rechte  einer  Korporation  beigelegt  seien.  Wie  alle  anderen  Berufs- 
klassen und  Stände,  so  sind  auch  die  Handwerke  nur  insoweit  zu 
fördern,  als  letzteres  im  Interesse  des  Gemeinwohls  liegt. 
Nicht  um  einzelne  Personen  zu  begünstigen,  sondern  weil  es  für  den 
Staat  und  das  Volk  notwendig  war,  wohlhabende  und  den  Anforde- 
rungen der  Zeit  gewachsene  Bürger  zu  schaffen,  deshalb  gründete 
man  die  Zünfte,  gab  ihnen  ausschließliche  Berechtigungen,  Zwangs-  und 
Bannrechte  und  schränkte  sie  ein  auf  eine  bestimmte  Anzahl  von 
Meistern.  Es  ist  daher  eine  Phrase  und  nichts  als  eine  Phrase,  wenn 
jetzt  verlangt  wird,  das  Handwerk  den  Handwerkern  wieder- 
zugeben, es  heißt  dies  mit  anderen  Worten  nur,  das  Publikum  den 
Gewerbetreibenden  ohne  die  Schutzmittel  früherer  Jahrhunderte  auf 
Gnade  und  Ungnade  zu  überliefern.  Aber  wir  müssen  mit  gegebenen 
Größen  rechnen:  es  ist  eine  Thatsache,  daß  das  Handwerk  die  W  ieder- 
einführung    des    Zunftzwanges    verlangt     und     daß  letztere 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  523 

das  Ziel  der  ganzen  derzeitigen  Bewegung  ist.  Daß  der  Zunftzwang 
das  ganze  Heer  der  polizeilichen  Vorsichtsmaßregeln,  insbesondere  das 
ausgedehnteste  Taxwesen,  wohl  oder  übel  wieder  ins  Feld  rufen 
würde,  wird  zunächst  nicht  beachtet  und  soll  hier  auch  nur  angedeutet 
werden.  Alle  anderen  gewerblichen  Fragen,  so  wichtig  sie  an  sich 
sind,  wie  die  des  Befähigungsnachweises,  die  Errichtung  von 
Handwerkerkammern,  spielen  doch  nur  eine  Neben  rolle  gegen- 
über der  Hauptfrage  des  Zunftzwanges.  In  letzterem  würde  allerdings 
der  Befähigungsnachweis  von  selbst  enthalten  sein.  So  wünschenswert 
es  erscheint,  aus  Rücksichten  der  Allgemeinheit  für  gewisse  Ge- 
werbe, z.  B.  das  Baugewerbe,  den  Nachweis  der  zur  Ausübung  des- 
selben erforderlichen  Eigenschaften  zu  verlangen ,  namentlich  wo 
die  jetzige  Spekulation  häufig  nur  den  Verlust  fremden  Kapitals 
aufs  Spiel  setzt  und  dadurch  um  so  rücksichtsloser  wird,  so  wenig 
kann  der  Befähigungsnachweis  als  gewerbliche  Institution  durchweg 
zugestanden  werden.  Die  hierüber  gemachten  Erfahrungen  liegen  ja 
vor.  Es  würde  schon  seine  äußerlichen  Schwierigkeiten  haben,  bei 
dem  immer  häufigeren  Ineinandergreifen  verschiedener  H  mdwerke 
zur  Hervorbringung  eines  Produkts  den  Nachweis  der  Qualifikation 
zu  erbringen,  noch  mehr  aber,  die  Grenze  festzusetzen,  innerhalb  der 
er  gefordert  werden  könnte,  da  der  Meister,  der  auch  Arbeiten  eines 
anderen  Gewerbes  verrichtet,  dies  doch  nur  als  Hilfsgewerbe 
benutzt  und  nicht  alle  Produkte  desselben  anfertigt.  Andererseits 
darf  auch  nicht  die  Möglichkeit  verschlossen  werden,  daß  jemand,  der 
nicht  das  Handwerk  erlernt  hat,  aber  durch  Kapital  und  Unter- 
nehmungsgeist hervorragt,  Gesellen  oder  Meister  zur  Ausführung 
seiner  Ideen  in  seinen  Dienst  nimmt  und  so  vielleicht  nützliche  Er- 
findungen, deren  Ausführuns  dem  Handwerker  ein  zu  gewagtes  Unter- 
nehmen sein  würde,  zum  Vorteil  des  Publikums  verbreitet.  Die  Ge- 
schichte des  Zunftwesens  lehrt  auch  dem  ernsthaftesten  und  wahr- 
haftigsten Freunde  des  Handwerks  oder  vielmehr  gerade  ihm, 
daß  eine  Neubelebung  des  Zunftzwanges  sowohl  im  Interesse  des 
Publikums  wie  der  Innungen  selbst  außer  dem  Bereiche  der 
Möglichkeit  liegt.  Dagegen  ist  zu  wünschen  eine  fortdauernde  Kräfti- 
gung der  Innungen,  um  sie  lebensfähig  zu  erhalten  und  in  ihnen  den 
guten  alten  Geist  wieder  zu  wecken,  der  ursprünglich  in  ihnen 
lebendig  war,  und  der  unabhängig  ist  und  unabhängig  macht  von  dem 
Wandel  und  den  Einflüssen  der  Zeit,  den  Geist  der  Gottesfurcht,  der 
Vaterlandsliebe,  der  Meisterehre  und  des  Handwerkstolzes.  Möglich 
ist  es,  daß  das  jetzt  wieder  mächtig  auflebende  Standesbewußtsein 
künftig  in  diesem  Bette  ruhig  und  segenspendend  dahinfließen  wird, 
wenn  es  sich  erst  überzeugt  hat,  daß  es  ihm  nicht  gelingen  wird, 
die  von  der  Staatsgewalt  aufgerichteten  Dämme  zu  durchbrechen  und 
das  Land  feindselig  zu  überfluten. 

Das  Handwerk  steht  an  einem  Wendepunkte,  und  es  fragt  sich, 
ob  es  seine  Bestimmung  endlich  erfassen,  seine  neue  geschichtliche 
und  soziale  Aufgabe  erfüllen  oder  innerlich  zu  Grunde  gehen  will.  Das 
Tagelöhnern   um    den   täglichen  Erwerb  erfüllt   nicht   den  Beruf  eines 


524  Kurt  von  Rohrscheidt, 

ganzen  Standes,  und  so  wird  es  von  den  Innungen  und  nur  von  ihnen 
abhängen,  ob  man  auch  auf  sie  das  Wort  des  Dichters  anwenden 
kann:  „Neues  Leben  blüht  aus  den  Ruinen."  Als  nach  den  Reform- 
gesetzen im  Anfange  dieses  Jahrhunderts  die  Zünfte  und,  als  ihre  An- 
wälte, die  städtischen  Behörden  fortgesetzt  um  Wiederaufrichtung 
der  alten  Schranken,  um  Zurückdrängung  der  Gewerbefrei- 
heit petitionierten,  schrieb  Hardenberg  einmal  am  18.  März  1817 
wörtlich  an  den  Minister  des  Innern  v.  Schuckmann1):  „Ew. 
Excellenz  beehre  ich  mich  anliegend  abschriftlich  mitzuteilen,  was  ich 
an  die  hiesige  Regierung  wegen  der  von  dem  Magistrate  hierselbst  ge- 
äußerten Besorgnisse  über  die  Wirkungen  der  Gewerbefreiheit  erlassen 
habe,  indem  ich  Ihnen  ganz  ergebenst  anheimstelle,  überhaupt  in  Er- 
wägung zu  nehmen,  wie  dem  Geiste  der  städtischen  Korpo- 
rationen eine  edlere  Richtung  zu  geben  sein  dürfte. 
Es  wird  hier  allerdings  weniger  von  positiven  Vorschriften  als  von 
der  Benutzung  einzelner  Vorfälle  und  Anträge  und  von  dem  Sinne, 
in  welchem  die  bestehenden  Gesetze  gedeutet  und  ausgeführt  werden, 
zu  erwarten  sein."  Dies  war  das  rechte  Wort!  Auch  jetzt  gilt  es, 
dem  Streben  der  gewerblichen  Verbände  eine  edlere  Richtung  zu  geben. 
Der  genossenschaftliche  Zusammenschluß  zur  Förderung  des  materiellen 
Wohls,  so  wichtig  er  ist,  thut's  freilich  nicht  allein,  ein  heiliges,  sitt- 
liches Prinzip  muß  die  Adern  des  Handwerks  durchfließen,  die  Weihe 
der  Idee  muß  sich  in  neuer  Kraft  auf  dasselbe  herabsenken.  Selbst- 
hilfe thut  wahrlich  not,  nicht  bei  allem  und  jedem  sollte  die  Staats- 
hilfe als  das  Allheilmittel  angesehen  werden.  Die  alten  Zünfte 
waren  von  einer  sittlichen  Grundgewalt  durchdrungen  und  beherrscht, 
so  beherrscht,  daß  sogar  ihre  Fehler  und  Schwächen  zu  Zeiten  des 
Verfalls  auf  ursprünglich  ehrenwerte  Anschauungen  zurückzuführen 
sind.  Abgesehen  von  ihrer  Mission  im  staatlichen  Leben  fühlten  sie 
das  Bedürfnis,  den  Verband  so  rein,  so  makellos  zu  erhalten,  als  „ob 
ihn  die  Tauben  geleseu"  hätten.  Nicht  der  Schatten  eines  Vorwurfs 
sollte  zum  Unheil  des  Ganzen  ein  Mitglied  treffen  können.  So  war 
die  „Ehrbarkeit"  das  unerschütterliche  Fundament,  auf  dem  sich 
der  Zunftbau  aufrichtete,  und  in  allen  Bräuchen  und  Formen  spiegelt 
sich  das  Bestreben  wieder,  dieses  Fundament  unverrückt  zu  erhalten 
und  auf  dasselbe  immer  und  immer  die  Handwerksgenossen  hinzu- 
weisen. „Gott  grüße  die  Ehrbarkeit!  Gott  grüße  das  ehrbare 
Handwerk!  Gott  grüße  die  eh  rbaren  Meister  u.  s.  w.",  das  war  die 
Anrede,  wenn  ein  Geselle  ins  Gewerk  trat.  Wenn  er  wanderte,  bekam 
er  als  Unterstützung  den  Wandergroschen,  damit  er  unehrliche  Meister 
vermeiden  könne.  Auf  ehrenhaften  Umgang  wurde  strenge  gesehen ; 
Stände,  die  im  Urteil  oder  Vorurteil  der  Zeitgenossen  nicht  die  volle 
bürgerliche  Ehre  genossen,  konnten  mit  den  Zünften  in  keinerlei  Be- 
rührung kommen.  Ferner  wurde  den  jungen  Leuten,  den  Gesellen  und 
Lehrlingen,  bei  jedem  Akte,  den  das  Gewerk  vornahm,  die  hohe 
Stellung  seines  Berufes,  die  Bedeutung  seines  Handwerks  eindringlich 
zum  Bewußtsein  gebracht. 

1)  A.  N.  I,  Vol.  IL 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  525 

Die  leibliche  Nahrung  trägt  viel  dazu  bei,  den  Körper  des  Men- 
schen gesund  und  kräftig  aufzubauen,  aber  seinen  eigentlichen  Lebens- 
odeui  verleihen  ihm  die  geistigen  Güter,  die  er  sich  selbst  er- 
wirbt, die  er  allein  zu  hüten  hat  und  die  ihm  seine  Aufgabe  zuweisen 
inmitten  der  Gemeinschaft,  in  die  ihn  Gott  gestellt  hat.  Genau  so 
steht  es  mit  allen  engeren  Verbänden  innerhalb  des  Staates,  nicht 
vielen  aber  ist  in  der  Neuzeit  von  der  Natur  selbst  eine  wichtigere 
Stellung  angewiesen  als  den  modernen  Inuungen.  Freilich  ist  bei 
ihnen  die  Existenzfrage  so  wenig  gleichgültig  als  beim  einzelnen  Men- 
schen, da  ihre  befriedigende  Beantwortung  die  Vorbedingung  ist 
für  die  Lösung  höherer  Aufgaben.  Daher  muß  alles  mit  Freuden  be- 
grüßt werden,  was  die  Regierungen  thun  können,  um  die  Handwerker 
vor  einer  übermächtigen  Konkurrenz  des  Großkapitals  zu  sichern,  ihren 
genossenschaftlichen  Zusammenschluß  zu  erleichtern.  Alle  ein- 
zelnen einschlägigen  Fragen,  wie  z.  B.  auch  die  Vermeidung  der  Pro- 
duktion der  Strafanstalten,  können  hier  nicht  besprochen  werden,  sind 
aber  wohl  durchweg  diskutierbar.  Auch  die  bessere  Ausgestaltung 
des  Le  h  r  lings  wesen  s,  die  Erziehung  und  Unterrichtung  der  Lehr- 
linge, Hebung  des  Standesbewußtseins,  Führung  des  Mei- 
stertitels lediglich  von  ordentlich  ausgebildeten  Handwerkern,  alles 
dies  sind  Wünsche,  deren  Erfüllung  nicht  nur  berechtigt,  sondern  nötig 
erscheint. 

Eher  aber  werden  die  Innungen  sich  nicht  gewöhnen,  den  Blick 
vorwärts  auf  die  Aufgaben  der  Gegenwart  und  Zukunft  fest  und  un- 
erschütterlich zu  richten,  ehe  ihnen  der  Staat  nicht  gründlich  die 
Hoffnung  auf  eine  künstliche  Wiederbelebung  des  Zunftzwanges 
genommen  hat.  Es  gilt  jetzt,  nicht  ewig  mehr  zurückzuschauen,  son- 
dern das  Auge  abzulenken  von  den  Traumbildern,  die  die  freie  Aus- 
sicht versperren.  Hinter  dieser  Fata  Morgana  liegt  die  Wüste  und 
keine  Oase  mit  ihren  rieselnden  Brunnen.  Dort  lauert  in  Wahrheit 
die  Vernichtung,  und  alle  die  verheißungsvollen  Phantome  sind  Trug 
und  nichts  als  Trug.  Lernt  die  hohen  Aufgaben  erfassen,  die  euch 
das  Leben  vorhält,  ihr  Handwerker,  füllt  euer  Dasein  wieder  mit 
Idealen,  strebt  und  ringt  um  Schätze,  die  Motten  und  Rost  nicht 
fressen,  und  ihr  werdet  euern  Handwerksstand  hoch  halten  und  lieb 
haben  als  einen  Beruf,  der  Zufriedenheit  giebt  selbst  dann,  wenn  der 
erwartete  materielle  Lohn  ausbleibt.  Die  Handwerker  und  ihre 
Verbände  sind  ihrem  innersten  Wesen  nach  staatserhaltend,  ihre 
Weltanschauung  geht  dahin,  quieta  non  movere,  denn  eine  ruhige  Ent- 
wickelung  des  Staatswesens  befördert,  Umsturz  und  Unruhe  vernichten 
sie.  Das  Spruch  wort:  „Friede  ernährt,  Unfriede  verzehrt",  findet  auf 
sie  eine  besondere  Anwendung.  Die  Handwerker  sind  somit  die  natur- 
gemäßen Gegner  der  Feinde  der  Gesellschaftsordnung,  sind  geborene 
Kämpfer  gegen  die  Sozialdemokratie.  In  solchem  Kampfe  ist 
den  Handwerkern  wieder  eine  Aufgabe  nach  außen  hin  erwachsen, 
würdig  derjenigen,  welche  die  alten  Zünfte  im  mittelalterlichen  Städte- 
und  Staatswesen  zu  erfüllen  hatten.  Sie  können  wesentlich  helfen 
mit    ihrer    geschlossenen  Phalanx,    den  Staat  vor  den  Gefahren    zu 


526  Kurt  von  Rohrscheidt, 

schützen,  die  ihn  mit  einer  neuen  Barbarei  bedrohen,  und  erhöhtes 
Ansehen,  gesteigerte  Achtung  nur  können  die  Frucht  sein,  welche  das 
Haudwerk  dabei  erntet. 

Weiter  wäre  dringend  zu  wünschen,  daß  die  Innungen  ihre  neuen 
Aufgaben  wieder  mit  gewissen  Formen  verbänden,  die  eine  Bedeu- 
tung haben,  wie  dies  in  den  besten  Zeiten  der  alten  Zünfte  der  Fall 
war.  Man  verstehe  dies  nicht  falsch !  Es  sollen  nicht  wieder  leere 
und  öde  Spielereien  ins  Leben  gerufen  werden,  wie  sie  das  ganze  vorige 
Jahrhundert  erfüllten.  Vielmehr  soll  ein  neuer  Geist  in  neue  For- 
men gesenkt  werden  und  durch  letztere  dem  Lehrling  wie  dem  Ge- 
sellen und  Meister  stets  von  neuem  zum  Bewußtsein  kommen,  welche 
höhere  staatsbürgerliche  Aufgabe  seiner  wartet.  Stets  soll  ihm 
seine  Bestimmung  ebenso  wie  die  Bedeutung  seines  Handwerks  vor 
Augen  steheD,  das  Handwerk  muß  ihm  mit  der  Summe  seiner  Auf- 
gaben nicht  nur  die  Quelle  seines  Erwerbes,  sondern  der  Quell  seines 
ganzen  irdischen  Glückes,  kurz  das  höchste  sein,  das  er  kennt.  Seine 
Pflichten  gegen  Gott,  gegen  sein  Vaterland  und  seinen  Herrscher 
stehen  dann  nicht  mehr  außerhalb  seines  Berufs,  er  erfüllt  sie 
zugleich,  indem  er  seinen  Handwerkspflichten  nachkommt.  Sie  durch- 
dringen ihn  völlig  mit  ihrem  sittlichen  Wesen  und,  um  dies  zu  er- 
reichen, helfen  die  Formen  mit,  denen  man  sich  bei  besonderen  Ge- 
werksakten,  z.  B.  beim  Annehmen  und  Lossprechen  der  Lehrjungen 
bedienen  mag.  Viele  Zünfte  haben  bereits  solche  Bräuche,  und  ich 
will  aus  dem  mir  vorliegenden  Material  nur  2  Proben  mitteilen  von 
Ansprachen,  wie  sie  bei  einer  Innung  des  Merseburger  Regie- 
rungsbezirkes üblich  sind.  Die  erste  enthält  Verhaltungs- 
maßregeln, die  bei  Aufnahme  von  Lehrlingen  gegeben  werden, 
und  lautet: 

Bei  der  Aufnahme  als  Lehrling  wirst  Du  mit  den  Pflichten 
eines  Lehrlings  bekannt  gemacht,   wie  folgt : 

Wir  erwarten  mit  Recht,  dafs  Du  dem  gefafsten  Entschlufs,  ein 
tüchtiger  Gesell  zu  werden,  treu  bleibst  und  durch  Fleifs, 
Aufmerksamkeit  und  Treue  den  Grund  zu  Deinem  dereinstigen 
Wohle  legen  wirst.  Vergifs  niemals,  dafs  die  Lehrzeit  nie  wieder- 
kehrt und  Du  später  schmerzlich  bereuen  würdest,  wenn  Du  dieselbe 
nicht  gut  angewendet  hättest. 

Die  erste  Pflicht  ist:  Achtung  und  Liebe  zu  Deinem 
Lehrmeister,  denn  er  ist  nun  Dein  Erzieher  und  Vater  zugleich, 
und  nur  dann  wird  er  es  mit  Freuden  sein,  wenn  Du  durch  gutes 
Betragen   Dich  ihm  dankbar  erweist. 

Sei  fleifsig!  Nur  durch  Fleifs  ist  es  Dir  in  Zukunft  möglich, 
das  tägliche  Brot  auf  ehrlichem  Wege  zu  erwerben,  denn,  wie  Du 
Dich  jetzt  gewöhnst,  bleibst  Du  Dein  Leben  lang.  Vergeude  nicht 
auf  Geschäftswegen  durch  müfsiges  Herumtreiben  dem  Lehrmeister 
zum  Schaden,  jedem  Vorübergehenden  zum  Aerger,  die  kostbare  Zeit. 
Müfsiggang  ist  aller  Laster  Anfang. 

Sei  treu!     Denke    stets,    dafs    bei    der   kleinsten    Veruntreuung 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  527 

der  Verräter  nie  schläft,  dafs  Gott  Dich  sieht,  wenn  Du  auch  glaubst, 
ganz  unbemerkt  zu  sein,  und  dafs  das  eigne  Gewissen  Dich  selbst 
bestraft. 

Brauchst  Du  irgend  etwas  Notwendiges,  so  wende  Dich  mit  Ver- 
trauen an  Deine  Angehörigen  oder  an  Deinen  Lehrmeister;  sehen 
diese  die  Notwendigkeit  ein,  so  wird  man  Dir,  wenn  möglich,  dazu 
verhelfen;  bleibe  treu  und  redlich,  ohne  dies  ist  kein  Lebens- 
gliick  denkbar! 

Sei  bescheiden!  Durch  Zuvorkommenheit,  Willig- 
keit und  F  r  e  u  u  d  1  i  c  h  kei  t  gegen  den  Lehrmeister,  gegen  Familie, 
Gesellen,  überhaupt  gegen  jedermann,  so  wirst  Du  Dir  wohlwollende 
Freunde  erwerben,  und  Dein  Lehrmeister  wird  bei  Dir  gewifs  und 
gern    Vaterstelle  vertreten. 

Sei  vorsichtig  im  Sprechen!  Vermeide  alles,  wo  durch 
Wiedersagen  des  Gehörteu  Aergernis  und  Schaden  erwachsen  könnte; 
nur  dann  ist  es  Pflicht  zu  sprechen,  wenn  Du  Schaden  verhüten  und 
Gutes  befördern  kannst. 

Vergifs  den  Religionsunterricht  nicht!  Besuche  die  Kirche, 
wenn  sich  hierzu  Gelegenheit  bietet;  denn  ohne  Religion  giebt  es 
keinen  Trost  im  Unglück,  keinen   Frieden  in  der  Seele. 

Dem  durch  gesetzliche  Bestimmung  gebotenen  Foitbildungs- 
unterricht  komme  freudig  nach;  zeichne  Dich  gegen  den  Lehrer 
durch  anständiges  Betragen  vor  allen  anderen  aus  und  sei  aufmerk- 
sam und  fleifsig,  denn  dieser  Unterricht  ist  von  grofsem  Nutzen  für 
Dein  späteres  Leben,  da  der  Lehrling  sonst  wenig  Gelegenheit  und 
Veranlassung  hat,  sich  geistig  weiter  zu  bilden. 

Wenn  Du  noch  Eltern  hast,  sei  dankbar  gegen  sie  durch 
Fleifs,  gutes  Betragen  und  erworbenes  Lob  des  Lehr- 
meisters; vergelte  so  einigermafsen  die  Sorgen  und  Mühen,  die  Sie 
um  Dich  gehabt;  es  ist  schwarzer  Undank,  durch  Faulheit  und 
schlechte  Führung  der  Eltern  Leben  zu  verbittern  und  Sie  um  Ihre 
Hoffnungen,  die  Sie  für  Dich  hegten,  zu  bringen. 

Du  aber,  der  Du  keine  Eltern  hast,  ehre  Ihr  Andenken  durch 
ehrenhaften  Lebenswandel;  es  ist  das  einzige,  was  Du 
thun  kannst,  da  Sie  die  Worte  des  Dankes  nicht  mehr  vernehmen 
können. 

Schliefslich  ermahnen  wir  Dich,  während  Deiner  Lehrzeit  Dir 
die  gröfste  Mühe  zu  geben,  das  Handwerk  gut  zu  erlernen  und  Dir 
diejenigen  Kenntnisse  anzueignen,  welche  von  einem  tüchtigen 
Gesellen  erwartet  und  verlangt  werden. 

Gott  segne  Deinen  Lehrlings-Beginn! 

Und  eine  Mitgabe  bei  Beförderung  zum  Gesellen  lautet: 
„Als  Lehrling  —  nun  der  Lehr'  entlassen, 
So  schrieben  wir  Dich  heute  aus  !  — 
Doch  Deinen  Stand  auch  recht  zu  fassen, 
Nimm  Du  dies   Wort  noch  mit  hinaus: 
„Wohl  hast  Du  wirklich  so  Dein  Probestück  bestanden, 
Dafs  Dich  die  Meister  reif  jetzt  zum  Gesellen  fanden. 


528  Kurt  von  Rohrscheidt, 

Hast  Dich  moralisch  gut  geführt, 
Wie  auf  dem  Zeugnis  hier  zu  lesen; 
Du  bist  mit  einem  Wort  gewesen 
Was  einem  Lehrling  wohl  gebührt. 

So  könnten  wir  denn  auch  wohl  hoffen, 
Dafs  Du  die  rechten  Wege  gehst; 
Und  dafs  Du  da  die  Augen  offen, 
Wo   Du  vor  einem   Kreuzweg  stehst, 
Dann  wohl  bedenkst,  was  Du  uns  feierlich  versprochen, 
Dafs  Du  entehrt,  wenn  Du  Dein  Wort  gebrochen; 
Dran  denke  stets  und  leb'  gerecht, 
Dann  fehlt  Dir  nie  der  frohe  Mut! 
Bedenke,  dafs,  „Wer  Sünde  thut, 
Der  ist  der  Sünde  Kneoht!" 

Doch  ist  es  schwer,  gerecht  zu  leben 
Und  niemals  wohl  aus  eigner  Kraft! 
Drum  halt'  zu  Gott,  Er  ist  es  eben, 
Der  nur  das  Gute  in  Dir  schafft. 
Verleugne  nimmer  Du  den  Christenglauben, 
Dann  kann   Dir  niemand  Deine  Krone  rauben. 
Gehst  so  als  Mann  auf  rechtem  Wege, 
Durch  Beispiel  Du  das  Handwerk  ehrst! 
Und  wo  den  Eintritt  dann  begehrst, 
Bist  Du  willkommen  als  Kollege." 

Gott  segne  den  Beginn  deines  Gesellen -Lebens! 

Solche  Worte,  einfach  und  schlicht,  werden  nicht  ganz  ohne  Ein- 
druck am  Ohr  vorübergehen,  sie  werden  ohne  Zweifel  das  Standes- 
gefühl bei  den  Mahnenden  wie  bei  den  Ermahnten  rege  machen  und 
im  Augenblick  der  feierlichen  Handlung  die  freudig- stolze  Empfindung 
bei  dem  jungen  Gesellen  erregen:  „Diese  Rechte  und  Pflichten  empfange 
ich  als  ehrbarer  Handwerksgeselle"  und  es  kommt  nun  auf  ihn  selbst 
an,  ob  sie  ein  Gut  fürs  Leben  bilden  werden  oder  nicht.  Nur  das 
eine  wäre  zu  wünschen,  daß  in  diesen  Ansprachen  die  soziale,  Staats - 
erhaltende  Bestimmung  des  Handwerkers  schärfer  und  eindring- 
licher zum  Ausdruck  gelangte. 

Die  Einführung  des  Zunftzwanges  wäre  auch  eine  Gefahr  für 
die  Innungen  in  jeder  Beziehung.  An  Stelle  des  Vertrauens  und 
der  Achtung  würde  das  Mißtrauen  der  Mitbürger  treten,  welche 
sich  ganz  in  die  Hände  der  Zünfte  gegeben  fühlen  müßten  und  keinen 
Glauben  an  deren  gute  Absichten,  die  Konsumenten  so  billig  als  mög- 
lich zu  versorgen,  haben  könnten.  Sie  würden  vielmehr  fürchten,  daß 
die  Warenpreise  beim  Mangel  irgendwelcher  für  die  Preisregulierung 
bestimmender  Faktoren  lediglich  nach  Willkür  und  zum  Schaden 
der  Abnehmer  festgesetzt  werden,  während  die  Konkurrenz  ein  solches 
Mißtrauen  von   selbst  beseitigt.    Die  schiefe  Stellung  aber,  in  welche 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  529 

die  Zünfte  durch  den  Zunftzwang  gerieten,  müßte  ihnen  die  Erfüllung 
ihrer  sozialen  Aufgaben,  die  eben  nur  unter  den  Gestirnen  der 
Achtung  und  des  sittlichen  Einflusses  denkbar  ist,  völlig  unmöglich 
machen.  Und  die  Befürchtung  der  Abnehmer,  daß  die  Zünfte  ihre 
Macht  zur  Bedrückung  und  Uebervorteilung  des  Publikums  unbedenk- 
lich gebrauchen  würden,  wäre  nicht  ohne  Berechtigung.  Vermag  auch 
die  Wachsamkeit  der  Polizei,  die  Strenge  der  Rechtspflege  und  vor 
allem  die  sittliche  Bildung  des  Zeitalters  von  strafbarer  Unrechtlich- 
keit  zurückzuhalten ,  so  gehört  doch  eine  seltene  Kraft  dazu ,  um  die 
Versuchung  zum  Gebrauche  zwar  gesetzlich  erlaubter,  aber  un- 
edler Mittel  auch  dann  noch  von  sich  abzulehnen,  wenn  die  Pflicht 
der  Selbsterhaltung  ihn  zu  rechtfertigen  scheint.  In  den  bei  weitem 
gewöhnlichsten  Fällen,  sagt  Hoffmann  x),  bleibt  das  ängstliche  Ringen 
um  einen  Anteil  am  gewerblichen  Gewinn  nicht  unbefleckt  von  der 
Anwendung  unedlerMittel,  und  zuweilen  sind  diese  vorherrschend 
in  solchem  Maße,  daß  die  Gewerbsamkeit  im  ganzen  durch  Entsitt- 
lichung mehr  verliert,  als  sie  durch  den  geringen  Aufwand  besser  ge- 
leiteter Geistes-  und  Körperkräfte  gewinnt,  der  neben  diesem  unheim- 
lichen Treiben  etwa  noch  besteht. 

Auch  für  die  Fortbildung  der  Handwerker  wäre  der  Zunftzwang 
eine  Gefahr,  das  Fehlen  des  Beitrittszwanges  wird  dagegen  für  den 
Innungsmeister  ein  ewiger  Sporn  sein,  seine  Produkte  so  gut  und 
so  billig,  als  es  das  Erwerbsbedürfnis  nur  erlaubt,  herzustellen.  Er 
wird  ferner  seine  soziale  Aufgabe  mit  größerer  Freiheit  und  Unbe- 
fangenheit, mit  mehr  Vertrauen  und  Ansehen  beim  Publikum  und 
darum  wirksamer  erfüllen,  als  wenn  der  Mangel  an  Kon- 
kurrenz ein  erklärliches  Mißtrauen  erzeugte.  Nach  alledem  kann  man 
sich  der  Ueberzeugung  nicht  verschließen,  daß,  wollte  der  Staat  wirk- 
lich dem  Drängen  nachgeben  und  die  Zünfte  wieder  obligatorisch  ge- 
stalten, nicht  10  Jahre  vergehen  würden,  bis  er  genötigt  würde, 
diese  Einrichtung  rückgängig  zu  machen.  Es  ist  durchaus  nicht  ein  Er- 
fordernis, daß  überall  sämtliche  Handwerker  Innungsmeister  sind2), 
ist  das  Publikum  doch  schon  unter  den  jetzigen  Verhältnissen  an 
Orten,  wo  ein  besonderer  Mangel  an  Mitbewerb  vorhanden  ist,  manchen 
Willkürlichkeiten  der  Gewerbetreibenden  ausgesetzt,  die  es  einfach 
dulden  muß. 

Im  alten  Reich  lebten  und  starben  die  alten  Zünfte,  das  neue 
Reich  legt  den  neuen  Innungen  neue  Pflichten  in  seinem  Dienste  auf. 
Es  ist  zu  billigen  und  es  ist  notwendig,  wenn  die  Innungen  das  mit 
in  die  neue  Zeit  hinübernehmen,  was  der  alten  Zünfte  bestes  Teil 
war  und  was  unvergänglich  ist,  nämlich  den  Sinn  für  die  Ehr- 
barkeit des  Handwerks,  was  Stein  zusammenfaßt  in  die  Worte:  Er- 
ziehung, Meisterehre  und  Jugendzucht.  Es  ist  freilich  von 
der  Geschichte  nicht  alles  zu  lernen,  aber  doch  recht  viel.    Und  aus 

1)  J.  G.  Hoffmann,  Die  Befugnis  zum  Gewerbebetriebe  (Berlin  1841),  S.  279. 

2)  Auf  diesem  Standpunkte  stehen  auch  die  extremsten  Zünftler,  welche  lediglich  für 
die  Innungen  das  Recht  verlangen,  die  ihnen  passenden  Handwerker  zum  Eintritt 
in  den  Verband  zwingen  zu  dürfen. 

Dritte  Folge  Bd.  Vin  (LXHT).  34 


530  Kurt  von  Rohrscheidt, 

der  Geschichte  der  alten  Innungen  ist  wenigstens  die  eine  Erfahrung 
zu  ziehen,  daß,  wenn  man  den  neuen  Verbänden  der  Gegenwart 
Zwangsrechte  beilegen  wollte,  man  damit  den  Keim  der  Entartung 
in  die  Innungen  hineintragen  und  den  Staat  bald  genug  wieder  in 
die  Notwendigkeit  versetzen  würde,  gegen  sie  einzuschreiten.  Der 
menschliche  Egoismus,  freigegeben  und  begünstigt  wie  sonst  nie,  würde 
notwendigerweise  zu  Schikanen  gegen  die  Konsumenten  führen.  Der 
Zunftzwang  müßte  außerdem  eine  professionelle  Inzucht  und 
einen  Stillstand  oder  gar  eine  Herabminderung  der  Hand- 
werksfertigkeiten im  Gefolge  haben,  da  das  Publikum  ja  mit  dem  zu- 
frieden zu  sein  hätte,  was  ihm  geboten  wird.  Die  modernen  Innungen 
haben  an  einer  großen  staatsei  haltenden  Aufgabe  mitzuarbeiten,  aber 
um  sie  erfüllen  zu  können,  sollten  sie  endlich  aufhören,  ihre  Augen, 
wie  hypnotisiert,  rückwärts  zu  wenden  und  mit  allem  ihrem  Sinnen  und 
Trachten  lediglich  in  der  Vergangenheit  zu  verweilen.  Vielmehr  sollten 
sie  vorwärts  blicken  und  begreifen  lernen,  daß  die  alten  Zwangszünfte 
tot  sind,  und  daß  es  nicht  wohlgethan  ist,  die  alten  Schläuche  hervor- 
zuholen, um  den  neuen  Most  darein  zu  thun. 

Schon  im  Jahre  1878  hielt  es  der  damalige  Oberbürgermeister  von 
Osnabrück,  Dr.  Miquel,  für  nötig,  die  Innungen  mehr  auf  ihre 
ethischen  Zwecke  hinzuweisen,  und  so  entstand  das  von  ihm  ent- 
worfene Statut  der  dortigen  Schuhmacherinnung,  das  unter  dem  Namen 
des  Osnabrücker  Statuts  weiter  bekannt  geworden  ist1).  Nach 
demselben  sollte  die  Innung  die  gemeinschaftlichen  gewerblichen  Inter- 
essen fördern,  als  besondere  Aufgabe  war  ihr  aber  zugedacht,  durch 
Aufstellung  und  Beobachtung  gleichmäßiger  Grundsätze  auf  eine  tüch- 
tige allgemeine  und  fachliche  Ausbildung  der  Lehrlinge  und 
deren  gute  moralische  Führung  hinzuwirken;  ein  gutes  Ver- 
hältnis zwischen  Meistern  und  Gesellen  durch  geeignete  Maß- 
regeln zu  fördern  und  zu  erhalten;  den  Gemeingeist  unter  den 
Meistern  zu  pflegen,  das  Bewußtsein  der  Standesehre,  der  Rechte 
und  Pflichten  selbständiger  Meister  gegenüber  den  Lehrlingen  und  Ge- 
sellen, den  Mitmeistern  und  dem  Publikum  zu  pflegen  und  lebendig 
zu  erhalten. 

Um  also  das  Gesagte  noch  einmal  kurz  zusammenzufassen,  so 
würden  zur  Belebung  und  Erhaltung  des  Handwerks  folgende  Wünsche 
auszusprechen  sein:  Nach  der  materiellen  Seite  möglichste  Be- 
förderung der  Verbandesbildung,  Erleichterung  der  Darlehnsgeschäfte, 
nach  der  ethischen  und  idealen  Richtung  Sicherung  der  völligen 
Lehrlingsausbildung,  Verhinderung  des  Vagabundierens  der  Hand- 
werker, Hebung  des  Wertes  der  Meisterschaft,  Festigung  des  Standes- 
bewußtseins, endlich  aber  völlige  Durchdringung  der  ganzen  Innung 
von  dem  Bewußtsein  ihrer  wichtigen  Mission  im  bürgerlichen  Leben. 
Zu  diesem  Behufe  und  zur  gleichzeitigen  Belebung  des  Handwerks- 
gefühls sind  die  einzelnen  wichtigen  Akte  im  Innungsleben  in  einer 
bedeutungsvollen   Form  und  mit  einer  gewissen   Feierlichkeit   zu 


1)  Hugo  Böttger,  Das  Programm  der  Handwerker  (Braunschweig  1893),  S.  133. 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  531 

begehen,  die  Meistern,  GeselleD  und  Lehrlingen  das  Herz  erwärmt  in 
dem  Gefühle,  einem  geachteten  Stande  anzugehören,  die  ihren  Geist 
erhebt  und  ihn  willig  und  lebendig  macht,  sich  auch  den  höheren 
Zielen  entgegenführen  zu  lassen.  Es  ist  auch  nichts  dagegen  einzu- 
wenden, wenn  sich  als  sichtbares  Abzeichen  für  die  Verbände 
wieder  ein  neues,  mit  dem  Geiste  ihrer  sozialen  Bestimmung  durch- 
setztes und  erfülltes,  daher  inhaltsreiches  Ceremonial  herausbildet, 
das  für  den  Handwerker  nicht  einen  Druck,  sondern  einen  stets  be- 
lebenden Zuruf,  eine  kräftige  Mahnung  bedeutet.  Diese  Reorganisation 
der  Innungen  muß  natürlich  im  wesentlichen  aus  diesen  selbst  heraus- 
dringen, muß  eine  innere  Wiedergeburt  sein.  Allein  auch  die 
Staatsbehörden  können  dabei  viel  thun.  Ihre  Kommissare,  kenntnis- 
reich und  gebildet  und  von  Liebe  zum  Handwerk  erfüllt,  werden  in 
direkter  Verbindung  mit  ihnen  bleiben ,  werden  den  Versammlungen 
beiwohnen  und  ebenso  in  der  Lage  sein,  in  trägen  Geistern  die  schlum- 
mernde Kraft  und  das  scheinbar  tote  Interesse  zu  wecken,  wie 
über  das  Ziel  hinausgehende  Bestrebungen  auf  ihr  richtiges  Maß 
zurückzuführen.  Vermöge  ihrer  Bildung  werden  sie  imstande 
sein,  bei  Formalien  etwaige  Geschmacklosigkeiten  oder  Rückfälle  in 
alte,  läppische,  schädliche  oder  bedeutungslos  gewordene  Bräuche  zu 
verhindern.  Man  darf  diese  Einwirkung  nicht  unterschätzen,  wenn  es 
gleich  eine  gewöhnliche  Verirrung  nicht  nur  der  Gewerbetreibenden  ist, 
das  Eingreifen  der  Beamten  und  Behörden  mit  Mißtrauen  zu  betrachten 
und  die  Gründe,  welche  letztere  bewegen,  nicht  allen  ihren  Anträgen 
unbedingt  nachzugeben,  nicht  in  deren  Einseitigkeit  und  Unvereinbar- 
keit mit  den  allgemeinen  Zwecken  des  Staatsverbandes,  sondern  in  der 
Unwissenheit,  den  Vorurteilen,  der  Trägheit  oder  wohl  gar  der  Eitel- 
keit der  Beamten,  welchen  deren  Prüfung  obliegt,  zu  suchen.  Schon 
Hoffmann1)  bezeichnet  es  als  eine  Frechheit,  mit  der  so  häufig 
jeder,  der  im  Dienste  der  Staatsregierung  angestellt  sei,  als  ein  ver- 
ächtliches Werkzeug  einer  selbstsüchtigen  Willkür  dargestellt  werde, 
und  betont  mit  Recht,  daß  der  bei  weitem  größte  Teil  der  Verbesse- 
rungen des  Zustandes  der  Völker,  soweit  er  von  der  Gesetzgebung  ab- 
hänge, aus  dem  Kopfe  und  dem  Herzen  tüchtiger  Beamten 
gekommen  sei. 

Zur  Zeit  sind  von  dem  preußischen  Handels  mini  st  erium 
Vorschläge  zu  einer  Reorganisation  des  Innungswesens  ausge- 
arbeitet worden,  welche  den  Innungen  vorgelegt  worden  sind.  Sie  sind  selbst 
als  ein  unverbindliches  Ergebnis  vorläufiger  Erwägungen  bezeichnet, 
und  es  ist  daher  angemessen,  weitere  Entschließungen  abzuwarten. 
Da  aber  der  Entwurf  der  öffentlichen  Diskussion  unterbreitet  ist,  so 
wird  auch  an  dieser  Stelle  mit  einigen  kurzen  Worten  darauf  einzu- 
gehen sein.     Die  Vorschläge  sind  im  wesentlichen  die  folgenden: 

Zur  Wahrnehmung  der  Interessen  des  Kleingewerbes  sind  Fachgenossenschaften 
und  Handwerkskammern    zu  errichten. 

Die  Errichtung  der  Pachgenossenschaften  erfolgt    innerhalb  der  Bezirke  der 


1)  J.  G.  Hoffmann,  Die  Befugnis  zum  Gewerbebetriebe  (Berlin  1841),  S.  382  u.  384. 

34* 


532  Kurt  von  Rohrscheidt, 

Handwerkskammern.      Die  Abgrenzung    dieser    Bezirke    wird    nach    Anhörung    beteiligter 
Gewerbetreibender  von  der  Landescentralbehörde   bestimmt. 

Mit  Ausnahme  des  Handels  und  der  in  §§  29 — 30,  31 — 37  der  Gewerbeordnung 
aufgeführten  Gewerbe,  aber  einschliefslich  des  Musikergewerbes,  soweit  es  höhere  künst- 
lerische Interessen  nicht  verfolgt,  gehören  den  Fachgenossenschaften  alle  Gewerbetreibenden 
an,  welche  ein  Handwerk  betreiben  oder  regelmäfsig  nicht  mehr  als  20  Arbeiter  be- 
schäftigen. Durch  Beschlufs  des  Bundesrats  kann  für  bestimmte  Gewerbe  die  Be- 
schäftigung einer  geringeren  Zahl  von  Arbeitern  als  Grenze  festgesetzt  werden.  Durch 
Beschlufs  des  Bundesrats  können  bestimmte  Gewerbe  von  der  Zugehörigkeit  zu  den  Fach- 
genossenschaften ausgenommen  werden.  Der  Beschlufs  kann  auch  für  örtlich  begrenzte 
Bezirke  erlassen  werden. 

Errichtung. 

Die  Fachgenossenschaften  sind,  soweit  einzelne  Gewerbszweige  im  Bezirke  der  Hand- 
werkskammer hinreichend  stark  genug  vertreten  sind,  für  diese,  soweit  dies  nicht  der  Fall,  für 
mehrere  Gewerbszweige  unter  thunlichster  Berücksichtigung  der  verwandten  Gewerbe  zu 
bilden.  Die  Bildung  der  einzelnen  Fachgenossenschaft  erfolgt  in  ähnlicher  Weise  wie  die 
Bildung  der  Berufsgenossenschaften  bei  der  Unfallversicherung.  Jeder  Gewerbetreibende 
gehört  kraft  Gesetzes  der  Genossenschaft  seines  Faches  an.  Gewerbtreibende,  in  deren 
Betrieb  mehrere  Gewerbszweige  vereinigt  sind,  sind  der  Fachgenossenschaft  ihres  Haupt- 
gewerbszweiges  zuzuweisen. 

In  den  Generalversammlungen  der  Fachgenossenschaft  ist  stimmberechtigt,  wer  das 
25.  Lebensjahr  vollendet  und  seit  mindestens  einem  Jahre  im  Bezirk  der  Handwerks- 
kammer ein  der  Fachgenossenschaft  angehörendes  stehendes  Gewerbe  betreibt.  Personen, 
welche  zum  Amt  eines  Schöffen  unfähig  sind,  sind  nicht  stimmberechtigt. 

Aufgabe  der  Fachgenossenschaften  ist  (obligatorisch) :  1.  die  Pflege  des  Gemeingeistes 
sowie  die  Aufrechterhaltung  und  Stärkung  der  Standesehre  unter  den  Genossen  ;  2.  die 
Förderung  eines  gedeihlichen  Verhältnisses  zwischen  Meistern  und  Gesellen,  sowie  die 
Fürsorge  für  das  Herbergswesen  der  Gesellen  und  für  die  Nachweisung  von  Gesellenarbeit; 
3.  die  nähere  Regelung  des  Lehrlingswesens  und  die  Fürsorge  für  die  technische,  ge- 
werbliche und  sittliche  Ausbildung  der  Lehrlinge,  der  Erlafs  von  Vorschriften  über  das 
Verhalten  der  Lehrlinge,  die  Art  und  den  Gang  ihrer  Ausbildung,  die  Form  und  den 
Inhalt  der  Lehrverträge,  sowie  über  die  Verwendung  von  Lehrlingen  aufserhalb  des  Ge- 
werbes ;  4.  die  Entscheidung  über  die  zwischen  den  Mitgliedern  der  Fachgenossenschaft 
und  ihren  Lehrlingen  entstehenden  Streitigkeiten,  welche  sich  auf  den  Antritt,  die  Fort- 
setzung oder  Aufhebung  des  Lehrverhältnisses,  auf  die  gegenseitigen  Leistungen  aus  dem- 
selben, auf  die  Erteilung  oder  den  Inhalt  der  Arbeitsbücher  oder  Zeugnisse  beziehen ; 
5.  die  Bildung  von  Prüfungsausschüssen  für  einzelne  Gewerbe  oder  Gewerbegruppen  zu 
dem  Zwecke,  Lehrlinge  und  Gesellen  auf  ihren  Antrag  einer  Prüfung  zu  unterziehen  und 
über  den  Erfolg  derselben  ein  Zeugnis  auszustellen. 

Die  Fachgenossenschaften  sind  befugt  (fakultativ) :  1.  Veranstaltungen  zur  Förderung 
der  gewerblichen,  technischen  und  sittlichen  Ausbildung  der  Gesellen,  Gehilfen  und  Lehr- 
linge zu  treffen  und  Fachschulen  zu  errichten  und  zu  leiten;  2.  über  den  Besuch  der 
von  ihnen  errichteten  Fortbildungs-  und  Fachschulen  Vorschriften  zu  erlassen ,  soweit 
dieser  Besuch  nicht  durch  Statut  oder  Gesetz  geregelt  ist. 

Die  Handwerkskammern  haben  folgende  (obligatorische)  Aufgaben : 

1.  die  Aufsicht  über  die  Fachgenossenschaften  und  Innungen  ihres  Bezirks  zu  führen, 
2.  die  Durchführung  der  für  das  Lehrlingswesen  geltenden  Vorschriften  in  den  Betrieben 
der  zu  den  Fachgenossenschaften  gehörenden  Gewerbetreibenden  zu  beaufsichtigen  ,  3.  die 
durch  das  Gesetz  auf  dem  Gebiet  des  Lehrlingswesens  ihnen  sonst  übertragenen  Ob- 
liegenheiten und  Befugnisse  wahrzunehmen,  4.  bei  der  Ueberwachung  der  auf  den  Ar- 
beiterschutz bezüglichen  Bestimmungen  der  Gewerbeordnung  mitzuwirken,  5.  für  Ar- 
beitsnachweis und  Herbergswesen  zu  sorgen,  6.  auf  Ansuchen  der  Behörden  Berichte 
und  Gutachten  über  gewerbliche  Fragen  zu  erstatten. 

Die  Handelskammern  sind  befugt  (fakultativ):  1.  die  zur  Förderung  des  Kleingewerbes 
geeigneten  Einrichtungen  und  Mafsnahmen  zu  beraten  und  bei  den  Behörden  anzuregen  ; 
2.  Veranstaltungen  zur  Förderung  der  gewerblichen,  technischen  und  sittlichen  Ausbildung 
der  Gesellen,  Gehilfen  und  Lehrlinge  zu  treffen  und  Fachschulen  zu  errichten. 

Die  Fachgenossenschaften  wählen  aus  ihrer  Mitte  die  Mitglieder  der  Handwerks- 
kammern.    Die  Zahl    der    von  den    einzelnen  Genossenschaften    zu  wählenden    Mitglieder 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  and   Gevverbefreiheit.  533 

wird  nach  Anhörung. Gewerbetreibender  (Innungen,  Gewerbevereine  u.  s.  w.)  durch  die 
höhere  Verwaltungsbehörde   bestimmt. 

Die  Fachgenossenschuften  und  Handwerkskammern  können  unter  ihrem  Namen  Rechte 
erwerben  und  Verbindlichkeiten  eingehen,  vor  Gericht  klagen  und  verklagt  werden.  Für 
die  Verbindlichkeiten  der  Fachgenosseusehaft  und  der  Handwerkskammer  haftet  den 
Gläubigern  nur  das  Vermögen  der  Genossenschaft  und  der  Handwerkskammer. 

Die  den  Innungen  gesetzlich  übertragenen  Befugnisse  werden  insoweit  aufgehoben, 
als  sie  sich  über  den  Kreis  der  Innungsmitglieder  erstreckten  (§§  e,  100  f  ff.  der  Gewerbe- 
ordnung). Die  von  den  Innungen  erlassenen  Vorschriften  dürfen  nicht  im  Widerspruch 
mit  den  von  den  Handwerkskammern  und  Fachgenossenschaften  in  Erfüllung  ihrer  gesetz- 
lichen Aufgaben  getroffenen  Bestimmungen  und  Anordnungen  stehen.  Die  Innungen 
unterliegen  der  Aufsicht  der  Handwerkskammern. 

Die  bestehenden  Gewerbekammeru  treten  unter  entsprechender  Aenderung  ihrer  Ver- 
fassung an  die  Stelle  der  Handwerkskammern. 

Vorschläge  für  die  Re  ge  1  u  n  g  des  Lehrli  n  gs  w  e  sens  imHandwerk. 
Die  Befugnis,  Lehrlinge  zu  halten  oder  anzuleiten,  steht  solchen  Personen  nicht  zu,  welche 
1.  sich  nicht  im  Besitze  der  bürgerlichen  Ehrenrechte  befinden,  oder  2.  infolge  gericht- 
licher Anordnung  in  der  Verfügung  über  ihr  Vermögen  beschränkt  sind.  Die  Be- 
fugnis zur  Anleitung  von  Lehrlingen  steht  nur  denjenigen  Personen  zu,  welche  1.  das 
24.  Lebensjahr  vollendet,  und  2.  entweder  in  dem  Handwerk,  in  dem  die  Ausbildung  der 
Lehrlinge  erfolgen  soll  oder  in  einem  gleichartigen  Fabrikbetriebe  eine  ordnungsmäfsige 
Lehrzeit  zurückgelegt  und  im  Anschlufs  daran  eine  Gesellenprüfung  bestanden  oder 
mindestens  3  Jahre  hindurch  jenes  Handwerk  selbständig  betrieben  haben.  Nach  näherer 
Bestimmung  der  Landescentralbehörde  wird  die  Zurücklegung  der  ordnungsmäfsigen 
Lehrzeit  durch  den  Besuch  einer  staatlich  anerkannten  Lehrwerkstätte  und  die  Ablegung 
der  Gesellenprüfung  durch  das  Prüfungszeugnis  dieser  Lehrwerkstätte  ersetzt. 

Die  ordnungsmäfsige  Lehrzeit  soll  nicht  unter  3  und  nicht  über  5  Jahre  dauern. 

Die  Lehrzeit  wird  innerhalb  der  angegebenen  Grenzen  durch  die  Handwerkskammer 
nach  Anhörung  der  Fachgenossenschaft  festgesetzt. 

Die  Gesellenprüfung  erfolgt  durch  die  Innung  oder  durch  einen  Prüfungsausschufs  der 
Fachgenossenschaft ;  ist  dieser  seiner  Zusammensetzung  nach  hierzu  nicht  geeignet  (ge- 
mischte Fachgenossenschaft),  so  erfolgt  die  Prüfung  durch  eine  von  der  Handwerkskammer 
aus  Fachgenossen  zu  berufende  Prüfungskommission.  Der  Prüfung  hat  ein  von  der  Auf- 
sichtsbehörde bestellter  Kommissar  beizuwohnen ,  welcher  den  Beschlufs  der  Prüfungs- 
kommission mit  aufschiebender  Wirkung  beanstanden  kann.  Ueber  die  Beanstandung  be- 
schliefst die  Handwerkskammer.  Die  Prüfung  hat  sich  auf  den  Nachweis  zu  beschränken, 
dafs  der  Lehrling  eingehende  Kenntnis  der  im  fraglichen  Handwerk  allgemein  gebräuch- 
lichen Handgriffe  besitzt,  diese  mit  genügender  Sicherheit  ausübt  und  über  das  Wesen 
und  den  Wert  der  zu  verarbeitenden  Rohmaterialien  unterrichtet  ist.  Wird  die  Prüfung 
nicht  bestanden,  so  hat  die  Prüfungskommission  gleichzeitig  den  Zeitraum  zu  bestimmen, 
vor  dessen  Ablauf  die  Prüfung  nicht  wiederholt  werden  darf. 

Die  Befugnis,  Lehrlinge  zu  halten  oder  anzuleiten,  kann  solchen  Personen  überhaupt 
oder  für  bestimmte  Zeit  untersagt  werden,  welche  sich  grober  Pflichtverletzungen  gegen 
die  ihnen  anvertrauten  Lehrlinge  schuldig  gemacht  haben  oder,  gegen  welche  Thatsachen 
vorliegen,  welche  sie  in  sittlicher  Beziehung  zum  Halten  oder  zur  Anleitung  von  Lehr- 
lingen ungeeignet  erscheinen  lassen.  In  gleicher  Weise  kann  die  Befugnis  zur  Anleitung 
von  Lehrlingen  solchen  Personen  untersagt  werden,  welche  wegen  geistiger  oder  körper- 
licher Gebrechen  die  fachgemäfse  Unterweisung  und  Erziehung  eines  Lehrlings  nicht 
selbständig  zu  leiten  vermögen.  Die  üntersagung  wird  auf  Antrag  dei  Fachgenossenschaft 
oder  der  Ortspolizeibehörde,  im  letzteren  Falle  nach  Anhörunng  der  Fachgenossenschaft 
durch  die  Handwerkskammer,  verfügt.  Durch  die  Landescentralbehörde  oder  eine  von  ihr 
zu  bestimmende  Behörde  kann  die  entzogene  Befugnis  zum  Halten  oder  zur  Anleitung 
von  Lehrlingen  nach  Ablauf  eines  Jahres  wieder  eingeräumt  werden. 

Durch  den  Bundesrat  können  für  bestimmte  Handwerke  Vorschriften  über  die  zu- 
lässige Zahl  von  Lehrlingen  im  Verhältnis  zu  den  in  einem  Betriebe  beschäftigten  Ge- 
sellen erlassen  werden.  Solange  solche  Vorschriften  nicht  erlassen  sind,  sind  die  Hand- 
werkskammern zu  deren  Erlafs  mit  Genehmigung  der  höheren  Vorwaltungsbehörde  befugt. 

Wer  den  selbständigen  Betrieb  eines  Handwerks  anfängt,  darf  den  Meistertitel  nur 
führen,  wenn  er  eine  Gesellen-  und  eine  Meisterprüfung  eines  Handwerks  bestanden  hat. 
Die  Meisterprüfung  kann  vor  einer  Innung,    vor  einer  Fachgenossenschaft    oder  vor  einer 


534  Kurt  von  Rohrscheidt, 

von  der  Handwerkskammer  aus  Fachgenossen  bestellten  Prüfungskommission  abgelegt 
werden.  Vorsitzender  ist  in  jedem  Fall  ein  von  der  Aufsichtsbehörde  zu  bestellender 
Kommissar.  Die  Prüfung  darf  sich  nur  auf  den  Nachweis  der  Befähigung  zur  selb- 
ständigen Ausführung  der  gewöhnlich  vorkommenden  Arbeiten  des  Gewerbes  oder  Ge- 
werbezweiges und  auf  das  Vorhandensein  der  zum  selbständigen  Betriebe  des  Gewerbes 
notwendigen  gewerblichen  Kenntnisse  erstrecken  (Bach-  und  Rechnungsführung).  Die 
unbefugte  Führung  des  Meistertitels  ist  strafbar. 

Zunächst  muß  es  mit  Freude  begrüßt  werden,  daß  die  Regierung 
den  Forderungen  nach  Zunftzwang  und  Befähigungsnachweis  gegen- 
über ihren  ablehnenden  Standpunkt  beibehalten  und  dies  in  den 
Motiven  auch  ausdrücklich  betont  hat.  Auch  die  Vorschläge  zur  Besser- 
gestaltung der  Verhältnisse  der  Lehrlinge  erscheinen  durchaus  an- 
nehmbar. Diese  Fürsorge  für  den  jungen  Nachwuchs  ist  um  so  nötiger 
und  dringender,  als  im  Gegensatz  zu  früher  zum  Vorteile  des  Staates 
sich  sowohl  die  Söhne  der  Handwerker  selbst,  wie  Angehörige 
der  besseren  und  gebildeteren  Bürgerkreise  wieder  mehr  dem  Handwerks- 
beruf zuzuwenden  beginnen.  Die  schlechten  Aussichten,  welche 
in  wirtschaftlicher  Hinsicht  die  gelehrten  Beschäftigungen 
fast  durchgehends  bieten,  halten  viele  Eltern  davon  ab,  ihre  Söhne 
auf  die  Universität  zu  schicken,  wenn  nicht  ganz  besondere  Anlagen 
darauf  verweisen,  da  alles  in  allem  genommen  das  Handwerk  bei  dem 
Erfordernis  eines  geringeren  Kapitals  für  die  Ausbildung  einen  bei  weitem 
„goldeneren"  Boden  hat,  als  der  Gelehrten-  oder  Beamtenstand.  Wenn 
daher  weitere  Garantieen  geschaffen  werden  sollen  für  die  Quali- 
fikation der  Lehrherrn,  ferner  für  eine  genügende  Ausbildung 
durch  Bestimmung  der  Lehrzeit,  durch  Anordnung  einer  Ge- 
sellenprüfung, endlich  durch  ev.  Festsetzung  der  zulässigen 
Zahl  von  Lehrlingen  im  Verhältnis  zu  den  in  einem  Betriebe 
beschäftigten  Gesellen,  so  können  alle  diese  Vorschriften,  im  einzelnen 
vielleicht  noch  zu  ergänzen,  nur  rückhaltslose  Zustimmung  finden.  Auch 
die  Errichtung  von  Hand  werk  er  kammern  kann  man,  da  diese  viel- 
fach gewünscht  worden  sind,  sich  gefallen  lassen  und  dabei  abwarten, 
ob  und  welchen  Nutzen  sie  bringen.  Das  Verbot  der  Führung 
des  Meistertitels  seitens  solcher  Personen ,  welche  keine 
Gesellen-  und  Meisterprüfung  eines  Handwerks  abgelegt  haben, 
muß  als  ein  fördersames  Mittel  zur  Nährung  des  Standesbewußt- 
seins bezeichnet  werden.  Die  geplanten  Fachgenossenschaften 
sind  von  einer  Seite  für  nichts  anderes  erklärt  worden ,  als 
die  vielbegehrten  obligatorischen  Innungen,  denen  vorläufig 
noch  der  Befähigungsnachweis  mangele,  in  welche  er  aber  sehr  leicht 
eingefügt  werden  könne.  Allerdings  kommt  nur  Unkenntnis  und  Kurz- 
sichtigkeit zu  einem  solchen  Urteil,  das  die  Beitrittspflicht  zur  Fach- 
genossenschaft mit  dem  Zunftzwange  verwechseln  kann.  Wenn  die 
Fachgenossenschaften  mit  etwas  Aehnlichkeit  haben,  so  haben  sie  sie 
mit  den  Korporationen,  welche  nach  §  31  des  Gewerbepolizei- 
edikts vom  7.  Septbr.  1811  gebildet  werden  konnten,  der  lautet: 
„Wird  von  Landespolizeiwegen  in  besonderen  Fällen  zu  einem  gemein- 
nützigen Zwecke  für  nötig  erachtet,  Gewerbetreibende  gewisser  Art 
in   eine  Korporation   zu  vereinigen,    so   ist  jeder  verpflichtet,   dieser 


Vor-  und  Rückblicke  auf  Zunftzwang  und  Gewerbefreiheit.  535 

Korporation  beizutreten,  solange  er  dieses  Gewerbe  treibt.11  Ferner 
haben  die  Fachgenossenschaften  viel  Verwandtschaft  mit  den  von 
Hoffmann  vorgeschlagenen  Korporationen,  über  welche  schon 
früher  gesprochen  ist  und,  welchen  er  ähnliche  Befugnisse  zu- 
weisen wollte,  wie  sie  der  vorliegende  Organisationsplan  in  Aussicht 
nimmt.  Mit  dem  Zunftzwange  selbst  haben  die  Fachgeuossen- 
schaften  absolut  nichts  gemein..  Die  Korporationen  nach  §  31 
des  Gesetzes  von  1811,  welche  übrigens  nur  in  sehr  vereinzelten 
Fällen  gebildet  wurden,  waren  freilich,  ebenso  wie  die  nach  dem  Hoft- 
mann'schen  Plane,  an  Stelle  der  Innungen  und  nicht  neben  denselben 
gedacht.  Auch  hebt  Hoflmann  ausdrücklich  hervor,  daß  sie  in  der 
Regel  aus  den  Meistern  einer  Ortsgemeiude  zusammengesetzt  werden 
sollten.  Jedenfalls  hatte  er  dabei  den  Gedanken,  daß  die  gewerblichen 
Verbindungen  auf  lokalem  Boden  am  besten  gedeihen  könnten,  und 
daß  es  daher  im  Interesse  des  Staates  wie  der  Innungen  sei,  letzteren 
ihren  Nährboden  nicht  zu  entziehen.  Wenn  die  jetzt  in  Aussicht  ge- 
nommenen Fachgenossenschaften  neben  den  örtlichen  Innungen  er- 
richtet werden  sollen,  so  wird  jedenfalls  zu  überlegen  sein,  ob  die 
letzteren  nicht  dadurch  an  Anziehungskraft  verlieren  und  so  geschwächt 
werden  müssen.  Ein  solches  Resultat  könnte  im  gewerblichen 
wie  im  politischen  Interesse  nicht  erwünscht  sein.  Der  Schwer- 
punkt einer  Innung  wird  immer  die  Ortsgemeinde  bleiben,  da  nur  mit 
dem  kräftigsten  Lebensgeist  erfüllte  und  inmitten  der  lokalen  Inter- 
essensphäre gedeihende  Verbände  ihre  soziale  Aufgabe  voll  erfüllen 
können.  Wie  aber  auch  das  Ergebnis  der  bevorstehenden  Organisation 
ausfallen  wird,  möge  es  für  das  gesamte  Handwerk  mit  seinem  Ver- 
bandswesen wie  für  das  Wohl  des  Staates  heilsam  sein,  und  so  rufen 
wir  zum  Schluß  den  alten  Gruß  im  neuen  Siune: 

„Gott  grüße  das  ehrbare  Handwerk ! !" 


536  H.  Neumann, 


V. 

Die  jugendlichen  Berliner  unehelicher  Herkunft. 

Von 

Dr.  med.  H.  Neumann, 
Privatdozent  an  der  Berliner  Universität. 

In  Bd.  VII  der  III.  Folge  dieser  Jahrbücher  habe  ich  versucht,  die 
Lebensverhältnisse  der  unehelich  in  Berlin  Geborenen  zu  schildern. 
Dieser  Versuch  mußte  sich  wesentlich  auf  die  Kindheit  der  Unehe- 
lichen beschränken,  da  für  ihr  späteres  Lebensalter  so  gut  wie  kein 
Material  vorliegt.  Es  war  dies  insofern  zu  bedauern,  als  man  ver- 
muten durfte,  daß  die  eigenartigen  Verhältnisse,  unter  denen  die  Un- 
ehelichen von  ihrer  Erzeugung  an  stehen,  noch  auf  das  Schicksal  der 
Erwachsenen  eine  gewisse  Fernwirkung  ausüben,  und  es  nicht  ohne 
Interesse  sein  konnte,  der  Bedeutung  nachzugehen,  welche  für  die 
Funktionen  des  gesellschaftlichen  Organismus  die  uneheliche  Herkunft 
eines,  wenn  auch  nur  kleinen  Teiles  seiner  Glieder  hat.  Diese  Auf- 
gabe läßt  sich  vorläufig  nicht  lösen,  und  ich  mußte  mich  im  folgen- 
den damit  bescheiden ,  einen  kleinen  Schritt  in  dieser  Richtung  zu 
thun,  indem  ich  die  Verhältnisse  der  männlichen  Unehelichen  bis  zum 
Beginn  der  zwanziger  Lebensjahre  in  einigen  Punkten  aufzuklären  ver- 
suchte. 

Herr  Geh.-Rat  Prof.  Conrad  hatte  die  Güte,  mich  darauf  aufmerk- 
sam zu  machen  ,  daß  in  den  militärischen  Aushebungslisten  ein  für 
unsere  Zwecke  wertvolles  Material  zu  finden  sei,  und  durch  das  Ent- 
gegenkommen des  Herrn  Civilvorsitzenden  der  Ersatzkommission  wurde 
mir  in  dankenswerter  Weise  gestattet,  aus  den  Listen  die  bezüglichen 
Auszüge  zu  machen  1). 

Untersuchungen  ähnlicher  Art  sind  meines  Wissens  nur  in  Frank- 
reich angestellt2).    Ihr  Ergebnis  soll  später  erwähnt  werden,  obgleich 

1)  Ich  bin  den  Herren  Rechtsanwalt  Holz  und  Gerichtsassessor  Dr.  Levinstein  in 
Berlin,  sowie  dem  Herrn  Oberstabsarzt  Dr.  Villaret  in  Spandau  für  ihre  freundlichen 
Ratschläge  zu  bestem  Danke  verpflichtet. 

2)  Chenu,  Recrutement  de  l'armäe  et  population  de  la  France  1867 ;  Ely  „Recrute- 
ment"  p.  642.  Dictionn.  encycloped.  des  sciences  medic.  —  Citiert  nach  G.  Lagneau.  De 
l'influence  de  l'illegitimite'  sur  la  mortalite.     Annal.  d'Hygiene  publ.   1876,   T.  45,  p.  70  ff. 


Die  jugendlichen  Berliner  unehelicher  Herkunft.  537 

es  bei  der  Verschiedenheit  der  zu  Grunde  liegenden  Verhältnisse  nicht 
zum  unmittelbaren  Vergleich  herangezogen  werden  kann. 

Zunächst  wäre  Einiges  über  das  statistische  Material  zu  sagen, 
welches  für  diese  Studie  benutzt  ist.  Die  Militärbehörde  führt  über 
alle  männlichen  Individuen  in  deren  Heimatsbezirk  Grundlisten,  welche 
nach  den  kirchlichen  Taufregistern  (von  1874  an  nach  den  standes- 
amtlichen Registern)  aufgestellt  werden.  Der  nachträgliche  Eintritt 
von  Todesfällen  und  anderen  Beurkundungen  des  Personenstandes  wurde 
(vor  1874)  z.  T.  durch  die  Kirchen  mitgeteilt,  z.  T.  wird  er  sonst 
amtlich  ermittelt.  Ueber  Bestrafungen  erfolgen  zu  diesen  Listen  seitens 
der  kgl.  Staatsanwaltschaft  Mitteilungen,  die  zwar  nur  für  das  militär- 
pflichtige Alter  (21. — 23.  Lebensjahr)  vorgeschrieben  sind,  thatsäch- 
lich  jedoch  mit  wenigen  Ausnahmen  auch  schon  für  die  vorhergehen- 
den Lebensjahre  gemacht  werden.  —  Auch  wenn  die  Stellung  aus- 
wärts erfolgt,  wird  in  die  Listen  des  Heimatsbezirkes  über  das  Ergeb- 
nis derselben  Eintragung  gemacht. 

Es  geben  also  für  die  unehelich,  sowie  —  zum  Vergleich  —  für 
die  ehelich  Geborenen  die  militärischen  Listen  über  die  folgenden 
Punkte,  die  uns  interessieren,  Auskunft:  Zahl  der  Lebenden  — 
Beruf  —  Bildungsgrad,  gemessen,  soweit  es  sich  nicht  schon 
aus  dem  Beruf  ergiebt,  an  der  Berechtigung  zum  Einjährig-Freiwilligen- 
dienst  —  Gesundheitszustand  —  Moralität. 

Die  Ausdehnung,  in  der  das  Material  der  Listen  zur  Verwertung 
kam,  wurde  durch  die  private  Natur  dieser  Studie  bestimmt:  ich 
mußte  mich  begnügen,  Zahlenreihen  zu  gewinnen,  welche  die  angeregten 
Fragen  im  allgemeinen  beantworten ;  nur  eine  amtliche  Statistik  wäre 
in  der  Lage  über  viele  Jahre  hinaus  die  Verhältnisse  im  einzelnen 
festzustellen;  der  Zweck  dieser  Studie  könnte  als  erreicht  gelten, 
wenn  sie  hierzu  eine  Anregung  gäbe.  Es  wurden  nur  die  Listen  der 
in  den  Jahren  1868,  1869,  1870  in  Berlin  Geborenen  —  z.  T. 
nur  in  Stichproben  —  verarbeitet ;  die  gewählten  Jahrgänge  sind  die 
jüngsten,  welche  abgeschlossen  und  daher  für  unsere  Zwecke  verwend- 
bar waren. 

Zahl  der  Unehelichen  im  militärpflichtigen  Alter *). 
Man  könnte  daran  denken ,  aus  den  Listen  eine  Mortalitätstabelle  für 
die  Ehelichen  und  Unehelichen  bis  zum  Alter  von  20  Jahren  auf- 
zustellen. Doch  dürften  hierzu  die  Uebertragungen  aus  den  Kirchen- 
registern —  besonders  bezüglich  der  im  Säuglingsalter  Verstorbenen  — 
zu  lückenhaft  sein;  auch  findet  sich  in  den  militärischen  Listen  eine 
freilich  nur  kleine  Zahl  von  Personen  vor,  deren  Verbleib  bei  der  Aus- 
hebung nicht  festzustellen  war,  und  die  daher  wegen  Verletzung  der 
Wehrpflicht  in  contumaciam  verurteilt  wurden  (s.  später) ;  ein  Teil 
von  ihnen  muß  als  verstorben  betrachtet  werden.  Aber  abgesehen  von 
der  Unmöglichkeit,  die  Zahl  der  Todesfälle  genau  festzustellen,  ver- 
hindert noch  ein  zweiter  Punkt  die  genaue  Berechnung  der  Sterblich- 


1)  Militärpflichtig  ist  jeder  Wehrpflichtige    vom  1.  Januar  des  Kalenderjahres  an,  in 
welchem  er  das  20.  Lebensjahr  vollendet. 


538 


H.  Neumann, 


keit.  Die  Legitimierung  der  Unehelichen  läßt  eine  große  Zahl 
von  ihnen  schon  in  ihren  ersten  Lebensjahren  in  die  Reihen  der  Ehe- 
lichen übertreten.  In  dieser  Richtung  zeigten  sich  die  Beurkundungen 
der  Listen  so  unzuverlässig,  daß  sich  nur  ein  verschwindend  kleiner 
Teil  der  Legitimierungen,  die  thatsächlich  stattgefunden  haben  müssen, 
angemerkt  fanden;  vielmehr  figurieren  die  Legitimierten  meistens  als 
Ehelichgeborne.  Wenn  ich  daher  im  Folgenden  die  Ehelichen  den 
Unehelichen  gegenüberstelle,  so  sind  unter  den  ersteren  stets  eine 
Anzahl  legitimierter  Unehelicher;  doch  dürfte  die  hierdurch  bedingte 
Ungenauigkeit  kaum  ins  Gewicht  fallen.  Hingegen  geben  die  Listen 
genaue  Auskunft  darüber,  wie  viele  von  den  in  einem  bestimmten 
Kalenderjahr  in  Berlin  unehelich  Geborenen  —  nach  Abzug  der  Summe 
von  Legitimierten  und  Verstorbenen  —  in  das  militärpflichtige  Alter 
traten  oder,  richtiger  gesagt,  zur  militärischen  Stellung  kamen. 

Es  waren  im  Jahre  1869  (bez.  1870)  in  Berlin  in  der  Ehe  12  380 
männliche  Kinder  lebend  geboren  (bez.  13  436),  außer  der  Ehe  1991 
(bez.  2166).  Von  diesen  stellten  sich  in  den  Kalenderjahren,  in  denen 
sie  20  Jahre  alt  wurden,  6676  (bez.  6818)  Eheliche  und  279  (bez.  292) 
Uneheliche.  Von  dem  Geburtsjahrgang  1868,  für  welchen  ich  die  ehe- 
lichen Militärpflichtigen  nicht  ausgezählt  habe,  stellten  sich  auf  2032 
lebend  geborene  Uneheliche  276. 

Diese  Zahlen  ergeben  sich  in  folgender  Weise: 


Geburts- 
jahr 


Militär- 
pflichtig 


Es  gehen  ab  wegen 


Auswanderung  oder 
fremder  Staats- 
angehörigkeit 


Verletzung  der 
Wehrpflicht 


Es   bleiben 


Ehelich 

1869 

6921 

jj 

1870 

7030 

Jnehelich 

1868 

320 

!> 

1869 

320 

?) 

1870 

331 

27 

56 

2 


218 

156 

42 

30 


6676 

68l8 

276 

279 

292 


Es  waren  also  von  1000  im  Jahre  1869,  bez.  1870  ehelich  Ge- 
borenen 539,  bez.  507,  von  1000  in  den  Jahren  1868,  1869  und  1870 
unehelich  Geborenen  136,  140  und  135  militärpflichtig.  Während  bei 
dem  Geburtsjahrgang  1869  (bez.  1870)  unter  den  in  Berlin  lebend- 
geborenen Männlichen  13,85  (bez.  13,88)  Proz.  unehelich  waren,  befanden 
sich  in  den  gleichen  Geburtsjahrgängen  zur  Zeit  ihres  ungefähr  zwanzig- 
sten Lebensjahres  nur  noch  4,01  (bez.  4,11)  Proz.  Uneheliche.  Es  hatte 
sich  also  die  Zahl  der  Unehelichen  in  der  männlichen  Gesamtbevölke- 
rung bis  dahin  um  das  3,45 — (bez.  3,38)fache  verkleinert1). 


1)  In  Frankreich  überlebten  von  den  Geburtsjahrgängen  1832 — 1843  ein  Alter  von 
21  Jahren  nach  den  Rekrutierungslisten  654  Proz.  Eheliche  und  260  Proz.  Uneheliche 
(nach  Chenu,  1.  c.)  und  in  den  folgenden  4  Jahrgängen  668  Proz.  Eheliche  und  257  Un- 
eheliche. Doch  entziehen  sich  die  Grundlagen  dieser  Zahlen  für  mich  der  kritischen 
Würdigung. 


Die  jugendlichen   Berliner  unehelicher  Herkunft  539 

Es  bedarf  keiner  Erörterung,  dafs  sich  unsere  Zahlen  nicht  in  direkte 
Beziehung  zu  den  Sterblichkeitstafeln  der  Stadt  Berlin  setzen  lassen;  im 
Gegensatz  zu  letzteren  beziehen  sich  u.  a.  unsere  Zahlen  auf  alle  in 
Berlin  Geborenen,  ei  n  schli  efslich  der  aufserhalb  Berlins  Wohnhaften. 
Wie  viele  von  den  in  den  Jahren  1869  und  1870  in  Berlin  Geborenen 
ein  Alter  von  20  Jahren  überlebten,  ist  überhaupt  vorläufig  noch  nicht 
statistisch  ermittelt.  Nehmen  wir  z.  B.  für  das  Jahr  1869  die  Zahl  aller 
männlichen  Geburten  (einschliefslich  Totgeburten)  mit  15  152  und  die  Zahl 
der  Militärpflichtigen  mit.  7241,  bez.  nach  Abzug  der  Ausgewanderten  und 
ausgetretenen  Heerespflichtigen  mit  6955,  so  würden  n;tch  den  militärischen 
Listen  zwischen   477,89  und  459,02  vom  Tausend  zu  20  Jahren  überleben. 

Es  kamen  von  den  Ehelichgeborenen  des  Geburtsjahrgangs  1869 
sowie  von  1000  Ehelichen  der  Jahrgänge  1868  und  1870  jedesmal 
außerhalb  Berlins  27,5  Proz.  zur  Stellung,  hingegen  von  den 
Unehelichen  der  Jahrgänge  1868—1870  40  Proz.,  und  es  erscheint 
hiernach  wahrscheinlich,  daß  verhältnismäßig  mehr  Uneheliche  als  Ehe- 
liche dauernd  außerhalb  Berlins  ihren  Wohnsitz  haben.  Immerhin 
zeigen  uns  Zahlen,  welche  sich  weiter  unten  bei  der  Besprechung  der 
Kriminalität  finden,  daß  die  uneheliche  wie  die  eheliche  Bevölkerung 
Berlins  schon  in  der  Jugend  stark  fluktuiert:  es  muß  sich  von  denen, 
die  sich  außerhalb  stellten,  eine  erhebliche  Anzahl  mindestens  vorüber- 
gehend in  Berlin  aufgehalten   haben. 

Die  Wahl  des  Berufes  pflegt  sich  nach  der  sozialen  Stellung 
und  der  Vermögenslage  der  Eltern  zu  bestimmen.  Bei  den  ärmlichen 
Verhältnissen,  in  denen  der  größere  Teil  der  Unehelichen  aufwächst, 
darf  man  daher  von  vornherein  erwarten,  ;daß  sie  ;  besonders  zahlreich 
in  dem  Arbeiterstande  zu  finden  sind  —  und  zwar  unter  denjenigen 
Arbeitern,  die  sich  ohne  berufliche  Vorbildung  durch  die  grobe  Ver- 
wendung ihrer  Körperkraft  erhalten.  In  der  That  sehen  wir  die  Un- 
ehelichen, verglichen  mit  den  Ehelichen,  besonders  in  dieser  Klasse  vor- 
wiegen, während  sie  hingegen  im  Handels-  (und  Hausier-)gewerbe,  in  der 
Post,  Telegraphie  und  Eisenbahn,  sowie  in  den  eine  höhere  Bildung  er- 
fordernden Berufen  entsprechend  zurücktreten.     (Siehe  Tab.  auf  S.  540.) 

Für  die  Beurteilung  der  sozialen  Stellung  ist  es  von  Bedeutung, 
ob  ein  Beruf  in  abhängiger  oder  unabhängiger  Thätigkeit  getrieben 
wird;  doch  ist  diese  Frage  für  das  Lebensalter,  mit  dem  wir  es  zu 
thun  haben,  eine  müßige,  da  hier  nur  ausnahmsweise  schon  eine  selb- 
ständige Stellung  errungen  ist.  Z.  B.  waren  von  allen  Stellungs- 
pflichtigen des  Jahrgangs  1869  nur  22  Eheliche  unabhängig  (von  ihnen 
15  im  Handels-  und  [Hausier-]gewerbe). 

Die  Berechtigung  zum  Einjährig- Fr  ei  willigen  dienst 
findet  sich  bei  6736  Ehelichen  des  Geburtsjahrgangs  1869  in  8,2  Proz., 
bei  481  Ehelichen  des  Jahrgangs  1868  in  11,4  Proz.,  hingegen  bei  561 
Unehelichen  der  Jahrgänge  1868  und  1869  nur  in  1,6  Proz. 

Bevor  wir  zu  den  Resultaten  der  ärztlichen  Untersuchung  über- 
gehen, machen  wir  ersichtlich,  wie  viele  von  den  in  den  Listen  der 
Ersatz-Kommission  Geführten,  überhaupt  zur  Untersuchung  gelangten ; 
die  Prozentzahlen  sind  berechnet  für  6904  Eheliche  des  Geburtsjahres 


540 


H.  Neumann, 


Eheliche 

Uneheliche 

Beruf 

Proben  aus 

1868  und 

1870 

Proz. 

alle  Ehe- 
liche   1869 

Proz. 

1868 
1869 
1870 

Proz. 

1.   Arbeiter  (ohne   nähere  Angabe) 

104 

10,8 

659 

9,8 

191 

22,4 

2.   Professionisten 

347 

35.9 

2608 

38,7 

343 

40,2 

3.  Feineres    Handwerk1).      Berufe 
mit  einiger    technischer  Vorbil- 
dung 2) 

81 

8,4 

338 

5,o 

27 

3.2 

4.  Nahrungsmittel ,    Beherbergung, 
Erquickung,       Schaustellungen, 
Verkehr 

67 

7,o 

469 

7,o 

63 

7,4 

5.  Land-    u.  Fortwirtschaft,    Jagd, 
Gärtner,  Fischer,  Seefahrt 

14 

1,3 

104 

1,5 

12 

1,4 

6.   Handels-  und  Hausiergewerbe 

174 

18,0 

1107 

16,4 

89 

lO,4 

7.  Schreiber,  Verwalter,  Zahntech- 
niker, Heilpersonal 

11 

1,1 

114 

1,7 

II 

1,3 

8.  Persönlicher  Dienst 

25 

2,6 

146 

2,2 

32 

3-8 

9.  Post,  Telegraphie,  Eisenbahn 

16 

1,7 

144 

2,1 

5 

0,6 

10.  Bildhauer,  Maler,  Musik,  Theater 

5i 

5,3 

316 

4.7 

36 

4,2 

11.  Aerzte,   Beamte,  Lehrer,   Geist- 
liche,  Architekten,  Apotheker 

14 

1,3 

125 

1,9 

9 

1,1 

12.  In  Berufsvorbereitung  s)  (hierbei 
Studenten) 

38 

(26) 

3-9 

269 
(I8l) 

4,o 

8 

0,9 

13.  Almosenempfänger;     in    Wohl- 
thätigkeitsanstalten 

1 

0,1 

17 

0,3 

1 

0,1 

14.   Ohne  Berufsangabe4) 

23 

2,4 

320 

4-7 

25 

2,9 

966 

6736 

852 

1869  und  für  1000  Eheliche 
Uneheliche  der  Geburtsjahre 


der  Jahre  1868  und  1870,  sowie  für  971 
1868,  1869  und  1870.| 


Eheliche 

Uneheliche] 

1869 

1868,   1870 

1868—1870 

Untersucht 

94,6 

92,7 

85,8 

Dienstunwürdig 

0,3 

0,6 

1,1 

Hierzu :  bestraft  wegen  Verletzung  der  Wehr- 
pflicht 

3,2 

3-3 

11,6 

Noch  ohne   endgiltige  Entscheidung 

1,5 

2,4 

0,5 

Im  Besitz  einer    fremden  Staatsangehörigkeit 
oder  ausgewandert 

o,4 

1,0 

1.1 

1)  z.  B.  Uhrmacher,   Graveure,  Juweliere,  Photographen. 

2)  z.  B.  Mechaniker,  Techniker,  Landmesser. 

3)  Aufser  Studenten  meist  Kadetten. 

4)  Traten  meist  unmittelbar  von  der  Schule  zum  Militär  ein. 


t>ie  jugendlichen   Berliner  unehelicher  Herkunft. 


541 


Die  Verschiedenheit  dieser  Zahlen  bei  Ehelichen  und  Unehelichen 
erklärt  sich  leicht.  Es  haben  mehr  Eheliche  als  Uneheliche  noch 
keine  endgiltige  Entscheidung  erhalten,  weil  hierbei  meist  Einjährig- 
Freiwillige  in  Betracht  kommen.  Da  von  den  Unehelichen  ein  be- 
sonders großer  Teil  verschollen  ist  —  ein  großer  Teil  von  ihnen  wird 
verstorben  sein  —  so  sind  dementsprechend  auch  von  ihnen  mehr  wegen 
Verletzung  der  Wehrpflicht  verurteilt.  Die  häufigere  Dienstunwürdig- 
keit  der  Unehelichen  findet  an  späterer  Stelle  ihre  Erläuterung. 

Das  Ergebnis  der  ärztlichen  Untersuchung  der  Kekruten 
wäre  in  Hinsicht  auf  die  Frage  zu  prüfen,  ob  die  Ungunst  der  Ver- 
hältnisse, welche  die  Gesundheit  der  Unehelichen  im  Kindesalter  außer- 
ordentlich schwer  schädigt,  noch  im  Beginn  des  Mannesalters  eine 
Nachwirkung  erkennen  läßt.  Die  folgende  Tabelle  trennt  in  Taugliche, 
Ersatzreserve,  Landsturm  und  dauernd  Untaugliche.  Während  in  die 
beiden  letzten  Gruppen  im  allgemeinen  nur  solche  gestellt  werden,  welche 
in  höherem  Maße  körperlich  minderwertig  sind,  wurden  der  Ersatz- 
reserve auch  durchaus  kräftige  Leute  überwiesen,  welche  vorübergehend 
krank  oder  mit  geringen  Fehlern  behaftet  waren  oder  nicht  das  nötige 
Körpermaß  hatten.  Zuweilen  werden  „nach  dem  Ergebnis  der  ärzt- 
lichen Untersuchung  Taugliche"  später  wegen  bürgerlicher  Verhältnisse 
reklamiert  und  daraufhin  der  Ersatzreserve  oder  dem  Landsturm  über- 
wiesen: diese  sind  in  unserer  Tabelle  sachgemäß  als  Taugliche  mit- 
gezählt. 


Eheliche 
1868,  1870  (Stich- 
proben) 
I       Proz. 


1869  (sämtlich) 
|       Proz. 


Uneheliche 
1868  1869  1870 
|       Proz. 


I.   Dauernd  untaug- 
lich 

II.  Dem  Landsturm 
überwiesen 

III.  Der  Ersatzreserve 
überwiesen 

IV.  Diensttauglich 
im  ganzen 


8i 

8,8 

627 

9-6 

102 

368 

39,7 

2731 

41,7 

308 

165 

17,8 

1126 

17,2 

I70 

313 

33-8 

2065 

31.5 

25I 

927 

6549 

831 

12,3 

37,1 

20,5 
3°,  2 


Nehmen  wir  bei  den  Ehelichen  das  Ergebnis  der  Aushebung  vom 
Jahrgang  1869  (der  vollständig  verarbeitet  ist)  und  die  Summe  der 
Stichproben  aus  den  Jahrgängen  1868  und  1870,  so  schwankt  der 
Prozentsatz  der  Tauglichen  zwischen  31,5  und  33,8  (bei  Zurechnung 
der  Ersatzreserve  zwischen  48,7  und  51,6),  beträgt  also  im  Mittel  32,7 
(bezw.  50,2).  Bei  den  Unehelichen  ist  der  Prozentsatz  der  Tauglichen 
in  den  Jahrgängen  1868—1870  30,2  (zuzüglich  der  Ersatzreserve  50,7). 

Es  besteht  also  in  dem  Prozentsatz  der  Tauglichen  eine  kleine 
Differenz  zwischen  Ehelichen  und  Unehelichen,  die  sich  übrigens  bei 
Zuzug  der  Ersatzreserve  sofort  ausgleicht;  eine  wesentliche  Bedeutung 
möchte  ich  ihr  nicht  beimessen   und  muß  es  von  Untersuchungen,  die 


542  Ö-  N  e  u  m  a  n  n  , 

in  größerem  Maßstabe  vorzunehmen  wären,  abhängig  machen,  ob 
eine  derartige  geringe  Verschiebung  zu  Ungunsten  der  Unehelichen 
als  konstant  zu  betrachten  ist.  Hierbei  würde  im  besonderen  die  Taug- 
lichkeit der  Ehelichen  und  Unehelichen,  getrennt  nach  Berufen,  zu  unter- 
suchen sein,  um  den  Einfluß  der  Berufstätigkeit  auf  die  körperliche 
Tüchtigkeit  auszuschalten  *). 

Die  Analyse  der  körperlichen  Fehler,  welche  die  Ausmusterung 
nach  sich  zogen  ,  läßt  ebensowenig  eine  deutliche  Nachwirkung  der 
ungünstigen  Verhältnisse  der  Kindheit  bei  den  Unehelichen  erkennen. 
Die  hohe  Sterblichkeit  der  unehelichen  Kinder  läßt  vermuten,  daß  die 
am  Leben  bleibenden  in  ihrer  Gesundheit  häufig  dauernd  schwer  ge- 
schädigt sind,  und  es  wäre  daher  nicht  überraschend,  wenn  sich  bei 
der  militärischen  Untersuchung  der  Unehelichen  häufig  noch  schwacher 
Knochen-  und  Muskelbau,  schwache  Brust  und  überhaupt  eine  schwache 
Körperkonstitution  fände ;  aber  die  Thatsachen  entsprechen  dieser  An- 
nahme so  wenig,  daß  im  Gegenteil  die  Körperschwäche  seltener  als 
bei  den  Ehelichen  einen  Grund  zur  Ausmusterung  giebt.  Erinnern 
wir  uns,  daß  die  Unehelichen  nur  ausnahmsweise  die  Mutterbrust  er- 
halten und  unter  dem  Zusammenwirken  einer  mangelhaften  Nahrung 
und  Pflege  die  schwereren  Formen  der  Rachitis  zeigen  werden,  so 
könnte  man  denken,  bei  der  Aushebung  auch  hiervon  Folgezustände 
zu  finden,  und  trotzdem  ist  weder  Verkrüppelung  und  Mißgestaltung, 
noch  Mindermaß  bei  den  Unehelichen  häufiger,  als  bei  den  Ehelichen. 
Schließlich  sind  bei  den  Unehelichen  auch  Nerven-  und  Geisteskrank- 
heiten nicht  häufiger,  als  bei  den  Ehelichen,  obgleich  die  bei  jenen  viel 
häufigere  vererbte  Syphilis  zu  Erkrankungen  des  Nervensystems  eine 
Prädisposition  schafft.  Statt  dessen  sind  die  Unehelichen  in  der 
Rubrik  „sonstige  Fehler"  stärker  beteiligt,  in  die  wir  alle  solche  Fehler 
zusammengenommen  haben,  die  mehr  zufällig  sind  und  nicht  durch  be- 
sondere Lebensverhältnisse  bedingt  sein  können. 

Es  wurden  als  dauernd  untauglich  ausgemustert  bezw.  zum  Land- 
sturm überwiesen: 

(Siehe  Tabelle  auf  S.  543.) 

Dies  Ergebnis  der  ärztlichen  Untersuchung  lässt  sich  wohl  nur 
so  deuten ,  daß  die  Natur  vor  der  Aushebung  schon  ihrerseits  eine 
gründliche  Ausmusterung  vornimmt:  in  der  That  sind  die  schweren 
Formen  konstitutioneller  Erkrankungen  (einschließlich  der  Syphilis) 
ganz  gewöhnlich  die  Veranlassung  zu  einem  ungünstigen  Ausgang  von 
selbst  an  und  für  sich  gutartigen  Erkrankungen  im  Kindesalter  und 
werden  auf  diese  Weise,  soweit  sie  nicht  schon  unmittelbar  zum 
Tode  führten,  gelegentlich  eliminiert.  Wenn  die  Unehelichen  bezüg- 
lich der  Fehler,  welche  zur  Ausmusterung  führten,  sogar  noch  günstigere 
Verhältnisse  als  die  Ehelichen  zu  zeigen  scheinen,  so  liegt  die  An- 
nahme nahe,    daß  bei  ihnen  unter  der  Ungunst  der  äußeren  Verhält- 

l)  Von  den  277  militärpflichtigen  Unehelichen  des  Jahrgangs  1870,  welche  dem 
Arbeiter-  und  Handwerkerstande  angehörten,  waren  90,  von  einer  gleich  grofseu  Stichprobe 
aus  den  Ehelichen  des  gleichen  Jahrgangs  95  diensttauglich  —  also  allerdings  auch  hier 
eine  kleine  Verschiebung  zu  Ungunsten  der  Unehelichen. 


t>ie  jugendlichen   Berliner  unehelicher  Herkunft. 


543 


Eheliche 

Uneheliche 

1869 

1868 
1870 

1868 
—  1870, 

I 

Verkrüppeluug    oder   Mifsgestuliung 
(Anl.    4b   1) 

25 

0,7 

7 

1,6 

6 

1,5 

II 

Verkrümmung  des  Rückgrats,  Mifs- 
bilduDg     des    Brustkastens    (Anl. 
4  b  32,  33) 

78 

2,3 

6 

1,3 

IO 

2.4 

III 

Verlust,    Verunstaltung    oder    chro- 
nische Verscbwärung  der  Nase 
(Anl.  4  a  14,    15,  Anl.  4  b  22) 

6 

0,2 

IV 

Chron.  entzündl.  Leiden  der  Knochen 
(Anl.  4  b  6) 

4 

0,2 

— 



2 

0,5 

V 

Krankheiten   der  Sinnesorgane  (Anl. 
4a   11,  Anl.  4b  20,  21,  27) 

68 

2,0 

11 

2,4 

9 

2,2 

VI 

Chron.  Nerven-,    und   Geisteskrank- 
heiten, Epilepsie  (Aul.  4  a  4,  Anl. 
4  b   14,    15,   16,    17) 

67 

2,0 

9 

2,0 

3 

0  .7 

VII 

Chron.  Leiden    der   Atmungsorgane 
(Anl.    4  a  19,    20,    21,    Anl.    4  b 
29,   34,  35) 

53 

1,6 

7 

1,6 

4 

1,0 

VIII 

Herzfehler  (Anl.  4  b   36) 

65 

1,9 

3 

0,7 

5 

1,2 

IX 

Schwacher    Knochen-    und    Muskel- 
bau,   schwache    Brust,     schwache 
Körperkonstitntion,  Körper- 
schwäche (Anl.  4  a   1,   18) 

1826 

54,4 

246 

54,8 

188 

45-9 

X 

Mindermafs  (unter   1,57  m) 

48 

1,4 

10 

2,2 

8 

2,0 

XI 

Zeitige  Fehler 

33 

1,0 

8 

1,8 

1 

— 

XII 

Sonstige  Fehler 

755 

22,5 

102 

22,7 

142 

34-« 

XIII    | 

Kleinere  Fehler 

330 

9,8 

40 

8,9 

32 

7,8 

3358 

449 

410 

nisse  die  natürliche  Auslese  noch  schonungsloser  vor  sich  geht  als  bei 
den  Ehelichen;  unser  Material  reicht  aber  leider  nicht  aus,  um  diese 
Auffassung  genauer  zu  prüfen. 

Während  in  Frankreich  von  1000  Ehelichen  nur  32,5  wegen  Minder- 
mafs ausgemustert  wurden,  ist  die  Zahl  der  entsprechenden  Unehelichen 
64,0.  Wenn  1863 — 1868  von  1000  Ehelichen  197,3  ausgemustert  wurden, 
waren  von  1000  Unehelichen  253  dienstuntauglich.  Hier  hat  es  also 
den  Anschein,  als  ob  die  Unehelichen   körperlich   sehr   ungünstig  stehen. 

Schon  aus  meiner  ersten  Arbeit  ließ  sich  die  Häufigkeit  von  Ver- 
wahrlosung in  der  Kindheit  bei  den  Unehelichen  Berlins  erkennen. 
Es  erschien  daher  wichtig,  die  Kriminalität  der  Jugendlichen 
an  der  Hand  der  militärischen  Listen  genauer  zu  studieren ;  die  letz- 
teren geben,  wie  es  scheint,  mit  annähernder  Vollständigkeit  —  wobei 
jedenfalls  statistische  Fehler  Eheliche  und  Uneheliche  gleich   häufig 


544  ^-  Neumann, 

treffen  —  die  mit  dem  Eintritt  des  strafmündigen  Alters  (12  Jahre) 
bis  zum  Alter  von  22  Jahren  begangenen  Strafthaten,  soweit  sie  zur 
Verurteilung  führten.  Freilich  geben  diese  Verurteilungen  nur  ein  un- 
gefähres Bild  von  der  Kriminalität  des  jugendlichen  Alters;  ein  ge- 
wisser Teil  der  Jugendlichen  muß  freigesprochen  werden,  weil  er  bei 
Begehung  der  strafbaren  Handlung  die  zur  Erkenntnis  ihrer  Strafbar- 
keit erforderliche  Einsicht  nicht  besaß1). 

Es  seien  hier  noch  zwei  Punkte  erwähnt,  welche  die  Möglichkeit 
der  Straffälligkeit  für  die  Unehelichen  in  gewissem  Grade  einschränken: 
sowohl  die  Zwangserziehung,  wie  die  Einstellung  zum  Militär  kann  bis 
zum  22.  Jahre  auf  mehr  oder  weniger  lange  Zeit  die  freie  Bewegung  und 
hiermit  den  Anreiz  zu  Strafthaten  vermindern;  beides  trifft  wesentlich 
auf  die  Unehelichen  zu,  im  besonderen  erhalten  Ausstand  fast  nur  Ehe- 
liche, die  sich  zu  Beginn  der  Militärpflichtigkeit  noch  in  Berufsvorberei- 
tung befinden.  —  Die  jugendlichen  Straffälligen,  welche  vor  dem  Eintritt 
in  das  militärpflichtige  Alter  verstarben ,  sind  weder  bei  den  Ehelichen, 
noch  Unehelichen  berücksichtigt. 

Zum  Vergleich  mit  den  von  den  Unehelichen  der  Geburtsjahrgänge 
1868 — 1870  begangenen  Strafthaten  wurden  die  von  je  500  Ehelichen 
der  gleichen  3  Jahrgänge  begangenen  herangezogen.  Auf  die  Art  und 
Dauer  der  Bestrafung,  die  bekanntlich  im  Alter  von  12  bis  18  Jahren 
anders  als  später  bemessen  wird,  gingen  wir  nicht  ein.  Die  wegen  Ver- 
letzung der  Wehrpflicht  Bestraften  wurden,  soweit  sie  nicht  auch  au6 
anderen  Gründen  bestraft  wurden,  weder  unter  den  Bestraften,  noch  bei 
der  Gesamtzahl,  auf  welche  die  Bestraften  prozentisch  berechnet  wurden, 
in  Ansatz  gebracht,  ebensowenig  ferner  bei  den  letzteren  die  Ausgewan- 
derten, deren  Zahl  hier  nur  wenig  in  Betracht  kommen  kann. 

Wenn  schon  der  höhere  Prozentsatz  der  wegen  entehrender  Straf- 
thaten vom  Militärdienst  Ausgeschlossenen  die  moralische  Minder- 
wertigkeit der  Unehelichen  andeutete,  so  geben  die  folgenden  Zahlen 
ein  viel  schärferes  Bild.  Es  sind  im  Alter  von  12 — 22  Jahren  von 
1444  Ehelichen  200,  von  850  Unehelichen  199  bestraft  worden  und 
zwar  wegen  Vergehen  und  Verbrechen  von  den  ersteren  138  =  9,6 
Prozent,  von  den  letzteren  166  =  19,5  Prozent,  nur  wegen  Ueber- 
tretungen  von  jenen  62  =  4,29  Prozent,  von  diesen  33  =  3,9  Prozent. 

Hierzu  kommt,  dass  die  Unehelichen  ein  viel  längeres  Strafregister 
haben:  sie  waren  521mal  abgeurteilt  (wegen  Vergehen  und  Verbrechen 
356mal,  wegen  Uebertretungen  165mal),  also  jeder  Bestrafte  im  Durch- 
schnitt 2,62mal,  während  die  Ehelichen  354mal  verurteilt  waren  (230- 
mal  wegen  Vergehen  und  Verbrechen,  124mal  wegen  Uebertretungen), 
also  jeder  im  Durchschnitt  nur  l,77mal.  Berechnet  man,  wie  viele 
einzelne  Verurteilungen  auf  100  sämtlicher  Ehelichen  bezw.  Unehe- 
lichen kommen,   so   entfallen  auf  die  ersteren  15,9,  auf  die  letzteren 


1)  Dafs  wir  die  Strafthaten  demjenigen  Lebensjahr  zurechnen  müssen,  in  dem  die 
Verurteilung,  nicht  immer  jedoch  auch  die  That  erfolgte,  dürfte  von  keiner  erheblichen 
Bedeutung  sein. 


Die  jugendlichen   Berliner  unehelicher  Herkunft.  545 

41,9  Vergehen  und  Verbrechen,  sowie  außerdem  auf  jene  8,6,  auf  diese 
19,4  Uebertretungen.  Es  haben  also  die  Unehelichen  2,64mal  so  viel 
Vergehen  und  Verbrechen  und  2,26mal  so  viel  Uebertretungen  be- 
gangen als  die  Ehelichen  1). 

Von  den  Uebertretungen  dürften  uns  wesentlich  nur  die  Bettelei, 
die  Arbeitsscheu  und  das  Landstreichen  interessieren,  inso- 
fern derartige  Uebertretungen  auf  das  Fehlen  einer  gesicherten  sozialen 
Stellung  hinweisen.  Im  folgenden  werden  wir  deshalb  die  Trennung 
nach  Verbrechen  und  Vergehen  einerseits,  nach  Uebertretungen  an- 
dererseits aufgeben  und  alle  Strafthaten  zusammenfassen,  indem  wir 
aber  hierbei  von  den  Uebertretungen  nur  die  soeben  besonders  er- 
wähnten in  Betracht  ziehen. 

Schon  mit  Beginn  der  Strafmündigkeit  treffen  wir  verhältnismäßig 
mehr  Uneheliche  als  Eheliche  vor  dem  Richterstuhl;  schon  im  Alter 
von  12 — 14  Jahren  sind  von  den  Unehelichen  2,4  Proz.,  hingegen  von 
den  Ehelichen  nur  1  Proz.  bestraft2). 

Die  Summe  der  erstmaligen  Strafthaten  verteilt  sich  in  ähnlicher 
Weise  bei  Ehelicheu  und  Unehelichen  über  das  ganze  Jugendalter, 
von  100  Ehelichen  bezw.  Unehelichen  wurden  zum  erstenmale  be- 
straft im  Alter  von  12—14  Jahren  10,2  bezw.  11,2,  im  Alter  von  15 
—17  Jahren  22,1  bezw.  17,4,  im  Alter  von  18  — 22  Jahren  67,8  bezw. 
71,4  Proz.  Im  Durchschnitt  fand  bei  Ehelichen  wie  Unehelichen  die 
erste  Bestrafung  im  Alter  von  18,1  Jahren  statt. 

Beginnt  sich  also  die  Kriminalität  überhaupt  erst  am  Schluß  der 
jugendlichen  Altersperiode,  die  wir  hier  betrachten,  stärker  zu  ent- 
wickeln, so  ist  es  um  so  bemerkenswerter,  daß  schon  in  der  Jugend 
die  Kriminalität  der  Unehelichen  mit  so  großen  Zahlen  einsetzt  und 
sogar  schon  hier  häufig  zum  gewohnheitsmäßigen  Verbrechertum  ge- 
führt hat.  Fast  1fA  der  bestraften  Unehelichen  war  bis  zu  seinem 
22.  Jahr  schon  4 — 13 mal  verurteilt  worden.  Im  einzelnen  sind  von 
100  ehelichen,  bez.  unehelichen  Verurteilten  verurteilt: 

Ehel.  Unehel. 


1  mal 

6l 

50 

2  mal 

16 

18 

3  mal 

II 

9 

4  mal 

6 

7 

5— 13  mal 

6 

16 

IOO 


Es  wäre  noch  die  Art  der  Delikte  in  Betracht  zu  ziehen.  Zu 
diesem  Zweck  haben  wir  die  Vergehen  und  Verbrechen  in  3  Haupt- 
gruppen zusammengefaßt,  denen  die  hiernach  noch  verbleibenden 
Vergehen  und  Verbrechen  als  4.  Gruppe  angeschlossen  sind;  in  einer 
5.  Gruppe  finden  sich  die  Bestrafungen  wegen  Bettelei.  In  der 
folgenden  Tabelle  giebt  nun  die  2.  Kolumne  die  Zahl  der  in  einer  Gruppe 


1)  Jede  Strafsache  ist  auch  dann  nur  einmal  gerechnet,    wenn  sie  gleichzeitig  meh- 
rere Delikte  in  sich  schlofs  ;  sie  wurde  dann  unter  dem  Hauptdelikt  rubriziert. 

2)  Allerdings  nicht  ganz  richtig  auf  die  Zahl  der  Militärpflichtigen    berechnet. 
Dritte  Folpe  Bd.  VJH  (LXI11).  35 


546 


H.  N 


p  11  m  a  n  n 


Bestraften  und  die  3.  Kolumne  die  Summe  ihrer  Strafthaten;  in  der 
4.  Kolumne  ist  die  Verteilung  der  Delikte  bei  den  bisher  nur  einmal 
Bestraften  ersichtlich.  Hieraus  läßt  sich  leicht  berechnen,  wie  viele 
Delikte  in  den  einzelnen  Gruppen  auf  mehrfach  wegen  dieser  Delikte 
oder  wegen  dieser  und  anderer  Delikte  Bestrafte  fallen.  So  haben  z.  B. 
115  uneheliche  Jugendliche  225  Vermögensdelikte  begangen  und  zwar 
blieb  bei  45  von  ihnen  das  Vermögensdelikt  zunächst  die  einzige  Straf- 
that,  während  sich  180  Vermögensdelikte  auf  70  Personen  verteilen, 
welchen  wiederholte  Vermögensdelikte  oder  neben  Vermögensdelikteu 
noch  andere  Delikte  zur  Last  fallen.  —  Da  eine  Anzahl  Bestrafter  in 
verschiedenen  Gruppen  Delikte  begangen  hat,  so  ist  die  in  der 
zweiten  und  fünften  Kolumne  unten  angegebene  Zahl  sämtlicher  Be- 
straften kleiner  als  die  Summe  der  in  den  einzelnen  Gruppen  Bestraften. 


Eheliche 

Uneheliche 

Bestrafte 

Summe 

der 

Strafthaten 

hiervon 
nur 

Bestr. 

Summe 

der 

Strafthaten 

hiervon 
nur 

Pers. 

einmal 
bestraft 

Pers. 

einmal 
bestraft 

I.  Vermögensdelikte 

84 

136 

41 

115 

225 

45 

II.  Del.  gegen  Leben 

und   Gesundheit 

28 

31 

19 

27 

33 

9 

III.  Del.  gegen  die 

Sittlichkeit 

9 

9 

4 

1 1 

11 

6 

IV.  Andere  Vergehen 

und  Verbrechen 

45 

55 

20 

59 

87 

21 

V.  Bettelei  etc. 

27 

46 

8 

42 

105 

8 

152 

277 

92 

178 

461 

89 

Hiernach   sind    von    100  bestraften  Personen  wegen  der  einzelnen 
Deliktsgruppen  bestraft : 


Eheliche 

Uneheliche 

I. 

55 

64 

II. 

18 

15 

III. 

6 

6 

IV. 

30 

33 

V. 

18 

24 

Es  sind  also  unter  den  Bestraften  sowohl  wegen  Vermögensdelikte 
wie  wegen  Bettelei  Uneheliche  prozentisch  etwas  häufiger  als  Eheliche 
bestraft.  Die  Delikte  gegen  Leben  und  Gesundheit,  sowie  gegen  die 
Sittlichkeit  sind  nicht  sehr  häufig,  was  z.  T.  in  dem  jugendlichen 
Alter  seine  natürliche  Begründung  finden  dürfte.  Ein  Vorwiegen  der 
Unehelichen  ist  bei  diesen  Zahlen  nicht  zu  bemerken,  wobei  wir  uns 
allerdings  nicht  verhehlen  dürfen,  daß  die  absoluten,  besonders  der 
3.  Gruppe  zu  Grunde  liegenden  Zahlen  nur  klein  sind. 

Bei  wiederholten  Bestrafungen  des  gleichen  Individuums 
handelt  es  sich  ebenfalls  besonders  oft  um  Delikte  gegen  das  Eigentum 
und  um  Bettelei;  bei  den  Ehelichen  sind  unter  152  Bestraften  43 
Personen  =  28  Proz.,   welche   wiederholt  Eigentumsdelikte  oder  auch 


Die  jugendlichen  Berliner  unehelicher  Herkunft. 


547 


ein  Eigentumsdelikt  neben  anderen  Delikten  begingen ;  unter  178  be- 
straften Unehelichen  beträft  ihre  Zahl  hingegen  sogar  70  =  39  Proz. 
Ebenso  ist  der  Prozentsatz  derer,  welche  wiederholt  wegen  Bettelei 
oder  wegen  Bettelei  und  anderer  Delikte  bestraft  sind,  bei  den  Ehe- 
lichen 13  Proz.,  hingegen  bei  den  Unehelichen  19  Proz. 

Es  wäre  nunmehr  der  Versuch  zu  machen,  die  Ursachen  für 
die  erhöhte  Kriminalität  der  Unehelichen  aufzudecken. 

Betrachten  wir  zunächst  den  Beruf  der  ehelichen  und  unehelichen 
Verbrecher.  Am  meisten  Neigung  zum  Verbrechen  zeigt  hier  wie 
dort  der  Arbeiterstand:  da  er  bei  den  Unehelichen  stärker  vertreten 
ist,  so  muß  schon  hierdurch  ihr  Anteil  an  den  Verbrechen  größer  sein. 
Es  kommt  aber  hinzu,  daß  die  unehelichen  Arbeiter  und  zwar  im  Be- 
sonderen die  gemeinhin  sogenannten  Arbeiter  auch  eine  größere  Neigung 
zum  Verbrechen  haben.  Eine  bezügliche  Berechnung  zeigt,  daß  von 
den  ehelicheu  Arbeitern  (Gruppe  I)  15,4,  hingegen  von  den  unehelichen 
27,2  Proz.  straffällig  sind1).  Aus  der  Zusammen  Wirkung  dieser  Mo- 
mente ergiebt  sich  als  Resultat,  daß  unter  100  ehelichen  Straffälligen 
17,4  Proz.,  unter  100  unehelichen  29,2  Proz.  Arbeiter  sind. 

Außerdem  haben  einen  etwas  zu  hohen  Anteil  an  den  Strafthaten 
bei  Ehelichen  und  Unehelichen   die  Dienstboten. 


Eheliche 

Uneheliche 

Beruf  des 

Beruf 

Bestrafte 

Jahrg.  1869 
überhaupt2) 

Bestrafte 

über- 
haupt 2) 

1)   Arbeiter  (ohne  nähere  Angabe; 

17,4 

9,8 

29,2 

22,4 

2)  Professionisten 

48,3 

38,7 

43-8 

40,2 

3)  Feinere  Handwerker  etc. 

2,7 

5-o 

2,8 

3,2 

4)  Nahrungsmittel  etc. 

7,4 

7,o 

7,3 

7,4 

5)  Landwirtschaft  etc. 

0,7 

1,5 

1,7 

1,4 

6)  Handel  etc. 

8,1 

16,4 

6,2 

IO,4 

7)  Schreiber  etc. 

3,4 

1,7 

0,6 

1,3 

8)  Persönl.  Dienst 

8,1 

2,2 

6,2 

3.8 

9)  Bildhauer  etc. 

3,4 

4,7 

1,7 

4,2 

10)  Aerzte  etc. 

1,9 

0,6 

1,1 

11)  In  Berufsvorbereitung 

0,7 

4,0 

12)  Ohne  Berufsangabe 

4.7 

1,1 

2,9 

Man  konnte  daran  denken,  daß  die  größere  Häufigkeit  von  Bette- 
lei und  ähnlichen  Uebertretungen  bei  den  Unehelichen  in  einer  ge- 
ringeren Arbeitsfähigkeit  ihre  Ursache  habe  —  eine  Ver- 
mutung, die  freilich  nach  den  Ergebnissen  der  ärztlichen  Untersuchung 
der  Militärpflichtigen  nicht  viel  für  sich  hat.  Thatsächlich  sind  weder 
bei  den  Unehelichen  noch  bei  den  Ehelichen,  welche  wegen  Bettelei  und 
dergleichen  bestraft  sind,  körperliche  Mängel,  welche  die  Erwerbsfähig- 
keit beeinträchtigen,  im  jugendlichen  Alter  besonders  häufig;  von  26 Ehe- 
lichen 3)    bzw.  40  Unehelichen3)  waren  16,    bzw.  23  dienstuntauglich. 


1)  Auf  die  Zahl  der  Militärpflichtigen  des  gleichen  Berufes  berechnet. 

2)  Aus  Tabelle  der  Seite  540. 

3)  Ein  Ehelicher  stellte  sich  nicht,  2  Uneheliche  kamen  als  dienstunwürdig  nicht  zur 
ärztlichen  Untersuchung. 

35* 


548  H.  Neu  mann  , 

Die  Verhältnisse  der  Großstadt  begünstigen  überhaupt  und  im 
besonderen  bei  den  Unehelichen  die  Kriminalität.  Obgleich  sich  nur 
60  Proz.  von  diesen  in  Berlin  stellten  (von  den  Ehelichen  hingegen 
73  Proz.),  wurden  von  den  straffälligen  Unehelichen  i  n  Berlin  84  Proz. 
(von  den  Ehelichen  87  Proz.)  abgeurteilt.  Im  besonderen  kamen  von 
den  Bestrafungen  wegen  Bettelei  76  Proz.  bei  den  Ehelichen,  81  Proz. 
bei  den  Unehelichen  in  Berlin  zur  Aburteilung  x). 

Fassen  wir  zusammen,  in  welcher  Weise  sich  uns  das  Schicksal 
der  männlichen  Unehelichen  Berlins  bis  zu  dem  Alter  von  22  Jahren 
in  den  Listen  der  militärischen  Ersatzkommission  entrollt.  Ein  großer 
Teil  der  Unehelichen  unterliegt  in  der  frühesten  Kindheit  nach  kurzem 
Kampf  der  Tücke  ihres  Schicksals,  ein  anderer  Teil  geht  noch  in  den 
nächsten  Jahren  zu  Grunde,  weil  seine  Konstitution  über  das  Durch- 
schnittsmaß hinaus  geschwächt  ist,  nur  ein  kleines  Häuflein  rettet  sich 
in  die  Jugendzeit  hinüber:  körperlich  unterscheidet  es  sich  nicht  oder 
nicht  wesentlich  mehr  von  den  gleichaltrigen  Ehelichen.  In  ärmlichen 
Verhältnissen  aufgewachsen,  hat  eine  besonders  große  Zahl  der  Un- 
ehelichen keine  Berufsvorbildung  irgend  welcher  Art  erhalten,  sodaß 
sie  auf  der  untersten  Stufe  der  sozialen  Leiter  stehen  bleiben.  Die 
in  dieser  und  den  benachbarten  Gesellschaftsklassen  an  und  für  sich 
größere  Neigung,  mit  der  bürgerlichen  Ordnung  in  Zwiespalt  zu  kommen, 
findet  sich  bei  den  Unehelichen  ganz  besonders  entwickelt.  Be- 
günstigend wirkt  noch  der  Einfluß  der  Großstadt.  Aus  dem  Gefängnis 
entlassen,  kehrt  der  Uneheliche  noch  seltener  als  der  Eheliche  auf  die 
Dauer  oder  überhaupt  zu  geordneten  Verhältnissen  zurück.  Schon 
mit  dem  Eintritt  in  das  Mannesalter  ist  er  häufig  Gewohnheitsver- 
brecher. 

Weiter  reicht  die  Auskunft  nicht,  welche  uns  die  Militärlisten  geben  ; 
wir  wissen  nicht,  wie  viele  von  den  bisher  Unbestraften  noch  straffällig, 
wie  viele  von  den  zunächst  nur  einmal  Bestraften  später  noch  rückfällig 
werden  2),  wie  viele  von  den  Unehelichen  es  bis  zur  Gründung  eines 
Familienstandes  bringen  und  was  aus  ihren  Kindern  wird  u.  s.  f.  — 
Fragen,  deren  Beantwortung  eine  wichtige  Erweiterung  der  Gesichts- 
punkte mit  sich  bringen  würde. 

Aus  unserem  bescheidenen  Material  läßt  sich  eine  Beanlagung  der 
Unehelichen   zu   einer   spezifischen  Kriminalität   nicht   erkennen;   in 


1)  Die  vom  Landgericht  II  Berlin  Verurteilten  sind  in  Hinsicht  auf  den  Ort  der 
Strafbegehung  als    aufs  er  halb  verurteilt  betrachtet  worden. 

2)  Wenn  von  den  Geburtsjahr^ängen  1869  und  1870  im  20. —  22.  Lebensjahr 
96  Proz.  ehelich  und  4  Proz.  unehelich  sind  und  auf  die  ersteren  9,6  Proz.,  auf  die 
letzteren  19,5  Proz.  Vergehen  und  Verbrechen  kommen,  so  verhalten  sich  die  bestraften 
ehelichen  zu  den  bestraften  unehelichen  Militärpflichtigen  wie  92,2:7,8  oder  wie  11,8:1,0. 
Obgleich  kein  unmittelbarer  Vergleich  erlaubt  ist,  dürfte  es  interessieren,  dafs  unter  den  im 
J.  1892/93  in  den  preufsischen  Zuchthäusern  Internierten  das  Verhältnis  der  männlichen 
Ehelichen  zu  den  männlichen  Unehelichen  wie  9  : 1  war.  (Statistik  des  zum  Ressort  d. 
kgl.  Preufs.  Min.  d.  Innern  gehörenden  Straf-  und  Gefangenenanstalten  f.  1.  April  1892/1893 
[Berlin  1894].)  Für  die  preufsischen  Gefängnisse  läfst  sich  dies  Verhältnis  nicht  be- 
rechnen. 


Die  jugendlichen  Berliner  unehelicher  Herkunft.  549 

ihrer  Jugend  wenigstens  zeigen  sie  zunächst  nur  einen  überhaupt  größeren 
Hang  zu  Delikten,  der  bei  den  an  und  für  sich  häufigsten  Gruppen  —  den 
Eigentumsdelikten  und  der  Bettelei  —  besonders  stark  zur  Geltung 
kommt.  Wir  sind  außer  stände  zu  sagen,  ob  hierfür  mehr  eine  ange- 
borene moralische  Minderwertigkeit,  das  schlechte  Beispiel  oder  die 
besonders  gearteten  Lebensverhältnisse  verantwortlich  zu  machen  sind ; 
will  man  das  Uebel  mit  praktischen  Maßnahmen  angreifen,  so  kommen 
jedenfalls  hierfür  nur  die  beiden  letzten  Punkte  in  Betracht.  Die 
mangelnde  Zucht  in  der  Familie  oder  der  fehlende  Anhalt  in  der 
Familie  wird  das  uneheliche  Kind  leicht  fallen  und  sich  von  seinem 
Fall  schwer  wieder  moralisch  erholen  lassen ;  ferner  erlauben  die  mangeln- 
den Mittel  oft  ebensowenig  die  Auswahl  einer  geeigneten  Pflegefamilie 
wie  eine  Vorbildung  zu  dem  Beruf,  so  daß  der  Uneheliche  schwer  in 
bessere  Verhältnisse  kommen  kann.  In  dieser  Richtung  hätte  also 
die  behördliche  Fürsorge  bei  uns  einzusetzen :  sie  muß  —  zum  Nutzen 
des  Unehelichen  nicht  weniger  als  zu  dem  der  Gesellschaft  —  dem 
unehelichen  Kind  von  Geburt  an  ein  größeres  Interesse  zuwenden;  sie 
muß  die  Pflege,  Erziehung  und  Berufsvorbereitung  des  unehelichen 
Kindes  in  umsichtiger  Weise  unterstützen  und  überwachen  (was  sie 
vorläufig  nur  in  recht  geringem  Grade  thut),  und  sie  kann  dann 
—  nach  den  Ergebnissen  vor  allem  der  russischen  und  französischen 
Findelpflege  zu  schließen  —  eines  gewissen  Erfolges  ziemlich  sicher 
sein  1). 


1)  Es  dürfte  —  nach  den  Andeutungen  in  meiner  ersten  Arbeit  zu  schliefsen  —  von 
nicht  geringerem  Interesse  sein,  das  Schicksal  der  weiblichen  Unehelichen,  für  wel- 
ches mir  bisher  kein  Material  zugänglich  ist,  einer  genaueren  Untersuchung  zu  unter- 
ziehen. Auch  die  Zuchthausstatistik  läfst  vermuten ,  dafs  die  unehelichen  Weiber  eine 
sehr  bedeutende  Kriminalität  haben ;  sowohl  die  ehelich,  wie  die  unehelich  geborenen 
Weiber  machen  14,4 — 14,5  Proz.  aller  ehelichen  bez.  unehelichen  Zuchthäusler  aus;  die 
ehelichen  Weiber  verhalten  sich  ihrer  Zahl  nach  zu  den  unehelichen  Weibern  im  Zucht- 
haus ebenso  wie  die  Männer,  nämlich  ungefähr  wie  9:1. 


550  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


VII. 

Die  zweite  Lesung  des  Entwurfes   eines  Bürgerlichen  Ge- 
setzbuches für  das  Deutsche  Reich. 

(Fortsetzung) 1). 

Von  Amtsrichter  Greiff. 

XXXI. 

An  die  Spitze  der  Bestimmungen  über  die  eheliche  Abstammung, 
welche  den  ersten  Titel  des  von  der  Verwandtschaft  handelnden 
zweiten  Abschnitts  des  Familienrechts  bilden,  stellt  der  Entwurf  den 
Grundsatz,  dafs  ein  eheliches  Kind  nicht  nur  dasjenige  ist,  welches  die 
Ehefrau  während  der  Ehe  von  dem  Manne  empfangen  hat,  sondern  auch 
dasjenige,  welche  sie  vor  Schliefsung  der  Ehe  von  dem  Manne  empfangen 
und  nach  Schliefsung  der  Ehe  geboren  hat.  Die  Frage,  ob  die  Frau  das 
Kind  von  dem  Manne  empfangen  hat,  wird  jedoch  nicht  der  Entscheidung 
nach  den  allgemeinen  Beweisregeln  überlassen.  Vielmehr  wird  zunächst 
in  §    1467   eine  gesetzliche  Empfängniszeit  bestimmt,  d.  h.  derjenige  Zeit- 


Vorläufige  Zusammenstellung  der  Kommissionsbeschlüsse.     (Fortsetzung.) 

Zweiter  Abschnitt. 
Verwandtschaft. 

Erster  Titel. 
Eheliche  Abstammung. 

§  1466   gestrichen. 

§  1466  a.  (1468  bis  1470.)  Ein  von  der  Frau  nach  der  Schliefsung  der  Ehe  ge- 
borenes Kind,  das  von  ihr  vor  oder  während  der  Ehe  empfangen  worden  ist,  gilt  als 
ehelich,  wenn  der  Mann  innerhalb  der  Empfängniszeit  der  Frau  beigewohnt  hat,  sofern 
es  nicht  den  Umständen  nach  offenbar  unmöglich  ist,  dafs  die  Frau  das  Kind  von  dem 
Manne  empfangen  hat. 

Es  wird  vermutet,  dafs  der  Mann  während  der  Empfängniszeit,  soweit  sie  in  die  Ehe 
fällt,  der  Frau  beigewohnt  hat.  Das  Gleiche  gilt,  soweit  die  Empfängniszeit  in  die  Zeit 
vor  der  Ehe  fällt,  wenn  der  Mann,  ohne  die  Ehelichkeit  angefochten  zu  haben,  ge- 
storben ist. 

§    1467.      Als  Empfängniszeit  gilt  die  Zeit  von  dem    einhunderteinundachtzigsten   bis 

1)  Vergl.  S.  375. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  551 

räum  vor  der  Geburt  des  Kinde9,  innerhalb  dessen  kraft  absoluter,  einen 
Gegenbeweis  aus  der  Beschaffenheit  des  Kindes  ausschliefsender  Vorschrift 
die  Empfängnis  des  Kindes  als  eingetreten  anzunehmen  sein  soll,  uud 
wenn  diese  Empfäugniszeit  ganz  oder  teilweise  in  die  Zeit  während  der 
Ehe  fällt,  so  soll  nach  §§  1468,  1469  eine  nur  durch  einen  sehr  be- 
schränkten Gegenbeweis  widerlegbare  Vermutung  für  die  Vaterschaft  des 
Mannes  streiten,  wenn  die  Empfängniszeit  dagegen  in  die  Zeit  vor 
Schliefsung  der  Ehe  fällt,  so  soll  der  Mann  als  Vater  des  Kindes  gelten, 
falls  er  während  der  Empfängniszeit  der  Frau  beigewohnt  hat.  Gegen 
die  Bestimmung  der  Empfäugniszeit  sind  in  der  Kritik  von  ärztlicher 
Seite  vielfache  erhebliche  Bedenken  geäufsert  worden,  welche  sich  zum 
Teil  gegen  die  Angemessenheit  des  vom  Entwurf  bestimmten  Zeitraumes 
vom  300.  bis  181.  Tage  vor  der  Geburt  richten,  zum  Teil  aber  auch 
gegen  die  absolute  gesetzliche  Bestimmung  der  Empfängniszeit  und 
den  Ausschlufs  des  Gegenbeweises  aus  dem  Reifegrade  des  Kindes.  In 
der  Kommission  wurde  gleichfalls  den  letzteren  Bedenken  entsprechend 
empfohlen,  die  absolute  Vorschrift  des  §  1467  zu  einer  blofsen  Ver- 
mutung abzuschwächen.  Demgegenüber  glaubte  die  Mehrheit,  grundsätz- 
lich an  dem  Standpunkt  des  Entwurfs  festhalten  zu  müssen,  beschlofs  aber, 
in  zwiefacher  Hinsicht  den  Beanstandungen  der  Kritik  Rechnung  zu 
tragen  :  erstens  wurde  die  höchste  Dauer  der  gesetzlichen  Empfängniszeit 
in  Uebereinstimmung  mit  einem  grofsen  Teil  des  geltenden  Rechts  auf 
den  302.  Tag  vor  der  Geburt  hinaufgesetzt;  ferner  soll  mit  Rücksicht 
auf  das  Interesse  des  Kindes,  die  Ehre  der  Frau  uud  den  Ruf  der  Fa- 
milie auch  der  Beweis  zulässig  sein,  dafs  das  Kind  noch  vor  dem  302. 
Tage  vor  seiner  Geburt  empfangen  ist,  und  die  gesetzliche  Empfängnis- 
zeit soll  dann  für  die  Anwendung  der  §§  1468 — 1470  entsprechend  er- 
weitert werden.  Während  man  so  den  Nachweis  der  Ehelichkeit  eines 
Kindes  erleichterte,  erschien  es  andererseits  durch  die  Gerechtigkeit  ge- 
boten, dem  Ehemann  in  erweitertem  Umfang  die  Anfechtung  der  Ehe- 
lichkeit eines  von  der  Ehefrau  geborenen  Kindes  zu  gestatten.  Nach  dem 
Entwurf  kann  der  Mann,  wenn  die  Empfängniszeit  eines  Kindes  ganz 
oder  teilweise  in  die  Zeit  während  der  Ehe  fällt,  seine  Vaterschaft  nur 
durch  den  Nachweis  ablehnen,  dafs  er  während  der  Empfängniszeit,  so- 
weit sie  in  die  Ehe  fällt,  der  Frau  nicht  beigewohnt  hat,  und  wenn  die 
Empfängniszeit  in  die  Zeit  vor  Schliefsung  der  Ehe  fällt,  so  genügt  der 
Nachweis,  dafs  der  Mann  der  Frau  innerhalb  derselben  beigewohnt  hat, 
zur  Begründung  der  unwiderlegbaren  Anuahme  seiner  Vaterschaft.  Die 
Kommission  beschlofs  dagegen,  in  beiden  Fällen  dem  Manne  trotz  er- 
folgter   Beiwohnung    die    Anfechtung    der  Ehelichkeit    des  Kindes    zu    ge- 


zu  dem  dreihundertundzweiten  Tage  vor  dem  Tage  der  Geburt  des  Kindes,  mit  Einschlufs 
sowohl  des  einhunderteinundachtzigsten  als  des  dreihundertundzweiten  Tages. 

Steht  fest,  dafs  ein  Kind  innerhalb  eines  Zeitraums  empfangen  worden  ist,  der  weiter 
als  dreihundertundzwei  Tage  vor  der  Geburt  zurückliegt,  so  gilt  dieser  Zeitraum  zu  gunsten 
der  Ehelichkeit  des  Kindes  als  Empfängniszeit.; 

§   1468  vergl.  §  1466  a. 

§  1469  vergl.  §    1466  a. 

§  1470  vergl.  §   1466  a. 


552  Nationalökonomische    Gesetzgebung. 

statten,  wenn  es  den  Umständen  nach  offenbar  unmöglich  ist,  dafs  die 
Frau  das  Kind  von  dem  Manne  empfangen  hat.  Man  dachte  dabei  nament- 
lich an  die  Fälle  einer  Rassenverschiedenheit  zwischen  dem  Ehemanne 
und  dem  Kinde  oder  einer  schon  vor  der  Beiwohnung  des  Ehemannes 
eingetretenen  Schwangerschaft  der  Frau.  (Der  auf  den  letzteren  Fall 
bezügliche  Abs.   2  §   1467  wurde  hiernach  entbehrlich.) 

Im  übrigen  erfuhren  die  Vorschriften  dieses  Titels  nur  weniger  er- 
hebliche Aenderungen.  Namentlich  fand  die  Art,  wie  der  §  1471  die 
Voraussetzungen  der  Geltendmachung  der  Unehelichkeit  regelt,  gegenüber 
einem  auf  Erweiterung  des  Kreises  der  Anfechtungsberechtigten  gerichteten 
Antrage  die  Billigung  der  Mehrheit.  Die  in  §  1472  behandelte  Aner- 
kennung der  Vaterschaft  wurde  dadurch  erleichtert,  dafs  man  das  Erfor- 
dernis einer  ausdrücklichen  Willenserklärung  fallen  liefs  und  auch  die 
Anerkennung  in  einer  Verfügung  von  Todeswegen  für  zulässig  erklärte. 
Der  §  1474  wurde  mit  den  Beschlüssen  zu  §  1265  in  Einklang  gesetzt. 
In  §  1476  strich  man  die  Vorschrift,  dafs  mit  der  Zurücknahme  der  An- 
fechtungsklage das  Anfechtungsrecht  des  Mannes  erlischt. 


§  1471.  (1471  Abs.  1.)  Die  Unehelichkeit  eines  während  der  Ehe  oder  innerhalb 
dreihundertundzwei  Tagen  nach  der  Auflösung  der  Ehe  geborenen  Kindes  kann  nur  gel- 
tend gemacht  werden,  wenn  der  Mann  die  Ehelichkeit  angefochten  hat  oder,  ohne  das 
Anfechtungsrecht  verloren  zu  haben,  gestorben  ist. 

§  1472.  Die  Anfechtung  der  Ehelichkeit  ist  ausgeschlossen,  wenn  der  Mann  das 
Kind  nach  der  Geburt  als  das  seinige  anerkennt.  Die  Anerkennung  kann  auch  in  einer 
Verfügung  von  Todeswegen  erklärt  werden. 

Eine  Anerkennung,  die  unter  einer  Bedingung  oder  einer  Zeitbestimmung  erfolgt,  ist 
unwirksam. 

§  1473.  Die  Anfechtung  der  Ehelichkeit  mufs  innerhalb  eines  Jahres  nach  Erlan- 
gung der  Kenntnis  von  der  Geburt  des  Kindes  erfolgen. 

Auf  den  Lauf  der  Frist  finden  die  für  die  Verjährung  geltenden  Vorschriften  der 
§§   169,    171   entsprechende  Anwendung. 

§  1474.  Die  Anfechtung  sowie  die  Anerkennung  der  Ehelichkeit  kann  nicht  durch 
einen  Vertreter  erfolgen.  Ist  der  Mann  in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkt,  so  bedarf 
er  nicht  der  Zustimmung  seines  gesetzlichen  Vertreters. 

Für  einen  geschäftsunfähigen  Mann  kann  sein  gesetzlicher  Vertreter  mit  Genehmi- 
gung des  Vormundschaftsgerichts  die  Ehelichkeit  anfechten.  Hat  der  gesetzliche  Ver- 
treter die  Ehelichkeit  nicht  rechtzeitig  angefochten ,  so  kann  gleichwohl  der  Mann  nach 
dem  Wegfalle  der  Geschäftsunfähigkeit  die  Ehelichkeit  in  gleicher  Weise  anfechten  ,  wie 
wenn  er  ohne  gesetzlichen  Vertreter  gewesen  wäre. 

§  1475.  (1475  Abs.  1,  1471  Abs.  2,  1476  Satz  2,  3.)  Die  Anfechtung  der  Ehe- 
lichkeit erfolgt,  solange  das  Kind  lebt,  durch  Erhebung  der  Anfechtungsklage.  Die  Klage 
ist  gegen  das  Kind  zu  richten. 

Solange  der  Rechtsstreit  nicht  erledigt  ist,  kann  die  Unehelichkeit  in  anderer  Art 
nicht  geltend  gemacht  werden. 

Die  Zurücknahme  der  Klage  bewirkt,  dafs  die  Anfechtung  als  nicht  erfolgt  anzu- 
sehen ist.  Das  Gleiche  gilt,  wenn  der  Mann  vor  der  Erledigung  des  Rechtsstreits  das 
Kind  als  das  seinige  anerkennt. 

§  1475  a.  (1475  Abs.  2.)  Nach  dem  Tode  des  Kindes  erfolgt  die  Anfechtung  der 
Ehelichkeit  durch  Erklärung  gegenüber  dem  Nachlafsgerichte.  Das  Nachlafsgericht  soll 
die  Erklärung  sowohl  denjenigen  mitteilen,  welche  im  Falle  der  Ehelichkeit,  als  auch 
denjenigen,  welche  im  Falle  der  Unehelichkeit  die  Erben  des  Kindes  sind. 

§   1476  Satz   1   gestrichen,   Satz  2,   3  vergl.  §   1475. 

Anmerkung.  Im  Artikel  11  des  Entwurfes  des  Einführungsgesetzes  soll  zum 
teilweisen  Ersätze  des  §  1476  Satz  1  des  Entw.  I  der  §  627  u  der  Civilprozefsordnung 
folgenden  zwischen  dem  ersten  und  zweiten  Satz  einzuschaltenden  Zusatz  erhalten  : 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  553 

lu  dem  die  Unterhaltspflicht  regelnden  zweiten  Titel  wurde 
zunächst  die  im  §  1480  mit  Rücksicht  auf  die  öffentliche  Armenpflege 
anerkannte  gegenseitige  Unterhaltungspfiicht  der  Geschwister,  entsprechend 
vielfachen  Wünschen  der  Kritik  uud  den  fast  einstimmigen  Aeufserungen 
der  Bundesregierungen,  widerspruchslos  fallen  gelassen.  Die  übrigen  Be- 
stimmungen des  Titels  wurden  mit  wenigen  Aenderuugeu  sachlich  ge- 
billigt.    Zu  §   1482   erleichterte    man   die   Geltendmachung   des  Unterhalts- 


Der  Ehemann  ist,  auch  wenn  er  in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkt   ist,  prozefs- 
fähig.     Für    den    geschäftsunfähigen    Ehemann    wird    der    Rechtsstreit    durch    den 
gesetzlichen  Vertreter  geführt.      Der    gesetzliche  Vertreter    kann    die    Anfechtungs- 
klage nur  mit  Genehmigung  des   Vormundschaftsgerichts  erheben. 
§  1477   gestrichen. 

Anmerkung.  Im  Artikel  11  des  Entwurfes  des  Einführungsgesetzes  soll  zum 
Ersätze  des  §  1477  des  Entw.  I  folgende  Vorschrift  in  die  Civilprozefsordnung  als  §  G27  c 
(der  bisherige  §  627  c  wird  627  d)  eingestellt  werden: 

Das    auf    die    Anfechtungsklage    in    den    Fällen    der    §§  627  a,   627  b  ergangene 

Urteil    wirkt,    wenn  es    während    der  Lebenszeit    des  Ehemannes    und    des   Kindes 

rechtskräftig  geworden   ist,   für  und  gegen  Alle. 

§   1478.     Ist  die  Anerkennung  der  Ehelichkeit  anfechtbar,  so  finden  die   Vorschriften 

der  §§   1474   bis   1474  a  und    im  Falle    des  §  99    auch    die  Vorschrift    des  §   169  Abs.   1 

entsprechende   Anwendung. 

§  1479.  Wird  von  einer  Frau,  die  sich  nach  der  Auflösung  ihrer  Ehe  wieder  ver- 
heiratet hat,  ein  Kind  geboren,  das  nach  den  Vorschriften  der  §§  1466  a  bis  1475  a  ein 
eheliches  Kind  sowohl  des  ersten  als  des  zweiten  Mannes  sein  würde,  so  gilt  das  Kind, 
wenn  es  innerhalb  zweihundertsiebenzig  Tagen  nach  der  Auflösung  der  früheren  Ehe  geboren 
ist,  als  Kind  des  ersten  Mannes,  wenn  es  später  geboren  ist,   als  Kind  des  zweiten  Mannes. 

Zweiter  Titel. 
Unterhaltspflicht. 

§  1480.  Verwandte  in  gerader  Linie  sind  verpflichtet,  einander  Unterhalt  zu  ge- 
währen. 

§  1481.  Unterhaltsberechtigt  ist  nur,  wer  aufser  stände  ist,  sich  selbst  zu  unter- 
halten. 

Ein  minderjähriges,  unverheiratetes  Kind  kann  von  seinen  Eltern,  auch  wenn  es 
Vermögen  hat,  die  Gewährung  von  Unterhalt  insoweit  verlangen,  als  die  Einkünfte  des 
Vermögens  und   der  Ertrag  seiner  Arbeit  zum   Unterhalte  nicht  ausreichen. 

§  1482.  Unterhaltspflichtig  ist  nicht,  wer  bei  Berücksichtigung  seiner  sonstigen 
Verpflichtungen  aufser  stände  ist,  ohne  Gefährdung  seines  eigenen  standesmäfsigen  Unter- 
halts den  Unterhalt  zu  gewähren. 

Eltern  sind,  auch  wenn  die  Voraussetzungen  des  Abs.  1  vorliegen,  ihren  minder- 
jährigen, unverheirateten  Kindern  gegenüber  verpflichtet,  alle  verfügbaren  Mittel  zu  ihrem 
und  der  Kinder  Unterhalt  gleichmäfsig  zu  verwenden.  Diese  Verpflichtung  tritt  nicht 
ein,  wenn  ein  anderer  Unterhaltungspflichtiger  Verwandter  vorhanden  ist;  sie  tritt  auch 
nicht  ein  gegenüber  einem  Kinde,  dessen  Unterhalt  aus  dem  Stamme  seines  Vermögens 
bestritten  werden  kann. 

§  1482  a.  (1313,  1363,  1425,  1431  Abs.  1.)  Soweit  die  Unterhaltspflicht  einer 
Frau  ihren  Verwandten  gegenüber  davon  abhängt,  dafs  sie  zur  Gewährung  des  Unterhalts 
im  stände  ist,  kommt  die  dem  Manne  an  dem  eingebrachten  Gute  zustehende  Verwaltung 
und  Nutzniefsung  nicht  in  Betracht. 

Besteht  allgemeine  Gütergemeinschaft ,  Errungenschafts-  oder  Fahrnisgemeinschaft, 
so  bestimmt  sich  die  Unterhaltspflicht  des  Mannes  oder  der  Frau  Verwandten  gegenüber 
so,  wie  wenn  das  Gesamtgut  dem  unterhaltspflichtigen  Ehegatten  gehörte.  Bei  der  Be- 
messung des  von  einem  Ehegatten  aus  dem  Gesamtgute  zu  gewährenden  Unterhalts  sind 
die  unterhaltsberechtigten  Verwandten  des  anderen  Ehegatten  in  gleicher  Weise  zu  berück- 
sichtigen, wie  wenn  sie  zu  ihm  in  demselben  Verwandtschaftsverhältnisse  ständen. 

§   1482  b.     (1529.)     Soweit  die  Unterhaltspflicht  eines  minderjährigen   Kindes  seinen 


554  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

anspruchs  dadurch,  dafs  dem  Berechtigten  der  Beweis  der  Leistungsfähig- 
keit des  Verpflichteten  abgenommen  und  diesem  der  Beweis  seiner 
Leistungsunfähigkeit  auferlegt  wurde.  Der  §  1487  Abs.  2  enthielt  einen 
Zusatz  bezüglich  des  B,ückgriffsrechts  des  den  Unterhalt  gewährenden  Ver- 
wandten gegen  den  vor  ihm  verpflichteten  Verwandten,  da  man  annahm, 
dafs  die  allgemeinen  Grundsätze,  bei  denen  der  Entwurf  es  in  dieser  Be- 
ziehung bewenden  lassen  will,  zum  Schutze  des  zunächst  Leistenden  nicht 
ausreichten.     In   §     1488   Abs.   1     sah    man    von    der    besonderen   Hervor- 


Verwandten  gegenüber  davon  abhängt,  dafs  es  zur  Gewährung    des  Unterhalts  im    stände 
ist,  kommt  die  elterliche  Nutznießung    an    dem  Vermögen  des  Kindes  nicht  in   Betracht. 

Anmerkung.     Im  §   1280  Abs.  3  hat  der  Satz  2   zu  lauten: 

Die  für  die  Unterhaltspflicht  der  Verwandten  geltenden  Vorschriften  der   §§   1482  b, 
1492  bis  1496  finden  entsprechende  Anwendung. 

§   1483  vergl.  §   1487  b. 

§   1484   vergl.   §   1487  a. 

§  1485.  (1485 ,  1486.)  Die  Abkömmlinge  sind  vor  den  Verwandten  der  auf- 
steigenden Linie  unterhaltspflichtig.  Unter  den  Abkömmlingen  bestimmt  sich  die  Unter- 
haltspflicht nach  der  gesetzlichen  Erbfolgeordnung  und  nach   den  Verhältnissen  der  Erbteile. 

Unter  den  Verwandten  der  aufsteigenden  Linie  haften  die  näheren  vor  den  entfern- 
teren, mehrere  gleich  nahe  zu  gleichen  Teilen.  Der  Vater  haftet  jedoch  vor  der  Mutter; 
steht  dieser  die  elterliche  Nutzniefsung  zu,  so  haftet  die  Mutter  vor  dem  Vater. 

§   1486  vergl.  §   1485. 

§  1487.  Soweit  ein  Verwandter  in  Gemäfsheit  des  §  1482  nicht  unterhaltspflichtig 
ist,  hat  der  nach   ihm  haftende  Verwandte  den  Unterhalt  zu  gewähren. 

Das  Gleiche  gilt ,  wenn  die  Rechtsverfolgung  gegen  einen  Verwandten  im  Inland 
ausgeschlossen  oder  erheblich  erschwert  ist.  Der  gegen  einen  solchen  Verwandten  be- 
gründete Unterhaltsanspruch  geht,  soweit  ein  anderer  Verwandter  den  Unterhalt  gewährt 
hat,  auf  diesen  über;  zum  Nachteil  des  Unterhaltsberechtigten  kann  der  Uebergang  nicht 
geltend  gemacht  werden. 

§  1487  a.  (1484.)  Der  Ehegatte  des  Bedürftigen  haftet  vor  dessen  Verwandten. 
Das  Gleiche  gilt  von  einem  geschiedenen  unterhaltspflichtigen  Ehegatten  sowie  von  einem 
Ehegatten,  der  nach   §   1464  b  unterhaltspflichtig  ist. 

Soweit  jedoch  der  Ehegatte  bei  Berücksichtigung  seiner  sonstigen  Verpflichtungen 
aufser  stände  ist,  ohne  Gefährdung  seines  eigenen  standesmäfsigen  Unterhalts  den  Unterhalt 
zu  gewähren ,  haften  die  Verwandten  vor  dem  Ehegatten.  Die  Vorschriften  des  §  1487 
finden  entsprechende  Anwendung. 

§  1487  b.  (1483.)  Kann  ein  Unterhaltspflichtiger  die  Ansprüche  mehrerer  Bedürf- 
tiger nicht  sämtlich  befriedigen,  so  gehen  unter  den  Bedürftigen  seine  Abkömmlinge  den 
Verwandten  der  aufsteigenden  Linie,  unter  den  Abkömmlingen  diejenigen ,  welche  als 
seine  gesetzlichen  Erben  berufen  sein  würden,  den  übrigen  Abkömmlingen,  unter  den 
Verwandten  der  aufsteigenden  Linie  der  nähere  dem  entfernteren  vor. 

Der  Unterhaltsanspruch  des  Ehegatten  steht  dem  Unterhaltsanspruch  eines  minder- 
jährigen unverheirateten  Kindes  gleich ;  er  geht  dem  Unterhaltsanspruch  eines  anderen 
Kindes  und  eines  anderen  Verwandten  vor.  Das  Gleiche  gilt  von  dem  Unterhaltsanspruch 
eines  geschiedenen  Ehegatten  sowie  eines  Ehegatten,  der  nach  §  1464  b  unterhaltsberech- 
tigt ist. 

§  1488.  (§  1488  Abs.  1  bis  3.)  Der  Unterhalt  ist  nach  der  Lebensstellung  des 
Bedürftigen  zu  bemessen  (standesmäfsiger  Unterhalt).  Er  umfafst  den  gesamten  Lebens- 
bedarf, bei  einer  noch  der  Erziehung  bedürftigen  Person  auch  die  Kosten  der  Erziehung 
und  der  Vorbildung  zu  einem   Berufe. 

§   1489  gestrichen. 

§  1490.  Wer  durch  sein  sittliches  Verschulden  bedürftig  geworden  ist,  kann  nur 
den  notdürftigen  Unterhalt  verlangen. 

Das  Gleiche  gilt,  wenn  sich  der  Bedürftige  einer  Verfehlung  schuldig  gemacht  hat, 
die  den  Unterhaltspflichtigen  berechtigen  würde,  ihm  den  Pflichtteil  zu  entziehen.  Liegen 
Grofseltern  oder  weiteren  Voreltern  gegenüber  die  Voraussetzungen  vor ,  unter  welchen 
Kinder  berechtigt  sein  würden,    ihren   Eltern  den  Pflichtteil  zu  entziehen ,    so  beschränkt 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  555 

hebung  der  Taufkosten  ab,  davon  ausgehend,  dafs  diese  selbstverständlich 
in  den  Erziehungskosten  einbegriffen  seien.  Die  Art  der  Unterhaltsge- 
währung und  die  Frist,  für  welche  die  Vorausleistung  erfolgt,  soll  nach 
§  1491  Abs.  4  der  Unterhaltuugspflichtige  dann  frei  bestimmen  können, 
wenn  ihm  das  Erziehungsrecht  gegen  den  Berechtigten  zusteht,  uud  nach 
Abs.  5  sollen  Eltern  dieses  Bestimmungsrecht  auch  gegenüber  nicht  ihrer 
Erziehungsgewalt  unterworfenen  Kindern  haben;  eine  Aenderung  der  ge- 
troffenen Bestimmung  soll  im  Falle  des  Abs.  4  durch  das  Vormundschafts- 
gericht, im  Falle  des  Abs.  5  durch  das  Prozefsgericht  erfolgen  können. 
Diese  Vorschriften  wurden  dahin  vereinfacht,  dafs  man  das  fragliche  Be- 
stimmungsrecht nur  Eltern  gegenüber  ihren  unverheirateten  Kindern  gab 
und  die  Befugnis  zu  einer  Aenderung  der  Bestimmung  ohne  Unterschied 
dem  Vormundschaftsgerichte  beilegte.  Der  §  1493  war  durch  die  als 
§  293  b  der  Civilprozefsordnung  früher  beschlossene  zusammenfassende 
Vorschrift  (vergl.   Bd.  LVII  S.   724)  gedeckt. 

Von    den    allgemeinen    Vorschriften,    mit    welchen    der    auf 
das  Rech  t  s  v  er  häl  tni  s   zwischen  Eltern  und   ehelichen  Kin- 


sich  die  Unterhaltspflicht  der  Abkömmlinge  ihnen  gegenüber  auf  die  Gewährung  des  not- 
dürftigen Unterhalts.  Der  Bedürftige  kann  nicht  wegen  einer  nach  diesen  Vorschriften 
eintretenden  Beschränkung  seines  Anspruchs  andere  Unterhaltspflichtige  in  Anspruch 
nehmen. 

§  1491.  Haben  Eltern  einem  unverheirateten  Kinde  Unterhalt  zu  gewähren,  so 
können  sie  bestimmen ,  in  welcher  Art  und  für  welchen  Zeitabschnitt  der  Unterhalt  ge- 
währt werden  soll.  Aus  wichtigen  Gründen  kann  das  Vormundschaftsgericht  auf  Antrag 
des   Kindes  die  Bestimmung  der  Eltern  ändern. 

In  allen  anderen  Fällen  ist  der  Unterhalt  durch  Entrichtung  einer  Geldrente  zu 
gewähren.  Der  Verpflichtete  kann  verlangen,  dafs  ihm  die  Gewährung  des  Unterhalts 
in  anderer  Art  gestattet  wird,  wenn  besondere  Umstäude  es  rechtfertigen. 

Im  übrigen  finden   die  Vorschriften   des  §  702  Anwendung. 

§  1492.  Für  die  Vergangenheit  kann  der  Berechtigte  Erfüllung  oder  Entschädigung 
wegen  Nichterfüllung  nur  von  der  Zeit  an  fordern,  zu  welcher  der  Verpflichtete  in  Verzug 
gekommen    oder  der  Unterhaltsanspruch  rechtshängig  geworden  ist. 

§   1493  gestrichen. 

§   1494  gestrichen. 

Anmerkung.  Im  Artikel  13  des  Entwurfes  des  Einführungsgesetzes  soll  zum 
Ersätze  des  §  1494  des  Entw.  I  der  §  2  der  Konkursordnung  folgenden  Abs.  2  erhalten: 
Unterhaltsansprüche,  die  nach  den  §§  1280,  1454  a  bis  1454  f,  1464  b,  1480, 
1571  des  Bürgerlichen  Gesetzbuchs  gegen  den  Gemeinschuldner  begründet  sind, 
können  im  Konkurse  für  die  Zukunft  nicht  geltend  gemacht  werden ;  dies  gilt 
auch  für  die  im  voraus  zu  bewirkenden  Leistungen ,  die  bei  der  Eröffnung  des 
Konkursverfahrens  bereits  fällig  waren. 

§   1495.     Für  die  Zukunft  kann  auf  den   Unterhalt  nicht  verzichtet  werden. 

Durch  eine  Vorausleistung  wird  der  Verpflichtete  bei  erneuter  Bedürftigkeit  des  Be- 
rechtigten nur  insoweit  befreit,  als  er  die  Leistung  für  den  im  §  702  Abs.  2  bestimmten 
Zeitabschnitt  oder ,  wenn  er  selbst  den  Zeitabschnitt  zu  bestimmen  hatte  ,  für  einen  den 
Umständen  nach  angemessenen  Zeitabschnitt  bewirkt  hat. 

§  1496.  (1496,  1488  Abs.  4.)  Der  Unterhaltsanspruch  erlischt  mit  dem  Tode  des 
Berechtigten  oder  des  Verpflichteten ,  soweit  er  nicht  auf  Erfüllung  oder  Entschädi- 
gung wegen  Nichterfüllung  für  die  Vergangenheit  oder  auf  solche  im  voraus  zu  bewir- 
kende Leistungen  gerichtet  ist,  die  zur  Zeit  des  Todes  des  Berechtigten  oder  des  Ver- 
pflichteten fällig  waren. 

Im  Falle  des  Todes  des  Berechtigten  hat  der  Verpflichtete  die  Beerdigungskosten 
insoweit  zu  tragen,  als  ihre  Bezahlung  von  dem  Erben  nicht  zu  erlangen  ist. 


556  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

dem  bezügliche  dritte  Titel  beginnt,  wurde  die  Bestimmung  des  §  1498 
über  die  Verpflichtung  des  Kindes  zu  kindlichem  Gehorsam  als  eines  er- 
zwingbaren rechtlichen  Inhalts  entbehrend  gestrichen.  Eine  Ergänzung 
erfuhr  der  Entwurf  in  betreff  des  Verhältnisses  der  Eltern  zu  volljährigen 
Kindern,  welche  dem  elterlichen  Hausstande  angehören.  Nach  dem  Ent- 
wurf hört  mit  der  Volljährigkeit  des  Kindes  die  elterliche  Gewalt  und 
damit  die  elterliche  Nutzniefsung  am  Kindesvermögen  auf;  behält  der 
Vater  oder  die  Mutter  die  Verwaltung  des  Vermögens,  so  kann  das  Kind, 
auch  wenn  es  im  elterlichen  Haushalte  verbleibt,  Eechnungslegung  über 
die  Nutzungen  des  Vermögens  verlangen ,  wogegen  der  Vater  oder  die 
Mutter  ihre  Aufwendungen  für  den  Unterhalt  des  Kindes  in  Gegenrechnung 
stellen  kann.  Diese  Regelung ,  welche  zu  unerquicklichen  Streitigkeiten 
zwischen  Eltern  und  Kindern  Anlafs  geben  kann,  ist  in  der  Kritik  mehr- 
fach als  der  deutschen  Rechtsanschauung  widersprechend  angefochten 
worden.  Die  Kommission  glaubte  diesen  berechtigten  Bedenken  am  zweck- 
mäfsigsten  Rechnung  zu  tragen  durch  Aufnahme  einer  ähnlichen  Vor- 
schrift, wie  sie  der  §  p2  der  S.  71  mitgeteilten  Zusammenstellung  über 
die  Rechtsstellung  des  Mannes  im  Falle  der  Gütertrennung  bezüglich  des 
ihm  überlassenen  Frauenvermögens  enthält.  Ebenso  wurde  auch  der 
ebenda  mitgeteilte  §  o2  auf  das  hier  fragliche  Verhältnis  entsprechend 
übertragen  (vergl.  unten  §    1499  a). 

Im    Zusammenhang    mit    §    1500    wurden     ferner,    wie    schon    früher 


Dritter  Titel. 

Rechtsverhältnis  zwischen  Eltern  und  ehelichen  Kindern. 

I.     Allgemeine  Vorschriften. 

§  1497.     Das  Kind  erhält  den  Familiennamen  des  Vaters. 

§  1498  gestrichen. 

§  1499.  Das  Kind  ist,  solange  es  dem  Hausstande  der  Eltern  angehört  und  ent- 
weder unter  ihrer  Erziehungsgewalt  steht  oder  von  ihnen  unterhalten  wird  ,  verpflichtet, 
in  einer  seinen  Kräften  und  seiner  Lebensstellung  entsprechenden  Weise  den  Eltern  in 
ihrem  Hauswesen  und  Geschäfte  Dienste  zu  leisten. 

§  1499  a.  Hat  ein  dem  elterlichen  Hausstand  angehörendes  volljähriges  Kind  zur 
Bestreitung  der  Kosten  des  Haushalts  aus  seinem  Vermögen  etwas  verwendet  oder  den 
Eltern  überlassen,  so  ist  im  Zweifel  anzunehmen,  dafs  die  Absicht,  Ersatz  zu  verlangen, 
gefehlt  hat. 

§  1499  b.  Hat  ein  dem  elterlichen  Hausstand  angehörendes  volljähriges  Kind  sein 
Vermögen  ganz  oder  teilweise  der  Verwaltung  des  Vaters  überlassen,  so  kann,  wenn  das 
Kind  nicht  ein  Anderes  bestimmt  hat,  der  Vater  die  während  seiner  Verwaltung  bezogenen 
Einkünfte  nach  freiem  Ermessen  verwenden,  soweit  sie  nicht  zur  Bestreitung  der  Kosten 
der  ordnungsmäfsigen  Verwaltung  und  zur  Erfüllung  solcher  Verpflichtungen  des  Kindes 
erforderlich  sind,  die  bei  ordnungsmäfsiger  Verwaltung  aus  den  Einkünften  des  Vermögens 
bestritten  werden. 

Das  gleiche  Recht  steht  der  Mutter  zu,  wenn  das  Kind  ihr  die  Verwaltung  seines 
Vermögens  überlassen  hat. 

§  1500.  Der  Vater  ist  verpflichtet,  seiner  Tochter  bei  ihrer  Verheiratung  zur  Ein- 
richtung des  Haushalts  eine  angemessene  Aussteuer  zu  gewähren  ,  soweit  er  bei  Berück- 
sichtigung seiner  sonstigen  Verpflichtungen  ohne  Gefährdung  seines  eigenen  standesmäfsigen 
Unterhalts  dazu  im  stände  ist  und  die  Tochter  ein  zur  Beschaffung  der  Aussteuer  aus- 
reichendes Vermögen  nicht  besitzt.  Die  gleiche  Verpflichtung  hat  die  Mutter,  wenn  der 
Vater  zur  Gewährung  der  Aussteuer  aufser  stände  oder  wenn  er  verstorben  ist. 

Die  Vorschriften  des  §  1482  u  und  des  §  1487  Abs.  2  finden  entsprechende  An- 
wendung. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  557 

(S.  390)  erwähnt  worden  ist,  Bestimmungen  über  die  Ausstattungspflicht 
der  Eltern  gegenüber  Töchtern  neu  aufgenommen.  Der  Entwurf  hat,  im 
Gegensatz  zu  einem  Teil  der  geltenden  Rechte,  eine  Rechtspflicht  der 
Eltern  zur  Ausstattung  ihrer  Kinder  zum  Zweck  der  Verheiratung  oder 
der  Errichtung  eines  eigenen  Hausstandes  nicht  anerkannt,  sondern  nur 
in  §  1500  der  sittlichen  Verpflichtung  der  Eltern  insofern  rechtliche  Be- 
deutung beigelegt,  als  auf  die  freiwillige  Gewährung  oder  Zusicherung 
einer  derartigen  Ausstattung  nicht  die  Vorschriften  über  die  Schenkung 
und  über  die  Rückforderung  einer  Nichtschuld  Anwendung  finden  sollen. 
Die  Kommission  hielt  die  Gründe,  aus  denen  der  Entwurf  eine  Rechts- 
pflicht der  Eltern  verneint  hat,  für  nicht  so  schwerwiegend,  dafs  sie 
nötigten,  von  der  Erhebung  der  gegenüber  heiratendeu  Töchtern  in 
der  deutschen  Sitte  begründeten  sittlichen  Pflicht  zu  einer  Rechtspflicht 
abzusehen ;  die  Anerkennung  einer  solchen  rechtlichen  Verpflichtung 
erschien  insbesondere  geboten,  damit  die  Eltern  nicht  nach  der  vor- 
muudschaftsgerichtlichen  Ergänzung  der  grundlos  verweigerten  Einwilligung 
zur  Eheschliefsung  diese  mittelbar  durch  Versagung  der  Ausstattung  un- 
möglich machen  könnten.  Ein  Hauptbedenken  der  Motive  gründet  sich 
in  der  Schwierigkeit,  das  Mafs  der  Ausstattung  zu  bestimmen.  In  dieser 
Beziehung  hielt  die  Kommission  es  jedoch  für  genügend ,  die  Eltern  zur 
Gewährung  einer  angemessenen  Ausstattung  zu  verpflichten;  die  Be- 
stimmung des  im  einzelnen  Falle  Angemessenen  glaubte  sie  ebenso  wie 
im  Falle  des  §  1339  dem  Richter  unbedenklich  überlassen  zu  können. 
Neben  den  neuen  Vorschriften  über  die  Austattungs  pf  li  ch  t  wurden  die 
Bestimmungen  des  §  1500  beibehalten.  Während  aber  die  Ausstattung, 
zu  deren  Gewährung  die  Eltern  verpflichtet  sein  sollen ,  nur  die  für  die 
Einrichtung  des  Haushalts  bestimmten  beweglichen  Sachen  umfassen  soll, 
ging  die  Kommission  abweichend  von  der  in  den  Motiven  vertretenen 
Ansicht  davon  aus,  dafs  die  Vorschriften  des  §  1500  für  alles  dasjenige 
gelten  müfsteu,  was  dem  Kinde  zur  Begründung  und  Erhaltung  einer 
selbständigen   Wirtschaft  von   dem  Vater  oder  der  Mutter  zugesichert   oder 


§  1500  a.  Der  Vater  oder  die  Mutter  kann  die  Gewährung  der  Aussteuer  verweigern, 
wenn  sich  die  Tochter  ohne  die  erforderliche  elterliche  Einwilligung  verheiratet  hat. 

Das  Gleiche  gilt,  wenn  sich  die  Tochter  einer  Verfehlung  schuldig  gemacht  hat, 
welche  den  Verpflichteten  berechtigen  würde,  ihr  den  Pflichtteil   zu  entziehen. 

§  1500b.  Die  Tochter  kann  eine  Aussteuer  nicht  verlangen,  wenn  sie  bei  einer 
früheren  Eheschliefsung  von  dem   Vater  oder  der  Mutter  eine  Aussteuer  erhalten  hat. 

§  1500c.  Der  Anspruch  auf  die  Aussteuer  ist  nicht  übertragbar;  er  verjährt  in 
einem  Jahre  von  der  Eheschliefsung  an. 

§  1500  d.  Was  einem  Kinde  mit  Rücksicht  auf  seine  Verheiratung  oder  auf  die 
Erlangung  einer  selbständigen  Lebensstellung  von  dem  Vater  oder  der  Mutter  zur  Begrün- 
dung oder  Erhaltung  der  Wirtschaft  oder  der  Lebensstellung  gegeben  oder  versprochen 
wird  (Ausstattung),  gilt  auch  insoweit,  als  eine  Verpflichtung  nicht  besteht,  nicht  als 
Schenkung,  sofern  nicht  die  Ausstattung  das  den  Umständen,  insbesondere  den  Vermögens- 
verhältnissen des  Vaters  oder  der  Mutter,  entsprechende  Mafs  übersteigt.  Die  Gewähr- 
leistungspflicht des  Ausstattenden  bestimmt  sich  jedoch  nach  den  für  die  Gewährleistungs- 
pflicht des  Schenkers  geltenden   Vorschriften. 

§  1500  e.  Hat  der  Vater  einem  Kinde,  dessen  Vermögen  der  elterlichen  oder  der 
vormundschaftlichen  Verwaltung  des  Vaters  unterliegt,  eine  Ausstattung  gewährt,  so  wird 
vermutet,  dafs  er  sie  aus  diesem  Vermögen  gewährt  habe.  Diese  Vorschrift  findet  auf 
die  Mutter  entsprechende  Anwendung. 


558  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

gewährt  worden  ist,  also  namentlich  auch  für  einen  als  Ausstattung  ver- 
sprochenen Geldbeitrag.  (In  der  neuen  Fassung  ist  daher  terminologisch 
unterschieden  zwischen  „Aussteuer"   und  „Ausstattung".) 

Der  §  1501,  welcher  die  Regelung  der  elterlichen  Gewalt  ein- 
leitet, fand  widerspruchslose  Billigung;  weder  die  Beendigung  der  elter- 
lichen Gewalt  mit  der  Volljährigkeit  noch  die  Anerkennung  einer  elter- 
lichen Gewalt  der  Mutter  wurde  aus  der  Mitte  der  Kommission  bean- 
standet. Bezüglich  der  in  der  elterlichen  Gewalt  einbegriffenen  Sorge 
für  die  Person  und  das  Vermögen  des  Kindes  erklärt  der 
§  1503  eine  Reihe  von  Vorschriften  des  Vormundschaftsrechts  für  ent- 
sprechend anwendbar.  Die  Uebertragung  dieser  Vorschriften  auf  das  hier 
vorliegende  Verhältnis  ist  teilweise  als  der  natürlichen  Stellung  der  Eltern 
nicht  entsprechend  angefochten  worden.  Die  Kommission  hielt  gleichfalls 
in  gewissen  Beziehungen  eine  freiere  Behandlung  des  Verhältnisses  der 
Eltern  zu  den  gewaltunterworfenen  Kindern  für  angemessen ;  sie  beschlofs 
nämlich,  den  Inhaber  der  elterlichen  Gewalt  nur  für  diejenige  Sorgfalt 
haften  zu  lassen,  die  er  in  eigenen  Angelegenheiten  anzuwenden  pflegt, 
und  ferner,  die  Vorschriften  des  §  1697  und  des  §  1698  Satz  2  nicht 
hierher  zu  übertragen.  Vollends  lehnte  sie  es  ab,  in  der  Annäherung  an 
das  Vormundschaftsrecht  über  den  Entwurf  noch  hinauszugehen  und  den 
Gewalthaber  auch  eine  dem  §  1659  entsprechende  Verpflichtung  zur  Er- 
reichung eines  Verzeichnisses  des  dem  Kinde  gehörenden  Vermögens  bei 
dem  Vormundschaftsgerichte  aufzuerlegen.  Im  übrigen  wurde  aber  der 
§  1503,  namentlich  auch  bezüglich  der  Verweisung  auf  die  §§  1664, 
1665,   1667,  mehreren  Abänderungsanträgen  gegenüber  gebilligt. 


II.     Elterliche  Gewalt. 
§  1501.     Das  Kind  steht,   solange  es  minderjährig  ist,   unter  elterlicher  Gewalt. 
Die  elterliche  Gewalt    wird    von    dem  Vater,    in    den   Fällen  der    §§....  von  der 
Mutter  ausgeübt.     Nach    dem  Tode  des  Vaters  steht  die  elterliche  Gewalt  der  Mutter  au. 

1.     Elterliche  Gewalt  des  Vaters. 

§  1502.  (1502,  1503,  1649,  1651.)  Die  elterliche  Gewalt  begründet  das  Recht  und 
die  Pflicht  des  Vaters,  für  die  Person  und  das  Vermögen  des  Kindes  zu  sorgen,  insbe- 
sondere das  Kind  zu  vertreten. 

Dem  Vater  steht  die  Vertretung  des  Kindes  insoweit  nicht  zu,  als  nach  §  1651  der 
Vormund  von  der  Vertretung  des  Mündels  ausgeschlossen  ist. 

§  1503.  (1503,  1650.)  Das  Recht  und  die  Pflicht  des  Vaters,  für  die  Person  und 
das  Vermögen  des  Kindes  zu  sorgen,  erstreckt  sich  nicht  auf  Angelegenheiten  des  Kindes, 
für  die  eine  Pflegschaft  besteht. 

§  1503  a.  (1503,  1653.)  Steht  die  Sorge  für  die  Person  oder  für  das  Vermögen 
des  Kindes  einem  Pfleger  zu,  so  entscheidet  bei  einer  Meinungsverschiedenheit  zwischen 
dem  Vater  und  dem  Pfleger  über  die  Vornahme  einer  sowohl  die  Person  als  das  Ver- 
mögen des  Kindes  betreffenden  Handlung  das  Vormuudschaftsgericht. 

§  1503  b.  (1503,  1696,  1702.)  Der  Vater  hat  bei  der  Ausübung  der  elterlichen 
Gewalt  dem  Kinde  gegenüber  nur  für  diejenige  Sorgfalt  einzustehen,  welche  er  in  eigenen 
Angelegenheiten  anzuwenden  pflegt. 

Der  Vormundschaftsrichter  haftet  dem  Kinde  wegen  Verletzung  seiner  Amtspflicht 
in  demselben  Umfange  wie  einem  Mündel. 

§  1503  c.  (1503,  1698.)  Werden  von  dem  Vater  zum  Zwecke  der  Ausübung  der 
elterlichen  Gewalt  Aufwendungen  gemacht  oder  Verbindlichkeiten  eingegangen,  so  stehen 
ihm  die  gleichen  Rechte  zu,  wie  nach  §  b1  dem  Manne  gegenüber  der  Frau. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  559 

Die  §§  1504  — 151  ö  blieben  im  wesentlichen  unverändert,  abgesehen 
davou,  dai's  der  Abs.  2  des  §  1565  als  dem  öffentlichen  Recht  angehörig 
gestrichen   wurde.     Auch  in    betreff   der    in   §   1508   (und   §    1658)   behan- 

§  1504.  Die  Sorge  für  die  Person  des  Kindes  umfafst  das  Recht  und  die  Pflicht, 
das  Kind   zu  erziehen,  zu  beaufsichtigen  und  seinen  Aufenthalt  zu  bestimmen. 

Der  Vater  kann  auf  Grund  des  Erziehungsrechts  angemessene  Zuchtmittel  gegen  das 
Kind  anwenden.  Das  Vormundschaftsgericht  hat  den  Vater  auf  Antrag  in  der  Ausübung 
des  Rechtes  durch  geeignete  Zuchtmittel  zu  unterstützen. 

§  1505.  Die  Sorge  für  die  Person  des  Kindes  umfafst  das  Recht  des  Vaters,  die 
Herausgabe  des  Kindes  von  jedem  zu  verlangen ,  der  ihm  das  Kind  widerrechtlich  vor- 
enthält. 

§  1506  vergl.  §  1509  a. 

§  1507.  Zu  dem  Antrage  des  Vaters  auf  Entlassung  des  Kindes  aus  dem  Staats- 
verbande ist  die  Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts  erforderlich,  es  sei  denn,  dafs 
der  Vater  gleichzeitig  für  sich  die  Entlassung  beantragt. 

Anmerkung.  Es  bleibt  vorbehalten,  den  §  1507  in  den  Art.  23  des  Entwurfes 
des  Einführuugsgesetzes  zu  verweisen. 

§   1508  gestrichen. 

Anmerkung.  In  den  Entwurf  des  Einführungsgesetzes  soll  geeigneten  Ortes  fol- 
gende Vorschrift  aufgenommen  werden : 

Unberührt  bleiben  die  landesgesetzlichen  Vorschriften  über  die  religiöse  Erziehung 
der  Kinder. 

§  1509.  Steht  eine  verheiratete  Tochter  unter  elterlicher  Gewalt,  so  beschränkt  sich 
das  Recht  und  die  Pflicht  des  Vaters,  für  die  Person  der  Tochter  zu  sorgen,  auf  ihre 
Vertretung  in  den  ihre  Person  betreffenden  Angelegenheiten. 

§  1509  a.  (1506.)  Neben  dem  Vater  hat  während  bestehender  Ehe  die  Mutter  das 
Recht  und  die  Pflicht  der  Sorge  für  die  Person  des  Kindes;  zur  Vertretung  des  Kindes 
ist  sie  jedoch  nicht  berechtigt.  Bei  einer  Meinungsverschiedenheit  zwischen  den  Eltern 
entscheidet  der  Vater. 

§  1510.  Das  Recht  und  die  Pflicht,  für  das  Vermögen  des  Kindes  zu  sorgen  (Ver- 
mögensverwaltung), erstreckt  sich  nicht  auf  das  Vermögen,  welches  das  Kind  von  Todes- 
wegen erwirbt  oder  welches  ihm  unter  Lebenden  von  einem  Dritten  unentgeltlich  zuge- 
wendet wird ,  wenn  der  Erblasser  durch  Verfügung  von  Todeswegen,  der  Dritte  bei  der 
Zuwendung  bestimmt  hat,  dafs  der  Erwerb  der  elterlichen  Verwaltung  entzogen  sein   soll. 

Was  das  Kind  auf  Grund  eines  zu  diesem  Vermögen  gehörenden  Rechtes  oder  als 
Ersatz  für  die  Zerstörung ,  Beschädigung  oder  Entziehung  eines  zu  diesem  Vermögen 
gehörenden  Gegenstandes  oder  durch  ein  Rechtsgeschäft  erwirbt,  das  sich  auf  dieses 
Vermögen  bezieht,  ist  gleichfalls  der  elterlichen   Verwaltung  entzogen. 

§  1510a.  (1503,  1660.)  Was  das  Kind  von  Todeswegen  erwirbt  oder  was  ihm 
unter  Lebenden  von  einem  Dritten  unentgeltlich  zugewendet  wird,  hat  der  Vater  nach 
den  Anordnungen  des  Erblassers  oder  des  Dritten  zu  verwalten,  wenn  die  Anordnungen 
von  dem  Erblasser  durch  Verfügung  von  Todeswegen,  von  dem  Dritten  bei  der  Zuwen- 
dung getroffen  worden  sind.  Der  Vater  darf  von  den  Anordnungen  insoweit  abweichen, 
als  nach  §   1660  ein  Vormund  abweichen  darf. 

§  1510  b.  (1503,  1661.)  Der  Vater  kann  auf  Grund  seines  Verwaltungsrechts 
Schenkungen  nicht  machen.  Ausgenommen  sind  Schenkungen,  durch  die  einer  sittlichen 
Pflicht  oder  einer  auf  den  Anstand  zu  nehmenden  Rücksicht  entsprochen  wird. 

§  1510  c.  (1503,  1664,  1665,  1667.)  Das  zu  dem  Vermögen  des  Kindes  gehörende 
Geld  hat  der  Vater  nach  den  für  die  vormundschaftliche  Verwaltung  geltenden  Vorschriften 
der  §§  1664,  1665,  1667  für  das  Kind  verzinslich  anzulegen,  soweit  es  nicht  zur  Bestrei- 
tung der  für  die  ordnungsmäfsige  Verwaltung  erforderlichen  Ausgaben   bereit  zu  halten  ist. 

Anmerkung.     Der  §o  Abs.   2  erhält  folgeuden   Schlufs  : 

soweit  es  nicht  zur  Bestreitung    von  Ausgaben    bereit  zu    halten    ist,    die  zur  ord- 
nungsmäfsigen  Verwaltung  erforderlich  sind  und  der  Frau  zur  Last  fallen. 

§  1511.  (1511,  1513,  1514.)  Der  Vater  bedarf  zu  Rechtsgeschäften,  die  er  für 
das  Kind  vornimmt ,  der  Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts  in  den  Fällen,  in 
welchen  nach  §  1674  Nr.  1  bis  3  a,  6,  9  bis  12,  14  (nach  einer  vorläufigen  Zusammen- 
stellung der  Beschlüsse  der  Kommission)  ein  Vormund  derselben  bedarf.  Die  Vorschriften 
der  §§  1675,  1681  bis  1681  c  (vorl.  Zusst.)  finden  entsprechende  Anwendung. 


fjßO  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

delten  Frage  der  religiösen  Erziehung  der  Kinder  wurde  am  Standpunkte 
des  Entwurfs,  welcher  dieselbe  den  Landesgesetzen  überläfst,  festgehalten. 
In  der  Kritik  ist  von  verschiedenen  Seiten  eine  reichsrechtliche  Regelung 
der  Frage  im  Bürgerlichen  Gesetzbuche  lebhaft  befürwortet  worden. 
Ebenso  bestand  auch  in  der  Kommission  bei  nicht  wenigen  Mitgliedern 
Geneigtheit,  eine  solche  Regelung  zu  versuchen.  Um  für  die  Vorberei- 
tung von  Anträgen  Zeit  zu  gewähren,  setzte  man  die  Entscheidung  der 
Frage  aus  bis  nach  der  Durchberatung  des  Familienrechts.  Es  wurde 
denn  auch  der  Kommission  eine  ganze  Anzahl  eingehender  Vorschläge 
unterbreitet.  Man  machte  sich  zunächst  im  Anschlufs  an  eine  allgemeine 
Erörterung  der  für  und  gegen  die  reichsrechtliche  Regelung  sprechenden 
Gründe  darüber  schlüssig,  ob  in  eine  Einzelberatung  der  Vorschläge  ein- 
getreten werden  solle.  In  jener  Erörterung  ergab  sich  Einverständnis 
darüber,  dafs  der  Regelung  im  Bürgerlichen  Gesetzbuche  im  Hinblick  auf 
den  vorwiegend  privatrechtlichen  Charakter  der  Frage  Zuständigkeitsbe- 
denken nicht  entgegenständen,  sowie  darüber,  dafs  mit  Rücksicht  auf  die 
bestehende  Rechtsverschiedenheit  und  die  teilweise  vorhandene  Rechtsun- 
sicherheit die  Schaffung  einheitlichen  und  klaren  Rechtes  sehr  wünschens- 
wert sei.  Dagegen  waren  die  Ansichten  geteilt  über  die  Frage,  ob  sich 
eine  für  die  Angehörigen  der  verschiedenen  Konfessionen  annehmbare 
Regelung  finden  lassen  werde.  Die  Mehrzahl  glaubte,  diese  Frage  ver- 
neinen zu  müssen.  Vor  allem  aber  befürchtete  sie  von  der  Aufnahme 
bezüglicher  Vorschriften  in  den  Entwurf  für  die  weiteren  gesetzgeberischen 
Stadien  Schwierigkeiten,  durch  die  möglicherweise  das  Zustandekommen 
des  ganzen  Gesetzgebungswerks  gefährdet  werden  könne.  Dazu  kam  die 
Rücksicht  auf  die  Stellungnahme  der  Bundesregierungen ,  welche  mit 
wenigen  Ausnahmen  den  Standpunkt  des  Entwurfs  gebilligt  hatten.  Auf 
Grund  dieser  Erwägungen   gelangte  die  Mehrheit  zur  Verneinung    der  ge- 


§  1512.  Der  Vater  kann  Gegenstände,  zu  deren  Veräufserung  er  der  Genehmigung 
des  Vormundschaftsgerichts  bedarf,  dem  Kinde  nicht  zur  Erfüllung  eines  von  diesem  ge- 
schlossenen Vertrags  oder  zu  freier  Verfügung  überlassen. 

§  1513  vergl.  §   1511. 

§   1514  vergl.  §  1511. 

§  1515.  Der  Vater  soll  nicht  ohne  Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts  ein 
neues  Erwerbsgeschäft  im  Namen  des  Kindes  beginnen. 

§  1515  a.  Erwirbt  der  Vater  mit  Mitteln  des  Kindesvermögens  Inhaberpapiere  oder 
mit  Blankoindossament  versehene  Orderpapiere  oder  andere  bewegliche  Sachen  ,  so  geht 
mit  dem  Erwerbe  das  Eigentum  auf  das  Kind  über,  es  sei  denn,  dafs  der  Vater  nicht 
tür  Rechnung  des  Kindesvermögens  erwerben  wollte. 

Diese  Vorschrift  findet  entsprechende  Anwendung ,  wenn  der  Vater  mit  Mitteln  des 
Kindesvermögens  ein  Recht  an  Sachen  der  bezeichneten  Art  oder  ein  anderes  Recht  er- 
wirbt, zu  dessen   Uebertragung  der  Abtretungsvertrag  genügt. 

§  1515  b.  (1553.)  Die  Verwaltung  des  Vaters  endigt  mit  der  Rechtskraft  des  Be- 
schlusses, durch  welchen  der  Konkurs   über  das  Vermögen  des  Vaters  eröffnet  wird. 

Nach  der  Aufhebung  des  Konkurses  kann  das  Vormundschaftsgericht  die  Verwaltung 
dem  Vater  wieder  übertragen. 

§  1515  c.  (1503,  1700  Abs.  1.)  Nach  der  Beendigung  der  elterlichen  Verwaltung 
hat  der  Vater  dem  Kinde  das  Vermögen  herauszugeben  und  über  die  Verwaltung  Rechen- 
schaft abzulegen. 

§  1515  d.  (1502.)  Die  elterliche  Gewalt  begründet  das  Recht  der  Nutzniefsung  am 
Vermögen  des  Kindes. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  561 

stellten  Vorfrage,  so  dafs  auf  die  Einzelheiten  der  Anträge  nicht  weiter 
eingegangen  wurde.  Die  auf  die  elterliche  Vermögensverwaltuug  bezüg- 
lichen Vorschriften  erfuhren  eine  Ergänzung  durch  die  Bestimmung  des 
§  1515a  der  2.  Lesung,  welche  sich  den  §r  der  Vorschriften  über  das 
gesetzliche  eheliche  Güterrecht  anschliefst  (vergl.  S.  66).  Ohne  die  Ver- 
schiedenheit der  elterlichen  Verwaltung  von  der  ehemänulichen  zu  ver- 
kennen, hielt  man  doch  die  Gründe,  welche  zu  den  Bestimmungen  des 
§r  geführt  haben  (vergl.  S.  240),  im  wesentlichen  auch  bezüglich  der 
elterlichen  Verwaltung  für  zutreffend  und  eine  weitergehende  »Sicherung 
der  Kinder  für  geboten. 

Die  §§   1516 — 1537,  welche  die   elterliche  Nutzniefsung  regeln,  wur- 


§  1516.  Von  der  Nutzniefsung  ausgeschlossen  (freies  Vermögen)  sind  die  ausschließ- 
lich zum  persönlichen  Gebrauche  des  Kindes  bestimmten  Sachen,  insbesondere  Kleider 
und  Schmucksachen. 

§   1517.     (1517  —  1519.)     Freies  Vermögen  ist: 

1.  was  das  Kind  durch  seine  Arbeit  oder  durch  den  ihm  vom  Vater  nach  §  86  ge- 
statteten selbständigen  Betrieb  eines  Erwerbsgeschäfts  erwirbt; 

2.  was  das  Kind  von  Todeswegen  erwirbt  oder  was  ihm  unter  Lebenden  von  einem 
Dritten  unentgeltlich  zugewendet  wird,  wenn  der  Erblasser  durch  Verfügung  von 
Todeswegen,  der  Dritte  bei  der  Zuwendung  bestimmt  hat,  dafs  das  Vermögen  der 
Nutzniefsung  entzogen  sein  soll. 

Die  Vorschriften  des  §   1510  Abs.   2  finden  entsprechende  Anwendung. 

§    1518  vergl.   §   1517. 

§   1519  vergl.  §   1517. 

§  1520.  (1520,  1521,  1526.)  Der  Vater  erwirbt  die  Nutzungen  des  seiner  Nutz- 
niefsung unterliegenden  Vermögens  in  derselben  Weise  und  in  demselben  Umfange  wie 
ein  Niefsbraucher. 

§   1521  vergl.   §   1520. 

§  1521  a.  (1531.)  Der  Vater  hat  die  Lasten  des  seiner  Nutzniefsung  unterliegen- 
den Vermögens  zu  tragen.  Seine  Haftung  bestimmt  sich  nach  den  für  den  Güterstand 
der  Verwaltung  und  Nutzniefsung  geltenden  Vorschriften  der  §§  v  bis  x,  z.  Zu  den 
Lasten  gehören  auch  die  Kosten  eines  für  das  Kind  geführten  Rechtsstreits ,  sofern  sie 
nicht  dem  freien  Vermögen  zur  Last  fallen,  sowie  die  Kosten  eines  gegen  das  Kind 
gerichteten  Strafverfahrens,  vorbehaltlich  der  Ersatzpflicht  des  Kindes  im  Falle  seiner 
Verurteilung. 

§   1522  gestrichen. 

§  1523.  (1523,  1525.)  Der  Vater  darf  v«rbrauchbare  Sachen,  die  zu  dem  seiner 
Nutzniefsung  unterliegenden  Vermögen  gehören,  für  sich  veräufsern  oder  verbrauchen, 
Geld  jedoch  nur  mit  Genehmigung  des  Vormttndschaftsgerichts.  Macht  der  Vater  von 
der  Befugnis  Gebrauch,  so  hat  er  den  Wert  der  Sachen  nach  der  Beendigung  der  Nutz- 
niefsung zu  ersetzen  ;  der  Ersatz  ist  schon  vorher  zu  leisten,  wenn  die  ordnungsmäfsige 
Verwaltung  des  Kindesvermögens  es  erfordert. 

§  1524  gestrichen. 

§   1525  vergl.  §  1523  Satz  2. 

§    1526  vergl.   §   1520. 

§  1527.  Gehört  zu  dem  der  Nutzniefsung  unterliegenden  Vermögen  ein  Erwerbs- 
geschäft, das  von  dem  Vater  im  Namen  des  Kindes  betrieben  wird,  so  hat  der  Vater  nur 
Anspruch  auf  den  aus  dem  Betriebe  sich  ergebenden  jährlichen  Reingewinn.  Ergiebt 
sich  in  einem  Jahre  ein  Verlust,  so  verbleibt  der  Gewinn  späterer  Jahre  bis  zur  Aus- 
gleichung des  Verlustes  dem  Kinde. 

§  1527  a.  (§  1532.)  Steht  dem  Vater  die  Verwaltung  des  seiner  Nutzniefsung  unter- 
liegenden Vermögens  nicht  zu,  so  kann  er  auch  die  Nutzniefsung  nicht  ausüben  und  die 
Herausgabe  der  Nutzungen  nur  insoweit  verlangen,  als  sie  nicht  zur  Fortführung  einer 
ordnungsmäfsigen  Verwaltung  und  zur  Bestreitung  der  Lasten  der  Nutzniefsung  erforder- 
lich sind. 

Ruht    die    elterliche  Gewalt    oder    ist    dem  Vater    die  Sorge  für    die  Person  und  das 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXHI).  36 


562  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

den  mit  den  über  die  eheliche  Nutzniefsung  gefafsten  Beschlüssen  in 
Einklang  gesetzt.  Insbesondere  vermied  man  auch  hier  die  Gestaltung 
des  Nutzniefsungsrechts  als  Niefsbrauch  und  die  in  §  1520  enthaltene 
allgemeine     Verweisung      auf     die     Vorschriften     über     den     Niefsbrauch; 


Vermögen  des  Kindes  durch  das  Vormundschaftsgericht  entzogen  ,  so  können  die  Kosten 
des  Unterhalts  des  Kindes  aus  den  Nutzungen  insoweit  vorweg  entnommen  werden ,  als 
sie  dem  Vater  zur  Last  fallen. 

§  1527  b.  (1533.)  Ist  der  Vater  von  der  Ausübung  der  Nutzniefsung  ausgeschlossen, 
so  hat  er  eine  ihm  dem  Kinde  gegenüber  obliegende  Verbindlichkeit,  die  infolge  der 
Nutzniefsung  erst  nach  deren  Beendigung  zu  erfüllen  sein  würde,  sofort  zu  erfüllen.  Diese 
Vorschrift  findet  keine  Anwendung,  wenn   die  elterliche  Gewalt  ruht. 

§  1527  c.  (1534.)  Die  Rechte,  welche  dem  Vater  auf  Grund  seiner  Nutzniefsung 
an  dem  Vermögen  des  Kindes  zustehen,  sind  unveräufserlich. 

Das  Gleiche  gilt  von  den  nach  den  §§  1527,  1527  a  dem  Vater  zustehenden  An- 
sprüchen, solange  sie  nicht  fällig  sind. 

Anmerkung.  Im  Artikel  11  des  Entwurfes  des  Einführungsgesetzes  sollen  zum 
teilweisen  Ersätze  der  §§  1534,  1535  des  Entw.  I.  folgende  Vorschriften  in  die  Civil- 
prozefsordnung  als  §   749c  eingestellt  werden: 

Die  Rechte,  welche  dem  Vater  oder  der  Mutter  auf  Grund  der  elterlichen  Nutz- 
niefsung an  dem  Kindesvermögen  zustehen,  sind  der  Pfändung  nicht  unterworfen. 
Das  Gleiche  gilt  von  den  ihnen  nach  den  §§  1527,  1527  a  des  Bürgerlichen  Ge- 
setzbuchs zustehenden  Ansprüchen,  solange  die  Ansprüche  nicht  fällig  sind. 

Auf  die  Pfändung  der  von  dem  Vater  oder  der  Mutter  auf  Grund   der  elterlichen 
Nutzniefsung    erworbenen    Früchte    finden    die    Vorschriften    des    §  749  b  mit    der 
Mafsgabe  entsprechende  Anwendung  ,    daf»  die  im  Abs.   1   bezeichneten  Ansprüche, 
wenn  sie  fällig  sind,  den  erworbenen  Früchten  gleichstehen. 
§   1528.     Die  Gläubiger  des  Kindes  können    ohne  Rücksicht  auf  die  elterliche  Nutz- 
niefsung Befriedigung  aus  dem  Vermögen  des  Kindes  verlangen. 

Hat  der  Vater  verbrauchbare  Sachen  nach  §  1523  veräufsert  oder  verbraucht,  so 
tritt  an  die  Stelle  der  Sachen  der  Anspruch  des  Kindes  auf  Ersatz  des  Wertes.  Der 
Vater  ist  den  Gläubigern   gegenüber  zum  sofortigen  Ersätze  verpflichtet. 

Anmerkung.  Im  Artikel  11  des  Entwurfes  des  Einführungsgesetzes  soll  zum 
Ersätze  des  zweiten  Halbsatzes  des  §  1528  des  Entw.  I  folgende  Vorschrift  als  §  671g 
in  die  Civilprozefsordnung  eingestellt  werden : 

Zur  Zwangsvollstreckung  in  das  der  elterlichen  Nutzniefsung  unterliegende  Kindes- 
vermögen ist  ein  gegen  das  Kind  erlassenes  Urteil  genügend. 
§   1529  vergl.  §   1280  Abs.  3,  §   1482  b. 

§  1530.  Im  Verhältnisse  des  Vaters  und  des  Kindes  zu  einander  finden  in  Ansehung 
der  Verbindlichkeiten  des  Kindes  die  für  den  Güterstand  der  Nutzniefsung  und  Verwal- 
tung geltenden  Vorschriften  des  §a2,  des  §  ba  Abs.  1  und  des  §  c*  entsprechende  An- 
wendung. 

§  1531  vergl.  §  1521  a. 
§  1532  vergl.  §  1527  a. 
§  1533  vergl.  §  1527  b. 
§  1534  vergl.  §  1527  c. 
§   1535  gestrichen. 

§  1536.  Verheiratet  sich  das  Kind,  so  endigt  die  Nutzniefsung,  es  sei  denn,  dafs 
die  Ehe  ohne  die  erforderliche  elterliche  Einwilligung  geschlossen  worden  ist. 

§  1537.  Der  Vater  kann  auf  die  Nutzniefsung  verzichten.  Der  Verzicht  ist  dem 
Vormundschaftsgerichte  gegenüber  in  öffentlich  beglaubigter  Form  zu  erklären. 

§  1537  a.  (1520.)  Hat  der  Vater  auf  Grund  seiner  Nutzniefsung  ein  zu  dem  Ver- 
mögen des  Kindes  gehörendes  Grundstück  vermietet  oder  verpachtet,  so  finden,  wenn 
das  Miet-  oder  Pachtverhältnis  bei  der  Beendigung  der  Nutzniefsung  noch  besteht,  die 
Vorschriften  des  §  965  entsprechende  Anwendung. 

Gehört  zu  dem  der  Nutzniefsung  unterliegenden  Vermögen  ein  landwirtschaftliches 
Grundstück,  so  findet  die  Vorschrift  des  §  532,  gehört  zu  dem  Vermögen  ein  Landgut, 
so  finden  die  Vorschriften  der  §§  532,   533  entsprechende  Anwendung. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  563 

hierdurch  wurde  eine  Anzahl  späterer  Bestimmungen  (§§  1521,  1522, 
1523  Abs.  1,  1524,  1526)  entbehrlich.  Von  sonstigen  Aenderungen  sei 
hervorgehoben,  dafs  der  Abs.  2  des  §  1527  gestrichen  wurde,  weil  man 
in   ihm   eine  ungerechtfertigte   Strafvorschrift  erblickte. 

Nach  §  1538,  mit  welchem  sich  der  Entwurf  zu  den  besonderen  Be- 
stimmungen über  die  elterliche  Gewalt  der  Mutter  wendet,  soll 
das  Vormundschaftsgericht  der  Mutter  aufser  auf  Anordnung  des  Vaters 
und  auf  ihren  eigenen  Antrag  einen  Beistand  von  Amtswegen  bestellen, 
wenn  es  die  Bestellung  wegen  des  Umfanges  oder  der  besonderen  Schwierig- 
keiten der  Vermögensverwaltung  oder  nach  Mafsgabe  der  §§  1546,  1547 
im  Interesse  des  Kindes  für  nötig  erachtet.  Die  Kommission  hielt  es  im 
Hinblick  darauf,  dafs  das  Institut  der  elterlichen  Gewalt  der  Mutter  für 
grofse  Teile  des  Reichs  eine  Neuerung  enthält ,  für  ratsam ,  in  noch 
weiterem  Umfange  die  Bestellung  eines  Beistandes  von  Amtswegen  zuzu- 
lassen, nämlich  in  allen  Fällen,  in  denen  das  Vormundschaftsgericht  aus 
besonderen  Gründen,  also  namentlich  auch  mit  Rücksicht  auf  die  subjek- 
tive Befähigung  der  Mutter,  die  Bestellung  im  Interesse  des  Kindes  für 
nötig  erachtet.  Ein  Antrag,  welcher  umgekehrt  die  Beistandsbestelluug 
nur  unter  den  Voraussetzungen  der  §§  1546,  1547  zulassen  wollte,  wurde 
demgemäfs  vollends  abgelehnt.  In  der  gleichen  Richtung  wie  der  soeben 
erwähnte  bewegte  sich  ein  fernerer  Beschlufs,  nach  welchem  das  Vor- 
muudschaftsgericht  die  Vermögensverwaltung  auf  Antrag  der  Mutter  auch 
ganz  oder  teilweise  dem  Beistande  soll  übertragen  können.  Man 
ging  davon  aus,  dafs  thatsächlich  die  Vermögensverwaltung  in  nicht 
seltenen  Fällen  wegen  der  Unfähigkeit  der  Mutter  vom  Beistande  werde 
geführt  werden,  und  erachtete  es  in  Uebereinstimmung  mit  mehreren 
Aeufserungen  der  Kritik  für  richtiger,  in  solchen  Fällen  auch  rechtlich 
der  Mutter  die  Verantwortlichkeit  auf  ihren  Wunsch  abzunehmen.  Weiter 
verpflichtete  man  die  Mutter  im  Falle  der  Beiordnung  eines  Beistandes  für 
die  Vermögensverwaltung  zur  Aufnahme  eines  Verzeichnisses  des  ihrer 
Verwaltung  unterworfenen  Kindesvermögens  und  zur  Einreichung  des 
Verzeichnisses  bei  dem  Vormundschaftsgerichte.  Im  übrigen  fanden  die 
Bestimmungen  dieses  Unterabschnitts  Billigung.  Der  §  1543  erhielt  nur 
noch  den  Zusatz,  dafs  ein  auf  Verlangen  der  Mutter  bestellter  Beistand 
auf  ihr  Verlangen  auch  wieder  zu  entlassen  ist,  wenn  nicht  die  Beibe- 
haltung im  Interesse  des  Kindes  nötig  erscheint. 

Von  den  folgenden  Vorschriften  über  die  Fürsorge  und  Auf- 
sicht des  Vormundschaftsgerichts  und  der  Beschränkung 
der    elterlichen    Gewalt   blieben  die  §§   1544,    1545  unbeanstandet. 


§  1538  vergl.  §   1561  f. 

§   1539  vergl.   §   1561  g. 

§   1540  vergl.  §   1561h. 

§   1541   vergl.  §§   1561k,  15611. 

§   1542  vergl.  §   1561  1. 

§   1543  vergl.  §   1561  n. 

§  1544.  (1544,  1545.)  Das  Vormundschaftsgerieht  hat,  wenn  der  Vater  verhindert 
ist,  die  mit  der  elterlichen  Gewalt  verbundenen  Pflichten  zu  erfüllen,  die  im  Interesse 
des  Kindes  erforderlichen  Mafsregeln  zu  treffen. 

36* 


564  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Eine  ausgedehnte  Erörterung  knüpfte  sich  an  den  §  1546,  welcher  sich 
auf  den  Schutz  des  Kindes  gegen  Gefährdung  seines  leiblichen  oder 
geistigen  Wohls  durch  den  Inhaber  der  elterlichen  Gewalt  bezieht.  Der 
Entwurf  macht  das  Einschreiten  des  Vormundschaftsgerichts  stets  von 
einem  Verschulden  des  Gewalthabers  abhängig,  mag  dasselbe  in  einem 
Mifsbrauch  der  dem  letzteren  bezüglich  der  Person  des  Kindes  zustehen- 
den Rechte  oder  in  einer  Vernachlässigung  des  Kindes  oder  in  ehrlosem  oder 
unsittlichen  Verhalten  des  Gewalthabers  bestehen.  Die  Kommission  be- 
schlofs  dagegen,  dafs  das  Vormundschaftsgericht  auch  dann  einzugreifen 
verpflichtet  sein  soll,  wenn  das  Kind,  auch  ohne  Verschulden  der  Eltern, 
sittlich  verwahrlost  und  nach  der  Persönlichkeit  und  den  Lebensverhält- 
nissen des  Gewalthabers  anzunehmen  ist,  dafs  die  elterliche  Erziehuugs- 
gewalt  zur  Besserung  des  Kindes  nicht  ausreicht.  Man  liefs  sich  von  der 
Erwägung  leiten,  nachdem  die  in  Anknüpfung  an  §  55  des  Strafgesetz- 
buches erlassenen  Landesgesetze  in  der  staatlichen  Fürsorge  für  ver- 
wahrloste Kinder  aus  gewichtigen  sozialpolitischen  Gründen  über  den  vom 
Entwurf  eingenommenen  Standpunkt  vielfach  hinausgegangen  seien,  dürfe 
das  Bürgerliche  Gesetzbuch  weder  für  das  Gebiet  jener  Landesgesetze 
einen  Rückschritt  herbeiführen,  noch  Rechtsverschiedenheit  bestehen 
lassen,  sondern  müsse  sich  den  vorgeschrittenen  Standpunkt  jener  Landes- 
gesetze aneignen.  Infolge  dieses  Beschlusses  sah  man  kein  Bedürfnis  und 
hielt  es  im  Interesse  der  Rechtseinheit  nicht  für  angängig,  den  Laudes- 
gesetzen, abgesehen  von  den  Fällen  des  §  56  des  Strafgesetzbuches,  noch 
unter  weiteren  als  den  in  §  1546  bestimmten  Voraussetzungen  die  Ein- 
leitung einer  öffentlichen  Zwangserziehung  minderjähriger  Kinder  zu  ge- 
statten ;     man     erhielt     daher     die    auf    die    Zwangserziehung    bezüglichen 


Läfst  der  Vater  die  für  ihn  verbindliche  Anordnung  eines  Dritten  unbefolgt,  so  hat 
das  Vormundschaftsgericht    das    zur  Sicherung    der  Befolgung    Erforderliche    anzuordnen. 

§   1545  vergl.  §   1544. 

§  1546.  Wird  das  geistige  oder  leibliche  Wohl  des  Kindes  dadurch  gefährdet,  dafs 
der  Vater  das  Recht  der  Sorge  für  die  Person  des  Kindes  mifsbraucht  oder  dafs  er  das 
Kind  vernachlässigt  oder  sich  eines  ehrlosen  oder  unsittlichen  Verhaltens  schuldig  macht, 
so  hat  das  Vormundschaftsgericht  die  zur  Abwendung  der  Gefahr  erforderlichan  Mafs- 
regeln  zu  treffen.  Das  Gleiche  gilt,  wenn  das  Kind  sittlich  verwahrlost  und  nach  der 
Persönlichkeit  und  den  Lebensverhältnissen  des  Vaters  anzunehmen  ist,  dafs  die  elter- 
liche Erziehungsgewalt  zur  Besserung  des  Kindes  nicht  ausreicht. 

Das  Vormundschaftsgericht  kann  insbesondere  anordnen,  dafs  das  Kind  zum  Zwecke 
der  Erziehung  in  einer  geeigneten  Familie  oder  in  einer  Erziehungs-  oder  Besserungsan- 
stalt untergebracht  wird. 

Verletzt  der  Vater  das  Recht  des  Kindes  auf  Gewährung  des  Unterhalts  und  ist  für 
die  Zukunft  eine  erhebliche  Gefährdung  des  Unterhalts  zu  besorgen  ,  so  kann  ihm  auch 
die  Verwaltung  des  Kindesvermögens  sowie  die  Nutzniefsung  entzogen  werden. 

Anmerkung.  1.  In  den  Entwurf  des  Einführungsgesetzes  soll  geeigneten  Ortes 
folgende  Vorschrift  eingestellt  werden. 

Unberührt  bleiben  die  landesgesetzlichen  Vorschriften  über  die  öffentliche  Zwangs- 
erziehung minderjähriger  Kinder  ;  die  Zwangserziehung  ist  jedoch,  unbeschadet  der 
Vorschriften  des  §  56  des  Strafgesetzbuchs,  nur  zulässig,  wenn  sie  von  dem  Vor- 
mundschaftsgericht auf  Grund  des  §  1546  des  Bürgerlichen  Gesetzbuchs  für  er- 
forderlich erklärt  wird. 

2.  Im  Artikel  16  des  Entwurfes  des  Einführungsgesetzes  sollen  die  Sätze  2,  3  des 
§  55  des  Strafgesetzbuchs  gestrichen  werden. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  565 

landesgesetzlichen  Vorschriften  nur  mit  der  Einschränkung  aufrecht,  dafs 
die  Zwangserziehung  nur  zulässig  sein  soll,  wenn  sie  von  dem  Vormund- 
schaftsgericht auf  Grund  des  §  1546  für  erforderlich  erklärt  wird.  Neben 
diesem  Vorbehalt  für  die  Landesgesetze  und  dem  §  1546  erschienen  die 
Sätze  2,  3  des  §  55  des  Strafgesetzbuchs  (vergl.  das  Einführungsgesetz 
Art.    16)   entbehrlich  und  irreführend. 

Eine  fernere  Aenderung  erfuhr  der  Satz  3  des  §  1546,  nach  welchem 
das  Vormundschaftsgericht,  sofern  das  Interesse  des  Kindes  es  erfordert, 
auch  die  elterliche  Gewalt  mit  Ausnahme  der  elterlichen  Nutzuiefsung 
ganz  oder  teilweise  entziehen  kann.  Dafs  der  Entwurf  die  Entscheidung 
dem  Vormundschaftsgericht  überträgt,  wurde  zwar  gegenüber  Anträgen, 
die  nur  eine  Entziehung  der  elterlichen  Gewalt  durch  richterliches  Urteil 
zulassen  oder  doch  die  Anfechtung  des  vormundschaftsgerichtlichen  Be- 
schlusses im  Wege  der  Klage  gestatten  wollten,  von  der  Mehrheit  ge- 
billigt unter  der  selbstverständlichen  Voraussetzung,  dafs  das  in  Aussicht 
genommene  Verfahrensgesetz  in  den  hier  fraglichen  Fällen  die  erforder- 
liche Gewähr  für  hinreichenden  Schutz  der  Rechte  der  Eltern  schaffen 
werde.  Ebenso  fand  der  Entwurf  darin  die  Zustimmung  der  Mehrheit, 
dafs  die  Entziehung  der  elterlichen  Gewalt  sich  in  den  Fällen  des  §  1546 
nicht  auf  die  elterliche  Nutzniefsung  erstrecken  soll.  Dagegen  erschien  es 
bedenklich,  dafs  es  unter  den  Voraussetzungen  des  §  1546  auch  allgemein 
in  das  Ermessen  des  Vormundschaftsgerichts  gestellt  sein  soll,  dem  In- 
haber der  elterlichen  Gewalt  die  Vermögensverwaltung  zu  entziehen. 
Diese  Mafsregel  hielt  man  nur  dann  für  gerechtfertigt,  wenn  der  Gewalt- 
haber das  Recht  des  Kindes  auf  Gewährung  des  Unterhaltes  verletzt  und 
für  die  Zukunft  eine  erhebliche  Gefährdung  des  Unterhalts  zu  besorgen 
ist;  in  einem  solchen  Falle  erschien  es  andererseits  mit  Rücksicht  auf 
den  inneren  Zusammenhang  des  Nutzniefsungsrechts  mit  der  Unterhaltungs- 
pfiicht  der  Eltern  angezeigt,  dem  Vormundschaftsgericht  auch  die  Ent- 
ziehung jenes  Rechts  anheimzustellen.  Nach  dieser  Einschränkung  des 
§  1546  Satz  3  glaubte  man,  seinen  übrigbleibenden  Inhalt  neben  Satz  1 
nicht  besonders  aussprechen  zu  brauchen.  —  Die  übrigen  Bestimmungen 
dieses  Unterabschnitts  (§§  1547 — 1553)  wurden  mit  unerheblichen 
Aenderungen  gebilligt. 


§  1547.  (1547  Abs.  1.)  Wird  das  Vermögen  des  Kindes  dadurch  gefährdet,  dafs 
der  Vater  die  mit  der  Vermögensverwaltung  und  Nutzniefsung  verbundenen  Pflichten  ver- 
letzt oder  in  Vermögensverfall  gerät ,  so  hat  das  Vormundschaftsgericht  die  zur  Abwen- 
dung der  Gefahr  erforderlichen  Mafsregeln  zu  treffen. 

Das  Vormundschaftsgericht  kann  insbesondere  anordnen,  dafs  der  Vater  ein  Ver- 
zeichnis des  Vermögens  einreicht,  dafs  er  über  seine  Verwaltung  Rechnung  legt,  dafs  er 
Kostbarkeiten  und  Wertpapiere,  mit  Einschlufs  der  Hypotheken-,  Grundschuld-  und  Renten- 
schuldbriefe, nach  den  für  die  vormundschaftliche  Verwaltung  geltenden  Vorschriften  des 
§  1670  hinterlegt  oder  Inhaberpapiere  auf  den  Namen  des  Kindes  umschreiben  oder  in 
Buchschulden  des  Reiches  oder  eines  Bundesstaats  umwandeln  läfst.  Nach  der  Hinter- 
legung, Umschreibung  oder  Umwandlung  finden  die  Vorschriften  des  §  1671  entsprechende 
Anwendung. 

§  1547  a.  (1547  Abs.  2,  1549  Abs.  2,  1551  Satz  2.)  Erscheinen  die  nach  §1547 
Abs.  2  zulässigen  Mafsregeln  nicht  ausreichend  ,  so  kann  das  Vormundschaftsgericht  den 
Vater  anhalten  ,  für  das  seiner  Verwaltung  unterliegende  Vermögen  Sicherheit  zu  leisten. 


566  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

In  dem  letzten  Unterabschnitt,  welcher  von  dem  Ruhen  und  der 
Beendigung  der  elterlichen  Gewalt  handelt,  wurde  der  Abs.  1 
des  §  1554  nur  insoweit  beanstandet,  als  er  auch  in  den  Fällen  des 
Ruhens  der  Gewalt  dem  Gewalthaber  die  elterliche  Nutzniefsung  beläfst ; 
die  Mehrheit  erklärte  sich  aber  auch  hierin  mit  dem  Entwürfe  einver- 
standen. Nach  Abs.  2  soll  der  Gewalthaber,  wenn  die  Gewalt  wegen 
seiner  Minderjährigkeit  ruht,  in  beschränktem  Mafse  zur  Fürsorge  für 
die  Person  des  Kindes  berechtigt  und  verpflichtet  bleiben.  Diese  Vor- 
schrift wurde  in  der  Beschränkung  auf  die  minderjährige  Mutter  nicht 
angefochten,  während  sie  in  der  Anwendung  auf  den  Vater  durch  den 
Beschlufs,  die  Ehemündigkeit  der  Männer  erst  mit  der  Volljährigkeit  ein- 
treten zu  lassen,  im  wesentlichen  gegenstandslos  geworden  war.  Dagegen 
erschien  es  in  den  übrigen  Fällen,  in  deoen  die  Gewalt  wegen  Beschrän- 
kung der  Geschäftsfähigkeit  des  Gewalthabers  ruht,  also  in  den  Fällen 
der  Entmündigung    wegen   Verschwendung    oder  Trunksucht   u.  s.  w.,  der 


Die  Art  und  den  Umfang  der  Sicherheitsleistung  bestimmt  das  Vormundschaftsgericht 
nach  seinem  Ermessen.  Bei  der  Bestellung  und  der  Aufhebung  der  Sicherheit  wird  die 
Mitwirkung  des  Kindes  durch  die  Anordnung  des  Vormundschaftsgerichts  ersetzt. 

§  1548.  Will  der  Vater  zu  einer  neuen  Ehe  schreiten,  so  hat  er  dies  dem  Vor- 
mundschaftsgericht anzuzeigen,  ein  Verzeichnis  des  seiner  Verwaltung  unterliegenden 
Vermögens  einzureichen  und,  soweit  in  Ansehung  dieses  Vermögens  eine  Gemeinschaft 
zwischen  ihm  und  dem  Kinde  besteht,  die  Auseinandersetzung  herbeizuführen.  Das  Vor- 
mundschaftsgericht kann  jedoch  gestatten,  dafs  die  Auseinandersetzung  erst  nach  der  Ehe- 
schliefsung  erfolgt. 

§  1549.  Die  Kosten  der  Aufnahme  und  Einreichung  des  Vermögensverzeichnisses, 
die  Kosten  der  Hinterlegung ,  Umschreibung  oder  Umwandlung  sowie  die  Kosten 
der  Sicherheitsleistung  sind  in  den  Fällen  der  §§  1547  bis  1548  von  dem  Vater  zu 
tragen. 

§  1550.  Werden  von  dem  Vater  die  nach  den  §§  1547,  1547  a  getroffenen  Anord- 
nungen nicht  befolgt  oder  die  nach  §  1548  ihm  obliegenden  Verpflichtungen  nicht  erfüllt, 
so  kann  ihm  das  Vormundschaftsgericht  die  Vermögensverwaltung  entziehen.  Andere 
Mafsregeln  zur  Erzwingung  der  Sicherheitsleistung  sind  unzulässig. 

§  1551.  Das  Vormuudschaftsgericht  kann  während  der  Dauer  der  elterlichen  Ge- 
walt die  von  ihm  getroffenen  Anordnungen  jederzeit  ändern,  insbesondere  die  Erhöhung. 
Minderung  oder  Aufhebung  der  geleisteten   Sicherheit  anordnen. 

§  1552.  Die  Gemeindewaisenräte  haben  dem  Vormundschaftsgericht  unverzüglich 
Anzeige  zu  machen,  wenn  ein  Fall  zu  ihrer  Kenntnis  gelangt,  in  welchem  es  zu  einem 
Einschreiten  berufen  ist. 

§  1553  vergl.  §  1515  b. 

§  1554.  (1554  Abs.  1  Satz  1,  Abs  2.)  Die  elterliche  Gewalt  des  Vaters  ruht, 
wenn  er  geschäftsunfähig  oder  in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkt  ist. 

Ist  der  Vater  in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkt ,  so  steht  ihm  neben  dem  gesetz- 
lichen Vertreter  die  Sorge  für  die  Person  des  Kindes  in  gleicher  Weise  zu  wie  nach 
§   1509  a  der  Mutter  neben  dem  Vater. 

§  1554  a.  (1554  Abs.  1  Satz  2.)  Die  elterliche  Gewalt  des  Vaters  ruht,  wenn  von 
dem  Vormundschaftsgerichte  festgestellt  ist ,  dafs  der  Vater  auf  längere  Zeit  an  der  Aus- 
übung der  elterlichen  Gewalt  thatsächlich  verhindert  ist  und  der  Sorge  für  die  Person 
und  das  Vermögen  des  Kindes  durch  Anordnung  einer  Pflegschaft  nicht  genügt  werden 
kann. 

Das  Ruhen  endigt,  wenn  von  dem  Vormundschaftsgerichte  festgestellt  ist ,  dafs  der 
Grund  nicht  mehr  besteht. 

§  1554  b.  (1554  Abs.  1.)  Dem  Vater  verbleibt,  auch  wenn  seine  elterliche  Gewalt 
ruht,  unbeschadet  der  Vorschrift  des  §  1561  b  Satz  3,  die  Nutzniefsung  am  Vermögen 
des  Kindes. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  567 

natürlichen  Auffassung  entsprechend,  dem  Gewalthaber  das  Recht  und  die 
Pflicht  zur  Fürsorge  für  die  Person  des  Kindes  in  dem  in  §  1506  Abs.  I 
bestimmten  Umfange  zu  belassen.  Nach  §  1555  soll,  wenn  die  elterliche 
Gewalt  des  Vaters  ruht,  regelmäfsig  die  Gewalt  mit  Ausnahme  der  dem 
Vater  verbleibenden  Nutzniefsung  der  Mutter  zustehen  (Abs.  1  Satz  1) ; 
dies  soll  aber  nicht  gelten,  wenn  die  Gewalt  des  Vaters  infolge  der  Ent- 
mündigung desselben  wegen  Verschwendung  ruht,  oder  wenn  die  Ehe  auf- 
gelöst ist  (Abs.  2).  Die  Kommission  stimmte  dieser  Regelung  mit  zwei 
Abweichungen  zu:  erstens  soll  der  Entmündigung  wegen  Verschwendung 
die  Entmündigung  wegen  Trunksucht  gleichgestellt  werden ;  zweitens  soll 
der  Mutter  auf  ihren  Antrag  auch  nach  Auflösung  der  Ehe  die  elterliche 
Gewalt  durch  das  Vormundschaftsgericht  eingeräumt  werden,  wenn  keine 
Aussicht  besteht,  dafs  der  Grund,  dessentwegen  die  elterliche  Gewalt 
des  Vaters  ruht,  wieder  wegfallen  werde,  und  in  diesem  Falle  soll  dann 
der  Mutter  auch  die  elterliche  Nutzniefsung  zustehen.  Man  nahm  an, 
dafs  unter  den  zuletzt  gedachten  Voraussetzungen  die  Uebertragung  der 
vollen  elterlichen  Gewalt  auf  die  Mutter  ebenso  vom  Standpunkte  des 
Interesses  des  Kindes  unbedenklich  sei,  wie  sie  den  natürlichen  Verhält- 
nissen entspreche.  Diese  Regelung  erschien  insbesondere  auch  für  den 
Fall  passend,  wenn  die  Ehe  wegen  Geisteskrankheit  des  Vaters  ge- 
schieden ist.  Der  Satz  2  des  Abs.  1  kam  als  gegenstandslos  in 
Wegfall. 

Den  §  1556  ersetzte  man  durch  einen  Zusatz  zu  §  1633,  nach 
welchem  ein  Minderjähriger  auch  dann  einen  Vormund  erhalten  soll,  wenn 
Bein  Familienstand  nach  der  Feststellung  des  Vormundschaftsgerichts  nicht 
zu  ermitteln  ist.  Der  §  1557  wurde  sachlich  nur  insoweit  geändert,  als 
die  der  Todeserklärung  im  allgemeinen  beigelegte  deklaratorische  Be- 
deutung auoh  hier  durchgeführt  wurde.  Die  §§  1558,  1559  fanden  unter 
Verwerfung  abweichender  Anträge  Billigung.  Das  Recht  und  die  Pflicht 
der  Mutter  zur  Fürsorge  für  ihr  Kind  erkannte  man  auch  für  die  Fälle  an, 
in  denen  das  Erziehungsrecht  des  Vaters  nach  §  1546  beschränkt  und 
deshalb  ein  Pfleger  bestellt  ist  oder  die  elterliche  Gewalt  des  Vaters 
ruht  oder  verwirkt  ist,  nicht  aber  auf  die  Mutter  übergeht,  vielmehr  ein 
Vormund  bestellt  ist.     Die  §§   1560,    1561    wurden    als    selbstverständlich 


§  1555  vergl.  §  1561  c. 

§   1556  gestrichen. 

§  1557.  Die  elterliche  Gewalt  des  Vaters  endigt,  wenn  er  für  tot  erklärt  wird,  mit 
dem  Zeitpunkte,  welcher  als  Zeitpunkt  des  Todes  gilt. 

Lebt  der  Vater  noch,  so  erlangt  er  die  elterliche  Gewalt  dadurch  zurück ,  dafs  er 
dem  Vormundschaftsgerichte  gegenüber  eine  hierauf  gerichtete  Erklärung  abgiebt. 

§   1558  vergl.  §   1561  q. 

§  1559.  (1559  Abs.  1.)  Der  Vater  verwirkt  die  elterliche  Gewalt,  wenn  er  wegen 
eines  an  dem  Kinde  begangenen  Verbrechens  oder  vorsätzlich  verübten  Vergehens  zu 
Zuchthausstrafe  oder  zu  einer  Gefängnisstrafe  von  mindestens  sechs  Monaten  ver- 
urteilt wird.  Ist  wegen  des  Zusammentreffens  mit  einer  anderen  strafbaren  Handlung 
auf  eine  Gesamtstrafe  erkannt,  so  entscheidet  die  Einzelstrafe,  welche  für  das  an  dem 
Kinde  begangene  Verbrechen  oder  Vergehen  verwirkt  ist. 

Die  Verwirkung  der  elterlichen  Gewalt  tritt  mit  der  Rechtskraft  des  Urteils  ein. 

§  1560  gestrichen. 

§  1561   gestrichen. 


568  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

gestrichen.  Eine  Ergänzung  erfuhr  der  Entwurf  endlich  durch  den  §  1561  a 
der  2.  Lesung,  welcher  sich  dem  Grundgedanken  nach  dem  §  1709  des 
Entwurfs  anschliefst. 


§  1561  a.  Der  Vater  ist  auch  nach  der  Beendigung  der  elterlichen  Gewalt  zur 
Fortführung  der  mit  der  Sorge  für  die  Person  und  das  Vermögen  des  Kindes  ver- 
bundenen Geschäfte  berechtigt,  bis  er  von  der  die  Beendigung  bewirkenden  That- 
sache  Kenntnis  erlangt  hat  oder  diese  Thatsache  hätte  kennen  müssen.  Ein  Dritter 
kann  sich  auf  diese  Berechtigung  nicht  berufen ,  wenn  er  bei  der  Vornahme  eines 
Rechtsgeschäfts  die  Beendigung  der  elterlichen  Gewalt  gekannt  hat  oder  hätte  kennen 
müssen. 

Endigt  die  elterliche  Gewalt  infolge  des  Todes  des  Kindes ,  so  hat  der  Vater  die- 
jenigen Geschäfte,  mit  deren  Aufschübe  Gefahr  verbunden  sein  würde,  zu  besorgen, 
bis  die  Erben  anderweit  haben  Fürsorge  treffen  können. 

2.     Elterliche  Gewalt  der  Mutter. 

§  1561b.  (1557  Abs.  2,  1559  Abs.  2.)  Der  Mutter  steht  die  elterliche  Gewalt  zu, 
wenn  der  Vater  die  elterliche  Gewalt  verwirkt  hat  und  die  Ehe  aufgelöst  ist.  Das  Gleiche 
gilt,  wenn  die  elterliche  Gewalt  des  Vaters  durch  Todeserklärung  beendigt  ist. 

§  1561c.  (1555.)  Solange  die  elterliche  Gewalt  des  Vaters  ruht,  wird  die  elter- 
liche Gewalt  von  der  Mutter  ausgeübt,  es  sei  denn,  dafs  der  Vater  wegen  Verschwendung 
oder  wegen  Trunksucht  entmündigt  oder  die  Ehe  aufgelöst  ist.  Im  Falle  der  Auflösung 
der  Ehe  hat  jedoch  das  Vormundschaftsgericht  der  Mutter  auf  ihren  Antrag  die  Ausübung 
der  elterlichen  Gewalt  zu  übertragen,  wenn  keine  Aussicht  besteht,  dafs  der  Grund,  aus 
welchem  die  elterliche  Gewalt  des  Vaters  ruht,  wegfallen  wird ;  mit  der  Uebertragung 
der  elterlichen  Gewalt  erlangt  die  Mutter  in  diesem  Falle  auch  die  Nutzniefsung  am  Ver- 
mögen des  Kindes. 

§  1561  d.  Wird  für  das  Kind  ein  Vormund  bestellt,  weil  die  elterliche  Gewalt  des 
Vaters  ruht  oder  verwirkt  ist,  oder  erhält  das  Kind  in  einem  Falle  des  §  1546  wegen 
Beschränkung  des  Erziehungsrechts  des  Vaters  einen  Pfleger,  so  steht  der  Mutter  die 
Sorge  für  die  Person  des  Kindes  neben  dem  Vormund  oder  dem  Pfleger  in  gleicher 
Weise  zu  wie  nach  §  1509  a  neben  dem  Vater. 

§  1561  e.  Auf  die  elterliche  Gewalt  der  Mutter  finden,  soweit  sich  nicht  aus  den 
§§  1561  f  bis  1561  q  ein  Anderes  ergiebt,  die  für  die  elterliche  Gewalt  des  Vaters  gelten- 
den  Vorschriften  entsprechende  Anwendung. 

§  1561  f.  (1538.)  Das  Vormundschaftsgericht  hat  der  Mutter  einen  Beistand  zu 
bestellen  : 

1.  wenn  der  Vater  durch  Verfügung  von  Todes  wegen  die  Bestellung  nach  Mafsgabe 
des  §  1636  angeordnet  hat; 

2.  wenn  die  Mutter  die  Bestellung  beantragt; 

3.  wenn  das  Vormundschaftsgericht  aus  besonderen  Gründen ,  insbesondere  wegen  des 
Umfangs  oder  der  Schwierigkeit  der  Vermögensverwaltung  oder  in  den  Fällen  der 
§§   1546,  1547,  die  Bestellung  im  Interesse  des  Kindes  für  nötig  erachtet. 

§  1561g.  (1539.)  Der  Beistand  kann  für  alle  Angelegenheiten,  für  gewisse  Arten 
oder  für  einzelne  Angelegenheiten  bestellt  werden. 

Ueber  den  Umfang  seines  Wirkungskreises  entscheidet  die  Bestellung.  Ist  der  Um- 
fang nicht  bestimmt,  so  fallen  alle  Angelegenheiten  in  seinen  Wirkungskreis. 

Hat  der  Vater  die  Bestellung  angeordnet,  so  sind  dessen  Anordnungen  über  den 
Umfang  des  Wirkungskreises  für  das  Vormundschaftsgericht  mafsgebend. 

§  1561  h.  (1540.)  Der  Beistand  hat  innerhalb  seines  Wirkungskreises  die  Mutter 
bei  der  Ausübung  der  elterlichen  Gewalt  zu  unterstützen  und  zu  überwachen  ,  auch  dem 
Vormundschaftsgericht  jeden  Fall ,  in  welchem  es  zu  einem  Einschreiten  berufen  ist,  an- 
zuzeigen. 

§  1561  i.  Ist  der  Mutter  für  die  Vermögensverwaltung  ein  Beistand  bestellt,  so 
hat  sie  ein  Verzeichnis  des  ihrer  Verwaltung  unterliegenden  Vermögens  unter  Zuziehung 
des  Beistandes  aufzunehmen  und  dem  Vormundschaftsgericht  einzureichen. 

§  1561k.  (1541  Abs.  3.)  Auf  die  Anlegung  des  zu  dem  Vermögen  des  Kindes 
gehörenden  Geldes  finden  ,  soweit  sie  in  den  Wirkungskreis  des  Beistandes  fällt ,  die  für 
die  vormundschaftliche  Verwaltung  geltenden  Vorschriften  der  §§1666,  1668  entsprechende 
Anwendung. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  569 

§  1561  I.  (1541  Abs.  1,  2,  1542.)  Die  Mutter  bedarf  der  Genehmigung  des  Bei- 
standes zu  jedem  in  dessen  Wirkungskreis  fallenden  Rechtsgeschäfte,  zu  welchem  ein 
Vormund  der  Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts  oder  des  Gegenvormundes  bedarf. 
Ausgenommen  sind  Rechtsgeschäfte,  welche  die  Mutter  nicht  ohne  die  Genehmigung  des 
Vormundschaftsgerichts  vornehmen  kann.  Die  Genehmigung  des  Beistandes  wird  durch 
die  Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts  ersetzt. 

Das  Vormundschaftsgericht  soll  vor  der  Erteilung  der  Genehmigung  zu  einem  in 
den  Wirkungskreis  des  Beistandes  fallenden  Rechtsgeschäft  in  allen  Fällen  den  Beistand 
hören. 

Die  Wirksamkeit  eines  Rechtsgeschäfts,  zu  welchem  die  Mutter  der  Genehmigung 
des  Beistandes  bedarf,  bestimmt  sich  nach  den  Vorschriften   des  §    1681. 

§  1561m.  Das  Vormundschaftsgericht  kann  auf  Antrag  der  Mutter  dem  Beistande 
die  Vermögensverwaltung  ganz  oder  teilweise  übertragen  ;  soweit  dies  geschieht,  hat  der 
Beistand  die  Rechte  und  Pflichten  eines  Pflegers.  Die  Uebertragung  kann  mit  Zustim- 
mung der  Mutter  wieder  aufgehoben  werden. 

§  1561  n.  (1543.)  Für  die  Berufung,  Bestellung  und  Beaufsichtigung  des  Beistan- 
des, für  seine  Haftung  und  seine  Ansprüche ,  für  die  ihm  zu  gewährende  Vergütung  und 
für  die  Beendigung  seines  Amtes  gelten  die  gleichen  Vorschriften  wie  bei  dem  Gegen- 
vormunde. 

Das  Amt  des  Beistandes  endigt  auch  dann,  wenn  die  elterliche  Gewalt  der  Mutter 
ruht. 

§  1561  o.  Das  Vormundschaftsgericht  kann  in  den  Fällen  des  §  1561  f  Nr.  2,  3 
die  Bestellung  des  Beistandes  jederzeit  wieder  aufheben,  im  Falle  des  §  1561  f  Nr.  2 
jedoch   nur  mit  Zustimmung  der  Mutter. 

§  1561p.  (1554  Abs.  2)  Ruht  die  elterliche  Gewalt  der  Mutter  wegen  Minder- 
jährigkeit, so  hat  sie  das  Recht  und  die  Pflicht,  für  die  Person  des  Kindes  zu  sorgen. 
Sie  ist  jedoch  nicht  berechtigt,  das  Kind  zu  vertreten.  Der  Vormund  des  Kindes  hat 
ihr  gegenüber  die  Stellung  eines  Beistandes  nach  Mafsgabe  des  §   1561h. 

§  1561  q.  (1558.)  Die  Mutter  verliert  die  elterliche  Gewalt,  wenn  sie  sich  wieder 
verheiratet.  Sie  behält  jedoch  unter  den  im  §  1561p  bestimmten  Beschränkungen  das 
Recht  und  die  Pflicht,  für  die  Person  des  Kindes  zu  sorgen. 


570  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


VIII. 
Reform  der  deutschen  Armengesetzgebung. 

(Reichsgesetz  vom   12.  März   1894,  betreffend  die  Aenderung  des  Gesetzes 
über  den  Unterstützungswohnsitz  und  die  Ergänzung  des  Strafgesetz- 
buchs) l). 

Von  Prof.  Edgar  Loening. 

Binnen  kurzem  werden  es  25  Jabre  sein,  dafs  das  öffentliche 
Armenrecht  im  Deutschen  Reiche  (mit  Ausnahme  von  Bayern,  Elsafs- 
Lothringen  und  Helgoland)  in  seinen  Grundzügen  durcb  das  Reicbsgesetz 
über  den  Unterstützungswohnsitz  vom  6.  Juni  1870  einbeitlich  geordnet 
ist.  Wie  aber  das  Gesetz  bei  seiner  Entstehung  und  seiner  Ausdehnung 
auf  die  süddeutschen  Staaten  mancben  Widerstand  gefunden  hat,  so  ist 
es  ihm  auch  in  der  Zeit  seiner  Herrschaft  nicht  gelungen,  eine  allgemeine 
Anerkennung  zu  erringen.  Bestrebungen,  die  auf  eine  Aenderung  seiner 
Grundlagen  gerichtet  sind,  machten  sich  schon  sehr  früh  geltend  und  sie 
sind  im  Laufe  der  Zeit  nicht  abgeschwächt  worden ,  sondern  haben  viel- 
mehr fast  ununterbrochen  an  Stärke  zugenommen.  Zwar  ist  der  oberste 
Grundsatz,  von  dem  unser  gesamtes  öffentliches  Armenrecht  ausgeht,  in 
Deutschland  kaum  bestritten.  Mögen  auch  die  Ansichten  über  die  wissen- 
schaftliche Begründung  auseinandergehen,  es  ist  eine  in  Deutschland  all- 
gemein herrschende  Rechtsüberzeugung,  dafs  der  Staat  so  berechtigt  wie 
verpflichtet  ist,  dafür  Sorge  zu  tragen,  dafs  alle  hilfsbedürftigen  Personen, 
die  sich  selbst  zu  erhalten  nicht  imstande  sind,  aus  öffentlichen  Mitteln 
unterstützt  und  erhalten  werden.  Die  gesetzliche  Verpflichtung  zur  öffent- 
lichen Armenpflege  aller  Hilfsbedürftigen  wird,  wie  sie  von  dem  Reichs- 
gesetz nicht  neu  begründet,  sondern  den  früher  geltenden  Landesrechten 
entnommen  worden  ist,  auch  in  Zukunft  einen  unveräufserlichen  Bestandteil 
unseres  öffentlichen  Rechtes  bilden.  Um  so  lebhafter  wird  dagegen  der 
Streit  geführt  über  die  Verteilung  der  schweren  Last,  welche  das  deutsche 

1)  Eine  ausführliche  Darstellung  der  bisher  in  Deutschland  geltenden  Armengesetz- 
gebung giebt  das  Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften  in  dem  Artikel  „Armenwesen" 
Bd.  I,  S.  842  u.  ff. —  Kommentare  zu  dem  Reichsgesetz  vom  12.  März  1894  sind  bisher 
erschienen:  E.  Kelch,  Das  Reichsgesetz  vom  12.  März  1894  (mit  einer  Geschichte  der 
auf  die  Reform  des  Armenwesens  gerichteten  Bestrebungen);  J.  Krech,  Die  Reichs- 
gesetze über  den  Unterstützungswohnsitz,  3.  Aufl.,  1894;  Koppe,  Das  Gesetz  über  den 
ünterstützungswohnsitz,  1894;  G.  Eger,  Das  Reichsgesetz  über  den  Unterstützungswohn- 
sitz, 3.  Aufl.,  1894. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  571 

Volk  durch  Anerkennung  der  gesetzlichen  Armenpflege    auf   sich  genom- 
men hat.     Das  Reich  oder  die  einzelnen  Bundesstaaten  können  diese  Last 
nicht  unmittelbar  übernehmen.    Dadurch  würde  eine  sachgemäfse  und  zweck- 
entsprechende   Armenpflege    unmöglich     gemacht;     die    Ausgaben     würden 
binnen    wenigen  Jahren    zu    einer  unerträglichen   Höhe  anwachsen.     Eine 
Verteilung  der  Armenlast  auf  kleinere  KreiBe,  Kommunalverbände,  welche 
die    Armenpflege    selbst   auszuüben    und    die    Kosten    selbst    aufzubringen 
haben,  ist,  wie  die  Erfahrung  erwiesen  hat,  zur  Durchführung  der  gesetz- 
lichen Arraenfürsorge  notwendig.   Vor  dem  Jahre   1870  bestanden  in  Bezug 
hierauf  in   Deutschland  zwei  Systeme.     In  den  alten  Provinzen  Preufsens 
war  nach  den   Gesetzen   vom   31.   Dezember   1842   die  Ortsgemeinde  (oder 
der  selbständige   Gutsbezirk)  zur  öffentlichen  Armenpflege  derjenigen   Per- 
sonen verpflichtet,  welche  innerhalb  derselben   einen  Unterstützungswohn- 
sitz  erworben  hatten.   Der  Unterstützungswohnsitz   wurde  begründet  durch 
dreijährigen    Aufenthalt    nach    erlangter   Grofsjährigkeit    oder    aber    durch 
einjährigen    Aufenthalt   nach  Begründung   des  "Wohnsitzes  und  nach  poli- 
zeilicher Anmeldung.     Die  Verpflichtung  der  Gemeinde  erlosch,  wenn  die 
betreffende    Person  nach  erlangter  Grofsjährigkeit  3    Jahre  lang  aus    dem 
Ortsarmenverband  abwesend    war.      Personen,    die    keinen  Unterstützungs- 
wohnsitz   in    einem    Ortsarmenverband    besafsen ,    mufsten    im    Falle     der 
Hilfsbedürftigkeit  von  dem   Landarmenverband,  in  dessen  Gebiet  sie  hilfs- 
bedürftig wurden,  unterstützt    werden.     Im    übrigen  Deutschland    lag  die 
Pflicht  der   öffentlichen  Armenpflege,    so    verschieden    auch  im    einzelnen 
die  Gesetzgebungen  gestaltet  waren ,  doch  überall  derjenigen  Ortsgemeinde 
ob,  in  welcher    der  Hilfsbedürftige  heimatsberechtigt   war.     Land- 
arme konnte  es  hier  nicht  geben,  da  das  Heimatsrecht  in   einer  Gemeinde 
nur  durch  Begründung  des  Heimatsrechts    in    anderer  Gemeinde    verloren 
ging.     Der  Hilfsbedürftige  mufste ,    auch    wenn  er  seit  vielen  Jahren  aus 
seiner  Heimatsgemeinde  entfernt    und    derselben  gänzlich  entfremdet  war, 
in  sie  zurückgebracht  werden,    um    dort    eine    widerwillig    gegebene    und 
aufs  kärglichste    bemessene  Unterstützung    in  Empfang    zu  nehmen.     Das 
Gesetz  vom  6.  Juni  1870  schlofs  sich  dem  Systeme  des  Preufsischen  Rechts 
an,  indem   es   dessen   Vorschriften  vereinfachte    und  verallgemeinerte.      Da 
damals  in    dem    gröfsten  Teile    des  Norddeutschen   Bundes    noch    mit  dem 
vollendeten  24.  Jahre  die  Volljährigkeit  eintrat,  so  bestimmte  das  Gesetz 
(§§   10,  22),  dafs  nach  vollendetem  24.  Jahre  der  Unterstützungswohnsitz 
durch    zweijährigen    Aufenthalt    in     einem    Ortsarmenverband    erworben, 
derselbe  aber  auch  durch  zweijährige  Abwesenheit   verloren  werde.     Per- 
sonen ,    die    den  Unterstützungswohnsitz  verlieren ,    ohne  einen    neuen  zu 
erwerben,    sind  im  Falle  der  Hilfsbedürftigkeit  Landarme  und  fallen  dem 
Landarmenverband  anheim.     Schon  das  preufsische  Gesetz  von   1842  war 
bei  dieser  Verteilung    der    Armenlast    unter    die    Ortsgemeinden    und  die 
Landarmenverbände    (die    meist    mit    den   Provinzialverbänden  zusammen- 
fielen) davon  ausgegangen ,    dafs   diejenige   Gemeinde,    „deren   gesellschaft- 
liche Zwecke  der  Verarmte  früher  fördern  half",  zunächst  verpflichtet  sei 
und  auch    das    meiste  Interesse    an    seiner  Unterstützung    habe,    dafs  der 
Arme    in    ihr   wohl    am  ersten  Freunde,    Gönner    und    Beschützer    finden 


572  Nationalökonoinische  Gesetzgebung. 

werde1).  In  demselben  Sinne  ward  bei  Beratung  des  Gesetzes  von  1870 
für  dieses  System  geltend  gemacht,  dafs  diejenige  Gemeinde,  in  welcher 
eine  Person  geraume  Zeit  vor  dem  Eintritt  der  Hilfsbedürftigkeit  sich 
aufgehalten,  auch  wesentliche  wirtschaftliche  Vorteile  von  seiner  freien 
Thätigkeit  genossen  habe,  und  dafs  es  deshalb  eine  Forderung  der  Gerech- 
tigkeit sei,  dafs  dieser  Gemeinde  auch  die  Verpflichtung  zur  öffentlichen 
Armenpflege  auferlegt  werde.  Diejenigen  Hilfsbedürftigen  aber,  welche  nicht 
mindestens  2  Jahre  nach  vollendetem  24.  Jahre  an  einem  und  dem- 
selben Orte  ihre  Arbeitskraft  verwertet  haben ,  sollen  von  dem  gröfseren 
Verbände,  dem  in  der  Regel  die  wirtschaftliche  Thätigkeit  das  Verarmten 
vor  Eintritt  der  Hilfsbedürftigkeit  zu  gute  gekommen  sein  werde,  unter- 
stützt werden  2).  Die  Verteilung  der  Armenlast  sollte  demnach  erfolgen 
nach  dem  Grundsatze,  dafs  die  Pflicht  zur  Armenunterstützung  ein  Aequi- 
valent  bilde  für  die  wirtschaftlichen  Vorteile,  welche  der  Verarmte  wäh- 
rend der  Zeit,  wo  er  arbeiten  konnte,  dem  Verbände  gewährt  habe.  Dieser 
Grundgedanke  ist  aber  im  Gesetze  nicht  durchgeführt  worden  und  gar 
nicht  durchführbar,  weil  ein  solches  Verhältnis  der  Aequivalenz  vielfach 
nicht  besteht  und,  wo  es  besteht,  kaum  nachweisbar  ist.  Der  Vorteil, 
welchen  die  Gemeinde  aus  dem  zweijährigen  Aufenthalt  einer  Person 
gezogen  hat,  ist  nicht  abzuschätzen,  häufig  ist  ein  solcher  überhaupt  nicht 
vorhanden.  Der  Landarme  aber,  der  von  Ort  zu  Ort  zieht  und  der  unter- 
stützt werden  mufs,  wo  seine  Hilfsbedürftigkeit  hervortritt,  hat  dem  Land- 
armenverband, dem  er  nun  zur  Last  fällt,  keinen  Vorteil,  sondern  meist  nur 
Nachteil  gebracht.  Der  Grundgedanke,  von  dem  das  Gesetz  ausging,  führte 
deshalb  nicht  zu  einer  gerechten  Verteilung  der  Armenlast,  sondern  meist 
zu  einer  willkürlichen  Belastung  der  Gemeindeu  und  Armenverbände,  die 
deshalb  nur  widerwillig  sich  der  ihnen  auferlegten  Verpflichtung  unter- 
ziehen und  nur  allzuhäufig  durch  Abschiebung  der  Personen ,  die  unter- 
stützungsbedürftig sind  oder  es  zu  werden  drohen,  sich  der  Erfüllung  ihrer 
gesetzlichen  Pflicht  zu  entziehen  suchen. 

Es  is  deshalb  erklärlich ,  dafs  schon  sehr  bald ,  nachdem  das  Gesetz 
in  Kraft  getreten  war,  Bestrebungen  sich  geltend  machten,  die  eine  Ab- 
änderung desselben  bezweckten,  und  als  vor  etwa  20  Jahren  auf  eine 
Zeit  grofsen  wirtschaftlichen  Aufschwungs  ein  Rückschlag  eintrat  und 
damit  auch  die  Anforderungen  an  die  öffentliche  Armenpflege  wuchsen 
mufsten  die  Angriffe  auf  das  geltende  Armenrecht  sich  mehr  und  mehr 
steigern 3).  Indes  so  verbreitet  die  Unzufriedenheit  mit  dem  Gesetze 
war  und  noch  gegenwärtig  ist,  so  besteht  unter  seinen  Gegnern  doch  nur 
hierin  Uebereinstimmung ,  während  die  Ansichten  über  die  anzustreben- 
den Reformen    weit    auseinandergehen.     Der  Grofsgrundbesitz,    die  Land- 


1)  Vgl.  über  die  Geschichte  der  Armengesetzgebung  in  Deutschland  und  insbeson- 
dere in  Preufsen  meine  Abhandlung  über  Armenwesen  in  Schönberg,  Handbuch 
der  politischen  Oekonomie  (3.   Aufl.)  III,  974  u.  ff. 

2)  S.  Bericht  der  Kommission  des  Reichstags  des  Norddeutschen  Bundes  über  den 
Entwurf  des  Gesetzes  v.   6.  Juni   1870.      Stenographische  Berichte  1870,    IV,   563  u.   ff. 

3)  Vgl.  über  diese  Bestrebungen  meine  angeführte  Abhandlung  S.  993  u.  ff.,  ferner 
Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften  I,  S.  855  u.  ff.  (Reform  der  deutschen  Armen- 
gesetzgebung von  A  dickes);  Kelch ,  S.  17  u.  ff. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  573 

gemeinden ,  die  kleineren  und  mittleren  Städte  ,  die  Grofsstädte  ,  sie  alle 
verlangen  eine  Reform  der  Armengesetzgebung,  um  ihre  Armenlasten 
möglichst  zu  erleichtern  und  damit  die  der  anderen  Verbände  möglichst 
zu  erhöhen.  Es  hat  sich  ein  noch  heute  fortdauernder  Kampf  ent- 
sponnen, in  welchem  die  einzelnen  Gruppen  das  wahre  Ziel  —  die  ge- 
rechte Verteilung  der  Armenlast  —  fast  völlig  aus  dem  Auge  verloren 
haben  und  nur  die  möglichste  Verminderung  der  eigenen  Armenlast  an- 
streben. Gerade  dieser  Widerstreit  der  Ansichten  ist  es  aber  auch,  welcher 
eine  grundsätzliche  Aenderung  der  Armengesetzgebung  gegenwärtig  aufser- 
ordeutlich  erschwert.  So  oft  die  Frage  auch  in  dem  Reichstage  zur  Ver- 
handlung gelangte,  es  zeigte  sich  immer  wieder,  dafs  die  schroffen  Gegen- 
sätze, die  hierbei  hervortraten,  einen  Ausgleich  unmöglich  machten.  Der 
Bundesrat  konnte  und  wollte  aber  seine  Hand  nicht  dazu  bieten ,  eine 
Aenderung  des  Gesetzes  im  Sinne  einer  augenblicklichen  Mehrheit  des 
Reichstags  unter  Verletzung  der  Interessen  und  Ueberzeugungen  einer 
grofsen  Minderheit  herbeizuführen.  Die  Reform  selbst  in  die  Hand  zu 
nehmen,  hält  die  Reichsregierung  noch  für  verfrüht.  Sie  geht  davon  aus, 
dafs,  erst  wenn  die  Arbeiterversicherungsgesetzgebung  ihre  Wirkungen  in 
vollem  Umfange  ausüben  werde ,  die  Zeit  zu  einer  Umgestaltung  der 
Prinzipien ,  auf  denen  unser  öffentliches  Armenrecht  ruht,  gekommen 
sein  werde.  Dann  werde  auch  der  Streit  um  das  Prinzip  der  Armenunter- 
stützung an  Heftigkeit  verlieren  und  eine  Verständigung  herbeizuführen  sein. 
Schon  gegenwärtig  lasse  sich  nachweisen,  dafs  unsere  sozialpolitische 
Gesetzgebung  auf  die  Belastung  der  Armenverbände  einen  recht  erheb- 
lichen Einflufs  ausübe.  In  Zukunft  werde  sich  dieser  Einflufs  in  noch 
viel  höherem  Mafse  geltend  machen.  Es  dürfe  angenommen  werden,  dafs 
die  Beschwerden  über  eine  zu  hohe  Belastung  sich  beträchtlich  vermin- 
dern werden,  wenn  insbesondere  das  Gesetz  über  die  Invaliditätsversicheruug 
erst  längere  Zeit  seine  Wirkungen  ausgeübt  haben  werde.  Gegenwärtig 
gestatten  die  Erfahrungen  nach  keinen  genügenden  Ueberblick  über  das 
Mafs  dieser  Einwirkung;  vielmehr  werde  eine  Vervollständigung  des 
Materials  durch  längere  Beobachtung  erforderlich  sein,  bevor  dasselbe 
für  eine  grundlegende  Aenderung  der  Armengesetzgebung  als  ausreichend 
angesehen  werden  dürfe  1). 

Doch  hat  der  Staatssekretär  des  Innern,  der  Minister  Dr.  von  Böt- 
ticher,  am  17.  März  1893  im  Reichstage  in  sehr  interessanter  Weise 
seine  Ansicht  über  die  Richtung,  welche  künftighin  eine  Reform  des 
Armenrechts  zu  nehmen  habe,  dargelegt.  „Ich  bin  der  Meinung",  erklärte 
er,  „dafs  wir,  wenn  unsere  sozialpolitische  Gesetzgebung  ihre  Schuldigkeit 
gethan  haben  wird,  zu  dem  radikalen  Prinzip  werden  übergehen  können, 
das  heilst,  dafs  wir  dazu  gelangen,  dafs  jeder  Unterstützungsbedürftige 
da  unterstützt  wird  ,  wo  die  Notwendigkeit  seiner  Unterstützung  hervor- 
tritt. Ich  verkenne  gar  nicht  die  Schwierigkeiten,  die  die  Durchführung 
dieses  Prinzips  hat  und  verkenne  namentlich  auch  nicht  das  Gewicht  der 
Bedenken,  die  der  Herr  Abgeordnete    Dr.  Baumbach    hervorgehoben    hat, 


1)  Begründung  des  dem  Reichstage  am   25.  Febr.   1893    vorgelegten   Gesetzentwurfs. 
Drucksachen   des  Reichstags  1892/93  Nr.   130. 


574  Nationalokonomische  Gesetzgebung. 

indem  er  darauf  hinwies,  wie  schwer  es  sein  werde,  einen  Schutz  gegen 
das  Bestreben ,  den  Unterstützungsbedürftigen  abzuschieben,  zu  gewinnen. 
Allein,  meine  Herren,  denken  Sie  sich  einmal  die  Sache  so  reguliert,  dafs 
(wozu  man  ja  in  Preufsen  schon  durch  ein  neueres  Gesetz  übergegangen 
ist)  ein  grofser  Teil  der  zu  versorgenden  Unterstützungsbedürftigen  auf 
weitere  Verbände  gewiesen  wird ;  nehmen  Sie  an ,  dafs  wir  sämtliche 
Blinde,  sämtliche  Taubstumme,  sämtliche  Idioten,  sämtliche  Irre  den  Pro- 
vinzial-  und  Landarmenverbänden  zur  Fürsorge  überweisen,  nehmen  Sie 
dann  weiter  an,  dafs  wir  die  Leistungspfiicht  des  einzelnen  Ortsarmen- 
verbands begrenzen  ,  etwa  dahin,  dafs  wir  vorschreiben  :  keine  Gemeinde 
ist  verpflichtet,  für  einen  Armen  mehr  als  einen  bestimmten  Betrag  im 
Jahre  aufzuwenden  —  ich  will  einmal  sagen:  50  M.  oder  100  M.  — 
und  dafs  wir  alles  übrige,  was  darüber  hinaus  noch  notwendig  ist,  auch 
dem  weitern  Verband  überlassen,  dann  wird  das  Bestreben  der  einzelnen 
Gemeinden,  den  zu  Unterstützenden  abzuschieben ,  ihn  fernzuhalten ,  sehr 
viel  geringer  sein.  Ich  gaube,  wenn  man  sämtliche  Unfallinvaliden,  sämt- 
liche Arbeitsinvaliden,  sämtliche  alte  Leute,  sämtliche  Kranke  von  dem 
Armenbudget  ferngehalten  hat,  so  bleibt  nur  noch  ein  geringes  Kesiduum 
übrig,  von  dem  ich  mir  nicht  denken  kann,  dafs  die  Gemeiude  dann  noch 
ein  gröfseres  Interesse  daran  besitzt,  der  Sucht  zum  Abschieben  nachzu- 
geben. Kommt  es  ferner  dazu,  dafs,  wie  es  im  Plane  unserer  sozial- 
politischen Gesetzgebung  liegt,  demnächst  auch  die  Fürsorge  für  die  Witwen 
und  Waisen  in  Angriff  genommen  und  durchgeführt  wird,  dann  wird  das 
Ziel,  das  ich  im  Auge  habe,  um  so  leichter  und  um  so  sicherer  zu  erreichen 
sein.  Man  hat  —  und  namentlich  scheint  das  ein  Gedanke  der  sozialdemo- 
kratischen Partei  zu  sein  —  es  als  erstrebenswert  bezeichnet,  die  Armen- 
pflege zu  centralisieren.  Man  hat,  um  der  ganz  unzweifelhaften  Verschie- 
denheit in  der  Belastung  der  Gemeinden  abzuhelfen,  gesagt,  man  solle 
die  ganze  Armenlast  entweder  zur  Reichssache  machen  oder  man  solle 
sie  doch  wenigstens  den  einzelnen  Staaten  zuweisen.  Ich  glaube  doch 
nicht,  dafs  dieser  Gedanke,  wenn  man  ihm  näher  tritt,  auf  Beifall  in 
weiten  Kreisen  stofsen  wird.  Gerade  bei  der  Armenfürsorge  kommt  es 
auf  nichts  mehr  an,  als  auf  die  Erforschung  und  Beurteilung  der  indivi- 
duellen Verhältnisse  des  einzelnen  Mannes ,  der  unterstützt  werden  soll. 
Man  mufs  bei  der  Präge,  wie  man  unterstützen  soll  und  in  welchem 
Umfange  man  unterstützen  soll,  wenn  man  seine  Aufgabe  als  Armen- 
pfieger  gewissenhaft  auffafst,  in  die  individuellen  Verhältnisse  der  Leute 
hineinsteigen.  Und  weil  man  das  mufs,  weil  man  der  Gefahr,  die  es 
haben  würde ,  wenn  man  schablonenmäfsig  auf  diesem  Gebiet  vorgeht, 
begegnen  mufs,  deshalb  bin  ich  der  Meinung,  dafs  man  an  sich  die  Armen- 
pflege nicht  genug  lokalisieren  kann.  Man  mufs  die  Entscheidung  dar- 
über, ob  ein  Unterstützungsfall  vorliegt  und  wie  dabei  zu  verfahren  ist, 
der  Lokalbehörde  überlassen.  Die  Last  kann  man  nachher  für  gewisse 
Kategorien  auf  weitere  Schultern  legen  1)." 

Es  wäre   verfrüht,    diese  Beformgedanken,    wie    sie    von    dem  Staats- 


1)  Sitzung  des  Reichstags  vom    17.  März   1893.     Stenographische  Berichte    1892/93, 
S.   1698  u.  f. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  575 

sekretär  des  Innern  entwickelt  worden  6ind,  einer  Prüfung  zu  unterziehen. 
Ihre  Verwirklichung  ist  von  einer  ganzen  Reihe  von  Voraussetzungen 
abhängig  gemacht,  deren  Erfüllung  eine  geraume  Zeit  noch  in  Anspruch 
nehmen  wird.  Nur  auf  einzelue  Punkte  sei  hingewiesen.  Erst  die  Zukunlt 
wird  lehren ,  in  welchem  Umfange  durch  die  Arbeiterversicherung  die 
öffentliche  Armenpflege  entlastet  wird.  Gegenwärtig  lassen  sich  hierüber 
nur  Vermutungen  aufstellen  oder  aus  ungenügenden  vereinzelten  That- 
sachen  Schlüsse  ziehen,  die  einen  wissenschaftlichen  Wert  nicht  bean- 
spruchen können.  Man  wird  in  dieser  Beziehung  die  weitere  Entwickelung 
abwarten  müssen.  Schon  gegenwärtig  aber  läfst  sich  der  andere,  in  der  Rede 
des  Ministers  enthaltene,  wenn  auch  nicht  zu  vollem  Ausdruck  gekommene 
Gedanke  verwirklichen ,  dafs  die  gesamte  geschlossene  Armenpflege  den 
gröfseren  Verbänden  übertragen  werde,  vorbehaltlieh  des  Rechts  der  Orts- 
armenverbände ,  die  geschlossene  Armenpflege  oder  eigene  Zweige  der- 
selben auch  weiterhin  auf  eigene  Kosten  zu  verwalten.  Schon  das  preufsische 
Gesetz  vom  11.  Juli  1891  hat  in  dieser  Richtung  einen  wichtigen  Schritt 
gethan  x)  und  auf  diesem  Wege  kann  in  noch  umfassenderem  Mafse  eine 
Entlastung  der  Ortsarmenverbände  erfolgen,  ohne  dafs  den  durch  die  Er- 
fahrung als  allein  richtig  erwiesenen  Grundsätzen  der  Armenpflege  zuwider- 
gehandelt wird.  Mit  Recht  hat  der  Staatssekretär  von  Bottich  er  die  Er- 
forschung und  Beurteilung  der  individuellen  Verhältnisse  der  einzelnen 
Hilfsbedürftigen  als  die  erste  Voraussetzung  einer  ihrem  Zwecke  ent- 
sprechenden Armenpflege  bezeichnet  und  damit  die  Notwendigkeit,  die 
Armenpflege  zu  lokalisieren,  begründet.  Jedoch  ist  hierbei  wohl  zwischen 
der  geschlossenen  und  der  offenen  Armenpflege  zu  unterscheiden.  Insoweit 
es  sich  um  die  Armenpflege  von  Personen  handelt,  die  infolge  körper- 
licher oder  geistiger  Krankheit  der  Aufnahme  in  eine  Anstalt  bedürfen, 
kann  sie  sehr  wohl  von  gröfseren  Verbänden  übernommen  werden ,  ohne 
dafs  es  erforderlich  wäre,  die  Ortsarmen  verbände  zu  verpflichten,  einen 
Teil  der  Koston  für  die  Verpflegung  der  in  die  Anstalt  autgenommenen 
Ortsarmen  zu  tragen.  Dem  Mifsbrauche,  dafs  ein  Ortsarmenverband  sich 
durch  Verbringung  eines  Hilfsbedürftigen  in  eine  Anstalt  des  gröfseren 
Verbandes  von  der  ihm  gesetzlich  obliegenden  Last  zu  befreien  suchen 
werde,  kann  und  mufs  vorgebeugt  werden  durch  eine  in  der  Anstalt  aus- 
zuübende strenge  Kontrolle.  Ueber  die  Frage ,  ob  für  einen  Hilfsbe- 
dürftigen die  Aufnahme  in  eine  Heilanstalt  erforderlich  ist,  ob  nicht 
Simulation  u.  s.  w.  vorliegt,  können  nur  die  Anstaltsärzte  und  Anstalts- 
behörden eine  sachgemäfse  Entscheidung  geben.  Aber  auch  über  die 
andere  Frage,  ob  der  Kranke  nicht  aus  eigenen  Mitteln  die  Kosten  der 
Anstaltspflege  bestreiten  könne,  wird  in  der  Regel  die  Anstaltsbehörde 
sich  ebenso  gut  Gewifsheit  verschaffen  können,  wie  die  Ortsarmenbehörde. 
Die  Ansicht  des  Staatssekretärs  aber,  dafs  nach  Durchführung  der 
Arbeiterversicherung  und  nach  Uebernahme  der  geschlossenen  Armenpflege 
durch  die  gröfseren  Armenverbände,    sowie    nach    gesetzlicher  Begrenzung 


1)  Vgl.  hierüber  meine  Erläuterungen  zu  diesem  Gesetze  in  den  Jahrbüchern 
3.  Folge  III,  S.  256  u.  ff.  Der  Text  des  Gesetzes  ist  in  den  Jahrbüchern  3.  Folge  II, 
S.  575  zum  Abdruck  gelangt. 


576  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

der  den  Ortsverbänden  verbleibenden  Armenlast  diese  letzteren  kein  be- 
sonderes Interesse  mehr  daran  haben  würden,  die  Unterstützungsbedürf- 
tigen abzuschieben,  dürfte  doch  als  eine  optimistische  sich  erweisen. 
Wir  würden  es  selbst  nach  Durchführung  aller  Keformen  für  höchst  be- 
denklich erachten,  die  Vorschriften  über  Begründung  des  Unterstützungs- 
wohnsitzes aufzuheben  und  jede  Gemeinde,  in  deren  Gebiet  die  Hilfsbe- 
dürftigkeit eintritt,  für  verpflichtet  zu  erklären,  den  Armen  für  die  ganze 
Dauer  der  Hilfsbedürftigkeit,  d.  h.  vielfach  auf  Lebenszeit  zu  unterstützen. 
Die  Verteilung  der  Armenlast  würde  dadurch  noch  weit  willkürlicher 
werden,  als  sie  gegenwärtig  ist.  Vor  allem  aber  würde  das  Bestreben  der 
Gemeinden,  Hilfsbedürftige  abzuschieben,  nicht  gemindert,  sondern  aufser- 
ordentlich  gesteigert  und  aufserordentlich  erleichtert  werden. 

Doch  steht,  wie  gesagt,  eine  Umgestaltung  unseres  Armenrechts  nach 
diesen  Ideen  zunächst  nicht  in  Frage.  Aber  die  Reichsregierung  konnte 
sich  der  Einsicht  nicht  verschliefsen,  dafs,  auch  wenn  das  Prinzip  des 
Gesetzes  über  den  Unterstützungswohnsitz  aufrecht  erhalten  werde,  doch 
wohl  schon  gegenwärtig  einige  Bestimmungen  abgeändert  werden  können, 
um  manche  in  der  Praxis  hervorgetretenen  Uebelstände  zu  beseitigen 
oder  wenigstens  abzuschwächen,  ohne  dafs  dadurch  einer  künftigen  Um- 
gestaltung der  Armengesetzgebung  nach  irgend  einer  Richtung  hin  vor- 
gegriffen würde.  Der  Entwurf  einer  solchen  Novelle  zu  dem  Gesetze  vom 
6.  Juni  1870  wurde  auf  Beschlufs  des  Bundesrates  am  28.  Februar  1893 
dem  Reichstage  vorgelegt1)  und  dessen  Kommission  erstattete  über  ihn 
einen  ausführlichen  Bericht 2).  Bevor  jedoch  der  Reichstag  selbst  dar- 
über in  Beratung  treten  konnte ,  erfolgte  seine  Auflösung.  Unter  Be- 
rücksichtigung und  Verwertung  der  von  der  Kommission  des  Reichstags 
gefafsten  Beschlüsse  ward  der  Entwurf  in  einigen  Bestimmungen  umge- 
arbeitet und  am  21.  November  1893  von  neuem  dem  Reichstage  vorge- 
legt 3),  der  ihn  mit  einigen  wenigen  formellen  Aenderungen  annahm  4). 
In  dieser  Gestalt  ward  der  Entwurf  vom  Bundesrat  sanktioniert  und  vom 
Kaiser  als  Reichsgesetz,  beireffend  die  Aenderung  des  Gesetzes  über  den 
Unterstützungswohnsitz  und  Ergänzung  des  Strafgesetzbuches  am  12.  März 
1894  unterzeichnet.  Das  Gesetz  zeifällt  in  drei  Artikel,  von  denen  der 
erste  die  Abänderungen  des  Gesetzes  über  den  Unterstützungswohnsitz, 
der  zweite  eine  Ergänzung  des  Strafgesetzbuches  enthält,  der  dritte  aber 
bestimmt,  dafs  das  Gesetz  am  1.  April  1894  in  Kraft  treten  soll  und  der 
Reichskanzler  ermächtigt  wird,  den  Text  des  Gesetzes  über  den  Unter- 
stützungswohnsitz in  der  Gestalt,  welche  derselbe  durch  das  neue  Ge- 
setz erhalten  hat,  in   dem  Reichsgesetzblatt  bekannt  zu  machen  6). 


1)  Drucksachen  des  Reichstags   1892/93.     Nr.   130. 

2)  Drucksachen  des  Reichstags   1892/93.     Nr.   227. 

3)  Drucksachen  des  Reichstags  1893/94.     Nr.   57. 

4)  Die  erste  Beratung  des  Entwurfs  fand  am  4.  Dezember  1893,  die  2.  am  26.  Januar 
1894,  die  dritte  Beratung  und  die  Annahme  des  Entwurfs  am  1.  und  8.  Februar  1894 
statt.  Stenogr.  Berichte  S.  251  u.  ff,  S.  893  u.  ff.,  S.  977  u.  ff.,  S.  1101.  Die  Kom- 
mission erstattete  unter  Hinweis  auf  den  ausführlichen  Kommissionsbericht,  der  über  den 
ersten  Entwurf  erstattet  worden  war,  nur  mündlichen  Bericht. 

5)  Demgemäfs  ist  das  Gesetz  über  den  Unterstützungswohnsitz  in  seiner  gegenwärtig 
geltenden  Gestalt  in  dem  Reichsgesetzblatt  1894  S.   262  u.  ff.   bekannt    gemacht    worden. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  577 

Die  wichtigste  Aenderung,  welche  das  Gesetz  herbeigeführt,  (Art.  1.  I). 
besteht  darin,    dafs,   während  bisher  der  Unterstützungswohnsitz  erst  nach 
vollendetem   24.  Lebensjahr  durch  zweijährigen  Aufenthalt  selbständig 
erworben    werden    und    durch    zweijährige    Abwesenheit    verloren     gehen 
konnte,     die     Altersgrenze     hierfür     auf    das     vollendete     18.    Lebens- 
jahr  herabgesetzt    wurde    (Gesetz     über    den    Unterstützungswohnsitz    in 
der  Fassung    vom    12.    März     1894    §    10,    22).      Schon    im    Jahre    1870 
waren     in    dem    Reichstag    die    Ansichten     über    die    Altersgrenze    aus- 
einander gegangen  und  in  dessen  Kommission  war  der  Antrag,  dieselbe  auf 
das  vollendete   21.  Jahr  festzusetzen,  nur  mit  geringer  Mehrheit  abgelehnt 
worden.      Für  den   Bundesrat    wie    für    die  Mehrheit    des  Reichstages  war 
hierfür  die  Erwägung  entscheidend  gewesen,  dafs  einerseits  in   dem  gröfs- 
ten  Teil  des  Bundesgebiets    damals    noch    mit    dem  vollendeten  24.  Jahre 
die  Volljährigkeit  begann,  und  andererseits,  dafs  man  dies  Lebensalter  als 
solches    glaubte    annehmen    zu    müssen,    mit   welchem    in    der    Regel    die 
wirtschaftliche    Selbständigkeit    erreicht    werde.     Durch  Reichsgesetz    vom 
17.  Februar  1875    ist   aber    der  Beginn    der  Volljährigkeit   auf  das    voll- 
endete 21.  Lebensjahr  im  ganzen  Reiche  verlegt  worden.     Der  zweite  der 
oben  angeführten  Gründe  erwies  sich  in  der  Praxis  als  unrichtig.     Gerade 
in    denjenigen    Klassen,    aus    welchen    fast    ausschliefslich     das    Heer    der 
Hilfsbedürftigen  sich  rekrutiert,  beginnt  die  wirtschaftliche  Selbständigkeit 
nicht  erst  mit  dem  vollendeten   24.  Lebensjahr,  sondern   weit  früher.    Die 
Erfahrung  des  täglichen  Lebens  zeigt,  wie  in  der  Begründung  des  Gesetz- 
entwurfs ausgeführt  wird,  dafs  der  Arbeiter  von  dem  ihm  nach  dem  Frei- 
zügigkeitsgesetze  zustehenden  Rechte,  sich   den  Ort  seines  Aufenthalts  und 
seines    Erwerbs    uneingeschränkt    zu    wählen,    oft    schon    sehr    zeitig,    in 
manchen  Landesteilen  bald  nach  der  Einsegnung,  Gebrauch  macht.     That- 
sächlich  beginnt  die  wirtschaftliche  Selbständigkeit,    welche  grundsätz- 
lich für  den  Erwerb  und  Verlust  des  Unterstützungswohnsitzes  mafsgebend 
sein  soll,  in  dem  Arbeiterstand  mit  dem  Eintritt  in  eine  selbständige  Ar- 
beitsthätigkeit    (als    landwirtschaftlicher    oder    Fabrikarbeiter,    Dienstbote 
u.  s.  w.).     Zu  der  Grofsjährigkeit  oder  gar  zu  dem  24.  Lebensjahre  steht 
dieselbe  in  keiner  Beziehung.     Es  ist  ein  Mifsstand,  welcher  von  der  Be- 
völkerung schwer  empfunden  wird,    wenn    für    einen    solchen  Arbeiter  im 
Falle    der    Verarmung    die    Heimatsgemeinde    bis    zu    seinem    vollendeten 
26.  Lebensjahre    aufkommen    mufs,    zumal    diese   Belastung  sich  nicht  nur 
auf  den  Hilfsbedürftigen  selbst  bezieht,    sondern  auch  auf  dessen   Ehefrau 
und   Kinder,    bei  weiblichen   Personen  auf  die    uneheliche  Descendenz,    da 
Ehefrauen  und   Kinder  den  Unterstützungswohnsitz  des  Ehemannes,  bezw. 
der  Eltern  teilen.     Stirbt  das  Kind  vor  dem  26.  Lebensjahre  mit  Hinter- 
lassung von  Kindern,    so    folgen    letztere  dem  Unterstützungswohnsitz  der 
Großeltern,    wenn    diese     auch    inzwischen    verstorben    sein    sollten.      Es 
können    demnach    Gemeinden    in    die  Lage   kommen,    noch    nach  30    oder 
mehr   Jahren     nach    dem    Tode    oder    Abzug    eines    Gemeindeangehörigen 
für    dessen  Familienglieder    Armenunterstützung    gewähren    oder    erstatten 
zu  müssen,  ohne  dafs  sie  diese  Personen  vielleicht  jemals  gesehen  haben. 
Die  Unterstützungen  sind  unter  Umständen,    namentlich  wenn  es  sich  um 
Kosten    langwieriger    Krankheiten    handelt,    sehr    erheblich.      Diese    Mifs- 

Dritte  Folge  Bd.  VIH  (LXIÜ).  37 


578  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

stände  machten  sich  vor  allem  auf  dem  Lande  in  den  östlichen  Provinzen 
Preufsens  geltend  und  riefen  dort  schon  bald,  nachdem  das  Gesetz  in 
Geltung  getreten  war,  laute  und  immer  wieder  erneute  Beschwerden  her- 
vor. Und  sie  wurden  um  so  fühlbarer,  je  mehr  die  ländlichen  Arbeiter 
der  dortigen  Gegenden  in  die  Städte,  in  die  Industriebezirke,  in  die  west- 
lichen Provinzen  zogen.  Das  platte  Land  hatte  nicht  nur  durch  den  da- 
durch verursachten  Mangel  an  Arbeitern  zu  leiden,  sondern  hatte  auch 
dio  Last  der  Armenversorgung  für  sie  zu  tragen,  wenn  sie  vor  dem  voll- 
endeten 26.  Jahre  hilfsbedürftig  wurden.  In  immer  wiederkehrenden 
Petitionen,  Vereinsbeschlüssen,  Interpellationen  ward  es  als  eine  Forderung 
der  Gerechtigkeit  bezeichnet,  dafs  der  Arbeiter  von  dem  Zeitpunkt  an 
einen  Unterstülzungswohnsitz  müsse  erwerben  können,  wo  er  zufolge  des 
Grundsatzes  der  Freizügigkeit  thatsächlich  sich  den  Ort  seines  Aufenthalts 
und  Erwerbes  frei  wählen  könne.  Hiergegen  wurde  allerdings  von  den 
Vertretern  der  süddeutschen  Interessen  geltend  gemacht,  dafs  durch  die 
Herabsetzung  der  Altersgrenze  nicht  nur  der  Zusammenhalt  der  Familie, 
die  elterliche  und  väterliche  Autorität  geschwächt  und  die  Zahl  der  Land- 
armen vermehrt  werden,  sondern  dafs  dadurch  auch  ein  ungünstiger  Ein- 
flufs  auf  die  Verhältnisse  der  Arbeiter,  insbesondere  des  ländlichen  Ge- 
sindes, ausgeübt  werde.  Indem  die  Arbeitgeber  suchen  würden ,  durch 
häufigen  Wechsel  der  Arbeiter  der  Begründung  eines  Unterstützungswohn- 
sitzes vorzubeugen,  würde  dadurch  gerade  der  jugendliche  Teil  der  Ar- 
beiterbevölkerung bei  einer  Herabsetzung  der  Altersgrenze  mehr  und  mehr 
zu  einem  unsteten  Leben  gezwungen  und  der  Landstreicherei  zugetrieben. 
Mufs  auch  zugegeben  werden,  dafs  dieses  letztere  Bedenken  nicht  ohne 
Begründung  ist,  so  sind  doch  die  Gründe,  welche  für  eine  Herabsetzung 
der  Altersgrenze  sprechen,  überwiegend,  und  die  Aenderung  des  Gesetzes 
mufs  als  eine  Verbesserung  bezeichnet  werden.  Auch  darf  die  in  Ueber- 
einstimmung  mit  dem  Entwürfe  des  Bundesrats  erfolgte  Festsetzung  der 
Altersgrenze  auf  das  vollendete  18.  Lebensjahr  wohl  als  eine  ange- 
messene bezeichnet  worden.  Von  entgegengesetzten  Seiten  waren  das 
vollendete  16.,  19.  oder  21.  Lebensjahr  in  Vorschlag  gebracht  worden. 
Wie  alle  derartigen  Altersbestimmungen,  so  kann  auch  die  unseres  Ge- 
setzes nur  die  Regel  des  Lebens  berücksichtigen ,  von  der  mehr  oder 
weniger  Abweichungen  in  den  einzelnen  Fällen  vorkommen.  Ist  es  auch 
richtig,  dafs  heute  vielfach  die  Jugend  der  Arbeiterbevölkerung  schon 
bald  nach  der  Schulentlassung  und  der  Einsegnung  in  selbständige  Arbeits- 
verhältnisse eintritt,  so  ist  es  doch  auch  hier  die  Regel,  dafs  eine  Lösung 
von  dem  elterlichen  Hause  erst  nach  mehreren  Jahren  erfolgt  und  es 
kann  nicht  ratsam  erscheinen,  durch  Festsetzung  der  Altersgrenze  auf 
das  vollendete  16.  Jahr  diese  Lösung  von  Familie  und  Heimat  dem  Arbeiter 
noch  mehr  zu  erleichtern  und  sie  zu  befördern.  Andererseits  konnte  dem 
Hauptgrund,  mit  welchem  der  Vorschlag,  das  vollendete  21.  Lebensjahr 
als  Grenze  zu  bestimmen,  gestützt  wurde,  kein  ausschlaggebendes  Gewicht 
beigemessen  werden.  Damit  wäre  allerdings  diese  Grenze  mit  der  der 
Volljährigkeit  zusammengefallen.  Damit  hätte  nur  eine  Rückkehr  stattge- 
funden zu  dem  Prinzipe,  von  dem  aus  das  Gesetz  von  1870  die  Grenze 
auf  das    vollendete  24.  Jahr  gelegt    hatte.     Indes  besteht  ein  innerer  Zu- 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  579 

sammenhang,  der  dies  rechtfertigt,  dooh  nicht.  Mit  der  Volljährigkeit 
erwirbt  allerdings  der  Mensch  für  den  privatrechtlichen  Vermögens- 
verkehr erst  volle  Selbständigkeit.  Der  Minderjährige  bedarf  der  Ge- 
nehmigung des  Vaters  oder  des  Vormundes,  um  in  Dienst  oder  Arbeit  zu 
treten.  Aber  wenn  diese  Erlaubnis  für  einen  Fall  erteilt  ist,  so  gilt  sie 
als  allgemeine  Erlaubnis  zur  Eingehung  oder  Aufhebung  von  Dienst-  und 
Arbeitsverhältnissen  derselben  Art  und  der  Minderjährige  bedarf  nicht  der 
Zustimmung  seines  Vertreters  zu  Rechtsgeschäften,  die  sich  hierauf  oder 
auf  die  Erfüllung  der  aus  einem  solchen  Verhältnisse  sich  ergebenden 
Verpflichtungen  beziehen  1).  Damit  hat  für  die  arbeitende  Klasse  (von 
Ausnahmen  abgesehen)  die  Volljährigkeit  tatsächlich  fast  gänzlich  ihre 
Bedeutung  verloren.  Die  jugendlichen  Arbeiter  sind  rechtlich  selbständig, 
sobald  sie  mit  Erlaubnis  des  Vaters  oder  Vormundes  in  ein  Arbeitsver- 
hältnis eingetreten  sind.  Allerdings  kann  nach  der  Gewerbeordnung 
§  119  a  durch  Ortsstatut  bestimmt  werden,  dafs  der  von  minderjährigen 
gewerblichen  Arbeitern  verdiente  Lohn  an  die  Eltern  oder  Vormünder 
und  nur  mit  deren  schriftlicher  Zustimmung  oder  nach  deren  Bescheini- 
gung über  den  Empfang  der  letzten  Lohnzahlung  unmittelbar  an  die 
Minderjährigen  gezahlt  werde,  oder  aber,  dafs  die  Gewerbetreibenden  den 
Eltern  oder  Vormündern  innerhalb  gewisser  Fristen  Mitteilung  von  den 
an  minderjährige  Arbeiter  gezahlten  Lohnbeträgen  zu  machen  haben. 
Indes  sind  derartige  Statute,  soviel  bekannt,  bisher  nur  ganz  vereinzelt 
erlassen  worden  und  es  ist  nicht  wahrscheinlich,  dafs  sich  dies  in  Zukunft 
ändern  werde.  Die  Volljährigkeit  hat  demnach  in  der  Regel  auf  die 
Arbeits-  und  Erwerbsverhältnisse  der  Arbeiter  gar  keinen  Einflufs  und 
es  ist  deshalb  auch  nicht  gerechtfertigt,  die  Frist  für  Erwerb  und  Ver- 
lust des  Unterstützungswohnsitzes  erst  mit  erlangter  Volljährigkeit  be- 
ginnen zu  lassen.  Damit  ist  zugleich  dem  Vorschlage,  die  Altersgrenze 
auf  das  vollendete  19.  Lebensjahr  zu  setzen,  der  Boden  entzogen,  da  auch 
er  nur  darauf  sich  stützte,  dafs  bei  einer  solchen  Festsetzung  der  Erwerb 
oder  Verlust  des  Unterstützungswohnsitzes  nach  Ablauf  der  zweijährigen 
Frist  mit  dem  Beginne  der  Volljährigkeit  zusammenfallen  würde. 

Zwischen  diesen  nach  beiden  Seiten  hin  abweichenden  Vorschlägen 
dürfte  das  Gesetz  mit  Festsetzung  der  Grenze  auf  das  vollendete  18.  Lebens- 
jahr die  richtige  Mitte  getroffen  haben2). 


1)  Es  ist  dies  fast  überall  teils  durch  die  Gesetzgebung  (Preufsen,  Allg.  Land- 
recht II,  5,  §  6,  8,  Vormundschaftsordnung  vom  12.  Juli  1875  §  6,  Württemberg,  Ge- 
setz vom  30.  Juli  1865,  Art.  3  Ziff.  2),  teils  durch  die  Praxis  der  Gerichte  anerkannt. 
Ebenso  Entwurf  eines  Bürgerlichen  Gesetzbuchs  für  das  Deutsche  Reich  (Zweite 
Lesung)  §  87. 

2)  Nach  Art.  3  des  Gesetzes  vom  12.  März  1894  trat  dasselbe  am  1.  April  1894 
in  Kraft.  Der  Berichterstatter  erklärte  in  der  Sitzung  des  Reichstags  vom  26.  Januar 
1894,  dafs  es  die  übereinstimmende  Ansicht  des  Bundesrats  sowohl  als  der  Kommission 
sei,  dafs  von  diesem  Tage  ab  alle  Rechtsverhältnisse  nur  noch  nach  dem  neuen  Gesetze 
zu  beurteilen  seien,  derart,  dafs  allerdings  von  diesem  Tage  ab  in  Bezug  auf  den  Unter- 
stützungswohnsitz Veränderungen  eintreten  können,  ohne  dafs  unter  der  Herrschaft  des 
neuen  Gesetzes  noch  etwas  Neues  zu  geschehen  haben  werde.  Insbesondere  beziehe  sich 
dies  auf  den  Fristenlauf  für  Erwerb  und  Verlust  des  Unterstützungswohnsitzes.  Es  sei 
nicht  erforderlich,  dafs  erst  von  dem  1.  April  1894  ab  ein  neuer  Fristenlauf  stattfinde. 
(Stenogr.  Berichte  S.  900).     Hiergegen  ward  in  dem  Reichstage    von  keiner  Seite  Wider- 

37* 


580  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Eine  andere  Bestimmung  des  Gesetzes  (Art.  1.  II)  bezweckt,  einer 
Vorschrift  des  Gesetzes  über  den  Unterstützungswohnsitz  von  1870  eine 
folgerichtige  Gestaltung  und  Verallgemeinerung  zu  geben.  Nach  §  29 
des  Gesetzes  von  1870  hatte  der  Ortsarmenverbaud  des  Dienstortes  er- 
krankten Dienstboten,  Gesellen,  Gewerbegehilfen  und  Lehrlingen  während 
6  Wochen  Kur  und  Verpflegung  zu  gewähren,  ohne  hierdurch  einen 
Anspruch  auf  Ersatz  gegen  den  Orts-  oder  Landarmenverbaud,  dem  der 
Unterstützte  angehörte,  zu  erwerben.  Auch  diese  Vorschrift  beruhte  auf 
dem  Grundsatze  der  Wechselwirkung  zwischen  wirtschaftlicher  Leistung 
und  Unterstützungspflicht  und  erfolgte  hauptsächlich  zu  dem  'praktischen 
Zwecke,  um  Streitigkeiten  über  Erstattung  der  Verpfleguugskosten  und 
die  Uebernahme  Hilfsbedürftiger  gerade  in  Bezug  auf  solche  Personen, 
bei  denen  ein  besonders  häufiger  Ortswechsel  vorkommt,  möglichst  vor- 
zubeugen. Der  erste,  im  Februar  1893  dem  Reichstage  vorgelegte  Ent- 
wurf des  Bundesrates  bezweckte  diese  Vorschrift  auf  land-  und  forstwirt- 
schaftliche Arbeiter  auszudehnen  und  —  in  Uebereinstimmung  mit  dem 
Gesetze  über  die  Krankenversicherung  der  Arbeiter  —  die  Zeit,  während 
welcher  der  Dienstort  zur  endgültigen  Unterstützung  verpflichtet  ist,  von 
6  auf  13  Wochen  auszudehnen.  In  Uebereinstimmung  mit  den  von  der 
Kommission  des  Reichstages  gefafsten  Beschlüssen  hat  der  zweite  Ent- 
wurf diese  Vorschrift  einerseits  erweitert,  andererseits  beschränkt  und  in 
dieser  Gestalt    ging  sie,    nur    mit    einigen    vom    Reichstage    beschlossenen 


Spruch  erhoben.  Trotzdem  ist  K  r  e  c  h  (Mitglied  des  Bundesrats  für  Heimatwesen)  der 
Ansicht,  dafs  dem  Art.  3  diese  Bedeutung  nicht  zukomme,  dafs  es  vielmehr  einer  aus- 
drücklichen Vorschrift  im  Gesetze  bedurft  hätte,  wenn  perfekt  gewordene  Rechtsverhält- 
nisse, wie  der  am  1.  April  1894  begründete  Unterstützungswohnsitz  einer  Person  unter 
24  Jahren,  ohne  weiteres  hätte  geändert  werden  sollen.  Personen,  die  am  1.  April  1894 
zwischen  18  und  24  Jahren  alt  waren,  erwürben  oder  verlören  den  Unterstützungswohn- 
sitz  durch  Aufenthalt  oder  Abwesenheit  erst  mit  Ablauf  des  31.  März  1896.  Die  Errech- 
nung der  Zeit  vor  dem  1.  April  1894  sei  ausgeschlossen,  weil  bis  dahin  die  Fähigkeit 
zum  selbständigen  Erwerb  und  Verlust  des  Unterstützungswohnsitzes  gemangelt  habe 
(a.  a.  0.  S.  34,  38,  44,  64).  Diese  Ansicht  kann  jedoch  nicht  als  richtig  anerkannt 
werden.  Durch  Erwerb  und  Verlust  des  Unterstützungswohnsitzes  werden  keine  subjek- 
tiven Rechte  und  Pflichten  begründet  und  aufgehoben,  weder  für  die  betreffende  Person 
noch  für  einen  Armenverband.  Wir  können  hier  von  der  bestrittenen  Frage,  ob  über- 
haupt das  Gesetz  ein  subjektives  Recht  auf  Armenunterstützung  begründet,  absehen. 
Aber  auch  die  Pflicht  des  Armenverbandes  entsteht  nicht  durch  Erwerb  und  geht  nicht 
unter  durch  Verlust  des  Unterstützungswohnsitzes.  Durch  Erwerb  wird  nur  eine  der  ge- 
setzlichen Voraussetzungen  hergestellt,  unter  denen  die  Pflicht  zur  Unterstützung  ent- 
steht, sobald  Verarmung  eintritt.  Es  ist  damit  nur  die  rechtliche  Möglichkeit  für 
Entstehung  einer  Verpflichtung  gegeben,  ebenso  wie  durch  Verlust  des  Unterstützungs- 
wohnsitzes nur  diese  rechtliche  Möglichkeit  beseitigt  wird.  Es  lagen  demnach  für  Per- 
sonen, die  am  1.  April  1894  zwischen  18  und  24  Jahre  alt  waren,  perfekt  gewordene 
Rechtsverhältnisse  noch  nicht  vor,  sofern  sie  nicht  damals  Armenunterstützung  erhielten. 
War  aber  dies  letztere  der  Fall,  so  ruhte  der  Lauf  der  zweijährigen  Frist  für  sie  (Ge- 
setz §  14,  27).  Da  es  aufserdem  der  ausgesprochene  Wille  der  gesetzgebenden  Faktoren 
war,  dafs  vom  1.  April  1894  ab  alle  Rechtsverhältnisse  in  Bezug  auf  den  Unterstützungs- 
wohnsitz nur  nach  dem  neuen  Gesetz  beurteilt  werden  und  eine  ausdrückliche  Vorschrift 
dieses  Inhaltes  nur  deshalb  in  das  Gesetz  nicht  aufgenommen  wurde,  weil  sie  als  selbst- 
verständlich betrachtet  wurde,  so  mufs  dem  Gesetze  auch  diese  rückwirkende  Kraft  zuge- 
schrieben werden.  Es  steht  zu  hoffen,  dafs  das  Bundesamt  für  das  Heimatwesen  trotz 
der  abweichenden  Ansicht  eines  seiner  Mitglieder  die  richtige  Auslegung  des  Gesetzes  zur 
Geltung  bringen  wird. 


Nationalökonomiscbe   Gesetzgebung.  581 

formellen  Verbesserungen,  in  das  Gesetz  vom  12.  März  1894  über.  Nach 
der  gegenwärtigen  Fassung  des  §  29  des  Gesetzes  über  den  Unterstützungs- 
wohnsitz ist  nicht  der  Orts-  oder  Landarmenverband,  welchem  der  Hilfs- 
bedürftige angehört,  verpflichtet,  dem  Erkrankten  die  erforderliche  Kur 
und  Verpflegung  zu  gewähren,  sondern  der  Ortsarmenverband  des  Dienst- 
oder Arbeitsortes,  sofern  Personen,  welohe  gegen  Lohn  oJer  Gehalt  in 
einem  Dienst-  oder  Arbeitsverhältnis  stehen,  oder  deren  ihren  Uuter- 
stützungswohnsitz  teilende  Augehörige  oder  endlich  Lehrlinge  am  Dienst- 
oder Arbeitsort  erkranken,  d.  h.  infolge  von  Erkrankung  au  diesem  Orte 
hilfsbedürftig  werden.  Diese  Verpflichtung  zur  Unterstützung  ist  jedoch 
nur  auf  einen  Zeitraum  von  13  Wochen  beschränkt.  Mufs  die 
Krankenpflege  länger  als  13  Wochen  fortgesetzt  werden,  so  wird 
ein  Anspruch  auf  Erstattung  der  Kur-  und  Verpflegungskosten  für  den 
über  diese  Frist  hinausgehenden  Zeitraum ,  bezw.  auf  Uebernahme  des 
Hilfsbedürftigen  gegen  den  Armenverband,  dem  derselbe  angehört,  be- 
gründet. 

Die  Ausdehnung  der  Bestimmung  des  §  29  auf  alle  Personen,  welche 
in  einem  Dienst-  oder  Arbeitsverhältnis  gegen  Lohn  oder  Gehalt  stehen, 
ist  nur  eine  folgerichtige  Verallgemeinerung  des  bisher  geltenden  Rechts- 
satzes, da  kein  stichhaltiger  Grund  vorliegt,  seine  Anwendung  nur  auf 
bestimmte  Klassen  der  arbeitenden  Bevölkerung  zu  beschränken.  Prak- 
tische Bedeutung  wird  die  Vorschrift  namentlich  für  diejenigen  Klassen 
der  arbeitenden  Bevölkerung  erhalten,  die  der  gesetzlicheu  Krankenver- 
sicherung nicht  unterliegen,  insbesondere  für  die  in  der  Land-  und  Forst- 
wirtschaft beschäftigten  Arbeiter.  Zugleich  wird  darin  aber  auch  ein 
Ansporn  für  die  Gemeinden  liegen,  durch  statutarische  Bestimmung  die 
obligatorische  Krankenversicherung  nach  §  2  des  Gesetzes  über  die  Kranken- 
versicherung auf  sie  auszudehnen.  Nicht  ohne  Bedenken  ist  dagegen 
die  Ausdehnung  der  Unterstützungspflicht  auf  die  Familienangehörigen 
der  Personen,  welche  in  einem  Dienst-  oder  Arbeitsverhältnis  stehen,  so- 
fern sie  am  Dienst-  oder  Arbeitsorte  des  Familienhauptes  erkranken  und 
dessen  Unterstützungswohnsitz  teilen.  Die  Reichstagskommission  ging  bei 
der  Annahme  dieser  Bestimmung  von  der  Erwägung  aus,  dafs  es  dem 
von  dem  Gesetze  festgehaltenen  Grundsatze  der  Familienzusammengehörig- 
keit widersprechen  würde ,  wenn  in  den  vorausgesetzten  Fällen  ver- 
schiedene Armenverbände  für  die  an  einem  Orte  vereinigten  Familien- 
glieder zu  sorgen  hätten.  Doch  erscheint  dies  nicht  ganz  zutreffend. 
Die  Vorschrift  des  §  29  bildet  auch  in  der  gegenwärtigen  Fassung  eine 
Ausnahme  von  den  allgemeinen  Bestimmungen  des  Gesetzes  über  die  Be- 
gründung der  Verpflichtung  zur  endgültigen  Armenunterstützung  und  er- 
scheint nur  durch  das  Arbeitsverhältnis  der  Arbeiter  selbst  gerechtfertigt. 
Die  Vereinigung  der  Familienmitglieder  an  einem  Orte  ist  aber  nach  den 
anderweiten  Bestimmungen  des  Gesetzes  weder  für  die  Ortsarmen  noch 
für  die  Landarmen  von  rechtlicher  Bedeutung.  Zur  Unterstützung  des 
Antrags  wurde  in  der  Kommission  hervorgehoben,  dafs  seine  Annahme 
in  der  Praxis  schwerlich  sehr  weittragende  Folgen  haben  werde,  da,  wenn 
der  Beschäftigungsort  mit  der  Verpflichtung  zur  Fürsorge  für  den  be- 
schäftigten Arbeiter  selbst  zugleich  auch  diejenige  für  dessen  mitziehende 


582  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Ehefrau  und  Kinder  zu  übernehmen  haben  würde,  er  sich  gegen  die 
Aufnahme  solcher  mit  Familien  behafteter  Personen  wehren  werde.  Der 
Bundesrat  nahm  diese  Bestimmung  in  den  zweiten  Entwurf  auf,  nament- 
lich auch  mit  Rücksicht  darauf,  dafs  sie  in  der  Praxis  keine  bedeutenden 
Folgen  haben  werde.  Indes  kann  die  Sache  auch  noch  eine  andere  Seite 
haben,  die  von  dem  Reichstag  und  dem  Bundesrat  nicht  beachtet  worden 
ist.  Es  ist  allerdings  vorauszusehen,  dafs  infolge  dieser  Bestimmung 
Arbeiter,  die  ihre  Frauen  und  Kinder  mitführen,  schwerer  in  der  Fremde 
Arbeit  finden  werden  als  bisher,  dafs  die  Arbeitgeber  sie  aus  dem  Dienste 
entlassen  werden,  wenn  sie  ihre  Familie  zu  sich  kommen  lassen,  bevor 
sie  an  dem  Aufenthaltsort  ihren  Unterstützungswohnsitz  erworben  haben. 
Die  Folge  davon  wird  aber  die  sein,  dafs  der  Mann  sich  von  seiner 
Familie  trennt  und  sie  in  der  Heimat  zurückläfst.  Das  wird  nur  allzu- 
häufig zur  Zerrüttung  und  Auflösung  des  Familienlebens,  zum  sittlichen 
und  wirtschaftlichen  Verderb  führen.  Die  gesetzliche  Bestimmung,  die 
formell  zur  Wahrung  des  Familienzusammenhangs  bestimmt  ist,  wird  viel- 
fach thatsächlich  dessen  Zerstörung  herbeiführen. 

Nach  einer  von  der  Kommission  des  Reichstags  beantragten,  in  das 
Gesetz  aufgenommenen  Vorschrift  liegt  jedoch  dem  Dienst-  oder  Arbeits- 
ort diese  Verpflichtung  zur  Unterstützung  der  in  ihm  beschäftigten,  aber 
erkrankten  Personen  nicht  ob,  wenn  das  Dienst-  oder  Arbeitsverhältnis, 
durch  welches  der  Aufenthalt  an  dem  Orte  bedingt  wird,  nach  seiner 
Natur  oder  im  voraus  durch  Vertrag  auf  einen  Zeitraum  von  einer  Woche 
oder  weniger  beschränkt  ist.  In  diesem  Falle  hat  zwar  der  Dienst-  oder 
Arbeitsort  ebenfalls  nach  den  allgemeinen  Grundsätzen  des  Gesetzes  (§  28) 
die  Fürsorge  zu  übernehmen,  aber  nur  vorläufig  und  vorbehaltlich  des 
Anspruchs  auf  Erstattung  der  Kosten  und  Uebernahme  des  Hilfsbedürftigen 
durch  den  endgültig  verpflichteten  Armenverband.  Diese  durch  das  Ge- 
setz eingeführte  Beschränkung  ist  gerechtfertigt  durch  die  kurze  Dauer 
der  Beschäftigung  und  steht  im  Einklang  mit  der  Bestimmung  des  Kranken- 
versicherungsgesetzes §  1,  wonach  die  Arbeiter,  deren  Beschäftigung  ihrer 
Natur  nach  nur  eine  vorübergehende  oder  durch  den  Arbeitsvertrag  im 
voraus  auf  einen  Zeitraum  von  weniger  als  einer  Woche  beschränkt  ist, 
der  gesetzlichen  Krankenversicherung  nicht  unterliegen.  Nur  eine  kleine, 
aber  beabsichtigte  Verschiedenheit  beider  Gesetze  findet  sich.  Während 
die  Freiheit  von  der  Krankenversicherung  nur  dann  eintritt,  wenn  die 
Beschäftigung  durch  den  Arbeitsvertrag  auf  einen  Zeitraum  von  weniger 
als  einer  Woche  beschränkt  ist,  ist  die  Verpflichtung  des  Dienst- 
oder Arbeitsortes  auch  dann  nicht  begründet,  wenn  der  Arbeitsvertrag 
auf  eine  Woche  abgeschlossen  wird.  Mit  Rücksicht  darauf,  dafs  die 
Arbeitsverträge  auf  dem  Lande  sehr  häufig  auf  die  Dauer  einer  Woche 
abgeschlossen  werden,  sollte  durch  diese  Fassung  die  Wirkung  der 
neuen  Vorschrift  für  die  ländlichen  Ortsarmenverbände  abgeschwächt 
werden. 

Vielfache  Beschwerden,  und  nicht  unberechtigte,  sind  gegen  das  Ge- 
setz über  den  Unterstützungswohnsitz  erhoben  worden,  weil  dasselbe  zu 
zahlreichen  und  langwierigen  Streitigkeiten  zwischen  den  einzelnen 
Armenverbänden  und  damit  zu  einer  sehr  lästigen  Vielschreiberei  und  zu 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  583 

einem  unnötigen  Aufwand  von  Arbeitskraft  und  Kosten  Veranlassung 
gebe.  Das  Gesetz  vom  12.  März  1894  hat  einzelnen  dieser  Boschwerden 
Abhilfe  zu  schaffen  gesucht.  Nach  dem  Gesetze  §  28  ist  ein  Ortsarmen- 
verbaud,  in  dessen  Bezirk  die  Hilfsbedürfti^keit  eintritt,  zur  Unter- 
stützung des  Hilfsbedürftigen  verpflichtet.  Er  hat  aber  einen  Anspruch 
auf  Ersatz  der  Kot-ten  und  auf  Ueberuahme  des  Hilfsbedürftigen  gegen  den 
Landarmen  verband,  sofern  der  Hilfsbedürftige  keinen  Unter>tützungs- 
wohnsitz  besitzt.  Nach  dem  Gesetz  von  1870  §  30  hatte  der  Ortsarmen- 
verband, der  einen  solchen  Anspruch  geltend  machen  wollte,  den  Nach- 
weis zu  erbringen,  dafs  der  Hilfsbedürftige  einen  Unterstützungswohnsitz 
nicht  besitzt.  Konnte  er  diesen  Nachweis  nicht  erbringen,  so  ward  nach 
konstanter  Praxis  des  Bundesamts  für  das  Heimatwesen  der  Anspruch 
abgewiesen,  selbst  wenn  der  Beweis  dieser  Negative  sich  als  unmöglich 
darthun  liefs,  z.  B.  wenn  es  sich  um  die  Fürsorge  von  Findlingen,  unbe- 
kannten Taubstummen,  Blödsinnigen,  deren  Herkunft  nicht  zu  ermitteln 
war,  handelte  J).  Durch  diese  Praxis  wurden  nicht  nur  zahlreiche  und 
langwierige  Rechtsstreitigkeiten  hervorgerufen,  sondern  die  Ortsverbände 
dazu  verführt,  durch  gesetzwidrige  Abschiebung  fremder  Personen  der 
Gefahr  vorzubeugen,  endgültig  die  Kosten  für  deren  Fürsorge  tragen  zu 
müssen.  Wie  schon  der  erste  Entwurf  vorschlug,  hat  zur  Beseitigung 
dieser  Uebelstände  das  Gesetz  vom  12.  März  1894  bestimmt  (Art.  1.  III), 
dafs  der  Ersatzanspruch  schon  dann  begrüudet  ist,  wenn  ein  Unter- 
stützungswohnsitz des  vorläufig  Unterstützten  nicht  zu  ermitteln 
ist,  und  dafs  der  Beweis  hierfür  schon  dann  als  erbracht  gilt,  wenn  der 
klagende  Armenverband  nachweist,  dafs  er  alle  diejenigen  Erhebungen 
vorgenommen  hat,  welche  nach  Lage  der  Verhältnisse  als  geeignet  zur 
Ermittelung  eines  Unterstützungswohnsitzes  anzusehen  waren.  Sollte  sich 
trotzdem  später  der  Nachweis  führen  lassen,  dafs  der  Hilfsbedürftige 
einen  Unterstützungswohnsitz  gehabt  hat,  so  ist  der  Ortsarmenverband 
desselben  schon  nach  allgemeinen  Kechtsgrundsätzen  —  das  Gesetz  be- 
stimmt es  aber  auch  ausdrücklich  —  nachträglich  zur  Rückerstattung 
der  Kosten  an  den  Landarmenverband  verpflichtet. 

Demselben  Zwecke,  Streitigkeiten  unter  Armenverbänden  vorzubeugen 
und  sie,  soweit  solche  entstehen,  zu  vereinfachen,  dient  die  weitere 
Vorschrift  des  neuen  Gesetzes  (Art*  1  IV),  dafs  alle  Erstattungs-  und 
Ersatzansprüche,  welche  auf  Grund  des  Gesetzes  über  den  Unterstützungs- 
wohnsitz erhoben  werden,  in  2  Jahren  vom  Ablauf  desjenigen  Jahres 
ab,  in  welchem  der  Anspruch  entstanden  ist,  verjähren.  Endlich  hat 
das  Gesetz  noch  eine  Bestimmung  aufgenommen,  welche  die  Rechts- 
sprechung vor  einem  Abweg  zu  bewahren  bestimmt  ist.  Nach  dem  Ge- 
setze von  1870  §  30  hat  der  Ortsarmenverband,  der  einen  Hilfsbedürf- 
tigen, welcher  in  einem  anderen  Armenverband  seinen  Unterstützungs- 
wohnsitz hat,  vorläufig  unterstützt,  einen  Ersatzanspruch  gegen  den 
Ortsarmenverband  des  Unterstützuugswohnsitzes.  Durch  Landesgesetz,  ins- 
besondere  durch    das    preufsisohe    Gesetz    vom    11.  Juli    1891    sind    aber 


1)  Vgl.  die  Rechtsprechung  des  Bundesamtes  bei  Wohlers,  Das  Reichsgesetz  über 
den  Unterstützungswohnsitz  (5.  Aufl.  1892). 


584  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

einzelne  Zweige  der  geschlossenen  Armenpflege,  auch  insoweit  es  6ich 
um  Ortsarme  handelt,  den  Landarmenverbänden  übertragen  worden.  In 
der  Kommission  des  Reichstages  ward  die  Befürchtung  ausgesprochen,  dafs 
die  Rechtssprechung  auch  in  diesen  Fällen  sich  an  den  Buchstaben  des 
Gesetzes  halten  und  nur  Ersatzansprüche  an  Ortsarmenverbände  zulassen 
werde,  auch  wenn  diesen  nach  der  Landesgesetzgebung  gar  nicht  mehr 
die  Fürsorgepflicht  obliege.  Um  einer  solchen  Praxis  vorzubeugen,  wurde 
(Art.  1  V),  die  Aufnahme  eines  neuen  Paragraphen  (§  32a)  in  das  Ge- 
setz beschlossen,  wonach  die  Rechte  und  Pflichten  der  Ortsarmenver- 
bände auf  die  Landarmenverbände  übergehen,  soweit  nach  Bestimmung 
der  Landesgesetze  diesen  einzelne  Zweige  der  öffentlichen  Armenpflege 
übertragen  sind. 

Während  die  bisher  besprochenen,  in  Art.  1  des  Gesetzes  vom 
12.  März  1894  enthaltenen  Bestimmungen  Abänderungen  und  Ergänzungen 
des  Gesetzes  vom  6.  Juni  1870  bringen  und  demnach  auch  nur  für 
dessen  Geltungsgebiet  erlassen  sind,  hat  Art.  2  dem  im  ganzen  Reichs- 
gebiete geltenden  Strafgesetzbuche  einen  Zusatz  eingefügt.  Das  Straf- 
gesetzbuch hat  aus  dem  preufsischen  Strafgesetzbuch  von  1851  §  119 
in  §  361  Nr.  5  die  Vorschrift  übernommen,  dafs  mit  Haft  Personen  zu 
bestrafen  sind,  welche  sich  dem  Spiel,  Trunk  oder  Müfsiggang  dergestalt 
hingeben,  dafs  sie  in  einen  Zustand  geraten,  in  welchem  zu  ihrem  Unter- 
halte oder  zum  Unterhalte  derjenigen ,  zu  deren  Ernährung  sie  ver- 
pflichtet sind,  durch  Vermittelung  der  Behörde  fremde  Hilfe  in  Anspruch 
genommen  werden  mufs.  Nach  §  362  können  Personen,  die  hiernach 
verurteilt  werden,  zu  Arbeiten,  welche  ihren  Fähigkeiten  und  Verhält- 
nissen angemessen  sind,  innerhalb  und,  sofern  sie  von  anderen  freien 
Arbeitern  getrennt  gehalten  werden,  auch  aufserhalb  der  Strafanstalt  an- 
gehalten werden.  Bei  der  Verurteilung  kann  zugleich  erkannt  werden, 
dafs  die  verurteilte  Person  nach  verbüfster  Strafe  der  Landespolizeibehörde 
zu  überweisen  sei.  Letztere  erhält  dadurch  die  Befugnis,  die  verurteilte 
Person  entweder  bis  zu  2  Jahren  in  ein  Arbeitshaus  unterzubringen 
oder  zu  gemeinnützigen  Arbeiten  zu  verwenden. 

Das  preufsische  Strafgesetzbuch  hatte  aber  eine  sehr  wichtige  Er- 
gänzung in  dem  Gesetz  vom  21.  Mai  1855  Art.  13,  14  gefunden. 
Hiernach  konnten  Ehemänner,  welche  ihre  Frauen,  Eltern,  welche  ihre 
noch  nicht  14  Jahre  alten  Kinder  dergestalt  hilflos  lassen,  dafs  sie  der 
Armenpflege  anheimfallen,  durch  Verfügung  der  Verwaltungsbehörde  auf 
solange,  als  das  Bedürfnis  der  Armenpflege  für  ihre  Angehörigen  fort- 
dauert, in  eine  Arbeitsanstalt  untergebracht  werden,  sobald  der  Versuch, 
sie  im  Verwaltungs-  oder  gerichtlichem  Wege  zur  Unterstützung  ihrer 
Angehörigen  exekutivisch  anzuhalten,  fruchtlos  geblieben  war. 

Es  erhoben  sich  nach  Erlafs  des  Strafgesetzbuches  Bedenken ,  ob 
diese  landesgesetzlichen  Bestimmungen  nicht  durch  §  362  des  Strafge- 
setzbuches aufgehoben  seien,  und  da  auch  die  preufsische  Staatsregierung 
diese  Bedenken  teilte,  so  wurde  das  Gesetz  von  1855  durch  das  Gesetz 
vom  8.  März  1871  §  74  ausdrücklich  für  aufgehoben  erklärt.  Allerdings 
hatte  das  Herrenhaus  diese  Bedenken  nicht  geteilt,  vielmehr  zunächst  be- 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  585 

schlössen,  die  erwähnten  Bestimmungen  des  Gesetzes  von  1855  in  das 
neue  Gesetz  mit  herüber  zu  nehmen,  und  auch  in  dem  Abgeordnetenhause 
hatte  diese  Ansicht  Vertreter  gefunden,  ohne  jedoch  hier  durchdringen 
zu  können.  Selbst  Männer,  welche  sachlich  jene  Bestimmungen  für  ge- 
boten erachteten  und  es  aussprachen,  dafs  durch  deren  Beseitigung  eine 
höchst  bedauerliche  Lücke  in  der  Gesetzgebung  entstanden  sei,  wie  der 
Abgeordnete  Miquel,  hielten  sie  doch  mit  dem  Reichsgesetze  für  unver- 
einbar. Diese  Lücke  ist  auch  durch  die  Vorschrift  der  §§  65 — 67  des 
Gesetzes  vom  8.  März  1871  nicht  ausgefüllt  worden,  wenn  dadurch  auch 
der  Verwaltungsbehörde  (dem  Kreis-  oder  Stadtausschufs  nach  Zuständig- 
keitsgesetz von  1883  §  43)  das  Recht  erteilt  ist,  auf  Antrag  des  Armen- 
verbandes, der  eine  Ehefrau  oder  ein  Kind  unterstützen  mufs,  den  Ehe- 
mann oder  die  Eltern  anzuhalten,  nach  Mafsgabe  ihrer  gesetzlichen 
Verpflichtung  die  erforderliche  laufende  Unterstützung  zu  gewähren,  und 
wenn  auch  deren  zu  diesem  Zwecke  erlassenen  Verfügungen  vorläufig 
vollstreckbar  sind  (vorbehaltlich  des  ordentlichen  Rechtswegs).  Dies 
Verfahren  hat  sich  in  der  Praxis  als  wenig  wirksam  erwiesen,  weil  da- 
durch weder  das  Familienhaupt  genötigt  werden  kann,  zu  seiner  Familie 
zurückzukehren  oder  sie  zu  sich  zu  nehmen,  noch  auch  ein  Zwang  zur  Ar- 
beit gegen  dasselbe  zulässig  ist.  Infolgedessen  machen  die  Armenver- 
bände von  dem  ihnen  zustehenden  Rechte,  derartige  Anträge  zu  stellen, 
wenig  Gebrauch,  vielfach  auch  nicht  in  solchen  Fällen,  in  welchen  auf 
diesem  Wege  das  Familienhaupt  zur  Erfüllung  seiner  Pflichten  angehalten 
werden  könnte. 

Personen,  welche  nicht  nach  dem  angeführten  §  361  Ziff.  5  straf- 
rechtlich verfolgt  werden  konnten,  waren  demnach  jeder  Bestrafung  ent- 
zogen, selbst  wenn  sie  in  gewissenloser  Weise  ihren  Lohn  vergeudeten, 
Frauen  und  Kinder  sich  selbst  überliefsen  und  vernachlässigten  und  da- 
durch die  Armenbehörden  in  die  Notwendigkeit  versetzten,  die  verlassenen 
und  dem  Elende  preisgegebenen  Familienangehörigen  aus  öffentlichen 
Mitteln  zu  unterstützen.  Die  Erfahrung  hat  erwiesen,  dafs  die  Behörden 
gegeiiüber  einem  derartigen  rechtswidrigen  und  pflichtvergessenen  Verfahren 
nur  allzuhäufig  machtlos  waren,  namentlich  wenn  das  zur  Unterstützung 
verpflichtete  Familienhaupt  häufig  den  Ort  seiner  Beschäftigung  wechselte. 
Beschwerden  über  diesen  dem  Rechte  wie  den  Grundsätzen  einer  rationellen 
Armenpflege  Hohn  sprechenden  Mifsbrauch  wurden  aus  den  verschiedensten 
Gegenden  Deutschlands  wiederholt  und  mit  steigendem  Nachdruck  er- 
hoben. In  seinen  Entwürfen  hatte  der  Bundesrat  deshalb  vorgeschlagen, 
hinter  Nr.  5  des  §  361  des  Strafgesetzbuches  unter  Nr.  5  a  folgende  Be- 
stimmung aufzunehmen :  „(Mit  Haft  wird  bestraft),  wer,  obschon  er  in 
der  Lage  ist,  diejenigen ,  zu  deren  Ernährung  er  verpflichtet  ist ,  zu 
unterhalten ,  sich  der  Unterhaltspflicht  trotz  der  Aufforderung  der  zu- 
ständigen Behörde  derart  entzieht,  dafs  durch  Vermittelung  der  Behörde 
fremde  Hilfe  in  Anspruch  genommen  werden  mufs."  Damit  wären  zu- 
gleich die  oben  angeführten  Vorschriften  des  §  362  des  Strafgesetzbuches 
über  den  gegen  den  Verurteilten  zulässigen  Zwang  zur  Arbeit,  sowie  über 
dessen  Ueberweisung  an  die  Landespolizeibehörde    und  Unterbringung   in 


586  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

ein  Arbeitshaus  nach  verbüfster  Haft  für  anwendbar  erklärt  worden  *). 
Jedoch  war  die  Mehrheit  des  Reichstags  der  Ansicht,  dafs  im  Gegensatze 
zu  dem  in  §  361  Ziff.  5  mit  Strafe  bedrohten  Thatbestand  die  blofse 
"Weigerung,  der  Unterhaltspflicht  Genüge  zu  leisten ,  nicht  immer  mit 
Haft  zu  bestrafen  sei,  sondern  dafs  es  dem  Ermessen  des  Richters  über- 
lassen worden  müsse,  je  nach  der  Lage  des  einzelnen  Falles  statt  der 
Haft  auf  Geldstrafe  bis  zu  150  M.  zu  erkennen.  Auch  ward  es  nicht 
für  richtig  erachtet,  die  schweren  Folgen,  welche  nach  §  362  des  Straf- 
gesetzbuches mit  einer  Yerurteilung  auf  Grund  des  §  361  Ziff.  5  ver- 
bunden werden  können,  eintreten  zu  lassen.  Es  ward  mit  Recht  darauf 
hingewiesen,  dafs  durch  die  neue  Strafbestimmung  Personen,  welche  ihrer 
Arbeit  nachgehen  und  ihren  Lebensunterhalt  verdienen,  nur  deshalb  mit 
Strafe  bedroht  werden,  weil  sie  sich  weigern,  ihre  Angehörigen  zu  unter- 
halten. Durch  Unterbringung  in  ein  Arbeitshaus  würde  ihnen  die  Mög- 
lichkeit, zu  arbeiten  und  damit  ihrer  Pflicht  zu  genügen,  auf  längere  Zeit 
entzogen,  abgesehen  davon,  dafs  nicht  selten  der  Aufenthalt  in  einem 
Arbeitshaus  eine  entsittlichende  Wirkung  ausübe.  Auf  Antrag  der  sozial- 
demokratischen Partei  2)  ward  deshalb  von  dem  Reichstage  zwar  die 
Vorschrift  in  dem  angeführten  Wortlaut  des  Entwurfs  angenommen,  aber 
nicht  als  Nr.  5  a,  sondern  als  Nr.  10  des  §  361  des  Strafgesetzbuches 
und  zugleich  bestimmt,  dafs  statt  der  Haft  auf  Geldstrafe  erkannt  werden 
könne.  Die  veränderte  Stellung  der  Vorschrift  hatte  zugleich  die  Folge, 
dafs  auf  Zwangsarbeit  und  auf  Ueberweisung  an  die  Landespolizeibehörde 
nicht  erkannt  werden  kann. 

Die  Verpflichtung  zum  Unterhalt  der  Familienangehörigen ,  deren 
Kreis  in  den  einzelnen  Rechtsgebieten  Deutschlands  durch  das  Recht  ver- 
schieden begrenzt  ist,  hat  als  familienrechtliche  zunächst  einen  privatrecht- 
lichen Charakter  und  kann  demgemäfs  von  denen,  die  auf  Unterhalt  An- 
spruch erheben,  durch  eine  Klage  im  ordentlichen  Rechtswege  geltend 
gemacht  werden.  Durch  das  Reichsgesetz  vom  14.  März  1894  ist  die 
Verletzung  dieser  Pflicht  unter  den  soeben  angeführten  Voraussetzungen 
auch  mit  öffentlicher  Strafe  bedroht.  Wie  hierdurch  reichsgesetzlich  die 
öffentlich-rechtliche  Bedeutung  der  Unterhaltspflicht  anerkannt  ist,  so 
hatte  schon  früher  die  Landesgesetzgebung  um  dieser  öffentlich-recht- 
lichen Bedeutung  willen  bestimmt,  dafs  zur  Erfüllung  der  Unterhaltspflicht 
unter  bestimmter  gesetzlicher  Voraussetzung  polizeiliche  Zwangsgewalt 
angewandt  werden  könne,  vorbehaltlich  des  ordentlichen  Rechtsweges. 
Die  Vorschriften  des  preufsischen  Rechts  hierüber  sind  schon  oben  (S.  585) 
angeführt  worden.  Da  Personen,  die  zum  Unterhalt  ihrer  Angehörigen 
verpflichtet  sind,  als  für  ihre  eigene  Person  unterstützt  angesehen  werden, 
wenn  ihre  Angehörigen  der  öffentlichen  Armenpflege  anheimfallen ,  so 
können  sie,  soweit  dies  nach  Landesgesetz  zulässig  ist,  in  diesem  Falle, 
abgesehen    von    der   strafrechtlichen!  Verfolgung,    durch    die  Armenpolizei- 


1)  Nach  dem  §  362  findet  derselbe  Anwendung  auf  Personen,  welche  nach  Vor- 
schrift des  §  361   Nr.  3  bis  8  verurteilt  werden. 

2)  Auch  der  nationalliberale  Abgeordnete  Pieschel  hatte  sich  in  der  Sitzung  vom 
1.  Februar  1894  entschieden  im  Sinne  dieses  Antrags  ausgesprochen.  Stenogr.  Berichte 
S.  989  u.  ff. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  587 

behörde  in  ein  Armen-  oder  Arbeitshaus  verbracht  werden.  So  können 
sie  in  Sachsen  nach  der  ArmenordnuDg  vom  22.  Oktober  1840  §  27, 
28  so  lange  in  einem  Arbeitshaus  untergebracht  werden,  bis  sie  für  sich 
und  die  Ihrigen  ein  gesichertes  Fortkommen  nachweisen.  In  Württem- 
berg können  nach  dem  Gesetz  vom  2.  Juli  1889  Art.  14  Personen,  die 
in  der  Person  ihrer  Ehefrau  oder  ihrer  noch  nicht  14  Jahre  alten  Kinder 
öffentliche  Unterstützung  empfangen,  in  eine  Armenanstalt  verbracht  und 
dort  zur  Arbeit  angehalten  werden.  Diese  landesgesetzlichen  Bestimmungen 
sind  durch  das  Reichsgesetz  nicht  aufgehoben  worden,  wie  dasselbe  auch 
nicht  im  "Wege  steht,  dafs  künftighin  in  den  einzelnen  Bundesstaaten 
den  Armen-  und  Polizeibehörden  derartige  Befugnisse  übertragen  werden. 
Die  Verbringung  in  ein  Armen-  oder  Arbeitshaus  unterscheidet  sich  aber, 
wenn  sie  als  Verwaltungsmafsregel  angewandt  wird,  wesentlich  von  der 
Unterbringung  in  ein  Arbeitshaus,  die  infolge  der  Ueberweisung  an  die 
Landespolizeibehörde  nach  §  362  des  Strafgesetzbuches  erfolgt.  Letztere 
ist  eine  Nebenstrafe  und  kann  nach  Ermessen  der  Landespolizeibehörde 
bis  zu  2  Jahren  fortdauern.  Erstere  darf  überhaupt  nicht  den  Charakter 
einer  Strafe  annehmen,  sie  ist  eine  Mafsregel  der  Armenpflege  und  an 
keine  bestimmte  Zeitdauer  gebunden.  Die  Entlassung  aus  dem  Armen- 
oder Arbeitshause  mufs  erfolgen,  sobald  der  Aufgenommene  nachweist, 
dafs  er  für  sich  und  seine  Angehörigen  der  öffentlichen  Unterstützung  nicht 
mehr  bedarf. 


588  M  i  s  %  e  1 1  e  n. 


Miszellen. 


XL 


Die  Ergebnisse  der  deutschen  Kriminalstatistik 
1882—1892. 

Von  G.  Lindenberg, 

Erstem  Staatsanwalt  in  Ratibor. 

Obgleich  das  deutsche  Strafgesetzbuch  seit  dem  Beginne  des  Jahres 
1872  in  allen  Staaten  des  geeinigten  Reiches  Geltung  hatte,  tauchte  doch 
der  Gedanke  an  eine  gemeinschaftliche  Kriminalstatistik  erst  viel  später 
auf.  Einzelne  Gliedstaaten  hatten  schon  längere  Zeit  justizstatistische  Er- 
hebungen gesammelt,  und  in  Preufsen  wurden  Mitteilungen  über  die  Ge- 
schäfte der  Justizbehörden  von  1851  an  bis  1878  veröffentlicht,  denen 
sich  eine  Statistik  der  preufsischen  Schwurgerichte  (1854 — 1880)  anschlofs. 
Erst  als  Gerichtsverfassung  und  Strafprozefs  für  das  ganze  Reich  in  ein- 
heitlicher Weise  geregelt  waren,  erfolgte  im  Jahre  1880  eine  Verständigung 
der  Bundesstaaten  zu  gemeinsamem  Vorgehen  auf  dem  Gebiete  der  Ge- 
schäftsstatistik betreffend  streitige  Gerichtsbarkeit  und  auf  dem  Gebiete 
der  Statistik  rechtskräftig  erledigter  Strafsachen. 

Für  die  letztere  wurde  das  Prinzip  der  Zählkarte  aufgestellt.  Preufsen 
begann  schon  mit  dem  1.  Januar  1881  die  Zählung.  Die  Ergebnisse  für 
1881  wurden  bei  dem  preufsischen  statistischen  Bureau  gesammelt  und 
in  dessen  Zeitschrift  veröffentlicht1).  Erst  mit  dem  Jahre  1882  tritt  die 
deutsche  Kriminalstatistik  als  eine  Angelegenheit  des  Reiches  ins  Leben. 
Sie  beschränkt  sich  auf  Verbrechen  und  Vergehen  gegen  Reichsgesetze. 
Solche  Strafgesetze,  welche  nur  in  einzelnen  Gliedstaaten  gelten,  haben 
für  das  Reich  kein  unmittelbares  Interesse,  entbehren  auch  der 
statistischen  Vergleichbarkeit  und  betreffen  unwichtigere  Ausschreitungen. 
Aufser  Betrachtung  bleiben  ferner  alle  Uebertretungen,  also  auch  die  gegen 
Reichsgesetze.  Diese  Einschränkung  beruht  offenbar  auf  der  Erwägung, 
dafs  eine  Zählung  der  Uebertretungen  das  Material  zu  sehr  anhäufen 
würde.  Immerhin  wird  es  mit  Recht  bedauert,  dafs  einzelne  Ueber- 
tretungen   sozialpathologischer    Natur    (namentlich  Betteln ,    Landstreichen, 


1)  Ergänzungsbeft    XIV,    1888.     Der    juristische    Leiter    der    bahnbrechenden  Arbeit 
war  Starke. 


*Mis  zellen.  589 

Prostitution)  von  der  kriminalstatistischen  Betrachtung  ausgeschlossen  sind. 
Zu  erwähnen  ist  noch,  dafs  die  Urteile  der  Militärgerichte  nicht  ge- 
zählt werden  und  dafs  auch  alle  Zoll-  und  Steuersachen  keine  Berück- 
sichtigung finden. 

Die  Zählkarten  werdeu  vierteljährlich  von  den  Justizbehörden  an  das 
Kaiserliche  statistische  Amt  gesandt.  Dort  und  im  Reichsjustizamte  wird 
das  Zahlenmaterial  verarbeitet.  Die  Ergebnisse  werden  alljährlich  in 
einem  grofsen  Tabellenwerke  mit  vielfachen  Erläuterungen  bekannt  gegeben. 
Die  Schwierigkeit  der  Arbeit  bringt  es  mit  sich,  dafs  erst  geraume  Zeit 
nach  Abschlufs  eines  Jahrganges  dessen  Resultate  veröffentlicht  werden 
können.  So  ist  die  Kriminalstatistik  für  1891  erst  im  Juni  1894  er- 
schienen. Unsere  Absicht,  nunmehr  dem  Jahrzehnt  1882  bis  1891  eine 
Betrachtung  zu  widmen  ,  ist  aber  dadurch  vereitelt  worden ,  dafs  gleich- 
zeitig mit  der  Kriminalstatistik  für  1891  das  vollständige  Tabellenwerk 
des  Jahrganges  1892  —  ohne  Erläuterungen  —  ausgegeben  wurde.  Jetzt 
handelt  es  sich  also,  da  die  sehr  hohen  Zahlen  des  Jahres  1892  gerade 
das  gröfste  Interesse  in  Anspruch  nehmen,  nicht  mehr  um  ein  Jahrzehnt, 
sondern  um  elf  Jahrgänge,  deren  Ergebnisse  offen  liegen,  wenn  wir  auch 
für  1892  noch  der  kundigen  Führung  entbehren,  welche  die  im  Reichs- 
justizamte und  Kaiserlichen  Statistischen  Amte  ausgearbeiteten  Erläuterungen 
bei  Durchmusterung  der  übrigen  Jahrgänge  bieten.  Wer  weifs,  ob  nicht, 
bevor  die  fehlenden  Erläuterungen  veröffentlicht  sind,  die  Zahlen  des  Jahres 
1893  als  „vorläufige  Mitteilung"  in  den  Vierteljahrsheften  der  „Statistik  des 
Deutschen  Reiches"  erscheinen  und  durch  ihre  Existenz  das  zu  betrachtende 
Gebiet  wieder  erweitern  werden.  Denn  in  der  Statistik  ist  das  Neuste 
der  Feind  des  Neuen.  Darum  wollen  unsere  Leser  es  uns  nicht  verargen, 
dafs  wir  die  offiziellen  Erläuterungen  für   1892   nicht  abwarten. 

Die  Rundschau  über  die  11  Jahre  wird  sich  im  wesentlichen  mit 
der  Frage  beschäftigen,  ob  und  inwieweit  die  Kriminalität  sich  vermehrt 
hat,  und  wir  werden  dabei  in  die  Lage  kommen,  den  Ursachen  der 
Steigerung  nachzuforschen.  Vorweg  sei  bemerkt,  dafs  wir  zur  Verein- 
fachung des  Verfahrens  davon  absehen,  uns  mit  den  Zahlen  der  abge- 
urteilten Personen  und  der  zur  Anklage  stehenden  Handlungen  zu 
beschäftigen.  So  wichtig  diese  Feststellungen  für  die  Zwecke  der  Justiz- 
verwaltung sein  mögen ,  berühren  sie  doch  das  allgemeine  Interesse  nur 
in  geringem  Mafse.  Es  kommt  wesentlich  darauf  an,  wie  viele  Personen 
verurteilt  worden  sind.  Die  Freigesprochenen  müssen  ausscheiden, 
sobald  es  sich  nicht  lediglich  darum  handelt,  über  die  Beschäftigung  der 
Gerichte  oder  über  Mängel  des  Strafverfahrens  Material  zu  sammeln.  Auch 
bei  Zählung  derjenigen  Handlungen,  wegen  welcher  Verurteilung  er- 
folgt ist,  wird  die  strafrechtliche  Technik,  die  sehr  verschieden  gehand- 
habt werden  kann  (wir  wollen  uns  an  das  sog.  fortgesetzte  Delikt  erinnern), 
ein  brauchbares  Ergebnis  nicht  liefern.  Daher  zählen  wir  hier  nur  die 
verurteilten  Personen  l). 


1)  Schon  früher  haben  wir  diesen  Standpunkt  verteidigt  (s.  Jahrbücher,  Dritte  Folge 
Bd.  I,  S.  259).  Das  Kais.  Statistische  Amt  hat  übrigens  seit  1891  in  den  grofsen  Ab- 
teilungen II  u.  IV  des  Tabellenwerkes  sich  ebenfalls  auf  die  Verurteilten  beschränkt. 


590 


Miszellen. 


|I.    Das  Wachsen  der  Kriminalität  in  der  Gesamtzahl  der 

Verurteilten. 

In  der  beigefügten  Tabelle  haben  wir  die  Gesamtzahlen  der  in  den 
elf  Berichtsjahren  erfolgten  Verurteilungen  zusammengestellt.  Die  Ein- 
tragungen in  Spalte  2  beruhen  durchweg  auf  den  Mitteilungen  der 
Kriminalstatistik.  Auch  in  Spalte  3  sind  bis  1891  einschliefslich  die 
offiziellen  Zahlen  eingestellt.  Wie  die  letzteren  gefunden  sind ,  ent- 
zieht sich  der  Nachprüfung.  Der  aufmerksame  Beobachter  wird  aber  be- 
merken, dafs  die  Steigerung  der  Gesamtzahl  (Spalte  2)  von  1890  zu  1891 
viel  bedeutender  ist,  als  nach  der  geringen  Erhöhung  der  Verhältniszahl 
in  Spalte  3  angenommen  werden  kann.  Offenbar  haben  die  Ergebnisse 
der  Volkszählung  vom  1.  Dezember  1890  in  Jahre  1891  die  Verhältnis- 
zahl herabgedrückt.  Denn  nach  den  dankenswerterweise  mitgeteilten  Er- 
gebnissen der  Volkszählungen  hat  die  über  12  Jahre  alte,  also  straf- 
mündige Civilbevölkerung  des  Deutschen  Reiches  betragen: 

am   1.  Dez.   1885   32  679  037   Personen 
am  1.  Dez.  1890  34795  167  Personen 

also  in  fünf  Jahren  2  116  130  Personen  oder  6,4  Proz.  mehr.  Dies  er- 
giebt  für  ein  Jahr  423  226  Personen  mehr.  Wer  aber  aus  den  Zahlen 
der  Spalten  2  und  3  für  1890  und  1891  die  Einwohnerzahl,  von  welcher 
ausgegangen  worden  ist,  zurückberechnet,  der  wird  finden,  dafs  bei  1891 
794  844  Einwohner  mehr  in  Rechnung  gezogen  worden  sind,  als  bei 
1890,  was  den  regelmäfsigen  Jahreszuwachs  erheblich  überschreitet.  Die 
Zahl  in  Spalte  3,  4  b  und  4  d  für  1892  haben  wir,  da  offizielle  Mitteilungen 
fehlen,  nach  dem  Verhältnisse  des  von  1885  bis  1890  beobachteten  An- 
wachsens annähernd  festgestellt. 


Jahr 


Gesamt- 
zahl der 
Verur- 
teilten 


So  2 


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3 


Prozentsatz  des   Unterschiedes  gegen 


das   Vorjahr 


absolut 


4a 


unter  Berück- 
sichtigung der  Zu- 
nahme der  Be- 
völkerung 
4b 


das  Ausgangsjahr  1882 


absolut 


4c 


unter  Berück- 
sichtigung der  Zu- 
nahme der  Be- 
völkerung 
4d 


1882 
1883 
1884 
1885 
1886 
1887 
1888 
1889 
1890 
1891 
1892 


329968 
330  128 
345  977 
343  087 
353  °°o 
35Ö357 
35o655 
369  644 
381  450 
391064 
422327 


1043 
1036 
1077 
1060 
1082 
1084 
1056 

IIOI 

1122 

1124 
»981) 




+ 

0,05 

% 

+ 

4.8 

11 

— 

0,83 

i' 

+ 

2,89 

>! 

+ 

0,95 

» 

— 

1,06 

,, 

+ 

5.4 

)> 

+ 

3,2 

,, 

+ 

2,5 

,» 

+ 

8 

,, 

—  0,67  O/o 
+  3,18  „ 

—  1,58  „ 
+  2,08  „ 
+  0,19  „ 

—  2,59  „ 
+  4,26  „ 
+  1,9  „ 
+  0,19  „ 
+  6,58  „») 


+ 

0,05  % 

+ 

4,85   „ 

+ 

3,98    „ 

+ 

6,98    ,, 

+ 

8,00  ,, 

+ 

6,24    „ 

+ 

12,02    „ 

+ 

15,60    „ 

+ 

18,51    „ 

+ 

27,99    „ 

0,67  % 
3,25  ,, 
1,58  „ 
3,74  „ 
3,93  „ 
1,25  „ 
5,57  „ 
7,57  „ 
7,76  „ 
14,86  „: 


Das  Gesamtergebnis    der  Uebersicht   ist  ein    recht  betrübendes.     Ab- 
gesehen von  den  beiden  Jahren   1885  und  1888  ist  die  Kriminalität  seit 


1)  Annähernd. 


M  i  s  z  e  11  en.  591 

1883  stetig  gestiegen,  1889  beginnt  ein  Anlauf,  welchem  von  1891  auf 
1892  ein  Sprung  folgt,  wie  er  noch  nie  dagewesen  ist  und  hoffentlich 
auch  nie  sich  wiederholen   wird  1). 

Es  ist  keine  dankbare  Aufgabe ,  den  Gründen  dieser  Zunahme  der 
Kriminalität  nachzuforschen.  Ein  bestimmtes  Gesetz,  nach  weichem  in 
dem  langen  durchmusterten  Zeiträume  irgend  welche  Regelniäfsigkeit  der 
Erscheinungen  zu  Tage  tritt,  wird  das  kühnste  Kombinationstalent  in  den 
Ziffern  unserer  Tabelle  nicht  zu  entdecken  vermögen,  auch  eine  Gruppierung 
nach  gröfseren  Zeiträumen  würde  dem  Laufe  der  Kurve  den  Schein 
nicht  verleihen,  als  liefse  derselbe  sich  kontrollieren.  Deshalb  kann  eine 
Kritik  kriminalistischer  Ergebnisse  an  den  Gesamtzahlen  nicht  haften, 
eine  Zergliederung  aller  Einzelheiten  setzt  aber  ein  Uebermafs  an  Zeit 
und  Geduld  des  Schreibenden  wie  des  Lesenden  voraus.  So  kommt  es 
denn,  dafs  Darstellungen  der  Kriminalität  eines  Volkes  im  grofsen  und 
ganzen  auf  Einzelbildern  beruhen ,  bei  deren  Auswahl  und  Gruppierung 
die  Tendenz  des  Schildernden  eine  sehr  mafsgebende  Rolle  spielen  kann. 
Es  ist  nicht  schwer,  durch  bestimmte  Streiflichter  einen  gähnenden  Ab- 
grund sichtbar  zu  machen ,  der  in  Wirklichkeit  nicht  gar  so  tief  ist, 
andererseits  erscheint  es  auch  möglich,  die  Steigerung  der  Kriminalität 
etwa  so  zu  erklären,  wie  einen  ganz  natürlich  verlaufenden  nicht  bedroh- 
lichen Krankheitsprozefs.  Der  lange  Zeitraum,  auf  welchen  unsere 
Messungen  sich  erstrecken  und  das  immer  exakter  gewordene  Verfahren 
des  statistischen  Amtes  bürgen  aber  doch  wohl  dafür,  dafs  der  einst  von  einem 
hochangesehenen  Juristen  erhobene  Vorwurf,  mit  unserer  damaligen  Kriminal- 
statistik lasse  sich  Alles  beweisen  und  Alles  widerlegen,  was  man  wolle  2), 
seine  schon  damals    fragwürdige  Berechtigung    immer  mehr    verloren  hat. 

Die  hauptsächlichsten  Gründe,  welche  die  Zunahme  der  Verurteilungen 
auf  Faktoren  zurückführen  wollen ,  die  unabhängig  sind  von  einer  zu- 
nehmenden Entsittlichung,  werden  etwa  in  Folgendem  gefunden: 

1)  Die  Grundlage  und  Technik  der  Strafverfolgung  habe  zu  einer 
schärferen  Tonart  geführt. 

Richtig  ist,  dafs  die  strenge  Handhabung  des  Legalitätsprinzips  in 
der  Strafprozefsordnung  die  Anklagen  vermehrt  hat.  Aber  dies  Prinzip 
hat  sich  seit  1880  nicht  geändert  und  kann  nur  ins  Feld  geführt  werden, 
wenn  es  sich  um  Vergleichung  mit  einer  noch  früheren  Zeit  handelt,  auf 
die  Steigerung  der  Kriminalität  seit  1882  ist  es  einflufslos.  Richtig  ist 
ferner,  dafs  die  bessere  Registrierung  der  Vorstrafen  (seit  1882)  zu  einer 
sicheren  Anwendung  der  Rückfallsstrafen  führt,  welche  früher  wohl  viel- 
fach umgangen  wurde,  allein  diese  Verbesserung  kann  an  sich  die  Zahl 
der  Verurteilungen  nicht  steigern  und  was  die  Art  derselben  betrifft,  so 
sind  bei  dem  seit  1888  beobachteten  starken  Anwachsen  der  Diebstähle 
gerade  die  Rückfallsdiebstähle  in  weit  geringerem  Mafse  beteiligt,  als  die 


1)  Inzwischen  ist  die  Geschäftsstatistik  der  preufsischen  Gerichte  für  1893  er- 
schienen (Justizministerialblatt  1894,  S.  187  ff.).  Mann  kann  aus  ihr  folgern,  dafs  das 
Jahr  1893  eine  weitere  Erhöhung  der  Kriminalität  gebracht  hat,  dafs  aber  die  Steigerung 
gegen  das  Vorjahr  eine   unerhebliche  ist. 

2)  Mittelstadt  bei  der  Besprechung  des  Starke'schen  Werkes  „Verbrechen  und  Ver- 
brecher in  Preufsen".  Siehe  Zeitschrift  f.  d.  gesamte  Strafrechtswissenschaft,  Bd.  4,  S.  413 
(1884  erschienen). 


592  Miszellen. 

übrigen  Diebstähle.  Verglichen  mit  1882,  sind  die  einfachen  Diebstähle 
im  Rückfalle  in  dem  kriminalistisch  sehr  beiasteten  Jahre  1892  nur  um 
6  Proz.  zahlreicher,  die  schweren  Rückfallsdiebstähle  dagegen  um  fast 
1   Proz.  geringer. 

Mit  besserem  Erfolge  kann  man  darauf  hinweisen ,  dafs  die  Ein- 
richtung der  Strafregister  die  Auffindung  vagierender  Verbrecher  wesent- 
lich erleichtert.  Da  alle  Strafnachrichten  über  eine  Person  bei  der  Register- 
behörde ihres  Geburtsortes  gesammelt  werden,  so  braucht  die  suchende 
Behörde  nur  bei  dem  Strafregister  einen  Vermerk  niederlegen  zu  lassen, 
um  sofort,  wenn  aus  einem  noch  so  weit  entlegenen  anderen  Orte  nach 
den  Vorstrafen  des  Gesuchten  angefragt  wird,  Nachricht  über  den  augen- 
blicklichen Aufenthalt  desselben  zu  erhalten.  Diese  Methode,  verbunden 
mit  Verbesserung  und  gröfserer  Verbreitung  der  Spähblätter,  mit  häufigerer 
Anwendung  der  Photographie,  ja  auch  die  wichtige  telephonische  Ver- 
ständigung haben  unzweifelhaft  die  Eestnahme  der  Verbrecher  in  den 
letzten  10  Jahren  sehr  erleichtert.  Für  die  Statistik  in  dem  jetzigen 
Gewände  interessiert  nur  der  abgeurteilte  Verbrecher.  Alle  Fälle ,  in 
denen  er  noch  gesucht  wird,  bleiben  aufser  Rechnung.  Trotzdem  kann 
die  verbesserte  Technik  der  Behörden  die  Erhöhung  der  kriminalstatistischen 
Zahlen  nur  in  ganz  geringem  Mafse  beeinflussen.  Die  Fälle,  in  denen 
der  Frevler  flüchtig  wird,  verschwinden  geradezu  gegenüber  der  grofsen 
Mehrheit  normal  verlaufender  Strafverfahren,  und  diejenigen  Delikte, 
welche  die  statistischen  Tabellen  am  erheblichsten  füllen,  Körperverletzung, 
Beleidigung,  Hausfriedensbruch,  Widerstand  gegen  die  Staatsgewalt,  sind 
höchst  selten  so  geartet,  dafs  der  Thäter  die  Unbequemlichkeiten  der 
Flucht  seiner  ordentlichen   Aburteilung  vorzieht. 

2)  Ferner  wird  angeführt,  dafs  gröfsere  Energie,  gröfsere  Genauig- 
keit, vielleicht  auch  gröfsere  Spitzfindigkeit  der  verfolgenden  Organe  die 
Zahl  der  Untersuchungen  und  damit  auch  der  Verurteilungen  vermehrt 
habe.  Nachweisen  läfst  sich  dies  zwar  nicht,  denn  man  kann  die 
Delikte  nicht  zählen ,  die  in  früheren  Jahren  unverfolgt  geblieben  sind, 
aber  es  beruht  doeh  auf  Erfahrung,  dafs  die  Polizeibehörden  den  Kampf 
gegen  das  Verbrechertum  infolge  von  Stellenvermehrung,  gröfserer  Erfah- 
rung, auf  dem  Lande  zum  Teil  als  Abwehr  des  Gesindels  mit  gesteigerter 
Thatkraft  und  wachsendem  Erfolge  führen.  Allein  es  hiefse  Ursache  und 
Wirkung  verwechseln,  wenn  man  das  Steigen  der  Kriminalitätsziffern  auf 
den  Einflufs  der  Polizei  zurückführen  wollte.  Die  Erhöhung  der  polizei- 
lichen Kräfte  und  Bemühuugen  ist  doch  wohl  eine  Folge  der  wachsen- 
den Kriminalität.  Dafs  eine  Vermehrung  der  Gendarmerie  eine  gewisse 
Vermehrung  der  von  Gendarmen  eingereichten  Anzeigen  herbeiführt,  ist 
kaum  zu  bestreiten,  nur  wird  die  Gendarmerie  erst  vermehrt,  wenn  sich 
zeigt,  dafs  mit  den  vorhandenen  Kräften  gegen  das  wachsende  Ver- 
brechertum nicht  auszukommen  sei. 

3)  Gröfsere  Bedeutung  hat  das  Argument,  dafs  die  Kenntnis  der 
strafrechtlichen  Bestimmungen  und  das  Interesse  an  Strafprozessen  sich 
auf  breitere  Volksschichten  erstreckt,  als  früher  und  dafs  deshalb  die 
Fertigkeit,  dem  Mitmenschen  strafrechtliche  Unbequemlichkeiten  zu  be- 
reiten, gewachsen  ist;    dafs  also  mehr  die  Denunzianten,    als    die  Verur- 


Mis  Zellen.  593 

teilten  für  die  Steigerung  der  Kriminalität  verantwortlich  zu  machen  sind. 
Als  Beleg  für  diese  Ansicht  dient  das  Delikt  der  Bedrohung  mit  einem 
Verbrechen.  Anzeigen  die^erhalb  sind  in  den  meisten  Fällen  rabulistisch  zu- 
gestutzt, um  einer  Privatzänkerei  ein  gefahrdrohendes  Aussehen  zu  geben1). 
Diesem  seltsamen  Delikt  schenkte  man  früher  wenig  Beachtung,  und  in 
den  statistischen  Tabellen  ist  es  sogar  von  dem  anders  gearteten  Ver- 
gehen der  Nötigung  nicht  getrennt  2),  welches  an  der  Gesamtzahl  viel- 
leicht mit  12  Proz.  beteiligt  sein  mag.  Mit  der  einzigen  Ausnahme  des 
Jahres  1887  zeigt  diese  Deliktsgruppe  ein  geradezu  unheimliches  Wachs- 
tum von  Jahr  zu  Jahr.  Bei  Beginn  unserer  Statistik  (1882)  werden  3623 
aus  §§  240,  241  Stgb.  Verurteilte  gezählt,  1887  schon  6602  und  1892 
gar  8802  Das  ist  eine  Vermehrung  um  143  Proz.  in  10  Jahren,  die 
ihres  gleichen  nicht  hat.  Es  wäre  völlig  verfehlt,  anzunehmen,  dafs  die 
Lust,  den  Nächsten  mit  Mord  oder  Todschlag  zu  bedrohen,  in  diesem  Mafse 
gewachsen  sei.  Hier  zeigt  sich  lediglich,  dafs  Bedensarten,  die  früher  nur  als 
Beleidigungen  aufgefafst  oder  gar  nicht  beachtet  wurden,  jetzt  ausgebeutet 
werden,  um  den  Gegnern   eine  öffentliche   Klage  auf  den  Hals  zu  laden. 

Wenn  nun  aber  auch  Chikane  und  Babulisterei  gestiegen  sind,  so 
kann  man  doch  das  Anwachsen  der  Kriminalität  nur  in  sehr  beschränktem 
Mafse  auf  diese  Erscheinung  zurückführen.  Giebt  es  doch  nur  wenige 
Deliktsgruppen  —  wir  rechnen  aufser  der  Bedrohung  noch  die  Beleidi- 
gung und  den  Hausfriedensbruch  hierher  —  welche  von  dieser  Argu- 
mentation getroffen  werden  können.  Jedenfalls  fehlt  es  an  thatsächlichen 
Unterlagen  dafür,  dafs  der  Bestohlene,  Betrogene,  Mifshandelte  in  früheren 
Zeiten  toleranter  gewesen  als  jetzt.  Und  schliefslich  mufs  doch  die 
Kunstfertigkeit,  einen  Gegner  auf  die  Anklagebank  zu  bringen,  im  Laufe 
der  Zeiten  Gemeingut  der  Winkelkonsulenten  geworden  sein,  deren  unheil- 
volle Thätigkeit  in  den  Anfangsstadien  der  strafrechtlichen  Untersuchungen 
eine  so  bedeutende  Bolle  spielt. 

4)  Auch  die  Entwickelung  der  Gesetzgebung  kann  von  Einfiufs  auf 
die  Vermehrung  der  Kriminalität  sein.  Nulla  poena  sine  lege.  Der  Gesetz- 
geber kann  Handlungen,  die  bisher  straflos  waren,  durch  Gesetz  für  straf- 
bar erklären.  Aber  es  ist  auch  möglich,  dafs  neue  Staatseinrichtungen 
die  dem  allgemeinen  Wohle  dienen,  einen  guten  Nährboden  für  die  Aus- 
bildung von  Unredlichkeit  bilden. 

Die  Veränderungen  der  Gesetzgebung  innerhalb  des  zu  besprechenden 
Zeitraumes  von  1882  bis  1892  sind  zahlreich,  greifen  aber  nicht  erheb- 
lich in  die  Bechtsmaterien  ein ,  mit  denen  sich  unsere  Statistik  beschäf- 
tigt. Erweitert  ist  deren  Gebiet  durch  das  Gesetz  v.  3.  Mai  1890,  wonach 
verabschiedete  Offiziere  der  Militärgerichtsbarkeit  nicht  mehr  unterworfen 
sind.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dafs  bei  der  geringen  Zahl  und  beson- 
ders bei  der  Lebensstellung  der  dadurch  dem  Bereiche  der  Kriminalstati- 
stik zugeführten  Personen  der   Zuwachs    für  die    Ergebnisse    der  Zählung 


1)  Näheres  darüber  in  des  Verf.  Besprechung  der  Kriminalstat.  v.  1886,  Bd.  19, 
S.   74   dieser  Jahrbücher. 

2)  Erst  seit  1890  hat  die  Bedrohung  mit  einem  Verbrechen  in  der  Tabelle  I  die  be- 
sondere Nummer  67  a,  vielleicht  infolge  diesseitiger  Anregung.  (Bd.  19,  S.  74  dieser 
Zeitschrift.) 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXDI).  gg 


594  Misz  eilen. 

ohne  jeden  Belang  ist.  Höchstens  wäre  die  Folgerung  zulässig,  dafs  da- 
durch die  stratmündige  Civilbevölkerung  um  ein  Geringes  gewachsen  ist 
und  bei  der  Ehrenhaftigkeit  des  Zuwachses  die  Verhältniszahl  der  Be- 
straften zu  der  Gesamtsumme  sich  um  eine  —  kaum  mefsbare  —  Kleinig- 
keit günstiger  gestellt  haben  mufs. 

Die  territoriale  Erweiterung  des  Gebietes  durch  Vereinigung  der  Insel 
Helgoland  mit  dem  Deutschen  Beiehe  kann  bei  der  geringen  Zahl  und 
der  Friedfertigkeit  der  dortigen  Bevölkerung  von  keinem  steigernden  Einrlufs 
auf  die  Kriminalität  sein,  und  auch  die  Ausdehnung  des  Gesetzes  über  die 
Konsulargerichtsbarkeit  auf  die  deutschen  Schutzgebiete  ist  beider  Gering- 
fügigkeit der    von  dort    gemeldeten  Zahlen   ohne    jeden   Belang  geblieben. 

Die  Aenderungen  des  Reichsstratgesetzbuch.es,  weiche  in  der  Zeit  von 
1882  bis  1891  vorgenommen  worden  sind,  betreffen  Spezialbestimmungen, 
die  an  und  für  sich  keine  Roile  in  der  Kriminalstatistik  spielen. 

Von  anderweiten  Veränderungen  der  Strafgesetze  seien  folgende  er- 
wähnt: die  neuen  Straf testimmungen  des  Genossenschaftsgesetzes,  in  Kraft 
seit  1.  Okt.  18S9;  dieselben  sind  offenbar  einflufslos  auf  die  Statistik, 
denn  die  allerdings  mit  andereu  ähnlichen  Delikten  in  den  statistischen 
Uebersichten  zusammengefallen  Zahlen  dieser  Gruppe  haben  sich,  seit 
1889  vermindert. 

Aenderungen  der  Gewerbeordnung  in  Kraft  seit  dem  1.  Jan.  1884 
sind  insofern  von  Bedeutung,  als  die  Zahl  der  aus  §  146  Verur- 
teilten gegen  174  aus  dem  Jahre  1882  auf  437  im  Jahre  1891  gewachsen 
ist.  Im  Jahre  1892  würde  diese  Zahl  auf  417  gesunken  sein,  wenn  nicht 
die  sehr  eingreifenden  seit  dem  1.  April  1S92  geltenden  Bestimmungen 
über  die  Sonntagsruhe  zu  der  Verurteilung  von  1590  Personen  auf  Grund 
jenes  §  146  geführt  hätte,  welche  früher  gar  nicht  oder  nur  wegen  Ueber- 
tretung  zu  bestrafen  waren.  Diese  Erweiterung  des  Begriffs  eines  mit 
Geldstrafe  bedrohten  Vergehens  wird  in  Zukunft  die  kriminalstatistischen 
Zahlen  noch  mehr  steigern. 

Ein  Einffufs  der  veränderten  Strafbestimmungen  des  Patentgesetzes 
und  des  neuen  Gesetzes  über  den  Schutz  der  Gebrauchsmuster  (beide  seit 
1.  Okt.  1891  in  Kraft)  ist  nicht  nachzuweisen;  auch  das  Gesetz  betr. 
Kunstbutter  (seit  1.  Okt.  1887),  welches  nur  für  den  Bückfall  Ver- 
gehensstrafe androht,  wird  die  statistische  Zahlen  nur  ganz  unerheblich 
vermehrt  haben. 

Folgende  Strafgesetze  haben  bisher  nur  präventiv  gewirkt,  indem 
trotz  mehrjähriger  Geltung  niemand  auf  Grund  derselben  bestraft  worden  ist. 

Unfallversicherungsgesetz  vom  8.  Juli  1884  (unbefugte  Offenbarung 
von  Betriebsgeheimnissen   seitens  der  Genossenschaftsvorstände); 

Gesetz  vom  25.  Mai  1885,  betr.  Schutz  des  zur  Anfertigung  von 
Reichskassenscheinen  verwendeten  Papiers  —  weil  die  Zuwiderhandlung 
wohl  immer  erst  entdeckt  wird,  wenn  das  Delikt  bereits  den  Charakter 
des   Münzverbrechens  angenommen  hat  — ; 

Gesetz  zum  Schutze  unterseeischer  Telegraphenkabel  vom  21.  Xovember 
1887    —    auch    hier    wird    meist  das  Strafgesetzbuch  anwendbar  sein  — ; 

Gesetz  vom  5.  April  1888  (unbefugte  Mitteilung  über  geheim  zu 
haltende   Gerichtsverhandlungen). 


M  i  s  z  e  1 1  e  n.  595 

Dagegen  haben  folgende  neuere  Gesetze  Einflufs  auf  die  Statistik  geübt: 

a)  Betr.  Krankenversicherung  der  Arbeiter  (in  Kraft  seit  1.  Dezember 
1884,  später  ausgedehnt  auf  Staatsbetriebe,  Transportgewerbe,  Forstwirt- 
schaft). 

An  Arbeitgebern,  welche  den  Arbeitern  zu  hohe  Beträge  für  die 
Krankenkasse  in  Abzug  brachten,  sind  im  Jahre  1885  74,  im  folgenden 
Jahre  130  verurteilt  worden.  Seitdem  sinkt  die  Zahl  von  Jahr  zu  Jahr, 
und  für  1892  werden  nur  noch  29  Verurteilte  gezählt,  ein  Beweis  dafür, 
wie  das  Gesetz   sich   Geltung  geschaffen  hat. 

b)  Das  Gesetz,  betr.  Regelung  der  Fischerei  in  der  Nordsee  vom 
30.  April   1884   (im  ganzen   4    Verurteilte). 

c)  Das  Gesetz,  betr.  Anfertigung  von  Zündhölzern  vom  13.  Mai  1884 
(60   Verurteilte  im  ganzen,    Gipfel  im  Jahre   1888). 

d)  Das  Gesetz,  betr.  Sprengstoffe  vom  9.  Juni  1884,  dessen  schwerere 
Straf bestimmungen  ^Gefährdung  von  Eigentum  oder  Gesundheit  nur  104  mal, 
am  meisten  im  Jahre  1885)  zur  Anwendung  kamen,  während  aus  §  9 
wegen  verbotswidriger  Herstellung,  Einführung,  Besitzes  von  Sprengstoffen 
im  ganzen  940  Personen  verurteilt  worden  sind,  am  meisten  (190)  im 
Jahre    1886,  am  wenigsten   (85)  im  Jahre    1 889  1). 

e)  Gesetz  über  Feingehalt  der  Gold-  und  Silberwaren,  seit  1.  Januar 
1888  in  Kraft,  wirksam  geworden  gegen  66  Verurteilte,  von  denen  aliein 
im  Jahre  1888   49  bestraft  wurden. 

f)  Die  Strafbestimmungen  des  Aktiengesetzes  vom  18.  Juli  1884  (im 
ganzen  19  Verurteilte,  durch  welche  übrigens  zum  Teil  die  Gruppe  Be- 
trug und  Untreue  entlastet  wird. 

g)  Das  Altersversicherungsgesetz,  in  Kraft  seit  1.  Januar  1891,  aufgrund 
dessen  im  Jahre  1891  92  Personen,  im  Jahre  1892  schon  265  bestraft  wurden. 

Dieser  Vermehrung  der  strafgesetzlichen  Unterlagen  steht  nur  das 
Erlöschen  des  Gesetzes  gegen  die  Sozialdemokratie  gegenüber,  dessen 
Geltungszeit  am  1.  Oktober  1890  ablief,  was  ein  Zurückgehen  der  Verur- 
teilungen von  1889  bis  1892  nachfolgenden  Ziffern  bewirkte:  286,  270,  41,  5. 

Vorstehende  Darlegung  ergiebt  deutlich,  dafs  die  neuere  Gesetzgebung 
direkt  nur  einen  sehr  geringen  Einflufs  auf  die  Erhöhung  der  kriminal- 
statistisehen  Zahlen  gehabt  hat.  Dennoch  sind  wir  überzeugt  davon,  dafs 
die  grofsen  und  segensreichen  sozialpolitischen  Neuerungen  des  letzten 
Jahrzehnts  notwendigerweise  auch  die  Kriminalität  gefordert  haben,  indem 
sie  indirekt  Gelegenheit  und  Anlafs  zu  Delikten  gewähren.  Durch  die 
Kranken-,  Unfalls-,  Invaliditäts-,  Altersversicherung  sind  Volkskreise,  die 
in  patriarchalischer  Einfachheit  ihrer  rechtlichen  Beziehungen  lebten,  in 
komplizierte  pekuniäre  Verbindung  mit  Kassen,  Genossenschaften,  Versiche- 
rungsanstalten getreten.  Die  Möglichkeit,  sich  Krankengeld,  Pensionen, 
Renten  zu  erschwindeln,  fehlte  früher,  jetzt  ist  sie  ausgiebig  vorhanden. 
Hinzu  kommt  das  psychologische  Moment,  dafs  viele  Leute,  die  ihrem 
Mitmenschen  gegenüber    das    peinlichste  Rechtsgefühl    beobachten,    wenig 


1)  Das  statistische  Amt  rechnet  §  9  des  Sprengstoffgesetzes  zu  den  Vergehen  gegen 
die  öffentliche  Ordnung,  die  übrigen  Verletzungen  des  Gesetzes  zu  den  Delikten  wider 
das  Vermögen.  Letzteres  erscheint  bei  §  5  Abs.  2  und  3  bedenklich,  wo  ein  Verbrechen 
gegen  die  Person  bedroht  wird. 

38* 


596  Mi  s  zellen. 

skrupulös  sind,  sobald  sie  auf  Kosten  des  Staates,  der  Kommune  oder  an- 
derer wirtschaftlicher  Verbände  etwas  herausschlagen  können.  Man  denke 
nur  an  die  Zolldefraudationen,  deren  sich  Personen  von  sonst  unantast- 
barer Moral  oft  sogar  rühmen,  an  die  Kinderbeförderung  auf  den  Eisen- 
bahnen, an  die  Steuererklärungen,  an  die  Wertsangaben  bei  Brandschäden 
u.  s.  w.  Für  solche  Neigungen  des  Volks  geben  aber  die  sozialpolitischen 
Versicherungseinrichtungen  einen  guten  Nährboden.  Die  geradezu  er- 
schreckende Steigerung  von  Betrug  und  Urkundenfälschung  wird  dadurch 
einigermafsen  erklärt.  Das  Licht,  das  die  neuen  Institutionen  ausstrahlen, 
hat  auch  den  Schatten  vermehrt. 

Wer  den  Ursachen  der  Ausbreitung  der  Kriminalität  nachforschen 
will,  wird  wohl  daran  thun,  an  der  Hand  der  statistischen  Nachweisungen 
(Tabelle  IV)  der  einzelnen  Jahrgänge  zu  prüfen,  innerhalb  welcher  Be- 
rufsarten sich  das  Uebel  am  meisten  entwickelt  hat.  Die  Stastistik 
unterscheidet  Landwirtschaft  —  Industrie  —  Handel  und  Gewerbe  — 
Arbeiter  ohne  bestimmten  Erwerbszweig  —  Dienstboten  für  häusliche 
Zwecke  —  die  s.  g.  freien  Berufsarten,  endlich  Verurteilte  ohne  Berufs- 
angabe. Innerhalb  der  einzelnen  Abteilungen  werden  wieder  sinngemäfs 
selbständige  Leiter,  Gehülfen  und  Angehörige  unterschieden.  Eine  Ver- 
gleichung  der  Jahrgänge  ergiebt  in  der  Zeit  von  1882  bis  1892  eine 
Verminderung  der  Kriminalität  der  häuslichen  Dienstboten  und  der  b.  g. 
freien  Berufsarten.  In  beiden  Kategorieen  macht  sich  allerdings  1892 
eine  erhebliche  Steigerung  gegen  die  Vorjahre  geltend.  Bei  den  in  der 
Landwirtschaft  selbstständig  Thätigen  ist  eine  kaum  merkliche  Vermehrung 
der  Kriminalität,  von  1885  ab  sogar  eine  Besserung  eingetreten.  Auch 
bezüglich  der  in  der  Industrie  selbständig  Thätigen  ist  eine  Verschlimme- 
rung nicht  zu  registrieren.  Dagegen  steigt  die  Zahl  der  verurteilten  selb- 
ständigen Handel-  und  Gewerbetreibenden  von  Jahr  zu  Jahr.  Das  Ver- 
hältnis betrug  im  Jahre  1892  gegen  1882  -f-  36  Proz.,  gegen  1885  noch 
31  Proz.  Was  die  Gehülfen  in  jenen  Berufsarten  anlangt,  so  ist  es  be- 
denklich, vom  Jahre  1882  auszugehen,  weil  damals  offenbar  die  Unter- 
scheidung der  Kategorieen  noch  im  argen  lag,  wie  die  bedeutende  Zahl 
der  verurteilten  Arbeiter  „ohne  Augabe  eines  bestimmten  Erwerbszweiges" 
—  über  67  000  —  erkennen  läfst.  Vergleichen  wir  das  Jahr  1892  mit 
1885,  so  ergiebt  sich  eine  Steigerung  der  Kriminalität  hinsichtlich  der 
Gehülfen  bei  Landwirtschaft  um  6  Proz.,  bei  Industrie  um  36  Proz.,  bei 
Handel  und  und  Gewerbe  um  51  Proz.,  ohne  Berücksichtigung  der  „An- 
gehörigen" (von  denen  man  nicht  weifs,  ob  sie  dem  Leiter  oder  dem  Ge- 
hülfen anzurechnen  sind).  Wenn  nun  auch  das  Wachsen  der  Kriminalität 
bei  Industrie  und  Handel  gewifs  mit  der  gröfseren  Ausbreitung  dieser 
Berufsarten  zusammenhängt,  und  die  Zahl  der  ländlichen  Arbeiter  sich 
etwas  vermindert  haben  mag,  die  statistische  Vergleichbarkeit  der  Kate- 
gorieen mit  einander  also  bedenklich  erscheint,  so  führt  unsere  Be- 
trachtung doch  zu  dem  Ergebnisse,  dafs  bei  der  Steigerung  der  Krimina- 
lität innerhalb  der  einzelnen  Abteilungen  die  Landwirtschaft  nur  wenig 
beteiligt  ist,  während  die  Handeltreibenden  und  ihre  Gehülfen  sowie  in 
der  Hauptsache  die  Arbeiter  für  industrielle  Zwecke  die  Zahl  der  Be- 
straften vermehren  halfen.    Klar  geht  dies  aus  folgender  Uebersicht  hervor : 


M  i  s  z  el  1  e  d. 


597 


Jahr 


Verurteilte 
Personen 


Davon  gehörten  an 


der  Landwirtschaft 
Zahl  Prozent 


der  Industrie 
Zahl  Prozent 


dem   Handel  und 
Gewerbe 


Zahl 


Prozent 


1885 
1892 


343  087 
422327 


107  938 

112  I24 


31,4 
26,5 


133  843 
174  003 


39.33 
39, 36 


37068 

51885 


10,8 

12,3 


Von  Bedeutung  für  unsere  Untersuchung  wird  ferner  die  Frage  sein, 
ob  die  Zunahme  der  Kriminalität  in  den  11  Jahren  sich  in  den  einzelnen 
Gebieten  gleichmäfsig  vollzogen  hat  oder  nicht.  Die  für  die  28  Ober- 
landesgerichtsbezirke des  Reichs  berechneten  Zahlen  lassen  von  1882  bis 
1892  mit  alleiniger  Ausnahme  des  Bezirks  Kassel,  welcher  1892  um 
17  Proz.  besser  steht  als  1882,  eine  Steigerung  erkennen,  dieselbe  ist 
aber  von  der  seltsamsten  Uugleichmäfsigkeit.  Im  Bezirk  Hamburg  hat 
sich  die  Zahl  der  Verurteilten  um  111  Proz.  vermehrt,  dann  folgen  Kiel 
mit  62  Proz.,  Zweibrücken  (bayrische  Pfalz)  mit  57  Proz.,  Köln  mit 
51  Proz.,  Rostock  mit  50  Proz.,  Naumburg  mit  49  Proz.,  Darmstadt  mit 
48  Proz.,  Berlin  mit  45  Proz.,  Braunschweig  und  Hamm  mit  je  44  Proz., 
Stettin  und  Breslau  mit  je  31  Proz.  Die  übrigen  Bezirke  halten  sich 
unter  dem  für  das  ganze  Reich  berechneten  Durchschnitte  von  fast  28  Proz. 
und  es  folgen  mit  einer  Vermehrung  von  26  Proz.  Augsburg  und  München, 
mit  22  Proz.  Frankfurt  a.  M.,  mit  21  Proz.  Bamberg  und  Jena,  mit  20 
Proz.  Celle  und  Karlsruhe;  —  Marienwerder  mit  19  Proz.,  Oldenburg 
mit  8  Proz.,  Stuttgart  und  Dresden  mit  6  Proz.,  Posen  mit  4  Proz., 
Königsberg  mit  3  Proz.,  Colmar  mit  2  Proz.  und  endlich  der  schon  ge- 
nannte Bezirk  Kassel  mit  der  grofsen  Verminderung  seiner  Kriminalität. 
Aus  dieser  Zusammenstellung  ergiebt  sich  folgendes :  Die  kriminell  schwer 
belasteten  Bezirke  des  Ostens,  welche  immer  noch  die  höchsten  Kriminali- 
tätsziffern aufweisen,  haben  die  aufsteigende  Berechnung  nicht  mitgemacht. 
In  den  Provinzen  Ostpreufsen  und  Posen  ist  die  Vermehrung  der  Verurteilten 
weit  hinter  der  natürlichen  Zunahme  der  Bevölkerung  zurückgeblieben. 
Welche  Steigerung  der  Kriminalität  dagegen  in  den  Hansestädten ,  am 
Rhein,  in  Westfalen,    aber  auch    in  Schleswig-Holstein  (Nord-Ostseekanal). 

Sollte  nicht  hier  wie  in  Brandenburg  und  Schlesien  das  Emporblühen 
von  Handel  und  Industrie  die  Steigerung  der  Kriminalität  beeinflussen? 
Das  wenig  industrielle  Mecklenburg  mit  seiner  auffallenden  Vermehrung 
der  Verurteilten  und  das  Königreich  Sachsen  mit  seiner  bei  grofsem  Ge- 
werbefleifs  niedrigen  Kriminalitätsziffer  bilden  allerdings  Ausnahmen  von 
der  Regel.  Die  Steigerung  der  Kriminalfälle  in  der  preufsischen  Provinz 
Sachsen  (Bezirk  Naumburg)  kann  übrigens  mit  der  in  den  letzten  Jahren 
beobachteten  Invasion  ostdeutscher  und  polnischer  Arbeiter  (Sachsen- 
gänger) im  Zusammenhange  stehen  und  würde  dann  den  Osten  entlastet  haben. 

II.  Die  einzelnen  Deliktsgruppen. 

1)    Verbrechen    und    Vergehen    gegen    Staat,    öffentliche 
Ordnung  und  Religion. 

Die  Verurteilungen  in  dieser  Gruppe  sind  in  den  11  von  unserem 
Bericht  umfafsten  Jahren    von  51623  auf  66392,  also  um  28,6  Proz.  — 


598  Mis  zellen. 

etwas  mehr  als  die  Gesamtsteigerung  —  angewachsen.  Etwa  36  Proz. 
aller  Bestrafungen  erfolgen  aus  §  140  des  Strafgesetzbuches  wegen  Ver- 
letzung der  Wehrpflicht  durch  Auswanderung.  Für  unsere  Untersuchungen 
hat  dies  Delikt  nur  die  Bedeutung,  dafs  es  durch  seine  grofsen  Zahlen 
stört.  Denn  die  in  Abwesenheit  verurteilten  Auswanderer,  welche  vielleicht 
gar  nicht  mehr  leben  und  schwerlich  wiederkehren,  das  Delikt  auch  zu 
unbekannter  Zeit  begangen  haben,  können  nicht  interessieren,  nicht  ein- 
mal in  der  Geschäftsstatistik  der  Gerichte,  welche  oft  durch  ein  Urteil 
Hunderte  solcher  Personen  mit  mäfsigen   Geldstrafen   belegen  1). 

Um  weniges  geringer  sind  die  Zahlen  des  Hausfriedensbruchs, 
die  von  13  826  (im  Jahre  1882)  auf  17  725  (1892),  also  auch  um  28  Proz.  in 
die  Höhe  gegangen  sind.  Ein  Interesse  hat  dies  Delikt  als  Gradmesser 
für  die  Chikane.  Etwa  die  Hälfte  aller  Verurteilten  kommt  mit  Geld- 
strafe davon,  die  in  den  seltensten  Fällen  30  M.  überschreitet.  Auch  die 
etwa  eintretende  Freiheitsstrafe  ist  meist  äufserst  gering,  natürlich  abge- 
sehen von  den  Fällen  des  qualifizierten  Hausfriedensbruches  (§  123  Abs.  3 
Strafgesetzbuch),  deren  besondere  Zählung  leider  nicht  erfolgt. 

Der  Widerstand  gegen  Beamte  und  Jagdberechtigte  und  mit  dem 
Forstschutz  Betraute  ist  von  11948  auf  13  985  gestiegen,  also  nur  um 
17  Proz.  Im  Jahre  1882  nahm  dies  Delikt  23  Proz.  der  ganzen  Gruppe  in 
Beschlag,  1892  nur  noch  21  Proz.  Die  im  Jahre  1888  eingetretene  schein- 
bare Besserung  hat  nicht  angehalten  2).  Das  Delikt  wird  übrigens 
meist    mit    milden   Gefängnisstrafen,   vielfach  sogar  mit  Geldstrafe  gesühnt. 

Die  Vergehen  gegen  die  Gewerbeordnung,  zum  Teil  oben 
bereits  abgehandelt,  haben  sich  sehr  vermehrt.  Die  Zuwiderhandlungen 
gegen  §  147  (Konzessionspflicht)  sind  in  den  11  Jahren  von  3816  auf 
5550,  also  um  45  Proz.  gestiegen.  Da  es  sich  zumeist  um  unbefugten 
Branntweinausschank  handelt,  ist  das  an  sich  nur  mit  Geldstrafe  be- 
drohte Delikt  insofern   wichtig,    als  es    auf  Zunahmeder  Völlerei  hinweist. 

Die  Zahlen  der  vier  erwähnten  Deliktskategorien  machen  93  Proz. 
der  ganzen  Gruppe  aus.  Was  übrig  bleibt,  sind  Verbrechen  und  Ver- 
gehen mit  kleinen  Zahlen.  Eigentümlich  ist  die  Verminderung  des  Arrest- 
bruchs, der  von  1882  (2483  Verurteilte)  bis  1892  (1978)  um  20  Proz. 
zurückgegangen  ist'  und   1891    (1726)  sogar  erheblich  besser  stand. 

Auch  Meineid  (von  1011  auf  771  gesunken)  zeigt  eine  entschieden 
günstige  Tendenz  während  der  fahrlässige  Falscheid  schwankt  und 
seit  1886  sich  langsam  vermehrt.  Den  geringsten  Stand  hat  das  Jahr  1883 
mit  313   Verurteilten,  den  höchsten    1891    mit  526*).     Jedenfalls    ist    die 


1)  Nur  in  Bayern  überwiegen  Freiheitsstrafen. 

2)  Unsere  bei  der  Besprechung  des  Jahrgangs  1888  (Jahrb.  Dritte  Folge  Bd.  I, 
S.  261)  aufgestellte  Ansicht,  dafs  die  preufsische  Amnestie  des  Jahres  1888  die  Zahlen 
beeinflufst  habe,  die  vom  Stat.  Amt  in  der  Krim. -St.  v.  1889  (II  6)  als  nicht  erwiesen 
erachtet  wurde,  wird  jetzt  (Kr.-St.  v.  1891  II  13)  als  durch  die  späteren  Ergebnisse 
„immerhin  mehr  wahrscheinlich  gemacht"   bezeichnet. 

3)  Der  diesseits  Bd.  I,  S.  210  besprochenen  Erscheinung,  dafs  die  Schwurgerichte 
sehr  geneigt  seien,  in  Meineidsprozessen  nur  fahrlässigen  Falscheid  anzunehmen,  hat  das 
Kais.  Stat.  Amt  seine  Aufmerksamkeit  geschenkt  und  unserem  Vorschlage  gemäfs  aus 
den  Aktenzeichen  festgestellt,  dafs  von  den  in  Preufsen  im  Jahre  1889  wegen  fahr- 
lässigen Falscheides  verurteilten    320  Personen   123    durch    das  Schwurgericht    abgeurteilt 


Miszellen.  599 

allgemeine  Klage  über  die  Zunahme  der  Verletzungen  der  Eidespflicht  nach 
den  Ergebnissen  der  Statistik  nicht  begründet.  Auch  die  unternommene 
Verleitung  zum  Meineide  (1892:  263  Verurteilte)  ist  gegen  1882 
(204),  noch  mehr  gegen  1886  (186  Verurteilte)  angewachsen,  zeigt  indes 
seit    1890   (297    Verurteilte)  rückläufige  Bewegung. 

Das  in  seinen  Zielen  dem  Meineide  nahestehende  Vergehen  der 
wissentlich  falschen  Anschuldigung  ist  von  1882  bis  1887  ziem- 
lich auf  demselben  Standpunkte  (etwa  übers  500  Verurteilte)  geblieben,  1888 
und  1889  gewachsen,  hat  sich  aber  in  den  letzten  Jahren  nicht  vermehrt 
(1892:  553  Verurteilte).  Ganz  eigentümlich  ist  die  Verteilung  dieses 
perfiden  Delikts  auf  die  einzelnen  Gegenden.  Von  554  im  Jahre  1891 
wegen  wissentlich  falscher  Anschuldigung  Verurteilten  entfallen  121  auf  die 
Provinz  Schlesien  (davon  72  auf  den  Regierungsbezirk  Oppeln !),  dann 
folgt  Ostpreufsen  mit  nur  57,  Brandenburg  mit  52,  Provinz  Sachsen  mit 
32,  Westpreufsen  und  Posen  mit  nur  je  27  Verurteilten,  alle  übrigen 
Bezirke  haben  kleine  Zahlen,  in  einzelnen  glücklichen  Gegenden  (Olden- 
burg,  Mecklenburg)   ist  das   Delikt  eine  Seltenheit. 

Die  Zahl  der  Majestätsbeleidigungen  sinkt  von  1882  bis  1885, 
steigt  dann  bis  1888.  In  diesem  für  das  Kaiserhaus  so  traurigen  Jahre 
wird  der  Höhepunkt  (552  Verurteilte)  erreicht. 

Bei  Münzverbreehen  ist  bis  1890  eine  entschiedene  Besserung  zu 
verzeichnen;  erst  1891  und  1892  wachsen  die  Zahlen  und  stehen  jetzt 
mit  157  Verurteilten  dem  Ergebnisse  des  Ausgangsjahres  1882  ungefähr 
gleich.  Die  kleinen  absoluten  Zahlen  der  Münzvergehen  schwanken,  eine 
Verschlimmerung  ist  nicht  festzustellen. 

Das  Delikt  der  Befreiung  von  Gefangenen,  dessen  typische  Form 
die  Vereitelung  einer  begonnenen  Verhaftung  ist,  hat  sich  ohne  bedeutende 
Schwankungen  erheblich  vermehrt.  (1892:  1086  Verurteilte,  1882  nur 
650.)     Die  Bezirke  Berlin,   Köln   und  Breslau  stehen  weit  voran. 

Kein  Delikt  schwankt  so,  wie  die  Teilnahme  an  verbotenen 
Verbindungen  (§§  128,  129  Strafgesetzb.).  Im  Jahre  1883  fällt  es  ganz 
aus,  1888  werden  108  Verurteilte  gezählt  (Bezirk  Dresden  26,  Marien- 
werder 21),  seitdem  kommen  nur  spärliche  Verurteilungen  vor. 

Bei  Aufruhr  und  Auflauf  (mit  unbedeutenden  Zahlen)  liegt  der 
Höhepunkt  in  dem  Jahre   1890. 

Vergehen,  welche  sich  auf  die  Religion  beziehen,  sind 
nicht  gerade  häufig  und  schwanken  innerhalb  der  einzelnen  Jahrgänge. 
Am  besten  steht  1885  mit  250  Verurteilten,  am  schlechtesten  1891  mit  372. 


worden  sind.  Da  nun  diese  Personen  nicht  vor  das  Schwurgericht  gestellt  worden 
wären,  wenn  die  Voruntersuchung  nicht  nach  richterlicher  Ansicht  den  dringenden  Ver- 
dacht des  wissentlichen  Meineides  ergeben  hätte,  so  läfst  sich  annehmen,  dafs  bei 
einer  anderen  Prozefsform  ein  grofser  Teil  dieser  123  Personen  wegen  wissentlichen 
Meineides  bestraft  worden  wäre.  Dies  war  freilich  in  früheren  Jahren  der  Statistik  nicht 
anders.  Ob  nicht  aber  die  Abneigung.  Meineidssachen  vor  das  Schwurgericht  zu  bringen 
aus  den   gemachten  Erfahrungen  resultieren  und  mehr  um  sich  greifen  mag  ? 

(Schlufs  folgt.) 


600 


Miszellen. 


XII. 
Englands  Außenhandel  im  Jahre   1893 1). 

Von  M.  Diezmann. 

Der  englische  Aufsenhandel  hat  im  Jahre  1893  die  sinkende  Be- 
wegung fortgesetzt,  welche  für  die  Ausfuhr  im  Jahre  1890,  für  die  Ein- 
fuhr 1891  begonnen  hatte.  Auf  die  verschiedenen  Handelsgebiete  verteilte 
sich  der  Verkehr  in  folgender  Weise : 

Werte  in  Tausenden  £ 


Einfuhr: 


„  Englische       Verein. 

^       Besitzungen     Staaten 


Andere 
Länder       lm   SaDZen 


Waren 

Edelmetalle 

Durchfuhr 


Ausfuhr: 
Waren,  englische 

,,       fremde  und  koloniale 
Edelmetalle 
Durchfuhr 


Einfuhrüberschuß 
Ausfuhrüberschuß 
Warenausfuhr  in  Proz.  d.  Einfuhr 
Desgl.  einschl.  Edelmetalle 


179406 

6978 
7981 

91 76g2)  1  91 784 
10595   II 500 

I 154  1   725 

41 729 

7675 
1686 

404  688 

36  748 
11  546 

194365 

103  518  1  104009 

51090 

452982 

77  573 
37  791 
10004 

1993 


127  361 
57004 

64,30 
67,27 


72015  1 

23957 

44550 

218  095 

6586 

II 758 

2  9O8 

59  043 

II 803 

5920 

5  365 

33  092 

2579 

5254 

I  72O 

II  546 

92983 

10535 

85,65 

88,32 


46889     I   54543 


57  120 

38.91 
40.31 


3  453 
113,73 
106,92 


321776 
131  206 

68,48 

70,28 


Im  Vergleich  mit  den  Vorjahren  hat  die  Waren  einfuhr  um  18  106  000  ü£ 
abgenommen,  hauptsächlich,  um  16  402  000  j£,  die  aus  den  Vereinigten 
Staaten  und,  um  5  997  000  £,  die  aus  den  englischen  Besitzungen,  während 
die  aus  Europa  um  4  327  000  £  zugenommen  und  die  aus  anderen  Ländern 
nur  um  wenig  mhr  als   1   Mill.  £  abgenommen  hat. 

Die  von  der  Abnahme  betroffeneu  Artikel  waren  hauptsächlich  folgende: 


Getreide  etc. 

Vieh 

Baumwolle 


1893 


55  797 

6770 

30685 


Tausende  £ 


1892 

63  955 

9819 

37  888 


1)  Ueber    die    Vorjahre    sind    Mitteilungen    gegeben    in    den  Jahrb.   3.    F.    Bd.    III, 
S.  423,  Bd.   V,   S.  444  und  Bd.   VII,  S.   294. 

2)  Außerdem  Diamanten  vom  Kap  für  3  669  584  £. 


Miszellen. 


601 


Bei  dem  „Getreide  und  anderen  mehligen  Nahrungsstoffen" 
ist  die  Wertabnahme  in  der  Hauptsache  durch  Preissenkungen  veranlafst, 
denn  bei  den  Preisen  des  Vorjahres  würden  Getreide  und  Mehl  an- 
statt einer  Abnahme  von  7  553  000  £  nur  eine  solche  von  265  000  £ 
ergeben  haben ;  Reis  hat  allerdings  auch  eine  verhältnismäfsig  nicht  un- 
bedeutende Mengenabnahme  erfahren,  dieselbe  trifft  jedoch  fast  ausschliefs- 
lich  den  Zwischenhandel. 

Die  Abnahme  der  Vi  eh  einfuhr  wird  nur  zum  kleinen  Teil  dadurch 
ausgeglichen,  dafs  die  Einfuhr  von  Nahrungsmitteln  tierischen  Urprungs 
von  50  873  000  £  auf  52  302  000  £,  den  höchsten  je  erreichten  Betrag, 
gestiegen  ist;  in  der  Hauptsache  ist  sie  durch  verminderte  Zufuhr  von 
Rindvieh  aus  den   Vereinigten   Staaten   veranlafst. 

Die  Einfuhr  von  Baumwolle  und  der  durch  Abzug  der  Wieder- 
ausfuhr sich  ergebende  Verbleib  im  Inland  war  1893  kleiner,  als  in  irgend 
einem  Jahre  .seit  1880,  allerdings  nur  um  einen  geringen  Betrag  kleiner, 
als  in   dem   so  ungünstigen  Jahre    1885. 

Verhältnismäfsig  beträchtlich  stärker  als  die  Einfuhr  von  Waren  hat 
deren  Ausfuhr  abgenommen,  im  ganzen  um  14  502  000  £,  wovon  jedoch 
nur  8  982  000  £  auf  die  englischen  Waren  fallen.  Der  Absatz  der 
letzteren  hat  verhältnismäfsig  am  stärksten  gelitten  in  den  Vereinigten 
Staaten,  am  wenigsten  in  Europa.  Die  Ausfuhr  der  wichtigsten  Waren 
stellte  sich  wie  folgt  (in  Tausenden  £) : 


Garne  und  Zwirne  *) 

Textilfabrikate 

Gegenstände  der  Metallindustrie 

Maschinen  und  Instrumente 

Eisenbahnfahrzeuge 

Brennstoffe 

Chemische  Fabrikate 

Anderes 


1890 

1891 

1892 

1893 

22  677 

21  545 

19  646 

19  966 

9987I 

94  503 

89  725 

84887 

43  182 

37227 

31  180 

29403 

19  466 

18526 

16  354 

16  250 

3030 

1  774 

827 

919 

19  020 

18895 

16811 

H375 

II  096 

11  232 

10456 

IO  126 

45  189 

43  533 

42  078 

42079 

263531 

247235 

227  077 

218  095 

Von  den  Garnen  etc.  entfielen  auf: 


1890 

1891 
Tausende 

1892 
£ 

1893 

Baumwollene  Garne 

12  341 

II  177 

9  693 

9056 

Baumwollene  Nähzwirne 

2991 

3  254 

2868 

3005 

Wollene  Garne 

5  261 

5046 

5  277 

5  931 

Andere 

2084 

2  068 

1  808 

1  974 

22677      21545      19646      19966 

Der  andauernde  Rückgang  der  Ausfuhr  baumwollener  Garne  ist 
durchaus  nicht  blofs  durch  Preissenkung  veranlafst,  denn  den  Mengen  nach 
gingen  aus : 

Tausende  engl.  Pfd. 
258  291     245  259     233  322       206  546 


1)  Gegen  die  in  Bd.  VII,  S.  296  angegebenen  Zahlen  sind  die  obigen  durch  Mitberück- 
sichtigung der  Jutegarne  etwas  berichtigt;  der  Betrag  für  1889  stellt  sich  auf  22  059  000  £ 
anstatt  21  649  000  £. 


602  Miszellen. 

Der  Verlust  des  letzten  Jahres  trifft  zahlreiche  Länder,  besonders  aber 
die  Türkei  und  Japan. 

Von  den  Textilfabrikaten  fielen  auf: 


1890 

1891            1892 
Tausende  £ 

1893 

Baumwollene   Web-  und  Wirkwaren 

59  099 

56  976        53  398 

51694 

Wollene 

20418 

18447        17  907 

16  404 

Anderes 

20  354 

19080        18420 

16789 

99871  94503  89725  84887 

Ueber  die   Hälfte  der  Abnahme  fällt  auf  die   nicht  gefärbten  und  be- 
druckten  Baumwollstoffe,  deren   Ausfuhr  den   Werten  nach  betrug : 

Tausende  £ 
34  327       33OI4       29597        26979 
den   Mengen   nach  aber 


1890 

1891 
in  Tausen 

1892 
den  Yards 

1893 

3  58l  715 

3  433  424 

3  329037 

3  043  206 

Davon   nach 

Ostindien 
China 

1807353 
503881 

1  627  186 
462  829 

I  625  836 
426  136 

1  593  189 
309  163 

An    M  e  tal  1  art 

kein   aller 

Art  gingen 

aus: 

1890 

1891 
Tau 

1892 
sende  £ 

1893 

Eisen 
Anderes 

34  330 
8852 

29  405 

7  822 

23960 

7  220 

22639 
6  404 

43  182  37  227  31  180  29043 

Der  Rückgang  des  Ausfuhrwertes  der  Brennstoffe  ist  in  der 
Hauptsache   durch  Preisrückgang  veranlafst. 

Die  Wiederausfuhr  fremder  und  kolonialer  Waren  hat  nach 
allen  Handelsgebieten  mit  Ausnahme  der  englischen  Besitzungen  eine  Ab- 
nahme erfahren,  im  ganzen  um  5  520  000  £.  Der  Hauptteil  davon  fällt 
auf  Schafwolle,  deren  Wiederausfuhr  nach  Deutschland,  den  Vereinigten 
Staaten   etc.  ansehnlich  abgenommen  hat,  im  ganzen   um   3  508  000  £, 

Von  der  Gesamtabuahme  der  Wareneinfuhr  entfallen  nicht  weniger 
als  rund  86  %,  von  der  der  Ausfuhr  englischer  Waren  immerhin  rund 
29  %  auf  die  Vereinigten  Staaten.  Dagegen  stellt  sich  nach  beiden  Ver- 
kehrsrichtungen der  Anteil  Europas  höher  als  im  Vorjahre.  Der  pro- 
zentuale Anteil  der  einzelnen  Handelsgebiete  an  der  englischen  Einfuhr 
war  nämlich  folgender: 

Europa     Engl.   Besitzungen      Verein.  Staaten     Andere  Länder 

1891  42,96        22,84 

1892  41,30        23,08 

1893  44,33        22,68 

Für     die    Ausfuhr    englischer    Waren 
folgendermafsen : 

Europa  Engl.   Besitzungen     "\ 

1891  34,65        34.77 

1892  34,75        32,87 

1893  35,57      33,02 


23,98 

IO,22 

25,53 

IO,09 

22,68 

IO,31 

stellten 

sich 

die    Verhältnisse 

ärein.  Staaten 

Andere  Länder 

11,14 

19,44 

11,69 

20,7  0 

IO,  9  8 

20,43 

Mi  s  zellen.  603 


XIII. 
Die  Preise  von  Waren  und  Barrensilber  in  Hamburg. 

Von  A.   B  a  y  e  r  d  ö  r  f  f  e  r. 

Nach  der  grofsen  Veränderung,  welcher  der  Silberpreis  im  Jahre  1893 
unterworfen  war,  ist  es  vielleicht  von  Interesse,  einen  Blick  auf  die  Ent- 
wicklung dieses  Preises  zu  werfen  und  damit  die  Bewegungen  der  Waren- 
preise zu  vergleichen,  weil  man  schon  den  Versuch  gemacht  hat,  den 
Gang  der  Notierungen  für  Silber  und  Waren  in  Zusammenhang  zu  bringen. 
Diese  Versuche  haben  aber  ergeben,  dafs  die  Bewegungen  beider  Preise 
nicht  genau  zusammenfallen ;  jedoch  können  Folgerungen  aus  solchen 
Untersuchungen  erst  dann  mehr  und  mehr  gezogen  werden,  wenn  eine 
breitere  Grundlage  gewonnen  ist,  und  einen  weiteren  Beitrag  dafür  zu 
liefern,  ist  der  Zweck  unserer  Tabelle. 

Wir  haben  seit  d.  J.  1876  die  Hamburger  Warenpreise  nach  der  auf 
Veranlassung  der  Handelskammer  herausgegebenen  Preisliste  in  der  Weise 
berechnet,  dafs  wir  aus  12  Notierungen  vom  Anfang  jeden  Monats  den 
Jahresdurchschnitt  zogen.  Aus  diesem  eine  grofse  Zahl  von  Waren  um- 
fassenden Verzeichnis  haben  wir  24  der  wichtigsten  ausgewählt  und  für 
die  Jahre  1876 — 1893  die  Jahresdurchschnittspreise  zusammengestellt.  In 
gleicher  Weise  ist  auch  der  Preis  von  Barrensilber  aus  den  Hamburger 
Notierungen  berechnet  worden;  allerdings  wird  dieser  in  der  Hauptsache 
mit  dem  Londoner  Preise  übereinstimmen1);  aber  eine  Aufstellung  der 
Hamburger  Notierungen  in  deutscher  Währung  pr.  Kilogramm  dürfte  des- 
halb noch  nicht  überflüssig  sein,  weil  sie  jedenfalls  für  manchen  von  uns 
in  Deutschland  ein  klareres  Bild  gewährt,  als  die  Londoner  Notierungen 
in  Pence   pr.  Unze. 

Auch  unsere  Tabelle  zeigt  bei  den  meisten  Waren  ein  Fallen  der 
Preise,  wie  ein  solches  schon  auf  Grund  mancher  anderer  Untersuchungen 
dargelegt  worden  ist.  Dieses  Sinken  geht  aber  nicht  in  gleichmäfsiger 
Weise  vor  sich.  Ueberblicken  wir  die  Verhältniszahlen,  so  sehen  wir, 
dafs  die  Preise  bei  einigen  Waren  nur  mit  kleinen  Unterbrechungen  fast 
ununterbrochen  herabgehen,  dafs  bei  anderen  das  Sinken  unter  ziemlich 
heftigen  Schwankungen  stattfindet,  dafs  ferner  gewisse  Waren  mehr  fallen 
als    andere,    und  dafs  endlich  eine  Anzahl  sogar  gestiegen  ist.  —   Wollen 


1)  Die    Preisbewegung    in  London    finden    wir  in  diesen  Jahrbüchern  Bd.  62,  1894, 
S.   133. 


604 


Mi  s  z  e  1 1  e  n. 


Roheisen, 

schottisch 

No.   1. 

100  kgl  Verh. 
M.        Zahl 


2. 

Stahl, 

deutscher 

oo  XV«  DZ. 

p.  Kistl  Verh.- 
M.       Zahl 


Tabelle  I. 


3. 

Blei, 

deutsches, 

in  Mulden 

lOOkgiVerh.- 
M.         Zahl 


Kupfer- 
blech, 
englisches 

lOOkgl  Verh.- 
M.        Zahl 


5. 

Zink, 

schlesisches, 

in  Platten 

100  kgi  Verh.- 
M.         Zahl 


6. 

Zinn, 

Banca,  in 

Blöcken 

100  kgl  Verh.- 
M.         Zahl 


1876—79 
(Durchsihn. 
1880 
1881 
1882 
1883 
1884 
1885 
1886 
1887 
1888 
1889 
1890 
1891 
1892 
1893 


7,52 

=  IOO 

20,19 

=  IOO 

39,7i 

7,46 

99 

21,08 

104 

34,58 

6,52 

«7 

l8,08 

90 

30,60 

7,26 

97 

19,67 

97 

29,84 

7-05 

94 

19,32 

96 

27,32 

6,59 

88 

18,22 

90 

23,92 

6,18 

82 

17,27 

«5 

24,98 

5,57 

74 

l6,~ 

79 

28.74 

5,9* 

79 

14,58 

72 

27,34 

5,70 

76 

I5-- 

74 

30,06 

6,5t2 

«7 

15  — 

74 

29,70 

7,89 

105 

15  — 

74 

30,88 

7,21 

96 

15- 

74 

29  — 

6,26 

«3 

— 

— 

24,93 

6,22 

«3 

— 

— 

23,63 

168,75 

159  — 
157, — 
170,74 

160,34 
148,6s 
122,34 
110,66 

112,50 
188,50 
132  ,- 
H7,— 
I40,— 
127, — 

I25- 


94 

93 

101 

95 
88 

73 
66 
67 
112 
78 
87 
83 
75 
74 


40,85 
39,- 

32>45 

35  — 
31.87 
30,18 
28,50 
29,52 
31,10 
39,40 
40,30 
50,70 
49,70 
46,20 
38,70 


96 

80 

86 

78 

74 

70 

72 

76 

97 

99 

124 

122 

"3 

95 


158,- 
189,17 

200,4  0 
227,50 
209,92 
185,50 
I92,33 
2l8,— 
236,75 
264,— 
205,— 
2IO,— 

199  — 
I98,— 

197  — 


IOO 

120 
127 
I44 
132 

"7 
122 

138 
149 
167 
130 

133 
126 

125 

I25 


13. 

14. 

15. 

16. 

17. 

18. 

Mandeln, 

Pfeffer, 

Reis, 

Rosinen, 

Schinken, 

Hamburger. 

geräuchert 

Schmalz, 

süfse, 

Avola 

Singapore 

Rangoon 

Kieme 

Hamburger 

100  kg 

Verh.- 

100  kg 

Verh.- 

100  kgi  Verh.- 

100  kgi  Verh.- 

100  kgl  Verh.- 

100  kgl  Verh.- 

M. 

Zahl 

M. 

Zahl 

M.     1   Zahl 

M.     |   Zahl 

M.     |  Zahl 

M.     1   Zahl 

1876—79 

1 

(Durchschü.) 

180, — 

=  IOO 

74,- 

=  IOO 

20, — 

=  IOO 

43  — 

=  IOO 

194  — 

=  IOO 

HO,— 

■=  IOO 

1880 

202,— 

112 

88,- 

119 

20,— 

IOO 

49  — 

114 

184,— 

95 

97,- 

88 

1881 

I8l,— 

IOO 

108,— 

I46 

18  — 

90 

56.- 

130 

184  — 

95 

126  — 

115 

1882 

149  — 

83 

109,— 

H7 

16  — 

80 

53,— 

123 

184  — 

95 

127,- 

115 

1883 

169,— 

94 

129, — 

x74 

17,- 

85 

42,— 

98 

182,— 

94 

119,— 

108 

1884 

164, — 

91 

143,- 

193 

17  — 

85 

32  — 

74 

181,— 

93 

107,— 

97 

1885 

159,- 

88 

149  — 

201 

'5,- 

75 

51  — 

119 

169,— 

87 

99,- 

90 

1886 

153>— 

85 

147  — 

199 

14- 

70 

46,- 

107 

175  - 

90 

86,- 

78 

1887 

149.— 

83 

153  — 

207 

14,— 

70 

30- 

70 

165,- 

85 

85,- 

77 

1888 

147  — 

82 

148,— 

200 

14  — 

70 

28.— 

65 

161  — 

83 

99,— 

90 

1889 

166,— 

92 

134,- 

181 

15- 

75 

26  — 

60 

176, — 

9i 

114,- 

104 

1890 

185- 

!03 

105,- 

142 

15  — 

75 

41,— 

95 

186  — 

96 

109, — 

99 

1891 

206,— 

114 

80  — 

108 

16- 

80 

48,- 

IT2 

'77  — 

9i 

94  — 

85 

1892 

154  — 

86 

61,— 

82 

16  — 

80 

39  — 

91 

171  — 

88 

103,— 

94 

1893 

I46  — 

81 

58- 

78 

13  — 

65 

34  — 

79 

I85,- 

95 

128,- 

116 

wir  nun  mit  diesen  Bewegungen  die  Veränderungen  des  Silberpreises  ver- 
gleichen, so  ergiebt  sich,  dafs,  während  der  gröfsere  Teil  der  Preissenkung 
bei  den  meisten  Waren  auf  die  erste  Periode,  etwa  bis  zum  Jahre  1885, 
entfällt,  der  Silberpreis  bis  zu  diesem  Jahre  nur  wie  100  :  92  gefallen 
war,    in  der  Periode   1885 — 1894  aber  in  viel  grö'fserem  Mafse  sank,    als 


M  i  s  7.  e  1  1  e  h. 


605 


7. 

8. 

9. 

10. 

11. 

12. 

Wolle, 

Butter, 

Baumwolle, 

Hanf, 

Cap   Snow 

Kaffee, 

Korinthen, 

Holsteiner 

Middline 

Manila 

white   mittel 

Santo 

i,  ord. 

Zante 

Bauer-B. 
100  kgj  Verh- 

100  kg 

Verh.- 

100  kg 

Verh. 

lOOkgl  Verh.- 

100  kg 

Verh.- 

100kg 

Verh.- 

Bf. 

Zahl 

M. 

Zahl 

M.     |    Zahl 

M. 

Zahl 

M. 

Zahl 

M      1    Zahl 

1876  —  79 
(Durchsehn.) 

I23,— 

=  IOO 

68,27 

=  IOO 

34°.- 

=  IOO 

123,32 

=  IOO 

43-öo 

IOO 

205.  - 

=  IOO 

1880 

J33-- 

108 

72,60 

107 

3/0-  — 

109 

H3,30 

92 

46.- 

106  214,— 

104 

1881 

122.— 

99 

96.10 

141 

341 — 

IOO 

90.90 

74 

44,- 

101  214,— 

104 

1882 

129,— 

105 

105,70 

154 

335 - 

99 

71.30 

58 

41,20 

94 

205,- 

IOO 

188:; 

IO9,— 

89 

HO, — 

162 

33i.— 

97 

74.80 

60 

44-30 

101 

206,— 

IOO 

1884 

II4,- 

93 

102,70 

150 

320  — 

94 

80,90 

66 

38,00 

88 

200,— 

98 

1885 

I  II,— 

90 

87- 

128 

292, — 

86 

69,50 

56 

35,80 

82 

174,- 

85 

1886 

98,- 

80 

76,50 

112 

265.— 

78 

74,30 

60 

46,30 

106 

I6l.— 

79 

1887 

I05  — 

85 

73.30 

107 

292, — 

86 

142.60 

"5 

39,40 

90 

— 

— 

1888 

IO7,— 

87 

88  — 

129 

290. — 

85 

1 18.60 

96 

42,80 

98 

— 

— 

1889 

112.— 

9i 

124,— 

182 

3J3r 

92 

142,80 

"5 

31,25 

72 

194  — 

95 

1890 

"5- 

94 

92.— 

135 

319,- 

94 

157.50 

128 

37,- 

85 

172  — 

84 

1891 

91.- 

74 

99  — 

H5 

290,- 

85 

148.20 

120 

42,20 

97 

183- 

89 

1892 

79- 

64 

— 

— 

268- 

79 

i35-3o 

1 10 

36-- 

83 

l86,  - 

9i 

1893 

89,- 

72 

— 

— 

287,- 

84 

146,50 

119 

17,- 

85 

172,— 

84 

19 

20. 

21. 

22. 

23. 

24. 

Sprit, 

Leder, 

Petroleum, 

Soda, 

roh,  Kartoffel- 

Talg, 

Chlorkalk 

deutsch.  Sohl- 

raff.  Stand. 

calciniert, 

100  Ltr. 
ä  lOOO/o 

Verh.- 

Zahl 

Harnt 
100  kg 

urger 
Verh.- 

100  kg 

Verh.- 

u  Wi 

100kg 

dleder 
Verh.- 

wl 
100  kg 

jite- 
Verh.- 

48-52° 
100  k gl  Verh- 

M. 

M. 

Zahl 

M. 

Zahl 

M. 

Zahl 

M. 

Zahl 

M.        Zahl 

1876  —  79 

(Durchschn  ) 

41,  - 

=  IOO 

82,— 

=  IOO 

15,82 

=  IOO 

297,- 

=  IOO 

25,12 

=  IOO 

19,22 

=  IOO 

1880 

52  — 

127 

74  — 

90 

15,90 

IOO 

286  — 

96 

17,30 

79 

18, 80 

98 

1881 

48,- 

117 

83,- 

IOI 

11,20 

71 

286,- 

96 

16.10 

64 

14,60 

76 

1882 

41,- 

IOO 

92,— 

112 

11,20 

71 

281,— 

94 

14,70 

59 

14,10 

73 

1883 

43- 

105 

94,— 

115 

16,20 

102 

292, — 

98 

15-60 

62 

14.40 

75 

1884 

39- 

95 

82,— 

IOO 

21.40 

136 

295 — 

99 

15,90 

63 

14.— 

73 

1885 

32,- 

78 

68,— 

83 

16,90 

107 

295 — 

99 

14,90 

59 

13,™ 

70 

1886 

26,— 

63 

59,- 

72 

16,70 

106 

262,— 

88 

13-60 

54 

13.- 

67 

1887 

25-- 

61 

61,— 

74 

18,70 

118 

229, — 

77 

12,60 

5° 

13  — 

67 

1888 

21,50 

52 

64,- 

78 

19,60 

124 

250  — 

84 

14,70 

59 

12,70 

66 

1889 

22, — 

54 

80  — 

98 

22,70 

144 

250.- 

84 

14,— 

56 

11.90 

62 

1890 

25  — 

61 

72  — 

88 

16. 60 

105 

227, — 

76 

x3,40 

53 

11.50 

60 

1891 

37- 

90 

7h— 

87 

16, 70 

106 

219 — 

74 

12,80 

5i 

11,50 

60 

1892 

28,- 

68 

73- 

89 

20,80 

!3i 

195.- 

66 

11,56 

46 

11,50 

60 

1893 

23 - 

56 

78,- 

95 

21, — 

133 

199,— 

67 

9,84 

39 

11,50 

60 

die    "Warenpreise.       Ein    ursächlicher    Zusammenhang     zwischen    den    Be- 
wegungen  beider  Preise  ist  also  aus  diesen  Zahlen   kaum  abzuleiten. 

Wir  fügen  in  der  Tabelle  II  noch  eine  Zusammenstellung  des  Wert- 
verhältnisses von  Gold  und  Silber  in  jedem  der  Jahre  von  1876 — 1894 
bei,    welches    bekanntlich    bei    einem    Silberpreise    von    180    \f.    per    kg 


606 


M  is  z  e  1 1  e  n. 


Tabelle  II. 


pr.  kg 
fein 

Silber  in 
Barren 

Verhältnis- 
Zablen 

Wertver- 

bältnis 

von  Gold 

und  Silber 

Silber  in 
Barren 

höchster]  niedrig- 
Preis    jsterPreis 

Unser  Thaler 
hätte,   um   voll- 
wertig zu  sein, 
enthalten  müssen: 
Gramm  Feinsilber 

Diel62/3  Gramm 

Feinsilber  des 

Thalers  hatten 

einen  Wert 

von 

1876 
1877 

156,50 
16  2, — 

\       1876—79 
\  i.  Durchschnitt 

1 :  17,8 
1 :  17,2 

171  — 

172,50 

140,75 

158- 

19.2 
18.5 

M.   2,61 

„     2,70 

1878 

!55<70 

|      M.  156,55 

;       =  100 

1 :  17,9 

161,75 

147  — 

19,3 

„     2,59 

1879 

152  — 

1: 18,3 

158,50 

145,10 

19,7 

„     2,53 

1880 

i54'50 

99 

1 :  18,0 

158,- 

152,20 

19,4 

,,     2.57 

1881 

153,20 

99 

1 :  18,2 

155,50 

151,50 

19,6 

,,     2,55 

1882 

153,30 

98 

I  :  18,2 

154,60 

146,75 

19,6 

„     2.55 

1883 

149,10 

95 

1 :  i8'f 

151,25 

147,50 

20,1 

„     2,48 

1884 

149-70 

95 

1  :  18,7 

152,35 

146,25 

20,0 

>,     2,49 

1885 

143,90 

92 

1 :  19.3 

148  — 

137,— 

20,9 

„     2,40 

1886 

133,- 

85 

1 :  20,9 

I39i— 

123,30 

22,6 

,»     2,22 

1887 

131,50 

84 

1 :  21,2 

138,80 

126,— 

22,8 

„     2,19 

1888 

126,50 

81 

1 :  22,0 

I3li.50 

122,50 

23,7 

„     2,11 

1889 

125,80 

81 

1 :  22,0 

130,70 

124,10 

23,8 

,,     2,10 

1890 

139,40 

89 

1 :  20,0 

160,— 

I29,— 

21,5 

„     2,32 

1891 

132,90 

85 

1 :  20,9 

142,— 

m  — 

22,6 

„     2,21 

1892 

117,50 

75 

1 :23,7 

127,50 

112,— 

25,5 

„     1,96 

1893 

103,60 

66 

1 :  26,9 

"3,50 

86.50 

29,0 

„     1,73 

Juni  94 

84,- 

54 

i:33>2 

— 

35-7 

„      1,40 

1  :  15  x/2  beträgt;  ferner  eine  Zusammenstellung  der  höchsten  und 
niedrigsten  Preise  von  Silber  in  jedem  Jahre,  um  zu  zeigen,  wie  schwierig 
es  bei  diesen  Schwankungen  sein  würde,  Münzen  mit  solchem  Gehalt 
an  Feinsilber  auszuprägen,  dafs  der  innere  Wert  dem  Nennwerte  stets 
annähernd  gleich  ist.  Die  darauf  folgende  Reihe  zeigt  uns,  wieviel  Gramm 
Feinsilber  der  Thaler,  welcher  bekanntlich  16  2/3  g  enthält,  hätte  haben 
müssen,  wenn  man  ihm  einen  wirklichen  Wert  von  3  M.  hätte  geben 
wollen.  —  In  der  letzten  Reihe  endlich  stellen  wir  den  Wert  zusammen, 
welchen  die  162/3  g  Feinsilber  des  Thalers  (bei  einer  Relation  von 
1  :  lö1/^  und  einem  Silberpreise  von  180  M.  per  kg  ist  dieser  =  3  M.) 
nach  den  von  uns  berechneten  Durchschnittssilberpreiseu  in  jedem  Jahre 
gehabt  haben. 


Litteratur.  607 


Litteratur. 


ii. 

Zur  Handelspolitik. 

Von  W.  Lexis. 

Litteratur. 

Die  Handelspolitik  Nordamerikas,  Italiens,  Oesterreichs,  Belgiens,  der  Niederlande, 
Dänemarks,  Schwedens  und  Norwegens,  Rufslands  und  der  Schweiz  in  den  letzten  Jahr- 
zehnten, sowie  die  deutsche  Handelsstatistik  in  den  Jahren  1880  — 1890.  Berichte  und 
Gutachten,  veröffentlicht  vom  Verein  für  Sozialpolitik.  Leipzig  1892.  8°.  X  u.  645  SS. 
(Schriften   des  Vereins  für  Sozialpolitik,   XLIX.j 

Walther  Lotz,  Die  Ideen  der  deutschen  Handelspolitik  von  1860  bis  1891.  Leipzig 
1892.     8°.     VIII  u.   210  SS.     (Schriften  des  V.  f.   S.,  L.) 

Die  Handelspolitik  der  Balkanstaaten  Rumänien,  Serbien,  Bulgarien,  Spaniens 
und  Frankreichs.  Berichte  und  Gutachten,  veröffentlicht  vom  V.  f.  S.  Leipzig  1892. 
8°.     VIII  u.  208  SS.     (Schriften   des  V.  f.   S.,   LI.) 

C.  J.  Fuchs,  Die  Handelspolitik  Englands  und  seiner  Kolonien  in  den  letzten  Jahr- 
zehnten.     Leipzig   1893.      8°.     X  u.   358  SS.     (Schriften  des  V.   f.   S.,  LVII.) 

Die  Herausgabe  eines  Sammelwerks  über  die  Handelspolitik  der  wich- 
tigeren Kulturstaaten  in  den  letzten  Jahrzehnten  wurde  vom  Ausschufs  des 
Vereins  für  Sozialpolitik  im  September  1890  beschlossen,  und  zwar  in  der 
Absicht,  bis  zu  der  Erneuerung  der  Handelsverträge  im  Jahre  1892  so- 
wohl für  wissenschaftliche  wie  praktische  Zwecke  eine  wohlgeordnete  und 
bequeme  Uebersicht  der  handelspolitischen  Erfahrungen  zu  liefern ,  die  in 
dem  letzten  Menschenalter  teils  in  freihändlerischer,  teils  in  schutzzöllne- 
rischer  Richtung  gemacht  worden  sind.  Schmoller  übernahm  die  Redaktion 
des  Gesamtwerks,  das  über  den  ursprünglich  beabsichsigten  Umfang  be- 
deutend hinauswuchs.  Es  gelang  aber,  wenigstens  die  beiden  ersten  Bände, 
in  denen  sich  die  Oesterreich-Ungarn,  Italien,  Belgien,  die  Schweiz  und 
Deutschland  selbst  betreffenden  Arbeiten  befinden,  gerade  zu  der  Zeit  zu 
veröffentlichen,  in  der  sie  die  besten  praktischen  Dienste  leisten  konnten, 
nämlich  gleichzeitig  mit  dem  Bekanntwerden  der  neu  abgeschlossenen 
mitteleuropäischen  Handelsverträge,  die  nun  der  öffentlichen  Diskussion  in 
Presse  und  Parlamenten  unterzogen  wurden.  Der  dritte  Band  erschien 
erst  später,  besafs  aber  ebenfalls  wegen  der  schwebenden  Verhandlungen 
über  die  Verträge  mit  Rumänien,  Serbien  und  Spanien  noch  eine  aktuelle 
Bedeutung.     Am  längsten  verzögerte    sich  das  Erscheinen   der  Schrift  von 


608  Litterattif. 

Fuchs  über  die  englische  Handelspolitik ;  aber  dieser  Gegenstand  hatte 
keine  unmittelbare  Beziehung  zu  den  für  Deutschland  praktisch  in  Betracht 
kommenden  Fragen,  und  es  kam  daher  weniger  darauf  an,  ob  er  einige 
Monate  früher  oder  später  behandelt  wurde.  So  sind  im  ganzen  4  Bände 
zustande  gekommen,  von  denen  Schmoller  in  einer  Vorrede  mit  Becht 
sagen  konnte,  dafs  sie  für  längere  Zeit  das  wichtigste  Werk  bleiben  werden, 
um  sich  über  die  europäische  Handelspolitik  von  1860  bis  1892  zu  orien- 
tieren. 

Wenn  gesagt  wird,  dafs  die  Wirtschaftswissenschaft  sich  von  der 
Naturwissenschaft  durch  das  Fehlen  der  Experimente  unterscheide,  so  ist 
dies  nur  bei  einer  engen  Fassung  des  Begriffes  des  Experimentes  richtig. 
Denn  ein  grofser  Teil  der  wirtschaftlichen  Gesetzgebung  hat  in  Wirklich- 
keit einen  experimentellen  Charakter  und  vor  allem  gilt  dies  von  den 
Veränderungen  des  Zolltarifs,  die  oft  in  ganz  kurzen  Zwischenräumen  ver- 
schiedene Grundsätze  gleichsam  probeweise  zur  Anwendung  bringen.  Ueber- 
blickt  man  nun  die  Ergebnisse  dieser  handelspolitischen  Experimente,  wie 
das  vorliegende  Werk  sie  uns  darstellt,  so  wird  man  wohl  im  ganzen  den 
Eindruck  erhalten,  dafs  die  staatlichen  Eingriffe  mit  Zollmafsregeln  und 
ähnlichen  Mitteln,  wie  ich  dies  schon  mehrfach  bei  anderen  Gelegenheiten 
bemerkt  habe,  in  ihrer  Wirkungsfähigkeit  leicht  überschätzt  werden,  und 
dafs  sie  nicht  imstande  sind,  auf  den  allgemeinen  Gang  der  Volkswirt- 
schaft einen  entscheidenden  Einflufs  auszuüben.  Sie  sind  vorteilhaft  für 
gewisse  Interessen,  für  andere  aber  schädlich,  und  selbst  wenn  die  Vor- 
teile bedeutend  überwiegen,  kann  doch  nicht  verhindert  werden,  dafs  die 
ganze  Volkswirtschaft  wie  die  Hebungen,  so  auch  die  Senkungen  mit  durch- 
macht, die  ihr  unlöslicher  Zusammenhang  mit  der  Weltwirtschaft  in  man- 
nigfaltiger Grofse  und  Dauer  hervorbringt.  So  war  der  wirtschaftliche 
Aufschwung  der  Jahre  1872  und  1873  ebenso  unabhängig  von  dem  da- 
maligen Freihandelssystem  in  Deutschland,  wie  von  der  Schutzzollpolitik 
der  Vereinigten  Staaten  und  ebenso  verbreitete  sich  die  Depression  von 
1873  bis  1879  unterschiedslos  über  die  freihäudlerischen  und  schutzzöllne- 
rischen  Länder.  Die  dann  eintretende  zeitweilige  Besserung  war  in  Deutsch- 
land nicht  etwa  die  Folge  der  Tarifänderung  von  1879,  denn  sie  nahm 
schon  vorher  ihren  Anfang  in  Amerika  und  England.  Die  kurze  Hebung 
von  1889/90  war  wiederum  eine  allgemein  internationale  Thatsache,  uud 
die  deutsche  Handelsvertragspolitik  von  1892  hat  bisher  ebensowenig  wie 
die  McKinley-Bill  in  Amerika  die  erwarteten  Früchte  gebracht,  weil  eben  die 
allgemeinen  weltwirtschaftlichen  Verhältnisse  einem  günstigen  Erfolge  ent- 
gegenwirkten. Welches  auch  das  Tarifsystem  sein  mochte,  es  lag  nahe, 
dafs  man  bei  anhaltend  gedrückter  Geschäftslage  ihm  die  Verantwort- 
lichkeit zuschob  und  wieder  einmal  mehr  oder  weniger  weitgehende  Ver- 
suche im  Sinne  des  gegenteiligen  Systems  machte.  Nicht  anders  wird  es 
auch  in  der  Zukunft  sein,  und  da  Depressionen  unzweifelhaft  von  Zeit 
zu  Zeit  wiederkehren,  so  wird  auch  fernerhin  eine  Abwechselung  von  mehr 
freihändlerischen  und  mehr  protektionistischen  Tarifen  zu  erwarten  sein. 
Die  Wandlungen  der  deutschen  Handelspolitik  seit  1860  werden  von 
W.  Lotz  in  interessanter  Weise  mit  besonderer  Bücksicht  auf  die  Stim- 
mung geschildert,  die  bei  der  Bevölkerung  und  den  Interessenten  hervor- 


Litte  rat  ur.  609 

trat.  Die  „Ideen",  von  denen  auf  dem  Titel  des  Buches  die  Hede  ist, 
sind  also  nicht  theoretische  Ansichten,  sondern  die  praktischen  Motive, 
durch  die  die  jeweilig  vorherrschenden  Interessengruppen  sich  leiten  liefsen, 
um  einmal  zu  eiuem  fast  vollständigen  Freihandelssystem  und  dann  wieder 
zu  einem  stark  ausgeprägten  Industrie-  und  Agrarschutzsystem  zu  gelangen. 
Es  fehlte  allerdings  in  Deutschland  seit  den  fünfziger  Jahren  nicht  an  einer 
geschickten  theoretischen  Vertretung  der  Freihandelslehre  durch  Männer  wie 
Priuce-Smith ,  Faucher,  Michaelis,  Böhmert,  M.  Wirth  u.  a.,  und  in  dem 
1857  gegründeten  Volkswirtschaftlichen  Kongresse  spielten  diese  Theore- 
tiker die  leitende  Rolle.  Aber  sie  würden  ebensowenig,  wie  ihre  Gesin- 
nungsgenossen Say,  Bastiat,  Dunoyer  u.  s.  w.  in  Frankreich,  einen  erheb- 
lichen Einflufs  auf  die  Handelspolitik  des  Zollvereins  erlangt  haben,  wenn 
ihre  Agitation  nicht  mächtige  Interessen  als  Stütze  hinter  sich  gehabt  hätte. 
Lotz  bezeichnet  als  ihre  Hilfstruppen  den  deutschen  Handel,  den  Libe- 
ralismus und  die  norddeutsche  Landwirtschaft.  Die  Mitwirkung  des  Libe- 
ralismus diente  indes  nur  zur  Verstärkung  der  von  den  beiden  anderen 
Faktoren,  die  wirtschaftliche  Interessengruppen  darstellen,  ausgehenden 
Tendenzen,  indem  dadurch  namentlich  die  nicht  unmittelbar  an  der  Sache 
beteiligten  gebildeten  Kreise  gewonnen  wurden.  Selbst  mancher  Fabrikant, 
der  nicht  ohne  heimliche  Sorge  an  die  Verminderung  des  Zollschutzes 
dachte,  liefs  sich  durch  seine  Zugehörigkeit  zu  der  politisch  liberalen 
Partei  auch  in  das  freihändlerische  Fahrwasser  hineinziehen.  Auch  in 
den  höheren  Beamtenkreisen  war,  namentlich  seit  dem  Beginn  der  „neuen 
Aera",  der  wirtschaftliche  Liberalismus  zu  grofsem  Einflufs  gelangt.  Indes 
würde  die  freihändlerische  Bewegung  schwerlich  so  bald  zu  irgend  einem 
Resultate  geführt  haben,  wenn  nicht  die  Bismarck'sche  Politik  am  Anfang 
der  sechziger  Jahre  sie  sich  für  ihre  Zwecke  zu  nutze  gemacht  hätte. 
Lotz  betont  bei  der  Besprechung  der  damaligen  politischen  Konstellation 
hauptsächlich  nur  den  Gegensatz  Preufsens  zu  Oesterreich  in  dem  Ver- 
hältnis der  beiden  Staaten  zum  Zollverein.  Wahrscheinlich  aber  hatte 
das  Einlenken  Preufsens  in  die  Bahnen  der  neuen  französischen  Handels- 
politik auch  noch  einen  tieferen  politischen  Grund,  der  sich  auf  die  Vor- 
bereitung der  künftigen  Entscheidung  der  deutschen  Frage  bezog.  Wie 
dem  auch  sein  mag,  die  Periode  der  freihändlerischen  Politik  begann  für 
den  Zollverein  mit  dem  Handelsvertrage  mit  Frankreich  von  1862,  der 
Fortschritt  aber  nahm  erst  nach  1866  ein  rasches  Tempo  an,  nachdem 
in  dem  Zollparlament  ein  Organ  geschaffen  war,  durch  welches  die  mafs- 
gebenden  politischen  Parteien  einen  unmittelbaren  Einflufs  auf  die  Han- 
delspolitik des  Zollvereins  ausüben  konnten.  Nationalliberale  und  Konser- 
vative wirkten  mit  Eifer  zusammen  zur  freihändlerischen  Umgestaltung 
des  Tarifs  und  die  letzteren  gingen,  soweit  sie  die  agrarischen  Interessen 
vertraten,  noch  über  den  Standpunkt  der  liberalen  Handels-  und  Industrie- 
kreise hinaus,  die  ihr  Organ  in  dem  deutschen  Handelstage  hatten.  Ein 
norddeutscher  Grundbesitzer  erklarte  im  Zollparlament,  wie  Lotz  in 
Erinnerung  bringt,  dafs  er,  weil  konservativ,  naturgemäfs  Freihändler 
sei.  Die  östlichen  preufsischen  Provinzen  waren  eben  bis  dahin  noch 
Ausfuhrgebiete  für  Getreide,  andererseits  aber  wünschten  die  Grundbe- 
sitzer   billige    Fabrikate,    namentlich    billige    Maschinen    und    Werkzeuge. 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LX11I).  gg 


610  Litteratur. 

Von  ihnen  ging  daher  auch  1873  der  Antrag  aus,  der  die  Eisenzölle 
fast  vollständig  beseitigte,  nach  seiner  vollen  Durchführung  aber  auch  den 
Hauptanstofs  zu  dem  Umschwünge  auf  dem  Gebiet  der  Industriezölle  ge- 
geben hat.  Lotz  hebt  übrigens  mit  Recht  hervor,  dafs  der  Vorteil,  den 
die  Landwirtschaft  aus  der  Verbilligung  des  Eisens  ziehen  kann,  verhält- 
nismäfsig  gering  ist,  da  nur  ein  sehr  mäfsiger  Prozentsatz  des  Eisenver- 
brauchs —  nach  der  Schätzung  eines  allerdings  an  den  Eisenzöllen 
interessierten  Sachverständigen  nur  6 — 7  Prozent  —  auf  die  Landwirt- 
schaft entfällt.  Unter  den  Gründen,  die  jene  radikale  Mafsregel  von  1873 
herbeiführten,  wäre  auch  noch  die  damalige  enorme  Höhe  des  Eisenpreises 
—  er  stand  doppelt  so  hoch  als  in  den  sechziger  Jahren  —  zu  erwähnen 
gewesen. 

Der  nach  dem  Krach  von  1873  eintretende  Niedergang  der  In- 
dustrie und  die  in  der  zweiten  Hälfte  der  siebziger  Jahre  sich  vollziehende 
Umgestaltung  der  weltwirtschaftlichen  Konkurrenzverhältnisse  im  Getreide- 
handel führte  eine  neue  Konstellation  der  Parteien  und  einen  vollständigen 
Wechsel  der  leitenden  handelspolitischen  Grundsätze  herbei.  Wenn  die 
Notwendigkeit  der  Aufhebung  der  Eiseuzölle,  wie  1873  ein  konservativer 
Abgeordneter  sagte,  ein  Axiom  war,  das  man  nicht  zu  beweisen  habe, 
so  war  es  in  den  Augen  nicht  nur  der  Freihändler,  sondern  auch  der 
industriellen  Schutzzöllner  ein  noch  weit  fester  begründetes  Axiom,  dafs 
Getreidezölle  für  alle  Zeit  eine  Unmöglichkeit  geworden  seien,  und  selbst 
die  konservativen  Agrarier  wagten  lange  Zeit  nicht,  gegen  diesen  Grund- 
satz offen  Widerspruch  zu  erheben.  Man  sprach  zuerst  verschämt  von 
der  Vermehrung  der  Finanzzölle  auf  Konsumtionsgegenstände  oder  von 
der  Rückkehr  zu  dem  Grundsatze  des  Tarifs  von  1818,  nach  dem  alle 
Einfuhrwaren  der  Zollpflicht  unterworfen  sein  sollen ,  sofern  sie  nicht 
ausdrücklich  ausgenommen  sind.  Diesen  Grundsatz  stellte  auch  der  Reichs- 
kanzler voran,  als  er  1878  mit  seinem  Schreiben  an  den  Bundesrat  das 
Signal  zu  der  neuen  handelspolitischen  Wendung  gab.  Welche  Motive 
der  inneren  Politik  dabei  mit  im  Spiele  waren,  möge  dahingestellt 
bleiben;  für  die  protektionistische  Umbildung  des  Tarifs  an  sich  war  jeden- 
falls der  Boden  genügend  vorbereitet,  da  die  Koalition  der  Industriellen 
und  der  Agrarier  ohne  Schwierigkeit  eine  Majorität  ergab.  Die  Getreide- 
zölle erregten  allerdings  trotz  ihres  geringen  Betrags  selbst  noch  bei  vielen 
Konservativen  Skrupel  und  eine  Anzahl  von  ihnen  stimmte  in  den  beiden 
ersten  Lesungen  gegen  die  Erhöhung  des  Roggenzolles  auf  1  M.,  nahmen 
aber  in  der  dritten  Lesuug  doch  die  ganze  Vorlage  an,  indem  sie  sich 
auf  die  Notwendigkeit  beriefen,  dem  Reiche  durch  Finanzzölle  Einnahmen 
zu  verschaffen.  Bei  den  Getreidezöllen  bewährte  sich  glänzend  das  Wort : 
„Ce  n'est  que  le  premier  pas  qui  coute".  Die  spätere  Erhöhung  derselben 
auf  3  M.  rief  weit  weniger  Bedenken  hervor,  als  die  Einführung  des  ur- 
sprünglichen Satzes  von  1  M.  und  noch  leichter  ging  die  weitere  Steige- 
rung auf  5  M.  von  statten.  Die  Solidarität  der  Industrie  und  der  Land- 
wirtschaft in  der  Schutzzollpolitik  blieb  völlig  unerschüttert  bis  zu  der 
Entscheidung  über  die  neuen  Handelsverträge,  insbesondere  über  den 
deutsch-russischen.  Zu  einem  Bruche  zwischen  den  beiden  Gruppen  ist 
es  jedoch  nicht  gekommen,    denn  jede  mufste  fürchten,    wenn    sie  die  der 


L  i  tt  er  at  u  r.  ßH 

anderen  vorteilhaften  Schutzzölle  zu  weit  herabsetzen  Hefa,  dafs  diese 
ihre  Revanche  nehmen  würde.  Lotz  vermutete  schon  in  betreff  der  da- 
mals zunächst  in  Frage  kommenden  Verträge  mit  Oesterreich  und  Italien, 
dafs  auch  bei  dieser  wie  bei  den  früheren  Gelegenheiten  Politik  und 
Wissenschaft  eng  verknüpft  sein  würdeu.  In  noch  höherem  .Mafse  aber 
hat  dieser  Zusammenhang  bei  dem  Abschlufs  des  Vertrags  mit  Kufsland 
bestanden,  und  man  darf  wohl  annehmen,  dafs  dieser  gegenüber  dem 
aufserordentlich  heftigen  Widerstände  der  agrarischen  Partei  nicht  durch- 
zusetzen gewesen  wäre,  wenn  die  Mehrheit  des  Reichstags  nicht  die 
Ueberzeugung  von  der  ganz  ungewöhnlichen  politischen  Tragweite  desselben 
gewonnen  hätte.  Voraussichtlich  steht  die  deutsche  Handelspolitik  jetzt 
vor  einem  Jahrzehnt  der  Stabilität,  da  Zollerhöhungen  im  wesentlichen 
durch  die  Verträge  ausgeschlossen,  Herabsetzungen  aber  nicht  zu  er- 
warten sind.  Die  Getreidezölle  bleiben  trotz  ihrer  Ermäfsigung  auf  einer 
Höhe,  die  man  1879  für  ganz  undenkbar  gehalten  hätte  und  mit  der  die 
Landwirtschaft  sich  begnügen  lernen  mufs;  die  industriellen  Zölle  sind 
zum  Teil  bei  der  anerkannten  Konkurrenzfähigkeit  der  betreffenden  Fabri- 
kationszweige auf  dem  Weltmarkt  an  sich  unnötig,  doch  finden  sie  alle 
eine  gewisse  Rechtfertigung  in  den  bedeutenden  Lasten,  die  der  Industrie 
durch  die  sozialpolitische  Gesetzgebung  auferlegt  sind.  —  Zur  Vervoll- 
ständigung der  Schrift  von  Lotz  dient  die  bereits  in  dem  ersten  Bande 
des  Sammelwerks  erschienene  Arbeit  von  H.  v.  Scheel,  die  die  Ergebnisse 
der  deutschen  Handelsstatistik  von  1880 — 1889  in  sorgfältiger  systematischer 
Bearbeitung  vorführt. 

Während  Deutschland  in  den  hier  betrachteten  Jahrzehnten  eine 
dreimalige  handelspolitische  Wendung  aufweist,  hat  die  englische  Handels- 
politik, wie  Fuchs  im  Eingange  seines  Werkes  mit  Recht  bemerkt,  in 
diesem  Zeitraum  eigentlich  keine  Geschichte.  Sie  ist  konsequent  in  der 
Bahn  geblieben,  die  sie  schon  in  den  zwanziger  Jahren  mit  einigem  Zagen, 
mit  voller  Zuversicht  aber  in  den  vierziger  Jahren  eingeschlagen  hatte, 
und  das  Freihandelsprinzip  gilt  noch  immer  in  so  breiten  Schichten  der 
Bevölkerung  so  sehr  als  Axiom,  dafs  die  verschämten  Gegner  desselben 
es  nicht  offen  anzugreifen  wagen,  sondern  es  nur  unter  Hinweis  auf 
die  Herzenshärtigkeit  der  nichtenglischen  Menschheit  für  die  praktische 
Anwendung  zu  dem  „fair  trade"-Prinzip  modifizieren  wollen.  Und  doch 
hat  die  Freihandelspolitik  tür  England  keineswegs  alle  die  reichen  Früchte 
getragen,  die  einst  die  Manchesterpartei  mit  Sicherheit  verheifsen  zu  können 
glaubte.  Vor  allem  hat  sich  die  Prophezeiung  nicht  bestätigt,  dafs  die 
Staaten  des  Kontinents  dem  englischen  Beispiele  folgen  würden,  vielmehr 
hat  sich  bei  diesen,  nachdem  sie  sich  eine  Reihe  von  Jahren  mehr  oder 
weniger  weit  auf  Versuche  im  freihändlerischen  Sinne  eingelassen,  überall 
wieder  eine  schutzzöllnerische  Reaktion  herausgestellt.  Auch  ist  es  Eng- 
land nicht  gelungen,  sein  früheres  industrielles  Uebergewicht  zu  bewahren. 
Wie  Fuchs  zeigt,  behauptet  der  englische  Aufsenhandel  zwar  auch  am 
Ende  der  betrachteten  Periode  noch  die  erste  Stelle  im  Welthandel,  aber 
sein  prozentualer  Anteil  an  demselben  ist  bedeutend  geringer  geworden 
und  in  langsamem,  aber  stetigem  Sinken  begriffen.  Das  Freihandelssystem 
selbst  trägt  freilich  nicht  die  Schuld  daran,    sondern  die  Ursache  liegt  in 

39* 


612  Litteratur. 

der  erfolgreichen  Entwickelung  der  Industrie  in  den  übrigen  Ländern. 
Ueberhaupt  kommt  auch  Fuchs  zu  dem  Resultate,  dafs  die  Folgen  der 
verschiedenen  Phasen  der  internationalen  Handelspolitik,  soweit  sie  sich 
statistisch  erkennen  lassen,  auffallend  gering  sind  und  dafs  sie  jedenfalls 
gegenüber  den  tiefer  liegenden  Momenten  der  Weltwirtschaft  von  unter- 
geordneter Bedeutung  sind.  So  findet  er  auch,  dafs  die  britische  Ausfuhr 
nach  den  streng  schutzzöllnerischen  Ländern  infolge  dieser  Schutzzoll- 
politik nur  wenig  oder  gar  nicht  gesunken  sei,  aber  allerdings  sei  sie 
an  der  sonst  zu  erwartenden  Zunahme  gehindert  worden. 

"Wenn  aber  in  England  trotz  so  mancher  fehlgeschlagenen  Rechnungen 
und  trotz  der  zunehmenden  Empfindlichkeit  des  kontinentalen  Mitbewerbes 
die  öffentliche  Meinung  noch  ganz  überwiegend  am  Freihandel  festhält, 
so  ist  dieses  schwerlich  auf  die  Herrschaft  der  Smith'schen  Lehre  oder 
überhaupt  irgend  einer  Theorie  zurückzuführen,  sondern  einfach  daraus 
zu  erklären,  dafs  die  englischen  Interessen  noch  grösstenteils  auf  seiten 
des  Freihandels  liegen  und  vielleicht  immer  liegen  werden.  In  keiner 
anderen  Volkswirtschaft  nimmt  der  Handel  und  die  Schiffahrt  einen  so 
breiten  Raum  ein  wie  in  der  englischen  und  für  diese  pafst  natürlich 
stets  nur  eine  freihändlerische  Politik.  Die  freie  Eiufuhr  von  Rohstoffen 
und  Lebensmitteln  bleibt  für  England  auch  dann  noch  vorteilhaft,  wenn 
die  betreffenden  Ausfuhrländer  Schutzzollschranken  gegen  die  englischen 
Fabrikate  errichtet  haben.  Getreidezölle  insbesondere  werden  schwerlich 
jemals  wieder  in  England  möglich  werden,  da  sie  zu  offenkundig  aus- 
schliefslich  einer  kleinen  reichen  Minderheit  zu  gute  kommen  und  mehr 
als  zwei  Drittel  des  Weizenbedarfs  des  Landes  vom  Auslande  bezogen 
wird.  Nur  in  Bezug  auf  die  Einfuhr  von  Fabrikaten  aus  den  schutz- 
zöllnerischen Industriestaaten  könnte  man  vom  englischen  Standpunkte 
aus  zweifelhaft  sein,  ob  das  einseitige  Freihandelssystem  den  nationalen 
Interessen  entspreche  und  nicht  etwa  Ausgleichungszöüe,  wie  sie  die  Ver- 
treter der  ,,fair  trade"  vorschlagen,  am  Platze  seien.  Aber  auch  hier 
entscheidet  die  Macht  der  Handelsinteressen  zu  guusten  der  bestehenden 
Politik ;  denn  ein  grofser  Teil  der  von  Eugland  übernommenen  kontinen- 
talen Fabrikate  geht  durch  englische  Vermittelung  nach  den  Kolonien 
und  den  neutralen  überseeischen  Märkten,  und  wenn  auch  ein  anderer 
Teil  in  England  selbst  verbraucht  wird,  so  vermindert  sich  dadurch  ent- 
sprechend die  Konkurrenz  der  Kontinentalstaaten  in  den  aufsereuropäischen 
Ländern.  Im  ganzen  dürfte  also  das  bestehende  System  für  England  das 
relativ  vorteilhafteste  sein,  wenn  auch  die  von  Fuchs  betonte  grofse  Ab- 
hängigkeit der  Volksernährung  vom  Auslande  unzweifelhaft  eine  bedenk- 
liche Künstlichkeit  des  volkswirtschaftlichen  Zustandes  erkennen  läfst. 
Gewisse  protektionistische  Zugeständnisse  an  die  Landwirtschaft  und  In- 
dustrie sind  allerdings  in  versteckter  und  indirekter  Weise  gemacht 
worden.  Wenigstens  ist  es  schwer  anzunehmen  —  obwohl  Fuchs  diese 
Frage  nicht  für  entschieden  hält  —  dafs  die  angeblich  nur  aus  veterinär- 
polizeilichen Gründen  erlasseneu  Vieheinfuhrverbote,  die  oft  mit  besonderer 
Härte  Deutschland  trafen,  nicht  auch  den  Zweck  einer  handelspolitischen 
Schutzmafsregel  für  die  Landwirtschaft  haben  sollten  und  noch  offen- 
kundiger erscheint  der  protektionistische  Nebenzweck  —  der  freilich  that- 


Litteratur.  613 

sächlich  nicht  erreicht  wurde  —  in   den   Bestimmungen    und    der    Art  der 
Handhabung  des  neuen   Markeuschutzgesetzes. 

Sehr  verschieden  von  der  Handelspolitik  des  Vereinigten  Königreichs 
hat  sich  die  der  selbständig  gestellten  englischen  Kolonien  gestaltet,  die 
nicht  nur  gegen  das  Ausland,  sondern  in  gleicher  Weise  auch  gegen 
das  Mutterland  ein  entschiedenes  Schutzsystem  im  Interesse  ihrer  jungen 
Industrie  durchgeführt  haben.  Da  diese  Verhältnisse  aufserhalb  Englands 
in  ihren  Einzelheiten  noch  wenig  bekannt  sind,  so  bietet  der  zweite  Teil 
der  Fuchs'schen  Arbeit  ein  besonderes  Interesse  dar.  Derselbe  giebt  zu- 
nächst einen  Ueberblick  über  die  geschichtliche  Entwicklung  der  Han- 
delspolitik des  Mutterlandes  gegenüber  den  Kolonien  und  die  heutige 
politische  und  handelspolitische  Verfassung  der  letzteren  im  allgemeinen 
und  bespricht  dann  im  einzelnen  die  Verhältnisse  sowohl  der  selbstän- 
digen Kolonien,  nämlich  Kanadas,  Australasiens  und  des  Kaplandes,  als 
auch  des  von  der  Handelspolitik  des  herrschenden  Landes  abhängigen 
Kaiserreichs  Indiens  und  der  übrigen  unselbständigen  Kronkolonien.  Daran 
schliefst  sich  eine  statistische  Darstellung  der  Entwickelung  des  Handels 
der  wichtigsten  Kolonien  in  den  Jahren  1860 — 1890  und  in  dem  letzten 
Kapitel  finden  die  neueren  Bewegungen  lür  politische  und  handelspoli- 
tische Föderation  des  britischen  Reiches  eine  ausführliche  Besprechung. 
"Während  die  Freihändler  vom  alten  Schlage  die  Kolonien  als  eine  Last 
betrachteten  und  in  der  politischen  Lostrennung  derselben  vom  Mutter- 
lande eher  einen  Vorteil  als  einen  Schaden  gesehen  haben  würden,  hat 
sich  in  den  letzten  dreifsig  Jahren  in  betreff  der  politischen  Wichtigkeit 
der  Kolonien  und  ihres  Zusammenhangs  mit  dem  Mutterlande  allmählich 
ein  vollständiger  Umschwung  in  der  öffentlichen  Meinung  vollzogen,  der 
1884  seinen  Ausdruck  in  der  Gründung  der  „Imperial  Föderation  League" 
fand,  an  der  sich  sowohl  konservative  wie  liberale  und  radikale  Staats- 
männer und  Politiker  beteiligten.  Sie  will  mittels  einer  Bundesverfassung 
eine  engere  politische  Verbindung  aller  Glieder  des  britischen  Reichs 
herstellen ,  bei  der  aber  die  bestehenden  Rechte  der  lokalen  Parlamente 
in  den  Kolonien  hinsichtlich  der  lokalen  Interessen  unangetastet  bestehen 
bleiben  sollen.  Insbesondere  soll  eine  gemeinschaftliche  militärische  Ver- 
teidigung des  Reiches,  ein  „Kriegsverein",  wie  Lord  Salisbury  sich  aus- 
drückte, geschaffen  werden.  Ein  Zollverein  aber  wird  nach  diesem  Pro- 
jekt fürs  erste  nicht  beabsichtigt;  das  Ziel  ist  wesentlich  ein  politisches, 
die  kommerzielle  Föderation  soll  erst  in  Frage  kommen,  wenn  die  poli- 
tische gelungen  ist.  Dagegen  hat  eine  andere  Vereinigung,  die  United 
Empire  Trade  League,  gerade  die  handelspolitische  Verbindung  des  Mutter- 
landes und  der  Kolonien  zu  ihrem  Programm  gemacht.  Ueber  die  Art, 
wie  dies  geschehen  soll,  ist  man  freilich  noch  durchaus  nicht  im  klaren, 
zumal  auch  diese  Liga  zwischen  Freihandel  und  Fair  Trade  mit  Schutz- 
zöllen zu  lavieren  sucht.  Im  allgemeinen  hat  die  Idee  eines  Zollver* 
bandes  des  britischen  Reiches  mit  Vorzugszöllen  für  die  Glieder  desselben 
auch  in  England  Boden  gewonnen,  aber  da  nach  den  betreffenden  Vorschlägen 
von  den  nicht  britischen  Nahrungsmitteln  und  sogar  von  manchen  Roh- 
stoffen, wie  z.  B.  von  Wolle,  Zölle  erhoben  werden  müfsten ,  so  würden 
sich  bei   jedem  Versuche    der    Ausführung    eines    solchen    Projekts    sofort 


614  Litteratur. 

ungeheure  Schwierigkeiten  erheben.  Auch  ist  nicht  daran  zu  denken, 
dafs  die  selbständigen  Kolonien  ihr  Schutzsystem  aufgeben  würden ,  also 
ein  britischer  Reichszollverein  mit  freiem  inneren  Verkehr  entstehen  könnte; 
es  würde  sich  nur  darum  handeln  können,  von  den  britischen  Waren 
niedrigere  Zölle  zu  erheben,  als  von  den  Fremden,  Am  einfachsten  er- 
scheint der  Vorschlag  Hofmeyr's,  des  Führers  der  kapländischen  Afrikan- 
der-Partei ,  nach  dem  in  allen  Teilen  des  Reiches ,  wie  auch  ihr  Zoll- 
system sonst  beschaffen  sein  mag ,  ein  Reichszuschlagszoll  von  einigen 
Prozent  des  Wertes  von  den  aus  fremden  Ländern  kommenden  Waren 
zu  erheben  wäre,  dessen  Ertrag  für  den  Unterhalt  der  britischen  Flotte 
verwendet  werden  soll.  Dieses  Projekt  steht  allerdings  mehr  auf  dem 
Boden  der  politischen  Bestrebungen  der  Imperial  Federation  League,  als 
auf  dem  des  Programms  einer  handelspolitischen  Organisation  des  briti- 
schen Reiches.  Eine  gröfsere  Tragweite  im  letzteren  Sinne  würde  es 
allerdings  erlangen  ,  wenn  dieser  Reichszoll  in  England  auch  von  bisher 
zollfreien  Waren,  wie  Weizen  und  Wolle  erhoben  würde,  was  aber,  wie 
gesagt,   schwerlich  durchzusetzen   sein   würde. 

Der  Handelspolitik  der  übrigen  Staaten  sind  in  dem  Sammelwerk 
nur  kürzere  Darstellungen  gewidmet.  A.  Peez  (Bd.  49)  skizziert  die 
handelspolitische  Entwickelung  Oesterreich-Ungarns,  die  bereits  1878  ihren 
Wendepunkt  erreichte,  und  zwar,  wie  der  Verfasser  glaubt,  infolge  der 
ungünstigen  Wirkungen  der  Handelsverträge  von  1868.  Da  er  aber  zugiebt, 
dafs  diese  schlimmen  Wirkungen  erst  mehrere  Jahre  später  fühlbar  ge- 
worden seien,  60  liegt  es  doch  wohl  näher,  anzunehmen,  dafs  man  in 
Oesterreich  wie  in  Deutschland  den  Zolltarif  für  die  Depression  verant- 
wortlich gemacht  hat,  die  in  Wirklichkeit  eine  Nachwirkung  der  Krisis 
von  1873  war.  Wenn  Oesterreich-Ungarn  durch  die  Handelsverträge  mit 
England  und  Deutschland  geschädigt  worden  wäre,  so  hätte  man  doch 
erwarten  müssen ,  dafs  diese  letzteren  Länder  sich  dabei  wohl  befunden 
hätten,  thatsächlich  aber  ging  in  ihnen  die  wirtschaftliche  Entwickelung 
in  derselben  Zeit  auf  und  nieder ,  wie  in  Oesterreich.  Uebrigens  findet 
Peez,  dafs  der  österreichisch-ungarische  Tarif  vor  1878  weit  zaghafter 
und  weniger  entschieden  und  systematisch  zum  Zollschutze  zurückgekehrt 
sei,  als  der  deutsche  von  1879.  Durch  die  angeführten  Proben  wird  dies 
indes  schwerlich  bewiesen  und  jedenfalls  haben  die  österreichischen  Tarif- 
erhöhungen von  1882  und  1887  das  ursprünglich  etwa  Versäumte  reich- 
lich nachgeholt. 

Ueber  die  italienische  Handelspolitik  berichtet  Sombart  vom  Stand- 
punkt einer  kühl  abwägenden  ,  dem  Unternehmergemüt  wenig  zusagenden 
Kritik,  der  für  die  wissenschaftliche  Beurteilung  der  neueren  handels- 
politischen Reaktion  der  allein  berechtigte  ist.  Als  hauptsächlich  in  Betracht 
kommende  Punkte  sind  zu  nennen:  der  Tarif  vom  30.  Mai  1878,  der 
von  der  Cavour'schen  Freihandelspolitik  wieder  zu  einem  gemäfsigten  Schutz- 
zollsystem abschwenkte  ;  der  diesen  Generaltarif  wieder  in  manchen  Punk- 
ten mildernde  Tarif  des  Handelsvertrags  mit  Frankreich  von  1881,  der 
im  wesentlichen  auch  den  übrigen  in  der  nächsten  Zeit  abgeschlossenen 
Handelsverträgen  zu  Grunde  gelegt  wurde;  die  Zollenquete  von  1885 
und    1886    und     der    daraus    hervorgegangene    Generaltarif    vom    14.  Juli 


Li  tt  er  a  t  u  r.  ßl5 

1887,  der  bedeutende  Getreidezölle  einführte  und  den  Industrieachutz  ver- 
stärkte; die  neuen  Handelsverträge  mit  Oesterroich  und  der  Schweiz,  die 
nur  wenig  Ermäfsigungen  des  neuen  Genoraltarifs  enthielten,  der  1888 
begonnene  und  bis  zur  Stunde  noch  fortdauernde  Zollkrieg  mit  Frankreich. 
Deutschland  aber  hat  seitdem  durch  den  1892  in  Kraft  getretenen  Ver- 
trag eine  Anzahl  nicht  unerheblicher  Zugeständnisse  erhalten.  In  dem 
zweiten  Abschnitt  seiner  Arbeit  sucht  der  Verfasser  die  ursächlichen 
Beziehungen  der  italienischen  Handelspolitik  zu  der  Volkswirtschaft  stati- 
stisch zu  ermitteln.  Die  Hauptfrage  ist  für  ihn  :  besitzt  das  heutige 
Italien  hinreichende  produktive  Kräfte  und  Fähigkeiten ,  um  eine  natio- 
nale Iudustrie  grofsen  Stils  heranzubilden  und  sind  die  zu  diesem  Zweck 
zu  bringenden  Opfer  im  Vergleich  mit  dem  möglichen  Vorteil  nicht  zu 
grofs  ?  In  der  Beantwortung  dieser  Frage  ist  er  sehr  zurückhaltend;  er 
will  hauptsächlich  nur  die  wesentlichen  Produktionselemente  im  einzelnen 
prüfen  und  es  dem  Leser  überlassen,  sich  das  endgiltige  Urteil  zu  bilden; 
doch  glaubt  er  im  grofsen  Ganzen  die  neuen  handelspolitischen  Mafsregeln 
als  einen  notwendigen  und  gesunden  Fortschritt  begrüfsen  zu  können. 
Entschieden  ungünstig   dagegen    lautet    seine  Beurteilung    der  Agrarzölle. 

Die  Handelspolitik  Frankreichs  wird  im  51.  Bande  in  einer  franzö- 
sisch geschriebenen  Abhandlung  von  A.  Devers  behandelt.  Der  Verfasser 
entwirft  in  grofsen  Zügen  ein  Bild  der  Zustände  unter  dem  starren  Prohi- 
bitivsystem, das  aus  der  Revoiutionsperiode  herübergenommen  wurde  und 
mit  geringen  Milderungen  bis  zum  Abschlufs  des  französisch-englischen 
Handelsvertrags  von  1860  in  Kraft  blieb.  Genauer  werden  dann  die 
Reformmafsregelu  des  Kaiserreichs  in  der  nunmehr  eröffneten  relativ 
freihändlerischen  Periode  besprochen.  Weiter  folgt  die  Darstellung  der 
Reaktionsbestrebuugen  unter  Thiers  in  den  ersten  Jahren  der  Republik, 
der  mehrere  Jahre  umfassenden  Vorbereitung  des  neuen  Generaltarifs  von 
1881,  des  Abschlusses  der  Handelsverträge  von  1882,  der  neuen  Agrar- 
schutzmafsregeln  und  den  Schlufs  bildet  ein  ausführlicher  Bericht  über 
das  Zustandekommen  des  Maximal-  und  Minimaltarifs  von  1892,  die  beide 
einen  neuen  Sieg  der  Schutzzollpolitik  bezeichnen.  Die  Arbeit  bildet  eine 
wertvolle  Ergänzung  zu  dem  bekannten  Werk  von  Arne,  das  nur  bis 
187  5  reicht;  theoretische  Betrachtungen  hat  der  Verfasser  mit  Recht  aus- 
geschlossen, doch  spricht  er  die  Ueberzeugung  aus,  dafs  verfehlte  handels- 
politische Mafsregeln  zwar  einen  gewissen  Schaden  verursachen  können, 
aber  nicht  imstande  seien,  ein  Land,  wie  Frankreich,  mit  so  aufserordent- 
lichen  Produktivkräften  und  Hilfsquellen  wesentlich  in  seiner  wirtschaft- 
lichen Stellung  zu  erschüttern. 

Die  Darstellung  der  russischen  Handelspolitik  hat  V.  Wittschewsky, 
ein  sach-  und  sprachkundiger  Livländer  geliefert  (Bd.  49).  Die  älteren 
Verhältnisse  werden  in  Kürze  berührt;  aus  der  neuesten  Zeit  aber  sind 
als  Hauptthatsache  hervorgehoben:  der  Tarif  von  1857,  der  den  Sieg 
einer  relativ  gemäfsigten  Schutzzollpolitik  bekundete;  der  Tarif  von  1868, 
der  denselben  Charakter  noch  bestimmter  trug,  die  Umkehr  zu  einer  ver- 
schärften Schutzzollpolitik  seit  1877;  die  Tarifrevision  von  1882,  die  die 
neuen  Zölle  erhöhte;  endlich  der  Tarif  von  1890,  der  die  zahlreichen 
vorangegangenen    Zolländeruugen    und    die    Zuschlagszölle    von    1885   und 


616  Litteratur. 

1890  in  sich  aufnahm  und  das  neue  hochprotektionistische  System  zu 
einem  gewissen  Abschlufs  brachte.  Die  Milderungen  dieses  Tarifs  durch 
den  Handelsvertrag  von  1894  bilden  für  Deutschland  einen  Erfolg,  den 
man  nach  den  Schlufsworten  des  Verfassers  schwerlich  erwartet  haben 
sollte. 

Den  Bericht  über  die  Niederlande  (Bd.  49)  haben  die  Herren  H.  de 
Heus  und  G.  S.  Endt  geliefert.  Dieses  Land  ist  seit  1862  wieder  zu 
der  Ereihandelspolitik  zurückgekehrt,  die  es  bis  zur  zweiten  Hälfte  des 
vorigen  Jahrhunderts  befolgt  hatte,  und  es  hat  sich  auch  durch  die  in  der 
neuesten  Zeit  in  fast  allen  anderen  Ländern  eingetretene  rückläufige  Be- 
wegung nicht  beeinflussen  lassen,  sondern  den  Tarif  von  1877,  der  noch 
eine  weitere  Anzahl  zweckloser  Schutzzölle  beseitigte,  aufrecht  erhalten. 
Eine  liberale  Reform  der  Schiffahrtsgesetzgebung  datiert  schon  von  1850, 
die  frühere  Keglementierung  der  Seefischerei  wurde  1858  mit  günstigen 
Folgen  aufgehoben,  die  Differentialzölle  zu  gunsten  der  niederländischen 
Waren  in   Indien  sind  seit   1874    beseitigt. 

In  Belgien,  dessen  Handelspolitik  von  E.  Mahaim  dargestellt  ist 
(Bd.  49),  erhielt  die  Ereihaudelspartei  Ende  der  fünfziger  Jahre  die  Ober- 
hand und  ihr  Sieg  wurde  durch  den  belgisch-französischen  Handelsvertrag 
von  1861  bestätigt.  Die  beibehalteneu  Reste  von  Schutzzöllen  waren  sehr 
mäfsig  und  wurden  teilweise  später  noch  verringert  oder  beseitigt.  Auch 
unter  den  seit  1880  bestehenden  Verhältnissen  ist  keine  wesentliche  Aende- 
rung  dieses  Systems  eingetreten,  aber  der  Protektionismus  hat  doch  wieder 
Boden  gewonnen  und  die  strengen  Ereihaudelsprinzipien  finden,  wie  der 
Verfasser  sagt,  bei  ihren  Verteidigern  nicht  mehr  die  feuerige  Ueber- 
zeugung,  die  einst  zu  einem  absoluten  Glauben  geworden  war.  Einen  Er- 
folg der  Protektionisten  bildete  das  Gesetz  vom  8.  Juni  1887,  das  mäfsige 
Vieh-  und  Fleischzölle  einführte.  Die  früheren  geringen  Getreidezölle 
waren  1872  aufgehoben  worden  und  ein  1885  gemachter  Versuch  zur  Er- 
neuerung derselben   mifslang. 

Den  Artikel  über  Dänemark  (Bd.  49)  hat  Scharling  bearbeitet.  Es 
steht  dort  noch  immer  der  Tarif  von  1863  in  Kraft,  der  einen  überwiegend 
fiskalischen  Charakter  besitzt  und  nur  mäfsige  Schutzzölle  (bei  Industrie- 
erzeugnissen durchschnittlich  etwa  14  Proz.  des  Wertes)  aufweist.  Die 
erste    wirkliche  Aenderung,    die    dieser  Tarif    durch    das  Ges.   v.    1.   April 

1891  erfahren  hat,  betrifft  die  Herabsetzung  der  Zölle  auf  Zucker,  Choko- 
lade  und  Petroleum,  hat  also  nur  finanzielle  Bedeuturjg. 

Schweden  und  Norwegen  (Bd.  49)  hat  Fahlbeck  behandelt.  In 
Schweden  erhielt  ebenfalls  der  Freihandel  in  den  siebziger  Jahren  das 
Uebergewicht,  im  Jahre  1888  aber  fand  ein  entschiedener  Systemwechsel 
statt,  der  nicht  nur  den  Industrieschutz  bedeutend  verstärkte,  sondern  auch 
beträchtliche  landwirtschaftliche  Schutzzölle  einführte.  Der  norwegische 
Tarif  hat  seit  1876  keine  wesentlichen  Aenderungen  erfahren;  er  ist  im 
wesentlichen  ein  Finanztarif  und  enthält  nur  unbedeutende  Schutzzölle. 
Die  protektiouistische  Bewegung  hat  sich  in  den  letzten  Jahren  verstärkt, 
auch  sind  die  aus  früherer  Zeit  vorhandenen  niedrigen  agrarischen  Zölle 
teilweise    um    ein    geringes    erhöht   worden. 

Der    von  E.  Frey    erstattete  Bericht    über    die  Schweiz  (Bd.  49)    be- 


Litteratur.  ß^7, 

ginnt  mit  dem  ersten  Bundeszolltarif,  der  1849  an  die  Stelle  des  früheren 
Kantonzollwesens  trat  und  grundsätzlich  vom  Freihandelsstandpunkt  aus- 
ging; er  bespricht  die  Handelsverträge  von  1850 — 1863,  ferner  den  wichtigen 
Handelsvertrag  mit  Frankreich  von  1864,  dem  sich  Verträge  mit  dem  Zoll- 
verein, Oesterreich ,  Italien  und  anderen  Ländern  anschlössen  und  geht 
dann  zur  Darstellung  des  Umschwungs  der  schweizerischen  Handelspolitik 
über,  dessen  Anfänge  schon  in  der  Tarifrevision  von  1878  gefunden  werden 
können.  Der  Tarif  von  1878  kam  indes  nie  zum  vollen  gesetzlichen  Ab- 
schlufs  und  bildete  nur  eine  theoretische  Basis  bei  den  Verhandlungen 
über  die  neuen  Handelsverträge.  Erst  1884  wurde  ein  neuer  Generaltarif 
mit  zahlreichen  bedeutenden  Schutzzöllen  erlassen,  die  freilich  für  die 
Staaten,  denen  vertragsmäfsig  der  Konventionaltarif  zustand ,  noch  keine 
Geltung  hatten.  Auch  die  noch  weiter  gehenden  Zollerhöhungen  von  1887 
und  1891  sind  für  mehrere  Staaten  durch  Handelsverträge  gemildert  worden, 
doch  bleibt  in  vielen  Fällen  eine  erhebliche  Verstärkung  des  Schutzes 
übrig. 

Dafs  die  Aufstellung  des  Generaltarifs  von  1891  eine  von  der  Schweiz 
sehr  ernst  gemeinte  Mafsregel  war,  hat  sie  Frankreich  gegenüber  bald  be- 
wiesen, und  die  Vorwürfe,  die  man  gegen  die  deutsche  Reichsregierung 
wegen  zu  weitgehender  Rücksicht  auf  jenen  Tarif  erhoben  hat,  erscheinen 
daher  nicht  gerechtfertigt. 

In  Spanien,  über  dessen  Handelspolitik  A.  Gwinner  (Bd.  51)  be- 
richtet, kam  die  relativ  freihäudlerische  Reform  durch  den  Tarif  von  1869 
zum  Abschlufs.  Die  Zuschläge  und  neuen  Zollsätze  hatten  überwiegend 
fiskalische  Bedeutung  und  der  in  die  Periode  der  neuen  Handelsverträge 
fallende  Generaltarif  von  1882  enthielt  viele  Ermäfsigungen.  Seit  1889 
aber  hat  die  Schutzzollbewegung  wieder  bedeutend  an  Macht  gewonnen, 
was  sich  sowohl  in  der  1890  erfolgten  starken  Erhöhung  der  landwirtschaft- 
lichen Zölle,  als  auch  in  dem  schliefslichen  Scheitern  des  deutsch-spanischen 
Handelsvertrags  bekundet. 

Eine  Uebersicht  der  neueren  Handelspolitik  Rumäniens,  Serbiens  und 
Bulgariens  giebt  Dr.  M.  Ströll  (Bd.  51).  Das  Uebergewicht,  das  Oester- 
reich-Ungarn  viele  Jahre  im  Handel  mit  diesen  Balkanländern  behauptet 
hat,  ist  in  der  neuesten  Zeit  mehr  und  mehr  zu  gunsten  nicht  nur  Eng- 
lands und  Frankreichs,  sondern  auch  Deutschlands  vermindert  worden. 
In  Rumänien ,  dessen  wirtschaftliche  Entwickelung  der  Verfasser  sehr 
günstig  beurteilt,  machten  die  auf  Industrieschutz  gerichteten  Bestrebungen 
sich  in  den  achtziger  Jahren  immer  mehr  geltend  und  sie  gelangten  in 
dem  Generaltarif  von  1891  zu  einem  wesentlichen  Erfolge.  In  den  später 
mit  Deutschland  und  anderen  Staaten  abgeschlossenen  Handelsverträgen 
jedoch  sind  wieder  vielfach  ermäfsigte  Konventionalzollsätze  bewilligt 
worden.  In  Serbien  ist  bisher  noch  kein  genügender  Boden  für  irgendwie 
wirksame  Industrieschutzmafsregeln  zu  finden,  wenn  es  auch  an  Ansätzen 
zu  solchen  nicht  fehlt.  In  noch  höherem  Grade  gilt  dies  von  Bulgarien, 
das  noch  durchaus  auf  der  Stufe  des  Agrikulturstaates   steht. 

Was  endlich  die  Vereinigten  Staaten  betrifft,  so  ist  der  sie  betreffende 
(englisch  geschriebene)  Abschnitt  des  49.  Bandes  von  den  Herren  R. 
Mayo-Smith    und    Edwin  R.    A.    Seligman    verfafst.      Nach    einem    Ueber- 


6X8  Litteratur. 

blick  über  die  frühereu  Wandlungen  des  Zolltarifs  werden  der  unmittelbar 
vor  dem  Ausbruch  des  Bürgerkriegs  erlassene  Morilltarif  und  die  zahl- 
reichen Zollerhöhungen  während  des  Krieges  besprochen.  Der  erstere  kehrte 
nach  einer  kurzen  Periode  relativ  freihändlenscher  Handelspolitik  wieder 
zu  einem  strengen  Schutzsystem  zurück  und  in  den  Kriegszöllen  trat 
neben  dem  finanziellen  Zwecke  die  protektionistische  Tendenz  immer  stärker 
auf.  Einen  gewissen  Abschlufs  bildete  der  Tarif  vom  30.  Juni  1864,  der 
das  Maximum  der  Zollsätze  erreichte  und  die  Grundlage  für  die  ganze 
folgeüde  Entwickelung  bildete.  In  den  Jahren  1865  — 1883  fanden 
mancherlei  Aenderungen  und  Reformversuche  statt,  die  zwar  einige 
finanzielle  Erleichterungen  brachten,  aber  die  Herrschaft  des  Hochschutz- 
zollsystems unangetastet  liefsen.  Auch  der  Tarif  von  1883  bedeutete  im 
gauzeu  noch  einen  Sieg  der  Protektionisten,  da  einige  Zollermäfsigungen 
durch  die  Erhöhung  anderer  Sätze  mehr  als  ausgeglichen  wurden.  Bei 
der  Präsidentenwahl  von  1888  bildete  die  Handelspolitik  einen  Haupt- 
unterscheidungspunkt der  beiden  grofsen  Parteien.  Der  Sieg  der  Republi- 
kaner galt  als  ein  Triumph  des  Protektionismus,  der  nun  1890  in  dem 
Mc.  Kinley- Tarif  seine  extremste  Ausbildung  erreichte.  Aber  die  voraus- 
gesagten segensreichen  Wirkungen  dieses  Tarifs  blieben  aus ,  dagegen 
wurde  er,  wenn  auch  nur  teilweise  mit  Recht,  für  die  Krisis  von  1893 
verantwortlich  gemacht  und  so  konnte  unter  der  zweiten  Präsidentschaft 
Clevelands  die  demokratische  Partei  einen  Reformfeldzug  unternehmen, 
der  freilich  nur  einen  bescheideuen  Erfolg  gehabt  hat,  da  der  im  August 
1894  zustande  gekommene  sogenannte  Gorman'sche  Tarif  hinter  dem  ur- 
sprünglichen Wilson'schen  Entwurf  in  wichtigen  Punkten  weit  zurück- 
geblieben ist. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     619 


Uebersicht   über   die  neuesten  Publikationen  Deutschlands 
und  des  Auslandes. 

1.     Geschichte  der  Wissenschaft.     Encyklopädisches.     Lehrbücher.     Spezielle 
theoretische  Untersuchungen 

Cantillon,  (Eichard),  Essai  sur  le  commerce.  (Reprinted  for 
Harvard  University).      Boston   1892.     V  u.   436   SS. 

Von  Cantillon's  „Essai  sur  la  nature  du  commerce  en  ge'neral"  liegt 
in  obiger  Ausgabe  ein  vortrefflicher  Neudruck  vor,  den  wir  der  Harvard 
University  verdanken.  Bekanntlich  hat  dieses  Werk,  welches  1755  er- 
schien und  mit  den  Worten  anhebt:  „La  terre  est  la  source  ou  la  matiere 
d'oü  Ton  tire  la  richesse",  einen  grofsen  Einflufs  ausgeübt  auf  Quesnay, 
Mirabeau,  Turgot,  Condillac,  Mably,  Graslin;  es  ist  eine  der  wenigen 
Schriften,  auf  welche  Adam  Smith  Bezug  nimmt  (1.  Buch,  8.  Kap.)  und 
Jevons  nennt  diessen  Essai  ,,the  first  treatise  on  economics".  Jedenfalls 
ist  eine  Neuausgabe  dieser  Publikation,  welche  in  der  Geschichte  der  Volks- 
wirtschaftswissenschaft eine  besonders  beachtenswerte  Stelle  einnimmt,  dank- 
bar zu   begrüfsen. 

Der  Vorbemerkung  entnehme  ich  die  folgenden  Angaben,  welche  die 
Notizen  über  Cantillon  im  „Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften" 
(II.   Bd.  S.   808)  ergänzen  und  zum   Teil  berichtigen  mögen. 

Cantillon  war  wahrscheinlich  zwischen  1680  und  1690  in  Irland  ge- 
boren. Er  liefs  sich  1716  als  Bankier  in  Paris  nieder,  verliefs  aber  Frank- 
reich schon  im  Jahre  1719,  da  er  es  wegen  seiner  Stellungnahme  gegen 
Law,  dessen  Unternehmungen  er  bekämpfte,  nicht  für  ratsam  erachtete,  in 
diesem  Lande  länger  zu  verbleiben.  Während  er  sein  Pariser  Geschäft 
durch  einen  Neffen  fortführen  liefs,  siedelte  er  nach  London  über,  wo  er 
am    15.  V.    1734  durch  einen   ehemaligen  Diener  ermordet  wurde. 

Der  Essai  war  von  Cantillon  in  englischer  Sprache  geschrieben  und 
von  ihm  selbst  in  der  vorliegenden  Form  für  den  Gebrauch  eines  fran- 
zösischen Freundes  übersetzt.  Die  englische  Originalausgabe  mit  ihrem 
statistischen  Supplement  wurde  nie  veröffentlicht.  Wahrscheinlich  aber  hat 
Philipp  Cantillon  —  ein  Vetter  von  Richard  C.  —  dieselbe  benutzt 
bei  Abfassung  seines  Werkes:  The  analysis  of  trade,  commerce  etc. 
London  1759.  Die  Druckangabe  in  der  Ausgabe  des  Essai  von  1755 
„A  Londres,  Chez  Fletcher  Gyles,  dans  Holborn"  ist  fingiert;  dieselbe  Be- 
zeichnung erscheint  auf  dem  Titelblatt  der  Turgot'schen  Uebersetzung  von 
Tucker's  „Reflexions  on  the  expediency  of  a  law  for  the  naturalization  of 
foreign  protestants".     (Questions    importantes  sur  le   commerce  etc.   1755.) 


620     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Von  Cantillons  Essai  sur  le  commerce  existieren  im  ganzen  drei  Aus- 
gaben. Zunächst  die  bereits  erwähnte  von  1755;  dann  eine  in  kleinerem 
Format,  wahrscheinlich,  auch  in  einer  anderen  Druckerei  hergestellt,  ans 
dem  Jahre  1756;  endlich  ein  Abdruck  in  Mauvillon's  Uebersetzung  von 
Hume's  „Discours  politiques",  Vol.  III  (Amst.   1756). 

Die  hier  vorliegende  neue  Ausgabe  schliefst  sich  in  allem  an  die 
erste  von  1755  an,  so  im  Format,  in  der  Paginierung,  im  Druck,  selbst 
die  alten  Druckfehler  sind  beibehalten. 

Breslau.  Ludwig  Elster. 

Mancke,  Walther  (Chef-Redakteur  der  Bank-  und  Haudels-Zeitung 
sowie  des  landwirtschaftlichen  Anzeigers) ,  Ein  Kompromifs  des  Agrar- 
staats mit  dem  Industriestaat.  Berlin  1894,  Verlag  von  Trowitzsch  und 
Sohn,   134  SS. 

Der  Verf.  will  zeigen,  auf  welchem  Wege  es  sich  ermöglichen  läfst, 
dauernd  die  Wahrung  der  Interessen  der  Konsumenten  und  Produzenten 
der  wichtigsten  Lebensmittel  mit  einander  zu  verbinden,  und  einen  Kom- 
promifs angeben,  um  die  streitenden  Parteien  mit  einander  zu  verständigen. 
Die  Vorschläge,  welche  er  macht,  um  ein  Zusammenwirken  von  Handel, 
Industrie  und  Landwirtschaft  herbeizuführen,  fafst  er  am  Schlüsse  seiner 
Arbeit  kurz  zusammen.  Sie  zielen  darauf  ab,  eiue  Ertragssteigerung  der 
deutschen  Landwirtschaft  durch  Vermehrung  der  mittleren  und  kleineren 
Betriebe  und  durch  Verbesserungen,  sowie  grö'fsere  Preisstetigkeit  durch 
Gewährung  von  Zollschutz  in  der  Höhe,  wie  er  durch  unsere  neueren 
Handelsverträge  bestimmt  wird,  sowie  durch  Magazinierung  mit  ent- 
sprechender Lombardierung,  feiner  durch  umfangreiche  Errichtung  grofser 
Genossenschaftsbäckereien  auf  dem  Lande  mit  Verkaufsstellen  in  den 
Städten  zu  bewirken.  Die  Verwirklichung  des  Gedankens,  einen  gewissen 
Prozentsatz  des  Bedarfs  an  Brotgetreide  zum  Zweck  der  Aufspeicherung 
in  Zeiten  oder  in  Ländern  mit  niedrigen  Preisen  nur  im  allgemeinen  In- 
teresse, also  ohne  Gewinnabsicht  und  unter  öffentlicher  Kontrolle  aufzu- 
kaufen, dürfte  wohl  auf  allzugrofse  Schwierigkeiten  stofsen.  Bei  mehreren 
Vorschlägen  des  Verfassers  vermisse  ich  die  nötigen  Angaben  über  die 
Ausführung,  so  wenn  einfach  verlangt  werden:  Beform  des  gesamten 
Zwischenhandels,  ISchutz  des  Verkehrs  an  der  Börse  gegen  Mifsbrauch  zu 
egoistischen  Zwecken,  Zuführung  des  jetzt  ausschliefslich  Handel  und  In- 
dustrie befruchtenden  beweglichen  Kapitals  an  die  Landwirtschaft,  kauf- 
männischer Betrieb  der  letzteren  unter  vorzüglicher  Stützung  auf  den 
Personal-  statt  auf  den  Hypothekarkredit,  Verhütung  eines  Ueberwiegens 
des  Industriestaates  über  den  Agrarstaat  dadurch,  —  dafs  Landwirtschaft, 
Industrie  und  Handel  gemeinsame  Zwecke  verfolgen  etc. 

München.  J.  Lehr. 

Geschichte  des  Sozialismus  in  Einzeldarstellungen.  Band  I.  Die  Vorläufer  des 
Sozialismus.  Redigiert  von  E.  Bernstein  und  K.  Kautsky,  Heft  1.  Stuttgart,  Dietz,  1894. 
gr.  Lex. -8.  32  SS.  M  0,20.  (Das  vollständige  Werk  ist  auf  4  Bände  ä  40  Druck- 
bogen gr.  Lexikonformat  berechnet.) 

v.  Wenckstern,  A.,  Le  Play.  Berlin,  Druck  von  Preufs ,  1893.  8.  62  SS. 
(Dissertation.) 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen   Deutschlands  und   des  Auslandes.     621 

Martin-Ginouvier,  F.,  La  Solution  du  pret  gratuit,  alimente  par  une  dime 
sociale,  voloutaire   et   facultative.     Paris,    1894.     8      IX — 44   pag.      fr.  0,50. 

Brassey  (Lord),  Papers  and  addresses.  Work  and  wages.  Edited  by  J.  Potter. 
With  an  introduction  by  G  Howell.  London,  Longmans,  Green  &  C°,  1894.  crown-8. 
5/. — .     (Contents:  Trades   Uuious  and  the  cost  of  labour.     Speech,   H.   of  Commons,   1869. 

—  Wages  in  1873.  Address,  Trades  Union  Congress,  Norwich  1873.  —  Co-operative 
production.  Trades  Union  Congress,  Halifax  1874.  —  Price  of  labour  in  England. 
Reprint  ,, International  Review",  New  York  1876.  —  Trades  Unions.  Paper  read  at 
Trades  Union  Congress,  Leicester,  1877.  —  Comparative  elficiency  of  English  and  foreign 
labour.  Address  et  Hawkstone  Hall,  1878.  —  On  rise  of  wages  in  building  trades  of 
London.  Paper  at  R.  Institute  of  British  Architects,  1878.  —  On  the  depression  of 
trade.  Reprint  ,,Nineteenth  Century,  1879.  —  Comparative  efficiency  of  English  and 
foreign  labour.  Address  at  Edinburgh  Philosophical  Institution,  1879.  —  Motion  for 
Commission  on  agricultural  distress,  H.  of  Commons,  1879.  —  Agricultural  holdings. 
Letter  to  „Times",  1879.  —  Agriculture  in  England  and  the  U.  States.  Address  as 
President  of  the  Statistical  Society,  1879.  —  Arbitration  award :  Staffordshire  potteries, 
1880.  —  British  trade  and  british  workmen  :  Church  Congress,  Newcastle,  1881.  — 
Industrial  remuneration  Conference,  1885.  —  Institution  of  civil  engineers.  Speech  at 
annual  dinner,  1888.  —  Arbitration  award:  Lightermen  of  London,  1889.  —  Attitüde 
of  the  church  towards  labour  combinations :  Church  Congress,  Folkestone,  1892.  — 
Social  scheme  of  General  Booth,  Hastings  1892.  —  Address  to  Wolverhampton  Chamber 
of  commerce,   1893.    — ) 

Schloss,  D.  F. ,  Report  on  profit-sharing,  London,  printed  by  Eyre  &  Spottis- 
woode,  1894.  gr.  in-8.  VIII  — 198  pp.  (Publication  of  the  Board  of  Trade ,  Labour 
Department.     Contents :  Scope  of  inquiry.  —  The  share  system.    —  Industrial  co-operation. 

—  History  of  British  profit-sharing.  —  Epitome  of  leading  facts  and  figures.  —  General 
observations  on  the  present  position  of  profit-sharing  in  this  country.  —  etc.) 

Spagnoletti,  O.,  Post  prandium :  saggi  letterari  e  scientific].  Trani,  V.  Vecchi 
edit,  1894.  16.  VI — 344  pp.  1.  2. — .  (Contiene  :  Ferdinando  Lassalle.  —  Giordano 
Bruno.  —   Omicidio  e  suicidio.   —  Questione  di  diritto  internazionale.  —  La  prostituzione. 

—  Dinamite  e  miolite.   —   II  socialismo   di  Edmondo.  —  etc.) 

2.  Geschichte  und  Darstellung  der  wirtschaftlichen  Kultur. 
Beiträge  zur  Geschichte  des  Niederrheins.  Jahrbuch  des  Düsseldorfer  Geschichts- 
vereins. Band  VIII.  Düsseldorf,  Lintz ,  1894.  261  SS.  nebst  3  Lichtdrucktafeln. 
M.  4. — .  (Aus  dem  Inhalte:  Ordnung  des  Rather  Oberhofs,  von  A.  Koernicke.  —  Die 
Schätze  der  herzoglichen  Silberkammer  zu  Düsseldorf  im  17.  Jahrb.,  von  O.  R.  Red- 
lich. —  Bestellung  von  Brüsseler  Kunstwirkereien  für  das  Düsseldorfer  Schlofs  (1701), 
von  J.  Th.  de  Raadt  (Brüssel)  —  Errichtung  einer  regelmäfsigen  direkten  Dampfschiff- 
fahrt zwischen  Köln,   Düsseldorf  und  London  resp.  Hamburg  und  Havre,  von  F.  Wächter.) 

—  Zur  Geschichte  des  Handels  mit  Andernacher  Steinen  nach  Holland  im  17.  Jahrh., 
von  H.   Forst.   — ) 

Blümcke,  O.,  Berichte  und  Akten  der  Hansischen  Gesandtschaft  nach  Moskau  im 
Jahre  1603.  Halle  a./S. ,  Verlag  der  Buchhandlung  des  Waisenhauses,  1894.  gr.  8. 
XVI;  XXIV— 255  SS.  M.  5,60.  (A.  u  d.  T. :  Hansische  Geschichtsquelien.  Heraus- 
gegeben vom  Verein  für  hansische  Geschichte,  Bd.  VII.) 

Gruber,  Ch.  ,  Die  landeskundliche  Erforschung  Altbayerns  im  16.,  17.  und 
18.  Jahrhundert.  Stuttgart,  Engelhorn,  1894.  gr.  -  8.  77  SS.  mit  Karte.  M.  3. — . 
(A.  u.  d.  T. :  Forschungen  zur  deutschen  Landes-  und  Volkskunde,  hrsg.  von  A.  Kirch- 
hoff, Bd.  VIII,  Heft  4.) 

Kahler,  O.,  Die  Grafschaften  Oldenburg  und  Delmenhorst  in  der  ersten  Hälfte  des 
XV.  Jahrhunderts.  Marburg  (Druck  von  Stalling  in  Oldenburg)  1894.  8.  112  SS. 
(Dissertation.) 

Küntzel,  G.,  Ueber  die  Verwaltung  des  Mafs-  und  Gewichtswesens  in  Deutsch- 
land während  des  Mittelalters.  Leipzig,  Duncker  &  Humblot,  1894.  8.  33  SS.  (Berliner 
Dissertation.) 

Württembergische  Geschichtsquellen  im  Auftrage  der  Württembergischen 
Kommission  für  Landesgeschichte  herausgegeben  von  Dietrich  Schäfer.  Band  I.  Stutt- 
gart, Kohlhammer,  1894.  gr.  8.  VIII— 443  SS.  M.  6.  (A.  u.  d.  T. :  Kolb,  Chr.  (Prof.), 
Geschichtsquellen  der  Stadt  Hall,    Band  I.     Aus  dem  Inhalte :    Johann  Herolts  Chronika. 


(322     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

—  Stadtschreiber  Hermann  Hoffmans  Bauernkrieg  um  Schwäbisch-Hall.  —  Wolfgang 
Kirschenessers,  Pfarrheren  zu  Frickenhofen,  Urgicht.  —  Colloquium  militare  1544.  — 
Herolts  Gült-  und  Zehentbüchlein  über  die  Pfarr  Reinsberg.  —  etc.) 


Reveillere  (Contre-amiral),  La  conquete  de  l'Ocean.  Paris  et  Nancy,  Berger- 
Levrault  &  O  ,  1894.  in-18  Jesus.  XIII— 320  pag.  fr.  3,50.  (Table  des  matieres: 
Civilisation  mediterraneenne.  —  Civilisation  atlantique.  —  Epoque  ocdanique.  —  Colonies. 
—  Protectionnisme.   —  Paquebots.  —  L'Ocean.  —  etc.) 

Thomas,  G.,  En  Egypte.  Paris  et  Nancy,  Berger-Levrault,  1894.  gr.  in-8. 
174  pag.  fr.  3,50.  (Table  des  matieres :  Thebes  et  les  Pharaons.  —  Le  Nil  et  la 
Haute-Egypte.  —   Le  Caire  et  Memphis.  —  etc.) 

Edwards,  H.  S. ,  Old  and  new  Paris:  its  history,  its  people ,  and  its  places. 
Vol.  II.     London,  Cassell,   1894.     Roy.-8.     360  pp.     9/.—. 

Handbook,  the,  of  Jamaica  for  1894:  published  by  authority  comprising  historical, 
Statistical  and  general  information  concerning  the  island.  XIVth  year  of  publication. 
Compiled  from  official  and  other  reliable  records  by  S.  P.  Musson  and  T.  Laurence 
Roxburgh  (of  the  Colonial  Secretary's  Office).  London,  E.  Stanford,  and  Jamaica,  Govern- 
ment printing  Office,  1894.  gr.  in-8.  VII — 555;  IX  pp.  With  map  of  the  island  of 
Jamaica,  cloth.  8/. — . 

3.  Bevölkerungslehre  und  Bevölkerungspolitik.    Auswanderung  und  Kolonisation. 
Kandt,    M. ,     Ueber    den    Ursprung    des    Staatsbahnsystems    der    Kolonie    Victoria 
(Australien).      Göttingen   1894.     8.     53   SS.     (Dissertation.) 

Corre,  A.,  L'ethnographie  criminelle  d'apres  les  observations  et  les  statistiques 
judiciaires  recueillies  dans  les  colonies  francaises:  Paris,  C.  Reinwald  &  C'e  ,  1894. 
in-12      X— 521   pag.     fr.   5.—. 

Janssens,  E.  (inspecteur  en  chef  de  la  division  d'hygiene  de  la  ville  de  Bruxelles), 
Annuaire  demographique  et  tableaux  statistiques  des  causes  de  deces ,  dans  la  ville  de 
Bruxelles.  32e  annee :  1893.  Bruxelles,  imprim.  de  ve  J.  Baertsoen,  1894.  8.  41  pag. 
avec  plan  et  diagramme  en  Chromolithographie. 

Chadwick,  J.  O,  Three  years  with  Lobengula,  and  experiences  in  South  Africa. 
London,  Cassell,   1894.     8.      156  pp.     3/.6. 

Carrasco,  G.  (Ministro  de  agricultura  etc.),  La  colonizaciön  agrfcola  de  la  provincia 
de  Sante-Fe.  Cuadro  general  conteniendo  el  nombre,  situaciön,  extensiön,  fecha  y  funda- 
dor,  de  la  colonias  existentes  hasta  el  1°  de  Junio  de  1893.  Santa-Fe,  imprenta  „El 
Progreso,   1893.     Roy.  in-8.     55  pp. 

4.     Bergbau.     Land-  und  Forstwirtschaft.     Fischereiwesen. 

Abraham,  F.,  Die  neue  Aera  der  Witwatersrand-Goldindustrie.  Berlin,  Simion, 
1894.     8.     51  SS.     Nebst  einem  authentischen  Grubenfelderplan  in  Imp.  obl.-folio.     M.  2. 

Bericht  über  das  Veterinärwesen  im  Königreiche  Sachsen  für  das  Jahr  1893. 
Jahrg.  XXXVIII.      Dresden,  G.   Sehönfeld,   1894.     gr.  8.     IV— 208  SS.     M.  3,50. 

Hollmann,  Hans,  Kurlands  Agrarverhältnisse.  Eine  historisch-statistische  Studie. 
Riga,   Hoerschelmann,   1894.     gr.   8.      55   SS.  mit  Tabelle  in  4. 

Jahresbericht  des  Oberschlesischen  Knappschaftsvereins  für  das  Jahr  1893. 
Kattowitz  O/S.,  Druck  von  Gebr.   Böhm,   1894.     4.     58  SS. 

v.  Kanitz-Podangen  (Graf),  Die  Festsetzung  der  Mindestpreise  für  das  aus- 
ländische Getreide.     Pr.   Holland,   Druck  von  H.   Weberstädt,   1894.     8.     34  SS. 

v.  Koerber,  A.,  Reform  der  Bodenverschuldung.  Eine  volkswirtschaftliche  Studie. 
Berlin,  Gergonne  &  C*e ,    1894.     8.     37   SS. 

Sohnrey,  H.  (Herausgeber  der  Zeitschrift  „Das  Land"),  Der  Zug  vom  Lande 
und   die  soziale  Revolution.     Leipzig,    Werther,    1894.     gr.    8.     XVI — 138  SS.     M.  3.—. 


Benevent,  B.,  Depoisement  et  reboisement  dans  les  Basses-Pyrenees.  Pau,  impr. 
Broise,   1894.     in-18  Jesus.     30  pag. 

Gourret,  P. ,  Les  pecheries  et  les  poissons  de  la  Mediterranee.  (Provence.) 
Paris,  Bailliere,    1894.      12.     Avec   109  figures.     fr.  4. — . 

Vintejoux,  F.  (prof.),  Etüde  sur  le  boisement  de  nos  montagnes,  considere  au 
point  de  vue  de  l'amelioration  du  climat  et  du  regime  des  eaux.  Tülle,  impr.  Crauffon, 
1894.     8.     43  pag. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     623 

Carrasco,  G.,  La  producciön  y  el  consumo  del  azüear  de  la  Repüblica  Argen- 
tina.    Buenos  Aires,  imprenta  de  J.   Peuser,   1894.     8.     76  pp    y  3  cuadros  graficos. 

Pochini,  L.,  Pollicultura  moderna.  Chiavari,  tip.  Chiavaiese,  1894.  8.  fig.  56  pp. 
(Contiene :  Impianto  —  Riproduttori.  —  Riproduzione.  —  Alimentazione  dei  polü.  — 
Prodotti  del  pollaio.  — ) 

5.     Gewerbe  und  Industrie. 

Handels-  und  Gewerbeadrefsbuch  vom  Königreich  Sachsen.  Nach  amtlichen 
Quellen  herausgegeben  von  Th.  Weber.  Leipzig,  Th.  Weber,  1894  —  95.  gr.  8.  396  SS. 
geb.   M.    10.—. 

Jahresbericht  der  kgl.  preufsischen  Regierungs-  und  Gewerberäte  und  Bergbe- 
hörden für  1893.  Amtliche  Ausgabe.  Berlin,  W.  T.  Bruer,  1894.  gr.  8.  XXXIX— 555  SS. 
M.   7,95. 

Marschall,  F.  (Kassel),  Gegen  die  Konsumvereine,  Offiziers-  und  Beamtenwaren- 
häuser etc.  im  Sinne  des  Bauern-,  Handels-  und  Gewerbestandes.  Ein  Mahnruf  au  die 
Regierungen.  Populär  gehaltene  volkswirtschaftliche  Studie.  2.  Aufl.  Stuttgart, 
Zahn   &  Seeger  Nachfolger,   1894.     gr.  8.      16  SS.     M.   0,40 

Müller,  Hans,  Die  Leistungen  des  schweizerischen  Arbeitersekretariats.  2.  Aufl. 
Basel,  H.  Müller,   1894.     gr.  8.     32  SS.     M.  0,50. 

Rollfufs,  J.  (Sekretär  der  Handels-  und  Gewerbekammer  zu  Zittau),  Die  Innungen 
im  Bezirke  der  Handels-  und  Gewerbekammer  zu  Zittau  im  Jahre  1892.  Im  Auftrage 
der  Kammer  bearbeitet  und  zusammengestellt.  Zittau,  Druck  von  R.  Menzel,  1894.  gr.  8. 
29  SS. 

Schwarz,  H. ,  Adrefsbucb  der  Schweiz  für  Industrie,  Handel  und  Gewerbe. 
IL  Ausgabe:  1894  —  95.  Basserdorf  und  Zürich,  H.  Schwarz  &  0 ,  1894.  gr.  in-8. 
1691  pp.     geb.  fr.  20.—. 


Brun,  J.  L.  (avocat  ä  la  Cour  d'appel  de  Lyon),  Les  marques  de  fabrique  et  de 
commerce  en  droit  francais,  droit  compare  et  droit  international.  Paris,  Larose,  1895. 
gr.  in-8.  XX — 456  pag.  fr.  6. — .  (Table  des  matieres :  Droit  francais  :  Conditions  aux- 
quelles  doit  repondre  une  marque.  Effets  de  la  marque.  Perte  de  la  marque.  Droit 
des  e^rangers.  Generalites  sur  les  traites  et  les  Conventions.  —  Droit  compare  :  Allemagne. 
Angleterre.  Argentine.  Autriche-Hongrie.  Belgique.  Bresil.  Bulgare.  Canada.  Chili. 
Danemark.  Egypte.  Espagne.  Etats-Unis.  Grece.  Italie.  Japon.  Luxembourg.  Pays- 
Bas.  Portugal.  Roumanie  Russie.  Serbie.  Suede  et  Norvege.  Suisse.  Tunisie.  Turquie. 
Uruguay.  Venezuela.  —  Droit  international:  1.  Nature  de  la  propriet^  des  marques. 
Naissance  et  perte  de  la  marque.  Effets  de  la  marque.  2.  Union  internationale  de  la 
propriete'  industrielle:  Convention  du  20  mars.  Conference  de  Rome,  29  avril — 11  mai 
1886.  Conference  de  Madrid,  1  ä  14  avril  1890.  Protocole  determinant  l'interpretation 
et  l'application  de  la  Convention  conclue  ä  Paris  le  mars   1883.  — 

Fauconnet,  R.  (membre  de  la  del^gation  ouvriere  ä  l'Exposition  internat.  de 
Chicago),  L'employe  aux  Etats-Unis,  rapport  ou  gouvernement  francais.  Rouen,  impr. 
Cogniard,   1894.     8.     55  pag. 

Loppe,  F.  et  R.  Bouquet  (ingenieurs  des  arts  et  manufactures),  Traite  theorique 
et  pratique  des  courants  alternatifs  industriels.  1er  volume.  Partie  theorique.  Paris, 
Bernard  &  Cie  ,   1894.      8.      VIII -280  pag.     avec  figur.     fr.   10  — 

duMaroussem,  P.  ,  Fermiers  montagnards,  du  Haut-Forez  (Loire,  France), 
ouvriers-chefs  de  metier ,  dans  le  Systeme  des  engagements  momentanes,  d'apres  les 
renseignements  recueillis  sur  les  lieux,  en  aoüt  1892  et  aoüt  1893.  Paris,  Firmin- 
Didot  &  Cje  ,  1894.  gr.  in-8.  fr.  2. — .  (Les  ouvriers  des  deux  mondes,  publies  par  la 
Societd  d'economie  sociale,  IIe    serie,   35e  fascicule.) 

Annual  report,  VIII«*  ,  of  the  Factory  Inspector  of  the  State  of  New  York, 
Albany,  J.  B.  Lyon  printed,  1894.  gr.  in-8.  828  pp.  with  plates.  (Transmitted  to 
the  legislatury  January  31,   1894.) 

Calendar  of  the  patent  rolls  preserved  in  the  Public  Record  Office.  .  .  .  Ed- 
ward III.  a.  D.    1330  —  1334.     London,   Eyre  &  Spottiswoode,    1893.      8. 

Moli  na,  R.,  Esplodenti  e  modo  di  fabbricarli.  Milans,  U.  Hoepli  edit.,  1894.  16. 
XX — 300  pp.  (Contiene:  I.  Delle  materie  prime :  Del  salnitrio.  —  Dello  zolfo.  —  Del 
carbone.  —  II.  Fabbricazione  della  polvere  :  Dosamenti.  —  Triturazione.  —  Lavorazioni 
successive  della  polvere  da  fuoco.  —  III.  Esplodenti  speciali  e  proprietä  delle  polveri  da 
fuoco.   —   IV.  I  nuovi  esplodenti.) 


(324     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

6.     Handel  und  Verkehr. 

Bericht  über  Handel  und  Industrie  von  Berlin  nebst  einer  Uebersicht  über  die 
Wirksamkeit  des  Aeltestenkollegiums  im  Jahre  1893,  erstattet  von  den  Aeltesten  der 
Kaufmannschaft  von   Berlin.     Berlin,  Druck  von  A.  Hausmann,   1894.     Folio.     V — 294  SS. 

Bericht,  LXIII.,  der  beiden  Verwaltungskörper  der  Ludwigs-Eisenbahngesellschaft 
in  Nürnberg.  Nürnberg,  Druck  von  Stich,  1894  gr.  4.  40  SS.  (Die  Rechenschaft 
über  die  Geschäftsführung  im  Jahre  1893  und  die  Verhandlungen  der  Generalversamm- 
lung vom    1.  Febr.    1894  enthaltend.) 

Geschäftsbericht,  XXII.,  der  Direktion  und  des  Verwaltungsrates  der  Gott- 
hardbahn,  umfassend  das  Jahr  1893.  Luzern,  Buchdruckerei  Keller,  1894.  4.  92;  35; 
6;   12;   10   SS.  aus  graphischen   Darstellungen. 

Handelskammer  zu  Kolmar  i/Els.  Geschäftsbericht  für  das  Jahr  1893/94. 
Kolmar,  Buchdruckerei  Eglinsdörfer  &  Waldmeyer,   1894.      Lex. -8.     82   SS. 

Jahresbericht,  XXII.,  über  die  Verwaltung  der  Breslau- Warschauer  Eisen- 
bahn (preufsische  Abteilung)  für  das  Jahr  1893.  Breslau,  R.  Nischkowsky,  1894.  4. 
38  SS.     M.   1.—. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Bochum  für  das  Jahr  1893.  Bochum, 
Druck   von  Hoppstädter  &  C°,   1894.     folio.     67   SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Erfurt  für  das  Jahr  1893.  Erfurt, 
Ohlenroth'sche  Buchdruckerei,   1894.     Folio.     27  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  für  den  Kreis  Essen,  1893.  Teil  II.  Essen, 
1894.     Folio.     45  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Kassel  für  1893.  Kassel,  Druck  von 
W.   Schlemming,    1894.     Folio.     VIII— 98  SS. 

Jahresbericht,  XXXIX.,  der  Handelskammer  für  den  Regierungsbezirk  Münster 
für  1893.  Münster  i.  W.,  Buchdruckerei  von  J.  Bredt,  1894.  gr.  8.  158— XCI  und 
7  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Osnabrück  über  das  Jahr  1893  Osna- 
brück; Kislings   Buchdruckerei,   1894.      8.     VIII — 281   SS.  mit  tabellarischen   Beilagen. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  für  Ostfriesland  und  Papenburg  für  das 
Jahr   1893.     Teil  I.     Leer,  Druck  von  W.  J.   Leendertz,   1894.     Folio       18  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Strafsburg  i.  E.  für  das  Jahr  1893. 
Strafsburg  i.   E.,   Strafsburger  Druckerei  und  Verlagsanstalt,   1894.     Folio.     92   SS. 

Jahresbericht  der  grofsherz.  hessischen  Handelskammer  zu  Worms  für  die 
Jahre  1892  und   1893.     Worms,    Buchdruckerei  E.  Kranzbühler,    1894.     gr.   8.      194  SS. 

Jahresbericht  der  Handels-  und  Gewerbekammer  zu  Zittau  für  1893.  Zittau, 
Druck   von   R.   Menzel,   1894.     gr.  8.     XII— 304  SS. 

Jahresbericht  der  Zentralkommission  für  die  Rheinschiffahrt,  1893.  München, 
Druck  von  F.  Straub.  4.  IV — 97;  10;  52  SS.  nebst  26  Blatt  graphischer  Darstellungen 
der  Wasserstandsbewegung  des  Rheins  während  des  Jahres  1893  an  den  Pegeln  zu 
Maxau,  Mannheim,  Mainz,  Bingen,  Koblenz,  Köln,  Ruhrort,  Nymwegen  und  Arnheim. 
(Inhalt :  Verhältnis  des  Fahrwassers.  —  Anstalten  und  Einrichtungen  zur  Erleichterung 
und  Sicherung  der  Schiffahrt.  —  Schiffahrt-  und  Flofspolizei.  —  Statistik  der  Schiffahrt 
und   Flöfserei.   —  etc.) 

Koch,  W.,  Handbuch  für  den  Eisenbahngüterverkehr.  I.  Eisenbahnstatiousver- 
zeichnis  der  dem  Vereine  deutscher  Eisenbahnverwaltungen  angehörigen,  sowie  der  übrigen 
im  Betriebe  oder  Bau  befindlichen  Eisenbahnen  Europas  (mit  Ausnahme  der  Eisenbahnen 
Grofsbritanniens).  25.  Auflage.  Berlin,  Barthol  &  Cüe ,  1894.  Lex.-8.  XVI— 518  SS. 
M.  8 .— . 

Mitteilungen,  statistische,  zum  22.  Jahresbericht  der  Handelskammer  für  den 
Kreis  Mülheim  a.  Rhein   1893.     Mülheim  a.  Rh.    1894.     gr.   8 

Protokoll  der  am  25.  IV.  1894  in  Teplitz  abgehaltenen  XXXVI.  ordentlichen 
Generalversammlung  samt  Geschäftsbericht  der  k.  k.  priv.  Aussig-Teplitzer-Eisenbahn- 
gesellschaft.  Rechnungsbeilagen  und  Statistik  für  das  Jahr  1893.  Teplitz,  Druck  von 
O.  Weigend,    1894.     gr.   4.     Mit   11   Tabellen  statistischer  Anlagen. 

Protokoll  der  XXVII.  (ordentlichen)  Generalversammlung  der  Aktionäre  der  k.  k. 
privil.  Oesterreichischen  Nordwestbahu,  abgehalten  zu  Wien  am  25.  Mai  1894.  Wien, 
Selbstverlag  der  Gesellschaft,  1894.  gr.  4.  91  SS.  und  statistische  Beilagen.  55  u. 
49   SS.,  darunter   11   Blatt  farbige  graphische  Darstellungen. 

Protokoll  der  XLII.   (ordentlichen)  Generalversammlung  der  Aktionäre  der  k.  k. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     g25 

priv.  Süd-Norddeutschen  Verbindungsbahn,  abgehalten  zu  Wien  am  26.  V.  1894.  Wien, 
Selbstverlag  der  Gesellschaft,   1894.     gr.  4.      8 ;  63  und  (statistische   Beilagen)  25   SS. 

Schwarze,  W.  (AGerR  ),  Zur  Abänderung  der  Konkursordnung.  Vorschläge  für  die 
ehrliche  Geschäftswelt.    Berlin,  Puttkammer  &  Mühlbrecht,   1894.    gr.  8.      62  SS.     M.    1 .— . 

Wermert,  G.,  Pro  memoria.  2  Vorträge:  1.  Betrachtungen  über  die  agrarischen 
Angriffe  auf  den  Handelsstand  und  die  Handelsvertragspolitik  der  Reichsregierung ; 
2.  Ueber  die  Nordseeiusel  Helgoland  und  ihre  Bedeutung  für  das  Deutsche  Reich  Halle, 
Kaemmerer  &  C°,  1894.     gr.  8.     130  SS.  mit  statistischen  Tafeln.     M.  1,50. 


Annuaire  1894  de  l'Union  des  syndicats  du  commerce  et  de  l'industrie.  Paris, 
imprim.   Leve,    1894.     in-18  j^sus.      68  pag. 

Compte  rendu  des  travaux  de  la  chambre  syndicale  de  la  Societ6  pour  la  defense 
du  commerce  de  Marseille  pendant  l'annee  1893.  Marseille,  impr.  Barlatier  &  Barthelet, 
1894.     4.     228  pag. 

Poor,  H.  V.  and  H.  W.,  Manual  of  the  railroads  of  the  United  States  for  1894. 
XXVllth  annual  number.  New  York ,  Effingham  Wilson  ,  1894.  gr.  in-8.  126;  XVI; 
1390;  135  pp.  with  20  railroad  maps  of  the  U.  States,  cloth.  42/ — .  (Contents:  Route 
and  mileage  ;  Stocks,  bonds,  debts,  cost,  traffic,  earnings,  expenses  and  dividends  of  the 
railroads  of  the  U.  States;  their  organizations,  directors,  officers,  etc.,  —  A  füll  analysis 
of  the  debts  of  the  U.  States,  the  several  States  and  the  chief  counties,  municipalities  etc. 
of  the  country.  —  Statements  of  street  railway  and  traction  companies,  miscellaneous 
corporations,  etc.  — ) 

Report  by  the  Board  of  Trade  upon  all  the  railway,  canal,  tramway,  gas,  and 
water  bills  and  provisional  Orders  of  session  1894.  London,  printed  by  Eyre  &  Spottis- 
woode,   1894.     folio.     43  pp. 

Movimento  commerciale  del  Regno  d'Italia  nell'  anno  1893.  Roma,  tipogr. 
nazionale  di  G.  Bertero,  1894.  gr.  in-4.  XI — 387  pp.  (Pubblicazione  del  Ministero 
delle  finanze,  Direzione  generale  delle  gabelle,  Ufficio  centrale  di  revisione  e  di  statistica. 
Indice :  Parte  la:  Tavole  riassuntive.  —  Parte  2a:  Tavole  analitiche.  —  Appendice : 
Movimento  commerciale  della  dogana  di  Massaua.   — ) 

Movimento  della  navigazione  nei  porti  del  Regno  nell'  anno  1893.  Roma,  tipogr. 
nazionale  di  G.  Bertero,  1894.  XI — 359  pp.  gr.  in-4.  (Pubblicazione  del  Ministero 
delle  önanze,  Direzione  generale  delle  gabelle.  Contiene :  Movimento  della  navigazione 
per  operazioni  di  commercio  nei  dodici  porti  principali.  —  Movimento  della  navigazione 
in  tutti  i  porti  del  Regno :  Movimento  dei  battelli  per  la  grande  pesca.  —  Movimento 
generale  della  navigazione  in  tutti  i  porti  del  Regno,  ripartito  per  i  sei  grandi  tratti  del 
literale:  Ligure,  Tirreno,  Jonio,  Adriatico,  Sardo  e  Siculo.  —  Movimento  dei  battelli 
partiti  per  la  grande  pesca:  tasse  e  diritti  marittimi.  Movimento  della  navigazione  nei 
porto  di  Massaua.) 

Verslag  over  den  toestand  van  handel,  scheepvaart  en  nijverheid  te  Amsterdam 
in  18S3.  Amsterdam,  Joh.  Müller,  1894.  gr.  8.  8  en  368  blz.  met  2  platen  en  1  tab. 
fl.  2,50.     (Opgemaakt  door  de  Kamer  van  koophandel  en  fabrieken  aldaar.) 

7.     Finanzwesen. 

Geyer,  H.  (RegAssess.) ,  Soll  ich  eine  Vermögensanzeige  abgeben?  Kurze  Zu- 
sammenstellung der  wichtigsten  Bestimmungen  des  Ergänzungssteuergesetzes  und  der  dazu 
erlassenen  Anweisungen  des  Finanzministers.  Hannover,  Hahn,  1894.  gr.  8.  56  SS. 
M.  0,80. 

Lan  g- (Zürich),  O.,  Alkoholmonopol  und  Alkoholzehntel.  Zürich,  E.  Speidel,  1894. 
8.     31  SS.     M.  0,40. 

Nach  weisung  der  Rechnungsergebnisse  von  den  Etatsjahren  1.  IV.  1890 — 31.  III. 
1892  und  1.  IV.  1892— 31.  III.  1893  des  Königsreichs  Württemberg.  2  Teile.  Stutt- 
gart 1894.     4.     712  SS. 

Nöll,  F.  (GehORegR.) ,  Das  Kommunalabgabengesetz  vom  14.  Juli  1893  nebst 
Ausführungsanweisung  und  Uebergangsbestimmungen  vom  10.  Mai  1894  mit  Erläuterungen. 
Berlin,  Heymann,  1894.     gr.  8.     405  SS.     gen.     M.  9.—. 

Wetterhausen.  W.,  Die  direkten  Landessteuern  im  Grofsherzogtum  Mecklenburg- 
Schwerin  seit  dem  landesgrundgesetzlichen  Erbvergleich  vom  18.  April  1755.  Marburg 
(Druck  der  Sandmeyerschen  Hofbuchdr.  in  Schwerin)   1894.     8.     119  SS.     (Dissertation.) 


Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXIII).  40 


626     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutsehlands  und  des  Auslandes. 

Annuaire  general  des  finances  publie  d'apres  les  documents  officiels  sous  les 
auspices  du  Ministere  des  finances.  5«  annSe :  1894 — 95.  Paris,  Berger-Levrault  &  Cie, 
1894.     gr.   in-8.     480  pag.  avec  de  nombreaux  tableaux.      fr.   6. — . 

Roche,  J.,  L'impöt  general  sur  le  reveuu.  Discours  prononce  ä  la  Chambre  de 
deputes  le  9  juillet   1894.     Paris,  Flammarion,    1894.      in-18  Jesus.     52  pag. 

Lely,  J.  M.,  Finance  Act,  1894.  With  notes  and  index  and  an  introduction 
specially  directed  to  the  death  duties.     London,  Sweet  &  M.,   1894.     Roy.-8.     1/. — . 

Fazi,  F.,  Le  finanze  comunali  e  i  provvedimenti  proposti  dal  governo:  relazione 
della  commissione  terza ,  presentata  al  IV  congresso  dei  sindaci  e  dei  rappresentanti  i 
comuni  e    le  provincie    italiane    in  Roma.      Foligno,    tip.  cooperativa,     1894.     4.      30  pp- 

Girczy,  C.  (ingegn.)  e  M.  Marini,  La  perequazione  dell'  imposta  fondiaria  ed 
il  nuovo  catasto  in  Italia      Milano,  Porati  edit.,  1894.     8.     XVI— 367  pp.  con  due  tavole. 

1.  5.—. 

Relazione  della  direzione  generale  delle  imposte  dirette  e  dei  catasto  per  l'eser- 
cizio  finanziario   1892  —  93.     Roma,  tip.   nazionale  di  G.   Bertero,    1894.     4.      161   pp. 

Rubin,  Marcus  (Chef  for  Stadens  statistiske  Kontor),  Indkomstforholdene  i  K/aben- 
havn.  Kobenhavn,  Thieles  Bogtrykkeri,  1894.  Roy.  in-8.  63  pp.  (Kebenhavns  Kom- 
munes  Indtaegter  og  Udgifter  etc.) 

Cuenta  jeneral  de  las  entradas  y  gastos  fiscales  de  la  Republica  de  Chile.  2  vols. 
Santiago  de  Chile,  impr.  nacional,  1893.  gr.  in-8.  —  Documents  de  la  Cuenta  jeneral 
de  entradas  y  gastos.     Ibidem  1893.     gr.  in-4. 

8.     Geld-,  Bank-,  Kredit-  und  Versicherungswesen. 

Adami,  J.  II.,  Nicht  Bimetallismus  sondern  Kombinationswährung.  Berlin,  Putt- 
kammer &  Mühlbrecht,  1894.     8.     31  SS.     M.  0,60. 

Bahr,  O.  (ReichsgerR.  a.  D.),  Das  Börsenspiel  nach  den  Protokollen  der  Börsen- 
kommission.    Leipzig,  Grunow,  1894.     8.     91  SS.     M.   1. — . 

Bericht  über  den  Geschäftsbetrieb  der  Hessischen  Brandversicherungsanstalt  vom 
Jahre  1893.  Kassel  1894.  4.  127  SS.  (Beilage  zum  Amtsblatt  der  k.  Regierung  zu 
Kassel.) 

Bern  dt,  R.  (Direktor  der  Magdeburger  Feuerversicherungsgesellschaft),  Die 
Magdeburger  Feuerversicherungsgesellschaft  im  Spiegel  einer  50-jährigen  Vergangenheit. 
Der  Gesellschaft  gewidmet  zu  ihrem  Jubiläum  am  2.  Sept.  1894.  Magdeburg,  Haenelsche 
Hofbuchdruckerei,  1894.     gr.  8.     156  SS.  u.  68  SS.  Anlagen,     geb. 

Bulling,  C.  (GehJustR.),  Die  Wirksamkeit  der  Goldklausel  nachgewiesen.  Berlin, 
Rosenbaum  &  Hart,  1894.     8.     75  SS.     M.   1,50. 

Heyn,  O.  (Hamburgischer  AmtsR.  a.  D),  Der  indische  Silberzoll  und  die  Hebung 
des  Rubienkurses  in  ihrer  Bedeutung  für  Europa.  Berlin  ,  Puttkammer  &  Mühlbrecht, 
1894.     8.     43  SS.     M.  1.—. 

Raschke,  R.  (Assess.  bei  der  Versicherungsanst.  für  das  KR.  Sachsen),  Bekannt- 
machung des  Reichskanzlers,  betreffend  die  Invaliditäts-  und  Altersversicherung  von  Haus- 
gewerbtreibenden  der  Textilindustrie,  vom  l.  März  1894.  Erläutert  von  Raschke.  Leipzig, 
A.  Berger,  1894.     8.     100  SS.     M.   1,60. 

Schenck,  F.  (Verbandsanwalt  der  deutschen  Erwerbs-  und  Wirtschaftsgenossen- 
schaften), Jahresbericht  für  1893  über  die  auf  Selbsthilfe  gegründeten  deutschen  Erwerbs- 
und Wirtschaftsgenossenschaften.  Leipzig,  J.  Klinkhardt,  1894.  Imp. -Folio.  XIX — 140  SS. 
M.  9.—. 

Stall,  B.,  Internationales  Gold  —  nationales  Silber.  Berlin,  Deutsche  Zeitungs- 
verlagsanstalt, 1894.  gr.  8.  32  SS.  M.  1. — .  (Aus  dem  Inhalte:  Goldnot  und  Gold- 
überflufs.  —  Vorschläge  und  Prüfung  derselben  zur  Befestigung  und  Hebung  des  Silber- 
wertes.) 

Verhandlungen  der  internationalen  bimetallistischen  Konferenz  in  London,  ver- 
anstaltet   von    der    englischen  Bimetallistenliga  ....    unter    Vorsitz    des  Lord-Mayor    am 

2.  u.  3.  Mai  1894.     Berlin,    H.  Walther,    1894.     8.     120  SS.     M.  1.—.      (A.    u.  d.  T. : 
Schriften  des  Deutschen  Vereins  für  internationale  Doppelwährung  Heft  19.) 

Verwaltungsbericht  der  Invaliditäts-  und  Altersversicherungsanstalt  Berlin 
für  das  Rechnungsjahr  1893.     Berlin,  Druck  von  A.  Knickmeyer,    1894.     gr.  4.     40  SS. 

Bamberger,  L.,  Le  metal  argent  ä  la  fin  du  XIXe  siecle.  Traduit  par  Raphael- 
G.  Levy.     Paris,  Guillaumin  &  Cie,   1894.     8.     XIII— 353  pag.,  toile.     fr.  8.—. 

Bressolles,  P.,  Liquidation  de  la  Compagnie  de  Panama.     Commentaire  theorique 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     627 

et  pratique  de  la  loi  du  1«  juillet  1893.  Paris,  A.  Rousseau,  1894.  in-18  Jesus. 
IV— 188  pag. 

Compte  rendu  des  Operations  et  de  la  Situation  de  la  caisse  generale  d'epargue 
et  de  retraite,  acnee  1893.     Bruxelles,    imprim    E.  Bruylant,  1894.     Folio.     84  — XVIII  pag. 

Levy,  R.  G.,  Mdlanges  finauciers.  Paris,  Hachette  &.  C'i«  ,  1894.  in-18  ji'sus 
IX  —  316  pag.  fr.  3,50.  (Table  des  matieres  :  La  speculatiou  et  la  banque.  L'avenir  des 
metaux  precieux.  —  Le  change.  —  Le  billet  de  banque:  Europe.  Asie.  Afrique.  Arne- 
rique  du  Nord.     Amerique  centrale  et  meridionale.     Oeeanie.  — ) 

Mahillon,  A,  ConsideVations  pratique»  sur  l'examen  medical  en  matiere  d'assu- 
rances  sur  la  vie.     Paris,  H.   Laniertin,    1894.     8.      48   pag.   et  2   tableaux.     fr.   2,50. 

Kiddy,  J.  G.,  Tbe  couutry  bankers'  handbook  to  the  rules  and  practice  of,  Ist, 
tbe  Bank  of  England;  2»d,  the  London  bankers'  Clearing  House  ;  3nd,  the  stock  exchange. 
London,  Waterlow,   1894.     crowu-8.      120  pp.     2/.6. 

9.     Soziale  Frage. 

Dabn,  C.  (Prof.),  Ein  Sozialstaat  der  Wirklichkeit.  Dem  deutschen  Volke  zu 
Schutz  und  Frommen  gewidmet.  Braunschweig,  Appelhans  &  Pfenningstorff,  1894.  gr.  8. 
50  SS.     M.   0,60. 

G  ü  m  b  e  1  (Vorsitzender  des  evangel.  Arbeitervereins  Speier),  Der  rechte  evangelische 
Arbeiter.  Vortrag.  Aus  den  Verhandlungen  der  VII.  Generalversammlung  des  Evang. 
Bundes  zu  Bochum,  6.-9.  August  1894.  Leipzig,  C.  Braun,  1894.  8  9  SS.  M.  0,15. 
(Flugschriften  des  evangelischen  Vereins,   Heft  93.) 

Mar,  Hans,  Ueber  die  Verwahrlosung  der  Jugend  auf  dem  Lande.  Wien,  A.  Siegl, 
1894.     gr.  8.     47  SS.     M.  0,80. 

Not,  die,  des  vierten  Standes.  Von  einem  Arzte.  Leipzig,  F.  W.  Grunow,  1894. 
gr.  8.  VIII — 248  SS.  M.  2.  —  .  (Inhalt:  Die  Lebensverhältnisse  der  Arbeiter.  —  Die 
Ursachen  der  Krankheiten.  —  Die  Strafgesetze  und  der  vierte  Stand.  —  Der  vierte 
Stand  und  die  herrschenden  Klassen.  —  Die  Sozialdemokratie.  — ) 

Rincklake,  A.  (Prof.),  Erlösung  aus  sozialer  Not ! !  Durchführbares  Lohngesetz  ! 
Berlin,  W.  Homborg,  1894.     gr.  8.     32  SS.     M.  0,50. 

Schäppi,  J.  (NationalR),  Das  Recht  auf  Arbeit  und  der  Kampf  gegen  die  Arbeits- 
losigkeit. Eine  eingehende  Beleuchtung  des  Initiativbegehrens.  2.  Aufl.  Zürich,  Speidel, 
1894.     8.     39  SS.     M.  0,50. 

Tob  ler,  H.,  Die  Grenzgebiete  zwischen  Notstand  und  Notwehr.  Eine  kriminalistische 
Studie.     Zürich,  E.  Speidel,  1894.     8.     160  SS.     M.  3.—. 


Cheysson,  E.,  Le  budget  de  la  prevoyance  ouvriere,  communication  faite  le  4 
mars  1894,  ä  l'assemblee  generale  de  la  Societe  francaise  des  habitations  ä  bon  marchö. 
Paris,  Chaix,  1894.     8.     16  pag. 

Drage,  G.,  Eton  and  the  labour  question:  an  address  delivered  at  Eton  College  on 
May  26,   1894.     London,   Simpkin,   1894.     crown-8.     37  pp.     1/. — . 

Stead,  W.  T.,  Chicago  to-day;  or,  the  labour  war  in  America.  London,  „Review 
of  Reviews'   Office",   1894.     8.     294  pp.     1/.—. 

Boeri,  A.  (canon.),  II  socialismo :  conferenza  tenuta  al  circolo  cattolico  di  Mon- 
dovi  1'  11  marzo  1894.     Mondovi,  tip.  C.  A.  Fracchia,  1894.     16.     30  pp. 

10.     Gesetzgebung. 

A  r  a  k  i ,  T.  (aus  Japan),  Japanisches  Eheschliefsungsrecht.  Eine  historisch-kritische 
Studie.     Göttingen,  Druck  von  W.  F.  Kästner,  1894.     8.     53  SS.     (Dissertation.) 

Badstübner,  P.  (AmtsR.),  Der  Waisenrat  als  Hilfsorgan  des  Vormundschafts- 
richters und  seine  Mitwirkung  in  Erziehungsangelegenheiten.  Nach  den  heutigen  gesetz- 
lichen Bestimmungen  und  mit  Rücksicht  auf  seine  Organisation  kritisch  beleuchtet. 
Berlin,  Puttkammer  &  Mühlbrecht,   1894.     8.     VI— 57   SS.     M.   2.—. 

Bolze,  A.  (ReichsGerR.),  Die  Praxis  des  Reichsgerichts  in  Civilsachen.  Band  XVII. 
Leipzig,   Brockhaus,    1894.     gr.  8.     XI— 464  SS.     M.  6.—. 

Coulon,  C,  Ueber  das  gesetzliche  Pfandrecht  des  Bestandgebers.  Eine  civilistische 
Studie.     Wien,  Manz,   1894.      12.     III— 72  SS.     M.   1.—. 

Gesetz,  das,  zum  Schutz  der  Warenbezeichnungen  vom  12.  Mai  1894  mit  den 
Ausführungsbestimmuugcn,  Erläuterungen  und  Formularen  zur  Anmeldung.  Berlin,  Stan- 
kiewicz'  Buchdruckerei,   1894.     8.     43  SS.     M.  1.—. 

40* 


628     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Gl  um,  R.,  Ueber  die  Gefahr  beim  Trödelvertrage  nach  römischem  Rechte.  Berlin, 
Druck   von  Preufs,    1893.     8.     78  SS.     (Dissertation.) 

Göppert,  H.  (KammerGRef.) ,  Zur  rechtlichen  Natur  der  Personenbeförderung 
auf  Eisenbahnen.  Berlin,  Buchdruckerei  von  G.  Schade,  1894.  8.  gr.  8.  93  SS. 
(Dissertation.) 

Herbst,  R.  (Referendar),  Die  Beschimpfung  Verstorbener.  Braunschweig,  Druck 
von  Appelhans  &  Pfenuingstorff,     1894.     8.      45   SS.     (Göttinger  juristische   Dissertation.) 

Jacobson,  R.  (Rechtsanw.,  Hamburg),  Gesetz  zum  Schutz  der  Warenbezeichnungen 
vom  12.  Mai  1894  mit  Ausführungsbestimmungen,  erläuternden  Anmerk.  etc.  Berlin, 
Vahlen,   1894.      16.     55   SS.     M.  0,80. 

Olshausen,  J.  (RGerR.),  Die  Reichsgesetze  betreffend  das  geistige  Eigentum. 
Textausgabe  mit  Anmerkungen  und  Sachregister.  Berlin,  Vahlen,  1894.  16.  103  SS. 
kart.  M.  0,80.     (A.  u.  d.  T. :  Strafgesetzgebung  des  Deutschen  Reichs,  Bd.  III.) 

Ar  nette,  R.  (avocat  k  la  Cour  d'appel),  Droit  romain :  De  la  condition  des  en- 
fants  nes  hors  des  justes  noces ;  droit  public:  la  Iiberte  de  reunion  en  France,  son  histoire 
et  sa  legislation  (these).     Orleans,  impr.   Morand,   1894-     8      250 — IV  pag. 

Caillaud,  F.,  Droit  romain:  Des  garanties  accordees  aux  pupilles  contre  la  gestion 
des  tuteurs ;  droit  francais :  Des  mesures  de  protection  des  mineurs  et  des  interdits  en 
droit  international,  etude  sur  les  conflits  de  lois  (these).  Orleans,  impr.  Morand,  1894. 
8.     308  pag. 

Houyvet,  A.,  Les  tribunaux  de  commerce.  Paris,  Berger-Levrault,  1894.  8. 
VI— 183  pag.     fr.  3,50. 

I  s  a  u  r  e-T  o  u  1  o  u  s  e  (avocat) ,  Manuel  des  droits  de  timbre  ,  d'enregistrement  et 
d'hypotheques.     3   parties.     Paris,  Flammarion,   1894.     12.     fr.   3. — . 

Thiebaut,  L.  (avocat  ä  la  Cour  d'appel  de  Paris),  De  la  responsabilite  des  pro- 
prietaires  de  navires  et  des  armateurs,  et  des  divers  temperaments  qui  y  peuvent  etre 
apportes  tant  aux  termes  de  la  loi  elle-meme  qu'ä  l'aide  de  Conventions  (article  216  du 
Code  de  commerce).     Paris,  Rousseau,   1894.     8.     VIII — 296   pag. 

Bruno,  T.  (avvocato),  La  condizione  giuridica  della  donna  nella  legislazione  italiana  : 
studio  teorico-pratico.  Firenze,  G.  Barbera  edit.,  1894.  16.  VIII — 199  pag.  1.  2. — . 
(Contiene :  I.  Parte  storica.  —  II.  La  donna  nel  diritto  privato :  La  donna  prima  del 
matrimonio.  —  La  donna  durante  il  matrimonio.  —  La  donna  dopo  il  matrimonio.  — 
III.  La  donna  nel  diritto  pubblico :  Generalitä.  —  La  donna  nel  diritto  penale.  —  La 
donna  nel  diritto  amministrativo  e  nel  costituzionale.  — ) 

11.     Staats-  und  Verwaltungsrecht. 

Angerburg.  Kreishaushaltsetat  des  Kreises  Angerburg  für  die  Zeit  vom  1.  April 
1894  bis  31.  März   1895.     Angerburg,  gedruckt  bei  H.  Priddat,   1894.     Folio.      16   SS. 

Bericht  des  Provinzialausschusses  der  Rhejnprovinz  über  die  Ergebnisse  der  Pro- 
vinzialverwaltung,  Etatsjahr  vom  1.  IV.  1892  bis  31.  III.  1893.  Düsseldorf,  Druck  von 
Vofs  &  Cie  ,   1894.     4.     IX— 238  SS. 

Bericht  über  die  Verwaltung  des  Armenwesens  der  Stadt  Köln  a/Rh.  für  den 
Zeitraum  vom  1.  April  1893  bis  31.  März  1894.  Köln,  Druck  von  Ph.  Gehly,  1894. 
4.     66  SS. 

Dragendorff,  E.,  Ueber  die  Beamten  des  Deutschen  Ordens  in  Livland  während 
des  XIII.  Jahrhunderts.  Berlin,  Druck  von  Goedecke  &  Gallinek,  1894.  8.  97  SS. 
(Dissertation.) 

D  u  n  a  n  t ,  A.,  Die  direkte  Volksgesetzgebung  in  der  schweizerischen  Eidgenossen- 
schaft und  ihren  Kantonen.  Heidelberg,  Hörning,  1894.  gr.  8.  IV — 82  SS.  M.  2. — . 
(Dissertation.) 

Entscheidungen  des  Bundesamtes  für  das  Heimatwesen.  Im  amtlichen  Auf- 
trage bearbeitet  und  herausgegeben  von  J.  Krech  (k.  geh.  RegR.).  Heft  26,  enthaltend 
die  seit  dem  1.  September  1893  bis  zum  1.  Sept.  1894  ergangenen  wichtigeren  Ent- 
scheidungen.    Berlin,  F.  Vahlen,   1894.     8.     VIII— 188  SS.     M.  2.—. 

E 1  b  i  n  g,  Bericht  über  Verwaltung  und  Stand  der  Gemeindeangelegenheiten  um- 
fassend den  Zeitraum  für  das  Verwaltungsjahr  1893/94.  Elbing,  Druck  von  R.  Kühn, 
1894.  4.  82  SS.  —  Kämmereihauptetat  der  Stadt  Elbing  für  1.  April  1894/95.  Edb. 
1894.     4.     180  SS. 

Grols-Glogau.  Bericht  über  Verwaltung  der  Gemeindeangelegenheiten  der  Stadt 
Grofs-Glogau  für  das  Jahr  1893.     Glogau,    Druck    von  C.  Flemming,  1894.     4.     32  SS. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.      ß29 

Königsberg.  Entwurf  zum  Stadthaushalt  von  Königsberg  für  das  Rechnungs- 
jahr 1.  IV.  1894/95.  Königsberg,  Druck  von  Hausbrand's  Nachfolger,  1894.  4. 
301  SS. 

Laband,  P.,  Das  Staatsrecht  des  Deutschen  Reiches.  2.  Aufl.  Preiburg  i/B., 
Mohr,  1894.  Roy. -8  IV— 276  SS.  M.  7,50.  (A.  u.  d.  T. :  Handbuch  des  Oeffentlichen 
Rechts,   hrsg.   v.   H.  v.   Marquardsen  und  M.  v.  Seydel,  II,   1  ) 

Merseburg.  Bericht  über  Verwaltung  und  Stand  der  Gemeindeangelegenheiten 
der  Stadt  Merseburg  für  das  Jahr  1893/94.  Merseburg,  Druck  von  Th.  Röfsner,  1894. 
4.     35  SS. 

Mühlhausen  i.  Thür.  Haushaltsplan  für  die  Verwaltung  der  Stadt  Mühlhausen 
i.  Thür.  auf  das  Jahr  vom  1.  IV.  1894  bis  Ende  März  1895.  Mühlhausen,  Druck  von 
G.  Danner,   1894.     4.      47;   10  und  4  SS. 

Schönebeck.  Bericht  über  Stand  und  Verwaltung  der  Gemeindeangelegenheiten 
der  Stadt  Schönebeck  für  das  Jahr  1893.  Schönebeck,  Buchdruckerei  Th.  Wulfert,  1894. 
4.      38  SS. 

Thätigkeit,  die,  des  preufsischen  Abgeordnetenhauses  in  der  XIX.  Legislatur- 
periode, I.  Session:  1894.  Im  Auftrage  der  Nationalliberalen  Partei  dargestellt.  Berlin, 
Puttkammer   &  Mühlbrecht,    1894.     gr.   8.     IV— 179   SS.     M.  1.—. 

Trier.  Bericht  über  Verwaltung  und  Stand  der  Gemeindeangelegenheiten  der 
Stadt  Trier  für  das  Rechnungsjahr  1893/94  nebst  Haushaltsetat  pro  1894/95.  Trier, 
Lintz'sche  Buchdruckerei,   1894.     4.     60    SS. 

Verhandlungen  des  XXXVIII.  Rheinischen  Provinziallandtags  vom  27.  Mai 
bis  2.  Juni  1894.  Düsseldorf,  Druck  von  Vofs  &  fjie,  1894.  4.  IX— 238  SS.  Nebst 
der  Anlage:  Stenographischer  Bericht  über  die  Verhandlungen  des  XXXVIII.  Reinischen 
Provinziallandtags.     Ebd.   1894.     IX— 222   SS. 

Verhandlungen  des  XXVIII.  Kommunallandtags  des  Regierungsbezirks  Wies- 
baden vom  17.  IV.  bis  28.  IV.  1894.  Wiesbaden,  Druck  von  C.  Ritter,  1894.  4. 
XII— 386  SS. 

Verwaltungsbericht  des  Kreises  Angerburg  für  1893/94.  Angerburg,  gedruckt 
bei  H.  Priddat,  1894.     Folio.     18  SS. 

Wygodzinski,  W. ,  Ueber  altwürttembergische  Gemeindegüterpolitik.  Berlin, 
Druck  von  Preufs,   1894.     8.     38  SS.     (Dissertation.) 


i 


Biseuil,  Les  derniers  jours  du  Parlement  de  Navarre.  Pau,  impr.  Emperanger, 
1893.     8.     30  pag. 

Hurson,  R.,  Etüde  sur  une  reorganisation  du  notariat  en  France.  Paris,  Cheva- 
lier-Marescq  &  0 ,   1894.     8.     IX — 124  pag.     fr.   2.—. 

Vers  lag  van  den  toestand  der  gemeente  Rotterdam  over  het  jaar  1893.  Rotter- 
dam, van  Waesberge  &  Zoon,  1894.     8.     331  bzl.  en  30  bijlagen,  500  blz. 

Memorando  al  governo  italiano  per  la  durevole  pacificazione  della  Sicilia. 
Palermo,  libr.  C.  Clausen,   1894.     8.     40  pp. 

12.  Statistik. 
Deutsches  Reich. 

Konkursstatistik  für  die  Jahre  1891  und  1892.  Drittes  Vier- 
teljahrsheft zur  Statistik  des  Deutschen  Reiches.  Herausgegeben  vom 
Kaiserlichen   statistischen  Amt,  Jahrgang   1893.     Berlin    1893. 

In  Band  2  der  III.  Folge  (Jahrgang  1891)  dieser  Jahrbücher  haben 
wir  die  Ergebnisse  der  Konkursstatistik  der  wichtigeren  Kulturländer 
einer  eingehenden  Besprechung  unterzogen.  Dabei  ergab  sich,  dafs  die 
amtliche  deutsche  Statistik  auf  diesem  Gebiete  hinter  den  Leistungen 
fremder  Staaten  im  ganzen  zurückgeblieben  war.  Die  Reichsjustizstatistik, 
welche  u.  a.  auch  über  die  Konkurse  fortlaufende  Mitteilungen  bringt, 
geht  über  den  Rahmen  einer  blofsen  Geschäftsstatistik  nicht  hinaus,  und 
wird  mit  ihren  Angaben  über  die  Zahl  der  alljährlich  eröffneten,  be- 
endigten und  schwebenden  Verfahren  der  wichtigen    volkswirtschaftlichen 


630     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Seite  der  Konkursstatisik  in  keiner  Weise  gerecht.  "Wir  lassen  dahinge- 
stellt, ob  einer  Erweiterung  der  Justizstatistik  nach  dieser  Richtung  hin 
unüberwindliche  Schwierigkeiten  im  Wege  stehen  mochten.  Jedenfalls 
ist  es  sehr  erfreulich,  dafs  inzwischen  das  Kaiserliche  statistische  Amt 
sich  entschlossen  hat,  durch  eine  auf  eigener  Grundlage  aufgebaute 
Statistik  der  Konkurse  jene  Lücke  nach  Möglichkeit  auszufüllen.  Es 
verwertet  zu  diesem  Zwecke  die  im  deutschen  Reichsauzeiger  regelmäfsig 
erscheinenden  Veröffentlichungen  über  die  Eröffnungs-,  Aufhebuugs-  und 
Einstellungsbeschlüsse  der  Konkursgerichte,  welche  übrigens  früher  schon 
von  privater  Seite  (s.  diese  Jahrb.,  N.  F.  Band  IX,  X  und  XI)  mit  Er- 
folg zu  statistischen  Zusammenstellungen  benutzt  wurden.  Auch  in 
sonstiger  Hinsicht  weicht  die  neue  Ermittelung  von  der  justizstatistischen 
Erhebung  ab,  so  dafs  die  beiderseitigen  Ergebnisse  nicht  ohne  weiteres 
vergleichbar  sind. 

Ihren  ausgesprochenen  Zweck,  als  Material  für  die  sozialwissenschaft- 
liche Forschung  zu  dienen,  erfüllt  die  vorliegende  Statistik    insofern,    als 
die    Konkurse    getrennt    nach    der  Berufs-    und  Gewerbsaugehörigkeit   der 
Gemeinschuldner,    und    zwar  im  Anschlufs    an  die  Gruppierung  der  deut- 
schen Berufs-  und  Gewerbestatistik  nachgewiesen  werden,    und  als  ferner 
nicht,  wie  bei  der  Justizstatistik,  die  Gerichtsbezirke,  sondern,  entsprechend 
dem    Verfahren    bei    der    sonstigen     amtlichen    Sozial-    und    Wirtschafts- 
statistik,   die    politischen    Verwaltungsbezirke    der    Staaten    der    örtlichen 
Verteilung  zu  Grunde  gelegt  sind.     Im  übrigen  erstrecken  sich  die  Nach- 
weise auf  die  eröffneten  Konkurse  (auch  nach  den  Monaten  der  Eröffnung), 
die  beendeten  Konkurse  (auch  nach  Dauer  und  Art  der  Beendigung)  und 
die  schwebenden  Konkurse ;  diejenigen  der  Handelsgesellschaften  und  Ge- 
nossenschaften werden  noch  besonders  nachgewiesen.     Durch  Kombination 
jener  verschiedenen  Gesichtspunkte  entsteht  ein  reichgegliedertes  Material, 
welches    jetzt    zum    ersten  Male    für    die  Jahre    1891    und   1892    vorliegt. 
Die  eingehende  Bearbeitung  desselben  aus  der  Feder  des  Gerichtsassessors 
Dr.  Klein   wird    allen    Anforderungen    gerecht,    welche    man    in    formaler 
und  materieller  Hinsicht  an    eine    solche    stellen    mufs.     Recht  brauchbar 
wird  diese  Statistik  freilich  erst  dann  werden,  wenn  die   Ergebnisse  einer 
längeren  Reihe  von  Jähen  vorliegen    und  namentlich    auch  eine  neue  Be- 
rufszählung   das    Material    für   weitere    Vergleichungen   geboten    hat.     Zu 
bedauern   bleibt    immer,    dafs    die  Grundlagen    der  Statistik,    die  Bekannt- 
machungen   im  Reichsanzeiger,    keine    Aussicht,    darauf   eröffnen,    dafs    im 
weiteren  Verlaufe  der  Erhebungen  nach  dem  Vorgange  der  aufserdeutschen 
Konkursstatistiken     auch    die    finanzielle  Seite  der  Konkurse,    nämlich  die 
Gröfse  der  Aktiva  und  Passiva,  die  zur  Verteilung  gelangten  Dividenden, 
die  Kosten  des  Verfahrens  u.  s.  w.    angemessene  Berücksichtigung    finden 
werden.     Jedenfalls  aber  reiht  sich  die  vorliegende  Arbeit  in  ihrer  Anlage 
wie    in    ihrer  Durchführung    den    sonstigen    vortrefflichen  Leistungen  des 
Kaiserlichen  statistischen  Amtes  würdig  an. 

Köln.  Dr.  A.  Wirminghaus. 

Auszug,  statistischer,  und  verschiedene  Nachweise  in  bezug  auf  Hamburgs  Handels- 
zustände  im  Jahre  1893.  Hamburg,  Druck  von  Ackermann  &  Wulff,  1894.  4.  61  SS. 
(Herausgegeben  von  der  Handelskammer  in  Hamburg.) 


Uebersicbt  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     (531 

Beiträge  zur  Statistik  Mecklenburgs.  Vom  grofsherz.  statistischen  Bureau  zu 
Schwerin.  Band  XII,  Heft  3,  1.  Abteilung.  Schwerin,  Bärensprung'sche  Hof  buch- 
druckerei, 1894.  Roy. -4.  12  SS.  mit  Karte  in  qu.-folio.  (Inhalt:  Die  Flächenverhält- 
nisse  der  mecklenburgischen  Flufsgebiete,  von  W.  Peltz  (Distriktsingenieur  zu  Grabow). 
Bericht,  statistischer,  über  den  Betrieb  der  unter  königlich  sächsischer  Staatsver- 
waltung stehenden  Staats-  und  Privateisenbahnen  mit  Nachrichten  über  Eisenbahnneubau 
im  Jahre  1893.  Dresden,  Druck  von  Heinrich,  1894.  4.  VIII  —319  SS.  Mit  üeber- 
sichtskarte  vom  Bahnnetz  und  2  graphischen  Darstellungen.  Hierzu  die  Beilage  :  Nach- 
weis trag  der  am  Schlüsse  des  Jahres  1893  hei  den  unter  k.  sächs.  Staatsverwaltung 
stehenden   Eisenbahnen  vorhandenen  Transportmittel  etc.     Ebd.   1894.     4.      101   SS. 

Bericht  des  Medizinalrates  über  die  medizinische  Statistik  des  Hainburgischen 
Staates  für  das  Jahr  1893.  Hamburg,  Druck  von  J.  C.  H.  Riiter,  1894.  4.  70  SS.  mit 
8  Abbildungen  im   Text  und   8   Tafeln   graphischer  Darstellungen. 

Conrad,  J.  (Prof.),  Die  Statistik  der  Universität  Halle  während  der  200  Jahre 
ihres  Bestehens.  Jena,  G.  Fischer,  1894.  4.  M.  3.  — .  (Separatausgabe  aus  der  Jubi- 
läumsfestschrift.) 

Ergebnisse  der  Zivil-  und  Strafrechtspflege  und  Bevölkerungsstand  der  Gerichts- 
gefängnisse und  Strafanstalten  des  Königreichs  Bayern  im  Jahre  1892.  München,  Kaiser, 
1894.     gr.  4.     XXXIV— 89  SS.     M.   3.—. 

Jahresbericht,  medizinisch-statistischer,  über  die  Stadt  Stuttgart  im  Jahre  1893. 
Jahrgang  XXI.  Herausgegeben  vom  Stuttgarter  ärztlichen  Verein.  Redigiert  von  W. 
Weinberg.     Stuttgart,  Metzler,   1894.     8.     98  SS.   nebst  Plan   von  Stuttgart. 

Mitteilungen  des  statistischen  Bureaus  des  herzoglichen  Staatsministeriums  zu 
Gotha,  Jahrgang  1894,  Heft  1  und  2.  Gotha,  Druck  der  Engelhard-Reyher'schen  Hof- 
buchhdlg.  1894.  gr.  4.  79  SS  (Inhalt:  Heft  1  :  Statistische  üebersicht  über  die  Ver- 
anlagung der  Einkommen-  und  Klassensteuer  im  Herzogt.  Sachsen-Koburg  in  den  Etats- 
jahren 1874/75  bis  1892/93  und  im  Herzogt.  Sachsen-Gotha  in  den  Etatsjahren  1873/74 
bis  1892/93.  —  Heft  2  :  Zusammenstellung  des  Bestandes  an  Rindvieh  und  Schweinen  in 
Sachsen-Koburg  und  Gotha  nach  den  Zählungen  am  10.  I  1883,  1.  XII.  1892  und 
1.  XII.  1893.  —  Vergleichende  Üebersicht  über  die  Ergebnisse  der  aufserordentlichen 
Zählung  des  Rindviehs  und  der  Schweine  am  1.  XII.  1893  und  der  Ergebnisse  der  all- 
gemeinen Viehzählungen  am  1.  XII.  1892  und  am  10.  I  1883  in  Sachsen-Koburg  und 
Gotha.) 

Neumanns  Ortslexikon  des  Deutschen  Reichs.  Ein  geographisch  -  statistisches 
Nachschlagebuch  für  deutsche  Landeskunde.  3.  neu  bearbeitete  Aufl.  von  W.  Keil. 
Leipzig  und  Wien,  Bibliographisches  Institut,  1894.  Roy. -8.  XLII— 1028  SS.  M.  13.  — . 
Preufsische  Statistik.  (Amtliches  Quellenwerk.)  Herausgegeben  in  zwanglosen 
Heften  vom  kgl.  statistischen  Bureau  in  Berlin.  Heft  128:  Die  Heilanstalten  im  preufsischen 
Staate  während  der  Jahre  1889,  1890  und  1891.  Berlin,  Verlag  des  Bureaus,  1894. 
Roy.-4.  XXXII— 171  SS.  M.  5,20.  —  Heft  130:  Die  Irrenanstalten  im  preufsischen 
Staate  während  der  Jahre  1889  bis  1891.  Ebd.  1894.  Roy.-4.  XII— 128  SS.  M.  3,60. 
Produktion  der  Bergwerke,  Salinen  und  Hütten  des  preufsischen  Staates  im 
Jahre  1893.  Berlin,  Verlag  von  Ernst  &  Sohn,  1894.  4.  28  SS.  (Sonderabdruck  aus 
der  „Zeitschrift  für  Berg-,   Hütten-  und  Salinenwesen".) 

Statistik  der  Güterbewegung  auf  deutschen  Eisenbahnen  nach  Verkehrsbezirken 
geordnet.  Herausgegeben  im  k.  preufsischen  Ministerium  der  öffentlichen  Arbeiten. 
Band  XLIX  :  12.  Jahrgang,  1894,  1.  Vierteljahr.  Berlin,  Heymann,  1894.  Folio.  364  SS. 
geb.  M.   11.—. 

Statistik  des  Hamburgischeu  Staates.  Bearbeitet  und  herausgegeben  von  dem 
statistischen  Bureau  der  Steuerdeputation.  Heft  XV,  2.  Abteilung.  Hamburg,  0.  Meifs- 
ner,  1894.  4.  166  SS.  (Inhalt:  Grundsteuergesetzgebung  des  Hamburgischen  Staates 
sowie  die  Katastrierung  des  landwirtschaftlich  benutzteu  Grundeigentums  und  ihre  wich- 
tigsten statistischen  Ergebnisse.  —  Die  Bewegung  der  Bevölkerung  in  den  Jahren  1878 
bis  1891.  —  Hamburgische  Sterblichkeitstafel.  —  Die  Ernteerträge  im  Hamburgischen 
Staate  in  den  Jahren  1878  bis  1892,  sowie  die  Saatenstandsberichte  und  das  Ernteergeb- 
nis des  Jahres  1893.  —  Hauptergebnisse  der  Viehzählungen  vom  1.  XII.  1892  und  1893 
im  Hamburgischen  Staate.) 

Oesterreich-Ungarn. 
Jahrbuch,  statistisches,    der  Stadt  Wien    für    das    Jahr  1892,    Jahrgang  X.     Be- 
arbeitet von  (Drr.)  St.  Sedlaczek    und  W.   Löwy.      Wien,    Verlag    des   Wiener  Magistrats, 


632     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

1894.  Roy.-8.  XIII— 736  SS.  geb.  (A.  u.  d.  T. :  Mitteilungen  des  statistischen  Departe- 
ments des  Wiener  Magistrates.) 

Mataja,  V.,  Die  Handelsstatistik  des  Österreich-ungarischen  Zollgebiets.  Vortrag. 
Wien,  1894.  gr.  8.  18  SS.  (Sonderabdruck  aus  der  „Wochenschrift  des  Niederöster- 
reichischen  Gewerbevereins".) 

Oesterreichische  Statistik.  Herausgegeben  von  der  k.  k.  statistischen  Central- 
kommission,  Bd.  XXXVI,  Heft  2:  Ergebnisse  des  Konkursverfahrens  (in  Cisleithanien) 
im    Jahre    1889    (A.    u.    d.    T. :    Statistik    der    Rechtspflege    (in    Cisleithanien)    für    1889 

Heft  2.)  —  X— 55  SS.  fl.   I .     Bd.  XXXVI,  Heft  4:  XXII.  Statistische  Uebersicht  der 

Verhältnisse  der  österreichischen  Strafanstalten  und  der  Gerichtsgefängnisse  im  Jahre 
1889.  XXXII— 109  SS.  fl.  2,30.  —  Bd.  XXXVI,  Heft  5:  Statistische  Nachweisungen 
über  das  zivilgericbtliche  Depositenwesen,  die  kumulativen  Waisenkassen  und  über  den 
Geschäftsverkehr  der  Grundbuchsämter  (Veränderungen  im  Besitz-  und  Lastenstande  der 
Realitäten)  im  Jahre  1889.  (A.  u.  d.  T.:  Heft  5  der  Statistik  der  Rechtspflege  (in 
Cisleithanien)  für  das  Jahr  1889.)  XXIV— 106  SS.  fl.  2.—.  —  Bd.  XXXVII,  Heft  4, 
Abteilung  2:  Statistik  des  Verkehrs  (in  Cisleithanien)  vornehmlich  für  die  Jahre  1881 
bis  1891  :  Seeschiffahrt  und  Seehandel,  Eisenbahnen,  Posten,  Telegraphen  und  Telephone, 
Aufsenhandel  und  Handel  zwischen  Oesterreich  und  Ungarn.  IV — 169  SS.  fl.  2,60.  — 
Bd.  XXXVIII,  Heft  1  :  Statistik  der  Sparkassen  (in  Cisleithanien)  für  das  Jahr  1891. 
XLV— 57  SS.  fl.  1,50  —  Bd.  XXXIX,  Heft  1  :  Die  Ergebnisse  der  Civilrechtspflege 
(in  Cisleithanien)  im  Jahre  1890.  (A.  u.  d.  T.  :  Statistik  der  Rechtspflege  (in  Cisleitha- 
nien) für  das  Jahr  1890,  Heft  1.)  XLIII— 113  SS.  fl.  2,50.  —  Bd.  XXXIX,  Heft  3: 
Die  Ergebnisse  der  Strafrechtspflege  (in  Cisleithanien)  im  Jahre  1890.  (A.  u.  d.  T. : 
Statistik  der  Rechtspflege  (in  Cisleithanien)  für  das  Jahr  1890,  Heft  3.)  XLII— 167  SS. 
fl  3.—.  Zusammen  7  Hefte.  Wien,  C.  Gerolds  Sohn ,  1894  Imp.-4.  (Die  Hefte 
Bd.  XXXVI,  2  u.  4  sind  vom  k.  k.  Justizministerium,  die  Hefte  Bd.  XXXIX,  1  u.  3 
sind  unter  Mitwirkung  des  k.  k.  Justizministeriums,  die  übrigen  Hefte  sind  von  dem 
Bureau  der  k.  k.  statistischen  Centralkommission  bearbeitet.) 

Statistik  des  böhmischen  Braunkohlenverkehrs  im  Jahre  1893.  Jahrgang  XXV. 
Teplitz  1894.  Roy.-8.  XLVII—  83;  16  SS.  mit  graphischer  Verfrachtungskarte  und 
einem  Situationsplan  der  Station  Aussig  samt  Umschlagsplätzen  in  Imp.-folio.  (Heraus- 
gegeben von  der  Direktion  der  Aussig-Teplitzer  Eisenbahngesellschaft.) 

Ungarisches  statistisches  Jahrbuch.  Neue  Folge  I:  1893.  Im  Auftrage  des 
k.  ungar.  Handelsministers  verfafst  und  herausgegeben  durch  das  k.  ungarische  statistische 
Bureau.  Budapest,  Druckerei  der  A. -Gesellschaft  Athenaeum,  1894.  Lex. -8.  XII — 355 
SS.  geb.  fl.  5 — .  (Amtliche  Uebersetzung  aus  dem  ungarischen  Originale.  Inhalt : 
Flächeninhalt,  Gebäude  und  Wohnungsverhältnisse.  —  Stabile  Bevölkerung,  Bewegung 
der  Bevölkerung.  —  Sanitätswesen.  —  Urproduktion.  —  Bergbau  und  Hüttenwesen.  — 
Industrie  und  Handel.  —  Auswärtiger  Verkehr.  —  Kommunikationswesen.  —  Geld-  und 
Kreditwesen.  —  Feuerschäden.  —  Kulturelle  Verhältnisse.  —  Kriegsmacht.  —  Staats- 
haushalt. — ) 

Frankreich. 
Resultats  statistiques  du  denombrement  (de  la  France)  de  1891.  Paris,  impri- 
merie  nationale,  1894.  gr.  in-8.  X — 814  pag.  avec  21  diagrammes  et  35  cartogrammes 
inseres  dans  le  texte.  (Publication  du  Ministere  du  commerce,  de  l'industrie,  des  postes 
et  des  tel^graphes,  Office  du  travail.  Table  des  matieres  :  Population  residente :  Variations 
de  la  population  de  la  France.  Population  et  densite  des  arrondissements  et  des  departe- 
ments  en  1801  et  en  1891.  Population  agglomeree,  eparse  et  comptee  ä  part.  Popu- 
lation urbaine  et  rurale.  Resume  du  mouvement  de  la  population  entre  les  denombre- 
ments  de  1886  et  de  1891.  Classement  des  communes  d'apres  le  nombre  de  leurs 
habitants.  —  Population  presente :  Maisons  de  logements.  Locaux  affect^s  au  commerce 
et  ä  l'industrie.  Population  d'apres  le  lieu  de  naissance.  Reparation  des  Francais  par 
döpartement  et  par  province  d'origine.  Echanges  de  la  population  entre  departements  et 
provinces.  Populations  classees  par  nationalite.  Population  classee  par  sexe.  Repar- 
ation de  la  population  par  etat  civil.  Population  classee  par  äge.  Age  moyen  de  la 
population.  Duree  du  mariage.  Nombre  d'enfants  par  famille,  suivant  la  duröe  du 
mariage.  Nombre  moyen  d'enfants  par  famille.  Duree  moyenne  du  mariage  d'apres  le 
nombre  d'enfants.  —  Classement  de  la  population  par  profession  et  par  condition :  Popu- 
lation professionnelle  par  äge.     Population    professionnelle    par    condition    et  par  departe- 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.    633 

ment.     Population  par  condition.     Reparation  geographique  de  la  population  par  condition. 

—  Tableaux.  —  etc.) 

Bnfsland. 

Cboählih  öiOjUieTeHL  no  ropoay  Mockbs  3a  1893  rOÄT>.  (Bulletin  recapitulatif  de 
la  ville  de  Moscou,  public  par  le  Bureau  de  la  statistique  municipal,  annee  1893.) 
Moskau  1894.     gr.  8.     14  pp. 

Italien. 

Bilanci  comunali  e  provinciali  per  l'anno  1891  e  situazione  dei  debiti  comunali  e 
provinciali  al  31  dicembre  1891.  Roma,  tipogr.  dell'  „Opinione"  1894.  Lex.  in-8. 
LXIV — 290  pp.  1.  2,50.  (Pubblicazione  del  Ministero  di  agricoltura,  industria  e  commercio, 
Direzione  generale  della  statistica.  Contiene :  Introduzione.  —  Bilanci  comunali  (Tavole 
analitiche ;  Riassunti  statistici.)  —  Bilanci  provinciali  (Tavole  analitiche ;  Riassunti 
statistici.)  — ) 

Popolazione.  Movimento  dello  stato  civile  (del  Regno  d'Italia),  anno  1892. 
Con  notizie  sommarie  per  l'anno  1893.  Roma,  tipogr.  Elzeviriana,  1894.  Lex.  in-8. 
XL1X — 186  pp.  1.  3. — .  (Pubblicazione  della  Direzione  generale  della  statistica.  Con- 
tiene :  Matrimoni.  —  Nati  (esclusi  i  nati-morti).  Nati-morti.  —  Feconditä  della  popo- 
lazione. —  Parti  multipli.  —  Morti.  —  Nati  e  morti  divisi  per  sesso  e  matrimoni.  — 
Figli  naturali  legittimati  per  provincie  e  compartimenti.  —  Sposi  e  spose  classificati  per 
anno  di   nascita,  per   provincie  e  compartimenti.  —  etc.) 

Statistica  della  assistenza  dell'  infancia  abbandonata,  anni  1890,  1891  e  1892. 
Roma,  tipogr.  Elzeviriana,  1894.  Lex.  in-8.  100  pp.  1.  1.  —  .  (Pubblicazione  del 
Ministero  di  agricoltura,  industria  e  commercio,  Direzione  generale   della  statistica.) 

Statistica  della  emigrazione  Italiana  avvenuta  nell'  anno  1893.  2  parti.  Roma, 
tipogr.  cooperativa  Romana,  1894.  XVI — 87;  125  pp.  1.  2,50.  (Pubblicazione  del 
Ministero  di  agricoltura,  industria  e  commercio.  Parte  II,  pp.  1  — 125:  Leggi  e  regola- 
menti  di  alcuni  Stati  d'Europa  e  d'America  sull'  emigrazione  e  sulla  immigrazione.) 

Holland. 

Stati  stiek  van  bet  Koninkrijk  der  Nederlanden.  Bescheiden  betreffende  de 
geldmiddelen.  XIX<ie  stuk  (2de  gedeelte)  1893:  Mededeeling  van  de  opbrengst  der  be- 
lastingen  en  andere  middelen  en  van  verschillende  bijzonderheden  met  de  heffing  der 
belastingen  in  verband  staande.  s'Gravenhage,  M.  Nijhoff,  1894.  4.  119  blz.  (Uitge- 
geven  door  het  Departement  van  financien.) 

Statistiek  van  den  in-,  uit-  en  doorvoer  (van  den  Koninkrijk  der  Nederlanden) 
over  het  jaar  1893.  I.  gedeelte  (geordnet  nach  Warengattungen).  'sGravenhage,  gedrukt 
bij  gebroeders  Giunta  d'Albani ,  1894.  Imp.  in-folio.  XIX— 502  en  12  blz.  (Uitge- 
geven  door  het  Departement  van  financien.) 

Statistiek  van  den  loop  der  bevolking  van  Nederland  over  1892.  'sGravenhage, 
van  "Weelden  &  Mingelen,  1894.  gr.  in-8.  246  pp.  fl.  0,40.  (Uitgegeven  door  het 
Departement  van  binnenlandsche  zaken.) 

Serbien. 
CiaTHCTHKa  KpaBeBime  Cpönie.  Ktiira  HI.  Iloirac  oöpaieHe  3eMBe  y  KpaBeBirau 
Cp6niH  1889  rOÄHHe.  Eeorpaa  1894.  gr.  in-4.  LXIII— 239  pp.  (Statistik  des  König- 
reichs Serbien  Band  III:  Statistische  Erhebung  über  das  besäete  Kulturland  Serbiens, 
1889.  Mit  13  graphischen  Tafeln.  Veröffentlichung  des  Ministeriums  für  Handel,  Acker- 
bau und  Industrie.) 

Amerika.  (Vereinigte  Staaten.) 
Compendium  of  the  Census  of  the  United  States.  2  parts.  Washington,  Govern- 
ment printing  Office,  1894.  4.  With  coloured  maps,  cloth.  30/.—.  (Contents.  Part  I. 
Population  :  Introduction.  —  Report  on  the  progress  of  the  nation  —  Specimens  of 
forms  of  schedule  used  by  enumerators.  —  Statistics  of  population  for  each  State  and 
territory  from  1790  to  1890.  —  Coloured  population  classified.  —  Dwellings  and  fami- 
lies.  —  Statistics  of  Alaska.  —  CXL— 957  pp.  —  Part  II.  Vital  and  social  statistics  : 
Educational  and    church  statistics.  —  Wealth,    debt    and    taxation.  —  Mineral  industries. 

—  Insurance.  —  Foreign-born  population.  —  MaDufactures,  etc.     1064  pp.) 


634     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

F 1  i  n  t  (Weston),  Statistics  of  public  libraries  in  the  United  States  and  Canada. 
Washington,  Government  printing  Office,   1894.      8.     XIII — 213  pp. 

Asien    (China). 

China.  Imperial  maritime  customs.  1.  Statistical  series,  N°  2:  Customs  gazette, 
N°  CI:  January-March  1894.  Shanghai,  Kelly  &  Walsb,  and  London,  King  &  Son, 
1894.  4  214  pp  $  1. — .  (Published  by  order  of  the  Inspector  General  of  Customs, 
issued   2ßth  May   1894. 

China.  Imperial  maritime  customs.  I.  Statistical  series :  Nos  3  and  4 :  Returns 
of  trade  and  trade  reports  for  the  year  1893.  Part  II:  Reports  and  statistics  for  each 
port.  With  the  reports  and  statistics  for  Corea  (35th  issue  of  China,  29th  issue  of  Corea.) 
Shanghai,  Kelly  &  Walsh,  and  London.  King  &  Son,  1894  4.  VII—  688  pp.  $  5  ~. 
(Published  by  order  of  the  Inspector  General  of  Customs.) 

China  imperial  maritime  customs.  II.  Statistical  series,  N°  2:  Medical  reports  for 
the  half-year  ended  31st  March  1891.  41st  issue.  Shanghai,  Kelly  &  Walsh,  aud  Lon- 
don, King  &  Son,   1894.     4.     VI— 46   pp.     $  1.—.     (41st  issue.) 

Australien  (Tasmania.) 
Statistics  of  the  Colony  of  Tasmania  for  the  year   1892.     Compiled  in  the  Office 
of  the  Government  Statistician  from  official  records.)     Tasmania,  W.   Grahame,  jun.   prin- 
ted,   1893.     Folio.     VIII — 443;   30  pp.     (Parliamentary  paper  of  Tasmania.) 

13.  Verschiedenes. 

Blenck,  E.,  Die  Zunahme  der  Blitzgefahr  und  die  Einwirkung  des  Blitzes  auf 
den   menschlichen  Körper.     Berlin,  M.   Pasch,   1894.     gr.   8.     28  SS. 

Gerönne  (Reg.  u.  MedR.),  Generalbericht  über  das  öffentliche  Gesundheitswesen 
im  Regierungsbezirk  Posen  in  den  Jahren  1889,  1890  und  1891.  Posen,  Jalowicz,  1894. 
8.      216  SS.  mit  tabellarischen   Beilagen. 

Heller,  L. ,  Selbsthilfe.  Ein  Roman  der  Sparsamkeit  und  Lebenskunst.  Real- 
sozialistisches Zukunftsbild.  Leipzig,  Härtung  &  Sohn,  1894.  gr.  8.  IV — 196  SS. 
M.  1,60. 

Hirsch,  William,  Genie  und  Entartung.  Eine  psychologische  Studie  2.  Aufl. 
Berlin,  O.   Coblentz,   1894.     gr.  8.      VI— 340  SS       M.  6— . 

Hughes,  Hugh  Price,  Der  atheistische  Schuhmacher.  Ein  Blatt  aus  der  Geschichte 
der  West-London-Mission.     Leipzig,  R    Werther,    1894.     8.      71   SS.     M.  0,60. 

Jahrbücher  der  Hamburgischen  Staatskrankenanstalten.  Herausgegeben  von  den 
Aerzten  dieser  Anstalten  unter  Redaktion  von  Prof.  Th.  Rumpf  (Direktor  des  Neuen  All- 
gemeinen Krankenhauses  Hamburg-Eppendorf).  Band  III,  Jahrgang  1891/92.  Hamburg, 
L.  Vofs,  1894.     gr.  Lex.-8.     9;    XXXV;    314;    517  SS.  mit  13  Tafeln,  geb.     M.  20.—. 

Kawerau,  W.,  Die  Jubelfeier  der  Universität  Halle.  Halle  a./S.,  E.  Strien.  1894. 
8.     62  SS.     M.  0,75. 

Mut,  der,  der  Kaltblütigkeit  gegenüber  der  anarchistischen  Propaganda  des  Ver- 
brechens, von  ***.     Leipzig,   K.   F.   Pfau,  1894.     8.     26   SS.     M.  0,50. 

Regen  er,  F.,  Schopenhauers  Ansichten  über  Erziehung.  Wiesbaden,  E.  Behrend, 
1894.  gr.  8.  40  SS.  M.  0,60.  (A.  u.  d.  T.:  Pädagogische  Zeit-  und  Streitfragen 
Heft  38.) 

Schneidewin,  Max  (Prof.),  Das  politische  System  des  Reichskanzlers  Grafen 
von  Caprivi.     Danzig,  A.  W.   Kafemann,   1894.     gr.   8.     VIII— 158  SS.      M.   2.—. 

Scholz,  F.,  Ueber  Fortschritte  in  der  Irrenpflege.  Leipzig,  E.  H.  Mayer,  1894. 
gr.  8.     63  SS.     M.   1,20. 

Wer  sind  die  Koreaner?  Neuester  authentischer  Bericht  von  einem  Kenner.  Berlin, 
H.  Lazarus,  1894.     8.     16  SS. 

Winkel,  G.  G.,  Die  Wappen  und  Siegel  der  Städte,  Flecken  und  Dörfer  der  Alt- 
mark und  Prignitz.  Magdeburg,  Baensch  jun.  ,  1894.  8.  X — 80  SS.  mit  30  farbigen 
Wappen  und  47  Siegelabbildungen  auf  5  Tafeln. 


Campagnole,  E.  (Secretaire  du  Conseil  superieur  de  l'assistance  publique), 
L'assistance  mddicale  gratuite  (commentaire  de  la  loi  du  15  juillet  1893).  Paris,  Berger  - 
Levrault  &  C>e,   1894.     gr.  in-8.      358  pag.     fr.   6  — . 

Laurent,    O.,    Les  Universites  des  Etats-Unis  et  du  Canada    et  specialement   leurs 


Die  periodische  Presse   des  Auslandes.  635 

institutions  medicales.  Paris,  H.  Lamertin,  1894.  8.  320  paff.  av.  22  figures  et  plans. 
fr.  5.—. 

Martel,  E.  A. ,  Les  abimes,  les  eaux  souterraines,  les  eavernes ,  les  sources,  la 
spelaeologie.  Explorations  souterraines  effectuöes  de  1888  ä  1893  en  France,  Belgique, 
Autriche  et  Grece.  Paris,  Ch.  Delagrave,  1894.  grand  in-4.  580  pag  avec  4  photo- 
typies,    16  planches  hors  texte,    100  gravures  et  20  cartes,  plans  et  coupes.     fr    20. — . 

Rapport  sur  le  Service  des  enfants  assist^s  et  de  la  protection  du  premier  äge 
dans  le  departement  du  Gard,  presente  par  A.  Galand  (inspecteur  des  enfants  assist^s). 
Nitnes,  imprim.   Chastanier,   1894.      8.      117   pag. 

Annual  message  (Illrd)  0f  E.  S.  Stuart  (Mayor  of  the  city  of  Philadelphia)  with 
annual  reports  of  A.  M.  Beitier  (Director  of  the  Department  of  public  safety  and  of  the 
Board  of  Health)  for  the  year  ending  December  31,  1893.  Issued  by  the  city  of  Phila- 
delphia, 1894.  Philadelphia,  Dunlap  printing  C°,  1894.  gr.  in-8  737  pp.  With  plates 
(figures  and  graphics)  cloth 

y^enua  3anncKH  HMnepaTOpcicaro  lOpteBCKaro  ymiBepCHTeia.  Acta  et  commen- 
tationes  Imp.  universitatis  Jurievensis  (olim  Dorpatensis).  1893  in  4  Quartalsheften,  und 
1894,  1.   Semester.     Jurjew,  Matiesen,   1894.     gr.   8. 

Saggio  dei  risultati  antropometrici  ottenuti  dallo  spoglio  dei  fogli  sanitarii  delle 
classi  1859 — 1863,  eseguito  all'  ispettorato  di  sanita  militare  sotto  la  direzione  dei  R.  Livi 
(Capitano  medieo).  Roma,  E  Voghera,  1894.  Roy.  in-4.  48  pp.  con  2  tavole  grafiche. 
(Presentato  ai  membri  della  XIV  sezione  dei  XI  Congresso  medieo  internazionale,  Roma 
1894.) 

Sole,  Biagio  (avvocato),  II  divorzio :  saggio  critico.  Potenza,  tip  lit.  A.  Pomarici, 
1894.  4  439  pp.  (Contiene:  II  problema.  —  Processo  storico  dei  divorzio.  —  La 
liberta.  —  II  contratto.  —  II  matrimonio.  —  Dunque  ?  —  L'interesse  sociale.  —  L'interesse 
dei  figli.  —  Sofismi  dei  divorzisti.   —  II  divorzio  in  Italia.  —  L'avvenire  dei  divorzio.   — ) 


Die  periodische  Presse  des  Auslandes. 

A.  Frankreich. 

Bulletin  du  Ministere  de  l'agriculture.  XHIe  annee,  1894,  Nos  4  et  5  :  A.  France: 
Statistique  des  forets  soumises  au  regime  forestier  (forets  domaniales,  communales  et 
d'etablissements  publics),  annee  1892,  avec  20  cartes.  —  Nouvelles  etudes  sur  l'utilisation 
des  marcs  de  vendange,  par  A.  Müntz  (prof.  ä  l'Institut  national  agronomique).  — 
Rapport  sur  l'exposition  des  vins  au  cencours  general  agricole  de  Paris  en  1894,  par 
G.  Rabault.  —  Compte  rendu  de  la  foire  aux  jambons  en  1894.  —  Utilisation  des  turbes 
comme  litieres  et  engrais.  —  B.  Etranger :  Documents  statistiques  sur  la  viticulture  ä 
l'etranger.  —  Espagne  :  Monographie  des  vins  de  Jeres,  par  M.  de  Laigue  (consul  general 
de  France  a  Cadix).  —  Grece :  Notes  sur  l'agriculture  en  Grece  (extraits  de  rapports 
consulaires).  —  etc. 

Bulletin  de  statistique  et  de  legislation  comparee.  XVIII>eme  ann£e,  1894,  Aoüt : 
A.  Franc,  colonies  :  Reglement  d'administration  publique  concernant  les  caisses  de  secours 
et  de  retraites  des  ouvriers  mineurs.  —  Les  bons  du  Tresor.  —  La  caisse  nationale  des 
retraites  pour  la  vieillesse.  —  Le  commerce  exterieur  en  1893.  Resultats  definitifs.  — 
Produits  des  droits  sur  les  boissons  depuis  1880.  —  Les  revenus  de  l'Etat,  exercice  1894 
(France,  7  premiers  mois,  Algßrie  6  premiers  mois).  —  Le  commerce  exterieur,  mois  de 
Juillet  1894.  —  Les  exemptions  temporaires  d'impot  foncier  dans  les  departements 
phylloxeres  pendant  l'annee  1893.  —  Les  compagnies  d'assurances  sur  la  vie.  —  B. 
Pays  etrangers :  Pays  divers :  La  produetion  de  l'or  depuis  quatre  cents  ans.  —  Italie : 
Les  nouvelles  mesures  fiscales  et  financieres.  Le  budget  de  l'exercice  1894/95.  — 
Grece :  Les  budgets  de  la  Grece  depuis  1882.  —  Russie  :  Les  nouveaux  Statuts  de  la 
Banque  de  Russie.  —  Etats-Unis :  La  vente  des  terres  publiques  et  l'agriculture.  — 
Republique  argen tine :  La  Situation  financiere  et  economique.  —  Canada:  Le  nouveau 
tarif  douanier.  —  Japon:  Les  budgets  de  l'Empire.  La  dette  publique  depuis  1883. 
Le  commerce  exterieur  en  1893.  —  Chili :  La  Situation  financiere  et  economique.  —  etc. 


636  Die  periodische  Presse  des  Auslandes. 

Journal  des  Economistes.  Revue  mensuelle.  15  Aoüt  1894:  L'Etat  et  la  societe\ 
le  socialisme  et  l'individualisme ,  par  Maur.  Block  (suite  et  fin).  —  La  question  des 
noirs  aux  Etats-Unis,  par  G.  Tricoche.  —  Le  mouvement  agricole,  par  G.  Fouquet.  — 
Revue  des  principales  publications  6conomiques  en  langue  francaise.  par  Rouxel.  —  Les 
dettes  publiques  russes  en  1862  ä  1894,  par  L.  Winiarsky.  —  Le  meeting  annuel  de 
Cobden  Club.  —  Les  assurances  contre  les  aeeidents  en  Allemagne,  par  P.  Muller.  — 
A  propos  du  congres  sur  la  propriete  bätie,  par  Pascal  Grivet.  —  Les  impots  en  Angle- 
terre.  —  Soci^te  d'economie  politique,  röunion  du  5  aoüt  1894:  Neurologie  :  H.  Schoen- 
feld.  Discussion :  Quelles  sont  les  limites  de  l'intervention  de  l'Etat  en  matiere  d'assu- 
rances  ?  —  etc. 

Journal  de  la  Societe  de  statistique  de  Paris.  XXXViSme  annee,  1894,  N°  8, 
Aoüt:  Proces-verbal  de  la  seance  du  18  juillet  1894.  —  Reparation  de  la  propriete  non 
bätie  en  France,  par  Yves  Guyot.  —  Productivite  de  l'administration  de  l'enregistrement, 
des  domaines    et    du  timbre,    par  L.  Salefranque.  —  Les    conseils    de    prud'hommes,    par 

E.  Tverne's.  —  Chronique  des  transports  (2e  trimestre  1894),  par  Beaurin-Gressier.  — 
Chronique  des  banques,  changes  et  m6taux  precieux,  par  P.  des  Essars.  —  Chronique 
de  statistique  generale,  par  A.  Liegeard.   —  etc. 

Moniteur  des  assurances.  Revue  mensuelle.  Tome  XXVI,  1894,  N°  309  et 
310,  15  Juin  et  15  Juillet:  Decisions  relatives  ä  l'assurance-ineendie,  par  C.  Oudiette. 
—  Decisions  relatives  ä  l'assurance-vie,  par  L.  Regnault.  —  Decisions  relatives  ä  l'assu- 
rance-aeeidents ,  par  E.  Pagot.  —  Projet  de  loi  sur  les  assurances  en  Italie.  —  Les 
socie^s  de  secours  mutuels  en  France.  —  Assurances  sur  la  vie.  Operations  des  com- 
pagnies  francaises  d'assurances  sur  la  vie  en  1893,  par  P.  Sidrac.  (Sommaire :  I.  Assu- 
rances. II.  Rentes  viageres.  III.  Reserves.  IV.  Frais  gdneraux  et  commissions. 
V.  R6sume.  Actif  des  compagnies  au  31  decembre  1893.)  —  Operations  r£alisees  par 
les  compagnies  d'assurances  sur  la  vie  de  1819  ä  1893.  —  Assurances  contre  l'incendie  : 
Les  propositions  Bourgeois,  par  A.  Thomereau.  —  Etüde  sur  le  contrat  d'assurances 
contre  les  aeeidents,  par  E.  Pagot  (suite  1).  —  L'assurance  sur  la  vie  en  Angleterre, 
1887 — 1893.     Assurances  ordinaires  et  assurances  industrielles,  par  H.   Scott.  —  etc. 

Revue  des  deux  mondes.  LXIVe  annee,  4e  periode,  tome  121,  livraison  1,  1er  jan- 
vier  1894:  Le  socialisme  et  la  liberte,  par  A.  Desjardins  (de  PInstitut  de  France).  — 
Gladstone  et  la  chambre  des  Lords,  par  A.  Filon.  —  Les  juifs  sous  la  domination 
romaine.   —    Herode  le  grand,  par  E.  Renan.  —  etc. 

Revue  internationale  de  sociologie  (Paris).  2e  annee,  N°  7  ä  8:  Juillet  —  Aoüt 
1894 :  Enquete  sur  la  valeur  actuelle  du  cadastre,  par  E.  Cheysson.  —  De  l'influence 
du  progres  des  Communications  sur  Involution  des  societes ,  par  H.  Decugis.  —  La 
Classification  des  sciences  et  la  sociologie,  par  B.  Limanowski.  —  La  conf6rence  de 
Berlin,  par  Nie.  E.  Politis.  —  Les  theories  sociales  de  Necker,  par  G.  Weill.  —  Mouve- 
ment social :  Espagne,  par  A.  Posada.  —  etc. 

B.     England. 

Board  of  Trade  Journal.  Vol.  XVII,  N°  97,  August  1894:  Coal  produetion  of 
the  world.  —  Foreign  exhibitions  and  commercial  museums.  —  Critical  condition  of  the 
French  woollen  industry.  —  French  Chambers  of  commerce.  —  Silk  industry  of  Damas- 
cus.  —  Industries  of  Persia.  —  Notes  on  a  recent  journey  trough  Corea.  —  Foreign 
trade  of  Corea.  —  Coal  fields  of  Mexico.  —  Cofifee  eulture  in  Honduras.  —  Import  trade 
of  Costa  Rica.  —  Canadian  tariff  changes  (concluded).  - —  Tarif?  changes  and  customs 
regulations.  —  Extracts  from  diplomatic  and  consular  reports.  —  General  trade  notes.  — 
State  of  the  skilled  labour  market.  —    Statisties  of  trade,  emigration,  fisheries,  etc.  — 

Contemporary  Review,  the.  September  1894:  The  question  of  Korea,  by  H. 
Norman.  —  Britain  and  the  United  States :  Cost  of  living,  by  A.  Carnegie.  —  The  new 
drift  in  foreign  affairs,  by  F.  Greenwood.  —  Lotus  eating  and  opium  eating,  by  J.  G. 
Alexander.  —  Possible  developments  in  naval  armament,  by  J.  Eastwick.  —  ,,If  Christ 
came  to  Chicago",  by  (Prof.)  Goldwiu  Smith.  —  Palestine  research,  past  and  future,  by 
(Major)     C.  R.   Conder.  —  The  American    question,    III :    In  Turkey  (conclusion),  by   H. 

F.  B.  Lynch.   —  etc. 

Fortnightly  Review,  the.  September  1894:  Some  anarchist  portraits,  by  Ch. 
Malato.  —  Politics  and  science,  by  K.  Pearson.  —  The  work  of  Mr.  Pater,  by  L.  John- 
son. —  Oxford  v.  Yale,  by  W.  H.  Grenfell.  —  A  journey  to  the  sacred  mountain  in 
China,    by    A.    H.    Savage-Landor.    —     The    rajahs    of    Sarawak ,     by    H.    Le    Roux.  — 


Die  periodische  Presse  des  Auslandes.  637 

Imaginative  currency  statistics,  by  J.  Barr  Robertson.  —  Prof.  Drummond's  discovery, 
by  (Mrs.)  Lynn  Lioton.  —  The    municipal    museums    of  Paris,    by  Fr.  Harrison.  —   etc. 

H  u  m  a  n  i  t  a  r  i  an  ,  the.  A  monthly  magazine,  edited  by  Victoria  Woodhull  Martin. 
Vol.  V,  M°  3,  September  1894:  Sunday  observance,  by  W.  Ilolman  Hunt.  —  An  old-time 
humanitarian,  by  Elisabeth  Martyn.  —  About  the  new  Hebdonism,  by  Grant  Allen.  — 
Green  leaves,  by  Mabel  Collins.  —  Longevity  in  London,  by  Hugh  Percy  Dünn.  — 
The  oppressed  ryots  of  Behar,  by  D.  N.  Reid.  —  Pawnbroking,  by  G.  W.  Moon.  — 
The  redemption  of  the  criminal,  by  Th.  C.  Collings.  —  The  bondwoman  and  the  free, 
by  Zula  Maud   Woodhull.  —  etc. 

New  Review,  the.  September  1894:  China  and  Japan.  I.  Ashere,  by  (Sir)  E. 
Arnold.  II.  At  sea,  by  Nauticus.  ■ —  Dalmeny  and  Devonshire,  by  T.  H.  S.  Escott.  — 
The  financial  outlook,  by  H.  Withers.  —  In  defence  of  anarchy,  by  Wordsworth  Donis- 
tborpe.  —  Secrets  from  the  court  of  Spain  (V).  —  The  chaos  of  marriage  and  divorce 
laws,   by  J.   Henniker  Heaton   (conclusion).   — 

Nineteenth  Century,  the.  A  monthly  review,  edited  by  J.  Knowles,  N°  210, 
August  1894:  The  place  of  heresy  and  schism  in  the  modern  Christian  church,  by  W. 
E.  Gladstone.  —  The  Italian  case  against  France,  by  (Cav.)  W.  L.  Alden  (late  American 
Consul-General,  Rome).   —  Mutual  aid  in  the  mediaeval    city,    I.,    by  (Prince)  Krapotkin. 

—  The  farce  of  „University  Extension",  by  Ch.  Whibley.  —  The  war-chests  of  Europe, 
by  (Prof.)  Geffcken.  —  In  the  Tarumensian  woods,  by  R.  B.  Cunninghame  Graham.  — 
The  labour  war  in  the  United  States.  —  Faets  from  Bihar  about  the  Mud-daubing,  by 
W.  Egerton.  —  Is  our  race  degenerating  ?  by  H.  Percy  Dünn.  —   etc. 

Transactions  of  the  Manchester  Statistical  Society,  session  1893 — 94:  Strikes 
and  economic  fallacies,  by  W.  Fogg.  —  The  objective  causes  of  pauperism,  by  J.  M. 
Rhodes.  —  The  future  of  the  voluntary  schools,  by  E.  J.  Broadfield.  —  The  Inebriate 
Acts  of  1879 — 80  in  theory  and  practice,  with  a  suggested  amendment,  by  E.  Neild.  — 
The  hours  and  cost  of  labour  in  the  cotton  industry  at  home  and  abroad,  by  Fr.  Merttens. 

—  etc. 

C.    O  e  s  te  r  r  ei  ch-Un  gar  n. 

Deutsche  Worte.  Monatshefte  herausgegeben  von  E.  Pernerstorfer.  Jahrg.  XIV, 
1894,  Septemberheft:  Wie  ist  dem  Handwerkerstande  zu  helfen?  Ein  Aufsatz  von 
Rodbertus,  mitgeteilt  von  Moritz  Wirth.  —  Eine  naturwissenschaftliche  Vernichtung  der 
Sozialdemokratie,  von  A.  Lampa  (Wien).  —  Der  wahre  und  der  falsche  Sozialismus, 
von  Sidney  Webb.  —  Recht  und  Zweck  der  Strafe.  Eine  soziale  Studie,  von  Irma 
v.  Troll-Borostyäni  (Salzburg).  —  etc. 

Ungarische  Revue.  Mit  Unterstützung  der  Ungarischen  Akademie  der  Wissen- 
schaften. Herausgegeben  von  (Prof.)  K.  Heinrich.  Jahrgang  XIV,  1894,  Heft  5 — 7  : 
Mai  bis  Juli :  LIV.  feierliche  Jahresversammlung  der  Ung.  Akademie  der  Wissenschaften. 

—  Die  Entstehung  des  Magyarentums,  von  H.  Vämbery.  —  Szdchenyi  und  die  Nationali- 
tätenfrage, von  Mich.  Zsilinszky.  —  Die  Intelligenz  in  Ungarn  und  das  Ungarntum,  von 
J.  Jekelfalussy.  —  Zur  Geschichte  des  Friedensschlusses  von  Szegedin  1444.  —  etc. 

Zeitschrift  für  Volkswirtschaft,  Sozialpolitik  und  Verwaltung.  Organ  der  Gesell- 
schaft österreichischer  Volkswirte.  Herausgegeben  von  E.  v.  Böhm-Bawerk,  K.  Th.  Iuama- 
Sternegg,  E.  v.  Plener.  Band  III,  1894,  Heft  3:  Zur  englisch-schottischen  Genossen- 
schaftsbewegung, von  V.  John.  —  Die  Gebührenerleichterung  bei  der  Konvertierung  der 
Hypothekenschulden,  von  W.  Schiff.  —  Verhandlungen  der  Gesellschaft  österreichischer 
Volkswhte,  Plenarsitzung  XLV— XLVII,  vom  20.  III.  bis  17.  IV.  1894.  —  Ludwig  Gall, 
der  erste  deutsche  Sozialist,  von  R.  Singer.  —  Das  Gesetz  betreffend  die  Ausdehnung 
der  Unfallversicherung.  Die  Gesetze  betreffend  die  Einlösung  von  Staatsnoten  und  die 
Herabminderung  der  schwebenden  Schuld  in  Partialhypothekaranweisungen,  von  K.  Th. 
v.  Inama-Sternegg.  —  etc. 

D.    Rufsland. 
Bulletin  Russe    de    statistique    financiere    et    de    l^gislation.    I^re    annde,    N°  5, 
Juillet  1894:    Budget  ordinaire  et  budget  extraordinaire  (d'apres  le  „Viestnik  Financof".) 

—  Tableau  de  emprunts  d'Etat  et  Emissions  assimilees  dont  le  service  d'interet  et  d'amor- 
tissement  s'effectue  en  roubles-credit.  —  Importations  de  la  Russie  pendant  les  4  premiers 
mois  de  1894.  —  La  flotte  marchande  ä  vapeur.  —  Monnaies  d'or  frappees  en  Russie 
depuis    le    1er  janvier    1886    (imperiales    et    demi-imperiales    nouvelles).    —    Bilan    de    la 


ß38  ®ie  periodische  Presse  des  Auslandes. 

Banque  de  Russie  au  13  et  au  28  juin  1894.  —  Classification  des  societes  par  actions 
banque,  commerce,  travaux  publics  et  industrie)  au  ler  janvier  1893  [les  chemins  de  fer 
non  compris].  —  Kote  sur  le  mecanisme  des  patentes.  —  Rendeinent  des  patentes  de 
1863  ä  1891  inclusivement.  —  Reparation  geographique  du  produit  des  patentes.  — 
Repartition  du  produit  des  patentes  entre  les  diverses  eategories  d'assujettis.  —  Tableau 
des  societes  par  actions  et  associations  y  assimilees  existant  en  Russie  au  ler  janvier 
1893.  —  Dettes  de  municipalites  russes  au  ler  janvier  1894.  —  Nouveaux  Statuts  de  la 
Banque  de  Russie,  proinulgues  le  24  juin  (6  juillet)  1894.  —  Banque  centrale  du  credit 
foncier  de  Russie.  —  etc. 

£.  Italien. 
Bulletin  de  l'Institut  international  de  statistique  (Rome.)  Tome  VII,  1894, 
livraison  2  et  3 :  Movimento  della  popolazione  in  alcuni  Stati  d'Europa  e  d'America. 
Parte  I.  Matrimoui  e  nascite  negli  anni  1874/92.  —  Appunti  statistici  sulla  emigrazione 
dall'  Europa  e  sulla  immigrazione  in  America  e  in  Austraiia.  —  L'imposta  progressiva 
e  le  riforme  tributarie  di  alcuni  Stati  europei,  per  G.  Ricca-Salerno.  Dell'  ordinamento 
degli  uifici  centrali  di  statistica  dell'  impero  di  Germania  e  del  regno  di  Prussia.  —  La 
nouvelle  Organisation  du  Service  statistique  dans  la  Republique  Argentine.  —  Organisation 
du  pouvoir  legislatif  dans  le  royaume  de  Hongrie.  —  Essai  d'anthropometrie  militaire, 
per  Rid.  Livi.  —  Confronti  internazionali  di  statistica  delle  cause  di  morte.  —  Notizie 
statistiche  sull'  alcoolismo  in  Italia  e  in  alcune  altri  Stati.  —  Sülle  condizioni  demo- 
gratiche,  edilizie  ed  amministrative  di  alcune  grandi  cittä  italiane  ed  estere.  —  Les  impots 
et  les  dettes  hypothecaires  sur  la  propriete  fonciere  rustique  dans  quelques  Etats  d'Europe. 

—  Necrologies  :  F.  H.  W.  Edelmann;  A.  Errera;  P.  Jordan;   G.   G.  F.  Röscher.  —  etc. 

G  i  o  r  n  a  1  e  degli  Economisti.  Rivista  mensile  degli  interessi  Italiani.  Settembre 
1894:  Sulla  „consumers  rent" ,  per  E.  Barone.  —  La  dottrina  politico-economica  di 
Fr.  Ferrara ,  per  D.  Berardi.  —  II  riordinamento  delle  borse  di  commercio ,  per 
G.  Valenti.  —  Cronaca,  per  V.  Pareto.  —  Previdenza,  per  C.  Bottoni.  —  Situazione  del 
mercato  monetario,  per  X.  —  Supplemente  al  Giornale  degli  Economisti :  La  distribuziene 
delle  ricchezze.  Saggio  bibliografico,  per  L.  Cossa.  —  Saggio  di  bibliografia  economica 
italiana  (1870 — 90),  per  A.  Bertolini  (continuazione).  —  etc. 

G.    Belgien  und  Holland. 

Revue  sociale  et  politique  publiee  par  la  Societe  d'etudes  sociales  et  politiques. 
Fondateur:  A.  Couvreur  (Bruxelles).  IVe  annee,  1894,  N°  4:  Les  hauts  salaires  aux 
Etats-Unis,  par  E.  Waxweiler.  —  Informations  diverses :  Belgique :  Le  legislation  sociale 
en  Belgique ;  Habitations  ouvrieres  ;  Societes  mutualistes ;  Credit  agricole ;  Caisses  d'assu- 
rances.     Le  congres  du  parti  ouvrier.  —  etc. 

de  Economist  opgericht  door  J.  L.  de  Bruyn  Kops.  XLIII.  jaargang,  1894. 
September.  (Deutsche  Uebersetzuug  der  Inhaltsangabe  in  holländischer  Sprache) :  China 
und  Java,  von  N.  P.  van  den  Berg.  —  Ein  schwedischer  Arbeiterversicherungsentwurf, 
von  A.  F.  van  Leijden.  —  Goldproduktion  und  Einwanderung  in  Transvaal.  —  Grund- 
eigentumsverhältnisse und  die  Staatshypothekenbank  Rumäniens.  —  Wirtschaftliche 
Chronik:  Arbeitsmangelabhilfe,  Statistik  der  Arbeitervereine,  Fabrikinspektion,  Reichs- 
münze und  Ergebnisse  des  Reichspostsparkassenbetriebs  1893  im  KR.  der  Niederlande. 
Das  französische  Bergarbeitergesetz.     Sozialpolitik  Belgiens.    —    Handelschronik.    —  etc. 

K.    Spanien. 
El  Economist a.     Madrid.     Ano  1894,  N° 428 y  429:  El  emprestito.  —  Proyecto 
del  monopolio  del  acohol  en  Francia.  —  La  produetiön  de  oro  y  plata  en   1893.   —  Los 
positos    y    los    bancos    agricolos.    —    Los    futuros  presupuestos.  —  Las    obligaciones  del 
Tesoro  y  el  emprestito.  —  Conferencia  internacional  bimetälica  de  Londres.  — 

L.    Amerika. 
Ann  als  of  the  American  Academy  of  political  and  social  science  (issued   bimonthly). 
Vol.  V,  N°  2,    September    1894:   The  ultimate   Standard  of  value,   by  E.  v.  Böhm-Bawerk. 

—  Relation  of  labor  organizations  to  trade  Instruction,  by  E.  W.  Bemis.  —  Mortgage 
banking  in  Russia,  by  D.  M.  Frederiksen.  —  Beginning  of  Utility,  by  S.  N.  Patten.  — 
Present  condition  of  sociology  in  the  U.  States,  by  J.  W.  Howerth.  —  Improvement  of 
country  roads  in  Massachusetts  and  New  York,  by  E.  E.  Johnson.  —  Supplement  to  the 


Die  periodische  Presse  Deutschlands.}  639 

Annais,  vol.  V,  N°  2  :  Constitution  of  the  kingdom  of  Prussia,  translated  and  supplied  with 
an  introduction  and  notes,   by  J.   Ilarvey   Robinson.     54  pp. 

Quarterly  Journal  of  Econouiics  (Boston).  April  aud  Juuy  1894:  A  universal 
law  of  economic  Variation,  by  J.  Bates  Clark.  —  The  euglisli  railway  rate  question,  by 
J.  Mavor.  (1.  II.)  —  The  bitnetatlist  committee  of  Boston  aud  New  Euglaud ,  by 
E.  B.  Andrews.  —  Alexander  Hamilton  and  Adam  Smith ,  by  E.  G.  Bourne.  —  The 
anglo-saxon  „township",  by  W.  J.  Ashley.  —  The  theory  of  wages  adjusted  to  receut 
theories  of  value,  by  T.  N.  Carver.  —  The  civil  war  income  tax,  by  J.  A.  Hill.  —  The 
unemployed  in  american  cities,  by  C.  C.  Closson,  jr.  (11.)  —  The  number  of  the  unem- 
ployed.   —  etc. 

Quarterly  Publications  of  the  American  Statistical  Association.  —  New  series, 
Nos  25  and  26  (vol.  IV).  March,  June  1894:  The  marriage  rate  in  Michigan,  187U— 90, 
by   W.   F.   VVilcox.   —  The  classilication  of  occupation   for  Census  purposes,   by  H.  Gannet. 

—  Nativity  and  occupation  of  members  of  the  Massachusetts  legislature,  by  F.  U.  How- 
land.  —  The  sex  relation  in  suicide,  by  Fr.  L.  Hofiman.  —  The  growth  of  St.  Louis 
children,  by  W.  Townsend  Porter.  —  Keviews  and  notices :  The  population  of  Paris. 
Female  life  mortuary  experience.  —   City  of  Boston   bills  of  mortality,   1810 — 49.  —  etc. 

Yale  Review,  the.  A  quarterly  Journal  of  history  aud  political  science.  Vol.  III, 
N°  2,   August   1894:  Comment :    The  latest    labor    crisis ;    is  Yale  a    rieh  men's  College  V 

—  The  limitations  and  difticulties  of  statistics,  by  Carroll  D.  Wright.  —  The  constitutional 
union  party  of  1860,  by  Ch.  F.  Richardsou.  —  Theories  of  mixture  of  races  and  nationalities, 
by  R.  Mayo-Smith.  —  Prince  Henry,  the  navigator,  by  E.  G.  Bourne.  —  The  bimetallic 
theory,  by  H.  W.  Farnam.  —  etc. 


Die  periodische  Fresse  Deutschlands. 

Archiv  für  Eisenbahnwesen.  Herausgegeben  im  Ministerium  der  öffentlichen 
Arbeiten.  Jahrgang  1894,  Heft  5,  September  und  Oktober:  Die  Wiener  Stadtbahn,  von 
Sonnenschein  (mit  Karte).  —  Die  Ermittelung  der  Leistungen  der  Personen- ,  Gepäck- 
und  Postwagen ,  von  Seilin.  —  Wirtschaftliche  Ausbildung  des  Güterzugfahrplaus  auf 
Hauptbahnen,  von  Dietrich.  —  Die  Betriebsergebnisse  der  italienischen  Eisenbahnen  in 
den  Jahren  1888 — 1889 — 1890.  —    Die  Eisenbahnen  in  Frankreich.  —  etc. 

C  hr  is  tlic  h  -  soziale  Blätter.  Katholisch-soziales  Centralorgan.  Jahrg.  XXVII, 
1894,  Heft  15  u.  16:  Ein  katholisch-soziales  Programm  (Schlufs).  —  Denkschrift  über 
die  Lage  der  Landwirtschaft  und  die  Organisation  des  Bauernstandes,  für  den  VI.  (Wirt- 
schafts-)Ausschufs  der  Kammer  der  Abgeordneten  erstattet  von  (dem  Abgeordn.)  Jäger 
(I.  u.  1.  Forts.).  —  Sozialpolitische  Rundschau  (VIII.).  —  Die  katholische  Bewegung  in 
Oesterreich,  von  A.  Tr.  —  Das  soziale  Wirken  der  katholischen  Kirche  in  Oesterreich.  — 

Deutsch  e  Revue  über  das  gesamte  nationale  Leben  der  Gegenwart.  Herausgegeben 
von  R.  Fleischer.  Jahrg.  XIX,  1894,  September:  Ist  die  amerikanische  Republik  in 
Gefahr  ?  von  Poultney  Bigelow.    —    Zur  Rhein-  und  Seeschiffahrt,    von  L.   F.   Osterrieth. 

—  Fürst  Bismarck  und  die  Parlamentarier ,  von  H.  v.  Poschinger  (IU.  Artikel).  — 
Erinnerungen  aus  dem  Leben  von  Hans  Viktor  von  Unruh,  von  H.  v.  Poschinger 
(VI.  Artikel).  —  Erinnerungsblätter  von  Johanna  Kinkel  (VI.  (Schlufs-)Artikel).  — 
Erinnerungen  von  meiner  Reise  um  die  Welt  1887/88,  von  Prinz  Bernhard  von  Sachsen- 
Weimar  (VI.  (Schlufs-jArtikel).  —  etc. 

Grenzboten,  die.  Jahrg.  LI1I,  Nr.  1 — 9,  4.  Januar — 1.  März  1894:  Gedanken 
eines  Grundbesitzers  von  35  Ar  und  49  Quadratmetern.  —  Die  bevorstehende  Organi- 
sation des  Handwerks.  —  Der  Tierschutz.  —  Die  Büreaukratie  in  Preufsen.  —  Die 
Leistungsfähigkeit  bei  der  Einkommensteuer,  von  H.  (Frh.)  v.  Zedlitz.  —  Das  Ministerium 
Windischgrätz  und  die  Parteien  in  Oesterreich.  —  Die  Gerichte  und  die  Justizver- 
waltungen. —  Das  preufsische  Landrecht.  Zu  seinem  hundertjährigen  Besteben,  von 
E.  Kayser.   —  Unser  Apothekenwesen.  —  Das  Ergebnis  der  Börsenenquete,  von  O.  Bahr. 

—  Rufsland  in  Persien.  —  Die  Landarbeiterfrage  in  Mecklenburg.  —  Die  Medizinal- 
verfassung in  Preufsen.  —  Der  russische  Handelsvertrag  eine  nationale  Gefahr.  —  etc. 


640  Die  periodische  Presse  Deutschlands. 

Masius'  Rundschau.  Blätter  für  Versicherungswissenschaft  etc.  Neue  Folge, 
Jahrg.  VI,  1894,  Heft  8  :  Das  Verhältnis  der  Aerzte  zu  den  Lebensversicherungsgesell- 
schaften vor  dem  deutschen  Aerztetag.  —  Die  Entwickelung  der  Lebensversicherung  in 
Deutschland.  —  Der  Anfang  vom  Ende  der  amerikanischen  Tontinenwirtschaft  in  Deutsch- 
land. —  Aus  dem  Bericht  des  eidgenössischen  Versicherungsamtes.  —  etc.  Heft  9  :  Die 
Hinterbliebeuenkasse  des  Verbandes  Deutscher  Beamtenvereine  zu  Berlin.  —  Zustand  und 
Fortschritte  der  deutschen  Lebensversicherungsanstalten  im  Jahre  1893.  —  Das  öster- 
reichisch-ungarische Versicherungswesen  im  Jahre   1893.  —  etc. 

Preufsische  Jahrbücher.  Herausgegeben  von  Hans  Delbrück.  Band  LXXVII, 
Heft  3,  September  1894:  Buren,  Engländer  und  Deutsche  in  Südafrika,  von  (Privat- 
dozent) K.  Kaerger.  — ■  Die  Verschiebung  der  Sprachverhältnisse  in  Posen  und  West- 
preufsen,  von  (Prof.)  R.  Böckh.  —  Entwickelungstendenzen  in  der  Lage  der  ostelbischen 
Landarbeiter,   von  (Prof.)  Max  Weber.  —  etc. 

Vierteljahrshefte  zur  Statistik  des  Deutschen  Reichs.  Herausgegeben  vom 
kais.  statistischen   Amt.     Jahrg.   1894,  Heft  3:  Die   amtliche  Arbeiterstatistik  in  England. 

—  Koukursstatistik  für  das  Jahr  1893.  —  Straffälle  in  Bezug  auf  die  Zölle  und  Steuern 
im  Etatsjahre   1893/94.    —    Zollbegünstigungen    der  Weinhändler    im  Etatsjahre   1893/94. 

—  Spielkartenfabriken    und  Verkehr    mit    Spielkarten  während    des  Etatsjahres    1893/94. 

—  Marktpreise  von  Getreide,  Kartoffeln  uud  Fleisch  in  Preufsen,  Bayern,  Württemberg, 
Baden,  Hessen  für  die  Jahre  1879/93  —  Dampfkesselexplosionen  während  des  Jahres 
1893.  —  Ueberseeische  Auswanderung  im  II.  Vierteljahr  1894.  —  Die  Deutschen  im 
Auslande  und  die  Ausländer  im  Deutschen  Reich.  —  Bestände  an  Zucker  in  den  Zucker- 
fabriken etc.  am  31.  Juli   1894. 

Zeitschrift  für  Bergrecht.  Redigiert  und  herausgegeben  von  H.  Brassert 
(WGOBergR.).  Jahrgang  XXXV  (1894),  Heft  3  :  Zur  Frage  des  Schutzes  der  Hypotheken- 
gläubiger bei  Bergschäden.  (Bericht  der  Justizkommission  des  preufsischen  Abgeordneten- 
hauses vom  17.  April  1894).  —  Die  Cession  der  Kuxe,  von  Westhoff  (Rechtsanw.,  Dort- 
mund). —  Die  Novelle  zum  Berggesetze  vom  8.  IV.  1894,  nebst  Wortlaut  und  Begrün- 
dung des  Gesetzes.  —  etc. 

Zeitschrift  für  Kleinbahnen.  Herausgegeben  im  Ministerium  der  öffentlichen 
Arbeiten.  Jahrgang  I,  1894,  Heft  9,  September:  Zur  Begründungs-  und  Entwickelungs- 
geschichte  der  Frankfurter  Lokalbahnaktiengesellschaft  in  Frankfurt  a/M.  —  VIII  Haupt- 
versammlung des  Internationalen  permanenten  Strafsenbahnvereins  in  Köln  a/Rh.  —  Das 
Entwerfen  von  Kleinbahnen,  von  v.  Cleef  (Ingenieur).  —  Die  Rentabilität  der  Neben- 
und  Kleinbahnen,  von  E.  Fränkel  (RegBauM.).  —  etc. 

Zeitschrift  für  die  gesamte  Staatswissenschaft.  Herausgegeben  von  A.  Schaff le. 
Jahrg.  50  (1894),  Heft  4:  Deutschlands  Holzbedarf,  von  R.  Zimmermann.  —  Ueber  die 
weitere  Entwickelung  des  Gemeindesteuerwesens  auf  Grund  des  preufsischen  Kommunal- 
abgabengesetzes vom  14.  VII.  1893 ,  von  F.  Adickes.  (II.  Artikel.)  —  Ueber  das 
nahende  Ende  der  auswärtigen  Getreidekonkurrenz,  von  G.  G.  Ruhland.  —  Die  diokle- 
tianische Taxordnung  vom  Jahre  301,  von  K.  Bücher.  Nebst  Anhang:  Uebersetzung  der 
diokletianischen  Taxordnung.  —  etc. 


Frommannsche  Buchdruckerei  (Hermann  Pohle)  in  Jena. 


L.   von  Bortkewitsch,   Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen  Statistik.  641 


V. 


Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen 

Statistik. 

Von 

Dr.  L.  von  Bortkewitsch. 

Erster  Artikel. 

Es  wird  die  Aufgabe  der  vorliegenden  Studie  sein,  die  Bedingungen 
der  Anwendbarkeit  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung  auf  die  Lehre 
von  den  sozialen  Massenerscheinungen  etwas  eingehender,  als  es  ge- 
wöhnlich geschieht,  zu  prüfen  und  speziell  zu  zeigen,  daß  die  Grenzen 
für  jene  Art  der  Behandlung  statistischer  Ergebnisse  nach  bestimmten 
Richtungen  hin  zu  eng  gesteckt  worden  sind,  wahrem!  zugleich  die 
praktische  Bedeutung  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung  für  die  Statistik 
vielfach  überschätzt  wurde. 

Meine  Untersuchung  stützt  sich,  abgesehen  von  den  Klassikern 
der  Wahrscheinlichkeitsrechnung,  auf  die  Schriften  von  W.  Lexis 
und  J.  von  Kries,  auf  die  ich  schon  hier  ganz  allgemein  verwiesen 
haben  möchte,  um  etwaigen  Mißverständnissen  vorzubeugen.  Denn 
solche  könnten  sich  leicht  in  Fällen  einstellen,  wo  ich,  auf  einen  der 
genannten  Autoren  Bezug  nehmend,  es  für  überflüssig  erachtete,  die 
eine  oder  die  andere  der  originellen  Anschauungen,  an  denen  ihre 
Werke  so  reich  sind,  des  näheren  zu  erörtern  x ). 

Die  erste  Frage,  welche  hier  zur  Sprache  gebracht  werden  soll, 
ist  nun  die:  Was  folgt  für  die  wahrscheinlichkeitsrech- 


l)  Von  den  Schriften  Lexis'  kommt  in  erster  Linie  in  Betracht  „Zur  Theorie  der 
Massenerscheinungen  in  der  menschlichen  Gesellschaft1',  1877.  Aufserdem  sind  zu  nennen: 
das  Schlufskapitel  der  „Einleitung  in  die  Theorie  der  Bevö'lkerungsstatistiü",  1875 ; 
ferner  die  Artikel  „Gesetz'1,  „Geschlechtsverhältnis  bei  Geborenen  und  Gestorbenen1', 
„Anthropologie  und  Anthropometrie"  im  Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften.  In 
diesen  Jahrbüchern  siehe  „Das  Geschlechtsverhältnis  der  Geborenen  und  die  Wahrschein- 
lichkeitsrechnung" (1876),  „lieber  die  Theorie  der  Stabilität  statistischer  Reihen"  (1879) 
und  „Ueber  die  Wahrscheinlichkeitsrechnung  und  deren  Anwendung  anf  die  Statistik"  (1886). 
Johannes  von  Kries,  Die  Prinzipien  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung,  eine 
logische  Untersuchung.     1886. 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXITI).  4  j 


642  L.  von  Bortkewitseh, 

nerische  Behandlung  einer  statistischen  Verhältnis- 
zahl aus  dem  Umstände,  daß  letze re  als  eine  Durch- 
schnittswahrscheinlichkeit anzusehen  ist? 

Begriff  und  Wesen  der  Durchschnittswahrscheinlichkeit  ergeben 
sich  aus  nachstehenden  Betrachtungen. 

Denkt  man  sich  eine  Gesamtheit  von  z  gleichmöglichen  *)  Fällen, 
bei  der  die  Wahrscheinlichkeit  des  Eintretens  eines  bestimmten  Er- 
eignisses p  ist,  in  eine  Anzahl  von  Teilgesamtheiten,  die  aus  je 
#n  #21  zi  •  •  •  •  Fällen  bestehen,  zerlegt  und  ist  dann  die  Wahr- 
scheinlichkeit des  Eintretens  des  in  Frage  stehenden  Ereignisses  bei 
der  ersten  Teilgesamtheit  pu  bei  der  zweiten  p2,  bei  der  dritten  p3 
u.  s.  f.,  so  ergiebt  sich  offenbar  die  Beziehung 

Z-,  .       Sa  .       Zo 

Unter  diese  Form  gebracht,  wird  die  Größe  p  als  eine  Total- 
wahrscheinlichkeit   und   im  Gegensatz   zu  ihr    die  Summanden 

— jPi»  —  Pz,—P3  •••  als  Parti  alwahrschein  lichkeiten  be- 
zeichnet. 

Es  fehlt  indessen  an  bestimmten  Terminis,  um  das  eigentümliche 
Verhältnis  der  Wahrscheinlichkeit  p  zu  den  Wahrscheinlichkeiten  pti 
Pi,  p3  .  . .  .  zu  charakterisieren.  Man  wolle  die  erste  eine  General- 
wahrscheinlichkeit  und  die  letzteren  Spezialwahrschein- 
lich kei  ten  nennen. 

Es  ist  zunächst  klar,  daß  die  Zerlegung  einer  Totalgesamtheit 
von  z  Fällen  in  so  und  so  viele  Teilgesamtheiten  in  sehr  verschiedener 
Weise  durchgeführt  werden  kann,  und  zwar,  nicht  nur  wenn  die  Zu- 
gehörigkeit jedes  Einzelfalles  zu  der  einen  oder  der  anderen  Teilge- 
samtheit durch  Zufall  bestimmt  wird,  sondern  unter  Umständen  auch 
dann,  wenn  die  Zerlegung  planmäßig,  d.  h.  auf  Grund  bestimmter, 
an  den  Einzelfällen  zur  Wahrnehmung  gelangender  Unterscheidungs- 
merkmale erfolgt. 

Sodann  aber  leuchtet  es  ein ,  daß  die  Wahrscheinlichkeiten 
P\i  P21  Pä ?  die  sich  nach  der  durchgeführten  Zerlegung  heraus- 
gestellt haben,  sich  durch  fortgesetzte  Zerlegung  ihrerseits  unter  die 
Form  von  Generalwahrscheinlichkeiten  in  vielen  Fällen  würden  bringen 
lassen  und  daß  diese  Operation  noch  weiter  verfolgt  werden  kann. 

Die   Art    der   Zusammensetzung   einer    Generalwahrscheinlichkeit 

1)  v.  Kries  hat  im  Kap.  III  (besonders  §  6)  der  „Prinzipien"  gezeigt,  dafs  die 
übliche  Annahme  der  Gleichmöglichkeit  aller  Fälle,  deren  Zahl  als  Nenner  im 
Wahrscheinlichkeitsbruch  erscheint,  weder  für  die  Fixierung  des  Begriffs  der  Wahrschein- 
lichkeit und  die  Ableitung  der  Sätze  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung  notwendig  ist, 
noch  auf  die  Fälle  der  Erwartungsbildung  bei  Zufallsspieleu  pafst.  Seinen  auf  diesen 
Punkt  sich  beziehenden  geistvollen  und  höchst  wichtigen  Ausführungen  kann  ich  meiner- 
seits nur  beipflichten.  Wenn  ich  aber  trotzdem  au  der  überlieferten  Hypothese  der 
Gleichmöglichkeit  der  in  Betracht  kommenden  Fälle  im  Text  festhielt,  so  geschah  dies 
nur,  um  das  Verständnis  des  dort  Entwickelten  durch  Einführung  einer  noch  wenig  ver- 
breiteten, zumal  etwas  komplizierten  Anschauung  nicht  zu  erschweren. 


Kritische  Betrachtungen   zur  theoretischen   Statistik.  643 

aus  SpezialWahrscheinlichkeiten  ist  somit  keine  objektiv  feststehende 
Thatsache,  sondern  vielmehr  das  Ergebnis  einer  Operation  oder  einer 
Reihe  von  Operationen,  bei  deren  Ausführung  die  Willkür  nicht  aus- 
geschlossen ist. 

Eine  sehr  einfache  Erwägung  zeigt  aber,  daß  es  auf  die  Ver- 
schiedenheit bestimmter  Arten  der  Zusammensetzung  in  solchen  Fällen 
nicht  ankommt,  wo  einige  der  (irößen  jpn  jp8,  pB  . .  .  einander  gleich 
sind.     Denn  ob  man  z.  B.  bei  px  =  p2, 


oder  aber 


p=~rPi  +  -7-P2  +  -fvz  + 

z  z  z 


Z,  -\~Zö  .      z,  . 

P=-LT-LP1+ -fp,+ 


schreibt,  ist  für  die  Zwecke  der  Erkenntnis  irrelevant,  da  ja  der  obere 
Ausdruck  im  Vergleich  zum  unteren  unser  Wissen  über  die  in  Frage 
stehende  Erscheinung  in  nichts  zu  bereichern  vermag. 

Ein  überaus  wichtiger  Fall  liegt  vor,  wenn  alle  Größen  pt,  p2, 
ps  .  .  .  .  einander  gleich  sind.  Wir  wollen  dieses  Verhalten  so  aus- 
drücken, daß  wir  sagen :  Die  Wahrscheinlichkeit  p  verhält  sich  in 
Bezug  auf  die  vorgenommene  Zerlegung  indifferent.  Damit  ist 
aber  nicht  gesagt,  daß  sich  bei  einer  anderen  Art  der  Zerlegung  das 
gleiche  Resultat  herausstellen  würde.  Jede  gegebene  Wahrscheinlich- 
keit wird  sich  vielmehr  in  Bezug  auf  sehr  viele  Arten  der  Zerlegung 
indifferent  verhalten,  auf  andere  aber  reagieren. 

Für  den  Fall  nun,  wo  sich  eine  Wahrscheinlichkeit  p  auf  sämt- 
liche denkbaren  Arten  der  Zerlegung  indifferent  verhält,  wollen  wir 
ihr  mit  v.  Kries  eine  definitive  Bedeutung  zusprechen1).  Hat 
man  es  mit  solch  einer  Wahrscheinlichkeit  zu  thun,  so  ist  offenbar 
jede  Zerlegung  zwecklos,   weil   deren  Ergebnis  im  voraus  bekannt  ist. 

Es  fragt  sich  aber,  wie  man  zu  der  Ueberzeugung  gelangt,  daß 
einer  Wahrscheinlichkeit  definitive  Bedeutung  zukomme. 

Bei  Wahrscheinlichkeiten  a  priori  geschieht  es  auf  die  Weise, 
daß  man  die  Zerlegung  in  Teilgesamtheiten  bis  zur  äußersten  Grenze 
verfolgt,  und  diese  Grenze  ist  erst  dann  erreicht,  wenn  man  so  viele 
Teilgesamtheiten  gebildet  hat,  als  Einzelfälle  vorliegen.  M.  a.  W.  löst 
man  die  Totalgesamtheit  in  Einzelfälle  auf.  Findet  man  dann,  daß 
für  jeden  Einzelfall  der  Wahrscheinlichkeitsansatz  der  gleiche  sein 
muß,  so  ist  damit  die  Bedingung  der  definitiven  Bedeutung  der  General- 
wahrscheinlichkeit erfüllt,  weil  man  gewiß  ist,  daß  bei  beliebiger  Zu- 
sammenfassung der  Einzelfälle  sich  stets  Teilgesamtheiten  mit  gleicher 
Wahrscheinlichkeit  ergeben  werden.  Daher  kann  man  sagen,  daß  der 
Generalwahrscheinlichkeit  dort  eine  definitive  Bedeutung  zukommt, 
wo  die  „Chancengleichheit  der  Einzelfälle"  (v.  Kries) 
statthat. 

Hat  man  es  aber  mit  einer  Wahrscheinlichkeit  a  posteriori  zu 


1)  Prinzipien  S.   110— -112. 

41< 


(344  k.  von  Bortkewitsch, 

thun,  so  ist  dasselbe  einfache  und  sichere  Kriterion  nicht  mehr  an- 
wendbar. Stellt  hier  p'  den  aus  der  Erfahrung  —  also  etwa  aus  n 
Versuchen  —  ermittelten  Nährungswert  der  in  Frage  stehenden  Wahr- 
scheinlichkeit p  dar  und  setzt  sich  die  Totalgesamtheit  der  beobachteten 
Fälle  n  in  ähnlicher  Weise  wie  vorhin  die  Totalgesamtheit  aller  mög- 
lichen  Fälle  #,   die   in   Teilgesamtheiten  zt,  z2,  £3 zerfiel,  aus 

entsprechenden  Teilgesamtheiten,  auf  die  je  wx,  w2,  n3  .  .  .  .  Einzel- 
fälle  oder   Versuche   entfallen,   zusammen,   so  besteht   die   Gleichung 

wo  P'u  P'zi  P's  •  -  • •  die  aus  der  Erfahrung  bestimmten  Werte  für 
Pn  P-2i  P%  •  •  •  •  zu  bedeuten  haben.  Sollte  nun  die  Zerlegung  nach 
einem  Prinzip  erfolgt  sein,  dem  gegenüber  sich  die  Wahrscheinlichkeit 

p  indifferent  verhält,  so  brauchten  die  Größen  y ,,  p'2,  p'3 darum 

nicht  einander  gleich  zu  sein.  Die  Wahrscheinlichkeitsrechnung  stellt 
aber  Regeln  auf,  nach  denen  aus  dem  gegenseitigen  Verhalten  der 
Größen  jp'a.,  jp'2,  p\  .  . . .  darauf  zu  schliessen  ist,  ob  die  Abweich- 
ungen letzterer  Größen  von  p'  etwaigen  Differenzen  zwischen  pn  _p2, 
p3  .  .  . .  und  p  oder  aber  der  Wirkung  „zufälliger  Ursachen'1  zuzu- 
schreiben seien.  Die  erwähnten  Regeln  sind  jedoch  nur  unter  der 
Bedingung  anwendbar,  daß  die  Zahlen  »,,  n2,  w3  .  . .  .  bereits  „große" 
Zahlen  seien,  und  vollends  unbrauchbar  werden  diese  Regeln,  wenn 
sich  jene  Zahlen  auf  1  reduzieren.  Es  ist  dabei  zu  beachten,  daß  in 
der  Gesamtheit  beobachteter  Einzelfälle  n  möglicherweise  nicht  alle 
möglichen  Fälle,  die  der  Gesamtheit  z  angehören,  vertreten  sind. 
Daher  steht  das  bei  Wahrscheinlichkeiten  a  priori  zur  sicheren  Ueber- 
zeugung  von  der  definitiven  Bedeutung  der  betreffenden  Generalwahr- 
scheinlichkeit führende  Mittel  —  nämlich  die  Auflösung  der  Totalge- 
samtheit in  Einzelfälle  —  für  den  in  Frage  stehenden  Fall  nicht  zur 
Verfügung,  und  es  bleibt  hier  nichts  anderes  übrig,  als  die  Totalge- 
samtheit der  beobachteten  Fälle  nach  verschiedenen  Richtuugen  hin 
in  Teilgesamtheiten  zu  zerlegen  und  jedesmal  zu  prüfen,  ob  die  Diffe- 
renzen zwischen  p\,  p'2,  p\  .  . .  und  p'  die  für  die  Wirkung  zufälliger 
Ursachen  maßgebenden  Spielräume  nicht  überschreiten.  Mühsam  wie 
sie  ist,  vermag  eine  solche  Prüfungsmethode  niemals  die  volle  Sicherheit 
zu  gewähren,  daß  man  durch  Zerlegung  den  Zustand  der  Chancengleich- 
heit der  Einzelfälle  innerhalb  der  erhaltenen  Teilgesamtheiten  herbei- 
geführt hat,  weil  man  sich  dem  Zweifel  nicht  wird  verschliessen  können, 
ob  nicht  vielleicht  bei  Zusammenfassung  der  Einzelfälle  nach  eiuem 
neuen  Priuzip  —  und  die  Zahl  der  Prinzipien,  die  sich  in  Anwendung 
bringen  lassen,  hat  nur  an  der  Zahl  der  Unterscheidungsmerkmale,  die 
an  den  Einzelfällen  wahrgenommen  werden  können,  eine  Grenze  —  sich 
Differenzen  zwischen  den  für  einzelne  neu  gebildete  Teilgesamtheiten 
zu  erhaltenden  Wahrscheinlichkeiten  ergeben  würden,  die  nicht  mehr 
auf  die  Wirkung  des  Zufalls  zurückzuführen  wären  J ). 

1)  Ueber    die    Prüfung    der    Chancengleichheit    bei    aposteriorischen    Wahrscheinlich- 
keiten   bei  v.  Kries,    Kap.    VI,  §  6.     Auch  Lexis,    Einleitung    in  die  Theorie  §  79. 


Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen  Statistik.  645 

Speziell  also  in  der  Statistik,  die  ihrer  Methode  gemäß  niemals 
in  die  Lage  kommt,  Wahrscheinlichkeiten  „anzusetzen",  sondern  solche 
erst  a  posteriori  zu  ermitteln  sucht,  wird  man  den  Fall  von  Wahr- 
scheinlichkeiten, denen  definitive  Bedeutung  zukommt  —  man  wolle 
solche  Wahrscheinlichkeiten  Elementarwahrscheinlichkeiten1) 
nennen  —  stets  als  Ausnahmefall  anzusehen  haben. 

Man  wird  hingegen  sagen  dürfen,  daß  den  normalen  Fall  für  die 
Statistik  Wahrscheinlichkeiten  darstellen,  denen  definitive  Bedeutung 
nicht  zukommt2).  In  folgendem  werde  ich  solche  Wahrscheinlich- 
keiten als  Durchschnittswahrscheinlichkeiteu  bezeichnen. 
Es  ist  wohl  denkbar,  daß  der  Mannigfaltigkeit  des  Geschehens  auf  dem 
Gebiete  der  sozialen  Massenerscheinungen  Elementarwahrscheinlich- 
keiten  zu  Grunde  liegen.  Ich  meine  nur,  daß  die  Statistik  ihre  Me- 
thoden auf  Durchschnittswahrscheinlichkeiten  einzurichten  hat,  denn 
vorausgesetzt  sogar,  daß  es  ihr  einmal  gelungen  wäre,  durch  geeignete 
Abgrenzung  eine  Masse  herzustellen,  innerhalb  deren  die  Bedingung 
der  Chancengleichheit  der  Einzelfälle  erfüllt  wäre  (eine  absolut  gleich- 
artige Masse),  so  würde  sie  nach  den  vorstehenden  Ausführungen 
schwerlich  —  vielleicht  überhaupt  nicht  —  imstande  sein,  eine  feste 
Ueberzeugung  davon  zu  gewinnen. 

Die  üblichste  Anwendung  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung  auf  die 
Statistik  besteht  in  der  Berechnung  der  sog.  Präcision  einer  Wahr- 
scheinlichkeitsgröße, als  welche  eine  statistische  Verhältniszahl  be- 
trachtet wird. 

Unter  Präcision  versteht  man  eine  Konstante  h,  die,  mit  der  posi- 
tiven Größe  a  multipliziert,  das  Argument  in  der  Tabelle  der  Werte 
der  Funktion  Fu5)  ergiebt,  welch  letztere  Funktion  die  Wahrschein- 
lichkeit für  den  a  posteriori  zu  ermittelnden  Wert  p'  der  Wahrschein- 
lichkeit^?, in  den  Grenzen  von  p  —  a  bis  p-\-a  enthalten  zu  sein,  aus- 
drückt. 

Die  Größe  h  steht  mit  dem  sog.  mittleren  Fehler  /",  d.  h. 
mit  der  Quadratwurzel  aus  der  mathematischen  Erwartung  des  Qua- 
drates der  Abweichung  a  in  der  Beziehung 

hy/2 


1)  Leiis,  ebenda  §§  93  u.  94,  führt  den  Ausdruck  „Elementarmassen"  für  solche 
Gesamtheiten  ein,  bei  denen  die  Chancengleichheit  der  Einzelfälle  Platz  greift. 

2)  Vgl.  A.  Cournot,  Grundlehren  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung.     Deutsch  von 
Schnuse,  1849,  S.  152. 


3)  Die  numerische  Auswertung  der  Funktion  Fu  =  — ~  \  e         dt    findet    man     in 

V 

den  meisten  Lehrbüchern  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung. 

4)  Der  ,, mittlere  Fehler"  in  dem  im  Text  angegebenen  Sinn  ist  von  der  ,,erreur 
moyenne"  bei  Laplace  u.  a.  wohl  zu  unterscheiden.  Laplace  versteht  darunter  die 
mathematische  Erwartung    e  der    positiven  Abweichung  p' — p    (die  math.  Erwartung  der 

1  1 

negativen  Abweichung  p'  — p  ist  —  e).     Es  ist  e  = -p=~   daher  e  =  — =/. 

2ÄK-  Vl-z. 


*=]4^resp-/=l/- 


646  L-  VOn  Bortke  witsch, 

Ist  der  Wahrscheinlichkeitswert  p'  aus  n  Versuchen  ermittelt 
worden   und   stellt  n  eine   große  Zahl  dar,  so  gelten  die  Gleichungen 

m 

n 
wo  j=  1 — p. 

Die  Berechnung  der  Präcision  oder  des  mittleren  Fehlers  bezweckt 
den  Spielraum  für  die  Wirkung  zufälliger  Ursachen  zu  bestimmen. 

Hat   man  z.  B.  bei  einer  statistischen  Masse  von  n  Fällen  m  Mal 

das   Eintreten   eines   Ereignisses  beobachtet,  mithin  — —p'  als   em- 

n 

pirischen  Wert  der  gesuchten  Wahrscheinlichkeit^  gefunden,  bei  einer 
anderen  Masse  aber  von  n'  Fällen  dasselbe  Ereignis  m'  Mal  eintreten 

VYl' 

sehen,   somit  —  =  p"  als   zweiten    empirischen  Wert  für   die   Wahr- 
n 

scheinlichkeit  des  Eintretens   desselben  Ereignisses  ermittelt,   so  fragt 

es   sich,  ob  die   so  erhaltene  Differenz aus  der  Wirkung  zu- 

n        n' 

fälliger  Ursachen  zu  erklären  ist  oder  nicht.  Im  ersten  Fall  wäre  an- 
zunehmen, daß  den  empirischen  Wahrscheinlichkeiten  p'  und  p"  ein 
und  dieselbe  abstrakte  Wahrscheinlichkeit  p  zu  Grunde  liegt.  Im 
zweiten  Fall  aber  wäre  solch  eine  Annahme  nicht  mehr  zulässig  uud 
man  müßte  für  eine  jede  'der  beobachteten  Massen  eine  besondere  ab- 
strakte Wahrscheinlichkeit  statuieren. 

Die  Rechnung  zeigt  nun,  daß  für  den  Fall,  wo  sowohl  bei  der 
ersten  als  bei  der  zweiten  Masse  die  abstrakte  Wahrscheinlichkeit  p 
gelten  würde,  eine  bestimmte  Wahrscheinlichkeit  Fu  für  die  zu  erhaltende 

Differenz in  den  Grenzen  von  —  a  bis  -+-  a  enthalten  zu  sein, 

n        n' 

resp.  diese  Grenzen  nicht  zu  überschreiten  vorhanden  wäre.    Man  hat 

hierbei  u  =  h"a  zu  setzen  und  die  Konstante  h",  die  in  analoger  Weise 

als  Präcision  der  Differenz  p'  — p"  bezeichnet  werden  mag,   berechnet 

sich  aus  der  Formel 

hh' 

h"  =  — = 

wo  h  resp.  h'  die  Präcisionen  von  p'  resp.  p"  bedeuten. 
Bei  großem  n  und  n'  ist  es  eine  erlaubte  Annäherung, 


zu  setzen,  und  man  kommt  schließlich  auf  die  Formel 

nn'  V  nn' 
h"  =  _    ,  ==. 

1/  2  \m{n  —  m) n'3  -|- m' (n'  —  m') ns\ 


Kritische  Betrachtungen   zur  theoretischen   Statistik.  647 

So  ließe  sich  leicht  an  der  Hand  einer  Tabelle  der  Werte  Fu  die 
Wahrscheinlichkeit    dafür    bestimmen,    daß    eine    gegebene    Differenz 

auf  die  Rechnung  zufälliger  Ursachen  zu  setzen  sei1). 

Hat  man  aber  statt  zwei  Verhältniszahlen  eine  ganze  Reihe 
P'>  P",  P'"  •  •  •  •  solcher  Zahlen  zu  vergleichen ,  die  einer  Reihe  nach 
einem  bestimmten  Prinzip  unterschiedener  Massen  entsprechen,  also 
z.  B.  so,  daß  jede  Masse  die  Fälle  eines  bestimmten  Jahrganges  um- 
faßt, so  gilt  es  auch  hier,  sich  ein  Urteil  darüber  zu  bilden,  ob  die 
Schwankungen,  welche  die  ermittelten  Zahlenwerte  aufweisen,  aus  der 
Wirkung  zufälliger  Ursachen  zu  erklären  seien  oder  nicht.  Bleibt 
nämlich  bei  einer  Anzahl  l  von  Versuchsreihen,  die  aus  je  n  Einzel- 
versuchen bestehen,  die  abstrakte  Wahrscheinlichkeit  p  dieselbe,  so 
ist  nach  dem  Vorstehenden  zu  erwarten,  daß  sich  die  zu  ermittelnden 
empirischen  Wahrscheinlichkeitswerte,  nach  ihrer  Größe  geordnet,  in 
einer  bestimmten  Weise  um  p  gruppieren  werden.  Denn  es  besteht 
eine  angebbare  Wahrscheinlichkeit  Fu  für  einen  empirischen  Wert 
der  gesuchten  Wahrscheinlichkeit  innerhalb  der  Grenzen  p  —  a  und 
und  p-\-a  zu  liegen  und  demgemäß  drückt  das  Produkt  X  Fu  die  Zahl 
der  Versuchsreihen ,  bei  denen  diese  P^ehler^reuzen  erwartungsmäßig 
nicht  überschritten  werden.  Zur  Bestimmung  der  erwartungsmäßigen 
Gruppierung  der  empirischen  Wahrscheinlichkeitswerte  um  den  ab- 
strakten Wahrscheinlichkeitswert  p  ist  die  Kenntnis  der  Größe  p  und 
der  Präcision  h,  die  ihrerseits  von  p  abhängt,  erforderlich.  Man  hilft 
sich  hierbei  mit  der  Annäherung,  die  darin  besteht,  die  Unbekannte  p 
durch  einen  Mittelwert  p0  aus  den  erhaltenen  Werten  p',  p'\  p'" . . . 
zu  ersetzen  2).    Die   so  gewonnene   erwartungsmäßige  Gruppierung  ist 

nun   der   effektiven,   die   in   der  Reihe  p',p",p'" ihren  Ausdruck 

findet,  gegenüberzustellen,  was  selbstverständlich  nur  dann  einen  Sinn 
hat,  wenn  l  eine  nicht  zu  kleine  Zahl  ist. 

Zeigt  sich  dann  eine  befriedigende  Uebereinstimmung  der  effektiven 
Gruppierung  mit  der  erwartungsmäßigen,  so  ist  es  ein  Zeichen  dafür, 
daß  die  in  Frage  stehende  abstrakte  Wahrscheinlichkeit  konstant  ist 
und  die  Schwankungen  der  empirischen  Wahrscheinlichkeitswerte  auf 
die  Wirkung  des  Zufalls  zurückzuführen  sind.  Dies  ist  nach  Lexis 
der  Fall  der  normalen  Dispersion. 

Lexis  greift  ferner  aus  allen  denkbaren  Arten  des  Verhaltens  der 
Zahlenwerte  p\p'\p'"  ....  zwei  für  die  Theorie  wichtige  Fälle  heraus, 
die  er  mit  den  Namen  unternormale  Dispersion  und  über- 
normale  Dispersion  bezeichnet. 

Unternormale  Dispersion  ist  vorhanden,  wenn  sich  die  Zahlen- 
werte p",p",p'"  .  .  .  der  Funktion  Fu  entsprechend  um  p0  gruppieren, 


1)  Näheres  darüber  findet  sich  bei  Lexis,  Einleitung  in  die  Theorie  der  Bev.- 
Statistik,  im  letzten  Kapitel,  und  bei  Westergaard,  Grundzüge  der  Theorie  der 
Statistik. 

2)  Das  nähere  darüber  findet  sich  unten. 


648  L.   von  Bortkewitsch, 

jedoch    so,   daß  die   Präcisionskonstante  h  in  Fu   nicht  mehr   gleich, 
sondern   größer   ist    als    die   erwartungsmäßige   Präcisionskonstante 


y—t resp.  V-r^- — ,  wo  q0  =  l—p0. 
2p  q  [/  2^0g0' 


Bei  übernormaler  Dispersion  hingegen  ist  für  die  Reihe  p',p"  p'" 
ebenfalls   die   Funktion  Fu  maßgebend,   nur  daß  für  h  statt  der  er- 


wartungsmäßigen Präcionskonstante  \  -^ ein  kleinerer  Wert  zu 

F   ZPoVo 
setzen  ist. 

Deutet  eine  unternormale  Dispersion  darauf  hin,  daß  eine  Ursache 
oder  ein  Ursachenkomplex  im  Spiel  sein  muß,  der  auf  die  Schwankungen 
der  empirischen  Wahrscheinlichkeitswerte  ausgleichend  einwirkt,  so  ist 
andererseits  eine  übernormale  Dispersion  am  besten  aus  der  Annahme 
erklärlich,  daß  den  einzelnen  Versuchsreihen  verschiedene  abstrakte 
Wahrscheinlichkeiten  entsprechen ,  die  sich  jedoch  so  verhalten,  als 
stellten  sie  mit  zufälligen  Fehlern  behaftete  Ausdrücke  einer  gemein- 
samen abstrakten  Wahrscheinlichkeit  dar. 

Sämtliche  Fälle  nun,  die  weder  unter  die  Form  der  normalen, 
noch  der  unternormalen  oder  übernormalen  Dispersion  zu  bringen  sind, 
werde  ich  als  Fälle  unregelmäßiger  Dispersion  bezeichnen. 
Letztere  ist  nur  mit  der  Vorstellung  vereinbar,  daß  die  den  Zahlen- 
werten p',p",p'"  ....  zu  Grunde  liegende  abstrakte  Wahrscheinlich- 
keit sich  von  Versuchsreihe  zu  Versuchsreihe  ändert,  und  zwar  nicht 
mehr  „zufällig",  wie  es  bei  übernormaler  Dispersion  der  Fall  ist. 
Hier  bilden  die  Werte  p\  p",  p'"  . .  . .  nach  Lexis  eine  sympto- 
matische Eeihe  *). 

Ob  man  es  also  bei  zwei  Verhältniszahlen  oder  aber  bei  einer 
längeren  Reihe  solcher  Zahlen  zu  prüfen  unternimmt,  inwiefern  die  zu 
Tage  tretenden  numerischen  Differenzen  resp.  Schwankungen  dem  Zu- 
fall zuzuschreiben  seien,  beide  Male  kommt  es  auf  die  Berechnung  der 
erwartungsmäßigen  Präcisionskonstante  an.  Die  Folge  einer  unrichtigen 
Berechnung  wird  nun  verschieden  sein,  je  nachdem  man  die  Präcision 
zu  hoch  oder  zu  niedrig  veranschlagt  hat.  Im  ersten  Fall  wird  man 
geneigt  sein,  die  Differenzen  zwischen  zwei  empirisch  gewonnenen  Wahr- 
scheinlichkeitswerten oder  die  Schwankungen  bei  einer  Anzahl  solcher 
Werte  auf  Ungleichheit  der  in  Frage  stehenden  abstrakten  Wahr- 
scheinlichkeiten ,  die  den  einzelnen  zu  vergleichenden  statistischen 
Massen  entsprechen,  schon  dann  zurückzuführen,  wenn  jene  Differenz 
oder  diese  Schwankungen  bei  korrekter  Berechnung  der  Präcision  noch 
als  Wirkung  zufälliger  Ursachen  erscheinen  würden.  Im  zweiten  Fall 
dagegen  wird  man  dazu  verleitet  sein  können,  als  zufällige  solche 
Differenzen  oder  Schwankungen  anzusehen,  die  bei  korrekter  Berech- 
nung der  Präcision  auf  Ungleichheit  der  abstrakten  Wahrscheinlich- 
keiten hindeuten  würden. 

So  ist  denn  die  Eingangs  gestellte  Frage 2)  dahin  zu  präcisieren, 


1)  Für  weitere  Ausführungen    siehe  Lexis,    Zur  Theorie    der  Massenerscheinungen. 

2)  S.  641—42. 


Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen  Statistik.  649 

ob  in  der  Statistik  bei  Bestimmung  der  Spielräume  für  die  Wirkung 
zufälliger  Ursachen  nicht  dadurch  Irrtümer  entstehen  mögen,  daß  bei 
Berechnung  der  Präzisionskonstanten  von  dem  Durchschnittscharakter 
der  in  Frage  stehenden  Wahrscheinlichkeiten  abgesehen  wird. 

Ich  erinnere  an  die  früheren  Bezeichnungen,  wonach  einem  aus 
n  Versuchen  ermittelten  Wahrscheinlichkeitswert 

die  abstrakte  Wahrscheinlichkeit 

0-1  ,         Z  !>  ,         Za 

P  =  ~Pi  +   — P2  4-   ->3  + 

z  z  z 

entspricht. 

Es  ist  aber  vorhin  nicht  näher  angegeben  worden ,  in  welcher 
Beziehung  die  Totalgesamtheit  n  der  beobachteten  Fälle  hinsichtlich 
ihrer  Zusammensetzung  aus  einzelnen  Teilgesamtheiten  zu  der  Total- 
gesamtheit z  aller  möglichen  Fälle  steht.  Es  kommt  nämlich  in  Be- 
tracht, ob  die  n  Versuche  mit  oder  aber  ohne  Rücksicht  auf  den 
Umstand  vorgenommen  werden,  daß  die  Totalgesamtheit  z  in  Teil- 
gesamtheiten mit  ungleichen  SpezialWahrscheinlichkeiten  (px,Pz,p$ ) 

zerfällt. 

Solch  eine  Rücksichtnahme  auf  die  Ungleichartigkeit  der  in  Frage 
stehenden  Masse  findet  z.  B.  statt,  indem  im  voraus  bestimmt  wird, 
es  sollen  an  jeder  einzelnen  Teilgesamtheit  möglicher  Fälle  «4,  z2,z3  — 
so  viele,  nämlich  n1^n2,n3 ...  Versuche  gemacht  werden,  als  sich  aus 
den  Proportionen 

n1  =  z1    n2  =^    ^s^^s 

n        z '   n        z '    n       z 

ergiebt.     So  werden  die  Näherungswerte  p*  1,  p*  2,  p' s, der  Spezial- 

wahrscheinlichkeiten  px,p2,p3, ermittelt  und  der  Ausdruck 

7-.P1  +  7P2  +  7P's  +  . ...=!>' 

z  z  z 

erscheint  als  empirischer  Wert  der  in  Frage  stehenden  Wahrschein- 
lichkeit p.    Setzt  man 

Zi £2  #3  

7-  —  9v>    7  — 9  21     7  —  9  z 1 

z  z  z 


so  erhält  man 

P'=9iP\  +9*P\  +  9sP\  + 

Bei  einer  zweiten  und  dritten  Reihe  von  je  n  Versuchen  würde 
man,  wenn  man  ähnlich  verführe,  auf  empirische  Spezialwahrschein- 
lichkeiten  p'\,  p"2,  p"  3 und  p"\,  p"\-,  p" '3 und  auf  em- 
pirische Generalwahrscheinlichkeiten 

P" =9iP" '1  +  9iP" 'a  + 9%P'" '3  + 

und 

P'"  =  9xP"\  +92P'"*  +9&P'"z  +  •  •  • 


650  k.  von  Bortkewitsch, 

kommen.  Wie  man  sieht,  unterscheiden  sich  die  einzelnen  empirischen 
Werte  der  Generalwahrscheinlichkeit  p  von  einander  durch  die  em- 
pirischen Werte  der  SpezialWahrscheinlichkeiten,  von  denen  sie  ab- 
hängen und  die  unter  der  Wirkung  zufälliger  Ursachen  sich  von  Ver- 
suchsreihe zu  Versuchsreihe  ändern.    Dagegen  bleiben  die  Koeffizienten 

<7i,  <72i  9i bei  jeder  Versuchsreihe   dieselben    und  da  nun  letztere 

Zahlenreihe  nichts  anderes  als  die  Art  der  Zusammensetzung  der  in 
Frage  stehenden  Generalwahrscheinlichkeit  aus  Spezialwahrscheinlich- 
keiten  ausdrückt,  so  nenne  ich  in  diesem  Fall  die  Generalwahrschein- 
lichkeit p  mit  Bezugnahme  auf  die  Art  ihrer  aposteriorischen  Ermitte- 
lung eine  konstant  zusammengesetzte  Durchschnitts- 
wahrscheinlichkeit. 

Wenn  nun  aber  die  Bestimmung  des  Näherungswertes  von  p  aus 
der  Erfahrung  ohne  Rücksicht  auf  die  Zusammensetzung  der  Total- 
gesamtheit aller  möglichen  Fälle  z  aus  Teilgesamtheiten  #,,  £2,  z% 

erfolgt,  mithin  so,  daß  die  n  Versuche  unmittelbar  an  der  Total- 
gesamtheit aller  möglichen  Fälle  z  gemacht  werden,  so  ist  es  im  voraus 
nicht  bekannt,  auf  welche  Teilgesamtheit  aller  möglichen  Fälle  sich 
jeder  Einzelversuch  bezieht,  und  die  Zerlegung  der  Totalgesamtheit  w 

der  beobachteten  Fälle  in  Teilgesamtheiten   nx,  w2,  n3 kann  erst 

nachträglich  durchgeführt  werden.  Nach  demselben  Prinzip  kann  auch 
die  Gesamtzahl  m  der  dem  Eintreten   des  Ereignisses   günstigen  Fälle 

in  Teilgesamtheiten  mx,  m2,  m3 zerlegt  werden.   Es  sei  den  früheren 

Bezeichnungen  analog 

m  w,  m9         .      m.. 


n._ 


Auch  hier  besteht  die  Gleichung 


P  =— lP  i  H ~  P  2+        P  3  +  •  *  '  •' 

aber  es  leuchtet  ein,  daß  den  Gleichungen 

nx zx      n.f z2      wR z% 

n        z       n        z       n        z 
nur  mit  einer  gewissen  Annäherung,   die  um  so  größer   sein    wird,  je 
zahlreicher  die  Versuche  sind,   die  auf  jede  Teilgesamtheit   entfallen, 
entsprochen  wird.     Die  Verhältniszahlen 

n,  rio  n% 

=  9  ii  =#2»     =  9  s    •'•• 

stellen  vielmehr  in  diesem  Fall  empirische  Wahrscheinlichkeitswerte 
dar,  denen  die  abstrakten  Wahrscheinlichkeiten 

9x~  z"    92~  z"    9*~~  z 

zu  Grunde  liegen.  Bei  einer  zweiten  resp.  dritten  Reihe  von  n  Ver- 
suchen würde  man  statt  #',,  g\,  g's  .  . .  .  abweichende  Zahlen  werte 
9"i,  9'\,  9'\ resp.  g"\,  9"\;j'\ und  statt 


Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen  Statistik.  651 

P'  =  9'iP'i  -\-9\P'°  +9'sP's  +  -  •  •  • 
eine  neue  Größe 

P"  =  9"  iP"  t  +  9"  iP"  2  4-  9"  *P"  3  + 

resp. 

P'"  =9"\P'"  iJr9"\P"\-\-  9'"  *P"\  +  ■•• 
erhalten.  Somit  sind  die  numerischen  Unterschiede  zwischen  den  ein- 
zelnen Werten  der  Generalwahrscheinlichkeit  p  sowohl  durch  die  zu- 
fälligen Aenderungen,  denen  die  empirischen  Werte  der  betreffenden 
SpezialWahrscheinlichkeiten  unterliegen,  als  auch  durch  ähnliche  Aende- 
rungen  in  den  Werten  der  Koeffizienten,  mit  denen  die  ersteren  ver- 
sehen sind,  bedingt.  Eine  Generalwahrscheinlichkeit,  deren  aposteriori- 
sche Bestimmung  in  gezeigter  Weise  erfolgt,  nenne  ich  eine  Durch- 
schnittswahrscheinlichkeit  im  eigentlichen  Sinn. 

Die  soeben  erörterte  Einteilung  der  Durchschnittswahrscheinlich- 
keiten in  zwei  Arten  darf  nicht  als  eine  erschöpfende  angesehen  werdpn. 
Denn  als  Einteilungsgrund  diente  mir  dabei  die  Thatsache  der  Be- 
rücksichtigung oder  der  Nichtberücksichtigung  der  Zusammensetzung 
der  Total  Gesamtheit  aller  möglichen  Fälle  aus  Teilgesamtheiten,  denen 
verschiedene  SpezialWahrscheinlichkeiten  zukommen.  Nun  braucht  aber 
die  Rücksichtnahme  auf  letzteren  Umstand  nicht  notwendig  in  der  für 
den  Begriff  der  konstant  zusammengesezten  Durchschnittswahrschein- 
lichkeit maßgebenden  Form  zum  Ausdruck  zu  kommen.  Es  sind  viel- 
mehr sehr  viele  Modalitäten  des  Verfahrens  denkbar 1),  auf  die  ich 
vorläufig  nicht  näher  eingehen  werde.  Ein  Fall  ist  jedoch  schon  hier 
besonders  hervorzuheben.  Man  stelle  sich  nämlich  vor,  daß  bei  jedem 
Versuch,  die  Teilgesamtheiten  #,,  #2,  s3  ....  aller  möglichen  Fälle 
getrennt  vorliegen  und  daß  jedesmal  durch  Auslosung  bestimmt  wird, 
an  welcher  Teilgesamtheit  aller  möglichen  Fälle  der  nächste  Einzel- 
versuch vorzunehmen  sei,  wobei  q1,  g2,  g%  .  .  .  .  die  bei  jedem  Einzel- 
versuch   geltenden  Wahrscheinlichkeiten    für   die   Teilgesamtheiten  #,, 

#2,  £s  durch  das  Los  getroffen  zu  werden,  darstellen.    Es  bedarf 

kaum  des  Beweises  (vgl.  unten),  daß  sich  in  diesem  Fall  kein  anderes 
Resultat  herausstellen  kann,  als  in  dem  anderen  Fall,  wo  jeder  Einzelver- 
such sich  unmittelbar  auf  die  Totalgesamtheit  aller  möglichen  Fälle  bezieht, 
und  man  kann  wohl  sagen,  daß  hier  eine  bloß  scheinbare  Rück- 
sichtnahme auf  den  ungleichartigen  Charakter  der  Totalgesamtheit 
z  stattfindet.  Darum  hört  eine  mittels  des  geschilderten  Verfahrens 
zur  aposteriorischen  Bestimmung  gelangende  Durchschnittswahrschein- 
lichkeit nicht  auf,  eine  solche  im  eigentlichen  Sinne  zu  sein. 

Nun  gilt  es  zu  zeigen,  wie  die  Präcision  resp.  der  mittlere  Fehler 
bei  einer  jeden  der  beiden  charakterisierten  Arten  der  Durchschnitts- 
wahrscheinlichkeit zu  berechnen  sei.  Dem  Wesen  der  Aufgabe  wird 
hierbei  die  Annahme  entsprechen,  daß  die  in  Frage  stehenden  Spezial- 
wahrscheinlichkeiten^?,,  p2,  p3  ....  zugleich  Elementarwahrscheinlich- 
keiten seien.    Auch  sollen  die  oben  angeführten  Formeln  der  Präcision 


1)  v.  Kries,  Prinzipien  S.  105  ff. 


652  k.  von  Bortkewitsch, 

und  des  mittleren  Fehlers  vorläufig  als  solche  angesehen  werden,  die 
bloß  für  Elementarwahrscheinlichkeiten  Giltigkeit  haben. 

Bezeichnet  man  mit  /",,  /"2,  f3  ....  die  mittleren  Fehler  der  aus 

nit  nt->  n3 Versuchen  ermittelten  Wahrscheinlichkeitswerte,  denen 

die  abstrakten  Wahrscheinlichkeiten  pt,  p2,  p3  ....  entsprechen,  und 
setzt  man  1 — p1  =  g[i,  1 — P-2==Q.<i->  1 — Ps—Q.6  — >  so  erhält  man 
die  Formeln 


a-i/«^-,  r.-V*^  f,-v** 


"1  f  '"2  f  '"3 

Man  nenne  ferner  f0  den  mittleren  Fehler  der  konstant  zusammen- 
gesetzten Durchschnittswahrscheinlichkeit 

P=9iPi  +  9zP*  +  9aPa  +  •  •  •  • 

Die  Koeffizienten  gx,  </2,  g3 sind  hier  als   konstante   Grössen   zu 

betrachten  und  für  diesen  Fall  wird  in  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung 
die  Formel  abgeleitet 


h-^9\t\Jt'\f\  +  9\f\  + 


die  sich  in 


y    \n)       nx         \n)       w2         \n )       n3 
und  schließlich  in 


9iP\<lx+9*P>2<l2+9zP*<l3  + 


verwandelt. 

Die  angedeutete  Art  der  Ableitung  letzterer  Formel  setzt  voraus, 

daß   nicht   nur   die  Zahl  n,   sondern   auch   die  Zahlen  wn  w2,  n3 

bereits  große  Zahlen  seien.  Indessen  erweist  sich  dieselbe  Formel  in 
Poisson's  Darstellung  als  unabhängig  von  jener  Voraussetzung,  in- 
dem nämlich  den  Ausgangspunkt  der  Betrachtung  bei  ihm  der  Fall 
bildet,  wo  die  Teilgesamtheiten  nx,  n2,  n3  ....  aus  je  einem  Versuch 
bestehen,  so  daß  beim  ersten  Versuch  die  Elementarwabrscheinlichkeit 
c,  gilt,  bei  dem  zweiten  c2,  bei  dem  dritten  cs  — ,  bei  dem  wten  c„. 
Poisson  entwickelt  die  Formel 


1/  Cl(1~Cl)  +  C2(1~ ^2)  + +  Cn(l—C») 

/O-  n2 

aus  der  die  vorhin  angeführte  Formel  direkt  ableitbar  ist '). 

Hätte  man  nun  den  mittleren  Fehler  von  p  ohne  Rücksicht  darauf 
berechnet,  daß  man  es  hier  mit  einer  konstant  zusammengesetzten 
Durchschnittswahrscheinlichkeit  zu  thun  hat,  so  würde  sich  der  Ausdruck 


1)  Poisson,  Recherches  sur  la  probabilite"  des  jugements,  1837,  No.  94 — 95,  und 
L  e  x  i  s  ,  Einleitung  in  die  Th.  der  Bev.-Statistik,  §  80,  Formel  ji. 


Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen  Statistik.  653 


ergeben  haben.     Es  gilt  nunmehr  f0  mit  f  zu  vergleichen. 

Zunächst  ist  es  ein  Leichtes,    sich   von   der  Richtigkeit   folgender 
Gleichungen  zu  überzeugen 

P1Q1  =P9  +  (p—q)  (p—Pi)  —  {p—PiY 
P2Ü2  =pq  +  {p—s)  (p—p*)  —  (p— JP2)9 
#303  =P9  +  (p— o)  (p— Pi)  —  (p— Pa)2 


Multipliziert   man  sodann  die  erste  Gleichung  mit  g^  die  zweite  mit 

gf2,  die  dritte  mit  g.s und  addiert  einmal  die  linken  und  ein  anderes 

Mal  die  rechten  Seiten  sämtlicher  Gleichungen,  so  erhält  man 

9iPi9i  +  9iPdL*  -\-9sPsQ-s  H =P9  —  {gÄP—Pi)2  +  9z(P— P*Y 

■i~9s(p—Ps)2-\ } 

Der  in  Klammern  eingeschlossene  Ausdruck  ist  aber  auf  jeden 
Fall  positiv,  es  sei  denn,  dass  die  Bedingung 

Pi  =Ps  =Ps  =  ■  ••  •  =P 

erfüllt  ist,  für  welchen  Fall  der  gesagte  Ausdruck  sich  in  Null  ver- 
wandeln würde.  Dann  aber  wäre  p  keine  Durchschnittswahrscheinlich- 
keit mehr,  sondern  eine  Elementarwahrscheinlichkeit.  Mithin  hat  man 
ganz  allgemein 

S1P1Q1  +92P2Q2  +9^29.3  H <P9 

und  folglich 

U<f. 

Einer  konstant  zusammengesetzten  Durchschnitts- 
wahr s  chein  li  chkeit  komm  t  also  ein  kleinerer,  mittlerer 
Fehler,  resp.  eine  grössere  Präcision  zu,  als  einer  Ele- 
mentarwahrscheinlichkeit von  gleicher  numerischer 
Größe  bei  gleicher  Zahl  von  Versuchen  entsprechen 
würde.  Eine  Reihe  empirischer  Werte  einer  konstant  zusammen- 
gesetzten Durchschnittswahrscheinlichkeit  würde  daher  eine  unter- 
normale  Dispersion  aufweisen,  falls  jedem  einzelnen  jener  Werte  die 
gleiche  abstrakte  Wahrscheinlichkeit  zu  Grunde  gelegen  hätte  x). 

Geht  man  nun  zu  dem  Fall  einer  Durchschnittswahr- 
scheinlichkeit im  eigentlichen  Sinne  über,  so  gebührt 
Poisson  das  Verdienst,  gezeigt  zu  haben,  daß  in  diesem  Fall  genau 
dieselbe  Formel  der  Präcision  gilt,  wie  bei  einer  Elementarwahrschein- 
lichkeit, und.  darin  eben  besteht  die  Verallgemeinerung,  die  er  dem 
Theorem  Jacob  Bernouilli's  zu  Theil  weiden  ließ.  In  dieser  Ver- 
allgemeinerung ist  letzterer  Satz  als  „Gesetz  der  großen  Zahlen" 
von  Poisson  verkündet  worden  und  kann  wie  folgt  formuliert  werden: 


1)  Cournot,  Die  Grundlehren  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung,  Siebentes  Kapitel, 
§§  77—78;  v.  Kries,  Prinzipien    S.   108—109. 


654  k.  von  Bortkewitsch, 

„Kommt  dem  Eintreten  des  Ereignisses  E  eine  Wahrscheinlichkeit  £> 
zu,  so  wird  bei  n  Versuchen  das  Verhältnis  der  dem  Eintreten  von  E 
günstigen  Fälle  m  zu   der   Gesamtzahl   der   beobachteten   Fälle,   also 

das  Verhältnis  -  um  so  weniger  von   der   Größe  p   erwartungsmäßig 

n 

abweichen,  je  größer  n  ist,   und   zwar   besteht  eine  angebbare  Wahr- 

Wh 

scheinlichkeit   Fu  für  —  in  den  Grenzen  von 

n 


u  V2pq    , .  ,   u  V2pg 

y  n  y  n 


enthalten  zu  werden,  mag  dabei  p  eine  Elementarwahrscheinlichkeit 
oder  aber  eine  Durchschnittswahrscheinlichkeit  im  eigentlichen  Sinne 
sein  x)." 

Kaum  dürfte  es  einen  anderen  Lehrsatz  geben,  der  so  vielfach 
auf  Widerspruch  gestoßen  ist,  wie  das  Gesetz  der  großen  Zahlen  na- 
mentlich in  der  ihm  von  Poisson  verliehenen  Ausdehnung  auf  den 
Fall  einer  Durchschuittswahrscheinlichkeit  im  eigentlichen  Sinne.  Und 
doch  beruhen  jene  Angriffe  meistens  auf  Mißverständnissen  und  Miß- 
deutungen, die  sich  als  solche  erweisen  müssen,  sobald  man  den  wahren 
Sinn  des  in  Frage  stehenden  Lehrsatzes  und  einiger  mit  demselben 
zusammenhängenden  Begriffe  richtig  und  zwar  an  der  Hand  der 
Poisson'schen  Darstellung  selbst  erkannt  hat. 

Zuvörderst  sind  die  Ausdrücke  „Chance"  und  „Ursache" 
(cause),  die  bei  Poisson  überall  vorkommen,  wo  es  sich  um  eine  Durch- 
schnittswahrscheinlichkeit i.  eig.  S.  handelt,  zu  erklären.  Es  genügt 
vorläufig  zu  sagen,  daß  unter  Chance  dasjenige  zu  verstehen  ist,  was 
ich  Elementarwahrscheiulichkeit  genannt  habe.  Wäre  nun  die  Teil- 
gesamtheit aller  möglichen  Fälle,  auf  die  sich  der  vorzunehmende 
Einzelversuch  jeweils  bezieht,  im  voraus  bekannt,  so  erschiene  die 
Chance  als  alleinbestimmender  Faktor  für  die  auf  Eintreten  oder  Nicht- 
eintreten des  Ereignisses  E  gerichtete  Erwartungsbildung.  Stellt  man 
sichs  aber  als  eine  ungewisse  —  bloß  mehr  oder  weniger  wahrschein- 
liche —  Thatsache  vor,  ob  der  zu  beobachtende  Einzelfall  zu  der 
einen  oder  der  anderen  Teilgesamtheit  aller  möglichen  Fälle  gehöre, 
so  gewinnt  diese  Zugehörigkeit  mit  Rücksicht  auf  die  Ungleichheit 
der  Chancen,  die  den  einzelnen  Teilgesamtheiten  zukommen,  die  Be- 
deutung eines  zweiten,  die  Erwartungsbildung  mitbedingenden  Faktors 
und  wird  in  diesem  Sinne  als  „Ursache"  bezeichnet. 


1)  Bewiesen  ist  der  Satz  im  4.  Kapitel  der  „Recherches  sur  la  probabilite  des 
jugements",  speziell  in  No.  109.  Die  Präcisionsformel  für  den  Fall  einer  Durchschuitts- 
wahrscheinlichkeit  ist  auf  S.  297  (S.  257  der  deutschen  Ausgabe  von  Schnuse)  angeführt 
und  stimmt  mit  der  in  No.  82 — 83,  S.  209  (deutsch  S.  175)  erhaltenen  für  den  Fall 
einer  Elementarwahrscheinlichkeit  überein.  S.  auch  Lexis,  Einleitung  u.  s.  w.  §  81. 
Die  Zahlen  der  Versuche,  die  im  Fall  einer  Duichschnittswahrscheinlichkeit  im  eig.  S. 
auf  einzelne  Teilgesamtheiten  entfallen,  brauchen,  genau  so  wie  im  Fall  einer  konstant 
zusammengesetzten  Durchschnittswahrscheinlichkeit,  nicht  grofs  zu  sein,  sondern  können 
sich  auf  1  und  0  reduzieren.     Vergl.  Cour  not,  Grundlehren  S.  115. 


Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen  Statistik.  655 

Der  für  den  Begriff  der  Durchschuittswahrscheinlichkeit  i.  eig.  S. 
maßgebende  Vorgang  läßt  sich  demnach  in  Poisson's  Ausdrucksweise 
so  charakterisieren:  das  Ereignis  E  kann  einer  der  Ursachen  (7n  C2, 
C.A  .  .  .  .  sein  Eintreten  verdanken,  und  zwar  tritt  bei  jedem  Einzel- 
versuch eine  und  nur  eine  der  genannten  Ursachen  in  die  Erscheinung. 
Es  ist  ferner  _p,  die  Chance,  die  unter  der  Wirknng  der  Ursache  Cx 
für  das  Eintreten  von  E  besteht,  ähnlich  entsprechen  den  Ursachen 
C2,  C3  .  .  .  die  Chancen  j92,  p$  . .  .  Ob  aber  die  eine  oder  die  an- 
dere Ursache  bei  einem  gegebenen  Einzelversuch  zur  Geltung  kommt, 
ist  im  voraus  nicht  bekannt,  sondern  mit  einer  bestimmten  Wahr- 
scheinlichkeit anzunehmen.  Stellen  gx,  g%,  gs  .  .  .  .  die  Wahrschein- 
lichkeiten des  Eintretens  der  Ursachen  Cn  C2,  C3  .  .  .  .  dar,  so  er- 
giebt  sich 

P  =  9xPx  +92P2  +9sPz  H 

als    Ausdruck    der    in    Frage     stehenden    Durchschnittswahrschein- 
lichkeit. 

Die  Reihe  der  Worte  gx,  g%,  g3  ....  drückt  nach  Poisson 
das  „Wahrscheiulichkeitsgesetz  der  Ursachen*'  (la  loi  de  probabilite 
des  causes)  aus  und  wird  als  ungeändert  für  den  ganzen  Verlauf  der 
n  Versuche  angenommen.  (Ebenso  sind  die  den  einzelnen  Ursachen 
entsprechenden  Chancen  als  constant  gedacht1).)  Dies  ist  namentlich 
denjenigen  gegenüber  hervorzuheben,  die  da  meinen,  daß  bei  Poisson 
die  Veränderungen  der  Chancen  von  Versuch  zu  Versuch  ganz  regel- 
los vor  sich  gehen  oder  die  bei  einzelnen  Versuchen  in  die  Erscheinung 
tretenden  Ursachen  in  absolut  unbestimmter  Weise  aufeinanderfolgen 
dürften.  Eine  scheinbare  Stütze  finden  dahin  gehende  Behauptungen 
in  einigen  Stellen  der  „Recherches",  wo  thatsächlich  von  „Regellosig- 
keit1' in  der  Aufeinanderfolge  der  Ursachen  die  Rede  ist*).  Allein 
damit  wird  nur  gemeint,  daß  jene  Aufeinanderfolge  durch  Zufall 
regiert  wird,  und  so  der  Gegensatz  dieses  Falles  zu  jenem  markiert, 
wo  entweder  die  Aufeinanderfolge  der  Chancen  resp.  der  Ursachen 
oder  doch  die  Zahlen  der  Versuche,  die  unter  der  Wirkung  der  ein- 
zelnen Ursachen  vorzunehmen  sind,  im  voraus  festgesetzt  werden 
(der  vorhin  erörterte  Fall  einer  konstant  zusammengesetzten  Durch- 
schnittswahrscheinlichkeit). 

Daß  die  hier  dem  Gesetz  der  großen  Zahlen  gegebene  Deutung 
der  Auffassung  Poisson's  selbst  genau  entspricht,  geht  aus  den  zwei 
sich  bei  ihm  vorfindenden  Beispielen  mit  hervor  3). 


1)  S.  No.  54,  S.  143—144,  auch  S.  139  und  314,  wo  die  im  Text  namhaft  ge- 
machten Bedingungen  ausdrücklich  ausgesprochen  sind.  Für  das  richtige  Verständnis 
des  Gesetzes  der  grofsen  Zahlen  ist  der  letzte  Teil  des  2.  Kapitels  (No.  51  —  65),  der 
wohl  auch  dem  nicht  mathematischen  Leser  keine  Schwierigkeiten  bieten  dürfte,  von 
gröfster  Wichtigkeit. 

2)  S.  13  behauptet  Poisson,  sein  „Gesetz  der  grofsen  Zahlen"  sei  auf  Dinge  an- 
wendbar, ,,qui  ont,  en  general,  des  chances  continuellement  variables,  le  plus  souvent 
dans  aucune  regularite" ;  ähnlich  auf  S.  7 :  „des  causes  qui  varient  irregulierement", 
oder  noch  S.  147  :  ,,ces  chances  varient  d'une  epreuve  ä  une  autre,  et  le  plus  souvent 
aussi,  d'une  maniere  tout-ä-fait  irreguliere." 

3)  No.  55—56. 


656  ^.  von  Bortkewitsch, 

Im  ersten  Beispiel  hat  man  eine  Anzahl  von  Urnen  Cn  C2, 
C3  . . . .  Cv,  die  mit  weißen  und  schwarzen  Kugeln  gefüllt  sind,  und 
es  soll  cx  die  Chance  dafür  angeben,  daß  bei  einer  aus  der  Urne  Cx 
vorgenommenen  Ziehung  eine  weiße  Kugel  erscheinen  wird ;  desgleichen 
ist  c2  die  Chance,   eine  weiße  Kugel  zu  erhalten,   wenn  man   aus  der 

Urne  C2  eine  Kugel   zieht schließlich  ist  Cv    die   der  Urne  Cv 

entsprechende  Chance  der  Ziehung  einer  weißen  Kugel.  Man  greift 
aufs  Geratewohl  eine  Urne  aus  der  ganzen  Reihe  heraus  und  ersetzt 
sie  durch  eine  ähnliche  Urne,  d.  h.  durch  eine  Urne,  welche  die  gleiche 
Chance  der  Ziehung  einer  weißen  Regel  aufweist.  Dann  nimmt  man 
in  der  nämlichen  Weise  eine  zweite  Urne  heraus  und  ersetzt  sie  eben- 
falls durch  eine  ihr  ähnliche  Urne,  dann  eine  dritte  u.  s.  f.  also 
immer  in  der  Weise,  daß  das  Urnensystem  Cl,C2  Cz .. .  Cv  unver- 
ändert bleibt.  (Das  entspricht  der  Bedingung  des  Konstantbleibens 
des  Wahrscheinlichkeitsgesetzes  der  Ursachen.)  So  bildet  man  eine 
unbestimmt  fortgesetzte  Urnenreihe  jB1,JB2,J?3 — ,  die  nur  die  ge- 
gebenen Urnen  Cl,C2,C3 in  mehr  oder  weniger  häufiger  Wieder- 
holung enthalten  wird.  Es  sei  b1  die  Chance  der  Ziehung  einer 
weißen  Kugel  aus  B^b2  die  Chance  bei  B2,b3  bei  B3  u.  s.  f.  Als- 
dann wird  die  unbestimmt  fortgesetzte  Reihe  &,,  &2,  &3  .  .  .  nur  die 
Chancen  cx,c2, c3 . . .  enthalten,  wobei  wiederum  die  Glieder  der  zweiten 
Reihe  mehr  als  einmal  in  der  ersten  werden  vorkommen  können.  Man 
ziehe  nun  eine  Kugel  aus  Bu  eine  zweite  aus  _B2,  eine  dritte  aus  Bs 
u.  s.  w.  bis  auf  die  Urne  B^  inclusive.  Führt  man  nun  die  zwei  Be- 
zeichnungen ein 

hbl  +  b2+b3  +  ...  +  bv.)=ß 

und 

-(cx  +c2  +  c3  +  ...  +  cv)=y 

und  setzt  m  für  die  Zahl  der  Fälle,  in  denen  eine  weiße  Kugel  er- 
schienen ist,  so  ergiebt  sich  bei  sehr  großem  /n  mit  großer  An- 
näherung 


dann  aber  auch 


£-A   (i) 


?-*  ™ 


Den  Gleichungen  (1)  und  (2)  kommt  aber  ein  verschiedener  Grad 
der  Annäherung  zu,  und  zwar  dürfte  man  einsehen,  schon  ohne  die 
Hilfe  der  Rechnung  in  Anspruch  zu  nehmen,  daß  die  Abweichung  der 

Relation   —  von  ß  erwartungsmäßig  kleiner  sein  muß  als  von  y  (immer 
fi 

in  der  Voraussetzung,  daß  die  Chancen  cltcs,c8...  nicht  einander 
gleich  sind).  Ein  genaues  Maß  für  diesen  Unterschied  giebt  die 
Präcisionskonstante  ab,  die  sich  bei  ß  auf 


Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen  Statistik.  G57 


=  =  A? 


1 


2  (M1-M  +  MI-M  +  - 

und  bei  y  auf 


Y-- 


!' 


2y{l-y) 

stellt.  Es  wäre  ein  Leichtes,  an  der  Hand  eines  früher  bewiesenen 
Satzes  zu  zeigen,  daß  der  obere  Ausdruck  erwartungsmäßig  größer  ist 
als  der  untere.  Der  Wahrscheinlickheit  ß  mit  der  Präzision  Aß  einer- 
seits und  der  Wahrscheinlichkeit  y  mit  der  Präcision  Ay  andererseits 
entsprechen  zwei  verschiedene  Spielmodi.  Damit  nämlich  bei  einer 
Anzahl  von  Versuchsreihen,  die  je  aus  [t  Versuchen  bestehen  und  bei 
denen  die  Zahlen  der  gezogenen   weißen  Kugeln  m,m',m" . ..  sind,   er- 

vartet  werden  kann,  daß  die  Relationen •••   gegen    8   kon- 

fi   fi    (i 

vergieren  und  eine  der  Präcision  Aß  entsprechende  Dispersion  auf- 
weisen, wäre  bei  jeder  Versuchsreihe  an  dem  Urnensystem  BX,B2, 
B3...  festzuhalten  und  stets  aus  einer  jeden  der  genannten  Urnen  je 
eine  Kugel  zu  ziehen.  Soll  hingegen  die  Wahrscheinlichkeit  y  und 
die  Präcision  hy  als  maßgebend  für  die  zu  erwartenden  Resultate  er- 
scheinen, so  muß  das  Spiel  dergestalt  eingerichtet  werden,  daß  bei 
der  zweiten  Versuchsreihe  nicht  mehr  das  Urnensystem  Bi,B2,Bä . . ., 
sondern  ein  neues  Urnensystem  B'u  B'2,  B\  . . .,  das  in  ähnlicher 
Weise  wie  das  erstere  aus  dem  Urnensystem  C15  C2J  C& ...  abzuleiten 
wäre,  bei  der  dritten  Versuchsreihe  ein  analoges  Urnensystem  B'\, 
B"2,B"3, . ..  u.  s.  f.  benutzt  wird.  Nur  der  zuletzt  erwähnte  Spiel- 
modus ist  dazu  angethan,  das  Gesetz  der  großen  Zahlen  in  der  ihm 
von  Poisson  gegebenen  Erweiterung  zu  exemplifizieren,  während  es 
sich  beim  ersten  Spielmodus  um  eine  konstant  zusammengesetzte 
Durchschnittswahrscheinlichkeit  handeln  würde.  Es  ist  kaum  not- 
wendig beizufügen,  daß  in  dem  angeführten  Poisson'schen  Beispiel  für 

jede  einzelne  Urne  dieselbe  Wahrscheinlichkeit,  nämlich  — ,  bei   jedem 

Versuch  besteht,  getroffen  zu  werden  und  daß  im  Fall,  wo  diese  Be- 
dingung nicht  erfüllt  wäre,  der  Ausdruck  für  y  eine  entsprechende 
Modifikation  zu  erfahren  hätte. 

In  dem  zweiten  Poisson'schen  Beispiel  handelt  es  sich  um  eine 
sehr  große  Anzahl  von  5-Francsstücken  —  es  seien  dies  Au  A2,... 
Av  —  die  in  die  Luft  aufgeworfen  werden  und  dann  entweder  mit 
der  Kopf-  oder  mit  der  Schriftseite  nach  oben  gekehrt  auf  die  Erde 
zurückfallen.  Es  sei  bei  einem  beliebigen  Stück  Ai  die  Chance  des 
Erscheinens  von  „Kopf"  a,-.  Die  in  Betracht  kommende  mittlere 
Chance  ist 


a  =  --  (  ax  +  a2  +  •  •  •     »vj 


Dritte  Folge  Bd.  Vm  (LZIfl).  42 


ß58  L.  von  Bortkewitsch, 

und  bei  einer  sehr  großen  Zahl  ^  von  Würfen  bestimmt  sich  a  mit 
großer  Wahrscheinlichkeit  aus 

m 
a  ~  TT' 

wo  m  die  Zahl  der  Fälle  angiebt,  bei  denen  „Kopf"  erschienen  ist. 
„Wirft  man  nun",  sagt  Poisson,  „dieselben  5  Francsstücke  oder  allge- 
meiner (.c  andere,  aber  gleich  geartete  5- Francsstücke  auf,  die  aus 
derselben  Fabrikation  hervorgegangen  sind,  so  wird  man  mit  großer 
W  ahrscheinlichkeit 

m'         m 

f.i'         f.i 
erhalten  müssen."     Hier  ist  m'  die  Zahl  der  Fälle,  bei  denen  im  zweiten 

Fall   „Kopf"    erschienen    ist.      „Aber    diese   Relationen  I  —  und  —  | 

V  (.i  (i'J 

werden  im  allgemeinen  nicht  einander  gleich  sein,  wenn  die  in  einer 
jeden  der  beiden  Versuchsreihen  benutzten  Münzstücke  verschiedener 
Art  oder  aus  verschiedener  Fabrikation  hervorgegangen  sein  würden." 

Sind  in  diesem  Beispiel  die  Bedingungen,  an  welche  die  Anwend- 
barkeit des  Gesetzes  der  großen  Zahlen  geknüpft  ist,  nicht  ganz  streng 
formuliert  worden,  so  darf  man  doch  Poisson  nicht  vorwerfen,  im  ge- 
gebenen Fall  die  einzuhaltenden  Schranken  überschritten  zu  haben. 
Denn  der  wahischeinlichkeitsrechneriscbe  Ausdruck  für  die  „gleiche 
Fabrikation"  liegt  auf  der  Hand.  Lassen  sich  nämlich  nach  dem 
numerischen  Werte  der  einem  jeden  Münzstücke  zukommenden  Chance  «,- 
verschiedene  Kategorien  von  5-Francsstückeu  unterscheiden,  so  ist  bei 
jedem  herzustellenden  oder  hergestellten  Münzstück  mit  einer  be- 
stimmten Wahrscheinlichkeit  zu  erwarten,  daß  dasselbe  der  einen  oder 
der  anderen  Kategorie  angehöre.  Die  Reihe  solcher  Wahrscheinlich- 
keiten drückt  eben  das  hier  in  Betracht  kommende  „Wahrscheiulich- 
keitsgesetz  der  Ursachen"  aus  und  unter  gleicher  Fabrikation  ist  offen- 
bar nichts  anderes  zu  verstehen  als  das  Konstantbleiben  der  Zahlen- 
werte, die  die  genannte  Reihe  bilden. 

So  würde  sich  auch  dieses  zweite  Beispiel  unter  das  allgemeine 
Schema  bringen  lassen,  und  es  dürfte  im  allgemeinen  klar  sein,  welchen 
Sinn  Poisson  selbst  dem  Gesetz  der  großen  Zahlen  beigelegt  hat. 

Indessen  wird  das  Gesetz  der  großen  Zahlen  sogar  in  Werken 
hervorragender,  zumal  mathematisch  gebildeter  Autoren  —  von  „ge- 
meinen" Statistikern  nicht  zu  reden  —  nur  gar  zu  oft  in  schiefer  Be- 
leuchtung vorgeführt  und  dadurch  der  Name  Poisson  in  Mißkredit 
gebracht. 

Gegen  jede  Erwartung  findet  sich  z.  B.  bei  Qu  et el et  an  der 
maßgebenden  Stelle  seiner  „Lettres  sur  la  th^orie  des  probabiliteV' x) 
eine  Darlegung  des  Gesetzes  der  großen  Zahlen,  die  von  einer 
restringierten  Auffassung  des  Poisson'schen  Lehrsatzes  zu  zeugen  scheint. 


1)  Lettres  sur  la  theorie    des    probabilites    appliqu^e  aus    sciences  morales  et  politi- 
ques.     Bruxelles  1846.     30e  lettre,  p.  213—215. 


Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen  Statistik.  659 

An  das  zuletzt  erwähnte  Beispiel  Poisson's  anknüpfend,  sucht 
Quetelet  das  Gesetz  der  großen  Zahlen  wie  folgt  verständlich  zu 
machen. 

„Hat  man",  meint  er,  „eine  Müuze  lOOOmal  in  die  Höhe  geworfen 
und  sind  dabei  die  Fälle,  bei  denen  „Kopf"  zu  den  Fällen ,  bei  denen 
„Schritt"  erschienen  ist,  ein  Zahlenverhältnis  3:2  vorgekommen,  so 
wird  man  auf  Grund  des  Bernoulli'schen  Lehrsatzes  bei  weiteren  mit 
derselben  Münze  vorzunehmenden  Versuchen  dasselbe  Verhältnis  zu 
erwarten  berechtigt  sein."  Dies  würde,  nach  dem  Poisson'schen  Lehr- 
satz, auch  dann  noch  der  Fall  sein,  wenn  die  Versuche,  statt  mit  dem- 
selben, mit  verschiedenen  Münzstücken  gemacht  würden,  dabei  aber 
die  den  einzelnen  Müuzstücken  zukommenden  Wahrscheinlichkeiten  des 
Eintretens  von  „Kopf"  und  „Schrift"  um  die  mittleren,  durch  die  Her- 
stellungsart und  die  physische  Beschaffenheit  der  Münzstücke  determi- 
nierten Wahrscheinlichkeiten,  die  sich  im  gegebenen  Fall  auf  3/5  und  2/5 
stellen,  leicht  variieren  würden.  Daß  das  Bernoulli'sche  Prinzip  auch 
hier  anwendbar  sei,  sei  von  Poisson  mit  Hilfe  einer  gelehrten  Analyse 
bewiesen  worden.  „Zum  Glück",  fährt  Quetelet  fort,  „bedarf  es  der 
Hilfe  der  Mathematik  nicht,  um  zu  begreifen,  daß  die  kleinen  Aende- 
ruugen,  die  mau  beim  Uebergang  von  dem  einen  Münzstück  zu  dem 
anderen  wahrnimmt,  unter  die  Wirkungen  zufälliger  Ursachen,  die 
sich  auf  die  Dauer,  bei  ausreichender  Vermehrung  der  Versuche  gegen- 
seitig aufheben,  eingereiht  werden  können  ,  so  daß  sich  ähnliche  Er- 
gebnisse herausstellen  müssen,  als  wenn  man  sämtliche  Versuche  that- 
sächlich  mit  ein  und  demselben  Müuzstück  gemacht  hätte.  In  dem 
uns  beschäftigenden  Fall  sind  die  Versuche  sehr  zu  vermehren:  und 
das  ist  der  Grund,  weshalb  Poisson  die  Ausdehnung  des  Bernoulli'schen 
Prinzips  das  Gesetz  der  großen  Zahlen  genannt  hat." 

Während  also  bei  Poisson,  sowohl  im  allgemeinen,  wie  im  Beispiel 
mit  den  5-Francsstücken,  „das  Wahrscheinlichkeitsgesetz  der  Ursachen" 
eine  beliebige  Form  annehmen  darf,  unterwirft  es  Quetelet  einer  be- 
stimmten Bedingung,  der  zufolge  die  in  Betracht  kommenden  Chancen 
nur  in  gewissen  Grenzen,  und  zwar  um  einen  gegebenen  Mittelwert  zu 
schwanken  haben.  Diese  durch  den  Wirklichen  Sachverhalt  nicht  ge- 
botene Einschränkung  des  Poisson'schen  Lehrsatzes  brachte  es  mit 
sich ,  daß  letzterer  in  die  Ausführungen  über  die  Art  der  Wirkung 
zufälliger  Ursachen,  wohin  er  gar  nicht  gehört,  von  Quetelet  einge- 
führt worden  ist. 

Auch  in  einer  anderen  Beziehung  hat  sich  Quetelet  eine  irrtüm- 
liche Auffassung  des  Gesetzes  der  großen  Zahlen  zu  Schulden  kommen 
lassen.  Er  glaubt  nämlich,  daß  unter  solchen  Bedingungen  des  Spieles 
oder  der  Erfahrung ,  wie  sie  der  Poisson'sche  Lehrsatz  in  der  ihm 
eigentümlichen  Erweiterung  voraussetzt,  sich  größere  Schwankungen 
resp.  eine  kleinere  Konstanz  der  Resultate,  d.  h.  der  bei  einzelnen 
Versuchsreihen  zu  erhaltenden  empirischen  Werte  der  gesuchten  Wahr- 
scheinlichkeit, herausstellen  müßte  als  unter  Bedingungen,  die  dem 
Bernoulli'schen  Theorem  entsprechen  würden.     Dies  trifft  aber  nicht 

42* 


(360  k.   von  Bortkewitsch, 

zu,  weil  die  in  Betracht  kommende  Präcision  nur  von  der  Zahl  der 
Versuche  und  von  dem  Wert  der  betreffenden  abstrakten  Wahrschein- 
lichkeit, einerlei,  ob  letztere  Elementar-  oder  Durchschuittswahrschein- 
lichkeit  ist,  abhängt1). 

Quetelet  dürfte  mit  seiner  Restriktion  des  Poisson'schen  Lehrsatzes 
eine  ganz  exklusive  Stellung  einnehmen.  Sonst  besteht  die  Tendenz, 
dem  Gesetz  der  großen  Zahlen  eine  viel  größere  Tragweite  beizulegen, 
als  der  Auffassung  dessen  Urhebers  entspricht. 

So  liest  man  bei  Bertrand2)  folgendes:  „Lorsque  la  probabilite 
d'un  e\enement  est  variable  d'une  epreuve  ä  l'autre,  le  theoreme  de 
Bernoulli  n'  est  plus  applicable.  La  g6u6ralisation  propos6e  par  Poisson 
sous  le  nom  deloi  des  grandsnombres  manque  non  seulement  de 
rigueur,  mais  de  präcision.  Les  conditions  supposees  dans  1'  6nonc6 
6chappent  par  le  vague  a  toute  apprßciation  mathematique." 

Der  von  Bertrand  erhobene  Einwand  wird  aber  hinfällig,  sobald 
man  sich  vergegenwärtigt,  daß,  seiner  Behauptung  zum  Trotz,  die  in 
Frage  stehende  Wahrscheinlichkeit  sich  von  Versuch  zu  Versuch  bei 
Poisson  nicht  ändert.  Es  wechseln  nur  die  Chancen,  die  bei  jedem 
Versuch  in  Betracht  kommen,  während  die  Wahrscheinlichkeit,  mit 
der  vor  jedem  Versuch  das  Eintreten  des  betreffenden  Ereignisses  zu 
erwarten  ist,  stets  dieselbe  bleibt. 

Um  so  befremdender  erscheint  die  citierte  Aeußerung  Bertrand's, 
als  Poisson  selbst  mehr  als  einmal  Veranlassung  gefunden  hat,  dies 
zu  betonen  3). 

Dürfte  nicht  vielmehr  die  Frage  am  Platze  sein,  ob  denn  der 
Poisson'sche  Lehrsatz  eine  Verallgemeinerung  des  Bernouilli'schen 
wirklich  darstelle  und  ob  der  Fall  einer  Durchschnittswahrscheinlich- 
keit im  eigentlichen  Sinne  eine  besondere  Beweisführung  auch  that- 
sächlich  erheische4)? 

Der  Urheber  des  Gesetzes  der  großen  Zahlen  hat  selbst  den  Ein- 
wand vorgesehen  und  ihn  so  zu  beseitigen  geglaubt.  Auf  das  angeführte 
Beispiel  mit  den  Urnen  Bezug  nehmend,  behauptet  Poisson,  daß,  bevor 


1)  o.  c.  S.  213.  „Les  petites  variations  qui  alterent  une  cause  et  qui  ne  s'exercent 
que  dans  des  limites  tres  etroites,  peuvent  etre  regardees  comme  les  efiets  de  causes  acci- 
dentelles  qui,  dejä,  pouvaient  influer  sur  le  r6sultat  final.  De  sorte  qu'en  definitive,  la 
cause  variable  peut  etre  consideree  comme  constante,  et  les  causes  accidentelles,  devenues 
plus  nombreuses  et  plus  variees,  fönt  osciller  le  re'sultat  cherche  entre  des  limites  d'erreur 
plus  larges."  Quetelet  scheint  hier  den  Fall  übernormaler  Dispersion  angedeutet  zu 
haben.  Diesem  Fall  würde  jedoch  nicht  die  von  Poisson  im  Beispiel  mit  5-Franesstücken 
angenommene  Einrichtung  des  Spieles  entsprechen,  sondern  die  folgende:  es  wären  etwa 
1000  Versuche    mit    der  Münze  Ay  ,    dann    1000  Versuche  mit  A2,    1000  mit  -4g  u.  s.   f. 

zu  machen.     Uebernormale  Dispersion  wäre  zu  erwarten,   wenn  die  Chancen  at,  a2,  as 

das  sog.   Gauss'sche  Fehlergesetz  erfüllen  würden  (vergl.  oben  S.   648). 

2)  J.  Bertrand,  Calcul  des  Probabilites,  1889,  p.   94. 

3)  S.  139 — 140  der  „Recherches".  wo  P.  sein  Gesetz  der  grofsen  Zahlen  unter  das 
Bernouilli'sche  Theorem  subsumiert.     Vergl.  auch  S.   146 — 147. 

4)  Bertrand  (o.  c,  Preface,  S.  XXXI— XXXII)  citiert  die  von  Poison  gegebene 
Formulierung  des  Gesetzes  der  grofsen  Zahlen  und  lügt  hinzu:  ,,Tel  est  le  rösume  fait 
par  Poisson  lui-meme  d'une  decouverte  qui  se  distingue  bien  peu  des  lois  connues  du 
hasard,  et  ä  laquelle  il  a,  ä  peu  pres  seul  je  crois,  attache  une  grande  importance." 


Kritische  Betrachtungen   zur  theoretischen   Statistik.  661 

man   das  System  Bl,B2,B3 gebildet  hat,  die  Wahrscheinlichkeit 

des  Erscheinens  einer  weißen  Kugel  bei  irgend  einer  Ziehung  gleich  y 
sei  und  für  alle  Ziehungen  konstant  bleibe.  „Mais  quoique  eile  soit 
la  meme  pour  tous  les  tirages,  et  que  leur  nombre  /<  füt  aussi  grand 
qu'  on  voudra,  nous  ne  serions  pas  autorisös  ä  en  conclure,  en  vertu 
de  la  seule  regle  du  n°  49  (das  Theorem  Bernouilli's),  que  le  nombre 
m  des  extractions  de  boules  blanches,  des  urnes  Bx,  B2,  B3  etc- 
devra  s'ecarter  tres  probablement  fort  peu  du  produit  //y;  car  on  ne 
doit  pas  perdre  de  vue  que  cette  regle  est  fondee  sur  la  chance  propre 
de  1' Gvenement  que  l'on  considere,  et  non  sur  sa  probabilite,  ou  la 
raison  que  nous  pouvons  avoir  de  croire  qu'il  arrivera1)." 

Poisson  scheint  hier  zwischen  Chance  und  Wahrscheinlichkeit  einen 
begriffliehen  Unterschied  statuieren  zu  wollen ,  der  sich  vielleicht  mit 
den  Bezeichnungen  „objektiv"  und  „subjektiv"  am  besten  charakteri- 
sieren ließe,  und  außerdem  anzunehmen,  daß  es  sich  bei  Bernouilli  um 
eine  „objektive"  Wahrscheinlichkeit  handle. 

Ohue  auf  den  letzten  Punkt  näher  eingehen  zu  wollen,  erinnere 
ich  daran,  daß  jene  Unterscheidung  zwischen  „objektiven"  und  „sub- 
jektiven" Wahrscheinlichkeiten  anerkanntermaßen  nicht  stichhaltig  ist, 
weil  jede  gegebene  Wahrscheinlichkeit  einen  bestimmten  Wissens-  oder 
Unwissenheitszustand  voraussetzt  und  in  diesem  Sinn  notwendig  sub- 
jektiv ist 2).  Mit  dem  Ausdruck  Chance  wollte  Poisson  offenbar  den 
von  v.  Kries  strenger  definierten  Begriff  einer  Wahrscheinlichkeit,  der 
eine  definitive  Bedeutung  zukommt  —  einer  Elementarwahrscheinlich- 
keit —  treffen.  Denn  jede  Elementarwahrscheinlichkeit  bezieht  sich 
auf  einen  Wissenszustand,  den  man,  nach  gegebenen  Bedingungen  des 
Spieles  oder  der  Erfahrung,  nicht  zu  überschreiten  vermag,  und  besitzt 
somit  die  Eigenschaft  der  Allgemeingiltigkeit,  daher  auch  den  Schein 
objektiven  Bestehens,  während  bei  einer  Durchschnittswabrscheinlichkeit 
das  Gegenteil  statthat.  Letztere,  oder  allgemeiner  gefaßt,  eine  General- 
wahrscheinlichkeit bezieht  sich  notwendigerweise  auf  einen  anderen 
Wissenszustand,  als  die  Spezialwahrscheinlicbkeiten,  aus  denen  sie  zu- 
sammengesetzt ist.  So  ist  im  ersten  Poisson'schen  Beispiel  bei  der 
auf  das  Erscheinen  einer  weißen  Kugel  gerichteten  Erwartungsbildung 


1 


1)  Recherches,  p.  147. 

2)  v.  Kries,  Principien,  Kap.  IV,  §  7  und  Kap.  V,  besonders  §  6:  Die  logische 
Gleichartigkeit  aller  numerischen  Wahrscheinlichkeiten.  Vergl.  auch  S.  275 :  „Nicht 
selten  wurden,  in  direktem  Widerspruch  mit  dem  allgemeinen  Prinzip,  [diese  oder  ähn- 
liche] Wahrscheinlichkeiten  als  den  betreffenden  Ereignissen  als  solchen,  ohne  jede  Rück- 
sicht auf  unseren  Wissenszustand ,  zukommende  erklärt.  Als  Beleg  hierfür  möge  die 
folgende  Stelle  aus  Poisson's  Recherches  dienen,  in  welchen  der  Unterschied  zwischen 
,, chance"  und  „probabilite"  in  einer,  wie  man  wohl  sagen  darf,  sehr  wunderlichen  Weise 
erörtert  wird."  Diese  Stelle  lautet:  „Dans  le  langage  ordinaire  les  mots  chance  et 
probabilite  sont  ä  peu  pres  synonymes.  Le  plus  souvent  nous  emploierons  indifferemment 
l'un  et  l'autre  ;  mais  lorsqu'il  sera  necessaire  de  mettre  une  difference  entre  leurs  accep- 
tions,  on  rapportera,  dans  cet  ouvrage,  le  mot  chance  aux  eveuements  en  eux-memes  et 
independamment  de  la  connaissance  que  nous  en  avons,  et  l'on  conservera  au  mot  probabi- 
lite sa  definition  pre'cedente.  Ainsi,  un  evenement  aura,  par  sa  nature,  une  chance  plus 
ou  moins  grande,  connue  ou  inconnue;  et  sa  probabilite  sera  relative  ä.  nos  connaissances 
en  ce  qui  le  concerne"  (Recherches,  p.  31).     Siehe  noch  v.  Kries,  Ueber  Poisson,  S.  261. 


(362  k.  von  Bortkewitsch, 

die  Wahrscheinlichkeit  y  für  denjenigen  maßgebend,  dem  das  Urnen- 
system Cx,  C*,  C3 bekannt  ist,   ohne  daß  oder   bevor  er  davon, 

aus  welcher  Urne  die  Ziehung  zu  erfolgen  hat,  Kenntnis  erlangt  hat. 
Sobald  aber  letzteres  geschehen,    muß  die  Größe   y   einer   der  Größen 

Cj,  c2,  c8 weichen.    Ganz  ähnlich  verhält  es  sich  mit  dem  zweiten 

Beispiel  Poisson's  und  überhaupt  mit  allen  Fällen,  wo  es  sich  um  eine 
Generalwahrscheinlichkeit,  resp.  eine  Durchschnittswahrscheinlichkeit 
handelt.  In  solchen  Fällen  springt  der  subjektive  Charakter  des  Wahr- 
scheinlichkeitsansatzes in  die  Augen. 

Soviel  zur  Erklärung  des  citierten  Passus  aus  Poisson.  Es  würde 
also  nach  dem  Vorstehenden  grundfalsch  sein,  sich  mit  Poisson  einzu- 
bilden, er  hätte  einen  Satz,  der  zuerst  nur  für  „objektive"  Wahr- 
scheinlichkeiten galt,  auf  „subjektive"  Wahrscheinlichkeiten  ausgedehnt. 
Das  Irrtümliche  solch  einer  Auffassung  soll  an  einem  neuen  Beispiel, 
das  ich  sofort  folgen  lasse,  noch  deutlicher  dargethan  werden.  Das- 
selbe Beispiel  wird  uns,  wie  ich  glaube,  dazu  führen,  eine  befriedigende 
Antwort  auf  die  Frage  zu  geben,  was  denn  das  quid  proprium  der 
Erweiterung  sei,  die  Poisson  dem  Bernouilli'schen  Theorem  zu  teil 
werden  ließ  1). 

Die  Urne  U  ist  mit   s  schwarzen,  r  roten,  b  blauen Kugeln 

gefüllt  und  es  ist 

0  =  s-\-r-\-b-\ 

die  Gesamtzahl  der  in  U  enthaltenen  Kugeln.  Es  sind  ferner  unter 
den  schwarzen  a,  unter  den  roten  q,  unter  den  blauen  ß  . . . .  und  im 

ganzen  £  massive  und  s — a,  resp.  r — q,  resp.  b — ß und  im  ganzen 

z — £  hohle  Kugeln  da.  Zieht  man  nun  eine  Kugel  aus  Z7,  wobei  die 
Ziehung  jeder  Kugel  als  gleichmöglich  gedacht  werden  soll,  so  ergiebt 

r 

sich-=w  als  Ausdruck  für   die  Wahrscheinlichkeit  des   Erscheinens 

z 

einer  massiven  Kugel.     Andererseits  werden  die  Größen 

s  r  b 

die  Wahrscheinlichkeiten  des  Erscheinens  einer  schwarzen,  einer  roten, 
einer  blauen Kugel  angeben.  Dementsprechend  werden  die  Resul- 
tate bei  einer  Reihe  von  n  Ziehungen  nach  zwei  verschiedenen  Rich- 
tungen hin  ins  Auge  gefaßt  werden  können:  einmal  nämlich  wird  es 
sich  um  die  Zahlen  der  gezogenen  massiven  und  hohlen  Kugeln ,  ein 
zweites  Mal  um  die  Verteilung  der  gezogenen  Kugeln  nach  den  ein- 
zelnen Farbenkategorien  handeln. 


1)  Indem  ich  hier  und  an  anderen  Stellen  das  Gesetz  der  grofsen  Zahlen  dem 
Bernouilli'schen  Theorem  gegenüber  stelle,  sehe  ich  ganz  davon  ab,  dafs  bei  Bernouilli 
das  Abhängigkeitsverhältnis  zwischen  der  oberen  Grenze  der  Abweichung  eines  a  porteriori 
zu  ermittelnden  Wertes  einer  Wahrscheinlichkeit  von  dem  apriorischen  Werte  dieser 
Wahrscheinlichkeit  und  der  Höhe  der  Wahrscheinlichkeit,  mit  der  eine  jene  Grenze  nicht 
überschreitende  Abweichung  zu  erwarten  sei,  nicht  durch  die  Funktion  Fu  (s.  S.  645  Anm.  3) 
ausgedrückt  wird,  sondern  sich  ganz  anders  an  der  Hand  etwas  komplizierter  Ungleichungen 
bestimmt.     Vgl.  Anm.    1,  S.   654. 


Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen   Statistik.  663 

In  erster  Beziehung  wird  man  bei  großem  n  für  das  Verhältnis 
der  gezogenen  massiven  Kugeln  zu  der  Gesamtzahl  der  gezogenen 
Kugeln  einen  von  p  wenig  abweichenden  Zahlenwert  erwarten  müssen. 
Dabei  wird  es  erlaubt  sein,  vollständig  davon  abzusehen,  daß  es  unter 
den  Kugeln  schwarze,  rote,  blaue giebt,  obzwar  die  Wahrschein- 
lichkeit p  sehr  wohl  unter  die  Form  einer  Durchschnittswahrscheinlich- 
keit gebracht  werden  kann.  Führt  man  nämlich  die  Bezeichnungen 
a            q  ß 

ein,    so   geben   px,  p2,  p3 die  Wahrscheinlichkeiten    an   für    eine 

gezogene  Kugel,  von  der  man  weiß,  daß  sie  schwarz,  oder  roth ,  oder 
blau  ist,  zugleich  massiv  zu  sein.     Demnach  hätte  man 

P  =  9iPi+9sPs  +  9sP3-\ 

Aehnlich  würde  in  zweiter  Beziehung  keine  Beeinflussung  der  Er- 
gebnisse durch  die  Thatsache  zu  erwarten  sein,  daß  es  unter  den 
Kugeln  massive  und  hohle  giebt,  obschon  auch  hier  die  Wahrschein- 
lichkeiten  <jTn  g.i,  g3  als   Durchschnittswahrscheinlichkeiten    sich 

darstellen  ließen. 

Im  Gegensatz  zu  beiden  Beispielen  Poisson's  ist  in  meinem  Bei- 
spiel der  Durchschnittscharakter  der  in  Frage  stehenden  Wahrschein- 
lichkeiten sozusagen  verborgen,  gleichsam  latent,  würde  aber  etwa  in 
folgender  Weise  an  den  Tag  gebracht  werden  können. 

Was  p  betrifft,  so  denke  man  sich  neben  dem  Beobachter  J.,  der 
die  Kugeln  aus  der  Urne  zieht  und  jeweils  in  ein  und  demselben  Augen- 
blick gewahr  wird,  daß  die  gezogene  Kugel  eine  massive  oder  eine 
hohle  ist  und  daß  sie  eine  bestimmte  Farbe  hat,  einen  zweiten  Beob- 
achter B,  der  dem  Spiele  bloß  zuschaut  und  ehe  er  durch  die  Ver- 
mittelung  von  A  oder  durch  eigene  Empfindung  sich  davon  überzeugt, 
daß  die  Kugel  eine  massive  oder  eine  hohle  ist,  die  Farbe  der  ge- 
zogenen Kugel  zu  sehen  bekommt.  Die  auf  das  Erscheinen  einer 
massiven  oder  einer  hohlen  Kugel  gerichtete  Erwartungsbildung  des  B 
wird  sich  offenbar  vor  und  nach  dem  Zeitpunkt,  wo  er  die  Farbe- 
empfindung hat,  verschieden  gestalten,   und    zwar   ist   für   den    ersten 

Fall  die  Größe  p,  für  den  zweiten  aber  eine  der  Größen  p1}  P21P3 

maßgebend.     Bei   den  Wahrscheinlichkeiten  gr,  g2,  g3 hätte  man 

sich  den  Vorgang  so  vorzustellen,  daß  A  die  Kugel  mit  geschlossenen 
Augen  zieht  und  auf  diese  Weise  zuerst  in  die  Lage  gesetzt  wird  zu 
bestimmen,  ob  die  gezogene  Kugel  eine  massive  oder  eine  hohle  sei 
und  erst  nachher  deren  Farbe  wahrnimmt. 

Trotzdem  man  nun  in  meinem  Beispiel  zweifelsohne  mit  Durch- 
schnittswahrscheinlichkeiten zu  thun  hat,  so  ließe  dasselbe  sich  doch 
unter  den  dem  Bernouilli'schen  Theorem  entspreehenden  allge- 
meinen Fall  bringen,  ohne  daß  es  einer  besonderen  Beweisführung 
bedürfte,  weil,  wie  gesagt,  von  dem  den  Durchschnittscharakter  der 
in  Frage  stehenden  Wahrscheinlichkeiten  bedingenden  Umstände  — 
d.  h.  von  der  Ungleichartigkeit  der  in  Betracht  kommenden  Total- 
gesamtheit aller  möglichen  Fälle  —  jeweils  abgesehen   werden  kann. 


664  k.  von  Bortkewitsch, 

Um  nun  recht  anschaulich  zu  zeigen,  worin  der  Unterschied 
zwischen  den  Poisson'schen  Beispielen  und  dem  meinen  liegt,  werde 
ich  das  letztere  so  modifizieren,  daß  daraus  ein  den  ersteren  gleich- 
artiger Fall  wird. 

Zu  dem  Zweck  nehme  man  eine  zweite,  dieselben  Füllungsver- 
hältnisse wie  TJ  aufweisende  Urne  und  verteile  die  darin  enthaltenen 
Kugeln  unter  so  viele  Urnen  S,  R,  B  .  .  .  als  Farben  vertreten  sind, 
wobei  jede  Urne  nur  gleichfarbige  Kugeln  enthalten  soll :  S  die  schwar- 
zen, R  die  roten,  B  die  blauen  ....  Alsdann  werden  die  Größen 
V 11  P21  Ps  •  •  •  •  die  Wahrscheinlichkeiten  des  Erscheinens  einer  massiven 
Kugel  bei  einer  Ziehung  aus  S,  R,  B  .  .  .  darstellen.  Nun  ziehe  man 
eine  Kugel  aus  der  Urne  TJ.  Je  nachdem  eine  schwarze,  oder  eine 
rote,  oder  eine  blaue  Kugel  erschienen  ist  —  welche  Ereignisse  mit 
den  Wahrscheinlichkeiten  gx,  g2,  g3  .  . .  zu  erwarten  sind  —  nehme 
man  eine  Ziehung  aus  der  Urne  S  oder  R  oder  B  .  . .  vor  und  merke 
sich,  ob  man  dabei  eine  massive  oder  eine  hohle  Kugel  erhalten  hat. 
Wiederholt  man  n  Mal  diesen  aus  zwei  Ziehungen  bestehenden  Ver- 
such —  wobei  die  gezogene  Kugel  jedesmal  wieder  in  die  betreffende 
Urne  zu  legen  ist  —  so  wird  mancher  im  Zweifel  sein,  ob  über  das 
zu  erwartende  Verhältnis  der  Zahl  der  erschienenen  massiven  Kugeln 
m  zu  n  auf  Grund  des  Bernoulli'schen  Theorems  allein  eine  bestimmte  • 
Aussage  zulässig  sei.  Der  Fall  erfüllt  aber  in  aller  Strenge  die  Be- 
dingungen, welche  dem  Poisson'schen  Lehrsatze  in  der  ihm  eigentüm- 
lichen Erweiterung  entsprechen  und  so  erscheint  die  Behauptung  be- 

AM 

gründet,  daß  bei  großem  n  die  Relation    —  erwartungsmäßig   nahe  p 

rb 

AM 

sein  wird  und  zwar  gleich  große  Abweichungen p  in  diesem  Fall 

mit  gleichen  Wahrscheinlichkeiten  als  bei  derjenigen  Einrichtung  des 
Spieles,  die  der  ursprünglichen  Form  meines  Beispieles  entspricht,  zu 
erwarten  sein  werden. 

Allgemein  gesprochen  besteht  die  Eigentümlichkeit  meines  modi- 
fizierten Beispiels  (und  auch  der  beiden  Beispiele  Poisson's)  im  Gegen- 
satz zum  ursprünglichen  darin,  daß,  während  in  diesem  jeder  Versuch 
sich  unmittelbar  auf  die  in  Betracht  kommende  Totalgesamtheit  aller 
möglichen  Fälle  bezieht,  in  jenem  die  Teilgesamtheiten  aller  möglichen 
Fälle,  von  denen  jeder  einzelnen  eine  andere  SpezialWahrscheinlichkeit 
zukommt,  getrennt  vorliegen,  wodurch  eine  (allerdings  nur  scheinbare) 
Rücksichtnahme  auf  den  ungleichartigen  Charakter  der  genannten  Total- 
gesamtheit stattfindet. 

Von  den  zwei  in  gekennzeichneter  Weise  unterschiedenen  Arten 
der  Durchschnittswahrscheinlichkeit  i.  eig.  S.  verlangt  höchstens  die 
zuletzt  charakterisierte  eine  besondere  Behandlung,  die  dazu  dient, 
die  Anwendbarkeit  des  Bernouilli'schen  Theorems  auf  diesen  Fall  zu 
demonstrieren,  was  sich  hinsichtlich  jener  anderen  Art  der  Durch  - 
Schnittswahrscheinlichkeit  i.  eig.  S.  aus   bloßer  Anschauung  ergiebt 1). 


1)  Vgl.  oben   S.   651. 


Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen  Statistik.  665 

Ist  bis  hierher  stets  vorausgesetzt  worden,  daß  die  Spezialwahr- 
scheinlichkeiten  px,p%,  pz  .  .  .  ,  aus  denen  die  Durchschnittswahr- 
scheinlichkeit 

P  =  9l  Pl  +  92  Pl  +  03  Ps  +  •  •  •  • 

zusammengesetzt  ist,  zugleich  Elementarwahrscheinlichkeiten  seien,  so 
darf  s  man  nun  jene  Voraussetzung  fallen  lassen  und  demnach  an- 
nehmen, daß^j,^>2^3  •••  selbst  wiederum  Durchschnittswahrschein- 
lichkeiten i.  eig.  S.  sind.  Man  könnte  so  Durchschnittswahrschein- 
lichkeiten verschiedener  Ordnungen  unterscheiden  und  zwar  wären  als 
Durchschnittswahrscheinlichkeiten  erster  Ordnung  solche  die  unmittel- 
bar aus  Elementarwahrscheinlichkeiten,  als  Durchschuittswahrschein- 
lichkeiten  zweiter  Ordnung  solche,  die  unmittelbar  aus  Durchschnitts- 
wahrscheinlichkeiten erster  Ordnung  u.  s.  f.  zusammengesetzt  siud  zu  be- 
zeichnen 1). 

Auf  jeden  Fall  vermag  die  Thatsache,  daß  eine  ge- 
gebene Wahrscheinlichkeit  als  Durchschnittswahr- 
schei  u  lichkei  t  i.  eig.  S.,  giei  c  hgiltig  welcher  Ordnung, 
zu  betrachten  ist,  keinen  Unterschied  in  der  Berech- 
nung derPräcision  resp.  des  mittl  ere  n  Fehler  s  eines 
a  posteriori  ermittelten  Wertes  jener  Wahrscheinlich- 
keit zu  begründen2). 


1)  Wäre  p  eine  Durchschnittswahrscheinlichkeit  «ter  Ordnung,  so  würde  sie  sich 
allerdings  unter  die  Form  p  =  yt  TCt  +  Y2  TC2  +  Y3  TCs  +  ■  •  •  •  bringen  lassen,  bei  welcher 
Ttp  t:2.  ti3  • .  .  Elementarwahrscheinlichkeiten  sind,  aber  die  Koeffizienten  y  ,  y0,  y  .  .  . 
würden  dann  Wahrscheinlichkeiten  zusammengesetzter  und  zwar  aus  je  n  einfachen  Ereig- 
nissen zusammengesetzter  Ereignisse  resp.  Wahrscheinlichkeiten  des  Zusammentreffens  n 
verschiedener  Merkmale  darstellen.  Sagt  man,  dafs  eine  Durchschnittswahrscheiulichkeit 
unmittelbar  aus  gegebenen  Spezialwabrscheinlichkeiten  zusammengesetzt  ist,  so  will 
es  nichts  anderes  heifsen ,  als  dafs  die  Koeffizienten,  mit  denen  jene  Spezialwahrschein- 
lichkeiten  versehen  sind,  Wahrscheinlichkeiten  einfacher  Ereignisse  resp.  Merkmale 
angeben. 

2)  Die  Bezeichnung  des  erweiterten  Theorems  J.  Bernouilli's  als  ,, Gesetz  der  grofsen 
Zahlen"  wird  von   zwei  verschiedenen   Gesichtspunkten  aus  beanstandet. 

Zunächst  kann  der  nicht  ganz  gewöhnliche  Gebrauch  des  Wortes  „Gesetz"  für  etwas, 
was,  wie  v.  Kries  treffend  bemerkt,  ,,im  Grunde  ein  Theorem  der  Kombinationslehre  ist", 
sehr  leicht  zur  unerwünschten  Verkennung  der  mathematischen  (unempirischen)  Natur  des 
Lehrsatzes  und  zur  Vorstellung,  dafs  sich  derselbe  auf  das  wirkliche  Verhalten  der  Dinge 
beziehe,  verleiten.  (Darüber  sehr  gut  v.  Kries,  Prinzipien,  Kap.  IV  §  5,  auch  die 
Anm.  auf  S.  91,  vergl.  noch  S.  293  gegen  Windelband  und  S.  168 — 169.)  Von  solch 
einer  „physikalischen"  Deutung  des  Gesetzes  der  grofsen  Zahlen  ist  Poisson  selbst  nicht 
freizusprechen,  was  sich  aus  Mangel  an  erkenntnistheoretiseher  Einsicht  erklärt  (Recherches, 
S.  7,  144—145). 

Sodann  aber  pflegen  namentlich  die  Statistiker  daran  Anstand  zu  nehmen,  ein  „Ge- 
setz" anzuerkennen,  das  nur  für  grofse  Zahlen  von  Fällen  Giltigkeit  hätte,  auf  Einzel- 
fälle aber  oder  kleine  Zahlen  keine  Anwendung  fände.  Wollen  die  Statistiker  darin 
einen  Widerspruch  mit  dem  Wesen  eines  „Gesetzes"  erblicken  und  weisen  sie  mit  Vor- 
liebe auf  jenen  Widerspruch  hin,  so  scheinen  sie  in  dem  Irrtum  begriffen  zu  sein,  das 
Gesetz  der  grofsen  Zahlen  als  Naturgesetz  aufzufassen.  Betrachtet  man  aber  den  Poisson- 
schen  Lehrsatz  als  Ausdruck  eines  neben  dem  Prinzip  der  Kausalität  bestehenden  Er- 
wartungsprinzips („das  Prinzip  der  Spielräume"  nach  v.  Kries) ,  so  wird  man  nicht 
leugnen  können,  dafs,  obschon  die  Zahl  der  Fälle  keinen  prinzipiellen  Unterschied  in  der 
Erwartungsbildung  herbeizuführen  vermag,  das  Prinzip  namentlich  dort  eine  besondere 
Bedeutung  erlangt,  wo   die  Erwartung  auf  die  Gesamtergebnisse  eine  Reihe  sehr  vieler 


(366  k.  von  Bortkewitsch, 

Nun  gilt  es  die  angeführten  und  erläuterten  Sätze  über  Präci- 
sionsbestiramungen  einmal  bei  konstant  zusammengesetzten  Durch- 
schnittswahrscheinlichkeiten und  ein  anderes  Mal  bei  Durchschnitts- 
vvahrscheinlichkeiten  i.  eig.  S.  für  die  Statistik  zu  verwerten. 

Es  fragt  sich  vor  allem,  welchem  von  jenen  zwei  Typen  die 
statistischen  Verhältniszahleu,  die  den  Charakter  empirischer  Werte 
von  Durchnittswahrscheinlichkeiten  haben,  angehören. 

Die  in  der  Formel   der  empirischen  Durchschnittswahrscheinlich- 

keit  vorkommenden  Koeffizienten    —  >  —  >  —  •  •  •  •   sind  Ausdrücke  für 

n     n     n 

die  relativen  Anteile,  die  in  bestimmter  Weise  unterschiedene  Teil- 
massen an  einer  Totalmasse  ausmachen,  also  z.  B.  Bruchteile,  mit 
denen  verschiedene  Kategorien  der  Bevölkerung  in  der  Gesamtbe- 
völkerung vertreten  sind.  Damit  eine  statistische  Verhältniszahl  als 
empirischer  Wert  einer  konstant  zusammengesetzten  Durchschnitts- 
wahrscheinlichkeit betrachtet  werden  kann,  müssen  solche  Bruchteile 
nicht  ihrerseits  als  empirische  Werte  bestimmter  Wahrscheinlichkeiten, 
sondern  als  im   voraus  festgesetzte  Zahlenwerte  erscheinen. 

Man  stelle  sich  z.  B.  eine  Einrichtung  vor,  der  zufolge  in  einem 
Staate  die  Präsenzstärke  des  Heeres  in  Prozenten  der  Gesamtbe- 
völkerung gesetzlich  vorgeschrieben  ist.  Faßt  man  in  so  einem  Staate 
die  Selbstmordfrequenz,  die  bekanntlich  eine  sehr  viel  größere  bei  der 
Militärbevölkerung  als  bei  der  Civilbevölkerung  ist,  ins  Auge,  so  wird 
der  Quotient,  der  sich  aus  der  Division  der  Zahl  aller  lebenden  Per- 
sonen in  die  Zahl  der  etwa  in  einem  Jahr  vorgekommenen  Selbstmorde 
ergiebt,  als  empirischer  Wert  einer  konstant  zusammengesetzten  Durch- 
schnittswahrscheinlichkeit aufzufassen  sein  und  demnach  wird  jenem 
Quotienten  eine  höhere  Präcision  beizulegen  sein,  als  die,  welche  dem 
Fall  gleicher  Selbstmordfrequenz  in  beiden  Bevölkerungsteilen  ent- 
sprechen würde.  Bliebe  das  Zahlen  Verhältnis,  in  dem  die  Militärbe- 
völkerung zur  Gesamtbevölkerung   steht,   für   eine   Reihe   von  Jahren 


Fälle  gerichtet  ist,  weil  nur  unter  dieser  Bedingung  sich  hohe,  der  Gewifsheit  nahe- 
kommende Wahrscheinlichkeiten  ergeben  (s.  v.  Rries,  S.  264 — 265  und   155). 

Aufserdem  ist  die  Forderung  einer  grofsen  Zahl  von  Fällen  oder  Versuchen  («) 
rechnerisch  darin  begründet ,  dafs  die  in  der  Poisson'schen  Fassung  des  Gesetzes  der 
grofsen  Zahlen  (S.  654)  vorkommende  analytische  Beziehung  zwischen  den  bewufsten 
Fehlergrenzen  und  der  ihnen  entsprechenden  Wahrscheinlichkeit  unter  Benützung  der 
Stirling'schen  Näherungsformel,  die  ein  grofses  n  voraussetzt,  abgeleitet  wird. 

Eine  ganz  andere  Erwägung  hat  aber  Poisson  veranlagst,  seinem  Lehrsatz  die  in 
Frage  stehende  Benennung  zu  geben,  worüber  eine  übrigens  wenig  überzeugende  Stelle  auf 
S.  146 — 147  der  „Recherches"  Aufschlufs  giebt.  Poisson  wollte  nämlich,  indem  er  seine 
,,loi  des  grauds  nombres"  dem  Theorem  J.  Bernouilli's  gegenüberstellte ,  mit  jener  Be- 
zeichnung speziell  den  Fall  wechselnder  Chancen  (den  Fall  der  Durchschnittswahrschein- 
lichkeit im  eig.  S.)  treffen.  So  verstanden,  ist  die  Benennung  mit  aus  dem  Grunde  nicht 
gutzuheifsen,  weil  sie  den  falschen  Schein  zu  erwecken  imstande  ist,  als  wäre  im  Falle 
wechselnder  Chancen  im  Gegensatz  zu  dem  Fall  einer  konstanten  Chance  (Elementar- 
wahrscheinlichkeit) eine  gröfsere  Zahl  von  Versuchen  nötig,  damit  in  beiden  Fällen  mit 
gleicher  Wahrscheinlichkeit  ein  von  dem  apriorischen  Wert  der  in  Frage  stehenden  Wahr- 
scheinlichkeit nicht  mehr  als  um  einen  bestimmten  Betrag  abweichender  empirischer  Wert 
erwartet  werden  könnte.     (Vgl.   S.  659 — 660,  Text  und  Anm.  über  Quetelet.) 


Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen  Statistik.  667 

unverändert,  und  behaupteten  sich  die  abstrakten  Wahrscheinlichkeiten, 
einen  Selbstmord  zu  begehen,  sowohl  für  einen  Angehörigen  der  Civil- 
als  für  einen  Angehörigen  der  Militärbevölkerung  stets  auf  gleicher 
Höhe,  so  wäre  eine  Reihe  von  Werten  des  genannten  Quotienten  mit 
uuteruormaler  Dispersion  zu  erwarten. 

Man  wird  aber  wohl  sagen  dürfen,  daß  im  allgemeinen  solche 
konstanten  Relationen  zwischen  Teilmassen  gar  nicht  anzunehmen  sind, 
es  sei  denn,  daß  eben  durch  Gesetz  oder  Verordnung  für  deren  Auf- 
rechteihaltung  gesorgt  wird. 

Dem  Statistiker  werden  aber  derartige  besondere  Verhältnisse, 
wenn  sie  bei  der  ihn  beschäftigenden  Massenerscheinung  ausnahms- 
weise vorliegen,  sicher  bekannt  sein  und  man  kann  daher  im  gekenn- 
zeichneten Umstände  eine  Quelle  falscher  Präcisionsberechnungen  kaum 
erblicken. 

Stellen  aber  die  Relativzahlen,  welche  die  numerischen  Anteile 
einzelner  Teilmassen  an  einer  Totalmasse  ausdrücken ,  empirische 
Wahrscheinlichkeitswerte1)2)  dar,  so  lassen  sich  den  Durchsehnitts- 
wahrscheinlichkeiten  resp.  ihren  empirischen  Werten,  in  denen  jene 
Relativzahlen  als  Koeffizienten  bei  empirischen  Werten  von  Elementar- 
wahrscheinlichkeiten oder  von  Durchschnittswahrscheinlichkeiten  niederer 
Ordnung  auftreten,  genau  dieselben  Spielräume  für  die  Wirkung  zu- 
fälliger Ursachen  zuweisen,  wie  im  Fall  von  Elementarwahrscheinlich- 
keiten gleicher  Höhe.  Man  ist,  m.  a.  W.,  vollkommen  dazu  berech- 
tigt, vom  Durchschnittscharakter  der  betreffenden  Wahrscheinlichkeiten 
bei  Präcisionsbestimmungen  abzusehen.  Die  Untersuchung  der  Dis- 
persionsverhältnisse bei  statistischen  Reihen  ist  also  genau  in  gleicher 
Weise  zu  führen,  einerlei,  ob  den  Gliedern,  die  die  Reihe  bilden,  Ele- 
mentarwahrscheinlichkeiten oder  Durchschnittswahl  scheinlichkeiten  be- 
liebiger Ordnung  zu  Grunde  liegen  3). 

Insbesondere    darf   aber    aus    dem    Umstände,    daß    eine    Reihe 


1)  S.  Lexis,  Zur  Theorie  ... .  S.  29,  Anm. 

2)  Es  soll  hier,  wie  im  folgenden,  mit  der  Anwendung  des  Wahrscheinlichkeits- 
hegriffs auf  statistische  Relativzahlen  nicht  die  Vorstellung  verbunden  werden,  dafs  es  sich 
um  feste  —  in  der  Zeit  unveränderliche  —  Wahrscheinlichkeiten  dabei  handle.  Die 
einer  statistischen  Relativzahl  zu  Grunde  liegende  abstrakte  Wahrscheinlichkeit  ist  viel- 
mehr wie  die  Erfahrung  lehrt,  in  den  meisten  Fällen  als  eine  historische  oder  „singulare" 
(nicht  ganz  in  dem  von  v.  Kries  diesem  Ausdruck  beigelegten  Sinne,  Prinzipien,  S.  129) 
zu  betrachten.  Wenn  Lexis,  ohne  die  logische  Berechtigung  zu  dieser  Betrachtungs- 
weise in  Abrede  zu  stellen,  dennoch  behauptet,  es  sei  „mit  solcher  Einführung  des  Wahr- 
scheinlichkeitsbegriffes wenig  gewonnen"  (Zur  Theorie...  S.  91)  und  wenn  v.  Kries, 
sich  Lexis  anschliefsend ,  meint,  dafs  im  Gebiete  der  Massenerscheinungeu  der  mensch- 
lichen Gesellschaft  eine  zutreffende  Angabe  numerischer  Wahrscheinlichkeit  fast  nirgends 
gemacht  werden  kann"  (Prinzipien,  S.  239),  so  sind  die  angeführten  Aeufserungen  dahin 
zu  deuten,  dafs  eine  singulare  Wahrscheinlichkeit  keine  Uebertragung  auf  nicht  beobachtete 
Fälle  und  insofern  keine  Voraussagungen  zuläfst. 

3)  „Dafs  die  aus  vielen  Versuchsreihen  abgeleiteten  Möglichkeitskoeffizienten  die 
Annahme  einer  konstanten  Totalwahrscheinlichkeit  rechtfertigen ,  ist  ganz  in  derselben 
Weise  erfahrungsmäfsig  nachzuweisen ,  wie  wenn  man  eine  einfache  Wahrscheinlichkeit 
voraussetzt,  und  auch  die  oben  aufgestellten  Kriterien  zur  Klassifizierung  der  Massen- 
erscheinungen bleiben  bei  beiden  Anschauungen  ungeändert."  (Lexis  ,  Zur  Theorie  u.  s.  w., 
S.  29.) 


668  k.  von  Bortkewitsch, 

normale  Dispersion  aufweist,  nicht  der  Schluß  gezogen  werden,  daß  der 
in  Frage  stehenden  Verhältniszahl  eine  Elementarwahrscheinlichkeit  ent- 
spreche. So  ist  der  bis  jetzt  fast  allein  dastehende  Fall  solchen  Ver- 
haltens einer  statistischen  Größe  —  nämlich  der  Fall  des  Geschlechts- 
verhältnisses bei  den  Geburten  —  sehr  wohl  mit  Thatsacheu  und  An- 
sichten vereinbar,  die  die  Wahrscheinlichkeit  einer  Knabengeburt  bei 
verschiedenen  Kategorien  von  Geburten  nicht  gleich  hoch  erscheinen 
lassen.  Es  sei  p  diese  Wahrscheinlichkeit  bei  der  Gesamtzahl  der 
Geburten  und  p1  resp.  p.}  bei  ehelichen  resp.  unehelichen  Geburten. 
Bezeichnet  man  ferner  mit  gx  die  Wahrscheinlichkeit  für  eine  Geburt 
ehelich  und  mit  g2  unehelich  zu  sein,   so   ergiebt  sich   die  Beziehung 

P  =  9lPl+9lP^ 

Man  nehme  nun  an,  daß  eine  Reihe  empirischer  Werte  des  p,  die 
etwa  einer  Reihe  von  Jahrgängen  entsprechen,  normale  Dispersion  auf- 
weisen; darum  brauchte  offenbar^  nicht  =  p2  zu  sein,  aber  wenn 
bei  px  und  p2  sich  ebenfalls  normale  Dispersion  zeigen  würde,  müßte 
das  gleiche  von  gx  resp.  g2  angenommen  werden  1). 

Faßt  man  die  Gruppe  der  ehelichen  Geburten   für  sich   ins  Auge 
und  stellen  sich  hier   für   einzelne  Kategorien   von  Ehen   verschiedene 

Werte  px,  p2,  p3  der   Wahrscheinlichkeit    einer    Knabengeburt 

heraus,  so  würde  für  die  Gesamtzahl  der  Ehen  die  Wahrscheinlichkeit 

P  =9iPi  +  guP.t  -+-  g3p3  -\ 

gelten,  wo  gx,  g2,  g.s die  Wahrscheinlichkeiten  für  einen  Geborenen, 

aus  einer  Ehe  bestimmter  Kategorie  hervorgegangen  zu  sein,  angeben 
würden.     W7enn  hier,  ähnlich  wie  vorhin,  sowohl  die  empirischen  Werte 

von  p  als  die  von  px,  p2,  pz normale  Dispersion  hätten,   so  wäre 

bei  gx,  g2,  #3 ebenfalls   normale  Dispersion  zu  erwarten2). 

Die  in  den  angeführten  Beispielen  angedeutete  Operation,  die,  all- 
gemein gesprochen,   darin   besteht,   Durchschnittswahrscheinlichkeiten 


1)  Es  ist  leicht  möglich,  dafs  in  Wirklichkeit  sich  sowohl  bei  p  als  bei  pl  und  p2 
eine  der  normalen  sehr  nahe  kommende  Dispersion  wahrnehmen  liefse  und  trotzdem  die 
empirischen  Werte  der  Wahrscheinlichkeit  g2  (die  Relativzahlen  der  unehelichen  Geburten) 
übernormale  oder  gar  unregelmäfsige  Dispersion  liefern  würden  Dann  wäre  anzunehmen, 
dafs  letzteres  wegen  der  Kleinheit  der  Differenz  pt — p2  und  namentlich  auch  der  Gröfse  g2 
das  Verhalten  der  empirischen  Werte  des  p  nicht  in  nennenswerter  Weise  zu  beeinflussen 
vermocht  habe.  —  Siehe  zur  Frage  des  Geschlechtsverhältnisses  bei  den  Geburten  nament- 
lich von  der  hier  in  Betracht  gezogenen  Seite  den  Artikel  von  L  e  x  i  s  im  Handwörter- 
buch der  Staatswissenschaften,  bes.  S.  819  Kol.  2  und  vergl.  die  früheren  daselbst  ge- 
nannten Schriften  desselben  Verfassers,  wo  er  den  Standpunkt  der  (wenigstens  näherungs- 
weisen) Chancengleichheit  der  Geburtsfälle  oder  richtiger  der  Befruchtungsfälle  in  Bezug 
auf  das  zu  erwartende  Geschlecht  der  Geborenen  mit  gröfserer  Bestimmtheit  vertritt. 

2)  Es  kommt  aber  nicht,  wenigstens  in  erster  Linie  nicht  auf  das  Zahlen  Verhältnis 
der  Ehen  verschiedener  Kategorien  zu  der  Gesamtzahl  der  Ehen  —  es  seien  y  ,  y2,  yg  .  .  . 
die  diesen  Zahlen  zu  Grunde  liegenden  Wahrscheinlichkeiten  —  wie  es  Lexis  (1.  c.)  an- 
zunehmen scheint,  sondern  eben  auf  die  Gröfsen  gv  g2,  gs  .  .  .  Bezeichnet  man  mit 
Wj,  w2,  w3  . .  .  die  Wahrscheinlichkeiten  für  die  einzelnen  Kategorien  der  Ehen,  etwa  im 
Laufe  eines  Jahres  eine  Geburt  zu  liefern,  so  hätte  man 

y    toj 

Yi»i  +  Y2«>2  +  Ya>"s  + 

woraus  nur  bei  «^  =  w2  =  w3  =  .  .  sich  gi  =  y*   ergiebt. 


Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen  Statistik.  (369 

höherer  Ordnungen  in  solche  niederer  Orduungen  aufzulösen,  ist  be- 
sonders dazu  geeignet,  über  statistische  Zusammenhänge  Aufschlüsse 
zu  geben,  und  verliert  nichts  an  Interesse  dadurch,  daß  die  Dureh- 
schnittswahrscheinlichkeit  höherer  Ordnung,  von  der  ausgegangen  wird, 
in  ihren  empirischen  Werten  normale  Dispersion  aufweist.  Ich  kann 
mich  daher  unmöglich  der  Ansicht  Prof.  W  ester  gaa  r  d's  anschließen, 
wonach  die  Spezialisierung  des  Materials  bei  ihrem  Ziel  angelangt  sei, 
wo  man  auf  Verhältniszahlen  mit  normaler  Dispersion  gekommen  ist. 
„Hat  man",  meint  der  genannte  Forscher,  „den  festen  Punkt  gefunden, 
um  welchen  die  Zahlen  analog  den  Glückspielserfahruugen  oscillieren, 
so  wird  das  weitere  Suchen  nach  Ursachen  zwar  zu  neuen  Resultaten 
führen  können,  z.  B.  wenn  man  das  Material  neu  bearbeitet,  man  darf 
jedoch  auch  ohne  solche  Bearbeitung  bei  den  gewonnenen  Resultaten 
stehen  bleiben.  Wenn  dagegen  die  Abweichungen  größer  sind,  als  die 
für  Glücksspiele  gefundenen,  so  i&t  dies  ein  Zeichen  dafür,  daß  das 
Material  noch  nieüt  genügend  bearbeitet  worden  ist,  und  daß,  bevor 
eine  Vorausberechnung  vorgenommen  werden  darf,  die  betreffenden 
Ursachen  weiter  isoliert  werden  müssen  l)." 

Uebrigens  glaube  ich,  daß  die  im  letzten  Satz  des  citierten  Passus 
ausgesprochene  Hoffnung,  durch  fortgesetzte  Zerlegung  des  Materials 
auf  Verhältuiszahlen  zu  kommen,  die  von  einer  Zeitperiode  zur  anderen 
nur  in  Grenzen  schwanken  würden,  welche  für  die  Wirkung  zufälliger 
Ursachen  maßgebend  sind,  hinsichtlich  der  meisten  Massenerscheinungen 
des  sozialen  Lebens  nicht  realisierbar  sei.  In  der  Statistik  wird  die 
Spezialisierung  in  der  Bildung  immer  enger  determinierter  Menschen- 
gruppen oder  Gruppen  menschlicher  Handlungen  bezw.  Ereignisse  ihren 
Ausdruck  finden.  Zwei  solche  Gruppen,  die  durch  einen  gemeinsamen 
Komplex  von  Merkmalen  determiniert  sind,  sich  aber  auf  zwei  ver- 
schiedene Zeitperioden  beziehen,  werden  jedoch  nur  äußerst  selten  in 
demselben  Sinne  miteinander  vergleichbar  sein,  wie  etwa  zwei  Reihen 
von  Ziehungen  aus  einer  Urne,  weil,  während  hier  bei  beiden  Ver- 
suchsreihen die  Allgemeinbedingungen  des  Spieles  dieselben  sind,  dort 
die  Allgemeinbedinguugen  der  Erfahrung  sich  höchstens  als  analoge, 
weil  in  gleicher  Weise  für  beide  Gruppen  umschriebene,  darstellen 
würden.  Es  wäre  durchaus  irrtümlich,  einen  hohen  Grad  der  Genauig- 
keit bei  solcher  Umschreibung,  d.  h.  die  Aufzählung  sehr  vieler  Merk- 
male, für  eine  bestimmte  Angabe  des  Inhalts  jener  Allgemein- 
bedingungen zu  halten,  und  stets  wird  verschiedener  Inhalt  mit  gleicher 
Umschreibung,  mag  diese  noch  so  detailliert  sein,  Hand  in  Hand  gehen 
können. 

Eine  beschränkte  Geltung  hat  Prof.  Westergaard's  Behauptung 
von  dem  Zweck  der  Spezialisierung  und  dem  von  ihr  zu  erwartenden 
Erfolg  bei  Untersuchung  der  Dispersionsverhältnisse  statistischer  Reihen 
allerdings,  was  ich  Gelegenheit  haben  werde,  an  einem  interessanten 
Beispiel  zu  zeigen,  wo  bei  den  empirischen  Werten  der  Durchschnitts- 
wahrscheiulichkeit  höherer  Ordnung  unregelmäßige  Dispersion  obwaltet. 


1)  Grundzüge  der  Theorie  der  Statistik  S.  55. 


670  k.  von  Bortkewitsch, 

Ehe  ich  mich  aber  diesem  Fall  zuwende,  möchte  ich  die  übrigen 
Fälle  noch  kurz  erörtern. 

Um  Dochmals  auf  den  Fall  normaler  Dispersion  zurückzukommen, 
so  ließe  sich  eine  solche  bei  empirischen  Werten  der  Durchschnitts- 
wahrscheinlichkeit  p  nicht  nur  in  der  vorhin  angenommenen  Weise 
erklären,   sondern    es  wäre   auch   denkbar,   daß    bei   den    empirischen 

Werten  der  Wahrscheinlichkeiten  p^p^p3 unternormale  Dispersion 

vorliegt,  während  die  empirischen  Werte  der  Wahrscheinlichkeiten  glt 
08,  g3  ....  übernormale  Dispersion  aufweisen  oder  umgekehrt.  Sollte 
eine  dieser  zwei  Möglichkeiten  in  Erfüllung  gehen,  so  wäre  es  freilich 
als  „Zufall1'  zu  betrachten. 

Aus  unter  normaler  resp.  übernormaler  Dispersion  bei 
den  empirischen  Werten  von  p  wäre  auf  unternormale  resp.  über- 
normale Dispersion-  bei  den  empirischen  Werten  der  Wahrscheinlich- 
keiten jöj,  p2,  p3  oder   der   Wahrscheinlichkeiten  gt,  g2,  g3  

zu  schließen,  wobei  im  ersten  Fall  die  empirischen  Werte  der   gx,  g2, 

g3 und  im  zweiten  Fall  die  empirischen  Werte  der  px,  p2,  p3 

unternormale,  normale  oder  übernormale  Dispersion  aufweisen  könnten. 

Schließlich  deutet  der  praktisch  wichtigste  Fall  unregel- 
mäßiger Dispersion  der  empirischen  Werte  von  p  auf  das  Vorhanden- 
sein unregelmäßiger  Dispersion   entweder  in   den  empirischen  Werten 

der  Wahrscheinlichkeiten  p^  p2,  p3 ,  bei  beliebiger  Dispersion  der 

Werte  von  gx,  g2,  g3  oder  auf  das  Vorhandensein  unregelmäßiger 

Dispersion    in   den    empirischen   Werten   der   Wahrscheinlichkeiten  gly 

g<z,  g3 bei   beliebiger   Dispersion    der  Werte  von   pt,  p2,  p3  — 

hin1).  In  der  großen  Mehrzahl  der  Fälle  liefert  die  Beobachtung  un- 
regelmäßige Dispersion  der  empirischen  Werte  sowohl  der  Wahrschein- 
lichkeiten px,  p2,  p3  ....  als  der  Wahrscheinlichkeiten  gu  g2,  g3  

Um  so  interessanter  muß  daher  ein  P'all  erscheinen,  wo  sich  für  die 
Werte  von  p  eine  unregelmäßige,  höchstens  übernormale  Dispersion 
zeigt,  während  man  nach  erfolgter  Zerlegung  des  Materials  in  zwei 
Gruppen  für  die  Werte  von  px,  p2  oder  wenigstens  für  einen  derselben 
eine  normale  Dispersion  erhält. 

Die  in  dem  nunmehr  folgenden  Beispiel  vorkommenden  absoluten 
Zahlen  und  die  meisten  Berechnungen  entnehme  ich  Westergaard's 
„Theorie  der  Statistik"  2).  Es  handelt  sich  um  das  verhältnismäßige 
Vorkommen  der  Selbstmorde  durch  Erhängen  in  Dänemark  in  der 
Periode  von  1861 — 1886  inkl.  Es  sei  für  einen  bestimmten  Jahrgang 
die  Gesamtzahl  der  vorgekommenen  Selbstmorde  n  und  m  die  Zahl 
der  durch  Erhängen  erfolgten.  Summiert  man  die  Zahlen  der  21  Jahr- 
gänge, so  erhält  man  2n  als  Zahl  sämtlicher  innerhalb  jenes  Zeitraums 
vorgekommener  Selbstmorde  und  2m  als  Zahl  derjenigen  Menschen, 
die  sich  im  selben  Zeitraum  erhängt  haben.  Besteht  eine  feste  Wahr- 
scheinlichkeit p  für  einen  Selbstmord,  durch  Erhängen  zu  erfolgen,  so 


v 


m 


wäre  — —  =»'  als  der  genaueste  aus  den  Daten  zu  ermittelnde  Nähe- 
2w 


1)  Vgl.  Cournot,  Grandlehren  der  Wahrscheinlichkeitsrechnung  S.  152. 

2)  S.  44—46. 


Kritische   Betrachtungen  zur  theoretischen  Statistik.  671 

rungswert  für  p  zu   betrachten  l).     Nun   handelt   es   sich   darum ,   zu 

m 

untersuchen,   ob    die  Verhältniszahlen     -  der  einzelnen  Jahrgänge  nur 

n 

solche  Schwankungen  aufweisen,  die  durch  die  Wirkung  zufälliger  Ur- 
sachen zu  erklären  sind.  Man  berechnet  zu  dem  Zweck  die  Reihe 
der  Zahlen  m'  =  np',  welche  die  erwartungsmäßigen  Zahlen  der  Er- 
hängten  für   einzelne   Jahrgänge   sind,    bildet  ferner   die   Differenzen 

+  m'  +  m  =  a   und   schließlich    die   Quotienten   -»>      wobei     a    stets 

positiv  genommen  werden  muß  und  /"den  mittleren  Fehler  =  \np'{\ — p') 
bezeichnet.  Der  mittlere  Fehler  ist  wegen  der  wechselnden  Zahl  n  für 
jeden  Jahrgang  ein  anderer.  Die  Theorie  zeigt  dann,  welcher  Teil 
jener  Quotienten  innerhalb  bestimmter  Grenzen  enthalten  werden 
müßte,  falls  die  Abweichungen  a  zufälliger  Natur  wären 2).  Folgende 
Tabelle  giebt  die  Resultate  der  Berechnungen  wieder. 


Entsprechende 

Zahl  der 

a 

Jahrgänge 

f 

Theorie 

Erfahrung 

1 

2 

3 

unter    0,3 

6 

3 

,,       0,5 

10 

5 

„       0,7 

13 

9 

„        1,1 

18 

15 

„        1,5 

22 

19 

„        2,1 

25 

24 

An  der  Hand  dieser  von  mir  berechneten  Tabelle  sieht  man  so- 
fort, daß  die  Ergebnisse  der  Erfahrung  von  den  Erwartungen  der 
Theorie  nicht  unbedeutend  divergieren,  und  man  darf  daher  mit  großer 

tyyy 

Sicherheit    schließen,    daß    die   Schwankungen   der  Verhältniszahl 

n 

nicht   durch   Zufall   allein  zu  erklären   sind,    sondern    die    in    Frage 

stehende  Wahrscheinlichkeit  eine  in  der  Zeit  veränderliche  ist.    Ob  hier 

unregelmäßige  oder   vielleicht   übernormale   Dispersion   vorliegt,    kann 

man  dahingestellt  sein  lassen. 

Es    liegt    aber    nahe,    zu    einer    detaillierteren    Ausbeutung    des 

Materials  zu  schreiten,  und  zwar  die  Selbstmorde  nach  dem  Geschlecht 

gesonders  ins  Auge  zu   fassen.     Es  sei  gt  die  Wahrscheinlichkeit  für 


1)  Vgl.  ohen  S.   647,    das  nähere  über  das    im  Text  augewandte  Verfahren  folgt  im 
zweiten  Artikel. 

2)  In  Westergaard's   Grundzügen  der  Theorie  der  Statistik  findet  man  auf  S.  64  eine 
Reihe    von    Werten    angeführt ,    die    die    Funktion    Fu  (siehe    oben  S.  645    Anm.  3)    bei 

annimmt  (der  Bezeichnung  /    entspricht  bei  Westergaard  die  Bezeichnung  fji). 


/VT 


672 


L.  von  Bortkewitsch, 


einen  Selbstmord  von  einem  Mann  und  g2   von   einer  Frau  begangen 
zu  werden,  px  die  Wahrscheinlichkeit  für  einen  Selbstmord  bei  einem 
Mann  und  p2  bei  einer  Frau  durch  Erhängen  zu  erfolgen. 
Demnach  hat  man 

P  =  9iPi+9iP* 
und    es  gilt  nun   die  Stabilität  der  Größen  gx  und  g2  und   dann   der 
Größen  px  und  p2  gesondert  zu  prüfen1).     Beides   hat  Prof.  Wester- 
gaard   durchgeführt   und   die   Ergebnisse   seiner   Berechnungen    lassen 
sich  so  zusammenfassen. 


a 

7 

Entsprec 
Theorie 

lende  Zah 
E 

9<l 

der  Jah 
rfahrung 

Pt 

rgänge : 
bei 
P2 

i. 

2. 

3. 

4. 

5. 

unter  0,3 

6 

3 

4 

6 

„       0,5 

IO 

6 

8 

11 

„       0,7 

13 

10 

12 

12 

„        1,1 

18 

IS 

17 

18 

.»        1,5 

22 

21 

20 

23 

,,       2,1 

25 

24 

24 

24 

Stellt  man  die  Zahlen  der  3.  Kol.  den  Zahlen  der  2.  Kol.  gegen- 
über, so  wird  mau  einer  nicht  unbeträchtlichen  Divergenz  zwischen 
Theorie  und  Erfahrung  gewahr2).  Dagegen  zeigt  sich  eine  be- 
friedigende Uebereinstimmung  der  Zahlen  der  4.  Kol.  und  noch  mehr 
der  5.  Kol.  mit  den  Zahlen  der  2.  Kol. 

Die  vorhin  erhaltene  unregelmäßige  Dispersion  für  das  Verhält- 
nis der  Erhängten  zu  der  Gesamtzahl  der  Selbstmörder  läßt  sich  also 
mit  einiger  Sicherheit  aus  der  Hypothese  erklären,  daß  jener  Verhält- 
niszahl zwei  getrennte,  jedoch  konstante  Wahrscheinlichkeiten,  von 
denen  die  eine  für  das  männliche,  die  andere  für  das  weibliche  Ge- 
schlecht gilt,  zu  Grunde  liegen  3),  während  die  Verteilung  der  Selbst- 


1)  Die  aus  den  Daten  für  den  ganzen  26-jährigen  Zeitraum  ermittelten  Näherungs- 
werte der  betreffenden  Wahrscheinlichkeiten  sind :  p  =  0,769,  px  =  0,829,  p2  =  0,560, 
?l  =  0,777,  q2  =  0,223. 

2)  Prof.  Westergaard  scheint  aber  keine  zu  strengen  Ansprüche  an  die  Ergebnisse 
zu  stellen  ,  wenn  er  zu  den  Zahlenreihen  in  Kol.  2  und  3  sagt :  „Die  wirklichen  und 
berechneten  Zahlen  stimmen  recht  gut  überein."  (S.  44.)  Vgl.  auch  Lexis  im  Art. 
„Gesetz"  im  Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften,  III.    Bd.,  S.   848,  Kol.   2. 

3)  Eigentlich  wäre  ich  geneigt,  nur  beim  weiblichen  Geschlecht  (Kol.  5)  normale 
Dispersion  anzuerkennen,  während  die  auf  das  männliche  Geschlecht  bezüglichen  Zahlen 
(Kol.  4)  mich  nicht  in  vollem  Mafse  zu  befriedigen  vermögen.  Uebrigens  bleibt  die  Be- 
urteilung notwendigerweise  subjektiv,  wenn  die  Zahl  der  Versuchsreihen  ,  wie  hier,  ziem- 
lich klein  ist.  Es  kommt  auch  darauf  an,  wie  man  die  Spielräume  abgrenzt.  So  würde 
eine  leise  Modifikation  in  dieser  Beziehung  die  Zahlen  der  Tabelle  auf  S.  671  in  noch 
weniger  günstigem  Licht  für  die  Hypothese  einer  konstanten  Wahrscheinlichkeit  (p)  er- 
scheinen lassen.  Setzt  man  nämlich  in  Kol.  1  die  Grenze  1,0  statt  1,1  und  2,0  statt 
2,1,  so  erfahren  dadurch  die  Zahlen  in  Kol.  2  keine  Veränderung;  dagegen  würde  sich 
in  der  Kol.  3  die  Zahl  15  in  13  und  24  in  23  verwandeln.  —  Es  kann  daher  bei  der- 
artigen Untersuchungen  nicht  genug  empfohlen  werden,  in  der  von  Lexis  vorgeschlagenen 
Weise  die  Präcision  oder    den  mittleren  Fehler  einmal    nach    „kombinatorischer"  und  ein 


Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen  Statistik. 


673 


mörder  nach  Geschlechtern  von  Jahr  zu  Jahr  solche  Schwankungen 
aufweist,  die  mit  der  Annahme  einer  auch  dieser  Verhältniszahl  zu 
Grunde  liegenden  festen  Wahrscheinlichkeit  unvereinbar  erscheinen 
dürfte,  zumal  solch  eine  Annahme  die  Dispersionsverhaltnisse,  die 
sich  bei  Zusammenziehung  beider  Geschlechter  herausstellen,  nicht  zu 
erklären  vermöchte. 

An  dem  angeführten  Beispiele  zeigt   sich   deutlich,   daß   die  Zer- 
legung einer  statistischen  Masse  in  Teilmassen  bei   der  Untersuchung 


anderes  Mal  nach  ,, physikalischer"  Methode  zu  herechnen  und  die  beiden  so  erhaltenen 
Werte  mit  einander  zu  vergleichen.  Dann  kommt  man  auf  einen  einheitlichen  numerischen 
Ausdruck  für  das  Mafs  der  Abweichung  der  effektiven  Dispersion  von  der  normalen.  Die 
Lexis'sche  Methode  kann  jene  andere,  von  Westergaard  durchweg  benützte,  freilich  nicht 
ersetzen ,  weil  sie  zu  summarisch  ist  und  in  noch  geringerem  Mafse  dazu  geeignet  er- 
scheint, darüber  Aufschlufs  zu  geben  ,  ob  im  gegebenen  Fall  übernormale  oder  unregel- 
mäfsige  Dispersion  vorliegt ,  denn  das  Charakteristiken  ist  das  gleiche  für  beide  Fälle. 
Es  wäre  also  anzuraten,  in  Ergänzung  solcher  tabellarischer  Darstellungen,  wie  sie  sich 
bei  Westergaard  und  anderswo  finden  ,  das  Verhältnis  der  einen  Präcision  zur  anderen 
oder  des  einen  mittleren  Fehlers  (des  effektiven)  zu  dem  anderen  (dem  erwartungsmäfsigen) 
zu  ermitteln  (dieses  kombinierte  Verfahren  wendet  Lexis  in  §  43  der  Schrift  ,,Zur 
Theorie  .  .  ."  an).  Hat  man  aber  bei  Aufstellung  der  Tabelle  die  Veränderlichkeit  der 
Zahl  der  Versuche  (Fälle),  aus  denen  jede  einzelne  Zahl  der  Reihe  entstanden  ist,  be- 
rücksichtigt und  so  etwa  einem  jeden  Jahrgang  einen  besonderen  mittleren  Fehler  zu  Grunde 
gelegt,  so  kann  man  von  der  Berechnung  eines  gemeinschaftlichen  mittleren  Fehlers 
nach  ,, kombinatorischer"  Methode  absehen  und  wie  folgt  erfahren :  Man  bilde  die  Quadrate 
der    auf    den    jeweiligen    mittleren  Fehler    reduzierten  Abweichungen ,    d.h.    die   Gröfsen 


(7)' 


addiere  dieselben  und  dividiere  die  Summe  durch  die  Zahl  der  Versuchsreihen  (also 


z.  B.  in  unserem  Fall  durch  26).  Aus  dem  so  erhaltenen  Quotienten  ist  die  Quadratwurzel 
zu  ziehen.  Man  würde  im  Endresultat  1  oder  eine  von  1  wenig  abweichende  Gröfse 
erhalten,  wenn  die  Dispersion  eine  normale  wäre.  Bei  der  Wahrscheinlichkeit  p  (Tabelle 
auf  S.  671)  erhält  man  den  unechten  Bruch  1,25.  Der  effektive  mittlere  Fehler  über- 
trifft also  um  1/i  den  erwartungsmäfsigen,  oder  es  verhalten  sich  die  nach  kombina- 
torischer" und  die  nach  „physikalischer"  Methode  berechneten  Präcisionen  zu  einander, 
wie  5  zu  4.  Trotz  der  verhältnismäfsig  kleinen  Differenz  zwischen  den  Präcisionen  läfst 
sich  eine  übernormale  Dispersion  kaum  annehmen:  denn  reduziert  man  die  Abweichungen 


zu  4, 


erhält    man    für   die  3.  Kol.    der  Tab.  auf  S.   671  die 


—  im  Verhältnis  von  5 
/ 

Zahlenreihe:  3,  8,  10,  16,  23,  26,  aus  der  sich  nur  schliefsen  läfst,  dafs  sehr  grofse  Ab- 
weichungen —  d.  h.  solche,  die  das  1  Y2-fache  resp.  das  2-fache  des  mittleren  Fehlers 
übertreffen,  sehr  selten  vorkommen,  aber  bis  zur  1  x/2-fachen  Gröfse  des  mittleren  Fehlers 
scheint  zwischen  der  Grölse  der  Abweichung  und  der  Häufigkeit  ihres  Vorkommens  die 
erwünschte  Beziehung  nicht  obzuwalten.  Dies  erhellt  auch  aus  folgender  Zusammen- 
stellung. Die  erste  Zeile  der  nachstehenden  Tabelle  giebt  die  Grenzen  der  Abweichungen 
an,  wobei  die  letzten  auf  den  mittleren  Fehler  reduziert  sind.  Die  übrigen  Zeilen  ent- 
halten die  Zahlen  der  Jahrgänge ,  deren  Ergebnisse  in  die  angegebenen  Fehlergrenzen 
fallen,  und  zwar  entsprechen  die  Zahlen  der  2.  Zeile  den  Erwartungen  der  Theorie,  die 
der  3.  und  4.  den  Resultaten  der  Erfahrung,  wobei  den  Zahlen  der  3.  Zeile  der  nach 
„kombinatorischer"  Methode,  den  Zahlen  der  4.  Zeile  der  nach  „physikalischer"  Methode 
berechnete  mittlere  Fehler  zu  Grunde  gelegt  wurde. 

1.    I  O,0 — 0,4     0,4 — 0,8     0,8  —  1,2     1,2 — 1,6  I  1,6 — 2,0 


Dritte  Folge  Bd.  Vffl  (LXHI). 


43 


(374  k-   von  B  or  t  k  ewits  c  h  , 

der  Stabilität  statistischer  Verhältniszahlen  wesentliche  Dienste  zu 
leisten  imstande  ist1)2). 

Ich  glaube  jedoch,  daß  diese  Funktion  der  Spezialisierung  keine 
so  allgemeine  ist,  wie  es  z.  B.  Prof.  Westergaard  annimmt,  wovon  be- 
reits die  Rede  war. 

An  einer  anderen  Stelle  der  „Grundzüge"  finde  ich  aber  dieselbe 
Frage  von  einem  Standpunkt  aus  behandelt,  der  mir  einen  unlösbaren 
Widerspruch  zu  jener  oben  erörterten  Ansicht  des  Verfassers  zu  ent- 
halten scheint. 

Westergaard  will  ganz  allgemein  der  Teilung  des  Materials  die 
Eigentümlichkeit  vindizieren ,  „den  zufälligen  Ursachen  einen  etwas 
engeren  Spielraum  anzuweisen"3)  und  erläutert  diesen  Gedanken  an 
einer  Reihe  von  Beispielen,  von  denen  ich  eins  anführen  werde.  Es 
ist  dies  der  soeben  besprochene  Fall  der  Selbstmorde  durch  Erhängen 
in  etwas  modifizierter  Gestalt.  „Unter  500  Selbstmördern",  führt 
Westergaard  aus,  „sind  durchschnittlich  100  Frauen  und  400  Männer. 
Unter  den  männlichen  Selbstmördern  werden  sich  gewöhnlich  4/5  er- 
hängen, unter  den  weiblichen  3/5 ;  die  durchschnittliche  Zahl  der  Er- 
hängten ist  also  380.  W7ie  groß  ist  die  Wahrscheinlichkeit,  daß  die 
Zahl  zwischen  360  und  400  fallen  wird4)?"  Um  diese  Frage  zu  lösen, 
ist  die  Präcisiou  oder  der  mittlere  Fehler  f  zu  berechnen,  und  zwar 
das  Produkt  np,  wo 

V  =  9iPi+9tP* 

4  14  3 

und  g1  =   -,  g2  =  -,  px  =  -,  pt  =  -,  bei  einer  Zahl  von  Ver- 

O  O  O  ö 


6 
25 


suchen  n  =  500.  Man  hat  nun  f '  =  ynp  (i ^)  oder  f==  T/500-  --= 

=  1/91,2.  Westergaard  will  aber  anders  verfahren :  er  berechnet 
erst  den  mittleren  Fehler  fx  für  die  Zahl  der  sich  zu  erhängenden 
Männer  und  dann  f2  für  die  Zahl  solcher  Frauen,  und  zwar  nach  den 

1)  Darin  ist  allerdings  der  Hauptwert  der  Spezialisierung  nicht  gelegen:  letztere 
hat  vielmehr  eine  viel  allgemeinere  Bedeutung  und  ich  mufs  mich  an  dieser  Stelle 
Prof.  Westergaard  gegenüber  (s.  seine  gegen  mich  gerichtete  Bemerkung  in  diesen 
Jahrbüchern,  Dritte  Folge  VI  Bd.,  3.  Heft,  S.  328—329)  dagegen  verwahren,  die 
Wichtigkeit  jener  Operation  irgendwenn  in  Abrede  gestellt  zu  haben.  Freilich  bot  mir 
das  in  der  ,, Mittleren  Lebensdauer"  behandelte  Thema  wenig  Gelegenheit  dazu ,  die  Be- 
deutung der  Spezialisierung  zu  betonen.  Vergl  dagegen  ,,Ueber  das  Moment  des  Berufes 
in  der  preufsischen  Statistik  der  Bevölkerungsbewegung-'  im  Bericht  über  die  Thätigkeit 
des  statistischen  Seminars  an  der  k.  k.  Universität  Wien  im  Wintersemester  1892 — 93, 
S.    13  —  17. 

2)  Vergl.  Westergaard,  S.  46 :  „Wäre  das  Verhältnis  zwischen  weiblichen  und  männ- 
lichen Selbstmördern  nicht  jedes  Jahr  nahezu  dasselbe ,  so  würde  hier  ein  recht  deut- 
liches Beispiel  für  die  Nützlichkeit  einer  detaillierten  Bearbeitung  des  Materials  vor- 
liegen." Thatsächlich  liegt  aber  das  Beispiel  nicht  im  Conjunctivus  resp  Conditionalis, 
sondern  im  Indicativus  vor,  eben  aus  dem  Grunde  oder  doch  mit  aus  dem  Grunde,  weil 
die  Schwankungen  des  Verhältnisses  zwischen  weiblichen  und  männlichen  Selbstmördern 
gröfser  sind,  als  dem  Zufall  entsprechen  würde. 

3)  Grundzüge  S.   78. 

4)  Ebenda  S    80—81. 


Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen  Statistik.  675 


100-  ■!-.-?- 
5     o 


Formeln  f1  =  "|/400-  ^~    =   V64   und  A  =  1/ 

i/24.  Für  den  mittleren  Fehler  der  Zahl  der  Erhängten  beiderlei 
Geschlechts  giebt  er  schließlich  die  Größe  f  =  yß  _j_  ft  _  y  gg 
aus.  Ist  aber  diese  Berechnungsart,  die  allerdings  stets  einen  kleineren 
mittleren  Fehler  liefern  muß1),  der  gestellten  Frage  adäquat?  Sie 
wäre  es  nur  dann,  wenn  gt  und  g2  keine  Wahrscheinlichkeiten,  sondern 
konstante  Zahlen  darstellen  würden.  In  Wirklichkeit  weisen  die 
Zahlen  gx,g2  nicht  nur  keine  Konstanz  auf,  sondern  nicht  einmal  eine 
der  Annahme  fester  Wahrscheinlichkeiten  entsprechende  Stabilität. 
Bei  Formulierung  der  Aufgabe  bezeichnet  Westergaard  selbst  die  an- 
gegebene Verteilung  als  eine  „durchschnittliche".  Darum  kommt  der 
mittlere  Fehler  f  =  ygg  nicht  der  wirklichen  Zahl  der  Erhängten 
unter  500  Selbstmördern,  sondern  einer  Zahl  zu,  die  für  jedes  Jahr 
aus  den  für  dasselbe  sich  ergebenden  Werten  von  pt  und  p2  und  den 
Konstanten  gx  und  g2  künstlich  gebildet  würde 2). 

Bezieht  sich  also  eine  statistische  Verhältniszahl  auf  eine  Total- 
masse und  läßt  sich  diese  in  Teilmassen,  denen  verschiedene  Werte 
jener  Verhältniszahl  entsprechen ,  zerlegen ,  so  erblickt  Westergaard 
darin  einen  Grund,  für  die  der  Totalmasse  entsprechende  Verhältnis- 
zahl eine  größere  Stabilität,  d.  h.  eine  geringere  Abhängigkeit  von  der 
Wirkung  zufälliger  Ursachen,  anzunehmen,  als  in  dem  Fall,  wo  sich 
jene  Verhältniszahl  gegenüber  der  vorgenommenen  Zerlegung  indifferent 
verhielte. 

Diese  Anschauung,  die  bei  ihm  in  nicht  ganz  unzweideutiger 
Weise  ausgesprochen  ist  und  sogar  mit  einer  gerade  entgegengesetzten 
gleichsam  konkurriert,  tritt  uns  bei  einigen  anderen  Autoren  in  klarer 
Formulierung  entgegen. 

Bertrand3)  äußert  sich  z.  B.  dahin,  daß  die  Präcisionberech- 
nungen  in  der  Statistik  unrichtig  seien,  weil  die  statistischen  Massen- 
erscheinungen  einem  Spiele  mit  vielen  Urnen,  von   denen   einer  jeden 

1)  Auf  Grund  des  auf  S.  653   formulierten  Satzes. 

2)  Vielleicht  bat  Westergaard  in  den  citierten  und  ähnlichen  Beispielen  nicht  effektive 
Zahlen  der  Ereignisse ,  sondern  in  der  That  künstlich  hergestellte  Zahlen  im  Auge  ge- 
habt. Ich  vermisse  aber  in  den  „Grundzügen"  die  ausdrückliche  Aussprechung  des  Satzes, 
dafs  bei  Berechnung  des  mittleren  Fehlers  vom  Durchschnittscharakter  der  in  Frage 
stehenden  Wahrscheinlichkeit  abgesehen  werden  kann,  worin ,  wie  oben  gezeigt  worden 
ist,  die  von  Poisson  dem  Bernouilli'schen  Theorem  verliehene  Erweiterung  besteht.  Im 
historischen  Teil  der  „Grundzüge'1  bemerkt  Westergaard  (S.  256),  dafs  „das  Bernouilli'sche 
Theorem  von  Poisson  auf  den  Fall  erweitert  wurde,  wo  zwei  oder  mehrere  Wahrschein- 
lichkeiten obwalten",  und  verweist  auf  S.  77  ff.  An  letzterer  Stelle  finde  ich  aber  nur 
eine  Erörterung  von  Beispielen,  die  einem  allerdings  auch  von  Poisson  bewiesenen  Satz 
(formuliert  in  No.  112,  7°,  bewiesen  in  No.  94 — 95  der  „Recherches")  entsprechen,  der 
aber  nicht  das  erweiterte  Theorem  Bernouilli's  ist.  Eine  strengere  Auseinanderhaltung 
jener  zwei  Sätze,  von  denen  der  letzte  auf  eine  Durchschnittswahrscheinlichkeit  i.  eig.  S., 
der  erste  aber  auf  eine  konstant  zusammengesetzte  Durchschnittswahrscheinlichkeit  sich 
bezieht,  dürfte  in  einem  Lehrbuch,  das  für  mathematisch  weniger  geschulte  Leser  be- 
stimmt zu  sein  scheint,   wohl  am  Platze  gewesen  sein. 

3)  Calcul  des  probabilites,  Chap.  XII  :  les  lois  de  la  statistique. 

43* 


676  *-"•   von  B  o  r  t  k'e  w  i  t  s  cb  , 

eine  verschiedene  Chance  des  Erscheinens  einer  weißen  Kugel  ent- 
spricht, gleichkämen,  denkt  sich  aber  das  Spiel  so  eingerichtet,  daß 
die  Zahlen  der  aus  den  einzelnen  Urnen  vorzunehmenden  Ziehungen 
im  voraus  festgesetzt  werden.  Warum  aber  eben  dieses  Schema  für 
die  Betrachtung  statistischer  Vorgänge  maßgebend  sein  soll,  bleibt 
unbewiesen. 

Eine  tiefere  Begründung  hat  v.  Kries  dem  nämlichen  Standpunkt 
zu  geben  versucht1). 

Die  Präcisionsbestirnmungen  haben,  nach  seiner  Auffassung,  den 
Zweck,  einen  Maßstab  für  die  Sicherheit  derjenigen  Schlußfolgerungen 
abzugeben,  die  aus  den  Veränderungen  in  den  Werten  einer  Verhält- 
niszahl auf  das  Verhalten  der  für  die  untersuchte  Massenerscheinung 
in  Betracht  kommenden  „allgemeinen  Bedingungen"  gemacht  werden. 
Dabei  lasse  man  sich  aber  stets  von  der  Vorstellung  leiten,  daß  jene 
„allgemeinen  Bedingungen",  wenn  sie  konstant  blieben,  normale  Dis- 
persion zur  Folge  haben  würden.  Dies  sei  nun,  so  meint  v.  Kries, 
eine  ganz  willkürliche  und  in  vielen  Fällen  durchaus  unzutreffende 
Annahme,  wie  man's  aus  folgendem  Beispiel  ersehen  könne. 

Handelt  es  sich  um  die  allgemeine  Kriminalität  einer  Bevölkerung 
und  wird  dieselbe  an  dem  Verhältnis  (p)  der  Zahl  der  jährlich  be- 
gangenen Verbrechen  und  Vergehen  zu  der  Gesamtzahl  der  straf- 
mündigen  Bevölkerung  (ri)  gemessen,  so  glaubt  v.  Kries,  daß,  falls  sich 
die  „allgemeinen  Bedingungen",  welche  lür  die  Kriminalität  von  Belang 
sind,  in  der  Zeit  nicht  ändern  würden,  man  bei  den  Werten  von  p 
von  Jahr  zu  Jahr  kleinere  Schwankungen  erwarten  sollte,  als  bei  einer 
Anzahl  von  Versuchsreihen  im  Fall  einer  mit  schwarzen  und  weißen 
Kugeln  im  Verhältnis  von  1—p  zu  p  gefüllteu  Urne,  aus  der  jedesmal 
n  Ziehungen  vorgenommen  weiden.  Solch  eine  Erwartung  motiviert 
er  damit,  daß  die  Kriminalität  in  verschiedenen  Kategorien  der  Be- 
völkerung nicht  dieselbe  Höhe  hat,  sondern  nach  Geschlecht,  Alter, 
Beruf  u.  s.  f.  verschieden  ist.  Die  numerischen  Anteile  aber,  die  jene 
Geschlechts-,  Alters-,  Berufs-  u.  s.  f.  Gruppen  an  der  Gesamtbevölkerung 
haben,  fallen,  nach  v.  Kries,  unter  den  Begriff  der  „hier  in  Rede 
stehenden  allgemeinen  Bedingungen",  mithin  sei  es  als  eine  Verände- 
rung der  allgemeinen  Bedingungen  anzusehen,  wenn  eine  Bevölkerungs- 
gruppe, die  in  einem  bestimmten  Jahre  10  Proz.  der  Bevölkerung  aus- 
macht, im  darauf  folgenden  etwa  auf  9,99  Proz.  sinkt  oder  auf 
10,01  Proz.  steigt.  Auch  für  den  Fall  der  Sterblichkeit  entwickelt 
v.  Kries  analoge  Vorstellungen. 

So  möchte  also  v.  Kries,  genau  wie  Bertrand,  die  statistischen 
Verhältniszablen  nach  dem  Schema  konstant  zusammengesetzter  Durch- 
schnittswahrscheinlichkeiten behandelt  wissen,  und  darum  ist  ihm  die 
erwartungsmäßige,  d.  h.  die  dem  Konstantbleiben  der  allgemeinen  Be- 
dingungen entsprechende  Dispersion  eine  unternormale. 

Da  nun  einerseits,  wie  v.  Kries  mit  Recht  anzunehmen  scheint, 
der  Durchschnittscharakter  allen  statistischen  Relativzahlen  innewohnt, 


1)  Prinzipien,  Kap.  VI,  §  8  und  Kap.  IX,  §§   6—9. 


Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen   Statistik.  677 

und  andererseits  über  die  Art  der  Zusammensetzung  einer  statistischen 
Durchschnittswahrscheinlichkeit  ans  den  sie  bildenden  Elementarwahr- 
scheinlichkeiten eine  genaue  Kenntnis  niemals  vorliegt,  so  ist  eine  der 
v.  Kries'schen  Autfassung  adäquate  Präcisionsbestimmungschlechtweg  aus- 
geschlossen. Mit  aus  dieser  Ueberlegung  ergiebt  sich  dann  als  folgerichtige 
Konsequenz  eine  ,,allgemeine  Verwerfung"  derjenigen  Anwendungen 
der  Wahrscheinlichkeitsrechnung  auf  den  statistischen  Stoff,  die  den 
Zweck  haben,  Spielräume  für  die  Wirkung  „zufälliger  Ursachen"  an- 
zugeben. 

Das  eine,  was  den  angeführten  Betrachtungen  gegenüber  geltend 
gemacht  werden  könnte,  wäre  dies:  Setzt  man  voraus,  daß  es  gelungen 
sein  sollte,  eine  Durchschnittswahrscheinlichkeit  p  unter  die  Form 

P  =  7\n\  +  y%n%  +  r.s^s 
zu  bringen,  wo  txx,  nt,  tt3  .  .  .  .  Elementarwahrscheinlichkeiten  dar- 
stellen, so  erscheint  die  Annahme,  daß  für  die  Größen  yn  /2,  ys  .  .  .  . 
sich  bei  einer  Anzahl  von  Versuchsreihen,  also  z.  B.  bei  einer  Reihe  von 
Jahrgängen,  identische  Zahlenwerte  herausstellen  würden  —  worin, 
nach  v.  Kries,  die  Konstanz  der  allgemeinen  Bedingungen  ihren  Aus- 
druck finden  soll  —  in  gleichem  Maße  unwahrscheinlich  und  der  bis- 
herigen Erfahrung  widersprechend,  wie  etwa  die  Annahme,  daß  die 
empirischen  Werte  von  7tlt  tt2,  tcz  .  .  .  .  von  Versuchsreihe  zu  Ver- 
suchsreihe konstant  blieben.  Denn  bei  Auflösung  von  Durchschnitts- 
wahrscheinlichkeiten höherer  Ordnungen  in  solche  niederer  Ordnungen 
hat  sich  bis  jetzt  etwas  Aehnliches  bezüglich  der  Grössen  gu  #2,  g.A  .  .  .  . 
nie  gezeigt.  Mithin  wäre  die  Frage  nach  der  Konstanz  der  allge- 
meinen Bedingungen  im  voraus  für  alle  Fälle  im  negativen  Sinne  ent- 
schieden und  eine  vom  v.  Kries'schen  Gesichtspunkte  aus  geführte  Unter- 
suchung der  Schwankungen,  denen  statistische  Verhältniszahlen  in  der 
Zeit  unterworfen  sind,  würde  sich  nicht  nur  als  unmöglich,  wie  v.  Kries 
behauptet,  sondern  auch  als  gegenstandlos  erweisen. 

Das  andere  jener  Auffassung  Entgegenzuhaltende  wäre,  daß  sie 
auf  eine  große  Gruppe  statistischer  Verhältniszahlen  gar  keine  An- 
wendung zuläßt.  Ich  meine  solche  Zahlen,  die  nicht  mehr  die  Inten- 
sität gewisser  Erscheinungen,  sondern  die  Häufigkeit  des  Vorkommens 
bestimmter,  an  den  Einzelfällen  einer  statistischen  Masse  wahrnehm- 
barer Merkmale  zum  Ausdruck  bringen,  z.  B.  das  Verhältnis  der  Zahlen 
der  Totgeborenen  zu  der  Gesamtzahl  der  Geborenen,  das  Verhältnis 
der  Zahl  der  an  bestimmten  Todesursachen  Gestorbeneu  zu  der  Ge- 
samtzahl der  Gestorbenen,  das  Verhältnis  der  Zahl  von  Verbrechen 
besonderer  Art  zu  der  Gesamtzahl  der  Verbrechen  u.  s.  f.  Die 
mangelnde  Chancengleichheit  der  Einzelfälle  wird  in  den  angeführten 
und  ähnlichen  Fällen  darin  zum  Ausdruck  kommen,  daß  sich  verschie- 
dene Arten  der  Zerlegung  ein  und  derselben  Masse  gegenseitig  nicht 
indifferent  verhalten  werden,  so  z.  B.  bei  den  Geborenen  die  Vertei- 
lung einmal  in  Lebend-  und  Totgeborene  und  ein  anderes  Mal  in  Ehe- 
liche und  Uneheliche,  falls  sich  z.  B.  herausstellen  sollte,  daß  in  der 
Masse  der  Unehelichen  die  Totgeborenen  verhältnismässig  stärker  ver- 
treten  sind,    als   in   der   Masse   der  Ehelichen.      Es   steht   nichts   im 


ß78  L    von  B  ort  k  e  witsch, 

Wege,  den  größeren  oder  kleineren  Anteil  der  Unehelichen  als  eine 
der  „allgemeinen  Bedingungen1',  die  für  die  Verteilung  der  Geborenen 
in  Lebend-  und  Totgeborene  in  Frage  kommen,  zu  betrachten,  oder, 
ganz  allgemein  gesagt,  die  eine  der  beiden  von  verschiedenen  Gesichts- 
punkten aus  erhaltenen  Verteilungen  einer  statistischen  Masse  als  be- 
dingend für  die  andere  hinzustellen.  Sucht  man  aber  nach  einem 
zahlenmäßigen  Ausdruck  der  als  „allgemeine  Bedingung"  gedachten 
Verteilung,  so  darf  man  jenen  Ausdruck  nicht,  nach  v.  Kries'scher  Art, 
in  den  sich  aus  der  Beobachtung  unmittelbar  ergebenden  Zahlen  er- 
blicken, zugleich  aber  die  analogen  Zahlen  der  anderen  Verteilung  — 
der  bedingten  —  als  mit  zufälligen  Fehlern  behaftete  ansehen. 
Dies  würde  schon  wegen  des  sehr  wohl  möglichen  Ineinandergreifens 
der  zwei  Ursachenkomplexe,  durch  die  die  zwei  Verteilungen  herbei- 
geführt werden  —  Beispiele  solchen  Verhaltens  der  Ursachenkomplexe 
ließen  sich  leicht  anführen  —  im  höchsten  Grade  inkonsequent  erscheinen. 

Tritt  bei  Betrachtung  der  soebeu  ins  Auge  gefaßten  Art  statistischer 
Verhältniszahlen  das  Unnatürliche  der  v.  Kries'schen  Auffassung  deut- 
licher, als  in  dem  Beispiele  der  Kriminalitäts-,  der  Sterbeziffer  oder 
irgend  welches  Intensitäts-  Koeffizienten  hervor,  so  liegt  es  eben  an 
dem,  wie  ich  glaube,  nebensächlichen  Unterschied,  daß  dort  die  zwei 
in  Betracht  kommenden  Verteilungen  sich  aus  zwei  parallel  laufenden, 
vielleicht  sogar  durchkreuzenden  Erscheinungsreihen  ergeben,  ja  in 
denselben  Einzelfällen  sich  gleichsam  verkörpern,  während  hier  die 
Masse  der  lebenden  Personen  in  bestimmter  Gliederung  als  etwas  Ge- 
gebenes vorliegt,  bevor  die  Reihe  der  verbrecherischen  Handlungen,  der 
Todesfälle  oder  irgend  welcher  Ereignisse  eröffnet  wird. 

Eine  Analogie  zu  diesem  Modus  des  statistischen  Geschehens  bietet 
das  oben  erwähnte  Beispiel  Poisson's  mit  den  Urnen  (S.  656 ff.),  wo  erst 

das  Urnensystem  Bt,  2?2,  B.ä aus  dem  Urneusystem  C^,  C2,  C3  . . . . 

abgeleitet  und  dann  eine  Reihe  von  Ziehungen  vorgenommen  wird. 
Die  bei  den  einzelnen  Versuchsreihen  benutzten  Urnensysteme  Bx,  B2, 
B3  .  .  .  .;  B\,  B\2,  B'3  .  .  .  .;  B'\,  B"2,  B"ä  ....  entsprechen 
den  für  einzelne  Jahrgänge  oder  sonstige  Abschnitte  einer  Zeitperiode 
in  Betracht  kommenden  Massen  lebender  Personen.  Mit  solch  einem 
Vergleich  berühre  ich  aber  einen  Punkt,  der  für  die  ganze  Frage  von 
Wichtigkeit  sein  dürfte.  Sind  nämlich  im  Poisson'schen  Beispiel  die 
einzelnen  jB-Systeme  in  Bezug  auf  ihre  Ableitung  aus  dem  C-System 
ganz  und  gar  voneinander  unabhängig,  so  läßt  sich  das  Gleiche  von 
den  Massen  lebender  Personen,  die  etwa  zwei  aufeinanderfolgenden 
Jahrgängen  entsprechen,  nicht  behaupten,  denn  die  beiden  Massen 
bestehen  zum  großen  Teil  aus  denselben  Individuen1).  Darum 
würde  der  in  Frage  stehende  statistische  Vorgang  eher  einer  Ein- 
richtung des  Spieles  gleicheu,  bei  der  das  System  B\,  B'2,  B'3  .... 
nicht  unmittelbar  aus  dem  System  Cx,  Cx,  C3  .  .  .  .,  sondern  aus 
dem  vorhandenen  System  2?,,  B2,  B&  .  .  .  .  abgeleitet  würde,  und 
zwar  in   der  Weise,    daß  etwa  durch  Auslosung   eine    verhältnismäßig 


1)  Lexis,  Zur  Theorie  .  .  . ,  §  22. 


Kritische  Betrachtungen   zur  theoretischen   Statistik.  G79 

kleine  Anzahl  von  Urnen  aus  dem  zuletzt  erwähnten  System  entfernt 
und  durch  eine  gleiche  Zahl  neuer,  ebenfalls  durch  Auslosung  aus 
dem  Urnensysteni  Cn  C2,  C3  .  .  .  .  hergenommener  ersetzt  würde. 
In  ähnlicher  Weise  wäre  aus  dem  so  erhaltenen  Urnensysteni  B\,  B'2, 
B's  ....  das  der  folgenden  Versuchsreihe  entsprechende  System 
B"  x,  B"2,  B"s  ....  abzuleiten  u.  s.  f.  Es  ist  klar,  daß  ein  in  ge- 
schildeter  Art  eingerichtetes  Spiel  eine  unternormale  Dispersion  würde 
erwarten  lassen.  Damit  letztere  in  dem  uns  beschäftigenden  stati- 
stischen Fall  auch  als  erwartungsmäßige  gelten  könnte,  müßten  aller- 
dings bezüglich  der  Zu-  und  Abgänge,  die  eine  Masse  lebender  Menschen 
in  der  Zeit  erfährt,  gewisse  Bedingungen  erfüllt  werden,  auf  deren 
nähere  Präcisierung  ich  hier  nicht  eingehen  werde.  Diese  Bedingungen 
könnten  aber  mit  vollem  Recht  zu  den  allgemeinen  Bedingungen  der 
Erfahrung  gerechnet  werden.  In  einer  einzigen  Beziehung  würde  sich 
das  erwähnte  Schema  als  nicht  ganz  zutreffend  erweisen:  es  bleibt 
nämlich  dabei  unberücksichtigt,  daß  ein  und  dasselbe  Individuum  in 
verschiedenen  Jahrgängen  nicht  derselben  Gruppe  anzugeböreu  braucht, 
oder  daß,  m.  a.  W.,  die  für  ein  bestimmtes  Individuum  geltende  Chance 
eine  wechselnde  sein  kann.  Am  deutlichsten  macht  sich  dieser  Um- 
stand in  dem  Falle  der  Gruppierung  nach  Altersklassen  geltend. 

Trotzdem  muß  anerkannt  werden,  daß  die  partielle  Identität  der 
den  einzelnen  Jahrgängen  entsprechenden  statistischen  Massen  in  bezug 
auf  ihren  Bestand  einen  störenden  Faktor  bei  Untersuchung  der  Dis- 
persiousverhältnisse  statistischer  Reihen  bildet  und  zwar  die  Erwar- 
tungen bezüglich  der  Dispersion  nach  der  Richtung  der  unternormalen 
Dispersion  hin  zu  modifizieren  imstande  ist. 

Es  ist  andererseits  klar,  daß  jene  mangelnde  Unabhängigkeit  der 
Einzelwerte  eiuer  statistischen  Reihe,  oder  in  der  Sprache  der  Wahr- 
scheinlichkeitsrechnung ausgedrückt,  die  mangelnde  Unabhängig- 
keit der  Versuchsreihen  dort  nichts  zu  bedeuten  hat,  wo  die 
in  Frage  stehende  Wahrscheinlichkeit  p  eine  Elementarwahrscheinlich- 
keit ist.  Denn  wäre  z.  B.  die  Chance,  ein  Verbrechen  zu  begehen, 
für  jeden  Menschen  die  gleiche,  so  würde  es  vollkommen  irrelevant 
sein,  aus  welchen  Individuen  die  betreffenden,  den  einzelnen  aufeinander- 
folgenden Jahrgängen  entsprechenden  Massen  bestehen. 

So  gelange  ich  auf  Umwegen  zu  einer  teilweisen  Uebereinstimmung 
mit  v.  Kries,  der  bei  mangelnder  Chancengleichheit  der  Einzelfälle 
eine  unternormale  Dispersion  resp.  eine  höhere  Präcision  als  erwartungs- 
mäßige hinstellt.    Ich  behaupte  aber, 

daß  1)  die  Wirkung,  welche  die  mangelnde  Chancengleichheit  der 
Einzelfälle  auf  die  Gestaltung  der  erwartungsmäßigen  Dispersionsver- 
verhältnisse ausübt,  keine  direkte  ist,  sondern  nur  unter  der  Voraus- 
setzung der  mangelnden  Unabhängigkeit  der  Versuchsreihen  zur  Gel- 
tung kommt1); 


1)  Aehulich  begründet  die  mangelnde  Chancengleichheit  der  Einzelfälle  oder  die 
Thatsache,  dafs  die  in  Frage  stehende  Wahrscheinlichkeit  eine  Durchschnittswahrschein- 
lichkeit sei,  die  bekannte  Schwierigkeit  bei  Berechnung  von  Wahrscheinlichkeiten  zu- 
sammengesetzter Ereignisse  bestimmter  Art.     Richtig   erkannt  von  Poisson,   Uecherches 


(380  k.   von  Bortkewitsch,  Kritische  Betrachtungen  zur  theoretischen  Statistik. 

daß  2)  aus  dem  sub  1)  angegebenen  Grunde  die  genannte  Wirkung 
bei  einer  umfangreichen  Klasse  statistischer  Verhältniszahlen  ausbleibt; 

daß  3)  aus  dem  nämlichen  Grunde  keine  Störung  durch  mangelnde 
Chancengleichheit  der  Einzelfälle  herbeigeführt  wird,  wo  die  Präcisions- 
bestimmung  als  Orientierungsmittel  bei  Vergleichungen  von  Land  zu 
Land  oder  von  einer  Gruppe  der  Bevölkerung  zu  einer  anderen  gleich- 
zeitigen Gruppe  dienen  soll,  und 

daß  4)  die  Art,  in  der  v.  Kries  die  von  mir  in  beschränktem 
Maße  anerkannte  Beziehung  zwischen  mangelnder  Chancengteichheit 
der  Einzelfälle  und  unternormaler  Dispersion  zu  begründen  versucht 
hat,  eine,  nach  meiner  Meinung,  verfehlte  sei,  weil  nichts  die  Auffassung 
zu  rechtfertigen  vermag,  wonach  die  in  Betracht  kommenden  Ver- 
teilungskoeffizienten  (gx,  g2,  gs  resp.  /,,  y2,  y3 )  anders,  denn 

als  empirische  Werte  von  Wahrscheinlichkeitsgrößen  zu  betrachten  wären. 

v.  Kries  hat  selbst  die  Denkbarkeit  jener  der  seinigen  entgegen- 
gesetzten Auffassung,  wie  es  scheint,  zugegeben.  Er  verwirft  aber  die 
letzte  aus  dem  Grunde,  weil  es  „kaum  möglich"  sei,  diejenigen  „ent- 
fernteren" allgemeinen  Bedingungen  „bestimmt  zu  bezeichnen",  deren 
Konstanz  in  den  eben  genannten  Verteilungskoeffizienten  „noch  zu- 
fällige Schwankungen  zuließe"  3). 

Demgegenüber  wäre  erstens  darauf  hinzuweisen,  daß  in  sehr  vielen 
Fällen  die  den  Verteilungskoeffizienten  entsprechenden  abstrakten  Wahr- 
scheinlichkeiten —  und  solche  möchte  v.  Kries  nicht  gelten  lassen  — 
als  analytische  Funktionen  anderer  Wahrscheinlichkeitsgrößen  darge- 
stellt werden  können,  die  v.  Kries  selbst  keinen  Anstand  nimmt,  in 
dieser  Eigenschaft  anzuerkennen. 

Zweiteus  aber  erscheint  eine  „bestimmte  Bezeichnung"  der  allge- 
meinen Bedingungen,  die  einer  Wahrscheinlichkeit  zu  Grunde  liegen, 
in  der  Statistik  überhaupt  ausgeschlossen.  Man  hat  hier  stets  mit 
hypothetischen  und  meistens  vagen  Vorstellungen  zu  rechnen  und  es 
giebt  in  dieser  Beziehung  zwischen  den  einzelnen  Fällen  wohl  nur 
graduelle  Verschiedenheiten,  womit  ich  keineswegs  leugnen  möchte, 
daß  die  Verteilungskoeffizienten  resp.  die  ihnen  entsprechenden  ab- 
strakten Wahrscheinlichkeiten  im  allgemeinen  etwas  ungünstiger  als 
anders  geartete  Relativzahlen  gestellt  seien. 

Uebrigens  giebt  man  sich  einer  Täuschung  hin,  wenn  man  glaubt, 
aus  dem  Verhalten  statistischer  Zahlen  unmittelbar  auf  das  Verhalten 
der  in  Betracht  kommenden  allgemeinen  Bedingungen  schließen  zu 
dürfen.  In  Wirklichkeit  beziehen  sich  die  Folgerungen  stets  auf  die 
in  Frage  stehende  abstrakte  Wahrscheinlichkeit.  Es  leuchtet  aber  ein, 
daß  das  Verhalten  der  letzteren  mit  dem  Verhalten  der  ihr  zu  Grunde 
liegenden  allgemeinen  Bedingungen  durchaus  nicht  immerzu  koincidieren 
braucht:  diese  können  wesentliche  Aenderungen  erfahren  haben,  ohne 
daß  der  numerische  Wert  jener  dadurch  irgendwie  tangiert  wäre. 

S.   149 — 150,  wenn    auch    im    speziellen  Teile  der  „Recherches"    nicht  genügend  berück- 
sichtigt.     S.    La  place,    Theorie  analytique  des  probabilites,    Livre  II,    Chap.   VII    und 
S.   186—187.      Vergl.  v.  Kries,  Kap    IV,  §  3  und  Kap.  IX,   §  8,  S.   242—244. 
1)  Prinzipien  S.  238,  vgl.  dagegen   S.   2S4  (unten)  —  235  (oben). 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  ßft  ] 


Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


IX. 


Die  zweite  Lesung  des  Entwurfes    eines  Bürgerlichen  Ge- 
setzbuches für  das  Deutsche  Reich. 

(Fortsetzung)1). 

Von  Amtsrichter  Greiff. 

XXXII. 

Im  vierten  Titel  des  zweiten  Abschnitts,  welcher  das  Rechtsver- 
hältnis der  Kinder  aus  ungiltigen  Ehen  regelt,  stellt  der  Ent- 
wurf den  Grundsatz  an  die  Spitze,  dafs  Kinder  aus  einer  nichtigen 
Ehe,  welche  bei  Giltigkeit  der  Ehe  eheliche  Kinder  sein  würden ,  als 
eheliche  Kinder  anzusehen  sind  (§  1562).  Dieser  Grundsatz  wird  in  den 
§§    1563  — 1566    bezüglich     der    Rechtsstellung    der    Eltern    eingeschränkt, 

Vorläufige  Zusammenstellung  der  Kommissionsbeschlüsse.     (Fortsetzung.) 

Fünfter  Titel. 
Rechtliche  Stellung  der  Kinder  aus  ungiltigen   Ehen. 

§  1562.  Kinder  aus  einer  nichtigen  Ehe,  die  im  Falle  der  Giltigkeit  der  Ehe  eheliche 
Kinder  sein  würden,  gelten  als  ehelich,  sofern  nicht  beide  Ehegatten  die  Nichtigkeit  der 
Ehe  bei   der  Eheschliefsung  gekannt  haben. 

Diese  Vorschrift  findet  keine  Anwendung,  wenn  die  Ehe  wegen  eines  Formmangels 
nichtig  und  nicht  in  das  Heiratsregister  eingetragen   worden  ist. 

§  1563.  Das  Verhältnis  der  Eltern  zu  Kindern,  die  nach  §  1562  als  ehelich  gelten, 
bestimmt  sich,  soweit  nicht  die  §§  1564,  1565  ein  Anderes  ergeben,  nach  den  Vor- 
schriften, welche  für  Kinder  aus  einer  geschiedenen  Ehe  gelten,  wenn  beide  Ehegatten 
für  schuldig  erklärt  sind. 

§  1564.  War  dem  Vater  die  Nichtigkeit  der  Ehe  bei  der  Eheschliefsung  bekannt, 
so  hat  er  nicht  die  sich  aus  der  Vaterschaft  ergebenden  Rechte.  Die  elterliche  Gewalt 
über  die  Kinder  steht  der  Mutter  zu. 

§  1565.  War  der  Mutter  die  Nichtigkeit  der  Ehe  bei  der  Eheschliefsung  bekannt, 
so  hat  sie  in  Ansehung  der  Kinder  nur  diejenigen  Rechte ,  welche  im  Falle  der  Ehe- 
scheidung der  allein   für  schuldig  erklärten  Frau  zustehen. 

Nach  dem  Tode  des  Vaters  hat  die  Mutter  nur  das  Recht  und  die  Pflicht,  für  die 
Person  der  Kinder  zu  sorgen ;  sie  ist  jedoch  nicht  berechtigt,  die  Kinder  zu  vertreten ; 
der  Vormund  der  Kinder  hat  ihr  gegenüber  die  Stellung  eines  Beistandes  nach  Mafs- 
gabe  des  §  1561  h.  Das  Gleiche  gilt,  wenn  die  elterliche  Gewalt  des  Vaters  ruht  oder 
verwirkt  ist. 

§  1566.     Gelten  die  Kinder  nicht  als  ehelich,  weil  beiden  Ehegatten   die  Nichtigkeit 

1)  Vergl.  S.  550. 


I 


682  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Je  nachdem  beide  Ehegatten  oder  einer  derselben  sich  über  die  Giltigkeit 
der  Ehe  in  gutem  Glauben  oder  beide  sich  in  bösem  Glauben  befunden 
haben.  Eine  Ausnahme  von  dem  Grundsatz  macht  der  Entwurf  für  form- 
ungiltige  Ehen.  Die  Kommission  dehnte,  entsprechend  dem  zu  §  1252 
gefafsten  Beschlüsse  (vergl.  S.  234),  den  Grundsatz  auch  auf  solche  form- 
ungiltigen  Ehen  aus,  die  in  das  Heiratsregister  eingetragen  sind.  Anderer- 
seits erfuhr  der  Grundsatz  eine  dem  Entwurf  fremde  Einschränkung. 
Nach  dem  Entwurf  gilt  derselbe  auch  in  dem  Falle,  wenn  beide  Ehegatten 
sich  bezüglich  der  Giltigkeit  der  Ehe  in  bösem  Glauben  befunden  haben; 
er  wird  nur  durch  den  §  1566  modifiziert.  Die  Kommission  hielt  da- 
gegen durch  die  Rücksicht  auf  die  Würde  der  Ehe  für  geboten,  in  dem 
bezeichneten  Falle  die  Kinder  grundsätzlich  als  uneheliche  zu  behandeln. 
Nur  in  betreff  ihres  Unterhaltsanspruchs  gegen  den  Vater  erschien  es  an- 
gemessen, sie  ehelichen  Kindern  gleichzustellen,  weil  sie  nach  §  1252  bis 
zu  der  oft  erst  nach  langer  Zeit  eintretenden  Ungiltigkeitserklärung  als 
eheliche  Kinder  gelten  und  es  in  ihrem  Interesse  erforderlich  erschien, 
ihnen  einen  Rechtsanspruch  auf  Fortsetzung  der  bisherigen  Erziehung  zu 
gewähren.  Ihr  so  bemessener  Unterhaltsanspruch  soll  aber  wie  der  ehe- 
licher Kinder  mit  dem  Tode  des  Vaters  aufhören ;  auch  soll  das  dem 
Vater  in  §  1491  Abs.  1  gewährte  Recht,  die  Art  der  Unterhaltsge- 
währung und  die  Zeit  der  Vorausleistung  zu  bestimmen,  in  dem  hier  frag- 
lichen Falle  zum  Schutze  des  Kindes  gegen  Willkür  dem  Vater  versagt 
sein.  Während  der  §  1566  durch  diese  neuen  Vorschriften  ersetzt 
wurde,  änderte  man  die  §§  1563 — 1565  entsprechend  dem  Beschlüsse  zu 
§  1258  dahin,  dafs  nur  wirkliche  Kenntnis  der  Nichtigkeit  der  Ehe,  nicht 
aber  auf  grober  Fahrlässigkeit  beruhende  Unkenntnis  die  in  jenen  Vor- 
schriften bestimmten  Nachteile  für  die  Rechtsstellung  der  Eltern  zur  Folge 
haben  soll.  Mit  der  entsprechenden  Aenderung  wurde  der  §  1567  ge- 
billigt. 

In  dem  das  Rechtsverhältnis  der  unehelichen  Kinder 
regelnden  fünften  Titel  blieben  die  allgemeinen  Vorschriften 
der  §§   1568 — 1570  unverändert.     Ebenso  wurde    der  Grundgedanke,    von 


der  Ehe  bei  der  Eheschliefsung  bekannt  war,  so  können  sie  gleichwohl  von  dem  Vater, 
solange  er  lebt,  Unterhalt  wie  eheliche  Kinder  verlangen.  Das  im  §  149t  Abs.  1  be- 
stimmte Recht  steht  dem  Vater  nicht  zu. 

§  1567.  Die  Vorschriften  der  §§  1562  bis  1566  finden  auf  Kinder  aus  einer  an- 
fechtbaren Ehe,  die  angefochten  ist ,  entsprechende  Anwendung.  Wird  die  Ehe  wegen 
Drohung  angefochten,  so  steht  der  anfechtungsberechtigte  Ehegatte  einem  Ehegatten  gleich, 
dem  die  Nichtigkeit  der  Ehe  bei  der  Eheschliefsung  unbekannt  ist. 

Sechster  Titel. 
Rechtliche  Stellung  der  unehelichen  Kinder. 

§  1568.  Das  uneheliche  Kind  hat  im  Verhältnisse  zur  Mutter  und  ihren  Verwandten 
die  rechtliche  Stellung  eines  ehelichen  Kindes. 

§  1569.  Das  uneheliche  Kind  erhält  den  Familiennamen  der  Mutter.  Führt  die 
Mutter  infolge  ihrer  Verheiratung  einen  anderen  Namen,  so  erhält  das  Kind  den  Familien- 
namen, den  sie  vor  der   Verheiratung  geführt  hat. 

§  1570.  Der  Mutter  steht  nicht  die  elterliche  Gewalt  über  das  uneheliche  Kind  zu. 
Sie  hat  jedoch  unter  den  im  §  1565  Abs.  2  bestimmten  Beschränkungen  das  Recht  und 
die  Pflicht,  für  die  Person  des  Kindes  zu  sorgen. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  683 

welchem  der  Entwurf  bezüglich  der  Stellung  des  unehelichen  Kindes  zu 
seinem  Vater  ausgeht,  dafs  die  uneheliche  Vaterschaft  eine  Unterhalts- 
pflicht gegenüber  dem  Kinde,  nicht  aber  weitere  familienrechtliche  Be- 
ziehungen zwischen  Vater  und  Kind  begründet,  aus  des  Mitte  der  Kom- 
mission nicht  beanstandet  ;  insbesondere  fand  der  Standpunkt  des 
französischen  Rechts,  welches,  von  wenigen  Ausnahmefällen  abgesehen,  die 
Vaterschaftsklage  ausschliefst,  keine  Vertretung.  Nach  §  1572  Abs.  1 
gilt  als  Vater  des  unehelichen  Kindes  derjenige,  welcher  der  Mutter  des- 
selben innerhalb  der  (in  Abs.  2  bestimmten)  Empfängniszeit  beigewohnt 
hat,  es  sei  denn,  dafs  innerhalb  dieser  Zeit  auch  ein  Anderer  der  Mutter 
beigewohnt  hat.  Die  hiermit  ausgesprochene  Zulassung  der  sog.  exceptio 
plurium  concumbentium  wurde  nach  eingehender  Erörterung  der  für  und 
gegen  sie  sprechenden  Gründe  von  der  Mehrheit  gebilligt.  Für  die  Aus- 
schliefsung  der  Einrede  und  die  gesamtschuldneriache  Haftung  derjenigen, 
die  der  Mutter  während  der  Empfängniszeit  beigewohnt  haben,  wurde 
von  der  Minderheit  namentlich  die  Notwendigkeit  einer  Besserung  der 
Lage  der  Unehelichen  sowie  die  Rücksicht  auf  die  Erleichterung  der 
Armenlast  geltend  gemacht.  Die  Mehrheit  glaubte  dagegen  in  betreff  der 
sozialen  und  volkswirtschaftlichen  Wirkung  der  einen  oder  anderen  Ent- 
scheidung dem  Umstände  besonderes  Gewicht  beimessen  zu  müssen,  dafs 
der  Entwurf  von  seiten  der  Bundesregierungen  nahezu  einstimmig  ge- 
billigt worden  ist.  Sie  hielt  ferner  die  Zulassung  der  Einrede  vom  Stand- 
punkt des  Entwurfs,  welcher  die  Grundlage  der  Unterhaltspflicht  in  der 
Vaterschaft  erblickt,  für  folgerichtig  und  vor  allem  für  rechtspolitisch 
ratsam,  weil  durch  den  Ausschlufs  der  Einrede  die  Unsittlichkeit  beför- 
dert werde.  Sowohl  bezüglich  der  als  Grundlage  des  Unterhaltsanspruchs 
vorausgesetzten  Beiwohnung  als  bezüglich  der  zur  Begründung  der  exceptio 
plurium  dienenden  Beiwohnung  eines  Anderen  fügte  man  aber  wie  bei 
§  1467  den  Satz  zu,  dafs  eine  Beiwohnung  aufser  Betracht  bleibt,  wenn 
es  den  Umständen  nach  offenbar  unmöglich  ist,  dafs  die  Mutter  das  Kind 
aus  dieser  Beiwohnung  empfangen  hat.  Die  Zulässigkeit  der  hier  frag- 
lichen Einrede  wurde  ferner  noch  dadurch  beschränkt,  dafs  man  sie  dem- 
jenigen versagte,  der  seine  Vaterschaft  nach  der  Geburt  des  Kindes  in 
einer  öffentlichen  Urkunde  anerkannt  hat.  Dagegen  lehnte  die  Mehrheit 
es  ab,  einem  solchen  Anerkenntnis  die  weitere  Wirkung  beizulegen,  dafs 
sie  eine  selbständige  Grundlage  des  Unterhaltsanspruchs  bilde.  Die  in 
§  1572  Abs.  2  bestimmte  längste  Dauer  der  Empfängniszeit  wurde  wie 
im  §   1467  auf  den  302.  Tag  hinaufgesetzt. 

Der  Unterhaltsanspruch  wurde  weiter  nach  mehreren  Richtungen  für 
das  Kind  günstiger  gestaltet.  Nach  dem  Entwurf  (§§  1571,  1573)  ist 
der  Vater   zwar    vor    der  Mutter  und    deren  Verwandten    zur    Gewährung 


§  1571.  (1571,  1573,  1574.)  Der  Vater  des  unehelichen  Kindes  ist  verpflichtet, 
dem  Kinde  bis  zu  dessen  vollendetem  sechszehnten  Lebensjahre  den  der  Lebensstellung 
der  Mutter  entsprechenden  Unterhalt  zu  gewähren.  Der  Unterhalt  umfafst  den  gesamten 
Lebensbedarf  sowie  die  Kosten  der  Erziehung  und  der  Vorbildung  zu  einem   Berufe. 

Der  Vater  ist  vor  der  Mutter    und    den    mütterlichen  Verwandten   unterhaltspflichtig. 

§  1572  vergl.  §  1578  b. 

§  1573  vergl.  §  1571. 


684  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

des  Unterhalts  verpflichtet,  aber  nur  zur  Gewährung  des  notdürftigen  Unter- 
halts ;  was  über  diesen  hinaus  zum  standesmäfsigen  Unterhalt  gehört,  kann 
das  Kind  nur  von  den  bezeichneten  anderen  Personen  verlangen.  "Die 
Kommission  hielt  es  dagegen  mit  Bücksicht  auf  die  gröfsere  Erwerbs- 
fähigkeit des  Mannes  für  gerechtfertigt  und  wegen  der  mit  einer  Teilung 
der  Unterhaltspflicht  verbundenen  Mifsstände  und  Schwierigkeiten  für  ge- 
boten, den  Vater  in  erster  Linie  zur  Gewährung  des  standesmäfsigen,  d.  h. 
des  der  Lebensstellung  der  Mutter  entsprechenden  Unterhalts  zu  ver- 
pflichten. Während  ferner  nach  dem  Entwurf  die  Unterhaltspflicht  mit 
dem  vollendeten  14.  Lebensjahre  endigen  soll,  dehnte  man  sie,  insbesondere 
mit  Rücksicht  auf  die  die  Erwerbsfähi^keit  der  jugendlichen  Arbeiter  be- 
schränkenden Vorschriften  der  Gewerbeordnung,  bis  zum  zurückgelegten 
16.  Lebensjahre  aus.  Abweichend  vom  §  1574  in  Verbindung  mit  §  1492 
wurde  sodann  die  Geltendmachung  des  Anspruchs  für  die  Vergangenheit 
ohne  Beschränkung  zugelassen.  Zu  §  1575  Abs.  1  stellte  man  ausdrück- 
lich klar,  dafs  der  Unterhaltsanspruch  gegen  die  Erben  des  Vaters  auch 
dann  geltend  gemacht  werden  kann ,  wenn  der  Vater  die  Geburt  des 
Kindes  nicht  erlebt  hat.  Um  aber  das  Kind  im  Falle  des  Todes  des 
Vaters  nicht  günstiger  zu  stellen  als  ein  eheliches,  gab  man  den  Erben 
das  "Recht,  das  Kind  mit  dem  Betrage  abzufinden,  welcher  ihm,  seine 
Ehelichkeit  vorausgesetzt,  als  Pflichtteil   gebühren   würde. 

Die  Bestimmungen  der  §§  1577,    1578   über  den  Anspruch  der  unehe- 


§  1574.  (1574,  1576  Abs.  2.)  Der  Unterhalt  ist  durch  Entrichtung  einer  Geld- 
rente zu  gewähren. 

Die  Rente  ist  für  ein  Vierteljahr  vorauszuzahlen.  Hat  das  Kind  den  Beginn  des 
Vierteljahres  erlebt,  so  gebührt  ihm  der  volle  auf  das  Vierteljahr  fallende  Betrag. 

Vorausleistungen  befreien  den  Vater  nur  insoweit ,  als  sie  für  das  Vierteljahr  be- 
wirkt sind. 

§  1574a.     (1574)     Der  Unterhalt  kann  auch  für  die  Vergangenheit  verlangt  werden. 

§  1575.  Der  Unterhaltsanspruch  erlischt  nicht  mit  dem  Tode  des  Vaters;  er  kann 
auch  dann  geltend  gemacht  werden ,  wenn  der  Vater  vor  der  Geburt  des  Kindes  ge- 
storben ist. 

Die  Erben  des  Vaters  sind  berechtigt,  das  Kind  mit  dem  Betrag  abzufinden,  welcher 
dem  Kinde  im  Falle  seiner  Ehelichkeit  als  Pflichtteil  gebühren  würde.  Sind  mehrere  unehe- 
liche Kinder  vorhanden,  so  wird  die  Abfindung  so  berechnet,  wie  wenn  sie  alle  ehelich 
wären. 

§  1575  a.  (1574,  1575.)  Der  Unterhaltsanspruch  erlischt  mit  dem  Tode  des  Kindes, 
soweit  er  nicht  auf  Erfüllung  oder  Entschädigung  wegen  Nichterfüllung  für  die  Ver- 
gangenheit oder  auf  solche  im  voraus  zu  bewirkende  Leistungen  gerichtet  ist  ,  die  zur 
Zeit  des  Todes  des  Kindes  bereits  fällig  waren. 

Die  Beerdigungskosten  hat  der  Vater  insoweit  zu  tragen,  als  ihre  Bezahlung  von 
dem  Erben  des  Kindes  nicht  zu  erlangen  ist. 

§  1576.  Eine  Vereinbarung  zwischen  dem  Vater  und  dem  Kinde  über  den  Unter- 
halt für  die  Zukunft  oder  über  eine  dem  Kinde  zu  gewährende  Abfindung  bedarf  der 
Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts. 

Ein  unentgeltlicher  Verzicht  auf  den   Unterhalt  für  die  Zukunft  ist  unzulässig. 

§  1577.  (1577.  1578.)  Der  Vater  ist  verpflichtet,  der  Mutter  die  Kosten  der  Ent- 
bindung und  die  Kosten  des  Unterhalts  für  die  ersten  sechs  Wochen  nach  der  Entbin- 
dung innerhalb  der  Grenzen  der  Notdurft  zu  ersetzen.  Den  gewöhnlichen  Betrag  dieser 
Kosten  kann   die  Mutter  ohne  Rücksicht  auf  den  wirklichen   Aufwand  verlangen. 

Der  Anspruch  kann  auch  dann  geltend  gemacht  werden,  wenn  der  Vater  vor  der 
Geburt  des  Kindes   gestorben  oder  wenn  das  Kind  tot  geboren  ist. 

Der  Anspruch  verjährt  in  vier  Jahren.  Die  Verjährung  beginnt  mit  dem  Ablaufe 
von  sechs  Wochen  nach  der  Geburt  des  Kindes. 


Natäonalökonomische  Gesetzgebung.  685 

liehen  Mutter  gegen  den  Vater  auf  Ersatz  der  Entbindungs-  und  Wochen- 
bettskosten wurde  nur  darin  geändert,  dafs  die  Verjährungsfrist  von  2  auf 
4  Jahre  ausgedehnt  wurde;  man  war  der  Ansicht,  dafs  die  Mutter  die 
zweijährige  Frist  allzu  leicht  infolge  von  Heiratsversprechungen  u.  s.  w. 
versäumen  würde.  Der  hier  fragliche  Anspruch  der  Mütter  bezweckt 
ebenso  wie  der  Uuterhaltsauspruch  des  Kindes  dessen  Erhaltung.  Um 
diesen  Zweck  sicher  zu  erreichen,  glaubte  die  Kommission,  die  Geltend- 
machung beider  Ansprüche  durch  eine  neue  Vorschrift  erleichtern  zu 
sollen.  Nach  dem  Entwurf  können  die  Ansprüche  erst  nach  der  Geburt 
des  Kindes  geltend  gemacht  werden;  zahlt  der  Vater  daher  nicht  frei- 
willig, so  kann  er  immer  erst  nach  Durchführung  der  Klage,  also  mehr 
oder  weniger  lange  nach  der  Geburt  des  Kindes  zur  Zahlung  zwangsweise 
angehalten  werden.  Die  Kommission  nahm  dagegen  an,  dafs  es  darauf  an- 
komme, der  Mutter  oder  dem  Vormunde  des  Kindes  für  die  besonders 
schwierige  Zeit  unmittelbar  nach  der  Geburt  sofort  verfügbares  Geld  zum 
Unterhalt  für  Mutter  und  Kind  zu  verschaffen.  Von  dieser  Erwägung  aus 
gelangte  sie  zur  Aufnahme  des  §  1578a  der  2.  Lesung,  indem  sie  die 
mit  Rücksicht  auf  die  Lage  des  als  Vater    iu  Anspruch  Genommenen  ob- 


§  1578  vergl.  §  1577  Abs.  3. 

§  1578  a.  Auf  Antrag  der  Mutter  kann  schon  vor  der  Geburt  des  Kindes  durch 
einstweilige  Verfügung  angeordnet  werden,  dafs  der  Vater  die  im  §  1577  bestimmten 
Kosten  an  die  Mutter,  die  Kosten  des  dem  Kinde  für  das  erste  Vierteljahr  zu  gewähren- 
den Unterhalts  an  die  Mutter  oder  an  den  Vormund  alsbald  nach  der  Geburt  zu  zahlen 
und   den  hierzu  erforderlichen  Betrag  angemessene  Zeit  vor  der  Geburt  zu  hinterlegen  hat. 

Zur  Erlassung  der  einstweiligen  Verfügung  ist  nicht  erforderlich ,  dafs  eine  Gefähr- 
dung des  Anspruchs  glaubhaft  gemacht  wird. 

§  1578  b.  (1572,  1577  Abs.  2.)  Als  Vater  des  unehelichen  Kindes  im  Sinne  der 
§§  1571  bis  1578  a  gilt,  wer  der  Mutter  innerhalb  der  Empfängniszeit  beigewohnt  hat, 
es  sei  denn,  dafs  auch  ein  Anderer  ihr  innerhalb  dieser  Zeit  beigewohnt  hat.  Eine  Bei- 
wohnung bleibt  jedoch  aufser  Betracht,  wenn  es  den  Umständen  nach  offenbar  unmöglich 
ist,   dafs  die  Mutter  das   Kind  aus  dieser  Beiwohnung  empfangen  hat. 

Als  Empfängniszeit  gilt  die  Zeit  von  dem  einhunderteinundachtzigsten  bis  zu  dem 
dreihundertundzweiten  Tage  vor  dem  Tage  der  Geburt  des  Kindes ,  mit  Einschlufs  so- 
wohl des  einhunderteinundachtzigsten  als  des  dreihundertundzweiten  Tages 

§  1578  c.  Wer  seine  Vaterschaft  nach  der  Geburt  des  Kindes  in  einer  öffentlichen 
Urkunde  anerkannt  hat,  kann  sich  nicht  darauf  berufen,  dafs  innerhalb  der  Empfängnis- 
zeit  auch  ein  Anderer  der  Mutter  beigewohnt  hat. 

Anmerkung.     1.  Als  §  748a  wird  folgende  Vorschrift  eingestellt: 

Wer  eine  Frauensperson  durch  Anwendung  hinterlistiger  Kunstgriffe  zur  Ge- 
stattung der  aufserehelichen  Beiwohnung  verleitet,  ist  ihr  zum  Ersätze  des  dadurch 
verursachten  Schadens  verpflichtet. 

2.  Der  §  770  Abs.  2  erhält  folgende  Fassung: 

Ein  gleicher  Anspruch  steht  einer  Frauensperson  zu,  gegen  die  durch  Beiwoh- 
nung   begangen  oder  die    durch  Anwendung    hinterlistiger  Kunstgriffe  zur 

Gestattung  der  aufserehelichen   Beiwohnung  verleitet  worden  ist. 

3.  Als  §   1228b  wird  folgende   Vorschrift  eingeschaltet: 

Hat  eine  unbescholtene  Verlobte  ihrem  Verlobten  die  Beiwohnung  gestattet ,  so 
kann  sie,  wenn  die  Voraussetzungen  des  §  1228  oder  des  §  1228  a  vorliegen, 
unbeschadet  der  dort  bestimmten  Ersatzansprüche,  eine  billige  Entschädigung  in 
Geld  verlangen,  auch  wenn  sie  einen  Vermögensschaden   nicht  erleidet. 

Der  Anspruch  ist  nicht  übertragbar  und  geht  nicht  auf  die  Erben  über ,  es  sei 
denn ,    dafs  er  durch  Vertrag  anerkannt   oder  dafs    er    rechtshängig    geworden  ist. 

4.  Der  Eingang  des  §  1230  hat  zu  lauten : 

„Die  in  den  §§  1228  bis  1229  .  .  .  ." 


(3gß  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

waltenden  Bedenken  zwar  nicht  verkannte,    aber  gegenüber  dem  Interesse 
der  unehelichen  Kinder  nicht  für  ausschlaggebend   erachtete. 

Im  Anschlufs  an  die  §§  1577,  1578  wurde  3odann  die  Frage  erörtert, 
ob  und  unter  welchen  Voraussetzungen  auf  Grund  der  aufserehelichen 
Beiwohnung  der  Frau  ein  Entschädigungsanspruch  eingeräumt  werden 
solle.  Der  Entwurf  erkennt,  abgesehen  von  der  Vorschrift  des  §  1577, 
einen  solchen  Anspruch  nur  dann  an.  wenn  durch  die  Beiwohnung  gegen 
die  Frau  eine  strafbare  Handlung  begangen  ist,  lehnt  dagegen  eine  allge- 
meine sog.  Deflorationsklage  der  verführten  Frau  ab.  Die  Kommission 
billigte  dies  und  hielt  es  für  praktisch  nicht  angängig,  in  allen  Fällen 
einer  Verführung  der  Frau  einen  Entschädigungsanspruch  zu  geben,  weil 
der  Begriff  der  Verführung  zu  unbestimmt  erschien.  Um  dieses  Bedenken 
zu  beseitigen,  machte  man  eine  leichter  feststellbare  besondere  Art  der 
Verführung,  nämlich  die  Verleitung  durch  arglistige  Kunstgriffe,  zur 
Voraussetzung  des  Schadenersatzanspruchs.  Die  Anerkennung  eines  so 
beschränkten  Anspruchs  erschien  ausreichend  und  notwendig,  um  für  die 
das  Rechtsgefühl  am  meisten  verletzenden  Fälle  der  Verführung  Abhilfe 
zu  schaffen.  Man  gab  unter  dieser  Voraussetzung  der  Frau  auch  im  An- 
schlufs  an  §  728  einen  Anspruch  auf  eine  billige  Geldentschädigung  wegen 
eines  Anderen  als  eines  Vermögensschadens.  Einen  gleichen  Anspruch  be- 
schlofs  man  ferner  der  unbescholtenen  Braut,  die  dem  Verlobten  den  Beischlaf 
gestattet  hat,  dann  zu  gewähren,  wenn  der  Verlobte  entweder  selbst  ohne 
wichtigen  Grund  vom  Verlöbnis  zurücktritt  oder  durch  sein  Verschulden  der 
Braut  gerechtfertigten  Grund  zum  Bücktritt  giebt.  Die  beschränkende 
Voraussetzung  der  Unbescholtenheit  stellte  man  deshalb  auf,  weil  der  An- 
spruch einen  Ersatz  für  die  zerstörte  oder  verminderte  Aussieht  auf  Versorgung 
zu  schaffen  bestimmt  ist,    Bescholtenheit    aber    diese  Aussicht  ausschliefst. 

In  dem  die  Legitimation  unehelicher  Kinder  regelnden 
sechsten  Titel  wurde  von  den  Vorschriften  über  die  Legitimation 
durch    nachfolgende  Ehe    nur    der    §    1580    geändert.      Er    erhielt 


Siebenter  Titel. 

Legitimation  unehelicher  Kinder. 

I.    Legitimation  durch  nachfolgende  Ehe. 

§  1579.  Ein  uneheliches  Kind  erlangt,  wenn  der  Vater  die  Mutter  heiratet,  von 
der  Zeit  der  Eheschiefsung  an   die  rechtliche  Stellung  eines  ehelichen  Kindes. 

§  1580.  Der  Ehemann  der  Mutter  gilt  als  der  Vater  des  Kindes,  wenn  er  ihr  inner- 
halb der  im  §  1578  b  Abs.  2  bestimmten  Empfängniszeit  beigewohnt  hat,  es  sei  denn, 
dafs  es  den  Umständen  nach  offenbar  unmöglich  ist,  dafs  die  Mutter  das  Kind  aus  dieser 
Hei wohnung  empfangen    hat. 

Hat  der  Ehemann  seine  Vaterschaft  in  einer  öffentlichen  Urkunde  anerkannt,  so 
wird  vermutet,  dafs  er  der  Mutter  innerhalb  der  Empfängniszeit  beigewohnt  habe. 

§  1581.  Ist  die  Ehe  der  Eltern  nichtig  oder  ist  sie  anfechtbar  und  angefochten  ,  so 
finden  die  Vorschriften  der  §§   1562   bis   1567   entsprechende  Anwendung. 

§  1582.  Die  Eheschliefsung  zwischen  den  Eltern  hat  für  die  Abkömmlinge  des 
unehelichen  Kindes  die  Wirkungen  der  Legitimation  auch  dann  ,  wenn  das  Kind  vor  der 
Eheschliefsung  gestorben  ist. 

II.     Legitimation  durch  Ehelichkeitserklärung. 
§  1583.     (1583,  1584.)     Ein  uneheliches  Kind  kann  auf  Antrag  seines  Vaters   ilurch 
eine  Verfügung  der  Staatsgewalt  für    ehelich    erklärt    werden.     Die  Ehelichkeitserklärung 
steht  dem  Staate  zu,  welchem  der  Vater  angehört. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  f387 

einen  dem  Beschlüsse  zu  §  1568  entsprechenden  einschränkenden  Zusatz. 
Aufserdem  knüpfte  man  an  die  vom  Ehemann  in  einer  öffentlichen  Ur- 
kunde erklärte  Anerkennung  der  Vaterschaft  die  Voraussetzung,  dafs  er 
der  Mutter  innerhalb  der  Empfäugniszeit  beigewohnt  habe.  Von  den 
Bestimmungen  über  die  Legitimation  durch  Ehelichkeitser- 
klärung wurde  der  Satz  2  des  §  1584  als  durch  §  4  des  Bundesge- 
setzes vom  1.  Juni  1870  gegenstandslos  gestrichen.  Die  §§  1587,  1588, 
1591,     1593,    1595    und    der  §    1597    Satz   2    erlitten   Aenderungen ,    von 


Mit  der  Ehelichkeitserklärung  erlangt  das  Kind  die  rechtliche  Stellung  eines  ehe- 
lichen Kindes. 

§    1584  vergl.   §    1583   Abs.   1   Satz  2. 

§  1585.  Die  Ehelichkeitserklärung  kann  nur  erfolgen,  wenn  der  Vater  das  Kind 
in   dem   Antrag  als  das  seinige  anerkennt. 

§  1586.  Die  Ehelichkeitserklärung  ist  nicht  zulässig,  wenn  zur  Zeit  der  Erzeugung 
des  Kindes  eine  Ehe  zwischen  den  Eltern  nach  §  1236  Abs.  1  wegen  Verwandtschaft 
oder   Schwägerschaft  verboten  war. 

§  1587.  Zur  Ehelichkeitserklärung  ist  die  Einwilligung  des  Kindes,  der  Mutter  des 
Kindes  und,  wenu  der  Vater  verheiratet  ist,  der  Frau  des  Vaters  erforderlich.  Der  Ein- 
willigung der  Mutter  bedarf  es  nicht ,  wenn  das  Kind  das  fünfundzwauzigste  Lebensjahr 
vollendet  hat. 

Wird  die  Einwilligung  von  der  Mutter  verweigert,  so  kann  sie  auf  Antrag  des  Kindes 
durch  das  Vormundschaftsgericht  ersetzt  werden,  wenn  das  Unterbleiben  der  Ehelichkeits- 
erklärung dem  Kinde    zu   unverhältnismäfsigem  Nachteile  gereichen  würde. 

Die  Einwilligung  der  Mutter  ist  nicht  erforderlich,  wenn  die  Mutter  zur  Abgabe  einer 
Erklärung  dauernd  aufserstande  oder  ihr  Aufenthalt  dauernd  unbekannt  ist.  Das  Gleiche 
gilt  von  der   Einwilligung  der  Frau  des  Vaters. 

Anmerkung.  Es  bleibt  vorbehalten,  bei  der  Beratung  des  internationalen  Privat- 
rechts zu  prüfen,  ob  der  §  1583  Abs.  1  Satz  2  durch  die  dort  zu  treffenden  Vorschriften 
entbehrlich  wird  und  ob  durch  diese  auch  solche  Fälle  gedeckt  werden  ,  in  welchen  ein 
Reichsangehöriger  keinem  deutschen  Staate  angehört. 

§  1588.  (1588,  1589  Abs.  2  Satz  2.)  Der  Antrag  auf  Ehelichkeitserklärung 
sowie  die  Einwilligung  der  im  §  1587  bezeichneten  Personen  kann  nicht  durch  einen 
Vertreter  erfolgen. 

Ist  jedoch  das  Kind  geschäftsunfähig  oder  hat  es  das  vierzehnte  Lebensjahr  noch 
nicht  vollendet,  so  kann  sein  gesetzlicher  Vertreter  die  Einwilligung  mit  Genehmigung 
des  Vormundschaftsgerichts  erteilen. 

§  1589.  (1589,  1590.)  Ist  der  Vater  in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkt,  so  bedarf 
er  zu  dem  Antrag  auf  Ehelichkeitserklärung,  aufser  der  Zustimmung  seines  gesetzlichen 
Vertreters,  der  Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts. 

Ist  das  Kind  in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkt,  so  gilt  das  Gleiche  für  die  Ertei- 
lung seiner  Einwilligung. 

Ist  die  Mutter  des  Kindes  oder  die  Frau  des  Vaters  in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkt, 
so  ist  zur  Erteilung  ihrer  Einwilligung  die  Zustimmung  des  gesetzlichen  Vertreters  nicht 
erforderlich. 

§  1590  vergl.  §   1589  Abs.  3. 

§  1591.  Der  Antrag  auf  Ehelichkeitserklärung  sowie  die  Einwilligung  der  im  §1587 
bezeichneten  Personen  bedarf  der  gerichtlichen  oder  notariellen  Form.  Die  Einwilligung 
kann  dem  Vater  oder  der  Behörde  gegenüber  erklärt  werden,  bei  welcher  der  Antrag 
einzureichen  ist ;  sie  ist  unwiderruflich. 

§  1592.  (1592,  1594.)  Die  Ehelichkeitserklärung  kann  versagt  werden,  auch  wenn 
ihr  ein  gesetzliches  Hindernis  nicht  entgegensteht. 

Die  Ehelichkeitserklärung  kann  nicht  unter  einer  Bedingung  oder  einer  Zeitbestim- 
mung erfolgen. 

§  1592  a.  (1595.)  Die  Ehelichkeitserklärung  kann  nicht  nach  dem  Tode  des  Kindes 
erfolgen. 

Nach  dem  Tode  des  Vaters  ist  die  Ehelichkeitserklärung  nur  zulässig,  wenn  der 
Vater  den  Antrag  auf  Ehelichkeitserklärung  bei  der  zuständigen  Behörde  eingereicht  oder 


(383  Nationalökonomische    Gesetzgebung. 

deren  Hervorhebung  aber    hier  abgesehen    werden  'kann.     Ebenso  wurden 
in    dem    von    der  Annahme    an    Kindesstatt    handelnden    siebenten 


bei  oder  nach  der  gerichtlichen  oder  notariellen  Beurkundung  des  Antrags  das  Gericht 
oder  den  Notar  mit  der  Einreichung  betraut  hatte.  Die  nach  dem  Tode  des  Vaters 
erfolgte  Ehelichkeitserklärung  hat  dieselbe  Wirkung,  wie  wenn  sie  vor  dem  Tode  des 
Vaters    erfolgt  wäre. 

§  1593.  Die  Ehelichkeitserklärung  ist  unwirksam,  wenn  ein  gesetzliches  Erfordernis 
fehlt.  Auf  die  Wirksamkeit  der  Ehelichkeitserklärung  ist  es  jedoch  ohne  Einflufs  ,  wenn 
der  Antragsteller  nicht  der  wirkliche  Vater  des  Kindes  oder  wenn  mit  Unrecht  angenom- 
men worden  ist,  dafs  die  Mutter  des  Kindes  oder  die  Frau  des  Vaters  zur  Abgabe  einer 
Erklärung  dauernd  außerstande  oder  ihr  Aufenthalt  dauernd  unbekannt  sei. 

§    1594  vergl.  §  1592  Abs.   2. 

§   1595  vergl.  §   1592  a. 

§  1596.  Die  Wirkungen  der  Ehelichkeitserklärung  erstrecken  sich  auf  die  Abkömm- 
linge des  Kindes,  nicht  auf  die  Verwandten  des  Vaters.  Die  Frau  des  Vaters  ist  nicht 
mit  dem  Kinde,   der  Ehegatte  des  Kindes  ist  nicht  mit  dem  Vater  verschwägert. 

Die  zwischen  dem  Kinde  und  seinen  Verwandten  durch  die  Verwandtschaft  begrün- 
deten Rechte  und  Pflichten  bleiben  unberührt,  soweit  sich  nicht  aus  dem  Gesetz  ein 
Anderes  ergiebt. 

§  1597.  Durch  die  Ehelichkeitserklärung  verliert  die  Mutter  das  Recht  und  die 
Pflicht,  für  die  Person  des  Kindes  zu  sorgen.  Hat  sie  dem  Kinde  den  Unterhalt  zu 
gewähren,  so  treten  Recht  und  Pflicht  wieder  ein,  wenn  die  elterliche  Gewalt  des  Vaters 
beendet  ist  oder  in  der  Weise  ruht ,  dafs  ihm  auch  die  Sorge  für  die  Person  des  Kindes 
nicht  zusteht. 

§  1598.  Der  Vater  ist  dem  Kinde  und  dessen  Abkömmlingen  vor  der  Mutter  und 
den  mütterlichen  Verwandten  zur  Gewährung  des   Unterhalts  verpflichtet. 

§  1599.  Will  der  Vater  eine  Ehe  eingehen,  während  er  die  elterliche  Gewalt  über 
das  Kind   hat,  so  finden  die  Vorschriften  der  §§   1548   bis   1552   Anwendung. 

§  1600  Für  die  Anfechtung  des  Antrags  auf  Ehelichkeitserklärung  und  der  Ein- 
willigung der  im  §  1587  bezeichneten  Personen  sowie  für  die  Bestätigung  einer  anfecht- 
baren Erklärung  dieser  Art  gelten  die  Vorschriften  der  §§   1588,   1589. 

Achter  Titel. 
Annahme  an  Kindesstatt. 

§  1601.     Abs.  1  vergl.  §  1619  b  Abs.   1,  Abs.  2  vergl.  §  1611b  Satz   1. 

§  1602.  Wer  einen  ehelichen  Abkömmling  nicht  hat,  kann  einen  Anderen  an  Kindes- 
statt annehmen  Das  Vorhandensein  eines  angenommenen  Kindes  steht  der  Annahme 
eines  weiteren  Kindes  nicht  entgegen. 

§  1603.  (1603,  1604.)  Der  Annehmende  mufs  das  fünfzigste  Lebensjahr  vollendet 
haben  und  mindestens  achtzehn  Jahre  älter  sein  als  das  Kind. 

Von  diesen  Erfordernissen  kann  Befreiung  gewährt  werden,  von  der  Vollendung  des 
fünfzigsten  Lebensjahrs  jedoch  nur  dann,  wenn  der  Annehmende  volljährig  ist. 

§  1604  vergl.  §  1603. 

§   1605  gestrichen. 

§  1606.  (1606,  1608,  1611.)  Wer  verheiratet  ist,  kann  nur  mit  Einwilligung  seines 
Ehegatten  an  Kindesstatt  annehmen  oder  angenommen  werden. 

Die  Einwilligung  ist  nicht  erforderlich  ,  wenn  der  Ehegatte  zur  Abgabe  einer  Erklä- 
rung dauernd  aufserstande  oder  sein  Aufenthalt  dauernd   un  bekannt  ist. 

§  1607.  (1607,  1608.)  Als  gemeinschaftliches  Kind  kann  ein  Kind  nur  von  Ehe- 
gatten an  Kindesstatt  angenommen  werden. 

Ein  angenommenes  Kind  kann,  solange  das  durch  die  Annahme  begründete  Rechts- 
verhältnis besteht,  nur  von  dem  Ehegatten  des  Annehmenden  an  Kindesstatt  angenom- 
men werden. 

§   1608  vergl.  §   1607   Abs.   1. 

§  1609  vergl.    §   1606  Abs.  1. 

§  1610.  (1610,  1611.)  Ein  eheliches  Kind  kann  nur  mit  Einwilligung  seiner  Eltern, 
ein  uneheliches  Kind  kann  nur  mit  Einwilligung  seiner  Mutter  an  Kindesstatt  angenom- 
men werden.     Die  Vorschrift  des  §  1606  Abs.  2  findet  entsprechende  Anwendung. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  689 

Titel  nur  weniger  erhebliche  Abweichungen  vom  Entwurf  zu  den  §§   1611, 
1613,   1614,    1616,   1618,    1622,    1623,    1626,    1631    beschlossen    und    die 


Die  Einwilligung  ist  nicht  erforderlich,  wenn  das  Kind  das  fünfundzwanzigste  Lebens- 
jahr vollendet  hat. 

§   1611  vergl.   §    1606  Abs.   2,  §   1610  Abs.   1   Satz   2. 

§  1611a.  (1615.)  Die  Annahme  an  Kindesstatt  kann  nicht  unter  einer  Bedingung 
oder  einer  Zeitbestimmung  erfolgen. 

§  1611b.  (1601  Abs.  2,  1616  Abs.  1.)  Die  Annahme  an  Kindesstatt  erfolgt  durch 
Vertrag  zwischen  dem  Annehmenden  und  dem  Kinde.  Der  Vertrag  mufs  vor  Gericht 
oder  vor  einem  Notar  geschlossen  werden. 

§  1611c.  (1617,  1619.)  Der  Annahmevertrag  bedarf  der  Bestätigung  durch  das 
zuständige  Gericht.  Die  Bestätigung  ist  nur  zu  versagen,  wenn  ein  gesetzliches  Erforder- 
nis der  Annahme  an  Kindesstatt  fehlt. 

Die  Annahme  an  Kindesstatt  tritt  mit  der  Bestätigung  in  Kraft.  Die  Vertrag- 
schliefsenden  sind  schon  vor  der  Bestätigung  gebunden.  Mit  der  endgiltigen  Versagung 
der  Bestätigung  verliert  der  Vertrag  seine  Kraft. 

§   1612.      Der  Annahmevertrag  kann  nicht  durch  Vertreter  geschlossen  werden. 

Hat  jedoch  das  Kind  das  vierzehnte  Lebensjahr  noch  nicht  vollendet,  so  kann  sein 
gesetzlicher  Vertreter  den  Vertrag  mit  Genehmigung  des  Vormundschaf^gerichts  sch:iefsen. 

§  1613.  (1613  Abs.  1,  2.)  Ist  der  Annehmende  in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkt, 
so  bedarf  er  zur  Eingehung  des  Vertrags,  aufser  der  Zustimmung  seines  gesetzlichen  Ver- 
treters, der  Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts. 

Das  Gleiche  gilt  für  das  Kind,  wenn  es  in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkt  ist. 

§  1613  a.  (1613  Abs.  3,  4.)  Will  ein  Vormund  seinen  Mündel  an  Kindesstatt  an- 
nehmen ,  so  soll  das  Vormundschaftstfericht  die  Genehmigung  nicht  erteilen,  solange  er 
Vormund  ist.  Will  jemand  seinen  früheren  Mündel  an  Kindesstatt  annehmen,  so  soll  das 
Vormundschaftsgericht  die  Genehmigung  nicht  erteilen  ,  bevor  er  über  seine  Verwaltung 
des  Mündelvermögens  Rechnung  gelegt  und  das  Vorhandensein  des  Vermögens  nach- 
gewiesen hat. 

Das  Gleiche  gilt,  wenn  ein  zur  Vermögensverwaltung  berufener  Pfleger  seinen  Pfleg- 
ling oder  seinen  früheren   Pflegling  an  Kindesstatt  annehmen  will. 

§  1614.  (1614,  1616  Abs.  2.)  Die  Einwilligung  der  in  den  §§  1606,  1610  bezeich- 
neten Personen  bedarf  der  gerichtlichen  oder  notariellen  Form.  Sie  kann  dem  Anneh- 
menden oder  dem  Kinde  oder  dem  für  die  Bestätigung  des  Annahmevertrags  zuständigen 
Gerichte  gegenüber  erklärt  werden ;  sie  ist  unwiderruflich. 

Die  Einwilligung  kann  nicht  durch  einen  Vertreter  erteilt  werden.  Ist  der  Einwilli- 
gende in  der  Geschäftsfähigkeit  beschränkt,  so  bedarf  er  nicht  der  Zustimmung  seines 
gesetzlichen  Vertreters. 

§  1615  vergl.  §  1611a. 

§  1616.     Abs.   1  vergl  §  1611b   Satz  2,  Abs.  2  vergl.  §  1614  Abs.   1. 

§  1617  vergl.  §   1611c. 

§  1618.  Die  Bestätigung  des  Annahmevertrags  kann  nicht  nach  dem  Tode  des 
Kindes  erfolgen. 

Nach  dem  Tode  des  Annehmenden  ist  die  Bestätigung  nur  zulässig ,  wenn  der  An- 
nehmende oder  das  Kind  den  Antrag  auf  Bestätigung  bei  dem  zuständigen  Gericht  ein- 
gereicht oder  bei  oder  nach  der  gerichtlichen  oder  notariellen  Beurkundung  des  Vertrags 
das  Gericht  oder  den  Notar  mit  der  Einreichung  betraut  hatte. 

Die  nach  dem  Tode  des  Annehmenden  erfolgte  Bestätigung  hat  die  gleiche  Wirkung, 
wie  wenn  sie  vor  dem  Tode  erfolgt  wäre. 

§  1619  vergl.  1611c  Abs.  1  Satz  2. 

§  1619  a.  Auf  die  Wirksamkeit  der  Annahme  an  Kindesstatt  ist  es  ohne  Einflufs, 
wenn  bei  der  Bestätigung  des  Annahmevertrags  mit  Unrecht  angenommen  worden  ist, 
dafs  eine  der  in  den  §§  1606,  1610  bezeichneten  Personen  zur  Abgabe  einer  Erklärung 
dauernd  aufserstande  oder  ihr  Aufenthalt  dauernd  unbekannt  sei. 

§  1619  b.  (1601  Abs.  1,  1621.)  Durch  die  Annahme  an  Kindesstatt  erlangt  das 
Kind  die  rechtliche  Stellung  eines  ehelichen  Kindes  des  Annehmenden. 

Wird   von  Ehegatten    gemeinschaftlich    ein  Kind  angenommen    oder    nimmt   ein  Ehe- 
Dritte  Folge  Bd.  VJJI  (LX1II).  44 


690  Nationalökonomiscbe  Gesetzgebung. 

§§   1605,    1611   Satz  2,   1622  Abs.  3,    1623    Abs.    2,  4    gestrichen.     Neu 
aufgenommen  wurde  der  §   1631a    der    2.  Lesung.     Die    den    achten  Titel 


gatte  ein  Kind  des    anderen  Ehegatten  an.    so    erlangt    das  Kind    die    rechtliche  Stellung 
eines  gemeinschaftlichen  ehelichen  Kindes  der  Ehegatten. 

§  1620.  (1620  Abs.  1.)  Die  Wirkungen  der  Annahme  an  Kindesstatt  erstrecken 
sich  auf  die  Abkömmlinge  des  angenommenen  Kindes,  auf  einen  zur  Zeit  des  Vertrags- 
abschlusses schon  vorhandenen  Abkömmling  und  dessen  später  geborene  Abkömmlinge 
jedoch  nur  dann,  wenn  der  Vertrag  zugleich  mit  dem  schon  vorhandenen  Abkömmlinge 
geschlossen   worden   ist. 

§  1620  a.  (1620  Abs.  2.)  Die  Wirkungen  der  Annahme  an  Kindesstatt  erstrecken 
sich  nicht  auf  die  Verwandten  des  Annehmenden.  Der  Ehegatte  des  Annehmenden  ist 
nicht  mit  dem  Kinde ,  der  Ehegatte  des  Kindes  ist  nicht  mit  dem  Annehmenden  ver- 
schwägert. 

§   1620  b.     (1625.)      Die    zwischen    dem  Kinde    und    seinen    Verwandten    durch    die 
Verwandtschaft  begründeten   Rechte  und  Pflichten  werden  durch  die  Annahme  an  Kindes- 
statt nicht  berührt,  soweit  sich  nicht  aus  dem  Gesetz  ein  Anderes  ergiebt. 
§  1621   vergl.  §   1619  b  Abs.  2 

§  1622.  Das  angenommene  Kind  erhält  den  Familiennamen  des  Annehmenden. 
Wir  das  Kind  von  einer  Frau  angenommen,  die  infolge  ihrer  Verheiratung  einen  anderen 
Namen  führt,  so  erhält  es  den  Familiennamen ,  welchen  die  Frau  vor  der  Verheiratung 
geführt  hat.  In  den  Fällen  des  §  1619  b  Abs.  2  erhält  das  Kind  den  Familiennamen 
des  Mannes. 

Das  Kind  darf  dem  neuen  Namen  seinen  früheren  Familiennamen  hinzufügen,  sofern 
nicht  in  dem  Annahmevertrag  ein  Anderes  bestimmt  ist. 

§  1623.  Der  Annehmende  hat  über  das  Vermögen  des  Kindes,  soweit  es  auf  Grund 
der  elterlichen  Gewalt  seiner  Verwaltung  unterliegt,  auf  seine  Kosten  ein  Verzeichnis  auf- 
zunehmen und  dem  Vormundschaftsgericht  einzureichen.  Erfüllt  er  diese  Verpflichtung 
nicht,  so  kann  ihm  das  Vormundschaftsgericht  die  Vermögensverwaltung  entziehen.  Eine 
solche  Anordnung  kann  jederzeit  wieder  aufgehoben  werden. 

Will  der  Annehmende ,  während  er  die  elterliche  Gewalt  über  das  Kind  hat,  eine 
Ehe  eingehen,  so  finden  die  Vorschriften  der  §§  1548  bis   1552  Anwendung. 

§  1624.  Durch  die  Annahme  an  Kindesstatt  wird  ein  Erbrecht  für  den  Annehmenden 
nicht  begründet. 

§  1625  vergl.  §  1620  b. 

§  1626.  Durch  die  Annahme  an  Kindesstatt  verlieren  die  leiblichen  Eltern  die 
elterliche  Gewalt  über  das  Kind,  die  uneheliche  Mutter  das  Recht  und  die  Pflicht,  für 
die  Person  des  Kindes  zu  sorgen. 

Hat  der  Vater  oder  die  Mutter  dem  Kinde  den  Unterhalt  zu  gewähren ,  so  treten 
das  Recht  und  die  Pflicht,  für  die  Person  des  Kindes  zu  sorgen,  wieder  eiD,  wenn  die 
elterliche  Gewalt  des  Annehmenden  beendigt  ist  oder  in  der  Weise  ruht,  dafs  ihm  auch 
die  Sorge  für  die  Person  des  Kindes  nicht  zusteht.  Das  Recht  der  Vertretung  des  Kindes 
tritt  nicht  wieder  ein. 

§  1627.  Der  Annehmende  ist  dem  Kinde  und  dessen  Abkömmlingen  ,  soweit  sich 
die  Wirkungen  der  Annahme  auf  sie  erstrecken ,  vor  den  leiblichen  Verwandten  des 
Kindes  zur  Gewährung  des  Unterhalts  verpflichtet. 

Soweit  die  Vorschriften  über  die  Unterhaltspflicht  der  Verwandten  ein  Erb-  oder 
Pflichtteilsrecht  zwischen  dem  Bedürftigen  und  dem  Verpflichteten  voraussetzen,  gilt  bei 
der  Anwendung  dieser  Vorschriften  der  Annehmende  als  erb-  und  pflichtteilsberechtigt. 

§  1628.  In  dem  Annahmevertrage  kann  die  Nutzniefsung  des  Annehmenden  an  dem 
Vermögen  des  Kindes  sowie  das  Erbrecht  des  Kindes  dem  Annehmenden  gegenüber  aus- 
geschlossen werden. 

Im  übrigen  können,  vorbehaltlich  der  Vorschrift  des  §  1622  Abs.  2,  die  Wirkungen 
der  Annahme  an  Kindesstatt  in  dem  Annahmevertrage  nicht  geändert  werden. 

§  1629.  (1629  Abs.  1,  2,  4,  5.)  Das  durch  die  Annahme  an  Kindesstatt  begründete 
Rechtsverhältnis  kann  wieder  aufgehoben  werden.  Die  Aufhebung  kann  nicht  unter  einer 
Bedingung  oder  einer  Zeitbestimmung  erfolgen. 

Die  Aufhebung  erfolgt  durch  Vertrag  zwischen  den  Annehmenden,  dem  angenommenen 
Kinde  und  denjenigen  Abkömmlingen  des  Kindes,  auf  welche  sich  die  Wirkungen  der 
Annahme  erstrecken. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  691 

bildende  Vorschrift    des    §    1632    über   die    Feststellung    familien- 
rechtlicher Verhältnisse  wurde  sachlich  gebilligt. 

In  dem  von  der  Vormundschaft  handelnden  dritten  Abschnitt 
regelt  der  erste  Titel  die  Vormundschaft  über  Minderjährige. 
Die    auf    die    Anordnung    der    Vormundschaft    bezüglichen    Vor- 


Haben  Ehegatten  gemeinschaftlich  ein  Kind  angenommen  oder  hat  ein  Ehegatte  ein 
Kind  des  anderen  Ehegatten  angenommen,  so  bedarf  es  der  Teilnahme  beider  Ehegatten 
an  dem  Aufhebungsvertrage. 

§  1629  a.  (1629  Abs.  3,  4.)  Ist  das  Kind  oder  ist  in  den  Fällen  des  §  1629 
Abs.  3  einer  der  Ehegatten  verstorben,  so  bedarf  es  zur  Aufhebung  des  unter  den  übrigen 
Beteiligten   bestehenden  Rechtsverhältnisses  eines  Vertrags  nur  dieser   Personen. 

§  1629  b.  (1629  Abs.  5.)  Die  für  den  Annahmevertrag  und  dessen  Bestätigung 
geltenden  Vorschriften  der  §§  1611b  bis  1613  und  des  §  1618  gelten  auch  für  den 
Auf  hebungs  vertrag. 

§  1630.  Auf  die  Anfechtung  des  Annahme-  oder  des  Aufhebungsvertrags,  auf  die 
Anfechtung  der  Einwilligung  der  in  den  §§  1606,  1610  bezeichneten  Personen  sowie 
auf  die  Bestätigung  des  anfechtbaren  Rechtsgeschäfts  finden  die  Vorschriften  der  §§  1612, 
1613   und   des  §    1614   Abs.    2   entsprechende  Anwendung. 

§  1631.  Sehliefsen  Personen,  die  durch  Annahme  an  Kindesstatt  verbunden  sind, 
der  Vorschrift  des  §  1236  a  zuwider  eine  Ehe,  so  tritt  mit  der  Eheschließung  die  Auf- 
hebung des   durch  die  Annahme  zwischen   ihnen   begründeten  Rechtsverhältnisses   ein. 

Ist  die  Ehe  nichtig  oder  ist  sie  anfechtbar  und  angefochten,  so  wird ,  wenn  dem 
einen  Ehegatten  die  elterliche  Gewalt  über  den  anderen  zusteht,  diese  mit  der  Ehe- 
schliefsung  verwirkt  Die  Verwirkung  tritt  nicht  ein ,  wenn  die  Ehe  wegen  eines  Form- 
mangels nichtig  und  nicht   in   das  Heiratsregister  eingetragen   worden  ist. 

§  1631a.  Durch  die  Aufhebung  der  Annahme  an  Kindesstatt  verlieren  das  Kind 
und  diejenigen  Abkömmlinge  des  Kindes  ,  auf  welche  sich  die  Aufhebung  erstreckt,  das 
Recht,  den  Familiennamen  des  Annehmenden  zu  führen.  Diese  Vorschrift  findet  in  den 
Fällen  des  §  1619b  Abs.  2  keine  Anwendung,  wenn  die  Aufhebung  nach  dem  Tode 
eines  der  Ehegatten  erfolgt. 
§  1632  gestrichen. 

Anmerkung.  Im  Artikel  11  des  Entwurfes  des  Einführungsgesetzes  soll  zum  Er- 
sätze des  §  1632  folgende  Vorschrift  als  §  627  d  in  die  Civilprozefsordnung  eingestellt 
werden: 

Wird  die  Klage  auf  Feststellung  des  Bestehens  oder  des  Nichtbestehens  eines 
Eltern-  und  Kindesverhältnisses  zwischen  den  Parteien  oder  auf  Feststellung  des 
Bestehens  oder  des  Nichtbestehens  der  elterlichen  Gewalt  der  einen  Partei  über 
die  andere  erhoben ,  so  wirkt  das  Urteil,  welches  auf  eine  solche  Feststellungs- 
klage erlassen  und  noch  während  der  Lebenszeit  der  Parteien  rechtskräftig  ge- 
worden ist,  für  und  gegen  Alle.  Ein  das  Eltern-  und  Kindesverhältnis  oder 
die  elterliche  Gewalt  feststellendes  Urteil  wirkt  jedoch  gegen  einen  Dritten,  welcher 
das  elterliche  Verhältnis  oder  die  elterliche  Gewalt  für  sich  in  Anspruch  nimmt, 
nur  dann,  wenn  er  an   dem  Prozesse  teilgenommen  hatte. 

Die  Vorschriften  finden  keine  Anwendung  auf  den  Rechtsstreit,  welcher  die 
Feststellung  des  Bestehens  oder  des  Nichtbestehens  der  unehelichen  Vaterschaft 
zum  Gegenstande  hat. 

Dritter  Abschnitt. 

Vormundschaft. 

Erster  Titel. 

Vormundschaft  über  Minderjährige. 

I.    Anordnung  der  Vormundschaft. 

§   1633.     Ein  Minderjähriger  erhält  einen  Vormund,    wenn  er  nicht  unter  elterlicher 

Gewalt  steht  oder    wenn    er   zwar  unter    elterlicher  Gewalt  steht,  den  Eltern  aber   weder 

die    Vertretung    in   den  seine    Person    betreffenden    Angelegenheiten    noch    die    Sorge    für 

sein  Vermögen  zusteht. 

44* 


692  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

schritten  erfuhren   nur  geringe  Aenderungen  in  den  §§  1633,    1637  Abs.  1, 
1639,    1643  Nr.  5  und  8.     Während  der  in  §  1634  ausgesprochene  Grund- 


Ein  Minderjähriger  erhält  einen  Vormund  auch  dann,  wenn  sein  Familienstand  nicht 
zu  ermitteln  ist. 

§  1634.  Das  Vormundschaftsgericht  hat  die  Vormundschaft  von  Amtswegen  an- 
zuordnen. 

Anmerkung.  Der  Artikel  69  des  Entwurfes  des  Einliihruugsgesetzes  erhält 
folgende   Fassung ; 

Unberührt  bleiben  die  landesgesetzlichen  Vorschriften,  nach  welchen 
!.  der  Vorstand  einer  unter  staatlicher  Verwaltung  oder  Aufsicht  stehenden  Er- 
ziehuugs-  oder  Verpflegungsanstalt  oder  ein  Beamter  die  Rechte  und  Pflichten 
eines  Vormundes  für  diejenigen  Minderjährigen  hat,  welche  in  der  Anstalt  oder 
unter  der  Aufsicht  des  Vorstandes  oder  des  Beamten  in  einer  von  ihm  ausge- 
wählten Familie  oder  Anstalt  erzogen  oder  verpflegt  werden,  und  der  Vorstand 
der  Anstalt  oder  der  Beamte  auch  nach  der  Beendigung  der  Erziehung  oder  der 
Verpflegung  bis  zur  Volljährigkeit  des  Mündels  Vormund  bleibt,  unbeschadet  der 
Belugnis  des  Vormundschaftsgerichts,  einen   anderen  Vormund  zu  bestellen; 

2.  die  Vorschriften  unter  Nr.  1  bei  unehelichen  Minderjährigen  auch  dann  gelten, 
wenn  diese  unter  der  Aufsicht  des  Vorstandes  oder  des  Beamten  in  der  mütter- 
lichen Familie  erzogen  oder  verpflegt  werden  ; 

3.  der  Vorstand  einer  unter  staatlicher  Verwaltung  oder  Aufsicht  stehenden  Er- 
ziehungs-  oder  Verpflegungsanstalt  oder  ein  von  ihm  zu  bezeichnender  Ange- 
stellter der  Anstalt  oder  ein  Beamter  vor  den  nach  §  1635  des  Bürgerlichen 
Gesetzbuchs  als  Vormünder  berufenen  Personen  zum  Vormunde  der  unter  den 
Nr.    1,  2   bezeichneten  Minderjährigen   bestellt  werden  kann; 

4.  im  Falle  einer  nach  den  Vorschriften  unter  Nr.  1  bis  3  stattfindenden  Bevor- 
mundung ein  Gegenvormund  nicht  zu  bestellen  ist  und  dem  Vormunde  die  nach 
§    1690  des  Bürgerlichen   Gesetzbuchs  zulässigen  Befreiungen  zustehen. 

§   1635.     Als  Vormünder  sind  in  nachstehender  Reihenfolge  berufeu : 

1.  wer  von  dem  Vater  des  Müudels  als  Vormund  benannt  ist; 

2.  wer  von   der  ehelichen  Mutter  des  Mündels  als  Vormund  benannt  ist; 

3.  der  Grofsvater  des  Mündels  von  väterlicher  Seite; 

4.  der  Grofsvater  des  Mündels  von  mütterlicher  Seite. 

Die  Grofsvater  sind  nicht  berufen,  wenn  der  Mündel  von  einem  Anderen  als  dem 
Ehegatten  seines  Vaters  oder  seiner  Mutter  an  Kindesstatt  angenommen  ist.  Das  Gleiche 
gilt,  wenn  derjenige,  von  welchem  der  Mündel  abstammt,  von  einem  Anderen  als  dem 
Ehegatten  seines  Vaters  oder  seiner  Mutter  an  Kindesstatt  angenommen  ist  und  die 
Wirkungen  der  Annahme  sich  auf  den  Mündel  erstrecken. 

§  1636.  Der  Vater  kann  einen  Vormund  nur  benennen,  wenn  ihm  zur  Zeit  des 
Todes  die  Sorge  für  die  Person  und  das  Vermögen  des  Mündels  auf  Grund  der  elter- 
lichen Gewalt  zusteht.     Das  Gleiche  gilt  für  die  Mutter. 

Der  Vater  kann  auch  für  ein  nach  seinem  Tode  geborenes  Kind  einen  Vormund  er- 
nennen, wenn  er  im  Falle  der  vorher  erfolgten  Geburt    hierzu    berechtigt    gewesen  wäre. 

Die  Benennung  des  Vormundes  kann  nur  durch  Verfügung  von  Todeswegen  er- 
folgen. 

§  1637.  Wer  nach  §  1235  als  Vormund  berufen  ist,  darf  ohne  seine  Zustimmung 
nur  dann  übergangen  werden,  wenn  er  nach  den  §§  1640  bis  1642  von  der  Vormund- 
schaft ausgeschlossen  ist  oder  wenn  er  an  der  Uebernahme  der  Vormundschaft  verhindert 
ist  oder  die  Uebernahme  verzögert  oder  wenn  seine  Bestellung  das  Interesse  des  Müudels 
zu  gefährden  droht. 

War  der  Berufene  nur  vorübergehend  verhindert,  so  ist  er  nach  dem  Wegfalle  des 
Hindernisses  auf  seinen  Antrag  au  Stelle  des  bisherigen  Vormundes  zum  Vormunde  zu 
bestellen. 

Für  eine  Ehefrau  darf  der  Mann  vor  den  nach  §  1635  Berufenen,  für  ein  unehe- 
liches Kind  darf  die  Mutter  vor  dem  Grofsvater  zum  Vormunde  bestellt  werden. 

Neben  dem  Berufenen  darf  nur  mit  dessen  Zustimmung  ein  Mitvormund  bestellt 
werden. 

§  1638.     Ist  die  Vormundschaft  nicht  einem  nach  §  1635  Berufenen    zu   übertragen, 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  ß93 

satz,  dafs  die  Vormundschaft  von    dem  Vormundschaftsgericht    von   Amts- 
wegen angeordnet  wird,  gebilligt    wurde,     beschlofs    man,    den    in   Art.  79 


so  hat  das  Vormundschaftsgericht  nach  Anhörung  des  Gemeindewaisenrata  eine  Person 
als  Vormund  auszuwählen,  die  nach  ihren  persönlichen  Verhältnissen  und  ihrer  Ver- 
mögenslage sowie  nach  den  sonstigen  Umständen  zur  Führung  der  Vormundschaft  ge- 
eignet ist.  Verwandte  oder  Verschwägerte  des  Mündels  sind  zunächst  zu  berück- 
sichtigen. 

In  der  Regel  soll  für  den  Mündel  und,  wenn  mehrere  Geschwister  zu  bevormunden 
sind,  für  alle  Mündel  nur  ein  Vormund   bestellt  werden. 

Bei  der  Bestellung  des  Vormundes  kann  dessen  Entlassung  für  den  Fall  vorbehalten 
werden,  dafs  ein  bestimmtes  Ereignis   eintritt  oder  nicht  eintritt. 

§  1639  vergl.  §   1643  a. 

§  1640.  (1640  Nr.  1,  1646  Abs.  1.)  Zum  Vormunde  kann  nicht  bestellt  werden, 
wer  geschäftsunfähig  oder  wegen  Geistesschwäche,  Verschwendung  oder  Trunksucht  ent- 
mündigt ist. 

§  1640  a.  (1640  Nr.  1  bis  3,  1646  Abs.  2.)  Zum  Vormunde  soll  nicht  bestellt 
werden: 

1.  wer  minderjährig  oder  nach  den  §§  1727,    1737   unter  Vormundschaft  gestellt  ist; 

2.  wer  in  Konkurs  verfallen  ist,    während   der   Dauer  des  Konkurses; 

3.  wer  der  bürgerlichen  Ehrenrechte  für  verlustig  erklärt    ist,    nach  Mafsgabe  der  Vor- 
schriften des  Strafgesetzbuchs. 

§  1640  b.  (1640  Nr.  5,  1646  Abs.  2.)  Zum  Vormunde  soll  nicht  bestellt  werden, 
wer  von  dem  Vater  oder  der  ehelichen  Mutter  des  Mündels  von  der  Vormundschaft  aus- 
geschlossen ist.  Der  von  dem  Vater  als  Vormund  Benannte  kann  von  der  Mutter  nicht 
ausgeschlossen  werden. 

Auf  die  Ausschliefsung  von  der  Vormundschaft  finden  die  Vorschriften  des  §  1636 
Anwendung. 

§  1641.  (1640  Nr.  4,  1641,  1646  Abs.  2.)  Zum  Vormunde  soll  nicht  eine  Frau 
bestellt  werden.  Ausgenommen  sind  die  Mutter  und  die  Grofsmutter  sowie  eine  Frau, 
die  von  dem  Vater  oder  der  ehelichen  Mutter  als  Vormund   benannt  ist. 

Eine  Frau,  die  mit  einem  Anderen  als  dem  Vater  des  Mündels  verheiratet  ist,  darf 
nur  mit  Zustimmung  ihres   Mannes  zum  Vormunde  bestellt  werden. 

§  1642.  (1642,  1646  Abs.  2.)  Ein  Beamter  oder  ein  Religionsdiener,  der  nach  den 
Landesgesetzen  einer  besonderen  Erlaubnis  zur  Uebernahme  einer  Vormundschaft  bedarf, 
soll  nicht  ohne  die  vorgeschriebene  Erlaubnis  zum  Vormunde  bestellt  werden. 

§  1643.     Die  Uebernahme  der  Vormundschaft  kann  ablehnen  : 

1.  eine  Frau  ; 

2.  wer  das  sechszigste  Lebensjahr  vollendet  hat ; 

3.  wer  mehr  als  vier  minderjährige,  eheliche  Kinder  hat ;  ein  von  einem  Anderen  an 
Kindesstatt  angenommenes  Kind  wird  nicht  gerechnet ; 

4.  wer  durch  Krankheit  oder  durch  ein  Gebrechen  verhindert  wird,  die  Vormundschaft 
ordnungsmäfsig  zu  führen ; 

5.  wer  wegen  Entfernung  seines  Wohnsitzes  von  dem  Sitze  des  Vormundschaftsgerichts 
die  Vormundschaft  nicht  ohne  besondere  Belästigung  führen  kann  ; 

6.  wer  nach  §  1689  zur  Sicherheitsleistung  angehalten  wird; 

7.  wer  mit  einem  Anderen  zur  gemeinschaftlichen  Führung  der  Vormundschaft  bestellt 
werden  soll; 

8.  wer  mehr  als  eine  Vormundschaft  oder  Pflegschaft  führt ;  die  Vormundschaft  oder 
Pflegschaft  über  mehrere  Geschwister  gilt  nur  als  eine ;  die  Führung  von  zwei 
Gegenvormundschaften  steht  der  Führung  einer  Vormundschaft  gleich. 

§  1643  a.  (1639)  Jeder  Deutsche  hat  die  Vormundschaft,  für  welche  er  von  dem 
Vormundschaftsgericht  ausgewählt  wird ,  zu  übernehmen  ,  sofern  er  nicht  nach  den 
§§  1640  bis  1642  von  der  Vormundschaft  ausgeschlossen  oder  nach  §  1643  zur  Ab- 
lehnung berechtigt  ist. 

Lehnt  er  die  Uebernahme  ohne  Grund  ab,  so  ist  er,  soweit  ihm  ein  Verschulden 
zur  Last  fällt,  für  den  aus  der  Verzögerung  der  Bestellung  eines  Vormundes  dem  Mündel 
entstehenden  Schaden  verantwortlich. 

Das   Vormundschaftsgericht  kann  den  zum  Vormund  Ausgewählten    durch  Ordnung»- 


694  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

des  Entwurfs  des  Einführungsgesetzes  enthaltenen  Vorbehalt  für  die  Landes- 
gesetze bezüglich  der  gesetzlichen  Vormundschaft  der  Vorstände  von  Ver- 
pfiegungsanstalten  nach  mehreren  Richtungen  zu  erweitern.  Man  gestattete 
den  Landesgesetzen  insbesondere  auch,  einem  öffentlichen  Beamten  die 
Vormundschaft  über  solche  Minderjährige  zu  übertragen,  die  unter  seiner  Auf- 
sicht in  einer  von  ihm  ausgewählten  Familie  oder  Anstalt  erzogen  oder 
verpflegt  werden,  sowie  über  uneheliche  Minderjährige  auch  dann,  wenn 
sie  unter  seiner  Aufsicht  in  der  Familie  der  unehelichen  Mutter  erzogen 
oder  verpflegt  werden.  Der  hauptsächlichste  Zweck  dieser  Erweiterungen 
war,  die  au  verschiedenen  Orten  (insbesondere  in  Leipzig),  geschaffenen 
Einrichtungen ,  die  auf  einen  wirksameren  vormundschaftlichen  Schutz 
der  Unehelichen  abzielen,  auch  für  die  Zukunft  Raum  zu  weiterer  Ent- 
wich eluug  und  Ausbreitung  zu  lassen.  Zu  §  1638  wurde  der  Vorschlag, 
mit  der  preufs.  Vormundschaftsordnung  besonders  auszusprechen,  dafs  bei 
der  Auswahl  des  Vormundes  auf  das  religiöse  Bekenntnis  Rücksicht  zu 
nehmen  sei,  abgelehnt,  weil  die  Mehrheit  von  der  ausdrücklichen  Hervor- 
hebung unerwünschte  Folgen  befürchtete  und  es  für  genügend  hielt,  das 
Vormundschaftsgericht  zur  Auswahl  eines  nach  seinen  persönlichen  Ver- 
hältnissen geeigneten  Vormunds  zu  verpflichten.  Dagegen  ergänzte  die 
Kommission  den  Entwurf  später  durch  die  Bestimmung,  dafs  dem  Vor- 
munde vom  Vormundschaftsgericht  die  Sorge  füi  die  religiöse  Erziehung 
des  Mündels  entzogen  werden  kann,  wenn  der  Vormund  nicht  dem  Bekennt- 
nis angehört,  in  welchem  der  Mündel  zu  erziehen  ist.  (Bezüglich  des 
§    1646  vergl.  unten  zu  §    1707.) 


strafen  zur  Uebernahme  der  Vormundschaft  anhalten.  Die  einzelne  Strafe  darf  den  Be- 
trag von  dreihundert  Mark  nicht  überschreiten.  Die  Strafen  sind  nur  in  Zwischenräumen 
von  mindestens  einer  Woche  zu  verhängen.  Mehr  als  drei  Strafen  dürfen  nicht  verhängt 
werden. 

§  1644.  Das  Ablehnungsrecht  geht  verloren,  wenn  es  nicht  vor  der  Verpflichtung 
bei  dem   Vormundschaftsgerichte  geltend  gemacht  wird. 

Erklärt  das  Vormundschaftsgericht  die  Ablehnung  für  unbegründet,  so  hat  der  Ab- 
lehnende, unbeschadet  der  ihm  zustehenden  Rechtsmittel,  die  Vormundschaft  auf  Erfordern 
des  Vormundschaftsgerichts  vorläufig  zu  übernehmen. 

§  1645.  (1645  Abs.  1.)  Der  Vormund  wird  von  dem  Vormundschaftsgerichte  durch 
Verpflichtung  zu  treuer  und  gewissenhafter  Führung  der  Vormundschaft  bestellt.  Die 
Verpflichtung  soll   mittels  Handschlags  an   Eidesstatt  erfolgen. 

§  1645  a.  (1645  Abs.  2.)  Der  Vormund  erhält  eine  BestalluDg.  Die  Bestallung 
soll  enthalten  den  Namen  und  die  Zeit  der  Geburt  des  Mündels,  die  Namen  des  Vor- 
mundes, des  Gegenvormundes  und  der  Mitvormünder  sowie  im  Falle  der  Teilung  der  Vor- 
mundschaft die  Art  der  Teilung.     Ist  ein  Familienrat  eingesetzt,  so  ist  auch  dies  anzugeben. 

§   1646.     Abs.   1   vergl.  §   1640.     Abs.   2  vergl.  §§  1640  a  bis  1642. 

§   1647.     Neben  dem   Vormunde  kann  ein   Gegenvormund  bestellt  werden. 

Ein  Gegenvormund  soll  bestellt  werden,  wenn  mit  der  Vormundschaft  eine  Ver- 
mögensverwaltung verbunden  ist,  es  sei  denn,  dafs  die  Verwaltung  eine  nicht  erhebliche 
ist  oder  dafs  die  Vormundschaft  von  mehreren  Vormündern  gemeinschaftlich   zu  führen  ist, 

Ist  die  Vormundschaft  von  mehreren  Vormündern  nicht  gemeinschaftlich  zu  führen, 
so  kann  der  eine  Vormund  zum  Gegenvormunde  des  anderen  bestellt  werden. 

Auf  die  Berufung  und  Bestellung  des  Gegenvormundes  finden  die  für  die  Berufung 
und  Bestellung  des  Vormundes  geltenden  Vorschriften  Anwendung. 

II.   Führung  der  Vormundschaft. 
§  1648.  (1648  bis  1650.)     Der    Vormund    hat    das    Recht    und    die  Pflicht,    für    die 
Person    und    das  Vermögen    des  Mündels    zu    sorgen,    insbesondere    den   Mündel    zu    ver- 
treten.    Ausgenommen  sind  solche  Angelegenheiten,  für  die  ein  Pfleger  bestellt  ist. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  695 

In  den   Vorschriften  über   die    Führung    der    Vormundschaft 
wurde    zunächst    durch    den    Zusatz    des    S    1654   Abs.   2    der    2.   Lesung 


§  1649  vergl.  §  1648  Satz  L. 
§  1650  vergl.  §  1648  Satz  2. 
§   1651.   (1651   Nr.    1   bis  3.)     Der  Vormund   kann  den   Mündel  nicht  vertreten: 

1.  bei  einem  Rechtsgeschäfte  zwischen  seinem  Ehegatten  oder  einem  seiner  Verwandten 
in  gerader  Linie  einerseits  und  dem  Mündel  andererseits ,  es  sei  denn,  dafs  das 
Rechtsgeschäft  ausschliefslich  in  der  Erfüllung  einer  Verbindlichkeit  besteht; 

2.  bei  einem  Rechtsgeschäfte,  welches  die  Uebertragung  oder  Belastung  einer  durch 
Pfandrecht,  Hypothek  oder  Bürgschaft  gesicherten  Forderung  des  Mündels  gegen 
den  Vormund  oder  die  Aufhebung  oder  Minderung  dieser  Sicherheit  oder  die  Be- 
gründung der  Verpflichtung  des  Mündels  zu  einer  solchen  Uebertragung,  Belastung, 
Aufhebung  oder  Minderung  zum   Gegenstande   hat ; 

3.  bei  einem  Rechtsstreite  zwischen  den  unter  Nr.  1  bezeichneten  Personen  sowie  bei 
einem  Rechtsstreit  über  eine  Angelegenheit  der  unter  Nr.   2   bezeichneten  Art. 

Die  Vorschrift  des  §   149   bleibt   unberührt. 

§  1651  a.  (1651  Nr.  4.)  Das  Vormundschaftsgericht  kann  dem  Vormunde  die  Ver- 
tretung für  gewisse  Arten  von  Angelegenheiten  oder  für  einzelne  Angelegenheiten  ent- 
ziehen. 

Die  Entziehung  soll  nur  erfolgen,  wenn  das  Interesse  des  Mündels  zu  dem  Interesse 
des  Vormundes  oder  zu  dem  Interesse  eines  von  diesem  vertretenen  Dritten  oder  einer 
der  im  §   1651   Nr.    1    bezeichneten  Personen  in  erheblichen   Gegeusatz  tritt. 

§  1652.  Mehrere  Vormünder  führen  die  Vormundschaft  gemeinschaftlich.  Bei 
einer  Meinungsverschiedenheit  entscheidet  das  Vormundschaftsgericht  ,  sofern  nicht  bei 
der  Bestellung  ein  Anderes   bestimmt  worden  ist. 

Das  Vormundschaftsgericht  kann  die  Führung  der  Vormundschaft  unter  mehrere  Vor- 
münder nach  bestimmten  Wirkungskreisen  verteilen.  Die  Vormundschaft  wird  in  diesem 
Falle  von  jedem  Vormunde  für  den  ihm  überwiesenen  Wirkungskreis  selbständig 
geführt. 

Bestimmungen,  welche  der  Vater  oder  die  Mutter  für  die  Entscheidung  von  Meinungs- 
verschiedenheiten zwischen  den  von  ihnen  benannten  Vormündern  oder  für  die  Ver- 
teilung der  Geschäfte  unter  diesen  nach  Mafsgabe  des  §  1636  getroffen  hat.  sind  von 
dem  Vormundschaftsgerichte  zu  befolgen,  sofern  nicht  ihre  Befolgung  das  Interesse  des 
Mündels  zu  gefährden  droht. 

§  1653.  Steht  die  Sorge  für  die  Person  und  für  das  Vermögen  des  Mündels  ver- 
schiedenen Vormündern  zu,  so  entscheidet  bei  einer  Meinungsverschiedenheit  zwischen 
ihnen  über  die  Vornahme  einer  sowohl  die  Person  als  das  Vermögen  des  Mündels  betref- 
fenden Handlung  das  Vormundschaftsgericht. 

§  1654.  Der  Gegenvormund  hat  darauf  zu  achten,  dafs  der  Vormund  die  Vormund- 
schaft pflichtmäfsig  führt ;  er  hat  dem  Vormundschaftsgerichte  Pflichtwidrigkeiten  des  Vor- 
mundes und  jeden  Fall,  in  welchem  es  zum  Einschreiten  berufen  ist,  insbesondere  den 
Tod  des  Vormundes  oder  Umstände,  die  den  Vormund  von  der  Vormundschaft  ausschliefsen. 
unverzüglich  anzuzeigen. 

Der  Vormund  hat  dem  Gegenvormund  auf  Verlangen  über  die  Führung  der  Vor- 
mundschaft Auskunft  zu  erteilen  und  die  Einsicht  der  sich  auf  die  Vormundschaft  bezie- 
henden  Papiere  zu  gestatten. 

§  1655.  (1655,  1657.)  Das  Recht  und  die  Pflicht  des  Vormundes,  für  die  Person 
des  Mündels  zu  sorgen,  bestimmt  sich  nach  den  für  die  elterliche  Gewalt  geltenden  Vor- 
schriften der  §§   1504,   1505,   1509. 

Zu  dem  Antrage  des  Vormundes  auf  Entlassung  des  Mündels  aus  dem  Staatsverband 
ist  die  Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts  erforderlich. 

Anmerkung.  Zum  teilweisen  Ersätze  des  §  1657  des  Entw.  I  erhält  der  §  836c 
der  Civilprozefsordnung  (vgl.  Anmerkung  1   zu  §  9  der  2.   Lesung)  folgenden  Zusatz : 

Der    gesetzliche  Vertreter    bedarf    zu    dem  Antrage    der  Genehmigung    des  Vor- 
mundschaftsgerichts. 

§  1655  a.  Die  Sorge  für  die  religiöse  Erziehung  des  Mündels  kann  dem  Vormunde 
vom  Vormundschaftsgericht  entzogen  werden,  wenn  der  Vormund  nicht  dem  Bekenntnis 
angehört,  in  welchem  der  Mündel  zu  erziehen  ist. 


696  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

die  Stellung  des  Gegenvormundes  näher  bestimmt.  Der  §  1656  wurde 
als  selbstverständlich  weggelassen.  Die  §§  1657,  1659,  1660  Abs.  2  Satz  2 
erfuhren  unbedeutende  Aenderungen.  Erheblichere  Abweichungen  vom 
Entwurf  beschlofs  man  dagegen  in  betreff  der  Vorschriften  über  die  An- 
legung des  Geldes  des  Mündels.  Dafs  unter  den  zulässigen  Anlegungs- 
arten auch  die  Anlegung  in  sicheren  Eentenschulden  und  in  Buchforderungen, 
die  in  das  Reichsschuldbuch  oder  in  ein  deutsches  Staatsschuldbuch  ein- 
getragen sind,  erwähnt  wurden,  war  lediglich  eine  Folgerung  aus  früheren 
Beschlüssen.  Der  Entwurf  gestattet  ferner  die  Anlegung  bei  einer  in- 
ländischen öffentlichen  Sparkasse,  wenn  diese  obrigkeitlich  bestätigt  ist. 
Das  letztere  Erfordernis  erschien  entbehrlich  und  unzweckmäfsig.  Man 
hielt  es  aber  für  bedenklich,  jede  inländische  öffentliche  Sparkasse  als 
zulässige  Anlegungsstelle  anzuerkennen,  da  unter  öffentlichen  auch  alle 
nicht  auf  die  Benutzung  durch  einen  bestimmten  Personenkreis  beschränkten 
Sparkassen  verstanden  werden  könnten.  Eine  einheitliche  reichsrechtliche 
Kennzeichnung  der  geeigneten  Sparkassen  erschien  unthunlich ;  man  über- 
liefs  daher  der  zuständigen  Behörde  des  betreffenden  Bundesstaats  die 
Entscheidung.      Der   Abs.  2  Nr.  2 — 4  des  §  1664  wurde  sodann    dadurch 


§  1656  gestrichen. 

§   1657  vergl.  1655  Abs.  2. 

§  1658  gestrichen. 

§  1659.  Der  Vormund  hat  ein  Verzeichnis  des  bei  der  Anordnung  der  Vormund- 
schaft vorhandenen  oder  später  dem  Mündel  zufallenden  Vermögens  aufzunehmen  und 
mit  der  pflichtmäfsigen  Versicherung  der  Richtigkeit  und  Vollständigkeit  dem  Vormund- 
schaftsgericht einzureichen.  Ist  ein  Gegenvormund  vorhanden,  so  ist  das  Verzeichnis 
unter  seiner  Zuziehung  aufzunehmen  und  auch  von  ihm  mit  der  pflichtmäfsigen  Versiche- 
rung der  Richtigkeit  und  Vollständigkeit  zu  versehen. 

Der  Vormund  kann  sich  bei  der  Aufnahme  des  Verzeichnisses  der  Hilfe  eines  Beamten, 
eines  Notars  oder  eines  anderen  Sachverständigen  bedienen. 

Ist  das  eingereichte  Verzeichnis  ungenügend,  so  kann  das  Vormundschaftsgericht 
anordnen,  dafs  das  Verzeichnis  durch  eine  zuständige  Behörde  oder  durch  einen  zustän- 
digen  Beamten   oder  Notar  aufgenommen  werde. 

§  1660.  Was  der  Mündel  von  Todeswegen  erwirbt  oder  was  ihm  unter  Lebenden 
von  einem  Dritten  unentgeltlich  zugewendet  wird,  hat  der  Vormund  nach  den  Anord- 
nungen des  Erblassers  oder  des  Dritten  zu  verwalten,  wenn  die  Anordnungen  von  dem 
Erblasser  durch  Verfügung  von  Todeswegen,  von  dem  Dritteu  bei  der  Zuwendung  ge- 
troffen worden  sind. 

Der  Vormund  darf  von  den  Anordnungen  mit  Genehmigung  des  Vormundschafts- 
gerichts abweichen,    wenn  ihre  Befolgung  das  Interesse    des  Mündels  zu  gefährden  droht. 

Zu  einer  Abweichung  von  den  Anordnungen,  welche  ein  Dritter  bei  einer  Zuwen- 
dung unter  Lebenden  getroffen  hat,  ist,  solange  er  lebt,  seine  Zustimmung  erforderlich  und 
genügend.  Die  Zustimmung  des  Dritten  kann  durch  das  Vormundschaftsgericht  ersetzt 
werden  ,  wenn  der  Dritte  zur  Abgabe  einer  Erklärung  dauernd  aufserstande  oder  sein 
Aufenthalt  dauernd  unbekannt  ist. 

§  1661.  Der  Vormund  kann  in  Vertretung  des  Mündels  Schenkungen  nicht  machen. 
Ausgenommen  sind  Schenkungen  ,  durch  die  einer  sittlichen  Pflicht  oder  einer  auf  den 
Anstand  zu  nehmenden  Rücksicht  entsprochen  wird. 

§  1662.  Der  Vormund  darf  Vermögen  des  Mündels  nicht  in  eigenen  Nutzen  ver- 
wenden. 

§  1663.  Der  Vormund  soll  nicht  ohne  Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts 
ein  neues  Erwerbsgeschäft  im  Namen  des  Mündels  beginnen  oder  ein  bestehendes  Erwerbs- 
geschäft des  Mündels  auflösen. 

§  1664  Der  Vormund  hat  das  zum  Vermögen  des  Mündels  gehörende  Geld  ver- 
zinslich anzulegen,  soweit  es  nicht  zur  Bestreitung  der  für  die  ordnungsmäfsige  Verwal- 
tung erforderlichen  Ausgaben  bereit  zu  halten  ist. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  697 

verdeutlicht  oder  erweitert,  dafs  statt  „Schuldverschreibungen"  gesetzt 
wurde  „verbriefte  Forderungen".  Da  es  für  die  Anlegung  von  Mündel- 
geldern nicht  auf  die  Umlaufsfähigkeit,  sondern  auf  die  Sicherheit  der 
Anlagewerte  ankommt,  sah  man  keinen  Grund,  die  im  Entwurf  bezeich- 
neten Schuldverschreibungen  nur  dann  zuzulassen,  wenn  sie  Wertpapiere 
seien. 

Sehr  ausführlich  wurde  die  in  §  1664  Abs.  3  behandelte  Frage 
erörtert,  ob  und  in  welcher  Weise  die  Voraussetzungen  für  die  mündel- 
mäfsige  Sicherheit  von  Hypotheken  und  Grundschulden  näher  geregelt 
werden  solle.  Da  für  die  Anlegung  von  Geldern  in  weitem  Umfang 
gesetzlich  oder  statutarisch  mündelmäfsige  Sicherheit  vorgeschrieben  ist, 
handelte  es  sich  um  eine  Entscheidung  von  grofser  Tragweite.  Der  Ent- 
wurf bestimmt  im  Anschlufs  an  das  in  Preufsen  und  Sachsen  geltende 
Recht  die  Beleihungsgrenze  bei  landwirtschaftlichen  Grundstücken  auf 
zwei  Dritteile,  bei  anderen  Grundstücken  auf  die  Hälfte  des  Wertes  des 
Grundstücks  und  gestattet  zugleich  den  Landesgesetzen,  für  die  in  ihrem 
Geltungsbereich  gelegenen  Grundstücke  die  Grundsätze  für  die  Festsetzung 
des  Wertes  der  Grundstücke  zu  bestimmen.  Gegen  diese  Regelung  wurden 
Bedenken  dahin  geäufsert,  dafs  nach  der  heutigen  Lage  der  Landwirt- 
schaft die  Beleihungsgrenze  für  landwirtschaftliche  Grundstücke  zu  hoch 
bemessen  sei,  und  es  wurde  zum  Teil  schlechthin,  zum  Teil  wenigstens 
für  den  Fall ,  dafs  der  Hypothek  ein  anderes  Recht  von  erheblichem 
Betrage  vorgeht,  die  Herabsetzung  der  Beleihbarkeit  auf  die  Hälfte  des 
Wertes  vorgeschlagen.  Ein  anderer  Antrag  ging  dahin,  den  Abs.  3  des 
§  1664  ersatzlos  zu  streichen  und  dadurch  reichsrechtlich  die  Bestimmung 
der  mündelmäfsigen  Sicherheit  der  Prüfung  des  einzelnen  Falles  zu  über- 
lassen. Dieser  Vorschlag  fand  jedoch  keinen  Anklang,  da  man  für  uner- 
läfslich  hielt,  den  zur  Prüfung  der  Mündelmäfsigkeit  Berufenen  einen 
gesetzlichen  Anhalt  zu  gewähren.  Einverständnis  bestand  auch  darüber, 
dafs  eine  reichsrechtliche  Entscheidung  der  Frage  sehr  wünschenswert 
sei.  Die  Mehrheit  hielt  es  jedoch  für  bedenklich,  reichsrechtlich  an  der 
vom  Entwurf  festgestellten  Beleihungsgrenze'für^landwirtschaftliche  Grund- 


Die  Anlegung:  soll  nur  erfolgen  : 

1.  in  sicheren  Hypothekenforderungen,  Grundschulden  oder  Rentenschulden  an  inländi- 
schen Grundstücken ; 

2.  in  verbrieften  Forderungen  gegen  das  Reich  oder  einen  Bundesstaat  sowie  in  Buch- 
forderungen, welche  in  das  Reichsschuldbuch  oder  in  das  Staatsschuldbuch  eines 
Bundesstaats  eingetragen  sind  ; 

3.  in  verbrieften  Forderungen,  deren  Verzinsung  von  dem  Reiche  oder  einem  Bundes- 
staate gewährleistet  ist ; 

4.  in  verbrieften  Forderungen  gegen  inländische  kommunale  Körperschaften  oder  Kredit- 
anstalten solcher  Körperschaften,  wenn  sie  entweder  von  Seiten  des  Gläubigers  kündbar 
sind  oder  einer  regelmäfsigen  Tilgung  unterliegen  ; 

5.  in  Wertpapieren,  die  vom  Bundesrat  als  zur  Anlegung  von  Mündelgeldern  geeignet 
erklärt  sind; 

6.  bei  einer  inländischen  öffentlichen  Sparkasse,  wenn  sie  von  der  zuständigen  Behörde 
des  Bundesstaats,  in  welchem  sie  ihren  Sitz  hat,  zur  Annahme  von  Mündelgeldern 
für  geeignet  erklärt  ist. 

Die  Landesgesetze  können  für  die  innerhalb  ihres  Geltungsbereichs  belegenen  Grund- 
stücke die  Grundsätze  bestimmen,  nach  welchen  die  Sicherheit  einer  Hypotheken  forderung, 
einer  Grundschuld  oder  einer  Rentenschuld  festzustellen  ist. 


698  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

stücke  festzuhalten,  da  nach  den  in  der  Beratung  gemachten  Mitteilungen 
die  Besorgnis  nicht  ungerechtfertigt  sei,  dafs  diese  Regelung  zu  Verlusten 
an  Mündelgeldern  führen  könne.  Nicht  minder  aher  trug  sie  wegen  der 
Gefahr  einer  erheblichen  Erschütterung  des  landwirtschaftlichen  Kredits 
Bedenken,  die  Beleihungsgrenze  reichsrechtlich  herabzusetzen.  Da  aufser- 
dem  auch  die  Bestimmung  der  Grundsätze  für  die  Wertermittelung  doch 
den  Landesgesetzen  überlassen  bleibeu  müsse,  infolge  dessen  aber  die 
reichsrechtliche  Feststellung  der  Beleihungsgrenze  doch  nur  formelle 
Rechtseinheit  schaffe,  so  entschied  sich  die  Mehrheit  dahin,  auch  die 
Feststellung  der  Beleihungsgrenze  der  Landesgesetzgebung  vorzubehalten. 
Der  §  1666  Abs.  1  erlitt  zwei  erheblichere  Aenderungen.  Einer- 
seits verpflichtete  man  den  Vormund,  zur  Anlegung  von  Mündelgeldern 
gemäfs  §§  1664,  1665  ohne  Unterschied  der  Art  der  Anlegung  die  Ge- 
nehmigung des  Gegenvormundes,  wenn  ein  solcher  vorhanden  ist,  einzu- 
holen. Andererseits  bestimmte  man  für  die  Fälle ,  in  denen  ein  Gegen- 
vormund nicht  vorhanden  ist,  dafs  der  Vormund  die  Anlegung  nur  mit 
Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts  bewirken  solle.  Die  zweite 
Aenderung  bezweckte  einen  erweiterten  Schutz  der  Mündel  mit  kleineren 
Vermögen,  für  die  ein  Gegenvormund  nicht  bestellt  ist.  Die  zu  den 
§§  1669 — 1671  beschlossenen  Aenderungen  könuen  hier  übergangen  werden. 


§  1665.  Kann  die  im  §  1664  vorgeschriebene  Anlegung  den  Umständen  nach  nicht 
erfolgen,  so  ist  das  Geld  bei  der  Reichsbank,  bei  einer  Staatsbank,  oder  bei  einer  anderen 
landesgesetzlich  dazu  für  geeignet  erklärten  inländischen  Bank  oder  bei  einer  Hinter- 
legungsstelle anzulegen. 

§  1666.  Der  Vormund  soll  die  in  den  §§  1664,  1665  vorgeschriebene  Anlegung, 
wenn  ein  Gegenvormund  vorhanden  ist ,  nur  mit  dessen  Genehmigung  ,  anderenfalls  nur 
mit  Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts  vornehmen.  Die  Genehmigung  des  Gegen- 
vormundes wird  durch  die  Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts  ersetzt. 

Die  nach  §  1664  Abs.  2  Nr.  6  und  nach  §  1665  zulässige  Anlegung  darf  der  Vor- 
mund nur  mit  der  Bestimmung  vornehmen  ,  dafs  zur  Erhebung  des  Oeldes  die  Genehmi- 
gung des  Gegenvormundes  oder  des  Vormundschaftsgerichts  erforderlich  ist. 

§  1667.  Das  Vormundschaftsgericht  kann  aus  besonderen  Gründen  dem  Vormund 
eine  andere  Anlegung  als  die  in  den  §§   1664,    1665  vorgeschriebene   gestatten. 

§  1668.  Der  Vormund  darf  Geld,  das  zur  Bestreitung  der  für  die  ordnungsmäfsige 
Verwaltung  erforderlichen  Ausgaben  bereit  zu  halten,  aber  zunächst  nicht  zu  verwenden 
ist,  in  jeder  geeigneten  Weise  anlegen. 

§  1669.  (1669  Abs.  1,  3.)  Der  Vormund  bedarf  der  Genehmigung  des  Gegenvor- 
mundes zur  Verfügung  über  eine  Forderung  oder  ein  anderes  Recht,  kraft  dessen  der 
Mündel  eine  Leistung  verlangen  kann  ,  oder  über  ein  Wertpapier  des  Mündels  sowie  zur 
Eingehung  einer  Verpflichtung  zu  einer  solchen  Verfügung,  es  sei  denn,  dafs  nach  den 
§§  1671,   1674  die  Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts  erforderlich  ist. 

Die  Genehmigung  des  Gegenvormundes  wird  durch  die  Genehmigung  des  Vormund- 
schaftsgerichts ersetzt.  Ist  ein  Gegenvormund  nicht  vorhanden,  so  tritt  an  die  Stelle  der 
Genehmigung  des  Gegenvormundes  die  Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts  ,  sofern 
nicht  die  Vormundschaft  von  mehreren  Vormündern  gemeinschaftlich  geführt  wird. 

§  1669  a.  (1669  Abs.  2.)  Der  Vormund  bedarf  nicht  der  im  §  1669  vorgeschrie- 
benen Genehmigung  des  Gegenvormundes  zur  Annahme  einer  geschuldeten  Leistung : 

1.  wenn  der  Gegenstand  der  Leistung  nicht  in  Geld  oder  Wertpapieren  besteht; 

2.  wenn  der  Anspruch  zu  den  Nutzungen  des  Mündelvermögens  gehört; 

3.  wenn  der  Anspruch  auf  Erstattung    von  Kosten  der  Kündigung  oder  der  Rechtsver- 
folgung oder  auf  andere  Nebenleistungen  gerichtet  ist  ; 

4.  wenn    der  Anspruch    auf  Rückzahlung    des    nach    §  1668    angelegten  Geldes  gerich- 
tet ist; 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  699 

Die  §§   1672,   1673  -wurden  ah  selbstverständlich  gestrichen.    Den  in 
§  1674  aufgezählten  Rechtsgeschäften,  zu  welchen  der  Vormund  der  Ge- 


I 


5.  wenn  der  Gegenstand  des  Anspruchs  den  Betrag  von  dreihundert  Mark  nicht  über- 
steigt, es  sei  denn,    dafs  Geld  zurückgezahlt    werden  soll,    das  nach    §  1666  Abs.  2 

angelegt  ist. 

§  1670.  (1670  Abs.  1.)  Der  Vormund  hat  die  zu  dem  Mündelvermögen  gehören- 
den Inhaberpapiere  nebst  den  Erneuerungsscheinen  bei  einer  Hinterlegungsstelle  oder  bei 
der  Reichsbank  mit  der  Bestimmung  zu  hinterlegen  ,  dafs  die  Zurücknahme  der  Papiere 
nur  mit  Genehmigung  des  Vormun<lschaftsgerichts  erfolgen  kann.  Die  Hinterlegung  von 
Inhaberpapieren,  die  zu  den  vei brauchbaren  Sachen  gehören,  sowie  von  Zins-,  Renten- 
oder Gewinnanteilscheinen  ist  nicht  erforderlich.  Den  Inhaberpapieren  stehen  Order- 
papiere gleich,  die  mit  einem  Blankoindossamente  versehen  sind. 

§  1670  a.  (1670  Abs.  1.)  Der  Vormund  kann  die  Inhaberpapiere,  statt  sie  nach 
§  1670  zu  hinterlegen ,  auf  den  Namen  des  Mündels  mit  der  Bestimmung  umschreiben 
oder  in  Buchschulden  des  Reichs  oder  eines  Bundesstaats  umwandeln  lassen,  dafs  er 
über  die  umgeschriebenen  Papiere  oder  die  Buchforderungen  nur  mit  Genehmigung  des 
Vormundschaftsgerichts  verfügen  kann. 

Sind  Reichsschuldverschreibungen  oder  solche  Schuldverschreibungen  eines  Bundes- 
staats, die  in  Buchschulden  umgewandelt  werden  können,  zu  hinterlegen,  so  kann  das 
Vormundschaftsgericht  anordnen,  dafs  sie  nach  Mafsgabe  des  Abs.  1  in  Buchschulden 
umgewar  delt  werden. 

§  1670  b.  Gehören  Buchforderungen  gegen  das  Reich  oder  gegen  einen  Bundesstaat 
hei  Anordnung  der  Vormundschaft  zum  Mündelvermögen  oder  erwirbt  der  Mündel  solche 
Forderungen  im  Laufe  der  Vormundschaft,  so  hat  der  Vormund  in  das  Schuldbuch  den 
Vermerk  eintragen  zu  lassen,  dafs  er  über  die  Forderungen  nur  mit  Genehmigung  des 
Vormundschaftsgerichts  verfügen  kann. 

§  1670  c.  (1670  Abs.  2.)  Das  Vormundschaftsgericht  kann  aus  besonderen  Gründen 
den   Vormund    von    den    in    den    §   1670,    1670  b    auferlegten  Verpflichtungen    entbinden. 

§  1670  d.  (1670  Abs.  3.)  Das  Vormundschaftsgericht  kann  aus  besonderen  Gründen 
anordnen,  dafs  der  Vormund  auch  solche  zum  Mündelvermögen  gehörende  Wertpapiere, 
zu  deren  Hinterlegung  er  nach  §  1670  nicht  verpflichtet  ist,  sowie  Kostbarkeiten  des 
Mündels   in  der  im  §    1670  bezeichneten   Weise  hinterlegt. 

§  1671.  (1671  Abs.  1.)  Der  Vormund  kann  die  nach  §  1670  oder  nach  §  1670  d 
hinterlegten  Wertpapiere  oder  Kostbarkeiten  nur  mit  Genehmigung  des  Vormundschafts- 
gerichts zurücknehmen.  Solange  sie  nicht  zurückgenommen  sind,  bedarf  er  zu  einer  Ver- 
fügung über  dieselben  sowie  zur  Eingehung  einer  Verpflichtung  zu  einer  solchen  Ver- 
fügung der  Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts.  Sind  Hypotheken-,  Grundschuld- 
oder Rentenschuldbriefe  hinterlegt,  so  bedarf  es  der  Genehmigung  des  Vormundschafts- 
gerichts auch  zu  einer  Verfügung  über  die  Hypothekenforderung,  Grundschuld  oder  Renten- 
schuld sowie  zur  Eingehung  einer  Verpflichtung  zu  einer  solchen  Verfügung. 

§  1671a.  (1671  Abs.  2.)  Sind  Inhaberpapiere  nach  §  1670a  auf  den  Namen  des 
Mündels  umgeschrieben  oder  in  Buchschulden  umgewandelt ,  so  bedarf  der  Vormund  zu 
einer  Verfügung  über  die  aus  der  Umschreibung  oder  der  Umwandlung  sich  ergebenden 
Stammforderungen  sowie  zur  Eingehung  einer  Verpflichtung  zu  einer  solchen  Verfügung  der 
Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts.  Auch  kann  er  die  Ersetzung  der  umgeschrie- 
benen Papiere  oder  der  Buchforderungen  durch  Inhaberpapiere  nur  mit  Genehmigung 
des  Vormundschaftsgerichts  verlangen. 

Das  Gleiche  gilt,  wenn  Buchforderungen  des  Mündels  nach  §  1670  b  mit  dem  dort 
bezeichneten  Vermerke  eingetragen  sind. 

§  1672  gestrichen. 

§   1673  gestrichen. 

§  1674.  (1674  Nr.  1,  2,  5.)  Der  Vormund  bedarf  der  Genehmigung  des  Vormund- 
schaftsgerichts : 

1.  zur  Verfügung  über  ein  Grundstück   oder  über  ein   Recht  an  einem  Grundstücke; 

2.  zur  Verfügung  über  eine  Forderung,  die  auf  Uebertragung  des  Eigentums  an  einem 
Grundstück  oder  auf  Begründung  oder  Uebertragung  eines  Rechtes  an  einem  Grund- 
stück oder  auf  die  Befreiung  eines  Grundstücks  von  einem  solchen  Rechte  ge- 
richtet ist ; 


700  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

nehmigung  des  Vormund  Schaftsgerichts  bedarf,  wurden  hinzugefügt  Lehr- 
und  Dienstverträge,  durch  welche  der  Mündel  zu  persönlichen  Leistungen 
auf  die  Dauer  von  mehr  als  einem  Jahre  verpflichtet  wird.  Der  Zusatz 
erschien  zum  Schutze  der  auf  ihre  Arbeitskraft  angewiesenen  Mündel  ge- 
boten. Um  eine  Umgehung  dieser  Vorschrift  auszuschliefsen ,  fügte  man 
dem  §   1677  den  neuen    Abs.  2  zu.      Mit    Eücksicht    auf   den    erwähnten 


3.  zur  Eingehung  einer  Verpflichtung  zu  einer  der  unter  Nr.  1,  2  bezeichneten  Ver- 
fügungen ; 

4.  zu  einem  Vertrage,  der  auf  den  entgeltlichen  Erwerb  eines  Grundstücks  oder  eines 
Rechtes  an  einem  Grundstücke  gerichtet  ist. 

Auf  Hypotheken,  Grundschulden  und  Rentenschulden  finden  diese  Vorschriften  keine 
Anwendung. 

§  1674  a.  (1674  Nr.  3,  4,  6  bis  14.)  Der  Vormund  bedarf  der  Genehmigung  des 
Vormundschaftsgerichts : 

1.  zur  Verfügung  über  das  Vermögen  des  Mündels  als  Ganzes  oder  über  eine  Erbschaft 
sowie  zur  Eingehung  einer  Verpflichtung  zu  ein^r  solchen   Verfügung; 

2.  zu  einem  Vertrage,  der  auf  den  entgeltliehen  Erwerb  oder  die  Veräufserung  eines 
Erwerbsgeschäfts  gerichtet  ist,  sowie  zu  einem  Gesellschaftsvertrage,  der  zum  Betrieb 
eines  Erwerbsgeschäfts  eingegangen  wird ; 

3.  zu  einem  Pachtvertrag  über  ein  Landgut  oder  einen  gewerblichen   Betrieb; 

4.  zu  einem  Miet-  oder  Pachtvertrag  oder  einem  anderen,  den  Mündel  zu  wiederkeh- 
renden Leistungen  verpflichtenden  Vertrage ,  wenn  das  Vertragsverhältnis  länger  als 
ein  Jahr  nach  vollendetem  einundzwanzigsten  Lebensjahre  des  Mündels  fortdauern 
soll  ; 

5.  zu  einem   Lehrvertrage,  der  für  längere  Zeit  als  ein  Jahr  geschlossen  wird ; 

6.  zu  einem  auf  die  Eingehung  eines  Dienst-  oder  Arbeitsverhältnisses  gerichteten  Ver- 
trage, wenn  der  Mündel  zu  persönlichen  Leistungen  für  längere  Zeit  als  ein  Jahr 
verpflichtet  werden   soll  ; 

7.  zu  einem  Erbauseinandersetzungsvertrage ; 

8.  zu  einem  Vergleich  oder  Schiedsvertrag,  es  sei  denn,  dafs  der  Gegenstand  des  Streites 
oder  der  Ungewifsheit  in  Geld  schätzbar  ist  und  den  Wert  von  dreihundert  Mark 
nicht  übersteigt ; 

9.  zur  Ausstellung  einer  Schuldverschreibung  auf  den  Inhaber  oder  zur  Eingehung  einer 
Verbindlichkeit  aus  einem  Wechsel  oder  einem  anderen  Papiere  ,  welches  durch  In- 
dossament übertragen  werden  kann ; 

10.  zur  Aufnahme  von   Geld  auf  den  Kredit  des  Mündels; 

11.  zur  Uebernahme  einer  fremden  Verbindlichkeit,  insbesondere  zur  Eingehung  einer 
Bürgschaft ; 

12.  zur  Erteilung  einer  Prokura; 

13.  zu  einem  Rechtsgeschäfte,  durch  welches  die  für  eine  Forderung  des  Mündels  stehende 
Sicherheit  aufgehoben  oder  gemindert  oder  die  Verpflichtung  dazu  begründet  wird. 
§   1675.     Zur  Vornahme  von  Rechtsgeschäften,  zu  denen  der  Vormund  nach  §  1669 

der  Genehmigung  des  Gegenvormundes  bedarf,  sowie  zur  Vornahme  der  im  §  1674a 
unter  Nr.  10  bis  12  bezeichneten  Rechtsgeschäfte  kann  das  Vormundschaftsgericht  dem 
Vormund  eine  allgemeine  Ermächtigung  erteilen. 

Die  Ermächtigung  soll  nur  erteilt  werden,  wenn  sie  zum  Zwecke  der  Vermögensver- 
waltung, insbesondere  zum  Betrieb  eines  Erwerbsgeschäfts,  erforderlich  ist. 

§   1676  gestrichen. 

Anmerkung.  Es  wird  vorausgesetzt,  dafs  in  dem  Entwürfe  des  Gesetzes,  betref- 
fend die  Zwangsvollstreckung  in  das  unbewegliche  Vermögen,  eine  Vorschrift  aufgenom- 
men wird,  wonach  die  Versteigerung  zum  Zwecke  der  Aufhebung  einer  Gemeinschaft  von 
dem  Vormund  eines  Teilhabers  nur  mit  Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts  bean- 
tragt werden  kann. 

§  1677.  Der  Vormund  kann  Gegenstände,  zu  deren  Veräufserung  er  der  Genehmi- 
gung des  Gegenvormundes  oder  des  Vormundschaftsgerichts  bedarf,  dem  Mündel  nicht 
ohne  diese  Genehmigung  zur  Erfüllung  eines  von  diesem  geschlossenen  Vertrags  oder  zu 
freier  Verfügung  überlassen. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  701 

Beschlufs  zu  §  1674  erfuhr  ferner  der  §  1680  eme  Ergäuzung.  Die 
Aenderungeu ,  die  zu  Nr.  1  uud  2  des  §  1674  sowie  zu  den  §§  1676, 
1679,  1681  Abs.  4  beschlossen  wurden,  bedürfen  besonderer  Hervorhebung 
nicht. 


Der  Vormund  kann  dem  Mündel  nicht  ohne  Genehmigung  des  Vormundschattsgerichts 
die  Erlaubnis  zur  Eingehung  eines  Dienst-  oder  Arbeitsverhältnisses  erteilen ,  durch 
welches  der  Mündel  für  längere  Zeit  als  ein  Jahr  verpflichtet  wird. 

§  1677  a.  (1679.)  Das  Vormundschattsgericht  soll  vor  der  Entscheidung  über  die 
zu  einer  Handlung  des  Vormundes  erforderliche  Genehmigung  den  Gegenvormund  gut- 
achtlich hören  ,  sofern  ein  solcher  vorhanden  ist  und  ein  rechtliches  oder  thatsächliches 
Hindernis  nicht  entgegensteht. 

§  1678.  Das  Vormundscliaftsgericht  soll  auf  Antrag  des  Vormundes  oder  des  Gegen- 
vormundes, in  wichtigen  Angelegenheiten  auch  ohne  Autrag,  Verwandte  oder  Verschwä- 
gerte des  Mündels  gutachtlich  hören,  sofern  es  ohne  erhebliche  Verzögerung  und  ohne 
uuverhäitnismäfsige  Kosten  geschehen  kann.  Zu  den  wichtigen  Angelegenheiten  gehören 
insbesondere  die  Fälle  der  §§  13,  1232,  1233  c,  1635  Abs.  2  sowie  der  Antrag  auf  Todes- 
erklärung des  Mündels. 

Die  Verwandten  und  Verschwägerten  können  von  dem  Mündel  Ersatz  ihrer  Auslagen 
verlangen;    der  Betrag    der  Auslagen    wird    von    dem  Vormundschaftsgerichte    festgesetzt. 

§   1679   vergl.  §   1677  a. 

§  1680.  Das  Vormundschattsgericht  soll  nicht  ohne  Anhörung  des  Mündels  Ent- 
scheidung treffen  über  die  Genehmigung  eines  Lehrvertrags  oder  eines  auf  die  Eingehung 
eines  Dienst-  oder  Arbeitsverhältnisses  gerichteten  Vertrags  uud ,  wenn  der  Mündel  über 
vierzehn  Jahre  alt  ist,  über  dessen  Entlassung  aus  dem  Staatsverbaude. 

Das  Vormundschaftsgericht  soll  den  Müudel,  falls  er  das  achtzehnte  Lebensjahr 
vollendet  hat,  soweit  thunlich,  auch  hören  vor  der  Entscheidung  über  die  Genehmigung 
eines  der  _  im  §  1674  Abs.  1  und  im  §  1674  a  Nr.  2  bezeichneten  Rechtsgeschäfte  und 
über  die  Genehmigung  des  Beginns  oder  der  Auflösung  eines  Erwerbsgeschälts. 

§  1681.  (1681  Abs.  1.)  Das  Vormundschaftsgericht  kann  die  Genehmigung  zu 
einem  Rechtsgeschäfte  nur  dem  Vormunde  gegenüber  erklären. 

§  1681a.  (1681  Abs.  2,  3,  5.)  Hat  der  Vormund  einen  Vertrag  ohne  die  erforder- 
liche Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts  geschlossen,  so  hängt  die  Wirksamkeit 
des  Vertrags  von  der  nachträglichen  Genehmigung  ab.  Die  Genehmigung  sowie  deren 
Verweigerung  ist  dem  anderen  Teile  gegenüber  nur  wirksam,  wenn  sie  ihm  durch  den 
Vormund  mitgeteilt  wird.  Eine  Mitteilung  der  Verweigerung  steht  es  gleich  ,  wenn  der 
Vormund  nicht  binnen  zwei  Wochen  nach  dem  Empfang  einer  Aufforderung  des  anderen 
Teiles  oie   Genehmigung  mitteilt. 

Ist  der  Mündel  inzwischen  volljährig  geworden ,  so  tritt  seine  Genehmigung  an  die 
Stelle  der  Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts. 

§  1681  b.  (1681  Abs.  2,  4.)  Solange  der  Vormund  die  Genehmigung  des  Vormund- 
schattsgerichts dem  anderen  Teile  nicht  mitgeteilt  hat,  kann  er  von  dem  Vertrage  zurück- 
treten. Das  gleiche  Recht  steht  dem  anderen  Teile  zu,  wenn  der  Vormund  ihm  gegen- 
über die  Genehmigung  des  Vormundschattsgerichts  der  Wahrheit  zuwider  behauptet  hat, 
es  sei  denn,  dafs  der  andere  Teil  den  Mangel  der  Genehmigung  bei  dem  Abschlüsse  des 
Vertrags  gekannt  hat. 

§  1681  c.  (1681  Abs.  2.)  Ein  einseitiges  Rechtsgeschäft,  welches  der  Vormund  ohne 
die  erforderliche  Genehmigung  des  Vormundschattsgerichts  vornimmt ,  ist  unwirksam. 
Nimmt  er  mit  dieser  Genehmigung  ein  solches  Rechtsgeschäft  einem  Anderen  gegenüber 
vor,  so  ist  dasselbe  unwirksam,  wenn  die  Genehmigung  nicht  in  schrittlicher  Form  vor- 
gelegt und  das  Rechtsgeschält  aus  diesem  Grunde  von  dem  Anderen  unverzüglich  zurück- 
gewiesen wird. 

§  1682.  Nimmt  der  Vormund  ein  Rechtsgeschäft  ohne  die  erforderliche  Genehmigung 
des  Gegenvormundes  vor,  so  finden  die  Vorschriften  der  §§  1681  bis  1681  c  entsprechende 
Anwendung. 

HI.  Fürsorge  und  Aufsicht  des  Vormundschaftsgerichts. 
§  1683.     Ist   ein    Vormund    noch    nicht   bestellt  oder  ist    der  Vormund    an    der    Er- 
füllung seiner  Pflichten    verhindert,    so    hat    das  Vormundschattsgericht    die    im  Interesse 
des  Mündels  erforderlichen  Mafsregelu  zu  treffen. 


702  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Die  Vorschriften  über  die  allgemeine  Fürsorge  und  Aufsicht 
des  Vormundschaftsgerichtes  wurden,  abgesehen  von  einem  Zu- 
satz zu  §  1684  und  einer  geringfügigen  Aenderung  des  §  1687  Abs.  4, 
nach  dem  Entwurf  angenommen.  Von  den  folgenden  Bestimmungen  über 
die    befreite  Vormundschaft    wurden  die  §§   1690  — 1694,  von  un- 

§  1684.  Das  Vormundschaftsgericht  hat  über  die  gesamte  Thätigkeit  des  Vormundes 
und  des  Gegenvormundes  die  Aufsicht  zu  führen  und  gegen  Pflichtwidrigkeiten  durch  ge- 
eignete  Gebote  und  Verbote  einzuschreiten. 

Das  Vormundschaftsgericht  kann  den  Vormund  und  den  Gegenvormund  zur  Be- 
folgung seiner  Anordnungen  durch  Ordnungsstrafen  anhalten.  Eine  Ordnungsstrafe  darf 
den  Betrag  von  dreihundert  Mark  nicht  übersteigen. 

§  1685.  Das  Vormundschaftsgericht  kann  anordnen,  dafs  der  Mündel  zum  Zwecke 
der  Erziehung  in  einer  geeigneten  Familie  oder  in  einer  Erziehungs-  oder  Besserungs- 
anstalt untergebracht  wird.  Steht  dem  Vater  oder  der  Mutter  die  Sorge  für  die  Person 
des  Mündels  zu,  so  ist  eine  solche  Anordnung  nur  unter  den  Voraussetzungen  des  §  1546 
zulässig. 

§  1686.  Der  Vormund  sowie  der  Gegenvormund  ist  verpflichtet,  dem  Vormund- 
schaftsgericht auf  Verlangen  jederzeit  über  die  Führung  der  Vormundschaft  und  über 
die  persönlichen  Verhältnisse  des  Mündels  Auskunft  zu  erteilen. 

§  1687.  (1687  Abs.  1  bis  5.)  Der  Vormund  ist  verpflichtet,  dem  Vormundschafts- 
gericht über  die  Verwaltung  des  Vermögens  des  Mündels  Rechnung  zu  legen. 

Die  Rechnung  ist  alljährlich  zu  legen.  Das  Rechnungsjahr  wird  von  dem  Vormund  - 
schaftsgerichte  bestimmt. 

Bei  einer  Verwaltung  von  geringem  Umfange  kann  das  Vormundschaftsgericht,  nach- 
dem die  Rechnung  für  das  erste  Jahr  gelegt  worden  ist,  anordnen,  dafs  die  Rechnung 
für  längere,  jedoch  höchstens  dreijährige  Zeitabschnitte  zu  legen  ist. 

Die  Rechnung  soll  eine  geordnete  Zusammenstellung  der  Einnahmen  und  Ausgaben 
enthalten,  über  den  Ab-  und  Zugang  des  Vermögens  Auskunft  geben  und,  soweit  Belege 
erteilt  zu  werden  pflegen,  mit  Belegen  versehen  sein. 

Im  Falle  des  Betriebs  eines  Erwerbsgeschäfts  mit  kaufmännischer  Buchführung  ge- 
nügt als  Rechnung  eine  aus  den  Büchern  gezogene  Bilanz.  Das  Vormundschaftsgericht 
kann  jedoch  die  Vorlegung  der  Bücher  und  sonstigen  Belege  verlangen. 

§  1687  a.  (1687  Abs.  6.)  Ist  ein  Gegenvormund  vorhanden  oder  zu  bestellen,  so 
ist  die  Rechnung  unter  Nachweisung  des  Vermögensbestandes  von  dem  Vormund  ihm 
vorzulegen  und  von  ihm  mit  den  Bemerkungen  zu  versehen,  zu  welchen  die  Prüfung 
ihm  Anlafs  giebt. 

§  1688.  Das  Vormundschaftsgericht  hat  die  Rechnung  rechnungsmäfsig  und  sach- 
lich zu  prüfen  und,  soweit  erforderlich,  ihre  Berichtigung  und  Ergänzung  herbeizuführen. 
Ansprüche,  die  zwischen  dem  Vormund  und  dem  Mündel  streitig  bleiben,  können  schon 
vor  der  Beendigung  des  Vormundschaftsverhältnisses  im  Rechtswege  geltend  gemacht 
werden. 

§  1689.  Das  Vormundschaftsgericht  kann  aus  besonderen  Gründen  den  Vormund 
anhalten,  für  das  seiner  Verwaltung  unterliegende  Vermögen  des  Mündels  Sicherheit  zu 
leisten.  Die  Art  und  den  Umfang  der  Sicherheitsleistung  bestimmt  das  Vormundschafts- 
gericht nach  seinem  Ermessen.  Es  kann  ,  solange  das  Amt  des  Vormundes  nicht  be- 
endigt ist,  jederzeit  die  Erhöhung,  Verminderung  oder  Aufhebung  der  Sicherheit  an- 
ordnen. 

Bei  der  Bestellung,  Aenderung  oder  Aufhebung  der  Sicherheit  wird  die  Mitwirkung 
des  Mündels  durch  die  Anordnung  des  Vormundschaftsgerichts  ersetzt. 

Die  Kosten  der  Sicherheitsleistung  sowie  der  Aenderung  oder  Aufhebung  sind  von 
dem  Mündel  zu  tragen. 

IV.  Befreite  Vormundschaft. 

§  1690.  Der  Vater  kann,  wenn  er  einen  Vormund  benennt,  die  Bestellung  eines 
Gegenvormundes  ausschliefsen. 

Der  Vater  kann  anordnen,  dafs  der  von  ihm  benannte  Vormund  bei  der  Anlegung 
von  Geldern  des  Mündels  den  im  §  1666  bestimmten  Beschränkungen  nicht  unterliegen 
und    zu    den  im  §  1669    bezeichneten  Rechtsgeschäften    der  Genehmigung    des  Gegen  vor- 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  703 

erheblichen  Abänderungen  des  §  1691  Abs.  2  und  des  §  1694  abgesehen, 
beibehalten.  Einen  auf  Beseitigung  des  ganzen  Instituts  gerichteten  An- 
trag lehnte  die  grofse  Mehrheit  der  Kommission  iu  Uebereinstimmung  mit 
dem  ganz  überwiegenden  Teil  der  Aeufserungen  der  Kritik  und  der  Re- 
gierungen aus  den  dem  Entwurf  zu  Grunde  liegenden  Erwägungen  ab. 
Dagegen  wurde  der  auf  das  Verbot  der  Offenlegung  des  Vermögeusver- 
zeichnisses  bezügliche  §  1695  gestrichen.  Man  erachtete  diese  Bestim- 
mungen für  unvereinbar  mit  der  Eücksicht  auf  die  gebotene  Sicherung 
des  Mündels,  da  sie  dem  Vormundschaftegericht  die  Unterlage  für  eine 
wirkames  Beaufsichtigung  des  Vormunds  entzögen,  und  vermochte  ein 
dieses  Bedenken  überwiegendes  praktisches  Bedürfnis  für  die  Beibehaltung 
der   Vorschriften   nicht   anzuerkennen. 

Die    §§    1696 — 1702,     welche     von     den      Verbindlichkeiten 


mundes  oder  des  Vormundschaftsgericbts  nicht  bedürfen  solle.  Diese  Anordnungen  sind 
in   der  Ausschließung  der  Bestellung  eines  Gegenvormundes  als  enthalten   anzusehen. 

§  1690  a.  (1692.)  Der  Vater  kann  den  von  ihm  benannten  Vormund  von  der  Ver- 
pflichtung entbinden,  Inhaber-  und  Orderpapiere  zu  hinterlegen  und  den  im  §  1670  b  be- 
zeichneten  Vermerk  in  das  Reichs-  oder  Staatsschuldbuch  eintragen   zu  lassen. 

§  1691.  Der  Vater  kann  den  von  ihm  benannten  Vormund  von  der  Verpflichtung 
entbinden,  während  der  Dauer  des  Vormundschaftsverhältnisses  Rechnung  zu  legen. 

Der  Vormund  hat  in  einem  solchen  Falle  nach  dem  Ablaufe  von  je  zwei  Jahren 
eine  Uebersicht  über  den  Bestand  des  Mündelvermögens  dem  Vormundsehaftsgericht  ein- 
zureichen. Das  Vormundschaftsgericht  kann  anordnen,  dafs  die  Uebersicht  in  längeren 
als  zweijährigen,  aber  höchstens  fünfjährigen  Zwischenräumen  einzureichen  ist. 

Die  Uebersicht  ist,  wenn  ein  Gegenvormund  vorhanden  oder  zu  bestellen  ist,  diesem 
unter  Nachweisung  des  Vermögensbestandes  zur  Prüfung  vorzulegen  und  von  ihm  mit 
den  Bemerkungen  zu  versehen,   zu  welchen  die  Prüfung  ihm  Anlafs  giebt. 

§   1692  vergl.   §   1690  a,    1692  a. 

§  1692  a  (1690  bis  1692.)  Benennt  die  eheliche  Mutter  einen  Vormund,  so  kann 
sie  die  gleichen  Anordnungen  treffen,  wie  nach   den   §§    1690  bis   1691   der  Vater. 

§  1693.  Auf  die  nach  den  §§  1690  bis  1691  zulässigen  Anordnungen  finden  die 
Vorschriften  des  §   1636   Anwendung. 

§  1694.  Das  Vormundschaftsgericht  kann  die  Anordnungen  des  Vaters  oder  der 
Mutter  aufser  Kraft  setzen,  wenn  ihre  Befolgung  das  Interesse  des  Mündels  zu  gefährden 
droht. 

§  1695  gestrichen. 

V.  Verbindlichkeiten  zwischen  Vormund  und  Mündel.     Haftung  des  Vormundschafts- 
gerichts. 

§  1696.  Der  Vormund  ist  dem  Mündel  für  den  durch  Verletzung  seiner  Pflichten 
verursachten  Schaden  verantwortlich,  soweit  ihm  ein  Verschulden  zur  Last  fällt.  Das 
Gleiche  gilt  von  dem  Gegenvormunde. 

Sind  für  den  Schaden  mehrere  neben  einander  verantwortlich,  so  haften  sie  als  Ge- 
samtschuldner. Ist  neben  dem  Vormunde  für  den  von  diesem  verursachten  Schaden  ein 
Gegenvormund  oder  ein  Mitvormuud  nur  wegen  Verletzung  seiner  Aufsichtspflicht  ver- 
antwortlich,  so  ist  in  ihrem  Verhältnisse  zu  einander  der  Vormund   allein  verpflichtet. 

§  1697.  Verzögert  der  Vormund  die  ihm  nach  §  1664  obliegende  Anlegung  des 
zum  Vermögen  des  Mündels  gehörigen  Geldes,  so  hat  er  den  anzulegenden  Betrag  für 
die  Dauer  der  Verzögerung  zu  verzinsen,  Verwendet  er  Vermögen  des  Mündels  in 
eigenen  Nutzen,  so  hat  er  den  Betrag  des  zu  ersetzenden  Wertes  von  der  Zeit  der  Ver- 
wendung an  zu  verzinsen. 

Die  Geltendmachung  eines  weiteren   Schadens  ist  nicht  ausgeschlossen. 

§  1698.  Werden  von  dem  Vormunde  oder  dem  Gegenvormunde  zum  Zwecke  der 
Führung  der  Vormundschaft  Aufwendungen  gemacht  oder  Verbindlichkeiten  eingegangen, 
so  kann  er  nach  den  für  den  Auftrag  geltenden  Vorschriften  der  §§  600,  601  von  dem 
Mündel  Vorschufs  oder  Ersatz  oder  Befreiung    von    den    eingegangenen  Verbindlichkeiten 


704  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

zwischen  Vormund  und  Mündel  und  der  Haftung  des  Vor- 
mundschaftsrichters  handeln,  wurden  bis  auf  unerhebliche  Aende- 
rungen  der  §§  1696,  1697  gebilligt.  Zu  §  1702  wurde  beantragt,  eine 
Haftung  des  (Staates  lür  den  durch  Verletzung  der  Amtspflichten  des 
Vormundschaftsrichters  verursachten  Schaden  anzuerkennen,  und  zwar  in 
erster  Linie  die  ausschliefsliche  Haftung,  eventuell  wenigstens  eine  sub- 
sidiäre bei  Zahlungsunvermögen  des  Beamten.  Der  ADtrag  wurde  jedoch 
teils  mit  Stimmengleichheit,  teils  mit  geringer  Stimmenmehrheit  abgelehnt. 
Man  sah  in  der  Besonderheit  des  Vormundschaftsiüstituts  keinen  genügen- 
den Grund,  von  dem  bei  der  Beratung  des  allgemeinen  Teils  eingenommenen 
Standpunkt  abzugehen,  nach  welchem  im  allgemeinen  eine  Haftung  des 
Staates  für  die  von  seinen  Beamten  in  Ausübung  der  ihnen  anvertrauten 
öffentlichen  Gewalt  begangenen  Versehen  nicht  anerkannt  worden  war. 
Der  die  Bestimmungen  über  die  Beendigung  der  Vormund- 
schaft eröffnende  §    1703    erfuhr   in  Abs.   1    Nr.   1    und    Abs.  2  Satz  2 


verlangen.  Als  Aufwendungen  gelten  auch  solche  Dienste  des  Vormundes  oder  Gegen- 
vormundes, welche  seinem  Gewerbe  oder  Beruf  angehören. 

§  1699.  Die  Vormundschaft  wird  unentgeltlich  gelührt.  Das  Vormuudschaftsgericht 
sann  jedoch  dem  Vormund  und  aus  besonderen  Gründen  auch  dem  Gegenvormund  eine 
angemessene  Vergütung  bewilligen ;  die  Zubilligung  soll  nur  erfolgen,  wenn  das  Vermögen 
des  Mündels  sowie  der  Umfang  und  die  Bedeutung  der  vormundschaftlichen  Geschälte 
es  rechtfertigen.  Die  Vergütung  kann  jederzeit  tür  die  Zukunft  geändert  oder  entzogen 
werden.  Vor  der  Zubilligung,  Aenderung  oder  Entziehung  soll  der  Vormund  und,  wenn 
ein  Gegenvormund  vorbänden  oder  zu  bestellen  ist,  auch  dieser  gehört  werden. 

§  1700.  (1700  Abs.  1,  2.)  Der  Vormund  hat  nach  Beendigung  seines  Amtes  das 
von  ibm  verwaltete  Vermögen  dem  Mündel  herauszugeben  und  ihm  über  die  Verwaltung 
Rechenschaft  abzulegen.  Soweit  er  dem  Vormundschaftsgerichte  Rechnung  gelegt  hat, 
genügt  die  Bezugnahme  auf  diese  Rechnung. 

§  1700  a.  (1700  Abs.  3.)  Ist  ein  Gegenvormund  vorhanden,  so  ist  die  Rechnung 
von  dem  Vormund  ihm  vorzulegen  und  von  ihm  mit  den  Bemerkungen  zu  versehen,  zu 
welchen  die  Prüfung  ihm  Aulafs  giebt.  Er  hat  auch  über  die  Führung  der  Gegenvor- 
munüschaft  und,  soweit  er  dazu  imstande  ist,  über  das  von  dem  Vormunde  verwaltete 
Vermögen  auf  Verlangen  Auskunft  zu  erteilen. 

§  1701.  Die  Rechnung  soll,  nachdem  sie  dem  Gegenvormunde  vorgelegt  worden 
ist,  dem  Vormundschaftsgericht  eingereicht  werden. 

Das  Vormundschaftsgericht  hat  die  Rechnung  rechnungsmäfsig  und  sachlich  zu 
prüfen  und  sodann  unter  Zuziehung  des  Gegenvormundes  durch  Verhandlung  mit  den 
Beteiligten  die  Abnahme  der  Rechnung  zu  vermitteln.  Soweit  bei  dieser  Verhandlung 
die  Rechnung  als  richtig  anerkannt  wird,  ist  das  Anerkenntnis  von  dem  Vormundschafts- 
gerichte  zu  beurkunden. 

§  1702.  Ein  Vormundschaftsrichter,  welcher  die  ihm  obliegenden  Pflichten  verletzt, 
ist,  soweit  ihm  ein  Verschulden  zur  Last  fällt,  dem  Mündel  nach  dem  §  762  Abs.  1  und 
dem  §  763  verantwortlich. 

VI.    Beendigung  der  Vormundschaft. 

§  1703.  (1703  Abs.  1  Nr.  2,  3,  Abs.  2.)  Die  Vormundschaft  endigt  mit  dem 
Wegfalle  der  im  §   1633  für  ihre  Anordnung  bestimmten  Voraussetzungen. 

Wird  ein  Mündel  durch  nachfolgende  Ehe  legitimiert,  so  endigt  die  Vormundschaft 
erst  dann,  wenn  die  Vaterschaft  des  Ehemannes  durch  ein  zwischen  ihm  und  dem  Mündel 
ergangenes  Urteil  festgestellt  oder  die  Aulhebung  der  Vormundschaft  von  dem  Vormund- 
schaftsgericht angeordnet  wird.  Das  Vormundschattsgericht  hat  die  Aufhebung  anzuordnen, 
wenn  es  die  Voraussetzungen  der  Legitimation  für  vorhanden  erachtet.  Solange  der  Ehe- 
mann lebt,  soll  die  Aufhebung  nur  angeordnet  werden ,  wenn  er  die  Vaterschaft  aner- 
kannt hat  oder  wenn  er  an  der  Abgabe  einer  Erklärung  dauernd  verhindert  oder  sein 
Aufenthalt  dauernd  unbekannt  ist. 

§  1703  a.     (1703  Abs.  1  Nr.  l.J     Ist  der  Mündel  verschollen,  so  hat  daa  Vormund- 


Nationalökonomisehe  Gesetzgebung.  705 

Aenderungen,  die  aber  hier  nicht  der  Erwähnung  bedürfen.  In  §  1704 
wurde  Nr.  2  geändert,  nach  welcher  das  Amt  des  Vormundes  mit  dem 
Eintritt  der  Geschäftsunfähigkeit  des  Vormundes  beendigt  wird.  Hieruach 
würde  die  Beendigung  nicht  nur  mit  der  Entmündigung  des  Vormundes 
wegen  Geisteskrankheit  eintreten,  sondern  auch  mit  dem  blofsen  Beginn 
einer  die  Geschäftsfähigkeit  ausschliefsenden  Geisteskrankheit.  Letzteres 
erschien  bedenklich,  weil  dadurch  die  Giltigkeit  der  vom  Vormund  vorge- 
nommenen Rechtsgeschäfte  zum  Nachteil  des  Mündels  und  derjenigen 
Personen,  die  sich  mit  dem  Vormund  auf  dieselben  eingelassen  haben,  von 
einem  sehr  unsicher  feststellbaren  Umstände  abhängig  gemacht  werde, 
die  Bestimmung  auch  namentlich  bei  vorübergehender  Geisteskrankheit  zu 
sehr  mifslichen  Folgen  führe.  Man  beschränkte  daher  den  Entwurf  dahin, 
dafs  nur  mit  der  Entmündigung  des  Vormundes  wegen  Geisteskrank- 
heit sein  Amt  endigen  soll.  Andererseits  beschlofs  man,  auch  mit  der 
Entmündigung  des  Vormundes  aus  einem  anderen  Grunde  sein  Amt  endi- 
gen zu  lassen,  da  man  es  für  den  Mündel  weniger  gefährlich  erachtete, 
gar  nicht  vertreten  zu  sein  ,  als  durch  einen  entmündigten  Vormund. 
Infolge  dieses  Beschlusses  wurde  der  §  1646  noch  nachträglich  dahin 
geändert,  dafs  nicht  nur  die  Bestellung  eines  Geschäftsunfähigen,  sondern 
auch  die  Bestellung  eines  aus  anderem  Grunde  als  wegen  Geisteskrankheit 
Entmündigten  zum  Vormunde  nichtig  sein  soll.  Der  §  1705  Nr.  1,  2 
und   7    und   der  §   1709   erlitten   minder  erhebliche  Aenderungen. 


schaftsgericht  die  Vormundschaft  aufzuheben ,  wenn  ihm  der  Tod  des  Mündels  bekannt 
wird.  Wird  der  Mündel  für  tot  erklärt,  so  endigt  die  Vormundschaft  mit  der  Erlassung 
des   die  Todeserklärung  aussprechenden  Urteils. 

§   1704.     Das  Amt  des  Vormundes  endigt  mit  seiner  Entmündigung. 

Wird  der  Vormund  für  tot  erklärt,  so  endigt  sein  Amt  mit  der  Erlassung  des  die 
Todeserklärung  aussprechenden  Urteils. 

§  1705.  (1705  Nr.  1,  2.)  Das  Vormundschaftsgericht  hat  den  Vormund  zu  ent- 
lassen, wenn  die  Fortführung  des  Amtes,  insbesondere  wegen  pflichtwidrigen  Verhaltens 
des  Vormundes,  das  Interesse  des  Mündels  zu  gefährden  droht  oder  wenn  der  Vormund 
nach  §   1640  a  von  der   Vormundschaft  ausgeschlossen  ist. 

§  1705a.  (1705  Kr.  3,  1707.)  Das  Vormundschaftsgericht  kann  eine  Frau,  die 
zum    Vormunde   bestellt  ist,   entlassen,  wenn   sie  sich   verheiratet. 

Das  Vormundschaftsgericht  hat  eine  verheiratete  Frau ,  die  zum  Vormunde  bestellt 
ist,  zu  entlassen ,  wenn  der  Ehemann  seine  Zustimmung  zur  Bestellung  oder  zur  Fort- 
führung der  Vormundschaft  versagt  oder  die  Zustimmung  zurücknimmt,  es  sei  denn,  dafs 
er  der  Vater   des  Mündels  ist. 

§  1705  b.  (1705  Nr.  4.)  Ist  ein  Beamter  oder  Religionsdiener  zum  Vormunde  be- 
stellt, so  hat  das  Vormuudsehaftsgericht  ihn  zu  entlassen,  wenn  die  zur  Uebernahme  der 
Vormundschaft  oder  zur  Fortführung  der  vor  dem  Eintritte  des  Amts-  oder  Dienst- 
verhältnisses übernommenen  Vormundschaft  nach  den  Landesgesetzen  erforderliche  Er- 
laubnis versagt  oder  zurückgnnommen  wird  oder  wenn  die  nach  den  Landesgesetzen  zu- 
lässige Untersagung  der  Fortführung  einer  Vormundschaft  erfolgt. 

§  1706.  Das  Vormundschaftsgericht  hat  den  Vormund  auf  seinen  Antrag  zu  ent- 
lassen, wenn  ein  erheblicher  Grund  vorliegt;  ein  erheblicher  Grund  ist  insbesondere  der 
Eintritt  eines  Umstandes,  welcher  den  Vormund  nach  §  1643  Nr.  2  bis  7  zur  Ablehnung 
der  Vormundschaft  berechtigt. 

§   1707  vergl.  §    1705  a  Abs.   1. 

§  1708.  Der  Vormund  hat  den  Tod  eines  Mitvormundes  oder  Gegenvormundes  dem 
Vormundschaftsgericht  unverzüglich   anzuzeigen. 

Stirbt  der  Vormund,  so  liegt  die  Anzeigepflicht  dessen  Erben  ob. 

§  1709.     (1709,   1711.)     Im  Falle  der  Beendigung  der  Vormundschaft  oder  des  vor- 
Dritte Folge  Bd.  Vin  (LXDI).  45 


706  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Zu  den  folgenden  Vorschriften  über  den  Familienrat  lag  ein 
Antrag  auf  Beseitigung  des  ganzen  Instituts  vor.  Die  Bestimmungen 
wurden  daher  zunächst  durch  eventuelle  Bestimmungen  festgestellt,  wobei 
nur  der  §    1714  eine  Ergänzung  erhielt.     Bei  der  Schlufsabstimmung  ent- 


vormundschaftlichen  Amtes  finden  die  Vorschriften  des  §  1561a  entsprechende  An- 
wendung. 

Der  Vormund  bat  nach  der  Beendigung  seines  Amtes  die  Bestallung  dem  Vormund- 
schaftsgerichte zurückzugeben. 

§  1710.  (1710,  1711.)  Die  Vorschriften  der  §§  1704  bis  1709  finden  auf  den 
Gegenvormund  entsprechende    Anwendung. 

§  1711   vergl.   1709  Abs.   2,   1710. 

VII.    Familienrat. 

§  1712.  Ein  Familienrat  soll  von  dem  Vormundschaftsgerieht  eingesetzt  werden, 
wenn   der  Vater  oder  die  eheliche  Mutter  des  Mündels  die  Einsetzung  angeordnet  hat. 

Die  Einsetzung  unterbleibt ,  wenn  die  erforderliche  Zahl  geeigneter  Personen  nicht 
vorhanden  ist. 

Der  Vater  oder  die  Mutter  kann  die  Einsetzung  eines  Familienrats  oder  die  Auf- 
hebung des  von  ihnen  angeordneten  Familienrats  von  dem  Eintritt  oder  Nichteintritt 
eines  bestimmten  Ereignisses  abhängig  machen. 

§  1713.  Ein  Familienrat  soll  von  dem  Vormundschaftsgericht  eingesetzt  werden, 
wenn  ein  Verwandter  oder  Verschwägerter  des  Mündels  oder  der  Vormund  oder  der 
Gegenvormund  es  beantragt  und  die  Einsetzung  von  dem  Vormundschaftsgericht  im 
Interesse  des  Mündels  für  angemessen   erachtet  wird. 

Die  Einsetzung  unterbleibt ,  wenn  der  Vater  oder  die  eheliche  Mutter  des  Mündels 
sie  untersagt  hat. 

§  1714.  (1714  Abs.  1.)  Der  Familienrat  besteht  aus  dem  Vormundschaftsrichter 
als  Vorsitzendem  und  aus  mindestens  zwei,   höchstens  sechs  Mitgliedern. 

Anmerkung.  Es  wird  vorausgesetzt,  dafs  in  dem  für  erforderlich  erachteten 
Reichsgesetz  über  die  Angelegenheit  der  freiwilligen  Gerichtsbarkeit  die  landesgesetzlichen 
Vorschriften  vorbehalten  werden,  nach  welchen  sich  die  Führung  des  Vorsitzes  im  Familien- 
rat in  dem  Falle  bestimmt ,  dafs  das  Vormundschaftsgericht  in  anderer  Weise  als  mit 
einem  Einzelrichter  besetzt  ist. 

§  1715.  (1715  Abs.  1.)  Als  Mitglied  des  Familienrats  ist  berufen,  wer  von  dem 
Vater  oder  der  ehelichen  Mutter  des  Mündels  als  Mitglied  benannt  ist.  Die  Vorschriften 
des  §   1637   Abs.   1,   2  finden  entsprechende  Anwendung. 

§  1715  a.  (1715  Abs.  2,  3.)  Soweit  eine  Berufung  nach  §  1715  nicht  vorliegt  oder 
die  Berufenen  die  Uebernahme  des  Amtes  ablehnen ,  hat  das  Vormundschaftsgericht  die 
zur  Beschlußfähigkeit  des  Familienrats  erforderlichen  Mitglieder  auszuwählen.  Vor  der 
Auswahl  sind  der  Gemeindewaisenrat  und  nach  Mafsgabe  des  §  1678  Verwandte  oder 
Verschwägerte  des  Mündels  zu  hören. 

Die  Bestimmung  der  Zahl  weiterer  Mitglieder  und  ihre  Auswahl  steht  dem  Familien- 
rate zu. 

Bei  der  Bestellung  eines  Mitglieds  kann  dessen  Entlassung  von  dem  Eintritt  oder 
Nichteintritt  eines  bestimmten  Ereignisses  abhängig  gemacht  werden. 

§  1715  b.  (1715  Abs.  4.)  Sind  neben  dem  Vorsitzenden  nur  zwei  Mitglieder  vor- 
handen,  so  sind  ein  oder  zwei  Ersatzmitglieder  zu  bestellen. 

Die  Ersatzmitglieder  werden,  soweit  sie  nicht  nach  §  1715  berufen  sind,  durch  den 
Familienrat  ausgewählt. 

Der  Familienrat  bestimmt  die  Reihenfolge  ,  in  welcher  die  Ersatzmitglieder  bei  der 
Verhinderung  oder  dem  Wegfall  eines  Mitglieds  in  den  Familienrat  einzutreten  haben. 
Hat  der  Vater  oder  die  eheliche  Mutter  für  die  von  ihnen  benannten  Ersatzmitglieder  die 
Reihenfolge  des  Eintritts  bestimmt,  so  ist  diese  Anordnung  maßgebend. 

§  1715  c.  (1715  Abs.  5.)  Ist  der  Familienrat  infolge  der  nur  vorübergehenden 
Verhinderung  eines  Mitglieds  beschlufsunfähig  und  ein  Ersatzmitglied  nicht  vorhanden, 
so  hat  der  Vorsitzende  für  die  Dauer  der  Verhinderung  eine  geeignete  Person  als  Ersatz- 
mitglied auszuwählen  und  zu  bestellen. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  707 

schied  sich  die  grofse  Mehrheit  der  Kommission  für  die  Beibehaltung  des 
Instituts.  Sie  ging  davon  aus,  dafs  dasselbe  namentlich  in  Fällen,  in 
denen  grofse  Geschäfte  oder  gewerbliche  Anlagen  zum  Mündelvermögen 
gehören,  erhebliche  Vorteile  biete,  welchen  beachtliche  Nachteile  nicht 
gegenüberständen,  und  dafs  daher  zur  Beseitigung  des  geschichtlich  ge- 
gebenen und  im   Gebiete  des  französischen  Rechts  eingebürgerten   Instituts 


I 


§  1716.  (1716  Abs.  1,  3.)  Zum  Mitgliede  des  Familienrats  kann  nicht  bestellt 
werden,  wer  geschäftsunfähig  oder  wegen  Geistesschwäche,  Verschwendung  oder  Trunk- 
sucht entmündigt  ist. 

§  1716  a.  (1716  Abs.  1,  2  Nr.  1,  2,  4,  Abs.  3.)  Zum  Mitgliede  des  Familienrats 
soll   nicht  bestellt  werden: 

1.  der  Vormund  des  Mündels; 

2.  eine  Frau ; 

3.  wer  nach  §   1640a  oder  nach  §   1640  b    von  der  Vormundschaft    ausgeschlossen  ist; 

4.  wer  durch  eine  Anordnung  des  Vaters    oder    der  ehelichen  Mutter    des  Mündels  von 
der  Mitgliedschaft  ausgeschlossen  ist. 

§  1716  b.  (1716  Abs.  2  Nr.  3,  Abs.  3.)  Zum  Mitgliede  des  Familienrats  soll  nicht 
bestellt  werden,  wer  mit  dem  Mündel  weder  verwandt  noch  verschwägert  ist,  es  sei 
denn  ,  dafs  er  von  dem  Vater  oder  der  ehelichen  Mutter  des  Mündels  benannt  oder 
von  dem  Familienrat  oder  im  Falle  des  §  1715  c  von  dem  Vorsitzenden  ausgewählt 
worden  ist. 

§  1717  vergl.  §  1718  a. 

§  1718.  Für  die  nach  den  §§  1712,  1713,  1715,  1715  b,  1716  a,  1716  b  zulässigen 
Anordnungen   des  Vaters  oder  der  Mutter  gelten  die  Vorschriften  des  §   1636. 

Die  Anordnungen  des  Vaters  gehen  den  Anordnungen  der  Mutter  vor. 

§  1718  a.  (1717.)  Niemand  ist  verpflichtet,  das  Amt  eines  Mitgliedes  des  Familien- 
rats zu  übernehmen. 

§  1718  b.  (1714  Abs.  2.)  Die  Mitglieder  des  Familienrats  werden  von  dem  Vor- 
sitzenden durch  Verpflichtung  zu  treuer  und  gewissenhafter  Führung  des  Amtes  bestellt. 
Die  Verpflichtung  soll  mittels  Handschlags  an  Eidesstatt  erfolgen. 

§  1719.  Der  Familienrat  hat  die  Rechte  und  Pflichten  des  Vormundschaftsgerichts; 
die  Mitglieder  des  Familienrats  sind  in  gleicher  Weise  verantwortlich  wie  der  Vormund- 
schaftsrichter. 

Die  Leitung  der  Geschäfte  liegt  dem  Vorsitzenden   ob. 

Wird  ein  sofortiges  Einschreiten  nötig,  so  hat  der  Vorsitzende  die  erforderlichen  An- 
ordnungen zu  treffen  ,  uuverzüglich  den  Familienrat  einzuberufen  ,  ihn  von  den  Anord- 
nungen in  Kenntnis  zu  setzen  und  dessen  Beschlufs  über  die  etwa  weiter  erforderlichen 
Mafsregeln  herbeizuführen. 

§  1720  vergl.  §   1722  a. 

§  1721.  (1721  Abs.  1.)  Der  Familienrat  wird  von  dem  Vorsitzenden  einberufen. 
Die  Einberufung  hat  zu  erfolgen,  wenn  zwei  Mitglieder,  der  Vormund  oder  der  Gegen- 
vormund es  beantragen  oder  wenn  das  Bedürfnis  es  erfordert.  Die  Einladung  der  Mit- 
glieder kann  mündlich  oder  schriftlich  erfolgen. 

§  1721a.  (1721  Abs  2.)  Ein  Mitglied,  das  ohne  genügende  Entschuldigung  aus- 
bleibt oder  die  rechtzeitige  Anzeige  seiner  Verhinderung  unterläfst  oder  sich  der  Teil- 
nahme an  der  Beschlufsfassung  enthält,  ist  von  dem  Vorsitzenden  in  die  dadurch  verur- 
sachten Kosten  zu  verurteilen.  Der  Vorsitzende  kann  gegen  das  Mitglied  auch  eine 
Ordnungsstrafe  bis  zu  einhundert  Mark  verhängen.  Erfolgt  nachträglich  genügende  Ent- 
schuldigung,  so  sind   die  getroffenen  Verfügungen  aufzuheben. 

§  1722.  Zur  Beschlufsfähigkeit  des  Familienrats  ist  die  Anwesenheit  des  Vor- 
sitzenden und  mindestens  zweier  Mitglieder  erforderlich.  Die  Mitglieder  können  ihr  Amt 
nur  persönlich  ausüben. 

Steht  in  einer  Angelegenheit  das  Interesse  des  Mündels  zu  dem  Interesse  eines  Mit- 
glieds in  erheblichem  Gegensatze,  so  ist  das  Mitglied  von  der  Teilnahme  an  der  Be- 
schlufsfassung ausgeschlossen.     Ueber  die  Ausschliefsung  entscheidet  der  Vorsitzende. 

Der  Familienrat  fafst  seine  Beschlüsse  nach  der  Mehrheit  der  Stimmen  der  An- 
wesenden.     Bei  Stimmengleichheit  entscheidet  die  Stimme  des  Vorsitzenden. 

45* 


708  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

genügender    Grund     nicht   bestehe.      Die    Vorschriften    des    §    1725    über 

die  Mitwirkung    des    Gemeindewaisenrats  blieben    unverändert. 

In  dem  von  der  Yormundschaft  über  Volljährige  handelnden 

zweiten  Titel  wurden   zu  S   1727  wesentliche  Abweichungen  vom  Entwurf 


§  1722  a.  (1720.)  Die  Mitglieder  des  Familienrats  können  von  dem  Mündel  Ersatz 
ihier  Auslagen  verlangen;  der  Betrag  der  Auslagen  wird  von  dem  Vorsitzenden  fest- 
gesetzt. 

§  1723.  Das  Amt  eines  Mitgliedes  des  Familienrats  endigt  aus  denselben  Gründen, 
aus  welchen  nach  den  §§   1704,   1705,   1706  das  Amt  eines  Vormundes  endigt. 

Ein  Mitglied  kann  gegen  seinen  Willen  nur  durch  das  dem  Vormundschaftsgericht 
im  Instanzenzuge  vorgeordnete  Gericht  entlassen  werden. 

§    1724.     Das  Vormundschaftsgericht  hat  den  Familienrat  aufzuheben: 

1.  wenn  es  an  der  zur  Beschlufsfähigkeit  erforderlichen  Zahl  von  Mitgliedern  fehlt  und 
eine  Ergänzung  wegen  Mangels  geeigneter  Personen  nicht  möglich  ist ; 

2.  wenn  der  Fall    eingetreten    ist,    für    welchen  der  Vater  oder  die  eheliche  Mutter  des 
Mündels  die  Aufhebung  nach  §   1712   Abs.  3   angeordnet  hat. 

Das  Vormundschaftsgericht  hat  die  bisherigen  Mitglieder  des  Familienrats,  den  Vor- 
mund und  den  Gegenvormund  von  der  Aufhebung  in  Kenntnis  zu  setzeu.  Der  Vormund 
und  der  Gegenvormund  erhalten  neue  Bestallungen ;  die  früheren  Bestallungen  sind  dem 
Vormundschaftsgerichte    zurückzugeben. 

VIII.  Gemeindewaisenrat. 

§  1725  (1725  Abs.  1,  2.)  Der  Gemeindewaisenrat  hat  in  Unterstützung  des  Vor- 
mundschaftsgerichts die  Vormünder  der  sich  in  seinem  Bezirk  aufhaltenden  Mündel  in 
Ausübung  der  Sorge  für  die  Person  der  Mündel  zu  überwachen,  die  hierbei,  insbesondere 
in  Ansehung  der  körperlichen  Pflege  und  der  Erziehung  eines  Mündels,  wahrgenommenen 
Mängel  und  Pflichtwidrigkeiten  dem  Vormundschaftsgericht  anzuzeigen  und  ihm  auf  Er- 
fordern über  das  persönliche  Ergehen  und  das  Verhalten  eines  Mündels  Auskunft  zu  er- 
teilen. 

Erlangt  der  Waisenrat  von  einer  Gefährdung  des  Vermögens  eines  Mündels  Kennt- 
nis, so  hat  er   dem  Vormundschaftsgericht  Anzeige  zu  machen. 

§  1725a.  (1725  Abs.  3)  Der  Waisenrat  hat  dem  Vormundschaftsgerichte  die  Per- 
sonen vorzuschlagen,  welche  sich  im  einzelnen  Falle  zum  Vormunde,  Gegenvormund  oder 
Mitglied    eines  Familienrats  eignen. 

§  1725  b.  (1725  Abs.  4,  5.)  Das  Vormundschaftsgericht  hat  den  Waisenrat  des 
Bezirkes,  in  welchem  sich  der  Mündel  aufhält,  von  der  Anordnung  der  Vormundschaft 
unter  Bezeichnung  des  Vormundes  und  des  Gegenvormundes  in  Kenntnis  zu  setzen,  auch 
von  einem  Wechsel  in  der  Person  des  Vormundes  und  des  Gegenvormundes  zu  benach- 
richtigen. 

Wird  der  Aufenthalt  eines  Mündels  in  den  Bezirk  eines  anderen  Waisenrats  verlegt, 
so  hat  der  Vormund  die  Verlegung  dem  Waisenrate  des  bisherigen  Aufenthaltsorts  anzu- 
zeigen und    dieser  dem  Waisenrate  des  neuen  Aufenthaltsorts  Mitteilung  zu  machen. 

Zweiter  Titel. 
Vormundschaft  über  Volljährige. 
§  1726.     Ein  Volljähriger  erhält  einen  Vormund,  wenn  er  entmündigt  ist. 
§  1727.     Ein  Volljähriger  kann  unter  Vormundschaft  gestellt  werden,  wenn  er  infolge 
körperlicher  Gebrechen,    insbesondere  weil  er    taub,    blind    oder   stumm    ist,    seine  Ange- 
legenheiten   nicht    zu    besorgen    vermag ;    die    Vormundschaft    darf    nur    mit    seiner  Ein- 
willigung angeordnet  werden,  es  sei  denn,    dafs    eine  Verständigung    mit    ihm  nicht  mög- 
lich ist. 

Anmerkung.  1.  Im  §  14  II.  Lesung  wird  folgende  Vorschrift  als  la  einge- 
schaltet : 

„wegen  Geistesschwäche,    wenn    der  Geistesschwache  infolge  derselben  seine  An- 
gelegenheiten nicht  zu  besorgen  vermag ;" 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  709 

beschlossen.  Nach  diesem  kann  ein  Volljähriger  vom  Vormundschafts- 
gericht des  vormundschaftlichen  Schutzes  für  bedürftig  erklärt  werden, 
wenn  er  taub,  blind  oder  stumm  ist  und  wegen  des  Gebrechens  seine  An- 
gelegenheiten nicht  zu  besorgen  vermag;  an  die  Erklärung  der  Schutz- 
bedürftigkeit knüpfen  sich  als  Rechtsfolgen  die  Einleitung  einer  Vormund- 
schaft und  nach  §  7 1  der  Eintritt  beschränkter  Geschäftsfähigkeit.  Die 
Kommission  dehnte  die  Vorschriften  des  §  1727  einerseits  aus  auf  alle 
Volljährigen,  die  infolge  irgend  eiues  körperlichen  Gebrechens  ihre  Ange- 
legenheiten nicht  zu  besorgen  vermögen.  Andererseits  hielt  die  Mehrheit 
es  für  nicht  gerechtfertigt,  die  Geschäftsfähigkeit  solcher  körperlich  Ge- 
brechlichen zu  beschränken,  da  regelmäfsig  ein  Schutz  dieser  Personen 
gegen  nachteilige  Beeinflussung  durch  Dritte  nicht  geboten  sei.  Man  kam 
ferner  bei  der  Beratung  des  §  1727  auf  den  schon  bei  der  Erörterung 
des  §   28   angeregten   Gedanken  zurück,    die   Vorschriften  des   §    1727   auch 


2.  Der  Eingang   des  §  88  II.  Lesung  erhält  folgende  Fassung: 

„Wer  wegen  Geistesschwäche,  Verschwendung  oder  Trunksucht  entmündigt  oder 
wer  nach    §  1737  unter  vorläufige  Vormundschaft  gestellt  ist,  steht  .  .  .  ." 

3.  Im  §  d2  unter  Nr.  4  und  im  §  n2  Abs.  2  werden  die  Worte:  ,,des  vormund- 
schaftlichen Schutzes  für  bedürftig  erklärt  ist"   durch  die  Worte  ersetzt : 

,,nach  §   1727   unter  Vormundschaft  gestellt  ist". 

4.  Im  §   1554  Abs.   1   hat  der  erste  Satz  zu  lauten  : 

„Die  elterliche  Gewalt  des  Vaters  ruht,  wenn  er  geschäftsunfähig  oder  in 
der  Geschäftsfähigkeit  beschränkt  oder  nach  §  1727  unter  Vormundschaft  ge- 
stellt ist." 

§  1728.  Auf  die  Vormundschaft  über  Volljährige  finden  die  für  die  Vormundschaft 
über  Minderjährige  geltenden  Vorschriften  Anwendung,  soweit  sich  nicht  aus  den  §§  1729 
bis    1737  ein  Anderes  ergiebt. 

§  1729.  (1729  Abs.  6.)  Der  Vater  und  die  Mutter  des  Mündels  sind  nicht  berechtigt, 
einen   Vormund  zu  benennen  oder  jemand  von  der  Vormundschaft  auszuschliefsen. 

§  1729  a.  (1729  Abs.  1,  2,  3.)  Vor  den  Grofsvätern  ist  der  Vater  und  nach  ihm 
die  eheliche  Mutter  des  Mündels  als  Vormund  berufen. 

Die  Eltern  sind  nicht  berufen,  wenn  der  Mündel  von  einem  Anderen  als  dem  Ehe- 
gatten seines  Vaters  oder  seiner  Mutter  an  Kindesstatt  angenommen  ist. 

Stammt  der  Mündel  aus  einer  nichtigen  Ehe,  so  ist  der  Vater  im  Falle  des  §  1564, 
die  Mutter  im  Falle  des  §  1565  nicht  berufen.  Das  Gleiche  gilt,  wenn  die  Ehe  anfecht- 
bar  und  angefochten  ist. 

§  1729  b.  (1729  Abs.  4,  5.)  Eine  Ehefrau  kann  zum  Vormund  ihres  Mannes  be- 
stellt werden  ;   die  Zustimmung  des  Mannes  ist  nicht  erforderlich. 

Der  Ehegatte  des  Mündels  darf  vor  den  Eltern  und  Grofsvätern,  die  uneheliche 
Mutter  und  im  Falle  des  §  1565  die  eheliche  Mutter  dürfen  vor  den  Grofsvätern  zum 
Vormunde  bestellt  werden. 

§  1730.  Der  Vormund  hat  für  die  Person  des  Mündels  nur  insoweit  zu  sorgen,  als 
der  Zweck  der  Vormundschaft  es  erfordert. 

Steht  eine  Ehefrau  unter  Vormundschaft,  so  tritt  die  im  §  1509  bestimmte  Be- 
schränkung  nicht  ein. 

§  1731  (1731,  1732.)  Der  Vormund  bedarf  zur  Gewährung  oder  Zusicherung  einer 
Ausstattung  der  Genehmigung  des  Vormundschaftsgerichts. 

Zu  einem  Miet-  oder  Pachtvertrage  sowie  zu  einem  anderen ,  den  Mündel  zu 
wiederkehrenden  Leistungen  verpflichtenden  Vertrage  bedarf  der  Vormund  der  Genehmigung 
des  Vormundschaftsgerichts,  wenn  das  Vertragsverhältnis  länger  als  vier  Jahre  dauern 
soll.      Die  Vorschrift  des  §   1674  a  Nr.  3  bleibt  unberührt. 

§  1732  vergl.   §  1731   Abs.   2. 

§  1732  a.  (1734.)  Will  der  zum  Vormunde  bestellte  Vater  oder  die  zum  Vormunde 
bestellte  eheliche  Mutter  des  Mündels  zu  einer  neuen  Ehe  schreiten,  so  liegen  ihnen  die 
im  §   1548  bestimmten  Verpflichtungen   ob. 


710  Natioualökonomische  Gesetzgebung. 

auf  die  Geistesschwachen  zu  erstrecken.  Einvernehmen  bestand  darüber, 
dafs  der  Entwurf  diese  Personen  nicbt  genügend  schütze,  indem  er  nur  eine 
Pflegschaft  gemäfs  §  1739  zuläfst.  "Wahrend  die  Pflegschaft  die  Geschäfts- 
fähigkeit der  ihr  unterstellten  Person  unberührt  läfst,  erachtete  man  für 
unerläfslich,  die  Geistesschwachen,  die  ihre  Angelegenheiten  nicht  selbst 
zu  besorgen  vermögen,  zum  Schutz  gegen  die  nachteiligen  Polgen  ihrer 
eigenen  Rechtshandlungen  uud  gegen  Ausbeutung  durch  Dritte  in  der 
Geschäftsfähigkeit  zu  beschränken.  Dagegen  hielt  man  es  für  zu  weit- 
gehend,  sie  für  ganz  geschäftsunfähig  zu  erklären,  da  namentlich  die 
Fähigkeit  zur  Errichtung  letztwilliger  Verfügungen  den  fraglichen  Personen 
einen  wertvollen  Schutz  gewähre.  Mit  Rücksicht  auf  die  Schwierigkeit 
und  "Wichtigkeit  der  Feststellung,  ob  eine  derartige  Geistesschwäche  vor- 
liege, erschien  es  nicht  angängig,  diese  Feststellung  durch  das  Vormund- 
schaftsgericht in  dem  in  §  1727  vorgesehenen  Verfahren  treffen  zu  lassen; 
man  beschlofs  vielmehr,  eine  vorgängige  Entmündigung  wegen  Geistes- 
schwäche in  dem  durcb  die  Civilprozefsordnuug  geregelten  Verfahren  vor- 
zuschreiben. Durch  diese  Erwägungen  gelangte  man  zu  der  Aenderung 
des  zu  §  28  gefafsten  Beschlusses,  dafs  neben  Geisteskrankheit  Geistes- 
schwäche, die  zur  Besorgung  der  eigenen  Angelegenheiten  untauglich 
macht,  als  Entmündigungsgrund  anerkannt,  an  die  Entmündigung  aus 
diesem  Grunde  aber  nur  Beschränkung  der  Geschäftsfähigkeit  geknüpft 
werden  soll. 

Von  den  übrigen  Bestimmungen  dieses  Titels,  von  denen  §  1733 
Abs.  4  mit  Rücksicht  auf  die  Streichung  des  §  1623  Abs.  1  Satz  2  ge- 
strichen wurde,  gab  nur  der  §  1737,  der  von  der  vorläufigen  Vormundschaft 


§  1733.  (1733  Abs.  1,  3.)  Ist  der  Vater  des  Mündels  zum  Vormunde  bestellt,  so 
unterbleibt  die  Bestellung  eines  Gegenvormundes ;  auch  stehen  dem  Vater  die  Befreiungen 
zu,  welche  nach  den  §§  1690  bis  1691  angeordnet  werden  können,  vorbehaltlich  der 
Befugnis  des  Vormundschaftsgericbts,  die  Befreiungen  aufser  Kraft  zu  setzen,  wenn  sie 
das  Interesse  des  Mündels  zu  gefährden  drohen. 

Diese  Vorschriften  finden  keine  Anwendung,  wenn  dem  Vater  im  Falle  der  Minder- 
jährigkeit des  Mündels  die  Vermögensverwaltung  nicht  zustehen  würde. 

§  1733  a.  (1733  Abs.  1,  3.)  Ist  die  eheliche  Mutter  des  Mündels  zum  Vormunde 
bestellt,  so  gilt  für  sie  das  Gleiche  wie  nach  §  1733  für  den  Vater.  Der  Mutter  ist  je- 
doch ein  Gegenvormund  zu  bestellen,  wenn  sie  die  Bestellung  beantragt  oder  wenn  die 
Voraussetzungen  vorliegen,  unter  welchen  ihr  nach  §  1561  f  Nr.  3  ein  Beistand  zu  be- 
stellen sein  würde.  Wird  ein  Gegenvormund  bestellt,  so  stehen  der  Mutter  die  im 
§   1690   bezeichneten  Befreiungen  nicht  zu. 

Anmerkung.     Der  Abs.  4  des  §   1733  des  Entw.  I  ist  gestrichen. 

§   1734  vergl.   §   1732  a. 

§  1735.  Die  Vormundschaft  über  einen  entmündigten  Volljährigen  endigt  mit  der 
Aufhebung  der  Entmündigung. 

Die  Vormundschaft  über  einen  Volljährigen,  der  nach  §  1727  unter  Vormundschaft 
gestellt  ist,  hat  das  Vormundschaftsgericht  aufzuheben  ,  wenn  die  Voraussetzungen  des 
§   1727  weggefallen  sind  oder  wenn  der  Mündel  die  Aufhebung  beantragt. 

§   1736.     Ein  Familienrat  kann  nur  nach  §   1713   Abs.   1   eingesetzt  werden. 

Der  Vater  und  die  Mutter  des  Mündels  sind  nicht  berechtigt,  Anordnungen  über  die 
Einsetzung  oder  über  die  Aufhebung  eines  Familienrats  zu  treffen. 

§  1737.  (1737  Abs.  1.)  Ein  Volljähriger,  dessen  Entmündigung  beantragt  ist,  kann 
unter  vorläufige  Vormundschaft  gestellt  werden,  wenn  das  Vormundschaftsgericht  es  zur 
Abwendung  einer  erheblichen  Gefährdung  der  Person  oder  des  Vermögens  des  Volljäh- 
rigen für  erforderlich  erachtet. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  711 

über  Volljährige,  deren  Entmündigung  beantragt  ist,  handelt,  zu  einer 
längeren  Erörterung  Anlafs,  wurde  aber  mit  geringen  Abweichungen  bei- 
behalten. Mit  liücksicht  auf  die  tiei'eingreifende  Wirkung  des  Mafsregel 
sprach  man  ausdrücklich  aus,  dafs  die  vorläufige  Vormundschaft  nur  an- 
zutreten ist,  wenn  sie  zur  Abwendung  erheblicher,  der  l'erson  oder  dem 
Vermögen  drohender  Gefahren  notwendig  ist.  Dagegen  wurde  sowohl  der 
Antrag  abgelehnt,  die  Anordnuug  der  vorläufigen  Vormundschaft  dem  Ent- 
mündigungsrichter  zu  überlassen,  wie  auch  der  Vorschlag,  nur  dann,  wenn 
die  Entmündigung  wegen  Verschwendung  oder  Geisteskrankheit,  nicht  aber 
wenn  dieselbe  wegen  Geistesschwäche  oder  Trunksucht  beantragt  sei,  eine 
Vormundschaft  zuzulassen. 

In   dem    von    der  Pflegschaft  handelnden    dritten  Titel    wurde  zu 
§   1739    die    Beschränkung    der    Pflegschaft    auf    V  er  mögen  sangelegen- 


§  1737  a.  (1737  Abs.  2.)  Die  Vorschriften  über  die  Berufung  zur  Vormundschaft 
gelten  nicht  für  die  vorläufige  Vormundschaft.  Die  Auswahl  des  Vormundes  erfolgt  durch 
das  Vormundschaftsgericht  nach  Mafsgabe  des  §   1638 

§  1737  b.  (1737  Abs.  3.)  Die  vorläufige  Vormundschaft  endigt  mit  der  Zurücknahme 
oder  der  rechtskräftigen  Abweisung  des  Antrags  auf  Entmündigung 

Erfolgt  die  Entmündigung,  so  endigt  die  vorläufige  Vormundschaft,  wenn  auf  Grund 
der  Entmündigung  ein   Vormund  bestellt   wird. 

Die  vorläufige  Vormundschaft  ist  von    dem  Vormundschaftsgericht  aufzuheben,  wenn 
der  Mündel  des  vorläufigen  vormundschaftlichen  Schutzes  nicht  mehr  bedürftig  ist. 
Anmerkung.     Der  Abs.  4   des  §    1737   des  Entw.  I  ist  gestrichen. 
Der  §  89   Abs.   2   II.  Lesung  enthält  folgende  Fassung: 

,,Die  Vorschriften  finden  entsprechende  Anwendung,  wenn  im  Falle  einer  vor- 
läufigen Vormundschaft  der  Antrag  auf  Entmündigung  zurückgenommen  oder  rechts- 
kräftig abgewiesen  oder " 

Dritter  Titel. 
Pflegschaft. 

§  1738.  Wer  unter  elterlicher  Gewalt  oder  unter  Vormundschaft  steht,  erhält  für 
Angelegenheiten,  welche  der  Gewalthaber  oder  der  Vormund  aus  einem  thatsächlichen 
oder  rechtlichen  Grunde  nicht  besorgen  kann,  einen  Pfleger.  Er  erhält  insbesondere  einen 
Pfleger  zur  Verwaltung  des  Vermögens,  welches  er  von  Todeswegen  erwirbt  oder  welches 
ihm  unter  Lebenden  von  einem  Dritten  unentgeltlich  zugewendet  wird,  wenn  der  Erb- 
lasser durch  Verfügung  von  Todeswegen  ,  der  Dritte  bei  der  Zuwendung  bestimmt  hat, 
dafs  dem  Gewalthaber  oder  dem  Vormunde  die  Verwaltung  nicht  zustehen  soll. 

Tritt  das  Bedürfnis  für  eine  Pflegschaft  hervor,  so  hat  der  Gewalthaber  oder  der 
Vormund  dem  Vormundschaftsgericht  unverzüglich  Anzeige  zu  machen. 

Die  Pflegschaft  ist  auch  dann  anzuordnen,  wenn  ein  Vormund  noch  nicht  bestellt 
ist,  die   Voraussetzungen   lür  die  Anordnung  einer  Vormundschaft  aber  vorliegen. 

§  1739.  Ein  Volljähriger,  der  infolge  geistiger  oder  körperlicher  Gebrechen  ein- 
zelne seiner  Angelegenheiten  oder  einen  bestimmten  Kreis  seiner  Angelegenheiten  nicht 
zu  besorgen  vermag,  erhält,  auch  wenn  die  Voraussetzungen  für  die  Anordnung  einer 
Vormundschaft  nicht  vorliegen,  für  diese  Angelegenheiten  einen  Pfleger.  Die  Pflegschaft 
darf  nur  mit  seiner  Einwilligung  angeordnet  werden,  es  sei  denn,  dafs  eine  Verständigung 
mit  ihm  nicht  möglich  ist. 

§  1740.  Ein  abwesender  Volljähriger,  dessen  Aufenthalt  unbekannt  ist,  enthält  für 
seine  Vermögensangelegenheiten,  soweit  sie  der  Fürsorge  bedürfen,  einen  Abwesenheits- 
pfleger. Ein  solcher  Pfleger  ist  ihm  insbesondere  auch  dann  zu  bestellen,  wenn  er  durch 
Erteilung  eines  Auftrags  oder  einer  Vollmacht  Fürsorge  getroffen  hat,  aber  Umstände 
eingetreten  sind,  die  zum  Widerrufe  des  Auftrags  oder  der  Vollmacht  Anlafs  geben. 

Das  Gleiche  gilt  von  einem  Abwesenden,  dessen  Aufenthalt  bekannt,  der  aber  an 
der  Rückkehr  und  der  Besorgung  seiner  Vermögensangelegenheiten  verhindert  ist. 


712  Nationalökonomische   Gesetzgebung. 

heiten  aufgegeben.  Aufserdem  erfuhr  der  §  1745  Abs.  2  und  die  §§  1747, 
1748  Nr.  3 — 5  Aenderungen,  von  deren  Hervorhebung  abgesehen  werden 
kann.  —  Der  Kommission  lag  endlich  noch  ein  Antrag  vor,  welcher  be- 
zweckte, im  Anschlufs  an  das  französische  Recht  eine  Verbeiständung  von 
Volljährigen  zuzulassen,  die  infolge  von  Geisteskrankheit,  Verschwendung 
oder  Trunksucht  die  Fähigkeit  zur  Besorgung  ihrer  Vermögensangelegen- 
heiten nicht  vollständig,  aber  teilweise  verloren  haben.  Der  Antrag  wurde 
jedoch  abgelehnt.  Man  hielt  es  für  bedenklich  und  sah  kein  Bedürfnis, 
neben  der  Vormundschaft  für  Geiseskranke,  Verschwender  und  Trunk- 
süchtige noch  ein  zweites  die  Fürsorge  für  sie  bezweckendes  Institut  auf- 
zunehmen, dessen  Voraussetzungen  von  den  Voraussetzungen  der  Entmün- 
digung wegen  Geisteskrankheit,  Verschwendung  oder  Trunksucht  nur  schwer 

§  1741.  Eine  Leibesfrucht  erhält  ein  Pfleger  zur  Wahrung  ihrer  künftigen  Rechte, 
soweit  diese  einer  Fürsorge  bedürfen.  Die  Fürsorge  steht  jedoch  dem  Vater  oder  der 
Mutter  zu,  wenn  das  Kind,  falls  es  bereits  geboren  wäre,  unter  elterlicher  Gewalt  stehen 
wüade. 

§  1742.  (1742,  1827.)  Ist  unbekannt  oder  ungewifs  ,  wer  bei  einer  Angelegenheit 
der  Beteiligte  ist,  so  kann  dem  Beteiligten  für  diese  Angelegenheit,  soweit  eine  Fürsorge 
erforderlich  ist,  ein  Pfleger  bestellt  werden.  Insbesondere  kann  einem  Nacherben,  der 
noch  nicht  erzeugt  ist  oder  dessen  Persönlichkeit  erst  durch  ein  noch  nicht  eingetretenes 
Ereignis  bestimmt  wird,  für  die  Zeit  bis  zum  Eintritte  der  Nacherbfolge  ein  Pfleger 
bestellt  werden. 

§  1743.  Auf  die  Pflegschaft  finden  die  für  die  Vormundschaft  geltenden  Vorschriften 
entsprechende  Anwendung,  soweit    sich  nicht  aus  dem   Gesetz  ein  Anderes  ergiebt. 

§  1744.  In  den  Fällen  des  §  1738  finden  die  Vorschriften  über  die  Berufung  zur 
Vormundschaft  keine  Anwendung. 

§  1745.  Wird  nach  §  1738  Abs.  1  Satz  2  die  Anordnung  einer  Pflegschaft  erfor- 
derlich, so  ist  als  Pfleger  berufen,  wer  als  solcher  von  dem  Erblasser  durch  Verfügung 
von  Todeswegen,  von  dem  Dritten  bei  der  Zuwendung  benannt  ist;  die  Vorschriften  des 
§   1637   finden  entsprechende   Anwendung. 

Der  Erblasser  kann  durch  Verfügung  von  Todeswegen,  der  Dritte  bei  der  Zuwen- 
dung dem  von  ihm  benannten  Pfleger  auch  die  in  den  §§  1690  bis  1691  bezeichneten 
Befreiungen  gewähren,  vorbehaltlich  der  Befugnis  des  Vormundschaftsgerichts,  die  Befrei- 
ungen aufser  Kraft  zu  setzen,  wenn  sie  das  Interesse  des  Pflegebefohlenen  zu  gefährden 
drohen.  Zu  einer  Abweichung  von  der  Anordnung  des  Dritten  ist  jedoch,  solange  er 
lebt,  seine  Zustimmung  erforderlich  und  genügend.  Die  Zustimmung  des  Dritten  kann 
durch  das  Vormundschaftsgericht  ersetzt  werden ,  wenn  der  Dritte  an  der  Abgabe  einer 
Erklärung  dauernd  verhindert  oder  sein  Aufenthalt  dauernd  unbekannt  ist. 

§   1746.     Die  Bestellung  eines  Gegenvormundes  ist  nicht  erforderlich,    aber  zulässig. 
§   1747  gestrichen. 

Anmerkung.  Im  Artikel  11  des  Entwurfes  des  Einführungs^esetzes  soll  zum 
Ersätze  des  §  1747  des  Entw.  I  folgende  Vorschrift  als  §  51  a  in  die  Civilprozefsordnung 
eingestellt  werden : 

„Wird    eine    prozefsfähige  Person    in    einem    Rechtsstreite    durch    einen    Pfleger 

vertreten ,     so    steht    sie     für    den  Rechtsstreit    einer    nicht    prozefsfähigen    Person 

gleich." 

2.  der  §  435  Abs.   2    der  Civilprozefsordnung    dahin    geändert    und  ergänzt  werden  : 

„Minderjährigen,   welche  das  sechszehnte  Lebensjahr  zurückgelegt  haben ,    sowie 

Volljährigen,     welche    wegen    Geistesschwäche,     Verschwendung    oder    Trunksucht 

entmündigt    sind,    kann für    zulässig    erklärt    wird.     Das  Gleiche    gilt    von 

einer  prozefsfähigen  Partei ,    die    in    einem  Rechtsstreite    durch  einen  Pfleger   ver- 
treten ist." 
§  1748.     (1748  Abs.   1  Nr.  1,   2,  5,  6.)     Die  Pflegschaft  für    eine    unter    elterlicher 
Gewalt  odee   Vormundschaft  stehende  Person  endigt    mit    der  Beendigung  der    elterlichen 
Gewalt  oder  der  Vormundschaft. 

Die  Pflegschaft  für  eine  Leibesfrucht  endigt  mit  der  Geburt  des  Kindes. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  713 

zu  unterscheiden  seien.  Mit  den  schon  früher  mitgeteilten  Beschlüssen 
über  die  religiöse  Erziehung  der  Kinder  endete  die  Beratung  des  Familien  - 
rechts. 


Die  Pflegschaft  zur  Besorgung  einer  einzelnen  Angelegenheit  endigt  mit  deren  Erle- 
digung. 

§  1748  a.  (1748  Abs.  2  Satz  1,  2.)  Die  Pflegschaft  ist  von  dem  Vormundschafts- 
gericht aufzuheben,  wenn  der  Grund  für  ihre  Anordnung  weggefallen  ist. 

§  1748  b.  (1748  Abs.  1  Nr.  3,  Abs.  2  Satz  4.)  Die  nach  §  1739  angeordnete  Pfleg- 
schaft ist  von  dem  Vormundschaftsgericht  aufzuheben,  wenn  der  Pflegebefohlene  die  Auf- 
hebung beantragt. 

§  1748  c.  (1748  Abs.  1  Nr.  4,  Abs.  2  Satz  3.)  Die  Pflegschaft  für  einen  Abwesen- 
den ist  von  dem  Vormundschaftsgericht  aufzuheben,  wenn  der  Abwesende  an  der  Besorgung 
seiner  Vermögensangelegenheiten  nicht  mehr  verhindert  ist. 

Durch  den  Tod  des  Abwesenden  wird  die  Pflegschaft  nicht  beendigt.  Das  Vormund- 
schaftsgericht hat  die  Pflegschaft  aufzuheben,  wenn  ihm  der  Tod  des  Abwesenden  bekannt 
wird.  Wird  der  Abwesende  für  tot  erklärt ,  so  endigt  die  Pflegschaft  mit  der  Erlassung 
des  die  Todeserklärung  aussprechenden  Urteils. 


714 


Miszellen 


Miszellen. 


XIV. 


Die  Ergebnisse  der  deutschen  Kriminalstatistik 
1882—1892. 

Von  G.  Lindenberg, 

Erstem  Staatsanwalt  in  Ratibor. 
(Schiurs.) 

2)  Verbrechen  und  Vergehen  gegen  die  Person. 

Bei  dieser  Deliktsgruppe  ist  mit  alleiniger  Ausnahme  des  Jahres  1888 
ein  Steigen  wahrnehmbar,  welches  ganz  bedeutende  Dimensionen  ange- 
nommen hat,  sich  aber  in  seltsamen  Sprüngen  vollzieht.  Die  rätselhafte 
Progression  geht  aus  folgender  Tabelle  hervor: 

Verbrechen  und  Vergehen  gegen  die  Person. 


Zahl  der 

Zunahme  (Abnahme) 

in  Proz. 

Jahr 

Verurteilten 

von  Jahr   zu 
Jahr 

seit 

1882 

1882 

107  398 

— 

— 

1883 

112  237 

+       4.5 

+ 

4.5 

1884 

125  299 

4-    11,6 

+ 

16,9 

1885 

127865 

+       2 

+ 

19 

1886 

134019 

+      4'9 

+ 

24.8 

1887 

137  745 

+       2,8 

+ 

28 

1888 

134669 

—      2,2 

+ 

25 

1889 

139  639 

+      3-2 

+ 

30 

1890 

148  096 

+     6 

+ 

38 

1891 

»49  75° 

+      1,1 

+ 

39,3 

1892 

157  927 

+       5-5 

■f- 

47 

Welche  Unregelmäfsigkeiten  trotz  der  grofsen  absoluten  Zahlen !  So 
wenig  sich  die  gewaltigen  Fortschreitungen  1883/84  und  1891/92  er- 
klären lassen,  so  schwer  wird  es  sein,  der  im  Jahre  1888  eingetretenen 
und  1889  noch  fortwirkenden  Hemmung  ganz  auf  den  Grund  zu  kommen. 
Es  sei  uns  aber  vergönnt,    eine    unseres  Wissens    nach  nirgends  berührte 


Miszellen. 


715 


und    doch    recht   uahe    liegende  Beobachtung    mitzuteilen,    welche    einiges 
Licht  in  die  Abnormitäten  des  Jahres   1888  bringen  dürfte. 

Das  Gesetz  vom  24.  Juni  1887  hat  im  Gebiete  der  deutschen  Brannt- 
weinsteuergemeiuschaft  den  Branntwein  verteuert.  Nach  Berliner  No- 
tierungen der  Großhandelspreise  ist  für  Kartoffelspiritus  (10  000  Liter 
ohne  Fafs)  folgende  Preisbewegung  festzustellen:  1886:37,0,  1887:50,8, 
1888:51,8,  1889:54,1,  1890:56,9,  1891:70,9,  1892:58,2  1.)  Der  Einflufs 
der  Trunkenheit  auf  die  Delikte  wider  die  Person  ist  wohl  unbestritten. 
Nun  zeigt  6icb  die  höchst  bemerkenswerte  Erscheinung,  dafs  im  Jahre 
1888  die  Verurteilungen  wegen  dieser  Deliktsgruppe  gerade  in  denjenigen 
Gegenden  Preufsens  abnehmen,  in  welchen  das  niedere  Volk  den  Schnaps 
bevorzugt,  während  im  Westen  Preufsens  die  Verminderung  minimal  ist, 
und  in  Bayern,  Württemberg,  Baden,  obgleich  das  Branntweinsteuer- 
gesetz auch  dort  eingeführt  wurde,  überhaupt  kein  Rückgang  eintritt 
Dies  ergiebt  folgende  Tabelle: 

Verurteilungen  wegen  Verbrechen  und  Vergehen  gegen  die  Person  in 

einzelnen   Gebieten 


1887      1888   I   1889 


1890 


1891 


1892 


Ost-  und  Westpreufsen 

Provinz  Posen 

Regierungsbezirk  Oppeln 

Rheinprovinz  mit  Reg.-Bez.  Arnsberg   und 

Fürstentuni   Birkenfeld 
Bayern  rechts  des  Rheins 
Württemberg,   Baden  und  Hohenzollern 


12  965 
6882 
7825 

13  315 

18855 
8  712 


11  835  12052 
5964  6826 
7  372     8181 


13  104 

19287 

8816 


14  282 

18880 

9  124 


13687 

7  594 

8  459 


13706 
7029 
8833 


15835   17  144 

19  466  19  506 

9  138I    9  433 


13873 
7138 
8728 

16678 
21  700 

10  267 


Diese  Zahlen  sind  bis  1891  aus  der  den  Wohnort  des  Verurteilten 
angebenden  Tabelle  IV  geschöpft.  Da  sich  in  der  Statistik  für  1892  jener 
Nachweis  nicht  mehr  findet,  hat  für  dieses  Jahr  Tabelle  II,  die  nach  dem 
Ort  der  That  rechnet,  benützt  werden  müssen.  Der  Unterschied  kann  aber 
nicht  ins  Gewicht  fallen.  Man  wolle  nun  an  der  Hand  der  Tabelle 
beachten,  welcher  Umschwung  sich  1888  im  Osten  vollzieht,  und  damit 
die  Entwicklung  am  Rhein ,  in  Bayern ,  Württemberg  und  Baden  ver- 
gleichen. Allerdings  liegt  der  Einwand  nahe,  dafs  die  Hemmung  im 
Osten  sich  aus  den  Branntweinpreisen  nicht  erklären  lasse,  weil  die 
Verteuerung  fortdauere,  die  Besserung  aber  nicht  angehalten  habe. 
Indes  ist  hierauf  zu  erwidern,  dafs  das  niedere  Volk  es  gelernt  hat,  die 
vermehrte  Ausgabe  für  den  Branntwein  einzubringen.  Als  der  Schnaps 
teurer  wurde,  mag  mancher  den  gewohnten  Genufs  eingeschränkt  haben. 
Aber  gerade  den  kriminell  angelegten  Naturen  fehlt  die  Widerstands- 
fähigkeit gegen  ihre  Gelüste.  Die  Schankwirte  haben  es  verstanden, 
ihre  Kundschaft  wieder  heranzuziehen ;  der  Schnaps  ist  gewifs  schlechter 
geworden ,  der  Fusel  aber  wirkt  weiter.  Wenn  wir  recht  berichtet 
sind,    hat    selbst    der   denaturierte    Spiritus    für    Gewohnheitstrinker    seine 


1)  Stat.   Jahrbuch  f.   d.   Deutsche  Reich   1893,   S.    120, 


71ß  Mis  zellen. 

Reize.  Immerhin  fällt  noch  jetzt  ein  Vergleich  des  Entwicklungs- 
ganges der  Delikte  gegen  die  Person  zwischen  den  scbnapstrinkenden 
Gegenden  und  dem  Süden  und  Westen  zum  Vorteil  der  ersteren  aus  und 
es  wird  sich  zeigen,  ob  die  1891  eingetretene  weitere  Verteuerung  des 
Spiritus  nicht  noch  ferner  heilsam  wirkt.     So  viel  im  allgemeinen. 

Das  Hauptdelikt  der  Gruppe  war  im  Jahre  1882  noch  die  Beleidi- 
gung mit  38  971  Verurteilten.  Das  Delikt  wächst  langsam.  Mit  46  458 
Verurteilten  hat  1892  bisher  die  höchste  Zahl.  Die  Vermehrung  um 
19  Proz.  ist  ernst  genug,  indes  hat  das  Delikt  keine  tiefe  Bedeutung. 
Die  Statistik  zeigt,  dafs  mehr  als  3/4  aller  Bestraften  mit  Geldstrafe 
davonkommen,  die  wieder  in  den  meisten  Fällen  recht  niedrig  ist.  So 
wurden  im  Jahre  1891  34  201  Personen  wegen  Beleidigung  mit  Geld- 
strafe belegt,  welche  gegen  10  843  im  Betrage  bis  zu  6  M.,  gegen  7231 
im  Betrage  von  7 — 10  M.  verhängt  wurde.  Die  Unerheblichkeit  der  Aus- 
schreitungen geht  hieraus  deutlich  hervor. 

Schon  1883  hat  die  Beleidigung  den  ersten  Platz  an  die  s.  g.  gefähr- 
liche Körperverletzung  abgetreten,  welche  im  raschen,  nur  im  Jahre 
1888  ein  wenig  gehemmten  Fortschreiten  es  1892  auf  65  666  Verurteilte 
gegen  38  291  im  Jahre  1882  gebracht  hat.  Also  ein  Mehr  von  fast  72  Proz. 
bei  grofsen  absoluten  Zahlen!  Wenngleich  erhöhte  Energie  der  Behörden 
an  dem  Anwachsen  der  Zahlen  dieses  von  Amts  wegen  verfolgbaren  Ver- 
gehens Teil  haben  mag,  so  ist  es  doch  nicht  fortzuleugnen ,  dafs  Roheit 
und  Rauflust  erheblich  gewachsen  sind,  namentlich  unter  der  Jugend. 
Nach  den  offiziellen  Bemerkungen  zu  der  Kriminalstatistik  für  1891  ent- 
fallen auf  je  100  000  Jugendliche  (d.h.  über  12  und  unter  18  Jahre  alte 
Personen)  in  den  Jahren  1883  —  87  je  75,  im  Jahre  1891  je  96  wegen  Körper- 
verletzung Verurteilte.  Es  ist  ein  geringer  Trost,  dafs  die  Strafen  für 
gefährliche  Körperverletzung  in  ihrer  Milde  erkennen  lassen,  dafs  die 
Vergehen  meist  geringfügiger  Art  sind.  So  kommt  unter  100  im  Jahre 
1891  Verurteilten  auf  29,3  eine  Geldstrafe,  die  fast  in  der  Hälfte  aller 
dieser  Fälle  15  Mark  nicht  übersteigt,  auf  32,9  weitere  Prozent  eine  Ge- 
fängnisstrafe unter  30  Tagen  und  nur  19  Proz.  werden  mit  Gefängnis  von 
3  Monaten  und  mehr  belegt.  Hervorgehoben  zu  werden  verdient,  dafs 
im  Jahre  1888  die  gefährlichen  Körperverletzungen  gegen  das  Vorjahr  in 
folgenden  Bezirken  erheblich  abgenommen  haben:  Posen  um  16  Proz., 
Marienwerder  12  Proz.,  Königsberg  8  Proz.,  Breslau  7,4  Proz.  In  allen 
bayrischen  Bezirken  und  in  Württemberg  haben  sie  in  dieser  Zeit  be- 
deutend zugenommen.  Für  die  gröfseren  Staaten  ergeben  sich  folgende 
Zahlen  der  wegen   gefährlicher  Körperverletzung  Verurteilten : 


1887 

1888 

1890 

Preufsen 

32  758 

31  072 

35  926 

Bayern 

II  226 

II  892 

H815 

Sachsen 

1799 

I  740 

I  814 

Württemberg 

1724 

1843 

2003 

Baden 

I  921 

1937 

2  298 

Unsere  Annahme  von  der  Einwirkung  der  Branntweinsteuer  wird 
auch  durch  diese  Reihen  bestätigt,  welche  übrigens  aufserdem  die  Fried- 
fertigkeit der  Sachsen  in  helles  Licht  setzen. 


Mi  sz  eilen.  717 

f^5  ]Die  einfache  Körperverletzung  ist  —  gleichfalls  mit  Hem- 
mungen in  den  Jahren  1885  und  1888  —  langsamer  gestiegen  und  weist 
im  Jahre  1892  22  821  Verurteilte  gegen  16  527  bei  Beginn  der  Stati- 
stik auf. 

Das  Mehr  beträgt  also  38  Proz.  —  Geldstrafe  tritt  bei  fast  60  Proz. 
an,  in  etwa  40  Proz.  der  Verurteilungen  ist  dieselbe  nicht  höher  als 
15  M.  Die  seh  w  e  re  Körp  erver  letzun  g  einschliefslich  der  Körper- 
verletzung mit  tödlichem  Erfolge  zeigt  geringe ,  sehr  wechselnde  Zahlen 
und  nimmt  seit   1885   entschieden  ab. 

Nötigung  und  Bedrohung  mit  einem  Verbrechen  sind  in 
Abschnitt  I  bereits  besprochen.  Hier  sei  nur  noch  erwähnt,  dafs  der  An- 
teil der  einzelnen  Bezirke  an  der  Bedrohung  ein  sehr  verschiedener  ist. 
Das  Delikt  ist  in  den  meisten  Fällen  nichts  als  rabulistische  Ausbeutung  be- 
stimmter sehr  grober,  aber  landläufiger  Redensarten.  Von  den  im  Jahre  1892 
wegen  Bedrohung  mit  einem  Verbrechen  7832  verurteilten  Personen  ent- 
fallen allein  1032  auf  Schlesien,  darunter  708  auf  den  Regierungsbezirk 
Oppeln,  in  welchem  das  niedere  Volk  seine  feindseligen  Gefühle  sehr  rasch 
in  die  Drohung  umsetzt,  den  Gegner  zu  , .erschlagen".  Auch  Posen,  Ost- 
und  Westpreufsen,  Hamm,  Augsburg,  Naumburg,  München,  Karlsruhe, 
Köln  stellen  ein  starkes  Kontingent,  während  in  den  Bezirken  Oldenburg, 
Kiel,  Rostock,  Braunschweig,  Hamburg  das  Delikt  zu  den  Seltenheiten 
gehört.  Dasselbe  wird  übrigens  meist  mit  Geldstrafe  oder  geringer  Frei- 
heitsstrafe gebüfst. 

Von  gewisser  numerischer  Bedeutung  ist  auch  das  Vergehen  der 
fahrlässigen  Körperverletzung  (1892:  2820  Verurteilte,  gegen 
1192  im  Jahre  1882).  Diese  Steigerung  um  137  Proz.  läfst  sich  einerseits 
aus  dem  immer  mehr  wachsenden  Verkehr,  sowie  aus  der  stärkeren  Ver- 
wendung von  Maschinen  erklären,  andererseits  aus  dem  Umstände,  dafs  die 
durch  die  Arbeiterschutzgesetzgebung  eingeführten  Unfallsanzeigen  auch  der 
Staatsanwaltschaft  zugehen ,  welche  dadurch  viel  häufiger  als  in  früheren 
Zeiten  Anlafs  zum  Einschreiten  erhält.  Bei  dem  verwandten  Delikt  der 
fahrlässigen  Tötung  ist  gegen  1882  eine  Vermehrung  von  32  Proz., 
629  gegen  476  Verurteilte,  zu  verzeichnen.  Die  Zahlen  schwanken,  seit 
1890  ist  eine  geringe  Besserung  eingetreten. 

Die  geringen  absoluten  Zahlen  des  Mordes  bieten  kein  sicheres 
Bild,  das  anscheinend  beste  Jahr  ist  1890  mit  88  Verurteilten,  das  schlimmste 
1883,  in  welchem  153  registriert  werden.  Das  Jahr  1892  bringt  144  Ver- 
urteilte. Es  ist  aber  nicht  zu  vergessen ,  dafs  unter  allen  diesen  Zahlen 
sich  auch  die  nur  wegen  Versuchs  oder  Beihilfe  Bestraften  befinden.  Die 
Anzahl  der  Todesurteile  ist  weit  geringer  (1892:  59,  1891  :  40,  1890:  64, 
1889:  55,  1888:  37,  1887:  64).  Wir  können  also  trotz  der  seit  1889 
häufigen  Vollstreckung  der  Todesstrafe,  deren  abschreckende  Wirkung  in 
die  Augen  springt,  eine  Besserung  leider  nicht  feststellen,  —  Totschlag 
hat  mit  172  Verurteilten  im  Jahre  1892  die  höchste  Ziffer.  Das  beste 
Jahr    1888    brachte    nur  117  Bestrafungen. 

Kindesmord,  bisher  nicht  erheblich  (von  161  zu  191  Verurtei- 
lungen) schwankend,  hat  im  Jahre  1892  die  bisher  unbekannte  Höhe  von 
221   Bestraften  erreicht.     Das    verwandte,  aber    schwerer    zu   ergründende 


718  Mis  Zeilen. 

Verbrechen  der  Abtreibung  der  Leibesfrucht,  immer  mit  sehr 
divergierenden  Jahresresultaten,  ist  in  letzter  Zeit  zu  erheblicher  Höhe 
angewachsen  (1892:  330  Verurteilte  gegen  167  im  Jahre  1883).  Die 
Stadt  Berlin  lieferte  im  Jahre  1892  48  Verurteilungen,  das  Königreich 
Sachsen   57,   die   Provinz  Schlesien  43. 

Zweikampf  zeigt  im  allgemeinen  eine  absteigende  Tendenz.  Das 
Jahr  1884  brachte  noch  170  Verurteilungen,  das  Jahr  1891  nur  60, 
während  sich  im  Jahre   1892  die  Zahl  auf  77  erhöht. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  den  Delikten  wider  die  Sittlichkeit,  so  fällt 
in  der  letzten  Zeit  die  Vermehrung  der  schweren  Geschlechtsverbrechen 
(Notzucht  und  Verwandtes)  zuerst  ins  Auge.  Das  Jahr  1892  bringt 
3450  Verurteilte  (darunter  869  Jugendliche)  gegen  2737  aus  1883. 
Dabei  hatte  das  Jahr  1888  eine  Besserung  (von  3131  auf  3042  ge- 
zeigt und  in  Preufsen  allein  waren  die  Verurteilungen  von  1742  auf  1600 
zurückgegangen,  was  wir  wieder  als  einen  —  leider  vorübergehenden  — 
Segen  der  Branntweinverteuerung  ansehen  möchten.  Von  den  im  Jahre 
1892  verurteilten  2581  Erwachsenen  erhielten  übrigens  nur  906  Zucht- 
hausstrafe, den  übrigen  1675  müssen  mildernde  Umstände  zugebilligt 
worden  sein,    soweit  nicht  Versuch  oder  Beihilfe  in  Frage  kam. 

Das  sehr  erhebliche  Anwachsen  der  Verurteilungen  wegen  Kuppelei 
(1892:  2481,  1882:  1377)  erklärt  sich  durch  verschärftes  polizeiliches 
Vorgehen  gegen  die  Zuhälter.  An  der  bedeutenden  Zunahme  gegen  1891 
(um  523  Bestrafte)  ist  wesentlich  die  Stadt  Berlin  mit  einer  Vermehrung 
um  192  Verurteilte  beteiligt,  deren  sie  1891  nur  494,  im  folgenden 
Jahre  aber  686  lieferte.  Auffallen  müssen  hiergegen  die  Kuppeleizahlen 
Hamburgs,  welche  im  Jahre  1891  nur  37,  im  Jahre  1892  gar  nur  31 
Verurteilte  nachweisen. 

Die  übrigen  Spezialdelikte  der  grofsen  Abteilung  Verbrechen  und 
Vergehen  gegen  die  Person  bieten  nichts  Bemerkenswertes. 

3.     Verbrechen  und  Vergehen  gegen  das  Eigentum. 

In  der  Zeit  von  1882  bis  1892  sind  die  Zahlen  dieser  gröfsten 
Deliktsgruppe  von  169  334  auf  196  437  gestiegen.  Dies  macht  16  Proz. 
aus  und  erscheint  gegenüber  dem  Anwachsen  der  Bevölkerung,  das  mehr 
denn  12  Proz.  beträgt,  nicht  so  sehr  erheblich.  Es  ist  indes  zu  bemerken, 
dafs  es  sich  um  grofse  absolute  Zahlen  handelt,  welche  sich  von  1882 
bis  1888  (mit  nur  152  652  Verurteilten)  in  absteigender  Richtung  bewegen 
und  dafs  von  da  ab  ein  rapides  Anwachsen  eintritt,  so  dafs  wir  im  Jahre 
1890  den  Zahlen  des  Ausgangsjahres  schon  recht  nahe  stehen  und  den 
in  6  Jahren  errungenen  Vorteil  einbüfsen.  Nun  folgt  1891  eine  Ver- 
mehrung gegen  das  Vorjahr  um  9728  Verurteilte  und  das  Jahr  1892 
bringt  im  Vergleich  mit  1891  eine  Vermehrung  um  18  602  Verurteilte. 
Also  gegen  das  Vorjahr  10,46  Proz.,  gegen  das  beste  Jahr  1888  29  Proz. 
Verschlimmerung.  Wenn  es  noch  eines  Beweises  dafür  bedürfte,  dafs 
Faktoren,  die  unabhängig  sind  von  Religion,  Sitte,  Treue  und  Glauben, 
die  statistischen  Zahlen  beeinflussen,  so  wäre  dieser  Beweis  jetzt  geführt. 
Denn  niemand  wird  im  Ernst  behaupten  wollen,  dafs  in  der  Volksseele 
sich    die  Achtung    fremden    Eigentums    von    1882  bis   1888    so    vermehrt 


Mi  s  z  e  11  e  n. 


719 


und  von  1888  bis  1892  so  vermindert  haben  sollte,  wie  die  Zahlen  es 
ergeben.  Wenn  1882  bis  1888  besondere  Fortschritte  in  Moral  und  Volks- 
erziehung zu  verzeichnen  wären ,  müfste  man  darüber  staunen  ,  dafs  sich 
in  den  folgenden  Jahren  so  plötzlich  alles  Gute  in  das  Gegenteil  ver- 
wandelt hat,  und  wenn  man  andererseits  einen  chronischen  Krankheits- 
prozefs  der  Volksseele  konstruieren  wollte,  wäre  wieder  die  bis  1888 
bemerkbare  Besserung  unerklärlich.  In  Wahrheit  liegt  die  treibende  oder 
hemmende  Kraft  hinsichtlich  der  Eigentumsdelikte  in  den  wirtschaftlichen 
Verhältnissen  der  niederen  Volksschichten.  Der  Magen  spielt  dabei  die 
Hauptrolle.  Wir  haben  zum  Erweise  dieser  nicht  neuen  Behauptung 
eine  Uebersicht  über  Steigen  und  Sinken  der  Eigentumsdelikte  im  allge- 
meinen, des  einfachen  Diebstahls  und  des  in  §  289  Strafgesetzbuchs  be- 
drohten strafbaren  Eigennutzes  im  besonderen,  ferner  der  Preise  des 
Boggenmehls  und  der  Speisekartoffeln  aufgestellt.  Das  Delikt  gegen 
§  289  Strafgesetzbuchs  haben  wir  gewählt,  weil  es  mehr  als  jedes  andere 
die  wirtschaftliche  Not,  namentlich  in  den  Städten,  zum  Ausdruck  bringt. 
Die  typische  Form  dieses  Delikts  ist  die  Wegschaffung  der  Möbel  des 
Mieters,  an  welchen  dem  Vermieter  ein  Zurückbehaltungsrecht  zusteht. 
Wer  seine  Miete  bezahlen  kann,  wird  schwerlich  zu  dieser  gesetzwidrigen 
Handlung  schreiten,  welche  ja  nie  verborgen  bleibt,  und  wenn  noch  nach- 
träglich der  Wirt  befriedigt  wird,  stellt  er  kaum  Strafantrag.  Das  Roggen- 
mehl und  die  Kartoffeln  sind  die  unentbehrlichsten  Nahrungsmittel  des 
kleinen  Mannes.  Dafs  eine  Mifsernte  an  Kartoffeln  die  ländliche  Krimi- 
nalität ungemein  steigert,  beruht  auf  Erfahrung.  Bei  der  Durchsicht  der 
Tabelle  wolle  man  beachten,  dafs  das  Steigen  und  Sinken  der  Preise  auf 
die  Höhe  der  Kriminalität  erst  im  folgenden  Jahre  einwirkt,  zumal  die 
Strafthaten  zum  grofsen  Teile  in  dem  Kalenderjahre  begangen  werden, 
welches  dem  der  Aburteilung  vorausgeht l). 


Verbrechen  u.  Ver- 

Einfacher Dieb- 

Strafbarer Eigen- 

Roggenmehl 2) 

Kartoffeln 

Jahr 

mögen 

stahl  §  242  StGB. 

nutz  § 

289  StGB. 

Berlin  100  kg 

1000    kg2)  Berlin 

% 

zum 

Verur- 

O/o zum 

Verur- 

O/o zum 

O/o  zum 

0/9  zum 

Vorjahr 

teilt 

Vorjahr 

teilt 

Vorjahr 

Vorjahr 

Vorjahr 

1883 

164  590 

— 

76  929 

1461 

— 

20,4 

— 

55,7 

— 

1884 

162898 

— 

1,03 

74293 

—      3,43 

1450 

—     0,75 

19,6 

—     3,9 

39,3 

—   29,4 

1885 

157  275 

— 

3,45 

69  241 

—      6,8 

1214 

—   16,3 

19,3 

—      1,5 

32,2 

—    18 

1886 

I56930 

— 

0,22 

68  479 

—      1.1 

1239 

+       2,06 

17,9 

—     7,2 

29,9 

—     7-1 

1887 

154  745 

— 

1,39 

65  297 

—      4,65 

1233 

—      0,49 

17,1 

—     4,4 

33,3 

+    II 

1888 

152652 

— 

1,38 

65  060 

—      0,36 

1345 

+     9,1 

18,8 

+  10,0 

37,9 

+    13  » 

1889 

165  621 

+ 

8,49 

71  881 

+    IO,48 

I410 

+     4,8 

21,8 

+  16,0 

33,3 

—    IO,8 

1890 

168  107 

+ 

1,5 

70  945 

—      0,13 

I507 

+       6,4 

23,4 

+      7,3 

36.4 

+     8,3 

1891 

177  835 

+ 

5,79 

75  256 

+      6,09 

2150 

+    42;6 

29,1 

+  24,3 

63,8 

+   75-3 

1892 

196  437 

+ 

10,46 

82751 

+      9,96 

3137 

+  45,9 

24,6 

—  17,4 

54,7 

—  14,3 

1)  Noch  klarer  läfst  sich  der  EinfluTs  der  Ernte  und  des  Wetters  nachweisen,  wenn 
man  für  einen  kleinen,  abgegrenzten  Bezirk  Notizen  sammelt  und  die  kriminalstatistischen 
Zahlen  vergleicht.  So  Damme,  Kriminalität  in  Schleswig-Holstein.  Zeitschr.  f.  Straf- 
rechtswissenschaft, Bd.   10,  S.   742  ff. 

2)  Preise  nach  amtlichen  Notierungen.     Stat.  Jahrbuch  f.  d.  Deutsche  Reich,  S.  120  f. 


720  Miszellen. 

Man  sieht,  dafs,  wenn  in  einem  Jahre  die  Roggenmehl-  und  Kartoffel- 
preise gleichzeitig  steigen  (1888,  1891),  die  Kriminalität  im  folgenden 
Jahre  (1889,  1892)  ganz  erheblich  emporgeht,  während  eine  Verteuerung 
des  Roggens  bei  niedrigeren  Kartoffelpreisen  (1889)  auf  das  folgende  Jahr 
minder  einwirkt,  sogar  ein  Herabgehen  der  einfachen  Diebstähle  nicht 
hindern  kann.  Wenn  diese  Erscheinung  auch  künftig  zutrifft,  dürfen  wir 
bei  den  Eigentumsvergehen  einer  Besserung  entgegensehen. 

Was  die  Unterabteilungen  der  Gruppe  anlangt,  so  ist  die  Bewegung 
des  einfachen  Diebstahls  bereits  durch  die  Tabelle  veranschaulicht. 
Erwähnt  sei  noch,  dafs  der  Anteil  der  Jugendlichen  an  diesem  Vergehen 
von  Jahr  zu  Jahr  wächst  und  1892  mit  20  573  Verurteilten  schon  10,4  Proz. 
beträgt. 

Der  einfache  Diebstahl  im  Rückfalle  macht  zwar  die  bis  1888 
absteigende  und  von  da  aufsteigende  Bewegung  (mit  einer  kleinen  Hemmung 
1890)  mit,  seine  schliefsliche  Vermehrung  gegen  das  Ausgangsjahr  beträgt 
aber  (bei   12  775  Verurteilten)  nur  6  Proz. 

Schlimmer  steht  es  mit  dem  schweren  (nicht  rückfälligen)  Dieb- 
stahl, der  schon  von  1886  an  stetig  steigt  und  1892  mit  10  748  das  Aus- 
gangsjahr 1882  um  19  Proz.  übertrifft.  Ganz  auffallend  ist  die  starke  Be- 
teiligung der  Jugendlichen  an  diesem  Verbrechen,  die  schon  1882  25,5  Proz. 
betrug,  jetzt  aber  32  Proz.  erreicht  hat,  eine  furchtbare  Rekrutierungs- 
ziffer. —  Schwerer  Diebstahl  im  Rückfalle  ist  von  1882  zu  1888 
erheblich  —  um  26  Proz.  —  zurückgegangen  und  seitdem  sehr  gestiegen, 
die  Zahl  des  Ausgangsjahres  ist  aber  noch  nicht  erreicht. 

Das  Vergehen  der  Unterschlagung  macht  die  absteigende  Bewegung 
der  Eigentumsdelikte  nicht  mit,  sondern  hält  sich  bis  1888  ziemlich  auf 
derselben  Höhe.  Dann  aber  beginnt  auch  hier  die  Steigerung,  die  1892 
zu  18  372  Verurteilungen  führt,  gegen  1882  26  Proz.  mehr.  Wir  glauben, 
dafs  gröfsere  Ausbreitung  von  Handel  und  Verkehr  dieses  Delikt  beein- 
flufst,  indem  sich  die  Gelegenheit  mehrt. 

Während  das  Vergehen  der  Begün  stigun  g  nicht  zugenommen  hat, 
zeigt  die  Hehlerei ,  was  nicht  wunder  nehmen  kann,  eine  ähnliche  Kurve 
wie  der  Diebstahl,  Abnahme  bis  1888  und  von  da  ab  eine  zuletzt  rapide 
Zunahme.  Immerhin  ist  die  Zahl  des  Ausgangsjahres  durch  die  Ergebnisse 
von  1892  nur  um  7  Proz.  überboten.  G  ewe  r  bsmäfsige  Hehler  ei  mit 
kleinen  absoluten,  also  mehr  schwankenden  Zahlen  zeigt  einen  annähernd 
gleichen  Verlauf,  während  Hehlerei  im  Rückfalle  im  Gegensatz  zu 
den    anderen  Eigentumsdelikten  seit  1888  abnimmt. 

Betrug  geht,  abgesehen  von  einer  unbedeutenden,  im  Jahre  1885 
eingetretenen  Besserung  vorwärts,  zuletzt  mit  Riesenschritten.  Er  hat  mit 
18  595  im  Jahre  1892  erfolgten  Verurteilungen  das  Ergebnis  des  Jahres 
1882  um  67,7  Proz.  überholt  und  sich  unter  den  Deliktsarten  den  sechsten 
Platz  erobert,  während  er  1882  noch  den  elften  einnahm.  Wenn  sich  auch 
dieses  Anwachsen  zum  Teil  auf  die  oben  bereits  erörterte  Steigerung  der 
Gelegenheit  zu  fraudulosem  Verhalten  zurückführen  läfst,  dürfen  wir  uns 
doch  der  Ansicht  nicht  verschliefsen,  dafs  Treue  und  Glaube  in  Handel 
und  Verkehr  abgenommen  hat.  Das  traurige  Ergebnis  wird  allerdings 
einigermafsen    durch    die   Thatsache    gemildert,    dafs    fast    die  Hälfte    aller 


Miszellen.  721 

wegen  Betruges  Bestraften  mit  Geldstrafe,  Verweis  oder  Gefängnis  unter 
8  Tagen  fortkommt,  was  auf  Geringfügigkeit  des  Schadens  schiiefsen  läfst. 

Das  Vergehen  der  Untreue  zeigt  dieselbe  Bewegung  wie  der  Betrug, 
nur  sind  bei  den  niedrigen  Zahlen  die  prozentualen  Schwankungen  gröfser. 
Den  655    Verurteilungen  aus    1892  stehen    267   aus    1882   gegenüber. 

Auch  die  Vermehrung  der  Urkundenfälschung,  welche  nur  1885 
und  1888  geringen  Stillstand  zeigt,  ist  zu  beklagen.  Das  Jahr  1892  mit  4265 
Verurteilungen  überragt  das  Jahr  1882  um  47  Proz.  Bei  diesem  Delikt 
kommen  aber  als  Ursachen  der  Steigerung  eine  sehr  strenge  Auffassung 
des  Thatbestandes  in  der  Rechtsprechung  des  Reichsgerichts  und  6odann 
der  Umstand  in  Betracht,  dafs  das  Delikt  im  Laufe  der  Zeit  viel  breiteren 
Volksschichten  zugänglich  geworden  ist.  Die  Quittungskarten  der  Alters- 
und Invaliditätsversicherungsanstalten  sind  in  Aller  Hand.  Auch  6onst 
sorgt  unser  papiernes  Zeitalter  für  die  Möglichkeit  von  Urkundenfälschungen. 
In  der  Statistik  werden  übrigens  die  sogen,  schweren  Urkundenfälschungen, 
welche  aus  Gewinnsucht  entspringen  und  mit  Zuchthaus  bedroht  sind  (§  268, 
272  Strafgesetzb.),  mit  den  anderen  Urkundenfälschungen  zusammengeworfen, 
die  mehr  den  Charakter  eines  Formaldeliktes  tragen  und  nicht  eigentlich 
zu  den  Vergehen  gegen  das  Vermögen  gehören.  Eine  gesonderte  Dar- 
stellung der  beiden  recht  verschiedenen  Arten  würde  interessant  genug  sein. 
Mutmafslich  ist  das  Verbrechen   häufiger  als  das  Vergehen. 

Raub,  ein  Verbrechen  mit  geringen  absoluten  Zahlen,  wächst  seit 
1887,  zuerst  langsam,  dann  erheblicher.  Das  Jahr  1892  mit  485  Verur- 
teilten steht  wieder  an  der  Spitze,   19   Proz.  höiier  als  1882. 

Wie  alle  raffinierten  Delikteist  die  E  r  p  r  e  s  su  n  g  ungemein  herange- 
wachsen. Wir  zählen  1892  6'24  Verurteilte.  Das  Jahr  1882  war  gleich- 
falls stark  belastet  (526  Verurteilte),  doch  war  die  Zahl  im  Jahre  1886 
auf  426   zurückgegangen. 

Merkwürdige  Schwankungen  zeigen  bei  verhältnismäfsig  hohen  Ziffern 
die  Jagdvergehen.  Der  letzte  Stand  (4632)  ist  besser  als  der  von 
8  Vorjahren,  noch  günstiger  nehmen  sich  die  Jahre  1889  und  1890  aus. 
Aehulich  verhalten  sich  die  Fischereivergehen. 

Sachbeschädigung  —  mehr  ein  Rohheits-  als  ein  Eigentumsdelikt  — 
ist  von  1883  bis  1887  langsam  gestiegen.  Das  Jahr  1888  bringt  in  den 
Gesamtzahlen  eine  kleine  Besserung  (um  860  Verurteilte),  während  in 
Preufsen,  allein  betrachtet,  sich  eine  Besserung  um  936  herausstellt.  Auch 
dies  kann  als  Beweis  für  die  günstige  Wirkung  der  Branntweinverteuerung 
betrachtet  werden,  die  aber  auch  bei  dem  in  Rede  stehenden  Delikt  nicht 
angehalten  hat,  indem  das  Jahr  1892  mit  14  768  Verurteilten  alle  Vor- 
gänger überragt. 

Wucher  kommt  aufserordentlich  selten  zur  Bestrafung.  Höchster 
Stand  1882  mit  98  Verurteilten,  niedrigster  1890  mit  22,  letzter  1892 
mit  37.  Dieses  Delikt  zeigt  so  recht  deutlich,  wie  vorsichtig  man  in  der 
Deutung  der  Zahlen  sein  mufs.  Denn  wer  aus  den  Ergebnissen  der  Sta- 
tistik schiiefsen  wollte,  dafs  in  Deutschland  Mord  3 — 4  mal  häufiger  be- 
gangen wurde,  als  Wucher,  der  würde  sich  gründlich  täuschen.  Der  Wucher 
arbeitet  im  Stillen  und  kommt  nicht  ans  Licht.  Die  Opfer  werden  so  um- 
garnt, dafs  sie  die  Anzeige  scheuen,  meist  müssen  sie  auch  mit  Rücksicht 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXM).  46 


"J22  Miszellen. 

auf  die  eigene  Stellung  schweigen.  Für  die  Geschicklichkeit  der  "Wucherer, 
sich  aus  der  Schlinge  zu  ziehen,  spricht  der  Umstand,  dafs  trotz  der  sehr 
seltenen  Anklagen  noch  nicht  die  Hälfte  der  Angeklagten  verurteilt  wird 
(47,4  Proz ),  eine  Erscheinung,  die  bei  keinem  anderen  Delikte  hervor- 
tritt;  selbst  Meineid  hat  eine   Verurteilun^squote  von   61,8   Proz. 

Gegen  die  reichsgesetzlichen  Verbote  betr.  Glücksspiel,  Veranstaltung 
von  Ausspielungen  und  Lotterien  wird  gleichfalls  offenbar  häufiger  ge- 
handelt, als  die  statistischen  Zahlen  nachweisen,  die  bei  starken  Schwankungen 
im  Jahre  1892  mit  1001  Verurteilten  die  Vorjahre  erheblich  übertreffen. 

Die  Zahlen  des  betrügerischen  Baukerutts,  eines  schwer  zu 
erweisenden  und  vor  dem  Schwurgericht  zu  verhandelnden  Verbrechens,  sind 
niedrig  und  deshalb  zu  Veigleichuugen  nicht  geeignet.  Bester  Stand 
1886  mit  135  Verurteilten,  schlechtester  1891  mit  186.  Der  einfache 
Baukerutt  dagegen  zeigt  seit  1885  steigende  Tendenz  und  ist  1892  mit 
759   Verurteilten  gegen    1885  um   72   Proz.   gewachsen. 

Die  Vergehen  gegen  das  Nahrungsmittelgesetz  steigen 
von  1882 — 1885,  in  den  folgenden  zwei  Jahren  tritt  eine  geringe  Besse- 
rung ein,  von  1888  ab  dagegen  weiteres  Anwachsen.  Hier  ist  der  Grand 
der  Vermehrung  weniger  auf  das  Verhalten  der  Gewerbetreibenden  als  auf 
die  vermehrte  Sorge  für  die  Gesundheit,  bessere  polizeiliche  UeberwachuDg, 
Einrichtung  von  Untersuchungsämtern,  auch  auf  scharfes  Vorgehen  der 
Judikatur  gegen  Mifsbräuche,  sowie  auf  den  weiteren  gesetzlichen  Aus- 
bau der  Materie  (Buttergesetz,   Weingesetz)  zurückzuführen. 

Von  den  gemeingefährlichen  Verbrechen  und  Vergehen 
ist  zu  berichten,  dafs  Bra  n  dsti  f  t  u  ng  von  1882  bis  1889  stetig  und  er- 
heblich (fast  35  Proz.)  abgenommen  hat,  während  sich  in  den  letzten 
Jahren  1890  und  1892  wüeder  eine  Zunahme  zeigt,  die  aber  den  Stand 
der  ersten  3  Jahre  noch  nicht  erreicht  hat.  Sehr  bedeufend  ist  die  Neigung 
der  Jugendlichen  zu  diesen  Verbrechen  (z.  B.  1891  37,6  Proz.);  übrigens 
eine  alte  Erscheinung,  aus  der  man  früher  die  sogen.  Pyromanie  herleiten 
wollte,  die  jetzt  wissenschaftlich  und  in  der  Gerichtspraxis  als  abgethan 
gilt.  Die  f  ahr  lä  s  sige  In  br  an  d  se  tzu  n  g  bietet  in  den  einzelnen  Jahr- 
gängen die  sonderbarsten  Unterschiede.  Am  günstigsten  steht  das  Jahr 
1884  mit  480  Verurteilten,  am  schlimmsten  wieder  1892  mit  deren  1141 
und  mit  einer  Steigerung  von  fast  73  Proz.  gegen  das  schon  genug  be- 
lastete Jahr  1891.  Eine  Erklärung  dieses  Wechsels  bei  einem  nur  auf 
Fahrlässigkeit  beruhenden  Delikte  wird  sich  kaum  findeu  lassen.  Es  fällt 
aber  auf,  dafs  1892  allein  434  Jugendliche,  also  38  Proz,  an  dem  Ver- 
gehen beteiligt  waren,  während  das  Jahr  1891  deren  nur  203  zählt,  also 
30,8  Proz.  Ausdrücklich  sei  bemerkt,  dafs  erfahruugsgemäfs  eine  sehr 
grofse  Anzahl  Brände  durch  Kinder  verursacht  werden,  die  weniger  als 
12  Jahre  alt  und  deshalb  strafrechtlich  nicht  verantwortlich  sind. 

Die  Verletzung  von  Absperrungsmafsregeln  bei  Krank- 
heiten und  Viehseuchen  hängt  von  Faktoren  ab,  die  mit  der  Kriminalität 
wenig  zu  thun  haben,    hat    sich    übrigens    seit    1890    erheblich  gebessert. 

4)  Verbrechen  und  Vergehen  im  Amt. 

Dieser  Abschnitt  der  Kriminalstatistik  sei  nur  der  Vollständigkeit 
wegen  erwähnt.     Einen  klaren  Blick  über  die  Kriminalität  der  Beamten 


M  i  s  zel  1  en.  "723 

wird  er  nie  gewähren,  weil  deren  Verbrechen  und  Vergehen  zum  grofsen 
Teil  in  den  früheren  Abschnitten  mit  gerechnet  werden  und  zwar  auch 
in  Fällen,  in  denen  das  Amt  das  Delikt  ermöglicht  hat  (z.  B.  fahrlässige 
Gefährdung  eines  Eisenbahntransportes  durch  ßahnbeamte,  —  die  typische 
Form  dieses  Vergehens)  oder  sogar  eine  Vorbedinguig  der  Stratbarkeit 
bildet  (§  174  Strafgesetzbuchs  Unzucht  mit  Gefangenen  u.  s.  w.),  ferner 
weil  als  Vergehen  im  Amt  auch  die  sogen,  aktive  Bestechung  erscheint, 
die  eben   von   Nichtbeamten  ausgeübt  wird. 

Wir  können  aber  feststellen,  dafs,  obgleich  in  den  11  Jahren  seit 
1882  das  Beamtentum  im  Keiche  erheblich  zugenommen  hat,  eine  Ver- 
mehrung der  Amtsdelikte  nicht  eingetreten  ist.  Das  Jahr  1892  mit 
1570  Verurteilten  nimmt  die  sechste  Stelle  ein,  seine  Zahl  entspricht  auch 
dem  Durchschnitt  der  1 1  Jahre.  Die  Schwankungen  innerhalb  der  Unter- 
abteilungen bieten  nichts  Bemerkenswertes. 

III.  Kriminalität  der  Jugendlichen. 

Personen,  welche  eine  strafbare  Haudlung  im  Alter  von  mehr  als 
zwölf  und  weniger  als  achtzehn  Jahren  begangen  haben,  können  nur  ver- 
urteilt werden,  wenn  sie  nach  richterlicher  Ueberzeuguug  die  zur  Er- 
kenntnis der  Strafbarkeit  ihrer  Handlung  erforderliche  Einsicht  besessen 
haben.  Sie  werden  stets  milder  bestraft  als  ältere  Delinquenten,  Todes- 
und  Zuchthausstrafe  sind  unzulässig,  dagegen  ist  der  Verweis  ein  nur 
für  diese  Personenkategorie  bestimmtes  Stratmittel.  Nicht  blofs  die  Aus- 
nahmestellung, welche  der  Gesetzgeber  den  „Jugendlichen"  einräumt, 
sondern  auch  die  Erwägung,  dafs  das  Verhalten  der  Jugendlichen  Schlüsse 
in  die  Zukunft  gestattet,  haben  seit  Beginn  der  deutschen  Kriminal- 
statistik  zu  einer  besonderen  Betrachtung  dieser  Altersstufe  geführt. 

Leider  läfst  sich  nicht  verkennen,  dafs  in  den  elf  Jahren,  über  die 
wir  berichten,  sich  die  Kriminalität  der  Jugendlichen  noch  intensiver 
vermehrt  hat,  als  die  Gesamtkriminalität.  Indes  sind  erst  die  letzten 
Jahre  für  dieses  Ergebnis  verantwortlich  zu  machen.  Das  Ausgangsjahr 
1882  bringt  30  719  verurteilte  Jugendliche,  das  folgende  Jahr  ist  besser 
(29  966),  1884  erhöht  sich  die  Zahl  und  sinkt  1885  um  ein  Geringes. 
Von  1886  zu  1887  zeigt  sich  die  erste  nennenswerte  Steigerung  (31513 
zu  33  113),  das  „gute''  Jahr  1888,  in  welchem  sich  die  allgemeine  Krimi- 
nalität um  1,06  Proz.  gegen  das  Vorjahr  verminderte,  bringt  bei  den 
Jugendlichen  eine  nur  0,13  Proz.  betragende  Besserung.  Dann  gehen  die 
Zahlen  mit  grofsen  Sprüngen  in  die  Höhe.  36  790,  41003,  42  312  und 
46  496  Jugendliche  sind  in  den  Jahren  1889  bis  1892  verurteilt  worden. 
Das  letzte  Jahr  zeigt  also  gegen  das  Ausgangsjahr  1882  eine  Vermehrung 
um  51,3  Proz.  Nur  ein  schwacher  Trost  ist  es,  dafs  die  Altersklasse 
der  Jugendlichen  bei  der  Vermehrung  der  strafmündigen  Civilbevölkerung 
ganz  besonders  stark  vertreten  ist.  Nach  den  Ergebnissen  der  Volks- 
zählung waren  vorhanden  Jugendliche  in  unserem  Sinne: 
am  1.  Dezember  1885  5  573  545 
„     „  „  1890    6300312 

was  eine  Vermehrung  um  13  Proz.  bedeutet,  während  im  gleichen  Zeit- 
räume die  gesamte  strafmündige  Civilbevölkerung   nur    um  6,47  Proz.  ge- 

46* 


724  Miszellen. 

wachsen  ist.  Diese  enorme  Steigerung  der  Gesamtzahl  der  Jugendlichen 
wird  aber  durch  die  Erhöhung  ihrer  Kriminalität  bei  weitem  übertreffen. 
Fassen  wir  nur  die  ganz  feststehenden  Bevölkerungszahlen  am  1.  Dez. 
1885  und  1890  ins  Auge  und  vergleichen  sie  mit  den  Zahlen  der  in  den 
Jahren  1886  und  1891  verurteilten  Jugendlichen,  so  ergiebt  sich,  dafs  auf 
je  10000  v  orh  an  de  n  e  Jugendliche  im  Jahre  1886  565,  im  Jahre  1891 
dagegen   612  verurteilte  Jugendliche  entfallen. 

Hiernach  ist  selbstverständlich,  dafs  auch  das  Verhältnis  der  verur- 
teilten Jugendlichen  zu  der  Gesamtzahl  aller  Verurteilten  sich  in  den 
letzten  Jahren  verschlechtert  hat,  und  zwar  trotz  des  Steigens  der  allge- 
meinen Kriminalität.  Während  1882  unter  je  100  Verurteilten  nur  9,3 
Jugendliche  sich  befanden  und  dieser  Prozentsatz  bis  1886  auf  8,9 
zurückging,  sind  1889  schon  10  Proz.  aller  Verurteilten  Jugendliche  und 
im  Jahre   1892   wurden   11    Proz.   überschritten. 

Bei  dieser  bedeutenden  und  immer  wachsenden  Beteiligung  der 
Jugendlichen  an  dem  Verbrechertum  fällt  noch  erschwerend  ins  Gewicht, 
dals  viele  Jugendliche,  obgleich  sie  der  Strafthat  überführt  sind,  unter 
der  Feststellung,  dafs  sie  die  zur  Erkenntnis  der  Strafbarkeit  erforderliche 
Einsicht  nicht  besessen,  freigesprochen  werden,  dafs  eine  grofse  Reihe 
von  Delikten,  die  nur  auf  Antrag  verfolgbar  sind  (Diebstahl,  Unter- 
schlagung, Betrug  gegen  Angehörige,  Vormüuder,  Erzieher,  Lehrmeister), 
hauptsächlich  von  Jugendlichen  begangen  werden,  dafs  dagegen  aus  be- 
greiflichen Gründen  meist  Schonung  geübt  und  der  Strafantrag  nicht  ge- 
stellt wird,  wie  man  ja  überhaupt  geneigt  ist,  Ausschreitungen  eines 
jungen,  unbestraften  Menschen  nicht  erst  zur  Anzeige  zu  bringen,  um 
ihm  nicht  frühzeitig  einen  Makel  anzuhängen  1).  Die  Jugendlichen,  welche 
gegen  Strafgesetze  gefrevelt  haben,  befinden  sich  also  fast  durchweg  in 
einer  güustigeren  Lage  als  erwachsene  Verbrecher,  und  diese  Chance, 
unbestraft  zu  bleiben,  wird  nicht  aufgewogen  durch  die  den  Jugendlichen 
eigene  Bereitwilligkeit,  ein   offenes  Geständnis  abzulegen. 

Die  folgende  tabellarische  Vergleichung  der  Gesamtzahlen  mit  den 
Deliktsziffern  der  Jugendlichen  aus  den  Jahren  1886  und  1892  ergiebt 
deutlich,  wie  sehr  sich  die  Kriminalität  der  Jugendlichen  ausge- 
breitet hat. 

(Siehe  Tabelle  auf  S.  725.) 

Im  allgemeinen  waltet  bei  Bestrafung  der  Jugendlichen  grofse  Milde. 
Von  den  42  312  im  Jahre  1891  2)  bestraften  Jugendlichen  kamen  6975, 
also  16,78  Proz.  mit  einem  Verweise  davon,  darunter  4686  Diebe.  Auf 
Geldstrafe  wurde  gegen  5016,  also  11,85  Proz.  der  Jugendlichen  erkannt. 
Ins  Gefängnis  kamen  auf  weniger  als  4  Tage  7397,  also  17,47  Proz., 
auf  4—7  Tage  5383,  also  12,72  Proz.,  auf  8—29  Tage  7361,  also 
17,43  Proz.,  auf  1—3  Monate  4274,  also  10,1  Proz.  Man  sieht,  dafs 
nicht  14  Proz.  übrig  bleiben,  welche  längere  Gefängnisstrafen  erleiden 
mufsten.     Vielleicht  will  man  daraus  schliefsen,    dafs  die  Ausschreitungen 


1)  Siehe  v.  Scheel,  Zur  Einfuhr  in  die  Kriminalstatistik    (in  von  Mayr's  allgemeinen 
statistischen  Archiv,   Bd.  I  S.   207.) 

2)  Die  Zahlen  für  1892  sind  noch  nicht  bekannt.     Das  Tabellenwerk  ergiebt  sie  nicht. 


M  i  s  z  e  1 1  e  n. 


725 


Gesamtzahl 

der 
Verurteilten 


Darunter 
Jugendliche 


Prozentsatz 

der 
Jugendlichen 


Verbrechen   und  Vergehen  überhaupt 
Einfacher  Diebstahl   (§  242   StGB.) 
Schwerer  Diebstahl  (§   243  StGB  ) 
Einlacher  Diebstahl  im  wiederholten  Rück- 
falle <§  244  StGB.) 
Schwerer  Diebstahl  im  wiederholten  Rück- 
falle (§  244   StGB.) 
Unterschlagung  (§  246    StGB.) 
Betrug  (§§  263,   265  StGB  ) 
Sittlichkeitsverbrechen  (§§176—  178StGB) 
Gefährl.  Körperverletzung  (§  223  a  StGB.) 
Sachbeschädigung  (§§   303—305   StGB.) 


:   1»»6 

189^ 

1006 

1»92 

1006 

353  000422  326 

3M98 

46488 

8,9 

68479   82  751 

14  439 

20  573 

21 

6658,  IO748 

2015 

3  594 

30 

II  3O6 

12775 

615 

859 

5-44 

2373 

2  921 

197 

298 

8.3 

14  731 

18372 

1  5'4 

2074 

10.27 

12  360 

18595 

1  169 

1  949 

94 

3  187 

3  45o 

622 

869 

19,5 

53759  65606 

3  733 

5  352 

6,94 

12798 

14768 

i639 

2562 

12,8 

löi>2 

11.01 

24.2 

33.4 

6,72 

10,2 
11,29 
IO,48 
25,2 

8.13 
17,3 


der  Jugendlichen  im  allgemeinen  unerheblich  waren,  immerhin  erscheint 
es  als  ein  Uebelstand ,  dafs  die  Novizen  des  Verbrechertums  nicht  von 
vornherein  durch  Strenge  des  Strafrichters  von  Fortsetzung  ihres  bösen 
Weges  abgeschreckt  werden. 

Dies  Bedenken  wird  grell  beleuchtet  durch  die  Thatsache,  dafs 
die  Rückfälligkeit  der  Jugendlichen  immer  mehr  zunimmt.  Von  den  im 
Jahre  1891  verurteilten  49  312  Jugendlichen  waren  7095,  also  16,77  Proz. 
vorbesraft,  während  im  Jahre  1889  auf  36  790  verurteilte  Jugendlichen 
nur  5615,  also  15,26  Proz.  Vorbestrafte  kamen.  Diese  Zahlen  fallen  um 
so  mehr  ins  Gewicht,  als  alle  im  jugendlichen  Alter  Vorbestraften,  wenn 
sie  nach  erreichtem  achtzehnten  Lebensjahr  weiter  freveln,  hier 
nicht  mehr  gezählt  werden.  Die  Statistik  für  1892  weist  nach,  dafs 
unter  den  wegen  Rückfalldiebstahls  Verurteilten  sich  22  Jugendliche  be- 
fanden, welche  mehr  als  5  die  Rückfalls  strafe  begründende  Vorstrafen 
hatten,  dafs  also  diese  Personen  in  der  Zeit  von  höchstens  6  Jahren 
mindestens  sechs  zeitlich  immer  durch  die  Verbüfsung  der  früheren  Strafen 
getrennte  Diebstähle  ausgeführt  haben. 

"Wir  glauben,  dafs  es  am  Platze  ist,  durch  härtere  Behandlung  der 
jugendlichen  Verbrecher  die  kriminellen  Keime  zu  tödten.  Bisher  hat 
man  in  dem  jugendlichen  Gefangenen  wohl  zu  sehr  eiu  bemitleidenswertes 
erziehungsbedürftiges  Geschöpf  gesehen.  Die  Erfahrung  lehrt,  dafs  Jugend- 
liche sich  in  Gefängnissen,  namentlich  Centralanstalten,  gar  nicht  unbe- 
haglich fühlen.  Sie  finden  dort  Ordnung,  Reinlichkeit,  Körperpflege, 
kräftige  Kost  und  geeignete  Arbeit,  alles  Dinge,  die  ihnen  in  der  Frei- 
heit fehlten.  Viele  Faktoren,  die  dem  Erwachsenen  die  Freiheitsentziehung 
zur  Strafe  machen,  berühren  des  Jugendlichen  Sinn  und  Organismus  nicht. 
Was  Wunder,  dafs  die  Rückkehr  ins  Gefängnis  dem  entlassenen  jugendlichen 
Sträfling  als  ein  geringes  Uebel  erscheint?  Wir  wollen  hier  nicht  er- 
örtern ,  ob  die  Einführung  der  Prügelstrafe  für  Delikte  Jugendlicher  em- 
pfehlenswert ist.  Es  wäre  unseres  Erachtens  schon  ein  grofser  Fort- 
schritt, wenn  in  den  Gefängnissen  gegen  Jugendliche  als  Disziplinar- 
strafe jenes  bewährte  Erziehungsmittel  zur  Anwendung  gelangen  könnte. 
Was  der  Vater,    Vormund,    Lehrherr  darf,    das  sollte  auch  der  Gefängnis- 


726  Mis  zellen. 

Verwaltung  erlaubt  sein,  wenn  es  sich  darum  handelt,  jugendliche  Uebel- 
thäter  in  straffer  Zucht  zu  halten.  Falls  dann  noch  die  allgemein  em- 
pfehlenswerte Schärfung  kurzer  Freiheitsstrafen  durch  Kostschmälerung 
hinzuträte,  so  würde  das  heranwachsende  Geschlecht  mutmafslich  mehr 
Scheu  vor  dem  Gefängnisse  haben. 

IV.    Vorbestrafangen. 

Wie  schon  in  Beziehung  auf  die  Jugendlichen  gezeigt,  ist  es  ein 
wiohtiges  Feld  kriminalstatistischer  Forschung,  festzustellen,  inwieweit  die 
verurteilten  Personen  früher  schon  bestraft  waren.  Hierbei  wird  Material 
zur  Lösung  der  Frage  erlangt,  ob  sich  das  Verbrechertum  konsolidiert, 
oder  ob  die  Lebens-  und  Wirtschaftsverhältuisse  in  überwiegender  Zahl 
unbestrafte  Personen  vor  den  Richterstuhl  führen.  Die  deutsche  Kriminal- 
statistik verfährt  dabei  so ,  dafs  nicht  der  Rückfall  im  strengen  Sinne 
(Verübung  eines  Delikts  nach  Bestrafung  wegen  eines  gleichartigen  oder 
verwandten  Delikts)  gezählt ,  sondern  nur  berechnet  wird ,  ob  der  Ver- 
urteilte überhaupt  und  zwar  durch  wie  viele  Entscheidungen  und  ob 
er  zu  einer  verbüfsten  Freiheitsstrafe  früher  verurteilt  war,  endlich  binnen 
welcher  Frist  nach  Verbüfsuug  der  letzten  Strafe  er  die  neue  Strafthat 
begangen  hat.  Diese  Methode  ist  allerdings  nicht  unfehlbar.  Denn  da 
die  deutsche  Kriminalstatistik  sich  um  Uebertretungen  und  um  Verletzungen 
der  Landesgesetze  überhaupt  nicht  bekümmert,  so  treten  auch  alle  dieser- 
halb  erkannten  Vorstrafen  aufser  Rechnung  und  es  kann  vorkommen,  dafs 
ein  alter  Landstreicher ,  der  die  Hälfte  seines  Lebens  in  Haft  und  in 
Arbeitshäusern  zugebracht  hat,  wenn  er  schliefslicb  einen  Diebstahl  be- 
geht, als  nicht  vorbestraft  gezählt  werden  mufs,  oder  dafs,  wenn  er  nach 
Verbüfsung  einer  Diebstahlstrafe  sein  Landstreichen  fortsetzt,  und  aus 
einem  Gefängnisse  in  das  andere  wandert,  er  doch  bei  später  begangenem 
zweiten  Diebstahl  als  ein  Mann  betrachtet  wird,  der  seit  Verbüfsung  des 
ersten   Diebstahls  sich  jahrelang  straflos  geführt  hat. 

Bei  der  notwendigen  Abgrenzung  unserer  Reichsstatistik  mufs  man 
über  diesen  Fehler  hinwegsehen  und  sich  gegenwärtig  halten,  dafs  die 
nach  dem  gewählten  Systeme  ermittelten  Zahlen  eben  nur  einen  Teil  der 
Kriminalität  umfassen  sollen  und  ein  gewisses  Mindestmafs  der  Rück- 
fälligkeit ergeben,  dessen  Betrachtung  an  sich  interessant  und  lehrreich 
genug  ist.  Freilich  ist  die  Rückfallsstatistik  Deutschlands  und  anderer 
Länder  neuerdings  heftig  angegriffen  worden.  Dr.  0.  Köbner  x)  fordert, 
dafs,  wenn  man  die  Rückfälligkeit  (im  weiteren  Sinne)  statistisch  ver- 
werten wolle,  man  die  Rückfallsfähigkeit  feststellen  müsse,  letztere 
sei  wieder  aus  dem  Verbrecherkoutingente  desjenigen  Jahres  zu  entneh- 
men, in  dem  der  Rückfällige  seine  erste  Bestrafung  erhalten.  Es  sei  zu 
berücksichtigen,  dafs  die  Bevölkerung  zunehme,  die  Zahl  der  in  einem 
früheren  Jahre  Bestraften  aber  durch  Absterben  sich  verringere  und  dafs 
namentlich  früher  Bestrafte  durch  Auswanderung,   Geisteskankheit ,  sowie 


1)  Methode    einer    wissenschaftlichen  Rückfallsstatistik    als    Grundlage    einer    ßeform 
der  Kriminalstatistik.     Zeitschr.    f.  d.  gesamte  Strafrechtswissenschaft,    Bd.  XIII,    Heft  5. 


M  i  s  z  e  1 1  e  d.  727 

durch  die  Strafhaft  selbst,  die  sie  an  weiteren  Verbrechen  hindere,  aus 
der  Zahl  der  in  späteren  Perioden  Rückfallsfahigen  ausgeschieden  würden. 
Ganz  verwerflich  sei  daher  die  Vergleichung  der  in  einem  bestimmten 
Jahre  überhaupt  Bestraften  mit  den  uuter  ihnen  bifindlichen  Rückfälligen. 
Köbner's  Argumente  sind  mathematisch  richtig,  indes  ist  die  Bückfalls- 
6tatistik,  wie  er  sie  sich  denkt,  unausführbar.  Er  will  die  Strafregister- 
behörden zu  Sammelstellen  für  alle  möglichen  Notizen  aus  der  Laufbahn 
des  Verbrechers  machen.  Ueber  die  Strafverbüfsung,  aber  auch  über  die 
Strafunterbrechung,  über  des  Verurteilten  Tod,  aber  auch  über  sein  Vorleben 
sollen  dem  Strafregister  Nachrichten  zugeführt  werden,  die  dann  periodisch  der 
statistischen  Zentralbehörde  zur  Bearbeitung  zu  übersenden  sind.  Es  ist 
schon  bedenklich  genug,  das  Strafregister  in  eine  Sammlung  von  Personal- 
akten umzugestalten,  deren  Richtigkeit  und  Vollständigkeit  doch  niemals 
garantiert  werden  könnte  (man  denke  nur  an  die  Ausländer  und  an  die 
zeitweise  im  Auslände  weilenden  Deutschen).  Wie  aber  eine  statistische 
Behörde  mit  dem  Riesenmaterial  an  Zahlen  und  Daten  fertig  werden  soll, 
wie  es  die  Kontingente  zusammenstellen,  die  Ab>terbeordnung  berechnen 
soll,  das  weifs  man  vorläufig  noch  nicht.  Sicher  ist  aber,  dafs,  wenn 
alles  nach  Köbner's  Methode  geht,  man  immer  noch  hauptsächlich  mit 
Wahrscheinlichkeiten  arbeiten  wird.  Dafs  die  Absterbeordnung  der  Ver- 
brecher von  derjenigen  der  Gesamtbevö  kerung  himmelweit  verschieden 
ist,  giebt  Köbner  zu.  Wrir  meinen  aber,  dafs  es  unmöglich  ist,  alle 
Verurteilten  hinsichtlich  ihrer  Mortalität  als  eine  Menschenklasse  zu 
betrachten,  dafs  der  Mann,  der  alljährlich  wegen  Beleidigung  bestraft 
wird,  immerhin  behaglicher  und  sicherer  leben  kann,  als  der  Wilddieb 
und  der  Strafsenräuber.  Wie  will  man  aber  weiter  spezialisieren  ? 
Es  kann  ja  auch  vorkommen,  dafs  ganz  alte  Leute  rückfällig  werden, 
die  einem  „Kontingente"  angehören ,  da9  statistisch  gar  nicht  mehr 
existieren  darf.  Soll  aber  die  Frage ,  wie  viel  Leute  einer  Alters- 
klasse von  Verbrechern  noch  leben,  einfach  durch  Subtraktion  der  be- 
kannt gewordenen  Todesfälle  entschieden  werden,  so  wird  jeder  dem 
Strafregister  nicht  gemeldete  Todesfall  einen  Fehler  bedeuten,  der  sich 
von  Jahr  zu  Jahr  vergröfsert,  von  der  Auswanderung  ganz  zu  schweigen. 
Richtig  ist  der  Gedanke  Köbner's,  dafs  es  bei  Aufstellung  einer  Rück- 
fallsstatistik auch  auf  die  Frage  ankommt,  wann  die  erste  Verurteilung 
erfolgt  sei.  Wtnn  die  deutsche  Kriminalstatistik  dieser  Methode  aus  dem 
Wege  gegangen  ist,  so  geschah  das  unseres  Erachtens  angesichts  der  Un- 
möglichkeit, sichere  Antworten  auf  die  Frage  zu  erlangen.  Diese  Schwie- 
rigkeit schwindet  aber  von  Jahr  zu  Jahr.  Seit  dem  1.  Oktober  1882 
sind  die  Strafregister  eingeführt.  Alle  Personen,  die  damals  noch  nicht 
12  Jahr  alt  waren,  können  vorher  nicht  bestraft  worden  sein.  Das  Straf- 
register ergiebt  also  die  erste  Strafe  aller  Bestraften,  die  nach  dem  30.  Sep- 
tember 1870  geboren  6ind.  Unschwer  wird  sich  für  diese  Personen  die 
Frage,  „wann  zuerst  bestraft?"  der  deutschen  Zählkarte  einreihen  lassen 
und  damit  wäre  Material  zu  gewinnen,  das  zwar  noch  nicht  in  den  grofsen 
Tabellen  verarbeitet  werden  kann,  aber  die  Grundlage  für  interessante 
Feststellungen  geben  würde. 

Köbner's    scharfsinnige  Untersuchungen    sind    übrigens  trotz  der  Un- 


728 


Mi  s  z  e  1 1  e  n. 


durchfiihrbarkeit  seiner  Methode  von  Bedeutung  für  die  Kritik  der  stati- 
stischen Erscheinungen.  Sie  weisen  nach,  dafs  bei  Vergleichung  aller 
Bestraften  mit  den  Rückfälligen  unter  ihm  n  zu  Zeiten  eines  Steigens  der 
allgemeinen  Kriminalität  die  Quote  der  Rückfälligen  zu  gering  erscheint 
und  dafs,  da  die  Zahl  der  Rückfallsfähigen  immer  geringer  ist,  als  die 
Zahl  der  Vorbestraften ,  die  Rückfälligkeit  viel  intensiver  ist ,  als  sie 
nach  den  jetzt  gewonnenen  Zahlen   erscheint  *). 

Betrachten  wir  nun  vorurteilslos  die  Ergebnisse  der  deutschen  Kriminal- 
statistik hinsichtlich  der  Vorbestraften,  so  fällt  das  ungeheure  Anwachsen 
der  Rückfälligkeit  (im  weiteren  Sinne)  auf.  Für  die  Anfangsjahre  der 
Statistik  fehlt  sicherer  Boden.  Damals  mö^en  viele  Vorstrafen  unbekannt 
geblieben  sein.  Wenn  aber  im  Jahre  1888  102  912  Verurteilte  und  im 
Jahre  1892  deren  146  991  gezählt  werden,  so  beweist  diese  Steigerung 
um  42,8  Froz.  eine  bedeutende  Zunahme  der  Rückfälligkeit.  Jedenfalls 
ist  es  auch  nach  Köbner's  Ansicht  nicht  unerlaubt,  festzustellen,  wie  viel 
Verurteilte  eines  Jahres  als  unbestraft  auf  die  Anklagebank  kirnen.  Diese 
Zahlen  sind  interessant  genug.     Sie  stellen  sich  fol^endtrmafsen  dar: 


Jahr 


1888 
1889 
1890 
1891 
1892 


Verurteilte 
überhaupt 


35°655 
369644 
381450 
391  064 
422327 


Darunter 
Vorbestrafte 


Bisher 

Unbestrafte 


102  912 
115684 
125  068 
133  065 
146  991 


247  743 
253960 

256  382 

257  999 
275  336 


Es  ist  also  das  Verhältnis  der  Verurteilten  und  Vorbestraften  zu  den 
bisher  unbestraften  Verurteilten,  welches  1888  etwa  5:12  betrug,  in 
wenigen  Jahren  so  gestiegen ,  dafs  die  bisher  unbestraften  Verurteilten 
nicht  mehr  das  Doppelte  der  Bestraften  ausmachen.  Bei  der  Vermehrung 
der  Verurteilungen  von  1890  auf  1891  um  rund  10  000  sind  die  Vor- 
bestraften mit  ruud  8000  beteiligt;  wogegen  die  Vermehrung  der  Gesamt- 
zahl der  Verurteilten  von  1891  auf  1892  um  31  263  Köpfe  zum  über- 
wiegenden Teile  den  bisher  Unbestraften  zur  Last  fällt.  Letztere  Er- 
scheinung ist  ein  trübes  Zeichen.  Sie  beweist,  dafs  aus  den  Reihen  der 
bisher  unbescholtenen  Personen  sich  das  Verbrechertum  in  stärkerem  Mafse 
als  früher  rekrutiert  hat.  Sie  führt  aber  auch  darauf,  dafs  ganz  besondere 
Umstände  im  Jahre  1892  bei  der  Erhöhung  der  Kriminalitätszahlen  mit- 
gewirkt haben  müssen  und  bestätigt  damit  die  Erklärung,  dafs  die  wirt- 
schaftliche Kalamität  ihren  verderblichen  Eiuflufs  geübt  hat.  Zum  Schlüsse 
möchten  wir  als  Beweis  von  der  Brauchbarkeit  unserer  kriminalstatistischen 
Zahlen  eine  Tabelle  zusammenstellen,  welche  geeignet  ist,  die  Intensität 
des  Verbrechertums  darzuthun.  In  ihr  handelt  es  sich  um  die  Rück- 
fälligkeit solcher  Personen ,  die  eine  Freiheitsstrafe  verbüfst  haben  und 
doch   nach    ganz    kurzer  Frist   aufs    neue   zur  Bestrafung  gelangen.     Hier 


1)  Die  Bedeutung  und  Schärfe  der  Köbner'schen  Arbeit  hat  den  Verf.  dieser  Zeilen 
veranlagt,  sich  hier  ausfühilicher  auszusprechen,  als  er  es  in  seiner  Rezension  (Archiv 
f.  Strafrecht,  Bd.  41,  S.  326)  vermochte. 


M  i  s  z  e  1 1  e  n. 


729 


dürfte  also  weder  die  Absterbeordnung  nooh  die  Detention  der  Verur- 
teilten die  Zahlen  beeinflussen  uud  die  übrigen  nach  Köbuer's  Theorie 
möglichen  Fehler  bleiben  konstant,  beeinträchtigten  also  die  Vergleichung 
nicht. 

Unter  den   Verurteilten   des  Jahres 


waren  vorbestraft 

hatten   die   neue  Strafthat   bedangen 
binnen  einer   Frist  von 

überhaupt 
2 

mit   Freibeits 
strafe 

3 

1    Jahr  und        1     3   Monate   und 
darunter                    darunter 

1 

seit  Verbüfsung  der  letzten  Freiheits- 
strafe 

4                                 5 

1882 
1887 
1888 
1889 
1890 
1891 
1892 

82  395 
102839 
102  912 
115  684 
125  068 
133  065 
146  691 

75  852 

94  715 

94230 

105  195 

110  985 

117  432 

128  745 

26475                          9203 
34842                        12137 
33  402                        1 1  226 
35606                        12272 

38  544                     13  431 
41  563                      14  466 
44778                      15698 

Das  Jahr  1882  haben  wir  vorangestellt,  weil  wir  glauben,  dafs  die 
Zahlen  der  Spalten  4  und  5  bei  dem  kurzen  Zwischenräume  zwischen 
der  letzten  und  vorletzten  Strafthat  ziemlich  genau  sein  werden.  Spalte  2 
und  3  werden  allerdings  zu  geringe  Zahlen  enthalten.  Eine  Vergleichung 
der  späteren  Jahrgänge  wird  eine  auffallende  Regelmäfsigkeit  des  Ver- 
hältnisses der  einzelnen  Spalten  zu  einander  ergeben.  Eine  Betrachtung 
der  Spalten  3  und  5  wird  das  traurige  Resultat  bringen,  dafs  regelmäfsig 
etwa  12  Proz.  der  mit  einer  Freiheitsstrafe  Belegten  binnen  drei  Monaten 
nach  Verbüfsung  dieser  Strafe  von  neuem  gegen  das  Reichsgesetz  freveln. 
Die  Zahl  schwankt  zwischen  12,8  Proz.  (1887)  und  11,7  Proz.  (1889) 
und  beträgt  seit   1890  mehr  als   12   Proz. 


Wir  sind  am  Schlüsse  unserer  Uebersicht.  "Wenngleich  das  Ergebnis 
nicht  geeignet  ist,  optimistische  Ansichten  zu  stützen,  ist  doch  wohl  er- 
sichtlich geworden,  dafs  das  Anwachsen  der  Kriminalität  nicht  lediglich 
dem  Emporwuchern  von  Zügellosigkeit  und  schlechten  Sitten  zuzuschreiben 
ist,  sondern  dafs  äufsere  Einflüsse,  die  von  dem  Willen  der  Individuen 
unabhängig  sind,  6ich  als  treibende  und  hemmende  Kräfte  erweisen.  Wenn 
ea  aber  gelänge,  die  Not  der  unteren  Klassen  zu  mindern,  das  Familien- 
leben zu  stützen,  dem  Einflüsse  des  Branntweins  zu  steuern,  der  Rück- 
fälligkeit  durch  Fürsorge  für  entlassene  Gefangene  vorzubeugen,  so 
wäre  damit  viel  gewonnen.  Und  an  diesem  Werke  mitzuarbeiten  ist  jeder 
Gebildete  in  der  Lage. 


730 


Misz  el  1  en. 


XV. 
Preise  in  Preufsen 

iu  Mark 


, 

a 

N 

a 
bo 

<2 

a 

§ 

'3 

.S  Ä 

Jahreszahl 

oj 

60 

o 

03 

K 

ei 

W 

3 

'S 

c 

5 

02 

pro   Tonne 

pro  Metercentner 

1816—20 

l8l,8 

113 

91.4 

1821—30 

109  2 

66.2 

56,6 

1831—40 

133,8 

83,8 

73 

1841—50 

160,4 

106 

93-8 

1851—60 

199.6 

143.2 

1332 

1861  —  70 

195 

U48 

1222 

1871  —  75 

225 

159 

I43.8 

1876  —  80 

202  2 

149 

139  4 

1881  —  85 

182,6 

149.4 

138.2 

1886  —  90 

165.7 

129,8 

123,6 

1886 

I5°,5 

121 

120,6 

1887 

154 

1 10 

108 

1888 

163.5 

121 

115 

1889 

178 

148 

134 

1890 

182.5 

149 

I4O.5 

1891 

217.5 

201.5 

157,5 

1892 

188,5 

174 

I49 

1893 

143,5 

123,5 

127,5 

1816—20 
1821—30 
1831—40 
1841—50 
1851  —  60 
1861—70 
1871—75 
1876—80 
1881—85 
1886—90 

1886 

1887 

1888 

1889 

1890 

1891 

1892 

1893 


Provinz 
992 
60,6 
73-8 
91,6 
130.4 
126,2 
151,4 
136 
139  6 
125,4 
122 
102 
115,5 
140 
147,5 
160,5 
144 
141,5 

Provinz 


Preußen 
106,2 

73  * 
87,8 
IO5  8 
I46.2 
134  4 
163  6 
1588 
167.2 

153  7 

143.6 

132.6 

132 

178 

182.5 

183 

200  5 

170,5 

Sachsen 


29,2 

19,6 

23 

31  5 

45-6 

40.6 

53-2 

56,7 

5o,3 

5i-4 

355 

78,6 

52,5 

49.4 

41,2 

68,75 

60,2 

39 


136,6 

90 

98,4 
108,4 
133,4 
1584 
204.9 
202,8 
206 
194,3 
1945 
186 
191 
199 
201 
198 
204,5 
202,5 


56,6 

63,4 

38.4 

45 

434 

53* 

46.6 

60 

60 

81,6 

71.6 

93,4 

98,7 

113,6 

96  4 

108,4 

100,6 

115,2 

IO3.6 

114 

995 

112,5 

99,6 

108 

IOI 

107 

102 

120 

Il6 

122,5 

Il6. 5 

Il6 

HS 

121 

109 

120,5 

202.6 

165 

145,4 

142 

204 

46 

183.4 

80 

115 

87 

76  8 

942 

107,2 

285 

123.4 

55 

128.4 

103,8 

93-6 

95 

118. 6 

30,2 

130 

61.6 

157,6 

123 

108,4 

105,8 

134,8 

33,5 

136,6 

66,6 

203  8 

171-6 

1492 

143-4 

186,4 

44.4 

156,6 

76,6 

198.2 

161. 4 

150,6 

140.2 

l8l 

42.6 

191,6 

95 

233-4 

188.6 

184,8 

170.4 

248 

58,4 

248,5 

121,3 

209  8 

170 

170 

158,4 

245.4 

57,i 

244 

114,4 

1932 

164  8 

1586 

153 

246 

50,6 

234,4 

121. 8 

170 

148,8 

154,2 

142,4 

20I.8 

5i,4 

230 

126,4 

153 

137 

140 

135 

199 

40 

229 

123 

161 

128 

140 

119 

189 

44 

224 

121 

171 

141 

145 

136 

199 

506 

225 

120 

178 

164 

166 

156 

208 

75,6 

238 

139 

187 

174 

180 

166 

214 

47 

234 

129 

216 

211 

173 

163 

230 

62,5 

234 

132 

183 

178 

161 

151 

237 

63 

236 

129 

150 

136 

157 

164 

223 

49,5 

241 

126 

91,6 
60 

66,6 

75 

86,6 
106,6 
128,7 
123.6 
121 
124,4 
120 

117 
114 
132 
139 
I32 
»3° 
133 


Mi  s  z  e  1 1  e  n. 


731 


ä 

Jahreszahl 

o 

V 

M 

'S 

a 

a> 

CK) 

o 
M 

CO 

o 

3 

pq 

13 

CO 

u 

w 

1 

o 
C 

ei 

• 
3 

u 

"S 
qa 

T3 

a 

5 

c  ja 
"S  u 

«3 

pro  Tonne 

pro  Metercentner 

1816—20 
1821  —  30 
1831—40 
1841—50 
1851—60 
1861—70 
1871—75 
1876—80 
1881  —  85 
1886—90 

1886 

1887 

1888 

1889 

1890 

1891 

1892 

1893 


Rheinprovinz 


247 

235-4 

176,4 

147,2 

213.2 

51.6 

— 

68.4  1 

138 

106.4 

94,4 

86  8 

120,4 

28,2 

100 

48.4  1 

163 

127,6 

116. 2 

103,4 

132.6 

28,2 

II3. 6 

56,6 

195,4 

152,6 

135,6 

119 

164.6 

41.5 

121,6 

63-4 

232.6 

188,6 

137 

150,6 

204 

592 

I50 

81,6 

223.4 

169  8 

I96. 8 

1478 

206,4 

55,6 

188.4 

»05 

249.4 

188,4 

189.4 

169  4 

276,2 

68,5 

249,3 

130-7 

230,8 

172,6 

182,8 

162,4 

291,6 

73,9 

242,6 

130.6 

209.8 

172.8 

171 

153-6 

292 

73  2 

238.4 

132.8 

189 

153.2 

159.8 

146,4 

252,6 

63,1 

225,2 

130,6 

174 

H7 

152 

143 

244 

52 

223 

132 

180 

I40 

148 

126 

248 

62,5 

221 

128 

190 

I48 

»54 

H3 

244 

70 

221 

125 

196 

158 

166 

l\l 

256 

68.6 

234 

131 

205 

173 

179 

168 

271 

62,5 

227 

137 

231 

214 

184 

167 

293 

85.5 

226 

135 

198 

186 

168 

152 

285 

73-5 

232 

«33 

164 

I50 

156 

169 

265 

52,5 

236 

127 

93,6 
60 

73,6 

83,4 

106,6 

Il8'4 

143.1 

146,2 

145,8 

142,8 

137 

134 

135 

150 

158 

150 

149 

148 


Preufsischer  Staat 

(alten  Bestandes) 

1816-20 

206,2 

151. 8 

131. 4 

129,8 

162.4 

38.6 

146,6 

66,6 

1821—30 

121,4 

86.8 

76  6 

79.8 

97 

24,8 

101,6 

46,6 

1831—40 

1384 

100.6 

87,6 

91,6 

107,4 

26,4 

IIO 

51,6 

1841—50 

167,8 

"3 

111,2 

IOO,6 

130 

34 

120 

56,6 

1851  —  60 

211,4 

165  4 

I50.2 

144 

176 

47,4 

146,6 

70 

1861  —  70 

204 

154.6 

I46 

140,2 

168,2 

44-8 

178,4 

86,6 

1871—75 

235  2 

1792 

170,8 

I63.2 

224.4 

60.4 

231,3 

114,7 

1876—80 

211,2 

166,4 

162 

1526 

231.8 

60,6 

224 

114  8 

1881  —  85 

189  6 

160 

1548 

I45.8 

237  2 

52.6 

223.6 

117,8 

1886—90 

175,3 

!43 

138,4 

1353 

209.4 

45.7 

211,5 

H4,5 

1886 

157 

134 

131 

133 

208 

41 

2IO 

117 

1887 

164 

125 

128 

113 

205 

46 

207 

113 

1888 

174 

135 

135 

I30 

197 

46 

206 

I08 

1889 

192 

154 

138 

143 

214 

49,2 

217 

112 

1890 

189.7 

167 

160,2 

157.7 

223,2 

46,2 

217,5 

122,6 

1891 

218.75 

204.5 

164,6 

l6l.25 

224  5 

65,5 

215.25 

122.25 

1892 

188  3 

176 

155  2 

149,4 

237,7 

61,7 

222,6 

122,6 

1893 

146,9 

127,8 

139  2 

150,9 

2l8,6 

41,1 

221,9 

Il6,5 

78,4 

55 
61,6 
73.6 
91,6 

105 
126 

124 

124,8 
121,8 
119 

113 
112 
126 

138,8 
123,5 
1293 
126,4 

Die  Zahlen    sind    den    verschiedenen  Jahrgängen    der  Zeitschrift    des    preufs.    Statist. 
Bureaus  entnommen  und  für  die  ältere  Zeit  auf  das  jetzige  Mafs  umgerechnet.        J.  C. 


732 


Miszellen. 


Preise  in  Halle  a.  S. 


in  Mark. 


a 

ö 

w' 

0 

09 

•  ~ 

oj  ja 

=  J3 

u 

N 

-0  0 

»  0 

'S    ° 

Jahreszahl 

» 

£ 

bs 

0 
M 

u 

0 

0 

e3 

n 

□ 

2 

*  'S 

=0  'S 

|-s 

■30 

3 

03 

pro 

Tonne 

pro 

Metercentner 

1731-40 

65,8 

53,4 

46,8 

46.2 

29,2 

29.2 

26,9 

30,6 



1741  —  50 

78,6 

65.7 

504 

54,6 

299 

35 

31.2 

38,1 

— 

1751—60 

70,4 

56.8 

47,4 

52,2 

29,4 

30,2 

29 

33-4 

— 

1761—70 

123.4 

98,5 

75,6 

892 

49.2 

56 

51,6 

59.8 

— 

1771  —  80 

9t>,8 

88.4 

62  6 

69,2 

38 

37,6 

42 

46  1 

— 

1781—90 

95-2 

7M 

58,6 

66.2 

40  4 

36.7 

44,5 

52a 

— 

1791—1800 

in. 2 

88,4 

75 

88,4 

48.6 

43  4 

485 

584 

— 

1801 — 10 

188,8 

161. 4 

130,2 

1396 

71,6 

54,3 

77 

89,9 

— 

1811  —  20 

189,8 

148,4 

121,8 

!33,4 

1821—30 

•25 

95,2 

81,9 

93 

1831  —  40 

134.6 

IOI 

85 

93  4 

1841—50 

156.6 

118,8 

98 

102,8 

76,6 

48.1 

71,2 

83,7 

151,4 

1851  —  60 

201,2 

170 

H7 

144 

92,6 

53  4 

80  1 

98 

187 

1861  —  70 

200.2 

162  5 

143,2 

140  2 

103,3 

683 

88.3 

100 

2IO 

1871—75 

232,4 

189  4 

188 

177,6 

123,9 

101,4 

115. 8 

106.8 

262,2 

1876—80 

200,4 

174,6 

179,4 

161 

119 

104,9 

Il6 

ic6,6 

201,6 

1881—85 

1838 

163,6 

166,4 

152,4 

Il8 

106 

118 

120 

262 

1886—90 

171,8 

149.9 

162,4 

140,9 

126,1 

II4. 6 

II6.2 

123,9 

253 

1886 

158 

I42 

152 

138 

126 

IIO 

Il6 

120 

252 

1887 

163,2 

126,4 

I51-  8 

104,4 

125 

111,3 

II5-4 

118,3 

253.3 

1888 

171,6 

I4I 

160 

138,2 

125 

HC 

I'5 

120 

250,9 

1889 

178 

164 

174 

158 

127,6 

112  6 

"5-6 

126,2 

255 

1890 

188 

I76 

174 

166 

127 

I29 

119 

*35 

254 

1891 

216,79  | 

213,96 

174,41 

163,87 

131,66 

134,79 

120 

'35 

247,91 

1892 

183,6 

178,6 

I7I.7     1 

1525 

135 

135.6 

I20.8 

1342 

250.8 

1893 

lS°>9     1 

136,2 

^SA     1 

167,4 

139,6 

H3,7 

129,2 

139.6 

260 

Jahreszahl 


a 

c 

b£ 

tfl 

bD 

M 

O 

pro   Tonne 


bd 


<B  ja 
X   a 

Q.    C/J 

:0  'S 

CO 


pro  Metercentner 


gl 

ey  *" 


1731  —  50 

1751—70 

1771  —  90 

1791  —  1810 

1811  —  30 

1831—50 

1851—70 

1871—80 

1881—85 

1886—90 

1886 

1887 

1888 

1889 

1890 

1891 

1892 

1893 


IOO 

J34 

133 

208 

218 

203 

270 

300 

255 

237,9 

219 

226 

261 

270,5 

286 

300  2 

254.3 

209,0 


IOO 

IOO 

102 

140 

138 

134 

2IO 

226 

204 

224 

184 

194 

279 

285 

305 

377 

j  275 

342 

251,9 

334-2 

241 

3'3 

212 

312 

264 

342 

307'1 

37i,8 

330 

372 

359,6 

382.3 

300,2 

353»3 

228,7 

339,7 

IOO 

140 

134 

226 
224 

194 

285 
336 

302 
280 
274 

207 

299 

359-3 

359 

325-1 

302.3 

332,1 


Für    die    ersten   beiden    Jahrzehnte  ist  der 
höhung  von   12  :  14  berechnet. 

*)  Durchschnitt  von  1841—50. 


IOO  IOO  100  IOO 

103  134  138  132 

103  115  142  139 

206  152  215  210 

259*)  150*)  206*)  233*) 

332  189  289  283 

4"  321  399  334 

401  330  406  349 

427.5  357,2  400  360,» 
4°8  343  399-3  349 
423  347  397,2  344 
423  343  395-8  349 

437.6  386.2  397,8  367,6 
428,8  435.5  409,5  393.» 
4463  420.2  4129  393.2 
457,6  422,8  4»5  8  390.S 
473-2  447-7  441,3  406,4 

Münzveränderung    entsprechend  eine  Er- 


M  iszel  len. 


733 


Jahreszahl 


ja 

, 

a 

0) 

N 

'S 

u 

s 
U 
he 
o 
M 

V3 
U 

O 

n 

CO 

'3 
qa 

a 

.2 

CO 

et 

»  ja 

Q.  vi 

2  3 

a  ja 
1.3 

P   CU 

•^  qa 

03 

UJ 

so 

CO 

1731—40 

1741—50 

1751  —  60 

1761  —  70 

1771—80 

1781—90 

1791  — 180t 

1801  —  10 

1811—20 

1821—30 

1831—40 

1841—50 

1851—60 

1861  —  70 

1871—75 

1876—80 

1881  —  85 

1886  —  90 

1886 

1887 

1888 

1889 

1890 

1891 

1892 

1893 


Verhältnis  zum  Roggenpreise 


IOO 

123 

88 

87 

546 

546 

504 

671 

100 

119 

77 

83 

455 

533 

475 

580 

IOO 

124 

83 

92 

5i7 

532 

5'o 

590 

IOO 

125 

72 

90 

499 

568 

524 

608 

IOO 

HO 

7i 

78 

441 

425 

476 

522 

IOO 

I25 

76 

82 

529 

480 

582 

681 

IOO 

126 

85 

IOO 

550 

496 

548 

661 

IOO 

117 

81 

86 

463 

35i 

45i 

58i 

IOO 

128 

82 

90 

— 

— 

— 

— 

IOO 

131 

86 

98 

— 

— 

— 

— 

IOO 

133 

84 

92 

— 

— 

— 

— 

IOO 

132 

83 

87 

645 

405 

599 

705 

IOO 

118 

87 

85 

545 

3'4 

47i 

576 

IOO 

123 

88 

83 

636 

420 

528 

615 

IOO 

122,7 

993 

93,8 

653,5 

5355 

611,3 

561,2 

IOO 

114,8 

102,7 

92,2 

681,8 

600,9 

664,6 

667,8 

IOO 

112 

102 

95 

721 

640 

721 

733 

IOO 

114,6 

108,3 

94 

841,2 

764,5 

775,2 

826,5 

IOO 

III 

107 

97 

887 

774 

817 

845 

IOO 

129 

120 

83 

988 

881 

813 

836 

IOO 

121,7 

II3.5 

98 

886,6 

780 

815,6 

852 

IOO 

108.5 

106,1 

96,3 

778 

686,6 

704,9 

769,5 

IOO 

106,8 

98.9 

94,3 

710,2 

721,6 

675 

757,7 

IOO 

101,32 

81,51 

76,59 

6i5,4 

630 

560,9 

631,- 

IOO 

102,8 

96,1 

854 

755,9 

759,3 

676,5 

75i,2 

IOO 

HO,8 

121,2 

122,9 

1024,9 

1055,1 

948,6 

1024  9 

1274 

IIOO 

1292 

1384,4 
1499,4 
1601 
1687,8 

1755 

2004 

1779.4 

1555-9 
1443-2 
1158,7 
1404,4 
1908,9 


Die  Zahlen  sind  für  die  ältere  Zeit  den  Wochenberichten  des  Lokalblattes ,  dann 
den  Magistratsakten,  für  die  achtziger  und  neunziger  Jahre  der  Zeitschrift  des  preufsischen 
statistischen  Bureaus  entnommen.     S.  Bd.  XXXIV,  S.  83.  J.  C. 


734  Mi  s zellen. 


XVI. 
Die  deutsche  Silberkommission. 

Von  W.  Lexis. 

Als  der  Reichskanzler  seine  Absicht  kundgab,  eine  Enquetekommission 
einzuberufen,  die  über  Mafsregeln  zur  Hebung  und  Befestigung  des  Silber- 
wertes beraten  solle,  war  es  wohl  ziemlich  übereinstimmend  die  Meinung 
aller  Parteien,  dafs  die  Regierung  mit  diesem  Schritte  den  Zweck  ver- 
folge, die  durch  den  deutsch-russischen  Handelsvertrag  hervorgerufene 
tiefgehende  Aufregung  und  Beunruhigung  der  agrarischen  Kreise  einiger- 
mafsen  zu  beschwichtigen.  Die  Anhänger  der  Goldwährung  hofften,  dafs 
es  sich  nur  um  einen  Schachzug  handele,  der  bestimmt  sei,  der  Regierung 
in  einer  besonders  schwierigen  und  kritischen  Periode  Luft  zu  verschaffen, 
voraussichtlich  aber  ohne  praktische  Folgen  bleiben  werde.  Auch  die 
Bimetallisten  waren  geneigt,  die  Sache  in  diesem  Sinne  aufzufassen; 
sie  gaben  ihr  Mifstrauen  indes  teilweise  auf,  nachdem  der  preufsische 
Landwirtschaftsminister  am  18.  Januar  1894  im  Herrenhause  eine  Er- 
klärung abgegeben  hatte,  die  sie  als  ein  wichtiges  Zugeständnis  in  ihrem 
Sinne  deuten  zu  dürfen  glaubten.  Herr  v.  Heyden  erklärte  nämlich  im 
Namen  der  preufsischen  Staatsregierung,  „dafs  bei  der  von  dem  Herrn 
Reichskanzler  angekündigten  Enquete  nicht  beabsichtigt  werde,  die  ge- 
samte Währungsfrage,  wie  sie  sich  in  den  Gegensätzen  von  Gold-  und 
Doppelwährung  darstelle,  nochmals  von  Grund  aus  wissenschaftlich  pro 
et  contra  zu  erörtern;  in  dieser  Beziehung  liege  schon  ein  überreiches 
Material  vor;  die  Enquete  sei  vielmehr  als  ein  ernstlicher  Versuch  zu 
betrachten,  die  Währungsfrage  aus  dem  Gebiet  der  theoretischen  Dis- 
kussion auf  den  Boden   praktischer   Vorschlage  überzuführen". 

Graf  Mirbach  beeilte  sich,  aus  diesen  Worten  die  Konsequenz  zu 
ziehen,  dafs  die  Staats-  und  auch  die  Reichsregierung  das  Prinzip  der 
internationalen  Festsetzung  eines  Wertverhältnisses  der  Edelmetalle  aner- 
kenne und  dafs  es  sich  nur  noch  darum  handele,  die  gegen  die  Durch- 
führung desselben  und  in  betreff  der  Wahl  der  Relation  noch  bestehen- 
den Bedenken  zu  heben  und  Uebergangsmafsregeln  zu  treffeu.  Die  Ver- 
treter Deutschlands  auf  der  Pariser  Müuzkouferenz  von  1881  hätten  ja 
bereits  erklärt,  sie  hielten  es  durchaus  für  möglich,  dafs  durch  eiue  Ver- 
einbarung zwischen  den  grofsen  in  der  Konferenz  vertretenen  Ländern 
eine  Relation    zwischen  Gold    und  Silber    nach    festem  Verhältnis    herbei- 


Miszelleu.  735 

geführt  werde.  Als  Prinzip  genüge  das  vollkommen  und  demnach,  sollte 
die  Enquete  nach  Graf  Mirbach's  Ansicht  nur  die  Aufgabe  haben,  „prak- 
tische Vorschläge  zu  machen,  um  eine  international  acceptierte  Relation 
zwischon  Gold  und  Silber  anzubahnen".  Er  hat  sich  später,  nämlich  in 
der  Erklärung  seines  Austritts  aus  der  Silberkommission,  darauf  berufen, 
dafs  seine  Ausführungen  im  Herrenhause  keineu  Widerspruch  von  seiten 
der  Staatsregierung  gefunden  hätten,  doch  gab  er  zu,  dafs  die  darauf 
folgenden  Aeufserungen  des  Reichsbankpräsidenten  seiner  Auffassung  uud, 
wie  er  annimmt,  auch  den  Erklärungen  der  Staatsregierung  widersprochen 
hätten.  Für  das  unbefangene  Urteil  aber  dürfte  es  doch  völlig  klar  sein, 
dafs  in  den  Worten  des  Landwirtschaftsministers  nichts  weniger  als  das 
Zugeständnis  liegt,  dafs  Deutschland  prinzipiell  einem  bimetallistischen 
Staatenbunde  beizutreten  bereit  sei  und  dafs  nur  noch  über  die  Einzel- 
heiten des  Vertrags  und  die  Uebergangsmafsregeln  zu  beraten  sei.  Am 
wenigsten  aber  Jäfst  sich  diese  Anschauung  durch  die  Erklärungen  der 
deutschen  Delegierten  auf  der  Pariser  Münzkonferenz  begründen.  Diese 
Erklärung  (in  der  Sitzung  vom  5.  Mai  1881)  lautete:  „Nous  reconnaissons 
sans  re'serve  qu'une  rdhabilitation  de  l'argent  est  ä  desirer,  et  qu'on 
pourrait  y  arriver  par  le  re'tablissement  du  libre  monnayage  de  l'argent 
dans  un  certain  nombre  des  dtats  les  plus  populeux 
repr^sentes  a  cette  Conference,  qui,  a  cette  fin,  prendraient 
pour  base  un  rapport  fixe  entre  la  valeur  de  l'or  et  celle  de  l'argent." 

Allerdings  ist  dies  ein  wichtiges  Zugeständnis  an  die  bimetallistische 
Theorie,  aber  schon  der  obige  Wortlaut  läfst  ahnen,  dafs  Deutschland 
selbst  zu  der  „grofsen  Anzahl  von  Staaten",  die  das  Experiment  macheu 
könnten,  nicht  gehören  wollte.  In  der  That  heifst  es  dann  auch  weiter: 
„Neanmoins,  l'Allemagne,  dont  la  reforme  monetaire  se  trouve  ddja  si 
avance"e  et  dont  la  Situation  mone'taire  geudrale  ne  semble  point  inviter 
ä  un  changement  de  Systeme  d'une  aussi  vaste  portee,  ne  se  voit  pas  a 
meme  de  conceder,  pour  ce  qui  la  concerne,  le  libre  monnayage  de 
l'argent.  .  .  .  Le  gouvernement  imperial  se  voit,  d'autre  part,  tout  dis- 
pose*  a,  seconder  de  son  mieux  les  efforts  des  autres  Puissances, 
qui  voudraient  se  reunir  en  vue  d'une  rehabilitation  de  l'argent  par  le 
moyen   du  libre  monnayage  de   ce  rndtal". 

Nun  werden  die  Zugeständnisse  aufgeführt,  die  Deutschland  zur 
Unterstützung  der  Bestrebungen  der  übrigen  Staaten  zu  machen  bereit 
sei.  Und  wie  lauten  diese  ?  Während  „einiger  Jahre"  will  das  Reich 
die  Silberverkäufe  ganz  einstellen  und  während  einer  „periode  d'une  certaine 
durde"  will  es  nur  eine  beschränkte  und  so  geringe  Quantität  Silber  ver- 
kaufen ,  dafs  der  Markt  dadurch  nicht  belastet  werde.  Die  Feststellung 
dieser  beiden  Fristen  soll  Gegenstand  weiterer  Unterhandlungen  sein. 
Vielleicht  würde  sich  Deutschland  entschliefsen,  dem  Silber  mehr  Kaum 
in  seiner  Cirkulation  zu  schaffen  und  zwar  durch  Einziehung  der  goldenen 
Fünfmark  stücke  und  der  Reich>kassenscheine  von  5  Mark  und  etwa  auch 
noch  durch  Umprägung  der  silbernen  Fünf-  und  Zweimarkstücke  nach 
einem  der  Relation  1:15  1/g  nahe  kommenden  Wertverhältnis,  während 
sie  gegenwärtig  nach  dem  Verhältnis  von  ungefähr  1:14  geprägt  sind. 
Und  zum  Schlufs  sagen  die  Delegierten  ganz  ernsthaft:    „Voilä,  Messieurs, 


736  Mis  zellen. 

les  concessions    que   le    gouvernement   imperial    vous    proposerait  et  dont 
ses  Delegues  sont  prets  ä  discuter  la  port^e  et  les  details  d'execution." 

Zur  Beleuchtung  dieser  „Konzessionen"  mufs  man  sich  erinnern,  dafs 
damals  die  deutscheu  Silberverkäufe  thatsächlich  schon  seit  2  Jahren  ein- 
gestellt waren,  weil  man  den  Preis  von  51 — 52  Pence  für  zu  verlust- 
bringend hielt.  Hätten  Frankreich,  die  amerikanische  Union  und  einige 
andere  Staaten  eine  gemeinsame  Doppelwährung  angenommen ,  so  würde 
ohne  Zweifel  das  Wertverhältnis  1:15  '/2  so  lange  annähernd  aufrecht 
erhalten  worden  sein,  dafs  Deutschland  allmählich  den  Rest  seines  Thaler- 
silbers  ohne  nennenswerten  Verlust  hätte  verkaufen  können.  Die  goldenen 
Fünfmarkstucke  hatten  sich  bereits  als  unzweckmäfsig  erwiesen  und  wurden 
nicht  mehr  geprägt;  die  Ersetzung  der  Reichskassenscheine  von  5  M. 
durch  Zwanzig-  und  Funfzigmarkscheine  wäre  ebenfalls  kein  Opfer  ge- 
wesen und  dasselbe  gilt  von  der  Verbesserung  des  inneren  Gehaltes  der 
Reichssilbermünzen  von  2  und  5  M.  Trotz  der  theoretischen  Anerken- 
nung des  bimetallistischen  Prinzips  liefen  also  die  Vorschläge  der  deutschen 
Delegierten  praktisch  auf  die  volle  Durchführung  der  deutschen  Goldwäh- 
rung unter  möglichst  günstigen  Bedingungen  hinaus.  Deutschland  machte 
also  in  „Bimetallismus  für  die  Ausfuhr",  wie  England  dies  ebenfalls  seinen 
Interessen  entsprechend  findet.  Aber  was  geschah?  Fürst  Eismarck  fand, 
dafs  jeue  „Zugeständnisse"  noch  zu  weit  gegangen  seien  und  er  veran- 
lafste  eine  nachträgliche  starke  Einschränkung  der  Tragweite  derselben. 
In  der  Sitzung  vom  17.  Mai  1881  sagte  Herr  v.  Thielmann  in  Bezug 
auf  die  frühere  Erklärung:  „Cette  declaration  ne  contient  point  des  offres 
faites  par  le  Gouvernement  imperial  aux  Puissances  representees  ici. 
M.  M.  les  Delegues  de  l'Allemague  se  sont  born^s  a  emettre  cette  opinion, 
que  peutetre  l'Empire  allemand  pourrait  prendre  en  consideration  des  con- 
cessions en  vue  d'un  arrangement  eVentuel  qui  serait  de  nature  ä  relever 
le  prix  de  l'argent.  Comme  ils  l'ont  dit,  Pinte'ret  de  l'Allemagne  daus 
cette  question  n'e'gale  point  celui  de  plusieurs  autres  Puissances.  Les 
decisions  ulterieures  du  Gouvernement  imperial,  ainsi  qu'ils  l'ont  loyale- 
ment  indique*,  ne  sont  prejug^es  ni  par  sa  partieipation  ä  cette  Conference, 
ni  par  les  observations  de  ses  Delegues." 

Dafs  Fürst  Bismarck  diese  berichtigende  Erklärung  persönlich  ver- 
anlafst  hat,  ist  am  12.  Dezember  1892,  wie  Bamberger  in  der  Silber- 
kommission in  Erinnerung  brachte,  von  dem  Reichskanzler  Grafen  Caprivi 
aktenmäfsig  festgestellt  worden.  Eigenhändig  schrieb  Bismarck  u.  a.  über 
jene  „Verheifsungen":  „Sie  enthalten  nichts,  was  nicht  von  uns  bewilligt 
werden  könnte;  aber  die  Kundgebung  der  Bereitwilligkeit  dazu  ist  ver- 
früht und  in  der  Form  fast  ein  Versprechen.  Sie  ist  geeignet,  bei  den 
aufserdeutsechen  Delegierten  mifsverständliche  Meinungen  über  die  Opfer 
zu  erwecken,  welche  Deutschland  zur  Förderung  eines  Arrangements  zu 
bringen  bereit  ist."  Diesem  Standpunkt  entsprechend  haben  sich  denn 
auch  die  Vertreter  Deutschlands  auf  der  Brüsseler  Müuzkonfereuz  von 
1892  durchaus  passiv  verhalten.  Schon  in  der  ersten  Sitzung  erklärte 
der  deutsche  Gesandte,  dafs  das  Reich  mit  seinem  Münzsystem  zufrieden 
sei  und  nicht  daran  denke,  es  zu  ändern.  Und  nun  soll  die  Reichsregie- 
rung oder  wenigstens  die  Regierung  des    gröfsten  Bundesstaates  nach  der 


Mis  zellen.  737 

Ansicht  des  Grafen  Mirbach  im  Anfang  des  Jahres  1894  an  die  Möglich- 
keit gedacht  haben,  praktisch  den  Uebergang  zum  internationalen  Bime- 
tallismus vorzubereiten!  Das  äußerste,  was  man  aus  der  früheren  Haltung 
der  Reichsregierung  schliefseu  könnte,  war  doch  nur  dies,  dafs  das  Reich 
bereit  sein  würde,  falls  andere  Staaten  die  Doppelwahrung  annehmen  oder 
irgend  welche  andere  Mafsregeln  zur  Hebung  der  Silberwährung  treffen 
wollten,  seinerseits  diese  Bestrebungen  durch  gewisse  Zugeständnisse  an 
das  Silber  zu  unterstützen,  ohne  aber  von  dem  Prinzip  der  einfachen 
Goldwährung  abzuweichen.  Auch  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  dafs  die 
Reichsregierung  ernstlich  die  Absicht  hatte,  falls  die  Beratungen  der  Silber- 
kommission einen  gangbaren  Weg  in  diesem  Sinne  aufweisen  sollten,  diesen 
auch  wirklich  zu  betreten,  dafs  für  sie  also  die  Einberufung  der  Kom- 
mission keineswegs  ein  blofses  Auskunftsmittel  in  einer  momentanen  Ver- 
legenheit sein   sollte. 

Die  Bimetallisten  blieben  jedoch  bei  der  Auffassung ,  dafs  die  Kom- 
mission entweder  den  Uebergang  zur  internationalen  Doppelwährung  vor- 
bereiten müsse  oder  dafs  sie  überhaupt  keinen  Zweck  habe.  Sie  waren 
daher  auch  mit  der  Zusammensetzung  der  Kommission  sehr  unzufrieden, 
weil  sie  das  Zustandekommen  einer  biraetallistischen  Majorität  nicht  er- 
warten liefs x).  Daher  nahm  Graf  Mirbach  an  der  ersten  Sitzung  der 
Kommission  (am  22.  Februar  1894)  nur  teil,  um  zu  erklären,  dafs  er 
bei  der  gegebenen  Zusammensetzung  der  Kommi.-sion  seine  Beteiligung  an 
den  Arbeiten  derselben  für  zwecklos  halte  und  daher  ausscheide.  Nach 
seiner  Meinung  dürfte  die  Kommission  nur  aus  Männern  zusammengesetzt 
sein,  die  auf  dem  Boden  6täuden,  dafs  sie  das  Silber  als  vollwertiges  Münz- 
metall acceptierten.  Herr  v.  Karrlorff  indes  erklärte,  dafs  er  und  die 
übrigen  bimetallistischen  Mitglieder,  wenn  sie  auch  die  Gründe  des  Aus- 
tritts des  Grafen  Mirbach  vollständig  würdigten,  doch  den  Versuch  machen 
wollten,  die  Informationen  zu  geben,  die  die  Regierung  zu  haben  wünsche, 
in  der  Hoffnung,  dafs  vielleicht  etwas  Praktisches  und  Nützliches  aus  den 
Beratungen  der  Kommission  hervorgehen  könne.  In  der  That  lag  für  die 
Bimetallisten,  wenn  sie  auch  in  der  Minderheit  waren,  kein  Grund  vor, 
ihre  Mitarbeit  zu  verweigern,  da  Mehrheitsbeschlüsse,  wie  der  Vorsitzende, 
Reichsschatzsekretär  Graf  Posadowsky,  von  vornherein  erklärt  hatte,  über- 
haupt nur  in  Bezug  auf  den  äufseren  Gang  der  Verhandlungen,  nicht 
aber    über    das  Materielle    der  Vor&chläge   gelafst  werden    sollten.     Jeder 


1)  Die  Mitglieder  der  Kommission  waren :  a)  Bimetallisten:  Abgeordneter  Dr.  Arendt, 
Abg.  v.  Kardorff-Wabnitz,  Geh.  Bergrat  Leuschner,  Bankdirektor  Neustadt,  Dr.  Freiherr 
v.  Schorlemer-Alst,  später  durch  den  Abg.  von  Schalscha  ersetzt,  Graf  Mirbach,  an  dessen 
Stelle  der  Fabrikant  O.  Wülfing  trat;  b)  Vertreter  der  Goldwährung:  Dr.  Bamberger, 
Generalsekretär  Bueck ,  Bankdirektor  Biising,  Abg.  Dr.  Hammacher ,  Prof.  Dr.  Lotz, 
Kaufmann  A.  O  Meyer  (durch  Bankdirektor  Brüssel  ersetzt,  der  aber  ebenfalls  austrat 
und  nicht  ersetzt  wurde),  Generalkonsul  Kussell,  Bankdirektor  Dr.  Ströll ;  c)  in  vermit- 
telnder Stellung:  Bankdirektor  Königs  und  Prof.  Dr.  Lexis.  Als  Regierungskommissare 
waren  bestellt  von  Seiten  des  Rnichs  die  Geheimenräte  Dr.  v.  Glasenapp,  Härtung,  Her- 
zog, von  Seiten  Preußens  die  Geheimenräte  Dr.  Ullmann,  Dr.  Hauchecorue,  ür.  Wentzel 
und  die  Regierungsräte  Dr.  v.  Guenther  und  Lusensky  ,  von  seiten  Bayerns:  Ministerial- 
direktor Fihr.  von  Stengel  und  Ministerialrat  von  Landmann,  von  Seiten  Sachsens:  Geh. 
Bergrat  Prof.  Dr.  Zirkel,  von  Seiten  Württembergs:  Bergrat  und  Münzwardein  Dr. 
Klüpfel. 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXin).  47 


738  Miszellen. 

einzelne    Vorschlag   würde    seitens    der   Reichsregierung    zum  Gegenstand 
eingehender  Prüfung  gemacht  werden. 

Was  im  übrigen  deu  Inhalt  der  einleitenden  Ansprache  des  Vor- 
sitzenden betrifft,  so  giebt  sie  den  Standpunkt  der  Reichsregierung  klar 
zu  erkennen:  sie  verschliefse  sich  nicht  der  Erkenntnis,  dafs  die  seit 
etwa  20  Jahren  eingetretene  fortgesetzte  starke  Entwertung  des  Silbers 
auch  tür  Deutschland,  namentlich  für  seine  Silbervorräte  und  Silbermünzen, 
für  seinen  Bergbau  und  seine  Handelsbeziehungen  von  weittragender  Be- 
deutung sei.  Obgleich  Deutschland  sich  in  sicherem  Besitz 
der  Goldwährung  befinde,  erkenne  die  Reichsregierung  doch  in  der 
zunehmenden  Silberentwertung  eine  ernste  wirtschaftliche  Frage,  die  ein- 
gehender Prüfung  bedürfe.  Es  sei  daher  auch  schon  im  vorigen  Jahr6 
eine  Kommission  von  Vertretern  verschiedener  Ressorts  gebildet  worden, 
die  nach  einem  vorgeschriebenen  Programm  die  Präge  hätte  behandeln 
sollen.  Um  aber  den  aus  wirtschaftlichen  Kreisen  geäufserten  Wünschen 
entgegenzukommen,  habe  der  Reichskanzler  beschlossen,  diese  Untersuchung 
durch  die  Einberufung  einer  Kommission  von  Sachverständigen  verschie- 
dener Lehrmeinungen  und  Berufsstände  auf  eine  breitere  Grundlage  zu 
stellen  und  dieser  Kommission  insbesondere  die  Prüfung  der  Frage  zu 
übertragen,  ob  und  eventuell  durch  welche  Mafsregeln  es  ausführbar  er- 
scheine, den  Wert  des  Silbers  wieder  zu  heben  und  zu  befestigen. 

Der  sichere  Besitz  der  Goldwährung  wird  also  betont,  die 
Frage,  ob  überhaupt  Mafsregeln  zur  Hebung  und  Befestigung  des  Silber- 
wertes möglich  seien,  wird  keineswegs  von  vornherein  bejaht,  sondern 
eben  als  der  zu  untersuchende  Punkt  bezeichnet  und  über  die  Gröfse  der 
möglichen  Hebung  wird  gar  nichts  gesagt,  also  die  Wiederherstellung  des 
alten   Silberwertes  keineswegs  in   Aussicht  genommen. 

Die  Regierung  erwartete  also,  dafs  aus  dem  Schof3e  der  Kommission 
Vorschläge  zur  Beratung  gestellt  würden.  Daher  fand  nach  der  Eröff- 
nungssitzung eine  Vertagung  statt,  um  den  Mitgliedern  Zeit  zu  geben, 
etwaige  Anträge  zu  formulieren  und  einzureichen.  Von  seiten  der  Gold- 
währungspartei war  natürlich  nichts  von  dieser  Art  zu  erwarten ;  sie 
betrachtete  sich  überhaupt  als  den  angegriffenen  Teil  und  hielt  sich  ledig- 
lich auf  der  Defensive.  Die  Bimetallisten  hätten  am  liebsten  purement 
et  simplement  die  internationale  Doppelwährung  mit  dem  Wertverhältnis 
1:15  1/2  beantragt  und  sie  legten  daher  in  der  That  zunächst  nochmals 
den  von  den  Grafen  Kanitz  und  Mirbach  im  Reichstag  eingebrachten  Ent- 
wurf eines  Münzgesetzes  vor,  das  die  freie  Silberprägung  nach  dem  Wert- 
verhältuis  1  :  15 1/2  einführt,  jedoch  erst  auf  Grund  einer  vom  Kaiser 
mit  Zustimmung  des  Bundesrates  zu  erlassenden  Verordnung  in  Kraft  treten 
soll,  wenn  auch  andere  Grofsstaaten  zur  freien  Silberprägung  übergegangen 
sind.  Jedoch  wird  schon  für  die  Zwischenzeit  eine  beschränkte  Silber- 
prägung auf  Rechnung  der  Bundesstaaten  in  Aussicht  genommen,  und 
zwar  sollen  zunächst  75  M.  auf  den  Kopf,  d.  h.  rund  3750  Mill.  M.  zur 
Prägung  zugelassen  werden!  Es  würde  dann  also  schon  in  einigen  Jahren 
mehr  Silber-  als  Goldgeld  im  Umlauf  sein,  ganz  abgesehen  davon,  dafs 
in  der  Uebergangszeit,  bevor  die  übrigen  Staaten  ebenfalls  die  Silber- 
prägungen aufnähmen  —  (die  aber  gar  keine  Veranlassung  hätten,  unter 


Itfiszellen.  739 

solchen  Umständen  dem  deutschen  Beispiel  zu  folgen)  das  Gold  infolge 
der  Geldinflation  abfliefsen  würde.  Charakteristisch  für  diesen  Entwurf 
ist  auch,  dafs  er  keinen  internationalen  Vertrag  einschliefst.  Deutschland 
soll  einfach  sagen,  es  werde  dieses  Gesetz  in  Kraft  setzen,  sobald  andere 
Grofsstaaten  ebenfalls  die  Silberprägung  —  natürlich  nach  demselben  Wert- 
verhältnis —  freigäben.  Herr  von  Kardoiff  hat  in  der  Kommission  wieder- 
holt erklärt,  dafs  auch  er  die  faktische  Herstellung  der  internationalen 
Doppelwährung  ohne  besonderen  Vertrag  für  das  richtigere  Verfahren 
halte. 

Da  indes  dieser  radikale  Kanitz'sche  Antrag  in  der  Kommission  und 
auch  wohl  bei  der  Reichsregierung  einen  gar  zu  ungünstigen  Boden  ge- 
funden hätte,  so  reichten  die  Herren  Dr.  Arendt,  v.  Kardorff,  Leuschner 
und  Wülfing  einen  Vorschlag  zu  Uebergangsmafsregeln  ein.  In  demselben 
wird  erklärt,  dafs  die  Hebung  und  Festlegung  des  Silberwertes  die  Durchfüh- 
rung der  internationalen  Doppelwährung  erfordere.  Um  diese  herbeizu- 
führen sei  seitens  des  Deutschen  Reiches  eine  internationale  Münzkonfe- 
renz nach  Berlin  einzuberufen  und  dieser  ein  Doppelwährungsvertrag  vor- 
zulegen. Die  Kommis.-ion  habe  diesen  Vertrag  vorzuberaten  und  dabei 
sei  zu  erwägen,  ob  derselbe  ohne  England  sofort  oder  mit  England  nach 
dessen  Beitritt  in  Kraft  treten  solle.  Der  Münzkonferenz  seien  Ueber- 
gangsmafsregeln zur  Hebung  des  Silberwertes  vorzuschlagen,  welche  die 
Antragsteller  später  der  Kommission  vorlegen   würden. 

Ferner  wurde  ein  halbbimetallistischer  Vorschlag,  der  später  eben- 
falls als  Uebergangsantrag  bezeichnet  wurde,  von  dem  Bankdirektor  Neu- 
stadt eingereicht,  der  u.  a.  die  Bestimmung  enthielt,  dafs  die  Vertrags- 
staaten die  Silberbergwerke  in  ihren  Landesgebieten  auf  gemeinschaftliche 
Rechnung  ankaufen  und  verwalten  lassen  sollten,  oder  dafs  sie,  wenn 
diese  Erwerbung  auf  unüberwindliche  Schwierigkeiten  stiefse,  wenigstens 
den  Ankauf  des  in  ihren  Gebieten  gewonnenen  Silbers  monopolisieren 
sollten. 

Ein  Vermittlungsantrag  des  Bankdirektors  König  stellte  eine  Modi- 
fikation des  von  demselben  Verfasser  ausgegangenen  Vorschlags  dar,  über 
den  an  dieser  Stelle  vor  kurzem  (Bd.  VII,  S.  482)  berichtet  worden  ist. 
Nach  demselben  sollen  möglichst  viele  Staaten  sich  vereinigen,  um  die 
bisherigen  Silberkurant-  und  gröfseren  Scheidemünzen  durch  Münzen  mit 
unbeschränkter  Zahlungskraft  innerhalb  des  Emissionslandes  zu  ersetzen, 
die  naih  dem  Wertverhältnis  1:24  zu  prägen  wären.  Aufserdem  soll 
jeder  Staat  sich  verpflichten,  von  den  Silberprägungen  einen  Schlagschatz 
von  wenigstens  10  Proz.  zu  erheben,  den  er  nach  Belieben  auch  jeder- 
zeit bis  20  Proz.  erhöhen  könnte.  Die  Münzstätten  der  kontrahierenden 
Staaten  sollen  Silber  von  Privaten  zur  Prägung  annehmen,  jedoch  brauchen 
sie  nicht  mehr  als  jährlich  eine  Mark  für  den  Kopf  der  Bevölkerung  zu 
prägen,  und  diese  Prägung  mufs  entsprechend  der  Ablieferung  des  Münz- 
metalls in  gleichmäfsigen  Monatsraten  erfolgen.  Die  indischen  Münz- 
stätten müfsten  wieder  der  freien  Silberprägung  geöffnet  werden.  Noch 
weniger  entfernte  sich  der  von  mir  vorgelegte  Antrag  von  dem  beste- 
henden deutschen  Münzsystem.  Deutschland  soll  hiernach  den  übrigen 
beteiligten  Staaten   mitteilen,    dafs  es  bereit    sei,    zunächst   10  Jahre  hin- 

47* 


740  Misz  eilen. 

durch  jährlich  eine  bedeutende  Quantität  neues  Feinsilber  zur  Prägung 
zu  verwenden,  wenn  die  anderen  Staaten  sich  ihrerseits  ebenfalls  zur 
Ausmünzung  angemessener,  in  den  Verhandlungen  noch  näher  festzustel- 
lenden Silberquantitäten  verpflichteten.  Dabei  sollte  jeder  Staat  in  den 
näheren  Bestimmungen  über  diese  Prägungen ,  über  die  Wahl  des  Wert- 
verhältnisses ,  den  etwaigen  Schlagschatz  u.  s.  w.  völlig  freie  Hand  be- 
halten, wenn  er  sich  nicht  etwa  freiwillig  dem  von  Deutschland  ange- 
nommenen  System  anschlösse. 

Für  Deutschland  aber  wurde  nun  empfohlen,  mindestens  die  Thaler 
und  die  silbernen  Fünfmarkstücke  nach  dem  Wertverhältuis  1:21  zu 
Zweiundeinhalbmarkstücken  umzuprägen.  Besser  wäre  es  allerdings,  wenn 
auch  die  Zweimarkstücke  der  Umprägung  unterworfen  würden,  in  welchem 
Falle  die  neuen  schweren  Silbermünzen,  die  man  mit  einem  bereits  von 
Soetbeer  gebrauchten  Ausdruck  als  Hauptsilbermünzen  bezeichnen 
könnte,  den  Nennwert  von  zwei   Mark  erhalten  würden. 

Die  Hauptsilbermünzen,  die  als  Zweiundeinhalbmarkstücke  einen  Ge- 
halt von  18,817  und  als  Zweimarkstücke  einen  solchen  von  15,054  g 
Feinsilber  besitzen  würden,  sollen  von  allen  öffentlichen  Kassen  unbe- 
schränktangenommen werden,  Privaten  gegenüber  aber  gesetzliche  Zahlungs- 
kraft bis  zu  1000  M.  besitzen,  und  im  Barvorrat  der  Reichsbank  und 
der  übrigen  Notenbanken  als  vollgiltiges  Deckungsmittel  bei  der  Be- 
stimmung der  steuerfreien  Notenreserve  angerechnet  werden,  wie  dies 
gegenwärtig  ja  auch  mit  den  Scheidemünzen  geschieht.  Ihr  Gesamt- 
umlauf soll,  natürlich  nur  durch  Prägung  für  Rechnung  des  Reiches,  über 
den  Gesamtnennwert  der  einzuschmelzenden  Münzen  um  einen  mäfsigen 
Betrag  hinausgehen,  so  dafs  im  ganzen  an  Hauptsilber-  und  kleineren  Silber- 
scheidemünzen 20  M.  auf  den  Kopf  der  Bevölkerung  kommen  würden, 
und  zwar  bei  der  beschränkteren  Umprägung  121/2  M.  in  Münzen  der 
ersteren  und  7  l /2  M.  in  Münzen  der  letzteren  Art.  Nach  dem  weiter- 
gehenden Projekt  würde  die  Kopfquote  der  ersteren  14x/2  M.  die  der 
letzteren  5  x/2  M.  betragen.  Wird  die  Bevölkerung  zu  50  Mill.,  der 
Thalervorrat  zu  420  Mill.  M.,  der  Bestand  an  Fünfmavkstücken  zu 
53,3  Mill.  M.  angenommen,  so  ergiebt  sich  für  die  Prägungen  in  diesem 
Umfange  ein  Bedarf  von  1  950  000  kg  Feinsilber,  also  bei  einer  Ver- 
teilung desselben  auf  10  Jahre,  von  jährlich  195  000  kg.  Würden  auch 
die  111,7  Mill.  M.  in  Zweimarkstücke  umgeprägt,  so  könnte  man  in 
diesem  Zeiträume  jährlich  etwa  216  000  kg  neues  Feinsilber  verwenden. 
Das  Reich  behält  sich  das  Recht  vor,  iiese  Prägungeu  zu  vermindern 
oder  einzustellen,  wenn  der  Londoner  Silberpreis  über  40  Pence  hinausgeht. 

So  weit  reicht  der  eigentlich  münzpolitische  Vorschlag.  Aufserdem 
werden  aber  auch  finanzielle  Mafsregeln  empfohlen,  weil  voraussichtlich 
das  Reich  nicht  geneigt  sein  würde,  grofse  Kosten  auf  die  an  sich  kaum 
abweisbare  Reform  unserer  Silbermünzen  zu  verwenden.  Die  Kosten  der 
beschränkteren  Umprägung  würden  sich  infolge  der  Erniedrigung  des 
Wertverhältnisses  für  das  Silber  auf  137,  die  des  weiteren  Projektes  auf 
174  Mill.  M.  belaufen.  Man  könnte  nun  zu  diesem  Betrage  Münzscheine, 
etwa  in   Stücken  von    5   und    10    Mark    ausgeben,    von    denen    ein  grofser 


M  i  s  z  el  I  e  n.  741 

werden  könnte.  Das  Wertverhältnis  entspricht  dem  Londoner  Silberpreise 
von  44,9  Pence  und  wenn  sich  der  thatsächliche  Preis  iuf'olge  der  inter- 
nationalen Mafsregeln  auf  durchschnittlich  38  Peuce,  d  h.  ungetähr  den  vor 
dem  26.  Juni  1893  geltenden  Jahresdurchschnitt  stellte,  so  würde  sich 
aus  der  in  Aussicht  genommeneu  Prägung  in  zehn  Jahren  ein  Gewinn 
von  etwa  39  Mill.  M.  ergeben.  Da  die  Bevölkerung  in  diesem  Jahr- 
zehnt wieder  um  etwa  4  Mill.  Einwohner  zugenommen  haben  würde,  so 
wäre  wieder  Kaum  für  eine  weitere  Ausmüuzung  von  80  Mill.  M.  ge- 
schaffen, die  wegen  der  darin  mit  enthaltenen  stark  unterwertigen  kleinen 
Scheidemünzen  einen  weiteren  Gewinn  von  20  Mill.  M.  liefern  würde. 
In  der  Folge  würde  allerdings  der  Münzgewinn  nnr  mäfsig  sein,  doch 
würde  das  Reich  es  wohl  auch  als  zweckmäfsig  anerkennen,  jährlich  einige 
Millionen  zur  Beschleunigung  der  Einziehung  dieser  ungedeckten  Münz- 
scheine zuzuschiefsen.  Uebrigens  würde  es  sich  empfehlen  solche  Münz- 
scheine auch  gegen  Hinterlegung  des  gleichen  Betrags  in  Hauptsilber- 
münzen auszugeben,  um  dem  Publikum  keinen  Anlafs  zu  geben,  über 
die  Unbequemlichkeit  dieser  Münzen  zu  klagen.  Hinsichtlich  ihrer 
Zahlungskraft  und  ihrer  Fähigkeit  als  Notendeckung  zu  dienen,  wären 
die  Münzscheine  den    Hauptsilbermünzen  gleichzustellen. 

Im  ganzen  müfsten  die  an  dem  Vertrage  sich  beteiligenden  Staaten 
annähernd  die  Gewichtsmenge  Silber  jährlich  neu  ausprägen,  die  bis  zur 
Aufhebung  der  Sherman-Akte  jährlich  von  den  Vereinigten  Staaten  auf- 
genommen wurde.  Wenn  dann  zugleich,  was  Voraussetzung  des  ganzen 
Systems  ist,  die  indischen  Münzstätten  wieder  für  die  freie  Silberprägung 
geöffnet  würden,  so  dürfte  man  mit  genügender  Sicherheit  die  Wieder- 
herstellung des  Silberpreise*  erwarten,  der  in  der  letzten  Zeit  vor  der 
Einstellung  der  indischen  Prägungen  sich  behaupten  konnte,  also  etwa 
38  —  39  Pence.  Das  Hecht  der  Regierung,  bei  einem  Silberpreise  von 
mehr  als  40  Pence  die  Prägungen  zu  beschränken  oder  einzustellen,  hat 
nur  den  finanziellen  Zweck,  einen  gewissen  Münzgewinn  zur  Ausgleichung 
der  durch  die  Reform  entstehenden  Kosten  sicher  zu  stellen;  wollte  man 
darauf  verzichten ,  so  könnte  der  Silberpreis  vielleicht  einmal  auch  bis 
zu  der  dem  Wertverhältnis  1:21  entsprechenden  Höhe  steigen.  Sollte  er 
sogar  darüber  hinausgehen,  so  würden  Silbermünzen  mit  Gewinn  einge- 
schmolzen werden  können,  was  aber  dem  Reiche  keinen  Schaden,  sondern 
Vorteil  bringen  würde,  da  es  ja  den  gröfsten  Teil  dieser  Münze  als 
Deckung  für  umlaufende  Münzscheine  in  den   Händen   haben  würde. 

Von  dem  bimetallistischen  Uebergangsvorschlag  des  Dr.  Arendt,  der 
erst  später  eingereicht  wurde,   wird  unten   die  Rede  sein. 

Als  die  Kommission  am  12.  April  wieder  zusammentrat,  beschlofs 
man  den  Antrag  Lexis  zuerst  in  Beratung  zu  nehmen.  Man  begann  also 
mit  dem  am  wenigsten  von  dem  Bestehenden  abweichenden  Vorschlag, 
während  es  in  der  Regel  üblich  ist,  mit  dem  am  weitesten  gehenden  den 
Anfang  zu  machen.  Indes  würde  auch  bei  diesem  letzteren  Verfahren 
das  Geschick  meines  Antrags  wohl  dasselbe  geblieben  sein.  Es  war  mir 
auch  selbst  von  vornherein  völlig  klar,  dafs  derselbe  weder  bei  den  Ver- 
tretern der  Goldwährung  noch  bei  den  Bimetallisten  Anklang  oder  Zu- 
stimmung finden  werde,  da  er  den  letzteren  bei  weitem  nicht  weit  genug, 


742  Miszellen. 

den  ersteren  aber  viel  zu  weit  ging.  So  haben  denn  auch  in  den  drei- 
tägigen Verhandlungen  alle  Mitglieder  der  Kommission  aufser  dem  An- 
tragsteller mit  mehr  oder  weniger  Entschiedenheit  gegen  das  Projekt  ge- 
sprochen. 

Der  Haupteinwand  der  Gold  Währungspartei  wurde  von  den  Kosten 
abgeleitet,  die  die  Umprägung  von  450 — 500  Mill.  M.  in  Thalern  und 
und  gröfseren  Silberscheidemüuzen  mit  sich  bringen  würde.  Mit  diesem 
Opfer  von  137  oder  174  Mill.  M.  ständen  die  zu  erwartenden  Vorteile 
in  keinem  Verhältnis;  denn  die  neuen  Silbermünzen  blieben  doch  noch 
immer  minderwertig,  man  könne  gar  nicht  wissen,  ob  der  Silberpreis  auch 
nur  bis  38  Pence  steigen  werde,  zumal  die  Ankäufe  nur  für  10  Jahre 
vereinbart  würden;  noi:h  weniger  aber  dürfe  man  eine  Befestigung  des 
Silberpreises  erwarten,  vielmehr  würden  dieselben  Schwankungen  möglich 
bleiben,  wie  sie  vor  der  Schliefsung  der  indischen  Münzstätten  trotz  der 
Sherman-Akte  vorgekommen  seien.  Die  Gefahr  vollwertiger  Nachprägungen 
unserer  Silbermünzen  sei  nicht  hoch  anzuschlagen ,  jedenfalls  sei  der 
mögliche  Verlust  durch  solche  Fälschungen  sehr  klein  im  Vergleich  mit 
mit  den  Kosten  einer  Umprägung. 

Von  Seiten  der  Bimetallisten  dagegen  wurde  es  allerdings  für  sehr 
wahrscheinlich  gehalten,  dafs  mit  der  Zeit  massenhafte  Nachprägungen 
vollwichtiger  Silbermünzen  stattfiuden  würden,  zumal  diese  allem  Anscheine 
nach  in  einigen  Staaten,  wenn  es  sich  um  fremde  Münzen  handle,  nicht 
strafbar  seien.  Auch  wurde  mit  grofser  Entschiedenheit  die  Unhaltbar- 
keit  des  gegenwärtigen  Zustandes  des  deutschen  Münzwesens  betont,  da 
die  Thaler  —  etwa  400—420  Mill.  M.  —  55  Proz.  und  die  Silberscheide- 
münzen —  470  Mill.  —  60  Proz.  unterwertig  seien.  Aber  der  Antrag 
Lexis  könne  keine  Abhilfe  schaffen;  er  sei  nur  eine  verallgemeinerte 
Sherman-Akte,  indem  statt  der  Voreinigten  Staaten  allein  eine  Reihe  von 
Staaten  Silber  ankaufen  würden.  Mit  einem  beschränkten  Ankauf  von 
Silber  könne  aber  niemals  ein  befriedigendes  Ergebnis  erreicht  werden; 
es  müsse  eine  unbeschränkte  Nachfrage  nach  Silber  geschaffen  werden, 
wie  sie  durch  die  freie  Prägung  gegeben  werde.  Aber  selbst  wenn  der 
Preis  von  38  Pence  wieder  erreicht  würde,  so  wäre  damit  doch  niemand 
zufiiedengestellt.  Im  Anfang  des  Jahres  1893  habe  dieser  Preis  be- 
standen und  doch  habe  man  auch  damals  allgemein  die  Wiederherstellung 
des  Silberwertes  verlangt  und  England  habe  die  indischen  Münzen  ge- 
schlossen, weil  es  jenen   Preis  nicht  für  geuügend  erachtet  habe. 

Auf  diese  Einwendungen  liefs  sich  freilich  manches  Berechtigte  er- 
widern. Einen  wirklichen  neuen  Verlust  würde  das  Reich  durch  die 
Umprägungen  der  gröfseren  Silbermünzen  nicht  erleiden ,  denn  der  Ver- 
lust ist  infolge  der  inneren  Entwertung  dieser  Münzen  schon  da  und  er  wird 
bisher  nur  durch  den  Slaatskredit  verdeckt.  Wenn  die  Reform  sich  auch 
nur  auf  die  Thaler  und  Fünfmarkstücke  erstreckte,  so  würde  sich  doch  der 
in  den  Silbermünzen  und  den  auszugebenden  Münzscheinen  enthaltene 
Kreditwert  um  192  Mill.  M.  niedriger  stellen  ,  als  die  künstliche  Ueber- 
wertung      des     gegenwärtig     vorhandenen     Silbermünzbeslandes      beträgt. 

Uebrigens  würde  der  gröfste  Teil  der  Münzscheine,  wie  wir  oben 
bemerkt,  in   den  ersten  zehn  Jahren  aus  dem   wahrscheinlich  etwa   15  Proz. 


M  i  s  z  e  1 1  e  n.  743 

betragenden  Prägungsgewinn  getilgt  werden  und  wenn  sich  das  System  so 
lange  bewährt  hätte,  so  würde  das  Reich  auch  wohl  eher  geneigt  sein,  zur 
Verbesserung  seiner  Scheidemüuzen  besondere  Aufwendungen  zu  machen. 
Die  Leichtherzigkeit,  mit  der  man  von  Seiten  der  Goldwährungs- 
partei die  jetzige  enorme  iuuere  Uuterwertigkeit  unserer  Silbermünzen 
hinnimmt,  scheint  denn  doch  nicht  gerechtfertigt.  Die  von  den  Biraetaliiateu 
besonders  betonte  Gefahr  der  sogenannten  „echten  Nachprägung"  halte 
ich  zwar  nicht  für  sehr  grofs,  doch  wäre  es  immerhin  wünschenswert, 
genauer  festzustellen,  ob  wirklich  in  einigen  Staaten  die  vollwertige  Nach- 
prägung fremder  Münzen  im  Strafgesetz  nicht  vorgesehen  sei.  Angeb- 
lich sollen  sich  bei  der  Rücklieferung  der  italienischen  Scheidemüuzen 
viele  nachgeprägte  vorgefunden  haben,  doch  fehlen  darüber  noch  zu- 
verlässige Nachrichten.  Die  Meldung,  die  mit  den  Jahreszahlen  1886  und 
1887  versehenen  Münzen  seien  unecht,  weil  Italien  in  diesen  Jahren  über- 
haupt keine  solchen  geprägt  habe,  war  jedenfalls  unbegründet,  da  nach 
dem  italienischen  „Statistischen  Jahrbuch"  in  beiden  Jahren,  1887  sogar 
ungewöhnlich  reichliche  Scheidemünzpräguugen  stattgefunden  haben.  Die 
eigentliche  Gefährlichkeit  der  stark  uuterwertigen  Silbermünzen  aber 
würde  sich  erst  in  kritischen  Zeiten  zeigen,  namentlich  wenn  bei  einem 
Kriege  von  längerer  Dauer  zu  der  —  dann  unvermeidlichen  —  Ausgabe 
von  uneiclöslichem  Papiergeld  mit  Zwangskurs  geschritten  werden  müfste. 
Angenommen,  es  entstehe  dann  ein  Goldagio  von  10  — 15  Proz.,  so  würde 
offenbar  das  innerlich  55 — 60  Proz.  unterwertige  Silbergeld  einfach  wie 
eine  Vermehrung  des  Papiergeldes  wirken,  d.  h.  1  Mark  in  Silber  würde 
nicht  gleich  dem  zehnten  Teil  einer  Goldkrone,  sondern  einfach  ebenso 
wie  fünf  Zwauzigpfeunigstücke  in  Nickel  gleich  einer  Mark  in  Papier 
gelten.  So  standen  ja  auch  in  Rufsland  und  Oesterreich  die  stark  unter- 
wertigen  Silberscheidemünzen  immer  in  gleicher  Linie  mit  dem  Papier- 
gelde und  ebenso  erzielt  gegenwärtig  in  Spanien  das  Gold  ein  gleiches 
Agio  gegen  Kurantsilber  wie  gegen  Papiergeld.  In  Italien  standen  bisher 
die  Silbermünzen  allerdings  dem  Golde  gleich,  weil  sie  in  den  übrigen 
Staaten  des  Münzbundes  zu  ihrem  Nennwert  ausgegeben  werden  konnten. 
In  einiger  Zeit  wird  sich  dies  wahrscheinlich  in  Bezug  auf  die  italienische 
Scheidemünze  ändern  :  wenn  mit  dem  Ausschlufs  derselben  aus  den  Nach- 
barländern voller  Ernst  gemacht  wird  und  der  Bevölkerung  dies  allmäh- 
lich zum  Bewufstsein  kommt,  so  werden  diese  Münzen  sich  ebenfalls  auf 
den  Wert  des  Papiergeldes  stellen,  da  die  Ansammlung  und  die  Ver- 
wendung desselben  im  Ausland  dann  keinen  Gewinn  mehr  bringt.  So 
würden  also  auch  in  Deutschland  die  890  Hill.  M.  Silbergeld  von  vorn- 
herein im  gleichen  Niveau  mit  dem  Papiergeld  stehen  und  dem  Sinken 
desselben  wenigsten  bis  zu  einer  gewissen  unteren  Grenze  folgen.  Wenn 
freilich  das  Disagio  40  oder  50  Proz.  erreichen  sollte,  so  wäre  das  Ver- 
trauen auf  die  Staatsfinanzen  so  sehr  erschüttert,  dafs  dann  selbst  die 
60  Proz.  unterwertigen  Scheidemünzen  wieder  einen  gewissen  Vorsprung 
vor  dem  Papier  erhalteu  würden,  weil  sie  dann  doch  wenigstens  40  Proz. 
ihres  Nennwertes  in  ihrem  Stoffe  selbst  trügen.  In  jedem  Falle  aber  würden 
die  Mafse  der  stark  entwerteten  Silbermünzen  das  Steigen  des  Goldagios 
beschleunigen,    da  sie  den  Raum    für  die  Papiergeldemission  beengen  und 


744  M  is  z  eil  e  n. 

die  Ausgabe  von  einer  Milliarde  der  letzteren  auf  den  Goldpreis  von  vorn- 
herein wie  die  Ausgabe  von  1900  Mill.  wirken  würde.  Eine  mäfsige 
Unterwertigkeit  der  Scheidemünzen  dagegen  wird  bei  Entwertung  des 
Papiergeldes  nicht  in  Anschlag  gebracht:  diese  Münzen  gelten  dann  dem 
Golde  gleich  und  werden  wie  dieses  aus  dem  Verkehr  gezogen.  Dies 
war  1871  in  Frankreich  der  Fall,  wo  die  Silberscheidemünzen  mit  71/2  Proz. 
Unterwertigkeit  einen  höheren  Wert  behaupteten,  als  das  Papiergeld,  ob- 
wohl die  Goldprämie  nur  2  bis  höchstens  3  Proz.  betrug:  diese  Münzen 
wurden  eben  wie  das  Gold  als  Keserve  in  den  Kassen  zurückgehalten  und 
im  Verkehr  entstand  ein  solcher  Mangel  an  ihnen,  dafs  zwei  Bankgesell- 
schaften sich  entschlossen,  private  vollgedeckte  Noteu  von  1  und  2  Frcs. 
auszugeben.  Nehmen  wir  nun  an,  auch  die  deutschen  Silbermünzen  seien 
nur  10  bis  höchstens  15  Proz.  unterwertig,  so  würden  sie  bei  einem  Gold- 
agio von  5 — 10  Proz.  ebenfalls  zur  Verstärkung  der  von  der  Bevölkerung 
zurückgehaltenen  metallischen  Reserve  dienen,  also  dem  Steigen  des  Gold- 
aufgeldes entgegenwirken  und  nicht,  wie  unter  den  gegenwärtigen  Ver- 
hältnissen, neben  dem  Papier  das  mögliche  Uebermafs  der  der  Entwertung 
ausgesetzten  Umlaufsmittel  vergröfsern.  Der  im  ersteren  Falle  eintretende 
Mangel  an  Scheidemünzen  —  vorausgesetzt,  dafs  alle  Silbermünzen  um- 
geprägt wären  —  liefse  sich  leicht  beseitigen  und  wäre  jedenfalls  das 
kleinere  Uebel. 

Der  Anstofs,  den  die  vorläufige  Ausgabe  ungedeckter  Münzscheine 
erregte,  könnte  leicht  beseitigt  werden,  wenn  statt  solcher  Scheine  zur 
Deckung  der  Kosten  verzinsliche  Schatzscheine  ausgegeben  würden  oder 
wenn  man  einfach  mit  der  Ausprägung  von  jährlich  195  000  kg  neuen 
Silbers  nach  dem  neuen  Wertverhältuis  begänne  und  am  Schlüsse  jedes 
Jahres  den  Münzgewiun  zur  Umprägung  von  Thaleru  nach  dem  neuen 
Fufse  verwendete.  Wenn  die  Sache  im  übrigen  zehn  Jahre  lang  einen 
günstigen  Verlauf  genommen  hätte,  würde  das  Reich  dann  wohl  die 
Mittel  bewilligen,  um  jährlich  eine  gröfsere  Summe  von  Thalern  und 
alten  Silberscheidemünzen  umzuprägen  und  daduich  ein  zu  starkes  An- 
wachsen des  Silberumlaufs  zu  verhindern.  Wenn  übrigens  jährlich  der 
Vorrat  au  Goldmünzen,  wie  dies  fast  sicher  angenommen  werden  kann, 
um  40 — 50  Mill.  M.  zunimmt,  so  kann  die  Goldwährung  durch  eine  gleich- 
zeitige Neuprägung  von  jährlich  13  Mill.  M.  in  Silber  nicht  beeinträchtigt 
werden.  Schliefslich  würde  man  es  violleicht  auch  zweckmäfsig  finden, 
den  Hauptsilbermünzen,  die  in  so  beschränkter  Menge  und  natürlich  nur 
auf  Reichsrechnung  geprägt  würden,  die  unbedingte  gesetzliche  Zahlungs- 
kraft zu  verleihen.  Damit  wäre  dann  der  Zustand  hergestellt,  den  der 
Köuigs'sche  Antrag  schon  sofort  schaffen  will  und  den  Bamberger  mit 
Recht  als  „die  Sanktionierung  der  hinkenden  Währung"  bezeichnet  hat. 
Ich  habe  die  Beschränkung  der  Zahlungskraft  der  Hauptsilbermünzen  auf 
1000  M.  nur  vorgeschlagen,  um  theoretisch  das  Prinzip  der  reinen  Gold- 
währung aufrecht  zu  erhalten;  praktisch  jedoch  würden  diese  Münzen  im 
Verkehr  ganz  dieselbe  Rolle  speien,  wie  wenn  ihnen  volle  gesetzliche 
Zahlungskraft  zustände.  So  denkt  ja  auch  niemand  daran,  dafs  die  Reichs- 
kassenscheine Privaten  gegenüber  überhaupt  keine  gesetzliche  Zahlungs- 
kraft besitzen.     In  dieser  Frage  würde  also  leicht  eine  Einigung  mit  dem 


M  i  sz  e  1 1  e  n.  745 

Königs'schen  Autrag  möglich  gewesen  sein,  und  auch  die  Bimetallisten 
würden  natürlich  prinzipiell  gegen  diesen  Punkt  nichts  einzuwenden  ge- 
habt haben.  Das  Hauptbedenken  gegen  den  Köuigs'scheu  Antrag  lag 
sowohl  für  die  Vertreter  der  reinen  Goldwährung  wie  auch  für  mich 
selbst  in  der  Silberprägung  auf  Privatrechnung,  die  derselbe,  wenn 
auch  mit  gewissen  Beschränkungen,  zulassen  will.  Das  Maximum  der 
Prägung,  1  Mark  auf  den  Kopf  jährlich,  würde  aber  für  Deutschland 
schon  50  Hill,  ausmachen,  und  dabei  wäre  denn  doch  das  dauernde  Vor- 
walten des  Goldumlaufs  schon  sehr  fraglich.  Allerdings  würde  dieses 
Maximnm  vielleicht  nie  erreicht  werden,  da  der  Königs'sche  Antrag  auch 
einen  starken  Druck  auf  den  Preis  und  zugleich  auf  die  Produktion  des 
Silbers  ausüben  will.  Das  vorgeschlagene  Wertverhältnis  1  :  24  et-tspricht 
nur  einem  Silberpreise  von  etwas  mehr  als  39  Pence  und  da  aufstrdem 
10 — 20  Proz.  Schlagschatz  erhoben  werden  sollen,  so  würde  sich  der  Markt- 
preis des  Silbers  nur  zwischen  31  und  etwas  mehr  als  35  Pence  stellen 
können.  Sollte  trotzdem  der  Andrang  zur  Prägung  noch  zu  grofs  werden, 
so  würde  durch  die  längere  Hinausschiebung  der  Ablieferung  der  Münzen 
nach  der  Reihenfolge  der  Eiulieferungen  des  Barreusilbers  ein  Ziusverlust 
entstehen,  der  einen  noch  weiteren  Kückgang  des  Marktpreises  des  letzteren 
hervorrufen  würde.  Man  würde  auf  solche  Art  allerdings,  wenn  auch 
nicht  sofort,  so  doch  mit  der  Zeit  eine  bedeutende  Verminderung  der 
Silberproduktion  und  dadurch  ein  Gleichgewicht  derselben  mit  dem  Ver- 
brauch erzwingen  können,  aber  der  Zweck  der  Hebung  und  der  Be- 
festigung des  Silberwertes  würde  bei  diesem  System  doch  gar  zu  wenig 
erreicht  werden. 

Wenn  von  bimetallistischer  Seite  gegen  meinen  Antrag  eingewandt 
wurde,  dafs  England  ihn  nicht  annehmen  würde,  weil  es  den  Siiberpreis 
von  38 — 39  Pence  nicht  für  genügend  halte  und  eben  deswegen  die 
indischen  Prägungen  eingestellt  habe,  so  wurde  übersehen,  dafs  England 
mittlerweile  durch  sein  indisches  Experiment  sehr  unangenehme  Belehrungen 
erhalten  hat  und  dafs  in  der  letzteu  Zeit  nicht  nur  der  Silberpreis  auf 
28  3/4  Pence,  sondern  auch  die  "Rupie  auf  einem  den  Silberpreis  von  35 
entsprechenden  Kurse  stand.  Eine  Erhöhung  dieses  Kurses  auf  38  bis 
39  Pence  würde  daher  jetzt  von  England  und  der  indischen  Regierung  als  eine 
entschiedene  Erleichterung  der  schwierigen  Finanzlage  empfunden  werdeu. 
Dagegen  würde  ein  zwischen  31  und  35  Pence  schwankender  Silberpreis 
für  England  keinerlei  Veranlassung  darbieten,  sich  an  einer  internationalen 
Vereinbarung  zu  beteiligen.  Auch  wären  Silbermünzen  nach  dem  Wert- 
verhältnis 1  :  24  schon  recht  unhandlich,  da  sie  mehr  als  50  Proz.  schwerer 
sein  würden,  als  die  jetzt  vorhandenen  Münzen  von  gleichem  Nennwert. 
Die  Schwierigkeit,  Frankreich  für  eine  so  weitgehende  Herabsetzung  des 
gesetzlichen  Silberweites  zu  gewinnen,  schlägt  Herr  Königs  selbst  so  hoch 
an,  dafs  er  in  den  Erläuterungen  zu  seinem  Antrag  Frankreich  wie  auch 
Belgien  ganz  aus  dem  Spiele  lafst ,  dagegen  der  Hoffnung  auf  den  Bei- 
tritt Rufslands  Ausdruck  giebt.  Ohne  Zweifel  wäre  Rufsland  nach  dem 
Charakter  und  der  Entwickelungsstufe  seiner  Volkswirtschaft  mehr  als 
irgend  ein  anderes  Land  für  die  Annahme  einer  Doppelwährung  mit  über- 
wiegendem Silberumlauf  geeignet.     Wenn  Rufsland    einen  Teil    seines  auf 


746  M  i  s  z  el  le  n. 

mehr  als  2000  Mill.  Frcs.  angewachsenen  Goldvorrates  dazu  verwenden 
wollte,  etwa  500  Mill.  Papierrubel  zum  Kurse  von  220  Pfg.  gegen  Silber- 
rubel einzulösen,  so  könnte  es  mit  grofsem  Vorteil  ein  durchaus  solides 
Bargeldwesen  und  zugleich  für  das  Silber  wieder  eine  dauernde  feste 
Wertgrundlage  schaffen.  Nach  allem  indes,  was  man  über  die  Stimmung 
der  leitenden  russischen  Kreise  erfährt,  besteht  für  ein  solches  Eingreifen 
nicht  die  mindeste  Wahrscheinlichkeit  und  somit  würde  auch  von  dieser 
Seite  her  keine  Unterstützung  des  Königs'schen  Systems  zu  erwarten  sein. 
Ob  Oesterreich-Uugarn  geneigter  6ein  würde,  demselben  beizutreten,  er- 
scheint höchst  zweifelhaft.  Italien  wäre  vielleicht  eher  für  das  Projekt 
zu  gewinnen,  aber  die  finanziellen  Schwierigkeiten  eines  Vorgehens  in 
diesem  Sinne  würden  kaum  überwindlich  sein,  da  der  Austritt  des  König- 
reichs aus  dem  lateinischen   Münzbunde  damit  verbunden   sein  müfste. 

Die  praktischen  Aussichten  des  Königs'schen  Vorschlags  würden  also 
sehr  ungünstig  sein.  In  der  Kommission  wurde  er  von  den  Bimetallisten 
etwas  weniger  unbedingt  zurückgewiesen  als  der  meinige;  Herr  v.  Kar- 
doiff  meinte  sogar,  er  könnte  eine  gute  Grundlage  werden,  wenn  die 
Regierung  sich  entschlösse,  eine  internationale  Konferenz  zur  Besprechung 
der  Währungsfrage  einzuladen;  dagegen  hob  er  hervor,  dafs  durch  dieses 
System  weder  das  Uebergewicht  der  indischen  Ausfuhr  beseitigt,  noch  eine 
Hebung  des  Silberwertes  herbeigeführt  werde,  und  noch  bestimmter  er- 
klärte Herr  Wülfing  mit  Rücksicht  auf  den  Absatz  europäischer  Fabrikate 
nach  Indien  diesen  Vorschlag,  wie  überhaupt  jeden,  der  nicht  das  Wert- 
verhältnis 1  ;  15  1/2  annehme,  für  ungeeignet,  den  bestehenden  Uebeln 
abzuhelfen.  Für  die  Goldwährungspartei  dagegen  war  selbstverständlich 
dieser  Antrag  noch  unannehmbarer,  als  der  meinige,  da  er  dem  Bime- 
tallismus weit  mehr  entgegenkommt.  Namentlich  wurde  das  Mifsverhältnis 
der  Kosten  zu  dem  Resultate  hervorgehoben,  das  noch  gröfer  sein  würde, 
als  bei  meinen  Vorschlag;  denn  die  ersteren  würden  sich  nach  Herrn 
Königs  Berechnung  auf  228  Mill.  M. ,  wahrscheinlich  aber  noch  höher 
belauten  und  damit  doch  nur  ein  zwischen  30  und  36  Pence  schwankender 
Silberpreis  erzielt  werden.  Die  von  Herrn  Königs  betonte  Gefahr ,  dafs 
Indien  als  Handelsstaat  grofse  Summen  in  Gold  an  sich  ziehen  könnte, 
wurde  bestritten;  wenn  Indien  wirklich  seine  aktive  Handelsbilanz  wieder 
erlange,  so  werde  der  Saldo  wie  früher  in  Silber  ausgeglichen  werden,  da 
dieses  Metall  dort  vorzugsweise  thesauriert  werde.  Dies  ist  indes  sehr 
zweifelhaft;  im  Jahre  1893  ist  allerdings  die  Silberausfuhr  nach  Indien 
trotz  der  Einstellung  der  Prägungen  noch  ungefähr  auf  ihrer  früheren 
Höhe  geblieben,  im  gegenwärtigen  Jahre  hat  sie  erheblich  abgenommen, 
und  wenn  der  gesamte  Abflufs  nach  Ostasien  sich  nicht  vermindert 
hat,  so  rührt  dies  von  der  vergröfserten  Silbereinfuhr  Chinas  her.  Wie 
der  Vorsitzende  in  seiner  Zusammenfassung  am  Schlüsse  der  Verhand- 
lungen sagte,  waren  die  Gründe  des  von  der  Versammlung  gefällten  Er- 
kenntnisses über  den  Antrag  Königs  fast  identisch  mit  denen  in  betreff 
des  Antrags  Lexis;  der  zu  erreichende  Zweck  werde  nicht  erreicht,  der 
Silberpreis  werde  nicht  befestigt  und  es  sei  zweifelhaft,  wie  weit  er  ge- 
hoben werde;  eine  erhebliche  Unterwertigkeit  der  Silbermünzen  bliebe 
bestehen  und  damit  auch  die  Gefahr  der  Nachprägung. 


Mi  szel  len.  747 

Der  Vorschlag  Neustadt  kam  gar  nicht  zur  Verhandlung,  sondern 
wurde  von  dem  Antragsteller,  wohl  auf  Veranlassung  der  übrigen  bie- 
metallistischen  Kommissionsmitglieder,  zurückgezogen.  Jedoch  wurde  bei 
dieser  Gelegenheit  das  Projekt  der  Verstaatlichung  des  Silberbergbaues 
oder  des  Handels  mit  Feinsilber  einer  kurzen  Erörterung  unterworfen, 
bei  der  alle  Parteien  sich  in  der  Ansicht  einig  zeigten,  dafs  dasselbe, 
wenigstens  als  allgemeine  internationale  Mafsregel ,  gänzlich  unausführbar 
sei.  Herr  Geheimer  Bergrat  Leuschuer  erinnerte  auch  daran ,  dafs  ein 
grofser  Teil  des  gewonnenen  Silbers  in  Verbindung  mit  Blei-  und  Kupfer- 
erzen vorkomme;  eine  Monopolisierung  der  Silberproduktion  würde  daher 
auch  die  Verstaatlichung  vieler  Blei-  und  Kupferbergwerke  einschliefsen, 
wodurch  die  Schwierigkeiten  noch  bedeutend  vermehrt  würden.  Die  all- 
gemeine Monopolisierung  des  Handels  mit  Feinsilber  wurde  ebenso  zu- 
rückgewiesen und  auch  für  die  Möglichkeit  der  privaten  Kartellierung 
der  Silberproduktion  erhob  sich  keine  Stimme.  Uuter  gewissen  Umständen 
glaube  ich  allerdings,  dafs  eine  solche  zustande  kommen  könnte,  näm- 
lich wenn  für  alle  Silbergrubenbesitzer  ein  sicherer  Gewinn  aus  einer 
zeitweiligen  Verminderung  ihrer  Produktion  in  Aussicht  stände.  Wenn 
z.  B.  ähnlich,  wie  der  später  zu  besprechende  Areudt'sche  Antrag  vor- 
schlägt, durch  internationale  Vereinbarung  ein  in  bestimmten  Stufen  jähr- 
lich steigender  Preis  des  Silbers  festgesetzt  würde,  unter  der  Bedingung, 
dafs  der  Preis  im  Laufe  des  vorhergehend,  n  Jahres  nicht  unter  den  ver- 
einbarten gesunken  sei,  so  würde  vielleicht  nicht  einmal  ein  förmliches 
Kartell  nötig  sein,  um  eine  Beschränkung  des  Silberangebotes  bis  zur  Her- 
stellung des  Maximalpreises  zuwege  zu  bringen.  Eine  solche  stillschweigende 
oder  förmliche  Ringbildung  seitens  der  Silberproduzenten  würde  aber  frei- 
lich nicht  als  ein  Mittel  zur  Erleichterung  der  Währungsschwierigkeiten 
erscheinen,  sondern  diese  eher  noch  erhöhen;  denn  die  befürchtete  Ueber- 
produktion  von  Silber  würde  später,  wenn  das  hohe  Wertverhältnis  glück- 
lich in  den  Hafen  des  internationalen  Vertrags  gebracht  wäre,  mit  um  so 
gröfserer   Wucht  zu  Tage  treten. 

Nach  der  negativen  Erledigung  der  vermittelnden  Vorschläge  kam 
nunmehr  bei  der  Wiederaufnahme  der  Sitzungen  der  (am  18.  April  ver- 
tagten) Kommission  am  22.  Mai  der  Hauptantrag  der  bimetallistischen 
Gruppe  an  die  Reihe  und  damit  wurde  nochmals  das  ganze  Register  der 
Kontroversen  der  Währungsfrage  eröffnet.  Eine  ziemlich  unfruchtbare 
Debatte  drehte  sich  zunächst  um  den  Punkt,  ob  die  englische  Enquete- 
kommission von  1886  das  bimetallistische  Prinzip  anerkannt  habe  oder 
nicht.  In  der  That  haben  die  12  Mitglieder  jener  Kommission  theoretisch 
anerkannt,  dafs  durch  eine  grofse  Staatsvereinigung  ein  festes  Wertver- 
hältnis der  beiden  Edelmetalle  annähernd  aufrecht  erhalten  werden  könnte ; 
aber  sechs  von  ihnen  erklärten  ausdrücklich,  dafs  sie  sich  dieses  bime- 
tallistische Wertverhältnis  dem  jetzigen  Marktwert  des  Silbers  an- 
nähernd entsprechend  dächten  und  sie  hielten  ein  praktisches  Vorgehen 
im  Sinne  des  Bimetallismus  für  einen  sehr  gefährlichen  (tremendous) 
Sprung  ins  Dunkle;  zwei  von  diesen  endlich  haben  auch  noch  in  einem  Sepa- 
ratvotum ihre  besonderen  Bedenken  und  wegen  der  grofsen  Ungewifsheit 
über  die    künftige  Produktion    der  Metalle    ihren  Zweifel    darüber    ausge- 


748  Misz  eilen. 

sprochen,  dafs  sich  auch  in  der  Zukunft  ein  festes  Wertverhältnis  dauernd 
festhalten  lassen  werde.  Ueberhaupt  aber  haben  auch  die  eifrigsten  eng- 
lischen Bimetallisten  in  ihrer  öffentlichen  Agitation  nie  gewagt,  offen  und 
rückhaltslos  die  Wiedeiherslellung  des  Wertverhältnisses  1:15 1/2  auf 
ihre  Fahne  zu  schreiben.  Sie  wissen,  dafs  ein  englisches  Publikum  sich 
schwerlich  so  weit  von  dem  Boden  der  Realität  ablocken  läfst ,  wie  dies 
die  Annahme  eines  solchen  Programms  verlangen  würde.  Auch  auf  der 
letzten  internationalen  bimetallistischen  Konferenz  in  London  am  2.  und 
3.  Mai  1894  ist  diese  Fra«ie  von  den  englischen  Rednern  absichtlich 
unentschieden  gelassen  worden.  Herr  Gibbs  machte  zwar  darauf  auf- 
merksam, dafs  die  geschätzten  Vorräte  an  Gold  und  Silber  ihrem  Gewichte 
nach  nahezu  dem  Verhältnis  1:15  1/2  entsprächen,  im  übrigen  aber  erklärte 
er,  er  wolle  über  die  verschiedenen  Vorschläge  in  betreff  des  Wertver- 
hältnisses bei  dieser  Gelegenheit  keine  Meinung  äufseren.  Die  Fixierung 
eines  solchen  Verhältnisses  und  die  Schaffung  eines  doppelten  gesetzlichen 
Zahlungsmittels  sei  nicht  blofs  eine  englische,  sondern  eine  internationale 
Angelegenheit;  die  Bestimmungen  des  abzuschliefsenden  Vertrags,  die 
Einzelheiten  der  Mafsregeln,  die  Mittel  zur  Ausführung  derselben  seien 
Sache  internationaler  Vereinbarung  und  müfsten  von  England  in  Ueber- 
einstimmung  mit  den  anderen  Nationen  beschlossen  werden.  So  wird  also 
die  wichtigste  Frage  einfach  beiseite  geschoben.  Auch  die  deutschen 
Bimetallisten  erklären  in  Bezug  auf  das  Wertverhältnis  immer  zunächst 
—  und  so  auch  in  der  Kommission  —  „das  sei  keine  Prinzipienfrage". 
Es  mag  keine  Prinzipien  frage  sein,  aber  um  so  gröfser  ist  die  prak- 
tische Bedeutung  der  Wahl  des  Wertverhältnisses,  auf  die  ja,  wenn  es 
sich  um  wirkliche  Mafsregeln  handelt,  alles  allein  ankommt.  Das  Wertver- 
hältnis 1:  15V2  könnte  nach  meiner  Ansieht  bei  den  Produktionsverhält- 
nissen der  Edelmetalle,  wie  sie  in  den  letzten  Jahren  bestauden,  selbst 
durch  einen  die  ganze  Welt  umfassenden  bimetallistischen  Bund  nicht 
dauernd  aufrecht  erhalten  werden.  Ein  Wertverhältnis  1:21  aber 
würde  sich  unter  denselben  Bedingungen  vielleicht  50  Jahre  oder  noch 
länger  behaupten  lassen. 

Diese  meine  Konzession  gegenüber  dem  bimetallistischen  Prinzip  ist 
freilich  rein  akademischer  Natur;  es  bleibt  dabei  nicht  nur  unentschieden, 
ob  die  gi  forderte  Bedingung  in  betreff  der  künftigen  Produktion  wirklich 
erfüllt  werden  wird  und  das  bimetallistische  System,  wenn  es  auch  auf 
jener  Basis  vollständig  regelrecht  wirksam  wäre,  nicht  doch  in  Bezug  auf 
die  Preisbildung  bedenkliche  Folgen  nach  sich  ziehen  könnte,  sondern  es 
ist  auch  der  von  den  orthodoxen  Bimetallisten  erhobene  praktische  Ein- 
wand als  vollkommen  berechtigt  anzuerkennen,  dafs  Frankreich  und  seine 
Münzverbündeten  und  wahrscheinlich  auch  die  Vereinigten  Staaten  mit 
Rücksicht  auf  ihren  kolossalen  Vorrat  an  Silbermünzen  auf  eine  so  bedeu- 
tende Herabsetzung  des  Wertverhältnisses  nicht  eingehen  würden.  Aber 
wenn  dieser  Weg  praktisch  nicht  gangbar  ist,  so  wird  dadurch  die  Un- 
haltbarkeit  des  Wertverhältnisses  l:151/2  nicht  aufgehoben,  sondern  man 
wird  sich  eben  überzeugen  müssen,  dafs  bei  der  gegebenen  Lage  die 
Dinge  der  Bimetallismus  weder  mit  dem  früheren,  noch  mit  einem  herab- 
gesetzten Wertverhältnis  verwirklicht  werden  kann. 


M  i  sz  e  1 1  e  n.  749 

Das  Hauptargument  der  Bimetallisten  zu  gunsten  des  alten  Wertver- 
hältnisses  blieb  auch  in  den  Kommissionsverhandlung«  n  die  Thatsache, 
dafs  dasselbe  sich  unter  dem  EinÜufs  der  französischen  Doppelwährung 
in  den  ersten  73  Jahren  dieses  Jahrhunderts  trotz  aufserordtntlieh  grofser 
Schwankungen  in  der  Produktion  beider  Edelmetalle  mit  fast  vollständiger 
Festigkeit  im  freien  Verkehr  auf  dem  Weltmarkt  behauptet  habe.  In  der 
That  hat  sich  der  Londoner  Silberpreis  in  diesem  Zeiträume  nur  zwischen 
58ll2  und  62x/4  Pence  bewegt,  während  das  Wertverhältnis  von  lilö'/g 
dem  Preise  von  6013/16  entspricht.  Wenn  die  Goldwährungspartei  dar- 
auf erwiderte,  es  seien  eben  damals  die  wirtschaftlichen  Bedingungen  der 
Wertbildung  von  Gold  und  Silber  der  Art  gewesen,  dafs  nur  geringe  Ab- 
weichungen von  dem  gesetzlichen  französischen  Wertverhältnis  vorge- 
kommen wären,  so  wurde  damit  allerdings  auf  die  positive  Einwirkung 
der  französischen  Doppelwährung  auf  den  Weltmarkt  zu  wenig  Rück.^icht 
genommen.  Andererseits  aber  liefsen  die  Bimetallisten  wieder  die  unbe- 
queme Thatsache  aufser  acht,  dafs  in  jener  Zeit  au  der  Pariser  Börse  stets 
eine  Gold-  oder  Silberprämie,  uud  zwar  nicht  nur  für  Barren,  sondern 
auch  für  Münzen  notiert  wurde.  Es  ist  eben  nicht  richtig,  was  Seyd 
und  andere  behaupteten,  dafs  für  die  Wertdiff  jrenz  des  Silbers  in  Paris  und 
London  nur  die  Transport-,  Versicherungs-  und  Prägung.-kosten  in  Betracht 
kamen;  wenn  der  Londoner  Versender  für  das  Silber  Gold  haben  wollte, 
so  mufste  er  für  dieses  in  Paris  bis  1850  eine  Prämie  bezahlen,  die 
von  den  Versendungskosten  gänzlich  unabhängig  war;  und  dasselbe  galt 
in  den  fünfziger  und  sechziger  Jahren  für  den  Fall,  dafs  man  gegen  Gold 
Silber  aus  Paris  nach  London  ziehen  wollte.  Die  Prämie  für  2  0  Francs- 
stücke betrug  in  Paris  in  den  dreifsiger  und  vierziger  Jahren  1 — 2  Proz., 
abgesehen  von  den  ganz  exzeptionell  hohen  Sätzen  im  Jahre  1848,  und 
die  Silberprämie  stieg  1857  und  1864  bis  31/2  Proz.  Von  diesen  Prämien 
sind  bei  Gold  nur  0,3  und  bei  Silber  nur  1  Proz.  durch  die  Berücksich- 
tigung der  Prägungskosten  verursacht,  der  Rest  aber  entstand  einfach 
dadurch,  dafs  das  mehr  gesuchte  Metall  aus  dem  Verkehr  zurückgehalten 
wurde  und  dafs  insbesondere  die  Bank  von  Frankreich  ihre  Noten  immer 
nur  in  dem  billigeren  Metall  einlöste  und  das  gesuchtere  eben  nur  gegen 
ein  Aufgeld  herausgab.  Daher  war  denn  auch  notorisch  das  gewöhnliche 
Umlaufmittel  in  Frankreich  bis  1850  nur  Silber,  dann  aber  bis  gegen 
Ende  der  sechziger  Jahre  Gold.  Der  Abflufs  des  gesuchteren  Metalls 
aus  dem  Lande  wurde  durch  die  Prämie  mehr  oder  weniger  gehemmt 
und  selbst  neue  Prägungen  noch  möglich  gemacht;  aber  die  Prämie  be- 
wirkte andererseits,  dafs  die  Wechsler  und  Banken  das  wertvoller  gewor- 
dene Geld  aus  dem  gewöhnlichen  Verkehr  zogen.  Die  Regierung  sah 
sich  daher  bekanntlich  in  den  sechziger  Jahren  durch  das  Verschwinden 
der  kleinereu  Silbermünzen  genötigt,  an  die  Stelle  derselben  Scheidemünzen 
mit  verringertem  inneren    Wert  zu  setzen. 

Es  kann  nun  auffallend  erscheinen,  dafs  die  prozentmäfsigen  Schwan- 
kungen des  Londoner  Silberpreises  um  den  damaligen  Normalwert  im 
ganzen  kaum  gröfser  sind,  als  der  gleichzeitigen  Prämie  des  teuereren 
Metalls  in  Paris  entspricht.  Wo  bleiben  da  die  Versendungskosten  r  Diese 
Erscheinung  erklärt  sich  indes  einfach  aus  der  Thatsache,  dafs  Frankreich 


750  Miszellen. 

meistens  eine  günstige  Handelsbilanz  hatte.  Es  wurde  daher  in  der 
ersten  Periode  verhältnismäfsig  selten  Silber  aus  London  nach  Paris  ge- 
schickt, um  Gold  dafür  zu  beziehen,  sondern  die  gewöhnliche  Art  der 
Verwertung  des  Silbers  in  London  bestand  darin,  dafs  es,  wenn  sein  Preis 
zu  weichen  begann,  nach  Frankreich  zur  Ausgleichung  der  Zahlungs- 
bilanz geschickt  wurde.  Damit  war  dann  also  keine  Nachfrage  nach  Gold 
für  die  Ausfuhr  aus  Frankreich  verbunden  und  somit  auch  keine  Ver- 
anlassung zur  Berücksichtigung  der  Pariser  Goldprämie  bei  der  Bildung 
des  Silberpreises  in  London  gegeben.  In  der  Periode  der  hohen  Silber- 
preise aber  kaufte  England  in  Frankreich  wirklich  fortwährend  bedeutende 
Silbermengen  für  die  Ausfuhr  auf  und  die  Silberprämie  stieg  daher  höher, 
als  früher  die  Goldprämie;  andererseits  bildete  sie  auch  fast  die  alleinige 
Ursache  der  Erhöhung  des  Londoner  Siiberpreises,  da  die  Transportkosten 
wenig  in  Betracht  kamen ,  nicht  sowohl  wegen  der  Verminderung  der- 
selben nach  der  vollen  Entwickelung  des  Dampfschiffs-  und  Eisenbahn- 
verkehrs, als  vielmehr  wegen  des  Umstandes,  dafs  das  aus  Frankreich  ge- 
führte Silber  für  Indien  bestimmt  war  und  meistens  direkt  von  Marseille 
aus  verschifft  wurde. 

Die  Goldprämie  in  der  ersten,  wie  die  Silberprämie  in  der  zweiten 
Periode  würden  aber  allmählich  mehr  und  mehr  gestiegen,  also  das  Markt- 
wertverhältuis  der  beiden  Edelmetalle  immer  mehr  von  dem  gesetzlichen 
abgewichen  sein,  wenn  nicht  jede  dieser  Perioden  durch  einen  entschiedenen 
Umschwung  der  Produktionsverhältnisse  zum  Abschlufs  gebracht  worden 
wäre.  Die  französische  Doppelwährung  konnte  jene  Verschiebung  des 
Wertverhältnisses  allerdings  bedeutend  verlangsamen,  aber  nicht  dauernd 
verhindern.  Angenommen  z.  B.  die  jährliche  Gold-  und  Silbergewinnung 
wäre  in  dem  Verhältnis  geblieben,  das  sie  am  Ende  der  fünfziger  Jahre 
aufwies,  als  die  erstere  dem  Werte  nach  dreimal  so  grofs  war,  wie  die 
letztere,  so  würde  die  regulierende  Wirkung  der  französischen  Doppel- 
währung schliefslich  einfach  dadurch  aufgehört  haben,  dafs  Frankreich  kein 
ausfuhrfähiges  Silber  mehr  besessen  hätte,  also  thatsächlich  zur  reinen 
Goldwährung  gelangt  wäre.  Von  1853  bis  1864  hat  Frankreich  1723  Mill. 
Frcs.  in  Silber  mehr  aus-  als  eingeführt  und  dadurch  dem  Steigen  des 
Siiberpreises  in  London  kräftig  entgegengewirkt;  aber  die  reine  Silber- 
prämie, nach  Abzug  der  Prägegebühr,  war  in  Paris  auch  schon  auf 
2  1/2  Proz.  gestiegen,  und  wenn  in  den  nächsten  zehn  Jahren  nochmals 
eine  Mehrausfuhr  von  1700  Mill.  Frcs.  stattgefunden  hätte,  so  wäre  die 
Prämie  vielleicht  auf  8  — 10  Proz.  gestiegen,  da  die  Beaktion  gegen  den 
Silberabflufs  um  so  stärker  werden  mufste,  je  mehr  der  Vorrat  sich  der 
Erschöpfung  näherte.  Die  Entwickelung  der  nordamerikanischen  Silber- 
produktion und  die  Verminderung  der  Nachfrage  für  Indien  aber  brachte 
bekanntlich  in  der  zweiten  Hälfte  der  sechziger  Jahre  ein  Sinken  des 
Preises  hervor,  das  genügte,  um  der  Silbereinfuhr  nach  Frankreich  wieder 
das  Uebergewicht  über  die  Ausfuhr  zu  verleihen. 

Ohne  Zweifel  hätte  auch  das  französische  System,  zumal  nach  seiner 
Verstärkung  durch  die  Bildung  des  lateinischen  Münzbundes,  die  Wirkung 
der  deutschen  Münzreform  und  der  aufserordentlich  starken  Zunahme  der 
Silberproduktion  seit  den  siebziger  Jahren    längere  Zeit,  vielleicht    10  bis 


Mi  s  zellen.  751 

15  Jahre  hindurch,  fast  vollständig,  etwa  bis  auf  eine  Goldprämie  von 
2 — 3  Proz.  neutralisieren  können,  aber  nur  unter  der  Bediugung,  dafs  dio 
Münzbundstaaten  mit  derselben  Bereitwilligkeit  Milliarden  von  Silber 
aufgenommen  hätten,  wie  Frankreich,  seit  1850  den  Goldstrom  eingelassen 
hatte,  und  dafs  sie  dem  Abflufs  einer  grofsen  Goldsumme  mit  Gleichmut 
zugesehen  hätten.  Aber  ßohliefslich  wäre  doch  entweder  der  Goldvurrat 
ganz  verschwunden  und  dann  hätte  die  ausgleichende  Wirkung  der  Doppel- 
währung von  selbst  aufgehört,  oder  —  was  wohl  der  wirkliche  Verlauf 
gewesen  wäre  —  die  fühlbare  Verminderung  des  Goldvorrates  hätte  eine  so 
hohe  Steigerung  der  Prämie  herbeigeführt,  dafs  der  weitere  Abflufs  ver- 
hindert worden ,  zugleich  aber  auch  eine  bedeutende  Wertverminderung 
des  Silbers  gegen   das  Gold  definitiv  eingetreten   wäre. 

Weshalb  haben  sich  nun  aber  Frankreich  und  seine  Münzverbündeten 
nach  1873  gegen  das  Silber  weniger  günstig  verhalten,  als  früher  gegen 
das  Gold?  Weshalb  haben  sie  den  Silberzuflufs  als  ein  Uebel  betrachtet 
und  bald  ihre  Münzstätten  gegen  derselben  gänzlich  gesperrt?  Die  Be- 
hauptung, dafs  Frankreich  sich  durch  politische  Abneigung  gegen  Deutsch- 
land und  das  Bestreben,  die  deutsehe  Müuzreform  zu  erschweren,  habe 
leiten  lafsee,  ist  durchaus  unzutreffend.  Der  erste  Schritt  zur  Beschränkung 
der  Silberprägungen  ist,  wie  auch  Bamberger  in  der  Kommission  in  Er- 
innerung gebracht  hat,  nicht  von  Frankreich,  sondern  von  Belgien  aus- 
gegangen. Als  Frankreich  1876  seine  Münze  dem  Silber  gänzlich  ver- 
schlofs ,  war  die  deutsche  Münzreform  schon  vollständig  gesichert  und 
selbst  wenn  Frankreich  ursprünglich  die  ihm  zugeschriebene  Absicht  ge- 
habt hätte,  so  wäre  es  doch  Thorheit  gewesen,  auch  später  noch  daran 
festzuhalten,  nachdem  sich  gezeigt  hatte,  dafs  Deutschland  an  seinem 
Vorgehen  nicht  verhindert  werden  konnte  und  dafs  die  Entwertung  des 
Silbers  gerade  für  Frankreich  den  gröfsten  Schaden  mit  sich  bringe.  Die 
Zurückweisung  des  Silbers  nach  1873  ist  einfach  ein  Beweis  dafür,  dafs 
sich  die  völkei  psychologische  Wertschätzung  zu  Ungunsten  dieses  Metalls 
und  zu  gunsten  des  Goldes  geändert  hatte.  Man  mag  das  für  irrationell 
halten,  wie  sich  ja  auch  keine  rationellen  Gründe  dafür  angeben  lassen, 
dafs  für  die  Diamanten  die  thatsächlich  geltenden  hohen  Preise  bezahlt 
werden;  aber  jene  Aenderung  des  Werturteils  über  die  beiden  Metalle 
ist  einmal  vorhanden,  und  alle  Versuche,  durch  die  Gesetzgebung  selbst 
auf  einer  allgemeinen  internationalen  Basis  diese  Thatsache  wieder  auf- 
zuheben,  werden  mifslingen.  Auch  der  internationale  Bimetallismus  ist 
nicht  imstande,  den  Wert  des  Goldes  herabzudrücken,  wenn  er  nach 
den  Verhältnissen  der  Nachfrage  und  der  jährlichen  Produktion  beider 
Edelmetalle  die  natürliche  Tendenz  hat,  zu  steigen.  Nun  stellen  aber 
gerade  die  Bimetallisten  über  kurz  oder  lang  dauernde  Abnahme  der 
Goldproduktion  in  Aussicht,  während  die  Silberproduktion  nach  allen  Er- 
fahrungstatsachen bei  dem  früheren  Preise  auf  a  lle  absehbare  Zeit 
mindestens  auf  der  jetzigen  Höhe  bleiben  würde.  Ein  nochmaliger  Um- 
schwung der  Produktionsverhältnisse  ist  also  nach  dieser  Anschauung 
nicht  zu  erwarten  und  demnach  würde  das  Wertverhältnis  l:l51/2,  wenn 
es  auch  für  die  erste  Zeit  durch  eine  bimetallistische  Vereinigung  er- 
zwungen werden  könnte,  unmöglich  dauernden  Bestand  gewinnen  können. 


752  Miszellen. 

Wenn  in  Europa  jährlich  drei  oder  mehr  Mal  so  viel  in  Silber  wie  in 
Gold  geprägt  würde  so  würde  bald  im  gewöhnlichen  Umlauf  nur  Silber 
zu  fiuden  sein ,  die  Goldmüuzen  würden  ein  mehr  und  mehr  steigendes 
Agio  erzielen  und  schliefslich  würde  überhaupt  die  ganze  jährliche  Gold- 
produktion zu  ihrem  den  gesetzlichen  Müuzwert  übersteigenden  Warenwert 
in  der  Industrie  Unterkommen  finden. 

Aber,  sagt  Dr.  Arendt,  dann  wäre  ja  erst  recht  die  Unmöglichkeit 
der  reinen  Goldwährung  erwiesen  ;  bei  solcher  Knappheit  des  Goldes  müfste 
das  Silber  unbedingt  für  den  Gelddienst  zu  Hilfe  genommen  werden.  Dagegen 
ist  zunächst  zu  bemerken,  dafs  die  Verdrägung  des  Goldes  in  die  Industrie 
unter  der  Herrschaft  der  Goldwährung  nicht  stattfiuden  würde,  da  das  Gold 
dann  auch  als  Geld  seine  volle  Wertschätzung  finden  würde;  bei  der  Doppel- 
währung mit  fortwährender  starker  Vermehrung  des  Silberumlaufs  würde 
es  aus  ähnlichen  Gründen  verdrängt,  wie  das  bare  Geld  bei  einer  immer 
weitergehenden  Ausgabe  von  Zwangspapiergeld.  Ferner  aber  sind  allerdings 
meiner  Ansicht  nach  nur  die  reichsten  und  höchstentwickelten  Staaten 
imstande ,  dauernd  und  mit  Nutzen  die  Goldwährung  aufrecht  zu  erhalten 
und  für  diese  besteht  während  des  ganzen  nächsten  Jahrhunderts  und 
noch  länger  keine  Gefahr  der  Goldknappheit,  d.  h.  einer  Herabdrückung 
des  allgemeinen  Preisniveaus  infolge  der  Unzulänglichkeit  der  Umlaufs- 
mittel. Auf  Spekulationen  über  die  noch  fernere  Zukunft  brauchen  wir 
uns  um  so  weniger  einzulassen,  als  der  Bimetallismus  unter  den  obigen 
Voraussetzungen  noch  weit  früher  als  solcher  versagen  und  der  that- 
sächlichen  Silberwährung  Platz  machen  würde.  Die  ökonomisch  schwächeren, 
namentlich  aber  die  stark  verschuldeten  Staaten  werden  sich  von  der  Un- 
möglichkeit, das  Gold  bei  sich  festzuhalten,  vielleicht  nach  noch  weiteren 
mifslichen  Erfahrungen,  überzeugen  müssen,  daun  aber  wahrscheinlich 
nicht  zum  Silber  zurückkehren,  sondern  zur  Papierwährung  greifen,  die 
ja  bei  richtiger  Behandlung  die  Geldfunktion  in  sehr  befriedigender  Weise 
verrichten  kann. 

Es  wäre  nun  ja  allerdings  denkbar,  dafs  das  Wertverhältnis  1  :  15  1/2 
von  einer  Seite  Unterstützung  erhielte,  von  der  sie  gerade  nach  der  von 
den  Bimetallistou  verkündigten  Lehre  nicht  zu  erwarten  wäre:  es  könnte 
ja  bei  Fortdauer  der  gegenwärtigen  oder  nur  geringer  weiterer  Zunahme 
der  Silberproduktion  die  Goldgewinnung  noch  längere  Zeit  in  dem  seit 
einigen  Jahren  zu  beobachtenden  Tempo  steigen  und  schliefslich  eine 
Jahresziffer  erreichen,  bei  der  das  frühere  Wertverhältnis  nunmehr  infolge 
der  Entwertung  des  Goldes  wieder  haltbar  würde.  Angenommen,  diese 
Hypothese  würde  sich  bestätigen,  so  wäre  eine  jährliche  Elelmetall- 
produktiou  von  1600 — 1700  Hill.  M.  und  in  der  abendländischen  Kultur- 
welt eine  jährliche  Vermehrung  des  Metallgeldes  um  1000 — 1100  Mill.  M. 
vorauszusetzen.  Nun  hat  aber  bisher  die  jährliche  Geldvermehrung  in 
diesem  Land»  rgebiet  nie  mehr  als  400  Mill.  M.  betragen  und  jene  enorme 
Steigerung  würde  also  eine  die  Grundlage  aller  volkswirtschaftlichen  Verhält- 
nisse erschütternde  Inflation  bewirken,  die  noch  vergröfsert  werden  würde 
durch  die  bedeutende  Entwicklung  der  neueren  Hilfsmittel  des  Kredit- 
umlaufs.    In  diese  Katastrophe  würden    auch   diejenigen  Produzenten  mit 


Mi  s  zellen.  1&3 

fortgerissen  werden,  die  jetzt  von  einer  allgemeinen  Steigerung  des  Preis- 
niveaus durch  Geldentwertung  ihr  Heil  erwarten. 

Was  nun  die  Ausführung  des  bimetallistischen  Antrags  im  einzelnen 
betrifft,  so  versicherten  die  Urheber  desselben  in  ihrer  Begründung,  das 
Zustandekommen  des  internationalen  Bimetallismus  sei  sofort  gesichert, 
wenn  Deutschland  sich  entsihliefse,  die  Doppelwährung  ohne  England 
(also  nur  mit  Frankreich,  Amerika  und  einigen  anderen  Staaten)  durch- 
zuführen. Der  Bimetallismus  ohne  England  aber  Bei  lür  Deutschland  eher 
vorteilhafter,  als  mit  England,  da  danu  nur  2  Fälle  möglich  seien:  ent- 
weder das  Wertverhältnis  von  Gold  und  Silber  würde  ohne  England 
fixiert  und  dann  habe  dieses  Land  keinen  Vorteil  von  seiner  Goldwäh- 
rung; oder  das  Gold  behielte  Agio,  dann  sei  England  das  einzige  Land 
mit  hochwertiger  Valuta  und  werde  im  Welthandel  von  den  bimetalli- 
stischen Ländern  brach  gelegt.  Uebrigens  könnten  die  bimetallistischen 
Staaten  durch  Differentialzölle  gegen  Goldwährungsländer  —  ein  iu  den 
Vereinigten  Staaten  vielfach  erwogener  Gedanke  —  England  zum  nach- 
träglichen Beitritt  in  den  Währungsbund  zwingen,  und  wenn  man  diesen 
Beitritt  lür  unumgänglich  nötig  halte,  so  könne  die  Politik,  die  in  den 
Worten  liege  :  „Wir  können  England  nicht  zwingen",  angesichts  des  Ernstes 
der  wirtschaftlichen   Lage  nicht  aufrecht  erhalten   werden. 

Die  Einwendungen  gegen  diese  Sätze  sind  sehr  naheliegend.  Dafs 
die  Vereinigten  Staaten,  Holland,  Spanien,  vielleicht  auch  Italien  bereit 
wären,  ohne  England  mit  Deutschland  das  Wagnis  eines  bimetallistischen 
Bundes  zu  unternehmen,  kann  man  allenfalls  zugeben;  für  Belgien  aber 
trifft  dies  jedenfalls  nicht  zu  und  auch  für  Frankreich  ist  es  gegenwärtig 
in  hohem  Grade  zweifelhaft,  selbst  wenn  Frankreich  wirklich,  wie  die 
Bimetallisten  behaupten,  im  Jahre  1881,  als  die  Silberproduktion  nur  die 
Hälfte  der  jetzigen  betrug  und  der  Preis  noch  über  50  Pence  stand,  zu  diesem 
Schritte  ernstlich  geneigt  gewesen  sein  sollte.  Aber  selbst  wenn  dieser 
beschränkte  bimetallistische  Bund  wirklich  zustande  käme,  so  würde  er 
bei  den  gegenwärtigen  Produktionsverhältnissen  der  beiden  Edelmetalle 
das  Wertverhältnis  1  :  15  l/2  (das  stillschweigend  in  dem  Antrage  als  das 
allein  genügende  angenommen  wird)  nicht  dauernd  aufrecht  erhalten  können, 
da  dies  nach  dem  oben  Gesagten  selbst  einer  allgemeinen  bimetalli- 
stischen Vereinigung  nicht  genügend  gelingen  würde,  durch  das  Aufsen- 
bieiben  Englauds  aber  noch  eine  mächtige  Ursache  der  Störung  und  Ver- 
schiebung des  angenommenen  Wertverhältnisses  entstehen  würde.  Unter 
England  ist  hier  das  ganze  nach  Gold  rechnende  britische  Weltreich  zu 
verstehen,  zu  dem  wahrscheinlich,  gerade  wenn  das  beschränkte  bime- 
tallistische System  zustande  käme,  auch  Britisch-Indien  gezogen  werden 
würde.  Allerdings  wollen  die  Antragsteller  Indien  mit  in  den  Verband  auf- 
genommen sehen;  aber  England  hätte  gar  kein  Interesse  daran,  auf  die 
Währungseinheit  innerhalb  seines  gesamten  Herrschaftsgebiets  zu  ver- 
zichten, wenn  die  übrigen  Staaten  ihm  den  Gefallen  erwiesen,  auf  eigene 
Hand  die  Hebung  des  Silberwertes  durch  eine  bimetallistische  Mafsregel 
zu  übernehmen.  Der  Grund,  weshalb  England  jetzt  noch  Bedenken  trägt, 
mit  der  Einfuhrung  der  Goldwährung  in  Indien  Ernst  zu  machen,  nämlich 
die  Furcht  vor  einem  starken,  zunächst  den   englischen  Markt  selbst  tref- 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXIII).  4  g 


754  Misz  eilen. 

fenden  Goldabflufs  aus  Europa,  wäre  dann  weggefallen :  es  wäre  auf  jeden 
Fall  immer  (Jold  genug  vorhanden,  um  England  und  sein  ganzes  Kolonial- 
gebiet reichlich  zu  versorgen,  zumal  auch  die  beiden  bedeutendsten  Gold- 
produktionsgebiete,  das  australische  und  das  südafrikanische,  zum  britischen 
Reich  gehören  oder  wenigstens  gänzlich  in  der  handelspolitischen  Macht- 
sphäre Englands  liegen.  Eine  Rücksicht  auf  den  Goldbedarf  der  bimetalli- 
stischen Staaten  hätte  England  dann  gar  nicht  zu  nehmen:  es  würde 
diesen  einlach  stets  Silber  bezahlen,  wie  Frankreich  in  den  dreißiger 
und  vierziger  Jahren  ebenfalls  von  seinen  Schuldnern  nur  Silber  erhielt, 
und  bei  einem  aufsergewöhnlichen  Goldbedarf,  etwa  für  Indien,  würde  Eng- 
land auch  stets  Gold  aus  dem  bimetallistischen  Gebiet  heibt  iziehen  können. 
Als  Reaktion  dagegen  würde  dort  allerdings  eine  Steigerung  der  Gold- 
prämie eintreten,  damit  aber  wäre  wieder  der  Beweis  geliefert,  dafs  das 
kommerzielle  Wertverhältnis  der  beiden  Edelmetalle  in  dem  bimetallisti- 
schen Gebiete  mit  dem  gesetzlichen  nicht  in  Uebereinstimmung  gehalten 
werden  könnte.  Silber  würde  England  in  Mexiko  und  Südamerika  im 
Austausch  gegen  seine  Waren  stets  iu  genügender  Menge  erha  ten  können, 
um  seine  Zahlungsbilanz  mit  den  bimetallistischen  Staaten  auszugleichen; 
denn  das  Uebergewicht  seiner  Produktionskräfte,  seiner  Kapital-  und  Handels- 
macht  würde  ihm  durch  Veränderungen  der  Währungsverhältnisse  anderer 
Länder  nicht  geschmälert  werden  können.  Wenn  die  bimetallistischen 
Staaten  vollends  versuchen  wollten,  England  durch  handelspolitische  Maß- 
regeln zum  Beitritt  zu  ihrem  Bunde  zu  zwingen,  so  würde  England  nicht 
nur  sofort  mit  der  Einführung  der  Goldwährung  in  Indien  antworten, 
sondern  es  würde  dann  wahrscheinlich  auch  der  Sipg  der  grofsen  Partei 
entschieden  sein,  die  eine  engere  handelspolitische  Verbindung  aller  Glieder 
des  britischen  Weltreichs  verlangt,  mit  mehr  oder  weniger  erhöhten  Zöllen 
gegen  die  übrigen  Länder.  Was  endlich  die  Schädigung  des  englischen 
Handels  durch  die  hochwertige  Valuta  betrifft,  so  ist  diese  natürlich  über- 
haupt nur  denkbar,  wenn  das  bimetallistische  System  die  erwartete  Wir- 
kung nicht  hat  und  trotz  desselben  ein  Goldagio  in  dem  Doppelwährungs- 
gebiete entsteht.  Dies  würde  nun  allerdings  ohne  Zweifel  der  Fall  sein, 
aber  gleichwohl  würde  das  Goldagio  weder  die  Ausfuhr  der  Erzeugnisse 
der  bimetallistischen  Länder  erheblich  begüustigen,  noch  die  Einfuhr  eng- 
lischer Waren  erheblich  erschweren.  Die  Sache  würde  daun  ganz  anders 
liegen,  als  bei  den  Ländern  mit  unterwertigen  Valuten ,  mit  denen  wir 
gegenwärtig  zu  thun  haben,  Indien  oder  Rufsland.  Die  Begünstigung  der 
Ausfuhr  entstand  für  Indien  lediglich  dadurch,  dtfs  die  innere  Kaufkraft 
des  Silbers  sich  dort  nicht  in  demselben  Mafse  verändert,  wie  der  Wechsel- 
kurs sich  verändert.  In  Rufsland  findet  schon  eine  etwas  raschere  Aus- 
gleichung zwischen  dem  Wert  des  Rubels  im  inneren  und  im  äufseren 
Verkehr  statt;  in  Ländern  mit  höchstentwickelt m  Verkehr  dagegen,  in 
Frankreich,  Deutschland,  Amerika  wird  sich  die  innere  Kaufkraft  des 
Geldes  setir  schnell  der  internationalen  anpassen  und  wenn  hier  die  Geld- 
menge durch  massenhafte  Silberpräguugen  stark  vermehrt  würde,  so  würde 
sich  auch  sehr  bald  eine  allgemeine  Preissteigerung  entwickeln.  Die 
Verhältnisse  liegen  eben  hier  ganz  auders,  als  in  den  orientalischen  Län- 


Miszellen.  755 

dem,  wo  das  Geld  in  grofsen  Mengen  thesauriert  wird  und  die  Einwirkung 
der  Vermehrung  desselben  auf  die  Preise  erst  nach  Jahren  bemerklich  wird. 

Einige  Vertreter  der  Goldwährung,  namentlich  Dr.  Hammacher,  zeigten 
eich  übrigens  bereit,  auf  die  bimetallistische  Idee  näher  einzugehen,  wenn 
England  sie  acceptiere  und  Deutschland  nur  in  Gemeinschaft  mit  England 
vorgehen  solle.  Dr.  Arendt  betrachtete  dies  als  eiu  wichtiges  Zugeständnis, 
seine  praktische  Bedeutung  ist  jedoch  sehr  gering  anzuschlagen.  Denn 
es  ist  im  höchsten  Grade  unwahrscheinlich,  dafs  England  sich  überhaupt 
auf  einen  bimetallistischen  Vertrag  einlassen  werde  und  so  gut  wie  gewifs, 
dafs  es  nicht  das  alte  Wertverhältnis  annehmen  würde ,  und  ohne  dieses 
würde  wieder  Frankreich  nicht  beitreten.  Die  bimetallistische  Agitation 
ist  ja  allerdings  in  England  nicht  unbedeutend  und  unter  den  177  Vice- 
präsidenten  der  bimetallistischen  Liga  befinden  sich  nicht  weniger  als 
63  Parlamentsmitglieder.  Es  werden  ja  viele  Interessen  durch  die  iSilberent- 
wertung  geschädigt  und  die  Vertreter  derselben  suchen  Hilfe  im  Bimetal- 
lismus. Gleichwohl  besitzt  die  Bewegung  keinen  grofsen  Tiefgang;  wie 
Herr  Bueck  aus  peivönlicher  Erfahrung  in  London  berichtete ,  beklagten 
sich  die  Leiter  derselben,  dafs  ihren  Bestrebungen  keine  Beachtung  ge- 
schenkt werde  und  sie  gehen  sogar  mit  dem  Plane  um,  von  seiten  der 
bimetallistischen  Liga  einen  hohen  Preis  für  die  beste  Schrift  gegen  den 
Bimetallismus  auszusetzen ,  um  eben  diese  Nichtbeachtung  in  der  öffent- 
lichen  Meinung  zu  überwinden. 

Einige  Redner,  so  namentlich  Bamberger,  sprachen  sich  grundsätz- 
lich gegen  jede  Art  von  internationalem  Vertrag  über  die  Münz-  und 
Währungsangelegenheiten  aus.  Das  Geldwesen  sei  von  so  fundamentaler 
Wichtigkeit  für  jeden  Staat,  dafs  jeder  sich  in  betreff  desselben  die  Hände 
völlig  frei  halten  müsse,  um  stets  nur  nach  seinen  eigenen  Interessen 
handeln  zu  können.  Auch  hätten  alle  bisher  abgeschlossenen  Münzver- 
träge, insbesondere  der  deutsch-österreichische  von  1857  und  der  latei- 
nische von  1865,  Verlegenheiten  und  Schädigungen  einzelner  Beteiligten 
mit  sich  gebracht.  Die  Bimetallisten  ihrerseits  unterschieden  zwischen  Münz- 
vertrag und  Währungsvertrag;  ein  Münzvertrag,  durch  den  die  beteiligten 
Staaten  sich  hinsichtlich  der  Einzelheiten  ihres  Münz vvesens,  des  Münzfufses, 
der  Stückelung,  der  Zahlungskratt  u.  s.  w.  ihrer  Freiheit  begäben,  sei 
allerdings  bedenklich;  ein  Währungsvertrag  aber,  der  nur  die  freie  Prägung 
beider  Edelmetalle  nach  einem  bestimmten  Wertverhältnis  bedinge  und 
im  übrigen  jedem  Staate  die  Regelung  seines  Münzweseus  freilasse,  biete 
alle  Garantien  der  Dauer  und  sei  der  Gefahr  eines  Bruches  nicht  aus- 
gesetzt. Wenn  das  Wertverhältnis  wirklich  aufrecht  erhalten  werden  kann, 
so  halte  ich  diese  letztere  Ansicht  für  berechtigt;  jedenfalls  wäre  ein 
Vertragsbruch  von  seiten  eines  einzelnen  Staates  um  so  weniger  zu  be- 
fürchten, je  länger  er  dem  System  angehört  hätte  und  je  gröfser  die 
Summe  der  in  dieser  Zeit  mit  seinem  Stempel  geprägten  Silbermünzen 
wäre. 

Mehrfach  wurde  in  der  Debatte  auch  die  Frage  berührt,  welche 
Tragweite  im  Falle  ber  Einführung  des  Bimetallismus  die  sogenannte  Gold- 
klausel besitze,  mittels  welcher  sich  viele  Gläubiger  gegenwärtig  die  Rück- 
zahlung der  Schuldsumme  in  Gold  ausbedingen.     Dr.  Arendt  erklärt  diese 

48* 


756  M  i  s  z  e  1 1  e  n. 

Klausel  für  illusorisch,  während  Dr.  Bamberger  ihr  volle  Rechtskraft 
zusprach.  Meiner  Ansicht  nach  wäre  zwischen  der  Zeit  vor  und  nach 
dem  Inkrafttreten  des  bimetallistischen  Gesetzes  zu  unterscheiden.  Theore- 
tisch steht  offenbar  nichts  im  Wege,  dafs  das  Gesetz  erklärte,  alle  auf 
Goldmark  lautenden  Schulden  sollten  auch  mit  Silberkurantmünzen  nach 
ihrem  gesetzlichen  Nennwert  bezahlt  werden  können.  Dadurch  würden 
für  die  Vergangenheit  alle  Abmachungen  über  Rückzahlung  der 
Schulden  in  Goldmark  unwirksam,  aber  daraus  folgte  noch  keineswegs, 
dafs  nicht  für  die  Zukunft  unter  der  Herrschaft  des  neuen  Münzgesetzes 
besondere  Vereinbarungen  über  die  Goldzahlung  zwischen  Gläubiger  und 
Schuldner  getroffen  werden  könnten. 

In  vielen  Papierwährungsländern  hat  der  Staat  selbst  das  Beispiel 
gegeben,  dafs  er  sich  verpflichtete,  gewisse  Schulden  nicht  mit  dem  sonst 
unbeschränkt  giltigen  Papiergelde,  sondern  „in  klingender  Münze",  wie 
es  auf  den  österreichischen  Silberrentenverschreibungen  heifst,  zurück- 
zahlen werde,  und  ebenso  haben  Oesterreich  und  Rufsland,  obwohl  ihr 
Währungsmetall  Silber  war,  in  Gold  zahlbare  Schulden  kontrahiert.  Ein 
Verbot,  in  der  Zukunft  Verzinsung  und  Rückzahlung  in  Gold  zu  ver- 
einbaren, selbst  wenn  das  Darlehen  in  Gold  gewährt  würde,  liefse  sich 
schwerlich  in  das  bimetallische  Gesetz  aufnehmen  und  würde  sich,  falls 
dies  doch  geschähe,  leicht  umgehen  lassen.  Der  Gläubiger  könnte  statt 
der  Rückzahlung  etwa  die  Lieferung  einer  Anzahl  bestimmter  Goldstücke, 
nötigenfalls  ausländischer  Goldmünzen,  oder  einer  bestimmten  Gewichtsmenge 
Gold  verlangen  oder  sich  ausbedingen,  dafs  die  Rückzahlung  in  Silbergeld 
erfolgen  solle,  zugleich  aber  noch  eine  dem  zur  Zeit  derselben  bestehenden 
Goldaufgelde  entsprechende  Vergütung  zu  bezahlen  sei.  Wie  weit  frei- 
lich solche  Abmachungen  hypothekarisch  sicher  gestellt  werden  könnten, 
wäre  noch  besonders  zu  entscheiden.  Eiu  Hauptgegenstand  der  Diskussion 
bei  Gelegenheit  des  bimetallistischen  Antrags  war  auch  die  Frage  über 
die  schädlichen  Folgen  der  Silberentwertung  und  die  Steigerung  der 
Kaufkraft  des  Goldes.  In  der  zu  den  Drucksachen  abgegebenen  Schlufs- 
erklärung  der  bimetallistischen  Kommissionsmitglieder  heifst  es  u.  a. : 
„Wir  erachten  es  durch  Wissenschaft  und  Praxis  und  teilweise  sogar 
durch  die  Zugeständnisse  hervorragender  Anhänger  der  Goldwährung  als 
erwiesen,  dafs  die  Kaufkraft  des  Goldes  den  Waren  gegenüber  seit  der 
Verallgemeinerung  der  Goldwährung  (1873)  gestiegen  ist,  heute  noch 
steigt  und  fortfahren  mufs  zu  steigen."  Ich  habe  in  einer  meinerseits 
abgegebenen  Erklärung  die  Gründe  zusammengefafst,  aus  denen  ich  an 
der  Ansicht  festhalte,  dafs  eine  Verteuerung  des  Goldes  an  sich  nur  in 
Bezug  auf  die  Erzeugnisse  der  Silberländer  eingetreten  ist,  insofern  nämlich 
das  Sinken  des  Silbers  gegen  Gold  nicht  von  einem  entsprechenden  Steigen 
der  Preise  der  Produkte  jener  Läuder  begleitet  gewesen  ist.  Der  von 
den  Bimetallisten  gezogene  Schlufs  jedoch,  dafs  das  Silber,  weil  es  in  den 
Silberländern  nicht  merklich  an  Kautkraft  verloren  habe,  überhaupt  nicht 
im  Werte  gesunken  sei ,  ist  durchaus  unberechtigt.  Das  nichtrussische 
Europa  und  Nordamerika  einerseits  und  die  von  6  —  700  Mill.  Menschen 
bevölkerten  ostasiatischen  Länder  andererseits  bilden  wirtschaftliche  Welten 
für  sich,  die  nur  mit  ihren  Peripherien  in  noch  wenig  tiefgreifender  Be- 


Mis  zellen.  757 

rührung  stehen  und  deren  innere  Preisbildungen  sich  noch  fast  gänzlich 
unabhängig  von  einander  vollziehen.  Für  die  abendländische  Kulturwelt 
ist  der  allein  roafsgebende  Wert  des  Silbers  der  in  ihrem  eigenen  Gebiete 
geltende.  In  Ostasien  ist  dieser  Wert  der  einheimischen  Waren  gegenüber 
ziemlich  stabil  geblieben,  den  abendländischen  gegenüber  aber  ebenfalls 
gesunken.  Für  Europa  werden  also  die  ostasiatischen  Produkte,  auf  Gold 
bezogen,  immer  billiger,  je  tiefer  hier  der  Silberwert  sinkt  und  anderer- 
seits wird  man  auch  immer  mehr  Silber  zum  Ankauf  solcher  Produkte 
verwenden,  je  schwerer  es  wird,  das  den  Markt  belastende  Metall  auf 
andere  Art  zu  verwerten.  So  sind  viele  wichtige  Verbrauchsgegenstände, 
Thee,  Indigo,  Seide,  Jute,  Baumwolle,  Oelsaat,  Oele,  Zinn,  Reis,  in  Europa 
durch  die  Silberentwertung  auf  einen  niedrigeren  Preis  gebracht  worden, 
was  für  die  europäische  Volkswirtschaft  keinen  Schaden,  sondern  einen 
Gewinn  bildet;  aber  die  ostindisohe  Konkurrenz  hat  auch  zur  Verbilligung 
des  Weizens  mitgewirki,  und  wenn  man  dies  vom  Standpunkt  des  Konsu- 
menten auch  als  einen  Vorteil  auffassen  könnte,  so  wird  dieser  doch  in 
den  Ländern  mit  einer  grofsen  landwirtschaftlichen  Bevölkerung  durch 
die  nachteilige  Einwirkung  des  gesunkenen  Weizenpreises  auf  die  Land- 
wirtschaft mehr  als  aufgewogen.  Aber  der  Einüuls  der  Silberentwertung 
auf  den  Weizenpreis  ist  doch  bei  weitem  nicht  so  hoch  anzuschlagen,  wie 
es  von  bimetallistischer  Seite  zu  geschehen  pflegt;  denn  für  die  Weizen- 
ausfuhr kommt  unter  den  Süberläudern  eben  nur  Ostindien  in  Betracht, 
dieses  aber  liefert  nicht  viel  mehr  als  ein  Zehntel  der  von  den  Einfuhr- 
ländern aufgenommenen  Weizenmengen  und  kann  also  nur  einen  sehr  be- 
schränkten Einfluls  auf  den  Weltmarktpreis  ausüben.  Dafs  auch  das  Sinken 
der  russischen  Valuta  zeitweise  einen  Druck  auf  die  Getreidepreise  West- 
europas ausgeübt  hat,  ist  zuzugeben,  aber  dafür  kann  doch  nicht  die 
Silberentwertung  verantwortlich  gemacht  werden.  I  eberhaupt  ist  auf 
diese  nur  ein  kleiner  Bruchteil  der  für  die  Landwirtschaft  empfindlichen 
Erniedrigung  der  Preise  zurückzuführen.  Einen  gröfseren  Einflufs  hat 
sie  auf  die  Erschwerung  der  Ausfuhr  des  europäischen  Fabrikate  nach 
Silberländern,  namentlich  nach  Indien  und  China  ausgeübt.  Allerdings 
ist  der  Prozentanteil,  der  von  der  deutschen  Gesamtausfuhr  auf  diese 
Länder  kommt,  an  sich  nur  gering,  aber  man  mufs  auch  die  Rückwirkung 
der  aus  jenem  Grunde  entstehenden  Hemmung  der  englischen  Ausfuhr 
nach  Asien  auf  den  deutschen  Markt  in  Anschlag  bringen.  Bei  noch 
weiterem  Sinken  des  Bupienkurses  würde  sogar  die  Konkurrenz  indischer 
Baumwollfabnkate  in  Europa  möglich.  Ein  Mitglied  der  Kommission, 
Herr  Wü.fing,  teilte  mit,  das  am  28.  Mai  bereits  eine  Offerte  von  indischem 
Baumwollgarn  gemacht  worden  sei,  dafs  sich  in  Chemnitz  oder  M. -Gladbach 
auf  5  2,25  Pfg.  das  Pfund  stellen  würde,  während  dieselbe  Qualität  gegen- 
wärtig am  ersteren  Platze  58 — 60  und  am  letzteren  62 — 64  Pfg.  kostet. 
Mittlerweile  ist  indes  der  Rupienkurs  wieder  etwas  gestiegen  und  er  ist  ja 
überhaupt  nicht  mehr  unmittelbar  vom  Silberpreise  abhängig. 

Alle  diese  Absatzschwierigkeiten  und  Konkurrenzgefahren  für  die 
europäischen  Fabrikate  können  unter  den  Gesichtspunkt  der  Goldverteuerung 
gebracht  werden,  aber  wieder  nur  der  Goldverteuerung  in  den  über- 
seeischen   Silberländern,    nicht    aber   in   den  abendländischen   Staaten,    in 


758  M  i  s  z  e  1 1  e  n. 

denen  das  Gold  das  alleinige  Währungsmetall  bildet,  gleichviel  ob  zu- 
gleich noch  gröfsere  Suromen  in  Silberkreditgeld  vorhanden  sind  oder 
nicht.  Die  Bimetallisten  aber  behaupten,  dafs  auch  in  diesen  Ländern 
Goldverteuerung  bestehe,  weil  die  Goldzufuhr  nicht  ausreiche,  um  Um- 
laufsmittel in  solcher  Menge  zu  beschaffen,  dafs  die  Preise  sich  auf  einem 
normalen  Stande  behaupten  könnten.  Dieser  immer  wiederkehrenden  Be- 
hauptung müssen  auch  immer  wieder  dieselben  Argumente  entgegen- 
gestellt werden.  Deutschland  hatte  beim  Beginne  seiner  Münzreform 
1700  Mill.  M.  an  Edelmetallgeld,  gegenwärtig  aber  an  Goldmünzen,  Bank- 
barren und  mit  dem  Golde  den  Paristand  behauptenden  Kreditsilbermünzen 
etwa  3380  Mill.  M.,  während  die  Bevölkerung  nur  von  40  auf  50  Mill. 
gestiegen  ist  und  aufserdem  der  Giro-  und  Abrechnungsverkehr  seit  1876 
eine  grofsartige  Entwickelung  erlangt  hat. 

Frankreich  hat  von  1874  bis  1892  1018  Mill.  Frcs.  in  Gold  ge- 
prägt und  um  ebenso  viel  wird  sich  sein  Vorrat  an  Goldmünzen  ver- 
mehrt haben,  da  der  Ueberschufs  seiner  Goldeinfuhr  über  die  Ausfuhr  in  dieser 
Periode  über  2  Milliarden  Frcs.  betrug.  Ferner  aber  stehen  die  franzö- 
sischen Silbermünzen  dem  Golde  vermöge  des  Staatskredits  vollkommen 
gleich  und  die  Menge  derselben  hat  sich  von  1873  bis  1878  um  362  Mill. 
in  Fünffrankenstücken  vermehrt,  während  der  am  Anfange  dieser  Periode 
vorhandene  Vorrat  ungeändert  blieb,  da  die  in  der  Kriegsentschädigung 
an  Deutschland  bezahlten  Silberkurantmünzen  bald  nach  Frankreich  zurück- 
geflofsen  sind.  Auch  ist  daran  zu  erinnern,  was  B-imberger  mit  Recht 
auch  in  betreff  Deutschlands  hervorgehoben  hat,  dafs  seit  der  Entwertung 
des  Silbers  das  früher  häufig  vorkommende  Einschmelzen  von  Silbermünzen 
in  den  Ländern  mit  hinkender  Wahrung  wegen  des  damit  verbundenen  Ver- 
lustes aufgehört  hat.  Da  Frankreich  ferner  bei  den  Kursverhältnissen  der 
letzten  Jahre  auch  den  gröfsten  Teil  des  italienischen  Silbers  aufgenommen 
hat,  so  hat  sich  sein  Metallumlauf  seit  1873  mindestens  um  1500  Mill. 
Frcs.  vermehrt,  während  seine  Bevölkerung    nur  wenig    zugenommen   hat. 

England  hat  von  1873  bis  1892  760  Mill.  M.  in  Gold  mehr  ein- 
geführt als  ausgeführt  und  davon  jedenfalls  so  viel  in  Geld  verwandelt, 
als  seinen  Bedürfnissen  entsprach.  Dieses  Bedürfnis  ist  aber  bekanntlich 
wegen  des  höher  entwickelten  englischen  Kreditmechanismus  weit  geringer 
als  der  der  kontinentalen  Staateu. 

Die  Vereinigten  Staaten  vollends  haben  von  1873  bis  1893  ihren 
Geldbestand  in  einem  Umfange  vermehrt,  wie  es  in  keinem  Laude  jemals 
in  gleichem  Mafse  geschehen  ist.  Die  Greenbacks  blieben  im  Betrage  von 
347  Mill.  Doli,  als  gesetzliche  Zahlungsmittel  im  Umlauf;  der  Goldvorrat 
stieg  um  520  Mill.  Doli.,  416  Mill.  wurden  in  Bland-Dollars  und  152  Mill. 
Doli,  auf  Grund  der  Sherman-Akte  in  silbergedeckten  Schatznoten  aus- 
gegeben. Also  eine  Vermehrung  des  gemünzten  oder  metallisch  gedeckten 
Geldes  um  4626  Mill.  Mark,  wozu  noch  250  Mill.  M.  in  Silberscheide- 
münzen kamen. 

In  derselben  Periode  hat  der  Diskont  bei  allen  Hauptbanken  durch- 
schnittlich niedriger  gestanden  als  in  den  Jahren  1850 — 1870  und  auoh 
die  Maximalsätze  sind  bedeutend  hinter  den  später  vorgekommenen  zurück- 
geblieben.    Zugleich  ist  sowohl  der  Barvorrat  der  Banken  im  ganzen  wie 


Misz  eilen.  759 

auch  insbesondere  ihr  Goldvorrat  auf  ganz  unerhörte  Ziffern  gestiegen. 
Die  Bank  von  Frankreich  besafs  im  August  dieses  Jahres  über  1900  Mill. 
Frcs.  in  Gold  und  über  1260  Mill.  Frcs.  in  Silber.  Die  Bank  von  Eng- 
land hat  seit  mehreren  Monaten  einen  Goldvorrat  von  über  39  Mill.  Pfd. 
und  die  Summe  ihrer  umlaufenden  Noten  war  in  dieser  Zeit  um  12  bis 
14  Mill.  Pfd.  kleiner  als  der  Barvorrat.  Ueber  den  Goldbestand  der 
Deutschen  Reichsbank  sind  der  Kommission  einige  neuere  Mitteilungen 
gemacht  worden:  er  erreichte  am  23.  Februar  1894  einen  Höhepunkt 
mit  596  455  000  M.,  ging  in  den  nächsten  Monaten  einigermafsen  zurück, 
dürfte  aber  durchschnittlich  zwischen   550   und  600   Mill.   M.    betragen. 

Nun  sagt  man  freilich  :  diese  Goldanpammlung  ist  ein  Beweis  für  die 
schlechten  Zeiten;  das  Gold  liegt  unbenutzt,  weil  man  nicht  imstande  ist, 
es  bei  dem  niedrigen  Stande  aller  Preise  in  gewinnbringender  Weise  zu  ver- 
wenden. Aber  dann  darf  man  doch,  wie  Bamberger  mit  Recht  bemerkte, 
nicht  wieder  umgekehrt  den  ungünstigen  Stand  der  Geschäftsaussichten 
durch  Mangel  an  Gold  erklären !  Die  wirklichen  Ursachen  des  niedrigen 
Preisstandes  vieler  —  keineswegs  aller  —  Waren  liegen  in  den  meisten 
Fällen  klar  zu  Tage.  Der  oben  besprochene  Einflufs  der  Valutadifferenzen 
hat  nur  für  gewisse  Waren,  und  für  die  meisten  von  dieseu  nur  einen 
kleinen  Teil  der  Prei«erniedrigung  verursacht,  hauptsächlich  aber  ist  sie 
durch  die  Konkurrenz  überseeischer  Läuder  mit  geringem  Bodenwert  und 
geringeren  Produktionskosten  bei  billigen  Frachten  und  durch  die  infolge 
der  technischen  Fortschritte  grofsartig  entwickelte  innere  Konkurrenz 
herbeigeführt  worden. 

Dagegen  wenden  nun  die  Bimetallisten  ein,  dafs  diese  Einflüsse  auch 
in  dem  zwanzigjährigen  Zeitraum  vor  1873  in  gleicher  Stärke  vorhanden 
gewesen  und  doch  damals  im  ganzen  ein  Steigen  der  Preise  stattgefunden 
habe.  Aber  dieser  Zeitraum  trug  noch  den  Charakter  einer  Uebergangs- 
periode,  erst  nachdem  die  Ausstattung  der  Kulturstaaten  mit  den  neuen 
Hilfsmitteln  der  Produktion  und  des  Verkehrs  einen  gewissen  Stand  erreicht 
hatte,  begann  auf  dem  industriellen  Gebiet  der  Konkurrenzkampf  in  seiner 
vollen  Schärte  und  mit  allen  Mitteln  des  Großkapitals.  So  erlangte  in 
Deutschland  z.  B.  die  Eisenindustrie  erst  in  den  Jahren  1871 — 1873  eine 
ungewöhnlich  grofse  Ausdehnung  durch  die  Gründung  mächtiger  neuer 
Hüttenwerke,  die  ihre  Produktion  natürlich  auch  noch  fortsetzten,  nach- 
dem der  aufserordentliche  Bedarf  jener  ersten  Jahre  nach  dem  Kriege 
befriedigt  war.  Während  in  den  Jahren  1861  — 1865  in  Deutschland 
durchschnittlich  nur  799  000  Tonnen  Roheisen  dargestellt  wurden,  stieg  der 
durchschnittliche  Jahreserzeugnis  in  der  Periode  1871 — 75  auf  1946  000 
Tonnen  und  am  Ende  der  achtziger  Jahre  überschritt  die  Produktion  schon 
4  500  000  Tonnen.  Das  einzige  Mittel,  den  Absatz  diesem  enorm  steigen- 
den Angebot  entsprechend  zu  erweitern,  war  die  Herabsetzung  des  Preises, 
die  durch  Verminderung  der  Selbstkosten  mittels  technischer  Verbesse- 
rungen ermöglicht  wurde.  Wie  weit  dies  gelungen  ist,  beweist  der  Um- 
stand, dafs  z.  B.  im  Jahre  1887  4  024  000  Tonnen  Roheisen  mit  einer 
nur  wenig  grofseren  Arbeiterzahl  (21432  Mann)  dargestellt  wurden,  als 
in  den  Jahren  1861 — 65  für  die  Durchschnittsproduktion  von  799  000  Ton- 
nen (20  963  Mann)  erforderlich  waren.     Auch  haben  viele  Eisenwerke  trotz 


760  Misz  eilen. 

des  gesunkenen  Preises  seit  1879  wieder  sehr  befriedigende  Dividenden 
gebracht.  Uebrigens  darf  für  die  Beurteilung  des  Eisenpreises  nicht  der 
ganz  abnorme  Stand  von  1873(143,6  M.)  als  Ausgangspunkt  gewählt  werden; 
er  betrug  von  1861  —  1865  durchschnittlich  69,6  M.  und  von  1866 — 1870 
68,4  M.,  und  wenn  er  1887  auf  50,4  M.  gesunken  war,  so  stellt  dies 
nur  einen   Rückgang  von    etwa    27   Proz.    gegen    den    früheren  Preis  dar. 

Was  aber  den  überseeischen  Weizen  betrifft,  so  hat  der  Ausbau  der 
Eisenbahnen  im  fernen  Westen  Amerikas  und  in  dem  Binnenlande  Indiens, 
der  die  Konkurrenz  dieser  Gebiete  auf  dem  europäischen  Markt  möglich 
machte,  erst  in  den  siebziger  Jahren  stattgefunden,  wozu  um  dieselbe  Zeit 
auch  ein  starkes  Sinken  der  Seefrachten  kam.  Die  Vereinigten  Staaten 
exportierten  in  den  Jahren  1866 — 1870,  obwohl  damals  ihre  Ausfuhr 
durch  ein  bedeutendes  G  oldagi  o  unterstützt  wurde,  durchschnittlich  nur" 
17  Mill.  Busheis  Weizen,  1879  dagegen  122  Mill,  1880  sogar  153  Mill. 
und  aufserdem  hatte  sich  die  Mehlausfuhr  verdreifacht.  Indien  führte 
von  1871 — 1875  durchschnittlich  jährlich  nur  800  000  Ctr.  Weizen 
aus,  seit  1882  aber  hat  seine  Ausfuhr  sich  zwischen  14  und  22  Mill.  Ctr. 
bewegt. 

Uebrigens  sind  viele  Waren,  wie  Fleisch,  Butter,  Eier  und  andere 
mehr  dem  Lokalverkehr  angehörende  Erzeugnisse  wenig  oder  gar  nicht 
im  Preise  gesunken  und  die  Löhne  sind,  wenn  auch  eine  Reaktion  gegen 
die  ungewöhnlich  hohen  Sätze  der  Jahre  1872  und  1873  eingetreten  war, 
gegen  die  frühere  Periode  erheblich  gestiegen.  Wenn  aber  wirklich  eine 
innere  Weitsteigung  des  Geldes  stattgefunden  hätte,  so  hätte  diese  sich 
bei  allen  Wertbestimmungen,  wenn  auch  durch  andere  Einflüsse  mehr 
oder  weniger  verdeckt,  fühlbar  machen  müssen.  Aber  selbst  die  Welt- 
handelsartikel sind  nicht  sämtlich  im  Preise  gesunken;  eine  bemerkens- 
werte Ausnahme  macht  namentlich  der  Kaffee,  der  seit  1887  wieder  mehr 
und  mehr  in  die  Höhe  gegangen  ist  und  1893  etwa  20 — 25  Proz. 
teuerer  war  als  im  Durchschnitt  der  Jahre  1867 — 1877,  trotzdem  die  Aus- 
fuhr aus  dem  wichtigsten  Produktionslande,  Brasilien,  durch  eine  ent- 
wertete Papiervaluta  begünstigt  wurde. 

Die  Ursache  der  Silberentwertung  soll  nach  der  Behauptung  der 
Bimetallisten  ausschließlich  in  der  Demonetisierung  dieses  Metalls  liegen 
und  die  enorme  Produktionsvermehrung  keinen  wesentlichen  Einflufs  dar- 
auf ausgeübt  haben.  Nun  kann  aber  von  einer  Demonetisierung  des  Silbers 
höchstens  seit  1893,  nämlich  seit  der  Einstellung  der  indischen  Prägungen 
und  der  Aufhebung  der  Sherman-Akte  die  Rede  sein.  Yon  1873  — 1893 
aber  ist  in  der  Welt  weit  mehr  Silber  geprägt  worden ,  als  jemals  zuvor 
in  einer  gleich  langen  Periode,  doppelt  soviel,  als  in  den  Jahren  1850 
bis  1870  überhaupt  an  Silber  produziert  wurde.  Allerdings  ist  der  Silber- 
umlauf durch  die  deutschen  und  skandinavischen  Verkäufe  um  787  Mill.  M. 
vermindert  worden.  Dafür  aber  wurden  neu  geprägt  an  Silberkuraut- 
münzen:  in  den  Staaten  des  lateinischen  Münzbundes  (1873 — 1879)  746  Mill. 
Fres,  in  Spanien  (1876 — 1892)  641  Mill.  Pesetas,  in  Oesterreich-Ungarn 
257  Mill.  Gulden,  in  den  Vereinigten  Staaten  mit  Einsehlufs  der  Aus- 
gabe der  silbergedeckten  Schatznoten  568  Mill.  Doli. ,  aufserdem  aber 
60  Mill.  Doli.  Silberscheidemünzen,  in  England  12  Mill.  Pfd.  Sterl.  in  Silber- 


Miszellen.  7ßJ 

Scheidemünzen,  in  Indien  1360  Hill.  Rupien,  in  Japan  410  Mill.  Yens. 
Erwägt  man  ferner,  dafs  China  in  dieser  Zeit  mindestens  1000  Mill.  M. 
in  Silber  (nach  dem  alten  Wert)  mehr  ein-  als  ausgeführt  hat,  dafs  auch 
Mexiko,  Peru,  Bolivia  einen  Teil  ihres  geprägten  Silbers  zurückgehalten 
haben,  wenn  man  auch  ihre  ausgeführten  Münzen  nur  als  Barren  rechnet, 
dafs  auch  in  Bufslaud  ui.d  für  Canada  und  andere  englische  Kolonien 
Silber  geprägt  worden  ist,  so  ergiebt  sich,  dafs  in  jenem  Zeitraum  nach 
dem  alten  Wert  durchschnittlich  jährlich  für  etwa  400  Mill.  M.  Silber  in 
Geld  verwandelt  worden  ist,  fast  das  Doppelte  der  gleichzeitigen  jährlichen 
Durchschnittsvermehrung  des  Goldgeldes.  Entzogen  wurde  dem  Silber 
nur  die  allerdings  sehr  wirksame,  aber  doch  durchaus  künstliche  Stütze 
seines  Wertes  durch  das  Doppelwährungssystem  des  lateinischen  Münz- 
bundes. Wenn  es  aber  trotz  der  enormen  Ausdehnung  seiner  monetären 
Verwendung  dennoch  immer  tiefer  im  Preise  gesunken  ist,  so  liegt  darin 
der  Beweis,  dafs  die  Produktion  den  Absatz  immer  wieder  überholte  und 
letzterer  immer  wieder  durch  eine  weitere  Herabsetzung  des  Preises  gleich- 
sam erzwungen  werden  müfste.  Insofern  ist  die  unausgesetzt  wachsende 
Produktion  unzweifelhaft  die  Hauptursache  der  Silberentwertung  gewesen. 
Allerdings  würde  ihre  Wirkung  weit  langsamer  hervorgetreten  sein,  wenn 
die  franzö.-ische  Doppelwährung  aufrecht  erhalten  worden  oder  dieses 
System  sogar  noch  auf  andere  Staaten  ausgedehnt  worden  wäre.  Aber 
dafs  die  Produktion  selbst  bei  einer  völlig  wirksamen  Doppelwährung  auf 
das  Wertverhältnis  der  Edelmetalle  Einflufs  hat,  ist  durch  die  oben  er- 
wähnten  Erfahrungen  in   Frankreich  bewiesen. 

Weshalb  bestand  denn  dort  noch  1850  statt  der  früheren  Goldprämie 
von  1 — 2  Proz.  eine  Silberprämie  von  2 —  3  Proz.,  wenn  nicht  infolge 
des  grofsen  Aufschwungs  der  Goldproduktion  ?  Man  wird  sagen,  diese 
Prämien  seien  doch  sehr  niedrig  geblieben,  aber  sie  würden,  wie  oben 
schon  erörtert  worden  ist,  immer  mehr  gestiegen  sein,  je  mehr  sich  in  der 
Periode  vor  1850  der  Goldvorrat  und  in  der  zweiten  der  Silbervorrat  Frank- 
reichs erschöpft  hätte.  Andererseits  aber  würde  das  Silber,  trotz  der 
deutschen  Münzreform  und  der  Suspension  der  lateinischen  Doppelwährung 
und  selbst  ohne  die  Hilfe  der  Bland  Bill  auf  die  Dauer  nur  wenig  ge- 
sunken sein,  wenn  seine  Jahresproduktion  über  die  Durchschnittsziffer 
von    1861  — 1870  —  etwa    220   Mill.   M.  —  nicht    hinausgegangen    wäre. 

So  bleibt  zweifellos  die  Frage  in  betreff  der  wahrscheinlichen  künf- 
tigen Gestaltung  der  Produktion  der  beiden  Edelmetalle  der  Angelpunkt 
der  Währungsfrage  überhaupt.  Die  Goldgewinnung  hat  seit  1887  von 
Jahr  zu  Jahr  zugenommen  und  wird  1894  einen  Betrag  erreichen,  der 
vorher  niemals,  auch  nicht  in  den  Jahren  der  höchsten  kalifornischen 
und  australischen  Produktion  dagewesen  ist.  Wenn  gleichwohl  seit  1890 
eine  fortschreitende  wirtschaftliche  Depression  zu  beobachten  war,  so  lag 
die  Ursache  sicher^ch  nicht  in  dem  Mangel  an  Gold,  sondern  diese  Er- 
scheinung war  einfach  die  schlimme  Nachwirkung  der  Exzesse  der  Speku- 
lation in  deu  Jahren  1889  und  1890.  Wird  nun  die  Goldproduktion  den 
jetzt  erreichten  Stand  noch  längere  Zeit  behaupten  oder  gar  noch  über- 
schreiten ?  Und  wird  andererseits  die  Silberproduktion,  die  selbst  im  Jahre 
1893  im  ganzen   noch  gegen    1892    gestiegen    ist,    endlich    in  dem  enorm 


762  Miszellen. 

erniedrigten  Preise  eine  Beschränkung  finden?  Die  Bimetallisten  möchten 
die  erste  Frage  verneinen  und  die  zweite  bejahen  und  sie  hofften  eine 
Bestätigung  ihres  Standpunktes  zu  finden,  wenn  in  der  Kommission  geo- 
logische Sachverständige  über  diese  Punkte  vernommen  würden.  In  erster 
Linie  wünschten  sie  die  Zuziehung  von  E.  Suefs,  dessen  Ansichten  im 
allgemeinen  schon  aus  seinen  Schriften  bekannt  sind.  Die  Reichsregierung 
ging  auf  diesen  Wunsch  ein,  doch  wurden  auf  Antrag  der  Gegenpartei 
auch  Prof.  Stelzner  aus  Freiberg  und  Bergrat  Schmeifser,  der  im  Auftrag 
der  preufsischen  Regierung  eine  Studienreise  nach  Transvaal  unternom- 
men hatte,  zur  Vernehmung  eingeladen.  Auch  befanden  sich  ja  unter 
den  Regierungskommissaren  als  geologische  und  hüttenmännische  Sachver- 
ständige die  Herren  Geh.  Oberbergrat  Hauchecorne,  der  bereits  in  einer 
wertvollen  Denkschrift  eine  umfassende  statistische  Uebersicht  der  Edel- 
metallproduktion vorgelegt  hatte,  Geh.  Bergrat  Prof.  Dr.  Zirkel  und  der 
württembergische  Hünzwardein  Dr.  Klüpfel,  und  aus  der  Zahl  der  Kom- 
missionsmitglieder reihte  sich  noch  Geh.  Bergrat  Leuschner  den  bergmänni- 
schen  Sachverständigen   an. 

So  wurden  nun,  nachdem  Graf  Posadowsky  in  knapper  und  streng 
unparteiischer  Weise  die  Verhandlungen  über  den  bimetallistischeu  Antrag 
resümiert  hatte,  vier  Sitzungen  hauptsächlich  mit  technischen  Darlegungen 
und  Erörterungen  aufgefüllt,  von  denen  hier  nur  die  allgemeinsten  Ergeb- 
nisse angeführt  werden  können.  Suefs  hielt  die  Ansicht  aufrecht,  dafs 
allerdings  in  den  nächsten  Jahrzehuten  die  Goldproduktion,  hauptsächlich 
durch  die  Ausbeutung  Afrikas,  wohl  noch  zunehmen  werde;  aber  wenn 
diese  neue  Welle  vorübergegangen  sei,  so  gebe  es  kein  zweites  Afrika 
mehr.  Das  Gold  der  alten  Kulturländer  sei  schon  seit  langer  Zeit,  das 
brasilianische  und  das  des  östlichen  Teils  Amerikas  seit  der  Mitte  des 
vorigen  Jahrhunderts  aufgezehrt.  Je  rascher  man  vordränge,  um  so  rascher 
zehre  man  sein  Kapital  auf,  und  dann  werde  die  Zeit  vorüber  sein,  wo 
man  überhaupt  noch  über  Goldwährung  diskutieren  könne.  Wann  diese 
Zeit  kommen  werde,  könne  er  nicht  sagen,  aber  er  glaube,  dafs  in  der 
letzten  Zeit  ihr  Kommen  sehr  beschleunigt  worden  sei.  Ueber  Transvaal 
insbesondere  äufserte  sich  Suefs  ziemlich  skeptisch,  vielfach  im  Gegensatz 
mit  der  von  Bergrat  Schmeifser  vorgelegten  Denkschrift.  Er  hob  nament- 
lich hervor,  dafs  die  goldführende  Konglomeratschicht  von  Witwatersrand 
—  die  er  als  eine  fossile  Seifenbildung  betrachtet  —  wahrscheinlich  nicht 
die  regelmäfsige  und  gleichmäfsige  Ausbreitung  habe ,  die  man  etwa  bei 
Kohlenflötzen  findet.  Daher  seien  die  Schätzungen  des  Goldgehalts  nach 
der  äufseren  Ausdehnung  der  Mulde  und  nach  dem  durchschnittlichen 
Gehalt  der  Schicht  in  den  bearbeiteten  Gruben  sehr  unsicher.  Auch  sei 
es  sehr  zweifelhaft,  ob  man  die  goldführenden  Lager  in  Tiefen  von  mehr 
als  800  m,  sogar  bis  zu  1200  m,  wie  Bergrat  Schmeifser  annehme,  noch 
mit  Erfolg  und  Vorteil  ausbeuten  könne;  bisher  sei  nur  ein  Bohrloch 
niedergetrieben  worden,  das  annähernd  die  erstere  Tiefe,  nämlich  2343 
englische  Fufs,  erreiche.  Dafs  auch  die  alten  tiefliegenden  Alluvien  im 
Yubagebiet  noch  eine  beträchtliche  Goldreserve  euthalten,  giebt  Suefs  zu; 
aber  man  arbeite  dort  jetzt  langsam  die  reichsten  Stellen  heraus  und  nach 
einiger  Zeit   würden  diese  Reserven    aufgearbeitet    sein.      Der   wichtigste 


Miszellen.  763 

Fortschritt  aber  bestehe  darin,  dafs  man  nunmehr  gelernt  habe,  nicht  nur 
die  goldhaltigen  Sulfide ,  die  sich  in  gröfseren  Tiefen  unter  dem  soge- 
nannten Hut  finden,  sondern  auch  die  Tailings,  das  rückständige  feinste 
Geschlemme  auszubeuten.  Wenn  man  hinsichtlich  der  Sulfide  noch  in 
dem  Zustaude  wäre,  wie  vor  17  Jahren  zur  Zeit  des  Erscheinens  des 
Buches  über  die  Zukunft  des  Goldes,  so  würde  der  heutige  Abbau  in 
Witwatersrand  nicht  stattfinden;  man  würde  nicht  unter  den  Hut  hinab- 
gegangen sein.  Auch  hier  sei  eine  Keserve,  die  jetzt  in  Angriff  genom- 
men worden  sei.  Was  das  Silber  betreffe,  so  sei  die  aufserordeutliche 
Ausdehnung  der  Produktion  desselben  in  den  Vereinigten  Staaten  iu  den 
letzten  6 — 10  Jahren  hauptsächlich  dadurch  befördert  worden,  dafs  man 
die  in  Gängen  vorkommenden  eigentlichen  Silbererze,  die  sogenannten 
Dürrerze,  nicht  mehr,  wie  früher  mittels  der  Amalgamation,  sondern  durch 
Schmelzung  mit  Zuschlag  leichtflüssiger  Bleierze,  namentlich  von  Weifs- 
bleierzen verhüttet  habe.  Gegenwärtig  seien  die  Lagerstätten  dieser  Zu- 
schlagserze in  Colorado  gröfstenteils  erschöpft  und  die  Einfuhr  mexika- 
nischer Erze  werde  durch  einen  hohen  Zoll  erschwert.  Da  nun  auch  noch 
eine  enorme  Preiserniedrigung  des  Silbers  eingetreten  sei,  so  habe  sich 
bereits  eine  Abnahme  der  Silberproduktion  der  Vereinigten  Staaten  her- 
ausgestellt und  viele  Gruben  würden  nur  noch  in  Betrieb  gehalten  ,  um 
das  Versaufen  derselben  zu  verhindern  und  in  der  Hoffnung  auf  e  ne 
Besserung  des  Preises,  wobei  man  aber  keine  weiteren  Aufschlufsarbeiten 
mache.  Wenn  er  vor  2  Jahren  in  seiner  Schrift  über  die  Zukunft  des 
Silbers  gesagt  habe,  der  damalige  Preis  (von  etwa  40  Pence)  sei  noch 
nicht  niedrig  genug,  um  eine  bedeutende  Beschränkung  der  Silberpro- 
duktion  zu  erzwingen,  so  sei  jetzt,  bei  einem  Preise  von  weniger  als 
30  Pence,  wenigstens  in  den  Vereinigten  Staaten  das  Senkblei  auf  den 
Grund  gestossen.  Wenn  es  auch  einzelne  Gruben  geben  möge,  die  Silber 
vielleicht  mit  30  Cents  (etwa  15  Pence)  Produktionskosten  erzeugten,  so 
könne  doch  die  grofse  Masse  der  Baue  bei  dem  heutigen  Preise  nicht 
mehr  lohnend  betrieben  werden.  Die  australische  Produktion  nehme  eben- 
falls ab,  namentlich  habe  es  sich  bestätigt,  dafs  die  Gruben  von  Brokenhill 
ihren  Reichtum  in  der  Tiefe  nicht  bewahrten.  In  Mtxiko  allerdings  gehe 
die  Produktion  nicht  zurück,  was  zum  Teil  damit  zusammenhänge,  dafs 
dort  die  Silberwährung  bestehe,  die  bewirkt,  dafs  die  Löhne,  nach  Cold 
bemessen,  sich  weit  niedriger  stellen,  als  in  den  Vereinigten  Staaten.  Eine 
Steigerung  des  Silberpreises  würde  allerdings  auch  wieder  eine  Vermeh- 
rung der  Produktion  nach  sich  ziehen,  namentlich  in  Mexiko  und  Peru. 
Im  übrigen  erklärt  Suefs ,  dafs  er  nicht  für  das  Wertverhältnis  1:15 1/2 
sei  und  nie  dafür  gewesen  sei.  Er  würde  es  für  die  Produktionsverhält- 
nisse entsprechend  halten,  wenn  ein  mittleres  Wertverhältnis  zwischen  dem 
früheren  und  dem  gegenwärtigen  angenommen  würde,  nämlich  l:231/4. 
Soetbeer  habe  sich  zuletzt  für  1:22  entschieden.  Es  würde  übrigens 
vielleicht  zweckmäfsiger  sein,  einen  Teil  dieser  Verschiebung  des  Wert- 
verhältnisses auf  den  Schlagschatz  zu  nehmen  (also  die  Münzen  nach 
einem  dem  Silber  günstigeren  Verhältnis  auszuprägen,  aber  eine  so  hohe 
Prägegebühr  zu  erheben,  dafs  der  Marktwert  des  Barrensilbers  sich  dem 
vorgeschlagenen   Verhältnis  entsprechend  stellen  würde). 


764  Misz  el  len. 

Die  Herren  Leuschner  und  Zirkel  teilten  im  allgemeinen  den  Suefs'schen 
Standpunkt  und  fügten  zur  Begründung  desselben  manche  weitere  Mit- 
teilungen bei. 

Bergrat  Schmeifser  rechtfertigte  mit  Hilfe  einer  grofsen  Spezialkarte 
des  Witwatersrand- Distrikts  seine  Schätzungen  über  den  künftigen  (Jold- 
ertrag  desselben.  Dieselben  gehen  dahin,  dafs  der  Goldvorrat  bis  zur  Tiefe 
yon  800  Metern  einen  "Wert  von  4289  Mill.  M.  darstelle  und  wenn  man 
annehme,  dafs  die  bisherige  durchschnittliche  Zunahme  der  Gewinnung 
noch  zehn  Jahre  fortdauere  und  dann  ständig  auf  der  erreichten  Höhe 
bleibe,  so  würde  die  Erschöpfung  dieser  Lagerstätte  in  25  Jahren  zu  er- 
warten sein.  Bei  der  Voraussetzung  einer  Tiefe  von  1200  Metern  aber 
würde  der  Vorrat  7187  Mill.  M.  betragen  und  unter  den  eben  gemachten 
Annahmen  auf  40  Jahre  ausreichen.  Ueber  die  Ertragsfähigkeit  und  Nach- 
haltigkeit der  übrigen  Minenbezirke  Transvaals,  der  De  Kaapschen,  Lyden- 
burgschen ,  Klein-Letaba'schen  und  anderer  Goldfelder  sowie  der  süd- 
afrikanischen Gebiete  im  Norden  Transvaals  läfst  sich  noch  nichts  Genaueres 
feststellen.  Professor  Stelzner  sprach  sich  in  einer  längeren  Ausführung 
dahin  aus,  dafs  sowohl  die  Gold-  wie  die  Silberproduktion  einer  be- 
deutenden weiteren  Entwickelung  fähig  sei.  Auch  in  der  Zukunft  seien 
noch  „Ueberraschungen"  möglich,  wie  wir  sie  in  Kalifornien  und  Australien, 
Nevada  und  Transvaal  erlebt  hätten.  Auch  auf  weitere  technische  Fort- 
schritte dürfe  man  rechnen,  wie  man  ja  erst  seit  1890  durch  das  Cyanid- 
verfahren  die  goldhaltigen  Kiese  fast  vollständig  zu  verwerten  gelernt 
habe.  Weite  Gebiete  der  Erde,  wie  z.  B.  das  Innere  von  Brasilien,  seien 
geologisch  nur  oberflächlich  oder  gar  nicht  durchforscht  und  könnten 
daher  noch  bedeutende  Edelmetalllager  enthalten.  Die  Ausbeutung  der 
Silbergruben  von  Peru  und  Bolivia  würden  jetzt  erst  mit  genügenden 
Mitteln  in  Angriff  genommen.  Vor  noch  nicht  langer  Zeit  wären  in 
Bolivia  alle  Erze  und  alles  Wasser  auf  dem  Rücken  der  Arbeiter  in  Leder- 
säcken aus  den  Gruben  geschleppt  worden  und  an  vielen  Punkten  sei  das 
einzige  Brennmaterial  Lamamist  gewesen.  Jetzt  steige  eine  Bahn  von 
Autofagasta  4000  m  hoch  hinauf  und  werde  bald  La  Paz  erreicht  haben. 
Dampfer  führen  auf  dem  3800  m  hoch  gelegenen  Titicaca-See  und  von  Puno 
aus  führe  eine  zweite  Bahn  über  Arequipa  wieder  zu  dem  Stillen  Ozean. 
Die  „Berggeschreie"  über  fündig  gewordene  reiche  Hüte  würden  allerdings 
in  der  Zukunft  seltener  werden ,  aber  wir  brauchten  uns  über  die  zu- 
künftige Produktion  von  Gold  und  Silber  noch  keine  Sorge  zu  macheu. 
Uebrigens  erklärt  der  Redner,  dafs  er  nur  als  Geologe  und  Bergmann, 
ohne  Rücksicht  auf  die  Währungsfrage  gesprochen  habe. 

Bergrat  Dr.  Klüpfel  hob  die  Verminderung  der  Produktionskosten  des 
Silbers  hervor,  zu  denen  aufser  der  Einführung  des  Flammofenprozesses 
namentlich  auch  die  Silbertrennung  durch  Zink  gehöre.  Dazu  komme 
noch  die  Verbilügung  der  Transportkosten,  die  weit  mehr  auf  das  Silber 
als  auf  das  Gold  eingewirkt  habe.  Denn  das  Gold  werde  meistens  an 
den  Produktiousstätten  auch  fast  vollständig  zu  gute  gemacht;  die  grofsen 
Silberhütten  dagegen  befänden  sich  gewöhnlich  nicht  in  der  Nähe  der 
Gruben,  sondern  zum  Teil  in  grofsen  Städten  und  sehr  fern  von  den 
Produktionsstätten.      Durch    den    Ausbau    des  Eisenbahnnetzes    aber  seien 


M  i  s  ze  1 1  en.  7Q& 

die  Kosten    des  Erztransports    in    den  Vereinigten  Staaten    in    den  letzten 
Jahren   aufserordentlich  vermindert  worden.      Wenn   der  Kilberpreis    gegen 
Gold,  wenn   auch  niedrig,   nur  überhaupt  nur  einigermafsen   fixiert  würde, 
so  wäre    eine    grofse    Vermehrung    der  Produktion    zu  erwarten,    da  diese 
gegenwärtig  durch  die  Unsicherheit  der  Marktlage  noch  zurückgehalten  würde. 
Geh.   Oberbergrat  Hauchecome    ist    ebenlalls    der  Ansicht,    dafa  eine 
Hebung  des  Silberpreises    eine   Vergrößerung    der  Produktion    veranlassen 
werde.     Wenn  in  den  Vereinigten  Staaten  auch  die  früher  bereits  bearbeiteten 
Weifsbleierz-Lagerstätten  grösstenteils  erschöpft   wären,  so  sei   doch  neuer- 
dings auch  wieder    eine  Reihe    neuer  Lager    dieser  Art  gefunden   worden. 
Ein   grofser  Teil  von   Montana,    dafs    so  viel    zur  Vermehrung  der  Silber- 
produktion beigetragen  habe,  sei  bergmännisch  noch  nicht  untersucht  und 
auch  in  den  iu   Angriff  genommenen  Teilen   stehe   der  Betrieb  noch  nicht 
auf    der    Höhe     der    Technik.      In    den    Vereinigten    Staaten     seien    1891 
40   Proz.   des  gesamten   Silberbetrags  aus  Bleierzen,    10   Proz.    aus  Kupfer- 
erzen und   50   Proz.  aus  eigentlichen  Silbererzen    gewonnen   worden.     Die 
Selbstkosten  hätten    1889    bei    155  Gruben,    die    im  ganzen    43  Proz.  der 
Gesamterzeugnisse  lieferten,  ohne  Kapitalverzinsung  durchschnittlich    etwa 
26   Pence  für  die  Unze  betragen    und     1890   hätten   sich   diese  Kosten  für 
32,5   Proz.    des    ganzen  Produkts    auf   ungefähr    25    Pence    gestellt.      Für 
1892   könne  man   annehmen,    dafs    etwa    die    eine   Hälfte   des  gewonnenen 
Silbers  mit  durchschnittlich  65  Cents  (etwa  32,5  Pence  nach  dem  Londoner 
Preise)  uud   die  andere  Hälfte  mit  90  Cents  Kosten   hergestellt  worden  sei. 
Demnach  habe  schon  damals  ein  Teil  der  Werke  mit  Schaden  gearbeitet. 
Ueberblickt  man    das    der  Kommission   vorgelegte   Material  und  zieht 
die   mittlerweile    bekannt    gewordenen    weiteren    statistischen   Daten   hinzu, 
so  läfst  sich  nicht  verkennen,  dafs  gegenwärtig  weniger  als  je  von  Goldkuapp- 
heit    die    Rede    sein    kann.      Die    Produktion    hat    niemals    einen    höheren 
Stand  erreicht    als    im  Jahre    1894    und  wahrscheinlich    wird    sie    in    den 
nächsten  Jahren  noch  weiter  zunehmen.     Nach   dem  neuesten  Bericht  des 
amerikanischen    Münzdirektors    über    die  Edelmetallproduktion    betrug    die 
Goldgewinnung    im  Jahre    1894    für    die    ganze  Erde    mit  Ausschlufs    von 
China    —    dessen    Ertrag    der    Münzdirektor     auf    8  426  000    Doli,    veran- 
schlagt —  147   Mill.  Doli,  oder  617  Mill.  M.,  während  sie  in  den  Jahren 
1856 — 60,  in  der  sie  ihr  früheres  Maximum  erreicht  nach  Soetbeer  jähr- 
lich durchschnittlich  nur  564  Mill.  und  in  der  Periode  1851  — 1855   durch- 
schnittlich nur  557   Mill.   M.    betragen  hat.     In   den   ersten    acht  Monaten 
des  Jahres   1894    aber    hat    Witwatersrand    bereits    1  317  026    Unzen    ge- 
liefert und  man  darf  annehmen,    dafs    die  gesamte   Produktion   Trausvaals 
in   diesem  Jahre  2   Mill.   Unzen   erreichen  wird,    500  000   Unzen    mehr  als 
1893.     Dazu  kommt  nun   die  in   rascher  Zunahme    begriffene  Goldproduk- 
tion Westaustraliens,  die   1892   erst  59  500  Unzen  betrug,   1893  aber  schon 
auf     110  890     Unzen     stieg     und     1894    voraussichtlich     noch     wenigstens 
100  000   Unzen   mehr    ergeben  wird.      Am    wichtigsten    ist  das  Grubenfeld 
von   Coolgardie,    wo  ein   Quarzgang  bearbeitet  wird,    der  im   Ausgehenden 
bisher  8 — 12    Unzen    Gold    auf   die    Tonne    Gestein    geliefert    hat.      Auch 
Alluvialgoldlager  sind  vorhanden,  die,  wie   so  häufig,  anfangs  aufserordent- 
lich   reiche  Ausbeuten    ergeben  haben.     Ein    schwerer  Mifsstand    für  den 


766  Miszellen- 

westaustrali sehen  Bergbau  ist  der  Wassermangel;  doch  sind  die  Gewinn- 
aussichten so  grofs,  dafs  sich  ohne  Zweifel  genügende  Kapitalien  finden 
werden,  um  diesem  Uebel  abzuhelfen.  Auch  hat  die  Kolonialregierung 
bereits  mit  Erfolg  Mafsregeln  getroffen ,  um  Wasser  zuzuführen,  das  sie 
für  2  il2   Shill.  die  50  Gallons  verkauft. 

Wichtig  für  die  Goldproduktion  ist  auch,  dafs  nun  endlich  in  Kali- 
fornien der  hydraulische  Betrieb  im  Yuba  Gebiet  wieder  aufgenommen 
werden  kann.  Der  neueste  Bericht  des  amerikanischen  Münzdirektors  ent- 
hält näheres  über  die  Ausführung  des  im  März  1893  vom  Kongrefs  an- 
genommenen Caminetti  Act,  der  unter  gewifsen  Bedingungen  und  Be- 
schränkungen, durch  welche  die  Einführung  des  ausgewaschenen  Materials 
in  die  schiffbaren  Flüsse  und  die  Beschädigung  des  Landes  anderer  Eigen- 
tümer verhindert  werden  soll,  das  hydraulische  Verfahren  wieder  ge- 
stattet. Auf  Grund  dieses  Gesetzes  ist  in  Kalifornien  eine  sogenannte 
De'bris-Kommission  vom  Präsidenten  ernanut  worden,  die  ermächtigt  ist, 
Lizenzen  tür  diesen  Betrieb  zu  erteilen,  wenn  die  nötigen  Schutzanlagen 
nach  den  von  der  Kommission  zu  genehmigenden  Plänen  errichtet  sind. 
Doch  kann  die  Lizenz  auch  wieder  zurückgenommen  werden,  wenn  die 
Anlagen  sich  als  ungenügend  erweisen.  Noch  im  Laufe  des  Jahres  1893 
erhielten  20  —  39  grofse  hydraulische  Unternehmungen  nach  Errichtung 
der  erforderlichen  Dämme  die  nachgesuchte  Lizenz  und  viele  andere  An- 
träge waren  noch  in  der  Schwebe.  Die  Wirkung  auf  die  Produktion  wird 
erst  1894  bemerklich  werden  und  man  darf  annehmen,  dafs  der  jährliche 
Goldertrag  Kaliforniens  sich  in  der  nächsten  Zeit  um  2 — 3  Mill.  Doli,  ver- 
mehren werde.  Der  in  den  tiefen  Placers  enthaltene  Goldvorrat  in  den 
bisher  von  dem  Verbot  des  hydraulischen  Verfahrens  betroffenen  Bezirken 
wird  auf  335  Mill.  Doli,  geschätzt.  In  mehreren  Grafschaften  ist  das 
Verfahren  immer  unbeanstandet  geblieben,  weil  dort  die  Rückstände  nicht 
in  schiffbare  Flüsse  geleitet  wurden. 

Im  ganzen  wird  man  die  Goldproduktion  für  1894  mit  Ausschlufs 
von  China  auf  etwa  670  Mill.  M.  veranschlagen  dürfen  und  in  den  nächsten 
Jahren  ist  vermutlich  noch  eine  weitere  Steigerung  zu  erwarten,  sowohl 
weil  Transvaal,  Australien  und  Kalifornien  den  Höhepunkt  ihrer  Förde- 
rung noch  nicht  erreicht  haben,  als  auch  weil  die  bessere  Verwertung 
der  goldhaltigen  Kiese  durch  das  Cyanid-  oder  irgend  ein  anderes  Ver- 
fahren auch  in  Amerika  und  Australien  das  Ausbringen  vermehren  wird. 
So  mag  in  den  nächsten  Jahrzehnten  eine  durchschnittliche  Jahresproduk- 
tion von  700  —  720  Mill.  M.  zu  erwarten  sein,  d.  h.  ungefähr  so  viel,  wie  in 
den  Jahren  1851  — 1865  die  Durchschnittspioduktion  von  Gold  und  Silber 
(nach  dem  alten  Wert)  zusammen  betrug.  Aber  Suefs  ist  andererseits 
vollkommen  berechtigt  zu  sagen,  dafs  die  Goldgewinnung  sich  auf  dieser 
Höhe  nicht  dauernd  erhalten  könne,  dafs  vielmehr  notwendig  einmal  ein 
Zeitpunkt  kommen  müsse,  von  dem  ab  sie  dauernd  zurückgehen  werde 
und  dafs  dieser  Zeitpunkt  um  so  näher  rücke,  je  intensiver  die  Ausbeutung 
der  erschlossenen  Lagerstätten  betrieben  würde.  Es  mögen  ja  immerhin 
noch  einige  neue  grofse  Produktionsgebiete  im  Innern  von  Afrika,  Brasilien, 
Australien  entdeckt  werden,  aber  mit  jeder  neuen  Entdeckung  dieser  Art 
vermindert  sich    die  Wahrscheinlichkeit    einer  weiteren,  während  anderer- 


Miszellen.  767 

seits  jedes  im  Abbau  befindliche  Goldfeld  nach  einer  verhältnismäfsig 
kurzen  Zeit  notwendig  erschöpft  sein  wird.  Reicht  ja  der  Goldgehalt  des 
Witwatersraud  nach  der  allergünstigsten  Schätzung  nur  noch  für  einen 
Betrieb  von  40  Jahren  aus.  Es  ist  also  keineswegs  übertrieben  pessimistisch, 
wenn  mau  deu  Wendepunkt  für  die  defiuitive  Abnahme  der  Goldproduk- 
tion nur  um  ein  halbes  Jahrhundert  von  der  Gegenwart  entfernt  ansetzt. 
Aber  die  Abnahme  bedeutet  keineswegs  das  A  u  fh  ö  re  n  dieser  Produktion, 
es  ist  sehr  wohl  möglich,  dafs  es  ein  zweites  halbes  Jahrhundert  dauern 
wird,  bis  sie  wieder  auf  den  Staud,  den  sie  in  den  achtziger  Jahren  ein- 
nahm zurückgegangen  ist  und  nichts  beweist,  dafs  sie  auch  in  der  ferneren 
Zukuüft  geringer  sein  werde  als  dem  Bedürfnis  der  Kulturwelt  entspricht 
zumal  dann  der  vorhandene  Vorrat  noch  enorm  angewachsen  sein  wird. 
Es  ist  aber,  wie  schon  früher  bemerkt,  sehr  wahrscheinlich,  dafs  der  Ver- 
kehr sich  im  Laufe  des  nächsten  Jahrhunderts  wie  jetzt  schon  vom  Silber, 
60  auch  mehr  und  mehr  vom  Golde  emanzipieren  und  rationellere  Formen 
der  TJmlaufsmittel  ausbilden   werden. 

Was  die  Silberproduktion  betrifft,  so  ist  sie  in  den  Vereinigten  Staaten 
allerdings  im  Jahre  1893  auf  1866  000  k  gegen  1975  500  k  im  Jahre 
1892,  also  um  mehr  als  100  000  k  gesunken.  Dieser  Ausfall  aber  ist 
weit  mehr  als  aufgewogen  worden  durch  die  Mehrerzeugung  in  Mexiko, 
dessen  Produktion  von  1229  000  k  in  1892  auf  1380000  k  in  1893 
gestiegen  ist.  Gerade  von  bimetallistischer  Seite,  insbesondere  von  Dr. 
Arendt,  ist  nachdrücklich  hervorgehoben  worden,  dafs  in  Mexiko  die  Silber- 
gewinnung von  dem  Silberpreis  wenig  beeinflufst  werde,  weil  der  giöfste 
Teil  der  Produktionskosten  in  Silber  bezahlt  werde.  Diese  Ansicht  ist 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  berechtigt  und  eben  deshalb  darf  selbst  bei 
dem  jetzigen  niedrigen  Preisstande  noch  ein  weiterer  Fortschritt  Her  mexi- 
kanischen Silberproduktion  erwartet  werden,  da  der  Reichtum  dieses  Lan- 
des an  Silbererzen  von  mäfsigem  Gehalt  praktisch  unerschöpflich  ist.  Aber 
es  folgt  aus  jenem  Satze  keineswegs,  dafs  eine  bedeutende  Erhöhung  des 
Silberpreises  und  vollends  die  Wiederherstellung  des  früheren  Wertver- 
hältnisses nicht  eine  weitere  grofse  Steigerung  der  Produktion  auch  in 
den  amerikanischen  Silberwährungsländern  hervorrufen  würde.  Nament- 
lich würde  dann  unfehlbar  europäisches  Kapital  in  grofsen  Summen  nach 
Mexiko  fliefsen,  um  den  dortigen  Bergbau  sowohl  durch  Eisenbahnbau, 
wie  durch  technische  Verbesserungen  und  konzentrierteren  Betrieb  zu 
einem  höheren  Aufschwung  zu  bringen.  Dasselbe  gilt  auch  von  den  süd- 
amerikanischen Silberländern,  unter  deDen  Bolivia  den  ersten  Rang  ein- 
nimmt. Europäische  Gesellschaften  haben  hier  bereits  mit  mehr  oder 
weniger  Erfolg  angefangen,  einen  rationellen  Betrieb  in  Gang  zu  setzen 
und  eine  nachhaltige  Besserung  des  Silberpreises  würde  unzweifelhaft  auch 
hier  grofse  Kapitalien  anlocken.  In  Australien  ist  die  Silberproduktion 
auch  im  Jahre  1893  nach  dem  Bericht  des  amerikanischen  Müuzdirektors 
noch  bedeutend  gestiegen,  nämlich  auf  637  800  k  gegeu  418  000  k  vom 
Vorjahre.  Einen  Hauptanteil  an  dieser  Zunahme  hatte  die  Mine  der 
Broken  Hill  Proprietary  Mining  Co.  (nicht  zu  verwechseln  mit  anderen 
Broken-Hill-Gruben),  deren  Ertrag  nach  der  Hauchecorne'schen  Denkschrift 
von    250  704    k    im    Jahre    1892    auf    388  729  k  stieg.     Man    prophezeit 


768  Misz  eilen. 

dieser  Grube  zwar  vielfach  einen  baldigen  Rückgang,  fürs  erste  aber  ist 
der  1892  eingetretene  Ausfall  im  vorigen  Jahre  durch  eine  mehr  als 
doppelt  so  grofse  Zunahme  ersetzt  worden.  Auch  bleibt  der  Prozent- 
satz des  Bleis  an  Silber  seit  1886,  nach  dem  Abbau  der  reichsten  Erze 
des  Ausgehenden  ziemlich  gleichmäfsig  und  1893  war  er  sogar  höher, 
als  in  den  Vorjahren.  Die  gesamte  Silberproduktion  der  Erde  wird  in 
dem  amerikanischen  Bericht  für  1893  auf  5  Mill.  k  veranschlagt,  gegen 
43/4  Mill.  im  Jahre  1892.  Nach  dem  alten  Werte  stellt  die  erstere  Ge- 
wichtsmenge 900  Mill.,  die  letztere  855  Mill.  M.  dar.  Die  Eirjfuhr  von 
Silber  nach  England  ist  bisher  während  des  Jahres  1894  ungefähr  so 
grofs  geblieben,  wie  1893;  da  aber  die  Aufspeicherung  auf  Gruud  der 
Sherman-Akte  —  nebenbei  gesagt,  findet  sich  im  amerikanischen  Schatz- 
amt die  von  den  Bimetallisten  vermifste  Ansammlung  von  nicht  oder 
schwer  verkäuflichem  Silber  —  jetzt  aufgehört  hat,  so  wäre  eine  stärkere 
Zufuhr  nach  England  zu  erwarten  gewesen,  wenn  die  nordamerikanische 
Produktion  unverändert  fortgedauert  hätte,  und  man  wird  daher  bis  zum 
Einlaufen  geuauerer  Nachweise  annehmen  dürfen  ,  dafs  die  Gesamtgewin- 
nung von  Silber  sich  für  1894  als  niedriger  herausstellen  werde,  als  für 
1893.  Wann  die  jetzige  niedrige  Preislage  sich  dauernd  behauptet,  so 
wird  für  die  nächsten  Jahre  ein  weiterer  Rückgang  wahrscheinlich,  da  viele 
Werke,  die  jetzt  in  Erwartung  besserer  Zeiten  noch  weiter  arbeiten,  dunn 
ihren  Betrieb  einstellen  werden.  Iudes  darf  man  den  dadurch  entstehen- 
den Ausfall  nicht  zu  hoch  anschlagen ;  abgesehen  davon,  dafs  ein  solcher 
in  Mexiko  und  Südamerika  der  Silberwährung  wegen  vielleicht  gar  nicht 
entstehen  wird,  gilt  im  allgemeinen  die  Regel,  dafs  die  mit  hohen  Pro- 
duktionskosten arbeitenden  Minen  verhältnismäfsig  auch  nur  einen  geringen 
Teil  zu  dem  Gesamtprodukt  beitragen.  Dafs  aber  andererseits  eine  bedeu- 
tende Erhöhuug  des  Silberpreises  und  vollends  eine  solche  bis  auf  dem 
früheren  Stand  eine  grofse  Steigerung  der  Produktion  auch  noch  über 
die  Zahlen  von  1893  hinaus  verursachen  würde,  läfst  sich  bei  unbe- 
fangener Beurteilung  der  Thatsachen  nicht  bestreiten  und  wird  auch  in 
einem  interessanten  Bericht  des  Berginspektors  Wimmer  in  Eisleben,  der 
der  Kommission  von  bimetallistischer  Seite  vorgelegt  worden  ist,  offen 
zugestanden.  So  sagt  Wiramer  von  den  Erzmassen  ,  die  sich  lagerförmig 
in  grofser  Ausdehnung  zwischen  den  Schichten  der  paläozoischen  For- 
mationen eingedrängt  haben,  es  sei  bei  ihrer  meist  flachen  Lagerung  ein 
geradezu  unerschöpflicher  Silbervorrat ,  wenn  auch  meistens  in  der  Eorm 
armer  Erze,  in  ihnen  enthalten,  der  auch  bergmännisch  zugänglich  sei  und 
nicht  in  unerreichbarer  Tiefe  stecke.  Von  den  eigentlichen  Gängen,  so- 
wohl den  silberhaltige  Blei-  oder  Kupfererze  wie  den  eigentlichen  Sil- 
bererze (Dürrerze)  enthaltenden,  werden,  wie  Wimmer  ebenfalls  bemerkt, 
viele  schon  in  grofsen  Tiefen  bearbeitet,  ohne  dafs  sie  vertauben.  Dafs 
die  Dürrerze  der  Zusammenschmelzung  mit  Bleierzen  bedürfen,  kann  der 
Ausdehnung  der  Silberproduktion  nicht  im  Wege  stehen,  denn  an  Blei- 
erzen ist  Ueberflufs  vorhanden,  wann  auch  wirklich  die  besonders  geeig- 
neten Karbonatlager  von  Kolorado  bald  definitiv  erschöpft  sein  sollten. 
Es  wäre  dies  nur  eine  Frage  der  Erhöhung  der  Produktionskosten,  die 
bei    einer    grofsen  Steigerung    des  Silberpreises   ihre  Bedeutung  verlieren 


Misz  eilen.  7  t','.  i 

■würde.  Dafs  in  den  gröfseren  Tiefen  statt  des  Bleies  Zink  als  Begleiter 
des  Silbers  auftritt  ist  eiue  Schwierigkeit,  die  durch  die  neueren  Fort- 
schritte der  Metallurgie  als  überwunden  zu  betrachten  ist.  Geh.  Berg- 
rat Leuschner  hob  mehrfach  hervor,  dafs  eine  rasche  Ausdehnung  der 
Silberproduktion  auch  bei  bedeutend  erhöhtem  Preise  nicht  möglich  sei, 
weil  dazu  Aus-  und  Vorrichtungsarbeiten  erfordert  würden,  die  längere 
Zeit  in  Anspruch  nähmen  ,  zumal  sie  jetzt  von  vielen  Gruben  ,  die  ihren 
Betrieb  auf  das  notwendigste  beschränken,  unterlassen  würden,  und  dafs 
es  noch  länger  dauern  würde,  bis  gänzlich  aufgelassene  Gruben  wieder 
ihre  Förderung  aufnehmen  könnten.  Aber  bei  einer  Preissteigerung  des 
Silbers  um  50  oder  gar  100  Proz.  seines  jetzigen  Marktwertes  würde 
doch  unzweifelhaft  alles  aufgeboten  werden,  um  die  Produktion  sofort  zu 
verstärken,  wenn  auch  das  Maximum  der  Erhöhung  derselben  erst  in 
einigen  Jahren  zu  erwarten  wäre.  Wie  weit  diese  Vermehrung  bei  Wieder- 
herstellung des  alten  Verhältnisses  durch  einen  bimetallistischen  Bund 
gehen  würde ,  läfst  sich  nicht  voraussagen ,  jedenfalls  aber  hätte  man  in 
diesem  Falle  von  Anfang  an  mit  einer  jährlichen  Silberproduktion  nicht 
nur  von  43/4  Mill.  k,  wie  ich  bisher  auf  Grund  des  Ergebnisses  von 
1892  angenommen  habe,  sondern  von  mindestens  5  Mill.  k,  also  900  Mill.  M. 
nach  dem  alten  Werte  zu  rechnen,  und  eine  Steigerung  derselben  auf 
6 — 7  Millionen  in  den  nächsten  Jahren  würde  bei  dem  möglichen  enor- 
men Gewinne  vieler  Gruben  keineswegs  unwahrscheinlich  sein.  Eine  den 
Preis  drückende  Ueberfüllung  des  Silbermarktes ,  wie  sie  gegenwärtig  so 
lange  bestanden  hat  (wenn  auch  das  Silber  eben  durch  die  Preiserniedri- 
gung schliefslich  immer  Absatz  gefunden  hat),  wäre  unter  dem  bimetal- 
listischen  System  ja  nicht  mehr  zu  befürchten ;  das  Silber  wäre  unmittel- 
bar Geld  und  um  so  mehr  würde  man  bestrebt  sein,  es  mit  möglichster 
Schnelligkeit  aus  der  Erde  zu  ziehen,  da  jeder  Zeitverlust  auch  einen 
Zinsverlust  bedeuten  würde.  An  dem  Uebermafs  der  Silberproduktion, 
ganz  abgesehen  von  den  übrigen  Schwierigkeiten,  würde  auch  der  Arendt- 
sebe  Uebergangsantrag  scheitern,  mit  dem  sich  die  Kommission  nach  der 
Vernehmung  der  geologischen  Sachverständigen  in  ihren  beiden  letzten 
Sitzungen  beschäftigte.  Nach  demselben  sollen  möglichst  viele  Staaten, 
jedenfalls  aber  zunächst  England,  Deutschland,  Frankreich  und  die  Ver- 
einigten Staaten  sich  vertragsmäfsig  verpflichten,  an  bestimmten  Stellen 
Silberbarren  von  mindestens  5  k  Feingehalt  unentgeltlich  in  Depot  zu 
nehmen  und  dafür  Certifikate  abzugeben  ,  die  auch  wieder  gegen  Silber- 
barren einlöslich  wären.  Diese  internationalen  Silbercertifikate  sollen  in 
jedem  beteiligten  Staate  von  bestimmten  Kassen  gegen  Geld  zu  einem 
gleichen  Preise  angekauft  werden.  Der  Preis  wird  jedes  Jahr  auf 
einer  Konferenz  festgesetzt  und  er  darf  innerhalb  der  Vertragszeit  zwar 
erhöht,  aber  nicht  wieder  herabgesetzt  werden.  In  allen  vertragsschliefsenden 
Staaten  sollen  die  Certifikate  ohne  Unterschied  ihrer  Herkunft  dem  Lan- 
desgelde  bei  der  Deckung  von  Banknoten  und  Bankdepositen  gesetzlich 
gleich  gestellt  werden.  Im  übrigen  sollen  sie  jedoch  keineswegs  selbst 
als  Geld  dienen,  vielmehr  sollen  sie  Namenspapiere  sein  und  eine  Besitz- 
übertragung nur  mittels  Gerierung  stattfinden  können.  Der  Vertrag  soll 
auf  fünf  Jahre  geschlossen  und  ein  Jahr  vor  Ablauf  kündbar  sein.    Findet 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXIII).  49 


770  Miszellen. 

keine  Kündigung  statt,  so  läuft  er  auf  je  fünf  Jahre  weiter.  Für  den 
Fall  der  Auflösung  aber  soll  das  gesamte  bei  den  Hinterlegungsstellen 
aller  Staaten  vorhandene  Silber  unter  dieselben  in  der  Art  verteilt  werden, 
dafs  für  die  eine  Hälfte  der  Gesamtmenge  die  durchschnittliche  Silber- 
produktion der  betreffenden  Staaten,  für  die  andere  aber  die  Bevölke- 
rungszahl als  Mafsstab  gilt.  Die  Certifikate  sind  von  den  einzelnen  Staaten 
nach  dem  letzten  Vertragspreis  und  dem  angegebenen  Verteilungsmafs- 
stabe  gegen  Geld  einzulösen.  Jeder  Staat  hat  dann  selbst  zuzusehen,  wie 
er  das  ihm  zufallende  Silberquantum  verwerten  könne.  Für  den  Fall 
der  Zahlungsunfähigkeit  eines  Vertragsstaates  soll  dessen  Anteil  ebenfalls 
in  obiger  Weise  zwischen  den  übrigen  Staaten  aufgeteilt  werden.  Aber 
eine  solche  Auflösung  hält  der  Antragsteller  für  durchaus  unwahrschein- 
lich, vielmehr  glaubt  er  an  ein  kontinuierliches  Steigen  des  iSilberpreises 
während  der  Vertragsdauer.  Wenn  dann,  durch  dieses  ermutigt,  ein  Ver- 
tragsstaat freie  und  unbeschränkte  Silberprägung  nach  einem  festen  Wert- 
verhältnis zum  Golde  einführt,  so  wird  er  von  der  Verpflichtung,  Silber- 
depots zu  unterhalten  und  Certifikate  anzukaufen,  entbunden,  bleibt  aber 
im  Falle  der  Auflösung  für  die  Depots  und  Certifikate  in  dem  oben  an- 
gegebenen Mafse  verantwortlich.  Andererseits  soll  er  verpflichtet  sein, 
einen  Schlagschatz  für  die  Silberprägungen  zu  erheben ,  der  dem  Unter- 
schiede zwischen  dem  angenommeneu  festen  Wertverhältnis  und  dem 
jeweiligen  Vertragspreis  genau  entspricht.  Erreicht  aber  der  Vertrags- 
preis das  Wertverhältnis  l:15x/2,  so  soll  nur  dieses  für  die  dann  kosten- 
lose Silberprägung  in  den  Vertragsstaaten  zulässig  sein. 

Dieser  Vorschlag  ist  zwar  sinnreich  genug  ausgedacht,  aber  bei 
näherer  Betrachtung  erweist  er  sich  als  höchst  verwickelt,  so  dafs  eine 
praktische  Ausführung  noch  schwieriger  sein  würde,  als  die  des  verhält- 
nismäfsig  einfachen  reinen  Bimetallismus.  Auch  fand  er  in  der  bimetalli- 
stischen  Gruppe  selbst  nur  eine  sehr  geteilte  Aufnahme  und  Herr  Leuschner 
erklärt,  dafs  wohl  die  Mehrheit  derselben  der  Ansicht  sei,  dafs  diese  Vor- 
schläge trotz  ihrer  theoretischen  Bedeutung  praktisch  nicht  zu  verwirk- 
lichen sein  würden.  Dr.  Arendt  nimmt  in  den  Erläuterungen  zu  seinem 
Antrag  selbst  an,  dafs  das  Quantum  des  jährlich  hinterlegten  Silbers  2  Mill.  k 
betragen  könne  und  nach  den  gegenwärtigen  Aussichten  der  Silberpro- 
duktion wird  man  die  Ziffer  bei  der  vorausgesetzten  Preissteigerung  als 
Minimum  betrachten  müssen.  Schon  der  Eindruck,  den  eine  solche 
jahraus  jahrein  fortdauernde  Ansammlung  von  gänzlich  brach  liegen- 
dem, für  keinen  sonstigen  Zweck  —  denn  alle  möglichen  Verwendungen 
sind  schon  in  Rechnung  gebracht  —  brauchbarem  Silber  macht,  müfste  ein 
äufserst  ungünstiger  sein  und  könnte  leicht  die  Auflösung  des  Vertrags  veran- 
lassen, wie  in  Amerika  die  Shermau-Akte  hauptsächlich  durch  das  Schau- 
spiel der  grofseu  Silberanhäutung  diskreditiert  worden  ist.  Ferner  aber 
würde  sich  diese  Silberansammlung  in  sehr  ungleichzeitigen  Weise  ver- 
teilen :  sie  würde  sich  hauptsächlich  konzentrieren  auf  die  Produktions- 
länder, also  die  Vereinigten  Staaten  und  Mexiko,  wenn  dieses  ebenfalls 
beitreten  sollte.  Die  Certifikate  aber  würden  nach  Europa  gehen  und 
sich  hier  in  den  grofsen  Banken  ansammeln.  Für  diese  würden  sie  aber 
ein    keineswegs    zweckmäfsiges    Notendeckungsmittel    bilden ,    ebensowenig 


M  is  z  el  1  en.  771 

wie  etwa  englische  Konsols ,  obwohl  deren  Sicherheit  ja  auch  unzweifel- 
haft ist.  Sie  könnten  eben  als  Deckungsmaterial  nicht  dem  baren  Gelde 
gleichgestellt  werden,  weil  sie  ja  eben  kein  Geld  sein  sollen  und  nicht 
die  Liquidität  und  Zahlungskraft  des  Geldes  besäf^eu.  Und  wie  soll  der 
Ankauf  der  Certiflkate  gegeu  Geld  bei  den  Staats-  oder  Bankkassen  ge- 
sichert werden  ?  Nach  dem  Antrage  soll  derselbe  nicht  ausschliefslich 
gegen  Gold,  sondern  gegen  Landesgeld  nach  dem  gleichmäfsigen  Wechsel- 
kurs auf  London  stattfinden.  Dann  wäre  aber  England  das  einzige  Land, 
das  unbedingt  die  Certifikate  in  Gold  bezahlen  müfste ,  während  Frank- 
reich, Deutschland,  die  Vereinigten  Staaten  auch  Silber  und  andere  Län- 
der uneinlösliches  Papiergeld  verwenden  könnten.  Die  Forderung,  dafs 
die  Certifikate  ausschliefslich  in  Gold  auszuzahlen  wären,  würde  sich  als 
unerfüllbar  erweisen ;  in  jedem  Falle  aber  würde  England  die  Hauptein- 
lösungsstelle für  die  Certifikate  bilden  und  jederzeit  zu  gewärtigen  haben, 
dafs  ihm  grofse  Goldsummen  gegen  solche  entzogen  würde.  Namentlich 
würde  auch  Amerika  immer  imstande  sein,  aus  Europa  und  in  erster 
Reihe  wieder  aus  England  beliebige  Mengen  Gold  herbeizuziehen.  Denn 
man  könnte  dort  den  Wechselkurs  jederzeit  zum  Umschlagen  bringen,  indem 
man  sich  gegen  Hinterlegung  von  neuem  Silber  Certifikate  verschaffte,  die 
unmittelbar  mit  den  Sichtwechseln  auf  Europa  konkurrieren  und  die  schliefs- 
lich  zur  Einlösung  gegen  Gold  nach  London  geschickt  werden  würden. 
Allerdings  bildet  auch  jetzt  England  die  Centralstelle  für  die  internatio- 
nale Goldverteilung,  aber  es  findet  dabei  seinen  Vorteil,  während  es  unter 
dem  Arendt'schen  System  in  seinem  Goldbesitz  von  den  Siiberproduktions- 
ländern  abhängig  sein  würde.  Es  erscheint  daher  schon  deshalb  ausge- 
schlossen ,  dafs  England  sich  an  diesem  System  beteiligen  sollte.  Was 
der  vertragsmäfsig  festzusetzende  Preis  der  Certifikate  —  und  folglich 
auch  des  Silbers  —  betrifft,  so  sollte  nach  dem  ursprünglichen  Arendt- 
schen  Antrag  zuerst  der  Durchschnittspreis  angenommen  werden,  den  das 
Silber  in  den  drei  Monaten  zwischen  der  Ratifizierung  und  dem  Inkraft- 
treten des  Vertrags  in  London  erzielt  hätte.  Da  aber  unter  solchen  Um- 
ständen unzweifelhaft  ein  schwindelhaftes  Emportreiben  des  Silberpreises 
stattfinden  würde,  so  schlägt  der  Verfasser  in  seinen  Erläuterungen  in 
zweiter  Linie  vor,  etwa  mit  40  Pence  zu  beginnen  —  um  wenigstens 
die  Wirkung  der  Schliefsung  der  indischen  Münzstätten  und  der  Aufhe- 
bung der  Sherman-Akte  auszugleichen  —  und  dann  jährlich  den  Vertrags- 
preis um  2  Pence  zu  steigern ,  wenn  die  Gesamtdepositen  weniger  als 
1  Mill.  k  für  das  Jahr  betragen  hätten  und  der  Londoner  Silberpreis  nie 
mehr  als  1  Penny  unter  den  Vertragspreis  gesunken  wäre.  Aber  bei 
diesem  Verfahren  würde  es  für  die  Silberminenbesitzer  entschieden  loh- 
nend sein ,  nötigenfalls  mit  Beihilfe  von  selten  geldvorschiefsender 
Kapitalisten,  einen  Teil  ihres  Produktes  nicht  zu  hinterlegen,  sondern 
zurückzuhalten  oder  auch  ihre  Produktion  zu  beschränken ,  so  dafs  die 
Bedingung  der  Preissteigerung  jedenfalls  erfüllt  würde.  WTenn  dann  das 
vierte  Vertragsjahr  ohne  Kündigung  abgelaufen  wäre,  so  hätten  die  Silber- 
besitzer wenigstens  sechs  Jahre  vor  sich,  um  nicht  nur  das  aufgespeicherte 
Metall,  an  dem  sie  wenigstens  keine  Zinsen  verloren  hätten,  sondern  auch 
die  weitere  mit    aller  Anspannung    zu    betreibende  Produktion    zu   einem 

49* 


772  Miszellen. 

bedeutend  erhöhten  festen  Preise  zu  verwerten.  Ebenso  würde  es  sich 
lohnen,  worauf  Herr  Generalkonsul  Russell  aufmerksam  machte,  Silber  aus 
Indien,  China  u.  8.  w.  herbeizuschaffen,  um  es  im  fünften  Jahre  des  Ver- 
trags zu  48  Pence  zu  verkaufen,  mit  der  Aussicht,  nach  Auflösung  des 
Vertrags,  es  vielleicht  zu  20  Pence  zurückkaufen  zu  können.  Infolge 
solcher  Spekulationen  könnte  auch  der  die  beteiligten  Staaten  bei  der 
Auflösung  des  Verbandes  treffende  Verlust  aufserordentlich  viel  gröfser 
werden,   als   Dr.   Arendt  ihn   veranschlagt. 

So  hatte  der  Arendt'sche  Vorschlag  kein  besseres  Geschick  als  die 
übrigen  Vermittelungsanträge :  aufser  seinem  Urheber  trat  niemand  für 
ihn  auf.  Da  weitere  Vorschläge  nicht  gemacht  wurden ,  so  konnte  die 
Thätigkeit  der  Kommission  mit  der  21.  Sitzung  am  6.  Juni  abgeschlossen 
werden.  Der  Vorsitzende  konstatierte  in  seinem  Schlufswort,  dafs  in  drei 
Punkten  Uebereinstimmung  bestanden  habe:  in  der  Anerkennung  gewisser 
Schädigungen,  die  für  unseren  Aufsenhandel  wie  auch  für  unser  inneres 
Gewerbsleben  durch  den  schwankenden  und  niedrigen  Silberpreis  ent- 
ständen; ferner  in  der  Anerkennung,  dafs  Deutschland  allein  nicht  in  der 
Lage  sei,  wirksame  Mafsregeln  zur  Hebung  des  Silberwertes  zu  ergreifen, 
und  dafs  drittens  eine  solche  Hebung  auf  dem  Wege  der  Monopolisierung, 
Kartellierung  oder  Regalisierung  der  Silberproduktion  jedenfalls  nicht  zu 
erreichen  sei.  Streitig  aber  seien  die  Fragen  geblieben,  ob  und  wie  eine 
Steigerung  des  Silberpreisea  der  freien  Produktion  gegenüber  erreichbar 
sei,  welches  Gewicht  die  durch  die  Silberentwertung  geschädigten  Interessen 
gegenüber  den  wirtschaftlichen  Gesamtinteressen  besäfsen ,  welches  Wert- 
verhältnis der  beiden  Edelmetalle  für  eine  internationale  Regelung  vor- 
zuschlagen wäre  und  ob  nicht  die  von  verschiedenen  Seiten  vorgeschlagenen 
Heilmittel  vielleicht  gefährlicher  seien  als  die  Silberkrankheit  selbst.  Wie 
man  auch  zu  der  Währungsfrage  stehe,  man  werde  zugestehen  müssen, 
dafs  die  Uebelstände  auf  dem  monetären  Gebiete  schon  wegen  unseres 
internationalen  Verkehrs  aufserordentlich  schwer  zu  beseitigen  seien,  selbst 
wenn  man  ihre  letzten  Ursachen  richtig  erkannt  hätte;  dafs  man  mit 
diesen  Fragen  nicht  Mifsstände  identifizieren  dürfe,  die  bei  vorurteils- 
loser Beurteilung  nur  teilweise  auf  das  Wesen  des  Geldumlaufs  zurück- 
zuführen seien;  dafs,  selbst  wenn  der  Versuch  internationaler  Vereinigungen 
auf  entsprechend  begrenztem  Gebiete  Aussicht  auf  Erfolg  bieten  sollte, 
doch  Befürchtungen  und  Zweifel  entstehen  könnten,  die  selbst  beim  Mangel 
jeder  sachlichen  Berechtigung  auf  unser  Kreditwesen  und  damit  auf  unser 
Erwerbsleben  zurück  wirken  könnten.  Die  Frage  der  Silberentwertung 
sei  keine  parteipolitische,  sondern  eine  rein  wirtschaftliche;  die  Kommissions- 
mitglieder würden  sich  ein  Verdienst  erwerben,  wenn  sie  in  den  Kreisen 
ihres  Einflufses  dazu  beitrügen,  die  Ueberzeugung  von  der  Vielseitigkeit 
der  Silberfrage  und  den  Schwierigkeiten  ihrer  praktischen  Lösung  zu  ver- 
breiten und  damit  auf  deren  sachliche,  nüchterne  Beurteilung  hinzuwirken. 
Die  Reichsregierung  werde  die  der  Kommission  unterbreiteten  Vorschläge 
einer  eingehenden   Prüfung  unterziehen. 

Dr.  Bamberger  sprach  als  ältestes  Mitglied  der  Kommission  im  Namen 
derselben  dem  Vorsitzenden  für  die  vortreffliche  und  musterhafte  un- 
parteiische Leitung  der  Verhandlungen    lebhaften   Dank    aus  und  fügte  in 


Miszellen.  773 

launiger  Weise  hinzu,  wenn  es  Sitte  wäre,  einem  Vorsitzenden  eine  Denk- 
münze zu  überreichen,  so  muffte  diese  im  vorliegenden  Falle  aus  jenem 
Elektron  —  der  natürlichen  Mischung  von  Gold  und  Silber  —  sein,  das 
im  5.  und  6.  Jahrhundert  v.  Chr.  das  erste  Edelmetallgeld  gewesen  und 
sogar  schon  die  Grundlage  eiues  Münzvertrags  zwischen  mehreren  klein- 
asiatischen Stadtstaaten  gebildet  habe.  Die  schlauen  Karthager  hätten 
diese  Mischung  auch  schon  künstlich  dargestellt,  so  dafs  also  auch  damals 
schon  die  Gefahr  der  ,, echten  Nachprägung1'  bestanden  hätte.  Ein  ähnlicher 
Münzreform Vorschlag  sei  glücklicherweise  in  der  Kommission  nicht  auf- 
getaucht, obwohl  sowohl  Cernuschi  als  auch  Hertzka  in  der  That  die  An- 
nahme einer  Gold-  und  Silberlegierung  zur  Lösung  der  Währungsfrage 
empfohlen  hätten. 

Noch  ein  anderer  Vorschlag  ist  in  der  Kommission  unberührt  ge- 
blieben, obwohl  er  in  der  Presse  auch  in  der  neuesten  Zeit  noch  Ver- 
teidiger gefunden  hat.  Es  ist  der  früher  namentlich  von  A.  Eggers,  kürz- 
lich auch  in  einer  Broschüre  ,,Nummus  orbis  terrarum"  (Köln  1894,  von 
Göcke) ,  in  der  Revue  des  deux  Mondes  von  K.  G.  Levy  und  neuestens 
auch  vom  Herzog  von  Noailles  empfohlene  Projekt  einer  silberneu  inter- 
nationalen Handelemüuze  ohne  festes  Wertverhältnis  zum  Golde.  Es 
würde  ja  an  sich  wohl  nicht  schwer  sein,  alle  Kulturstaaten  für  den  Ver- 
such zu  gewinnen ,  solche  Münzen  nach  einem  gemeinschaftlichen  Typus 
gegen  eine  geringe  Gebühr  oder  vielleicht  sogar  unentgeltlich  für  jeden, 
der  Barrensilber  einlieferte,  iu  beliebiger  Menge  zu  prägen;  aber  wenn 
man  dem  Plane  in  der  Kommission  nicht  näher  getreten  ist,  so  erklärt 
sich  dies  wohl  daraus,  dafs  man  der  Ansicht  war,  auf  diesen  Wege  sei 
weder  eine  nennenswerte  Hebung  noch  eine  Befestigung  des  Silberwerts 
erreichbar.  In  den  Ländern  mit  Goldwährung  oder  Goldrechnung  würden 
diese  Silbermünzen  einen  veränderlichen  Kurswert  haben  und  daher  für 
den  inneren  Verkehr  gänzlich  unbrauchbar  sein.  Denn  von  den  Funk- 
tionen des  Geldes  ist  die  als  Wertmafs  gegenwärtig  noch  weit  wichtiger 
als  die  ah  Umlaufsmittel,  und  der  Verkehr  verlangt  unbedingt  die  Einheit- 
lichkeit des  Wertmafses,  weshalb  er  sich  in  den  Staaten  mit  hinkender 
Währung  auch  die  starke  üeberwertung  des  Silberkreditgeldes,  durch  die 
es  eben  in  ein  festes  Verhältnis  zum  Golde  gebracht  wird,  gefallen  läfst. 
Mit  dieser  notwendigen  Einheit  des  Wertmafses  würde  es  aber  auch  un- 
vereinbar sein,  dafs  die  Geschäfte  und  Verträge  nach  dem  Belieben  der 
Beteiligten  auf  Gold  oder  Silber  abgeschlossen  würden.  Es  handelt  sich 
für  den  Zahlungsempfänger  überhaupt  nicht  um  das  eine  oder  das  andere 
Metall,  sondern  um  eine  Anzahl  von  Werteinheiten,  deren  Uebertragung 
übrigens  auf  mannigfaltige  Art  stattfinden  kann.  Auf  die  frühere  Parallel- 
währung in  Norddeutscbland  kann  mau  sich  nicht  berufen;  denn  sie  be- 
stand einerseits  unter  weit  einfacheren  Verkehrsverhältnissen  und  ist  durch 
die  steigende  wirtschaftliche  Entwickelung  in  der  ersten  Hälfte  dieses 
Jahrhunderts  von  selbst  allmählich  zu  Gunsten  der  einheitlichen  Silber- 
währung verschwunden ;  aufserdem  aber  war  zur  Zeit  ihres  Bestehens  das 
Wertverhältnis  der  beiden  Edelmetalle  nur  wenig  veränderlich.  Was  aber 
die  Verwendung  der  internationalen  Silbermünze  für  den  auswärtigen 
Handel  betrifft,  so  kann  dabei  nur  Asien  in  Betracht  kommen,  da  Mexiko 
und    Südamerika    auf   einen    regelmäfsieren    Ausfuhrüberschufs    von    Silber 


774  Miszellen. 

angewiesen  sind,  Australien  effektive  reine  Goldwährung  besitzt  und  die 
europäisch  civilisierten  Länder  Afrikas  ebenfalls  schon  infolge  der  süd- 
afrikanischen Produktion  die  Goldwährung  behalten  werden,  die  Gebiete 
mit  halbzivilisierter  oder  halbwilder  Bevölkerung  aber  für  Metallgeld  über- 
haupt nur  eine  geringe  Aufnahmefähigkeit  besitzen.  Weshalb  aber  nach 
Asien  mehr  Silber  in  der  Form  der  neuen  Münze  als  bisher  in  Barren 
und  Piastern  gehen  sollte ,  ist  gar  nicht  einzusehen  und  die  bisher  ge- 
machten Versuche  haben  gezeigt ,  dafs  der  Wert  des  Silbers  auf  diesem 
Wege  nicht  beeinflufst  werden  kann.  Der  amerikanische  Trade  Dollar 
konnte  sich  neben  dem  mexikanischen  Piaster  in  China  nicht  einbürgern, 
obwohl  er  mehr  Silber  enthielt  als  dieser,  und  man  mufste  diese  Münzen 
schliefslich  wieder  einziehen,  weil  sie  massenhaft  mifsbräuchlicher  Weise 
zu  dem  Kreditwerte  des  Standard  Dollar  in  den  inneren  Verkehr  der 
Vereinigten  Staaten  eindrangen.  England  hat  die  Prägung  des  Hongkong 
Dollars  nach  wenigen  Jahren  wieder  aufgegeben  und  läfst  in  den  Straits- 
Settlements  die  mexikanischen  Piaster  in  Umlauf.  Gegenwärtig  soll  es 
allerdings  beabsichtigen,  einen  Versuch  mit  der  Prägnng  von  Silberdollars 
zu  unternehmen.  Die  von  Frankreich  für  Ann  am  und  Tonking  geprägten 
Piaster  spielen  ebenfalls  neben  den  mexikanischen  eine  untergeordnete 
Rolle  und  die  österreichischen  Levantinerthaler  können  ebenso  wenig  wie 
die  Rupien  der  deutschen  Ostafrikanischeu  Gesellschaft  mehr  Silber  nach 
dem  Osten  führen ,  als  auch  sonst  in  anderer  Gestalt  dorthin  fliefsen 
würde.  In  China  hat  sich  neben  dem  noch  vorherrschenden  Barrensilber 
als  TJmlaufsmittel  nur  der  mexikanische  Piaster  wirklich  eingebürgert. 
Es  wäre  aber  falsch,  anzunehmen,  dafs  ein  internationaler  Piaster  diesen 
leicht  verdrängen  könnte,  denn  er  verdankt  seine  Bevorzugung  nur  dem 
Umstände,  dafs  er  der  unmittelbare  Nachfolger  des  alten  ebenfalls  aus 
Mexiko  stammenden  spanischen  Säulenpiasters  ist  und  die  Chinesen  sich 
schon  seit  langer  Zeit  an  diesen  gewöhnt  hatten.  Er  erzielt  jetzt  zuweilen 
infolge  einer  zeitweise  erscheinenden  relativen  Seltenheit  ein  Agio  von 
einigen  Prozent;  bei  einem  von  allen  Staaten  geprägten  internationalen 
Piaster  aber  könnte  eine  solche  relative  Seltenheit  nicht  vorkommen  und  sein 
Handelswert  würde  daher  immer,  abgesehen  von  dem  Einfiufs  der  Präge- 
gebühr, einfach  seinem  Barrensilberwert  entsprechen.  In  Niederländisch- 
indien und,  so  lange  das  Gesetz  vom  26.  Juni  1893  in  Kraft  bleibt, 
auch  in  Britisch-Iudien  wäre  der  internationale  Piaster  nicht  zu  brauchen, 
weil  die  dort  umlaufenden  gesetzlichen  Silbermünzen  einen  erhöhten 
Kreditwert  haben  und  die  Haudelsmünze  diesen  gegenüber  einen  veränder- 
lichen Kurs  erhalten  würde.  Wenn  übrigens  die  bedeutenderen  Staaten 
die  Ausgabe  einer  silbernen  Handelsmünze,  statt  wie  bisher,  vereinzelt, 
gemeinschaftlich  unternehmen  wollten,  so  wüfste  ich  nicht,  was  sich  grund- 
sätzlich dagegen  einwenden  liefse.  Auf  den  Silberwert  würde  diese  Mafs- 
regel,  wie  gesagt,  keinen  oder  nur  einen  höchst  geringfügigen  Einfiufs 
ausüben,  aber  sie  würde  vielleicht  einen  passenden  formalen  Abschlufs 
der  Bestrebungen  zu  einer  internationalen  Lösung  der  Silberfrage  bilden. 
Man  könnte  doch  nicht  mehr  von  einer  Aechtung  des  Silbers  reden,  wenn 
alle  Kulturstaaten  dem  Weltverkehr  eine  von  alleu  anerkannte  unbe- 
schränkt und  frei  prägbare  Münze  zur  Verfügung  stellteu ,  die  aber  frei- 
lich ihren  Wert   in    sich    selbst    tragen    und  sich  ohne    die  Krücke  eines 


Miszellen.  775 

festen  gesetzlichen  Wertverhältnisses  gegen  Gold  behelfen  müfste.  Man 
könnte  ihr  auch  im  Inlande,  was  sich  eigentlich  von  selbst  versteht,  ge- 
setzliche Zahlungskraft  für  die  etwaigen  ausdrücklich  auf  Silber  lautenden 
Verpflichtungen  verleihen.  Wenn  sich  dann,  was  ich  für  zweifellos  halte; 
dennoch  die  monetäre  Verwendung  von  Silber  nicht  wesentlich  erweitert, 
so  wird  man  die  Schuld  doch  nicht  mehr  der  Goldwährung  zuschieben 
dürfen,  sondern  sie  in  der  geringeren  Tauglichkeit  des  Silbers  für  die  Geld- 
funktion auf  den  höheren  Stufen  der  wirtschaftlichen  Kultur  suchen 
müssen. 

Erwägt  man  unbefangen  den  heutigen  Zustand  der  Dinge,  insbesondere 
die  unerwartet  günstigen  Aussichten  der  Goldproduktion  für  die  nächsten 
Jahrzehnte,  so  wird  man  es  für  fast  gewifs  halten,  dafs  überhaupt  keinerlei 
internationale  Mafsregeln  zu  Gunsten  des  Silbers  stattfinden  werden.  Der 
Silberpreis  ist  infolge  des  japanisch  chinesischen  Kriegs  wieder  über  29 
und  zeitweise  sogar  bis  30  Pence  gestiegen  und  man  darf  annehmen,  dafs 
die  gröfsere  Silberausfuhr  nach  China  fortdauern  und  teilweise  einen  Er- 
satz für  die  zu  erwartende  Verminderung  der  Ausfuhr  nach  Indien  liefern 
werde.  Es  ist  daher  wahrscheinlich,  dafs  das  Silber  auch  unter  den  seit 
1893  bestehenden  Verhältnissen  nicht  unter  25  Pence  sinken,  sondern 
dafs  bei  diesem  Preise  sich  ein  gewisses  Gleichgewicht  zwischen  Produk- 
tion und  Konsumtion  bilden  werde.  Ob  die  Schliefsung  der  indischen 
Münzstätten  gegen  das  Silber  sich  endgiltig  aufrecht  erhalten  lassen  werde, 
ist  noch  abzuwarten;  würden  sie  wieder  geöffnet,  so  würde  sich  der  Silber- 
preis dauernd  wohl  um  3 — 4  Pence  höher  stellen.  Aber  auch  im  anderen 
Falle  würde  das  Silber  in  China,  Hinterindien,  wahrscheinlich  auch  in 
Japan  und  in  Mexiko  Währungsmetall  bleiben;  in  dem  abendländischen 
Kulturgebiet  aber  wird  es  nur  noch  in  untergeordneter  Weise  für  Scheide- 
münzen Verwendung  finden,  und  zwar  in  den  international  verschuldeten 
Ländern  nicht  neben  Gold,  sondern  neben  Papiergeld.  Ob  diese  Lösung 
der  Währungsfrage  die  an  sich  wünschenswerteste  ist,  soll  hier  nicht 
untersucht  werden,  aber  ich  halte  sie,  wie  gesagt,  für  die  wahrschein- 
lichste, und  zwar  keineswegs,  wie  mir  von  bimetallistischer  Seite  vor- 
gehalten worden  ist,  aus  Aerger  über  das  Geschick  meines  Antrags.  Alle 
Mitglieder  der  Kommission  werden  mir  bezeugen  können,  dafs  ich  dieses 
Geschick  mit  dem  besten  Humor  aufgenommen  habe.  Ich  habe  in  der 
That  nie  einen  praktischen  Erfolg  dieses  Antrags  erwartet  und  daher 
auch  gleich  im  Anfange  der  Diskussion  (2.  Sitzung,  Protokolle  S.  38)  ge- 
sagt, nach  der  Bemerkung,  ich  wisse  nicht,  ob  die  anderen  Staaten  bereit 
sein  würden,  auf  solche  Mafsregeln  einzugehen:  ,,Ich  halte  es,  offen  ge- 
standen, nicht  für  sehr  wahrscheinlich.  Ich  glaube,  dafs  alle  solche 
internationale  Mafsregeln  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  auf  viel  gröfsere 
Schwierigkeiten  stofsen  werden,  als  die  Freuude  des  Silbers  annehmen, 
was  ich  meinerseits  bedauere;  aber  die  Thatsache  wird  sich  in  der  Er- 
fahrung, sobald  neue  Versuche  gemacht  werden,  bald  herausstellen".  Auch 
schon  früher  habe  ich  mehrfach  meine  Ueberzeugung  ausgesprochen,  dafs 
aller  Wahrscheinlichkeit  nach  überhaupt  nichts  in  der  Silberfrage  ge- 
schehen werde  und  alle  bisherigen  Erfahrungen  haben  mich  in  dieser  An- 
sicht nur  befestigen  können. 


776      Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 


Uebersicht   über   die  neuesten  Publikationen  Deutschlands 
und  des  Auslandes. 

1.     Geschichte  der  Wissenschaft.     Encyklopädisches.     Lehrbücher.     Spezielle 
theoretische  Untersuchungen 

Baldwin,  F.  Spencer,  Die  englischen  Bergwerksgesetze.  Ihre  Geschichte  von 
ihren  Anfängen  bis  zur  Gegenwart.  Stuttgart,  J.  G.  Cotta,  1894.  gr.  8.  XIV — 258  SS. 
M.  5. — .  (A.  u.  d.  T.  :  Münchener  volkswirtschaftliche  Studien.  Herausgegeben  von 
L.   Brentano  und  W.  Lotz,    Stück  6.) 

Biographie,  allgemeine  deutsche.  Band  XXXVII  (Sturm  (Sturmi)-Thiemo.) 
Leipzig,  Duncker  &  Humblot,   1894.     Roy-8.     795  SS.     geb.  14,26. 

Ehlers,  0.,  Volkswirtschaftslehre  für  Jedermann.  Breslau,  Preufs  und  Jünger, 
1894.     8.     IV— 114  SS.     M.  0,60. 

Ein  Lehrbuch  über  den  Volkswohlstand  aus  dem  Jahre  1723  von  einem  ungenannten 
Deutschen.  Leipzig,  Duncker  &  Humblot,  1893.  8.  40  SS.  M.  0,80.  (A.  u.  d.  T.  t 
Volkswohlschriften  herausgegeben  von  (Prof.)  V.  Böhmert,  Heft  17.) 

Rümelin,    G.,    Reden    und  Aufsätze.     III.  Folge.      Freiburg  i./B.,    J.  C.   B.   Mohr, 

1894.  8.  VIII;  XX— 495  SS.  M.  6.  —  .  (Inhalt:  I.  Reden:  Ueber  die  Temperamente 
(1881).  —  König  Friedrich  von  Württemberg  und  seine  Beziehungen  zur  Landesuniversität 
(1882).  —  Die  Entstehungsgeschichte  der  Tübinger  Universitätsverfassung  (1883).  — 
Ueber  die  Lehre  vom  Gewissen  (1884).  —  Ueber  die  Arten  und  Stufen  der  Intelligenz 
(1885).  —  Ueber  die  Berechtigung  der  Fremdwörter  (1886).  —  Ueber  die  neuere  deutsche 
Prosa  (1887).  —  Ueber    den  Begriff  der  Gesellschaft  und  einer  Gesellschaftslehre  (1888). 

—  Ueber  den  Zufall  (1889).  —  II.  Aufsätze:  Justinus  Kerner  (1862).  —  Der  württem- 
bergische Volkscharakter  (1863  u.  1884).  —  Nebst  (Prof.)  Sigwarts  Gedächtnisrede  auf 
Rümelin.  — ) 

Schäffle,  A.,  Deutsche  Kern-  und  Zeitfragen.     Neue  Folge.    Berlin,  Hofmann  &  Cie  , 

1895.  gr.  8.  VII— 500  SS.  M.  10. — .  (Aus  dem  Inhalte:  Einige  neuzeitliche  Be- 
völkerungsschiebungen.  —  Die  österreichische  Wahlreform  —  Beschränkungen  an  dem 
für  das  Deutsche  Reich  geltenden  Stimmrecht  und  Wahlverfahren.  —  Politische  Zukunft 
des  Grofsgrundbesitzes.   —  Die  Wirtschaftskammern.    —    Gesamtreform    des  Agrarkredits. 

—  Bodenverstaatlichung  der   Landrelormer.  —  Die  lex  Adickes    über  Stadterweiterungen. 

—  Wesen  und  Bekämpfung  des  Wuchers.  —   Der  Wälirungsstreit.   —  Finanzpolitik.) 

Staatslexikon.  Herausgegeben  im  Auftrage  der  Görresgesellschaft  zur  Pflege 
der  Wissenschaft  im  katholischen  Deutschland  durch  A.  Bruder  (Custos  der  k.  k  Uni- 
versitätsbibliothek Innsbruck).  Heft  32.  Freiburg  i.  B.,  Herder,  1894.  gr.  Lex. -8. 
Bogen  6  — 10  von  Bd.  IV.  M.  1,50.  (Aus  dem  Inhalte:  Papst.  —  Papsttum  und  Kaiser- 
tum im  Mittelalter.  —  Paraguay.  —  Parzellenkataster.  —  Parlamentarismus.  —  Parteien, 
politische.  —  Patentgesetzgebung.    —  Patriarchie.  —  Patronatsrecht.   — ) 

v.  Treitschke,  H.,  Deutsche  Geschichte  im  XIX  Jahrhundert.  Teil  V  (bis  zum 
Jahre  1848).  Leipzig,  Hirzel  ,  1894.  gr.  8.  VIII  -  774  SS.  M.  10.—.  (Aus  dem 
Inhalte:  Wachstum  und  Siechtum  der  Volkswirtschaft:  Erweiterung  des  Zollvereins. 
Luxemburg.  Braunschweig.  Kampf  zwischen  Schutzzoll  und  Freihandel.  Eisenbahuen 
und  Geldmächte.  Soziale  Unruhen.  —  Der  Vereinigte  Landtag.  —  Der  Niedergang  des 
Deutschen  Bundes.   —  Vorboten  der  europäischen  Revolution.   —  etc.) 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     777 

Annuaire  de  l'economie  politique  et  de  la  statistique  fonciü  par  MM.  Guillaumin 
et  J.  Garnier,  eontinue  depuis  1856  par  Maur.  Block.  51»  annee :  1894.  Paris  Guillaumin 
&  O  ,   1894.     12.     815  pag.     fr.  9.—. 

Dictionnaire  des  tinances  public  sous  la  direction  de  Leon  Say  (membre  de 
l'Institut)  par  L.  Foyot  et  A.  Lanjalley  (au  Ministere  des  ünances)  Tome  II:  E. — Z. 
Paris,   Berger-Levrault  &  C>e  ,    1894.     Koy.  in-8.     XIX— 1571    pag. 

Ecole  libre  des  sciences  politiques.  Organisation  et  programme  des  cours  pour  l'annee 
scolaire  1894 — 1895.  Renseignemeuts  sur  les  carrieres  auxquelles  l'Ecole  prepare.  Paris, 
Pichon,   1894.     in-18  Jesus.      105  pag      fr.    1. — . 

Milhaud,  L.,  Les  questions  ouvrieres.  Les  reformes  possibles  et  pratiques  dans 
les  questions  ouvrieres.  Paris,  Giard  &  Briere,  1894.  8.  202  pag.  fr.  2,50.  (Som- 
maire :  Apercu  sur  les  idees  des  deux  grandes  ecoles  ^conomiques.  (Introduction.)  — 
Reformes  possibles  sous  notre  Organisation  eeonomique  actuelle:  Intervention  indirecte  de 
l'Etat  pour  ameliorer  la  Situation  de  l'ouvrier.  Iutervention  directe  dans  les  rapports 
des  patrons  et  des  ouvriers.  —  Reformes  possibles  pour  la  transformation  de  l'organi- 
sation  eeonomique  actuelle.   — ) 

Ely,  Richard  T.,  Socialism,  an  examination  of  its  nature,  its  strength  and  its 
weakuess,  with  sugtjestions  for  social  reform.  London,  Swan  Sonnenschein,  1894.  8. 
XIII — 449  pp.,  cloth.  6/ — .  (Contents:  The  nature  of  socialism.  —  The  strength  of 
socialism.  —  The  weakness  of  socialism.  —  The  golden  mean,  or  practicable  social  reform. 
Appendix:  The  Erfurt  social  democratic  program  of  October,  1891.  Basis  of  the  Fabian 
Society.  —  Program  of  the  social  democratic  federation  (of  England).  —  Manifesto  of 
the  Joint  committee  of  socialist  bodies  (of  England).  Platform  of  the  socialist  labor  parti 
of  the  U.  States  of  America.  Declaration  of  principles  of  the  nationalists.  Declaration 
of  principles  of  the  Society  of  Christian  socialists,  adopted  in  Boston,  April  15,  1889. 
Platform  of  the  central  labor  union  of  Clevelaud  (Ohio).  Statistics  of  social  democracy 
in  Germany  (whith  an  chart  showing  the  votes  received  by  the  four  largest  political 
parties).     Socialism  in   France  etc.) 

Nicholson,  J.  S.,  Historical  progress  and  ideal  socialism:  an  evening  discourse 
delivered  to  the  British  Association  at  Oxford  in  .the  Sheldonian  theatre ,  August  13, 
1894.      London,   Black,   1894.      8.      66  pp.      1/.6. 

Plato's  Republic.  Translated  by  Th.  Taylor.  Edited  with  an  introduction  by 
Th.  Wratislaw.     London,  W.   Scott,   1894.      12.     306   pp.      1/.6. 

Arcangeli,  F.  (avvocato),  Le  evoluzioni  della  proprietä:  conferenza  tenuta  alla 
lega  socialista  di  Bergamo  il  7  giugno  1894.  Milano,  ,,Critica  sociale"  edit.,  1894. 
16.      14  pp. 

Ferri,  E.  (avvocato),  Sunto  della  conferenza  sul  socialismo,  tenuta  a  Montepulciano 
il   13  aprile   1894.     Montepulciano,  tip.   Fumi,   1894.      16.      24  pp. 

Mazzini,  Gius.,  Scritti  politica  ed  economica.  Vol.  I.  Milano,  tip.  E.  Sonzogno 
edit.,   1894.      16.     382   pp.     1.    1. — .     (Biblioteca  classica  economica,  N°   100.) 

Perrone,  Fr.  (avvocato),  L'idea  sociale  nel  diritto  comrnerciale.  Napoli,  L.  Pierro, 
1894.     8.     52  pp.     1.   1. 

Pozzoni,  C.,  Bilancio  e  ricchezza  nazionale.  Genova,  tip.  A.  Ciminago,  1894. 
8.     31   pp. 

2.     Geschichte  und  Darstellung  der  wirtschaftlichen  Kultur. 

v.  B  e  n  k  o,  J.  (Frh.),  Die  Reise  S.  M.  Schiffes  „Zrinyi"  nach  Ostasien  (Yang-tsee-kiang 
und  Gelbes  Meer)  1890  —  1891.  Wien,  C.  Gerolds  Sohn,  1894.  gr.  8.  XI— 439  SS. 
mit  1   Reiseskizze  u.   8  lithogr.   Tafeln.     M.  6. — . 

Middendorf,  E.  W.,  Peru.  Betrachtungen  und  Studien  über  das  Land  und  seine 
Bewohner  während  eines  25-jährigen  Aufenthalts.  Bd.  II:  Das  Küstenland  von  Peru. 
Berlin,  Oppenheim,  1894.  gr.  8.  XIl-425  SS.  Mit  56  Textbildern  und  38  Tafeln 
nach  eigenen  photographischen  Aufnahmen  sowie   2  Karten.     M.    12. — . 

Radde,  G.  und  E.  Koenig,  Das  Ostufer  des  Pontus  und  seine  kulturelle  Ent- 
wickelung  im  Verlaufe  der  letzten  dreifsig  Jahre.  Varläufiger  Bericht  über  die  Reisen 
im  kokbischen  Tieflande,  Adsharien,  am  Ostufer  des  Schwarzen  Meeres,  am  Unterlaufe 
des  Kuban  und  über  die  Durchquerung  der  Hauptkette  von  Psebai  nach  Sotschi  im 
Sommer  1893.  Gotha,  J.Perthes,  1894.  Roy.-8.  IV— 120  SS.  mit  Karte  des  nordwestl. 
Kaukasus  und    kartographischer  Darstellung  des  gegenwärtigen  Vorkommens    des  Wisents 


778     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

(Auer)  im  Kaukasus.  M.  6,40.  (A.  u.  d.  T. :  Petermanns  Mitteilungen  etc.  Hrsg.  von 
(Prof.)  A.   Supan.     Ergänzungsheft    112.) 

Schmidt,  E.,  Die  Vorgeschichte  Nordamerikas  im  Gebiet  der  Vereinigten  Staaten. 
Braunschweig,  Vieweg  &  Sohn,  1894.  gr.  8.  216  SS.  mit  15  Abbildungen  u.  1  Tefel. 
M.  5.— 

Schoost,  O.  (Pastor  zu  St.  Katharina  in  Hamburg),  Vierlanden.  Beschreibung  des 
Landes  und  seiner  Sitten.  Hamburg,  Jürgensen  &  Becker,  1894.  8.  50  SS.  mit  17  Ab- 
bildungen im  Text.     M.   1,20 


Hagemans  (consul  general  de  Belgique) ,  Situation  6conomique  des  Etats-Ünis 
d'Amerique  en  1893.  Rapport.  Bruxelles,  Weifsenbruch,  1894.  8.  114  pag.  fr.  1,50 
(Extrait  du  „Recueil  consulaire".) 

Levasseur,  E,  Sur  l'expansion  de  la  race  europeenne  hors  d'Europe  dequis  la 
decouverte  de  l'Amerique.     Genova,  tip.   Sordomuti,    1894.     8.      15  pag. 

B  a  x ,  E.  B.,  German  society  at  the  close  of  the  middle  ages.  London,  Sonnen- 
schein,  1894.     8.     266  pp.     5/. — . 

Coote,  C.  H.,  The  voyage  from  Lisbon  to  India,  1505 — 1506:  being  an  account 
and  Journal  by  Albericus  Vespuccius.  Translated  from  the  contemporary  Flemish ,  and 
edited,  with  prologue  and  notes.     London,  B.    F.   Stevens,   1894.     4.      15/. — . 

Er  man,  A.,  Life  in  ancient  Egypt  described.  Translated  by  H.  M.  Tirard,  London, 
Macmillan,  1894.  Roy. -8.  574  pp.  with  400  illustrations  in  the  text,  and  11  plates 
21/.-. 

Prices  and  wages  in  India      Xth  issue.     Calcutta   1893.     4. 

3.     Bevölkerungslehre  und  Bevölkerungspolitik.     Auswanderung  nnd  Kolonisation. 

Bevölkerungswechsel,  der,  in  der  Stadt  Leipzig  im  Jahre  1893.  Leipzig, 
Imp.-quer-folio.     45  Tafeln,  bearbeitet  im  statistischen   Amt  der  Stadt  Leipzig. 

Brück,  F.  Fr.  (Prof,  Breslau),  Fort  mit  den  Zuchthäusern!  Breslau,  W.  Koebner, 
1894  gr.  8.  IV— 67  SS.  M.  1,50.  (Inhalt:  Die  Deportation.  —  Zur  Verwaltung  der 
Strafkolonien.  —  Die  Schutzgebiete  des  Deutschen  Reiches  mit  Beziehung  auf  die  Depor- 
tation.  —   Die   Frauenfrage  in  den  Strafkolonien.   —  etc.) 

Do  bl  hoff,  J.,  Beiträge  zum  Quellenstudium  Salzburgiscber  Landesurkunde,  etc. 
Heft  4:  Zur  Emigrationslitteratur ,  etc.  Salzburg,  Mayrische  Bhdl. ,  1894.  gr.  8. 
4  Bogen.     M.    1,20. 

Gloy,  A.,  Der  Gang  der  Germanisation  in  Ost-Holstein.  Kiel,  Lipsius  &  Tischer, 
1894.     Roy    8.     43   SS.  mit  Karte.     M.   1,20. 

H  e  y  d  e  r  ,  F.,  Beiträge  zur  Frage  der  Auswanderung  und  Kolonisation.  Langen- 
salza, Wendt  &  Klauwell,   1894.     8       112  SS.     M.   1,50. 

Zemmrich,  J,  Verbreitung  und  Bewegung  der  Deutschen  in  der  französischen 
Schweiz.  Stuttgart,  Engelhorn,  1894.  gr  8.  45  SS.  mit  1  Karte.  M.  3.80.  (A  u.  d.  T. : 
Forschungen   zur  deutschen   Landes-  u.  Volkskunde,  hrsg.  v.  Kirchhoff,   Bd.  VIII,  Heft  5.) 


Annuaire  de  la  Guadeloupe  et  dependances.  Ann^e  1894.  Basse-Terre,  imprim. 
du  gouvernement,   1894.     8.     599   pag.     fr.    6,50. 

Manuel  d'hygiene  coloniale.  Paris,  Challamel,  1894.  8.  VIII — 88  pag.  fr.  1. — . 
(Publieations  de  l'Union  coloniale  fraucaise,   N°   4) 

Immigration  and  passenger  movement  at  ports  of  the  United  States  during  the 
year  ending  June  30  1893.  Report  of  the  Chief  of  the  Bureau  of  statistics.  Washington, 
Government  printing  Office,  1894.  gr.  in-8.  64  pp.,  cloth.  (Publication  of  the  Treasury 
Department.) 

4.     Bergbau.     Land-  und  Forstwirtschaft.     Fischereiwesen. 

OetkeD,  Fr.,  Die  Landwirtschaft  in  den  Vereinigten  Staaten  von 
Nordamerika,  sowie  die  allgemeinen  wirtschaftlichen  und  Kulturverhält- 
nisse dieses  Landes  zur  Zeit  des  Eintritts  Amerikas  in  das  fünfte  Jahr- 
hundert nach  seiner  Entdeckung.  Berlin  1893.  Verlag  von  Paul  Parey. 
846  SS. 

Verfasser  stützt  sich  in  seinem  Werke  sowohl  auf  eigene  Anschau- 
ungen und  Studien,    welche    er    bereits     1877/9    in    zweijähriger  Reise  in 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.      779 

Nordamerika  gesammelt,  als  benutzt  vornehmlich  die  bis  jetzt  mafsgebende 
landwirtschaftliche  Litteratur,  so  die  bekannten  Werke  von  Heinrich  Semler, 
von  Prof.  Dr.  Sering,  von  Prof.  Dr.  Wilkens,  welche  er  eifrig  citiert,  und  von 
anderen.  Zudem  verwertet  er  amtliche  Berichte  und  bietet  mannigfaltige, 
sehr  wertvolle  statistische  Zusammenstellungen,  welche  bis  zum  Jahre  1891 
zu  reichen  pflegen. 

Das  Buch  ist  in  grofsen  Zügen  angelegt,  übersichtlich  und  geschickt 
disponiert  und  enthält  auch  viele  gelungene  Einzeldarstellungen,  so  dafs 
es  sich  nicht  nur  zum  Nachschlagen,  sondern  auch  zur  Lektüre  eignet. 
Verfasser  ist  ein  grofser  Bewunderer  nahezu  alles  Amerikanischen.  Er 
würde  in  vielem  in  seiner  Bewunderung  nicht  so  weit  gehen ,  wenn  er 
mit  den  intensiven  landwirtschaftlichen  Betrieben  insbesondere  West-  und 
Mitteldeutschlands,  sowie  Schlesiens  vertraut  wäre.  Dafs  dem  Verfasser 
die  Kenntnis  unserer  rationellsten  Landwirtschaft  mehr  oder  minder  fehlt, 
trägt  sehr  viel  dazu  bei,  der  amerikanischen  Landwirtschaft  ungebühr- 
liches Lob  zu  spenden.  Die  landwirtschaftlichen  Betriebe  der  Vereinigten 
Staaten  sind  fast  durchweg  sehr  einseitiger  und  roher  Natur,  so  dafs  ein 
Vergleich  mit  unserer  entwickelten  vielseitigen  und  in  hohem  Grade  kunst- 
fertigen und  wissenschaftlichen  Landwirtschaft,  wie  sie  in  jenen  Teilen 
Deutschlands  angetroffen  wird,  überhaupt  nicht  zulässig  ist.  Wenn  die 
amerikanischen  Betriebe  bis  jetzt  so  sehr  prosperierten,  so  haben  sie  das 
neben  der  Regierungsfürsorge  vornehmlich  den  hohen  Getreidepreisen  zu 
danken,  welche  bis  1892  vorlagen.  Heute,  wo  sie  nicht  mehr  sind,  hat 
der  amerikanische  Farmer  in  gleicher  Weise  mit  Sorgen  zu  kämpfen,  wie 
der  europäische  Landmann. 

Wenn  Verfasser  die  wirtschaftlichen  Fähigkeiten  und  den  wirtschaft- 
lichen Charakter  der  Amerikaner  uns  als  leuchtende  Beispiele  hinstellt, 
so  hat  das  in  hohem  Grade  Berechtigung.  Es  ist  jedoch  auch  drüben 
nicht  alles  Gold,  was  glänzt,  und  es  giebt  drüben  auch  sehr  viel  Bedenk- 
liches im  Wirtschaftsleben  des  amerikanischen  Volkes.  Das  lehrt  die 
immer  noch  herrschende  Geschäftskrisis,  welche  bereits  ein  volles  Jahr 
währt,  und  zeigen  ferner  die  keineswegs  unbedenklichen  Arbeiterunruhen 
in  Chikago  und  anderen  Städten,  welche  man  in  Europa  als  offenen  Auf- 
ruhr bezeichnen  würde.  Mir  will  es  scheinen,  als  ob  der  Verfasser  voll- 
ständig verkennt,  dafs  das  amerikanische  Volk  seit  1879  zwar  einen  noch 
grofsen  Teil  seiner  guten  Eigenschaften  beibehalten  hat,  dafs  es  jedoch 
seine  weniger  vorteilhaften  seitdem  keineswegs  verminderte.  Niemand  kann 
all  die  rosigen  Auffassungen  von  der  amerikanischen  Landwirtschaft,  welche 
Verfasser  rühmt,  teilen,  der  1893  das  Land  mit  genügender  Sachkenntnis 
bereiste. 

Das  Buch  gliedert  sich  in  folgende  23  Kapitel :  Kurzer  Abrifs  der 
Landesgeschichte,  wirtschaftliche  Entwickelung  des  Landes,  Allgemeines 
über  die  Landwirtschaft.  Bodenverhältnisse.  Klima.  Landeinteilung  und 
Lage  und  Form  der  Farmen.  Erwerbung  von  Farmen  als  Eigentum  und 
Pachtung;  Landpreise,  Staatsheimstättenrecht,  Preise  von  Produkten  und 
Wirtschaftsrequisiten.  Ackerbau.  Viehzucht.  Molkereiwesen  und  land- 
wirtschaftliches Ausstellungswesen.  Obst-,  Garten-  und  Gemüsebau.  Forst- 
wirtschaft.    Geräte  und  Maschinen.     Gebäude.    Verkehrsanstalten.    Lebens- 


780     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

weise  auf  dem  Lande.  Soziale  Verhältnisse.  Arbeitsleistungen.  Die  ameri- 
kanischen Frauen.  Vereinswesen.  Schulwesen.  Steuerverhältnisse.  Aus- 
wandererverhältnisse. Konkurrenz  Nordamerikas.  Dazu  Nachträge  etc. 
Trotz  mancherlei  kurzsichtiger  Auffassungen,  welche  sich  in  dem  Werke 
finden,  und  welche  wohl  vermieden  wären,  wenn  der  Verfasser  statt  1879 
1892  Amerika  bereist  hätte,  ist  das  Oetkeu'sche  Werk  dennoch  sehr  zu 
empfehlen.  Es  schafft  von  allen  über  die  amerikanische  Landwirtschaft 
—  und  was  damit  zusammenhängt  —  geschriebenen  Büchern  ein  recht 
umfassendes  und  eindringendes  Verständnis,  so  dafs  ihm  eine  bleibende 
Bedeutung  innewohnt. 

Bonn.  Wohltmann. 

v.  Hagen,  O.  (weil.  Oberlandforstmeister),  Die  forstlichen  Verhältnisse  Preufsens. 
3.  Aufl.  bearbeitet  nach  amtlichem  Material  von  (Oberlandforstmeister)  K.  Donner.  2  Bände. 
Berlin,  J.  Springer,   1894.     Roy -8.     geb.     XIII—  310  u.  VI— 419  SS. 

Handbuch  des  Grundbesitzes  im  Deutschen  Reiche.  Nach  amtlichen  etc.  Quellen 
bearbeitet  von  P.  Ellerholz,  E.  Kirstein  ,  Tr.  Müller  und  G.  Volger.  I.  Das  Königreich 
Preufsen,  Lieferung  4 :  Provinz  Westpreufsen.  3.  Aufl.  Berlin,  Nicolai,  1894.  gr.  8. 
XXX — 286  SS.  M.  8 — .  (Mit  Angabe  sämtlicher  Güter,  ihrer  Qualität,  ihrer  Gröfse  und 
Kulturart,  ihres  Gruudsteuerreinertrages,  der  Züchtungen  spezieller  Viehrassen,  Verwertung 
des  Viehstandes.  —  etc.) 

Jahresbericht  üher  die  Fortschritte  auf  dem  Gesamtgebiete  der  Agrikulturchemie. 
Neue  Folge,  XVI,  1893  (der  ganzen  Reihe  Jährte.  XXXVI).  Unter  Mitwirkung  genannter 
Autoren  herausgegeben  von  (Proff.  Drr.)  A.  Hilger  und  Th.  Dietrich.  Berlin,  Parey, 
1894.     gr.   8.     XXXII— 556   SS.      M.   24.—. 

Kralic,  F.  W.  (Ritter  v.  Wojnarowsky)  ,  Die  Verbreitung  des  Stein-  bezw.  Kali- 
salzlagers in  Norddeutschland  und  die  geschichtliche  Entwickelung   der  Kaliindustrie. 

Martiny,  B.,  Die  Milchversorgung  Berlins  im  Auftrag  der  Deutschen  Landwirt- 
schaftsgesellschaft auf  Grund  besonderer  amtlicher  Erhebungen  dargestellt.  Berlin,  Parey, 
1894.     8.      18  SS.   mit  K. 

Meitzen,  A.  (Prof.,  kais.  GRegR.  a.D.),  Der  Boden  und  die  landwirtschaftlichen 
Verhältnisse  des  preufsischen  Staates.  Band  V.  (Nach  dem  Gebietsumtange  der  Gegen- 
wart.) Berlin,  Parey,  1894.  gr.  Lex.-8.  XVIII— 564;  317  SS.  M.  15.  —  .  (Im  Auf- 
trage des  k.  Ministeriums  der  Finanzen  und  des  k.  Ministeriums  für  Landwirtschaft. 
Domänen  und  Forsten  dargestellt.) 

Militärverwaltung,  die,  in  ihrem  Verhältnis  zur  Landespferdezucht.  Dresden. 
Druck  von  C.  Heinrich,   1894.     gr.  8.      6   SS.   u.   5  Tafeln 

Pf  ibil,  C-,  Die  Schälung  des  Getreides  und  deren  Wert  für  die  Volksernährung. 
Wien,  Seidel  &  Sohn,   1894       8.     23  SS.  mit  4  Tafeln. 

Schmeisser  (BergR.),  Ueber  Vorkommen  und  Gewinnung  der  nutzbaren  Mineralien 
in  der  Südafrikanischen  Republik  (Transvaal)  unter  besonderer  Berücksichtigung  des  Gold- 
bergbaues. Bericht  über  eine  im  Auftrage  des  k.  preufs.  Herrn  Ministers  für  Handel 
Gewerbe  nach  Südafrika  unternommene  Reise.  Berlin,  Dietrich  Reimer,  1894.  Roy.-8. 
VII— 151   SS.   mit  19  Karten  und  Tafein. 

Schwappach,  A.,  Forstpolitik,  Jagd-  und  Fischereipolitik.  Leipzig,  Hirschfeld, 
1894.  gr.  8.  XII— 396  SS.  M.  10.—.  (A.  u.  d.  T. :  Hand-  und  Lehrbuch  der  Staats- 
wissenschaften herausgegeben  von  Kuno  Frankenstein,  I.  Abteilung:  Volkswirtschafts- 
lehre, Bd.   10.) 

Unger,  Th.,  Kommt  der  Krach?  Ein  offenes  Wort  über  die  Grundstücks-  und 
Häuser-Bauspekulation  in  Hannover,  als  Beitrag  zur  Beleuchtung  der  Immobilienspekulation 
in  grofsen  Städten.     Hannover,  Manz  &  Lanjje,  1894.     8.     52  SS.     M.  0,60. 

Verhandlungen  des  IV.  Oesterreichischen  Agrartages  1893.  Wien,  W.  Frick. 
1894.     gr.  8.     186  SS.     M.   4.—. 

Verwaltungsbericht  über  den  Betrieb  des  Vieh-  und  Schlachthofes  der  Stadt 
Nürnberg  für  das  erste  und  zweite  Betriebsjahr  1892  und  1893.  Erstattet  durch  Direktor 
Rogner.      2  Hefte.     Nürnberg,  Druck  von  Thümmel,   1893—94.     8. 

Verwaltungsbericht  über  den  Betrieb   des  Vieh-  und  Schlachthofes   der  Stadt 


Uebersicbt  über  die  neuesten   Publikationen   Deutschlands  und  des  Auslandes.      781 

Nürnberg  für  das  erste  und  zweite  Betriebsjahr  1892  und  1893.  Erstattet  durch  Direktor 
Rogner.      2.   Heft.     Nürnberg,  Druck  von   Thümmel,   1893  —  94.     8. 

Verzeichnis  der  iun  OBergABez.  Bre.-dau  am  1.  I.  1894  betriebenen  Bergwerke 
und  ihrer  Schächte.  Beuthen  O /S.,  Wylczol  &  C°,  1894.  4.  46  SS.  (Sonderabdruck 
aus  der  „Zeitschrift  des  Oberschlesischen  Berg-  und  Hüttenmännischen  Vereins" ,  Juli- 
Augustheft   1894.) 

Werschinger,  F.  L.  (k.  bayer.  Bezirkshauptmann  a.  D.) ,  Die  Unfallverhütung 
in  der  Land-  und  Forstwirtschaft.  Vorschläge  für  Unfallverhütungsvorschriften  etc. 
München,  Schweitzers  Verlag,   1894.     8.      192   SS.      M.   2,50. 


Co  11  et,  O.,  La  culture  du  cafe.  Le  Liberia.  Bruxelles,  P.  Weissenbruch,  1894. 
8.     24  pag.      fr.   1,50.     (Extrait  de  la  „Revue  de  Belgique.",) 

Girard,  A.  (de  l'lnstitut),  Application  de  la  pomme  de  terre  ä  l'alimentation  du 
betail ;  production  de  la  viaude.  Paris,  imprim.  nationale,  1894.  8.  41  pag.  avec  dia- 
grammes. 

Piret,  J.,  La  production  agricole  indigene  et  la  concurrence  etrangere,  consequence 
necessaire  de  la  lutte.  Bruxelles,  Weissenbruch,  1894.  8.  72  pag.  fr.  1,50.  (Extrait 
de  la  ,. Revue  de  Belgique".) 

M  i  n  e  s.  Reports  of  H.  Maj's  Inspectors  of  mines  to  the  Home  Office  on  their 
various  districts  for  the  year  1893.  14  parts.  London,  printed  by  Eyre  &  Spottiswoode, 
1894.     Folio.     With  maps  and  diagrams    10/  10.     (Parlianientary  paper.) 

CpeaHiii  c6opT>  x.ii6oBt  h  KapTO-teJi/i  3a  aecjrniJriTie  1883 — 92  rr.  bt>  60  ry- 
öepHiax'B  EBponeiicKoä  Poccin  no  othohichüo  kt>  HapoaHOMy  npoÄOBOja>CTBiio  C.-IIeTep- 
öypri  1894  Lex.  in-8.  112  pp.  (Getreide-  und  Kartoffeldurchschnittsemte  in  [ein- 
schliefslich  der  Weicbselgouvernements]  sämtlichen  60  Gouvernements  des  europäischen 
Rufslands.  Herausgegeben  von  der  kais.  russischen  statistischen  Centralkommission.  A.  u. 
d.   T. :  Jahrbücher  der  kais.  russ.  Centralkommission  im  Ministerium  des  Innern,  Heft  34.) 

Relazione  generale  sul  servizio  minerario  nel  1893.  Roma,  tipogr.  Bertero,  1894. 
Lex.  in-8.  105  pp.  (Pubblicazione  del  Corpo  reale  delle  miniere.  Estratto  della  „Rivista 
mineraria"  del   1893.) 

5.     Gewerbe  und  Industrie. 

Weber,  0.,  Die  Entstehung  der  Porzellan-  und  Steingutindustrie 
in  Böhmen.     Prag   1894.      128   S. 

Der  Verf.  bietet  uns  eine  sehr  gewissenhafte  aktenmäfsige  Darstellung 
der  Entstehung  und  der  ferneren  Schicksale  einer  jeden  der  von  1791 
bis  1850  in  Böhmen  gegründeten  Porzellan-  und  Steingutfabriken,  ver- 
bunden mit  dtn  aktenmäfsigen  Belegen  der  aufgeführten  Fukta.  Obgleich 
von  anderem  (national-historischen)  Interesse  geleitet,  gewährt  die  Schrift 
auch  dem  Nationalökonomen  eine  Anzahl  interessanter  Daten,  deren  Nutz- 
barmachung allerdings  völlig  der  eigenen  Arbeit  des  Lesers  überlassen 
bleibt.  Ist  dieseJbe  darum  auch  nicht  als  anregend  zu  bezeichnen,  so 
sind  doch  andererseits  die  Nachrichten  gerade  in  dieser  durch  keine 
wissenschaftliche  Verarbeitung  verwischten  Unmittelbarkeit  für  die  eigene 
Verwertung  durch  den  Nationalökonomen  besonders  geeignet.  Die  Schrift 
liefert,  abgesehen  von  monographischem  Interesse,  insbesondere  für  das 
Verhältnis  des  Staats  zum  Wirtschaftsleben  um  die  Wende  des  18.  und 
19.  Jahrhunderts,  sowie  für  die  Erfordernisse  und  die  Art  und  Weise 
des  Autkommens  der  kapitalistischen  Betriebsweise  einige  interessante 
Beiträge,  bei  welcher  Benutzung  für  allgemeinere  Fragen  allerdings  die 
Eigentümlichkeit  des  behandelten  Fabrikationszweiges  als  eines  voll- 
kommen neu  auftauchenden  wird  iu  Betracht  gezogen  werden  müssen. 
So  scheint  das  häufige  Hervortreten  des  Mangels  an  Betriebskapita],  sowie 
des  Mangels  in  der  technischen  Leitung  auf  Bechnung  dieser  Eigentüm- 
lichkeit gesetzt  werden  zu  müssen,  indem  die  Neuheit   des  Problems  viele 


782     Uebersicht  über  die  neuesten   Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

weder  durch  kaufmännische  Umsicht,  noch  durch  technische  Bildung 
qualifizierte  Männer  zum  Experimentieren  anreizte.  Von  Interesse  ist 
unter  anderem  die  hervortretende  grofse  Bedeutung  des  Arbeiters  für  die 
Produktion,  welche  sich  in  hohen  Löhnen  und  den  Versuchen,  tüchtige 
Arbeiter  dem  Konkurrenten  zu  entführen,  äufsert,  der  Zug  nach  kapi- 
talistischer Gestaltung  des  Gewerbes  und  das  rastlose  Streben  nach  Ver- 
besserung des  Fabrikats. 

Naumburg  a.  Q.  K.  Steinitz. 

Fabrikgesetzgebung,  die,  des  russischen  Reiches.  Uebersetzt  nach  der  Aus- 
gabe der  Gewerbeordnung  (Bd.  XI,  Teil  2  des  Codex  der  Reichsgesetze)  von  1887  und 
nach  den  Fortsetzungen  von  1890,  1891  und  1893.  Riga,  N.  Kymmel,  1894.  8.  48  SS. 
M.   2.—. 

Gronert,  C.  (Ingenieur  U.Patentanwalt),  Gesetz  zum  Schutz  der  Warenbezeichnungen 
vom  12  V.  1894  mit  Erläuterungen.  Berlin,  Fischer's  technol.  Verlag,  1894.  12.  32  SS. 
M.  0,60. 

Hach,  T  h. ,  Zur  .Geschichte  der  Lübeckischen  Goldschmiedekunst.  Lübeck, 
B.  Nöhring,   1893.     8.     42  SS.     M.   1.—. 

Intze,  O.  (Prof.,  Aachen),  Gutachten  erstattet  im  Juni  1894  über  die  Nutzbar- 
machung erheblicher  Wasserkräfte  für  industrielle  Zwecke  durch  den  Masurischen  Schiff 
fahrtskanal.     Berlin,  Heymann,  1894.     Folio.     12  SS.  mit  3  Tafeln. 

Jungschläger,  W.,  Quebrachoholzzoll.  Seine  Bedeutung  für  den  Gerberei-  und 
Schälwaldbetrieb  und  für  die  gesamte  Leder  verbrauchende  Bevölkerung  des  Deutschen 
Reiches.  Köln  a/Rh.,  P.  Neubner,  1894.  kl.  8.  20  SS.  (Sonderabdrnck  aus  der 
„Deutschen  Gerberzeituug".) 

Königsberger,  Fr.  P.  (KammerGRef),  Die  Kaufmannseigenschaft  des  Hand- 
werkers.    Berlin,   Driesner,   1894.      8.     34   SS.     M.  0,75. 


Compte  rendu  des  seances  du  17e  congres  des  ingenieurs  en  chef  des  associations 
de  proprietaires  d'appareils  k  vapeur  tenu  ä  Paris  en  1893.  Nancy,  imprimerie  Berger- 
Levrault,    1894.     gr.  in-8.     IV — 260  pag.  avec  7  planches  in-imper.-obl.-folio. 

Goffaux,  F.  (cultivateur  et  fabricant  de  tabacs  ä  Obourg),  Projet  de  fondation 
d'une  societe  pour  l'exploitation  du  monopole  des  tabacs  d'Obourg.  Rapport  et  annexes 
au  rapport.      Bruxelles,   Weissenbruch,   1894.     8.      16  et   12  pag. 

Hirsch,  A.  (etudiant  en  droit  ä  l'Uuiversite  libre  de  Bruxelles),  Les  lois  ouvrieres 
en  Grande-Bretagne.  Bruxelles,  H.  Lamertin,  1894.  8.  58  pag.  fr.  1,50.  (Extrait  de 
la  ,, Revue  universitäre.") 

Jones,  Benj.,  Co-operative  production.  With  prefatory  note  by  A.  H.  Dyke 
Acland.  (Vice-President  of  the  Committee  of  Council  on  education.)  2  volumes.  Oxford, 
Clarendon  Press,  1894.  8.  VIII— 839  pp. ,  cloth.  15/. — .  (Contents:  Introductory 
sketch  of  co-operation.  —  Robert  Owen's  remedy.  —  Community  experiments.  —  Labour 
exchanges.  —  Redemption  societies.  —  Christian  socialist  associations.  —  Before  limited 
liability.  —  With  limited  liability.  —  Domestic  production.  —  Com  milling.  —  The 
wholesale  societies.  —  Cotton  factories.  —  Woolen  factories.  —  Sundry  textile  and 
kindred  societies.  —  Boot  and  shoe  societies.  —  Efforts  in  the  iron  trades.  —  Colliery 
failures.  —  Associations  in  the  building  and  allied  trades.  —  Printing,  Publishing,  and 
paper  making.   —  Success  and  failure  in  agriculture.  —  Profits,  and  profits-sharing    —  etc.) 

Mac  George,  G.  W.,  Ways  and  works  in  India.  London,  Constable  &  C°,  1894. 
8.  566  pp.  with  4  maps.  (Account  of  the  native  and  european  engineering  works  in 
India  from  the  earliest  times,  with  special  referenee  to  canals,  railways  and  bridges.) 

N  a  s  m  i  t  h  ,  J.,  Recent  cotton  mill  construction  and  engineering  London,  Hey- 
wood, 1894.     8.     270  pp.     4/.6. 

Verslagen  van  de  inspecteurs  van  den  arbeid  in  het  koninkrijk  der  Nederlanden 
over  1893.     (IV  jaargang.)     'sHage,  gebr.  van  Cleef,   1894.     4.     451   blz.     fl.   2,50. 

Uitkomsten  der  beroepsstelling  (Berufszählung)  in  het  koninkrijk  der  Neder- 
landen op  den  31.  December  1889.  Uitgegeven  op  last  van  het  Departement  van  binnen- 
landsche  zaken.  'sHage,  van  Weelden  &  Mingelen,  1894.  folio.  Provincie  Noordholland 
(4  en  547  blz.).  fl.   2.—     Provincie  Zuidholland  (4  en  691   blz.).     fl.   2 . 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     783 

6.     Handel  und  Verkehr. 

Aus  der  Praxis  der  Handelskammern.  Beiträge  zur  praktischen 
Nationalökonomie,  herausgegeben  von  Dr.  R.  Stegemann.  Band  I, 
Oppelu,   Eugen  Franck's   Buchhandlung.      1892.      178  SS.      8°. 

Unter  obigem  Titel  hat  der  Herausgeber  eine  Anzahl  von  Arbeiten 
zusammengefafst,  welche  er  in  seiner  Eigenschaft  als  Sekretär  der  Oppelner 
Handelskammer  derselben  im  Jahre  1891/92  als  Berichte  vorgelegt  hat. 
Drei  dieser  Berichte,  Untersuchungen  über  die  Lage  der  Katscher  Weberei, 
über  die  Kleineisenindustrie  der  Stadt  Kieferstädtel  und  über  die  Lage 
der  hausindustriellen  Korbmacherei  in  Oberschlesieu  enthaltend,  dürfen 
bei  dem  Interesse,  welches  man  monographischen  Darstellungen  der 
Hausindustrie  gegenwärtig  entgegenbringt,  auf  allgemeinere  Beachtung 
Anspruch  machen;  sie  sind  in  diesen  Jahrbüchern,  III.  Folge,  Band  VI, 
Seite  736  ff.  bereits  besprochen  worden.  Die  übrigen  neun  Berichte  be- 
handeln folgende  Gegenstände:  Ergebnisse  einer  Umfrage,  betreffend  die 
Abschaffung  der  Jahrmärkte  in  Oberschle^ien ;  Uebersicht  über  die  für 
die  Ausgestaltung  der  Interessenvertretung  in  Preufsen  gemachten  Vor- 
schläge; ist  die  Errichtung  obligatorischer  kaufmännischer  Fortbildungs- 
schulen im  Regierungsbezirk  Oppeln  anzustreben  ?  die  Regelung  der 
Sonntagsruhe  im  kaufmännischen  Gewerbe  Oberschlesiens;  UeberÜufs  an 
Kleingeld;  Denkschrift,  betreffend  den  Bau  einer  Eisenbahn  Gleiwitz- 
Kiet'erstädtel-Nendza;  Vorschläge  für  die  Ausgestaltung  der  Interessen- 
vertretung in  Preufsen;  summarischer  Ueberblick  über  die  Wirksamkeit 
der  Handelskammer  im  Berichtsjahr  1891;  statistische  Uebersicht  über 
die  kaufmännischen  Vereine  Oberschlesiens  und  die  von  ihnen  ins  Leben 
gerufenen  kaufmännischen  Fortbildungsschulen  vor  dem  1.  April  1892. 
Diese  Berichte  mögen  in  dem  Jahresbericht  der  Oppelner  Handelskammer 
sehr  am  Platze  sein.  Als  wissenschaftliche  „Beiträge  zur  praktischen 
Nationalökonomie"  dargeboten  köunen  sie  teils  wegen  ihrer  lediglich 
lokalen  Bedeutung,  teils  wegen  ihrer  mangelhaften  Durcharbeitung  nicht 
befriedigen. 

Sollten  übrigens,  wie  es  nach  dem  Titel  des  Buches  der  Wunsch 
des  Verf.'s  sein  mufs,  die  ähnlichen  Berichte  auch  der  anderen  preufsischen 
oder  deutschen  Handelskammern  in  diesem  Sammelwerk  fortlaufend  Auf- 
nahme finden,  so  würde  damit  für  die  eigentlichen  Handelskammerberichte 
eine  sehr  zwecklose  Konkurrenz  geschaffen,  denn  es  ist  nicht  einzusehen, 
inwiefern  die  Absicht  des  Verf's.,  Wissenschaft  und  Praxis  einander  näher 
zu  bringen,  durch  jene  Veröffentlichung  besser  erreicht  werden  könnte, 
als  durch  die  Jahresberichte  der  Handeibkammern.  Diese  erfreuen 
sich  auch  außerhalb  des  Kreises  der  Gewerbetreibenden  mit  Recht  allge- 
meiner Beachtung,  und  je  mehr  sie  durch  Mitteilung  von  Berichten  über 
volkswirtschaftliche,  finanzwirtschattliche  und  sozialpolitische  Einzelfragen 
vervollständigt  werden,  einen  umso  größeren  Nutzen  wird  auch  die 
Wissenschaft  aus  ihnen  zu  ziehen  vermögen.  Letzteres  könnte  dadurch 
sehr  erleichtert  werden,  dafs  die  Ansichten  und  Wünsche  der  Handels- 
kammern hinsichtlich  solcher  Fragen  ab  und  zu  von  wissenschaftlichen 
Gesichtspunkten  aus  übersichtlich  zusammengefafst  würden.  Mehrere  Auf- 
sätze von  Prof.  Dr.  van  der  Borjjht  in  diesen  Jahrbüchern    bieten  in  der 


784     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Beziehung  sehr  beachtenswerte  Vorbilder,  während  die  Stegemann'sche 
Veröffentlichung  diesem  thatsächlich  vorhandenen  Bedürfnisse  in  keiner 
Weise  Rechnung  trägt. 

Köln.  Dr.  A.  Wirminghaus. 

Hüll,  Charles  Henry,  Die  deutsche  Beichspaketpost.  (A.  u. 
d.  T. :  Sammlung  nationalökonomischer  und  statistischer  Abhandlungen 
des  staatswissenschaftlichen  Seminars  zu  Halle  a.  S.,  hersgg.  von  Dr. 
J".  Conrad,  Bd.  VIII,  Heft  3).  8°.  161  SS.  Jena,  1892,  Gustav 
Fischer. 

Die  vorliegende  Arbeit,  deren  Besprechung  an  dieser  Stelle  sich 
durch  zufällige  Umstände  verzögert  hat,  ist  die  erste,  die  sich  in  ein- 
gehender Weise  mit  der  deutschen  Paketpost  beschäftigt.  Eine  ganze 
Reihe  wichtiger  Fragen,  die  sich  an  diesen  Zweig  der  Post  anknüpfen, 
werden  nach  einer  guten  Uebersicht  über  die  Entwickelung  der  Paket- 
post im  In-  und  Auslande  und  des  Paketportos  mit  Geschick  und  vor- 
sichtiger Kritik  von  dem  Verf.  behandelt.  Inbesondere  findet  die  wirt- 
schaftliche Bedeutung  der  Paketpost,  ihr  Verhältnis  zu  den  Eisenbahnen 
und  ihr  finanzielles  Ergebnis  eine  gründliche  Bearbeitung.  Das  sind  ge- 
rade die  Fragen,  die  im  Vordergrunde  des  Interesses  stehen,  aber  auch 
diejenigen,  für  die  nach  der  Gestaltung  der  Verkehrsstatistik  die  Be- 
schaffung zuverlässigen  statistischen  Materials  am  schwierigsten  ist.  Es 
ist  deshalb  durchaus  berechtigt,  dafs  der  Verf.  die  Ergebnisse  seiner  sehr 
fleifsigen  Arbeit  nicht  als  unbedingt  sicher  hinstellt.  Wenn  seine  Be- 
rechnungen richtig  sind,  so  ergiebt  sich,  dafs  die  Paketpost  in  Deutsch- 
land mit  einem  Defizit  abschliefst;  ob  sie  richtig  sind,  liefse  sich  aber 
nur  feststellen ,  wenn  die  Statistik  des  Postverkehrs  eine  genaue  Aus- 
scheidung aller  auf  die  Paketpost  entfallenden  Einnahmen  und  Ausgaben 
und  der  durch  unentgeltliche  Beförderungen  entstehenden  Kosten  und 
wenn  andererseits  die  Eisenbahnstatistik  eine  zuverlässige  Ermitteluug 
der  Kosten  der  unentgeltlichen  Leistungen  der  Eisenbahnen  zu  Gunsten 
der  Post  ermöglichen  würde.  Beide  Voraussetzungen  fehlen  zur  Zeit  und 
werden  sich  vollständig  auch  bei  anderer  Gestaltung  der  Statistik  nicht 
schaffen  lassen  ;  aber  eine  weitergehende  Scheidung,  als  sie  jetzt  besteht, 
ist  in  der  Poststatistik  jedenfalls  nötig.  Es  ist  ohne  Frage  sehr  wichtig 
zu  wissen,  ob  die  vom  Verf.  und  von  anderen  vertretene  Ansicht  von 
dem  Defizit  der  Paketpost  zutreffend  ist  oder  nicht.  Denn  da  die 
Paketpost  nicht  zu  den  monopolisierten  Zweigen  der  Post  gehört  und 
in  Konkurrenz  zu  privaten  Verkehrsorganisationen  tritt  oder  doch  treten 
kann,  so  würde  es  nicht  zu  rechtfertigen  sein,  wenn  sie  ihre  Leistungen 
unter  den  Selbstkosten  anbietet.  Hat  der  Verf.  auch  diese  Seite  der 
Sache  nicht  vollständig  klar  stellen  können,  so  darf  er  doch  das  Verdienst 
beanspruchen,  die  Notwendigkeit  einer  entsprechenden  Umformung  der 
Poststatistik  in   ein  helles  Licht  gerückt  zu  haben. 

Auch  die  mühevollen  Versuche  des  Verf.'  zu  ermitteln,  für  welche 
Warengruppen  die  Paketpost  vorzugsweise  in  Betracht  kommt,  sind  sehr 
dankbar  aufzunehmen.  Inwieweit  seine  Schlußfolgerungen  den  That- 
sachen    entsprechen,    liefse    sich    nur    ergründen,    wenn    an    den    einzelnen 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     785 

Orten  eine  genaue  Untersuchung  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  im  all- 
gemeinen und  des  Postpaketverkohrs  im  besonderen  vorgenommen 
■würde.  Iu  der  Hauptsache  scheint  er  das  Richtige  getroffen  zu 
haben. 

Dafs  der  heutige  Paketportotarif  der  deutschen  Reichspost  gewisse 
Mängel  zeigt,  ist  dem  Verf.  nicht  entgangen.  Er  macht  auch  S  31  Ver- 
besserungsvorschläge. Dieselben  sind  nur  zum  Teil  anzuerkennen ;  es 
würde  indes  zu  weit  führen ,  an  dieser  Stelle  des  näheren  auf  den 
Punkt  einzugehen. 

In  einigen  Nebenpunkten  dürfte  die  Auffassung  des  Verfs.  wohl  an- 
zufechten sein ;  im  ganzen  aber  verdient  seine  Arbeit  warme  Aner- 
kennung. 

Aachen.  R.  van  der  Borght. 

Eder,  A.,  Die  Eisenbahnpolitik  Oesterreichs  nach  ihren  finanziellen  Ergebnissen. 
Eine  vergleichende  Studie.  Wien,  Manz,  1894.  gr.  8.  V — 124  SS.  mit  14  graphischen 
Tafeln.     M.   5.—. 

Generalversammlung,  XXXIX.  ordentliche,  der  priv  österr. -ungarischen 
Staats-Eisenbahngesellschaft  zu  Wien  am  29  Mai  1894:  Bericht,  Beschlüsse,  Rechnungs- 
abschluß*,  Beilagen.     Betriebsjahr   1893.     Wien   1894.     4.     93   SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  zu  Leipzig,  1893.  Leipzig,  Hinrichssche 
Buchhandlung,  1894.  gr.  8.  XII — 296  SS.  (Aus  dem  Inhalte:  Messen  und  Märkte.  — 
Ausstellungen.  —  Handelsbeziehungen  zu  fremden  Staaten.  —  Verkehrsanstalten.  — 
Oeffentliche  Lasten  und  Abgaben.  —  Börse.  —  Thätigkeit  des  Mefsausschusses.  —  Er- 
gebnisse der  Fabrikarbeiterzählungen  v.  1.  V.  1892  und  1.  V.  1893  im  Handelskammer- 
bezirk Leipzig.  —  Feststehende  Dampfkessel  und  Dampfmaschinen  des  Handelskammerbez. 
Leipzig   1892   und   1893.  —  Geld-  und  Kreditwesen.     Versicherungswesen.  —  etc.) 

Jahresbericht  der  Betriebsverwaltung  der  Oldenburgischen  Eisenbahnen  für  das 
Jahr  1893.  Oldenburg,  Druck  von  G.  Stalling,  1894.  4.  123  SS.  mit  17  graphischen 
und  tabellarischen  Anlagen,  zum  Teil  in  Imp.-folio. 

Jahresbericht  der  pfälzischen  Handels-  und  Gewerbekammer  für  das  Jahr  1993. 
II.  statistischer  Teil.  Ludwigshafen  a./Rhein ,  Baur'sche  Buchdruckerei,  1894.  gr.  8. 
VII— 123  SS. 

Jahresbericht  der  Handelskammer  für  die  Kreise  Sagan  und  Sprottau  zu  Sagan 
für  das  Jahr  1893.     Sagan,  Druck  von  C.  Koeppel,   1894.     4.     28  SS. 

Jahresbericht,  hydrologischer,  von  der  Elbe  für  1893.  Magdeburg,  Druck  von 
E.  Baensch  jr.,  1894.  Imp.-Folio.  VI—  275 ;  59  SS.  mit  28  Tafeln  (graphische  Dar- 
stellungen etc.).  [Auf  Grund  des  Beschlusses  der  technischen  Vertreter  der  deutschen 
Eibuferstaaten  vom  17.  September  1891  bearbeitet  von  der  kgl.  Elbstrombauverwaltung 
in  Magdeburg  ] 

Commerce  exterieur  de  la  Russie  par  la  frontiere  d'Europe  et  la  cote  caucasienne 
de  la  Mer  Noire,  y  compris  le  commerce  avec  la  Finlande  pendant  les  mois  de  janvier- 
decembre  1891,   1892,   1893.     St.   Petersbourg  1893.     8. 

Compte  rendu  des  travaux  de  la  chambre  de  commerce  de  Marseille  pendant 
l'annee   1893.     Marseille,  imprim.   du  „Journal  de  Marseille",   1894.     8.     425  pag. 

Quesnel,  G.  (prof.  a  l'Ecole  des  hautes  etudes  commerciales),  Histoire  maritime 
de  la  France  depuis  Colbert.    Paris,  Challamel,  1894.    8.    274  pag.,  toile.     Fr.  4. — . 

Thery,  E.,  Histoire  des  grandes  compagnies  de  chemins  de  fer  francais  dans  leurs 
rapports  financiers  avec  l'Etat.  5e  edition.  Paris,  „Economiste  Europeen",  1894.  8.  232  pag. 
fr.  3  — .  (Table  des  matieres  :  Histoire  des  chemins  de  fer  francais:  I^re  periode.  —  Les 
premiers  embarras  financiers.  —  Le  plan  de  1842  et  la  loi  organique  du  11  juin.  — 
Situation  des  chemins  de  fer  au  commencement  de  l'annee  1848.  —  La  Revolution  de 
1848.  —  La  formation  des  six  grands  reseaux.  Resultats  de  la  fusion.  —  Les  Conventions 
de  1859.  Les  chemins  d'interet  local.  —  Periode  de  1870  a  1876.  —  La  loi  de  1865 
et  la  speculation.  —  La  Constitution  du  reseau  de  l'Etat.  —  Le  plan  Freycinet.  —  Le 
rapport  Baihaut  sur  le  rachat.  —  La  Situation  financiere  en  1882.  —  Resultats  financiers 
Dritte  Folge  Bd.  VIII  (I.XHI).  50 


786     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

des  Conventions  de  1859  et  de  1883.  —  Position  actuelle  des  actionnaires  des  grandes 
compagnies  vis  a  vis  du  Tresor  et  r^numeration  du  capital  engage  dans  leur  exploitation.  — 
La  dur6e  des  garanties  d'intßrets.  —  Les  bönefites  de  l'Etat  dans  l'exploitation  des  cbemins 
de   fer  francais.  — ) 

Van  der  Heyde,  M.  F.  (consul  gdneral  de  Belgique  ä  Copenhague),  Compte  rendu 
d'une  exploration  commerciale  au  Dänemark.  Ire  partie.  Bruxelles,  Weissenbruch,  1894. 
8.     66  pag.     fr.   1. — .     (Extrait  du  ,,Kecueil  consulaire".) 

Beresford,  Ch.  (Captain,  Lord),  The  protection  of  the  mercantile  marine  during 
war.  An  address  to  the  London  Chamber  of  commerce.  London  &  Aglesbury,  Hazell, 
Watson  &  Viney,   1893.     8.     62  pp.     /.0,6.     (Naval  defences  series,  N°  1.) 

Foreign  commerce  (the)  and  navigation  of  the  United  States  for  the  year  ending 
June  30,  1893.  Prepared  by  the  Chief  of  the  Bureau  of  statistics.  Washington  ,  Govern- 
ment printing  Oftice,  1894.  gr.  in-4.  CLXX1V— 670  pp.,  cloth.  (Publication  of  the 
Treasury  Department.  Contents :  Report  on  foreign  commerce.  —  General  tables  of 
commerce.  —  Principal  and  all  other  articles  of  merchandise  imported  into  and  exported 
from  the  U.  States  in  its  trade  with  each  foreign  country  during  the  years  ending  June  30, 
1889 — '93.  —  Tables  of  tonnage  movement.) 

Statsjernvägarne  i  Finland.  Detaljerad  godsstatistik  för  ar  1892.  Helsingfors, 
Frenckel  &  Son,  1893.  gr.  in-8.  140 — 16  pp.  mit  graphischer  Darstellung  und  Eisen- 
bahnkarte in  gr.-folio.  (Bildet  den  Anhang  (Bihang)  zu  ,,Jernvägsstyrelsens  i  Finland 
berättelse".) 

Catelani,  A.,  Vita  ferroviaria,  con  prefazione  di  Nap.  Colajanni.  Roma,  tip.  dell' 
Unione  cooperativa  editrice,  1894.  16.  96  pp.  1.0,50.  (Contiene :  I  disastri  ferroviari.  — 
II  perno  della  questione.  —  11  personale  ferroviario.  —  II  codice  penale  ferroviario.  — 
La  giornata  di  lavoro  dei  ferrovieri.  —  L'articolo  103  delle  convenzioni.  —  Prima  e 
ora.  —  Le  stazioni  a  cottimo.  —  II  personale  ferroviario  e  i  tribunali  —  II  personale 
ferroviario  e  la  cassa  pensioni.  —  Gli  impiegati  ferroviari  e  le  assemblee  degli  azionisti. 
—  II  possibile  sciopero  ferroviario.  —  L'intervento  del  governo.  —  II  dovere  dei  ferro- 
vieri. —  L'avvenire.   — ) 

Lusena,  Edg.  (avvocato),  La  legislazione  dei  fallimenti  in  Italia  e  i  voti  del 
congresso  delle  societä  economiche  a  Torino :  osservazioni  ed  appunti  Firenze ,  tip.  di  E. 
Ariani,   1894.      16.     64  pp. 

Vecchi,  Vit.  (Jack  La  Bolina),  La  marina  mercantile.  Milano,  tip.  della  casa 
edit.  Vallardi,  1894.     16.     IV— 165  pp.     c.  fig.     1.  2.—. 

7.     Finanzwesen. 

Armbruster  (OAmtsR.  Freiburg  i/Br.) ,  Die  kirchliche  Besteuerung  für  den 
katholischen  Religionsteil  des  Grofsherzogtums  Baden  zusammengestellt  und  mit  Einlei- 
tung, Anmerkk.  etc.  herausgegeben  Freiburg  i/Br,  Mohr,  1894.  8.  VIII — 147  SS. 
M.   1,80. 

Jahn,  Fr.,  Die  einfache  Buchführung  nach  dem  neuen  Einkommensteuergesetz  be- 
arbeitet.    Bochum,  Ad.   Stumpf,   1894.     8.      72  SS.     M.   1,35. 

Lang,  O.  (Zürich),  Alkoholmonopol  und  Alkoholzehntel.  Zürich-Oberstrafs,  Speidel, 
1894.     8.     30  SS.     M.  0,40. 


Annuaire  genöral  des  finances  publie  d'apres  les  documents  officiels  sous  les 
auspices  du  Ministere  des  finances.  V'eme  annee:  1894 — 1895.  Paris  et  Nancy,  Berger  - 
Levrault  &  C»e,   1894      gr.  in-8.     VI— 452  pag      fr.   6. 

Cohen,  E,  Rdformes  pratiques  dans  le  regime  des  impots.  Paris,  Guillaumin,  1894. 
in-18  Jesus.  XVI — 358  pag.  fr.  3,50.  (Table  des  matieres:  Theorie  et  pratique  des 
impots.  —  Examen  des  depenses  publiques.  —  La  mission  de  l'Etat.  —  Les  depenses 
irreductibles:  La  dette  publique  et  les  frais  de  perception.  Les  depenses  militaires.  — 
Depenses  reductibles.  —  L'emprunt  et  l'impot.  —  Les  monopoles  d'Etat.  —  La  r£forme 
des  impots:  Solutions  radicales.  L'Income  taxe  est-il  applicable  en  France?  Reforme  de 
l'impot  mobilier.    L'eMasticite  des  impots.     Röpartition  des  impots  directs.    L'impot  foncier. 

—  L'impot    sur    les    revenus:    Les    fonds    d'Etat.      Pensions,    traitements.      Benefiees    in- 
dustriels.     Les  patentes.     Professions    liberales.     Salaires.     Reforme  des  impots  indirects. 

—  etc.) 

Legrand  (avocat),  L'impot  sur  le  capital  et  le  revenu  en  Prusse,  reforme  de 
1891  —  1893.     Bruxelles,    Societe  beige  de  librairie,   1894.     16.     XII— 104  pag.     fr.   2.—. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     787 

(Ecole  des  sciences  sociales  et  politiques  de  Louvain.  Memoire  couronne  au  concours  de 
1893—94.) 

Finance  Act,  *the,  1894  (57  &  58  Vict.,  c.  30),  so  for  as  it  relates  to  the  Estate 
duty  and  the  succession  duty.  With  notes  aDd  introduction  by  J.  E.  C.  Munro  (barrister- 
at-law).     London,  Eyre  &  Spottiswoode,   1894.     8.     5/. — . 

Report,  XXXVllth,  of  the  Commissioners  of  her  Maj.'s  Inland  Revenue  for  the 
year  ended  March  31,  1894.  London,  printed  by  Eyre  &  Spottiswoode,  1894.  8.  With 
appendix     /0,6.     (Parliameutary  paper.) 

Cniia  äoxojobt.  u  pacxoÄOBt  r.  Mockbm  Ha  1894  roA"B.  MocKBa  1893.  Roy. 
in-8.  42;  52;  251  pp.  (Ueberschlag  der  Einnahmen  und  Ausgaben  Moskaus  für  das 
Jahr   1894) 

Vissering,  G.,  Belastingheffing  van  buitenwonenden  door  de  gemeente  Amsterdam. 
Amsterdam,  J.  H.  de  Bussy,    1894.     gr.  8.     fl.  0,30. 

8.     Geld-,  Bank-,  Kredit-  und  Versicherungswesen. 

Aschendorff,  E.  A.,  Die  wirtschaftliche  und  soziale  Bedeutung  der  Währung. 
Berlin,  Teige,   1894.     gr.  8.     51  SS.     M.  1,25. 

Börsenwerte.  Tabellarische  Darstellung  der  Finanzlage  aller  Staaten,  Städte 
und  Aktiengesellschaften,  deren  Werte  an  der  Berliner  Börse  gehandelt  werden,  nebst 
Verzeichnis  der  Direktoren,  Aufsichtsratsmitglieder  und  Zahlstellen  der  Aktiengesellschaften 
Jahrg.  1894/95.  Herausgegeben  von  H.  Arends  &  C.  Mossner.  Berlin,  Verlag  der  Kor- 
respondenz Gelb,   1894.     kl.  8.     141  SS.     geb.  M.  3.—. 

Drechsler,  A.,  Das  Recht  auf  Arbeit  und  die  Arbeiterversicherung.  Eine  An- 
regung zur  allgemeinen  Volksversicherung.  Basel,  H.  Müller,  1894.  gr.  8.  36  SS. 
M.  0,75. 

Huber,  F.  C.  (Prof.  u.  Sekretär  der  Handels-  und  Gewerbekammer  Stuttgart),  Der 
Unfallversicherungszwang  und  dessen  geplante  Ausdehnung  auf  Handel  und  Kleingewerbe. 
Stuttgart,  Strecker  &  Moser,   1894.     Roy.-8.     35   SS.     M.   0,60. 

Stenographischer  Bericht  der  Beratung  über  die  Verhältnisse  der  Gold-  und 
Silberproduktion  unter  Zuziehung  von  Sachverständigen  (17. — 20.  Sitzung).  Berlin,  Walther, 
1894.     8.     197  SS.     M.  1,50. 

Verhandlungen  der  deutschen  Silberkommission.  Stenographischer  Bericht  der 
Beratungen  über  den  bimetallistischen  Hauptantrag  (8. — 17.  Sitzung).  Berlin,  Walther, 
1894.     8.     457  SS.     M.  3.—. 

Savings  banks.  Return  for  the  year  ended  November  20,  1893.  London,  printed 
by  Eyre  &  Spottiswoode,    1894.     Folio.      1/. — .     (Parliamentary  paper.) 

Tal  bot,  W.  H.  (member  of  the  Committee  of  the  Shanghai  brauch  of  the  China 
Association),  The  adverse  inöuence  of  gold  appreciation  upon  the  trade  of  gold-standard 
countries  with  the  East,  exemplified  in  China.  Shanghai,  printed  at  the  „North-China 
Herald"   office,   1894.      8.      17   pp.     (Publication  of  the  Eastern   Bimetallic  League.) 

Wetmore,  W.  S.  (President  of  the  Eastern  Bimetallic  League),  The  Eastern  Bi- 
metallic League  (established  1894).  Shanghai,  printed  at  the  „North-China  Herald"  Office, 
1894.     8.      13  pp.      (Ein   Protest  gegen  den   Monometallismus.) 

B3aHMHoe  cipaxoBoeHie  otx  otuk  ryöepHCKoe,  3eMCKoe  h  ropoRCKoe  1889 — 92 
C.-neTepÖyprx  1893.  Lex.  in-8.  41  pp.  (Gegenseitige  Versicherung  gegen  Brandschäden 
in  Gouvernements,  Dörfern  und  Städten  des  europäischen  Rufslands.  A.  u.  d.  T.  :  BpeMe 
HHHKt  etc.  :  Jahrbücher  der  k.  russischen  statistischen  Centralkommission  im  Ministerium 
des  Innern.     Heft  27.) 

Cooperativa  (per  una)  consumo  manifatture  in  Ravenna.  Ravenna,  tip.  cooper. 
Ravegnana,   1894.     8.     118  pp. 

Galli,  Per.  (avvocato),  Le  societä  cooperative  di  produzione.  Milano,  tip.  Ed. 
Sonzogno  edit.,   1894.      16.     62  pp.     (Biblioteca  del  popolo,  N°   252.) 

Verslag  van  de  meeting  (op  uitnoodiging  van  Hollandsche  Maatschappij  van 
landbouw)  gehouden  te  's  Gravenhage,  den  18.  Juni  1894,  ter  besprekiug  van  het  vraag- 
Stuk  van  het  bimeUllisme.     's  Hage,  gebr.  Belinfante,   1894.     gr.  in-8.     69   blz.     fl.  0,50. 

9.     Soziale  Frage. 
Büchner,    P.,    Der    Sozialismus    des    zwanzigsten    Jahrhunderts.      Vorschläge    zur 
Lösung  der  sozialen  Frage.     Berlin,  Staude,  1894.     8.     96  SS.     M.  1.—. 

50* 


788     Uebersicbt  über  die  neuesten    Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Eckart,  Studiertenproletariat.     Berlin,  Lazarus,   1894.     8.     24  SS.     M.  0,50. 
Rossi,  Ad.,  Die  Bewegung  in  Sizilien.   Stuttgart,  J.  H.  W.  Dietz,   1894.   8.   114  SS. 
Mit  illustr.  Titelumschlag.      M.  0,75. 

Sanz  y  Escartin,  Eduardo,  El  Estado  y  la  reforma  social.  Madrid  1893. 
4.     297  pp. 

Wheelbarrow,  Articles  and  discussions  on  the  labor  question.  Chicago,  the  Open 
Court  Publishing  Company,  1894.  8.  303  pp.  wirth  portrait  and  facsimile  of  the  author. 
(ConteDts :  Autobiography.  —  Live  and  not  let  live.  —  Monopoly  on  strike.  —  Convict 
labor.  —  Honest  and  dishonest  wages.  —  Payment  in  promises  to  pay.  —  The  working- 
man's  dollar.  —  The  paper  dollar.  —  The  poets  of  liberty  and  labor:  Gerald  Massey. 
Robert  Bums.  Thomas  Hood.  —  Henry  George  and  land  taxation.  —  Words  and  work. 
—  Economic  Conferences  I — III  (II:  Banking  and  the  social  System).  —  Controversy 
with  Mr.  Lyman  J.  Gage  on  the  ethics  of  the  Board  of  Trade.  —  Controversy  with  Mr. 
Hugh  O.  Pentecost,  and  others,  on  the  Single  tax  question.  —  etc.) 

10.     Gesetzgebung. 

Buff,  E.  (k.  BergR  ),  Die  Gesetze  und  Verordnungen  betreffend  den  Betrieb  der 
Bergwerke  und  der  damit  verbundenen  Anlagen  im  preufsischen  Staate.  2.  Aufl.  Essen, 
G.  D.  Bädeker,  1894.     gr.  8.     XXII— 336  u    12  SS.  geb.     M.  4.—. 

Engels,  E.  ^OBergR.  u.  Dozent  an  der  k.  Bergakademie  in  Klausthal),  Preufsisches 
Bergrecht.  Ein  Leitfaden  für  das  Studium.  2.  Aufl.  Leipzig,  A.  Felix,  1894.  gr.  8. 
VI— 140  SS.     M.   3,20. 


Campagnole,  E.  (secretaire  du  Conseil  super,  de  l'assistance  publique),  L'assis- 
tance  medicale  gratuite  (commentaire  de  la  loi  du  15  juillet  1893).  Paris,  Berger-Levrault, 
1894.     8.     352  pag.     fr.   6—. 

Hugot,  C.  (controleur  des  contributions  indirectes),  Manuel  du  droit  de  dönaturation. 
Paris  et  Nancy,  Berger-Levrault,   1894      8.     VI— 340  pag.     fr.  3,50. 

Wauwermans,  P.  (avocat  ä  la  Cour  d'appel  de  Bruxelles,  secretaire  de  l'Association 
artistique  et  litteraire  internationale),  Le  droit  des  auteurs  en  Belgique.  Commentaire 
historique  et  doctrinal  de  la  loi  du  22  mars  1886.  Bruxelles,  Societe  beige  de  librairie, 
1894.     8.     XVI— 468  pag.     fr.  7,50. 

11.     Staats-  und  Verwaltungsrecht. 

Meyer,  Georg,  Lehrbuch  des  deutschen  Verwaltungsrechtes.  2.  Aufl.* 
Teil  II  (Auswärtige  Verwaltung.  Militärverwaltung.  Finanzverwaltung)' 
Leipzig,  Duncker  und  Humblot,    1894,  428  SS. 

Die  dem  Verfasser  eigene  Gabe  bündiger  Fassung  hat  es  ermöglicht, 
auch  diesen  zweiten  Teil  den  äufseren  Umfang  der  ersten  Auflage  nur 
um  weniges   überschreiten   zu  lassen. 

Aus  dem  Abschnitte  über  die  auswärtige  Verwaltung  interessiert,  dafs 
der  Verf.  eine  nähere  Darstellung  des  Rechtes  der  deutschen  Schutzge- 
biete ausgeschlossen  hat,  weil  sich  die  Entwickelung  dieses  kolonialen 
Verwaltungsrechtes    noch  vollständig  im  Flusse  befindet. 

Was  die  dem  Militärrecht  gewidmeten  Kapitel  anlangt,  so  erfordert 
besondere  Hervorhebung,  dafs  der  Verf.  seine  bisherige  Auffassung  der 
rechtlichen  Natur  des  Reichsheeres  in  jeder  Richtung  aufrecht  erhielt. 
Ausführlicher  als  früher  hat  sich  M.  über  den  Rechtscharakter  der 
Offiziersernennung  geäufsert  (S.  103).  Er  bekämpft  die  in  dieser  Rich- 
tung in  Preuf-en  herrschende,  von  Lab  and  unterstützte  Praxis,  welche 
in  der  Offiziersernennuug  einen  Ausflufs  des  Oberbefehls  sieht  und  dem- 
gemäfs  eine  ministerielle  Gegenzeichnung  nicht  für  erforderlich  hält.  M. 
entscheidet,  Gegenstand  des  Oberbefehls  sei  nur  die  Kommandierung  zu 
einer    bestimmten  Stellung,    die    von    der  Ernennung   zum  Offizier  ebenso 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     789 

verschieden  sei  wie  die  Uebertragung  eines  bestimmten  Amtes  von  der 
Ernennung  zum  Beamten.  Blofse  Versetzungen  seien  daht  r  Ausflufs  des 
Oberbefehls    uud    erfolgten    nicht    unter    ministerieller   Verantwortlichkeit. 

Im  Gebiete  des  Finanzrechtes  bekämpft  M.  ausdrücklich  die  Recht- 
sprechung des  Reichsgerichtes,  die  dahin  geht,  dafa  bei  Steuersachen  im 
Zweifel  der  Rechtsweg  zulässig  sei  (S.  220).  Andererseits  vermögen  wir 
dem  von  M.  festgehaltenen  Rechtssatze  nicht  beizustimmen,  dafs  das  Reich 
zu  anderen  Kommunalsteuern  als  Grundsteuern  nicht  verbunden  sei,  da 
ihm  als  dem  obersten  politischen  Gemeinwesen  Verpflichtungen  nur  durch 
eigene  Gesetze  auferlegt  werden  könnten  (S.  294).  Diesem  Grundsatze 
dürfte  der  andere  gegenüberstehen,  dafs  nach  Lage  unserer  Gesetzgebung 
im  Zweifel  alle  juristischen  Personen  des  privatrechtlichen  Vermögens- 
rechtes steuerpflichtig  sind.  Bezüglich  des  Rechtes  des  Steueruachlasses 
bekämpft  M.  die  Laband'sche  Gnadentheorie.  Er  sieht  in  solchem  Erlafs  eine 
Dispensation,  die  nur  auf  ausdrückliche  gesetzliche  Ermächtigung  erfolgen 
darf,  und  weist  die  entgegenstehende  preufsische  Uebung  zurück  (S.  207). 
In  der  Dispensation  selbst  erkennt  M.  nicht  eine  Aufhebung,  sondern 
nur  ein  Aufseranwendungsetzen  des  objektiven  Rechtssatzes  für  einen  ein- 
zelnen Fall.  Zu  betonen  ist  noch,  dafs  der  Verf.  schärfer  als  in  der 
ersten  Auflage  feststellt,  dafs  der  Staat  nicht  blofs  im  vermögensrecht- 
lichen Privatverkehr,  sondern  auch  als  Träger  staatsrechtlicher  Vermögens- 
rechte Fiskus  im  Rechtssinue  ist  (S.  177),  ferner,  dafs  der  Verf.  zwar 
nicht  dem  Namen  aber  der  Sache  nach  die  Ueberweisungen  des  Reiches 
als  Dotationen  auffdfst  (S.  185),  die  Matrikularbeiträge  dagegen  ausdrück- 
lich als  Steuern  bezeichnet. 

Erlangen.  R  e  h  m. 

Ball,  E.  (RAnw.  LandG.  Berlin  I.),  Das  Vereins- und  Versammlungsrecht  in  Deutsch- 
land. Textausgabe  mit  Anmerkk.  Berlin,  Guttentag,  1894.  16.  251  SS.  M.  2,25. 
(A.  u.  d.  T. :   Guttentagsche  Sammlung  deutscher  Reicbsgesetze,  Nr.   33.) 

Bismarck,  Die  politischen  Reden  des  Fürsten  Bismarck.  Historisch-kritische  Ge- 
samtausgabe besorgt  von  Horst  Kohl.  Band  XI:  1885 — 1886.  Stuttgart,  Cotta,  1894. 
Roy.-8.     XXVIII— 489  SS.     M.  8.—. 

Jastrow,  J.,  Das  Dreiklassensystem.  Die  preufsische  Wahlreform  vom  Stand- 
punkte sozialer  Politik.     Berlin,  Rosenbaum  &  Hart,   1894.     gr.   8.  IV — 157  SS.  M.   3. — . 

Lüneburg.  Haushaltsplan  der  Stadt  Lüneburg  für  das  Jahr  1894/95.  Lüneburg, 
v.   Stern'sche  Buchdruckerei,   1894.     4.     8  SS. 

Neumann-Hofer,  A.,  Die  Entwickelung  der  Sozialdemokratie  bei  den  Wahlen 
zum  Deutschen  Reichstage.  Statistisch  dargestellt.  Berlin,  C.  Skopnik,  1894.  gr.  8. 
4  Bogen.     M.  1. — . 

Potsdam.  Haushaltsetat  der  Stadt  Potsdam  pro  1.  IV.  1894 — 95.  Potsdam,  Krämer- 
sche  Buchdruckerei,  1894.  4.  331  SS.  —  Verwaltungsbericht  des  Magistrates  der  Resi- 
denzstadt Potsdam  für  das  Etatsjahr  vom  1.  IV.  1892  bis  1.  IV.  1893.  Spezieller  Teil. 
Nebst  der  Beilage :  Hauptabschlufs  der  Stadthauptkasse  zu  Potsdam  und  Finalabschlüsse 
der  von  der  Stadthaupikasse  verwalteten  Fonds  für    das  Etatsjahr  1.  IV.    1892   bis   l.IV. 

1893.  Ebd.,  Druck  von  E.  Stein,  1894.     78  u.  56  SS. 

v.  Ruville,  A.,  Das  Deutsche  Reich  ein  monarchischer  Einheitsstaat.  Beweis  für 
den  staatsrechtlichen  Zusammenhang  zwischen  altem  und  neuem  Reich.    Berlin,  Guttentag, 

1894.  gr.  8.     VI— 294  SS.     M.   6.—. 

Seydel,  F.  (GRegR),  Gesetz  vom  21.  VII.  1852  betreffend  die  Dienstvergehen 
der  nichtrichterlichen  Beamten,  die  Versetzung  derselben  auf  eine  andere  Stelle  oder  in 
den  Ruhestand  und  seine  Ergänzungen.  2.  Aufl.  Berlin,  Heymann,  1894.  gr.  8.  VIII — 
375  SS.     M.  7.—. 


790     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Andreani  (chef  de  division  ä  la  pr^fecture  de3  Alpes-Maritimes) ,  Guide  pratique 
de  radministration  francaise.  Paris,  Guillaumin,  1895.  gr.  iu-8.  IV — 756  pag.  fr.  15. — . 
(Sommaire:  Etat.  —  Departement.  —  Commune.  —  Associations.  —  Nationalites.  —  Agri- 
culture.  —  Commerce.  —  Industrie.  —  Enseignement.   Lettres.  Sciences  et  arts.  —  Finances. 

—  Justice.  —  Cultes.  —  Travaux  publica.  —  Armee.    Marine.  —   Colonies    —  Diplomatie. 

—  Preseances.    —  etc.) 

Compte  rendu  des  seances  de  la  Chambre  des  deputes  du  grand-duche  de  Luxem- 
bourg.  Session  ordinaire  du  7  novembre  1893  au  26  juillet  1894.  Luxembourg,  imprim. 
V.  Bück,   1894.     8.     XX— 958  ;  313— XXVI  pag. 

Deslandres  (agrege  ä  la  faculte  de  droit  de  Dijon),  De  la  participation  du  peuple 
au  pouvoir  legislatif.  Du  referendum  et  de  l'initiative  populaire  en  Suisse.  Dijon,  imprim. 
Darantiere,   1894.      8.     35  pag. 

Guillaume  (baron,  ministre  de  Belgique  ä  Athenes),  Code  de  relations  convention- 
nelles  entre  la  Belgique  et  la  France.  Bruxelles,  Th.  Falk,  1894.  in-4.  XX— 812  pag. 
fr.  12.—. 

Pirard,  L.,  Pour  qui  dois-je  voter,  par  un  electeur  ä  trois  voix.  Monographie  electorale. 
Liege,  Vaillant-Carmanne,  1894.     8.     64  pag.     fr.   1— . 

Jenks,  E.,  An  outline  of  English  local  government.  London,  Methueu,  1894.  8. 
224  pp.     2/.  6. 

Wilkinson,  Spencer,  The  great  alternative ,  a  plea  for  a  national  policy. 
London,  Swan  Sonnenschein ,  1894.  gr.  in-8.  IV— 331  pp.,  cloth.  7/. 6.  (Coutents  : 
Introduction :  National  paralysis.  The  remedy.  —  The  eastern  question.  —  The  Union 
of  Germany.   —  The  partition  of  Turkey  and    the    triple    alliance.   —  The  use  of  armies. 

The  secret  of  the  sea.  —  Egypt.  —  A  warning  from  Germany.  —    The  expansion  of 

France.   —  India.   —  The  great  alternative.  —  The  revival  of  duty.  — ) 

Corsi,  A.  (prof.),  Arbitrati  iutemazionali :  note  di  critica  dottrinale  e  storica  Pisa, 
tip.  edit.  Galileiana,  1894  8.  310  pp.  1.  6. — .  (Contiene  :  La  pace  universale  fra 
gli  Stati  e  condizione,  ma  non  metä  ultima  del  progresso  del  diritto  internazionale.  — 
L'arbitrato  come  istituzione  giudiziaria  permanente  fra  tutti  gli  Stati  non  e  attuabile,  se 
prima  non  si  rende  obbligatorio  fra  Stati  singoli,  per  singole  controversie,  o  per  le  materie 
regolate  da  ciascun  trattato.  —  Distinzione  non  giustifieata  fra  tribunali  arbitrali  e  com- 
missioni  miste;  raffronti  inesatti;  arbitrium  e  arbitratio.  —  Composizione  dei  tribunali 
arbitrali.  —  ecc.) 

Ro  s  s  i ,  L.,  I  principi  fondamentali  della  rappresentanza  politica  :  introduzione.  Bologna, 
tip.  Fava  &   Garagnani,  1894.     8.     96  pp. 

Scalvanti,  O.  (prof.),  Legislazione  e  scienza  amministrativa  in  Italia:  discorso 
pronunziato  nell'  universita  di  Perugia  inaugurandosi  l'auno  accademico  1893 — 94.  Perugia, 
tip.  V.  Santucci,   1894.     8.     54  pp. 

Jo  rissen,  E.  J.  P.,  Codex  van  de  locale  wetten  der  Zuid-Afrikaansche  republiek. 

Eene  proeve.     Groningen,    erven    B.   van  der  Kamp,    1894.     8.     56  en  721   blz.  fl.  5,75. 

Loef  Schuphoven,  R.  H.,  De  admiuistratie   der  geldmiddelen  van  de  gemeenten 

Handboek  voor  hh.   burgemeesters,  raadsleden,  secretarissen  en  gem.-ontvangers.  Zutphen, 

Thieme  &  C*e ,  1894.     8.     4;  118  blz.     fl.  1,25. 

12.  Statistik. 
Allgemeines. 

Statistisches  Jahrbuch  deutscher  Städte.  In  Verbindung  mit  seinen 
Kollegen  Dr.  H.  Bleicher,  Dr.  R.  Böckh,  Dr.  K.  Büchel,  H.  Edelmann, 
Dr.  M.  Flinger,  Dr.  E.  Hasse,  Dr.  E.  Hirschberg,  Dr.  G.  Koch,  Dr.  G. 
Pabst,  F.  X.  Probst,  G.  Tschierschky,  Dr.  E.  Würzburger  und  K.  Zimmer- 
mann herausgegeben  von  Dr.  M.  Neefe,  Breslau,  Wilh.  Gottl.  Korn, 
III.  Jahrgg,  1893,   gr.  8°,  VIII  u.  378  SS. 

Das  im  vorigen  Jahre  an  dieser  Stelle  (cf.  V.  Bd.  S.  601  ff.)  aus- 
führlich gewürdigte  verdienstliche  Unternehmen  der  Vorstände  und  wissen- 
schaftlichen Mitarbeiter  der  statistischen  Aemter  der  deutschen  Städte, 
die  wissenswertesten  Vorgänge  des  städtischen  Lebens  in  thunlichst  ein- 
heitlicher  und    übersichtlicher    Gestalt   zur    Darstellung    zu    bringen,    hat 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     791 

durch  die  Herausgabe  des  dritten  Jahrganges  eine  den  beiden  voraus- 
gehenden würdige  Fortsetzung  erhalten.  Die  Einrichtung  der  Veröffent- 
lichung ist  wesentlich  die  alte  geblieben.  Einzelne  Abschnitte  haben  eine 
—  gegen  das  Ganze  gehalten  indessen  geringfügige  —  Erweiterung  er- 
fahren. So  ist  bezüglich  der  Bauthätigkeit  eine  genauere  Unterscheidung 
der  Aufwendungen  mit  Hinweis  auf  die  Zwecke,  denen  die  Bauten  dienen 
sollen,  erfolgt,  ist  beim  Feuerlöschwesen  die  mutmafsliche  Entsteh- 
ungsursache der  Brände  berücksichtigt,  siud  die  Preisangaben  über  Ver- 
zehrungsgegenstände vermehrt  und  hierbei  auch  mehr  nichtpreufsische 
Städte  herangezogen,  sind  die  standesamtlichen  Nachweisungen  den  ent- 
sprechenden Erhebungen  aus  den  Kirchenbüchern  gegenübergestellt  worden. 
Eine  schätzenswerte  Vervollständigung  hat  der  dritte  Jahrgang  durch  Neu- 
aufnahme der  von  H.  Bleicher  (Frankfurt  a.  M.)  bearbeiteten  Immo- 
bili  arf  euer  v  ersic  he  r  u  n  g  erhalten.  Neben  den  einschlägigen  recht- 
lichen Grundlagen  sind  hier  die  Zahl  der  versicherten  Gebäude,  das  ver- 
sicherte Kapital,  die  erhobenen  Prämien,  die  Zahl  und  der  Betrag  der 
Schadenfälle  und  der  Beitragt-fufs  nachgewiesen  worden  und  zwar  gesondert 
danach,  ob  direkter,  ob  indirekter  oder  teilweiser  Versicherungszwang  oder 
keiner  von  beiden  vorliegt.  Einschränkungen  sind  dagegen  dem  Abschnitt 
über  das  Unterrichtswesen  zu  teil  geworden  und  die  Ausführungen  des 
vorigen  Jahrganges  über  Märkte  und  Messen,  über  Kranken-,  Unfall-, 
Alters-  und  Invaliditäts-Versicherung  wie  über  die  —  der  nächsten  Aus- 
gabe vorbehaltenen  —  Gemeindesteuern  fortgeblieben.  In  Bezug  auf  den 
Stand  der  Bevölkerung,  der  Grundstücke,  Gebäude,  Wohnungen  und  Haus- 
haltungen, sind  statt  der  von  1885  erstmalig  die  Ergebnisse  der  Volks- 
zählung von  1890  verwertet  worden,  doch  hat  es  diesmal  nur  gelingen 
wollen,  die  Ergebnisse,  die  für  den  Jahrgang  1892  sich  auf  43  der  47  Städte 
mit  über  50  000  Einwohner  erstreckten,  auf  41  auszudehen.  Die  gleiche 
Sorgfalt  der  Bearbeitung  und  Zusammenstellung,  die  den  früheren  Bänden 
nachgerühmt  wurde,  ist  auch  dem  vorliegenden  zuzusprechen.  Alle  Mit- 
arbeiter und  voran  der  Herausgeber  Neefe  haben  sich  durch  die  fort- 
gesetzten Bemühungen  um  das  Zustandekommen  des  mit  vielen  Schwierig- 
keiten verknüpften,  aber  ohne  Frage  einem  weitreichenden  Bedürfnisse 
Kechnung  tragenden  Werkes  den  Dank  aller  derer  erworben,  die  sich  für 
städtische  Statistik  interessieren. 

Oldenburg.  Dr.  Paul  Kollmann. 

Landolt,  C,  Methode  und  Technik  der  Haushaltsstatistik  (nebst  dem  Budget  einer 
St.  Galler  Arbeiterfamilie  etc ).  Freiburg  i/B.,  Mohr,  1894.  gr.  8.  IV— 104  SS.  mit 
tabellarischen  Anlagen.     M.  2,80. 

Deutsches  Reich. 

Beiträge  zur  Statistik  des  Grofsherzoejtums  Hessen.  Herausgegeben  von  der  grofs- 
herzoglichen  Centralstelle  für  die  Landesstatistik.  Band  XXXVIII,  Heft  2.  Darmstadt, 
Jonghaus,  1894.  4.  31  SS.  (Inhalt:  Statistik  der  Straf-  und  Gefaugenanstalten  im 
Grofsherzogtum  Hessen  für  das  Jahr  vom  1.  IV.  1892  bis  31.  III    1893) 

Jahrbuch  für  Bremische  Statistik.  Jahrgang  1893,  Heft  2:  Zur  allgemeinen 
Statistik  des  Jahres  1893  Bremen,  G.  A  v.  Halem,  1894.  gr.  8.  X— 275  SS.  (Heraus- 
gegeben vom  Bureau  für  Bremische  Statistik.  Inhalt:  Staatsgebiet.  —  Bevölkerung.  — 
Grundeigentum.  —  Landwirtschaft.  —  Industrie  (im  engeren  Sinne).  —  Handel  und  Ver- 
kehr. —  Geld-  und  Kreditwesen.  —  Versicherungswesen.  —  Preise  und  Verbrauch.  — 
Soziale  Selbsthilfe.  —  Oeffentliche  Wohlthätigkeit    und    Armenpflege.  —  Oeffentlicbe  Ge- 


792     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

sundheit  und  Gesundheitspflege.  —  Schulpflege.  —  Rechtspflege.  —  Staats-  und  Gemeinde- 
tiuauzeu   etc.   — ) 

Nachweisungen,  statistische,  aus  der  Forstverwaltung  des  Grofsherzogtums 
Baden  für  das  Jahr  1892.  Jahrgang  XV.  Karlsruhe,  Müller'sche  Hofbuchdruckerei,  1894. 
gr.  4.     109  SS. 

Protokoll  über  die  am  18.,  19.  und  21.  Mai  1894  in  Görlitz  abgehaltene  IX. 
Konferenz  der  Vorstände  der  statistischen  Aemter  deutscher  Städte.  Görlitz,  Druck  von 
Hoffmann  &  ßeiber,   1894.     Folio.      26   SS.     (Anlage  IV,    S.    18  ff.  :  Arbeitslosenstatistik.) 

Uebersicht,  statistische,  über  die  freiwilligen  Feuerwehren  des  Feuerwehrver- 
bandes für  die  Provinz  Hannover  nach  dem  Stande  vom  1.  März  1893.  Bearbeitet  von 
H.  Schaefer  (Lüneburg),  o.  O.  (Lüneburg)  1894.     Imp.-folio. 

England. 

Statistical  abstract  for  the  United  Kingdom  in  each  of  the  last  fifteen  years  from 
1879  to  1893.  XLIst  number.  London,  printed  by  Eyre  &  Spottiswoode,  1894.  8.  243  pp. 
(Parliamentary  paper.) 

Year-book  of  the  Imperial  Institute  of  the  United  Kingdom,  the  colonies,  and  India. 
A  Statistical  record  of  the  resources  and  trade  of  the  colonial  and  indian  possessious  of 
the  British  empire.  IHrd  issue.    London,  Eyre  &  Spottiswoode,  1894.  gr.  in-8.  cloth,  10/. — . 

Ungarn. 

Thirring,  G.  (Vicedirektor  des  statistischen  Bureaus  zu  Budapest),  Geschichte  des 
statistischen  Bureaus  der  Haupt-  und  Residenzstadt  Budapest  1869  — 1894.  Aus  AnlaTs 
des  25-jährigen  Bestehens  des  Bureaus  geschrieben.  Berlin,  Puttkammer  &  Mühlbrechtf 
1894.     gr.   8      41   SS. 

Budapest  fövaros  statisztikai  hivatalänak  közlem6nyei.  (Publikationen  des  stati- 
stischen Bureaus  der  Hauptstadt  Budapest  XIX.  Statistik  der  infektiösen  Erkrankungen 
in  den  Jahren  1881 — 1891  und  Untersuchung  des  Einflusses  der  Witterung,  von  J.  Körösi 
(Direktor  des  kommunalatatistischen  Bureaus).  Uebersetzung  aus  dem  Ungarischen.  Berlin, 
Puttkammer  &  Mühlbrecht,  1894.  gr.  Lex. -8.  VIII— 141  SS  mit  5  graphischen  Tafeln.  M.4,50. 
XXV,  1.  Die  Hauptstadt  Budapest  im  Jahre  1891.  Resultate  der  Volksbeschreibung  und 
Volkszählung  von  J  Körösi  u.  G.  Thirring  (Vicedirektor  des  kommunalstatistischen  Bureaus). 
Band  I.     Ebd.   1894.     gr.   Lex.-8.     98;   118  SS.  mit  7  graphischen  Tafeln.     M.  5—. 

Magyar  statisztikai  közlemenyek.  Uj  folyam,  VII  kötet.  Budapest,  Buchdruckereides 
„Athenäums'1,  1894.  Imp.  in-4.  79;  139  SS.  (Ungarische  statistische  Mitteilungen,  Neue 
Folge,  Bd.  VII:  Warenverkehr  der  Länder  der  ungarischen  Krone  im  Jahre  1893.)  fl.  3. — . 

R  uf  s  1  and. 

Cboäx  CTaTHCTHieiuixi  CBiÄiHiä  no  >rijiaMT&  yro-iOBHLiMt  IIpoii3  boähbiuhmch  bx 
1888  roAy  bt.  OKpyri  BapiuaBCKofi  cyÄe6HoönaJiaTi.i.  C.-IIeTep6ypri>  1893.  Folio.  187  pp. 
(Russische  Krimiualstatistik  im   Bereiche  des    Warschauer  Justizbezirks.) 

CiaiHCTHKa  PoccincKOH  HMnepiii  XXIV.:  ^BiiaceHie  Hacejtenifi  bx  EßponeiicKoii 
Poetin  3a  1889  rOAt.  C.-IIexep6ypri  1893.  Lex.  in-8.  VI— 211  pp.  (Bewegung  der 
Bevölkerung  des  europäischen  Rufslands.  Bearbeitet  und  herausgegeben  von  der  kais. 
russischen  statistischen    Centralkommission.) 

Bidrag  tili  Finlands  officiela  Statistik  I.  Handel  och  sjöfart.  12:  Finlands  handel 
och  sjöfart  pä  Ryssland  och  utrikes  orter  samt  uppbörden  vid  tullverket  1892.  VI — 131  ; 
96;  80  pp.  (Binnen-  und  Aufsenhandel,  Küsten-  u.  Seeschiffahrt.)  —  VI.  Befolknings- 
statistik.  22:  Folkmängd  den  31.  XII.  1890.  IV— 168  pp.  (Finische  Volkszählung  von 
1890)  —  VHb.  Postsparbanken  7.  20  pp.  (Rechenschaftsbericht  über  das  Betriebsjahr 
1893)  —  IX.  Elementarläroverkens  i  Finland,  läseäret  1892  —  93.  47  pp.  (Mittlerer  öffent- 
licher Unterricht  (Gymnasial-  und  Reallyceen)  im  Studienjahr  1892/93.)  —  X.  Statistik 
öfver  folkundervisningen  i  Finland  18,  19  u.  20  XIV  — 37  ;  XV— 39;  XIX  — 121  pp 
(Finischer  Volksschulunterricht  in  den  Schuljahren  1890/91,  1891/92,  1892/93)  — 
XIII.  Post-statistik.  Ny  följd.  8.  XXXII — 88  pp.  (Postbetriebsstatistik  für  das  Jahr  1892.) 

—  XIV  a.  Landtmäteriet.  8.  Berättelse  för  är  1892.  16  pp.  (Bericht  über  das  Landver- 
messungswesen im  Jahr  1892.)  —  XVIII.  Industri-statistik  9.  Ar  1892,  senare  delei: 
(2r  Teil).  XVI-112  pp.  (Gewerbe-  und  fabrikmäßige  Betriebsstatistik  für  das  Jahr  1892." 

—  XIX.  Vag- och  Vattenbyggnaderna.  Berättelse  för  är  1892.  VI — 127  pp.  (Bericht  über 
öffentliche  Wege-  und  Wasserbauten  in  Finland  über  das  Jahr  1892)  9  Hefte.  Helsingfors- 
1804.     Roy.  in-8. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     793 

Belgien  und  Holland. 

Statistique  de  la  Belgique.  Tableau  general  du  commerce  avec  les  pays  etrangers 
pendant  l'annee  1893.  Bruxelles ,  Mertens,  1894  (aoüt).  in-folio.  XL — 264  pag.  avec 
2  graphiques.      (Publicatiou   du  Ministere  des   finances.) 

Bijd  ragen  tot  de  statistiek  van  Nederland.  Uitgegeven  door  de  Centrale  Commissie 
voor  de  statistiek.  I.  Statistiek  der  arbeidersvereenigingen.  's  Gravenhage,  van  Weelden 
&  Mingelen,  1894.  4.  XXXV1I1 — 339  blz.  (Holländische  Arbeitervereinsstatistik  geordnet 
nach  Provinzen  und  den  Ortssitzen  der  Vereine.) 

Gerechtelijke  statistiek  van  het  koninkrijk  der  Nederlanden,  1893.  's  Gravenhage, 
1894.  4.  XXXVI— 269  pp.  (p.  164—207:  Miiitärstrafrechtsstatistik,  p.  249  sqq.:  Konkurs- 
statistik.) 

Jarcijfers  uitgegeven  door  de  Centrale  Commissie  voor  de  statistiek.  Binnenland 
1893  en  vorige  jaren  (1879  sqq.).  's  Gravenhage,  van  Weelden  &  Mingelen,  1894.  gr.  in-8. 
XXIV— 245  blz. 

S ch  w  ei  z. 

Mitteilungen,  statistische,  betreffend  den  Kanton  Zürich,  Jahr  1891,  Heft  4: 
Die  Bewegung  der  Bevölkerung  im  Jahre  1891  nebst  Anhang:  Vorlaufige  Mitteilungen 
über  die  Bevölkerungsbewegung  im  Jahre  1893.  77  SS.  —  Jahr  1892,  Heft  2:  Gemeinde- 
statistik. Nebst  Anhang:  Die  Verteilung  der  Staatsbeiträge  an  die  Armenausgaben  der 
Gemeinden  vom  Jahr  1892.  XII  — 248  u.  13  SS.  mit  1  Karte.  Zürich,  Druck  v.  Orell 
Füssli,   1894.     8.     (Herausgegeben  vom  Kantonalen  statistischen  Bureau.) 

Schweizerische  Handelsstatistik.  Jahresbericht  1893.  Bern,  Buchdruckerei  J. 
Schmidt,   1894.     gr.  Lex.-8.      66  SS. 

Schweizerische  Statistik.  Lieferung  98  :  Pädagogische  Prüfung  bei  der  Rekrutie- 
rung im  Herbste  1893.  Bern,  Orell  Füfsli,  1884.  4.  28  und  2d  SS.  Mit  graphischer 
Karte. 

Statistik  des  Warenverkehrs  der  Schweiz  mit  dem  Auslande  im  Jahre  1893. 
Bern,  Druck  von  S.  Collin,  1894.  folio.  233;  87;  33  u.  13  SS.  (Herausgegeben  vom 
schweizerischen  Zolldepartement.  Inhalt:  Einfuhr  und  Ausfuhr  [Spezial-,  Effektiv-  und 
Generalhandel].  —  Durchfuhr  und  spezielle  Verkehrsarten:  Lagerverkehr;  Veredlungs- 
verkehr ;   Grenzverkehr ;  Retourwaren.  —  Zollerträgnisse.  — ) 

Schweden. 

B  i  d  r  a  g  tili  Sveriges  officiela  Statistik.  E.  Inrikes  sjöfart  och  handel.  Kommerskollegii 
berättelse  för   1892.     Stockholm   1894.     gr.  in-4.     XI— 36  pp. 

Bi  drag  tili  Sveriges  officiela  Statistik.  K.  Helso-  och  sjukvärden,  11.  Ofverstyrelsens 
öfver  hospitalen.  Berättelse  för  är  1892.  (Schwedische  Kranken-  und  Irrenanstaltsstatistik 
für  1892.)  25  pp.  —  L.  Statens  jernvägstrafik,  31b.  (Bericht  über  das  Betriebsjahr  1892 
der  schwedischen  Staatseisenbahnen)  32  u.  33  SS.  mit  Eisenbahnkarte.  —  N.  Jordbruk 
och  boskapsskötsel,  XXVIII.  Berättelser  för  är  1892  (Anbau-,  Ernte-  und  Viehstands- 
statistik der  einzelnen  Läns  für  das  Jahr  1892.)  27  Teile.  —  P.  Undervisningsväsendet, 
20  Läseäret  1890/91.  (Mittlerer  öffentlicher  Unterricht  für  Knaben  nebst  Nachrichten 
über  Schulsparkassen  für  das  Studienjahr  1890/91).  48  u.  40  pp.  —  Q.  Statens  domäner. 
(Statistik  der  Domänen-  und  Staatsforstverwaltung  für  das  Jahr  1892.)  XVIII — 70  pp. 
—  R.  Valstatistik,  X.  (Bericht  über  die  Ergebnisse  der  schwedischen  Reichstagswahlen, 
Session  1891/93  u.  1894/96.)  IV— 36  pp.  —  S.  Allmänna  arbeten,  21.  (Statistik  der 
öffentlichen  Weg-  und  Wasserbauten  etc.  für  das  Jahr  1892.)  7  Hefte.  Stockholm 
1893—94.     gr.  4. 

Bul  ga  rien. 
JIb     aceHHe  Ha  Hace-zreHiieio  Bt  Ex^rapcKOio  KHHacecTBO  npi3t  1891  rojs..   Co*hh 
Sophia    neiaTHima  SlMÖep-B  (Buchdruckerei   Silber)   1894.     4.     473    pp.      (Bewegung  der 
Bevölkerung  des  Fürstentums  Bulgarien  im  Jahr   1891.     Herausgegeben  vom  Bulgarischen 
statistischen   Bureau.) 

CTaiHCTHKa  TtproBH/iTa  Ha  BtJirapcKOTO  KHaaceciBO  et  qy^CÄHTÜ  ÄT&pacaBH 
npi3"L  1893  TOÄHHa  (Co*Htf).  Sophia,  Buchdruckerei  Silber.  1894.  4.  307  pp.  mit  3 
graphischen  Anlasen.  (Statistik  des  Handelsverkehrs  des  Fürstentums  Bulgarien  mit  fremden 
Ländern  im  Jahre  1893.     Herausgegeben  vom  Bulgarischen  statistischen  Bureau.) 


i 


794      Uebersicbt  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Amerika  (Uruguay). 
Anuario  demografico  de  la  Repüblica  oriental  del  Uruguay.  Ano  IV:  1893. 
Montevideo  1894.  Roy.  in-8.  XXXIV — 126  pp.  y  5  cuadros-  (Indice:  Demografia  com- 
parada.  —  Demografi'a  de  la  Repüblica  Orient,  del  Uruguay:  Natalidad.  Nupcialidad. 
Mortalidad.  Morti-natalidad.  —  Nosologia.  —  Reconocimientos  y  legitimaciones.  — 
Eesumen  general.  (Publicaciön  de  la  Direcciön  general  del  registro  del  estado  civil, 
Director:  L.  C.  Bollo.) 

13.  Verschiedenes. 

Bahr,  F.,  Zur  allgemeinen  Beurteilung  von  Unfallverletzungen  und  ihren  Folgen. 
Karlsruhe,  J.  J.  Reiff,   1894.     8.     43   SS.     M.  0,60. 

Bregenzer,  J.  (LandGR),  Tierethik.  Darstellung  der  sittlichen  und  rechtlichen 
Beziehungen  zwischen  Mensch  und  Tier.  Bamberg,  C.  C  Buchner,  1894.  8.  X — 422  SS. 
M.  4  — .  (Preisschrift.  Herausgegeben  von  dem  Verbände  der  Tierschutzvereine  des 
Deutschen  Reichs  ) 

Dämonen  der  Unzucht!  Notschrei  einer  deutschen  Frau !  Leipzig,  G.  Uhl,  1894. 
gr.  8.     80  SS.     (Enthüllungen  über  das  unsittliche  Treiben  deutscher  Juden). 

D  a  h  m  s  ,  G.,  Die  Frau  im  Staats-  und  Gemeindedienst.  Berlin,  Taendler,  1895. 
gr.   8.     31   SS.      M    0,60.     (A.  u.   d.  T  :  Der  Existenzkampf  der  Frau.     Heft  1.) 

Fofs,  R.  (Prof),  Das  norddeutsche  Tiefland.  Eine  geographische  Skizze.  Berlin, 
Mittler  &  Sohn,   1894.     8.     VI— 98  SS.     M    1.—. 

Frey,  K.,  Die  Schulaufsicht,  ihre  Aufgaben  und  ihre  Gestaltung.  Köln,  Kölner 
Verlagsanstalt  u.   Druckerei,   A.-G.,   1894      gr.  8.     301   SS.     M.   2,50. 

Hautzinger,  Amelie,  Die  weibliche  Berufswahl.  Handbuch  für  Frauenbildung 
und  Frauenerwerb.  Berlin,  H.  Steinitz,  1894.  8.  VIII— 214  SS.  M.  2,80.  (Mit  einem 
Anhange  :   Studien-  und  Stipendienf'onds,  Unterstützungs-  und  Pensionsanstalten.) 

H  o  e  n  i  g  ,  Fritz,  Die  Scharnhorst'sche  Heeresreform  und  die  Sozialdemokratie.  Berlin, 
R.  Felix,   1894.     gr.  8.     67  SS      M.   1,50. 

Hygienische  Verhältnisse  der  gröfseren  Garnisonsorte  der  österreichisch-ungarischen 
Monarchie.  XII.  Budweis.  Wien,  k.  k.  Hof-  und  Staatsdruckerei,  1894.  12.  73  SS. 
mit  Karte  in  qu.-folio  und  5  graphischen  Beilagen. 

Oelsner,  E. ,  Die  Leistungen  der  deutschen  Frau  in  den  letzten  vierhundert 
Jahren.  Auf  wissenschaftlichem  Gebiete.  Guhrau,  M.  Lemke,  1894.  8.  VIII— 234  SS. 
M.  3.—. 

Roth's  Jahresbericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  des 
Militärsanitätswesens.  Herausgegeben  von  der  Redaktion  der  Deutschen  militärärztlichen 
Zeitschrift.  Jahrg.  XIX:  Bericht  für  das  Jahr  1893.  Berlin,  E.  S.  Mittler  &  Sohn,  1894. 
8.     VIII— 229  SS.     M.  4,80. 

Schäfer,  Th. ,  Die  weibliche  Diakonie  in  ihrem  ganzen  Umfange  dargestellt. 
2.  Aufl.  Bd.  II  und  III.  Stuttgart,  Gundert,  1893—94.  8.  XII— 344 ;  XV-330  SS. 
ä  M  4,50.  (A.  u.  d.  T. :  Bd.  II:  Die  Arbeiten  der  weiblichen  Diakonie;  Bd.  III:  Die 
Diakonissin  und  das  Mutterhaus.  — ) 

Schaible,  K.  H.  ,  Die  höhere  Frauenbildung  in  Grofsbritannien  von  den  ältesten 
Zeiten  bis  zur  Gegenwart.  Mit  einer  historischen  Skizze  der  britischen  Erziehung  im 
Allgemeinen,  von  der  Reformation  bis  zu  unserer  Zeit.  Karlsruhe,  Braun,  1894.  8. 
IX— 206   SS.     M.  2.—. 

Schneidewin,  Max,  Die  jüdische  Frage  im  Deutschen  Reich.  Versuch  eines 
unparteiischen  und  auf  die  salus  publica  zielenden  Schiedsspruches  zwischen  Antisemitismus 
und  Philosemitismus.     Hameln,  Th.   Fuendeling,   1894.     8.     X— 162  SS.     M.  2,50. 

Scholz,  Fr.,  Vorträge  über  Irrenpflege.  2.  Aufl.  Bremen,  Heinsius  Nachfolger, 
1895.     gr.  8       136   SS.     M.  2,80 

Schult  hei  fs,  Fr.  G.,  Friedrich  Ludwig  Jahn.  Sein  Leben  und  seine  Bedeutung. 
Preisgekrönte  Arbeit.     Berlin,   Hofmann  &  C°,   1894.     8.      198  SS.      M.   2,40. 

Verhandlungen  des  schweizerischen  Vereins  für  Straf-  und  Gefängniswesen  und 
der  interkantonalen  Vereinigung  der  schweizerischen  Schutzaufsichtsvereine  in  St.  Gallen 
am  9.  u.  10  Oktober  1893.  XVIII  Versammlung.  Aarau,  Sauerländer  &  C°,  1893.  8. 
75  u.  108  SS.  M.  2. — .  (Inhalt:  Referate:  Die  Unterstützung  der  Familien  der  Ge- 
fangenen durch  die  Schutzaufsichtsvereine.  Die  Untersuchungsgefängnisse,  ihre  Beschaffen- 
heit und  ihre  Verbesserung.  —  Verhandlungsprotokolle  nebst  Beilagen.  — ) 

Wem  ich,  A.  (Reg.-  u.  MedR.,  Berlin)  und  Weh  m  er  (Reg.-  u.  MedR.,  Koblenz), 


Die  periodische  Presse  des  Auslandes.  795 

Lehrbuch  des  öffentlichen  Gesundheitswesens.    Stuttgart,  Euke,  1894.    gr.  8.  XX — 788  SS. 
M.  18.—. 

Weyl,  Tb.,  Die  Assanierung  Neapels.  Reiseskizzen.  Braunschweig,  Vieweg  &  Sohn, 
1894  gr.  8.  27  SS.  mit  3  Plänen  in  qu.-folio.  (Sonderabdruek  aus  der  ,, Deutschen 
Vierteljahrsschrift  für  öffentliche  Gesundheitspflege",  Bd.  XXVI,   Heft  2.) 


Creighton,  Ch.,  A  history  of  epidemics  in  Britain.  Volume  II:  From  tbe  ex- 
tinction  of  the  plague  to  the  present  time.  London,  Cambridge  University  warehouse. 
Clay  &  Sons,   1894.     8.     20/.—. 

History  of  American  schools  for  the  deaf,  1817 — 1893.  Prepared  for  the  Volta 
Bureau  by  the  principles  and  superintendents  of  the  schools,  and  published  in  comme- 
moration  of  the  400th  anniversary  of  the  discovery  of  America.  Edited  by  E.  Allen  Kay 
(Prof.  in  the  National  Deaf-mute  Collegium).  3  volumes  Washington,  the  Volta  Bureau, 
1893.  gr.  in-8.  c.  1300  pp.  with  numerous  plates  and  woodcuts.  (Contents:  Volume 
I. :  Public  schools  in  the  United  States,  established  1817 — 1854.  —  Volume  IL:  Public 
schools  in  the  United  States,  established  1854  — 1893.  —  Volume  III.  :  Denominational 
and  private  schools  in  the  United  States.  Schools  in  Canada  and  Mexico.  —  Schools 
wbich  have  been  discontinued.  — ) 

Castelli,  L.,  Fasti  di  carnefici  d'Italia,  con  lettere,  note,  pensieri  e  scritti  di 
Garibaldi,  Mazzini,  Cattaneo,  Campanella,  Saffi,  Bovio,  Mario,  Quadrio,  Lemmi,  Crispi, 
Maffi  ecc.     Milano,  tip.  di  L.  Castelli  edit.,    1894.      16.      153   pp.     1.  0,50. 

Spataro,  Donato  (ingegniere),  Igiene  delle  abitazioni.  Volume  III.  (Provvista, 
condotta  e  distribuzione  delle  acque),  parte  3  :  La  distribuzione  delle  acque,  ingegneria 
»anitaria.     Milano,  Hoepli,  1895.     8.    XI — 624  pp.  con  4  tavole  e  flg.     1.  20. 


Die  periodische  Fresse  des  Auslandes. 

A.     Frankreich. 

Bulletin  de  statistique  et  de  lögislation  comparee.  XVIII i^ne  annee,  1894,  Sep- 
tembre  :  A.  France,  colonies:  Les  revenus  de  l'Etat,  exercice  1894:  France:  8  premiers 
mois;  Algerie:  7  premiers  mois.  —  Les  contributions  directes  et  les  taxes  assimilees, 
Situation  au  1er  septembre  1894.  —  Produits  des  contributions  indirectes  per(;us  et  con- 
states  pendant  le  1er  semestre  des  annees  1894  et  1893.  —  La  Situation  financiere  des 
communes  en  1893  (France  et  Algerie).  —  Le  commerce  exterieur,  mois  d'aoüt,  1894.  — 
B.  Pays  etrangers :  Angleterre :  Resultats  generaux  de  l'exploitation  des  chemins  de  fer 
de  la  Grande-Bretagne  et  de  l'Irlande  (1854 — 1892).  —  Roumanie:  Le  commerce  exterieur 
(1889  — 1892).  —  Etats-Unis:  Le  nouveau  tarif  douanier.  Le  commerce  exterieur,  1891/92 
ä  1893/94.  —  Republique  Argentine:    Le  projet  de  budget  pour   1895     —  etc. 

Journal  des  Economistes.  Revue  mensuelle.  53e  annee,  1894,  15  Septembre: 
Le  capital,  par  G.  du  Puynode.  —  La  question  des  noirs  aux  Etats-Unis,  par  G.  N. 
Tricoche  (suite  et  fin).  —  La  journee  de  huit  heures,  par  M.  LR.  —  Mouvement 
scientifique  et  industriel,  par  D  Bellet.  —  Revue  de  l'Academie  des  sciences  morales  et 
politiques,  par  J.  Lefort  (du  15  mai  au  15  aoüt  1894).  —  L'association  britannique  ä 
Oxford,  par  E.  Castelot.  —  Le  Vlieme  congres  des  banques  populaires  en  France,  par 
G.  Francois.  —  Une  singuliere  inegalite  en  matiere  d'impot,  par  Hubert- Valleroux.  Cor- 
respondance :  Les  dettes  publiques  russes  Un  monument  ä  Fr.  Quesnay.  —  Societe 
d'economie  politique,  seance  du  5  sept.  1894.  Discussion :  Le  homestead  et  la  röforme 
du  droit  de  saisie  en  France.  —   Chronique  economique.  —  etc. 

Journal  de  la  Societe'  de  statistique  de  Paris.  XXXVieme  annee,  1894,  N°  9, 
Septembre:  Le  crime  et  le  criminel  devant  le  Jury,  par  E.  Yvernes.  La  question  des 
assurances  agricoles  au  point  de  vue  de  la  statistique,  par  A.  Thomereau.  —  Chronique 
semestrielle  de  statistique  judiciaire,  par  E.  Yvernes.  —  Chronique  trimestrielle  de  statistique 
generale,  par  D.  Bellet.  — 

Moniteur  des  assurances.  Revue  mensuelle,  Nos  311  et  312,  16  aoüt  et  16  sep- 
tembre 1894  :  Assurances  agricoles.  Le  projet  Viger,  par  A.  Thomereau.  —  Du  monopole 
des  assurances  sur  la  vie,  par  P.  Moulin.  —  Les  compagnies  fran<jaises  d'assurances 
contre  l'incendie  en  1893:  I.  Operations  de  1893.  II.  Situation  au  31  decembre  1893, 
par  L.  Warnier.     Assurances  contre  la  grele.     Resume  des  Operations  de  l'exercice  1893. 


796  ^'e  periodische  Presse  des  Auslandes. 

I.  Operations  de  1893.  II.  Situation  au  31  decembre  1893.  —  Difficultes  de  I'Equitable 
des  Etats-Unis  en  Prusse.  —  Assurances  contre  l'incendie.  Les  celluloses  nitriques  ;  leur 
fabrication  industrielle,  par  A.  Candiani.  —  Assurances  sur  la  vie:  Resume  du  rapport 
du  bureau  föderal  suisse  pour  l'exercice  1892,  par  L.  Masse.  —  Les  societes  francaises 
et  ötiangeres  d'assurances  sur  la  vie.  Proposition  de  loi  de  M.  Guieysse.  Un  comite 
consultatif,  par  P.  Sidrac.  —  Assurances  contre  les  accidents ;  Resume  des  Operations  de 
l'exercice  1893,  par  L.  Warnier.  I.  Operations  de  1893.  II.  Assurances  diverses. 
III.  Situation  au  31   decembre   1893.     IV.  Renseignements  speciaux.  — 

Reforme  sociale.  Bulletin  de  la  Societe  d'economie  sociale  etc.  Hie  serie,.  tome 
VII,  livraison  12  et  tome  VIII  livraison  1:  16  juin  et  1"  juillet  1894:  L'evolution  et 
les  trois  formes  de  la  feodalite  en  France,  par  A.  des  Cilleuls.  —  La  naissance  d'une 
industrie:  La  colonie  de  San  Leucio  et  le  travail  de  la  soie  en  Italie  meridionale,  par 
Santangelo  Spoto.  —  Le  socialisme  et  J'industrie,  par  A.  Gibon,  suivi  d'observations  de 
MM.  Limousin  &  Welche.  —  Les  devoirs  et  les  profits  des  patrons,  par  E.  Aynard.  — 
Les  monts-de-piete  et  le  trafic  des  reconnaissances,  par  J.  Chorat.  —  La  legislation  beige 
sur  la  repression  de  la  mendicite  et  du  vagabondage,  par  P.  Arminjon.  —  Les  socialistes 
et  les  profits  du  capital,  par  P.  Lagarosse.  —  La  liberte  commerciale  au  moyen  äge,  par 
Hugon.  —  Visites  industrielles  et  sociales.  —  Chronique  du  mouvement  social,  par  A. 
Fougerousse.  —  Le  mouvement  social  k  l'etranger,  par  J.  Cazajeux.  —  Annales  de  la 
charite  et  de  la  prevoyance.  —  etc. 

Revue  internationale  de  sociologie  publiee  sous  la  direction  de  Rene  Worms. 
2e  Annee,  1894,  N°  9,  Septembre :  De  la  responsabilite  en  matiere  de  delit  et  de  son 
extension,  par  P.  Dorado.  —  Une  greve  au  seizieme  siecle,  par  H.  Hauser.  —  L'organi- 
sation  scientifique  de  l'histoire,  par  R.  Worms.  —  Mouvement  social:  Suisse,  par  V. 
Rossi.  —  etc. 

Revue  maritime  et  coloniale,  Livraison  395  et  396:  Aoüt  et  Septembre  1894: 
Notice  geographique,    topographique   et  statistique  sur  le  Dahomey    (3e,  4e  et  5e  parties). 

—  La  guerre  de  Paraguay,  par  Chabaud-Arnault  (suite  et  fin).  —  Influence  de  la  puis- 
sance  maritime  sur  l'histoire,  1660 — 1783  (suite  3  et  4).  —  Chronique  du  port  de  Lorient 
de  1803  ä  1809,  par  Lallemand  (suite  2).  —  Voyages  aeriens  au  long  cours.  Les  aero- 
stats  et  la  traversee  de  l'Afrique  australe,  par  L.  Dex  et  Maur.  Dibos.  —  L'electricite 
en  Amerique,  par  J.  Leflaive.  —  Geometrie  des  diagrammes,  par  Baills  (suite  1)  — 
L'adoption   du  pavillon   tricolore,    par  Loir.  —  Du  droit  de  guerre.     Traduit  de  l'italien. 

—  Peches  maritimes:  La  peche  du  maquereau  sur  les  cotes  d'Irlande.  La  peche  mari- 
time ä  l'entree  de  l'isthme  et  dans  le  canal  de  Suez.  Etat  des  huitrieres  du  sous-arron- 
dissement  de  Lorient,  mai  ä  juin  1894.  L'ostreiculture  en  Italie.  Peche  du  hareng  dans 
la  mer  du  Nord  et  de  la  Manche.  Peche  de  la  morue  dans  la  mer  du  Nord,  pendant 
l'annee  1893.  Situation  de  la  peche  et  de  l'ostreiculture  pendant  les  mois  de  juin  et 
juillet  1894.  —  etc. 

B.    England. 

Board  of  Trade  Journal.  Vol.  XVII.  N°  98  and  99,  September  and  October  1894  : 
Agriculture  returns  of  Great  Britain,  1894.  —  The  Russian  merchant  navy.  —  German 
Commercial  Unions.  —  A  permanent  consultative  commission  of  commerce  and  industry 
in  France.  —  Establishment  of  an  official  Department  of  labour  in  Spain.  —  The 
charcoal  pig  iron  industry  in  the  U.  States.  —  The  commerce  and  finances  of  Latin 
America.  —  Santa  Fe  as  a  field  for  emigration.  —  The  railways  of  Australia.  —  The 
coal  industry  of  India.  —  The  Manchester  ship  canal.  —  German  commercial  enterprise. 

—  The  foreign  trade  of  Spain.  —  The  salt  trade  of  the  Soudan.  —  Indian  mineral  pro- 
duction.  —  Emigration  from  British  India.  —  The  cotton  industry  of  Japan.  —  The 
Mexican  leather  industry.  —  The  trade  of  British  Columbia.  —  New  Brazilian  customs 
regulations  for  Port  Alegre  and  Rio  Grande  do  Sul.  —  New  U.  States  customs  tariff.  — 
Tariff  chauges  and  customs  regulations.  —  Extracts  from  diplomatic  and  consular  reports. 

—  General  trade  notes.  —  Statistics  of  trade  emigration,  fisheries,  etc.  —  State  of  the 
skilled  labour  market.  —  etc. 

Contemporary  Review,  the.  October  1894:  The  eight-bours'  Bill  for  miuers, 
its  economic  effect,  by  E.  Bainbridge.  —  East  and  West,  by  E.  Reclus.  —  Cabinet 
counsels  and  candid  friends,  by  T.  H.  S.  Escott.  —  The  work  of  the  beer-money,  by 
J.  Rae.  —  Our  most  distinguished  refugee,  by  E.  Seilers.  —  French  prisons  and  their 
inmates,  by  E.   R.   Spearman.    —    Joseph  Priestley  in  domestic  life,  by  (Madame)  Belloc. 

—  Weismannism  once  more,  by  Herbert  Spencer.   —  etc. 


Die  periodische  Presse  des  Auslandes.  797 

Economic  Journal,  the,  edited  by  F.  Y.  Edgeworth.  Vol.  V,  September  1894: 
The  annual  meeting  of  the  association ;  Political  economy  and  journaljsm,  by  (Prof.)  J. 
S.  Nicholson.  —  Ricardo  in  Parliament  (part  2),  by  E.  Cannan.  —  Theory  of  inter- 
national value,  by  (Prof)  F.  Y.  Edgeworth  (dart  2).  —  The  report  of  the  Labour 
Commission,  by  L.  L.  Price.  —  The  commercial  supremacy  Great  Britain,  by  A.  W. 
Flux  (part  1)    —  Mr.  Charles  Booth  on   the  aged  poor,  by   C.   S.   Loch.   — 

Edinburgh  Review,  the,  N°  370  (pubiished  on  October  16,  1894:  English  towns 
in  the  XV'h  Century.   —  The  Lonsdale  papers.   —  The  report  of  the  Labour  Commission. 

—  The  letters  of  Edw.   Fitzgerald.    —    Projectiles  and  explosives  in  war.   —  Naval  war 
in  the  East.   —   The  educational  crisis.  —  etc. 

Fortnightly  Review,  the.  October  1894:  The  Crimea  in  1854  and  1894,  by 
(General  Sir)  E.  Wood.  —  Sidelights  on  the  IInli  empire  (part  2),  by  W.  Graham.  — 
Our  workmen's  diet  and  wages,  by  Th.  Oliver.  —  The  extermination  of  great  game  in 
South   Africa,  by  H.  A.  Bryden.  —  In  Syria,  by  Fr.   Carrel.  —  Madagascar,  by  Vazaha. 

—  A   pretender  and  bis  family,  by  A.   D.  Vandam.  —  etc. 

Humanitarian,  the.  A  monthly  magazine.  Vol.  V,  N°  4,  October  1894:  Village 
-ituation  in  India,  by  FJorence  Nightingale.  —  The  Christ  of  the  past  and  of  the  future. 
by  (the  Rev.)  A.  Momerie.  —  The  position  of  italian  women,  by  Evelyn  M.  Lang.  — 
The  painless  extinction  of  life  in  the  lower  animals.  An  interview  with  (Sir)  B.  Ward 
Richardson.  —  The  necessity  of  re-establishing  the  Contagious  Diseases  Act,  by  (Surgeon- 
General  Sir)  W.  Moore.  —  The  New  Hebdonism  controversy,  by  G.  Ives.  —  Higher 
powers  in  man,  by  H.   T.  Edge.  —  etc. 

Journal  of  the  Royal  Statistical  Society.  Vol.  LVII,  part  3,  September  1894: 
Annual  report  of  the  Council.  —  Statistics  of  litigation  in  England  and  Wales  since 
1859,  by  J.  Macdonell.  —  A  comparison  of  the  growth  of  wealth  in  France  and  Eng- 
land, also  of  their  economic  conditions,  specially  with  reference  to  their  agricultur  Systems 
and  their  position  in  case  of  war ,  by  W.  J.  Harris,  with  discussion.  —  Asymmetrical 
correlation  between  social  phenomena,  by  (Prof.)  F.  Y.  Edgeworth.  —  Agricultural  returns 
of  the  acreage  and  live  stock  for   1894.  —  etc. 

National  Review,  the.  October  1894:  Shall  we  degrade  our  Standard  of  value  V 
by  (Lord)  Farrer.  —  An  country  house  question,  by  X.  —  The  invisible  government, 
by  St.  Loe  Strachey.  —  Some  Oxford  memories,  by  T.  H.  S.  Escott.  —  An  American 
utopia,  by  E.  Porritt  —  The  poor  man's  cow,  by  H.  W.  Wolfi.  —  „Problems  of  the  far 
East",  by  (Captain)   Maxse.    —  A  very  light  railway,  by  (Miss)  J.   Barlow.  —  etc. 

New  Review,  the.  October  1894:  Ireland  and  the  government,  by  J.  Mc  Carthy. 
Christianity  and  communism,  by  W.  S.  Lilly.  —  Country-house  parties,  by  E.  F.  Ben- 
son.  —  A  political  bird's-eye  view ,  by  Fr.  Greenwood  —  Secrets  from  the  court  of 
Spain,  VI.  —  Dry-fly  fishing,  by  (Sir)  E.  Grey.  —  The  East-end  and  crime,  by  (Rev.) 
A.   Osborne  Jay.  —  Women  in  the  colonies,  by  G.  Parker.  —  etc. 

Nineteenth  Century,  the.  A  monthly  review  edited  by  J.  Knowles,  N°  211, 
September  1894:  True  and  false  conceptions  of  the  atonement,  by  W.  E.  Gladstone.  — 
Heresy  and  schism  from  another  point  of  view ,  by  Vance  Smitb.  —  „Known  to  the 
police",  by  E.  R.  Spearman.  —  The  facts  äbout  University  extension,  by  M.  E.  Sadler 
and  by  (Mrs.)  James  Stuart.  —  Mutual  aid  in  the  mediaeval  city,  by  (Prince)  Krapolkin 
(concluded).  —  The  Hadramut :  a  journey  in  Southern  Arabia,  by  J.  Th.  Bent.  —  The 
gold  question  :  an  appeal  to  monometallists,  by  J.  P.  Heseltine.  —  Mrs.  Sidney  Webb's 
attack  on  the  Labour  Commission,  by  Geoffrey  Drage  (Secretary  to  the  Commission).  — 
The  parish  priest  in  England  before  tbe  Reformation,  by  (the  Rev.)  Jessopp.  —  etc. 

D.    Rufsland. 
Bulletin  Russe  de  statistique  financiere  et  de  legislation.     l^re  annee,  N°  6,    Aoüt 
1894:    Le  nouveau  tarif   des    chemins    de    fer  russes  pour    les  voyageurs    et  les  bagages. 

—  Statistique  du  trafic-voyageurs  pendant  la  periode  1888  — 1891.  —  Tableau  des  titres 
(d'emissions  cree'es  ou  garanties  par  l'Etat)  se  trouvant  en  Russie  dans  les  caisses  publi- 
ques,  des  banques,  etc.  Reparation  geographique  de  ces  titres.  Caisses  dans  lesquelles 
ces  titres  sont  deposes.  —  Obligations  emises  par  les  compagnies  industrielles  ou 
commerciales  et  libellees  en  rbl. -credit  (1er  janvier  1894).  —  Production  des  usines, 
fabriques  et  manufactures  russes  en  1891.  —  Tarif  conventionnel  russe.  Valeur  des 
quantites  importees  en  Russie  du  20  mars  au  13  juin  n.  s.  —  Principales  exportations 
de  la  Russie  pendant  les    4  premiers  mois  de  1893    et  de  1894.  —  Budgets  de  l'Empire. 


798  ^e  periodische  Presse  des  Auslandes. 

Donnees  diverses  concernant  l'examen  legislatif  et  l'approbation  du  budget.  —  Bilan  de 
la  Banque  de  Russie.  —  Les  compagnies  d'assurances  par  actions  en  1893.  —  Hotel  des 
monnaies  de  St.-Petersbourg :  Valeurs  des  monnaies,  lingots  et  medailles  d'or  sortis  de  la 
Monnaie  pendant  les  17  dernieres  annees.  —  La  frappe  de  l'or  en  Russie  pendant  les 
17  dernieres  annees.  —  etc. 

E.  Italien. 
Giornale  degli  Economisti.  Ottobre  1894:  La  grande  e  la  piecola  industria 
armentizia  nell*  appennino  marchigiano,  per  F.  Colletti.  —  La  dottrina  politico-economica 
di  Fr.  Ferrara,  per  D.  Berardi  (cootinuazione  e  fine).  —  Libero  scambio,  protezione  e 
trasformazione  agraria  in  Sicilia,  per  un  libero  scambista  siciliano.  —  Cronaca:  1  feno- 
meni  economici  e  quelii  morali.     La    legge    dei  contadini   del  Cremonese,    per  V.  Pareto. 

—  Previdenza,  per  C.  Bottoni.  —  La  situazione  del  mercato  monetario,  per  X.  — 
Supplemento :  Saggio  di  bibliografia  economica  italiana  1870 — 90,  per  A.  Bertolini  (con- 
tinuazione).  — 

R  i  v  i  s  t  a  della  beneficenza  pubblica  e  di  igiene  sociale.  Anno  XXII,  N°  7 — 8  : 
31  Luglio — 31  Agosto  1894  :  L'orfanotrofio  femminile  di  Santa  Maria  degli  Angeli  in 
Roma.  —  Un  indirizzo  di  435  eieebi  istruiti  italiani  al  (cav.)  D.  Barbi-Andriani  perche 
lo  prensenti  alle  competenti  autoriiä.  —  La  Societä  Britannica  e  forestiera  in  favore  dei 
ciechi.  —  Per  gli  infortuui  sul  lavoro  in  Germania.  —  La  pia  casa  di  lavoro  di  Firenze 
ed  il  contributo  per  la  spesa  di  mantenimento  degli  inabili  al  lavoro.  —  La  legge  sulle 
casse  di  pensioni,  di  soecorso  e  di  previdenza  istituite  a  fovore  degli  impiegati  e  operai 
in  Francia.  —  Sulla  societä  di  assicurazioni.  —  L'organizzazione  ed  il  funzionamento  di 
un  servizio  modello  di  chirurgia  a  Parigi,  per  C.  Gorini.  —  Cenni  statistici  ed  economici 
sulla  repartizione  della  tuberculosi  in  Italia  con  speciale  riguardo  alla  grandi  citta,  per 
(ingegn.)  A.  Raddi.  —  etc. 

G.  Belgien  und  Holland. 
Revue  de  droit  international  et  de  legislation  comparee  (Bruxelles).  Tome  XXVI, 
1894,  N°  4:  La  codification  du  droit  international  prive\  Uieme  Conference  tenue  ä  la 
Haye,  du  25  juin  au  13  juillet  1894.  Communication  de  T.  M.  C  Asser.  —  Le  differend 
entre  le  Portugal  et  le  Bresil  consideree  au  point  de  vue  du  droit  international,  par 
J.  B.  de  Martens-Ferräo.  —  Du  droit  de  propriete  revendique  par  les  Etats-Unis  d'Amerique 
sur  les  phoques  ä  fourrure  de  la  mer  de  Behring.  Etüde  critique  par  E.  Engelhardt.  — 
Observations  sur  la  contrebande  de  guerre,  par  L.  de  Bar.  —  Solidarite  et  souverainete, 
a  propos  d'une  brochure  intitul^e :  „L'intervention  et  la  peninsule  balkanique",  par 
Brocher  de  la  Flechere.  —  etc. 

H.    Schweiz. 
Schweizerische  Blätter    für  Wirtschafts-    und    Sozialpolitik.     Jahrg.  II,    Nr.  17 
u.  18:   1.  u.  15.  September  1894:    Die  Ausführung  des  neuen  Artikels  39    der  schweize- 
rischen Bundesverfassung  (Banknotenmonopol) ,    von    Wilhelm    v.    Graffenried    (Artikel  I 
u.  II).  —  Das  Recht  auf  Arbeit    und  die  allgemeine  Volksversicherung,    von  A.   Drexler. 

—  Ein  Stück  schweizerische  Sozialgeschichte,  von  (Prof.)  J.  Platter  (mit  ausschliefslicher 
Bezugnahme  auf  die  Schrift:  „Der  Bauernstand  des  Kantons  Luzern  ehemals  und  heute, 
von  Joh.  Schwendimann").  —  Sozialpolitische  Rundschau :  Die  Studentenverbindung 
„Zofingia"  und  die  Arbeiterversicherung.  Die  Volksabstimmung  vom  12.  August  im 
Kanton  Zürich.  Volksversicherung  mit  Hilfe  der  eidgenössischen  Post.  Die  Gewerbe- 
t'reiheit  und  die  eidgenössische  Schulwandkarte.  Das  eheliche  Güterrecht  im  zukünftigen 
eidgenössischen  Civilgesetzbuch.  —  Statistische  Notizen :  Bedarf  und  Lebenshaltung  der 
schweizerischen  Bevölkerung.     Die  Streiks    in    England    in    den  Jahren    1892    und   1893. 

—  etc. 

L 'Union  postale.  Vol.  XIX,  N°  9,  Berne,  1er  septembre  1894:  La  caisse  d'epargne 
postale  Autrichienne  en  1893.  —  Le  Service  postal  de  Queensland  en  1892.  —  Le  coche 
de  Paris  ä  Strasbourg  ä  la  fin  du  XVlIlieme  siecle. 

K.    Spanien. 
ElEconomista.     N°  434—435.     Ano  1894.     (Madrid):    El    credito    de    Espana 
y  el  credito  de  Europa.  —  La    legislaciön    y    las  cajas    de    ahorros  y  montes  de  piedad. 

—  Alza  del  precio  en  oro  de  La  Plata.  —  La  situaeiön  de  los  mercados  monetarios.  — 
Los  cambios  y  el  patriotismo  espanol.  —  Los  ferro-carriles  espanoles.  — 


Die  periodische  Presse  Deutschlands.  799 

L.  Amerika. 
Political  Science  Quarterly,  edited  by  the  University  faculty  of  political  science 
of  Columbia  College,  Vol.  IX,  N°  3,  September  1894:  New  York  city  and  the  State,  by 
A.  C.  Bemheim.  —  American  administrative  law,  by  E.  Freund.  —  Assimilation  of 
nationalities ,  by  (Prof.)  R.  Mayo-Smith.  —  New  Wealih  ,  by  W.  Smart.  —  Camorra, 
malfia  and  brigandage,  by  S.  Merlino.  —  Capitalistic  monopolies,  by  (Prof.)  J.  W.  Jenks. 
—  Universities  in  France,  by  Ch.  V.  Langlois.  —  etc. 


Die  periodische  Presse  Deutschlands. 

Annalen  des  Deutschen  Reichs  für  Gesetzgebung,  Verwaltung  und  Statistik.  Hrsg. 
von  G.  Hirth  und  M.  v.  Seydel.  Jahrg.  XXVII,  1894,  Nr.  10:  Reichshaushalt  für  das 
Jahr  1894/95:  Berechnung  der  zur  Deckung  der  Gesamtausgabe  aufzubringenden  Matri- 
kularbeiträge.  —  etc.  —     Die    neuen  Handels-  und  Zollverträge    des    Deutschen    Reichs: 

IV.  Handels-,  Zoll-  und  Schiffahrtsvertrag  mit  Rumänien  und  Serbien.   — 

Archiv  für  Post  und  Telegraphie.  Jahrg.  1894,  Nr.  15  u.  16,  August:  Einige 
technische  Einzelheiten  über  die  unterirdischen  Fernsprechlinien  in  Hamburg  und  Leipzig. 
—  Kulturfortschritte  in  Japan  und  China.  —  Die  Donauregulierung  am  Eisernen  Thor.  — 
Die  Insel  Formosa.  —  Zur  Geschichte  der  telegraphischen  Verkehrseinrichtungen  in 
Köln  a/Rhein.  —  Ein  alter  Postbericht  der  Residenzstadt  Kassel.  —  Was  wissen  wir 
vom  Südpol  ?  —  Korea  und   die  Koreaner.  —  etc. 

Archiv  für  bürgerliches  Recht.     Herausgegeben  von  (Prof.)  J.   Kohler,  (LdRichter) 

V.  Ring,  (Privatdoz.)  P.  Oertmann.  Bd.  IX,  Heft  1,  September  1894:  Die  russische 
Gesetzgebung  in  den  baltischen  Provinzen  auf  dem  Gebiete  des  Privatrechts,  vom  (Mag.  jur.) 
Th.  v.  Bunge  (Reval).  —  Ein  Fusionsvertrag  zwischen  einer  Aktiengesellschaft  und  einer 
offenen  Handelsgesellschaft ,  insbesondere  die  rechtliche  Natur  eines  solchen,  die  Befugnis 
eines  Gesellschafters  zum  Abschlufs  des  Vertrages  namens  der  Gesellschaft,  sowie  zur 
Wiederaufhebung  desselben  mit  bindender  Kraft  für  die  übrigen  Teilhaber  der  offenen 
Handelsgesellschaft,  von  (OLGerR.  a.  D.)  Hergenhahn  (+)  Eisenach.  —  Das  Recht  der 
Kunstwerke  und  Altertümer,  von  J.  Kohler.  —  Ueber  Eigentum  an  Briefen  nach  heutigem 
gemeinen  Recht,  von  G.  Petschek  (Prag)  —  Die  Wertangabe  im  heutigen  Frachtverkehr 
mit  Ausschlufs  des  Eisenbahn-  und  Postverkehrs  ,  von  K.  Friedrichs  (Kiel).  —  Rechts- 
grundsätze  des  Reichsgerichts  in  systematischer  Darstellung,   von  P.   Oertmann.  — 

Christlich-soziale  Blätter.  Jahrg.  XXVII,  1894,  Heft  17  u.  18:  Die  Vereinigung 
schweizerischer  Sozialpolitiker ,  von  H.  Loretz  (apostol.  Protonotar  u.  Domkapitular  in 
Chur).  —  Denkschrift  über  die  Lage  der  Landwirtschaft  und  die  Organisation  des  Bauern- 
standes, für  den  VI.  (Wirtschafts-)Ausschufs  der  Kammer  der  Abgeordneten ,  von  dem 
Abgeordneten  Jäger  (2.  u.  3.  Fortsetz.).  —  Delegiertentag  der  katholischen  Arbeitervereine 
Süddeutschlands  (3.  u.  4.  Sept.  1884  in  Augsburg).  —  Die  christliche  Sozialreform  und 
die  41.  Generalversammlung  deutscher  Katholiken  zu  Köln,  1894.  —  Sozialpolitische 
Rundschau  IX  u.  X.   — 

Deutsche  Revue  über  das  gesamte  nationale  Leben  der  Gegenwart.  Herausgegeben 
von  R.  Fleischer.  Jahrg.  XIX:  1894,  Oktober:  Fürst  Bismarck  und  die  Parlamentarier, 
von  H.  v.  Poschinger  (IV.).  —  Der  Anarchismus  ,  von  C.  Lombroso.  —  Ueber  das  Zu- 
sammenwirken von  Bessel,  Encke  und  A.  v.  Humboldt,  von  W.  Förster.  —  Erinnerungen 
aus  dem  Leben  von  Hans  Viktor  v.  Unruh,  von  H.  v,  Poschinger  (VII.).  —  Einige  Worte 
über  einen  Handelsvertrag  mit  Spanien  ,  von  A.  Canovas  del  Castillo.  —  Wie  grofs  ist 
der  Holzreichtum  der  Erde  ?  —  etc. 

Finanzarchiv.  Zeitschrift  für  das  gesamte  Finanzwesen.  Herausgegeben  von 
G.  Schanz.  Jahrgang  XI,  1894,  Band  2:  Die  neueste  Steuerreform  in  den  Niederlanden 
im  Anschlufs  an  die  Finanzgeschichte  des  Landes  seit  der  Verfassungsrevision  im  Jahre 
1848,  von  G  M.  Boissevain.  —  Vermögenssteuergesetz  für  das  Königreich  der  Nieder- 
lande, vom  27.  IX.  1892.  —  Niederländisches  Gesetz  vom  2.  X.  1893,  betreffend  die 
Steuer  von  den  Einkünften  aus  Beruf  etc.  —  Die  Heranziehung  der  Feuerversicherungs- 
unternehmungen zu  den  Kosten  des  Feuerlöschwesens,  von  F.  Oegg  (Würzburg).  —  Das 
Finanzwesen  Italiens  im  Jahre  1893,  von  L.  Sachs  (Wien).  —  Die  Staatswohnungssteuer 
in  Rufsland,  von  J.  v.  Keufsler  (St.  Petersburg).  —  Das  Budgetwesen  der  Gemeinden  im 
Grofsherzogtum  Hessen,  von  Zeller  (Darmstadt).  — 


300  Die  periodische  Presse  Deutschlands. 

Die  Neue  Zeit.  Jahrg.  XII,  Bd.  II  (1893/94  Nr.  44—52:  Soziologie,  Ethnologie 
und  materialistische  Geschichtsauffassung  ,  von  H.  Cunow.  —  Ein  Jahrzehnt  der  öster- 
reichischen Gewerbeinspektion,  von  Dionys  Zinner.  —  Eine  neue  „Arbeiterfrage1',  von 
E.  Bernstein  (Referat  über  die  bezügliche  Schrift,  von  H.  Herkner).  —  Die  Wahlen  in 
Belgien.  —  Der  Klassenkampf  in  Frankreich,  von  P.  Lafargue.  —  Die  ländlichen  Volks- 
schulen des  Kreises  Franzburg  in  hygienischer  Beziehung.  —  Der  Einflufs  des  Kapitalis- 
mus auf  die  moderne  dramatische  Kunst,  von  Erich  Schlaikjer.  —  Beiträge  zur  Entwicke- 
lungsgeschichte  der  Grofsindustrie  in  Deutschland.  —  Ueber  Latifundienlandwirtschaft  in 
Nordamerika,  von  R.  Meyer.  —  Die  erbliche  Belastung  der  Prostituierten,  von  R    Calwer. 

—  Die  russischen  und  polnischen  Juden  in  London,  von  M.  Beer  (London)  —  Die  Ver- 
staatlichung der  Aerzte.  —  Die  schweizerische  Fabrikinspektion,  von  D.  Zinner.  —  Die 
Sozialdemokratie  in  den  deutschen  Grofsstädten.     Eine    statistische  Studie ,    von  O.  Geck. 

—  Zur  Lage  des  bayerischen  Bauernstandes,  von  A.  Müller.  —  Der  Trade  Unions-Kongrefs 
von  Norwich  und  die  Sozialdemokratie  in  England,  von  Ed.  Bernstein.  —  Die  industrielle 
Politik  Rufslands  in  dessen  polnischen  Provinzen.  —  Am  Gedenktage  der  „Internationale", 
von  Ed.  Bernstein.  —  Die  „Internationale"  und  die  Schule.  —  etc. 

Preufsische  Jahrbücher.  Herausgegeben  von  Hans  Delbrück.  Band  LXXVIII, 
Heft  1,  Oktober  1894:  Maria  Antoinette  im  Kampf  mit  der  Revolution,  von  (Prof.)  Max 
Lenz  (I.).  —  Reformbestrebungen  auf  strafrechtlichem  Gebiete,  von  (Prof.)  A.  Merkel.  — 
Die  heutige  französische  Volksschule,  von  (GymnasialDir.  a.  D.)  A.  Döring.  —  Rang  und 
Gehalt  in  Justiz  und  Verwaltung,  von  Sellow.  —  etc. 

Vereinsblatt  für  deutsches  Versicherungswesen.  Jahrg.  XXII,  1894,  Nr.  8  u.  9  : 
Zur  Statistik  der  Brände  während  des  Jahres  1893.  —  Zur  Rechtsprechung  des  Reichs- 
gerichts und  anderer  Gerichtshöfe  in  Versicherungsangelegenheiten.  —  Die  kleinen  Gegen- 
seitigkeitsverbände. —  Transportversicherungsergebnisse  des  Jahres  1893.  —  Geschäfts- 
und Vermögensentwickelung  der  Oesterreich- Ungarischen  Lebensversicherungsgesellschaften 
im  Jahre   1893.  —   Lebensversicherungsgeschäft  in  England  in   1893.  —  etc. 

Zeitschrift  für  Kulturgeschichte.  Hrsg.  von  G.  Steinhausen  (Kustos  an  der 
Universitätsbibliothek  in  Jena).  Bd.  II,  1894,  Heft  1  :  Karl  v.  Zierotin  und  sein  Tage- 
buch vom  Jahre  1591,  von  F.  v.  Krones  (Prof.,  Graz).  —  Die  Faustsage  nach  ihrer 
kulturgeschichtlichen  Bedeutung,  von  (Prof)  K.  Biedermann  (Leipzig).  —  Zur  Geschichte 
der  Uniform  in  Deutschland  von   G.  Liebe  (Arehivassistent,  Magdeburg).  —  etc. 

Zeitschrift  für  Litteratur  und  Geschichte  der  Staatswissenschaften.  Herausgegeben 
von  K.  Frankenstein.  Band  III,  1894,  Heft  4.  Zur  Biographie  Quesnay's  von  (Prof.) 
A.  Oncken  (Fortsetzung).  —  Auf  dem  Wege  zur  Gewerbefreiheit  in  Preufsen,  von 
(RegR  )  v.  Rohrscheidt  (Schlufs).  —  Kritiken  und  Referate.  —  Bibliographie  des  Arbeiter- 
versicherungswesens im  Deutschen  Reiche,  vom  Herausgeber  (Fortsetzung).  — 

Zeitschrift  für  Sozial-  und  Wirtschaftsgeschichte.  Herausgegeben  von  (Drr.) 
St.  Bauer  (Brunn)  und  L.  M.  Hartmann  (Wien).  Band  III,  1894,  Heft  1  (Weimar  und 
Berlin):  1894:  Die  Goldwährung  im  Deutschen  Reiche  während  des  Mittelalters,  von 
K.  Th.  v.  Inama-Sternegg.  —  Der  Kommunismus  der  Huterischen  Brüder  in  Mähren  im 
XVI.  und  XVII.  Jahrhundert.  —  Die  Aufnahme  der  Gewerbefreiheit  in  Preufsen,  von 
K.  v.  Rohrscheidt.  I:  Die  Stellung  des  Ministers  Dohna.  —  Zur  Geschichte  der  Zünfte 
im  frühen  Mittelalter :  (I.  J.  Nicole ,  Le  livre  du  Prefet.  II.  Ravenna.  III.  E.  Rodo- 
canachi,  Les  corporations  ouvrieres  ä  Rome).  —  etc. 


Frommannsche  Buchdruckerei  (Hermann  Pohle)  in  Jena. 


Willi  V  arges,  Zur  Entstehung  der  deutseben  Stadtverfassung.  301 


VII. 

Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung. 

Von 

Dr.  Willi  Varges. 

(Zweiter  Teil1). 

Kapitel  VI. 
Die  Stadtgemeinde. 

Die  Bewohner  der  Städte,  die  Bürger,  bilden  eine  festgeschlossene 
Genossenschaft.  In  lateinischen  Urkunden  'wird  diese  Genossenschaft 
als  universitas  2),  unanimitas  3)  communitas 4)  commune  5),  communio  6), 
auch  schlechthin  als  civitas7  )  oder  als  burgenses  bezeichnet.  Zu- 
weilen werden,  wie  das  mittelalterlicher  Brauch  war,  auch  zwei  Aus- 
drücke pleonastisch  nebeneinander  gestellt,  so  universitas  et  commu- 
nitas8),  universitas  et  civitas  9),  civitas  universa10).     Seltener  kommen 


1)  Vgl.  Dritte  Folge,  Band  VI  dieser  Zeitschrift,  S.  161—214.  Zur  Entstehung 
der  deutseben   Stadtverfassung:  Erster  Teil.     (Citiert  als  Aufsatz  I.) 

Ueber  die  Litleratur  vgl.  Aufs.  I,  S.  161.  A.  1.  Vgl.  den  Litteraturbericht  in 
Quidde,  Deutsche  Zeitschrift  für  Geschichte,  Bd.  10,  S.  155  220,  225,  S.  228.  Besonders 
hervorzuheben  sind:  Pirenne,  L'origine  des  constitutions  urbaines  du  moyen  Ige.  Extrait 
de  la  Revue  historique,  Tome  LIII,  1893.  Knieke,  Die  Einwanderung  in  den  west- 
fälischen Städten  bis  1400.  Münster  1893.  Philipp!,  Zur  Verfassungsgeschichte  der 
westfälischen   Bischofsstädte.     Osnabrück   1894. 

Zu  meinen  auf  S.  162  angeführten  Arbeiten  kommt  hinzu:  Zur  Entstehung  der 
Stadt  Bremen.     Ztschr.   des  Vereins  für  Niedersachsen,    1893,  S.  337 — 367. 

2)  Urkundenbuch  von  Wernigerode  n.  4,  S.  4.  Urkundenbuch  von  Bremen  I.  n.  275, 
S.  205  Urkundenbuch  von  Erfurt  I.  n.  100,  n.  114,  117.  Vgl.  auch  S.  489.  Ich  führe 
nur  einzelne  Belegstellen  an,  die  ich  wie  im  ersten  Teil  hauptsächlich  den  niederdeutschen 
Städten  entnehme. 

3)  Urkundenbuch  von  Halberstadt  I,  n.   136,  n.  46. 

4)  Urkundenbuch  von  Bremen  I.  n.   144.     Urkundenbuch  von  Erfurt  I.   n.  213,  S.  167. 

5)  Urkundenbuch  von  Halberstadt  I.  n.  40a.  Urkundenbuch  von  Hildesheim  I.  n.  72, 
S.  39. 

6)  Gengier,  Stadtrechte  S.  202. 

7)  Ebenda  S.  305,  §  5. 

8)  Urkundenbuch  von  Erfurt  I.  n.  555,  S."388. 

9)  Ebenda  I.  n.  475,  S.     Vgl.  „stad  und  gemeinde"  n.  581,  582,  cives  et  communi- 
as.     n.  257. 

10)  Ebenda.     I.  n.  235. 

Dritte  Folge  Bd.  Vni  (LXin).  51 


802  Willi  Varges, 

zur  Bezeichnung  der  Bürgergemeinschaft  andere  Benennungen,  wie  colle- 
giuin  civitatis1),  consortium  civitatis2),  civilitas,  concivilitas  3)unio4) 
vor.  Ob  sich  auch  der  Name  conjuratio,  Eidgenossenschaft,  in 
deutschen  Urkunden  findet,  ist  sehr  fraglich.  Im  Freiburger  Stadt- 
recht von  1120  5)  heißt  es  zwar,  die  bei  Gründung  der  Stadt  heran- 
gezogenen Bürger  hätten  eine  conjuratio  geschlossen.  Es  soll  dies 
aber  wohl  nichts  anderes  bedeuten,  als  daß  die  zuwandernden  merca- 
tores  den  Bürgereid  abgelegt  haben.  Mit  Conjuratio 6)  wird  jede 
eidlich  geschlossene  Einigung,  Vereinigung,  auch  die  Verschwörung 
bezeichnet.  Für  die  Genossenschaft  der  Bürger  wird  man  diese  Be- 
zeichnung ihrer  Vieldeutigkeit  wegen  nicht  gewählt  haben.  Aus  ein- 
zelnen Urkunden  geht  klar  hervor,  daß  conjuratio  etwas  anderes  als 
die  Genossenschaft  der  Bürger,  die  Stadtgemeinde  ist.  So  wird  in 
Trier  1161  eine  communio  civium  Trevirensium,  quae  et  conjuratio 
dicitur  aufgehoben 7),  die  Stadtgemeinde  bleibt  aber  bestehen.  Wir 
haben  es  hier  mit  einer  besonderen  eidlichen  Verbindung  der  Bürger 
zu  thun,  die  geschlossen  wurde,  um  einen  bestimmten  Zweck  durch- 
zusetzen, kurz,  mit  einer  Vet  schwörung  zu  thun.  Solche  Verschwö- 
rungen und  Eidgenossenschaften  werden  auch  in  anderen  Städten  er- 
wähnt. Am  bekanntesten  ist  jene  Eidgenossenschaft,  die  im  Jahre 
1112  in  Köln  geschlossen  wurde.  Sie  wurde  als  conjuratio  pro  liber- 
tate  bezeichnet 8). 

In  deutscheu  Urkunden  wird  die  Genossenschaft  der  Bürger 
als  borgerschap  9),  stad  10),  stad  und  gemeinde11),  meist  als  meynheit, 
mende,  menne,  menheyt  der  stad12).  also  ebenso  wie  die  Gemein- 
schaft der  Dorfbewohner  als  Gemeinde  bezeichnet.  Wir  wollen  die 
Genossenschaft  der  Bürger   fortan   als  Stadtgemeinde   bezeichnen. 

Zuweilen  kommt  für  Stadtgemeinde  auch  der  Ausdruck  burscap, 
Burschaft13),   Laischaft 14),  also  Nachbarschaft,  vicinia15),   vor.     Am 


1)  Urkundenbuch  von  Bremen.     I.  n.  308,  S.   349. 

2)  Gaupp,    Stadtrechte  I.  S.   97,  §  6,    13,   14.     (Stadtrecht  von   Haynau).     Vgl.    auch 
v.  Maurer,  Städteverfassung   II.   S.   191   ff      Westfäl    Urkundenbuch  IV,  93.     (Paderborn). 

3)  Gengier,    Stadtrechte    S.   125       Urkundenbuch    von  Bremen,    I.    n.    540,    S.    570: 
civilitas  hat  auch  die  Bedeutung  „Bürgerrecht"'.     Urkundenbuch  von  Halberstadt,  I,  n.  242. 

4)  Urkundenbuch  von  Hildesheim  II,  n.   629,  S.  377. 

5)  Urkundenbuch  von  Bremen,  II.   n.   178. 

6)  Vgl.  v.  Maurer,  a.  a.  0.   II.   S.  177,   ff. 

7)  Ebenda,  S.    179,  A.   9. 

8)  v.  Maurer,  I.  S.   179.     Hegel,  Städte  und  Gilden.  II,  S.   327. 

9)  Vgl.   Aufs.   I,  S.    171   und  meinen  Aufsatz  Stadtrecht  und  Weichbildsrecht  a.   s.  O. 
S.  88. 

10)  Urkundenbuch  von  Braunschweig,  I.  n.  61,  S.   119,  §   222. 

11)  Urkundenbuch  von   Braunschweig,  I.  n.   2,  S.  5,   §    13. 

12)  Urkundenbuch  von  Wernigerode,  n.   301,  S.    188. 

13)  Urkundenbuch  von  Bremen,  II.  n.  589,  S.  616.  Vgl.  v.  Maurer,  II.  S.  191. 
Philippi,  zur  Verfassungsgeschichte,  S.   80,  A.   234. 

14)  v.  Maurer  a.  a.  O.  II,  S.  193.  Ueber  Laiscap  vgl.  unten  S.  810.  Ferner 
Philippi,  Zur  Verfassungsgeschichte  S.  51.  Hansische  Geschichtsblätter  XVIII,  (1890), 
S.    169  ff.     Vgl.  auch  v.  Maurer,  a.  a.  O.  II.   S.   193. 

15)  Urkundenbuch  von  Halberstadt,  I.  n.  300,  n.  684.  Vgl.  auch  n.  630,  920, 
1176,   1221,    475. 


Zur  Entstehung  der   deutsehen  Stadtverfassung.  803 

bezeichnendsten  ist  das  Stadtrecht  von  Höxter ') ,  welches  Stadtge- 
meiDde  comniunio  civitatis  und  burscap  gleichsetzt.  Item  quicunque 
Huxariam  intraverit  et  communionem  civitatis,  scilicet  burscap  con- 
quisierit illum  pro  cive  debito  habere  volumus  heißt  die  be- 
treffende Stelle. 

Der  Ausdruck  Gilde  für  die  Stadtgemeinde  läßt  sich  in  Deutsch- 
land urkundlich  nicht  nachweisen.  Gilde  heißt  ursprünglich  Opfer- 
schmaus, Opfergemeinschaft,  Trinkgenossenschaft,  Festversammlung, 
geschlossene  Gemeinschaft 2).  Es  nimmt  dann  die  Bedeutung  Ge- 
meinschaft Brüderschaft,  Einigung,  Innung  an.  Es  wird  aber  in 
Deutschland  m.  E.  nur  für  kleinere  Verbände,  besonders  für  die  ge- 
werblichen Genossenschaften  der  Handwerker 3) ,  für  gesellschaftliche 
und  religiöse  Vereinigungen4)  gebraucht.  Eine  große  Gesamtgilde,  die 
alle  Bürger  der  Stadt  umfaßt,  laßt  sich  trotz  der  angestrengtesten 
Forschung  namhafter  Historiker  bisher  nicht  nachweisen 5).  Nitzsch 
will  in  dieser  alten  Gilde  eine  Vereinigung  der  am  Verkehr  beteiligten 
Einwohner  sowohl  der  Kaufleute  und  Krämer,  als  auch  der  Hand- 
werker, also  eine  große  Vereinigung  für  Verkehrsinteressen  sehen 6), 
aus  der  sich  später  die  einzelnen  gewerblichen  Verbände  nach  Auf- 
lösung der  Gesamtgilde  herausgebildet  haben.  Nun  haben  aber,  wie 
oben  gezeigt  ist7),  alle  Bürger  der  Stadt  Teil  am  Verkehr,  am  mer- 
catus8),  an  der  gratia  vendendi 9),  denn  alle  Bürger  sind  mehr  oder 
minder  mercatores.  Die  Ur-Gilde  würde  demnach  die  gesamte  Ge- 
meinde umfassen;  Gilde  würde  dann  nichts  anderes  als  ein  Synonym 
von  Stadtgemeinde  sein.  Auf  diese  Weise  würde  sich  die  sogenannte 
Gildentheorie *  °)  leicht  lösen  lassen ,  wenn  eben  der  Nachweis 
geführt  wäre ,  daß  Gilde  zur  Bezeichnung  der  Genossenschaft  der 
Bürger  gebraucht  wäre.  Anders  steht  es  vielleicht  mit  dem  Worte 
Innung  1  l).  In  einzelnen  Urkunden  wird  das  allgemeine  Verkehrsrecht,  die 
gratia  vendendi  1S),  oder  die  allgemeine  Kaufs-  und  Verkautsfreiheit 18) 


i 


1)  Gengier,  Stadtrechte  S.  502. 

2)  Kluge,  Etymol.  Wörterbuch,  5.  A.  S.  136.  Philippi,  zur  Verfassung,  S.  76. 
Hegel,  Städte  und  Gilden,  I.  S.  4.  Vgl.  auch  den  Ausdruck  Zeche,  so  die  Richerzeche 
in  Köln. 

3)  Andere  Bezeichnungen  für  die  gewerblichen  Verbände  sind  Amt,  Werk,  Innung, 
Zunft. 

4)  So  die  Theodorigilde  in  Lüneburg,  Reinholdsgilde  in  Dortmund. 

5)  v.  Below,  Die  Bedeutung  der  Gilden.  Jahrb.  für  Nationalökonomie  Bd.  III, 
S.  56  ff.     Hegel,  a.  a.   0.  II,  S.  344,  S.  498. 

6)  Nitzsch,  Ueber  die  niederdeutschen  Genossenschaften  des  12.  und  13.  Jahrhun- 
derts. Monatsberichte  der  Berliner  Akademie  1879,  S.  4,  ff.  Nitzsch,  Ueber  nieder- 
deutsche Kaufgilden,   ebenda,   1880,  S.   370  ff. 

7)  Vgl.  Teil  I,  S.   195. 

8)  Vgl.  ebenda  S.   196. 

9)  Urkundenbuch  von  Braunschweig.   I,  n.  4,  S.   9. 

10)  Vgl.  auch  Philippi,  a.  a.  O.  S.  76. 

11)  Kluge,    Etymol.    Wörterbuch,    5.   A.,    S.   177      Die  Bezeichnung    unio  für    Stadt- 
gemeinde findet  sich   Urkundenbuch  von   Hildesheim,  II,  n.   629,  S.  377. 

12)  Urkundenbuch  von  Braunschweig,   I,  n.  4,  S.  9. 

13)  Nitzsch,     Monatsbericht    1879,    8.    16.      Hegel,    Städte    und  Gilden,   II,    S.  418. 
A.   1. 

51* 


804  Willi  Varges, 

als  inninge  bezeichnet 1 ).  So  heißt  es  in  einer  Urkunde  der  alten 
Wik2)  von  Braunschweig  von  1245:  quandam  gratiam  vendendi  que 
vulgariter  dicitur  inninge  ex  parte  domini  mei  Ottonis  ducis  bürgen - 
sibus  de  veteri  vico  perenniter  habere  porrexi,  ita  ut  dictam  gratiam 
nullus  babeat,  nisi  tantum  sit  de  consensu  et  voluntate  burgensium 
prenominatorum 3).  In  einer  gleichzeitigen  vom  Herzog  selbst  aus- 
gestellten Urkunde  wird  diese  gratia  vendendi,  diese  Verkehrsfreiheit 
näher  erläutert4):  Damus  talem  gratiam  que  vulgariter  dicitur  inninge 
ut  possint  emere  et  vendere  pannum  quem  ipsi  parant  et  alia 
omnia5)sicut  in  antiqua  civitate  Bruneswich.  Auch  in  Lüneburg 
wird  das  Recht,  Handel  zu  treiben,  als  yndinge,  bezeichnet. 

Das  Verkehrsrecht  kann  nun  nur  „Innung",  „Einigung"  genannt 
sein,  weil  eine  Genossenschaft  im  Besitz  desselben  ist.  Die  Genossen- 
schaft, die  aber  im  Genuß  dieses  Rechtes  ist,  ist,  wie  oben  gezeigt 
ist,  die  Stadtgemeinde.  Man  könnte  daraus  vielleicht  schließen,  daß 
die  Stadtgemeinde  auch  einmal  als  Einigung,  Innung,  bezeichnet  ist 6), 
Jedoch  haben  wir  für  diese  Annahme  keine  urkundlichen  Beweise. 

In  ähnlicher  Weise  wird  das  Verkehrsrecht  und  die  Verkehrs- 
abgabe als  hansa  bezeichnet 7).  Hansa  oder  bense  bedeutet  ur- 
sprünglich nichts  weiter  als  Bund,  Gemeinschaft,  Einigung8).  Das 
Wort  ist  also  ein  Synonym  von  Gilde  und  Innung.  In  einzelnen 
Städten  sind  diese  Wörter  vielleicht  auch  zur  Bezeichnung  der  Stadt- 
gemtinde  verwendet,  denn  sie  sind  nichts  anderes  als  Uebersetzungen 
von  commune,  universitas.  Man  muß  sich  immer  darin  erinnern,  daß 
Stadtgemrinde  und  Stadtverfassung  völlig  neue  Erscheinungen  sind, 
für  die  sich  erst  die  nötigen  Begriffe  und  Worte  bilden  müssen. 
Später,  als  sich  die  gewerblichen  Verbände  bilden,  werden  die  Worte 
Gilde  und  Innung,  auch  Hansa,  Hanse,  zur  Bezeichnung  derselben 
verwendet,  ähnlich  wie  das  Wort  Burg  die  ursprüngliche  Bedingung  von 
Stadt  verlor  und  die  heute  gebräuchliche  Bedeutung  von  Ritterburg  er- 
hielt, als  man  die  Begriffe  Stadt,  befestigter  Ort,  und  Burg,  befestigtes 
Haus,  streng  unterschied9).  Das  Wort  Hansa,  Hanse,  Hense  hat 
auch  später  die  Bedeutung  von  Bund,  Gemeinschaft  behalten  10). 


1)  Ueber  das  Verkehrsrecht.     Vgl.  Hegel,  a.  a.  O.  II,  S.  417. 

2)  Die  alte  Wik  von  Braunschweig  ist  eins  der  fünf  Weichbilde,  aus  denen  die 
Stadt  Braunschweig  hervorgegangen  ist  Vgl.  meinen  Aufsatz  Entstehung  der  Stadt 
Braunschweig.     Ztschr.  des   Harzvereins,  XXV,  S.   118. 

3)  Urkundenbuch  von  Braunschweig,  I,  n.  4.     S.   9. 

4)  Ebenda,  n.   5,  S.    10. 

5)  Vgl.  dagegen  die  Interpretation  von  Hegel,  Städte  und  Gilden,  II,  S.  418.  A.  3. 
Hegel  hält  die  Urkunde  für  ein  Privileg  der  Lakenmacher.  Aus  der  Hervorhebung  des 
Verkaufs  von  pannus  darf  man  dies  aber  nicht  schliefsen.  Ueber  Lüneburg  vgl.  Hegel 
a.  a.  O.,  S.  427 

6)  Vgl.   S    803,  A.   11. 

1)  Urkundenbuch  von  Bremen,  I,  n.  58,  S.  66.  Oelrichs,  Gesetzbücher  S.  54. 
Hach,  Lübisches  Recht  S.  565.  Gengier,  Stadtrechte  S.  33.  Vgl.  Könne,  Das  Hans- 
grafenamt,   110.     U.-B.  v.   Lübeck  I,  S.    10. 

8)  Lübben  und  Walther,  Mittelniederdeutsches  Wörterbuch.  Kluge,  Etymologisches 
Wörterbuch. 

9)  Hegel,  Lateinische  Wörter  und  deutsche  Begriffe,  a.  a.  O.  S.  213. 
10)  So   zur  Bezeichnung  des  bekannten  norddeutschen  Städtebundes. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  805 

Was  ist  nun  die  Stadtgemeinde?  Die  Stadtgemeinde  ist  eine  Weiter- 
bildung der  Landgemeinde,  ebenso  wie  das  Stadtrecht  eine  Weiterbildung 
des  Landrechtes  ist.  Die  Stadtgemeinde  ist  also  in  erster  Linie  Ortsge- 
meinde. Diese  Ortsgemeinde  ist  die  Trägerin  der  besonderen  Eigen- 
schaften, die  aus  dem  oben  dargelegten  Wesen  der  Stadt  hervorgehen 
und  welche  Stadt  und  Land,  Stadt  und  Dorf  unterscheiden.  Die 
Stadtgemeinde  ist  eine  Waffen-  und  Friedegenossenschaft,  sie  ist  eine 
Marktgemeinde,  d.  h.  im  Genuß  des  Verkehrs-  und  Handelsrechts; 
sie  ist  ferner  Gerichtsgemeinde.  Die  Ortsgemeinde  hat  diese  Rechte 
und  Eigenschaften  nach  und  nach  erwoiben,  beziehungsweise  durch 
Privileg  erhalten.  Erst  durch  Erlangung  dieser  Rechte  wird  sie  zur 
Stadtgemeinde. 

Die  städtische  Ortsgemeinde  hat  sich  auf  verschiedene  Weise  ge- 
bildet. In  der  Regel  ist  sie  aus  der  Land-  und  Dorfgemeinde  hervor- 
gegangen. Es  ist  aber  auch  vorgekommen,  daß  die  Verleihung  des  Ver- 
kehrsrechtes an  ein  Kloster,  einen  Grundherrn  oder  einen  Bischof 
erst  ein  Dorf,  also  auch  erst  eine  Landgemeinde,  die  dann  später  zur 
Stadtgemeinde  geworden  ist,  geschaffen  hat.  Solche  Verhältnisse  liegen 
vielleicht  in  Osnabrück  und  Münster  vor  1).  Es  findet  sich  oft,  daß  der 
Marktplatz  neben  oder  vor  einer  Stadt  liegt,  aber  eine  Marktgemeinde 
findet  sich  nie  neben  einer  Ortsgemeinde;  die  Marktgemeinde  ist  immer 
zugleich  Ortsgemeinde,  denn  die  Ortsgemeinde  ist  im  Besitz  des  Ver- 
kehrsrechtes 2).  Als  Freiburg  als  Handelsemporium  begründet  wird, 
treten  die  Ansiedler  sofort  zu  einer  Ortsgemeinde  zusammen  3).  —  Auch 
die  Besatzung  einer  Burg  kann  die  Veranlassung  zur  Bildung  einer  Oi  ts- 
gemeinde  sein.  Nach  Widukind  4)  hat  Heinrich  I.  bei  Anlegung  seiner 
Grenzfestungen  und  Burgwarde,  die  sich  in  mehreren  Reihen,  wie 
Schwarz  gezeigt  hat5),  an  der  sächsisch-thüringischen  Grenze  ent- 
lang zogen,  in  einzelnen  Fällen  —  wohl  nicht  regelmäßig,  denn  eine 
große  Anzahl  der  Burgwards-Städte  sind  aus  Dörfern  hervorgegangen 
—  milites  agrarii,  bäuerliche  Heerbannleute,  in  den  Festungen  ange- 
siedelt. Diese  Besatzungstruppen  haben  sich  dann  zu  einer  Ortsge- 
meinde zusammengeschlossen.  Auch  später  sind  vereinzelt  ähnliche 
Verhältnisse  vorgekommen,  auf  die  unten  näher  eingegangen  wird6). 
Oefter  hat  sich  neben  einer  königlichen  oder  herrschaftlichen  Burg 
ein  Dorf  entwickelt 7) ,  das  sich  später  über  die  übrigen  An- 
siedelungen der  Umgegend  erhob  und  sich  allmählich  zur  Stadt 
entwickelte.     Beispiele    für    diesen    Vorgang    sind    Kaiserslautern 8), 


1)  Vgl.  Philippi,  a.  a.  O.  S.  1,  ff.  Auch  in  Wernigerode  liegen  m.  E.  ähnliche 
Verhältnisse  vor.  Der  Ort  war  im  Besitz  des  Markt-(Verkehrs)rechts",  als  er  Stadtrecht 
erhielt. 

2)  v.  Below,    Stadtverfassung   S.  27  ff.    S.  37.     ÜB.  v.  Hildesheim  I,    S.   104,  §  32. 

3)  Gengier,  a.  a.  O.  S.   125. 

4)  Vgl.  Aufs.  I,  S.   175,  Widukind  a.  a.  O.  I,  c.  35. 

5)  S.  Schwartz.  a.  a.  O.  S.  13. 

6)  Vgl.  Kap.  VIII 

7)  v.  Maurer,  a.  a.  O.  S.  48  ff. 

8)  v.  Maurer,  Städteverfassung  I,  S.  49  u.  A.   2. 


806  Willi  Varges, 

Heidelberg1),  Weinheim2),  Bochholt3),  Haltern4),  Arnsberg5)  und 
Blankenburg 6)  am  Harz,  Aschersleben  und  Ballenstedt 7).  Auch 
eine  Kirche,  ein  berühmtes  Kloster,  die  Niederlassung  eines  Bischofs 
können  eine  gleiche  Entwicklung  hervorgerufen  haben.  Ich  weise 
hier  auf  Münster8),  Osnabrück9),  und  Paderborn10)  hin.  Hildes- 
heim11), Halberstadt12),  Quedlinburg13)  und  Bremen14)  gehören 
nicht  zu  diesen  Orten.  Es  befanden  sich  an  diesen  Orten  wahrschein- 
lich ältere  Ansiedelungen,  neben  denen  die  Bischöfe  erst  ihre  Burg 
erhauten.  Zur  Weiterentwickelung  der  Dörfer  zur  Stadt  haben  selbst- 
verständlich die  herrschaftlichen  und  bischöflichen  Hofhaltungen  sehr 
viel  beigetragen x  5).  Ein  gutes  Beispiel  für  den  Einfluß,  den  herr- 
schaftliche Haushaltungen  auf  die  Entwicklung  eines  Ortes  gehabt 
haben,  ist  die  Stadt  Wernigerode  am  Harz.  Wernigerode  war  ur- 
sprünglich als  Dorf  von  viel  geringerer  Bedeutung  als  die  umliegenden 
Dörfer,  wie  die  Ausdehnung  der  ursprünglichen  Stadtflur  zeigt.  Erst 
nachdem  sich  die  Grafen  von  Hymbere  in  dem  Orte  niederließen,  be- 
ginnt sich  der  Ort  über  die  anderen  Dörfer  zu  erheben.  Er  erhält 
das  Verkehrsrecht  und  1227  Stadtrecht16).  Aehnliche  Verhältnisse 
finden  sich  in  Bremen.  Der  Erzbischof  Rembert  erlangt  für  den  Ort 
Bremen  Markt-  und  Verkehrsrecht,  percussuram  uumorum  et  nego- 
tiandi  usum,  der  Erzbischof  Adaldag  Stadtrecht17). 

Selten  ist  ein  herrschaftlicher  Hof,  eine  curtis,  villa  dominica, 
indominicata,  der  Grundstock  einer  Stadt  gewesen.  Es  mußte  sich 
hier  die  Hofgemeinde  erst  zur  Orts-  oder  Dorfgmeinde  entwickeln. 
Die  alte  Wik  von  Braunschweig  x  8)  —  vetus  vicus  — ,  eines  der  fünf 
Weichbilde,  die  sich  später  zur  heutigen  Stadt  Braunschweig  zu- 
sammengeschlossen  haben ,   ist  aus   einem  Dorf  hervorgegangen ,   das 


1)  Ebenda,   S.  51,  u.  A.   3. 

2)  Ebenda,  S.   57. 

3)  Ebenda,  S.   52.   S.  33. 

4)  Ebenda,  S.   52. 

5)  Ebenda,  S.   52  u.  A.  5.   6. 

6)  Zeitschrift  des  Harzvereins  Bd.  XII.  S.  331. 

7)  v.  Heinemann,  Albrecht  der  Bär   S.   1,  ff. 

8)  Philippi,  Zur  Entstehungsgeschichte  der  Westfälischen  Bischofsstädte. 

9)  Ebenda.     Vgl.  auch  Philippi,  Urkundenbuch  n.    118.     1894. 

10)  Philippi,  Zur  Verfassungsgeschichte,     v.  Maurer,  a.  a.  O.  I,  S.  57  ff. 

11)  Urkundenbuch  von  Hildesheim  I,  n.   206,  S.    100. 

12)  Urkundenbuch  von  Halberstadt  I,  n.  4,  S.  3.  v.  Below ,  Stadtgemeinde 
S.   32  ff. 

13)  Urkundenbuch  von  Quedlinburg  II,  S.   I  ff.     v.   Below,  a.  a.  O.  S.  29. 

14)  Vgl.  meinen  Aufs.  Zur  Entstehungsgeschichte  Bremens  a.  a.  O.  S.  339. 

15)  Ebenda,  S.   345. 

16)  Urkundenbuch  von  Wernigerode  n.  4,  S.  4.  Ein  Aufsatz  über  die  Verfassungs- 
verhältnisse von   Wernigerode  erscheint  in   der  Ztschr.  f.  Kulturgesch. 

17)  Vgl.  meinen  Aufs.  Zur  Entstehungsgeschichte  Bremens.  Ztschr.  d.  Vereins  für 
nieders.  Geschichte  S.  337  ff.  1893.  Urkundenbuch  von  Bremen  I,  S.  7,  n.  7.  S.  11, 
n.   12. 

18)  Vgl.  meinen  Aufs.  Entstehung  der  Stadt  Braunschweig.  Ztschr.  des  Harzvereins. 
Bd.  25,  S.  117  ff.  Vgl.  Lenfers,  Die  Grundzüge  des  ältesten  Wikbeletrechts  in  den 
Städten  des  Oberstifts  Münster.  1883.  S.  6.  Darpe,  Geschichte  der  Stadt  Bochum. 
1888.     S.  13. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  307 

sich  neben  dem  Gutshof  der  Brunonen  gebildet  hatte.  Dieses  Dorf 
wurde  als  Herrendorf,  villa  indominicata,  bezeichnet.  Infolge  von  Ein- 
wanderung von  Bürgern  der  anderen  Weichbilde  Braunschweigs  und 
von  Fremden,  namentlich  von  Holländern  und  Friesen,  entwickelte 
sich  die  Ortsgemeinde  weiter  und  erhielt  1245  Stadtrecht,  wurde  also 
zur  Stadtgemeinde  l).  Aehuliche  Verhältnisse  finden  sich  in  Brakel 2), 
Lüdinghausen8)  und  anderen  kleinen  Städten4).  In  der  Regel  haben 
solche  Städte  nie  eine  Bedeutung  erlangt. 

Die  Stadtgemeiude  einer  selbstgewachsenen  Stadt  knüpft  immer 
an  die  Ortsgemeinde  an,  denn  die  Stadt  ist  aus  einem  Dorf  oder  aus 
einem  Komplex  von  Dörfern  hervorgegangen.  Bei  neugegründeten 
Städten  liegen  die  Verhältnisse  anders.  Zuweilen  war  auch  hier  ein 
Dorf  oder  ein  Flecken  der  Ausgangspunkt  der  neuen  Stadt,  die  Orts- 
gemeinde die  Grundlage  der  Stadtgemeinde,  wie  wir  das  von  Datten- 
ried5),  Dorsten0),  Nieheim7),  Rambstorf 8),  Eltville9),  Lübeck10) 
und  anderen  Orten  wissen.  Bei  den  Gründungen  von  frischer  Wurzel, 
wie  sie  uns  namentlich  in  den  Kolonialgebieten,  aber  auch  im  Stamm- 
lande, z.  B.  in  Freiburg11),  im  Hagen12)  von  Brauuschweig  ent- 
gegentreten, mußte  die  Stadtgemeinde  erst  auf  künstlichem  Wege  ge- 
schaffen werden.  Man  bildete  die  Stadtgemeinden  der  Gründungen 
auf  frischer  Wurzel  den  Stadtgemeinden  der  alten  Städte  nach. 

Die  Entwicklung  der  Landgemeinde  zur  städtischen  Gemeinde 
ist  auf  verschiedene  Weise  vor  sich  gegangen.  Der  einfachste  Weg 
war  der,  daß  sich  eine  Dorfgemeinde  durch  Aufnahme  neuer  Mit- 
glieder und  Einzöglinge,  die  in  den  Urkunden  als  advenae  bezeichnet 
werden,  allmählich  vergrößerte  und  sich  so  zur  Stadtgemeinde  um- 
bildete. Die  Einwohnerzahl  spielt  auch  im  frühesten  Mittelalter  eine 
gewisse  Rolle,  wenn  auch  nicht  in  dem  Maße,  wie  heute,  wo  man 
einen  Ort,  der  eine  gewisse  Anzahl  von  Einwohnern  hat,  als  Stadt 
bezeichnet  und  betrachtet.  Dem  Prinzip  nach  kann  im  Mittelalter 
auch  ein  kleines  Dorf  Stadtgerechtsame  erhalten,  aber  in  der  Regel 
hat  jede  Stadt  eine  größere  Zahl  von  Einwohnern  als  die  Dörfer  ihrer 
Umgegend.  Es  liegt  das  schon  im  Charakter  der  Stadt  als  Festung 
und  dem  der  Bürger  als  Besatzungstruppen  dieser  Festung  begründet. 
—  Die  Einwandernden  traten  in  die  alte  Gemeinschaft  der  Dorfbe- 
wohner  ein   und   erhielten  Teil   am  Gemeindeeigentum,   wie  das  z.  B. 


1)  Urkundenbuch  von  Braunschweig  I,  n.  5.     S.   10. 

2)  v.  Maurer,  a.  a.  O    I,  S.  56. 

3)  Gengier,  Stadtrechte  S.  268. 

4)  v.  Maurer,  a.  a.  O.  I,  S.  56. 

5)  Gengier,  Stadtrechte  S.   78. 

6)  Ebenda,   S.   86. 

7)  v.  Maurer,  a.  a.  O.  I. 

8)  Gengler,  Stadtrechte,  S.  367. 

9)  v    Maurer,  a    a.   O.  S.  33. 

10)  Frensdorff,     Stadt-     und     Gerichtsverfassung    von    Lübeck    S.    8.       v.     Maurer, 
a.  O.  I.     S.  33. 

11)  Gengier,  a.  a.  O.     S.   125. 

12)  Mein  Aufs.  Entstehung  von  Braunschweig,  a.  a.  O.  S.  112. 


g08  Willi  Varges, 

das  oft  citierte  Privileg  für  Radolfszell  vom  Jahre  1100  zeigt1).  In 
der  Regel  kauften  sich  die  Einwandernden  in  die  Gemeinschaft  ein. 
Es  ist  dies  der  Ursprung  des  Bürgergeldes 2).  Die  Stadtgemeinde 
war  in  diesem  Falle  eine  einheitliche  Burschaft.  Erst  später  sind 
diese  einheitlichen  Stadtgemeinden,  wie  sie  uns  in  Bremen,  Hannover, 
Magdeburg  entgegentreten,  der  Verwaltung  wegen  in  mehrere  Teile 
zerlegt,  deren  Bezeichnungen  schon  beweisen,  daß  wir  es  mit  keiner 
ursprünglichen  Einrichtung  zu  thun  haben.  So  finden  wir  Viertel, 
verndel ,  in  Bremen 3)  und  Magdeburg 4).  Hannover  wurde  durch 
die  sich  kreuzenden  Hauptstraßen  in  4  plateae,  Straßen 5),  geteilt6). 
Andere  Bezeichnungen  für  die  Verwaltungsdistrikte  der  Stadt  sind 
die  vigiliae,  Wachten,  die  uns  besonders  in  Süddeutschland,  so  in 
Regensburg,  entgegentreten7).  Auch  der  Name  burschap  findet  sich 
zuweilen  für  diese  künstlich  geschaffenen  Teile8).  Wir  gehen  auf 
diese  Bezeichnung  der  Verwaltungsdistrikte  gleich  näher  ein  9). 

Oft  ist  die  Stadtgemeinde  durch  Synoikismus,  d.  h.  durch  Ver- 
einigung mehrerer  Ortsgemeinden  oder  durch  Zusammenlegen  von 
Teilen  verschiedener  Dorfgemeinden  entstanden.  Ursprünglich  bildete 
jede  dieser  Ortsgemeinde  auch  innerhalb  des  Mauerringes  eine  selb- 
ständige Gemeinde  mit  eigener  dörflicher  Verwaltung  und  eigener 
Allmende.  Nur  bei  allgemeinen  Stadtangelegenheiten ,  wie  bei  Ver- 
leihung von  Rechten,  bei  Verteidigung  der  Stadt  und  bei  Ausübung 
der  Heerfolge  treten  die  einzelnen  Ortsgemeinden  als  Allgemeinheit 
communio,  universitatas  inninge,  auf.  In  ähnlicher  Weise  werden  in 
Wernigerode  in  einer  Urkunde  von  1279  die  Bürger,  mercatores, 
und  die  innerhalb  des  Mauerringes  wohnenden  Ritter ,  milites ,  als 
universitas  bezeichnet10).  Erst  allmählich  verschmelzen  diese  Sonder- 
geraeinden  zu  einer  Stadtgemeinde,  doch  haben  in  vielen  Städten,  so 
in  Köln  '  *),  Halberstadt12)  und  Braunschweig  ,3),  die  Sondergemeinden 
eine  gewisse  Selbständigkeit  bewahrt.  Diese  Sondergemeinden  blieben 
zuweilen  lange  mit  der  Dorfgemeinde,  aus  denen  sie  genommen  waren, 
in  Zusammenhang,  weil  sie  und  die  Dorfgemeinden  Anrecht  auf 
das  Gemeindeland  des  Dorfes  hatten.     In  Hameln  '  4)   haben  sich  bis 


1)  Ztschr.  f.  Gesch.  des  Oberrheins.     N.  F.  V.  S.   141. 

2)  Vgl.  Kap.  VIII.     Ueber  das  Aufnahmegeld,  das  in   den   Landgemeinden    bezahlt 
wurde,  vgl.  v.  Maurer,  Dorfverfassung  I,  S.   177  ff. 

3)  Oelrichs,  Gesetzbücher.     S.   663,  §  47. 

4)  v.  Maurer,  Städteverfassung  I,    S.  520.     Kathmann,    Geschichte    Magdeburgs  III. 
398.  399. 

5)  Doebner,  Städteprivilegien  Ottos  des  Kindes.     S.   34. 

6)  Vgl.  auch  v.  Maurer,  a.  a.  O.  I.    S.  518.     Gengier,  Stadtrechtsaltertümer.  S.  49  ff. 

7)  Gengier,  a.  a.  O.     S.  54. 

8)  So  in  Hildesheim,  der  Neustadt-Braunschweig,  der  Wik  von  Braunschweig. 

9)  Vgl    S.  810. 

10)  Urkundenbuch  von  Wernigerode  n.   19,  S.   12. 

11)  Vgl.  v.  Below,  Stadtgemeinde  S.  38,  S.   119  ff. 

12)  Urkundenbuch  von  Halberstadt  II,  S.   519- 

13)  Vgl.    meinen  Aufs.  Polizeigesetzgebung  der  Stadt  Braunschweig  a.  a.  O.  S.  202. 

14)  Urkundenbuch  von  Hameln  S.  XXXXI.  u.  A.   1. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfas»ung. 

in  die  Neuzeit  fünf  Genossenschaften  erhalten,  die  Huden,  Hüt- 
genossenschaften, heißen  und  nach  den  Thoren  als  die  Neuthorsche  1), 
die  Wetthorsche,  Ostthorsche,  Mühlenthorsche  und  Brüt'kerthorsche  a) 
Hude  unterschieden  werden.  Die  Berechtigungen  bestehen  in  der  Aus- 
übung der  Vieh-  und  Schafweide  auf  einer  ihrer  Größe  entsprechenden 
Fläche  in  der  Feldmark  und  im  Forst  gelegenen  Landes  und  einem 
Anteil  an  der  Fischereigerechtigkeit  in  der  Weser.  Die  Zahl  der  Be- 
rechtigten ist  eine  feststehende,  nicht  sämtliche  Einwohner,  sondern 
nur  Reihehäuser  in  einem  bestimmten  Stadtbezirk  sind  berechtigt. 
Die  Hudegenossen  wählen  unter  Leitung  der  Obrigkeit  sogenannte 
Lohnherrn  und  Rechnungsführer,  welche  die  gewöhnliche  Verwaltung 
besorgen.  Zur  rechtlichen  Vertretung  bedürfen  sie  eines  Syndikats. 
Die  Nutzungsrechte  wurden  von  ihnen  entweder  selbst  ausgeübt  oder 
verpachtet.  Bis  Anfang  der  50  Jahre  war  der  Grundbesitz  der  Huden 
ungeteilt.  Derselbe  wurde  zum  Viehtreiben  benutzt  und  zwar  von 
sämtlichen  Interessenten  der  Huden.  In  gleicher  Weise  ward  die  Feld- 
marksschäferei genutzt.  Die  Auskünfte  des  Hu  de- Lachsfanges  wurden 
von  den  Lohnherren  der  Hude  an  die  Interessenten  verteilt.  In  den 
Jahren  1850—60  ward  eine  Specialteilung  der  Hudegrundstücke  vor- 
genommen, das  übrige  Eigentum  ist  dabei  unberührt  geblieben3). 
An  diesen  fünf  Huden  hatten  ursprünglich  fünf  jetzt  wüste  Dörfer, 
die  vor  der  Stadt  Hameln  lagen,  Anteil,  so  Wedele  Vorste  vor  dem 
Neuen-  oder  Thiethore,  Honrodern  vor  dem  Wetthore,  Harthem  vor 
dem  Mühlenthore,  Kleiu-Afterde  vor  dem  Osterthore,  VVenge  vor  dem 
Bi  ückenthore 4).  Die  Hudegenossen  die  als  Ei  ben  bezeichnet  werden 
wohnten  also  anfänglich  innerhalb  und  außerhalb  der  Stadt.  Später 
nach  dem  14.  Jahrhundert  zogen  auch  die  in  den  Dörfern  wohnenden 
Erben  in  die  Stadt,  so  daß  die  Dörfer  wüst  wurden.  Neben  diesen 
fünf  Huden  werden  im  Hameler  Stadtbuch  nun  noch  die  gemeinen 
Bürger,  unse  meynen  borghere,  erwähnt,  die  in  agrarischer  Hinsicht 
auch  eine  Einheit  bilden  und  eine  eigene  Allmende  besitzen  5).  Der 
Synökismus  Hamelns  ist  also  folgendermaßen  vor  sich  gegangen. 
Hameln  ist  das  Urdorf,  der  älteste  Teil  der  Stadt.  Bei  Entstehung 
der  Stadt,  d.  h.  wohl  bei  Ummauerung  und  Befestigung  des  Ortes 
wurden  Einwohner  der  fünf  Orte  innerhalb  des  Mauerringes  angesiedelt, 
blieben  aber  mit  den  früheren  Dorfgenossen  in  agrarischer  Hinsicht 
im  Konnex.  Später  wanderten  dann  auch  die  in  den  Dörfern  zurück- 
gebliebenen Ansiedler  in  die  Stadt  ein. 

Die  Sondergemeinden  werden  meist  als  Nachbarschaften  oder 
Burschaften  bezeichnet,  so  in  Braunschweig  als  burscap6),  in  Hildes- 
heim  als   beuerschaft 7),    in   Köln    als   buyrschaff,    geburschafft 8)   in 

1)  Das  Neuethor  hiefs  früher  Thiethor. 

2)  Brücker-  oder  Weserthor. 

3)  Ebenda  S.  XXXXXII. 

4)  Ebenda  S.  XXXXIU. 

5)  Ebenda  S.  598,  §  187  (Donat). 

6)  Uürre,  Geschichte  der  Stadt  Braunschweig  S.   671. 

7)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer  S.  56. 

8)  v.  Below,  Stadtgemeinde  S.  38.     v.  Maurer  a.  a.  0.,  S.  II,  S.   156. 


810  Willi  Varges, 

Halberstadt  als  neyberschaft  *),  in  Coesfeld  als  Kluchten2),  in 
Osnabrück  als  Laischaft3).  In  lateinischen  Urkunden  tritt  für 
diese  Ausdrücke  die  Bezeichnung  vicinia  auf4).  Auch  der  Aus- 
druck burscapium  findet  sich  5).  Doch  wird  das  Wort  burscap  viel- 
fach in  mehreren  Städten  auch  zur  Bezeichnung  künstlich  ge- 
schaffener Verwaltungsdistrikte  gebraucht.  Man  entlehnte  einfach 
den  Namen  von  den  eigentlichen  Sondergemeinden.  Sehr  instruktiv 
ist  für  diese  Verhältnisse  die  Stadt  Braunschweig 6).  Die  heutige 
Stadt  Braunschweig  bestand  im  Mittelalter  aus  fünf  selbständigen 
Weichbilden,  der  Altstadt,  dem  Hagen,  der  Neustadt,  der  Alten  Wik 
und  dem  Sack.  Jede  dieser  Städte  zerfiel  in  Burschaften ,  aber  nur 
in  Altstadt,  Hagen  und  vielleicht  auch  in  der  Neustadt  haben  wir  es 
mit  wirklichen  Sondergemeinden  zu  thun.  Der  Sack  und  die  alte  Wik, 
Vetus  vicus,  bildete  ursprünglich  nur  je  eine  Burschaft.  Erst  später 
werden  sie  in  zwei  Burschaften,  die  also  reine  Verwaltungskörper  sind, 
zerlegt.  Für  Köln  7)  ist  noch  nicht  sicher  festgestellt,  was  für  einen 
Charakter  die  dortigen  Burschaften  gehabt  haben.  Die  Forscher  sind 
in  Zweifel,  ob  wir  es  mit  wirklichen  Sondergemeinden,  also  früheren 
Landgemeinden  oder  mit  Verwaltungskörpern  zu  thun  haben.  Ich 
möchte  mich  der  Ansicht  anschließen ,  daß  wir  es  auch  in  Köln  mit 
wirklichen  Sondergemeinden  zu  thun  haben.  Daß  in  das  Weichbild  von 
Köln  andere  herumliegende  Burschaften  und  Einzelgemeinden  aufge- 
nommen sind,  beweist  ja  schon  die  bekannte  Urkunde  für  die  Ein- 
wohner der  Villa  S.  Pantaleonis.  Dieselben  sollen  erst  als  Bürger  be- 
haudelt  werden,  wenn  sie  in  den  Mauerring  aufgenommen  sind.  —  Si 
quandoque  vallo  et  muro  coadunentur,  communi  etiam  civium  jure 
teneantur.     Hier  ist  doch  von  einer  Eingemeindung  die  Rede8). 

Aus  der  Erwähnung  mehrerer  Burmeister  oder  Burrichter  in  eiuer 
Stadt  darf  man  nicht  gleich  auf  die  Existenz  wirklicher  Sondergemeinden 
schließen.  Einmal  stehen  auch  an  der  Spitze  der  künstlich  als  Ver- 
waltungsdistrikte geschaffenen  Burscbaften  Beamte  dieses  Namens9); 
zweitens  kommt  es  aber  auch  vor,  daß  in  Landgemeinden  1  °)  und  ent- 


1)  Urkundenbuch  von  Halberstadt  II,  S.  519,  S.   540. 

2)  Gengier,   Stadtrechtsaltertümer  S.  57 

3)  Gengier ,  Stadtaltertümer  S.  58  Philippi,  Zur  Verfassungsgeschichte  S.  51. 
Hansische  Geschichtsblätter  XVIII,  S.   169   (1890). 

4)  Urkundenbuch   von  Halberstadt,  n.  300,  n.   475. 

5)  Kindlinger,  Hörigkeit  S.  342.     v.  Maurer,  a.  a    O.,  II,  S.   194. 

6)  Vgl.  meinen  Aufs  Polizeigesetzgebung  der  Stadt  Braunschweig  a  a.  0.  S.  201. 
Vgl.  auch  meinen  Aufs.  Entstehung  der  Stadt  Brauuschweig  a.  a.  O.  S.  102  ff.  Dürre, 
Geschichte  der  Stadt  Braunschweig  S.   671. 

7)  v.  Below,  Stadtverfassung  S.  81.  Stadtgemeinde  S.  38.  Hegel,  Städtechroniken 
Bd.  16,  Einl.  Hegel,  Städte  und  Gilden  S.  326  ff.  Liesegang,  Die  Sondergemeinden 
Kölns  1885.  Höniger ,  Der  Ursprung  der  Kölner  Stadtverfassung.  Westdeutsche  Zeit- 
schrift II,  227—248.  (Vgl  dazu  v.  Below,  Stadtgemeinde  S.  119)  Kruse,  Die  Kölner 
Richerzeche.     Ztschr.  f.   Rechtsgeschichte  Bd.  22,  S.   152. 

8)  Lacomblet,  Urkundenbuch  I,   S.   263,  n.  677.     Vgl.  Aufs.   I,  S.   169. 

9)  So  in  der  Wik  und  dem  Sack  von  Braunschweig.  Urkundenbuch  von  Braun- 
schweig n.   63  (Ordinarius),  S    154,  cap.   23. 

10)  Urkundenbuch  von  Wernigerode  n.  246,  S.  154.  Urkundenbuch  von  Drübeck 
S.  260  ff.,  n.  6,  7,  10,  S.  266,  n.  22,  S.  243,  S.  245,  A.  S.  249.  Urkundenbuch  von 
Ilsenburg  II,  S.  374,  S.  383,  n.  540,  n.  532,  n.  406. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  gj| 

sprechend  dann  auch  in  den  Städten  mehrere  Burmeister  erwähnt 
werden1).  In  der  Gegend  der  Stadt  Wernigerode  am  Harz  treten 
in  den  Dörfern  überall  zwei  Burmeister  auf2);  folglich  treten  uns 
in  der  Altstadt  und  in  der  Neustadt  Wernigerode  auch  zwei  Bur- 
meister entgegen  3).  Es  würde  sehr  verkehrt  sein,  wenn  man  schließen 
wollte,  daß  die  beiden  Weichbilde  von  Wernigerode  durch  Synökismus 
je  zweier  Gemeinden  entstanden  seien. 

Neben  der  Bezeichnung  der  Sondergemeinden  als  Nachbarschaft, 
Bauernschaft,  Burschaft,  treten  auch  andere  Namen  auf.  In  Soest 
werden  die  6  oder  7  Sondergemeinden  ursprünglich  als  Thies,  ty, 
tygge,  später  als  hoven  bezeichnet4).  In  späterer  Zeit  wird  die  Stadt 
in  sechs  Kirchspiele  geteilt,  aber  diese  Einteilung  deckte  sich  nicht 
mit  der  Thie-  oder  Hoveneinteilung.  Thie  bedeutet  Dingstätte,  Ge- 
richtsplatz 5).  In  den  Dörfern  wird  der  Platz  damit  gemeint,  auf  dem 
die  Ortslinde,  tilia,  stand6),  unter  der  sich  die  Buren  zu  Spiel  und 
Tanz  und  zur  Ordnung  ihrer  Gemeindeangelegenheiten  versammelten  7). 
Der  Thie  repräsentiert  die  Einwohnerschaft  des  Dorfes,  die  Burschaft. 
Thie  ty,  tyg,  bedeutet  also  nichts  weiter,  wie  Burschaft8).  Auch  die 
spätere  Bezeichnung  hoven  9)  hat  dieselbe  Bedeutung,  denn  die  Hove 
ist  die  Genossenschaft  der  Hofbesitzer,  der  hovere  oder  gemein  buren. 
An  der  Spitze  der  Hofschaft  stehen  die  burrichtere,  die  magistri 
civium,  oder  judices,  die  in  den  Thies,  d.  h.  in  den  Versammlungen 
der  Bur-  oder  Hefschaften  über  unrechtes  Gemäß,  Diebstahl  bis  zu 
zwölf  und  Schuldforderungen  bis  zu  sechs  Pfennigen  richteten  1  ö). 

In  Münster  und  Osnabrück  werden  die  Sondergemeinden  als  Lai- 
schaften bezeichnet11).  Laischaft,  letscop,  latinisiert  legio,  übersetzt 
durch  collegium  1 2),  bedeutet  so  viel  wie  Bauerschaft  oder  Burschaft. 
Im  Münsterlande  und  im  Osnabrückischen  werden  auch  die  ländlichen 
Bauerschaften  in  lateinischen  Urkunden   als   collegia,   id   est  burschap 

1)  Urkundenbuch  von  Wernigerode  n.  72,  S.  38,  n.  519,  S.  299.  Urkundenbuch 
von  Hildesheim  II,  n.  629,  S.  377,  magistri  unionis  oppidi  Alfelde  vulgariter  dictis  de 
burmestere. 

2)  Vgl.  S.  810,  A.   10. 

3)  Urkundenbuch  von   Wernigerode  S.  38,  n.   72. 

4)  Gengier,  Stadtrechte  S.  443,  §  37.  Hegel,  Städte  und  Gilden  II,  S.  383. 
v.  Below,  Stadtgemeinde  S.  35.     Gengier,  Stadtrechtsaltertümer  S.  60. 

5)  Schroeder ,  Rechtsgeschichte  S  17,  A.  8,  pratum,  dat  thy  Urkundenbuch  von 
Ilsenburg  II,  S.  402. 

6)  Urkundenbuch  von  Ilsenburg  II,  n.  315,  n.  471,  II,  S.  372,  S.  506,  S.  401, 
S.  402.  Urkundenbuch  von  Langein  etc.  S.  191  (infra  filiam),  n.  126,  S.  729.  Urkunden- 
buch von  Drübeck  n.  151,  S.  242.  Harzzeitschrift  III,  146,  IV,  379,  IX,  312,  XII,  558. 
Jacob,  Festschrift  des  Harzvereins  1893,  S.  16.  Der  Platz  wird  bezeichnet  als  Thie, 
ty,  thz,  tie,  thiet,  thidt,  auch  als  tilia,  arboc. 

7)  Jacobs,  Festschrift  des  Harzvereins  S.   16. 

8)  In  Wernigerode  wird  noch  1415  eine  Eigentumsübertragung  auf  dem  Thie  voll- 
zogen. Unde  schach  upp  dem  kerkhof  under  der  linden  tho  sunte  Silverster.  Urkunden- 
buch von  Wernigerode  S.    171,  n.  273. 

9)  Hegel  a.  a.  O.  S.  383.     Gengier,  Stadtrechtsaltertümer  S.   60. 

10)  v.   Below,  Stadtgemeinde    S.   35. 

11)  Philippi,  Hansische  Geschichtsblätter  XVIII,    S.   169.     Zur  Verfassungsgeschichte 
S.  52. 

12)  Hansische  Geschichtsblätter  a.  a.  0.   S.   169  u.  A.  3,  4,  5. 


812  Willi  Varges, 

bezeichnet1).  Mit  diesen  alten  Sondergemeinden  darf  man  nicht  die 
heute  noch  in  Osnabrück  bestehenden  Laischaften  identificieren,  die 
nichts  weiter  als  rein  wirtschaftliche  Genossenschaften  sind'2). 

Die  Sondergemeinden  sind  auf  verschiedene  Weise  entstanden s) 
In  einzelnen  Fällen,  und  zwar  handelt  es  sich  meist  um  sehr  alte 
Städte,  scheint  es  vorgekommen  zu  sein,  daß  schon  bei  Entstehung 
der  Stadt,  d.  h.  bei  Ummauerung  eines  Ortes  und  Errichtung  einer 
Festung,  mehrere  Gemeiuden  zusammengelegt  wurden,  wahrscheinlich 
um  der  neuen  Festung  eine  größere  Menge  von  Verteidigern  zu 
schaffen.  Wir  wissen,  daß  man  in  ähnlicher  Weise  in  Ungarn  mehrere 
Dörfer  vereinigte,  um  so  widerstandsfähige  Orte  gegen  die  Türken 
zu  schaffen4).  Vielleicht  hat  dieser  Vorgang  in  Köln,  in  der  Altstadt 
Braunschweig,  in  Hildesheim  stattgefunden.  In  diesen  Städten  sind 
von  Anfang  an  mehrere  Sondergemeinden  vorhanden  gewesen.  In 
Köln  und  in  Braunschweig  hat  die  große  Gemeinde  die  Verleihung 
der  Gemeindemitgliedschaft  von  den  Sondergemeinden  geerbt.  Es  ist 
also  nicht  denkbar,  daß  die  Sondergemeinden  erst4geschaffen  sind  nach 
Entstehung  dieser  Städte5). 

Weit  häufiger  handelt  es  sich  bei  den  Sondergemeinden  um  eine 
nachträgliche  Einverleibung  in  eine  schon  fertige  Stadtgemeinde.  Bei 
der  Stadt  Hameln  haben,  wie  wir  oben  gesehen  haben  6),  solche  Ver- 
hältnisse stattgefunden.  Besonders  instruktiv  sind  diese  Vorgänge  in 
Osnabrück  7).  Der  älteste  Teil  der  Altstadt  Osnabrück  ist  die  Binnen- 
burg oder  Marktlaischaft,  —  Burg  bedeutet  hier  so  viel  wie  Stadt 8)  — , 
an  diese  wurde  zunächst  die  Haselaischaft,  dann  —  um  1253 9) 
die  Butenburg,  der  Name  bedeutet  Außenstadt,  Vorstadt10)  —  die 
Johanneslaischaft  und  zuletzt  die  Neustadt-Laischaft  angegliedert.  Die 
Stadt  Osnabrück  ist  so  aus  fünf  ursprünglich  gesonderten  und  selb- 
ständig bestehenden  Gemeinden  zusammengewachsen  ll).  In  Dortmund 
bildet  die  Burgburschaft  den  Kern  der  Stadt.  Später  sind  mit  dieser 
dann,  die  Oster-  und  Westerburschaft  vereinigt12).  Der  Hagen  von 
Braunschweig   bestand  ursprünglich,   wie  die   alte   Stadtgrenze   zeigt, 

1)  Urkundenbuch  von  Osnabrück  n.  390,  S.  310,  omnes  bis  collegiis  id  est  bur- 
schap  attinentes. 

2)  Hansische  Geschichtsblätter  a.  a.  O.  S.   168. 

2)  Philippi,  Hansische  Geschichtsblätter  S.  171.  Zur  Verfassungsgeschichte  S.  51  ff. 
v.  Below,  Stadtverfassung  S.  80. 

4)  Guthe- Wagner,   Lehrbuch  der  Geographie  II,  S.   450. 

5)  Vgl.  dagegen  G.  v.  Below ,  Ursprung  der  deutschen  Stadtverfassung  a.  a.  O. 
S.  80,   A.  2. 

6)  Vgl.  S.  808. 

7)  Vgl.  Philippi,  Zur  Geschichte  der  Osnabrücker  Stadtverfassung  a.  a.  O.  S.  163  ff. 
Zur  Verfassungsgeschiche  S.   51. 

8)  Vgl.  ebenda  S.  164,  A.  1.  Frensdorff,  Dortmunder  Statuten  S.  LI,  A.  5.  Hegel, 
Lateinische  Worte  a.  a.  O.  S.  212.  Waitz ,  Heinrich  I.  S.  234.  Waitz ,  Verfassungs- 
geschichte Bd.  VII,  S.  375.  Urkundenbuch  von  Goslar  Bd.  I,  n.  320,  S.  354  u. 
n.  351,  376. 

9)  Philippi  a.  a.  O.  S.   169,   A.  1. 

10)  buten  =  aufsen. 

11)  Philippi  a.  a.  O.  S.  168,  S.  169. 

12)  Hegel,  Städte  und  Gilden  II,  S.  363. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  813 

nur  aus  den  Wendenthors-  und  Steinthorsburschaften.     Später  gliederte 
sich  die  Fallersleberthorburschaft  an1). 

Die  Zusammenlegung  der  Burschaften  oder  die  Vereinigung  von 
Landgemeinden  mit  einer  schon  bestehenden  S'adtgemeinde  kann 
auf  freiwillige  oder  auf  gezwungene  Weise  geschehen.  Auf  ähnliche 
Weise,  wie  Heinrich  I  milites  agrarii,  heerbannpflichtige  Landsassen 
in  den  Städten  ansiedelte,  konnte  der  Stadtherr  ganze  Gemeinden  zur 
Ansiedlung  innerhalb  der  Mauern  der  Stadt  veranlassen,  um  Ver- 
teidiger für  die  Mauern  zu  schaffen.  Oft  ist  die  Verteidigungspflicht, 
so  wie  die  Pflicht  die  Mauern  zu  unterhalten,  nicht  bloß  den  Ein- 
wohnern der  Stadt,  den  Bürgern,  sondern  auch  den  Bewohnern  um- 
liegender Orte  auferlegt2).  Diese  Dorfbewohner  durften  sich  dafür 
in  Kriegsnot  in  die  sicheren  Mauern  der  Städte  flüchten.  Vielfach 
haben  nun  die  Gemeinden,  denen  diese  Pflicht  auferlegt  war  und  dieses 
Recht  zustand,  ihre  alten  Wohnsitze  ganz  aufgegehen  und  sich  unter 
Beibehaltung  ihrer  Sondergemeindeverfassung  innerhalb  der  Mauern 
niedergelassen.  Anrecht  am  Stadtrecht  und  Stadtfrieden  haben  diese 
Gemeinden  wohl  meist  sofort  erhalten,  wenn  sie  in  den  Manerring  auf- 
genommen waren,  wie  die  Urkunde  für  die  Vorstadt  S.  Pantaleon  von 
Köln  zeigt 3).  Durch  Uebernahme  der  Stadtlasten  erkaufen  sich  die 
Neubürger  den  Anteil  au  den  Rechten  der  Stadt.  Zuweilen  sind  diese 
Gemeinden  aber  erst  durch  besonderen  Vertrag  oder  durch  Privileg 
des  Stadherrn  in  den  Besitz  des  Stadtrechtes  gekommen.  Als  Bei- 
spiel führe  ich  eine  Magdeburger  Urkunde  von  1372  an,  durch  welche 
das  innerhalb  des  Mauerringes  der  Neustadt  von  Magdeburg  liegende 
Dorf  Frose  mit  der  Neustadt  vereinigt  ist,  weil  zwischen  den  Bürger 
und  Bauern  —  unse  borger  der  nien  Stadt  Magdeborch  und  unse  bure 
daselbsten  zu  Frose  de  in  dersulven  ringmuren  sitten,  von  deswegen 
dat  ohre  stadtrecht,  burschaft  und  borgerschaft  sonderliken  und  be- 
sonderen an  beiden  seiten  von  alters  wentean  dussen  taggehat  hebben,  — 
mancherlei  Zwistigkeiten  geherrscht  haben  4).  Die  Stelle,  welche  die 
Vereinigung  betrifft,  lautet :  dath  sie  nun  furbasz  mehr  in  thokomenden 
tyden  ewiglichen  tho  glieken  stadtrecht,  burschaft  und  borgerschafft 
gehören  plieben  und  ok  glike  Magdeburger  in  allen  stucken  seyn  sin 
schollen,  die  arme  als  de  nke,  und  ok  der  Stadt  köhre  und  gesette 
gliek  holden  schollen,  in  alle  der  wiese,  wan  de  vorbenanten  unse  borger 
in  der  nienstadt  dat  von  older  roente  her  in  dusser  jegenwertigen  tydt 
gehalden  und  gehat  hebben,  und  schollen  ein  rat  und  ein  rathaus  under 
sich  hebben,  und  de  uth  der  nienstadt  mögen  mit  dem  rathuse  tho 
Frose  dohn  und  laten,  wat  se  willen.  —  Aehnliches  berichtet  die  Radolfs- 
zeller  Urkunde  von  1267  5),  durch  welche  das  Stadtrecht,  welches  bis- 
her  nur   in   einem  Teile   des  von   der  Mauer   umschlossenen  Gebietes 


1)  Vgl.  den  Stadtplan  von  Braunschweig  bei   Dürre  a.  a.   0.,   Beilage. 

2)  v   Maurer  a.  a    O.  I,  S.    10,  S   491.      Schwarz,  Die  Anfänge  des  Städtewesens  in 
den  Elb-  und  Saalegegenden  S.   19,  20. 

3)  Lacomblet,  a.  a.  O.  I,  n.  380,  S-  263. 

4)  Urkundenbuch  von  Magdeburg  Bd.  I,  n.  520,  S.   331. 

5)  Ztschr.  f.  Gesch.  des  Oberrheins  37,  20  f. 


814  Willi  Varges, 

galt,  auf  das  ganze  im  Mauerring  liegende  Terrain  ausgedehnt  wurde. 
Die  betreffende  Stelle  lautet:  Adiciens. . . .,  quod  opidum  sicut  hactenus 
in  quadam  sui  parte  jus  fori  habebat,  ita  deiuceps  per  totum  fun- 
dum  suum  idem  jus  plene  debeat  obtinere. 

In  späterer  Zeit  findet  die  Aufnahme  von  Sondergemeinden  in  den 
Mauerring  und  die  Stadtgemeinde  nur  selten  in  direkter  Weise  statt.  Die 
Städte  waren  besiedelt  und  ausgebaut,  selbst  die  größtenjPlätze,  die  Markt- 
plätze waren  bebaut1);  es  war  also  kein  Platz  füreine  neuzutretende 
Gemeinde  vorhanden.  In  älterer  Zeit  konnten  die  Befestigungen 
der  Stadt,  die,  wie  schon  oben  bemerkt  ist2),  nur  aus  Schanzenwerk 
und  Pallisaden  bestanden,  leicht  weiter  herausgerückt  werden,  wie  wir, 
das  z.  B.  vom  Hagen  von  Braunschweig  wissen ,  aber  nach  Erbauung 
steinerner  Mauern  mit  Thortürmen  und  Warttürmen  und  Anlegung 
ausgemauerter  Gräben  konnte  dieser  Vorgang  nicht  leicht  mehr  ein- 
treten. Doch  sind  noch  vielfach  Sondergemeinden ,  wenn  auch  nicht 
in  den  alten  Mauerring  aufgenommen ,  so  doch  mit  der  alten  Stadt- 
gemeinde verbunden  worden.  Es  handelt  sich  hier  vor  allem  um  die 
sogenannten  Neustädte  3). 

Die  Neustädte  sind  wohl  keineswegs  entstanden,  weil  man  in 
älterer  Zeit  nur  kleine  Gemeinden  für  möglich  hielt,  wie  G.  v.  Below 
annimmt4).  Es  sind  hauptsächlich  zwei  Gründe,  die  zur  Entstehung 
einer  Neustadt  führen.  In  der  Regel  geht  die  Bildung  von  der  Altstadt 
aus.  Bürger,  die  in  der  Altstadt  keine  günstigen  W'ohr.stätten  finden 
oder  denen  die  Wohnungsverhältnisse  dort  zu  teuer  sind,  lassen  sich 
vor  den  Thoren  der  Altstadt  an  günstiger  Stelle  nieder.  Meist  sind 
es  Handwerker,  die  zu  diesem  Mittel  greifen;  oft  kann  man  die  Neu- 
städte geradezu  als  Handwerkerstädte  bezeichnen.  Als  Beispiel  führe 
ich  die  Neustädte  von  Braunschweig  5),  von  Leipzig  und  von  Königs- 
berg an. 

Zuweilen  ist  es  aber  vorgekommen ,  daß  Einwohner  von  Dörfern, 
die  in  der  Nähe  der  Stadt  lagen,  ihre  Wohnsitze  verließen  und  sich 
unter  dem  Schutz  der  Mauern  ansiedelten.  In  der  Regel  haben  wohl 
Stadtbürger  und  umwohnende  Bauern  bei  Bildung  der  Neustädte  zu 
gleichen  Teilen  mitgewirkt.  Die  Ansiedler  schließen  sich  allmählich 
zu  einer  Dorfgemeinde  zusammen.  Später  erhielten  die  meisten  Neu- 
städte Stadtrechte,  gewöhnlich  das  der  Altstadt,  wie  wir  das  an  vielen 
Beispielen  nachweisen  können.  Es  findet  nun  eine  allmähliche  Assi- 
milation zwischen  Alt-  und  Neustadt  statt,  die  nach  und  nach  zur 
Verschmelzung  der  beiden  Weichbilde  und  zur  Entstehung  einer  Stadt- 
gemeinde führt.  Dieser  Prozeß  ist  zuweilen  sehr  langsam  vor  sich 
gegangen. 


1)  Teschenmacher,  Annales  etc.  Cod.  dipl.,  S.  3,  n.  4.  (Duisburg)  domos  sive  aedi- 
fications,  quas  circa  Palatium  et  Curiam  regalem  sive  supra  forum  locaverant.  Knieke, 
Einwanderung  in  den  westfäl.  Städten   1873,  S.   128. 

2)  Aufs    L,  S.   167. 

3)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer,  S.  74  ff.     v.  Maurer,  a.  a.  O.  II,  S.   131  ff. 

4)  v.  Below,  Stadtverfassung,  S.   81,  A.   2. 

5)  Vgl.  meine  Entstehung  der  Stadt  Braunschweig  a.  a.  O.,  S.  116,   121. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  Slö 

Die  Neustadt  von  Wernigerode  wird  1279  erwähnt J),  erhält  1410 
Stadtrecht2)  und  wird  1521 3)  mit  der  Altstadt  vereinigt.  Die  Neu- 
städte Braunschweigs,  der  Hagen,  die  Neustadt,  der  alte  Wik  und  der 
Sack  haben  das  ganze  Mittelalter  hindurch  eine  selbständige  Stellung 
gehabt;  erst  nachdem  der  Städtebund  von  Braunschweig,  der  aus 
den  fünf  Weichbildeu  Braunschweigs,  der  Altstadt,  dem  Hagen,  der 
Neustadt,  der  Wik  und  dem  Sack  bestand,  in  die  Gewalt  der 
Herzöge  von  Braunschweig  gekommen  war,  findet  eine  Verschmelzung 
der  fünf  Städte  statt.  Auch  in  Hildesheim4),  dessen  Entstehungs- 
geschichte mancherlei  Aehnlichkeit  mit  der  von  Braunschweig  hat.  und 
wo  sich  zwischen  den  einzelnen  Weichbilden  sehr  scharfe  Gegensätze 
finden,  ist  die  Vereinigung  der  Neu-  uud  Nebeustädte  mit  der  Alt- 
stadt nur  langsam  vor  sich  gegangen.  Hier  trat  noch  erschwerend 
der  Umstand  hinzu,  daß  die  Einwohner  des  einen  Weichbilds  Flandrer 
waren,  die  nach  flandrischem  Recht  lebten.  Auch  in  dem  Hagen  und 
der  Wik  von  Brauuschweig  finden  wir  Flandrer  und  Holländer5),  die 
vielleicht  auf  die  lange  Sonderstellung  der  betreuenden  Weichbilde  Ein- 
fluß gehabt  haben. 

Oft  haben  die  Nebenstädte  auch  nach  der  Vereinigung  mit  der 
Altstadt  sich  eine  gewisse  Sonderstellung  bewahrt,  wie  wir  das  z.  B. 
von  Osnabrück  wissen,  wo  die  Neustadt  später  ein  Laischaft  bildete  9). 

Bei  Gründungen  von  Städten  7)  treteu  uns  in  der  Bildung  der 
Stadtgemeinde  wieder  andere  Gesichtspunkte  entgegen.  Wenn  die 
Gründung  an  ein  schon  bestehendes  Dorf  eine  villa  oder  an  einen 
Herrenhof,  eine  curia,  anknüpfte,  so  tritt  uns  derselbe  Vorgang,  wie 
bei  deu  natürlich  gewachsenen  Städten  allerdings  oft  in  beschleunigter 
Weise,  entgegen.  Die  Dorf-  oder  Hofgemeinde  erweitert  sich  durch 
Aufnahme  neuer  Zuzöglinge  oder  durch  Einverleibung  anderer  Dorf- 
gemeinden zur  Stadtgemeinde.  Anders  liegen  aber  die  Verhältnisse, 
wenn  die  Stadt  an  nichts  Vorhandenes  anknüpft,  wie  das  z.  B.  bei 
der  Stadt  Freiburg  8),  dem  Hagen  von  Braunschweig9)  und  vor  allem 

1)  Urkundenbuch  von  Wernigerode,   S.   12,  n.   19. 

2)  Ebenda,  S.    194,  n.  309.     Vgl.   auch   S.   126,  n.   203. 

3)  Urkundenbuch  von   Wernigerode,  S.  441. 

4)  Doebner,    Stadtverfassung    Hildesheims.     Hansische    Geschichtsbl.    1881,    S.   11  ff. 

5)  Vgl.    meine  Arbeit  Gerichtsverfassung    der  Stadt  Braunschweig,    S.   15   u.   meinen 
Aufs    Entstehung  der  Stadt  Braunschweig  S.   112. 

6)  Philippi,    Zur  VerfassuDgsgeschichte,    S.  51  ff.     Vgl.  Plen.  Hansische    Geschichts- 
blätter a.  a.  O.,   S.    165.     Vgl.  oben. 

7)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer,   S.  360  ff. 

8)  Gengier,  Stadrechte,  S.   125. 

9)  Vgl.   meinen  Aufs.,  Entstehung  der  Stadt  Braunschweig  a.  a.   O. ,    S.   114.     Ueber 
die  Gründung  des  Hagens  berichtet  die  Reimchronik: 

Von  dissem  vursteu  gar  gemeyt 
Ward  gewidet  und   gebreyt 
Dhe   vesto   to  Brunswich 
Went  her  urgav  dat  blich 
Daz  geheizen  is  de  Hage 
Und  heiz  mit  howe  unde  slagen 
Is  buwen  unde  vesten 
Daz  iz  vor  argen  gesten 
Sicher  were  osten,  westen. 
Unter  dem  Fürsten  ist  Heinrich  der  Löwe  zu  verstehen. 


giß  Willi  Varges, 

bei  den  Städten  des  Kolonialgebietes  der  Fall  ist1).  Hier  wurde  die 
Stadtgemeinde  aus  dem  Nichts  geschaffen.  Der  Stadtgründer  oder  seine 
Beauftragten,  die  locatores  2),  erließen  einen  Autruf  zur  Ansiedlung  in  der 
neuen  Stadt,  und  verteilten  den  Grund  und  Boden  in  der  Stadt,  die  Hof- 
stellen3), deren  Größe  genau  festgestellt  wurde4),  gegen  oder  ohne  einen 
Zins  an  die  Einwanderer.  Diese  schlössen  sich  dann  zu  einer  Stadt- 
gemeinde, oft  unter  Ablegung  eines  Eides,  wie  das  von  Freiburg  über- 
liefert ist5),  zusammen  und  übernahmen  gemeinschaftlich  die  Bürger- 
pflichten. 

Kapitel  VII. 
Die  städtische  Einwanderung.' 

Den  größten  Einfluß  auf  die  Bildung  der  deutschen  Stadtgemein- 
den bat  die  Einwanderung  und  Ansiedlung  einzelner  Personen,  auf  die 
wir  jetzt  eingehen,  gehabt 6).  Man  kann  sich  die  Einwanderung,  die  im 
11.  und  12.  Jahrhundert  in  die  Städte  von  außerhalb  stattfand,  gar  nicht 
groß  genug  vorstellen7).  Selbst  in  kleinen  Städten,  so  z.  B.  in  dem 
kleinen,  unbedeutenden  Wernigerode,  kommt  man  in  Bezug  auf  die 
Ansiedlung  und  Niederlassung  auswärtiger  Leute  zu  staunenswerten 
Ziffern.  Der  beste  Beweis  für  die  Einwanderung  sind  die  Familien- 
namen, die  Ortsnamen  sind  8). 

Das  größte  Kontingent  der  Einwohnerschaft  einer  Stadt  stammte, 


1)  Gengier,  Stadtrechte  S.   277. 

2)  Genfer,  Stadtrechtsaltertümer,  S.  381  u.  A.  190.  v.  Maurer,  a.  a.  O.  I,  38. 
Frensdorff,  Stadtverfassung  Lübecks,  S.    16  ff. 

3)  Bezeichnungen  für  die  Hofstellen  sind  area,  fundus,  spatium ,  curia,  praedium 
worth,  slovettat.     Vgl.   Gengier,  Stadtaltertümer,  S.   372. 

4)  Gengier,  StadtrechtsBltertümer ,  S.  372.  Gengier,  Stadtrechte,  S.  125.  Freiburg 
§  1.  singulae  areae  in  longitudine  centum  pedes  habebunt,  in  latitudine  quinquaginta ; 
in  Thun  betrug  die  Länge  60,  die  Breite  40  Fufs ;  in  Sindlfingen  die  Länge  50,  die 
Breite  40  Fufs.  Ich  führe  hier  zum  Vergleich  einige  Bremische  Bestimmungen ,  welche 
die  Ansiedlung  auf  dem  Lande  betreffen.  1100  erhalten  Holländische  Ansiedler  im  Bruch- 
land —  Hollerland  —  je  eine  Hofstelle,  mansus,  von  720  Ruten  Länge  und  30  Ruten 
(regales  virgas)  Breite.  Bremisches  Urkuudenbuch  I,  n.  27,  S.  28.  Vgl.  S.  63,  n  56. 
Licet  etiam  eis  hereditatem  suam  vendere,  ingredi,  egredi,  quod  nihil  spectat  ad  iudicem. 
S.  50,  n.  46.  Besiedlung  der  paludes  —  Marschen  —  durch  venditor  und  habitator  Bovo. 
Vgl  n.  53,  S.  58.  In  n.  92,  S.  107  werden  zwei  cultores  erwähnt.  Vgl.  v.  Wersebe, 
die  Niederländischen  Kolonien  I,  S.  27  ff.  Gildemeister,  Beiträge  zur  Kunde  des  vaterländ. 
Rechts  I,   S    186. 

5)  Genfer,   Stadtrechte,   S.  325. 

6)  Vgl.  Knieke,  Die  Einwanderung  in  den  Westfälischen  Städten 
bis  140  0.     Münster   1893       Gengier,  Stadtrechtsaltertümer,  S.  407  ff. 

7)  Knieke  a.  a.  O  ,  S.  165.  Jacobs,  Die  Bewegung  der  Bevölkerung  von  Wernigerode. 
Festschr  des  Harzvereins,  1893,  S.  11.  Bücher,  Bevölkerung  Frankfurts,  1886.  Paasche, 
Die  städtische  Bevölkerung  früherer  Jahrhunderte.  Jahrb.  f  Nationalök.  u.  Statistik, 
Bd.  39.  N.  F.  5,  S.  303 — 387  ;  dort  findet  s.  auch  die  Litteraturangabe.  Teschen.  Die 
Bevölkerung  Wismars  im  Mittelalter  und  die  Wachtpflicht,  Hans.  Geschichtsbl.  1892, 
S.   65  ff. 

8)  Knieke,  a.  a.  O,  S.  166.  S.  Kleemann,  Die  Familiennamen  Quedlinburgs,  1891, 
S.  146  ff.  Vgl.  auch  meinen  Aufs. :  Entstehung  der  Stadt  Braunschweig,  a.  a.  O.,  S.  108 
u.  A. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  317 

-abgesehen  von  den  Kolonialgebieten,  aus  der  Umgegend  derselben1). 
Freie  und  hörige  Landbewohner,  Vogtei-,  Königs-  und  Kirchenleute 
(homines  advocaticii,  homines  cerocensuales)  siedelten  sich,  nach  dem 
der  Gedanke  und  das  Wesen  der  Stadt  volkstümlich  geworden,  und 
man  die  großen  Vorteile,  die  die  Städte  boten,  erkannt  hatte,  in 
Menge  in  den  Städten  an,  wie  die  Familiennamen  zeigen.  Die  zahl- 
reichen Wüstungen  —  oft  handelt  es  sich  bei  den  Wüstungen  nur  um 
-einen  Hof,  eine  Einzelsiedelung  —  die  sich  in  der  Nähe  der  Stadt 
finden,  gehen  hauptsächlich  auf  diese  Einwanderung  zurück. 

Auf  die  Freizügigkeit2)  des  vollfreien  Landbewohners  braucht 
hier  nicht  eingegangen  zu  werden.  Dieselbe  ist  in  Volksrechten  und 
"Weistümern  anerkannt3).  Erst  die  Freilassung  mit  Freizügigkeitser- 
klärung macht  den  Hörigen  zum  Vollfreien 4).  Ebenso  wie  der  freie 
Stadtbürger  jederzeit  die  Stadt  verlassen  kann 5) ,  kann  sich  jeder 
Freie  in  dem  Mauerring  ansiedeln  und  Stadtrecht  erwerben.  Auch 
die  freien  Zinsleute  sind  im  Besitz  der  Freizügigkeit 6).  Erst  in  späterer 
Zeit  findet,  nachdem  ein  Teil  der  freien  Landbewohner  zu  Vogtei- 
leuten von  den  Landesherrn  herabgedrückt  war,  eine  Verminderung 
der  Freizügigkeit  statt7). 

Ueber  die  Freizügigkeit  der  Hörigen  in  ältester  Zeit  sind  wir 
wenig  unterrichtet.  Wenn  auch  eine  gewisse  Beschränkung  derselben 
vorhanden  war,  so  darf  man  doch  nicht  von  einem  Gefesseltsein  an 
die  Scholle,  glebae  ascriptio,  sprechen8).  Für  eine  ursprüngliche  Ver- 
pflichtung auf  dem  Grund  und  Boden  des  Herrn  für  immer  zu  bleiben, 
findet  sich  kein  ausschlaggebendes  Zeugnis 9).  Auch  aus  den  Formeln 
der  Freilassungsurkunden  kann  man  mit  Sicherheit  solche  weitgehenden 
Folgerungen  nicht  ziehen.  Der  Hörige,  der  in  persönlicher  Hinsicht 
ein  freier  Mann  und  nicht  etwa  leibeigen  war,  konnte  nach  Erfüllung 
gewisser  Bedingungen  den  Hof  verlassen  und  sich  gegen  den  Willen 
seines  Herrn  anderswo  niederlassen10).    Diese  in  gewissem  Sinne  be- 


1)  Knieke,  a.   a.   O.,  S.   166. 

2)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer,  S.  366.  R.  Schröder,  Rechtsgeschichte,  S.  2.  Brun- 
ner, Rechtsgeschichte  I,  S.  98  f.,  S.  35,  103,  229,  243.  Knieke,  Einwanderung  in  den 
Westfälischen   Städten,  S.   40.  Vgl.  auch   Bremisches  Urkundenbuch  I,   n.   56,   S    63. 

3)  Ingelheimer  Weistum,  Grimm,  Rechtsaltertümer,  S.  286.  Knieke,  a  a.  O.,  S.  40. 
Und  ein  jeglicher,  der  in  dem  riche  gesessen  ist,  mag  ziehen  und  faren,  wor  er  wil  und 
sol   im   nieman  daran  kruden  oder  hindern. 

4)  R.  Schroeder,  Recht>geschichte,  S.  256.  Brunner,  Rechtsgeschichte  I,  S.  99.  Knieke, 
a.  a.  O.,  S.  41.  Westlälisches  Urkundenbuch  IV,  1410.  liberos  reddimus  et  securos  dantes 
eisdem  ubique  locorum  morandi  seque  ad  diversa  loca  transferendi  ....  facultatem.  Leibertz, 
Urkundenbuch  649.  U.  v.  1335.  habebit  liberam  facultatem  standi,  gradiendi  ,  morandi, 
proficiscendi,  loco  quocunque  fueret  visum  expedire. 

5)  Vgl.  die  Stadtrechte. 

6)  Waitz,   Verfassungsgeschichte  IV,  336,  n.    1,  V,   (Aufl.   2)  S.   313. 

7)  Vgl.  unten. 

8)  So  Knieke,  a.   a.  0.,   S.   42. 

9)  Philippi,  Zur  Verfassungsgeschichte  der  Westfäl.  Bischofsstädte  S.  80,  S.  81 
(2.  A.)    S.  313. 

10)  v.  Maurer,  Fronhöfe  I,    S.  57,  II,  74,  III,  137.     Waitz,    Verfassungsgeschichte  V, 
S.    281. 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXIII).  g  2 


glg  Willi  Varges, 

stehende  Freizügigkeit  ist  erst  in  späterer  Zeit  beschränkt  worden.  Bei 
Entstehung  des  Städtewesens  muß  sie  noch  in  großem  Maße  bestanden 
haben,  sonst  wäre  es  gar  nicht  denkbar,  daß  eine  so  starke  Einwanderung 
von  Hörigen  in  die  Stadt  stattgefunden  habe.  Man  müßte  sonst 
geradezu  annehmen,  daß  durch  ein  königliches  Gesetz  bei  Entstehung 
der  Städte  die  Beschränkung  der  Freizügigkeit  der  Hörigen  aufgehoben 
sei.  Es  ist  bezeichnend,  daß  in  einer  Urkunde  von  1291  verboten  wird, 
die  Freizügigkeit  der  Hörigen  zu  beschränken1).  Der  Hörige,  der  sich 
in  der  Stadt  niederläßt,  Grund  und  Boden  erwirbt  und  die  Bürger- 
pflichten übernimmt,  wird  vollfrei.  Wer  im  Stadtfrieden  sub  eo,  quod 
wicbilithe  vocatur,  als  Bürger  lebt,  ist  ein  freier  Mann.  Nur  durch 
die  Aussicht  auf  Erlangung  der  Freiheit  und  auf  die  Lösung  von 
allen  grundherrlichen  Lasten  und  Diensten  können  bei  Entstehung  der 
Städte  die  Hörigen  in  so  großer  Zahl,  wie  es  wirklich  geschehen  ist, 
augelockt  sein,  sich  in  den  Städten  niederzulassen  und  die  nicht  ge- 
ringen Stadtlasten  wie  die  Erhaltung  und  Verteidigung  der  Stadt- 
mauer, auf  sich  zu  nehmen.  Die  Städte  der  ältesten  Zeit  sind  keines- 
wegs solche  begehrungswerte  Wohnsitze,  wie  sie  es  im  späteren  Mittel- 
alter sind2).  Wirtschaftliche  Vorteile  boten  die  Städte  der  ältesten 
Zeit  nicht.  Sie  waren  ja,  wie  oben  gezeigt  ist3),  anfänglich  nichts 
weiter  als  kleine  zum  Schutze  des  Landes  angelegte  Festungen,  für  die 
man  mühselig  genut:,  wie  Widukind4)  und  lhietmar5)  berichten,  die 
Besatzung  suchen  mußte.  Solche  Vorteile,  wie  sie  später  die  Städte 
boten,  finden  sich  in  den  ältesten  Zeiten  der  städtischen  Entwick- 
lung nicht. 

Es  ist  bezeichnend,  daß  sich  in  den  Kolonialgebieten  der  alte 
Satz  erhalten  hat,  daß  die  Hörigen  bei  ihrer  Niederlassung  die  volle 
Freiheit  erhielten.  So  sagt  das  alte  Schweiiner  Stadtrecht,  das 
aus  d^r  zweiten  Hälfte  des  12.  Jahrhundert  stammt6):  Quicunque 
autem  homo  proprie  fuerit  condicionis,  si  intra  civitatem  veuerit  ab 
impeticione  cuj  islibet  servitatis  fuerit  über.  Aehnlich  heißt  es  im 
Recht  von  Eger7):  item  quicunque  proprii  alicujus  domini  civitatem 
subintraverit ,    quamdiu   in    civitate   mauere   voluerit,    dominus    suus 


1)  Gengier,  Stadtrechtsaltertumer  S.  431.  Privileg  für  Olmütz  von  1291:  ut  nullus 
nobilium  et  tetrigenarum  nostrorum  quemlibet  huminem  de  bonis  suis  ad  dictam  civi- 
tatem nostram  transire  voleottm  ii.junose  retinere  aut  in  aliquo  penitus  molestare  presu- 
mat,  sed  ipsum  libere  dimittat;  et  si  eidem  nobili  aat  terrigeae  contra  bominem  ipsum 
aliqua  competit  accio,  coram  judice  inratis  et  universitate  civium  dicte  civitatis  Olumu- 
censi»  prosequatur  eandem,  qui  sibi  exhibere  plenam  justiciam  tenebuntur.  Vgl.  Bischoff, 
Deutsches  Recht  in  Olmütz  S.   10. 

2)  Knieke.  a.  a.  O.,  S.  16  ff.,  27.  Arnold,  Aufkommen  des  Handwerkerstandes 
im  Mittelalter  S.  18.  Heusler,  Ursprung  der  Stadtverfassung  S.  102.  Gengier,  Stadt- 
rechtsaltertümer S.  407. 

3)  S.  Aufs.  I,   S.   165  ff. 

4)  Widukind,  a.  a.  O.,  I,  c.   35. 

5)  Thietmar  von  Merseburg.     Waitz.  Heinrich  I.   S.   231   ff. 

6;  Gengier,  Stadtrechte  S.  434,  §  21.  Die  deutsche  Uebersetzung  ebenda  ist  un- 
richtig. 

7)  Ebenda  S.  99,  §  15.  Vgl.  auch  §  16.  Item  quicunque  civitatem  mansurus 
ingreditur  per  spacium  unius  anni,  non  erit  dominorum  serviciis  obligatus. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  819 

ipsum  de  proprietate  minime  infestabit.  Man  wollte  hier  eine  tüchtige 
waffenfähige  Mannschaft  —  die  Hörigen  der  älteren  Zeit  sind  waffen- 
fähig —  in  die  Stadt  ziehen.  Auch  sonst  finden  sich  Rerainiscenzen 
an  das  alte  Recht,  daß  nur  Freie  im  Stadtfrieden  wohnen  dürfen; 
so  in  dem  Recht  von  Aachen  1). 

Ein  Lüueburger  Privileg  vom  Jahre  1247  zeigt 2),  daß  der  gegen- 
teilige Zustand,  daß  Hörige  bei  der  Niederlassung  in  der  Stadt  und 
bei  Aufnahme  unter  die  Bürgerschaft  nicht  die  volle  Freiheit  erhalten, 
gegen  die  Stadtfreiheit  verstößt.  Der  betreffende  Passus  lautet:  Erant 
namque  in  civitate  homines  quondam,  qui  propra  erant,  quorum  qui- 
dam  se  nobis  recognoverunt,  quidam  non,  et  illorum  herewede  et  rade 
indifferenter  accepimus,  in  quo  jura  civitatis  infringere  vide- 
b  a  m  u  r. 

Nach  meiner  Ansicht  erhalten  also  die  Hörigen  sofort  bei  Nieder- 
lassung auf  dem  freien  Boden  der  Stadt  die  volle  Freiheit.  Stadtluft 
macht  sofort  frei.  „Eine  Henne,  d.  h.  eine  hotrechtliche  Abgabe,  fliegt 
nicht  über  die  Mauer,  sagt  das  Sprüchwort"  3). 

Verschiedene  Forscher  nehmen  an,  daß  sich  die  Hörigen  erst  nach 
der  Niederlassung  in  der  Stadt  allmählich  zur  Freiheit  emporgear- 
beitet haben.  Nach  Kaufmann 4)  „hob  die  Pflicht,  als  Genosse  der 
Freien  die  Mauer  zu  bauen,  zu  bewachen  und  auch  zu  verteidigen 
auch  den  eigenhörigen  Städter".  Wir  hätten  dann  ähnliche  Verhält- 
nisse, wie  wir  sie  bei  der  Bildung  des  Ministerialenstandes  sehen. 
Gegen  diese  Ansicht  spricht  aber  die  Thatsache,  daß  der  unfreie  Ein- 
wanderer ursprünglich  sofort,  und  später  nach  einer  Frist  von  Jahr 
und  Tag  die  Freiheit  erhält.  Von  einem  allmählichen  Aufsteigen  von 
der  Hörigkeit  zur  Freiheit  ist  nichts  zu  merken.  Es  kommt  wohl  vor, 
daß  innerhalb  eines  Mauerrings  auch  unfreie  Leute  wohnen,  aber  diese 
sind  keine  Bürger  und  haben  keinen  Anteil  an  der  Stadtgemeinde. 
Werden  dieselben  Bürger,  so  erlangen  sie  damit  die  Freiheit.  Bürger- 
recht und  Hörigkeit  schließen  sich  aus.  Gengier5)  leitet  den  Rechts- 
satz aus  der  allgemeinen  privilegierten  Stellung  der  Bürger  ab.  Des 
riches  burger  sind  ewiclich  gefriet,  sagt  das  Kaiserrecht.  Der  unge* 
schmälerte  Genuß   der   stadtbürgerlichen  Gerechtsame  und   Freiheiten 


1)  Privileg  von  1314.  —  ut  omnes  incole  et  advene  hie  inhabitare  volentes,  presentes 
et  futuri,  sub  tuta  et  libera  lege  ab  omni  servili  conditione  Jiberi  vitam  agant.  Vgl. 
Gengier,   Stadtrechtsaltertümer  S.   42. 

2)  ürkundenbuch  von  Lüneburg  I,  S.  38,  n.  67,  §  60.  Döbner,  Städteprivilegien 
Otto  des  Kindes  S.  28,  n.  10.  Kraut,  Das  alte  Stadtrecht  von  Lüneburg  S.  8.  Vgl. 
auch  ürkundenbuch  1,  S    40,  n.   68. 

3)  Graf  und  Diether  ,  Rechtssprüchwörter,  S.  62.  Vgl.  aber  auch  das  Sprüchwort 
halshuhn  folgt  dem  halseigenen  allenthalben  Hillebraud,  deutsche  Rechtssprüchwörter  17. 
Grimm,  Rechtsalteriümer  312.  Ueber  das  Halshuhn,  Rauchhuhn  vgl.  Kuieke,  a.  a  0., 
S.  85.  Das  Rauchhuhn  kommt  auch  als  öffentliche  Abgabe  vor.  Vgl.  v.  Below,  Hist. 
Ztschr  ,  Bd  58,  S.  209  fif.  Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften  unter  Bürger,  S.  790. 
Ürkundenbuch  von  Wernigerode,  n.  288,  S.  179,  n  97.  Harzztschr.,  Bd.  XII,  S.  340. 
Ueber  das  Rauehhuhn  als  geistliche  Abgabe    Vgl.  Ürkundenbuch  von  Ilsenburg  II,  S.  699. 

4)  Kaufmann,  Zur  Entstehung  des  Städtewesens  I.  Münster  (Iudex  Lectionum  1891). 
S.  24. 

5)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer,  S.  258.     Vgl.  S.  413,  S.  407. 

52* 


820  Willi  Varges, 

hat  aber  den  Besitz  individueller  Freiheit  zur  notwendigen  Voraus- 
setzung; „so  konnte  es  nicht  fehlen,  daß  man  nach  und  nach  aus 
der  Freiung  eines  Ortes  für  diesen  zugleich  die  Kraft  ableitete,  Un- 
freie durch  die  bloße  Zulassung  zur  Teilnahme  am  stadtgemeindlichen 
Lebensverkehr  in  freie  Leute  umzuwandeln". 

Gengier  nimmt  also  an ,  daß  der  Satz  Stadtluft  macht  frei ,  sich 
erst  nach  und  nach  aus  dem  Wesen  der  Stadt  entwickelte;  doch  seine 
Ansicht  ist  nicht  haltbar.  Ursprünglich  erhält  der  Hörige  bei  seiner 
Niederlassung  in  der  Stadt  sofort  die  Freiheit x).  Später  wurde  dieser 
Satz  immer  mehr  beschränkt,  bis  sich  schließlich  die  Auffassung  gel- 
tend machte,  daß  der  Hörige  bei  Niederlassung  in  der  Stadt  weder 
seine  Lage  verbessert,  noch  verschlechtert,  wie  das  z.  B.  in  einem 
Privileg  für  Gehrden  vom  Jahre  1319  2)  ausgesprochen  wurde. 

Durch  die  Einwanderung  der  Hörigen  vom  flachen  Lande  in  die 
Stadt,  wurden  die  Vermögensinteressen  der  Grundherrn  naturgemäß 
geschädigt.  Die  Herren  beginnen  daher  die  Freizügigkeit  der  Hörigen 
zu  beschränken,  sie  stellen  den  Satz  auf,  daß  zur  Einwanderung  eines 
Hörigen  in  die  Stadt  die  Erlaubnis  des  Herren,  des  naturalis  domi- 
nus3), nötig  sei4).  Hat  ein  Höriger  die  Erlaubnis  zur  Niederlassung 
in  der  Stadt  nicht,  so  muß  er  auf  Verlangen  des  Herrn  von  der  Stadt 
ausgeliefert  werden.  Man  beginnt  den  Hörigen  also  jetzt  an  die  Scholle 
zu  fesseln.  Das  alte  Recht  der  Hörigen,  nach  Erfüllung  gewisser  Pflichten 
freien  Abzug  zu  erhalten  5),  wird  beschränkt  oder  beseitigt.  Die  Hö- 
rigen werden  grundhörig.  Der  Sachsenspiegel  normiert  den  neuen 
Rechtssitz  folgendermaßen;  We  in  Sassen  tu  tinsgude  geboren  is,  das 
is  en  late,  de  mack  des  gudes  äne  sines  herren  orlof  nicht  vortien6). 
Einzelne  Städte  haben  das  Ausforderungsrecht  der  Grundherrn  bald 
anerkannt.  Am  ersten  wird  die  neue  Rechtsauffassung  im  Stadtrecht 
von  Freiburg,  das  aus  den  12.  Jahrhundert  stammt,  erwähnt7).  Omnis 
etiam,  qui  venit  in  hunc  locura  libere  hie  sedebit,  nisi  fuerit  servus 
alieujus  et  confessus  fuerit  dominum.  Dominus  autem  servus  vel  relinquet 
in  urbe  vel  deducit,  si  voluerit.  Es  ist  vielleicht  kein  Zufall,  daß  der 
neue  Rechtssatz  zuerst  in  einem  fürstlichen  Stadtprivilegium  vorkommt. 
Eine  Anzahl  Städte  haben  den  neuen  Rechtssatz  nicht  aufgenommen. 
So  bestimmt  das  Aachener  Recht8):  Eis  confirmamus  et  lege  im  per- 
petuum   valitura  roboramus  scilicet,  ut  —  et  omnes   incole  et  advene 


1)  Vgl.  die  in  Niederländischen  Städten  vorkommende  Bestimmung.  Hegel,  a.  a.  O.  I, 
S.  250 

2)  Gengier,  Stadtrechte,  S.  145.  Die  Niederlassung  in  der  Stadt  bringt  die  Einfah- 
renden, eujuseunque  conditionis  fuerint,  videlicet  servilis  conditionis,  que  proprie  Vulschult 
dicitur,  vel  conditionis  cerocensecalis,  vel  si  prebendarii  vel  prebendarie  fuerint,  in  keine 
neue  bessere  oder  schlechtere   Lage. 

3)  Gengier,  Stadtrechte,  S.   449 

4)  Ueber  die  Erlaubnis  zum  Abzug  im  Landrecht.  Vgl.  v.  Maurer,  Fronhöfe  III, 
S.   128,    177. 

5)  v.  Maurer,  Fronhöfe,  III,  S    128. 

6)  Sachsenspiegel,  Landrecht  ed    Homeyer. 

7)  Gengier,  Stadtrechte,  S.   126,  §   13      Vgl.  auch  §  34. 

8)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer,  S.  412. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  g21 

liic  inhabitare  volentes,  presentes  et  futuri,  sub  tuta  et  libera  lege  ab 
omni  servili  condicione  liberi  vitam  agant.  Das  Schweriner  Stadtrecht 
sagt  ausdrücklich :  Quicunqiie  autem  homo  proprie  fuerit  condicionis, 
si  intra  civitatem  veuerit,  ab  impeticione  servitutis  cujuslibet  liber 
erit x).  Im  Herzogtum  Westfalen  scheint  wenigstens  im  Arnsbergschen 
nach  Knieke  der  alte  Satz  allgemeiner  in  Geltung  geblieben  zu  sein, 
und  die  Neuerung  wenig  Anklang  gefunden  zu  haben  2).  Es  hängt 
das  wohl  mit  dem  zähen  Festhalten  am  Althergebrachten  zusammen, 
das  uns  im  Rechtsleben  der  Westfalen    vielfach  entgegentritt. 

In  den  meisten  Städten  Deutschlands  hat  am  Ende  des  12.  Jahr- 
hunderts ein  Verfahren  Eingang  gefunden,  das  zwischeu  der  alten  und  der 
neuen  Rechtsanschauung  vermittelte.  Dem  auswärtigen  Grundherrn 
wurde  gestattet  seinen  Hörigen  zu  reklamieren,  aber  diese  Reklamation 
mußte  innerhalb  einer  gewissen  Frist  erfolgen.  Versäumte  er  dieselbe, 
so  verjährte  sein  Anrecht,  und  der  Hörige  erlangte  die  volle  Freiheit. 
Es  war  so  ein  Mittelweg  gefunden,  der  sowohl  die  wirtschaftlichen 
Nachteile  der  Grundherren,  als  auch  unnötige  Härten  für  die  Hörigen 
mildern  konnte  3). 

Die  Frist  hat  in  der  Regel  eine  Dauer  von  Jahr  und  Tag,  d.  h. 
in  der  Regel  von  einem  Jahr,  sechs  Wochen  und  drei  Tagen4).  Es 
ist  die  Zeit,  die  drei  echte  und  drei  gebotene  Dinge  umfaßt5).  Die 
Frist  von  Jahr  und  Tag  ist  die  alte  germanische  Verjährungsfrist,  die 
im  Eigentumsrecht  eine  Rolle  spielt 6).  Sie  hängt  mit  der  sog.  rechten 
Gewere  zusammen7),  wie  das  das  Sächsische  Weichbildsrecht  andeutet, 
wenn  es  sagt:  der  Hörige  muß  zeigen,  daß  er  binnen  wicbelde  gesez- 
zen  het  ane  anspräche  jar  und  tac,  damit  er  auf  diese  Weise  „siner 
Friheit  eyne  gewere  irkrigen  möge",  denn  „so  ist  er  niet  der  gewere 
nehir,  die  er  dorane  hat,  mit  syneu  gezugen  eine  Friheit  zu  behalden, 
wen  en  ymant  zu  einem  eigen  beholden  möge"  8). 


1)  GeDgler,  Stadtrechte,  S.  434,  §  21. 

2)  Knieke,  a.  a.   0.r  S.   154,    155.     Vgl.  aber  S.   156. 

3)  Vgl.  das  Stadtrecht  von  Belecke  :  Quicunque  ipsum  oppidum  nostrum,  cum  adhuc 
sit  novella  plantatio,  ingressus  fuerit  ad  morandum  in  eo  et  oppidanus  ibidem  effectus  eo 
ipso,  sit  Status  condicionis  aut  sexus  eunetarumque,  sit  liber  et  nulli  hominum  ....  ad 
aliqua  servitia  sit  astrictus.     Seibertz,  Urkundenbuch  I,   S.   578,   n.   466. 

4)  Schroeder,  Rechtsgeschichte,  S.  672.  Knieke,  a.  a.  O  ,  S.  173.  Sachsenspiegel, 
Landrecht  u.  A  63,  I,  28,  1,  S.  Jar  und  tag  ist  in  jar,  sechs  Wochen  und  drei  tage.  Statut 
von  Bremen  von  1303  binnen  jare  unde  dage,  dat  is  en  jar  unde  ses  wehen  unde  dre 
dage.  Hillebrand  ,  Rechtssprüchwörter,  S.  47.  Stadtrecht  von  Höxter,  §  7  anno  et  die 
videlicet  sex  septimanis.  Gengier,  Stadtrechte,  S  202.  Stadtrecht  von  Nordhausen,  §  8, 
per  annum  et  sex  ebdomadas.  Gengier,  a.  a.  O.,  S.  319.  Statut  von  Minden.  1  Jahr 
6  Wochen  1  Tag.  Crusius ,  Jus  stat.  reipubl.  Mind.,  p.  206.  In  Lübeck  ist  Jahr  und 
Tag  1   Jahr  und  4   Wochen. 

5)  Schroeder,  Rechtsgeschichte,  S.  672.  Nach  anderer  Anschauung  —  Knieke,  a.  a.  O., 
S.  173.  Hach,  a.  a.  O.,  S.  263.  v.  Below.  Landstandverfassung  II,  S.  4,  A.  13  Heusler, 
Institutionen  I,  S.  57  —  handelt  es  sich  um  ein  Jahr  und  die  Frist  bis  zum  nächsten  echten 
Ding. 

6)  Philippi,  Zur  Verfassungsgeschichte  der  Westfäl    Bischofsstädte,   S.   82. 

7)  Schroeder,  a.  a.  O.,  S.  671  und  672,  A.  61,  S.  668.  Heusler,  a.  a.  O.,  I,  S.  57. 
Gengier,   Stadtrechtsaltertümer,  S    414. 

8)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer,  S.  411.  Sachs.  Weichbild  IV,  1.  Glosse  zum 
Sachs.  Weichb.  Sp.  196,  Z.  42—54.     U.-B.  von  Mühlhausen  S.  631. 


822  Willi  Varges, 

Die  rechte  Gewere1)  ist  die  legitima  possessio  2),  der  rechtmäßige 
Besitz  einer  Sache.  Wer  im  Genüsse  derselben  ist,  braucht  sich  auf 
keine  Anfechtung  mehr  einzulassen3).  Derjenige,  der  Jahr  und  Tag 
im  Besitz  seiner  Freiheit  ist,  d.  h.  wer  auf  den  in  diese  Frist  fallen- 
den echten  und  gebotenen  Dingen  nicht  angesprochen  ist,  ist  ebenso 
im  unanfechtbaren  Besitz  seiner  Freiheit,  wie  er  im  unanfechtbaren 
Besitz  eines  Hauses  ist,  das  er  Jahr  und  Tag  inne  hat.  Die  Braun- 
schweiger Rechte,  Ottonianum  und  Hagenrecht,  stellen  nicht  ohne  Grund 
folgende  Sätze  nebeneinander:  Swes  eme  vrede  werd  gewarcht,  unde 
he  dar  mede  beseth  iar  unde  dach,  dat  ne  mach  neman  gebreken. 
Swelich  man  to  brunswich  is  jar  und  dach  borgere  sunder  ansprake, 
dene  ne  mach  neman  gevorderen 4).  —  Quicunque  annum  et  diem  in 
civitate  manserit  sine  alicujus  impeticione,  de  cetero  über  permanebit. 
Item  quicunque  domum  aut  aream  aut  quamlibet  aliam  rem  in  civitate 
emerit  et  annum  et  diem  pacifice  possederit  et  pax  ei  secuudum  jus 
civitatis  facta  fuerit5),  nullus  eum  de  cetero  super  eadem  re  poterit 
inquietare6).  Es  handelt  sich  hier  um  gleiche  Verhältnisse.  Der  Zu- 
sammenhang der  Verjährungsfrist  mit  der  echten  Gewere  zeigt  sich 
auch  im  folgenden.  Fand  bei  Eigentumsübertragungen  keine  Auflas- 
sung statt,  so  trat  an  Stelle  der  Frist  von  Jahr  und  Tag  die  alte 
Verjährungsfrist  von  30  Jahren7).  Bei  den  Sachsen  wurde  diese  Frist 
um  die  Zeit  von  Jahr  und  Tag  verlängert.  Interessant  ist  nun,  daß 
sich  auch  im  Stadtrecht  diese  verlängerte  Frist  von  31  Jahren  6  Wochen 
und  3  Tagen  vorfindet.  So  bestimmt  das  Herforder  Stadtrechtbuch : 
„Erst  diejenigen  Neubürger,  welche  31  Jahre  6  Wochen  und  3  Tage 
ohne  jemandes  Ansprache  gewohnt  und  tho  wege  unde  tho  strate,  tho 
zenede  unde  tho  vogetdinge  gegangen  waren,  wurden  als  Vollbürger 
angesehen",  mithin  auch  erst  dann  der  städtischen  Ehrenämter  für 
würdig  erachtet 8). 

Außer  der  Verjährungsfrist  von  Jahr  und  Tag  treten  auch  ver- 
einzelt andere  Zeiträume  auf.  In  Hildesheim,  wo  soDSt  die  allgemeine 
Verjährungsfrist  von  Jahr  und  Tag  in  Geltung  ist  9),  wird  durch  Ver- 
trag 1318  bestimmt10),   daß  die  bischöflichen  und  stiftischen  Hörigen, 


1)  Gewere  bedeutet  Besitz. 

2)  Heusler,  a.  a.  O  ,  II,  S.   103  ff. 

3)  Ebenda.     Schroeder,  Rechtsgeschäfte,  S.   671. 

4)  Urkuudenbuch  von  Braunschweig,  Bd.  I,  n.  2  ,  §  40,  41,  S.  6.  In  älterer 
Zeit  mufs  der  Bürger  eben  auch  Grundbesitzer  sein.     Vgl.  unten. 

5)  Vgl.  über  Frohnung  und  Friedewirken  Schroeder,  a.  a.  O.,  S.  671  u.  672,  A.  61. 
Mein  Aufsatz:  Autonomie  der  Stadt  Braunschweig,  Ztschr.  des  Harzvereins,  XXV. 

6)  Urkundenbuch  von  Braunschweig,  Bd.  1,  n.  1,  §  9,  10,  S.  2.  Vgl.  auch  Stadt- 
recht von  Regensburg  (a.   1230)  §   6,  §   7.     Gengier,  Stadtrechte,  S.  374. 

7)  Schroeder,  Rechtsgeschichte,  S.   672,  S.   352  f.     Heusler,  Institutionen  I,  S.  56. 

8)  Knieke,  a.  a.  O,  S.  163.  Wigand ,  Archiv  II,  S.  7  ff.  llgen,  Zur  Herforder 
Stadt-  und  Gerichtsverfassung.  Westfäl.  Ztschr.,  Bd.  49,  S.  21.  Gengier,  Stadtrecht, 
S.   193.      Vgl.  Sachsenspiegel,  Ldr.  II,  art.  22,  §    1. 

9)  Urkundenbuch  von  HildeNheim,  Bd  I,  n.  209,  §  32,  S.  105  (s.  1249).  Si  quis 
intrat  civitatem  ad  manendum  et  manserit  anno  et  die  sine  requisicione,  postea  non  potest 
eum  aliquis  requirere.     Vgl.   u.   548,  §  49,  S.   284.  (c.   1300.) 

10)  Ebenda,  n.   695,   S.   384. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  g23 

late  unde  eghene  man,  zwei  Jahre  ohne  Ansprache  in  der  Stadt  ihren  Sitz 
gehabt  haben  müssen,  ehe  sie  die  Freiheit  erhalten.  We  ok  de  burseap 
nu  mer  wint,  de  scal  to  voren  sweren  uppe  de  hilghen,  dat  he  en  vriy 
man  si,  unde  nemen  uppe  de  burseap,  de  he  wunnet  hevet,  user  stat 
bref;  dene  selven  bref  scal  he  ok  dragen  to  deme  undercustere  to  deme 
dorne  unde  sin  was  mit  sek  bringhen.  Dene  bref  scal  eme  de  under- 
custere beseghelen  mit  eneme  ingheseghele,  dat  dar  sunderliken  to 
ghemaket  is,  ane  gave  unde  ane  rechte  wedersprake,  unde  besit  he 
tvvey  jar  darua,  dat  der  breve  beseghelet  sin,  ane  rechte  ansprake 
unde  unverbosmet,  so  scal  he  en  vriy  bürgere  wesen.  Worde  he  aver 
anghesproken  binnen  dissen  twen  jaren  mit  rechter  ansprake  vor  deme 
rade,  mochte  me  one  bebosmen,  des  scoldeme  one  laten  volghen  deme, 
de  one  bebosmet  hedde  unde  all  sin  gut;  des  gudes  scal  der  stad  de 
dridde  del  wesen.  Hevet  he  aver  lengut  ichte  latgut,  dar  en  heft  de 
Stadt  nicht  mede  to  donde.  —  Oefter  fiudet  sich  die  Frist  von  10  Jahren; 
so  im  Regensburger  Stadtrecht  vom  Jahre  1230:  Item  quieunque  resi- 
dens  in  civitate  impetitur  de  servili  conditione,  qua  teneatur  impetenti, 
si  talis  probabit,  quod  decem  annis  permanserit  a  nullo  impetitus,  deineeps 
secursus  permanebit  a  tali  impetitione  x).  In  Euskirchen  am  Nieder- 
rhein findet  sich  1322  dieselbe  Frist 2).  Im  Hamburger  Stadtrecht  von 
1497  findet  sich  die  Bestimmung  3),  daß  die  Ansprache  nachfolgender 
Herren  10  Jahre  lang  rechtliche  Verbindlichkeit  hat.  Eine  ähnliche 
Festsetzung  findet  sich  auch  in  Minden4).  Auf  einen  Einfluß  des 
römischen  Rechts  5)  möchte  ich  hier  nicht  schließen,  da  die  Frist  von 
zehn  Jahren  schon  sehr  früh  in  Deutschland  erwähnt  wird  6)  und  auch 
im  frisischen  Recht  vorkommt 7).  Tein  jeer  besittinge  is  ney  da 
riueht  also  gued  so  en  ferdbann,  heißt  es  daselbst.  Auch  in  Rechts- 
sprüchwörtern kommt  die  Frist  vor8). 

Die  Frist  von  Jahr  und  Tag  wird  in  einem  Stadtrecht  in  Bezug 
auf  die  Freiheitserwerbung  der  Hörigen  am  frühesten 9)  in  Nieder- 
deutschland, und  zwar  zuerst  in  den  Privilegien  Friedrichs  Barbarossas 


1)  Gengier,  Stadtrechte,  S.   374,  §  6. 

2)  v  Below,  Landständ.  Verfassung  I,  S.  48  In  den  Dortmunder  Urkunden ,  auf 
die  Kuieke  hinweist  (Knieke,  a.  a  O.,  S.  163),  finde  ich  keine  Spur  der  zehnjährigen 
Frist      Vgl.   Urkundenbuch  von  Dortmund  I,   n.   713,  S.   503. 

3)  Lappenberg,  Rechtsaltertümer  I,  S.  186 ,  c.  XII.  Frensdorff,  Gerichtsverfassung 
Lübecks,  S.   194, 

4)  Vgl.  Crusius,  Jus  statutarium  Mindens,  S.  71.     Knieke,  a.   a    O.,   S.   163. 

5)  Knieke,  a.  a    O  ,   S.    163.     Vgl.   Schröder,  Rechtsgeschichte,  S.    352. 

6)  Stadtrecht  von  Regensburg  von  1230.  Gengier,  Stadtrechte,  S.  373,  allerdings 
ist  das  Recht  von  Friedrich  II.  verliehen. 

7)  Jus   Fris.      36,   11. 

8)  Graf  nnd  Dietherr,   Rechtssprüchwörter  95.     Knieke,  a.  a.  O.,  S    162. 

9)  Die  Frist  Jahr  und  Tag  findet  sich  schon  im  Recht  von  Soest.  Gengier,  Stadt- 
rechte,  S.  443,  §  34.  Quieunque  de  manu  schultheti  vel  ab  eo  qui  auetoritatem  ab  eo 
habet,  domum  vel  aream  vel  agros  vel  mansum  vel  manse  partem  reeeperit  et  peran- 
num  et  diem  legitimum  quiete  possederit,  si  quis  in  eum  agere  noluerit,  possessor 
tactis  reliquiis  sola  manu  obtinebit  et  sie  de  cetero  sui  warandus  erit  nee  amplius  supra 
predictis  gravari  poterit ,  §  52.  Quieunque  aliquem  in  judicio  convenit  de  hereditate 
vel  de  herwadio  vel  de  gerathen  plenam  ei  warandiam  et  fideiussionem  ad  annum  et  diem 
legitimum  prestabit,  antequam  alter  respondere  teneatur. 


g24  Willi  Varges, 

für  Bremen  vom  Jahre  1186  J)  und  für  Lübeck  vom  Jahre  1188  2)  er- 
wähnt. In  älteren  deutschen  Stadtrechten  wird  sie  nicht  genannt. 
Im  Magdeburger  Stadtrecht  von  1188  findet  dieselbe  sich  noch  uicht 3), 
dagegen  kommt  sie  schon  1197  im  Lippstadter 4),  1218  im  Berner5) 
und  1219  im  Goslarer  Recht  vor  6).  In  England  tritt  der  Rechtssatz 
schon  in  einem  Recht  Wilhelm  des  Eroberers  auf7).  Si  servi,  heißt 
daselbst,  permauserint  sine  calumpnia  per  annum  et  diem  in  civitatibus 
nostris  vel  in  burgis  vel  muro  vallatis  vel  in  castris  nostris  a  die  illa 
liberi  efficiautur  et  liberi  a  jugo  servitutis  suae  sint  in  perpetuum.  Hegel 8) 
nimmt  nun  an,  daß  der  Rechtssatz  aus  England  und  zwar  durch  Heinrich 
den  Löwen  nach  Niederdeutschland,  speziell  nach  Braunschweig  gebracht 
sei,  und  sich  von  dort  über  das  übrige  Deutschland  verbreitet  habe.  Die- 
Braunschweiger  Stadtrechte  stammen  nun  aber,  wie  ich  an  anderer  Stelle 
gezeigt  habe  9),  erst  aus  dem  Anfang  des  13.  Jahrhunderts,  entweder  aus 
dem  Jahre  1226  oder  1227.  Die  Rechte  des  Hagens,  die  Jura  Indaginis, 
gehen  zwar  teilweise  auf  eine  ältere  Urkunde  zurück,  die  wahrscheinlich 
von  Heinrich  dem  Löwen  herrührt10).  Es  ist  aber  sehr  fraglich,  ob  in 
dieser  älteren  Urkunde  eine  Bestimmung  über  die  Verjährungsfrist 
enthalten  gewesen  ist.  Die  Hildesheimer  Urkunde  für  die  Dammstadt, 
Dammo11),  in  welcher  auf  das  Hagenrecht  hingewiesen  wird1*),  hat 
wenigstens  keine  diesbezügliche  Bestimmung.  —  Möglich  könnte  es  ja 
immerhin  sein,  daß  sich  bei  Eutwickelung  des  Rechtssatzes  englischer 
Einfluß  zeigt;  wahrscheinlich  ist  aber  wohl,  daß  wir  es  in  England  mit 


1)  Bremisches  Urkundeubuch,   Bd.  I,  n.   65,   S,   71. 

2)  Urkundenbuch  von  Lübeck.   Bd.  I,  n.   7,  S.    11. 

3)  Urkundenbuch  von  Magdeburg,   Bd.  I,  n.  59,  S.   30. 

4)  Westfälisches  Urkundenbuch  ll,  S.  541. 

5)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer,  S.  415. 

6)  Urkundenbuch  von  Goslar,  Bd.  I,  n.  401,  S    403. 

7)  Carta  regis  Willelmi  conquistoris  de  quibusdam  statutis  c.  17.  Vgl.  Hegel,  Städte 
und  Gilden  I,  S.  58  u.  A.   4. 

8)  Hegel,  a.  a.  O.,  II,  S.  506.  Im  Stadtrecht  von  Schwerin,  das  H.  anführt,  findet 
sich  keine   Bestimmung  über  die  Frist.     Vgl.  Gengier,   Stadtrechte,   S.  434. 

9)  Meine  Gerichtsverfassung  von  Braunschweig,  S.  5  ff.  Vgl.  auch  Frensdorff,  Ueber 
das  Alter  niederdeutscher  Rechtsaufzeichnungen.  Hansische  Geschichtsblätter ,  Bd  II, 
1876,  S.  117  ff.  Göttinger  Gelehrtenanzeiger,  1862,  S.  787.  Doebner,  Die  Städteprivi- 
legien Ottos  des  Kindes,  S.  7.  Hänselmann,  Die  ältesten  Stadtrecbte  Braunschweigs. 
Hans.  Geschichtsblätter,  Bd.  20.  Separatabdruck.  Häuselmann  hält  am  Jahr  1227  fest, 
giebt  aber  zu,  dafs  das  Recht  vor  1227  aufgezeichnet  ist.     Vgl.  a.   a.  O,  S.  29 

10)  Vgl.  Eingang  der  Urkunde,  a.  a.   O.  und   Urkundenbuch,   Bd.  I,  n.   7,  S.    14. 

11)  Doebner,  Urkundenbuch  von  Hildesheim,  Bd.  I,   n.   79,  S.   22. 

12)  Et  in  his  et  in  aliis,  que  longum  est  enumerare ,  jus  aliorum  Flandrensium,  qui 
morantur  Brunswic  vel  circa  Albim  prorsus  se  qui  decreverunt  advocati  accedente  con- 
sensu.  Hänselmann,  a.  a.  O.  sieht  diese  Flanderer  jetzt  in  der  Alten  Wik,  aber  die  Alte 
Wik  erhält  erst  1240  Stadrechte  und  zwar  Recht  der  Altstadt  Braunschweig.  Vgl.  Urkun- 
denbuch von  Braunschweig,  n.  IV,  S.  9,  n.  V,  S.  10.  Die  Urkunde  V  ist  übrigens  die 
ältere,  sie  mufs  vor  IV.  stehen.  Am  Schlufs  der  Urkunde  IV  ist  ein  quinto  ausgefalleu. 
Das  Original  ist  verloren.  In  U.  V  verleiht  Otto  der  Alten  Wik  Omnibus  nunc  manen- 
tibus  in  veteri  uico  B.  et  Ulis  qui  in  posterum  illuc  intrant.  Stadtreeht  und  Innungsrecht } 
die  Einwohner  werden  noch  nicht  als  Bürger  bezeichnet;  in  U.  IV  bestimmt  der  Vogt, 
der  in  V  unter  den  Zeugen  fungiert,  im  Interesse  der  Einwohner,  die  jetzt  infolge  der 
Verleihung  von  Stadtrecht  in  V  als  burgenses  bezeichnet  werden,  im  Auftrag  des  Herzogs, 
ex  parte  domini  sui  Ottonis  das  Innungsrecht  näher. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  825 

einer  Analogiebildung  zu  thun  haben.  Auch  in  den  Niederlanden  zeigt 
sich  derselbe  Rechtssatz  "). 

Der  Rechtssatz  ist  sehr  verschieden  gefaßt.  Eine  bestimmte 
Formel  hat  sich  nicht  ausgebildet.     Ich  gebe  einige  Beispiele  2). 

Das  Hagenrecht  von  Braunschweig  bestimmt:  Quicunque  annum 
et  diem  in  civitate  manserit  sine  alicuius  impeticione,  de  cetero  über 
permanebit 3). 

Ebenso  kurz  drückt  sich  das  Münsterer  Recht:  Qui  annum  habi- 
taverit  in  wicbilithe  nullo  eum  in  servitutem  redigente  libertati  debet 
adduci4)  —  von  Hildesheim  5):  Si  quis  intrat  in  civitatem  ad  manendum 
et  manserit  anno  et  die  sine  requisioue  postea  non  potest  eum  aliquis 
requirere;  —  von  Büren6)  Si  quis  in  civitate  anno  et  die  sine  objec- 
tione  resedit,  ab  impulsante  se  melius  potest  excusare  quam  confundi. 
Ausführlicher  sind  die  Stadtrechte  von  Lübeck  (1188) 7):  si  vero 
quispiam  de  terra  ipsorum  aliquem  de  libertate  pulsaverit  et  pulsatus 
probare  poterit,  quod  anno  et  die  in  civitate  sine  pulsatione  substiterit, 
pulsatus  evadit,  —  von  Lüneburg  (1247) 8):  item  si  quis  in  ipsa  civitate 
annum  et  diem  transegerit  non  requisitus  a  domino  suo  pro  libero 
nomine  teneatur  et  a  nemine  in  posterum  impetatur,  von  Hannover9): 
Item  jus  antiquum  ;  si  quis  factus  fuerit  burgensis  et  in  civitate  man- 
serit per  annum  et  diem  sine  impeticione  post  hec  pro  viro  libero 
tenebitur  —  von  Helmarshausen  10):  Transacto  anno  et  sex  hebdoma- 
darum  spacio  jure  civis  libere  perfruetur  nee  alicui  se  impetenti  deineeps 
respondebit,  von  Bern  aus11):  alioquin  si  die  et  anno  non  fuerit  com- 
probatus  über  in  urbe  remanebit  et  de  cetero  non  tenetur  ei  vel  alicui 
respondere.  Noch  ausführlicher  sind  die  Rechte  von  Goslar  * 2)  (1219): 
Si  quis  extraneus  civitatem  ad  habitandum  intraverit  et  sie  in  ea 
annum  et  diem  perstiterit,  quod  de  servili  conditione  numquam  fuerit 
aecusatus,  convictus  et  confessus  communi  aliorum  burgensium  gaudeat 
libertate  et  post  mortem  suam  nullus  eum  in  servum  audeat  sibi 
vendicare;  —  von  Höxter13):  Quicunque  Huxariam  iutraverit  et  com- 
muuionem  civitatis,  scilicet  burscap,  eunquisierit,  si  anno  et  die  vide- 
licet  sex  septimanis  absque  impetitione  alicuius  et  ineusatione  residen- 
tiam  fecerit,  illum  pro  cive  debito  habere  volumus,  —  und  von 
Bremen  14): 


1)  Hegel,    a.   a.  0.,  III,    S.   250.     Postquam   aliquis   factus   fuerit    oppidanus,    nulli 
tenebitur  esse  servilis,  sed  seeundum  iura  oppidi  libertate  perfruetur. 

2)  Vgl.  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer  S.  416  ff.     Knieke  a.  a.  0.,  S.  157  ff. 

3)  Urkundenbuch  von   Braunscliweig  Bd.  I,   n.    1,  S.    1. 

4)  Gengier,   Stadtrechte  S.   307,  §  52.     Vgl.  §   1—7. 

5)  Urkundenbuch  von  Hildesheim  i,  n.   209,   §  32,   S.   105. 

6)  Wigand,  Archiv  III,   3,   31.     Knieke,  a    a.   O.,  S.   159. 

7)  Urkundenbuch  von  Lübeck  I,  n.   7,   S.   11. 

8)  Urkundenbuch  von  Lüneburg  I,  n.  67,  S.  36.     Doebner,    Privilegien  Ottos    des 
Kindes  S.  27. 

9)  Doebner,  a.  a.   O.,  S.   32,  §   6. 

10)  Westfäl    Urkundenbuch  IV,  572.     Knieke,  a.  u.   O.,  S.    158. 

11)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer  S.   115. 

12)  Urkundenbuch  von   Goslar  I,  n.   401.  §  9,  S.  403. 

13)  Gengier,  Stadtrechte,  S.   202. 

14)  Bremisches  Urkundenbuch  I,  n.  65,  S.   71.     Vgl.  I,  n.  514,  S.  549. 


g26  Willi  Varges, 

Si  quis  vir  sive  mulier  in  civitate  Bremensi  sub  eo  quod  vulgo  dicitur 
wicpilithe  per  annum  et  diem  nullo  impetente  permanserit,  et  si  quis 
postea  libertati  ejus  obviare  voluerit,  liceat  ei  dicti  temporis  prescrip- 
tione  libertatem  suam  probare. 

Genauer  drückt  sich  das  Stadtrecht  von  Breisach  vom  Jahre 
1275 l)  aus:  Quod  si  forte  alicuius  proprium  hominem  receperint,  si 
ante  annum  expletum  a  die  receptionis  sue  a  suo  domino  repetatur 
et  suus  esse  iure  debito  comprobetur,  eidem  domino  suo  reddetur; 
post  annum  vero  expletum  dictus  dominus,  si  in  provincia  fuerit, 
repetendi  nullam  habebit  facultatem. 

Andere  süddeutsche  Stadtrechte  machen  ebenfalls  zur  Voraus- 
setzung, daß  der  Herr  den  Aufenthaltsort  seines  Hörigen  kennt.  So 
sagt  das  Recht  von  Lindau:  quicunque  extraneus  servilis  condi- 
tionis  a  praedictis  civibus  recipitur  in  concivem,  si  idem  per  spatiura 
unius  anni  sine  impetitione  et  repetitione  domini  sui  in  dictorum 
civium  civitate  commoratur,  ita  si  ipsum  dominus  seit  in  oppido  resi- 
dentem, deineeps  liber  et  solutus  ab  omni  servitio  sui  domini  penitus 
permanebit2).  Das  Recht  von  Diessenhofen  bestimmt3).  Item  quem- 
eunque  in  burgensium  reeipiunt  et  ille  annum  et  diem  quiete  resedit, 
a  domino  suo  intra  provinciam  existente  non  proclamatus;  hie  deineeps 
fruetur  civium  libertate.  Si  autem  dominus  subterfugii  servi  sui  fuit 
ignarus  extra  provinciam  existendo,  nihil  sibi  juris  deperibit.  Aehn- 
lich  lautet  ein  Satz  des  Privilegs  für  Frauenfeld4):  Ita  volumus  et 
saneimus,  ut  quicunque  in  dieta  civitate  civis  existens  et  propriam 
habens  aream  in  eadem  sciente  domino  suo  naturali  et  vero,  si  quem 
habuit,  nee  repetitus  ab  ipso  residentiam  per  annum  unum  et  diem 
ibidem  fecerit  liberam  et  quietam,  non  teneatur  domino  suo  ad  ali- 
quid  etc. 5). 

Von  deutschen  Rechten  soll  nur  die  betreffende  Stelle  des  ältesten 
deutschen  Stadtrechtes  des  Braunschweiger  Ottonianums 6)  angeführt 
werden:  Swelich  man  to  bruneswich  is  jar  unde  dach  borgere  sunder 
ansprake  dene  ne  mach  neman  gevorderen. 

Die  Erlangung  der  Freiheit  nach  Jahr  und  Tag  ist  an  die  Be- 
dingung geknüpft,  daß  der  Hörige  während  der  Verjährungsfrist  Bürger 
gev\orden  ist  und  bürgerliche  Pflichten,  vor  allem  also  den  Waffen- 
dienst ausgeübt  hat.  Ausdrücklich  wird  diese  Bedingung  ausgesprochen 
in  dem  eben  citierten  Passus  des  Ottonischen  Stadtrechts  für  Braun- 
schweig. Auch  die  angeführte  Stelle  des  Bremischen  Rechtes  von 
1186  deutet  in  dem  Ausdruck  —  sub  eo  quod  vulgo  wikbelethe  voca- 
tur  —  darauf  hin  7).  Genauer  drückt  sich  ein  später  Bremisches  Ge- 
setz über  die  Bürgeraufnahme  vom  Jahre  1296  aus  8) :  quicunque  acquirere 


1)  Gengier,  Stadtrechte  S.  44,  §   20. 

2)  Gengier,   Stadtrechte  S.   253,  §  4 

3)  Ebenda,  S    81,  §  17 

4)  Ebenda  S.    121,  §   1. 

5)  Vgl.  auch  Urkundenbuch  von  Mühlhausen  S.   631. 

6)  Urkundenbuch  von  Braunschweig  Bd.  I,  n.  2,  §  42.  S.  6. 

7)  Vgl.   oben  S.   826.     Bremisches  Urkundenbuch  Bd.  I,  n.  65,  S.   71. 

8)  Bremisches  Urkundenbuch   Bd.  I,  n.  514,   S.  549.     Oelrichs  Gesetzbücher  p.  VIII. 
Vgl.  Urkundenbuch  von  Hildesheim  n.   605,  S.   384. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  827 

voluerit  jus  civium  in  civitate  nostra,  quod  burschap  vulgariter  apella- 
tur,  illum  consules  recipere  debent.  Quo  facto  interrogabunt  eum,  in 
quo  parrochia  fecerit  maüsionem.  Qua  cognita  destiuabunt  litei  as  suas 
ad  sacerdotem  dlius  parrochie,  ut  ipse  suis  parrochianis  publice  de 
ambone  tribus  diebus  dominicis,  quod  talis  ex  nomine  in  civem 
Breniensem  noviter  sit  receptus,  et  si  aliquis  eum  velit  impetere  super 
jure  servitutis  quod  hoc  faciat  infra  annum  et  diem.  Quod  si  dominus 
ejus  neglexit,  exhunc,  elapsis  anno  et  die  a  tempore  receptionis  talis 
civis,  dominus  ejus  ipsum  impetere  non  valebit  et  talis  pro  libero 
habebitur  sicut  decet.  Aehnliche  Bestimmungen  finden  sich  im  Ham- 
burger Stadtrecht  von  1270 '):  Wert  en  mau  Borger  in  desser  stad  und 
is  he  hyr  bjnnen  wonaftich  jar  unde  dach,  unde  queme  iumment,  de 
eme  schult  gewen  wolde,  dat  he  syn  egen  were,  unde  spreke  ene  an 
mit  tuge  mit  syneme  busmen  ;  unde  machde,  den  me  ansprekt,  tugen 
mit  twen  ratmannen,  dat  he  hyr  bynnen  iar  unde  dach  heuet  borgner 
wesen  unde  wonaftich  sunder  bysproke,  he  ne  schal  van  syner  an- 
sprake  nene  not  liden.  In  Nordhäuser  Recht  von  1290  findet  sich 
ein  Satz,  der  auf  ein  in  den  Reichsstädten  giltiges  Recht  hinweist 2) : 
Item  volumus,  ut  quicunque  se  in  civitatem  Northusensem  pro  cive 
receperit  et  ibidem  cum  nostris  civibus  per  annum  et  sex  ebdomadas 
sine  iusta  impeticione  permanserit ,  quod  ipsum  de  cetero  repetere 
null us  possit,  cum  hoc  eciam  aliis  nostris  et  imperii  civitatibus  sit 
indultum.  In  Dortmund  gilt  folgendes  Statut3):  Et  quod  etiam  vos 
personam  quamcunque  nomine  civis  sub  forma  et  cousuetudine  civitatis 
vestre  predicte  receptam  vobisque  sine  qualibet  impeticione  receptam, 
vobisque  sine  qualibet  impeticione  per  annum  integrum  et  diem  secun- 
dum  vestram  antiquitatam  consuetudinem  continue  commorantem  inantea 
tamquam  alium  et  verum  civitatis  civem  tueri,  tenere,  nostra  sutfulti 
gratia,  sive  defensare  libere  valeatis.  Sehr  deutlich  ist  das  Recht 
von  Be'ecke1):  Quicunque  ipsum  oppidum  nostrum  ingressus  fuerit  ad 
morandum  in  eo  et  oppidanus  ibidem  effectus,  eo  ipso,  sit  Status 
condicionis  aut  sexus  cunctarumque ,  sit  liber  et  nulli  homini .  . . 
astrictus.  Aehnliche  Bestimmungen  finden  sich  in  Schüttorf 5)  —  si 
in  dicto  oppido  suscepti  fueriut  pro  oppidanis  — ,  in  Brakel  —  were 
ouch  dat  sie  ...  .  nu  vortmer  van  dieseme  dage  iemanne  to  borgere 
untfengen  — ,  in  Rüden  6)  —  und  aldar  he  tho  eynen  borgere  ent- 
fangen wert  u.  a.  In  Süddeutschland  finden  sich  derartige  Bestim- 
mungen in  München  7)  —  swer  och  in  der  stat  burchrecht  enphaehet 


1)  Lappenberg,  Hamburgische  Rechtsaltertümer  Bd.  I,  S.  45,  VII,  §  7.  Vgl.  dazu 
den  Satz  des  Stadtrechts  von  1497:  mach  de  bewisen  dat  he  baven  teyn  iare  sunder- 
ansprake  hyr  vorkeret  heft ,  de  schal  syner  roweliken  besittinge  geneten  unde  vurder 
ansprake  anieh  bliven. 

2)  Gengier,  Stadtrecht  S.  319,  §  8. 

3)  Urkundenbuch  von  Dortmund  n.  489,  S.  340.  Lacomblet,  ürkundenbuch  III, 
484.     Frensdorff,  Statuten  S.    198,   §    12. 

4)  Seibertz,   Urkundenbuch    S.  466. 

5)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer  S.   424.     Knieke,  a.  a.   0.,  S.   159. 

6)  Genfer,  Stadtrechtsaltertümer  S.   420. 

7)  Gengier,  Stadtrechte  S.  293,  §  14. 


828  Willi  Varges, 

und  burch recht  tut,  da  sol  niemen  uf  jenen  furbaz  —  in  Inns- 
bruck1) —  si  homo  alicujus,  liber  vel  servus  eandem  civitatem  intra- 

verit  et  in  eadera   ius   civile   adquisierit ,   in  Aarau  2)  swer  ir 

burger  ist  ald  wirt  und  in  der  stat  veriarit  und  vertaget  an  sinns 
herren  anspräche  — ,  in  Lindau3)  —  quicunque  extraneus  servilis  con- 
ditionis  recipitur  in  concivem  — ,  in  Dissenhoten  —  item,  quemcunque 
in  burgensem  recipiunt  ....,  —  in  Gmünd  in  Kärnthen  4)  —  ist  das 
eyn  ausserman  burger  wierdt  in  der  Stadt ...  — ,  und  Annweiler  5)  —  ut 
si  quis  coüsortium  civilitatis  adeptus  fuerit.  Auch  in  Freiburg  i.  B. 
galt,  wie  die  Urkunde  von  1293  zeigt,  das  Gesetz  6). 

Sehr  deutlich  sind  die  Rechte  von  Murten 7)  und  Ingolstadt 8). 
Im  ersteren  heißt  es :  Si  vero  aliquis  pro  libero  se  gesserit  et  voluerit 
burgensis  fieri  nee  aliquis  contradixerit,  tenentur  ipsum  civis  reeipere 
in  burgensem.  Im  Ingolstädter  Recht  finden  sich  noch  genauere  An- 
gaben :  Swer  ze  Iugolstat  sitzet  mit  geruowe  und  an  ansprach  iar  und 
tach,  und  purger  recht  tuot  mit  stiwer  und  mit  waht 
und  mit  andern  dingen,  den  soll  furbash  niemant  ansprechen. 
Im  Recht  von  Regensburg  von  1230  wird  ebenfalls  verlangt,  daß  der 
homo,  qui  cencualis  dicitur,  die  Stadtpflichten  erfüllt:  jura  civitatis 
conservando  in  dandis  collectis   et  aliis,    quae  a  civibus  statuuntur 9). 

In  einzelnen  Städten  dagegen  hat  sich  aus  der  Verjährungsfrist 
von  Jahr  und  Tag  der  Rechtssatz  entwickelt,  daß  ein  Höriger  seinen 
Sitz  schon  Jahr  und  Tag  innerhalb  der  Stadtmauern  gehabt  haben 
muß,  ehe  er  das  Bürgerrecht  erwerben  kann.  So  bestimmt  das  Recht 
von  Lippstadt10):  Septimum,  quicunque  infra  civitatem  sine  contra- 
dictioue  vel  objettione  anno  et  die  moratus  fuerit,  in  civem  reeipi 
potest.  Et  si  postea  quis  eum  arguendo  pulsaverit,  de  objeetis,  se 
potest  expurgare  salvo  jure.  Aehnlich  ist  eine  Bestimmung  des  Stadt- 
rechtes von  Höxter11):  si  anno  et  die  videlicet  VI.  septimanio  ab 
impeticione  et  ineusacione  residentiam  fecerit,  illum  pro  cive  debito 
habere  volumus. 

Einzelne  Stadtrechte  bestimmen,  daß  ein  Höriger  nur  mit  Erlaub- 
nis seines  Herrn  in  die  Bürgerschaft  aufgenommen  werden  darf.  So 
sagt  das  Münster'sche  Recht:  Cives  non  recipiunt  aliquem  in  con- 
civem suum,  qui  habet  dominum  contradicentem 12).  Das  Herforder 
Recht  hat  ähnliche  Bestimmungen13).  Das  älteste,  sehr  interessante 
Stadtrecht   von    Mühlhausen  in   Thüringen   setzt    fest:    Wil   aver    he 


1)  Gengler,  Stadtrechtsaltertümer  S.  421. 

2)  Ebenda  S.  423. 

3)  Gengler,  Stadtrechte  S.   253,  §  4. 

4)  Gengler,  Stadtrechtsaltertümer  S.  425. 

5)  Ebenda  S.  421.     Vgl.  Recht  von  Wiener-Neustadt  ebenda  S.  423. 

6)  Ebenda  S.  424.     Urkundenbuch  von  Freiburg  I,   128,  §   29:    wer  aber  ane  nah- 
geschreie  und  gerüwerlich  iar  und  tag  ze  friburg  burger  gesizzet,   der  ist  denne  vri. 

7)  Gengler,  Studtrechtsaltertümer  S.  422. 

8)  Ebenda  S.  424. 

9)  Ebenda  S.  375,  §   21. 

10)  Gengler,  Stadtrechte  S.   256. 

11)  Ebenda,   S.   202. 

12)  Gengler,  Stadtrechte  S.  304. 

13)  Wigand,  Archiv  II.   753. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  329 

bürgere  werde,  so  sal  man  zu  burgeri  nemi  unde  sal  un  vrege,  ob  he 
iminin  biste,  daz  he  sin  eigen  edir  sin  voytman  si.  Sprichit  he  dan 
neyn  unde  besitzet  also  hinue  iar  unde  tac  uugevordiritis  dinges  vor 
den  liuten,  di  inwendic  landis  sin,  so  sal  man  uu  balde  vier  einin 
vrien  bürgere.  Sprichit  he  abir  ia,  he  si  eygen  edir  vogtruan,  so  enscal 
man  sin  nicht  zu  bürgere  intpha,  sin  herre  inirloybiz  umi  dan,  an  de 
he  geyt,  daz  he  in  biste1).  Für  Phullendorf  wird  1220  von  Friedrich  II. 
festgesetzt:  Inhibemus  omnino,  ne  servus  alicuius,  sive  censualis  vel 
cujuscunque  sit  conditionis,  ministerialium  tantummodo  nostrorum,  in 
civitatem  ipsam  in  jus  recipiatur,  nisi  de  clomiui  sui  fuerit  voluntate2). 
Andere  Rechte  verlangen,  daß  der  Hörige,  der  sich  in  der  Stadt 
niedergelassen  hat,  sich  mit  seinem  Herru  friedlich  auseinandersetzt. 
Geschieht  das  nicht,  so  muß  der  Hörige  die  Stadt  verlasseu :  So  sagt 
das  alte  Soester  Recht  von  1350 3):  Kumet  herin  eyn  eygen  man  efte 
eygen  wyf,  kumet  sin  herschop  na  unde  overgeyt  sey  des  also  eyn 
recht  is,  dey  sulen  mit  der  herschop  vorevenen,  also  dat  sey  ir  de 
wonung  hyr  gunuen;  dugt  sey  des  nicht,  also  ses  weken  umbe  komen 
sin,  so  ne  sulen  sey  hyr  nicht  langer  wonen.  In  Breckerfeld  wird  als 
Termin  Jar  und  Tag  festgesetzt4).  In  Ulm  wird  1296  bestimmt5): 
Villici,  Ministri,  molendinatores,  venientes  ad  civitatem  et  Civilia  recipien- 
tes,  debentcomputarecum  dominissuis,  aquibusrecesserunt,  computatione 
vero  non  facta  super  bonis  dominorum  suorum  salva  persona  sua  et 
universis  rebus  suis  sub  securo  conducto  exitus  civititis  et  regressus 
fideiussoria  cautione  securissima  sibi  adhibita  et  propria  ac  sola  manu 
illam  computationem,  reposita  et  soluta  debita  pecunia,  debent  obti- 
nere.  Noch  andere  Rechte  setzen  eine  gewisse  Prüfungszeit  für  den 
aufzunehmenden  fest.  In  Kleve  beträgt  diese  Prüfungszeit  acht  Tage  6): 
Decrevimus  etiam,  ut  nullum  nisi  ad  octo  dies  examinatum  recipiant 
in  concivium.  Man  wollte  in  dieser  Zeit  den  Einwanderer  in  Bezug 
auf  seinen  Stand  prüfen.  Später  dehnte  sich  die  Prüfung  auch  auf 
das  Vorleben  des  Einwanderers  aus.  Die  Einwanderer  müssen,  wie 
es  in  einem  Statut  von  Coesfeld  7)  heißt,  den  Beweis  ihrer  frommicheit 
und  vreyheit  beibringen.  Interessant  ist  eine  spätere  Soester  Verord- 
nung von  1630,  nach  welcher  der  Einwandernde  unter  anderem  auch 
nachweisen  muß,  daß  er  nicht  wegen  Zauberei  seinen  früheren  Wohn- 
sitz verlassen  habe  8). 

Nach  Einbürgerung   des   Urkundenbeweises9)   verlangen    einzelne 

1)  Urkundenbuch  von  Mühlhausen  S.  631.     Vgl.  auch  den  Anfang   des  betr.  Kapitels. 

2)  Gengier,  Stadtrechte  S.   355,  §  3. 

3)  Seibertz,  Urkundenbuch   719  §   150,  151. 

4)  Knieke  a.  a.   O.   S.   106. 

5)  Gengier,  Stadtrechte    S.   503.    §    15.     Vgl.  §   12.     v.  Below,    Ursprung  S.   100  A. 

6)  Lacomblet,  Urkundenbuch  II  265.  Im  Mühlhauser  Recht.  —  Urkundenbuch  von 
Mühlhausen  S.  631  heifst  es:  swilich  man  verit  here  zu  Miolhusin  in  dis  richis  stat  unde 
sich  hi  niderleizit,  alzo  daz  he  sich  hie  denkit  zu  bigene  unde  bürgere  zu  werdini,  die 
mac  sich  hi  woli  versuchi  ein  nuwe  unde  ein  wedil,  daz  sin  vir  wochin.  Hiernach  hat  der 
Einwanderer  das  Recht,  sich  in  der  Stadt    erst  4  Wochen  umzusehen,  ob  er  bleiben  will, 

7)  Niesert,  Münster'sche  Urkundensammlung  III    156. 

8)  Knieke,  a.  a.  O. ,  S.  142.  Vgl.  die  ähnliche  Verordnung  von  Borgholz  von 
1651      Westfäl.  Ztschr.  45,  92. 

9)  Schroeder,  Rechtsgeschichte  S.  655  ff. 


830  Willi  Varges, 

Städte  wie  Koesfeld  x),  Boosfeld 2),  von  dem  einwandernden  Hörigen 
ein  urkundliches  Zeugnis,  daß  der  Hörige  aus  seinem  früheren  Ver- 
hältnis entlassen  sei.  Man  nannte  eine  solche  Urkunde  einen  alscheyds 
breyf3).  —  In  Magdeburg4)  verlangt  man,  seit  dem  Jahrhundert 
von  dem  Einwanderer,  der  aus  einer  anderen  Stadt  stammt,  und  ins 
Bürgerrecht  und  in  eine  Innung  aufgenommen  werden  will ,  einen 
Echtebrief,  d.  h.  einen  Nachweis  seiner  echten  Geburt.  Die  Briefe 
sind  vom  Rate  der  Heimatsstadt  des  Einwanderers  ausgestellt.  So  heißt 
es  in  einem  vom  Rate  der  Stadt  Braunschweig  ausgestellten  Echtebrief 
von  1383  6) :  We  de  rad  der  stad  to  Brunswik  bekennen  openbare  in 
dessen  breve  voralle  den,  de  one  seen  eder  hören  lesen,  nemeliken  vor  den 
erliken  wysen  luden  den  schepen  unde  dem  rade  to  Meideborch  unde 
vor  den  mesteren  unde  den  ghildebroderen  gemeynliken  van  dem 
ammechte  der  taschenmekere  unde  der  ghordelere  dasulves,  dat  Heine 
van  Wenden,  eyn  beweyser  dusses  breves  van  erliken,  bedderven  luden, 
Henninghe  van  Wenden  sinem  vadere  unde  Ermgherde  dessulven 
Henninghes  rechten  husvruwen  siner  moder,  de  use  borgher  unde  bor- 
ghersche  wesen,  vry,  recht  und  echt  geboren  is.  —  In  einem  späteren 
Briefe  findet  sich  der  Zusatz:  unde  dat  he  nicht  en  sy  linewevers 
noch  schapers  offte  molners  sone 6 ).  Später  wird  diesen  Briefen  auch 
ein  Leumundszeugnis  beigefügt7):  Ok  hefft  dusse  sulve  Hinrik  syne 
handelinge  myt  uns  also  geholden,  dat  we  van  eynem  bederven  knechte 
to  rechte  weten  mack.  In  einem  von  Zerbst  ausgestellten  Briefe 
findet  sich  ein  anderer  Wortlaut8):  Wy  radmanne  tu  Cerwest  be- 
kennen in  diezem  unseu  open  briffe  vor  alle  den,  dy  on  sien,  hören 
adir  lesen,  dat  Claus  Lepto,  disze  geinwerdige  brieffwiser,  unde 
medeborger,  eyn  rechte  eekind  is  unde  eliken  geborn  von  vader  unde 
von  müder,  unde  he  sin  geruchte  bewaret  het  abze  eyn  unvorsproken 
bedderve  man  unde  gulde  unde  enninghe  mit  uns  beseten  hat. 

Der  Herr9),  naturalis  dominus10),  muß  die  Anrechte  an  seinem 
Hörigen  auf  gerichtlichem  Wege  und  zwar  vor  dem  Stadtgericht11) 
nach  Stadtrechte12)  geltend  machen.  Er  muß  dem  Unfreien,  der  sich  in 
der  Stadt  niedergelassen  hat,  nachfolgen,  nachjagen,  ihn  reklamieren, 
vindicieren  J  3).  Es  handelt  sich  um  Vindikationsklagen,  anevang  14).  Mit 

1)  Wigand,  Archiv  III,  7. 

2)  Niesert,   Müiistersehe  Urkundensammlung  III,   156. 

3)  Knieae,  a.  a.  O.,  S.  41. 

4)  Urkundenbuch  von  Magdeburg  S.  548  (unter  Echtbrief). 

5)  Ebenda  S.  373,  n.  574. 

6)  Ebenda  S    641,  n,   773. 

7)  Ebenda  S.  461,   n.   773. 

8)  Ebenda  S.  459,  n.   767. 

9)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer  S.  409.  Knieke,  a.  a.  O.,  S.  111.  v.  Maurer, 
Fronhöfe  III,  8.   1   ff. 

10)  Privileg  von  Speier,   Gengier,  Stadtrechte  S.  449. 

11)  Stadtrecht  von  Herford.  Westfäl  Urkundenbuch,  IV,  1642.  Urkundenbuch  von 
Mühlhausen,  S.  631.     Gengler,  Stadtrechte,    S.   10 1,  §  2      (Recht  von  Eisenach.) 

12)  Urkundenbuch  von  Goslar  I,  n.   401,  §   3,  S.  402. 

13)  v  Maurer,  Fronhöfe,  III,  S.  127.  Eichhorn,  Rechtsgeschichte,  §  339.  Kampta, 
Provinzial-  und  Statutenrechte,  III,  27.  von  Below ,  Landständ.  Verfassung  etc.,  I,  62. 
Stadtgemeinde,  S    24. 

14)  Recht  von  Soest.  Seibertz,  Urkundenbuch,  719,  §  151. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  831 

Hilfe  von  Eideshelfern  muß  der  Herr  den  Beweis  führen,  daß  der  be- 
treffende Hörige  sein  Eigenmann  sei.  Letzterem  steht  dagegen  der  Gegen- 
beweis zu,  daß  er  von  Geburt  nicht  hörig  sei  *),  oder  daß  sein  Abzug  unter 
Erfüllung  der  gesetzlichen  Verpflichtungen  vor  sich  gegangen  sei,  oder 
daß  die  Frist  von  Jahr  und  Tag  verstrichen  sei.  Der  Sachsenspiegel 
behandelt  diese  Rechtsverhältnisse  ganz  allgemein2).  Swelik  inkomen 
man  sik  vri  seget,  den  sal  men  vor  vi i  holden,  man  ne  möge  ine  mit 
getüge  verlecgen.  Swe  sik  vri  seget  unde  ander  seget  dat  ne  sin  egen 
si,  so  dat  he  sik  ime  gegeuen  hebbe,  des  mut  jene  wol  unscüldich 
werden,  it  ne  si  Vorgerichte  geschehin.  Spriet  he  aver,  dat  he  sin 
ingeboren  egen  si,  he  mut  ine  behalden  oppen  hillgen  mit  twen  sinen 
egenen  mannen.  Spriet  ine  en  anderer  herre  an,  jegen  den  mut  he 
ine  behalden  selve  sevende  siner  mage  oder  warhafter  lüde.  Mach 
aver  jene  selve  sevede  sin  vri  behalden  die  sine  mage  sin,  dre  von 
vader  unde  dre  von  müder,  he  behald  sin  vri  unde  verleget  ir  aller  tüch. 

Das  älteste  Verfahren  in  den  Städten  ist,  daß  der  Herr  das  Zeugnis 
der  Hufgenossen,  der  familia,  consanguinei,  benutzt,  um  den  entlaufenen 
Hörigen  zu  überführen,  ihn  zu  bebosmeu3).  Die  Zahl  der  Eideshelfer 
ist  verschieden.  Es  treten  deren  meist  sechs,  zuweilen  auch  vier  oder 
zwei  auf.  So  bestimmt  das  Freiburger  Recht4):  Si  autem  serwus  domi- 
num negaverit,  dominus  probabit  cum  Septem  proximioribus  coynatis, 
esse  servum  suum,  coram  domino  duce  et  habeat  eum.  Das  Privileg 
von  Bern  vom  Jahre  1218  5)  bestimmt:  Si  autem  fuerit  servus  alicujus 
et  dominum  negaverit,  tenetur  eum  dominus  iufra  annum  et  Septem 
propmquis  consanguineis  eius  convincere  servum  suum  esse.  In  einem 
späteren  Berner  Statut  werden  vier  Eideshelfer  erwähnt6).  In  Münsterer 
Statut  von  1370  werden  zwei  Eideshelfer  genannt:  —  de  ish  siner 
fryheit  neiger  tho  verstaene  und  tho  beholdene  mit  twen  bederven 
mannen,  dan  em  syne  fryheit  jennich  manen  afdedingen  möge7).  In 
Bochum  treten  ebenfalls  zwei  Eideshelfer  auf8). 

Naturgemäß  suchen  die  Städte  den  Hörigen,  der  sich  in  ihren 
Mauern  niedergelassen  hat,  zu  schützen;  das  Münsterer  Recht  sagt: 
Si  quid  postea  ei,  d.  i.  dem  eingewanderten  Hörigen,  quid  gravaminis 
subrepserit,  in  hoc  ei  tenetur  assistere  consilio  et  auxilio  9).  So  machen 
sich  bald  im  Prozeß„'ange  Vorteile  für  den  angeklagten  Bürger  geltend. 
In  einer  Anzahl  Städten  wird  das  geboisme,  gebusme,  d.  h.  der  Be- 
weis vermittelst  Höriger,  die  zu  derselben  Hofgenossenschaft  gehörigen, 
verboten10).  So  sagen  die  Dortmunder  Statuten:  Ok  so  is  hir  ene  vrye 
staed,   hiir  en   mach  nymant  den  andere  bebosmen11).     Der  Herr  ist 

1)  Urkundenbuch  von  Lübeck,   I,  n.   7,  S.   11. 

2)  Sachsenspiegel,  Landrecht  (ad  Homeyer),  III,  art.   32,  §   1  ff.,  S.   204. 

3)  Vgl.  A.    11. 

4)  Gengier,  Stadtrechte,  S.   126,  §   13. 

5)  Gen^ler,  Stadtrechtsaltertümer,  S.   415. 

6)  Ebenda,   S.  410. 

7)  Niesert,   Beiträge  zu  einem   Münsterschen   Urkundenbuche,   1823,  III,  S.   126. 

8)  Darpe,  Bochumer  Urkundenbuch,  2,   1889,  S.   7. 

9)  Gengier,  Stadtrechte,  S.   305,  §  6 

10)  Sachsenspiegel,  a.  a.  O.,  §.   3. 

11)  geboisme,  geboseme,  gebuseme  bedeutet  leibliche  Verwandtschaft,  Zugehörigkeit  zu 


832  Willi  Varges, 

auf  seinen  eigenen,  alleinigen  Eid  angewiesen.  Es  steht  der  Eid  des 
Herrn  dem  Eid  des  angesprochenen  Hörigen  gegenüber.  Sehr  früh 
macht  sich  nun  die  Anschauung  geltend,  daß  im  Stadtgericht  der  Eid 
des  angesprochenen  Bürgers  höher  steht,  als  der  Eid  des  Klägers  1). 
Der  Bürger  kann  daher  durch  seinen  eigenen  Eid,  der  gewissermaßen 
als  Unschulds-  oder  Reinigungseid  aufzufassen  ist,  seine  Freiheit  be- 
weisen. Er  kann  das  Zeugnis  des  Gegners  „verlegen",  „verlecgen"  2), 
denn  nach  dem  Stadtrecht  von  Lübeck  vom  Jahre  1188  3)  ist  der  civis 
de  sua  libertate  pulsatus  vicinior  ad  obtinendam  suam  libertatem,  sola 
manu  quam  extraneus  ad  eum  convincendum 4).  Das  Sradtrecht  von 
Hamm  von  1193 5)  hat  eine  ähnliche  Bestimmung:  contradicendo  se 
sola  manu  a  proprietate  expurget  et  nequaquam  per  consanguineos 
sustinetur  convinci.  Nach  dem  Privileg  von  Bodenwerder  genügt  eben- 
falls der  Eid  des  Angeklagten  zur  Reinigung,  —  liber  erit  prestito 
juramento  6). 

In  einzelnen  Städten  ist  zwar  die  Beweisführung  des  Herrn  durch 
Leibeigene,  verboten;  der  Angeklagte  kann  sich  aber  nicht  durch  den 
eigenen  Eid  von  der  Ansprache  befreien,  sondern  er  bedarf  der  Eides- 
helfer. So  bestimmt  das  Frankfurter  Recht  von  1297 7)  Preterea 
duximus,  quod  si  aliquis  aput  nos  efficitur  noster  concivis,  et  aliquis 
impingit  ei  dominus,  quod  ipse  sit  eidem  ligatus  et  astrictus,  et  coget 
eum  violenter,  quod  se  obliget  ei  par  carceres  vel  per  alia  quecunque 
tormenta,  ita  quod  fidei  iussores  statuat,  ne  recedat  ab  eo:  si  ille 
horao  potest  probare  et  docere  per  tales  personas,  que  vulgariter  dicitur 
gebuseme,  sicut  est  consuetudinis  civitatis  nostre,  nos  illum  civem 
juvare  tenemur  propulsare  injuriam  sibi  irrogatam  vel  factam  pro  posse 
nostro.  Am  bezeichnendsten  ist  die  Stelle  des  Sächsischen  Weich- 
bildsrechtes, die  große  Aehnlichkeit  mit  der  oben  angeführten  Stelle 
des  Sachsenspiegels  hat8).  Welk  man  binnen  wikbelde  gesezzen  hat 
ane  ansprake  iar  und  tac,  der  mac  siner  vri  bas  behalden  silbe  sibende 
siner  nehesten  mage,  wer  di  sin,  dri  von  vater  unde  dri  von  muter, 
dan  in  ieman  zu  eigene  behalden  muse.  In  Mühlhausen  in  Thüringen 
müssen  die  Zeugen  des  Angesprochenen  die  nächsten  mütterlichen  Ver- 
wandten sein.  Di  gezuge  sulin  abir  dis  mannis  nesti  nagilmage  si 
von  der  muter  unde   nicht   von   demi   vatir 9).  —  Zuweilen   treten  als 

einer  Hofgenossenschaft.  Es  gehört  zu  busem  Verwandtschaft,  Sippe,  Sippschaft;  Zuge- 
hörigkeit zu  einer  Familie,  Hofgenossenschaft,  bebosmen  heifst  die  Verwandtschaft  nach- 
weisen ;  beweisen,  dafs  jemand  zu  einer  Familie,  Hofgenossenschaft,  gehört.  Vgl.  Lübben, 
Mittelniederdeutsches  Handwörterbuch,  S.  29,  S.  71,  S.  111.  Vgl.  Gengier,  Stadtrechte, 
S.  117,  §  29.     Lappenberg,   Hamburgische  Rechtsaltertümer,  S.  45,  c.   17. 

1)  Frensdorff,  Statuten,  S.  120,  n.  48,  n.   161.     Knieke,  a.  a.  O.,   S.   94. 

2)  Sachsenspiegel,  a.   a.  O.,   S.   204  §  5. 

3)  Urkundenbuch  von  Lübeck,  I,  n.  7,  S.  11.  Vgl.  auch  Richtstieg,  Landrecht, 
XXIV,   2,  S.    175  H.     Gengier,   Stadtrechtsaltertümer. 

4)  Vgl.  den  Satz  desselben  Privilegs:  Item  si  aliquis  de  ipsa  civitate  alicubi  pul- 
satus fnerit  de  sua  libertate,  ubicunque  pulsetur,  ibi  sola  manu  libertatem  suam  obtineat. 

5)  Gengier,  Stadtrechte,  S.   184,  §  8. 

6)  Ebenda,  S.   29,  §   19. 

7)  Gengier,  Stadtrechte,  S.   117,  §   29. 

8)  Laband,  Magdeburger   Rechtsquellen. 

9)  Urkundenbuch  von  Mühlhausen,   VI,  S.  632. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  833 

Eideshelfer  die  Ratsherren  auf,  so  in  Hamburg.  Im  Recht  von  1270 
heißt  es1):  Mach  de,  den  nie  auspickt  tagen  mit  twen  ratmannen, 
dat  he  hyr  bynnen  iar  unde  dach  hevet  borgher  wesen  unde  wonaftich 
sunder  bysprake,  he  ne  schal  von  siner  anspräche  neue  not  liden. 

Um  unberechtigte  Anforderungen  zu  verhindern  oder  doch  zu  er- 
schweren, bediente  man  sich  verschiedener  Mittel.  Man  verlangte  viel- 
fach vor  Eröffnung  des  Gerichtsverfahrens  von  dem  Klager  eine  Kaution, 
welche  verfiel,  wenn  die  Ansprache  sich  als  unrechtmäßig  erwies. 
So  bestimmt  das  Goslarer  Stadtrecbt  von  1219  2):  Quicunque  super  alium 
testimonium  voluerit  proferre,  dabit  quinque  solidos  advocato  civitatis 
pro  rehquiis  et  pro  causidico,  ut  in  eum,  super  quem  probare  vult, 
seeundum  jus  civile  valeat  profiteri.  Das  Münsterer  Recht  von  1221 
sagt  ahnlich  3):  Si  quis  extraneus  voluerit  civem  in  servitutem  redigere, 
primo  certificabit  judicem  de  marea,  quam  dabit,  si  defecerit  in  pro- 
batione.  Das  Herforder  Recht  sagt4):  Si  quis  aliquem  prenominate 
civitatis  civem  repetendum  duxerit  tanquam  proprium  suum ,  coram 
nullo  jus  suum  poterit  prosequi  et  consequi,  nisi  coram  advocato  a  nobis 
constituto  et  sub  banno,  quis  vulgariter  bannus  regis  appcllatur,  sed 
ante  litis  ingressum  actor  prestabit  cautionem  sufficientem ,  quod  si 
deficiat  in  causa,  non  Valens  suam  probare  intentionem,  advocato  solvet 
sexaginta  solidos,  scabinis  decem ,  civi  quem  impetiit  viginti;  et  tunc 
demum  poterit  bominem  couvenire.  Es  kommt  ferner  vor,  daß  man 
den  Kläger,  der  eine  unrechtmäßige  Anfrage  stellte,  mit  einer  Strafe 
belegte.  Das  alte  Soester  Recht  setzt  diese  Strafe  folgendermaßen 
fest5):  dey  sal  deme  lichtere  wedden  vyf  mark  ande  deme  menschen 
dar  up  geklaget  is  eyne  mark,  na  deme  rechte  als  eyn  unrecht  anevank 
is  gescheyn.  Das  Recht  von  Hannover6),  das  um  1300  entstanden  ist, 
geht  in  den  Stratsätzen  sehr  weit:  Sed  si  quis  post  hec  aliquis  sive 
sit  dominus  terre  sive  miles  ipsum  requisierit  et  inpetierit  et  ei  fiet, 
quod  in  vulgo  dicitur  borst,  dabit  domino  nostro  duci  pro  injusta 
requisicione  in  civitate  facta  decein  marcas  auri,  burgensi  libero  et  ad- 
vocato LX.  solidos  et  illi,  cui  honorem  lesit  XII.  solidos,  duodeeim  con- 
sulibus  civitatis XII.  talenta,  duobus  magistris  civium  IV.  talenta,  cuilibet 
burgensi  V.  solidos.     Istud  est  jus  antiquum  civitatis  Hanovere. 

In  einzelnen  Städten ,  wie  in  Mühlhausen  in  Thüringen ,  sichert 
man  den  ohne  Erfolg  angesprochenen  Hörigen  gegen  weitere  An- 
sprache: Wil  he  dan  antwerte  demi  herrin,  des  heit  he  kure.  Inwil 
he  iz  abir  nicht  tu,  so  sal  man  un  laze  inweevare  umbikumirtes  dinges, 
alse  he  is  herikumin.  kumit  he  avir  wur  din  richtere  unde  wil  des 
antwerte,   des  min  uffi  un  sprichit,  so  sal  man  ume  eine  rechte  weri 

1)  Lappenberg,  Rechtsaltertümer,  S.  45,  c.   17. 

2)  Urkundenbuch  von  Goslar,  I,  S.   409,   n.   401,  §   3. 

3)  Genfer,  Stadtrechte,  S.  306,  §  34.  Vgl.  Statut  von  1370.  Welk  man  de  enen 
unser  borger,  de  iar  und  dach  in  unser  borgeschop  gesedden  hadde,  anspreke  vor  einen 
egen  man,  de  sali  verwedden  eine  mark  geldes,  ehr  he  de  ansprake  dol.  Niesert,  a.a.  O., 
III,  S.   126. 

4)  Westf.  Urkundenbuch,  IV,   1642 

5)  Seibertz,   Urkundenbuch,   S.   719,  §    151. 

6)  Doebner,  Städtprivilegien   Ottos  des  Kindes,  S.  33.     borst  =  Bruch,  Mangel. 
Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXIII).  53 


834  Willi  Varges, 

tun  mit  enin  man,  di  alse  guit  habi  unde  alse  richi  si x),  alse  di  man 
uifi  di  min  spricht.  Inkeit  dan  di  man  demi  herrin,  so  muz  di  man 
immirme  des  mannes  weri  si,  swes  min  uf  un  zu  sprechine  heit  ummi 
di  sache,  da  he  ummi  bitedinget  is,  von  des  herrin  wegin,  di  sprichit, 
daz  he  umi  zuhori. 

Hat  der  Grundherr  das  Anrecht,  das  er  an  den  Hörigen  hat,  zur 
rechten  Zeit  geltend  gemacht  und  ein  obsiegendes  Urteil  erlangt,  so 
wird  der  Hörige,  auch  wenn  er  bereits  das  Bürgerrecht  gewonnen  hat, 
nach  den  meisten  Stadtrechten  demselben  ausgeliefert.  Ich  führe  das 
ausführliche  Münstersche  Recht  an2):  Cives  non  recipiunt  aliquem  in 
concivium  suum,  qui  habet  dominum  contradicentem.  Si  recipitur, 
vadiabit  quatuor  solidos,  et  unum  denarium  dabit  in  continente.  Vadium 
in  hunc  modum  relaxatur,  si  dederit  eodem  die  duos  solidos  ante  occa- 
sum  solis.  Si  non  dederit,  dabit  quatuor  solidos  plenarie.  Si  aliquo 
fuerat  obligatus  gravamine,  antequam  reciperetur,  de  hoc  non  tenetur 
eum  eximere  civitas.  Sed  si  postea  ei  gravainiuis  subrepserit,  in  hoc 
ei  tenetur  assistere  consilio  et  auxitio.  Si  vero  infra  annum  et  sex 
septimanas  dominus  suus  superveniens  eum  de  Servitute  iuste  convi- 
cerit,  sine  restitutione  denariorum,  quos  dederat,  a  concivio  alienari 
debet.  Im  Recht  von  Breisach  heißt  es:  Domino  reddetur3).  Aehn- 
liche  Bestimmungen  finden  sich  in  Bern,  wo  es  heißt:  so  sullent  die 
von  Berne  den  man  vürbaz  nit  schirmen  weder  sin  lip  noch  sin  gutr 
unn  soll  auch  von  ir  bürgerrecht  sin4);  in  Soest,  Kolmar,  Innsbruck 
u.  a.  m.5).  Das  Privileg  für  Gerresheim  bestimmt  ausdrücklich,  daß 
man  den  Hörigen  mit  all  seinem  Gut  ausliefere 6).  Nach  dem  Recht  von 
Hameln  soll  der  Hörige  in  das  Gericht  ausgewiesen  werden,  in  dem 
er  geboren  ist7). 

Einzelne  Städte  versagten  zwar  dem  überführten  Hörigen  den 
Aufenthalt  in  der  Stadt,  aber  sie  lieferten  denselbelben  dem  Herrn 
nicht  aus.  Der  Hörige  konnte  ebenso  frei  die  Stadt  verlassen,  wie  er 
gekommen  war.  So  heißt  es  im  Eisenacher  Stadtrecht  von  1283  8): 
Secundus  modus  libertatis  est,  quicunque  praedictam  nostram  civitatem 
per  annum  unum  et  diem  inhabitaverit,  non  requisitus  ab  aliquo,  cujus 
cunque  conditionis  sit,  noster  über  civis  semper  habetur.  Si  autem 
infra  finitionem  illius  anni  ab  aliquo  impulsus  fuerit,  et  in  forma  judicii 
coram  nostro  praefecto  et  scabinis  victus  iuerit,  secundum,  quod  dictaverit 
ordo  juris,  tarnen  actori  nequaquam  est  praesentandus;  sed  omnes  portae 
civitatis  aperientur,  iu  pace  recedat,  quocunque  velit.  In  Mühlhauser 
Recht  findet  sich  der  interessante  Satz,  daß  der  hörige  Mann,  bevor 
der  Vindikationsprozeß   beginnt ,   die   Stadt   verlassen  kann.     Wil   he 

1)  Urkundenbuch  von  Mühlhausen,  S.   632. 

2)  Gengier,  Stadtrechte,  S.   304,  §   1—7. 

3)  Ebenda,   S.   14,  §   20. 

4)  Gengier,   Stadtreelitsaltertümer  S.  410. 

5)  v.   Maurer,  Siädteverfassung,  I,   S.   380,  A.    12 — 14. 

6)  Ztschr.  des  Bergischen  Geschicht.svereins,  6,  S.  83.  v.  Below,  Stadtverfassung, 
S.   103,  A.  5.     Vgl.  Urkundenbuch   von  Hameln,  n.   672,  S.  472. 

7)  Urkundenbuch  von   Hameln,  n.   672,  S.  476. 

8)  Gengier,  Stadtrechte,  S.  103,  §  2. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  335 

dan  antwerde  dem  herrn,  dat  heit  he  kure.  Inwil  he  daz  aver  nicht, 
so  sal  man  un  laze  in  wecvare  unbiknnrirtis  dinges  alse  he  is  heri- 
kumin  x).  Auch  in  Mülheim  gilt  dieselbe  Bestimmung.  In  Soest  muß 
der  überführte  Hörige  binnen  sechs  Wochen  die  Stadt  verlassen  2). 

Das  Bürgergeld,  das  der  Hörige  eventuell  bei  seiner  Aufnahme 
in  die  Bürgerschaft  gezahlt  hat,  fällt  der  Stadt  anheim,  wie  das  eben 
angeführte  Recht  in  Münster3),  sowie  das  Recht  von  Soest  zeigt4). 
In  Bremen  5)  mußte  jeder,  der  das  Bürgerrecht  erwarb ,  einen  Bürgen 
dafür  stellen,  daß  er  frei  sei.  Wurde  er  mit  Erfolg  angesprochen,  so 
verfiel  der  Bürge  in  eine  Strafe  von  drei  Mark.  So  we  ok  sine  bur- 
scap  wint  de  scal  sotten  enen  borghen,  de  en  borgher  si  to  eme  iare  dhat 
he  en  vri  man  si.  Wurde  he  ok  wunnen  mit  rechte  uther  stad  binnen 
iare  und  binnen  daghe,  sin  borghe  scal  gheven  dher  stad  rire  marc. 
Aehnliche  Bestimmungen  finden  sich  in  Lübeck  und  Hamburg  6).  Eiue 
Strafe  setzt  das  Braunschweiger  Stadtrecht7)  für  denjenigen  fest,  der 
bei  seiner  Aufnahme  als  Bürger  verschwiegen  hat,  daß  er  hörig  sei : 
We  na  desser  tyd  —  c.  1349  —  use  borghere  wert,  unde  sprikt  vor  deme 
rade,  wanne  he  de  burscap  wint,  he  si  vry,  noch  he  en  besta  nemande, 
wert  he  des  darna  bedraghen,  dat  he  iemendes  lat  eder  eghen  is,  de 
rad  wel  eme  volghen  mit  ener  vestinghe. 

Hörige,  die  freiwillig  zu  ihrem  Herren  zurückkehren  wollen,  dürfen 
in  der  Stadt  nicht  festgehalten  werden.  Die  Bestimmung  des  statu- 
tum  in  favorem  principum8):  Homines  proprii,  advocaticii,  feodales, 
qui  ad  dominos  suos  transire  voluerint,  ad  manendum  per  officiales 
nostros  non  artentur,  zeigt  aber,  daß  man  es  mit  dieser  Bestimmung 
nicht  so  genau  nahm. 

Bewirkt  der  Grundherr  nicht  die  Auslieferung  seines  Hörigen ,  so 
bleibt  derselbe  als  freier  Mann  in  der  Stadt  sitzen.  Der  Bürger  ist  that- 
sächlich  frei,  er  leistet  dem  Herrn  keine  Abgaben  9).  Einzelne  Stadt- 
rechte bestimmen,  daß  das  Recht  des  Herrn  nickt  verjährt,  wenn  er 
nicht  im  Lande  ist,  also  sein  Recht  nicht  wahrnehmen  kann.  Andere 
Stadtrechte  erklären  ausdrücklich,  wie  oben  angeführt  ist,  daß  der 
Herr  den  Aufenthalt  seines  Hörigen  kennen  muß  *  °). 


1)  Urkundenbuch  von  Mühlhausen,  S.   631. 

2)  Seibertz,  Urkundenbuch,  719,  §   151. 

3)  Gengler,  Stadtrechte,  S.   304,  §   7. 

4)  Seibertz,  Urkundenbuch,  719,  §  151,  an  de  sal  sin  geld  verloren  heben,  dat  hey 
umme  burschap  geven  hevet. 

5)  Oelrkhs,  Stadtrechte,   S.   55.      Frensdorff,  Gerichtsverfassung,  S.   193. 

6)  Frensdorff,  Stadt-  und  Gerichtsverfassung  Lübecks,  S.  193,  A.  18.  Mantels, 
Lübeckische  Bürgematrikeln,  S.  12.  In  Lübeck  wird  die  Bürgschaft  auf  5  Jahre  über- 
nommen.     Urkundenbuch    von   Lübeck,  II,  n.   31. 

7)  Urkundenbuch  von  Braunschweig,  Bd.  I,  n.   39,  §  30,   S.   46. 

8)  L.  L,  II,  S.   291,  §  23. 

9)  Stadtrecht  von  Eger  ,  §  16.  Gengler,  Stadtrechte,  S.  99.  Item  quieunque 
civitatem  mansurus  ingreditur ,  per  (posi)  spatium  unius  anni  non  erit  dominorum 
servitiis  obligatus.  Urkundenbuch  von  Mühihausen,  S.  631.  Sprichit  he  dann  neyn  unde 
besitzit  also  hinne  iar  unde  tac  ungevordiritis  dinges  von  den  luiten,  di  inwendic  laudes 
sin,  so  sal  man  un  halde  vor  eynin  vrien  bürgere. 

10)  Vgl.   oben   S.  826.     Vgl.  auch   Stadtrecht  von  Diessenhofen,  §  17.    a  domino  suo 
intra  provinciam  existente.     Breisach,   §   20. 

53* 


836  Willi  Varges, 

In  einzelnen  Städten  und  Stadtrechten  macht  sich  nun  früh  ein 
vermittelnder  Standpunkt  in  Betreff  des  Auslieferungsverfahrens  gelt»  nd. 
Der  Grundherr,  zuweilen  auch  die  Stadt,  läßt  den  im  Vindikations- 
prozeß  überführten  Hörigen  in  der  Stadt  und  im  Genuß  bürger- 
licher Freiheit,  wenn  dieser  sich  verpflichtet,  die  Dienste,  Pflichten 
und  Abgaben ,  die  ihm  in  seinem  hofrechtlichen  Verhältnis  auferlegt 
waren,  auch  weiter  zu  erfüllen  x).  In  der  Regel  trat  aber  eine  Milde- 
rung der  Leistungen  ein.  Es  wurden  auf  diese  Weise  die  Interessen 
des  Grundherren,  der  nicht  auf  seine  Einnahmen  verzichten  konnte, 
und  die  der  Städte,  die  die  Einwanderung  der  Hörigen,  welche  an- 
fangs einen  großen  Teil  der  Stadtbewohner  ausmachten,  nicht  entbehren 
konnten,  gewahrt,  beziehungsweise  ein  Ausgleich  zwischen  beiden  ge- 
schaffen. Der  Hörige  bleibt  freier  Bürger,  muß  aber  seinem 
früheren  Herrn  gewisse  servitia,  d.  h.  Zeichen  seiner  früheren  Un- 
freiheit, seiner  servilis  conditio,  leisten.  Dieser  Rechtszustand  wird 
wie  es  scheint  zuerst  1100  in  den  bekannten  Radolfszeller  Ur- 
kunden erwähnt.  Auf  ihn  beziehen  sich  die  Privilegien  Heinrichs  V. 
für  Worms2)  und  Speier3)  von  1111  und  1114.  Die  in  Speier  und 
Worms  wohnenden  Hörigen,  so  wie  die  einwandernden  Unfreien, 
werden  von  der  Zahlung  des  Heiratsgeldes,  buteil,  und  des  Sterbefalls 
an  auswärtige  Herren  befreit4).  Es  wohnen  also  damals  schon  Hörige 
mit  Erlaubnis  ihrer  Herren  und  gegen  Zahlung  einiger  hofrechtlichen 
Abgaben  in  den  Städten.  Daß  es  sich  um  Einwanderer  handelt,  zeigen 
die  Urkunden  deutlich5).  —  In  dem  dem  12.  Jahrhundert  angehörigen 
Recht  von  Freiburg  in  B.  heißt  es6):  Dominus  autem  serwum  vel 
relinquet  in  urbe,  vel  deducet,  si  voluerit.  Nach  Gotheins  Erklärung  7) 
bedeutet  die  nicht  klare  Stelle,  daß  der  Herr  seinen  Mann  aus  der 
Stadt  zurückholen  oder  daselbst  lassen,  aber  ihn  weiter  als  seinen 
Leibeigenen  ansehen  dürfe.  Gothein  geht  hier  zu  weit,  von  einer 
Leibeigenschaft  ist  keine  Rede.  Die  Stelle  bedeutet  nichts  weiter,  als 
daß  der  Herr  von  seinem  überführten ,  in  der  Stadt  ansässigen,  ehe- 
maligen Manne  auch  in  Zukunft  die  Erfüllung  der  servitia  verlangen 
kann.  Eine  genauere  Bestimmung  findet  sich  in  dem  Hagenauer 
Privileg  von  1164.  Nach  demselben  muß  der  Unfreie  dem  Herrn 
„domino,  cui  pertinet,  respondere  de  persona  propria 8)".  Das  Sins- 
heimer Recht  von  1192  sagt9):  si  quis  autem  hominem  censuarium  in 


1)  Gengier,  Stadtrechte  S.  144.  v.  Below  vergleicht  dieses  Verhältnis  mit  dem 
russischen  Institut  des  Obroks. 

2)  Gengier,  Stadtrechte  S.   560. 

3)  Ebenda,  S.  449. 

4)  Vgl.   unten  S.  839. 

5)  omnes  qui  in  civitate  Spirense  modo  habitant  vel  deinceps  habitare  voluerint, 
undecunque  venerint  et  cujuscunque  conditionis  fuerint.  Gengier,  a.  a.  O.,  S.  449. 
Quicunque  aut  undecunque  sit  vir  ....  aliunde  venerit.  Gengier,  a.  a,  0.,  S.  449. 
Vgl.  v.   Below,  Ursprung,   S    119. 

6)  Gengier,  Stadtrecht  S.   126,   §  13, 

7)  Gothein,  Wirtschaftsgeschichte  des  Schwarzwaldes  S.  149.  v.  Below,  Ursprung 
S.  100 

8)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer  S.  408,  §  1. 

9)  Ebenda  S.  425. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  837 

hoc  ipso  loco  manentem  septima  manu  convicerit,  censum,  quem 
antecessores  sui  domiuis  suis  persolvere  consueverunt,  donet  et  liber 
permaneat.  Nach  dem  Hammer  Recht  von  11931)  bezahlt  der  hörig 
gewesene  Bürger  eine  Abgabe,  die  als  debita  pensio  bezeichnet  wird. 
Das  Privileg  von  Münstereifel  vom  Jahre  1197  bestimmt2):  Muncipia 
que  in  prephata  villa  anni  spacium  compleverunt,  ad  extera  placita 
nee  veniant  nee  citentur;  domino  suo  annuatim  et  in  morte  sua  de- 
bitam  persolvant  justitiam.  Das  Recht  von  Regensburg  von  1230 3) 
sagt:  item  si  homo  qui  censualis  dicitur  continuam  fecerit  in  civitate 
residentiam  jura  civitatis  conservando  in  dandis  collectis  et  aliis,  quae  a 
civibus  staiuuutur,  nulla  postmodum  exhibebit  domino  servitia  per  coac- 
tionem,  sed  tantummodo  persolvat  censum,  salvum  tarnen  in  his  esse 
volumus  jus  ecclesiarum.  Nach  dem  Privileg  für  Kirchberg4)  auf  dem 
Hunsrücken  vom  Jahre  1249  5)  darf  Niemand  angesprochen  werden,  außer 
den  Unfreien;  hominibus  propriis  exceptis,  qui  dominis  suis  servicium 
debitum  exhibebuut.  Eür  Überwesel  wird  1274  bestimmt6):  quod 
nullus  coneivium  habens  extra  civitatem  dominum  sive  dominos,  cui 
seu  quibus  incensu  aunuo  teneatur,  ab  ipis  domiuis  ad  aliud  quod- 
eunque  servicium,  qua  mad  censum  debitum  persolvendum  compelli  de 
cetero   debeat  aut   aretari. 

Allmählich  findet  eine  Weiterbildung  statt:  In  einzelnen  Stadt- 
rechten findet  sich  die  Anschauung,  daß  der  Hörige,  der  ohne  die 
Erlaubnis  seines  Herrn  sich  in  einer  Stadt  niedergelassen  hat,  von 
seinem  Herrn  nicht  ausgefordert  werden  darf,  wenn  er 
verspricht,  seine  schuldigen  Dienste  zu  leisten.  So  bestimmt  das 
Recht  von  Lechnich7):  Item  quieunque  homo  eujuseunque  condi- 
tionis  intraverit  opidum  Lechenich  ad  manendum  et  moram  fecerit 
ibidem  continue  per  annum  permanendo  nos  non  permittemus  eum 
deineeps  impugnari,  dummodo  paratus  sit  domino  suo  debitum  cen- 
sum persolvere  vel  jus  illud,  quod  hoeftrecht  dicitur.  Im  Jahre 
1291  bestimmt  König  Wenceslaus  von  Böhmen,  daß  kein  Grundherr 
einen  Hörigen  zurückhalten  dürfe.  Der  Hörige,  der  sich  in  der 
Stadt  niederläßt,  muß  dem  Herrn  seine  Pflicht  erfüllen,  wenn  eine 
Verpflichtung  zu  derselben  vor  dem  Stadtgerichte  nachgewiesen  wird, 
ut  nullus  nobilium  et  terrigenarum  nostrorum  quemlibet  hominem  de 
bonis  suis  ad  dietam  civitatem  Olmucensem  nostram  transire  volen- 
tem  injuriose  retinere  aut  in  alique  penitus  molestare  presumat  sed 
ipsum  libere  dimittat;  et  si  eidem  nobili  aut  terrigene  contra  homi- 
nem ipsum  aliquo  competit  accio,  coram  iudice,  iuratis,  et  universitate 


1)  Gengier,  Stadtrechte  S.   184,  §  8. 

2)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer  S  426.  Vgl.  Privileg  für  Werden  a.  Ruhr, 
Lacomblet  a.  a.  0.  II,  S.  122.  Item  si  homines  servilis  condiitonis  se  reeeperint  infra 
civitatem  ad  consueta  servitia,  si    requisiti    fuerint,  suis  dominis     teneantur. 

3)  Gengier,  Stadtrechte  S    375,   §  22. 

4)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer  S.  426. 

5)  Ebenda,   S.  408  u.   A.  8 

6)  Gengier,  Stadtrechte  S.   242. 

7j  Gengier,   Stadtrechtsaltertümer  S.   431. 


338  Willi  V  arges, 

civium  dicte  civitatis  Olmucensis  prosequatur  eandem,  qui  sibi  exhibere 
plene  iusticiam  tenebuntur. 

Dieser  Rechtssatz  hat,  wie  es  scheint  keine  allgemeinere  Geltung 
gehabt.  1350  bestimmt  die  alte  Soester  Schrae1):  Kumet  herin  eyn 
eygen  man  efte  eyn  eygen  wpf,  kumet  sin  herschop  na  unde  overgeyt 
sey  des  also  eyn  recht  is,  dey  sulen  mit  der  herschop  vorevenen,  also 
dat  sey  en  der  woninge  hyr  gunnen;  duyt  sey  des  nicht,  also  ses 
weken  umbe  komen  sin,  so  ne  sulen  sey  hyr  nicht  langer  wonen. 
Hedde  ouck  eyn  eygen  mensche  de  burscap  hir  gewunnen,  wurde  eme 
de  van  der  herschap  binnen  jar  ande  dak  besproken  ande  vorwunnen, 
also  eyn  recht  is,  dey  sal  sich  mit  der  herschap  vorevenen,  also  dat 
sey  eme  dey  woninge  hir  gunne;  dugt  hey  des  nicht,  de  sal  na  ses 
weken  hir  nicht  langer  bliven  ande  sal  sin  geld  verloren  hebben  dat 
hey   umme  burscap  geven  hevet 2). 

Die  Dienste,  Pflichten  und  Abgaben,  die  die  Herren  von  ihren 
Hörigen  verlangen,  sind  sehr  verschieden.  Nur  in  seltenen  Fällen  muß 
der  hörig  gewesene  Bürger  dieselben  Dienste  leisten,  die  seine  frühren 
Hofgenossen  zu  erfüllen  haben.  Die  Gründungsurkunde  für  Gehrden  in 
Westfalen  von  1312  bestimmt 3),  daß  die  Einwanderer  cujuscunque  condi- 
tionis  fuerint,  videlicet  servilis  conditionis,  que  proprie  vulschult  dicitur, 
vel  conditionis  cerocensualis,  vel  si  prebendarii  vel  prebendarie  fuerint, 
in  keine  neue,  bessere  oder  schlechtere  Lage  versetzt  werden  sollen. 
Die  Gründungsurkunde  für  Schwaney  4)  bestmmt:  Voren  Hörige  in  dit 
slot  so  mochte  elich  sinen  luden  unde  sinen  rechte  volgen  in  ervetael, 
in  denste  und  in  allem  rechte,  unde  de  lüde  eumochten  ouch 
in  desen  slote  eren  heren  nicht  verjaren.  Auch  betreffs  der  Ein- 
wanderer von  Lünen  wird  bestimmt5):  Se  solen  se  behalden  in  al  deme 
rechte,  alse  se  ere  waren 6).  Aus  dem  Jahre  1287  7)  liegt  uns  ein 
Revers  vor,  den  ein  Höriger,  der  in  Frankfurt  Bürger  werden  will, 
ausstellt.  Er  verpflichtet  sich  in  demselben,  quod  .  .  .  non  volt  nee  in- 
tendit,  se  et  sua  a  memorata  ecclesia  alienare,  sed  se  spontaneo 
coram  nobis  obligavit,  quod  perpetuo  maneat  in  servitio  debito  ecclesie 
antedicte,  et  quod  melius  Caput,  quod  vulgariter  besthaupt  nuneupatur 
et  censum  de  capite  suo  debitum  et  omnia  alia  jura  et  servitia  de 
jure  vel  de  consuetudine  competentia  temporibus  debitis  et  consuetis 
faciet,  et  ministrabit,  tanquam  suis  dominis,  decans  et  capitulis  supra- 
dictis.     Man  vergleiche  auch  das  Privileg  für  Lechnich. 


1)  Seibertz,  Westfälisches  Urkundeubuch   719,  §  151. 

2)  Vgl.  die  Rechte  von  Lünen  von  1340.  Lacomblet,  a.  a.  O.  III,  353,  von 
Horde  von  1340.  Gengier,  Stadtrechte  die  Gründungsurkunde  für  Schwaney.  Ilgen, 
Uebersicht  über  die  Städte  des  Bistums   Paderborn.      1892,  S.    107. 

3)  Gengier,  Stadtrechte  S.   144.     Knieke,   S.   100. 

4)  Ilgen,  a.  a.  O.  S.   107.     Knieke,  a.  a.   O.   S.   103. 

5)  von  Steinen,  Westfäl.  Geschichte  IV,  234  ff.  Lacomblet,  a.  a.  O.  III,  353. 
Knieke,  a.  a.  O.  S.    102  u.  99. 

6)  Vgl.  Privileg  für  Horstmar  von  1303:  quod  nostri  et  successorum  nostrorutn 
homines  litones  sive  condicionis  servilis  in  ipso  opidulo  in  vita  vel  in  morte  sua  ampliora 
iura  non  gaudebunt,  quam  si  rure  exterius  morarentur. 

7)  Knieke,  a.   a.   O.   S.   99. 


Zur  Entstehung  der  deutschen   Stadtverfassung.  839 

In  der  Regel  findet  eine  Herabsetzung  und  Milderung  der  Lasten  statt. 
"Vor  allem  macht  sich  in  den  Städten  eine  Aenderung  in  Bezug  auf  den 
Sterbefall  geltend1).  Ursprünglich  gebührt  den  Herreu  der  ganze 
Nachlaß  der  Hörigen;  meist  werden  aber  die  Sterbefallgebühreo  ver- 
mindert oder  kommen  ganz  in  Wegfall.  So  bestimmt  das  Recht  von 
Lindau'2):  Insuper  si  proprius  alicujus  domini  convictus  ad  Servituten! 
in  saepe  dictorum  civium  moretur  civitate,  domino  tertia  pars  rerum 
mobilium  cedet,  ita  si  ibi  carnales  heredes  esse  videntur;  si  non,  tunc 
domino  medietas  mobilium  assignatur.  Für  Radolfszell  wird  1267  be- 
stimmt :  Declaratum  est  et  innovatum,  quod  domini  extranei  servis- 
suis  infra  memoratum  oppidum  residentibus  non  debeant  ullo  casu  suc- 
cedere  amplius  quam  in  tertia  parte  mobilium  bonorum;  sie  euim 
loco  ipso  at  antiquo  exstitit  observatum  3).  In  Frauenfeld4)  muß 
nach  dem  Tode  eines  früher  hörig  gewesenen  Bürgers  das  Besthaupt 5) 
gezahlt  werden :  quod  ipso  cive  defuneto  animal  optimum,  quod  idem 
civis  habet  tunc  in  pecoribus  et  jumentis,  eidem  domino  pro  mor- 
tuario  assignetur  6).  In  anderen  Städten,  z.B.  in  Hamm7),  Reckling- 
hausen8), Horstmar  9),  Dülmen10)  wird  nur  Heergewäte  und  Gerade 
dem  Herrn  ausgeliefert.  Es  zeigt  sich  hier  ein  Gegensatz  zu  dem 
sonst  in  den  Städten  geltenden  Bestimmungen,  nach  denen  das  Heer- 
gewäte nicht  aus  der  Stadt  gegeben  werden  darf11).  Man  darf  diese 
hofrechtliche  Abgabe  aber  nicht  mit  dem  landesherrlichen  Heimfall- 
recht erbloser  Heergewäte  und  Gerade  verwechseln  1 2). 

Oft  wurde  der  Sterbefall  ganz  aufgehoben13).  Die  ersten  diesbe- 
züglichen Urkunden  sind  die  bekannten  Privilegien  für  Worms  und 
Speier  Heinrichs  V. 14).  Als  Grund  für  dieses  Verfahren  wird  im  Speirer 
Privileg  die  Verarmung  der  Stadt  angegeben15).  Omnes,  qui  in  civi- 
tate Spirensi  modo  habitant  vel  deineeps  habitare  volueriut,  unde- 
eunque  venerint  vel  euiuseunque  conditionis  fuerint,  a  lege  nequissema 
et  nefanda,  videlicet  a  parte  illa,  quae  vulgo  buteil  vocabatur,  per 
quam  tota  civitas  ob  nimiam  paupertatem  annihilabatur,  ipsos  suosque 
heredes  excussimus.    Ne  vero  aliqua  persona  vel  major  vel  minor,  non 

1)  Schröder,  Rechtsgeschichte  S.  438.     Heusler,  Institutionen  I,   S.   134  ff. 

2)  Gengier,  Stadtrechte  S.   254. 

3)  Ztschr.  f.  Gesch.  d.  Oberrheins,  N.   F.   ir,  S.   146. 

4)  Gengier,  Stadtrechte  S.    122. 

5)  Ueber  das  Besthaupt  vgl.   Schröder  S.  439,    Heusler,    S.   139  u.   141. 

6)  Schröder,    Recbtsgeschichte     S.    441,     A.    321.      Knieke,    a.    a.    0.,  S.  99. 

7)  Gengier,  Stadtrechte  S.   184,  §  9. 

8)  Lacomblet,  a.  a.  O.  II,  204.     Gengier,  Stadtrechtsaltertümer  S.  426. 

9)  Knieke,  a.  a.  0.  S.    79. 

10)  Niesert,  Beiträge  III,  24.     Knieke  a.  a.  O.  S.   79. 

11)  Vgl.  Urkundenbuch  von  Braunschweig.  Mein  Aufs.  Anatomie  der  Stadt  Braun- 
schweig a.  a.  O.  S.  298.  Knieke,  a.  a.  O.  S.  80,  S.  68.  Kindlinger,  Gesch.  d.  Hörig- 
keit n.   68,   91,  92.     v.  Steinen,    Westfäl.  Gesch.  IV,  642. 

12)  Aufs.  I,  S.   178. 

13)  Vgl.  die  oben  S.  836  f.  angeführten  Urkunden,  welche  bestimmen,  dafs  der  Hörige 
nur  einen  Zinscensus  —  bezahlt. 

14)  Gengier,  Stadtrechte,  S.  449  u.  S.  560  und  die  entsprechenden  Privilegien  Fried- 
richs I.     Ebenda,  S.  450  u    S.  562. 

15)  Gengier,  a.  a.  0.,  S.  449. 


840  Willi  Varges, 

advocatus,  non  eorum  naturalis  dominus,  illis  morientibus,  de  eorum 
supellectile  quicquam  auferre  presumat,  interdiximus  J).  Es  findet  sich 
dann  eine  diesbezügliche  Bestimmung  im  Stadtrecbt  von  Freiburg  2), 
das  aus  dem  13.  Jahrhundert  stammt:  Bur^ensis  habens  propriam 
domum,  cuius  fatetur  esse  proprius,  cum  moritur,  uxor  eius  predicto 
domino  nihil  dabit 3).  In  der  Erhebungsurkunde  der  Stadt  Blanken- 
berg  am  Niederrhein  vom  Jahre  1245  wird  Hauptrecht  und  Buteil  be- 
seitigt 4).  In  Lüueburg  5)  wird  der  Sterbefall  1247  wenigstens  teilweise,  in 
Hageuau  1257  6),  in  Augsburg  12767),  in  Frankfurt8)  1297,  in  Ulm  12979) 
abgeschafft.  Das  Frankfurter  Stadtrecbt  von  1297  sagt  allgemein1"): 
Item  libertas  nostra  est  talis,  quod  nullus  potest  nos  vocare  ad  ad  duellum, 
nee  impugnare  nos  sub  spe  duelli,  nee  etiam  potest  nos  quod 
vulgariter  dicitur  budeilen.  Das  Ulmer  Recht11)  drückt  sich 
präciser  aus:  ipso  (cive)  vero  mortuo  ab  heredibus  nulla  jura  mortua- 
ria  vel  ius  quod  dicitur  val,  et  plane  nullum  ius  idem  dominus  debet 
ab  heredibus  extorquere. 

Sehr  interessante  Bestimmungen  über  den  Stei  befall  fiuden  sich 
im  Stadtrecht  von  Halberstadt x  2) :  Utlude  de  hir  komen  to  Halberstat 
erve  to  vorderne,  dat  besturwen  were,  de  sallen  hir  bur  unde  bürgere 
erst  werden  edder  der  stad  willen  hebben ,  er  dan  se  jenich  erve 
vorderen,  unde  scolen  des  doden  sculde  ghebden.  Unde  des  enscal 
nement  von  sek  don  noch  andwotden,  he  endo  dat  unsen  herren  erst 
witlick,  dat  se  boren,  wu  dat  gescapen  is.  Unde  deme  silven  gelick 
enscal  nement  budelinge,  herwede  noch  rade  utluden  von  seck  don, 
he  endo  dat  unsen  herren  witlick,   dat  se  hören,  wu  dat  gescapen  sy. 

Die  Heiratssteuer  der  Hörigen,  bumede,  beddemund,  maritagium  l3), 
wird  in  den  Stadtrechten  nur  selten  erwähnt.  Sie  scheint  in  den  meisten 
Städten  irüh  abgeschafft  zu  sein  und  hat  sich  nur  vereinzelt  erhal- 
ten14). Ausdrücklich  erwähnt  wird  die  Heiratsabgabe  u.  a.  im  Recht 
von  Padberg,  wo  es  heißt15):  Spousalia,  que  vulgo  bedemunt  dieuntur 
nomine,  et  vogethdingh  et  frygedingh  nullum  jus  ibi  obtinebunt.  Das 
Minden-Hannoversche  Stadtrecht ,   das  etwa  13UO  abgefaßt  ist  * 6),  be- 

1)  Ebenda,  S    562,  §  5. 

2)  Ebenda,   S.   128,  §  34. 

3)  v.   Below,  Landst.  Verfassung  von  Jülich  und  Berg,  I,  S.  47. 

4)  Doebner,  a.  a.   O.,  S.   52.     Kraut,  Das  alte  Lüneburger  Stadtrecht,  S.  8,  9. 

5)  Gaupp,  a.  a.  O.,  S.    104.     v.  Maurer,  Stadtverfassung,  I,  S.   391. 

6)  v.  Maurer,  a.   a.  O  ,   S.  391. 

7)  Gengier,  Stadtrechte,  S.  115.  Vgl.  v.  Maurer,  Stadtverfassung,  Bd.  I,  S.  392, 
A.  48. 

8)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer,   S.  408. 

9)  Gengier,  Stadtrechte,  S.  500. 

10)  Gengier,  Ebenda  S.   115,  §.  3. 

11)  Ebenda  S.  503,  §   12. 

12)  ürkundenbuch  von  Halberstadt,  Bd.  I,  n.  6,  86,  §  67,  S.  582.  Ueber  die  Ein- 
wohner  der  Vogtei.     Vgl.   n.  560,  S.  445. 

13)  Schroeder,  Rechtsgeschichte,  S.  438.  Heusler,  Institutionen,  I,  S.  142.  Kuieke, 
a.  a.  O,  S.  84  ff. 

14)  Gothein,  Wirtschaftsgeschichte  des  Schwarzwaldes. 

15)  Gengier,  Stadtrechte,  S.   341. 

16)  Doebner,  a.  a.   O.,  S.   32. 


Zur  EntstehiiDg  der  deutschen  Stadtverfassung.  841 

stimmt,  daß  kein  Bürger,  der  eine  Hörige  freit,  die  Heiratsabgabe  zu 
zahlen  hat.  Item  nullus  burgensis  aut  filius  burgensis  dabit  alicui 
militi  aut  famuto  beddemunt,  qui  carnaliter  commisceretur  alicui  virgini 
vel  ancille  intra  muros  civitatis,  quae  esset  ipsius  proprietaria.  Sed 
reo  datur  gratis. 

Eine  sehr  interessante  Stelle  findet  sich  in  einem  Braunschweiger 
Huldebrief  von  1435 ').  Dieselbe  lautet:  Ok  schullen  alle  de  jenne 
de  der  borgere  meygere  sin,  se  sin  lad  edder  eghen,  edder  wat  egen- 
domes  edder  behoringe  se  sin,  fry  wesen  de  tijd  ouer  so  alse  se  ore 
meygere  sin,  utghesecht  beddemund  unde  budeliüghe,  de  der  plichtich 
sin.  Auf  den  Heiratszwang  Höriger2)  deuten  die  Frankfurter  Privi- 
legien von  1240  und  1257  3).  Ob  es  sich  bei  Abschaffung  desselben 
um  ein  Recht  oder  um  einen  Mißbrauch  handelt,  ist  fraglich.  Ich 
möchte  für  das  letztere  stimmen. 

In  den  meisten  Städten  bezahlen  die  hörig  gewesenen  Bürger  an 
ihren  früheren  Herrn  nur  die  Kopfsteuer,  den  census,  pensio,  weiter, 
wie  das  aus  den  oben  angeführten  Rechten  von  Sinsheim  4),  Hamm  5), 
Regensburg6),  Oberwesel7),  hervorgeht.  Nach  dem  Recht  von  Ulm 
von  1296  beträgt  der  Zins  12  Denare:  Civis  qui  attinet  alicui,  domino 
suo  vel  nuutio  suo  singulis  annis  duodecim  deuarios  in  die  S.  Martini 
ultra  hostiam  domus  purrigere  debet,  si  requirit  illa  die,  sed  si  non 
requirit,  nichil  illi  solvere  tenetur8).  Nach  dem  Recht  von  Sinsheim 
finden  sich  zwei  Möglichkeiten.  Der  durch  einfachen  Eid  überführte 
homo  pioprius  zahlt  dem  Herrn  jährlich  20  Denare,  der  mit  sechs 
Eideshelfern  überführte  homo  censuarius,  den  früheren  Zins.  Im 
übrigen  bleibt  er  frei  —  et  über  permaneat9) 

Zuweilen  kauften  sich  die  zinspflichtigen  Bürger  von  den  Lasten 
los  l0).  1335  wird  ein  Bürger  von  Lippstadt  von  der  Kopfsteuer  gegen 
eine  Zahlung  von  6  Maik  von  aller  Hörigkeit  befreit11).  Im  Jahre 
1247  befreit  Otto  das  Kind  12)  und  seine  Mutter  Mathilde  13)  die  zins- 
pflichtigen Bürger  von  Lüneburg  gegen  eine  Zahlung  von  400  Mark, 
die  die  Stadt  giebt,  weil  die  „hörigen"  Bürger  zu  arm  sind,  um  die 
Summe  aufzubringen,  von  aller  Hörigkeit,  Die  betreffenden  Urkunden 
sind  sehr  wichtig,  ich  teile  die  bezüglichen  Stellen  mit.  Otto  urkundet: 
Civitas  nostra  Luneborch  utens  huius  privilegii  übertäte  multas  vexa- 
tiones  pertulit  a  nobis  aliquando.  Erant  namque  in  civitate  homines 
quidam,   qui  proprii  erant,   quorum   quidam   se   nobis   recognoverunt, 

1)  Urkundenbuch  von  Braunschweig,  I,   n.  82,  §   32,  S.   218. 

2)  Heusler,  Institutionen,  I,  S.  143.  Knieke,  a.  a.  0.,  S.  86.  v.  Maurer,  Fron- 
höfe etc.,  III,  S.  328. 

3)  Gengier,  Stadtrechte,  S.   113. 

4)  Vgl.   oben  S.   836  u.  A.   9. 

5)  Vgl.   oben  S.   837   u.  A.   1. 

6)  Vgl.  oben  S.   837  u.  A.   3. 

7)  Vgl.  oben  S.   837   u.   A.   6. 

8}  Gengier,  Stadtrechte,  S.  503,  §   12. 
9)  Genfer,  Stadtrechtsaltertümer,  S.  426. 

10)  Urkundenbuch  von  Hameln,  S.  474,  n.   672,   S.   471  ff. 

11)  Knieke  a.  a.  0.,   S.    102. 

12)  Urkundenbuch  von  Lüneburg,  I,  n.  67,  S.  37. 

13)  Ebenda,  I,  n.  68r  S.  40. 


342  Willi  Varges, 

quidam  non,  et  illorum  herewede  et  rade  indifferenter  accepimus,  in  quo 
iura  civitatis  et  statuta  privilegii  infringere  videbamur.  Multis  ergo 
et  rnagnis  dilecti  nobis  burgenses  nobis  precibus  insistentes,  ut  ab 
huius  modi  injuria  cessaremus,  instaiitissime  supplicamus  et  tandem 
convenimus  tali  modo,  quod  pro  danda  libertate  omnibus  illis,  qui 
proprii  nostri  erant,  summam  quandam  acceptavimus,  quam  quia 
de  suis  facultatibus  habere  non  poterant,  communitas  civitatis  eis  sub- 
sidium  presti'tit,  tum  propter  hoc,  ut  nulli  in  civitate  maueuti  vel  per 
nos  vel  per  aliquem  heredum  nostrorum  seu  per  aliquem  advocatorum 
nostrorum  sive  per  aliquem  de  nostra  parte  nostra  violentia  vel  injuria 
inferatur.  Acceptis  igitur  CCC  et  L  marcis  puri  argenti  o  m  n e s  in 
civitate  manentes,  qui  nostri  proprii  fuerunt,  damus  perpetuo 
et  per  omnia  liberos  eorumque  successores,  ita  ut  nee  nos  nee  filii 
nostri  ..  neque  filie  nostre  neque  aliqui  successorum  nostrorum  quiequam 
juris  in  ipsis  habeant  neque  in  herewede  neque  in  rade  accipieuda 
nee  in  aliquibus  bonis  eorum,  sed  liberaliter  et  totaliter  liberi  sint  a 
nobis.  Mechthilds  Urkunde  ist  noch  deutlicher:  quod  dilecti  burgenses 
nostri  in  L.  .  .  .  nobis  petitionibus  institerunt,  ut  certara  summam  peeunie 
aeeeptaremus  et  daremus  proprios  homines  nostros,  quoseunque  in  ipsa 
civitate  L.  haberemus,  a  proprietate  liberos  et  solutos.  Nos  itaque  .... 
ad  petitionem  quinquagiuta  marcas  aeeeptantes,  ....  universos  proprios 
homines  tarn  masculos  quam  feminas,  quoseunque  et  quoeunque  modo 
eos  sive  racioue  patrimouii  sive  racione  aliorum  bonorum  nostrorum 
in  civitate  L.  manentes,  filios  quoque  et  filias  ipsorum  nee  non  et 
omnes  eorum  successores  ab  omni  Servitute  et  proprietate  liberos 
dimittimus  et  solutos,  dantes  eis  per  omnia  et  perpetuo  integram  liber- 
tatem  ita,  quod  nee  nos  nee  filii  nostri  nee  filie  nostre  neque  aliquis 
successorum  nostrorum  quiequam  iuris  in  ipsis  de  cetero  habeamus, 
neque  in  hereweda  neque  in  rade  aeeipienda  nee  in  aliquibus  bonis 
ipsorum,  sed  totaliter  liberi  sint  a  nobis. 

Entstanden  zwischen  einem  zu  Sterbefall,  Pflicht,  Dienst  oder  Zins 
verpflichteten  Bürger  und  seinem  früheren  auswärtigen  Herrn  Streitig- 
keiten über  die  Leistungen,  so  mußten  dieselben  vor  dem  Stadtgericht 
entschieden  werden.  Der  Herr  durfte  den  früheren  Unfreien  nicht  vor 
sein  Hofgericht  fordern.  Hofgerichtspflichtig  ist  nur  derjenige,  der  sich 
auf  Hofrechtsgut  niederläßt1).  Der  Bürger,  welcher  auf  Stadtrechts- 
gut sitzt  und  nach  Weichbildsrecht  lebt,  untersteht  dem  Stadtgerichte  2). 
Der  Gerichtsstand  vor  dem  Stadtgericht  schließt  den  Bürger  von  dem 
Landgericht,  wie  von  dem  Hofgericht  aus.  Die  Privilegien  de  non 
evocando  nehmen  zuweilen  Bezug  auf  diese  Verhältnisse.  Das  betref- 
fende Privileg  für  Osnabrück  vom  Jahre  1171 3)  bestimmt,  daß  die 
Bürger  vor  kein  auswärtiges  Gericht,   also  auch   vor  kein  Hofgericht 


1)  Vgl.  Schroeder,  Rechtsgeschichte,  S.  569  u.  A.  237.  v.  Maurer,  Fronhöfe,  IV, 
96  ff.,  140  ff.  Lamprecht,  Wirtschaftsleben,!,  764  f.,  993  ff.,  1032  ff.  Heusler,  Städtever- 
fassung, S.   135 

2)  v.  Below,  Ursprung  der  Stadtverfassung,  S.  106,  122.  Vgl.  Privileg  v.  Reck- 
linghausen. 

3)  Philippi,  Osnabrücker  Urkundenbuch,  I,  n.   328,  S.  264. 


Zur  Entstehung  der  deutscheu   Stadtverfassung.  843 

gefordert  werden  dürfen.  Statuimus,  ne  quis  judex  extrinsecus  manens 
quemquam  ex  civibus  pro  aliqua  causa  presumat  evocare,  nisi  prius 
querimoniam  suam  in  civitate  eoram  civitatis  rectoribus  vel  coram  nobis 
exscquatur  et  secundum  civitatis  jus  consuetudinariam  debitam  conse- 
quatur  justiciam. 

Das  ausführliche  Privileg  Sigismunds  für  Braunschweig  vom  Jahre 
1415  *)  verleiht  den  Bürgern  das  Recht,  ut  in  quibusdam  causis 
mere  civilibus  et  etiam  criminaiibus  extra  dictum  oppidum  Brun- 
swicence  ad  quecunque  seu  qualiacuuque  et  secularia  juditia  publica 
vel  privata  in  spetie  vel  in  genere,  salvo  nostre  ad  majestatis  audien- 
tiam  trahi  seu  evocari  nequeant,  quin  ymmo  ibidem  in  dicto  opido,  si 
et  in  quantum  actori  vel  actrici  justitia  manifeste  denegata  non  fuerit, 
juxta  dicti  opidi  municipalia  iura  et  imperialia  statuta  juri  et  diftini- 
tioui  stare  debeant 2).  Ebenso  wie  das  Stadtgericht  über  die  Krage 
entscheidet,  ob  der  eingewanderte  Hörige  den  Sterbefall  zu  zahlen 
hat3),  so  urteilt  es  auch  bei  etwaigen  Streitigkeiten,  die  zwischen  dem 
hörig  gewesenen  Bürger,  seinem  frühern  Herrn  und  deren  Rechtsnach- 
folgern entstehen.  Bei  solchen  Fallen  bedient  man  sich  ebenfalls  der 
Eideshelfer.  Das  Privileg  für  Bochum  vom  Jahre  1321  bestimmt4), 
si  aliquis  ipsorum,  sc.  der  Bürger,  moritur  cuiuscunque  sexus  vel 
juris  fuerit,  quod  demonstrator  seu  expositor  hereditatis  illius,  si  fuerit 
servilis  conditionis,  possit  tantum  cum  duabus  suum  facere  iurameututn, 
ubicunque  fuerit  hoc  necesse.  Zuweilen  wird  auch  ein  Schiedsgericht 
eingesetzt  5).  In  Halberstadt 6)  übte  man  gewisse  Vorsichtsmaßregeln 
bei  Auslieferung  eines  Sterbefalls  aus.  Im  Halberstädter  Stadtrecht 
(um  1400)  wird  bestimmt:  nement  enscal  budelinge,  herwede  nochrade 
utluden  von  sek  don ,  he  endo  dat  unsen  hern  witlick ,  dat  se  hören, 
wu  dat  gescapen  sy. 

Die  Städte  haben  die  Vergünstigungen,  die  den  sich  innerhalb 
der  Mauern  niederlassenden  Hörigen  zu  teil  werden ,  auf  dem  Wege 
des  Privilegs  von  Seiten  des  Landes-  oder  Stadtherrn  erreicht.  Die 
ältesten  diesbezüglichen  Verleihungen  sind  die  Privilegien  Heinrichs  V. 
für  Worms7)  und  Speier8).  Nur  selten,  wenigstens  in  älterer  Zeit 
haben  Städte  aus  eigener  Machtvollkommenheit  diesbezügliche  Be- 
stimmungen aufgestellt.  Im  Jahre  1290  bestimmen  Bürgermeister  und 
Rat  von  Brilon 9)  bei  Festsetzung  der  statutarischen  Rechte  und 
Gewohnheiten  der  Stadt:  quod  cuncti  burgenses  nostri  Brylonenses 
opidi  habitatores  liberi  manebunt  a  pensionibus  cerocensualibus  et 
exactionibus  omnibus  extraneorum  dominorum  cuiuscunque  juris  seu 
conditionis  fuerint  dominio  subjugati.  In  späterer  Zeit  finden  sich 
ähnliche  Festsetzungen  in  größerer  Zahl. 


1)  Urkundenbuch  von  Braunschweig,  Bd.  I,  S.   192,   n.   67. 

2)  v.   Below,  Ursprung,   S.   107,   122.     Gothein,    Wirtschaftsgeschichte  des  Schwarz- 
waldes, S.   144,  A.   1,  S.   310  u.  A.   1.   Städtechroniken,  Bd.   VIII.  Einleitung,  S.    17. 

3)  Gengier,   Stadtrechte,  S.  27,  §  4. 

4)  Urkundenbuch  von  Hameln,  S.  474,  n.   672. 

5)  Urkundenbuch  von   Halberstadt,  I,  n.  686,  §  68,  S.  582. 

6)  Gengier,  Stadtrechte  S.  362. 

7)  Genfer,  Stadtrechte  S.  449. 

8)  Seibertz,   Urkundenbuch  S.  434,  §   6. 


844  Willi   Varges, 

Die  Verleihung  von  Privilegien ,  durch  welche  die  Verjährungs- 
frist eingeführt,  wurde  oder  die  Lasten  und  Pflichten  einwandernder 
Hörigen  vermindert  und  beschränkt  wurden,  geht  nun  keineswegs  auf 
die  Menschenfreundlichkeit  der  Stadtherrn  zurück.  Es  finden  sich 
nämlich  in  den  betreffenden  Urkunden  vielfach  Bestimmungen,  durch 
welche  die  eigenen  Hörigen  der  Stadtherrn  von  der  Verjährungsfrist 
und  etwaigen  Vergünstigungen  ausgeschlossen  werden.  Man  wollte 
die  Einwanderung  fremder  Hörigen  befördern  —  ut  civitas  civibus 
repleatur,  wie  es  im  Rechtsbrief  für  Wiener  Neustadt  von  1277  heißt *)  — , 
selbst  aber  keinen  Nachteil  leiden.  Solche  Bestimmungen  befinden 
sich  z.  B.  im  Recht  von  Nieheim  von  1282 a):  quod  possunt  recipere 
in  cives  quoslibet  homines,  dummodo  nobis,  canonicis,  claustris,  ecclesiis 
nostre  diocesis  et  ministerialibus  seu  castellanis  nostris  non  pertinenant, 
—  in  Schüttorf  von  1295  3):  ipso  liberis  hominibus  ulterius  habebuntur, 
dummodo  nobis  —  dem  Grafen  von  Beutheim  —  et  nostris  successori- 
bus,  castellanis,  ac  ministerialibus  nostris  occasione  juris  cuiuscunque 
non  fuerint  obligati  —  im  Privileg  von  Brakel  von  1322 4),  von  Unna 
von  1346  5),  von  Werden  von  1317  6)  und  von  Horde  von  1340 7).  In 
letzterem  heißt  es:  Die  Jahr  und  Tag  in  der  Stadt  gewohnt  haben, 
sind  frei,  ane  unse  lüde  und  unses  neven,  des  greven  van  der  Marcke, 
und  unser  beyder  borchmanns  und  ane  wastinssighe  lüde.  Im  Recht 
von  Kleve  von  1242  werden  ebenfalls  Ausnahmen  bestimmt8):  Decre- 
vimus  etiam,  ut  nullum  nisi  ad  octo  dies  examinatum  recipient  in 
concivem ,  item  ut  nulla  mancipia  servili  conditione  nobis  attinentia, 
aut  aliquos  advocatie  nostre  pertinentes  aut  vasallis  aut  ministerialibus 
notris  attinentes,  nisi  de  communi  tarn  nostra  quam  eorum  voluntate 
admittant. 

Im  Stadtrecht  von  Huissen  von  1348  heißt  es 9) :  Voort  willen 
wy  dat  geen  eygen  man  of  hoorich  man  die  ons,  of  onse  vaichdie 
of  onsen  mannen  of  dienstmannen  gehoerich  is,  ontfaen  sullen  tot  eeuen 
poorter,  ten  is  den  gemeyn  willen  onsen  ende  onsen  Maunen,  en 
Dienstmannen  die  sy  gehoorigh  weeren.  Aehnlich  werden  im  Recht 
von  Wipperfürth  die  landesherrlichen  Hörigen  ausgeschlossen  1  °).  In 
der  Urkunde  für  Grevenmachern  von  1252  wird  festgesetzt 1  x) :  Scien- 
dum  insuper,  quod  aliquem  de  homininus  nostris  non  retinebunt,  nisi 
de  consensu  nostro  nee  et  hominem  hominum  nostrorum  illis  exceptis 
dumtaxat,    qui   homines    nostros    suseipiunt    detinentes    eosdem.     In 


1)  Gengier,   Stadtrechtsaltertümer  S.   423. 

2)  Westfälisches    Urkundenbuch  IV,    1707.     Knieke    S.   122.     Westfälische    Ztschr. 
31,  S.   9.      Schaten,  ann.  Path.,  II,   102. 

3)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer  S.  424. 

4)  Wigand,  Archiv  V,   160  ff. 

5)  Knieke  a.  a.   O.,  S.   123. 

6)  Lacomblet,   Urkundenbuch  III,  S.   121. 

7)  Gengier,  Stadtrechte,   S.   198. 

8)  Lacomblet  a.  a.   O.  II,  n.   265,  S.    137. 

9)  weschenmacher,   Annales  Cliviae,     Cod,  dipl,  S.   14.      Van   Burger  te   warden. 

10)  Korth,  Wipperfürth. 

11)  Gengier,   Stadtrechte  S.   172. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  845 

Aschersleben  werden  die  Hörigen  von  der  Befreiung  vom  Sterbefall, 
der  hier  als  Bäcdelinche  bezeichnet  wird,  ausgeschlossen1).  In  Radolfs- 
zell  nehmen  die  unter  dem  Hofrecht  stehenden  Leute  des  Stadtherrn 
nicht  am  Stadtrecht  teil2)-  Für  Pfullendorf 3)  wird  von  Friedrich  II. 
bestimmt:  Inhibemus  ommino,  ne  servus  alicuius  sive  censualis  vel 
cujuscunque  sit  condicionis  ministerialium  tantummodo  nostrorum  in 
civitatem  ipsam  in  jus  istud  recipietur,  nisi  de  domini  sui  fuerit 
voluutate.  Zum  Schluß  möge  das  Münchener  Rudolfiniuni  von  1294 4) 
angeführt  werden,  welches  bestimmt :  Zw1  och  in  der  Stat  Burchrecht 
emphaetet  und  Burchrecht  tuot,  da  sol  niemen  uf  iehen  fürbaz,  daz 
er  sin  aigen  si  oder  sin  Lehen,  die  weil  er  unser  burgaer  ist,  und 
Burkreht  hat,  an  unser  urbors  laevt  oder  vogtlaevt  di  uf  unserm 
urbor  sizzent  oder  uf  unser  vogtay  B).  —  Daß  es  sich  bei  diesen  Be- 
stimmungen um  ein  allgemein  in  Deutschland  geltendes  Recht  handelt, 
möchte  ich  bezweifeln.  Es  giebt  viel  mehr  Städte,  in  denen  sich  der- 
artige Beschränkungen  nicht  finden,  als  solche,  in  denen  die  ein- 
wandernden Hörigen  des  Stadtherrn  von  den  Vergünstigungen  des 
Stadtrechtes  ausgeschlossen  sind.  Man  kann  auch  wohl  kaum  an- 
nehmen, daß  der  Ausschluß  der  stadtherrlichen  Hörigen  vom  Stadt- 
recht oder  von  anderen  Vergünstigungen  das  ursprüngliche  Verhält- 
nis ist,  das  später  in  einer  Reihe  von  Städten  beseitigt  sei.  Nach 
meiner  Ansicht  handelt  es  sich  hier  um  eine  Beschränkung  der  ur- 
sprünglichen Stadtgerechtsame  und  der  städtischen  Freiheit.  In  der 
Regel  finden  sich  derartige  Bestimmungen  nur  in  unbedeutenderen, 
grundherrlichen  Städten,  doch  giebt  es  auch  hier  zahlreiche  Aus- 
nahmen. In  größeren  Städten  finden  sich  solche  Beschränkungen  selten. 
Der  Stadtherr  konnte  sich  so,  soweit  er  irgendwelche  Macht  besaß, 
leicht  vor  dem  Nachteil,  den  ihm  eine  etwaige  Einwanderung  seiner 
Hörigen  in  die  Stadt  brachte,  schützen,  wie  wir  gesehen  haben.  Ganz 
anders  aber  verhielt  es  sich  mit  den  Grundherrn,  die  auf  eine  Stadt  nicht 
indirekt  einwirken  konnten,  zumal  das  Vindikationsverfahren,  wie  wir 
gesehen0),  für  dieselben  oft  sehr  erschwert  war.  Gab  vollends  eine 
Stadt  dem  einwandernden  Hörigen  sofort  die  Freiheit,  wie  das  in  Eger, 
Passau,  Schwerin  der  Fall  war7),  oder  lieferte  sie  den  überführten 
Eigenmann  nicht  dem  Herrn  aus,  wie  das  z.  B.  in  Eisenach  und  Mühl- 
hausen geschah,  so  stand  der  Herr  vollends  wehrlos  da  8).  Die  Herren 
haben  daher  früh  zu  besonderen  Mitteln  greifen  müssen ,  um  ihre 
Interessen  zu  wahren.  Sie  haben  sich,  abgesehen  von  Anwendung  von 
Gewalt9),   die  aber  streng  verpönt  war,  zweier  Mittel   bedient.     Ent- 


1)  Gengier,  Stadtrechte  S.   12,  litonum  nostrorum  tarnen  iure  nihilominus  observato. 

2)  Zt>chr.  f.  Gesch.  des  Oberrheins  N.  F.  5,  S.  141.     Vgl.  v.  Below,  Ursprung  S.  120. 

3)  Genfer,  Stadtrechte  S.   355. 

4)  Ebenda  S.  295,  §   14. 

5)  Andere  Beispiele  bei  v.  Maurer,  Städteverfassung,     v.   Below,  Ursprung. 

6)  Vgl.  oben  S.  831. 

7)  Vgl.  oben  S.  820,  821. 

8)  Vgl.   oben  S.   834. 

9)  v.  Maurer,  Stadtverfassung  I,  S.  386  u.  A.  36,  37.  Ueber  Streitigkeiten  zwischen 
Grundherrn  und  Städten,  vgl.  auch  Urkundenbuch  von  Bremen  I,  n.  90,  S.  105.  Urkunden- 
buch  von  Erfurt  I,    n.  277,    S.   176.     Urkundenbuch    von  Hameln    n.   672,    S.    471.     Die 


846  Willi  Varges, 

weder  veranlaßten  sie  den  Stadtherrn,  den  Kaiser  oder  den  bezüg- 
lichen Landesherren,  ein  Verbot  zu  erlassen,  ihre  Hörigen  in  die  Städte 
aufzunehmen,  oder  sie  haben  mit  den  Stadtherren  oder  den  Städten 
selbst  einen  Vertrag  geschlossen ,  durch  den  sie  ihre  Interessen  zu 
schützen  suchten. 

Schon  in  dem  ältesten  Stadtrecht,  das  die  Verjährungsfrist 
erwähnt,  dem  Bremer  Recht  von  1186,  das  von  Kaiser  Friedrich  I. 
herrührt,  findet  sich  eine  Bestimmung,  das  die  Hörigen  der  Bremer 
Kirche  von  der  Verjährung  ausschließt.  Es  heißt  daselbst:  excepta 
omni  familia  Bremensis  ecclesia  et  omnium  ecclesiarum  ad  eam  sue 
rationis  jure  pertinentium  *).  Es  handelt  sich  hier  nicht  gerade  um  ein 
offizielles  Verbot  des  Kaisers,  die  Hörigen  mußten  nur  darauf  gefaßt 
sein,  jeder  Zeit  zurückgefordert  zu  werden.  Die  sog.  Gerhardschen 
Reversalen  von  1248  bestimmen :  item  litones  ecclesie,  sive  sint  domini 
archiepiscopi,  capituli,  ecclesiarum,  nobilium,  ministerialium ,  qui  de 
ecclesia  Bremensi  debent  merito  possideri ,  prescribi  non  possuut  in 
civitate  Bremensi,  nisi  singulis  annis,  singulis  diebus,  tamquam  primo 
Bremam  intraverint,  valeant  conveniri 2).  Im  Stader  Recht  von  1209, 
das  einige  Teile  des  Rechtes  von  Bremen  wörtlich  übernimmt 3)  spricht 
Otto  IV.  im  Anschluß  an  eine  Stelle  des  Bremer  Rechts  ein  solches 
Verbot  aus:  Huic  vero  conditioni  connectimus,  ut  nullus  omnino  lito  in 
vestram  civilem  justitiam,  nisi  ex  permissione  et  licentia  domini  sui, 
coram  judice  et  communi  vulgo  recipiatur 4).  Friedlich  IL  hat  diesen 
Verhaltnissen  größere  Sorgfalt  zugewendet.  1220  untersagt  er  in 
Pfullendorfer  Privileg  die  Aufnahme  von  Hörigen  der  kaiserlichen 
Ministerialen  5).  Im  Jahre  1226  verbietet  er  in  der  Stadt  Oppenheim 
Hörige  des  Erzbischofs  von  Mainz  aufzunehmen  6).  Im  Jahre  1220 
bestimmt  er  ganz  allgemein  zum  Besten  der  geistlichen  Fürsten7): 
Item  homines  quocunque  genere  servitutis  ipsis  attinentes,  quacunque 
causa  se  ab  eorum  obsequiis  alienaverunt,  in  nostris  civibus  non 
recipiemus  in  eorum  prejudicium,  et  idem  ab  ipsis  inter  se,  eisque 
a  laids  omuibus  universaliter  volumus  observari.  1232  bestimmt  er 
im  Statutum  in  favorem  principum  8) :  Item  principum ,  nobilium  et 
ministerialium,  ecclesiarium  homines  proprii  in  civitatibus  nostris  non 
recipiantur.  —  Homines  proprii,  advocaticii,  feodales,  qui  ad  dominos 
suos  transire  voluerint,  ad  manendum  per  officiales  nostros  non 
artentur. 


Herren  haben  auch  vielfach    ihre  Hörigen   eidlich  verpflichtet    nicht  auszuwandern.     Vgl. 
v.  Maurer,  Fronhöfe  VI,  S.   131.     Vgl.  auch  unten  S.   848. 

1)  Bremisches  Urkundenbuch  Bd.  I,  n.   65,  S.   71. 

2)  Vgl.   Donandt,   Bremisches  Stadtrecht  I,  S.   81. 

3)  Gengler,   Stadtrechte  S.  450. 

4)  so  §   7,   8. 

5)  Gengier,   Stadtrechte  S.  355.  §   10. 

6)  Hessisches   Urkundenbuch,    II     Abt.  Bd.  I,  S.    126,  n.   163. 

7)  LL.  II  (1837),  S.  236,  §  3.     Vgl.  auch  Altmanns  u.   Bernheims  Urkunden  S.   18, 
§   3.     Vgl.   Winkelmann,  Friedrich  II.,  Bd.  I,  n.  4. 

8)  LL.  II  (1837),  S.   291,   §   12  u    23.     Altmann  u.  Bernheim,  a.  a.  O.,  S.   21,   22. 
Vgl.  Winkelmann,    Geschichte  Kaiser  Friedrichs  II.  und  seiner  Reiche  I,    S.   411,  395  ff. 


Zur  Entstellung  der  deutschen  Stadtverfassung.  847 

Spätere  Kaiser  haben  selten  ähnliche  Gebote  erlassen1);  die 
meisten  Kaiser  liaben  eine  den  Städten  freundliche  Politik  getrieben. 
Es  sind  jetzt  meist  die  Laudesherren,  die  derartige  Gebote  zunächst 
zu  ihrem  eigenen  Vorteil  und  dem  ihrer  Dienstmannen,  dann  auch  zu 
Gunsten  befreundeter  oder  verbündeter  Fürsten  und  Herren  erließen. 
Die  Gegenseitigkeit  der  Interessen  spielt  hierbei  eine  große  Rolle. 

Privilegien,  in  denen  Landesherren  zu  ihrem  Nutzen  oder  dem 
ihrer  Ministerialen  Hörige  von  der  Niederlassung  in  der  Stadt  aus- 
schließen, sind  oben  augegeben  8).  —  Es  sollen  nur  einzelne  Ur- 
kunden, durch  welche  Vergleiche  diesbezüglicher  Art  zwischen  zwei 
Landesherren  abgeschlossen  werden,  angeführt  werden. 

So  besehließen  Erzbischof  Engelbert  von  Köln  und  Graf  Heinrich 
von  Nassau  1224  betreffs  der  Stadt  Siegen3):  quod  neuter  nostrum 
civem  vel  castellanum  aliquem  sine  consensu  et  volunte  alterius 
in  opido  locabit  alterius4).  Aus  dem  Jahre  1252  liegt  ein  ähnlicher 
Vertrag  zwischen  dem  Erzbischof  von  Köln  und  dem  Bischof  von 
Münster  hinsichtlich  der  Stadt  Vreden  5),  aus  dem-  Jahre  1263  ein 
solcher  zwischen  dem  Erzbischof  von  Köln  und  dem  Grafen  von  Arns- 
berg über  Neheim  vor6).  Aus  dem  Jahre  1277  ist  ein  solcher  Ver- 
trag zwischen  demselben  geistlichen  Fürsten  und  dem  Grafen  von 
Mark  erhalten.  Es  heißt  in  demselben:  et  neuter  alterius  homines 
proprios  infra  suas  munitiones  retipiet  praeter  suam  voluntatem  7). 
1270  verspricht5)  der  Graf  Adolf  von  Waldeck,  dem  Edelherrn  von 
Itter,  1301  Graf  Otto  von  Waldeck  dem  Herren  von  Padberg  keine 
Hörigen  derselben  in  ihren  Städten  aufzunehmen. 

Auch  die  Privilegien,  durch  welche  geistliche  Stifter  gegen  Ver- 
jährung ihrer  Rechtsausprüche  an  ihre  Hörigen,  die  sich  in  den 
Städten  angesiedelt  hatten,  siud  zahlreich.  Aus  dem  Jahre  1221  ist 
ein  solches  von  Seiten  des  Grafen  von  Ravensberg  zu  gunsten  der 
Kirche  von  Herford  vorhanden  8) :  Cives  de  Bylefelde  jurabunt,  quod 
non  recipient  aliquos  homines  in  concives  sine  licentia  abbatisse  et 
ecclesie.  Aus  dem  Jahre  1224  liegt  ein  interessantes  Privileg  für  das 
Kloster  Marienfeld  vom  Bischof  von  Münster  vor9):  Verum  quia 
ecclesia  Dei  non  solum  ab  extraneis,  sed  plerumque  etiam  a  suis 
fraudem  peipetitur,  ut  videlicet  astuta  quadam  tergiversatione  se  ad 
alios  fines  transferant  homines  ei  pertinentes  et  domicilio  sibi  in  oppi- 
dis  procurato,   se   frangaut  in  libertatem,   qui   proprietatis  jure  tenen- 


1)  v.  Maurer,  Fronhöfe  Bd.  III,  S.  132,  A.  85,  statuimus,  ut  ministeriales,  burgenses 
sive  quicunque  alii  homines  quo  vis  jure  prefato  archiepiscopo  attinentes  cum  omni 
integritate  reddantur  eidem  et  nulli  ex  hominibus  eius  ultra  in  predicto  oppido  colli- 
gautur. 

2)  Vgl.   S.  844. 

3)  Philippi,  Siegener  Urkundenbuch  n.   8.     Knieke  a.  a.   O.  S.  119. 

4)  Westfälisches  Urkundenbuch  III,   545.     Knieke,  a.  a.    O.,  S.   120. 

5)  Gengler,  Stadtrechtsaltertümer  S.  430. 

6)  Knieke  a    a    O.,  S.   121.     Seibertz,   Urkundenbuch  S.  327. 

7)  Gengler,   Stadtrechtsaltertümer  S.   431. 

8)  Westfälisches   Urkundenbuch   III,    173,  §   1. 

9)  Ebenda  III,  207. 


§48  Willi  Varges, 

tur,  eorumque  inique  machinationi  provide  obviamus  auctoritate  dei 
et  nostra  terribiliter  excommunicantes  eos,  qui  se  ultra  mensuram  sue 
condicionis  extollentes  Collum  excutiunt  a  iugo  servitutis,  qua  astricti 
sunt  campo  S.  Marie,  nee  non  et  illos,  qui  tales  transfugas  colligunt  et 
tenent.  Qua  propter  et  signanter  inhibemus  sub  pena  exeommuni- 
cationis,  ne  apud  civitatem  Monasterieusem  et  Warendorpe,  Bekehem, 
Alen  vel  apud  queeunque  munitionis  et  presidii  loca  dyocesis  nostre 
refugiura  habeaut  litones  vel  homines  prefate  ecclesie,  vel  quomodo- 
libet  suseipiantur,  quippe  cum  perfugi  sint  et  patrocinari  non  debeat 
dolus  suus. 

In  dem  Privileg  für  das  Kloster  Wadenhart  vom  Bischof  von 
Osnabrück  aus  dem  Jahre  1239  wird  als  Grund  des  Erlasses  der  Ur- 
kunde angegeben,  quod  dieta  ecclesia  rure  suo  in  suis  litonibus  non 
privetur  1). 

Auch  Privilegien,  durch  welche  den  Klöstern  im  Ausnahmefall 
der  Sterbefall  gesichert  wurden,  liegen  zahlreich  vor.  Es  ist  hier 
auf  die  Bestimmung  Otto  des  Kindes  für  die  homines  des  Klosters 
Michaelis  von  Lüneburg2)  zu  verweisen. 

Wichtiger  sind  die  Verträge,  die  zwischen  freien  oder  doch  selb- 
ständigen Städten  und  Grund  herren  zur  Sicherung  der  Interessen  der 
letzteren  abgeschlossen  wurden.  So  erklärt  im  Jahre  1277  die  Stadt 
Kreuznach  dem  Grafen  von  Sponheiin3):  promittimus  etiam  presenti- 
bus,  quod  nulluni  deineeps  hominem  predicto  domino  nostro  vel  suis 
heredibus  legitimis  attinentem  in  nostrura  reeipiemus  nee  assumemus 
consortium,  nisi  ipse  aut  sui  heredes  eum  nostro  consortio  dederint 
et  admittant.  Die  Stadt  Neuchatel  giebt  1278  dem  Herrn  von  Ar- 
berg ähnliche  Versprechungen4):  Lünen  versichert  im  Jahre  1278  in 
Betreff  der  Rappenberger  Wachszinsigen 5):  cives  oppidi  memorati 
voverunt  nobis  .  .  .  quod  exnunc  nullos  reeipiant  in  ipsorum  civile  con- 
sortium jure  cerocensualitatis  nobis  attinentes,  nisi  nostra  speciali 
licentia  mediante;  si  vero  contra  hoc  fecerint,  in  reeeptis  ex  nunc  vel 
ad  ipsos  intrantibus,  nichil  juri  poterit  nostro  deperire.  Im  Jahre  1277 
findet  eine  Vereinbarung6)  zwischen  den  Städten  Mindeu,  Heiford, 
Bielefeld  und  den  Stiftern  Minden,  Herford  und  dem  Grafen  von 
Ravensberg  statt,  in  dem  erstere  erklären:  Item  homines  coniuratis 
nostris  jure  proprietario  pertinentes  in  nostras  munitiones  vel  in  loca, 
que  vulgariter  vriheyt  dieuntur  dominis  suis  invitis  nullatenus  reei- 
piemus. Im  Jahre  1275 7)  verglichen  Werner,  Erzbischof  von  Mainz, 
und  Heinrich,  Graf  von  Honstein  die  Stadt  Erfurt  mit  dem  Graten 
von  Orlamünde,  Kevernburg,  Gleichen,  Ravenswalt,    Stolberg   und  den 

1)  Westfälisches  Urkundenbuch  III,  545. 

2)  Urkundenbuch  von  Lüneburg,  Bd.  I,  n.  67,  S.  39.  Vgl.  Lacomblet  III,  353, 
S.  277. 

3)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer  S.  431,  u.  A.  92.  Vgl.  ebenda  S.  418.  (Geln- 
hausen). 

4)  Ebenda  S.   431    u.   A.   94. 

5)  Kindlinger,  Münsterische  Beiträge  II,  48.     Knieke,  a.  a.   0.   S.   122. 

6)  Westfälisches   Urkundenbuch  IV,   1458. 

7)  Urkundenbuch  von  Erfurt  Bd.  I,  n.   277,  S.   176. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  849 

Herren  von  Heldrungen  über  verschiedene  streitige  Punkte.  In  Betreff 
der  Hörigen  wird  bestimmt:  Quod  si  homines  proprii  vel  advocaticii 
nobilium  predictorum  hucusque  sunt  in  cives  Erfordenses  recepti, 
ipsique  nobiles  eos  debito  modo  requisierunt  nee  potuerint  iustitiam 
consequi  super  eos,  si  adhuc  ante  diem  beati  Michaelis  proxime  nunc 
venturam  ipsos  requisiverint  et  eos  ad  se  docuerint  pertinere,  ipsi 
cives  homines  huiusmodi  debebunt  dimittere  vel  ipsis  facient  de  eis 
justitiam  vel  amorem.  Si  autem  de  cetero  aliquos  ibidem  contigerit 
reeipi  in  coneives  ipsique  nobiles  requisierint  et  infra  spacium  anni 
illius  docuerint,  quod  eis  debeant  attinere,  Uli  penitus  dimittentur, 
alioquin  pro  civibus  remanebunt.  Im  Jahre  1318  trifft  die  Stadt 
Hildesheim  *)  mit  dem  eigenen  Stadtherrn  folgende  Vereinbarung  über 
Aufnahme  bischöflicher  Hörigen:   We  ratmanne  bekennet,   dat  we  mit 

unseme  ersamen  heren  biscop  H gedeghedinghet  hebbet,   dat  se 

vei  teyget  aller  laten  unde  aller  eghenen  lüde,  de  buren  unde  borghere 
sin  to  Hildensem,  se  hören  on  sunderliken  eder  meynliken  eder  jenegh- 
eme  stichte  binnen  der  tolniyge  to  Hildensem  eder  Dernkborch, 
Exherte,  Lammesspringe  eder  jenegheme  stichte  dat  under  unseme 
herren  deme  biscope  si  an  gheysliker  unde  an  wertliker  walt.  We 
scolet  ok  bewaren  bi  usen  eden  alse  vorder  alse  we  moghen,  dat  we 
nene  laten  noch  nene  eghene  man,  de  on  eder  ienegheme  dere  stichte, 
de  hir  vorbenomet  sin,  bestan,  to  borghere  entvan,  se  ne  hebben  sek 
erst  gheledeghet  van  orer  herscop  unde  sin  dere  rede  vriy.  Die  Stadt 
schließt  also  mit  ihrem  Herrn  einen  Kompromis.  —  Sehr  interessant 
ist  auch  die  Verhandlung2),  die  1385  zwischen  dem  Grafen  von 
Eberstein  und  der  Stadt  Hameln  3)  über  Hoheitsstreitigkeiten  geführt 
wird.  Der  Graf  klagte:  de  van  Hameln  hebbet  sek  underwunden  und 
entholdet  uns  unse  vulschuldighe  eghene  lüde  an  orer  stad  un  en- 
willet  se  uns  nicht  ut  geven  mit  orem  gude  un  doet  dessen  bynnen 
eyner  sone,  de  wy  underander  gedan  hebbet  unde  bynnen  orveyde,  de 
wy  on  gedan  hebbet.  —  Der  Rat  antwortet  auf  diesen  Klagepunkt4): 
Hitmeln  is  eyn  vry  stad,  dar  iuwelik  man  kampt  und  vord  upp  sin 
eventure.  Is  dar  siner  egenen  lüde  jenicht  edder  jenige,  tegen  den 
eder  tegen  de  wille  wy  ome  gerichtes  unde  rechtes  staden  to  Hamelen 
und  hopet,  dat  he  boven  recht  uns  icht  to  esschen  wille  edder  möge, 
sind  syn  orveyde,  dar  he  van  scrivet,  ynne  holt,  dat  he  tegen  uns 
nicht  doen  en  schal,  dat  uns  schedelich  sy.  Auf  dem  stattfindenden 
Schiedsgerichte  wird  keine  Einigkeit  erzielt 5).  Der  eine  Teil  der 
Schiedsrichter  erklärt G) :  wat  ome  de  van  Hamele  mit  gewalt  nicht 
genomen  hebt,  des  en  sint  se  ome  nicht  schuldich  weder  to  ant- 
wordende,  und  willet  se  ome  dar  en  boven,  eft  he  dar  wene  schuldigen 
wil,  riebtes  und  rechtes  in  orer  stad  staden,  so  vul  doet  se  ome.    Die 


1)  Urkundenbuch   von   Hildesheim,  Bd.  I,  S.  384,  n.   695. 

2)  Urkundenbuch  von    Hameln,  n.  672,  S.  471. 

3)  Ebenda,  S.  472. 
4]  Ebenda,  S.  473. 
5^  EbeDda,  S.  474. 
6)  Ebenda,  S.   474. 

Dritte  Folge  Bd.  V1I1  (LX1II).  54 


g50  Willi  Varges, 

anderen  Schiedsrichter  geben  ihre  Meinung  dagegen  dahin  ab1):  Hir 
up  spreke  wy,  dat  se  unses  juncheren  sine  lüde  und  ore  gud  weder 
ant  worden  scolen  ut  orer  Stadt  und  sint  des  plichtich  van  ere  und 
van  rechtes  weghen  to  donde  uppe  der  stede,  dar  se  sek  vorwille- 
kord  hebben  und  alze  dat  de  heren  to  beden  bezeghelt  hebt  und 
scolen  dat  weder  doen  myd  böte  und  beteringhe  na  rechte  na  dem 
male,  dat  se  dit  vorsateliken  gedan  hebben.  Der  Graf  Otto  von  Hol- 
stein und  Schaumburg  legt  den  Streit  bei  und  bestimmt2):  Vortmer 
hebben  de  van  Hameln  greven  Hermannen  lüde  eder  gud  ghenomen 
mit  ghewolt,  dat  scholden  se  eme  van  rechte  wider  don  und  weren 
ome  böte  darumb  plichtich.  Spreke  he  ok  eghene  lüde  an,  de  in 
orme  slote  wonaftich  syn,  dar  he  sek  eghendumes  an  vermet,  esschet 
he  dat  kunt  liken  van  den  van  Hamelen,  de  scholen  se  ome  volghen 
laten  in  dat  gerichte,  dar  se  ut  gheboren  syn,  eft  he  se  veleghe  uDde 
ore  vrund  in  dat  ghericbte  unde  wider  to  Hamelen  in  vor  allerleye 
schaden  unde  vorrydinghe;  welken  he  dar  ghewyunet  alze  eghener 
lüde  recht  ys,  dar  scholen  ome  de  van  Hamelen  dar  na  rechtes  umme 
staden  in  orme  slote  unde  dar  se  dot  se  vulan. 

Zuweilen  verpflichten  sich  die  Städte  eine  Entschädigung  für 
einen  in  die  Stadt  aufgenommenen  Hörigen  zu  zahlen.  So  verspricht 
die  Stadt  Frankfurt  Reinhard  von  Hanau  100  Mark  Pfennige  für  jeden  in 
die  Bürgerschaft  aufzunehmenden  hanauischen  Unterthan  zu  entrichten. 
Etiam  si  contingerit  aliquem  aliquam  vel  plures  ex  suis  hominibus 
sive  rusticis  nostre  civitatis  recipi  in  concivem ,  tot  centum  marcas 
denariorum  dabimus  prefatis  R.  et  suis  heredibus,  quot  recepti  iuerint 
ex  ipsorum  R.  et  heredum  hominibus  ad  nos  declinantibus  in  concives, 
volentes  nihilominus  a  prescripto  Rennardo  super  prefata  compositione 
amicabiliter  ordinata  suas  litteras  nobis  dari 3).  — 

Wir  kommen  jetzt  zu  der  wichtigen  Frage,  welche  Stellung  die  in 
die  Stadt  einwandernden  Hörigen,  die  ihren  Herrn  auch  ferner  Dienst, 
Kopfzins,  Eheabgabe  und  Sterbefall  leisten  oder  denselben  zu  irgend 
einer  von  diesen  Leistungen  verpflichtet  sind,  einnehmen.  Man  ist 
leicht  versucht,  diese  Einwohner  der  Städte  als  „unfreie"  Bürger  zu 
bezeichnen.  Die  Urkunden  sprechen  scheinbar  für  eine  solche  An- 
schauung; „die  Hörig  gewesenen"  Bürger  werden  zuweilen  in  den 
Rechtsbriefen  als  servi,  homines  condicionis  servilis  bezeichnet.  Es 
handelt  sich  hier  um  den  früheren  Personenstand.  Wenn  Dienste  als 
servicia,  das  Leisten  von  Abgaben  und  Diensten  aber  als  ein  servire, 
deservire  genannt  wird,  so  haben  wir  es  hier  wohl  nur  mit  einer  un- 
klaren Ausdrucksweise  der  Urkunden  zu  thun.  Dieselben  wollen  ein- 
fach besagen ,  daß  die  betreffenden  Bürger  ihrem  früheren  Herren 
gegenüber  noch  Verpflichtungen  zu  erfüllen  haben.  Wir  haben  es  hier 
mit  der  Grundbedeutung  des  Wortes  servire  zu  thun.  Aehnlich  werden 
auch  die  Leistungen,   die  der  Bürger  der  Stadt  gegenüber  zu  erfüllen 

1)  Ebenda,  S.  475. 

2)  Ebenda,  S.  476. 

3)  Hessisches  Urkundenbuch,  Abteilung  II,  Bd.  I,  n.  415,  S.  309.  (Publ.  a.  d. 
Kgl.  Pr.  Staatsarchiven  Bd.  48  ) 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  g5l 

hat,  als  servitia  bezeichnet.  So  heißt  es  z.  B.  in  einem  Osnabrücker 
Recht1):  Item  omnes  carnifices  et  eorum  pueri  legitimi,  qui  septi- 
mum  annum  impleverunt,  qui  concivium  servaverint  vigiliis 
etaliisservitiis,  apud  majorem  ecclesiam  sepeliendi  sunt.  Noch  be- 
zeichnender ist  ein  Passus  des  Magdeburger  Rechtsbriefes  für  Heinrich  I. 
von  Schlesien2);  welcher  von  der  Beihilfe  im  Kriege  handelt:  Si 
etiam  forte  ad  deprimendam  aliquorum  forte  predonum  audaciam 
aut  pro  defensione  patrie  vestram  forte  indixeritis  expeditionem,  de 
ipsa  civitate  ad  serviendum  vobis  quadraginta  viri  bene  cum  armaturis 
suis  preparati  et  servi  ipsorum  emittentur,  et,  si  necesse  fuerit,  in 
expensa  civitatis,  alii  vero  domi  remanentes  ad  defensionis  patriae 
invigilabunt.  Meines  Wissens  findet  sich  in  den  Urkunden  niemals 
die  Bezeichnung  proprii  cives.  Es  kann  sich  wohl  im  Mauerring  ein 
Höriger  oder  eine  Hörige  als  Knecht  oder  Magd  aufhalten  3),  dieselben 
weiden  aber  nie  im  Genuß  des  Bürgerrechts  sein.  Sie  werden  in  den 
Urkunden  als  commorantes,  medewonre  bezeichnet.  Bürgerrecht  und 
Freiheit  sind  identisch.  Nach  dem  Münster- Bielefelder  Recht  kann 
ein  Höriger  gegen  den  Willen  seines  Herren  nicht  Bürger  werden. 
Nach  Jahr  und  Tag  erlischt  aber  das  Einspruchsrecht  des  Herrn  und 
der  Aufnahme  des  Hörigen  als  Bürger  steht  nichts  mehr  im  WTege. 
Das  Stadtrecht  drückt  dies  nun  folgendermaßen  aus:  Qui  annum 
habitaverit  in  Wicpelethe  nullo  eum  in  servitutem  redigen te  libertati 
adducitur4).  In  der  bekannten  Urkunde  vom  Jahre  1100  für  Radolfs- 
zell 5)  werden  die  in  der  Stadt  sich  niederlassenden  Hörigen  vom  Stadt- 
gericht, also  vom  Bürgerrecht  ausgeschlossen.  Es  handelt  sich  hier 
aber  um  einen  Ausnahmefall,  der  indirekt  als  Regel  bestätigt,  daß  in 
dem  befriedeten  Mauerring  der  Stadt  für  Unfreiheit  kein  Platz  ist. 
Läßt  ein  Herr  seinen  überführten  Unfreien  in  der  Stadt  und  im  Be- 
sitz des  Bürgerrechts,  so  läßt  er  ihn  auch  im  Genuß  der  Freiheit. 
Die  Abgaben,  die  der  frühere  Hörige  seinem  Herrn  zahlt,  und  die 
Dienste,  die  er  demselben  leistet,  können  dieses  Verhältnis  nicht 
alternieren  und  den  Rechtssatz,  daß  Stadtluft  frei  macht,  nicht  brechen. 
Sie  sind  nichts  weiter  als  privatrechtliche  Abmachungen,  gewisser- 
maßen eine  auf  privatrechtlichem  Wege  festgesetzte  Abfindungssumme; 
und  zwar  sind  diese  Abmachungen  ursprünglich,  wie  einzelne  Stadt- 
rechte ausdrücklich  betonen,  freiwillig6).  Der  in  die  Stadt  ein- 
wandernde Hörige  kann  ursprünglich  nicht  zu  denselben  gezwungen 
werden.  So  bestimmt  das  Recht  von  Hamm :  quicunque  in  ad  con- 
civium oppidi  intraverit  domino  contradicente ,  cogitur  illi  non  ad 
aliam   responsionem ,    nisi   vel   voluntarius   consentiat   et   debitam 


1)  Philippi,  Zur  Verfassungsgeschichte  der  westfälischen  Bischofsstädte  S.  49. 

2)  Urkundenbuch  von  Magdeburg,  Bd.  I,  n.   100,  S.  52. 

3)  Stadtrecht  von  Hannover,  Doebner,  a.  a.   O.,  S.   33,  §  3. 

4)  Gengier,  Stadtrechte  S.   307,  §  53. 

5)  Ztschr.     f.    Geschichte    des    Oberrheins,    N.    F.    V,    S.    141.      v.    Below,    Stadt- 
gemeinde S.   106. 

6)  Auf  die  Frage,  was  den  Hörigen  zur  freiwilligen  Recognition  trieb,  giebt  Philippi 
treffend  Antwort.      Vgl.  unten  S.  853. 

54* 


g52  Willi  Varges, 

pensionem  solvat1).  Aehnlich  gilt  in  Dortmund:  Worde  wey  in  unser 
staid  vor  eigen  an  gesproken,  erkennet  hey  des  egendoraes  eder  nicht, 
gelyke  wol  mach  hey  unser  Stades  vriheyt  gebruken,  wante  in  unse 
staed  neyn  geboysme  geyt2),  denn  heißt  es  an  anderer  Stelle  ok  so 
is  hir  eyne  vrye  staed,  hiir  en  mäch  nymant  den  andere  bebosmen  3). 
Die  Freiheit  der  Stadt  in  Bezug  auf  die  Niederlassung  Höriger  be- 
tonen, wie  wir  gesehen,  auch  die  Bürger  von  Hameln4).  — 

Die  Leistung  von  Diensten  und  Bezahlung  von  Abgaben  schmälert 
die  persönliche  Freiheit  des  Bürgers  ebenso  wenig,  wie  die  Zahlung 
eines  Wortzinses.  In  einem  Braunschweiger  Huldebriefe  wird  bestimmt 5) : 
Ok  schullen  alle  de  jenne  de  der  borgere  meygere  sin,  se  sin  lad, 
edder  eghen  edder  wat  eghendomes  edder  behoringhese  sin,  fry  wesen 
de  tijd  ouer  so  alse  are  meygere  sin,  utghesecht  beddemunt  unde 
budelinghe,  de  der  plichtich  sin.  Die  Zahlung  von  Heiratsabgabe  und 
Sterbefall  schmälert  also  die  Freiheit  dieser  Leute  nicht.  Ihre  Frei- 
heit verdanken  die  hörigen  Meier  dem  Umstände,  daß  sie  im  Dienste 
von  Bürgern  stehen,  also  auf  freiem  Stadtboden  wohnen.  Verlassen 
sie  Dienst  und  Stadtgut,  so  verfallen  sie  der  Hörigkeit  und  dem  Hof- 
recht. Aehnlich  ergeht  es  den  Hörigen,  die  sich  mit  oder  ohne  Er- 
laubnis des  Herren,  mit  oder  ohne  Abgabenpflicht  auf  dem  Stadtboden 
niederlassen.  Sie  treten  aus  der  Sphäre  des  Hofrechtes  in  die  des 
Stadtrechtes,  denn  dem  Hofrecht  untersteht  nur  der,  der  auf  holrecht- 
lichem Boden  seinen  Sitz  hat;  Anteil  am  Stadtrecht  hat  ursprünglich 
nur,  wer  in  der  Stadt  wohnt,  und  zwar  buliche  und  hebliche,  d.  h. 
wer  eigenen  Besitz  und  Teil  an  den  Stadtlasten  hat 6). 

Unfreie  oder  hörige  Bürger,  proprii  cives  oder  burgenses  werden 
in  den  Urkunden  nicht  erwähnt.  Sie  sind  ein  Unding.  In  der  Ur- 
kunde Ottos  des  Kindes,  durch  die  hörig  gewesene  Bürger  vom 
Sterbefall  befreit  werden,  heißt  es  ausdrücklich:  homines,  qui  proprii 
erant7).  In  Goslar8)  und  Braunschweig  darf  kein  Höriger  ins 
Erbe  treten.  Nen  lat  eder  eghene  man  scullet  hir  erve  hebben; 
heft  he  it,  he  scal  it  vorkopen  binnen  eneme  verndele  des  jares,  ofte 
de  rad  wil  es  sik  underwinden  9)  Eine  ähnliche  Bestimmung  findet  sich 
zu  Coesfeld  10).     Die  angeführten  Stellen  beweisen  doch,  daß  es  in  den 

1)  Gengier,   Stadtrechte  S.   184. 

2)  Frensdorff,  Dortmunder  Statuten   S.   120,  n.   148. 

3)  Ebenda. 

4)  Vgl    oben  S.  849. 

5)  Urkuudenbuch  von   Braunschweig  Bd.  I,  n.  82,  S.   218,  §   32. 

6)  Vgl.  unten  Kap    VIII. 

7)  Urkundenbuch  von  Lüneburg  I,  n.  67,  S.  38,  n.  68,  S.  40.  Doebner,  a.  a.  0., 
S.  28. 

8)  Göschen,  Goslarer  Statuten  S.  13,  Z.  30.  Wur  en  erve  oder  herewede  oder 
gherade  besterft,  dar  en  gast  de  neyste  mack  tö  were,  de  nich  vri  were,  de  ne  scal  des 
nicht  nemen :  so  scal  it  nemen  de  de  vri  is  unde  de  neyste  de  sik  von  bort  weghene 
dar  to  ten  mach  mit  rechte. 

9)  Urkundenbuch  von   Braunschweig  I,  n.  44,  S.   39.   §  8. 

10)  dat  nine  eyhene  vulschuldige  luede  nyner  hand  wicbolde  erve  hebben  sollen 
hingen  unsen  wicbolde  tho  Cosfelt.  Erben  kann  nur  in  frier  luede  hand  fallen.  Niesert 
Urkundensammlung  III,  S.   176. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  853 

Städten  keine  unfreien  Bürger  giebt,  sonst  wäre  eine  solche  Bestimmung 
unnütz,  denn  man  kann  doch  nicht  den  Mitbürger  von  der  Erbschaft 
ausschließen1).  Cianz  klar  und  deutlich  sagt  aber  das  Recht  von  Sins- 
heim von  1192 2):  si  quis  autem  dominum  censuarium  in  hoc  ipso 
loco  manentem  septima  manu  convicerit,  censum,  quem  antecessores 
sui  dominis  suis  persolvere  consueverunt,  donet  et  liber  permaneat. 
Auch  nach  dem  Recht  von  Recklingshausen  genießt  der  Bürger,  der 
des  Sterbefalls  pfiichtig  ist,  die  Freiheit:  pretatorum  civium  gaudeat 
übertäte3).     Es  giebt  also  keine  unfreien  Bürger. 

Nach  einzelnen  Stadtrechten,  so  nach  dem  Hammer  Recht  5),  kann 
ein  Höriger  nicht  zu  einem  Vergleich  mit  seinem  früheren  Herrn  ge- 
zwungen werden.  Der  Ausgleich  muß  freiwillig  geschehen.  —  Quicunque 
ad  concivium  opidi  intraverit  domino  contradicente  cogitur  11 11  non  ad 
aliam  responsionem ,  nisi  vel  voluntarius  consentiat  et  debitam  pensio- 
nem  solvat.  Was  ist  nun  für  ein  Grund  vorhanden,  daß  ein  hörig 
gewesener  Bürger  freiwillig  eine  solche  Last  aufnimmt  ?  Auf  diese 
Frage  giebt  Philippi  treffend  Antwort6):  Durch  die  Zahlung  des 
geringen  Zinses  halten  sich  die  früheren  Hörigen  das  Erbrecht  an  dem 
Hote  ihrer  Familie  offen. 

Es  liegt  in  der  Natur  der  Sache,  daß  die  hörig  gewesenen  Bürger 
nicht  in  demselben  Ansehen  standen ,  wie  die  frei  geborenen  Bürger. 
Sie  können  vielfach  nicht,  z.  B.  selbst  in  dem  kleinen  Wernigerode  7), 
in  die  Innungen  aufgenommen  werden  8).  Oft  können  sie  keine  städti- 
schen Ehrenämter  bekleiden  und  vor  allem  nicht  Ratsherren  werden  9). 
In  Bremen10)  wird  im  Jahre  1330  bestimmt:  ok  ne  scal  nen  man 
ratman  wesen,  de  wastins  ofte  hovettins  edder  ervedeil  ghift.  In  dem 
bekannten  Heinrich  dem  Löwen  zugeschriebeneu  Lübecker  Ratsstatut ll) 
heißt  es:  he  scal  sin  godes  ruchtes,  echt  unde  recht  unde   vry  geboren 

1)  Nach  der  alten  Soester  Schroe  verliert  sogar  der  Bürger,  dar  eine  Hörige  freit, 
das  Bürgerrecht :  Wylich  unser  borgere  neme  to  echte  eyn  vulschuldig  wyf,  de  sal  sine 
burscap  dar  mede  vorloren  hebben,  aude  sal  dat  wyf  vry  maken  ande  winnen  dan  dey 
burscap  weder,  doyt  he  es  nicht,  so  scal  he  vorkopen  unsen  bürgeren  al  dat  he  hevet 
in  unser  stat  ande  in  unser  veitmarke  binnen  jare  ande  dage.  Seibertz,  Urkundenbuch 
729,  §   152. 

2)  Gengier,  Stadtrechtsaltertümer  S.  426. 

3)  Ebenda  S.  426. 

4)  Knieke  hält  meine  Ansicht,  dafs  die  Unfreien  kein  Teil  am  Bürgerrecht  haben, 
die  ich  mit  Frensdorff  und  Philippi  teile,    für  irrtümlich.     Knieke.   a    a.  O.,   S.    94,  A.   2. 

5)  Gengier,   Stadtrechte,  S.   184,  §  8. 

6)  Philippi,   Zur  Verfassungsgeschichte  der  Westfäl.   Bischofsstädte,  S.   81. 

7)  Urkundenbuch  von  Wernigerode,  S.  302,  n.  519,  S.  111,  n.  182,  S.  113,  n.  183, 
be  enhebbe  de  borgerschop  unde  sy  echte  und  recht  geboren.  —  Unde  dat  disse  sulve 
N.  leddich  unde  fry  sy  geboren  unde  nemandes  late  edder  eygen  sy  unde  ok  neynes 
bockmullers,  lynewewers,  schepers,  stoevers,  gerndes,  noch  van  Wendescher  edder  ruder- 
scher ard  geboren  sy. 

8)  Vgl.  v.  Maurer,  Städteverfassung,  II,  S.  448. 

9)  Ebenda.  I,  S.  614. 

10)  Bremisches  Urkundenbuch,  II,  n.  312,  S.   313. 

11)  Urkundenbuch  von  Lübeck,  I,  n.  4,  S.  6,  B.  Vgl.  ebenda  A.  Wi  settet  ok, 
dat  men  nemene  te  in  den  rat,  he  ne  si  echt,  van  vrier  bort  unde  nemans  eghen,  unde 
ok  nin  ammet  hebbe  van  heren  unde  ok  si  van  godeme  ruchte  unde  van  ener  vrier 
moder  gheboren,  dhe  nemens  egen  si. 


*354  Willi  Varges, 

unde  besetten  bynnen  der  stat  vri  torfachtig  egen.     Eine  ähnliche  Be- 
stimmung findet  sich  in  Hildesheim  *). 

Wir  wenden  uns  jetzt  zu  den  Vogteileuten2),  den  pfleghaften 
Schatzleuten,  homines  advocaticii 3).  In  späteren  städtischen  Urkunden 
werden  die  Yogteileute  oft  mit  den  Hörigen  und  hörig  gewesenen 
Bürgern  zusammen  genannt,  so  daß  viele  Forscher  bei  der  Frage  nach 
der  Stellung  der  Vogteileute  im  städtischen  Leben  Vogteileute  und 
Hörige  ohne  Unterschied  zusammen  behandeln.  Nun  ist  zunächst  fest- 
zuhalten, daß  die  Vogteileute  vollfreie  Bauern  sind  und  die  Freizügig- 
keit in  vollem  Maße  besitzen.  Erst  nachdem  die  Landesherrn  diesem 
freien  Landbewohner  im  12.  und  13.  Jahrhundert  als  Ersatz  für  nicht 
mehr  geleistete  Kriegsdienste  die  Zahlung  einer  Wehrsteuer,  die  unter 
dem  verschiedensten  Namen  auftritt,  aufgelegt  haben,  wird  ein  Versuch 
von  den  Landesherrn  gemacht ,  die  Freizügigkeit  zu  beschränken 4) 
um  eben  dieser  Steuer  nicht  verlustig  zu  gehen.  Die  Herren  machen 
die  Auswanderung  von  ihrer  Erlaubnis  abhängig  5).  Meist  erteilen  sie 
dieselbe  nur,  wenn  sich  der  Vogtmann  verpflichtet,  die  Abgabe  weiter 
zu  bezahlen 6).  Wandert  der  Vogtmann  ohne  Erlaubnis  des  Herren 
aus,  so  tritt  dasselbe  Verfahren,  wie  bei  den  Hörigen  ein,  der  Herr 
kann  binnen  Jahr  und  Tag  nachfolgen  und  die  Auslieferung  bewirken  7). 
Meist  tritt  aber  auch  hier  ein  Vergleich  ein.  Es  handelt  sich  zunächst 
um  die  Auswanderung  in  ein  anderes  Territorium,  denn  innerhalb  der 
Landesgrenzen  bleibt  jeder  Vogtmann  dem  Landesherrn  zu  der  Heer- 
steuer  verpflichtet8).  Als  ein  fremdes  Territorium  werden  aber  in 
gewissem  Sinne  auch  die  Städte  angesehen ,  auch  wenn  sie  innerhalb 
der  Landesgrenzen  liegen.  Einzelnen  Städten  ist,  wie  oben  gezeigt 
ist 9),  nie  der  Schoß  auferlegt  worden ,  denn  rechtlich  schließt  der 
Kriegsdienst  der  Bürger  die  Schoßpflicht,  die  ja  nichts  anderes  als 
eine  Wehrsteuer  ist,  aus  *  °).  Anderen  Städten  ist  auf  dem  Wege  des 
Privilegs  der  Schoß  erlassen  oder  zum  Nutzen  der  Stadt  meist  durch 
Kauf,  überlassen  1X).  Alle  Städte  aber  bezahlen,  da  die  Steuer  Gemeinde- 

1)  Urkundenbuch  von  Hildesheim,  n.   609. 

2)  Vgl.  v.  Below,  Histor.  Ztschr.,  58,  S.  195  fi.  Landst.  Verfassung,  I,  S.  26,  A.  90, 
S.  62,  III,  S.  5  ff .  Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften.  Zeumer,  Städtesteuern,  S.  3, 
11,  18.  Niepmann,  Die  direkten  Staatssteuern  von  Kleve  und  Mark,  S.  26.  Waitz,  Ver- 
fassungsgeschichte, Bd.  IV,  S.  119,  171  ff.  Vgl.  meinen  Aufs.  Entstehung  der  Stadt  Braun- 
schweig, a.  a.   O.,   S.   119. 

3)  Der  Name  Vogtleute  kommt  zuerst  m.  W.  im  Landfrieden  von  1179  vor.  Böhmer, 
acta  imperii,  n.  138.  Vgl.  v.  Below,  Landst.  Verf.,  III,  S.  9,  A.  18.  Waitz,  Verfassungs- 
geschichte, V.  253,  A.  4.  Lacomblet,  Urkundenbuch,  I,  n.  483.  Ueber  Vogtgut  vgl.  Knieke, 
a.  a.  O  ,   S.  43,  A.   2. 

4)  Vgl.  Schroeder,  Rechtsgeschichte,  S.  212,  439.  Lamprecht,  Wirtschaftsgeschichte, 
I,  872,  1212.  Knieke,  a.  a.  O.,  S.  44.  Grimm,  Weistümer,  III,  843,  IV,  575,  580,  29, 
720,  17,  V,  114,  51.  Ueber  die  Veräufserung  von  Vogtgut  vgl.  v.  Below,  Landständ. 
Verf.,  III,  S.   9  u.  A.  21.     Knieke,  a    a.  O.,  S.  44. 

5)  v.  Below,  Landst.  Verf.,  III,  S.  9.  Grimm,  Weistümer,  VII,  S.  328. 
6}  v.  Below,  a.  a.  O.,  S.  10  u.  A.  22. 

71  Ebenda. 

8)  v.  Below,  a.  a.  O.,  S.  10. 

9)  Aufs.,  I,  S.  176. 

10)  Niepmann,  a.  a.   0.,  S.   14  ff. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  855 

last  ist,  nur  eine  bestimmte  Summe  als  Schoß,  die  mit  der  Zahl  der 
Einwohner  der  Stadt  nichts  zu  thun  hat.  Oft  ist  diese  Summe  sehr 
gering,  denn  sie  wurde  meist  der  Gemeinde  auferlegt,  als  die  Stadt 
noch  unbedeutend  war.  In  jedem  Falle  bedeutet  nun  die  Einwande- 
rung eines  Vogtmatins  in  die  Stadt  eine  Schädigung  der  Einkünfte 
des  Landesherrn,  während  dem  Bürger  die  Abgabenpflicht  gemildert 
wird.  Die  Landesherrn  haben  daher  die  Niederlassung  von  Vogtleuten 
in  den  Städten  ihres  Territoriums  von  ihrer  Einwilligung  abhängig 
gemacht.  So  bestimmt  das  Privileg  für  Kleve  von  1242  »),  ut  .  .  . 
aliquos  advocatie  nostre  pertinentes,  .  .  .  nisi  de  .  .  nostra  .  .  volun- 
tate  admittant.  Für  Ratingen  wird  1276  festgesetzt2):  nee  aliquem 
homiuem  nostrum  nostrae  advocatie  attinentem,  qui  nobis  exaetiones 
solvere  consuevit,  in  suum  colligent  coopidanum,  nisi  nostrae  benepla- 
citae  fuerit  voluntatis.  Zuweilen  verbieten  die  Herren  geradezu  die 
Aufnahme  von  Vogteileuteu  in  den  Städten,  so  in  München  3).  Auch 
aus  dem  Vertrag,  der  1278  zwischen  Eberhard  von  der  Mark  und 
Erzbisehof  Siegfried  von  Köln  geschlossen  wurde,  geht  das  hervor4). 
Die  Niederlassung  in  den  Städten  wird  dem  Vogtmann  in  der  Regel 
gestattet,  wenn  er  sich  verpflichtet  die  schuldige  Steuer  auch  weiter 
zu  bezahlen.  In  Winterthur  muß  der  Vogtmaun  dem  Herrn  dienen 
nach  der  vogteigrecht 5).  In  Regensbnrg  entrichtet  derselbe  nulla  post 
niodum  advocato  servitia  per  coactionem,  sed  tantummodo  certum  et 
ab  antiquo  determinatum  servitium  exsolvet 6).  Die  Herren  suchten 
ihre  Rechte  auf  den  auswandernden  Vogtmann  vielfach  durch  gegen- 
seitige Verträge  zu  sichern.  So  wird  1387  7)  in  einem  Vertrag  zwischen 
dem  Grafen  Engelbert  von  der  Mark  und  dem  Herzog  Wilhelm  von 
Berg  bestimmt,  daß  die  beiderseitigen  Vogtleute  frei  sein  sollen  von 
Schätzung  und  Bede  in  dem  Gebiete  ihres  Wohnsitzes,  aber  ihren 
früheren  Herren  zu  diesen  Abgaben  verpflichtet  bleiben.  Zahlen  die 
Vogtleute  die  Steuern  nicht,  so  sollen  die  beiderseitigen  Amtleute  die 
Abgaben  für  die  Herren  eintreiben.  Zuweilen  verzichten  zwei  Landes- 
herren auf  die  beiderseitigen  Hörigen  8).  Zuweilen  tritt  nun  auch  bei 
den  Vogteileuten  eine  Milderung  in  der  Abgabenpflicht  ein.  In  Lin- 
dau und  Sinsheim  wird  z.  B.  dem  Herrn  nur  ein  Anrecht  auf  einen 
Teil  des  Nachlasses  zugestanden.  In  Lindau  gilt  der  Satz9):  Item  si 
aliquis  homo  advocaticius  in  ipsorum  civitate  est  residens,  advocato 
de  sua  persona  aliquod  servitium  facere  non  tenetur;  si  autem  idem 
homo  advocaticius  vitam  carnis  ingressus  fuit,  universae  ecclesiae,  ad 
quam  speetare  videtur,   quiequid  juris   eadem  ecclesia  in  ipso  vel  in 


1)  Lacomblet,  a.  a.  0.,  II,  S.   136,  n.  265 

2)  Ebenda,  S.   407,  n.  696. 

3)  Gengier,  Stadtrechte,   S.   293,  §   14. 

4)  Kindlinger,  Hörigkeit  n.  40.     Knieke  a.  a.  O.,  S.  47. 

5)  Gengier,  Stadtrechtsaltertiimer,   S.   409. 

6)  Gengier,  Stadtrechte,  S.  395,  §  21. 

7)  Lacomblet,  Urkundenbuch,  III,  921.  Niepmann,  a.  a.  0.,  S.  28.     Knieke,  a.  a.  O., 
47. 

8)  Lacomblet,  a.  a.  O.,  IV,  n.  373,  II,  n.  651.  v.  Below,  Landst.  Verf.,  III,  S.  10. 

9)  Gengier,   Stadtrechte,  S.   254,  §  7. 


856  Willi  Varges, 

aliis,  qui  sunt  ejusdem  conditionis,  habere  videtur,  dabitur  sine  dolo. 
Für  Sinsheim  *)  wird  bestimmt:  si  moriatur  et  advocatum  habueritr 
ille  optimam  vestem  recipiat. 

Im  großen  und  ganzen  finden  sich  Bestimmungen  über  die  Auf- 
nahme von  Vogteileuten  nur  selten  in  den  Stadtrechten 2).  In  der 
Regel  wird  der  Vogtmann,  der  im  Besitz  der  Freiheit  und  Freizügig- 
keit ist,  zum  Bürgerrecht  ohne  jede  Beschränkung  aufgenommen. 
Verschiedene  Stadtrechte  sprechen  sogar  ausdrücklich  aus,  daß  Bürger- 
recht und  vogteiliche  Abgabe  sich  nicht  mit  einander  vertragen.  Sa 
sagt  das  Nürnberger  Privileg  Friedrichs  IL  von  1219  3)  in  seinen  Au- 
fangsparagraphen :  Quilibet  ejusdem  loci  civis  nulluni  habere  debeat 
advocatum,  preterquam  nos  et  nostros  successores  Romanorum  Reges 
et  Imperatores.  Item  quieunque  civis  ante  dicte  civitatis  fecerit  se 
alieujus  muntman,  tarn  civis  ille  quam  qui  hoc  modo  reeeperit  eum, 
gratiam  nostram  demeruit,  et  in  utroque  pax  non  violatur. 

Es  findet  sich  auch  hier 4),  daß  die  Landesherren  die  Aufnahme 
der  Vogteileute  anderer  Herren  in  den  Städten  möglichst  erleichtern. 
Bezeichnend  ist  hierfür  das  Privileg  für  Mülheim  am  Rhein  von  1322, 
in  dem  es  heißt5):  Item  est  condictum,  quod  ipsi  oppidani  nostri 
neminem  de  terra  nostra  in  eorum  libertatem  reeipient  ad  manendum 
nisi  procedat  de  voluntate  nostra  et  consensu,  et  si  quis  alienus  in- 
trare  voluerit  eorum  libertatem  ad  manendum,  illum  licite  suseipere 
poterunt  pro  jure  eorum  persolvendo.  — 

Auf  die  Einwanderung  von  Bürgern  anderer  Städte  in  die  Städte, 
die  zahlreich  vorkommt,  braucht  nicht  näher  eingegangen  zu  werden. 
Die  Bürger  aller  Städte  bilden  einen  Stand.  In  der  ältesten  Zeit  der 
deutschen  Städteentwickelung  sind  auch  zahlreiche  Landfremde  in  den 
deutschen  Bürgerstand  aufgenommen,  bezw.  in  demselben  aufgegangen  6). 
In  der  ältesten  Zeit  waren  es  meist  fremde  Kaufleute,  die  sich  in  den 
deutschen  Handelsorten  niederließen,  vor  allem  Lombarden,  Wälsche, 
Romanen  und  Friesen.  So  wird  in  Goslar  1188  ein  Teil  der  Stadt 
als  villa  Romana  bezeichnet7).  In  Regensburg  werden  ebenfalls  Ro- 
manen und  Wälsche  erwähnt 8).  In  Basel  gab  es  eine  Lamparter- 
straße9),  in  Wien  eine  Wallichstraße1").  Auch  in  Bingen  wohnen 
Lombarden11).     In  Mainz  haben   sich  früh  Friesen  niedergelassen12). 

1)  GeDgler,  Stadtrechtsaltertümer,   S.  425. 

2)  Vgl.  auch   Knieke,  a.   a.  O.   S.  45. 

3)  Gengier,  Stadtrechte  S.  322. 

4)  Vgl.  oben  S.  845. 

5)  Lacomblet,  a.  a.   O.  8.   164,  n.   189. 

6)  v.   Maurer,  Städteverfassung  I,  S.   403,  §   107. 

7)  Urkundenbuch  von  Goslar,  I,  n.  320,  S.  354.  in  parte  burgi  Goslarie,  quam 
villam  Romanam  dieunt.     Vgl.   n.  351,   S.   377. 

8)  v.   Maurer,  a.  a.   0.  I,  S.  405.     Gengier,  Stadtrechtsaltertümer  S.  96. 

9)  Gengier,  a.  a.  O.  S.  96. 

10)  Ebenda,  S.  96. 

11)  v.  Maurer,  a.  a.  O.  S.  405. 

12)  Ebenda,  S.  404.  annal.  Fuld.  ad  886.  Pertz,  I,  403.  optima  pars  Mogontiae 
civitatis,  ubi  Frisones  habitabant.  üeber  Frisones  und  Galli  in  Soest  vgl.  Gengier, 
Stadtrechte,  S.  441,  §  13. 


Zur  Entstehung  der  deutschen  Stadtverfassung.  857 

Neben  diesen  Romanen,  Wälschen  und  Friesen  spielen  die  Juden,  auf 
die  wir  unten  eingehen,  als  Kaufleute  eine  große  Rolle.  —  In  späterer 
Zeit,  als  sich  in  Deutschland  selbst  ein  Kaufmaunsstand  ausgebildet 
hat,  sind  es  besonders  fremde  Gewerbetreibende,  die  sich  in  den 
Städten  ansiedeln  oder  zur  Einführung  eines  bestimmten  Industrie- 
zweiges angesiedelt  werden.  Es  sind  hier  besonders  Flamländer,  Fla- 
mingi,  Frisones  zu  erwähnen.  So  werden  im  Hagen  und  in  der  Wik 
von  Braunschweig  Flamländer  und  Friesen  angesiedelt,  um  daselbst 
die  Tuchweberei  einzufuhren  x).  Ein  gleicher  Vorgang  wird  von 
Hildesheim  berichtet 2).  Die  Flamländer  lebten  zunächst  unter  eigenem 
Recht,  verschmolzen  aber  bald  mit  den  anderen  Bürgern  3).  Engländer 
haben  sich  in  Lübeck  niedergelassen4).  Wenden  oder  Slawen  sind  nur 
selten  aufgenommen.  In  Lüneburg  und  Lemgo  wird  eine  Wenden-  und 
Slaveustraße  erwähnt 5).  Man  kann  daraus  aber  noch  nicht  auf 
wendische  Ansiedler  schließen.  In  Wernigerode  tritt  im  13.  Jahr- 
hundert eine  angesehene  Familie  auf,  deren  Name  Kolit,  später  in 
Semele  verdeutscht,  auf  slavische  Abkunft  deutet 6).  Meist  versagen 
die  Städte  den  Wenden  die  Aufnahme  ins  Bürgerrecht  und  in  die 
Innungen,  so  gilt  in  Hamburg  bis  in  unser  Jahrhundert  (1811)  die 
Bestimmung,  daß  kein  Bürger  leibeigen  noch  von  wendischer  Abkunft 
sein  darf 7).  In  Lübeck  8)  dagegen  wird  dem  Rate  ausdrücklich  gestattet, 
Wenden,  die  sonst  auch  nach  dem  Rechte  dieser  Stadt  als  unfrei,  den 
Deutschen  unebenbürtig  und  im  Recht  durchaus  zurückgesetzt  er- 
scheinen, als  Bürger  aufzunehmen,  wenn  sie  dessen  würdig  sind. 
Were  over  dat  eyn  wend  des  werdich  were  dat  he  borgher  worden 
vere,  de  scal  bliven  lyke  borgher  rechte,  heißt  in  den  Lübecker 
Statuten. 


1)  Vgl.  meinen  Aufs.    Entstehung    der    Stadt    Braunschweig    a.    a.  0.  S.   113,    und 
meine  Arbeit  Gerichtsverfassung  S.   15  ff. 

2)  Urkundeubuch  von   Hildesheim  I,  n.  49,  S.   22. 

3)  Gerichtsverfassung  a.   a.   O.   S.    21. 

4)  Pauli,  Lübeckische  Zustände  I,   S.  37.     Gengier,  Stadtrechtsaltertümer  S.  96. 

5)  Gengier,  Stadtrechtsaltertiimer  S.   96. 

6)  Jacobs,  Festschrift  des  Harzvereins   1893,  S.  20. 

7)  Lappenberg,    Kechtsaltertümer    p.    XLIII.      Frensdorff,    Stadtverfassung    Lübecks 
S.  194. 

8)  Hach,  Das  alte  Lübische  Recht,  S.  322,  c.  110,  A.  8.     Frensdorff,  a.  a.  O.  S.  194 
u.  A.  22. 

(Schlufs  folgt.) 


g58  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung. 
x. 

Preufsisches  Gesetz  wegen  Aufhebung  direkter  Staatssteuern. 

Vom    14.  Juli   1893. 

§  1.  Behufs  Erleichterung  und  anderweitiger  .Regelung  der  öffent- 
lichen Lasten  der  Gemeinden  (Gutsbezirke)  werden  die  folgenden  direkten 
Staatssteuern  gegenüber  der  Staatskasse  aufser  Hebung  gesetzt: 

1)  die  nach  den  Gesetzen  vom  21.  Mai  1861  (Gesetz-Samml.  S.  253 
und  317)  sowie  nach  den  hierzu  ergangenen  ergänzenden  und  abändern- 
den Gesetzen  veranlagte  Grund-  und  Gebäudesteuer, 

2)  die  nach  dem  Gesetze  vom  24.  Juni  1891  (Gesetz-Samml.  S.  205) 
veranlagte  Gewerbe-  und  Betriebssteuer. 

§  2.     Ferner  werden  aufser  Hebung  gesetzt : 

1)  die  von  den  Bergwerken  in  den  älteren  rechtsrheinischen  Landes- 
teilen zu  entrichtende  Aufsichtssteuer  und  Bergwerksabgabe  (Gesetz  über 
die  Besteuerung  der  Bergwerke  für  den  ganzen  Umfang  der  Monarchie, 
mit  Ausnahme  der  auf  dem  linken  Bheinufer  belegenen  Landesteile,  vom 
12.  Mai  1851,  §  8  —  Gesetz-Samml.  S.  261  — ,  Gesetz,  die  Bergwerks- 
abgaben betreffend,  vom  20.  Oktober  1862,  §  4  — ,  Gesetz-Samml.  S.  351  — ), 

2)  die  in  den  übrigen  Landesteilen  zu  entrichtende  Bergwerksab- 
gabe (Gesetz,  die  Bergwerksabgaben  betreffend,  vom  20.  Oktober  1862, 
§  6 ;  Verordnungen  für  das  Gebiet  des  vormaligen  Königreichs  Hannover, 
vom  8.  Mai  1867,  Artikel  XXI  —  Gesetz-Samml.  S.  601  — ,  für  das 
Gebiet  des  vormaligen  Kurfürstentums  Hessen,  die  Stadt  Frankfurt  und 
die  vormals  Königlich  bayerischen  Gebietsteile,  vom  1.  Juni  1867  Ar- 
tikel XVII  — "  Gesetz-Samml.  S.  770  — ,  für  das  vormalige  Herzogtum 
Nassau,  die  vormals  Grofsherzoglich  hessischen  Landesteile  und  die  vor- 
malige Landgrafschaft  Hessen-Homburg  einschliefslich  des  Ober-Amts- 
bezirks Meisenheim,  vom  1.  Juni  1867  ,  Artikel  I  §  2  —  Gesetz-Samml. 
S.  802 — ;  Gesetz,  betreffend  die  Einführung  des  Allgemeinen  Berggesetzes 
vom  24.  Juni  1865  in  das  Gebiet  des  Herzogtums  Lauenburg,  vom  6.  Mai 
1868,  Artikel  VII  —  Offizielles  "Wochenblatt  für  das  Herzogtum  Lauen- 
burg für  1868  Nr.  36  — ;  Gesetz,  betreffend  die  Einführung  des  Allge- 
meinen Berggesetzes    vom  24.  Juni   1865  in  das  Gebiet  der  Herzogtümer 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  359 

Schleswig  und  Holstein,  vom  12.  März  1869,  Artikel  IX  —  Gesetz-Samml. 
S.  453—). 

§  3.  Die  Vorschriften  der  in  den  §§  1  und  2  bezeichneten  Gesetze 
bleiben,  soweit  nicht  in  dem  gegenwärtigen  Gesetz  und  in  dem  Kommu- 
nalabgabengesetz  Abweichendes  bestimmt  ist,  in   Kraft. 

Die  Veranlagung  und  Verwaltung  der  Grund-  und  Gebäude-  und 
Gewerbesteuer  wird,  soweit  nicht  in  dem  gegenwärtigen  Gesetz  Abweichen- 
des bestimmt  ist,  unter  Aufrechterhaltung  der  dieserhalb  bestehenden  gesetz- 
lichen Einrichtungen  vom  Staat  für  die  Zwecke  der  kommunalen  Besteue- 
rung ausgeführt.  Die  landständische  Mitwirkung  bei  der  Verwaltung  der 
Grundsteuer  innerhalb  des  kommunalständischen  Verbandes  der  Oberlausitz 
(Gesetz,  betreffend  die  definitive  Unterverteilung  und  Erhebung  der  Grund- 
steuer u.  s.  w.,  vom  8.  Februar  1867,  §  49  —  Gesetz-Samml.  S.  185  — ) 
wird  hierdurch  nicht  berührt. 

§  4.  Die  Veranlagung  (§  3)  ist  auf  diejenigen  Liegenschaften,  Ge- 
bäude und  Gewerbebetriebe  auszudehnen  ,  welche  von  der  entsprechenden 
Staatssteuer  freigeblieben,  aber  gemäfs  den  Bestimmungen  des  Kommunal- 
abgabengesetzes der  Kommunalsteuerpflicht  unterworfen   sind. 

Für  die  Veranlagung  gelten,  soweit  nicht  in  dem  gegenwärtigen  Gesetz 
und  in  dem  Kommunalabgabengesetz  Abweichendes  bestimmt  ist,  die  all- 
gemeinen gesetzlichen  Vorschriften,  welche  bei  der  Heranziehung  zu  den 
entsprechenden  Staatssteuern  anzuwenden  gewesen  sein  wurden.  Insbe- 
sondere sind  gegen  die  Veranlagung  dieselben  Rechtsmittel  zulässig,  mit 
denen  die  Veranlagung  der  entsprechenden  Staatssteuer  hätte  angefochten 
werden   können. 

§  5.  Die  bestehenden  gesetzlichen  Bestimmungen ,  welche  von  der 
Veranlagung  der  im  §  1  Nr.  1  und  2  bezeichneten  Steuern  oder  von  ein- 
zelnen derselben  anderweitige  Rechtsfolgen,  insbesondere  die  Begründung 
von  Rechten  oder  Pflichten  abhängig  machen,  bleiben  aufrecht  erhalten; 
soweit  hierbei  die  Entrichtung  solcher  Steuern  vorausgesetzt  wird,  treten 
an   die  Stelle    der  zu  entrichtenden   die  veranlagten   Beträge. 

Auf  die  Bestimmungen  im  §  9 1  Nr.  4  des  Einkommensteuergesetzes 
vom  24.  Juni  1891  (Gesetz-Samml.  S.  175)  findet  diese  Vorschrift  keine 
Anwendung. 

Die  Vorschrift  findet  gleichfalls  keine  Anwendung  auf  die  Bildung 
der  Urwählerabteilungen  für  die  Wahlen  zum  Hause  der  Abgeordneten, 
lieber  diese  sowie  die  Bildung  der  Wählerabteilungen  für  die  Wahl  von 
Gemeindevertretungen   ergeht  besondere  gesetzliche  Bestimmung. 

§  6.  Die  für  die  Provinzen  Rheinland  und  Westfalen  bestohenden 
besonderen  Vorschriften  über  den  Grundsteuerdeckungsfonds  und  den  Fonds 
zur  Erhaltung  und  Erneuerung  des  Katasters  (Grundsteuergesetz  für  die 
westlichen  Provinzen  vom  21.  Januar  1839  §  2  zu  b  und  c,  §§  4 ,  44 
bis  48  —  Gesetz-Samml.  S.  30  — ,  Verordnung,  betreffend  die  Feststel- 
lung und  Unterverteilung  der  Grundsteuer  in  den  beiden  westlichen  Pro- 
vinzen vom  12.  Dezember  1864  §§  3,  4,  21  —  Gesetz-Samml.  S.  683  — ) 
treten  aufser  Kraft. 

An  Stelle  dieser  Vorschriften  treten  die  in  den  übrigen  Landesteilen 
geltenden  allgemeinen  Bestimmungen. 


gß0  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Mit  der  Auflösung  der  Fonds  gehen  die  Bestände,  sowie  die  alsdann 
noch  bestehenden  Forderungen  und  Verpflichtungen 

a)  des  Grundsteuerdeckungsfonds  auf  die  Kreise  der  betreffenden  Regie- 
rungsbezirke nach   Alufsgabe  der  veranlagten   Grundsteuer, 

b)  des    Fonds    zur    Erhaltung    und    Erneuerung    des    Katasters    auf    die 
Staatskasse 

über. 

§  7.  Die  auf  die  Aufbewahrung  der  Kopien  der  Katasterdokumente 
und  auf  die  Erteilung  beglaubigter  Auszüge  aus  denselben  bezüglichen 
Bestimmungen  im  Artikel  II  des  Gesetzes  über  die  Veräufserung  und 
hypothekarische  Belastung  von  Grundstücken  im  Geltungsbereiche  des 
Rheinischen  Rechts  vom  20.  Mai  1885  (Gesetz-Samml.  S.  139)  werden 
auf  die  übrigen  Teile  der  Rheinprovinz  und  auf  die  Provinz  Westfalen 
ausgedehnt. 

§  8.  Soweit  die  Bestrafung  von  Zuwiderhandlungen  gegen  die  Vor- 
schriften über  die  Grund-,  Gebäude-  und  Gewerbesteuer  von  der  Vorent- 
haltung oder  von  dem  Verlust  der  Steuer  gegenüber  dem  Staat  abhängig 
gemacht  ist  (Gebäudesteuergesetz  vom  21.  Mai  1861  §  17  Abs.  3;  Gesetz, 
betreffend  die  definitive  Unterverteilung  und  Erhebung  der  Grundsteuer 
in  den  sechs  östlichen  Provinzen,  vom  8.  Februar  1867,  §  34  Abs.  3f 
Gesetz  ,  betreffend  die  Ausführung  der  anderweiten  Regelung  der  Grund- 
steuer in  den  Provinzen  Schleswig-Holstein,  Hannover  und  Hessen-Nassau, 
sowie  in  dem  Kreise  Meisenheim,  vom  11.  Februar  1870  §  1  —  Gesetz- 
Samml.  S.  85  — ,  Gewerbesteuergesetz  vom  24.  Juni  1891,  §  70),  gilt 
als  vorenthalten  (verloren)  derjenige  Betrag,  welcher  im  Falle  fortdauern- 
der Hebung  der  Steuer  zur  Staatskasse  nach  Mafsgabe  der  Veranlagung 
(§   3   Abs.   2,   §  4)  zu  entrichten  gewesen  sein  würde. 

Die  im  §  17  Absatz  3  des  Gebäudesteuergesetzes  vom  21.  Mai  1861 
bestimmte  dreimonatige  Anmeldefrist  für  neuentstandene  Gebäude  (§15 
zu  4  a.  a.  0.),  desgleichen  für  wesentliche  Verbesserungen  von  Gebäuden, 
sowie  Vergröfserungen  der  zu  ihnen  gehörigen  Hofräume  und  Hausgärten 
(§  15  zu  5  a.  a.  0.)  beginnt  mit  dem  Ablauf  des  Rechnungsjahres,  in 
welchem  die  Veränderung  eingetreten  ist. 

§  9.  Zum  Bezüge  von  Nachsteuern  (Gebäudesteuergesetz  vom  21.  Mai 
1861  §  17  Abs.  4;  Gesetz  vom  8.  Februar  1867  §  34  Abs.  4;  Gesetz 
vom  11.  Februar  1870  §  1;  Gewerbesteuergesetz  vom  24.  Juni  1891 
§§  70,  78)  ist  diejenige  Gemeinde  berechtigt,  welcher  nach  den  Bestim- 
mungen des  Kommunalabgabengesetzes  das  entsprechende  Steueraufkom- 
men zusteht. 

§  10.  Die  Bestimmungen  im  §  81  des  Gewerbesteuergesetzes  vom 
24.  Juni   1891   werden  aufgehoben. 

Das  Aufhören  eines  steuerpflichtigen  Gewerbes  ist  nicht  der  Hebe- 
stelle (§  58  Absatz  1  a.  a.  0.),  sondern  dem  Vorsitzenden  des  für  die 
Veranlagung  zuständigen  Steuerausschusses  anzuzeigen. 

§  11.  Die  Hebung  und  Beitreibung  der  Grund-,  Gebäude-  und  Ge- 
werbesteuer liegt  derjenigen  Gemeinde  ob,  welche  nach  den  Bestimmungen 
des  Kommunalabgabengesetzes  zum  Bezüge  des  entsprechenden  Steuerauf- 
kommens berechtigt  ist. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  &Qi 

Die  Ausfälle  treffen  die  Gemeindekasse.  Die  Ermächtigung  zum  Erlasse 
und  zur  Ermäfsigung  veranlagter  Steuern  (Gesetz,  betreffend  den  Erlafs 
oder  die  Ermäßigung  der  Grundsteuer  infolge  von  Ueberschwemmungen, 
vom  15.  April  1889,  §  1  Nr.  1  —  Gesetz-Samml.  S.  99  — ,  Gewerbe- 
steuergesetz vom  24.  Juni  1891   §§  44,  45)  geht  auf  die    Gemeinden  über. 

Die  gesetzlichen  Bestimmungen  über  Ansprüche  der  Gemeinden  auf 
Mitverwaltung  ihrer  Kassen  durch  staatliche  Kassenbeamte  (Gemeindeord- 
nung für  die  llheinprovinz  vom  2  3.  Juli  1845  §§79,  106  —  Gesetz- 
Samml.  S.  523  — ,  Landgemeindeordnung  für  die  Provinz  Westfalen  vom 
19.  März  1856  §§  44,  73  —  Gesetz-Samml.  8.  265  — )  werden  auf- 
gehoben. 

§  12.  Die  auf  die  Betriebssteuer  bezüglichen  Vorschriften  des  Ge- 
werbesteuergesetzes vom  24.  Juni  1891  gelangen  nach  Mafsgabe  folgen- 
der Bestimmungen  zur  Anwendung: 

1)  Erstreckt  sich  ein  betriebssteuerpflichtiges  Gewerbe  über  mehrere 
Kreise,  so  ist  für  jeden  dieser  Kreise  die  Hälfte  der  im  §  60  Nr.  1  und  2 
a.  a.  0.  bestimmten  Steuersätze  zu  entrichten.  Auf  die  im  §  60  Abs.  2 
a.  a.  0.  bezeichneten  Betriebsstätten  findet  diese  Bestimmung  keine  An- 
wendung. 

2)  Die  Betriebssteuer  wird  in  den  Landkreisen  vom  Landrat,  in  den 
Stadtkreisen  vom  Gemeindevorstande,  in  Berlin  von  der  Direktion  für  die 
Verwaltung  der  direkten   Steuern  festgestellt. 

Diesen  Behörden  stehen  auch  die  Befugnis  zur  Herabsetzung  der 
Betriebssteuer  gemäfs  §  61  und  die  anderweite  Feststellung  gemäfs  §  65 
Absatz   2   a.   a.   0.   zu. 

3)  Die  Betriebssteuer  ist  binnen  zwei  Wochen  nach  erfolgter  Behän- 
digung  der  Steuerzuschrift  in  einer  Summe  zu  entrichten. 

Die  im  §  51  a.  a.  0.  bezeichneten  Steuerpflichtigen  haben  die  Steuer 
vor  Eröffnung  des  Betriebes  zu  entrichten,  oder,  falls  bis  dahin  die  Steuer- 
zuschrift noch  nicht  behändigt  ist,  einen  von  dem  Gemeinde- (Guts-)  Vor- 
stande zu  bestimmenden  Geldbetrag  bei  der  gleichzeitig  zu  bezeichnenden 
Kasse  zur  Deckung  dar  Steuer  zu  hinterlegen ,  widrigenfalls  ihnen  die 
Ausübung  des  Betriebes  nach  Mafsgabe  des  §  63  a.  a.  0.  untersagt  werden 
kann. 

§  13.  Die  Gemeinden  (Gutsbezirke)  haben  die  Betriebssteuer  iu  den 
veranlagten  Beträgen  (§  12)  von  den  Pflichtigen  ihres  Bezirks  zu  erheben. 

Die  Gemeinden  (Gutsbezirke)  der  Landkreise  haben  die  erhobenen 
Beträge  am  Schlüsse  eines  jeden  Vierteljahrs  an  die  Kreiskommunalkasse 
abzuführen. 

Sofern  die  Gemeinden  nach  den  Bestimmungen  des  Kommunalabgaben- 
gesetzes besondere  Betriebssteuern  eingeführt  haben,  müssen  sie  denjenigen 
Betrag,  welcher  sich  bei  Anwendung  der  Bestimmungen  der  §§  60  bis  69 
des  Gewerbesteuergesetses  vom  24.  Juni  1891  und  des  §  12  des  gegen- 
wärtigen Gesetzes  ergeben    würde,   an    die  Kreiskommunalkasse    abführen. 

Die  Kreise  haben  das  ihnen  zufiiefsende  Aufkommen  der  Betriebs- 
steuer (Absatz  2  und  3)    zur  Bestreitung    ihrer  Ausgaben    zu  verwenden. 

§   14.     Die    Kosten    der    Veranlagung    und    Verwaltung    der    Steuern 


gß2  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

(§  3  Abs.  2,  §  4)    werden,    soweit   sie    nicht   durch    die    den    Gemeinden 
hierbei  übertragenen  Geschäfte    entstehen ,    aus    der  Staatskasse  bestritten. 

Das  Aufkommen  an  Gebühren,  Kosten  und  Strafen  im  Bereich  der 
Grund-,   Gebäude-  und  Gewerbe-(Betriebs-)Steuer  fliefst  in  die  Staatskasse. 

Sofern  im  Bereich  der  Katasterverwaltung  die  Ausführung  von  Neu- 
messungen ganzer  Gemarkungen  oder  gröfserer  Teile  von  solchen  seitens 
einer  Gemeiude  oder  der  beteiligten  Grundbesitzer  beantragt  wird,  oder 
vorzugsweise  der  Gemeinde  oder  den  beteiligten  Grundbesitzern  zum  Vorteil 
gereicht,  kann  die  Ausführung  des  Finanzministers  von  der  Entrichtung 
eines  seitens  der  Gemeinde  oder  der  beteiligten  Grundbesitzer  zu  leisten- 
den Beitrags  zu  den   Kosten    der  Neumessung    abhängig    gemacht    werden. 

§  15.  Die  Kosten  der  Hebung  und  Beitreibung  der  Steuern  (§§  11, 
13)   sind   von  den   Gemeinden   zu  tragen. 

Die  gesetzlichen  Bestimmungen  über  die  Verpflichtung  der  Grund- 
steuerpflichtigen  zur  Entrichtung  von  Beischlägen  behufs  Bestreitung  der 
Elementarerhebungskosten  (Grundsteuergesetz  für  die  westlichen  Provinzen 
vom  21.  Januar  1839  §§  2  a,  3;  Gesetz  vom  11.  Februar  1870  §  11) 
werden   aufgehoben. 

§  16.  Die  gesetzlichen  Bestimmungen  über  die  Ansprüche  der  Ge- 
meinden (Gutsbezirke)  auf  den  Bezug  von  Vergütungen  für  die  bei  Ver- 
anlagung der  Gewerbesteuer  und  der  Einkommensteuer  ihnen  übertragenen 
Geschäfte  (Gewerbesteuergesetz  vom  24.  Juni  1891  §  75  Absatz  1;  Ein- 
kommensteuergesetz vom  24.  Juni  1891  §  73  Absatz  1)  treten  aufser 
Kraft. 

Durch  Königliche  Verordnung  kann  den  Gemeinden  und  selbständigen 
Gutsbezirken  die  Verpflichtung  auferlegt  werden,  in  ihren  Bezirken  die 
Elementarerhebung  der  sämtlichen  direkten  Staatssteuern,  der  Domänen-, 
Rentenbank-  und  Grundsteuerentschädigungsrenten,  sowie  die  Abführung 
der  erhotenen  Beträge  an  die  zuständigen  Staatskassen  ohne  Vergütung 
zu  bewirken. 

§  17.  Ansprüche  auf  Grundsteuerentschädigung  aus  den  §§  1,  15 
bis  17  des  Gesetzes  vom  11.  Februar  1870  und  aus  dem  Grundsteuer- 
entschädigungsgesetze vom  21.  Mai  1861  —  Gesetz-Samml.  S.  327  — 
sowie  auf  sonstige,  seitens  des  Staats  zu  leistende  Entschädigungen,  welche 
die  Entrichtung  der  Grundsteuer  an  den  Staat  zur  Voraussetzung  haben, 
finden  nicht  ferner  statt. 

§  18.  Die  auf  Grund  der  §§  1  bis  4  des  Grundsteuerentschädigungs- 
gesetzes vom  21.  Mai  1861  und  der  §§  1,  15  des  Gesetzes  vom  11.  Fe- 
bruar 1870  für  die  Aufhebung  von  Grundsteuerbefreiungen  und  Grund- 
steuerbevorzugungen geleisteten  Entschädigungen  sind  nach  Mafsgabe  der 
folgenden  Bestimmungen  an  die  Staatskasse  zurückzuerstatten. 

Hierbei  ist,  soweit  die  Entschädigungen  durch  Erlafs  von  Domänen- 
abgaben oder  Domänenamortisationsrenten  stattgefunden  hat,  das  zu  er- 
stattende Entschädigungskapital  nach  dem  zwanzigfachen  Betrage  der  er- 
lassenen Abgabe  beziehungsweise  Rente  zu  berechnen. 

§  19.  Die  Rückerstattung  (§  18)  bleibt  ausgeschlossen  bezüglich 
derjenigen  Güter  und  Grundstücke,  welche  nach  erfolgter  Entschädigung 
durch  lästiges  (entgeltliches)  Rechtsgeschäft  veräufsert  worden  sind. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  363 

Wenn  sich  die  Veräufserung  nur  auf  einen  Teil  des  Guts  beziehungs- 
weise Grundstücks  erstreckt  hat,  so  wird  der  Betrag  der  Rückerstattung 
nach  dem  Verhältnisse  der  Grundsteuer  ermittelt. 

Falls  jedoch  der  veräufserte  Teil  nur  aus  Absplissen  zu  öffentlichen 
Wegen,  zu  Flüssen,  Bächen  ,  Kanälen  oder  zu  Eisenbahnen  besteht,  wird 
der  hierauf  entfallende  Entschädigungsbetrag  von  der  für  das  ganze  Gut 
oder  Grundstück  geleisteten  Entschädigung  nur  dann  abgerechnet,  wenn 
der  zur  Rückerstattung  Verpflichtete  nachweist,  dafs  der  Grundsteuerrein- 
ertrag der  Absplisse  mehr  als  den  zehnten  Teil  des  Grundsteuerreiner- 
trages des  ganzen  Guts  oder  Grundstücks  und  zugleich  mehr  als  30  M. 
beträgt. 

Die  Rückerstattung  (§  18)  bleibt  ferner  in  denjenigen  Fällen  aus- 
geschlossen, in  welchen  die  Vorschriften  im  §  5  des  Gesetzes  vom  25.  Mai 
1885  (Gesetz-Samral.  S.  170)  deshalb  nicht  zur  Anwendung  gekommen 
sind,  weil  der  Besitzer  der  betreffenden  Grundstücke  die  im  §  7  a.  a.  0. 
vorgesehenen  Voraussetzungen  nicht  erfüllt  hat. 

Bezüglich  derjenigen  Güter  und  Grundstücke,  deren  Eigentum  nach 
erfolgter  Entschädigung  durch  Schenkung,  Vermächtnis,  infolge  von  Eib- 
teilungen oder  Gutsüberlassungsverträgeu  übergegangen  ist,  bleibt  die  Rück- 
erstattung des  Entschädigungskapitals  zu  demjenigen  Bruchteile  ausge- 
schlossen ,  zu  welchem  der  zeitige  Eigentümer  weder  unmittelbar  noch 
mittelbar  Erbe  des  Entschädigten  geworden  ist. 

§  20.  Diejenigen  Städte,  welche  gemäfs  §  7  des  Gesetzes  vom  21.  Mai 
1861  entschädigt  worden  sind,  haben  die  empfangene  Entschädigung  an 
die  Staatskasse  zurückzuerstatten. 

Sofern  die  einer  Stadtgemeinde  überwiesene  Entschädigungssumme 
auf  die  einzelnen  Besitzer  der  Grundstücke  in  der  städtischen  Feldmark 
verteilt  worden  ist  (§  18  Absatz  2  a.  a.  0.),  haben  diese  nach  Mafsgabe 
der  §§   18,   19  die  Rückerstattung  an  die  Staatskasse  zu  bewirken. 

§  21.  Solchen  Gemeinden,  welche  die  Grundsteuerentschädigung  zu 
gemeinnützigen,  keine  entsprechende  Verzinsung  gewährenden  Einrichtungen 
verwendet  haben,  kann  die  Rückerstattung  durch  den  Finanzminister  ganz 
oder  teilweise  erlassen  werden. 

Kommt  infolge  von  privatrechtlichen  Abmachungen  dem  Grundbesitzer 
die  Aufserhebungsetzung  der  staatlichen  Grund-  und  Gebäudesteuer  nicht 
zu  statten,  so  kann  durch  den  Finanzminister  der  Zeitpunkt  der  Rück- 
erstattung und  der  Beginn  der  Verzinsung  bis  zum  Ablauf  des  betreffen- 
den Vertrages,  längstens  aber  bis  zum  1.  April  1910  hinausgeschoben 
werden. 

§  22.  Soweit  durch  Vertrag  eine  Ablösung  der  durch  die  Gesetze 
vom  21.  Mai  1861  (Gesetz-Samml.  S.  253  und  317)  und  11.  Februar  1870 
aufrecht  erhaltenen  Befreiungen  von  der  Grund-  und  Gebäudesteuer  statt- 
gefunden hat,  ist  die  empfangene  Entschädigung  an  die  Staatskasse  zurück- 
zuerstatten. 

Die  Bestimmungen  des  §   19  finden  entsprechende  Anwendung. 

§  23.  Die  zurückzuerstattenden  Kapitalien  (§§  18  bis  22)  sind  seitens 
der  Pflichtigen  vom  1.  April   1895  ab  mit  S1/^  vom  Hundert  zu  verzinsen. 


g(34  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Die  Feststellung  der  zurückzuerstattenden  Kapitalien  gebührt  dem 
Finanzmiuister. 

Gegen  die  Feststellung  steht  den  Pflichtigen  binnen  einer,  vom  Tage 
der  Mitteilung  des  zu  erstattenden  Betrages  ablaufenden  Aussohlufsfrist 
von  drei   Monaten  der  Rechtsweg  offen. 

Die  Beschreitung  des  Rechtsweges  hat  aufschiebende  Wirkung. 

§  24.  Kapitalbeträge  (§  23),  welche  den  Betrag  von  25  M.  nicht 
erreichen,  sowie  Kapitalbeträge,  welche  über  einen  durch  25  ohne  Rest 
teilbaren,  in  Mark  ausgedrückten  Geldbetrag  hinausgehen,  müssen  binnen 
einer  Frist  von  sechs  Monaten  nach  erfolgter  endgiltiger  Feststellung  nebst 
den  bis  zum  Zahlungstage  aufgelaufenen  Zinsen  zur  Staatskasse  eingezahlt 
werden. 

Dem  Verpflichteten  steht  es  frei,  nach  seiner  Wahl  entweder 

a)  den  noch  verbleibenden  Betrag  des  zu  erstattenden  Kapitals  nebst 
den  Zinsen  binnen  sechs  Monaten  nach  erfolgter  endgiltiger  Feststellung 
ebenfalls  zur  Staatskasse  zurückzuzahlen,  oder 

b)  statt  dessen  für  die  Zeit  vom  1.  April  1895  ab  auf  die  Dauer 
von  601/2  Jahren  eine  in  vierteljährigen  Teilbeträgen  fällige  Tilgungsrente 
von  jährlich  4  vom  Hundert  des  Kapitals  zu  entrichten,  wodurch  das 
Kapital  mit  3x/2  vom  Hundert  verzinst,  sowie  mit  1/2  vom  Hundert  und 
mit  den  durch  die  fortschreitende  Tilgung  ersparten  Zinsen  des  ursprüng- 
lichen  Kapitalbetrages  getilgt  wird. 

Auch  während  des  Zeitraums  von  601/2  Jahren  kann  der  Verpflich- 
tete die  Tilgungsrente  zum  Beginn  eines  jeden  Rechnungsjahres  durch 
Barzahlung  des  noch  nicht  getilgten  Teils  des  Kapitals  ganz  oder  teilweise 
ablösen,  mit  der  Beschränkung,  dafs  bei  teilweiser  Ablösung  der  fortzu- 
entrichtende Teil  der  Tilgungsrente  einen  auf  volle  Mark  abgerundeten 
Jahresbetrag  ergeben  mufs.  Welche  Beträge  in  den  verschiedenen  Jahren 
der  601/2jährigen  Tilgungsdauer  zur  Ablösung  erforderlich  sind,  ergiebt 
die  beiliegende   Tilgungstafel. 

Die  fälligen  Beträge  an  Kapital  und  Renten  unterliegen  der  Beitrei- 
bung im   Verwaltungszwangsverfahren. 

§  25.  Die  aus  den  §§  18,  19,  20  Absatz  2,  §§  22  bis  24  folgen- 
den Verpflichtungen  ruhen  auf  den  Gütern  und  Grundstücken ,  wofür  die 
Entschädigung  geleistet  worden  ist,  als  eine  öffentliche,  auf  jeden  Besitzer 
übergeheude  Last. 

Wird  ein  mit  einer  Tilgungsrente  behaftetes  Gut  oder  Grundstück 
zerstückelt,  so  ist  die  Tilgungsrente  nach  den  Vorschriften  der  §§  2  bis  5 
des  Gesetzes,  betreffend  die  Verteilung  der  öffentlichen  Lasten  bei  Grund- 
stücksteilungen u.  s.  w.,  vom  25.  August  1876  (Gesetz-Samml.  S.  405) 
zu  verteilen,  mit  der  Mafsgabe,  dafs  die  Bestätigung  des  Verteilungsplanes 
durch  die  Bezirksregierung  erfolgt. 

Die  bei  der  Verteilung  sich  ergebenden,  hinter  dem  Jahresbetrage 
von  einer  Mark  zurückbleibenden  Tilgungsrenten  oder  über  volle  Mark- 
beträge überschi«  fsenden  Rententeile  sind  nach  den  Grundsätzen  des  §  24 
durch  Kapitalzahlung  abzulösen. 

In  den  Fällen  des  §  19  Absatz  3   bleibt  die  Verteilung  ausgeschlossen. 

§  26.     Insoweit    nicht   in    den    §§  24,  25  ein  Anderes  bestimmt  ist, 


Nationalökonomisclie  Gesetzgebung.  865 

regeln  sich  die  Zahlung,  Sicherstellung  und  Tilgung  der  Kapitalien  und 
Tilgungsrenten  nach  den  entsprechenden  Vorschriften  in  den  §§18  bis  27 
des  Gesetzes  über  die  Errichtung  von  Rentenbanken  vom  2.  März  1850 
(Gesetz-Samml.  S.  112),  mit  der  Mafagabe ,  dafs  die  Bezirksregierung  an 
die  Stelle  der  Rentenbank  tritt. 

§  27.  Die  sämtlichen ,  behufs  Rückerstattung  von  Kapitalien  nebst 
Zinsen  (§§  18  bis  25)  im  Laufe  eines  jeden  Rechnungsjahres  gezahlten 
Beträge  werden  zum  Zwecke  der  Tilgung  von  Staatsschulden  durch  Rück- 
kauf eines  entsprechenden  Betrages  von  Schulddokumenten  der  Staats- 
schuldentilgungskasse überwiesen. 

§  28.  Das  Gesetz,  betreffend  Ueberweisung  von  Beträgen,  welche 
aus  landwirtschaftlichen  Zöllen  eingehen,  an  die  Kommunalverbände,  vom 
14.  Mai   1885   (Gesetz-Samml.  S.   128)  tritt  aufser  Kraft. 

Soweit  die  Kreise  bis  zum  1.  April  1895  die  ihnen  für  das  Rech- 
nungsjahr 1894/95  zu  überweisenden  Summen  noch  nicht  empfangen  oder 
über  die  Verwendung  dieser  Summen  noch  keine  endgiltige  Entscheidung 
getroffen  haben,  kommen  die  Vorschriften  jenes  Gesetzes  auch  ferner  zur 
Anwendung. 

§  29.  Die  Bestimmungen  der  §§  1  bis  27  finden  auf  die  Hohen- 
zollernschen  Lande  keine  Anwendung. 

Die  Umgestaltung  des  Systems  der  direkten  Steuern  in  diesen  Landen 
bleibt  einem  besonderen  Gesetz  vorbehalten. 

Bis  zum  Erlasse  eines  solchen  Gesetzes  wird  für  die  Hohenzollern- 
schen  Lande  vom  1.  April  1896  ab  ein  fester  Jahresbetrag  von  62  020  M. 
aus  der  Staatskasse  überwiesen. 

Dieser  Betrag  wird  nach  den  Verhältnissen  der  durch  die  letztvor- 
angegangene Volkszählung  ermittelten  Einwohnerzahlen  auf  die  einzelnen 
Gemeinden  verteilt.  Den  Vertretern  der  letzteren  steht  die  Beschlufs- 
fassung  über  die  Verwendung  zu. 

§  30.  Das  gegenwärtige  Gesetz  tritt  mit  dem  1.  April  1895,  jedoch 
nur  gleichzeitig  mit  dem  Kommunalabgabengesetz  und  dem  Ergänzungs- 
steuergesetz in  Kraft;  die  Bestimmungen  der  §§7,  10  Absatz  1,  §  11 
Absatz  3,  §  14  Absatz  3,  §§  17,  25  Absatz  1  gelangen  mit  dem  Tage 
der  Verkündigung  zur  Geltung. 

Die  Veranlagung  für  die  Zwecke  der  kommunalen  Besteuerung  (§  3 
Absatz  2,  §  4)  erfolgt  nach  den  Vorschriften  dieses  Gesetzes  zunächst 
für  das  Rechnungsjahr   1895/96. 

Die  am  1.  April  1895  verbliebenen  Rückstände  der  in  den  §§  1,  2 
bezeichneten  Steuern  werden  nach  Mafsgabe  der  bis  dahin  geltenden  Be- 
stimmungen zur  Staatskasse  eingezogen;  das  Gleiche  gilt  von  Nachsteuern 
und  Strafen  im  Bereiche  der  Grund-,  Gebäude-  und  Gewerbe-(Betriebs-) 
Steuer. 

§  31.  Die  Minister  der  Finanzen  und  des  Innern  werden  mit  der 
Ausführung  dieses   Gesetzes  beauftragt, 


Dritte  Folse  Bd.  V.'II  (LXIII) 


ggg  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


XL 
Preii  fsisches  Er gänzungsteuer gesetz . 

Vom    14.  Juli   1893. 

§  1.  Vom  1.  April  1895  ab  wird  eine  Ergänzungssteuer  nach  Mafs- 
gabe  der  folgenden  Bestimmungen  erhoben. 

I.  Steuerpflicht. 

§  2.     Der  Ergänzungssteuer  unterliegen : 

I.  die  im  §  1  des  Einkommensteuergesetzes  vom  24.  Juni  1891 
(Gesetz-Samml.  S.  175)  zu  Nr.  1  bis  3  bezeichneten  physischen  Per- 
sonen nach  dem  Gesamtwert  ihres  steuerbaren  Vermögens  (§  4) ; 

IL  ohne  Rücksicht  auf  Staatsangehörigkeit,  Wohnsitz  oder  Aufent- 
halt alle  physischen  Personen  nach  dem  "Wert 

a)  ihres  preufsischen  Grundbesitzes, 

b)  ihres  dem  Betriebe  der  Land-  oder  Forstwirtschaft,  ein  schlief  such 
der  Viehzucht,  des  Wein-,  Obst-  und  Gartenbaues,  dem  Betriebe  des 
Bergbaues  oder  eines  stehenden  Gewerbes  in  Preufsen  dienenden  Anlage- 
und  Betriebskapitals. 

§  3.  Befreit  von  der  Ergänzungssteuer  sind  die  gemäfs  §  3  des 
Einkommensteuergesetzes  zu  Nr.  1  bis  4  von  der  Einkommensteuer  be- 
freiten Personen. 

Die  Befreiungen  zu  Nr.  3  und  4  daselbst  erstrecken  sich  nicht  auf 
das  im  §  2  zu  II  bezeichnete  Vermögen  und  bleiben  in  denjenigen 
Eällen  ausgeschlossen ,  in  welchen  in  den  betreffenden  Staaten  Gegen- 
seitigkeit nicht  gewährt  wird, 

IL  Mafsstab  der  Besteuerung. 
1)  Steuerbares  Vermögen. 

§  4.  Der  Besteuerung  unterliegt  das  gesamte  bewegliche  und  unbe- 
wegliche Vermögen  nach  Abzug  der  Schulden  (§   8). 

I.  Als  steuerbares  Vermögen  im  Sinne  dieses  Gesetzes  gelten  insbe- 
sondere : 

1)  Grundstücke  (Liegenschaften  und  Gebäude)  nebst  allem  Zubehör, 
Bergwerkseigentum,  Niefsbrauchs-  und  andere  selbständige  Rechte  und 
Gerechtigkeiten,  welche  einen  in  Geld  schätzbaren  Wert  haben ; 

2)  das  dem  Betriebe  der  Land-  oder  Forstwirtschaft,  einschliefslich 
der  Viehzucht,  des  Wein-,  Obst-  und  Gartenbaues,  dem  Betriebe  des 
Bergbaues  oder  eines  Gewerbes  dienende  Anlage-  und  Betriebskapital  (§  6); 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  867 

3)  das  sonstige  Kapitalvermögen  (§   7). 

II.  Von  der  Besteuerung  sind  jedoch  ausgeschlossen  : 

1)  die  aufserhalb  Preufsens  belegenen  Grundstücke; 

2)  das  dem  Betriebe  der  Land-  oder  Forstwirtschaft,  des  Bergbaues 
oder  eines  stehenden  Gewerbes  aufserhalb  Preufsens  dienende  Anlage-  und 
Betriebskapital. 

III.  Als   steuerbares  Vermögen  im  Sinne  dieses  Gesetzes  gelten   nicht : 
Möbel,  Hausrat    und    andere    bewegliche  körperliche  Sachen,  insofern 

dieselben    nicht   als  Zubehör    eines  Grundstückes    (I    Nr.    1)    oder    als  Be- 
standteil eines  Anlage-  und  Betriebskapitals  (I  Nr.  2)  anzusehen  sind. 
§  5.     Behufs  der  Steuerveranlagung  werden  hinzugerechnet: 

1)  die  zu  einer  Fideikommifsstiftung  (§  3  des  Erbschaftssteuergesetzes 
in  der  Fassung  vom  24.  Mai  1891,  Gesetz-Samml.  S.  78)  gehörigen  Ver- 
mögen oder  Vermögensteile  dem  jeweiligen  Fideikommifsbesitzer; 

2)  das  zu  einer  ungeteilten  Nachlafsmasse  gehörige  Vermögen  den 
Erben  nach  Verhältnis  ihres  Erbteils; 

3)  die  zum  Anlage-  und  Betriebskapital  einer  nicht  gemäfs  §  1 
Nr.  4,  5  des  Einkommensteuergesetzes  der  Einkommensteuer  unterliegen- 
den Erwerbsgesellschaft  gehörigen  Werte  den  einzelnen  Teilhabern  nach 
Mafsgabe  ihres   Anteils  ; 

4)  dem  Haushaltungsvorstaude  das  Vermögen  derjenigen  Haushaltungg- 
angehörigen, deren  Einkommen  ihm  gemäfs  §  11  des  Einkommensteuer- 
gesetzes bei  der  Veranlagung  zur  Einkommensteuer  hinzuzurechnen  ist. 

§  6.  Das  Anlage-  und  Betriebskapital  (§4  1  Nr.  2)  umfafst  die 
sämtlichen  dem  betreffenden  Betriebe  gewidmeten  Gegenstände  und  Rechte, 
welche  einen  in  Geld  schätzbaren  Wert  haben. 

Bei  Steuerpflichtigen,  welche  aufserhalb  Preufsens  einen  stehenden 
Betrieb  durch  Errichtung  von  Zweigniederlassungen,  Fabrikations-,  Ein- 
oder  Verkaufsstätten  oder  in  sonstiger  Weise  unterhalten,  bleibt  derjenige 
Teil  des  Anlage-  und  Betriebskapitals,  welcher  auf  den  aufserhalb  Preufsens 
unterhaltenen  Betrieb  entfällt,  aufser  Ansatz. 

§  7.     Das  sonstige  Kapitalvermögen  (§4  1  Nr.   3)  umfafst: 

a)  verzinsliche  und  unverzinsliche,  verbriefte  und  unverbriefte  Kapi- 
talforderungen jeder  Art  einschliefslich  des  Werts  von  Aktien  oder  An- 
teilscheinen, Kommanditanteilen,  Kuxen,  Geschäftsguthaben  bei  Genossen- 
schaften,  Geschäftsanteilen  und   anderen   Gesellschaftseinlagen  ; 

b)  bares  Geld  deutscher  Währung,  fremde  Geldsorten,  Banknoten  und 
Kassenscheine,  mit  Ausschlufs  der  aus  den  laufenden  Jahreseinkünften 
des  Steuerpflichtigen  (§  7  des  Einkommensteuergesetzes)  vorhandenen  Be- 
stände, sowie  Gold  und   Silber  in  Barren, 

insoweit  die  Werte  zu  a  und  b  nicht  als  Teile  eines   Anlage-  und 
Betriebskapitals   (§   6)  anzusehen   sind; 

c)  den  Kapitalwert  der  Rechte  auf  Apanagen,  Renten,  Leibrenten, 
Altenteilsbezüge  und  auf  andere  periodische  geldwerte  Hebungen,  welche 
dem  Steuerpflichtigen  auf  seine  Lebenszeit  oder  auf  die  Lebenszeit  eines 
anderen,  auf  unbestimmte  Zeit  oder  auf  die  Dauer  von  mindestens  zehn 
Jahren  entweder    vertragsmäfsig    als  Gegenleistung    für    die  Hingabe    von 

55* 


368  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Vermögenswerten  oder  aus  letztwilligen  Verfügungen  oder  Familien- 
stiftungen oder  vermöge  hausgesetzlicher  Bestimmung  zustehen. 

Die  Bestimmung  zu  c  findet  keine  Anwendung  auf  Ansprüche  an 
Witwen-,  Waisen-  und  Pensionskassen,  auf  Ansprüche  aus  eiuer  KrankeD- 
oder  Unfall-  oder  der  gesetzlichen  Invaliditäts-  und  Altersversicherung, 
auf  Pensionen,  welche  mit  Rücksicht  auf  ein  früheres  Arbeits-  oder  Dienst- 
verhältnis gezahlt  werden ,  sowie  auf  Renten ,  welche  in  letztwilligen 
Verfügungen  Personen  zugewendet  sind ,  die  zum  Hausstand  des  Erb- 
lassers gehört  und  in  einem  Dienstverhältnis  zu  demselben  gestanden 
haben. 

§   8.     Von  dem  Aktivvermögen  sind  in  Abzug  zu  bringen : 

1)  die  dinglichen  und  persönlichen  Kapital  schulden  des  Steuerpflichtigen 
mit  Ausschlufs  derjenigen  Verbindlichkeiten,  welche  zur  Bestreitung 
der  laufenden  Haushaltungskosten  eingegangen  sind  (Haushaltungs- 
ßchulden), 

2)  der  Kapitalwert  der  vom  Steuerpflichtigen  oder  aus  einer  Fidei- 
kommifsstiftung  zu  entrichtenden  Apanagen ,  Renten,  Altenteile  und 
sonstigen  periodischen,  geldwerten  Leistungen,  auf  welche  die  Vor- 
aussetzungen im  §  7  zu  c  Absatz  1   zutreffen, 

insoweit  diese  Verbindlichkeiten  (Nr.  1  und  2)  nicht  auf  Vermögensteilen 
haften,  welche  bei  der  Veranlagung  aufser  Betracht  zu  lassen  sind  (§  4  II). 

Erstreckt  sich  die  Besteuerung  lediglich  auf  die  im  §  2  II  zu  a  und 
b  bezeichneten  Vermögensteile,  so  sind  nur  diejenigen  Schulden  u.  s.  w. 
abzugsfähig,  welche  auf  diesen  Vermögensteilen  haften  oder  für  deren 
Erwerb  aufgenommen  sind. 

Verbindlichkeiten,  welche  ungeteilt  zugleich  auf  steuerbaren  und  nicht 
steuerbaren  Vermögensteilen  haften,  kommen  von  dem  ersteren  nur  nach 
dem  Verhältnisse  dieses  Teils  zu  dem  Gesamtvermögen  in  Abzug. 

2)  Wertbestimmung. 

§  9.  Bei  Berechnung  und  Schätzung  des  steuerbaren  Vermögens 
wird  der  Bestand  und  gemeine  Wert  der  einzelnen  Teile  desselben  zur 
Zeit  der  Veranlagung  (Vermögensanzeige)  zu  Grunde  gelegt,  soweit  nicht 
im  Nachstehenden  etwas  anderes  bestimmt  ist. 

§  10.  Bei  Landwirtschafts-  und  Gewerbebetrieben,  bei  denen  regel- 
mäfsige  jährliche  Abschlüsse  stattfinden,  kann  bei  der  Berechnung  und 
Schätzung  des  steuerbaren  Vermögens  der  Vermögensstand  am  Schlüsse 
des  letzten   Wirtschafts-  oder  Rechnungsjahres    zu  Grunde    gelegt  werden. 

§  11.  Bei  der  Veranschlagung  des  Werts  von  Grundstücken,  welche 
dem  Betrieb  der  Land-  oder  Forstwirtschaft,  der  Viehzucht,  dem  Wein-, 
Obst-  oder  Gartenbau  dienen,  sind  auch  das  lebende  und  tote  Wirtschafts- 
inventar sowie  die  sonst  zum  Anlage-  und  Betriebskapital  (§  6)  gehörigen 
Werte  —  einschliefslich  der  den  gewerblichen  Nebenbetrieben  dienenden 
Gegenstände  —  mit  der  iVIafsgabe  zu  berücksichtigen,  dafs  Mehr-  oder 
Minderwerte  des  Inventars  gegenüber  einem  wirtschaftlich  normalen  Be- 
stand in  Zu-  oder  Abrechnung  zu  bringen  sind.  Aus  den  wirtschaft- 
lichen Vorjahren  noch  vorhandene,  zum  Verkauf  bestimmte  Vorräte  kommen 
als  selbständige  Vermögensstücke  in  Anrechnung. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  869 

Der  Wert  derjenigen  Grundstücke,  welche  einem  bergbaulicheD,  einem 
Handels-  oder  Gewerbebetriebe  gewidmet  sind,  ist  bei  der  Ermittelung 
des  dem  betreffenden  Betriebe  dienenden  Anlage-  und  Betriebskapitals  zu 
berücksichtigen. 

§  12.  Bares  Geld  Deutscher  Währung,  Reichskassenscheine  und 
Reicbsbanknoten  gelangen  mit  dem  Nennwert,  Silber  und  Gold  in  Barren, 
sowie  fremde  Geldsorten  mit  dem  Verkaufswert  in  Ansatz. 

Im  übrigen  sind  Wertpapiere,  wenn  dieselben  in  Deutschland  einen 
Börsenkurs  haben,  nach  diesem,  andernfalls  nach  ihrem  Verkaufswert  zu 
veranschlagen. 

Alle  sonstigen  Kapitalforderungen  und  Schulden  sind  mit  dem  Nenn- 
wert in  Ansatz  zu  bringen,  insofern  nicht  die  Voraussetzungen  des  §  16 
Absatz  4  oder  andere  Umstände  vorliegen,  welche  die  Annahme  eines 
von  dem  Nennwerte  abweichenden  Verkaufswertes  begründen. 

§  13.  Behufs  Ermittelung  des  Kapitalwertes  von  Niefsbrauchsrechten, 
Apanagen,  Renten,  Leibrenten,  Altenteilsbezügen  und  anderen  periodischen 
Nutzungen  und  Leistungen  ist,  sofern  nicht  der  im  §  5  Nr.  1  vorge- 
sehene Fall  vorliegt,  der  Geldwert  der  einjährigen  Nutzung  oder  Leistung 
nach  Mafsgabe  der  folgenden   Vorschriften  zu  Grunde  zu  legen: 

I.  Bei  immerwährenden  Nutzungen  und  Leistungen  wird  das  Fünf- 
undzwanzigfache des  einjährigen  Betrages,  bei  Nutzungen  und  Leistungen 
von  unbestimmter  Dauer,  falls  nicht  die  Vorschriften  unter  II  und  III 
Anwendung  finden,  oder  anderweite  die  läugste  Dauer  begrenzende  Um- 
stände nachgewiesen  werden,  das  Zwölfeinhalbfache  des  einjährigen  Be- 
trages als  Kapitalwert   angenommen. 

IL  Ist  das  Recht  auf  die  Lebenszeit  des  Berechtigten  oder  einer 
anderen  Person  beschränkt,  so  bestimmt  sich  der  Kapitalwert  nach  dem 
zur  Zeit  der  Veranlagung  (Vermögensanzeige)  erreichten  Lebensalter  der 
Person,  bei  deren  Tode  das  Recht  erlischt,  und  wird  bei  einem  Lebens- 
alter derselben 

von   15  Jahren  oder  weniger  auf  das  18  fache 

über   15  Jahre  bis  zu  25  Jahren  auf  das  17       „ 

n      25       ,,        ,,       „     35        ,,  ,,       ,,  16        „ 

»     35       „        „       „    45   "    „  „       „  14       „ 

>>     45       ,,        „       ,,    o5        „  ,,       ,,  13       „ 

»     55       „        „       ,,    65        ,,  „       „  81/2  ., 

>>      6o       „        ,,       ,,    75        „  ,,      ,,  5       ,, 

»      75       „        „       „    80        „  ,,       „  3       „ 

„      80       „     auf  das  2       ,, 

der  einjährigen  Nutzung  oder  Leistung  angenommen. 

III.  Ist  die  Dauer  des  Rechts  von  der  Lebenszeit  mehrerer  Per- 
sonen dergestalt  abhängig,  dafs  beim  Tode  der  zuerst  versterbenden  die 
Nutzung  oder  Leistung  erlischt,  so  ist  für  die  nach  der  Bestimmung  zu  II 
vorzunehmende  Wertermittelung  das  Lebensalter  der  ältesten  Person  mafs- 
gebend.  Wenn  das  Bezugsrecht  bis  zum  Tode  der  letztversterbenden 
Person  fortdauert,  erfolgt  die  Berechnung  nach  dem  Lebensalter  der 
jüngsten  Person. 


370  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

IV.  Der  Kapitalwert  der  auf  bestimmte  Zeit  eingeschränkten 
Nutzungen  oder  Leistungen  ist  für  den  Zeitpunkt  der  Veranlagung  (Ver- 
mögensanzeige) unter  Zugrundelegung  eines  vierprozentigen  Zinsfufses 
nach  der  beigefügten  Hilfstabelle  zu  ermitteln.  Ist  jedoch  die  Dauer  des 
Eechts  noch  aufserdem  durch  die  Lebenszeit  einer  oder  mehrerer  Per- 
sonen bedingt,  so  darf  der  nach  den  Bestimmungen  zu  II  und  III  zu 
berechnende  Kapitalwert  nicht  überschritten  werden. 

V.  Bei  Nutzungen  oder  Leistungen,  welche  ihrem  Betrag  oder  ihrem 
Geldwert  nach  nicht  feststehen ,  wird  der  Geldwert  des  im  letzten 
Leistungsjahre  entrichteten  Betrages,  und  wenn  eine  volle  Jahresleistung 
noch  nicht  stattgefunden  hat,  der  Geldwert  des  mutmafslich  für  das 
laufende  Jahr  zu  entrichtenden  Betrages  zu  Grunde  gelegt. 

§  14.  Vom  Kapitalwert  unverzinslicher  befristeter  Forderungen  und 
Schulden  werden  für  die  Zeit  bis  zur  Fälligkeit  vier  Prozent  Jahreszinsen 
in  Abzug  gebracht. 

§  15.  Noch  nicht  fällige  Ansprüche  aus  Lebens-,  Kapital-  und 
Rentenversicherungen  kommen  mit  zwei  Dritteln  der  Summe  der  einge- 
zahlten Prämien  oder  Kapitalbeiträge,  falls  aber  der  Betrag  nachgewiesen 
wird,  für  welchen  die  Versicherungsanstalt  die  Police  zurückkaufen  würde, 
mit  diesem  Rückkaufswert  in  Anrechnung. 

§  16.  Aufser  im  Falle  des  §  15  bleiben  die  von  einer  noch  nicht 
eingetretenen  aufschiebenden  Bedingung  abhängigen  Rechte  und  Lasten 
aufser  Betracht. 

Rechte  und  Lasten,  deren  Fortdauer  von  einer  noch  nicht  einge- 
tretenen auflösenden  Bedingung  abhängt,  werden  wie  unbedingte  be- 
handelt. 

Die  in  den  Absätzen  1  und  2  enthaltenen  Bestimmungen  sind  gleich- 
mäfsig  auch  auf  die  von  einem  Ereignis,  welches  nur  hinsichtlich  des 
Zeitpunktes  seines  Eintritts  ungewifs  ist,  abhängigen  Rechte  und  Lasten 
anzuwenden. 

Unbeitreibliche   Forderungen  bleiben  aufser  Ansatz. 

3)  B  e  steueru  n  g  s  gre  nze. 
§    17.     Zur  Ergänzungssteuer  werden  nicht  herangezogen: 

1)  diejenigen  Personen,  deren  steuerbares  Vermögeu  den  Gesamtwert 
von  6000   M.  nicht  übersteigt; 

2)  diejenigen  Personen,  deren  nach  Mafsgabe  des  Einkommensteuer- 
gesetzes zu  berechnendes  Jahreseinkommen  den  Betrag  von  900  M.  nicht 
übersteigt,  insofern  der  Gesamtwert  ihres  steuerbaren  Vermögens  nicht 
mehr  als   20  000  M.  beträgt; 

3)  weibliche  Personen,  welche  minderjährige  Familienangehörige  zu 
unterhalten  haben,  vaterlose  minderjährige  Waisen  und  Erwerbsunfähige, 
insofern  das  steuerbare  Vermögen  der  bezeichneten  Personen  den  Betrag 
von  20  000  M.  und  das  nach  Mafsgabe  des  Einkommensteuergesetzes  zu 
berechnende  Jahreseinkommen  derselben  den  Betrag  von  1200  M.  nioht 
übersteigt. 


National  ökonomische  Gesetzgebung. 


871 


III.  Steuersätze. 


§   18. 

Die    Etgänzur 

gssteuer     beträgt 

bei 

einem     steuerbaren 

mögen  von 

mehr  als 

bis 

einschliefslich 

jährlich 

Äff. 

M. 

M. 

6  000 

8  000 

3 

8  000 

10  000 

4 

10  000 

12  000 

5 

12000 

14  000 

6 

14  000 

16000 

7 

16000 

18000 

8 

18  000 

20  000 

9 

20  000 

22  000 

10 

22  000 

24  000 

11 

24  000 

28  000 

12 

28  000 

32  000 

14 

32  000 

36  000 

16 

36  000 

40  000 

18 

40  000 

44  000 

20 

44  000 

48  000 

22 

48  000 

52  000 

24 

52  000 

56  000 

26 

56  000 

60  000 

28 

60  000 

70  000 

30 

und  steigt  bei  höherem    Vermögen  bis  einschliefslich  200  000  M.  für  jede 
angefangenen    10  000  M.  um  je  5  M. 

Bei  Vermögen  von  mehr  als  200  000  M.  bis  einschliefslich  220  000  M. 
beträgt  die  Steuer  100  M.  und  steigt  bei  höherem  Vermögen  für  jede 
angefangenen  20  000   M.  um  je   10  M. 

2)  Berücksichtigung  besonderer  Verhältnisse. 

§  19.  Personen,  deren  Vermögen  32  000  M.  nicht  übersteigt,  wer- 
den, wenn  sie  nicht  zur  Einkommensteuer  veranlagt  sind,  mit  höchstens 
drei  Mark  jährlich,  wenn  sie  zu  den  ersten  vier  Stufen  derselben  veranlagt 
sind,  höchstens  mit  einem  um  zwei  Mark  unter  der  von  ihnen  zu  zahlenden 
Einkommensteuer  verbleibenden  Betrage  zur  Ergänzungssteuer  herangezogen. 

Steuerpflichtigen,  welchen  auf  Grund  des  §  19  des  Einkommen- 
steuergesetzes eine  Ermäfsigung  der  Einkommensteuer  gewährt  wird,  kann 
bei  der  Veranlagung  auch  eine  Ermäfsigung  der  Ergänzungssteuer  um 
höchstens  zwei  Stufen  gewährt  werden,  sofern  das  steuerpflichtige  Ver- 
mögen nicht  mehr  als   52  000  M.  beträgt. 

IV.  Veranlagung. 

1)  Ort  und  Vorbereitung  der  Veranlagung. 

§  20.  Die  Veranlagung  erfolgt  an  demjenigen  Orte,  au  welchem 
der  Steuerpflichtige    gemäfs  §  20    des    Einkommensteuergesetzes    zur  Ein- 


872  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

kommensteuer  zu  veranlagen  ist  oder  im  Falle  seiner  Einkommensteuer- 
pflicht zu  veranlagen   sein  -würde. 

Die  bezüglich  des  Veranlagungsortes  weiter  erforderlichen  Anord- 
nungen erläfst  der  Finanzminister. 

§  21.  Die  Personenstandsaufnahme  (§  21  des  Einkommensteuerge- 
setzes) bildet  zugleich  die  Grundlage  für  die  Veranlagung  der  Ergänzungs- 
steuer. 

Jeder  Gemeinde-  (Guts-)  Vorstand  hat  die  im  §  23  des  Einkommen- 
steuergesetzes vorgeschriebenen  Ermittelungen  auch  auf  alle  diejenigen 
Merkmale  zu  erstrecken,  welche  ein  Urteil  über  den  Umfang  und  Wert 
des  steuerpflichtigen  Vermögens  begründen  können,  und  das  Ergebnis  in 
eine  nach  näherer  Bestimmung  des  Finanzministers  einzurichtende  Nach- 
weisung einzutragen. 

2)  Veranlagungsverfahren. 

§  22.  Die  Veranlagung  der  Steuerpflichtigen  erfolgt  gleichzeitig  mit 
der  Veranlagung  der  Einkommensteuer  durch  die  gemäfs  §§  33,  34,  50 
des  Einkommensteuergesetzes  gebildeten  Veranlagungskommissionen. 

Eine  Voreinschätzung  durch  die  Voreinschätzungskommissiou  findet 
nicht  statt. 

§  23.  Für  jeden  Veranlagungsbezirk  wird  ein  Schätzuugsausschufs 
gebildet,  zu  welchem  gehören : 

1)  der  Vorsitzende  der  Veranlaguugskommission  oder  der  von  dem- 
selben zu  bezeichnende  Stellvertreter, 

2)  mindestens  vier  Mitglieder,  von  welchen  zwei  ständige  durch  die 
Regierung  ernannt,  die  übrigen  aus  der  Zahl  der  gewählten  Mitglieder 
(stellvertretenden  Mitglieder)  der  Veranlagungskommission  durch  dieselbe 
abgeordnet  werden.  Die  Zahl  der  Mitglieder  bestimmt  der  Finanz- 
minister. 

Für  die  ernannten  und  für  die  gewählten  Mitglieder  wird  in  gleicher 
Weise  die  erforderliche  Zahl  von  Stellvertretern    ernannt  und  abgeordnet. 

Das  Ausscheiden  aus  der  Veranlagungskommission  hat  für  die  durch 
die  Kommission  abgeordneten  Mitglieder  und  Stellvertreter  auch  das  Aus- 
scheiden aus  dem  Schätzungsausschusse  zur  Folge. 

§  24.  Der  Schätzungsausschufs  hat  die  behufs  Veranlagung  der 
Steuerpflichtigen  erforderlichen  Wertermittelungen  vorzunehmen  und  den 
Wert  der  steuerbaren  Vermögen,  insbesondere  die  Werte  der  im  Ver- 
anlagungsbezirk belegenen  Grundstücke,  sowie  die  Werte  der  gewerblichen 
Anlage-  und  Betriebskapitalien  zu  begutachten.  , 

Der  Ausschufs  erhält  zu  diesem  Zweck  Kenntnis  von  allen  durch 
den  Vorsitzenden  der  Veranlagungskommission  gesammelten  Nachrichten 
(§  25),  den  behufs  Veranlagung  zur  Einkommensteuer  eingereichten 
Steuererklärungen,  den  auf  letztere  bezüglichen  Schriftstücken,  sowie  dem 
Ergebnis  der  Einkommensteuerveranlagung,  und  ist  befugt,  Auskunftsper- 
sonen zu  vernehmen  oder  mit  beratender  Stimme  bei  seinen  Verhand- 
lungen zuzuziehen. 

Die  Geschäftsordnung  des  Schätzuugsausschusses  wird  durch  den 
Finanzminister  festgestellt. 


Natioualökonomische   Gesetzgebung.  873 

§  25.  Der  Vorsitzende  der  Veranlaguugskommission,  welcher  zugleich 
die  Interessen  des  Staates  vertritt,  hat  das  Veranlagungsgeschäft  zu  leiten 
und  ist  dafür  verantwortlich,  dafs  die  gesamte  Veranlagung  in  seinem 
Bezirk  nach  den  bestehenden  Vorschriften  zur  Ausführung  gelangt.        -  ■ 

Zum  Zwecke  der  richtigen  Veranlagung  der  Steuerpflichtigen  hat  der 
Vorsitzende,  soweit  dies  nicht  bereits  zum  Zwecke  der  Einkommensteuer- 
veranlagung (§  35  Absatz  8  des  Einkommensteuergesetzes)  geschehen  ist, 
möglichst  vollständige  Nachrichten  einzuziehen,  auch  die  iür  die  Wertbe- 
stimmung der  steuerbaien  Vermögensteile  erforderlichen  Unterlagen  zu 
beschaffen. 

Hierbei  kann  er  sich  nach  seinem  Ermessen  der  Mitwirkung  der 
Gemeinde-  (Guts-)  Vorstände  bedienen ,  welche  seinen  Aufforderungen 
Folge  zu  leisten  schuldig  sind.  Er  ist  befugt ,  die  Voreinschätzungs- 
kommissionen (§  31  des  Einkommensteuergesetzes)  zu  einer  besonderen 
Aeufserung  über  die  Vermögensverhältnisse  einzelner  Steuerpflichtiger  zu 
veranlassen. 

Der  Vorsitzende  kann  den  Steuerpflichtigen  auf  Antrag  oder  von 
Amtswegen  Gelegenheit  zur  persönlichen  Verhandlung  über  die  für  die 
Veranlagung  erheblichen  Thatsacheu  und  Verhältnisse  gewähren. 

Sämtliche  Staats-  und  Kommunalbehörden  und  Beamte,  mit  Ausnahme 
der  Notare,  haben  die  Einsicht  aller  die  Vermögensverhältnisse  der 
Steuerpflichtigen  betreffenden  Bücher,  Akten,  Urkunden  u.  s.  w.  zu  ge- 
statten und  auf  Ersuchen  Abschriften  aus  denselben  zu  erteilen,  sofern 
nicht  besondere  gesetzliche  Bestimmungen  oder  dienstliche  Rücksichten 
entgegenstehen.  Die  Einsicht  der  Bücher,  Akten  u.  s.  w.  der  Sparkassen 
ist  nicht  gestattet. 

§  26.  Die  Steuerpflichtigen  sind  berechtigt,  behufs  der  Veranlagung 
dem  Vorsitzenden  der  Veranlagungskommission  ihr  steuerbares  Vermögen 
anzugeben  oder  diejenigen  thatsächlichen  Mitteilungen  zu  machen,  deren 
die  Veranlagungskommission  zur  Schätzung  des  Vermögens  bedarf  (Ver- 
mögensanzeige). 

Zu  Vermögensanzeigen  für  Personen,  welche  unter  väterlicher  Ge- 
walt, Pflegschaft  oder  Vormundschaft  stehen,  sind  deren  gesetzliche  Ver- 
treter befugt. 

Für  Personen,  welche  abwesend  oder  sonst  verhindert  sind,  die 
Vermögensanzeigen  selbst  abzugeben,  können  solche  durch  Bevollmächtigte 
erfolgen. 

Die  Vermögensanzeigen  sind  unter  der  Versicherung  zu  erstatten, 
dafs  die  Angaben  nach  bestem  Wissen  und  Gewissen  gemacht  sind. 

Die  Fristen  und  Formen,  welche  bei  den  Vermögensanzeigen  zu  be- 
obachten sind,  werden  von  dem  Finanzminister  bestimmt.  Die  erforder- 
lichen Formulare  werden  kostenlos  verabfolgt. 

§  27.  Die  dem  Vorsitzenden  zur  Bearbeitung  der  Einkommensteuer- 
Bachen  zugeordneten  Hilfsbeamten  (§  37  des  Einkommensteuergesetzes) 
können  nach  den  hierüber  vom  Finanzminister  zu  erlassenden  allgemeinen 
Anweisungen  auch  bei  der  Bearbeitung  der  auf  die  Ergänzungssteuer  be- 
züglichen Angelegenheiten  beteiligt  werden. 

§  28.     Der  Vorsitzende    der  Veranlagungskommission    hat  nach  Ein- 


374  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

holung  des  Gutachtens  des  Schätzungsausschusses  das  nach  seinem  Er- 
messen für  jeden  Steuerpflichtigen  zutreffende  Vermögen,  getrennt  nach 
den  verschiedenen  Bestandteilen  (§  4),  in  die  Nachweisung  oder  Steuer- 
liste einzutragen,  den  nach  Vorschrift  dieses  Gesetzes  zu  entrichtenden 
Steuersatz  vorzuschlagen  und  die  Verhandlungen  der  Veranlagungskommission 
zur  Beschlufsfassung  vorzulegen. 

§  29.  Die  Veranlagungskonimission  unterwirft  die  Gutachten  des 
Schätzungsausschusses ,  die  eingegangenen  Vermögensanzeigen  und  die 
Nachweisungen  einer  genauen  Prüfung.  Hierbei  hat  sie  das  Recht,  von 
den  nach  §  24  dem  Schätzungsausschusse  und  uach  §  25  Absatz  3  bis  5 
dem  Vorsitzenden  zustehenden  Hilfsmitteln  auch  ihrerseits  Gebrauch  zu 
machen  und  sonstige  zur  Feststellung  erheblicher  Thatsachen  erforderliche 
Ermittelungen  vorzunehmen. 

§  30.  Werden  die  Angaben  einer  Vermögensanzeige  über  Gröfse 
und  Wert  steuerbaren  Vermögens  durch  die  Veranlagungskommission  oder 
deren  Vorsitzenden  beanstandet,  so  ist  dem  Steuerpflichtigen  mitzuteilen, 
auf  welche  Vermögensteile  oder  Werte  die  Beanstandung  sich  bezieht. 
Soweit  es  sich  um  thatsächliche  Angaben  handelt,  sind  zugleich  die  Gründe 
der  Beanstandung  mitzuteilen. 

Mit  der  Mitteilung  ist  die  Aufforderung  zu  verbinden,  sich  binnen 
einer  bestimmten  Frist  über  die  beanstandeten  Angaben  zu  erklären. 

Erst  wenn  der  Steuerpflichtige  dies  unterläfst,  oder  wenn  die  Be- 
denken gegen  die  Richtigkeit  der  Vermögensanzeige  nicht  gehoben  werden, 
ist  die  Kommission  bei  Schätzung  des  Vermögens  auch  an  die  thatsäch- 
lichen  Angaben   des  Steuerpflichtigen   nicht  gebunden. 

§  31.  Die  Kommission  setzt  den  nach  ihrem  Ermessen  zutreffenden 
Steuersatz  auf  Grund  der  stattgehabten  Ermittelungen  fest. 

§  32.  Das  Ergebnis  der  Veranlagung  hat  der  Vorsitzende  der  Ver- 
anlagungskommission dem  Steuerpflichtigen  mittels  einer  zugleich  eine 
Belehrung  über  das  Rechtsmittel  der  Berufung  enthaltenden  Zuschrift  be- 
kannt zu  macheu,  welche,  sofern  auch  die  Veranlagung  zur  Einkommen- 
steuer stattgefunden  hat,  mit  der  Benachrichtigung  über  dieselbe  (§  39 
des  Einkommensteuergesetzes)  verbunden  werden  kann. 

3)  Recht  s  rai  tte'l. 
a)  Ber  u  fu  n  g. 

§  33.  Gegen  das  Ergebnis  der  Veranlagung  steht  sowohl  dem 
Steuerpflichtigen,  als  auch  dem  Vorsitzenden  der  Veranlagungskommission 
binnen  einer  Ausschlufsfrist  von  vier  Wochen  das  Rechtsmittel  der  Be- 
rufung an  die  gemäfs  §§41,  50  des  Einkommensteuergesetzes  gebildete 
Berufungskommission   zu. 

Die  Vorschrift  im  §  40  Absatz  2  des  Einkommensteuergesetzes  findet 
sinngemäfse  Anwendung. 

Die  Berufung  kann  mit  der  etwaigen  Berufung  gegen  die  Einkommen- 
steuerveranlagung in  demselben  Schriftsatze  angebracht  werden. 

§  34.     Der  Vorsitzende  der  Berufungskommissiou  hat  die  ihm  im  §  42 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  875 

des  Einkommensteuergesetzes  zugewiesenen  Obliegenheiten  und  Befugnisse 
auch  mit  Bezug  auf  die  Ergänzungssteuer  wahrzunehmen. 
^      §   35.     Die    Berufungskommissiou     entscheidet    über     alle    gegen    das 
Verfahren    und    die    Entscheidungen     der    Veranluguugskommissionen     und 
der  Schätzuugsausschüsse  angebrachten   Beschwerden  und   Berufungen. 

Behufs  Prüfung  der  Berufungen  können  die  Berufuugskommission 
und  deren  Vorsitzender  eine  genaue  Eeststellung  der  Vermögensverhält- 
nisse  des  Steuerpflichtigen  veranlassen.  Dabei  sind  sie  befugt,  von  den 
zu  diesem  Zweck  den  Veraulagungskommissionen  und  deren  Vorsitzenden 
zustehenden  Hilfsmitteln  (§  25  Absatz  3  bis  5 ,  §  29)  Gebrauch  zu 
machen. 

Die  Berufungskommission  und  deren  Vorsitzender  sind  ferner  befugt, 
die  Vernehmung  von  Zeugen  und  Sachverständigen  zu  veranlassen,  sowie 
die  eidliche  Bekräftigung  des  Zeugnisses  oder  Gutachtens  der  vernommenen 
Zeugen  oder  Sachverständigen  vor  dem  zuständigen  Amtsgericht  zu  fordern. 
Die  zu  vernehmenden  Personeu  dürfen  die  Auskuuftserteilung  nur  unter 
den  Voraussetzungen  ablehnen,  welche  nach  der  Civilprozefsordnung  zur 
Ablehnung   eines  Zeugnisses  beziehungsweise  Gutachtens  berechtigen. 

Die  Berutüngskommission  hat  die  Vermögensnachweisungen  sorgfältig 
zu  prüfen ;  die  von  ihr  gezogenen  Erinnerungen  sind  bei  der  nächsten 
Veranlagung  (§   37)  zu  beachten. 

Ist  gegen  die  Veranlagung  desselben  Steuerpflichtigen  sowohl  wegen 
der  Einkommensteuer  als  auch  wegen  der  Ergänzungssteuer  Berufung  ein- 
gelegt, so  kann  der  Vorsitzende  die  Erörterung  und  Entscheidung  der 
Rechtsmittel   in   einem  Verfahren   herbeiführen. 

b)  Beschwerde. 

£  36.  Gegen  die  Entscheidung  der  Berufungskommission  steht  so- 
wohl dem  Steuerpflichtigen  als  auch  dem  Vorsitzenden  der  Berufuugs- 
kommission die  Beschwerde  an  das  Oberverwaltungsgericht  in  Gemäfsheit 
der   Vorschriften  im  §  44  des  Einkommensteuergesetzes  zu. 

Die  Beschwerde  kann  mit  der  etwaigen  Beschwerde  bezüglich  der 
Einkommeusteuerveranlagung  desselben  Pflichtigen  in  dem  nämlichen 
Schriftsatze  angebracht  werden. 

Ist  mit  Bezug  auf  die  Veranlagung  desselben  Pflichtigen  sowohl  wegen 
der  Einkommensteuer  als  auch  wegen  der  Ergänzuugssteuer  Beschwerde 
eingelegt,  so  kann  das  Oberverwaltungsgericht  diese  Rechtsmittel  in  einem. 
Verfahren  erörtern  und  entscheiden. 

Im  übrigen  finden  auf  die  Beschwerden  und  auf  das  Verfahren  zum 
Zwecke  der  Entscheidung  derselben  die  §§  44  bis  49  des  Einkommen- 
steuergesetzes Anwendung. 

V.  Veranlagungsperiode  und  Veränderung  der  veran- 
lagten Steuer  innerhalb  derselben. 

§  37.  Die  Veranlagung  der  Ergänzungssteuer  erfolgt  für  eine  Periode 
von  drei  Steuerjahren,  zum  erstenmal  jedoch  für  die  Zeit  vom  1.  April  1895 
bis  zum  31.  März   1896. 


576  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Für  die  Zeit  vom  1.  April  1896  bis  zum  31.  März  1899  erfolgt 
die  Festsetzung  der  Veranlagungsperiode  durch  königliche   Verordnung. 

§  38.  Tritt  im  Laufe  eines  Steuerjahres  eine  Vermehrung  des 
steuerbaren  Vermögens  infolge  Erb-  oder  Fideikommifsanfalls,  Abteilungs- 
oder Ueberlassungsvertrages  zwischen  Eltern  und  Kindern ,  Schenkung 
oder  Verheiratung  ein,  so  ist  der  Erwerber  entsprechend  der  Vermehrung 
seines  Vermögens  anderweit  zur  Ergänzungssteuer  zu  veranlagen  und  zur 
Entrichtung  derselben  von  dem  Beginn  des  auf  den  Vermögenszuwachs 
folgenden  Monats  ab  verpflichtet. 

§  39.  Wird  nachgewiesen,  dafs  im  Laufe  eines  Steuerjahres  infolge 
Wegfalls  eines  Vermögenteils  der  Gesamtwert  des  steuerbaren  Vermögens 
eines  Pflichtigen  um  mehr  als  den  vierten  Teil  vermindert  worden  ist, 
oder  dafs  der  wegfallende  Teil  des  Vermögens  anderweit  zur  Ergänzungs- 
steuer herangezogen  wird,  so  kann  vom  Beginn  des  auf  den  Eintritt  der 
Vermögensverminderung  folgenden  Monats  ab  die  Ermäfsigung  der  Er- 
gänzungssteuer auf  den  dem  verbliebenen  Vermögen  entsprechenden 
Steuersatz  beansprucht  werden. 

§  40.  Aufser  in  den  Fällen  der  §§  38,  39  begründet  die  im  Lauf 
der  Veranlagungsperiode  eintretende  Vermehrung  oder  Verminderung  des 
Vermögens  in  seinem  Bestand  oder  Wert  keine  Veränderung  in  der  schon 
erfolgten  Veranlagung;  vielmehr  tritt  eine  Veränderung  in  den  Steuer- 
rollen innerhalb  der  Veranlagungsperiode  nur  ein  entweder  infolge  von 
Zugängen,  indem  Personen  durch  Zuzug  aus  anderen  Bundesstaaten  oder 
aus  anderen  Gründen  steuerpflichtig  werden,  oder  infolge  von  Abgängen, 
indem  bei  Steuerpflichtigen  die  Voraussetzungen,  an  welche  die  Steuer- 
pflicht geknüpft  ist,  erlöschen. 

Die  Zu-  und  Abgangsstellung  erfolgt  von  dem  Beginn  des  auf  deu 
Eintritt  oder  das  Erlöschen  der  Steuerpflicht  folgenden  Monats  ab. 

§  41.  Wegen  des  Verfahrens  bei  den  Steuerermäfsigungen  (§  39) 
und  bei  den  Abgangsstellungen  finden  die  Vorschriften  §  60  Abs.  1  bis  :3 
des  Einkommensteuergesetzes  sinngemäfse  Anwendung. 

In  den  Fällen  der  §§  38,  40  bestimmt  an  Stelle  der  Veranlagungs  - 
kommission  der  Vorsitzende  derselben  den  zu  entrichtenden  Steuersatz 
sowie  den  Zeitpunkt  der  Zugangsstellung.  Im  übrigen  finden  wegen  des 
Verfahrens  bei  der  Veranlagung  in  Zugangsfällen  sowie  wegen  der  Rechts- 
mittel die  Vorschriften  §§  20   bis  36  Anwendung. 

Den  Gemeinde-  (Guts-)  Vorständen  liegt  nach  den  vom  Fiuanzminister 
hierüber  zu  treffenden  Anordnungen  die  Führung  der  Zu-  und  Abgangs- 
listen ob. 

VI.  Steuererhebung. 

§  42.  Die  Ergänzungssteuer  wird  gleichzeitig  mit  der  Einkommen- 
steuer erhoben. 

Die  zur  örtlichen  Erhebung  der  Einkommensteuer  vom  Einkommen 
von  nicht  mehr  als  3000  M.  verpflichteten  (Gutsbezirke)  haben  auch  die 
Ergänzungssteuer  der  mit  einem  Einkommen  von  nicht  mehr  als  3000  M. 
veranlagten  oder  einkommensteuerfrei  gebliebenen  Personen  zu  erheben 
und  erhalten    hierfür,    solange  nicht    der  im  §  16   Absatz  2    des  Gesetzes 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  877 

wegen  Aufhebung  direkter  Staatssteuern  vorgesehene  Fall  eingetreten  ist, 
eine  vom  Finanzminister  festzusetzende  Gebühr,  welche  zwei  Prozent  der 
Isteinnahme  der  erhobenen   Ergänzungssteuer  nicht  übersteigen   darf. 

Die  Vorschriften  £§  62  bis  64  des  Einkommensteuergesetzes  finden 
auf  die  Ergänzuugssteuer  gleichmäfsig  Anwendung. 

Aufser  dem  Veranlagten  haften  diejenigen  Personen,  deren  Vermögen 
demselben  bei  der  Veranlagung  gemäfs  §  5  zugerechnet  ist,  für  den  auf 
dasselbe  nach  dem  Verhältnis  zum  veranlagten  Gesamtvermögen  ent- 
fallenden  Teil   der  veranlagten   ErgänzungsBteuer  solidarisch. 

VII.  Strafbestimmung. 

§  43.  Wer  in  der  Absicht  der  Steuerhinterziehung  an  zuständiger 
Stelle  über  das  ihm  zuzurechnende  steuerbare  Vermögen  oder  über  das 
Vermögen  der  von  ibm  zu  vertretenden  Steuerpflichtigen  unrichtige  oder 
unvollständige  thatsächliche  Angaban  macht,  wird  mit  dem  zehn-  bis 
fünfundzwanzigfachen  Betrage  der  Jahressteuer,  um  welche  der  Staat  ver- 
kürzt worden  ist  oder  verkürzt  werden  sollte,  mindestens  aber  mit  einer 
Geldstrafe  von  hundert  Mark  bestraft. 

Ist  eine  unrichtige  Angabe,  welche  geeignet  ist,  eine  Verkürzung  der 
Steuer  herbeizuführen,  zwar  wissentlich ,  aber  nicht  in  der  Absicht  der 
Steuerhinterziehung  erfolgt,  so  tritt  Geldstrafe  von  zwanzig  bis  hundert 
Mark  ein. 

Straffrei  bleibt,  wer  seine  unrichtige  oder  unvollständige  Angabe,  be- 
vor Anzeige  erfolgt  oder  eine  Untersuchung  eingeleitet  ist,  an  zuständiger 
Stelle  berichtigt  oder  ergänzt  und  die  vorenthaltene  Steuer  iu  der  ihm 
gesetzten   Frist  entrichtet. 

§  44.  Die  Einziehung  der  hinterzogenen  Steuer  erfolgt  neben  und 
unabhängig  von  der  Strafe. 

Die  Vorschriften  §  67  Absatz  2  und  3  des  Einkommensteuergesetzes 
finden   sinngeraäfse  Anwendung. 

VIII.  S  ch  1  uf  s  b  es  ti  m  mun  g  e  n. 

§  45.  Die  Gemeinden  (Gutsbezirke)  tragen  die  Kosten  für  die  bei 
der  Veranlagung  der  Ergänzungssteuer  ihnen  übertragenen  Geschäfte. 

Im  übrigen  fallen  die  Kosten  der  Veranlagung  und  Erhebung  der 
Staatskasse  zur  Last.  Jedoch  sind  diejenigen  Kosten,  welche  durch  die 
gelegentlich  der  eingelegten  Rechtsmittel  erfolgenden  Ermittelungen  ver- 
anlafst  werden,  von  dem  Steuerpflichtigen  zu  erstatten,  wenn  sich  seine 
Angaben  in  wesentlichen  Punkten  als  unrichtig  eiweisen. 

Die  Festsetzung  der  zu  erstattenden  Kosten  erfolgt  durch  die  Re- 
gierung, gegen  deren  Entscheidung  dem  Steuerpflichtigen  binnen  einer 
Ausschlufsfrist  von  vier  Wochen  die  bei  der  Regierung  einzulegende  Be- 
schwerde an  den  Finanzminister  offen   steht. 

Die  Mitglieder  der  Kommissionen  und  Schätzungsausschüsse  erhalten 
aus  der  Staatskasse  Reisekosten  und  Tagegelder,  deren  Sätze  im  Wege 
der  königlichen  Verordnung  gemäfs  §  12  des  Gesetzes,  betreffend  die 
Tagegelder  und    die  Reisekosten   der  Staatsbeamten,    vom  24.  März   1873 


§78  Nationalökonomische  Gesetzgebung. 

Gesetzsainnil.    S.    122    (Artikel    I    der    Verordnung    vom    15.   April    1876, 
Gesetzsamml.  S.    107)  bestimmt  werden. 

Die  Gebühren  für  Zeugen  und  Sachverständige  (§§  24,  29)  werden 
nach  den  in  Civilprozessen  zur  Anwendung  kommenden  Vorschriften  be- 
rechnet. 

§  46.     Die  folgenden  Bestimmungen   des  Einkommensteuergesetzes  : 
s^§   51   bis  54  (Geschäftsordnung    der  Kommissionen    und  Zustellungen) 
§   55   (Oberaufsicht  des  Finanzministers), 
§  61   Absatz   1   und   2   (Ab-  und  Anmeldung), 
§  68  Absatz  2  und  §  69    (Bestrafung    der  Zuwiderhandlungen    gegen 

die  Melde-  und  die  GeheimhaltuDgspflicht), 
§   70  (Strafumwandlung  und  Strafverfahren), 
§  78  (Zuständigkeit    der    Direktion    für    die  Verwaltung    der  direkten 

Steuern  in  Berlin), 
§   79   (Verlängerung  der  Ausschlufsfristen), 
§  80  (JNachbesteuerung), 
§  81   (Verjährung), 
finden  sinngemäfe  Anwendung, 

die  §§  52,  69,  80  mit  der  Mafsgabe,  dafs  der  Steuererklärung  die 
Vermögensanzeige,  dem  Einkommen  das  steuerbare  Vermögen  im  Sinne 
dieses  Gesetzes  gleichsteht;  dafs  ferner  die  Vorschriften  §  52  Absatz  1 
und  §  69  auch  auf  die  Mitglieder  des  Schätzungsausschusses  (§  23)  An- 
wendung finden. 

§  47.  Die  Wiedereinsetzung  in  den  vorigen  Stand  kann  beantragen, 
wer  durch  Naturereignisse  oder  andere  unabwendbare  Zufälle  verhindert 
worden  ist,  die  in  dem  gegenwärtigen  Gesetze  oder  in  dem  Einkommen- 
steuergesetze zur  Einlegnug  von  Rechtsmitteln  vorgeschriebenen  Aus- 
schlufsfristen einzuhalten.  Als  unabwendbarer  Zufall  ist  es  anzusehen, 
wenn  der  Antragsteller  von  einer  Zustellung  ohne  sein  Verschulden  keine 
Kenntnis   erlangt  hat. 

TJeber  den  Antrag  entscheidet  die  Kommission  oder  Behörde,  welcher 
die  Entscheidung  über  das  versäumte  Rechtsmittel  zusteht. 

Das  versäumte  Rechtsmittel  ist  unter  Anführung  der  Thatsachen, 
durch  welche  der  Antrag  auf  Wiedereinsetzung  begründet  werden  soll, 
sowie  der  Beweismittel  innerhalb  zwei  Wochen  nach  dem  Ablauf  des  Tages, 
mit  welchem  das  Hindernis  gehoben  ist,  nachzuholen. 

Nach  Ablauf  eines  Jahres,  von  dem  Ende  der  versäumten  Frist  an 
gerechnet,  findet  die  Nachholung  und  der  Antrag  auf  Wiedereinsetzung 
nicht  mehr  statt. 

Die  durch  Erörterung  des  Antrages  auf  Wiedereinsetzung  entstehenden 
baren   Auslagen  trägt  in  allen  Fällen   der  Antragsteller. 

§  48.  Uebersteigt  das  Veranlagungssoll  des  Jahres  1895/96  den  Be- 
trag von  35  000  000  M.  um  mehr  als  5  Proz.,  so  findet  in  dem  Ver- 
hältnis des  Mehrbetrages  zu  der  genannten  Summe  eine  Herabsetzung  der 
sämtlichen  im  §    18   bestimmten  Steuersätze  statt. 

Diese  Herabsetzung  wird  in  angemessener  Abrundung  durch  König- 
liche Verordnung  festgestellt.  Die  in  der  letzteren  bestimmten  Sätze  sind 
für  das  Steuerjahr  1895/96  und  die  folgenden  Jahre  mafsgebend. 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  879 

In  gleicher  Weise  findet,  wenn  das  Veranlagungssoll  des  Jahres 
1895/96  hinter  dem  Betrage  von  35  000  000  M.  um  mehr  als  5  Proz. 
zurückbleibt,  eine  entsprechende  Erhöhung  der  im  §  18  dieses  Gesetzes 
bestimmten  Steuersätze  statt,  insoweit  der  Ausfall  nicht  durch  einen  Mehr- 
ertrag der  Einkommensteuer  für  das  Jahr  1895/96  über  die  Summe  von 
135  000  000  M.  und  durch  die  Zinsen  der  im  §  49  bezeichneten  Ueber- 
schüsse  gedeckt  wird.  Diese  Erhöhung  wird  durch  Königliche  Verordnung 
für  die  Folgezeit  wieder  aufser  Kraft  gesetzt,  wenn  las  Veranlaguugssoll 
der  Ergänzungssteuer  den  Betrag  von  35  000  000  M.  zuzüglich  einer 
Steigerung  von  4  Proz.  für  jedes  auf  1895/96  folgende  Steuerjahr  er- 
reicht. 

§  49.  Uebersteigt  die  Einnahme  an  Einkommensteuer  für  das  Jahr 
1892/93  den  Betrag  von  80  000  000  M.  und  für  die  folgenden  Jahre  einen 
um  je  4  Proz.  erhöhten  Betrag,  so  sind  die  Ueberschüsse  und  deren 
Zinsen  bis  zum  Etatsjahre  1894/95  einschliefslich  zu  einem  besonderen, 
von  dem  Finanzminister  zu  verwaltenden  Fonds  abzuführen,  soweit  darüber 
nicht  durch  Gesetz  anderweit  Verfügung  getroffen  ist, 

Soweit  die  mit  3  1/2  Proz.  zu  berechnenden  Zinsen  dieses  Fonds  nach 
dem  Bestand  vom  1.  April  1895  zu  dem  im  §  48  Abs.  3  dieses  Gesetzes 
bezeichneten  Zweck  keine  Verwendung  finden,  ist  über  dieselben  zu  Bei- 
hilfen für  Volksschulbauten  oder  anderweiten  Beihilfen  an  unvermögende 
Schulverbände  durch  den  Staatshaushaltsetat  Bestimmung  zu  treffen. 

Der  Fonds  selbst  ist  am  1.  April  1895  zu  den  allgemeinen  Staats- 
fonds zu  vereinnahmen. 

Die  §§  82  bis  84  des  Einkommensteuergesetzes  treten  mit  der  Ver- 
kündigung dieses  Gesetzes   aufser  Kraft. 

§  50.  Abgesehen  von  der  Bestimmung  im  §  48  ist  eine  Verände- 
rung der  Ergänzungssteuersätze  nur  bei  gleichzeitiger  und  verhältnismäfsiger 
Abänderung  der  Einkommensteuersätze  zulässig. 

§  51.  Bei  der  Verteilung  und  Aufbringung  öffentlicher  Lasten  nach 
dem  Mafsstabe  direkter  Staatssteuern  kommt  die  Ergänzungesteuer  nicht 
in  Ansatz. 

§  52.  Dieses  Gesetz  tritt  nur  gleichzeitig  mit  dem  Gesetz  wegen 
Aufhebung  direkter  Staatssteuern  in  Kraft. 


§30  Nationalökonomiscbe  Gesetzgebung. 


XII. 
Wirtschaftliche  Gesetze  Oesterreichs  im  Jahre  1893. 

Ges.  betr.  die  Vereinsthaler  und  Vereinsdoppelthaler  österr.  Gepräges 
uud  deren  Aufserkurssetzung  vom  24.  März  (Verfassungsmäfsige  Zustim- 
mung zu  dem  Vertrage  mit  Deutschland  v.  20.  Febr.  1892.  Die  Aufser- 
kurssetzung wird  auf  dem   Verordnungswege  ausgesprochen). 

Ges.  vom  24.  März  betr.  eine  Aenderung  des  Gbb.  vom  4.  April  1885 
bez.  des  §  I  des  Ges.  vom  27.  Dez.  1880  betr.  Abänderung  der  Erwerbs- 
und Einkommensteuergesetze  und  Vorschriften  in  ihrer  Anwendung  auf 
Erwerbs-  und  Wirtschaftsgenossenschaften  und  Vorschufskassen.  (Die  Be- 
stimmungen  des  Gesetzes  haben  Anwendung  auf  diese  Institute.) 

Ges.  v.  24.  März  in  betr.  der  Gebühren  von  Gewinnsten.  (Das  Ges. 
v.  31.  März  1890  wird  dahin  abgeändert,  dafs  15  Proz.  ohne  Abzüge  zu 
entrichten  sind.) 

Ges.  v.  24.  März ,  durch  welches  die  Landessilbermünzen  zu  zwei 
Gulden  uud  ein  viertel  Gulden  aufser  gesetzlichen  Umlauf  gesetzt  werden 
(mit  dem    1.  Juni   1893). 

Ges.  v.  30.  März  wegen  Verabfolgung  von  Viehsalz  um  ermäfsigte 
Preise  (bis  500  000   M.-Centn.  zu   5   Gld.  v.   1,  Jan.   1894   an). 

Ges.  v.  20.  April  betr.  die  rechts-  und  staatswissenschaftlichen  Studien 
und  Staatsprüfungen. 

Ges.  v.  5.  April  betr.  die  Ausdehnung  der  zeitlichen  Befreiung  von 
der  Hauszinssteuer  für  Umbauten. 


XIII. 

Wirtschaftliche    Gesetzgebung  des  Deutschen  Reiches 
im  Jahre  1893. 

Ges.  betr.  die  Einführung  einer  einheitlichen  Zeitbestimmung  vom 
12.  März  (die  mittlere  Sonnenzeit  des  15.  Längengrades  östlich  Green- 
wich  vom    1.  April   1893   an). 

Ges.  betr.  die  Abänderung  der  Mafs-  und  Gewichtsordnung  vom  26.  April. 
(Das  Meter  und  Kilogramm  sind  die  Grundlagen  des  Maises  und  Gewichts.) 


Nationalökonomische  Gesetzgebung.  881 

Ges.  betr.  Ergänzung  der  Bestimmung  über  den  Wucher  vom  19.  Juni. 
(Der  §  302a  des  Strafgesetzbuchs  soll  lauten:  Wer  unter  Ausbeutung  der 
Notlage,  fies  Leichtsinns  oder  der  TJnerfahrenheit  eines  Anderen  mit  Bezug 
auf  ein  Darlehen  oder  auf  die  Stundung  einer  Geldforderung  oder  auf  ein 
anderes  zweiseitiges  Rechtsgeschäft,  welches  demselben  wirtschaftlichen 
Zweck  dienen  soll,  sich  oder  einem  Dritten  Vermögensvorteile  versprechen 
oder  gewahren  läfst,  welche  den  üblichen  Zinsfufs  dergestalt  überschreiten, 
dafs  nach  den  l'm ständen  des  Falles  die  Vermögensvorteile  in  auffälligem 
Mifsverhältnis  zu  der  Leistung  stehen ,  wird  wegen  Wuchers  mit  Ge- 
fängnis bis  zu  6  Monaten  und  zugleich  mit  Geldstrafe  bis  zu  3000  M. 
bestraft.  Auch  kann  auf  Verlust  der  bürgerlichen  Ehrenrechte  erkannt 
werden. 

§  302  d.  Wer  den  Wucher  gewerbs-  oder  gewohnheitsmäfsig  be- 
treibt, wird  mit  Gefängnis  nicht  unter  drei  Mouaten  und  zugleich  mit 
Geldstrafe  von  150 — 15  000  M.  bestraft.  Auch  ist  Verlust  des  bürger- 
lichen  Ehrenrechts  zu  erkennen. 

Aufserdem  §  367,  16  Art.  II.  In  dem  Ges.  v.  24.  Mai  1880  betr. 
den  Wucher  wird  Art.  3  im  ersten  Absatz  und  im  ersten  Satz  des  zweiten 
Absatzes  geändert  und  wird  folgender  Art.  4  eingestellt: 

Verträge,  welche  gegen  die  Vorschriften  der  §§  302  a,  b,  c  des  Straf- 
gesetzbuches verstofsen,  sind  ungiltig.  Sämtliche  von  dem  Schuldner  oder 
tür  ihn  geleisteten  Vermögensvorteile  müssen  zurückgewährt  und  vom  Tage 
des  Empfanges  an  verzinst  werden  .  .  . 

Art.  4.  Wer  aus  Geld-  und  Kreditgeschäften  ein  Gewerbe  macht, 
hat  die  Rechnung  des  Geschäftsjahres  für  jeden,  welcher  ein  Geschäft  der 
bezeichneten  Art  mit  ihm  abgeschlossen  hat  und  daraus  sein  Schuldner 
geworden  ist,  abzuschliefsen  und  dem  Schuldner  3  Monate  nach  Schlufs 
des  Jahres  einen  schriftlichen  Auszug  dieser  Rechnung  mitzuteilen,  der 
auch  erkennen   läfst,   wie  solches  erwachsen  ist. 

Wer  sich  der  Verpflichtung  entzieht,  wird  bis  zu  500  M.  oder  mit 
Haft  bestraft  etc.  Keine  Anwendung  finden  die  Bestimmungen  auf  Schuld- 
verträge, welche  auf  nur  Einem  während  des  abgelaufenen  Geschäftsjahres 
abgeschlossenen  Rechtsgeschäfte  beruht .  über  welche  schriftliche  Mit- 
teilung gemacht  ist. 

2)  Auf  öffentliche  Banken,  Bodenkreditinstitute,  Spar-  und  Leih- 
institute    öffentlicher   Korporationen ,     eingetragene    Genossenschaften    etc. 

3)  Auf  den   Geschäftsverkehr  zwischen  Kaufleuten. 

Art.  III.  Der  Abs.  3  Satz  1  des  §  35  der  Gewerbeordnung  erhält 
folgende  Fassung:  Dasselbe  gilt  von  der  gewerbsmäfsigen  Besorgung 
fremder  Rechtsangelegeuheiten  und  bei  Behörden  wahrzunehmenden  Ge- 
schälten, insbesondere  der  Abfassung  der  darauf  bezüglichen  schriftlichen 
Autsätze,  von  dem  gewerbsmäfsigen  Betriebe  der  Viehpacht,  des  Vieh- 
handels und  des  Handels  mit  ländlichen  Grundstücken ,  Vermittelung 
für  Immobiliarverträge,  Darlehen  und  Heiraten,  von  dem  Geschäfte  eines 
Gesindevermieters,  Stellenvermittlers  und  Auktionators.) 


Dritte  Folge  Bd    VIU  (LX11I)  56 


882 


Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


XIV. 

Wirtschaftliche  Gesetzgebung  der  deutschen  Bundesstaaten 

im  Jahre  1893. 


A.     Finanzen. 

Freuten  Ges.  wegen  Aufhebung  direkter  Staatssteuern   v.    14.  Juli  (aufgehoben 

werden  Grund-  und  Gebäudesteuern  v.  21.  Mai  1861  und  die  Gewerbe- 
und  Betriebssteuer  v.  24.  Juni  1891,  die  Bergwerkssteuer  v.  12.  Mai  1851 
und   20.  Oktober  1862   und  das  gleiche  Gesetz    für    die  neuen   Provirjzen). 

Ergänzungsgesetz  vom   14.  Juli  (Vermögenssteuer). 

Kommunalabgabengesetz  vom    14.  Juli. 

Gewerbesteuer  vom   27.   März  (in   24  Klassen  von   2  M.  bis  5000  M.). 
Baden  Ges.  betr.  die  Steuerbefreiung    neubestockter  Weinberge    v.   29.  März 

(Grundstücke  von  mindestens  1  Ar  sind  auf  5  Jahre  von  Staatsamtskörper- 
schafts-  und  Gemeindesteuer  frei). 

Ges.  betr.  die  Erhebung  eines  Zuschlages  zur  Liegenechaftsaccise  durch 
die  Gemeinden  v.  14.  April.  (Die  Erhebung  wird  gestattet,  wenn  die 
Grund-,  Gebäude-  und  Gewerbesteuer  nicht  ausreichen,  bis  auf  80  Pf.  von 
100  M.  des  der  staatlichen  Accise  unterliegenden  Kaufpreises  oder  Werts 
auf  Grund  der  Erlaubnis  des  Ministeriums.) 
Eis.-Lotbr.  Ges.  betr.  die  Gewerbesteuer-Einschätzung  v.   6.    Mai.      (Die  Ertrags- 

fähigkeit eines  Gewinnes  bemifst  sich  nach  derjenigen  Ziffer,  welche  unter 
normalen  Verhältnissen  und  bei  normalem  Betriebe  nach  Abzug  der  auf 
den  Betrieb  zu  verwendenden  Kosten  erfahr  ungsgemäfs  als  durchschnittlich 
verbleibender  Jahresertrag  angenommen  werden  kann.  Die  Schätzung 
erfolgt  auf  Grund  von  äufseren  Merkmalen.  Dabei  kommen  die  Bevölke- 
rungs-  und  Verkehrsverhältnisse ,  dann  die  Zahl  der  Gehilfen,  Betriebs- 
räume, -mittel  etc.  in  Betracht.  —  Die  Leitung  der  Einschätzung  liegt 
dem  Direktor  der  direkten  Steuern  ob.  Eine  Kommission  von  Landes- 
schätzern, aus  15  Mitgliedern  bestehend,  hat  für  Gieichmäfsigkeit  der  Ein- 
schätzung zu  sorgen.  Den  Vorsitzenden  und  5  Mitglieder  ernennt  das 
Ministerium,  die  übrigen  wählt  der  Landesausschufs.  Die  Kommission 
kann   Mustereinschätzungen  veranlassen. 

Die  Einschätzung  der  Gewerbe  geschieht  innerhalb  zu  bildender 
Schätzungsdistrikte  (Kreis-  oder  Bezirkskommission)  durch  Kommissionen 
unter  dem  Vorsitz  von  dem  Ministerium  zu  bestimmender  Ausführungs- 
kommissare. Die  Kreiskommission  (6 — 8  Mitglieder)  wird  zur  Hälfte  in 
geheimer  Abstimmung  von  dem  Kreistage  ev.  dem  Gemeinderat  gewählt, 
die  andere  Hälfte  ernennt  der  Direktor  der  direkten  Steuern  aus  den 
Gewerbetreibenden.  Die  Bezirkskommission  besteht  aus  dem  Ausführungs- 
kommissar als  Vorsitzenden  und  10  Mitgliedern.  Drei  sollen  durch  den 
Bezirkstag,  drei  durch  die  Handelskammer,  die  übrigen  durch  den  Direktor 
der  direkten  Steuern  mindestens  zur  Hälfte  aus  dem  Gewerbestande  ge- 
wählt werden. 
Braunschweig  Qeg    betr.  einige  Abänderungen    des    Klasseusteuergesetzes  v.   7.  Jan. 

1865,  v.   28.   März.     (Selbstdeklaration.) 


Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


883 


Schwarzburc- 
Rudolstadt 


Gewerbesteuergesetz  v.  28.  März.  (Stehende  Gewerbe  mit  einem  Be-     waideck 
trage    von    1500   M.  an,    nach    3   Steuerklassen  mit   ]/2,   3/4    und   1    Proz. 
des  jährlichen  Einkommens,  je  nachdem  dasselbe   1500 — 4000  M.,  4000 — 
10  000   M.,    10  000   und  mehr  beträgt.) 

Gewerbesteuergesetz  v.   25.  März. 

Einkommensteuergesetz  v.  25.  März.  (Der  monatlicbe  Steuersatz  beträgt 
bei  einem  Jahreseinkommen  bis  355  M.  5  Pf.,  350—400  M.  10  Pf.  fort- 
dauernd steigend  von  600— 700  50  Pf. ,  1000—1200  1,50,  1800—2100 
3,50,  10  000  27  M.,  18  000—20  000  M.  54  M.,  um  je  2000  M.  steigend 
um  je  6  M.  Mit  einem  Einkommen  von  3000  M.  ist  Selbstdeklaration 
an  den  Vorsitzenden  der   Hezirkskommission   (Landrat)  verlaugt.) 

Ges.  betr.  die  Einkommensteuer  v.  17.  Jan.  (Die  Einkommensteuer  Reur«  a.  L 
beträgt  terminlich  von  einem  Einkommen  von  15 — 30  M.  3  Pf.,  30  —  60  M. 
6  Pf.  u.  s.  w.,  270—300  M.  30  Pf.,  900  — 1050  M.  1,20,  3000  M.  7,80, 
5000  M.  16,20,  10  000,  37,80  M.  von  12  000  M.  an  um  je  1000  M. 
steigend  je  5  M.  mehr.  Die  Einkommensteuer  wird  in  so  viel  alljährlich 
durch  Patent  zu  bestimmenden  Terminen  erhoben,  als  zur  Aufbringung 
des  vom  Landtag  bewilligten  Jahresbedarfs  erforderlich  ist.  Die  Einschätzung 
erfolgt  durch  eine  Einschätzungskommission.  Die  Mitglieder  (3 — 12)  werden 
vom  Gemeinderat  resp.  Gemeindeversammlung  auf  3  Jahre  aus  der  Zahl 
der  Steuerpflichtigen    gewählt.      1/3   der  Mitglieder    scheidet  jahrlich  aus.) 

Ges.  betr.  die  anderweite  Feststellung  des  Diensteinkommens  der  Ver-      Anhalt 
waltungsbeamten  und  .Justizbeamten   vom    11.   April. 

Ges.  betr.  Zusätze    zum  Ges.  v.  25.  Okt.  u     17.  Dez.   1874  betr.  die     Kremen 
Erhebung  der  Einkommensteuer  v.  5.  Jan.  (die  Entscheidungen  der  Steuer- 
deputation betr.). 

Ges.  betr.  die  Wassersteuer  v.  30.  März. 

Ges.  betr.  Aenderung  des  Ges.  v.  25.  Juli  1888  betr.  die  Verbrauchs- 
abgabe. 

Ges.  betr.  die  Kanalsteuer  v.  9.  Juli. 

Ges.  betr.  die  Heranziehung  von  Militärpersonen  zu  Abgaben  für 
Gemeindezwecke  v.  28.  Dez. 

B.     Land-  und  Forstwirtschaft.    Bergbau. 

Ges.  betr.  die  Entschädigung  für  an  Maul-  und  Klauenseuche  gefallenes      [Baden 
Vieh  v.  31.  Mai. 

Ges.  betr.  das  landwirtschaftl.   Nachbarrecht  v.    15  Juni.      Berggesetz    Birkenfeid 
v.   18.  März   1891. 

Ges.  betr.    Abänderungen    einzelner    Bestimmungen    des    Berggesetzes  Braunschweig 
v.   15.  April  1867  u.   16.   April  1892. 

Ges.  betr.  die  Zulassung  von  Gewerkschaften  v.    13.  Febr.  Schw.-Sond. 

Ges.   betr.  die   Abänderung    einzelner  Bestimmungen  des   Berggesetzes      Anhalt 
v.  20.  April   1875,  v.   23.  März. 

Ges.  Nachtrag    zu    d.  Ges.  v.   10.  Jan.   1887,    die    Untersuchung    der  Renfs  j.  l. 
Zuchtstiere    betr.   v.    11.   Nov.    (alljährlich    finden    zwei    öffentliche    Zucht- 
stierprüfungen   statt,    nur    als    tauglich    von    der    Kommission    anerkannte 
dürfen  gegen  Entgelt  zur  Zucht  benutzt  werden). 

Ges.  die  Wiederaufforstung  abgeholzter  Waldparzellen  betr.  v.  3.  Nov. 

56* 


884 


Nationalökonomische  Gesetzgebung. 


(was    nicht    für    andere    Kulturzwecke    verwendet    ist,    soll    spätestens  in 
5  Jahren   wieder  aufgeforstet  werden). 
Rremen  Ges.  betr.   die   Verkuppelungen    und  Geroeinheitsteilungen  in  der  ehe- 

maligen  Feldmark  Utbremen  etc. 

C.     Arbeiter-  und   Armenwesen. 

r.rhz.  Hessen  Ges.  die  Kosten  der  Landarmenpflege  betr.  v.   24.  Mai.     (Betreffs  der 

Bestreitung  der  Kosten  der  Landarmenpflege  werden  den  Kreisen  aus 
Mitteln  des  Staates  Pauschsummen  halbjährlich  zur  Verfügung  gestellt. 
Dieselben  bestehen  in  der  Hälfte  der  Beträge,  welche  von  den  einzelnen 
Kreisen  im  Durchschnitt  der  letzten  drei  Jahre  verausgabt  worden  sin<i. 
Die  Summe   wird  darauf  von  dem  Ministerium  auf  drei  Jahre  festgestellt.) 

Revidierte   Gesindeordnung  v.    1 1.   Nov. 

Ges.   betr.  die  Krankenversicherung  v.   5.  Jan. 


Keuls  j.  L. 
Bremen 


D.     Handelsindustrie.     Geldbank. 

Gotha  Ges.   betr.   die  Befugnis  der  Gemeinden  zur  Erhebung  von  Gemeinde- 

steuern  von   Konsumvereinen   v.   19.  Juli    (sobald  sie  einen   offenen   Laden 


halten). 


E.     Verschiedenes. 


Coburg 


Schwarzburg- 
Sr^ndersh. 


Ges.  die  Zwangsentziehung    schulpflichtiger  Kinder    betr.  v.   25.  Juli. 

Ges.  abändernde  und  zusätzliche  Bestimmungen  zu  dem  Ges.  v.  22.  Mai 
1883  über  die  Unterbringung  verwahrloster  Kinder  v.  23.  Dez.  (Sie  kann 
vom  7. — 18.  Lebensjahre,  ausnahmsweise  bis  zum  20.  Jahre  von  Obrig- 
keits  wegen  ausgesprochen  werden;  auch  ohne  dafs  strafbare  Handlungen 
begangen  sind,  wenn  das  Verhalten  des  Kindes  eine  solche  sittliche  Ver- 
wahrlosung zu  erkennen  giebt,  dafs  mit  Rücksicht  auf  ihr  Verhalten,  auf 
die  Persönlichkeit  der  Eltern  oder  sonstigen  Erzieher  und  auf  ihre  son- 
stigen Verhältnisse  die  Unterbringung  zur  Verhütung  weiterer  sittlicher 
Verwahrlosung  erforderlich  erscheint.) 


M  i  s  z  e 1 1 e  n  885 


M  i  s  z  e  1 1  e  n. 


XVII. 


Die  gesetzliche  Regelung  des   Grunderwerbs   in    den    eng- 
lischen, französischen  und  holländischen  Kolonien. 

Von  Dr.   Alfred  Zimmermann. 

Unter  den  Schwierigkeiten,  mit  denen  die  Kolonisation  überseeischer 
Gebiete  zu  rechnen  hat,  steht  nach  den  vorliegenden  Erfahrungen  die 
Frage  der  Regelung  des  Grunderwerbs  obenan. 

Der  Wunsch,  möglichst  rasch  gröfsere  Kapitalien  für  die  wirtschaft- 
liche Erschliefsung  einer  Kolonie  heranzuziehen,  legt  den  Gedanken  der 
Erleichterung  des  Erwerbes  und  der  Ueberlassuug  gröf serer  Landstriche 
an  Gesellschaften  wie  einzelne  Unternehmer  nahe.  Mit  fortschreitender 
Entwickelung  einer  Kolonie  erweist  sich  aber  das  Vorhandensein  derartigen 
grofsen  Privatbesitzes,  falls  die  Inhaber  nicht  zu  bestimmten  Kultur- 
arbeiten verpflichtet  sind  und  ihr  Eigentumsrecht  zeitlich  unbegrenzt  ist, 
als  störend.  Kleinere  Ansiedler  lassen  sich  abschrecken,  wenn  sie  Land 
nur  unter  drückenden  Bedingungen  von  den  grofseu  Konzessionären  er- 
werben können.  Die  Kolonialverwaltung  sieht  sich  nicht  selten  in  ihrer 
Bewegungsfreiheit  gehemmt,  die  Vornahme  wichtiger  Arbeiten  wird  auf- 
gehalten oder  ganz  in  Frage  gestellt,  und  die  Kolonie  geht  der  Einnahmen 
aus  dem  Verkauf  von  Land,  wie  der  von  zahlreicheren  Ansiedlern  zu  er- 
wartenden Steuern  verlustig. 

Eine  weitere  schwer  zu  entscheidende  Frage  betrifft  die  Art  und 
Weise,  in  welcher  die  Regierung  den  Uebergang  herrenlosen,  zu  Kron- 
besitz erklärten  Landes  in  das  Eigentum  von  Kolonisten  am  besten  zu 
regeln  hat.  Während  die  kostenlose  Ueberweisung  solchen  Landes  die 
Besiedelung  und  Bewirtschaftung  mancher  überseeischer  Gebiete  zu  Zeiten 
gefördert  hat,  hat  sie  an  anderen  Orten  nur  Schaden  gebracht.  Es  hat 
sich  oft  als  nützlicher  für  die  Kolonien  erwiesen,  solches  Land  entweder 
meistbietend  oder  im  Abzahlungswege  zu  verkaufen  oder  durch  Einführung 
einer  Art  Erbpachtsystems  dem  Staat  jederzeit  einen  Rechtstitel  daran  zu 
bewahren. 

Ueber  die  Gröfse  der  Grundstücke,  welche  einzelnen  Unternehmern 
zu  überlassen  rätlich  ist,  sind  gleichfalls  in  verschiedenen  Kolonien  ab- 
weichende  Erfahrungen   gemacht  worden. 


886 


Miszellen. 


Auch  die  in  den  Anfängen  der  Besiedelung  nicht  selten  den  Kolo- 
nisten gewährte  Freiheit,  Landbesitz  unmittelbar  von  den  Eingeborenen 
ohne  besondere  Bedingungen  zu  erwerben ,  hat  häufig  zu  Unzuträglich- 
keiten geführt.  Die  Eingeborenen,  welche  oft  ohne  Kenntnis  von  den 
Folgen  zu  Verträgen  über  Abtretung  ihres  gesamten  Besitzes  und  sogar 
von  ihnen  nicht  gehörigen  Gebieten  veranlafst  worden  sind,  weigern  sich 
nachher,  den  Vertrag  als  giltig  anzuerkennen.  Oft  auch  wird  dasselbe 
Gebiet  durch  sie  mehrfach  verkauft.  Der  Kolonie  erwächst  aus  solchen 
Vorgängen  nicht  allein  die  Gefahr  von  Unruhen  und  langwierigen  Rechts- 
streitigkeiten, sondern  auch  die  der  Verarmung  der  einheimischen  Be- 
völkerung. 

Andererseits  hemmt  eine  zu  grofse  Erschwerung  und  Verteuerung 
des  Erwerbs  von  Grundbesitz  den  Zuflufs  von  Geld  und  Unternehmern 
nach  den   Kolonien. 

Diese  Schwierigkeiten,  welche  je  nach  den  Verhältnissen  einer  Kolonie 
in  sehr  verschiedener  Weise  sich  geltend  machen,  haben  in  den  fremden 
überseeischen  Besitzungen  zu  einer  sehr  umfangreichen  und  verwickelten 
Gesetzgebung  Anlafs  gegeben.  Ihr  Ziel  ist  durchweg:  die  möglichst  um- 
fassende Besiedelung  und  Bebauung  der  Kolonien  unter  Beschränkung  der 
Spekulation  zu  fördern;  die  Interessen  der  Kolonisten  und  der  Einge- 
borenen unter  sich  und  mit  dem  öffentlichen  Wohl  in  Einklang  zu 
bringen,  und  der  Staatskasse  die  erforderlichen  Einkünfte  zuzuführen. 
Der  Weg  zu  dem  Ziele  und  der  Erfolg  ist  aber  aus  mannigfachen 
Gründen  fast  in  allen  Kolonialgebieten  ein  sehr  verschiedener  ge- 
wesen. 

Die  nachfolgende  Zusammenstellung  weist  dies  an  dem  Beispiele  einer 
Anzahl  englischer,  französischer  und  holländischer  Kolonien  nach. 

I.  Englische  Kolonien. 

Die  erste  englische  Niederlassung  in  Australien  wurde  1788  ge- 
gründet. Es  wurde  damals  eiue  Anzahl  Sträflinge  unter  der  Aufsicht  des 
Gouverneurs  Phillip  in  Neu-Süd-Wales  gelandet.  Die  Deportierten- 
kolonie war  auf  Verpflegung  von  England  aus  angewiesen.  Um  Nahrungs- 
mittel im  Lande  zu  erzeugen,  beantragte  der  Gouverneur  die  Sendung 
freier  Kolonisten,  denen  er  Land  geben  und  Strafgefangene  zur  Arbeit 
überlassen  wollte.  Auf  seinen  Vorschlag  hin  genehmigte  im  August  1789 
die  Regierung,  dafs  der  Gouverneur  Beamten,  Soldaten  und  Einwanderern 
Grundstücke  nach  freiem  Ermessen  überweisen  könne.  Die  Ansiedler 
sollten  je  eine  Anzahl  Gefangener  beschäftigen  und  ernähren  und  nach 
5  Jahren  Grundsteuer  zahlen.  Der  Gouverneur  erteilte  die  ersten  Land- 
konzessionen  von   30  bis  40  Acres  freigelassenen  Sträfliugen. 

1793  kamen  die  ersten  freien  Einwanderer  in  gröfserer  Zahl.  Da- 
von erhielten  die  verheirateten  80,  die  ledigen  60  Acres.  Ackerbau  und 
Viehzucht  machten  bald  solche  Fortschritte,  dafs  die  Kolonisten  mehr 
Land  verlangten.  Um  aber  nicht  das  Kronland  in  der  Nähe  der  An- 
siedelungen zu  rasch  zu  veräufsern  und  die  ärmeren  kleinen  Bauern, 
welche  nicht   genug  Geld   zu  Gruudstückkäufeu  besafsen,  zu  benachteiligen, 


Miszellen.  837 

verkaufte  die  Regierung  kein  Land,  sondern  verpachtete  es  nur  von  1804 
ab  den   Gemeinden. 

Die  Kolonisten  wünschten  über  die  Blue  Mountains  hinaus  weiter 
ins  Innere  vorzugehen.  Die  Regierung  verbot  diese  Ausdehnung  damals 
aus  Rücksicht  auf  die  Strafkolonie. 

Die  Grundsteuer  betrug  erst  3  sh.  von  je  20  Acre?,  später  5  Proz. 
des  Landwertes.  Dazu  mufsten  die  Ansiedler  für  100  Acres  je  5  Ge- 
fangene erhalten.  Wer  2000  Acres  besafs,  mufste  120  davon  bestellen 
und   30   Gefangene  nähren. 

1824  wurde  der  Verkauf  von  Land  für  5  sh.  vom  Acre  und  gegen 
eine  Grundsteuer  von  2  sh.  für  je  100  Acres  eingeführt.  Die  Nachfrage 
gestaltete  sich  dabei  so  grofs,  dafs  die  Verwaltung  ängstlich  wurde  und 
nach  6  Monaten  den  Verkauf  wieder  einstellte.  Auf  dem  Wege  von 
Konzessionen  und  Verleihungen  sind  bis  1831  nicht  weniger  als  3  422  538 
Acres  besten   Landes  in   Neu-Süd- Wales  veräufsert  worden. 

Im  August  1831  wurde  die  erste  Landakte  erlassen,  welche  Verkauf 
von  Kronland  an  den  Meistbietenden  einführte.  Als  Mindestpreis  wurden 
5  sh.  für  den  Acre  festgesetzt.  Die  Grö'fse  des  zu  kaufenden  Terrains 
war  unbeschränkt.  Mineralien  verblieben  Eigentum  der  Krone.  Jeder 
Käufer,  der  durch  Beschäftigung  von  Sträflingen  binnen  10  Jahren  dem 
Fiskus  den  Preis  des  Landes  zehnfach  einbrachte,  erhielt  die  Kaufsumme 
zurück.  Die  Nachfrage  nach  Grundbesitz  unter  diesen  Bedingungen  war 
so  rege,  dafs  binnen  41/2  Jahren  202  000  £  erzielt,  wurden.  Doch  ge- 
nügte das  zum  Verkauf  gestellte  Land  nicht,  um  alle  Kauflustigen  zu  be- 
friedigen. 

Die  immer  steigende  Einwanderung  und  Nachfrage  nach  Land  führte 
zu  einer  grofsen  Grundstücksspekulation.  Um  ihr  zu  steuern,  erging  1842 
eine  neue  Landakte,  welche  alle  unentgeltlichen  Landkonzessionen  ab- 
schaffte und  den  Mindestpreis  bei   Auktionen   auf  1   £  erhöhte. 

1843  wurde,  um  das  Umsichgreifen  der  als  Squatters  im  Innern  ohne 
Besitztitel  nur  mit  Licenz  lebenden  Viehzüchter  einzuschränken,  bestimmt, 
dafs  jeder  von  ihnen  von  dem  benutzten  Lande  mindestens  320  Acres 
zum  Preise  von  1  £  für  den  Acre  kaufen  müsse.  Diese  Verordnung  fand 
grofsen  Widerstand  bei  den  Squatters,  welche  damals  schon  ungeheure 
Landstriche  in  den  Händen  hatten.  Sie  setzten  durch,  dafs  eine  neue 
Landakte  von  1846  mehr  ihren  Wünschen  entsprechend  ausfiel. 

Es  wurde  durch  sie  die  Verpachtung  von  Ländereien  von  16  000 
Acres  für  14  Jahre  und  mit  dem  Recht  des  Kaufs  von  640  Acres  für 
ebensoviel  £  gestattet.  In  dem  noch  ganz  unbesiedelten  Innern  durften 
Flächen  von  32  000  Acres  verpachtet  werden.  Während  der  Dauer  des 
Pachtvertrages  war  Verkauf  des  Lau  des  an  Dritte  verboten.  Infolge  dieses 
Gesetzes  begann  ein  allgemeines  Jagen  nach  solchen  Pachten  und  grofse 
Spekulanten    sicherten    sich    damit    Rechte    auf   ungeheure    Landstrecken. 

Seitdem  Neu-Süd-Wales  1855  eine  verantwortliche  Regierung  erhielt, 
machte  sich  eine  starke  Bewegung  in  der  Bevölkerung  gegen  dieses  Un- 
wesen geltend.  1858  schon  versuchte  die  Regierung  einzuschreiten,  aber 
erst  1861  setzte  Minister  Robertson  eine  durchgreifende  Revision  der 
Landesgesetzgebung  durch. 


M  i  s  z  e  1  le  n. 

Die  Crown  Land  Alienation  Act  uud  die  Crown  Land  Occupation 
Act,  welche  er  veranlafste,  haben  23  Jahre  lang;  Geltung  bewahrt.  Das 
ersterwähnte  Gesetz  bestimmte  folgendes.  Jedermann  kann  beliebiges 
unvermessenes  Kronland  in  Stücken  von  40  bis  320  Acres,  soweit  es 
nicht  städtisches  Terrain  oder  reserviert  ist,  zum  Preise  von  1  £  für  den 
Acres  auswählen  und  kaufen.  */4  des  Preises  niufs  angezahlt,  der  Rest 
binnen  3  Jahren  abgetragen  werden.  Land  iu  Minendistrikten  konnte 
für  2  £  vom  Acre  gekauft  werden. 

Die  zweite  Akte  regelte  die  Besitznahme  von  Weideländereien  in 
der  Weise,  dafs  Licenzen  in  besiedeltem  Lande  für  eine  jährliche  Zahlung 
von  2  £  für  die  Quadratmeile,  in  unbesiedeltem  für  Strecken  von  25  bis 
100  Quadratmeilen  auf  5  Jahre  im  Wege  der  öffentlichen  Schätzung  er- 
teilt werden  konnten. 

Statt  dem  Uebel  zu  steuern,  förderte  diese  Gesetzgebung  die  Speku- 
lation noch  mehr.  Besonders  beliebt  war  es,  Grund  und  Boden  in  Weide- 
gebieten von  der  Regierung  zu  erstehen  und  den  Squatter  zu  nötigen,  sie 
zu  hohen  Preisen  wiederzukaufen.  Auch  die  Squatters  brachten  grofse 
Ländereien   an   sich  und  hielten   dadurch  die  Kolonisation   auf. 

Die  Landakte  erfuhr  1875  eine  Verbesserung  insofern,  als  nur  Per- 
sonen im  Alter  von  mehr  als  16  Jahren  sich  Land  zuteilen  lassen  durften. 
Die  zulässige  Gröfse  der  Stücke  wurrle  auf  640  Acres  erhöht  und  ange- 
ordnet, dafs  die  Landbesitzer  nach  Erfüllung  gewisser  Bedingungen  ein 
zweites  ebenso  grofses  Terrain  kaufen  und  das  anstofsende  Gebiet  pachten 
konnten.     Den   Beschwerden  wurde  damit  jedoch  nicht  abgeholten. 

Im  Jahre  1883  fand  eine  parlamentarische  Untersuchung  der  ganzen 
Frage  statt.  Die  Kommission  empfahl  Beschränkung  des  Auswahlrechts 
auf  schon  vermessenes  Land,  allgemeine  Einführung  des  Pachtsystems, 
Bevorzugung  der  früheren  Inhaber  bei  Verpachtung  von  Weideland,  Lei- 
tung des  Landamts  durch  nicht  politische  Personen.  Diese  Grundsätze 
waren  im  Parlament  nicht  vollständig  durchzusetzen,  doch  haben  die  1884 
und   1889    eingeführten   neuen  Landakten    vieles    gegen    früher    gebessert. 

Die  neue  Gesetzgebung  behält: 

1)  alle  Mineralrechte  der  Regierung  vor. 

2)  Sie  teilt  ferner  die  Kolonie  in  einen  östlichen  (60x/2  Millionen 
Acres),  einen  mittleren  (55  x/2  Millionen)  und  einen  westlichen  (80  Mill.) 
Teil  ein,  welche  in  Landdistrikte  zerlegt  und  durch  1 4  Grundämter  ver- 
waltet werden  sollen. 

3)  Das  Land  des  westlichen  Teils  der  Kolonie,  die  verpachteten  Ge- 
biete und  reservierter  Grund  und  Boden  dürfen  nicht  zum  Verkauf  ge- 
bracht werden.  Alles  andere  Land  kann  jeder  über  16  Jahre  alte  Ko- 
lonist in  Stücken  von  nicht  weniger  als  40   Acres  kaufen. 

Das  Land  mufs  aber  vorher  genau  bezeichnet  und  beschrieben  werden 
und  für  den  Acre  sind  2  sh.  zu  hinterlegen.  Für  die  Vermessung  ist 
von  Grundstücken  bis  zu  4  Acre  1  £  mit  entsprechender  Steigerung  für 
gröfsere  Flächen  zu  zahlen.  Die  Prüfung  der  Landkaufgesuche  und  die 
Untersuchung  älterer  Ansprüche  geschieht  durch  die  Grundämter.  Der 
zugelassene  Käufer  mufs  das  Land  5  Jahre  bewohnen  und  binnen  2  Jahren 
einzäunen.     Der  Kaufpreis   kann   ratenweise  mit  vierprozentiger  Verzinsung 


M  i  a  z  e  1 1  e  ii  889 

binnen  5  Jahren  abgetragen  werden.  Nach  Erfüllung  aller  Bedingungen 
wird  der  volle  Besitztitel  erteilt.  Erst  dann  kann  die  betreffende  Person 
ein  neues   Landstück  erwerben. 

Ohne  die  Verpflichtung  zum  Wohnen  werden  Personen  von  minde- 
stens 21  Jahren  Grundstücke  von  40  bis  320  Acres,  aber  nur  einmal 
und   unter  strengeren  Bedingungen   als  die  vorigen  zugeteilt. 

Die  Käufer  können  aufserdem  im  mittleren  und  östlichen  Teile  der 
Kolonie  noch  Stücke  von  2560  beziehungsweise  1280  Acres  Land  in 
Pachtung  erhalten.      Dies   Land  mufs  gleichfalls  umzäunt  werden. 

Im  Auktionswege  dürfen  jährlich  nicht  mehr  als  200  000  Acree  nach 
2-  bis  3monatlicher  Bekanntmachung  verkauft  werden.  Die  Mindestpreise 
sind  bei  Stadtland  8  £;  Weichbild  2,10  £;  bei  anderem  Lande  25  sh. 
für  den  Acre.  Von  Stadtland  darf  ein  Stück  nicht  gröfser  als  1/2  Acre, 
bei  dem  zweiten  als  20,  bei  dem  letztgenannten  als  640  Acres  sein.  Ein 
Viertel  der  Kaufsumme  ist  sofort,  der  Rest  binnen  höchstens  5  Jahren 
zu  zahlen. 

4)  Jeder  Inhaber  von  Weideland  soll  binnen  4  Monaten  schriftlich 
um  Verpachtung  eines  genau  beschriebenen  Teils  seines  Gebiets  beim 
Minister  einkommen.  Nach  getroffener  Entscheidung  wird  das  Land  im 
Westdistrikt  auf  21,  im  mittleren  auf  10,  im  östlichen  auf  5  Jahre  mit 
dem  Recht  der  Verlängerung  der  Pacht  dem  Bittsteller  verpachtet.  Die 
Pachtsumme  setzt  der  Minister  nach  Anhörung  des  Grundamts  fest.  Beim 
Ei  löschen  oder  Verfall  von  Weidepachtungen  gehören,  falls  keine  Wieder- 
verpachtung stattfindet,  alle  auf  dem  Lande  vorgenommenen  Verbesserungen 
u.   s.  w.   ohne   Entschädigung  der  Krone. 

Im  Westdistrikt  können  Heimstätten  für  15  Jahre  in  der  Gröfse  von 
2560  bis  10  240  Acres  unter  denselben  Bedingungen  wie  Weidepach- 
tungen verliehen  werden.  3  Monate  nach  der  Zuteilung  mufs  das  Land 
in  Besitz  genommen  und  binnen  2  Jahren  umzäunt  werden.  In  den  ersten 
5  Jahren  mufs  der  Heirastätteninhaber  jahrlich  wenigstens  6  Monate  auf 
seinem  Lande  wohnen.  Für  Verbesserungen  der  Heimstätte  wird  beim 
Verfall  keine  Entschädigung  gezahlt.  Eine  Person  kann  nur  eine  Heim- 
stätte pachten.  Inhaber  von  Weidepachtungen  dürfen  keine  Heimstätten 
halten   und  umgekehrt. 

Aufserdem  sind  jährliche  Landpachtuugen  für  Gebiete  bis  zu  1920  Acres 
gegen  eine  Zahlung  von  mindestens  2  £  für  640  Acres  zulässig.  Der 
Staat  kanu  diese  Pachten  aber  stets  kündigen  und  anders  über  das  Land 
verfügen. 

1893  ist  noch  eine  Labour  Settlements  Act  eingeführt  worden,  welche 
die  Gründung  von  Arbeiterdörfern  aus  Anlafs  der  in  der  Kolonie  herr- 
schenden Krise  auf  noch  freiem   Lande  vorsieht. 

Im  Jahre  1891  waren  von  den  198  480  000  Acres,  welche  Neu-Süd- 
Wales  umfafst,  45  731  000  vergeben.  23  367  000  befanden  sich  bereits  im 
Privatbesitz,  3  123  000  waren  für  öffentliche  Zwecke  verwendet,  19  241  000 
waren  auf  dem  Wege,  veräufsert  zu  werden.  Die  gröfste  Zahl  der  Kolo- 
nisten besitzt  Grundstücke  zwischen  16  uud  200  Acres  Gröfse.  Es  gab 
1891  deren  22  815.  Ländereien  von  mehr  als  10  0Ü0  Acres  waren  nur  in 
den   Händen   von   677   Personen. 


390  Miszellen. 

Der  Zweck,  die  Ansiedelung  in  der  Kolonie  zu  befördern ,  ist  durch 
das  neue  Gesetz  nicht  erreicht  worden.  Die  Zahl  der  Leute,  welche 
Landkonzessionen  kaufen,  ist  ständig  zurückgegangen.  1884  zählte  man 
10  657,  1891  nur  6149;  dagegen  erreicht  die  Zahl  der  Verkäufe  von 
Grundstücken  eine  bedenkliche  Höhe.  Von  1882  —  91  sind  21  097  323  Acres 
veräufsert  und  nur  12  884  478  von  der  Regierung  gekauft  worden.  Die 
grofsen  Latifundien  wachsen.  Nur  2  Proz.  des  im  Privatbesitz  befindlichen 
Landes  werden  wirklich  kultiviert. 

In  Tasmania,  welches  anfänglich  zu  Neu-Süd-Wales  gehörte,  galten 
bis  zum  Jahre  1828,  in  welchem  es  selbständig  wurde,  dieselben  Bestim- 
mungen, wie  in  der  Mutterkolonie.  Landverkäufe  begannen  1828  zum 
Mindestpreis  von  5  sh.  für  den  Acre.  1843  wurde  das  neben  den  Ver- 
käufen bestehende  Pachtsystem  mit  Erfolg  ausgedehnt.  1848  wurde  Ver- 
kauf an  den  Meistbietenden,  aber  ohne  Bedingung  des  Bewohnens  des 
Landes,  eingeführt.  Als  der  Abflufs  der  Bevölkerung  nach  den  Gold- 
feldern begann,  wurde  der  Landerwerb  zu  gunsten  der  Spekulation  noch 
mehr  erleichtert. 

1858  nach  Einführung  der  Selbstregierung  wurde  die  erste  Landakte 
erlassen ,  welche  die  Wahl  unvermessenen  Landes  in  Stücken  von  50  bis 
640  Acres  gestattete. 

Sie  mufsten  binnen  5  Jahren  umzäunt,  und  von  50  Acres  je  5  in 
Bewirtschaftung  genommen  werden.  Der  Preis  für  den  Acre  war  1  £. 
Viehzüchtern  wurden  umsonst  Landstücke  bis  zu  10  000  Acres  verpachtet. 
Die  Pächter  durften  beliebige  Stücke  ihres  Besitzes  bis  zu  640  Acres 
für  10  sh.  den  Acre  kaufen. 

Eine  neue  Landakte  von  1863  forderte  Bewohnen  des  gekauften 
Landes.  1870  wurde  bestimmt,  dafs  jeder  Erwachsene  höchstens  320  Acres 
auswählen  durfte,  die  er  bewohnen  und  mit  ebensoviel  £  in  Fristen  be- 
zahlen mufste.  Die  Vermessung  geschieht  auf  Kosten  des  Käufers.  Da- 
neben  wurden   Landverkäufe  an   den  Meistbietenden  eingeführt. 

1891  trat  eine  Abänderung  des  Gesetzes  in  Kraft,  welche  die  Ver- 
gebung von  Weidepachten  an  Meistbietende  auf  14  Jahre  und  verschie- 
dene Erleichterungen  beim  Landkauf  genehmigte.  1891  waren  in  der 
Kolonie  4  695  000  Acres  vergeben,  die  sich  aber  trotz  aller  Vorkehrungen 
in  ziemlich  wenigen   Händen  befinden. 

Auch  Victoria  ist  aus  Neu-Süd- Wales  hervorgegangen.  1835  wurde 
es  von  tasraanischen  Ansiedlern  gegründet,  welche  von  den  Eingeborenen 
am  Port  Phillip  riesige  Landstrecken  für  Messer,  Brillen  u.  dergl.  erworben 
hatten.  Der  Gouverneur  von  Neu-Süd-Wales  erklärte  diesen  Landkauf  für 
ungiltig  und  führte  in  der  neuen  Ansiedelung  das  Gesetz  von  1831  ein. 
Schon   1837  fand  ihm  gemäfs  die  erste  Landversteigerung  statt. 

1840  ordnete  die  englische  Regierung  Einstellung  der  Landauktionen 
und  Verkauf  aller  Terrains  einschließlich  der  Mineralien  zu  einem  festen 
Preise  von  1  £  für  den  Acre  an.  Es  geschah  das,  um  die  Auswande- 
rung nach  Melbourne  und  der  neuen  Kolonie  zu  heben.  Aber  die  Ein- 
richtung war  in  anderer  Hinsicht  so  unzweckmäfsig  und  ungerecht ,  dafs 
die  Kolonialbehörden ,  wenigstens  für  das  Land  in  der  Nähe  der  Städte, 
die  Auktionen  beibehielten. 


Miszellen.  891 

Die  Landakte  von  1842  führte  den  Verkauf  an  den  Meistbietenden, 
den  Mindestpreis  von  1  £  und  vorherige  Vermessung  ein.  Die  Be- 
schwerden der  Herdenbesitzer  waren  hiergegen  in  Port  Phillip  dieselben 
wie  im  übrigen  Neu-Süd- Wales,  und  zur  Akte  von  1846  haben  auch  sie 
thätig  mitgewirkt. 

1851  wurde  Port  Phillip  unter  dem  Namen  Victoria  eine  besondere 
Kolonie.  Es  wann  von  den  56J/4  Millionen  Acres  seiner  Oberfläche 
bis  dahin  nur  400  000  zum  Preise  von  7  76  000  £  veräufsert.  Jetzt  be- 
gann unter  dem  Einflufs  der  Goldfunde  im  Lande  eine  starke  Zuwande- 
rung und  Bodenspekulation ,    gegen  welche  vergeblich    angekämpft  wurde. 

1857  nahm  das  Parlament  der  Kolonie  die  Regelung  der  Angelegen- 
heit iu  die  Hand.  Aber  bei  dem  starken  Widerstand  der  Viehzüchter  und 
Spekulanten  gegen  Beschränkung  ihrer  Hechte  kam  es  erst  1860  zu  einer 
Landukte. 

Vermessenes  Land  sollte  danach  von  der  Regierung  in  Stücken  von 
40  bis  640  Acres  zu  1  f  der  Acre  verkauft  werden.  Auktionen  fanden 
nur  statt,  wenn  mehrere  Personen  dasselbe  Land  wünschten.  Niemand 
durfte  mehr  als  640  Acres  im  Jahr  kaufen.  Das  verfügbare  Land  wurde 
iu  Blöcke  geteilt.  War  x/4  eines  Blockes  verkauft,  so  konnte  der  Rest 
von  den  Käufern  gemeinsam  benutzt  werden.  Land  bei  Städten,  Flüssen, 
Bahnen  sollte  nur  meistbietend  verkauft  werden.  Auf  je  10  Acres  mufste 
nach  einer  1862  eingeführten  Ergänzung  des  Gesetzes  jeder  Käufer  1 
binnen  Jahresfrist  bebauen  und  das  ganze  Land  einzäunen.  Damals  wurde 
auch  für  Weideländereien  eine  höhere  Pacht  nach  der  Viehzahl  und  eine 
Beschränkung  ihrer  Gröfse  eingeführt. 

1865  wurde  deu  Landkäufern  Bewohnen  des  Landes  und  Ausführung 
bestimmter  Arbeiten  während  gewisser  Fristen  vorgeschrieben.  Trotz  alledem 
gingen  alljährlich  immer  gröfsere  Strecken  Kronland  iu   Privatbesitz  über. 

1869  wurde  daher  die  zulässige  Gröfse  eines  auf  einmal  zukaufenden 
Terrains  auf  320  Acres  herabgesetzt.  Der  erwachsene  Käufer  mufste  es 
2V2  Jahre  bewohnen,  bestimmte  Arbeiten  ausführen,  2  sh.  vom  Acre 
Pacht  zahlen  und  erhielt  den  Besitztitel  erst  nach  Erfüllung  aller  dieser 
Bedingungen  und  gegen  Erlegung  von  1  £  vom  Acre.  Im  Auktionswege 
sollten  jährlich  nur  200  000   Acres  veräufsert  werden. 

Weideland  konnte  für  14  Jahre  gegen  bestimmte  Abgaben  verpachtet 
werden.  Der  Pächter  mufs  alles  Ungeziefer  darauf  vertilgen.  Er  hat  das 
Recht,  eine  Heimstätte  von  320  Acres  für  ebensoviel  £  zu  erwerben. 

1883  erging  die  Mallee  Pastoral  Leases  Act,  welche  den  Zweck  ver- 
folgte, die  in  einem  Teil  des  Distriktes  Mallee  hausenden  wilden  Hunde 
und  Kaninchen  durch  Ansetzung  von  Ansiedlern  auszurotten.  Ein  Teil 
des  Distrikts  wurde  in  Stücke  bis  zu  20  000  Acres  geteilt,  welche  für 
20  Jahre  gegen  10  bis  40  sh.  Pacht  für  die  Quadratmeile  verpachtet 
werden.  Die  Pächter  dürfen  bis  320  Acres  ihres  Terrains  in  üblicher 
Weise  kaufen.  Der  gröfsere  Teil  des  Distrikts  wurde  in  Blöcke  von 
103/4  bis  583  Quadratmeilen  zerlegt,  welche  an  den  Meistbietenden  gegen 
Zahlung  einer  Pacht  nach  der  Viehzahl  vergeben  werden.  Binnen  3  Jahren 
müssen  die  Pächter  im  Mallee-Distrikt  alles  Ungeziefer  vernichten  und 
das  Land   in   guten   Stand  setzen. 


892  Mis  zell  en. 

Die  allgemeine  Landesgesetzgebung  der  Kolonie  erfuhr  1884,  1890 
und  1891  eine  nochmalige  Reform.  Das  noch  verfügbare  Kronland  wurde 
dadurch  in  Weide,  Feld,  Grasland,  Goldland,  Sümpfe  u.  8.  w.  eingeteilt 
und  für  jede  Gattung  besondere  Vorschriften  aufgestellt.  200  000  Acres 
besonders  vermessenen  Landes  dürfen  jährlich  meistbietend  verkauft  werden. 
Im  übrigen  wird  Land  nur  verpachtet,  und  der  Pächter  darf  nur  bis  320 
Acres  seines  Pachtgutes  kaufen.  Bei  Ablauf  der  Pachtverträge  fällt  das 
gepachtete  Land  an  die  Krone,  die  Pächter  erhalten  aber  für  Zäune, 
Brunnen,   Dämme  und  dergleichen   Entschädigungen. 

1893  wurde  noch  durch  ein  Gesetz  die  Gründung  von  Dörfern  ge- 
regelt.    Die  Regierung  gewährt  dazu  Ländereien  und  Geldvorschüsse. 

1891  waren  22V2  Millionen  Acres  des  Kronlandes  der  Kolonie  ver- 
äufsert  und  2  687  000  davon  unter  Kultur.  In  der  Zeit  von  1874 — 91 
allein  sind  15  329  000  Acres  veräufsert  worden.  Ein  Teil  davon  ist  aller- 
dings verfallen   oder  weiter  verkauft  worden. 

Queensland  hat  bis  1859  zu  Neu-Süd- Wales  gehört  und  unter 
der  dortigen  Gesetzgebung  gestanden.  Nur  86  300  Acres  waren  veräufsert, 
als  die   Kolonie  selbständig  wurde. 

1859  beschlofs  das  Parlament  eine  Landakte,  wodurch  städtischer, 
Weichbild-  und  ländlicher  Grundbesitz  unterschieden  und  der  Verkauf  an 
die  Meistbietenden  zu  mindestens  1  £  vom  Acre  eingeführt  wurde. 
Gröfsere  Landstücke  wurden  an  verschiedenen  Stellen  reserviert,  in  denen 
Verkauf  von  Stücken  in  der  Gröfse  von  40  bis  320  Acres  für  ebensoviel 
Pfund  Sterling  gestattet  war.  Die  Käufer  mufsten  aber  ihr  Land  be- 
wohnen und  sofort  kultivieren.  An  frühere  Offiziere  und  Einwanderer 
konnte  der  Gouverneur  kleinere   Landstücke  unentgeltlich  verteilen. 

Eine  zweite  gleichzeitige  Akte  regelte  die  Bedingungen  der  Pachtung 
von  Weideländereien.  Der  Staat  konnte  letztere  jederzeit  mit  einjähriger 
Kündigung  und  Entschädigung  für  Verbesserungen   einziehen. 

1863  wurden  die  für  Kauf  zu  festen  Preisen  reservierten  Gebiete  ein- 
geschränkt, Vermessung  angeordnet  und  Einzäunung  sowie  raschere  Be- 
bauung des  verkauften  Terrains  vorgeschrieben.  Keine  Person  sollte 
mehr  als  320   Acres  besitzen. 

Diese  Bedingungen  schreckten  die  Einwanderer  so  ab,  dafs  sie  mit  der 
Zeit  etwas  erleichtert  werden  mufsten.  Das  führte  aber  sofort  zum  Ueber- 
handnehmen  der  Landspekulation.  Um  ihr  entgegenzutreten  und  die  Be- 
siedlung zu  fördern,  wurde  1872  eine  Heimstättenakte  erlassen.  Sie  gab 
jeder  über  21  Jahre  alten  Person  Recht  zur  Pachtung  eines  Gebiets  von 
80  Acres  Feld-  oder  160  Acres  Weideland,  die  nach  5-jähriger  Benutzung 
in  ihr  Eigentum  übergingen. 

1876  legte  eine  neue  Landakte  die  Bemessung  und  Preisschätzung 
des  zum  Kauf  gegen  Abzahlung  zu  stellenden  Landes  in  die  Hand  des 
Gouverneurs. 

1885  erfolgte  eine  nochmalige  Reform  der  Landesgesetzgebung,  welche 
in  dem  folgenden  Jahre  nur  in  unwesentlichen  Punkten  abgeändert  worden 
ist.  Die  Ueberwachung  und  Ausführung  der  Landgesetze  wurde  dadurch 
in  die  Hand  eines  Grundamts  gelegt.  Alle  Pachtungen  wurden  gekündigt, 
ein  Stück  der  Pachtgrundstücke    vom  Staat    eingezogen    und  der  Rest   für 


Misz  eilen.  893 

10  bis  15  Jahre  zu  10  bis  90  8h.  für  die  Quadratmeile  wiederverpachtet. 
Der  Gouverneur  darf  beliebiges  Land  zum  Verkauf  stellen  und  Ackerland 
in  Stücken  von  320  bis  1280  Acres  zu  3  I'ence,  Weideland  in  Stücken 
von  2560  bis  20  000  Acres  zu  8/4  Penny  Pacht  für  den  Acre  vergeben. 
Der  Mindestpreis  beim  Kauf  bleibt  1  £  für  den  Acre.  Personen  unter 
18  Jahren,  Vormünder,  Diener,  Agenten,  verheiratete  Frauen  werden  vom 
Kaufrecht  ausgeschlossen. 

Die  Käufer  müssen  die  Vermessungskosten  trag» n,  das  Land  um- 
zäunen, verbessern  und  bewohnen.  Die  Pachtfrist  betraut  50  Jahre  für 
Acker-,  30  tür  Weideland.  Nach  zehnjähriger  Bewirtschaftung  von  Acker- 
land kann  der  Pächter  das  Terrain  kaufen.  Farmen  bis  160  Acres  dürfen 
schon   nach   7   Jahren  gekauft   werdeu. 

Städtisches  und  vorstädtisches  Terrain  kann  der  Gouverneur  meist- 
bietend, ersteres  zu  mindesteus  8  £,  letzteres  zu  2  £  vom  Acre,  ver- 
steigern. 1886  wurde  aufs  neue  die  unentgeltliche  Verteilung  von  Land 
an   Einwanderer  eingeführt. 

Da  gegenwärtig  alles  Land  au  Bahneu  uud  Verkehrswegen  vergeben 
ist,  ist  die  Kolonie  bestrebt,  den  Bau  von  Eisenbahnen  durch  Zuteilung 
von  Landkonzessioneu  an  die  Bahngesellschaften  zu  heben.  Es  befanden 
sich  1891  in  Queensland  258  000  Acres  unter  Anbau  gegen  128  000  im 
Jahre  1881.  1892  waren  in  der  Kolonie  im  ganzen  12  521  729  Acres 
von   einer  Gesamtfläche   von   427  838  100   Acres  veräufsert. 

Westaustralien,  die  gröfste  der  Schwesterkolonien,  mit 
678  400  000  Acres,  zählt  heute  erst  50  000  Einwohner,  was  ebenso  der 
geographischen  Lage  wie  dem  ungünstigen  Klima  zuzuschreiben  ist.  Die 
Besiedeiung  dieses  Landes  wurde  1829  durch  Spekulanten  begonnen,  welche 
1000  Kolonisten  auf  30  Schiffen  absandten.  Den  Leuten  war  durch 
Unternehmer  in  London  Grundbesitz  zu  3  £  für  40  Acres  verkauft 
worden,  aber  für  ihre  Unterbringung  war  nicht  das  geringste  geschehen  ; 
so  dafs,  um  nicht  zu  verhungern,  die  meisten  sich  nach  anderen  Kolonien 
durchschlugen. 

1832  wurde  der  Landverkauf  zu  einem  Mindestpreis  von  5  sh.  für 
den  Acre  eingeführt.  Es  war  aber  wenig  Nachfrage.  Als  1840  der  Land- 
preis gar  auf   1   £  erhöht  wurde,   hörte  alle  Einwanderung  auf. 

1843  wurde  das  Kronland  in  städtisches,  Weichbild-  und  Ackerland 
geteilt  und  Auktionen  für  Weichbildland  in  Stücken  von  10  bis  50,  für 
Ackerland  von    160  bis   640  Acres  eingeführt. 

1849  kam  die  Verpachtung  von  Acker-  und  Weideland  in  ähnlicher 
Weise  wie  anderweitig  in  Brauch.  Die  Lage  der  Kolonie  blieb  aber  un- 
ausgesetzt kläglich,  und  um  mehr  Leute  ins  Laud  zu  bekommen,  erbaten 
die  Ansiedler  Sendungen  von  Sträflingen.  Von  1850  bis  1868  sind  deren 
etwa  10  000  eingeführt  worden.  Die  Mafsregel  bewirkte  aber  auch  keinen 
Aufschwung  der  Kolonie. 

1864  wurde  der  Mindestpreis  für  Land  sogar  auf  die  Hälfte,  10  sh., 
ermäfsigt.     Das  herrenlose  Land  wurde  zur  Weide  freigegeben. 

1873  wurde  der  Kauf  von  Land  in  Stücken  von  100  bis  500  Acres 
für  10  sh.  den  Acre  und  gegen  Verpflichtung  der  Bebauung  und  Ein- 
zäunung gestattet.      Einwanderer  erhielten  freies  Land. 


£94  M  ,i  s  z  e  1 1  e  n. 

1877  fand  eine  Revision  des  Gesetzes  statt.  Alles  Ackerland  wurde 
in  Blöcken  von  wenigstens  500  Acres  zu  5  sh.  den  Acre  zum  Kauf  ge- 
stellt. Weideland  erster  Klasse  sollte  in  Blöcken  von  wenigstens  3000  Acres 
für  3  Sß  jährlich,  zweiter  Klasse  von  20  000  Acres  für  4  £  verpachtet 
werden.  Der  Pächter  erhielt  für  Stücke  von  1000  Acres  das  Vorkaufs- 
recht. Für  Einwanderer  waren  freie  Landzuteilungen  bis  zu  150  Acres 
auf  die  Familie  festgesetzt. 

Die  gegenwärtig  geltende  Landgesetzgebung  Westaustraliens  beruht 
auf  einer  Akte  von  1882,  welche  1887,  1890  und  1893  Ergänzungen  er- 
fahren hat. 

Danach  kann  städtisches  und  Weichbildterrain  nur  im  Auktionswege 
veräufsert  werden.  Ackerland  mufs  von  der  Regierung  in  vermessenen 
Stücken  von  wenigstens  2000  Acres  zum  Verkauf  gestellt  werden.  Niemand 
darf  mehr  als  1000  Acres  in  einem  Gebiet  ersteben.  Leute  unter  18  Jahren 
werden  zum  Kaufe  nicht  zugelassen.  Der  Mindestpreis  beträgt  10  %  für 
den  Acre,  die  Zahlungsfrist  20  Jahre.  Binnen  6  Monaten  mufs  der  Käufer 
das  Land  beziehen  und  während  der  ersten  2  Jahre  ein  Zehntel,  später 
das  Ganze  umzäunen.  Im  Falle  der  Käufer  nicht  auf  dem  Lande  wohnen 
will,  erhöhen    sich  alle  Zahlungen  aufs   Doppelte. 

Bestimmte  Gebiete  können  in  Stücken  von  100  bis  5000  Acres,  für 
10  sh.  der  Acre,  mit  10-jähriger  Zahlungsfrist  verkauft  werden.  In  diesem 
Falle  mufs  binnen   2  Jahren   das  ganze  Land  umzäunt  sein. 

In  einem  Teile  der  Kolonie  ist  auch  Land  von  100  bis  5000  Acres 
für  10  sh.  und  bei  sofortiger  Zahlung  käuflich.  Es  mufs  dann  in  3  Jahren 
eingezäunt  sein  und  5  sh.  auf  den  Acre  müssen  für  Verbesserungen  aus- 
gegeben sein.  Gartenland  von  5  bis  20  Acres  ist  in  der  ganzen  Kolonie 
für  ebensoviel  Pfund  Sterling  unter  Bedingung  sofortiger  Bebauung  käuf- 
lich.    Alle   Weidepachtungen   sollen   1907   ablaufen. 

Für  mineralreiche  Gegenden   sind  besondere  Vorschriften   erlassen. 

Eisenbahnunternehmer  erhalten  12  000  Acres  für  jede  fertige  Meile 
Bahn. 

Ende  1890  waren  in  der  Kolonie  5  154  673  Acres  Kronland  ver- 
äufsert. Das  meiste  ist  in  den  Händen  der  Bahnen  oder  von  Gesell- 
schaften.    In  Bebauung  waren   1891   nur   131  000   Acres. 

Südaustralien  mit  einer  Fläche  von  578  Millionen  Acres  wurde 
1836  gegründet,  um  einen  praktischen  Beweis  für  die  Richtigkeit  der 
Wakefield'schen  Theorien  zu  führen.  Wakefield  a  view  of  the  arts  of 
colouization,  London  1849,  empfahl  als  beste  Kolonisationsmethode  Ver- 
kauf von  Land  zu  festen,  aber  höheren  als  den  üblichen  Preisen ,  um  damit 
der  Spekulation  vorzubeugen  und  die  Niederlassung  wohlhabender  tüchtiger 
Arbeiter  zu  fördern. 

Um  einen  Versuch  mit  dieser  Theorie  zu  machen,  bildete  sich  1831 
die  Südaustralische  Kompagnie,  welche  ein  umfassendes  Privileg  nach  dem 
Muster  des  Charters  der  ostindischen  erbat ,  aber  nicht  erhielt.  Aus  ihr 
entstand  dann  eine  Assoziation ,  welche  auf  politische  Rechte  verzichtete 
und  das  Recht  erhielt,  Südaustralien  zu  besiedeln.  Der  Landpreis  sollte 
einheitlich,  aber  nicht  unter  12  sh.  für  den  Acre,  geregelt  und  die  Ein- 
führung von  Sträflingen  verboten  sein. 

1836    wurden    9    Schiffsladungen    Ansiedler    abgeschickt.      Statt    das 


Miszellen.  895 

Land  zu  bebauen ,  verlegten  sich  diese  sofort  auf  Gründung  der  Stadt 
Adelaide  und  begannen  in  Grundstücken  zu  spekulieren.  Das  Geld  ging 
für  Lebensmittel  darauf  und  nach  2  Jahren  hatten  viele  der  Leute  alles 
verloren.  Das  Land  war  jetzt  zu  Spottpreisen  zu  kaufen  und  man  be- 
gann endlich  mit  dem  Anbau. 

Von  da  an  nahm  die  Kolonie  einen  gewissen  Aufschwung  und  es 
wurden  bis  1843  an  Kronland  323  000  Acres  zu  12  sh.  und  später  zu 
1  £  veräufsert.  Der  Preis  wurde  von  da  an  auf  1  £  5  6h.  3  p.  erhöht. 
Die  Landakte,  welche  England  1846  erliefs,  wurde  hier  nur  teilweise 
ausgeführt.  Die  Kolonie  behielt  sich  freie  Verfügung  über  alle  ver- 
pachteten Ländereien  und  stellte  sie  ohne  Rücksicht  auf  die  Pächter  zum 
Verkauf.  Es  wurde  damit  die  Besiedelung  gefördert.  1856  erhielt  die 
Kolonie  eigene  Regierung.  Das  Parlament  änderte  die  Landgesetzgebung 
nur  wenig.  Neu  wurde  nur  bestimmt,  dafs  die  in  Auktion  zu  erwerbenden 
Landstücke  nicht  gröfser  als  640  Acres  und  vorher  vermessen  sein  sollten. 
Da  die  bis  dahin  stets  geforderte  Barzahlung  die  Aermeren  am  Laud- 
kauf  hinderte  und  zwang,  Grundstücke  von  anderen  Leuten  zu  pachten, 
wurde  1869  der  Kauf  von  Land  gegen  Zahlung  in  4  jährlichen  Katen  ge- 
stattet. Der  Käufer  mufste  das  Erworbene  bewohnen  und  bewirtschaften. 
1872  wurden  verschiedene  Landkategorien  geschaffen,  die  Zahlungs- 
frist auf  6  Jahre  verlängert  und  die  Verzinsung  herabgesetzt.  Die  Mafs- 
regel  hatte  zur  Folge ,  dafs  die  guten  Ländereien  sehr  rasch  aufgekauft 
wurden.  Um  auch  zum  Erwerb  schlechterer  Terrains  anzuspornen,  wurde 
die  zulässige  Gröfse  der  Landstücke  auf  1000  Acres  erhöht  und  die  Zah- 
lungsfrist noch  weiter  hinauserstreckt. 

Gegenwärtig  gilt  die  Landakte  von  1888  mit  eiuigen  in  den  2  folgenden 
Jahren  gemachten  Aenderungen. 

Danach  bleiben  zunächst  alle  Minenrechte  der  Krone  vorbehalten 
und  die  Versteigerung  von  Ackerland  wird  durch  Einführung  des  Pacht- 
systems ersetzt. 

Das  Grundamt  macht  bekannt,  welche  Gebiete  zu  vergeben  sind. 
Die  Kolonisten  können  dann  Stücke  für  21  Jahre  pachten  mit  dem  Recht 
des  Ankaufs  des  Acres  für  mindestens  5  sh.  nach  6  Jahren. 

Die  Pachten  können  nach  Ablauf  nochmals  auf  21  Jahre  verlängert 
werden.  Die  Pachtsumme  ist  zunächst  für  14  Jahre  festgestellt  und  wird 
periodisch  neu  bemessen.  Arbeiter  können  unter  denselben  Bedingungen 
Landstücke  von  20  Acres,  die  sie  bewohnen,  jederzeit  pachten.  Städtisches 
und  Spezialland  wird  gegen  bar  im  Auktionswege  verkauft.  Leute,  welche 
Land  früher  auf  Ratenzahlung  gekauft  haben,  können  den  Vertrag  in 
einen  Pachtvertrag  umwandeln.  Weideland  wird  im  Auktionswege  für 
21   bis  42  Jahre  verpachtet. 

1891  waren  16  230  668  Acres  veräufsert  und  2  568  000  Acres  davon 
unter  Kultur. 

In  einem  Punkte  der  Landfrage  hat  Südaustralien  das  Beispiel  für 
ganz  Australien  gegeben.  1858  setzte  nämlich  Torrens,  der  damalige 
Zolleinnehmer  von  Adelaide,  die  bekannte  Akte  durch,  welche  das  Grund- 
buchwesen nach    preufsischem   Muster    regelte.     Der   Verkauf  und  die   Be- 


g96  Miszellen. 

lastung  von  Grund  und  Boden  ist  dadurch  außerordentlich  erleichtert 
worden. 

Schwieriger  als  im  übrigen  Australien  liegt  , die  Landfrage  in  Neu- 
seeland, wo  mit  einer  starken  eingeborenen  Bevölkerung  zu  rechnen 
ist.  Die  Kolonisation  wurde  hier  durch  die  1839  unter  dem  Eiuflufs 
Wakefield's  gegründete  Neuseeland- Kompagnie  begonnen,  welche  grofse 
Landstretken  (etwa  20  Millionen  Acres)  von  den  Eingeborenen  erworben 
hatte.  Die  letzteren  leugneten  nachträglich,  als  die  Ansiedler  kamen,  die 
Uiltigkeit  der  Kaufverträge,  und  der  Gouverneur  weigerte  sich,  sie  zur 
Anerkennung  derselben  zu  zwingen.  Er  verbürgte  den  Eingeborenen 
vielmehr  ihren  Besitz  und  behielt  den  Vorkauf  der  Krone  vor.  Auf  der 
Nordinsel   kam  es  daher  zu  vielen  Konflikten   mit  den  Maoris. 

Auf  der  Südiusel  wurde  nach  den  Plänen  Wakefield's  von  Anfang  an 
in  einer  Provinz  Ackerland  zu  mindestens  3  £  für  den  Acre,  Stadtlaud 
zu  12  £  für  den  Hausplatz  verkauft,  und  die  betreffende  Ansiedelung 
ist  gut  gediehen.  Im  übrigen  lag  der  Verkauf  und  die  Verteilung  von 
Land  ganz  im  Belieben  des  Gouverneurs. 

1848  begann  die  Regierung  den  Eingeborenen  gröfsere  Distrikte  ab- 
zukaufen; und  als  nach  einander  die  verschiedenen  Kolonisationsgesell- 
schafteu  liquidieren  mufsten ,  gelaugte  auch  ihr  Landbesitz  in  die  Hände 
der  Krone.      1853   erhielt  Neuseeland   selbständige  Regierung. 

Der  Gouverneur  führte  damals  Verkauf  von  Stadt-  und  Weichbild- 
land im  Auktionswege  ein  und  \  eräufserungen  von  Ackerland  zu  festen 
Preisen  von   5  bis   10   sh.  den   Acre. 

1854  erhielten  die  6  Provinzen  das  riecht,  dem  Gouverneur  Vor- 
schläge, betreffend  ihre  Landesgesetzgebung,   zu  machen. 

Die  Eolge  war  Entstehung  eines  eigenen  Systems  in  jeder  Provinz 
und  eine  die  Debersicht  erschwerende  Verwirrung.  Neben  den  Provinz- 
gesetzen liefen  allgemeine  Gesetze,  wie  das  von  1858,  welches  die  Gröfse 
der  in  einem  Block  verkäuflichen  Grundstücke  auf  320  Acres  und  den 
Mindestpreis  auf  5  sh.  festsetzte.  Der  Verkauf  von  Land  auf  Kredit  an 
andere  Personen   als  Einwanderer  wurde   1860  verboten. 

Von  1862  ab  war  der  Kauf  vou  Terrains  bei  den  Eingeborenen 
durch  Kolonisten  unter  bestimmten  Bedingungen  gestattet.  Infolge  vieler 
Mifsbräuche  wurde  diese  Erlaubnis  1886  aber  wieder  beseitigt.  Von  den 
66  Millionen  Acres  Neu-Seelands  gehören  den  Eiugebornen  jetzt  nur  noch  13. 

1877  wurde  die  provinzielle  Landesgesetzgebung  aufgehoben  und  die 
Kolonie  in  10  Distrikte  mit  je  einem  Grundamt  geteilt,  die  alle  dem  land- 
wirtschaftlichen Minister  unterstehen.  Für  Stadt-  uud  Weichbildland 
wurden  Mindestpreise  von  30  und  3  £  bei  den  Auktionen  festgesetzt. 
Für  die  Veräufserung  des  Ackerlandes  wurden  in  den  einzelnen  Distrikten 
verschiedene  Vorschriften  genehmigt.  Stücke  von  20  bis  320  Acres 
können  zu  mindestens  ebensoviel  Pfund  Sterling,  Weideland  zum  selben 
Preis  in  Stücken  von  300  bis  5000  Acres  versteigert  werden.  Daneben 
wurde  Verkauf  von  Land  zu  festem  Preise  und  mit  Ratenzahlung  ein- 
geführt. 

Auch  Pachtung  von  Land  wurde  zugelassen.  Die  Ratenkäufer  müssen 
die  Grundstücke  in   bestimmten  Fristen  bewohnen,   bebauen  und  einzäunen. 


M  i  s  2  e  1 1  e  n.  897 

Leute  unter  18  Jahren,  Ehefrauen  uud  Personen,  die  schon  640  Acres 
besitzen,  werden  zu  solchen  Käufen  nicht  zugelassen.  Für  die  Pachtung 
von  Weideland  wurde  der  Auktionsweg  vorgesehrieben.  Die  Regierung 
konnte  die  Pacht    ohne   Entschädigung  jederzeit    mit  Jahresfrist  kündigen. 

Die  Landakte  von  1885  führte  verschiedene  Neuerungen  ein.  Weitere 
Aeuderungen  folgten  in  den  nächsten  Jahren.  Zur  Zeit  gilt  eine  im 
Jahre  1892  erfolgte  Gesetzgebung  für  ganz  Neuseeland,  welche  die  ge- 
schilderten früheren   Einrichtungen  in  einigen   Punkten   weiter  ausbaut. 

Es  werden  durch  die  gegenwärtige  Landakte  strenge  Strafen  gegen 
alle  Betrügereien  auf  diesem  Gebiete  eingeführt  Keine  Person ,  welche 
2000  und  mehr  Acres,  darunter  640  erstklassigen  Landes  besitzt,  darf 
andere  Grundstücke;  von  der  Regierung  erwerben.  Nur  Gras-  und  Weide- 
landpachten  sind   daneben   noch   erlaubt. 

Wer  vermessenes  Land  bar  kaufen  will,  mufs  seinem  Gesuche  x/5 
des  Preises,  wer  unvermessenes  wünscht,   die  Vermessungsgebühr  beifügen. 

Bei  Gesuchen  um  ratenweisen  Kauf  unvermessenen  Landes  gilt  das- 
selbe, bei  vermessenem  ist  2  l/2  Prozent  des  Preises  im  voraus  zu  hinter- 
legen. Wer  vermessenes  Laud  in  ewige  Pacht  nehmen  will,  mufs  2  Proz. 
und  alle  Gebühren   einzahlen;  bei   unvermessenem  die   Mefskosten. 

Das  niedrigst  zulässige  Alter  für  Landerwerber  ist  17  Jahre.  Ver- 
heiratete Frauen  dürfen  auch  Terrain  erstehen,  aber  nur  halb  so  viel  als 
andere.      Niemand   darf  Land   aufser  für  sich  selbst   kaufen. 

Die  Mindestpreise  bei  Versteigerung  von  Stadt-,  Dorf-  und  Weich- 
bildland sind  20,  3  und  2  £  vom  Acre.  Ackerland  ist  nicht  unter  5  sh. 
bis  1  £  zu  verkaufen.  Bei  Ratenkauf  und  Pachtung  ist  Bewohnen  des 
Landes  in  der  Regel  vorgeschrieben.  Ferner  müssen  bestimmte  Amelio- 
rationen  vorgenommen  werden.  Die  Aufnahme  von  Hypotheken  ist  eben- 
falls an  eine  Reihe  von  Bedingungen  geknüpft.  Die  ewige  Pacht  beträgt 
jährlich  4   Proz.   des  Werts  beim   Vertragschlufs. 

Bis  zu  250  000  Acres  können  jährlich  vom  Gouverneur  zu  Ansiede- 
lungen für  Gesellschaften  reserviert  werden.  Solche  Gesellschaften  können 
Ländereien  von   1000  bis   11000  Acres  erhalten. 

Andere  Terrains  können  für  Dörfer  reserviert  werden.  Es  können 
darin  Heimstätten  auf  ewig  gepachtet  werden ,  welche  unpfändbar  sind. 
Grasland  kann  iu  Stücken  von  5000  bis  20  000  Acres  gepachtet  werden. 
Der  Pächter  mufs  es  eine  bestimmte  Zeit  bewohnen  und  Ameliorationen 
vornehmen.  Weideland  wird  auf  21  Jahre  mit  einjähriger  Kündigungs- 
trist verpachtet.  Kein  Stück  darf  gröfser  als  ausreichend  für  20  000  Schafe 
oder  4000   Rinder   sein. 

Im  Jahre  1892  wurden  unter  diesen  Bedingungen  1373  000,  1893 
sogar  1769  000  Acres  veräufsert.  Im  ganzen  sind  in  Neuseeland  bis 
zum  Jahre  1894  veräufsert  worden  19  Millionen  Acres.  34  Millionen 
stehen  noch  zur  Verfügung,  abgesehen  von  dem  den  Eingeborenen 
reservierten  Lande. 

Trotz  aller  gesetzgeberischen  Vorkehrungen  befinden  sich  auch  hier 
in  einzelnen  Händen  sehr  grofse  Flächen.  7  026  000  Acres  gehörten 
1891  z.  B.  nur  584  Personen.      1675   Personen  besafsen    im  Durchschnitt 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXIII).  57 


g98  M  i  s  z  e  1 1  e  n. 

je    1280;    41518    nur   jeder    78    Acres.     Man    hat  seit  1891    dem    durch. 
Einführung  einer  progressiven  Steuer  vom  Grundbesitz   abzuhelfen  gesucht. 

Gegenwärtig  zeigt  sich  in  Neuseeland  schon  Mangel  an  Land,  und 
die  Regierung  kauft  immer  neue  Strecken  des  eingeborenen  Gebiets  zur 
Kolonisation  auf.  Aufserdem  können  jährlich  50  000  £  zu  Expropriationen 
verwendet  werden.  Das  so  erworbene  Land  wird  in  Stücken  von  320  Acres 
der  Ansiedlung  überwiesen. 

Iu  ganz  Australien  waren  1892  an  Kronland  veräufsert  124  172  000 
Acres,  d.  h.  32  xj2  auf  den  Kopf  der  Bevölkerung  im  Durchschnitt.  In 
Wirklichkeit  stellt  sich  das  Verhältnis  allerdings  anders,  denn  in  Neu- 
Süd- Wales,  Neuseeland  und  Südaustralien  gehört  etwa  die  Hälfte  des  ge- 
samten veräufserten  Landes  nur  1250  Personen!  Beachtenswert  ist  ferner, 
dafs  die  Zunahme  der  städtischen  Bevölkerung  in  Australien  weit  rascher 
als  die  der  ländlichen  vor  sich  geht.  Man  zählte  in  Australisn  1871  : 
1924  000,    1891    3  809  000   Menschen,  davon  lebten  in  den   Hauptstädten: 

1871   ...        434  000 

1891   ...      1  166000. 

Geht  diese  Eutwickelung  in  derselben  Weise  weiter,  so  werden  in  40  Jahren 

in    Australien    15    Millionen    leben,     von    denen    beinahe    die  [Hälfte    die 

Hauptstädte  bewohnen  wird. 

In  der  Kapkolonie  war  in  den  ersten  Jahrzehnten  der  hollän- 
dischen Herrschaft  die  unentgeltliche  Vergebung  von  unvermessenem 
Lande  üblich.  Nach  3  Jahren  ging  das  in  Anbau  genommene  Stück  in 
den  Besitz  der  Kolonisten  über.  Garten-  und  Weideland  wurde  ohne 
Gebühr  verpachtet.  Als  die  Bevölkerung  dichter  wurde  und  die  Nach- 
frage wuchs,  wurde  Land  für  eine  Abgabe  in  Pacht  immer  für  1  Jahr 
gegeben.  Das  Pachtland  war  verkäuflich.  Entschädigung  für  die  auf- 
gewendete Arbeit  erhielt  der  Kolonist  bei  Erlöschen  der  Pacht  nicht. 
1703  wurde  die  Pacht  auf  24  Dollar  neben  einer  Stempelabgabe  von 
6  Dollar  bemessen. 

Auch  Grundstücke  mit  beschränktem  Eigentumsrecht  wurden  seitens 
der  holländischen  Verwaltung  vergeben.  Die  Besitzer  mufstcn  gewisse 
Ertragsanteile  abliefern  und  das  ganze  Land  kultivieren  nnd  bepflanzen. 
Terrains  von  60  Morgen  wurden  gegen  bestimmte  Zahlungen  in  ewigen 
Pacht  gegeben.  1732  wurde  der  Erbpacht  von  Land  zunächst  auf 
15  Jahre  zu  1  V2  sh.  vom  Morgen  eingeführt  und  der  Pachtvertrag  bei 
Ablauf  immer  wieder   erneuert, 

Die  Engländer  übernahmen  diese  holländischen  Einrichtungen  bei 
Erwerbung  der  Kolonie.  1814  wurde  allen  Pächtern  von  Land  auf  Zeit 
die  Eingehung  eines  Erbpachtvertrages  freigestellt.  Nur  wenige  machten 
aber  davon  Gebrauch.  Die  Erbpächter  waren  verpflichtet,  ihr  ganzes 
Land  binnen  4  Jahren  zu  bewirtschaften.  Erst  nach  dieser  Zeit  war  an- 
fänglich eine  Veräufserung  gestattet.  1843  wurde  der  öffentliche  Ver- 
kauf von  Grundbesitz  zu  mindestens  2  sh.  für  den  Acre  eingeführt.  Alles 
freie  Land  stand  zur  Auswahl  offen  und  wurde  erst  bei  der  Vergebung 
auf  Kosten   des   Käufers  vermessen. 

1856  ordnete  ein  Gesetz  an,  dafs  alles  freie  Land  gegen  eine  jähr- 
liche Zahlung  und  Tragung  der  Vermessungsgebühr  verkauft  werden  könne. 


Miszelleu.  S'.l'.t 

1864  wurde  Verpachtung  von  Kronland  auf  21  Jahre  im  Wege  der 
Versteigerung  eingeführt.  Die  Pächter  konnten  später  das  Land  gegen 
Zahlung  eines  von  der  Verwaltung  zu  ermittelnden  Preises  in  ewige  Erb- 
pacht  erwerben. 

Die  Landakte  von  1878  bestimmte,  dafs  alles  verfügbare  Kronland 
im  Auktionswege  an  den  die  höchste  jährliche  Zahlung  Bietenden  in 
ewige  Erbpacht  gegeben  werde.  Der  Erbpächter  sollte  nach  Leistung 
bestimmter  Zahlung  den   Erbpacht-Besitztitel  erhalten. 

Die  jährliche  Pachtzahlung  konnte  durch  eine  einmalige  Zahlung  des 
wenigstens  2Üfachen  der  Jahrespacht  abgelöst  werden,  ohne  dafs  dadnreh 
das  Kechtsverhältnis  geändert  wurde. 

Ausgenommen  vom  öffentlichen  Verkauf  blieben  Ländereien,  welche 
die  Nachbarn  beanspruchten,  Gemeindeländereien,  Wälder,  MineraJdistrikte, 
Seeküste,  Fischereistationen,  Ausspanne,  militärisch  wichtige  Gebiete, 
Terrains  für  Einwanderer. 

Stadt-  und  Dortplätze  wurden   ebenfalls  in   Erbpacht  gegeben. 

Erbpächter  und  sonstige  Landbesitzer  konnten  an  ihr  Terrain  stofsende 
Grundstücke  direkt  von   der  Regierung  ohne   Auktion  kaufen. 

Unentgeltliche  Landzuteilung  im  öffentlichen  Interesse  blieb  dem 
Parlament  vorbehalten. 

Ein  Gesetz  von  1882  erleichterte  die  Ansiedelung  kleiner  Bauern  in 
der  Weise,  dafs  es  Leuten  über  21  Jahre  alt,  und  die  nicht  mehr  als 
250  Morgen  besafsen ,  gestattete,  vermessene  Landstücke  von  10  bis 
250  Morgen  sich  direkt,  ohne  Auktion  in  Erbpacht  geben  zu  lassen. 
Die  Leute  müssen  1  sh.  für  den  Morgen  hinterlegen,  jährlich  1/.20  des 
Wertes  des  Landes  als  Pacht  zahlen,  6  Monate  lang  darauf  wohnen  und 
es  binnen  2  Jahren  einzäunen  oder  zum  20.  Teil  bebauen.  Nach  5  Jahren 
erhalten  sie  den  Erbpacht-Besitztitel. 

1887  ist  eine  nochmalige  Landakte  ergangen,  welche  die  1882er 
ungeändert  lassen,  im  übrigen  aber  allgemein  die  Veräufserung  des  Landes 
im  Wege  der  Auktion  eingeführt  hat.  Die  Zahlung  des  Preises  darf  auf 
einmal  oder  in  Raten  erfolgen.  Die  Bergrechte  bleiben  der  Krone  überall 
vorbehalten. 

Von  den  141  648  169  Acres  der  Kapkolonie  waren  Ende  1892  ver- 
äufsert  98  000  000,  verfügbar  sind  noch  43  640  953,  worin  aber  Missions- 
stationen, die  Reservate  der  Eingeborenen,  Gemeindeländereien  und  Aus- 
spanne einbegriffen  sind. 

Hinsichtlich  des  Landes  der  Eingeborenen  gilt  ein  Gesetz  von  1879, 
wonach  der  Gouverneur  einen  Teil  desselben  in  Lose  zerlegen  und  dafür 
einzelnen  Individuen  Erbpacht-Besitztitel  unter  bestimmten  Bedingungen 
verleihen  kann.  Bestimmte  Gebiete  sollen  als  Gemeindeweide  reserviert 
werden.  1882  waren  18  366  Lose  in  verschiedenen  Reservationen  und 
Missionsstationen    vermessen    und    10  046  Erbpacht-Besitztitel    ausgestellt. 

Bleibt  eine  Pacht  10  Jahre  unbezahlt,  ist  der  Platz  verlassen  und 
der  Pächter  unauffindbar,  so  wird  das  Land  als  verlassen  aufgeboten  und 
fällt  nach  4  Monaten,  wenn  sich  kein  Berechtigter  meldet  und  die  Zah- 
lungen leistet,  an  die  Krone  zurück. 

Lehrreich   in    Bezug    auf   die    Art    und   Weise,    wie  England    neuer- 

57* 


i  )(jQ  Miszellen. 

dings  in  afrikanischen  Gebieten  die  Landfrage  ordnet ,  ist  sein  Vorgehen 
in  Beohuanaland.  Nach  der  Annexion  dieses  Gebietes  wurde  1885 
eine  Kommission  mit  Prüfung  aller  dort  vorhandenen  Besitzansprüche  be- 
traut. Sie  mufste  zunächst  Ländereien,  welche  den  Bedürfnissen  der  Ein- 
geborenen genügten,  aussondern  und  den  Rest  als  Kronland  erklären. 
Die  darin  von  Europäern  geltend  gemachten  Ansprüche  wurden  auf  ihreu 
Wert  untersucht.  Landerwerbungen,  bei  denen  die  Veräufserer  als  nicht 
berechtigt  zum  Verkauf  anzusehen  waren,  sowie  die  Ansprüche  von  Leuten, 
welche  gegen  England  die  Waffen  geführt  hatten,  wurden  für  nichtig  er- 
klärt. Die  als  giltig  angesehenen  Landansprüche  wurden  in  der  Weise 
behandelt,  dafs  die  Inhaber  das  Land  in  Erbpacht  gegen  eine  jährliche 
Zahlung  von  1  sh.  für  100  Morgen  zugeteilt  erhielten.  Alle  Mineral- 
rechte wurden  der  Krone  vorbehalten. 

Durch  spätere  Anordnung  wurden  200  000  Acres  als  höchst  zu- 
lässiges Mafs  einer  La  n  d  konzession,  und  10  Quadratmeilen  oder  in  Aus- 
nahmefällen 100  Quadratmeilen  in  einem  Block  bei  einer  Bergwerks- 
konzession bezeichnet.  Für  den  Fall ,  dafs  Gesellschatten  Rechte  auf 
gröfsere  Flächen  bereits  besafsen,  wurden  ihnen  bestimmte  Verpflichtungen 
auferlegt.  —  Es  ist  aufserdem  vorgesehen,  dafs  keine  Landkonzession  an- 
erkannt werden  soll,  soweit  ihre  Bestimmungen  den  Verwaltungs-  und 
Finanzinteressen  der  Kolonie  widersprechen  und  ein  Monopol,  gesetzliche 
Ausnahmestellung  oder  Steuerfreiheit  bezwecken. 

Quellen: 

William   Epps  :   Land  Systems  of  Australia.     London   1894. 

The  Australian   Handbook.      London   1894. 

E.  Jenks:  The  Government  of  Victoria.     London   1891. 

Sir  Henry  Parkes:    50  years    in    the    making    of  Australian  history. 

London   1892. 
E.  Hodder:   The  history  of  South   Australia.     London    1893. 
General  directory  to  the  Cape  of  Good  Hope,   1893.     Cape  Town. 
Official   Handbook  of  the  Cape.     London    1893. 
British  Betchuanaland.  Report    of   the  Commissioners.     London   1886 

[C.  4889]. 

II.  Französische  Kolonien. 

Nach  der  Eroberung  Algiers  entwickelte  sich  dort  eine  ausgedehnte 
Grundstücksspekulation.  Die  Araber,  welche  nicht  an  die  Dauer  der 
französischen  Herrschaft  glaubten ,  verkauften  grofse  Gebiete  zu  nicht 
nennenswerten  Preisen.  Sie  nahmen  auch  keinen  Anstofs,  dasselbe  Land 
mehrmals  oder  Flächen  zu  verkaufen ,  die  ihnen  gar  nicht  gehörten. 
Nach  amtlicher  Feststellung  hätte  1846  ganz  Algier  nicht  ausgereicht, 
wenn  jeder  Käufer  das  seinen  Kaufbriefen  entsprechende  Land  in  Besitz 
hätte  nehmen  wollen.  Unter  diesem  Zustande  litten  am  meisten  diejenigen 
Leute,  welche  Grundstücke  zum  Zwecke  wirklicher  Bewirtschaftung  ge- 
kauft hatten.  Sie  gerieten  in  soviele  Schwierigkeiten  und  die  Koloni- 
sation des  Landes  erlitt  dadurch  solchen  Nachteil,  dafs  die  Regierung 
nach  eingehender  Untersuchung  der  Sachlage  durch  eine  Kommission  eine 
gesetzliche  Regelung  versuchte. 


Miss  eilen.  901 

Durch  eiue  königliche  Ordonnanz  vom  1.  Oktober  1844  wurden 
alle  bisher  geschehenen  Landiibertraguugeu  von  Eingeborenen  an  Europäer 
ohne  Rücksicht  auf  mangelnde  Befugnis  der  Verkäufer  für  giltig,  alle 
ohne  Fristbestimmung  geschlossenen  Pachtverträge  für  zeitlich  unbegrenzt 
und  der  Einwand,  dafs  gewisse  Grundetücke  nach  muselmännischem  Recht 
unveräufserlich  gewesen  seien,  für  unzulässig  erklärt.  Die  Regierung 
übernahm  die  Entschädigung  der  Eigentümer  des  von  ihr  etwa  irriger 
Weise  als  herrenlos  verkauften  Landes  und  teilte  sich  die  Befugnis  zu, 
alles  Land,  für  welches  kein  Besitztitel  vorzubringen  war,  zu  verkaufen. 
Alle  als  Kaufpreis  ausgemachten  Renten  wurden  für  ablösbar  erklärt. 
Otfizieren  und  Beamten  wurde  während  der  Dauer  ihrer  Dienstzeit  mittel- 
barer oder  unmittelbarer  Grunderwerb  ohne  besondere  Genehmigung  ver- 
boten. Desgleichen  wurde  der  Erwerb  von  Land  durch  Private  aufser- 
halb  des  vom  Staate  festgesetzten   Kolonisationsbezirks  untersagt. 

Besondere  Regeln  stellte  die  Ordonnanz  für  Enteignung  und  zeit- 
weilige Beschlagnahme  von  Grundbesitz  im  öffentlichen  Interesse  auf. 
Hinsichtlich  des  unbebauten  Landes  war  bestimmt,  dafs  alle  derartigen 
Terrains,  für  die  nicht  ein  vor  dem  5.  Juli  1830  erworbener  oder  nur 
ein  ungenügender  Besitztitel  vorgewiesen  werden  könne,  an  den  Staat 
fallen   sollten. 

Diese  letztere  hauptsächlich  gegen  die  Spekulanten  gerichtete  Be- 
stimmung wurde  unterm  21.  Juli  1845  dahin  ergänzt,  dafs  die  Vorzeiger 
von  rechtsgiltigeu  Besitztiteln  auf  unbebautes  Land  nur  auf  ein  ihnen 
vom  Staat  zu  überweisendes,  nach  der  Höhe  der  von  ihnen  als  Kaufpreis 
zu  zahlenden  Rente  zu  bemessendes  Gebiet  uud  zwar  unter  bestimmten 
Bedingungen  Anspruch  haben  sollten.  Wurden  letztere  nicht  erfüllt,  so 
fiel  das  Land  an  den  Staat  zurück.  Verpfändung  und  Verkaut  desselben 
war  vor  Erfüllung  der  Bedingungen   verboten. 

Noch  einschneidender  waren  die  Vorschriften  der  Verordnungen  vom 
10.  Februar  und  21.  Juli  1846.  Danach  mufsten  innerhalb  eines  be- 
stimmten Zeitraums  in  gewissen  Bezirken  alle  Landbesitzer  ihre  Besitz- 
urkunden den  Behörden  vorlegen.  Die  Terrains,  für  welche  Eigentümer 
sich  nicht  meldeten,  wurden  für  den  Staat  beschlagnahmt,  desgl.  alle  die- 
jenigen, für  welche  die  Besitztitel  nicht  genaue  Grenzen  angaben  und  die 
vor  dem  5.  Juli  1830  datiert  waren.  Die  betroffenen  Personen  sollten 
je  nach  dem  Wert  des  Grundstücks  durch  Erteilung  einer  Konzession  von 
Staatsland  entschädigt  werden,  welches  sie  sofort  in  Bewirtschaftung  zu 
nehmen  hatten.  Ansprüche  mehrerer  Personen  auf  dasselbe  Grundstück 
sollten  im  Prozefswege  entschieden  werden.  Falls  jemand  ein  Stück  Land 
schon  in  Bewirtschaftung  genommen  hatte,  wurde  ihm  auch  ohne  einen 
regelrechten   Besitztitel  die  Konzession  erteilt. 

Gegen  Spekulanten  richteten  sich  noch  die  Einführung  einer  ziem- 
lich hohen  Grundsteuer  für  das  nicht  in  Kultur  genommene  Land  uud 
die  Androhung  der  Enteignung  nach  bestimmter  Frist.  Jeder  Landkauf 
in  den  noch  nicht  in  den  Bereich  der  regelmäfsigen  Verwaltung  gezogeneu 
Gebieten   ohne  besondere  ministerielle  Erlaubnis   wurde  verboten. 

Besondere  und  ziemlich  umständliche  Formalitäten  für  die  Erteilung 
der    Landkonzessionen    wurden    durch    weitere  Ordonnanzen    vom   5.  Juni 


9Q2  M  i  s  z  e  1 1  e  n. 

und  1.  September  1847  festgesetzt.  Der  Generalgouverneur  durfte  da- 
nach nur  Land  bis  zum  Umfange  von  25  ha  vergeben;  von  25  bis  100 
stand  dies  nur  dem  Kriegsminister,  von  100  und  mehr  ha  behielt  es  sich 
der  König  vor.  Die  Ordonnanz  vom  1.  September  übertrug  die  Ge- 
nehmigung der  Konzessionen  von  25  bis  100  ha  dem  Generalgouvernear. 
Besitztitel  sollten  nur  nach  genauer  Erfüllung  aller  Konzessionsbedingungen 
erteilt  werden. 

Diese  Gesetzgebung  steuerte  den  Auswüchsen  der  Landspekulation 
und  förderte  die  Interessen  ernstmeinender  Ansiedler,  aber  sie  schädigte 
die  Eingeborenen,  welche  vielfach  gar  keine  Besitztitel  und  niemals 
solche,  die  den  Anforderungen  des  Gesetzes  entsprachen,  besafsen.  Es 
sollen  daher  viele  muhammedanische  Familien  der  Mafsregel  zum  Opfer  ge- 
fallen sein,  was  den  Absichten  der  damaligen  Verwaltung  Algiers  ent- 
sprach, welche  ein  Zudrängen  der  Eingeborenen  uicht  ungern  sah.  Sehr 
bald  aber  zeigte  sich ,  dafs  das  muselmännische  Element  gröfsere  Be- 
achtung erheischte.  Die  Prüfung  der  Besitztitel  wurde  daher  wieder  ein- 
gestellt und  am  16.  Juni  1851  erging  ein  neues  Gesetz,  welches  wesent- 
liche  Aenderungeu  an   den  früheren   Vorschriften   traf. 

Von  der  Prüfung  der  Besitztitel  wurde  abgesehen.  Alle  bis  2  Jahre 
vor  dem  Erlafs  des  Gesetzes  erfolgten  Landerwerbungen  wurden  aner- 
kannt, alle  Beschränkungen  des  Verkaufs-  und  Verfügungsrechtes  über 
Land  aufgehoben.  Nur  solche  Käufe,  durch  welche  eingeborenen  Stämmen 
Land  durch  Nicht-Stammesgenossen  abgekauft  wurde,  wurden  für  ungiltig 
erklärt  und  verboten.  Für  Landverkäufe  unter  den  Eingeborenen  wurde 
das  muselmännische  Recht  als  mafsgebend  anerkannt.  Die  früheren  Vor- 
schriften über  Besteuerung  des  unbebaut  bleibenden  Landes  und  Verlust 
des  Besitztitels  daran   nach   bestimmter  Frist   fielen  weg. 

Wurden  so  die  Rechte  der  Eingeborenen  vor  Eingriffen  der  Kolo- 
nisten sichergestellt,  so  erachtete  man  es  für  billig,  um  dieselbe  Zeit 
auch  zu  guusten  der  letzteren  Bestimmungen  zu  treffen.  Die  strengen 
gegen  Spekulanten  gerichteten  Vorschriften  der  früheren  Gesetze  trafen 
auch  die  Ansiedler  hart.  Sie  konnten  Kredit  nur  zu  kaum  erfüllbaren 
Bedingungen  erlangen ,  solange  ihre  Verfügungsfreiheit  über  ihre  Kon- 
zessionen beschränkt  war.  Ein  Gesetz  vom  26.  April  1851  gab  nunmehr 
dem  Präfekten  die  Vollmacht,  Landkonzessionen  bis  zur  Gröfse  von  50  ha 
und  zwar  ohne  Kaution ,  zu  erteilen.  Der  Konzessionär  erhielt  sofort 
einen  Besitztitel  und  konnte  sein  Land  verpfänden  und  verkauten.  Waren 
nach  Ablauf  der  bestimmten  Frist  nicht  alle  vorgesehenen  Arbeiten  und 
Anlagen  auf  dem  Lande  ausgeführt,  so  war  eine  Verlängerung  zulässig. 
Im  Falle  der  Nichterfüllung  der  Konzessionsbedingungen  konnte  der 
Eigentümer  nur  durch  den  Kriegsminister  der  Konzession  verlustig  erklärt 
werden.  Das  Land  wurde  in  diesem  Falle  zu  seinen  Guusten  ver- 
steigert. 

Trotz  dieser  Erleichterungen  erschienen  vielfach  die  umsonst  ver- 
gebenen staatlichen  Landkonzessionen  wegen  der  damit  verknüpften  For- 
malitäten unvorteilhafter,  als  Ankäufe  von  Terrain,  die  zu  billigem  Preise 
möglich  waren.  Bis  1863  sind  denn  auch  nur  420  000  ha  zur  Ver- 
teilung an   Konzessionäre  gelangt  und  davon   waren   viele  Teile  wieder  an 


Miszellen.  9Q3 

Araber  verpachtet  oder  verkauft  worden.  Das  zu  den  Konzessionen  er- 
forderliche Land  gewann  die  Regierung  dadurch,  dafs  sie  den  Versuch 
machte,  die  Eingeborenen  auf  kleineren  Gebieten  sefshaft  zu  machen,  zu 
„kantonnieren",  während  sie  für  sich  das  Besitzrecht  an  den  von  den 
Eingeborenen  unbenutzt  gelassenen   Ländereien    in   Anspruch   nahm. 

Angesichts  der  nicht  befriedigenden  Erfolge  des  Konzessionswesens 
wurde  1856  der  Verkauf  der  Staatsländereien  eingeführt  und  durch  Dekret 
vom  25.  Juli  1860  sowohl  der  Verkauf  zu  festen  Preisen  wie  im  Auktions- 
wege je  nach  dem  Werte  der  Grundstücke  in  die  Wege  leitet.  Im 
Jahre  1863  wurden  zu  bestimmtem  Preise  5079  ha,  durch  Versteigerung 
2410  ha  losgeschlagen.  Die  letzteren  brachten  1  007  000  Franken  ein. 
Es  scheint,  dafs  dieser  Systemwechsel  gute  Wirkungen  gehabt  hat,  deun 
Ende  des  Jahres  1864  befanden  sich  bereits  567  277  ha  in  den  Händen 
weifser  Kolonisten.  Doch  schon  nach  kurzer  Zeit  wurde  dieser  Versuch 
wieder  aufgegeben. 

Die  übliche  Art  und  Weise,  wie  man  die  Eingeborenen  zu  gunsten 
der  weifsen  Ansiedler  kantonnierte,  führte  zu  unberechtigten  Härten  gegen 
die  Eingeborenen  und  beunruhigte  die  Bevölkerung.  Die  Landwirtschaft 
litt  unter  Kreditmangel  und  die  öffentlichen  Einnahmen  erfuhren  keine 
Vermehrung,  während  die  europäische  Kolonisation  nur  geringe  Fortschritte 
machte.  Man  strebte  deswegen,  die  Araber  zu  versöhnen  und  wollte  das 
Territorium  der  »Stämme  anerkennen,  in  Duars  (Gemeinden)  einteilen  und 
allmählich  in  individuellen   Besitz   überführen. 

Diesem  Programm  entsprechend  wurde  dem  Senat  im  Jahre  1863  ein 
Gesetzentwurf  vorgelegt,  der  am  22.  April  genehmigt  wurde.  Die  alge- 
rischen Stämme  wurden  darin  unter  Vorbehalt  der  dem  Staat  und  Privaten 
gehörigen  Läudereien  zu  Eigentümern  der  von  ihnen  traditionell  benützten 
Gebiete  erklärt.  Die  Verwaltung  sollte  die  Stammesgebiete  abgrenzen, 
unter  die  einzelnen  Duars  verteilen  und  die  Glieder  der  letzteren  soweit 
als  möglich  zu  freien   Eigentümern   machen. 

Zur  näheren  Ausführung  dieses  Beschlusses  erging  am  23.  Mai  1863 
ein  Dekret,  welches  das  Verfahren  bei  der  Abgrenzung  und  Vermessung 
regelte.  Im  Laufe  der  nächsten  Zeit  wurden  643  Stämme  als  solche  erklärt, 
bei  denen  das  Gesetz  Anwendung  zu  finden  habe.  Nur  bei  374  derselben 
mit  einem  Gebiet  von  6  833  000  ha  ist  aber  die  mühselige  und  kostspie- 
lige Abgrenzung  durchgeführt  worden. 

Mit  dieser  den  Eingeborenen  freundlichen  Mafsregel  verlor  der  Staat 
das  Mittel,  neue  gröfsere  Ländereien  zu  Kolonisationszwecken  an  sich  zu 
ziehen  und  die  ausgedehnten  Landverkäufe  hörten  damit  auf.  1870  war 
der  staatliche  Landbesitz  fast  erschöpft.  Landkauf  bei  den  Eingeborenen 
war  für  Kolonisten  auch  nur  ausnahmsweise  möglich,  da  es  bis  zur  Auf- 
teilung des  Gemeiudebesitzes  an  die  Einzelnen  zur  freien  Verfügung  in 
jenen  Jahren  noch  nicht  kam.  Die  Ansiedelung  von  Europäern  erlitt  daher 
einen  Stillstand. 

Als  jedoch  im  Frühjahr  1871  d^r  Aufstand  der  Eingeborenen  erfolgte, 
dem  einige  hundert  Kolonisten  zum  Opfer  fielen  ,  wurde  das  Grundeigen- 
tum der  beteiligten  Stämme  und  Personen  zur  Strafe  für  den  Staat  ein- 
gezogen ,    der    damit    in    den   Besitz    von    etwa    300  000  ha  guten   Bodens 


904  M  i  s  z  e  1 1  e  d. 

gelangte.  Ein  Drittel  davon  wurde  durch  Gesetz  vom  21.  Juni  1871 
zur  Ansiedelung  von  Elsafs- Lothringern,  die  für  Frankreich  optiert  hatten, 
bestimmt.  Der  Rest  und  weitere  im  Wege  des  Enteignungsverfahrens 
gewonnene  Läudereien  wurden  im  Wege  von  Konzessionen  an  andere 
Ansiedier  vergeben.  Bei  der  damals  lebhaften  Nachfrage  nach  Land  genügte 
das  Staatseigentum  aber  nicht  dem  Bedürfnisse  und  man  griff  daher  zu 
gesetzgeberischen  Mafsregeln,  welche  den  Erwerb  von  Grundbesitz  von 
den   Eingeborenen  zu  ermöglichen   bestimmt  waren. 

Ein  Gesetz  vom  26.  Juli  187  3  ordnete  die  Aufteilung  des  Stammes- 
eigentums an  die  Einzelnen  und  die  Umwandlung  des  muselmännischen 
Privateigentums  in  ein  nach  französischem  Recht  verfügbares  an.  Die 
Mafsregel  sollte  nach  und  nach  in  den  vom  Generalgouverneur  zu  bestim- 
menden Gebieten  durch  Kommissionen  durchgeführt  werden.  Nach  er- 
folgter Aufteilung  erhielt  jeder  Eigentümer  einen  endgiltigen  Besitztitel 
und  sein  Land  unterstand  französischem  Rechte.  Da  dieses  Verfahren 
indessen  voraussichtlich  bis  zu  seiner  vollen  Durchführung  lange  Jahre 
dauern  konnte,  wurde  durch  das  Gesetz  aufserdem  vorgesehen,  dafs  euro- 
päische Käufer  eingeborenen  Landes  das  Recht  haben  sollten,  auf  dem 
Wege  eines  bestimmten  gerichtlichen  Verfahrens  da9  betreffende  Grund- 
stück von  allen  dinglichen  Lasten  muselmannischen  Ursprungs  sofort  be- 
freien zu  lassen.  Das  Gesetz  erfuhr  am  28.  April  1887  noch  eine  Er- 
weiterung in  derselben  Richtung. 

Die  Durchführung  dieser  Gesetzgebung  hat  bis  zum  Jahre  1890  etwa 
14  Millionen  Franken  erfordert  und  die  bis  dahin  ausgestellten  Eigen- 
tumstitel umfafsten  ein  Gebiet  von  1612  000  ha.  Ltwa  12  Millionen  ha 
bleiben  noch  zu  verteilen.  Der  Kostenaufwand  dafür  wurde  auf  60  Mill. 
Franken  veranschlagt. 

Auf  die  Verhältnisse  der  Eingeborenen  haben  die  erwähnten  Gesetze 
nach  den  Aussagen  Sachverständiger  nicht  günstig  gewirkt.  Der  in  Algier 
allgemeine  Familienkommunismus,  der  gemeinsame  Besitz  desselben  Lande* 
durch  viele  verschiedene  Familien ,  wurde  thatsächlich  nicht  beseitigt, 
andererseits  aber  wurden  durch  Spekulationskunstgriffe  zahlreiche  Einge- 
borene aus  dem   Lande  vertrieben  und  zur  Verarmung  gebracht. 

Die  Einwanderung  und  Ansiedelung  von  Europäern  wurde  von  Anfang 
der  70er  Jahre  an  in  jeder  Weise  gefördert.  Dekrete  vom  15.  Juli  1874, 
30.  September  1878  und  Juni  1881  erleichterten  die  früheren  Konzessions- 
bedingungen wesentlich  und  suchten  den  Konzessionären  die  Erlangung  von 
Kredit  bequemer  zu  machen.  Die  Ergebnisse  sind  freilich  nicht  immer  günstige 
gewesen  und  es  wird  in  Zweifel  gezogen  ,  ob  die  Kosten  durch  den  Vor- 
teil aufgewogen  worden.  Leroy-Beaulieu  berechnet,  dafs  die  Ansiedelung 
von  14  000  Menschen  in  der  Zeit  von  1871  bis  1881  57  Millionen  Franken 
gekostet  hat,  d.  h.  15  000  Franken  für  die  Familie.  Dem  ungeachtet 
wurde  1882  von  der  algerischen  Verwaltung,  als  das  für  sie  verfügbare 
Land  immer  mehr  zusammenschmolz,  ein  Kredit  von  50  Millionen  Franktn 
beantragt,  um  damit  300  000  bis  400  000  ha  der  Eingeborenen  zu  ent- 
eignen und  an  Weifse  zu  verteilen.  Der  Plan  wurde  jedoch  von  der  fran- 
zösischen Kammer  abgelehnt,  und  spätere  ähnliche  Vorschläge  haben  das- 
selbe Schickaal  gehabt. 


Miss  eilen.  (JQ5 

Der  früher  mit  glücklichem  Erfolg  begonnene  Verkauf  von  öffent- 
lichen Ländereien  im  Wege  der  Versteigerung  wurde  durch  das  Gesetz 
von  1878  wieder  eingeführt.  Begonnen  mit  solchen  Verkäufen  hat  man 
aber  erst  1885.  Es  sind  von  da  an  bis  1890  bereits  33  168  ha  für 
2  776  000   Franken   meistbietend  v<  räufsert  worden. 

Gegenwärtig  sind  in  Algier  neue.  Aeuderungen  der  Landesgesetzgebung 
in  Erwägung.  Alan  schiint  das  Gesetz  von  1873  aufgeben  und  es  mehr 
den  Beteiligten  überlassen  zu  wollen ,  ihren  Besitz  in  volles  Privateigen- 
tum zu  verwandeln.  Besonders  wird  für  Umgestaltung  des  Hypotheken- 
rechts nach  preufsischem  Muster  iu  der  Art,  wie  es  in  Tunis  geschehen 
ist,  gewirkt. 

Aehnliche  Schwierigkeiten  wie  in  Algier  standen  in  Tunis  Anfang 
der  80er  Jahre  der  Landerwerbung  durch  Europäer  entgegen.  Wenu  auch 
hier  der  Kollektivbesitz  des  Landes  bei  den  Eingeborenen  im  wesentlichen 
schon  verschwunden  und  Einzelbesitz  die  Regel  war,  so  fehlten  doch  Besitz- 
titel, welche  Lage  und  Umfang  der  Grundstücke  genau  angaben  und  es 
kam  häufig  vor,  dafs  tür  dieselbe  Fläche  zwei  Titel  vorhanden  waren. 
Aufserdein  waren  die  Grundstücke  oft  mit  allerlei  schwer  feststellbaren 
Servituten  und  Abgaben  belastet.  Besonders  störend  war  die  Einrichtung 
des  „Enzel",  einer  unkündbaren  Erbpacht,  welcher  sehr  viele  der  dortigen 
Ländereien  unterliegen.  Der  Europäer,  welcher  Grundbesitz  kaufte,  setzte 
sich  daher  regelmäfsig  der  Gefahr  aus,  dafs  sein  Kauf  ungiltig  war,  oder 
er  eine  Reihe  ihm   ganz  unbekannter  Lasten   übernahm. 

Wollte  man  rasch  französische  Kolonisten  ins  Land  ziehen,  so  mufste 
man  ihnen  vor  allem  die  geschilderten  Schwierigkeiten  aus  dem  Wege 
räumen. 

Die  Einführung  der  französischen  Gesetzgebung  genügte  dem  Bedürf- 
nisse* nicht,  da  das  durch  sie  vorgesehene  Verfahren  zu  umständlich  und 
teuer  war,  und  aufserdem  der  MaEgel  an  Familiennamen  bei  den  Eingeborenen 
die   Anlegung   von   Grundbüchern  in   üblicher  Art  nicht  gestattete. 

Einer  allgemeinen  Aufnahme  des  Grundbesitzes  und  Prüfung  der 
Besitztitel,  wie  mau  sie  in  Algier  begonnen,  war  die  tunesische  Verwal- 
tung abgeneigt.  Dies  hätte  zu  viel  Zeit  und  Kosten  erfordert  und  die 
Bevölkerung  voraussichtlich   in  unerwünschte  Aufreguug  versetzt. 

Als  bester  Ausweg,  um  dem  Bedürfnisse  zu  genügen,  ohne  unange- 
nehme Folgen  zu  verursachen ,  erschien  die  Annahme  des  preufsischen 
Hypothekensystems  mit  den  Umformungen,  die  es  in  Australien  erfahren, 
wo  es  1858  Robert  Torrens,  wie  erwähnt,  mit  grofsem  Erfolge  einge- 
führt hat. 

Auf  dieser  Grundlage  wurde  unterm  1.  Juli  1885  ein  Gesetz  erlassen, 
welches  ebenso  wie  die  Torrensakte  es  ins  freie  Belieben  der  Grundbesitzer 
stellt,  sich  ihm  zu  unterwerfen. 

Es  steht  jedem  Besitzer  frei,  zunächst  die  Eintragung  seines  Landes 
ins  Grundbuch  unter  Vorlegung  seines  Besitztitels  und  Angabe  aller  Lasten 
zu  bewirken.  Diese  Eintragung  erfolgt  nur,  nachdem  unter  Benutzung 
der  Zeitungen  und  Bekanntmachungen  an  den  Markttagen  das  Eigentums- 
recht und  die  Grenzen  so  genau  al6  möglich  festgestellt  sind. 

Um  langwierige  Prozesse  zu  vermeiden,  erfolgt  die  Entscheidung  über 


906  Miszellen. 

bestrittene ,  vor  der  Eintragung  geltend  gemachte  Rechte  durch  ein  ge- 
mischtes ,  eudgiltig  urteilendes  Gericht.  Nach  der  Eintragung  erhält  der 
Eigentümer  die  Abschrift  seines  Grundbuchblattes.  Alle  Aenderungen  des 
Besitzstandes  werden  auf  dem  Original  wie  auf  der  Abschrift  eingetragen. 
Aufser  den  Gebühren  für  die  Eintragungen  wird  noch  vom  Staate  eine 
Summe  erhoben  für  einen  Fonds ,  aus  dem  nachträglich  gerechtfertigte, 
aus   Versehen    unberücksichtigt    gebliebene    Ansprüche    befriedigt    werden. 

Dieses  System  gewährte  Kolonisten  die  Möglichkeit,  sich  Ländereien 
zu  kaufen,  ohne  späteren  Anfechtungen  ausgesetzt  zu  sein,  und  erleichterte 
die  Kreditaufnahme.  Aber  es  besafs  den  Nachteil,  zu  teuer  zu  sein.  Wäh- 
rend in  Australien  fast  jeder  Ansiedler  binnen  kurzem  sein  Land  hatte 
eintragen  lassen,  erfolgten  in  Tunis  im  ersten  Jahre  der  Geltung  des 
Gesetzes  nur  29  Eintragungen  für  eine  Fläche  von  15  000  ha,  obwohl 
viel  gröfserer  französischer  Grundbesitz   bereits  vorhanden  war. 

Es  fand  daher  eine  Prüfung  der  Sachlage  durch  eine  Kommission 
statt,  auf  deren  Vorschlag  eine  Herabsetzung  der  Gebühren  verfügt  wurde. 
Doch  war  dieselbe  zu  gering.  Bis  zum  1.  Januar  1891  wurden  daher 
nur    195   Grundstücke  mit    zusammen   96  000  ha  zur  Eintragung  gebracht. 

Die  Angelegenheit  erfuhr  deshalb  eine  nochmalige  Prüfung,  infolge 
deren  durch  Dekrete  vom  15.  und  16.  März  1892  eine  weitere  Ermäfsi- 
gung  der  Eintragungskosten  bestimmt  wurde.  Diese  Mafsregel  hatte  die 
"Wirkung,  dafs  schon  im  Laufe  der  ersten  2  Monate  nach  ihrer  Einfüh- 
rung 58  neue  Eintragungen  für  42  000  ha  beantragt  wurden. 

Die  kostenlose  Zuteilung  von  Land  an  Ansiedler  von  Staatswegen  ist 
in  Tunis  ebenso  wegen  des  anderweitig  beobachteten  unerfreulichen  Er- 
gebnisses, als  wegen  des  Mangels  ausgedehnter  öffentlicher  Ländereien 
nicht  zur  Einführung  gelangt.  Es  werden  aber  Grundstücke  von  35  bis 
50  ha  an  Ansiedelungslustige  zu  Preisen  von  ca.  50  bis  100  Franken, 
je  nach  der  Güte,  für  den  Hektar  verkauft.  Aufserdem  wird  Land  zur 
Olivenkultur  für  10  Franken  vom  Hektar  verkauft,  falls  die  Ansiedler 
sich  verpflichten ,  die  Hälfte  anzuzahlen  und  das  ganze  Land  binnen 
4  Jahren  zu  bepflanzen.  Erfüllen  sie  die  Bedingung  nicht,  so  erlischt  ihr 
Anspruch. 

(Fortsetzung   folgt.) 


Mi  sz  eilen.  «jQf 


XVIII. 

Der  Aufsenhandel  der  Vereinigten  Staaten  im  Rechnungs- 
jahre 1893 x). 

Von  M.  D  i  e  z  m  a  n  n  -  Chemnitz. 

Dem  statistischen  Amt  der  Vereinigten  Staaten  ist  ein  unangenehmes 
Mifsgeschick  widerfahren.  Im  Januar  1892  wurden  die  amerikanischen 
Konsulate  angewiesen,  von  Ausstellung  eines  Certifikates  über  den  Wert 
des  in  ihrem  Aufenthaltsland  umlaufenden  Geldes  im  Vergleich  zu  dem 
amerikanischen  Dollar  in  allen  den  Fällen  abzusehen,  in  welchen  der 
Geldwert  bei  der  Verzollung  nicht  in  Frage  kommt,  also  bei  den  Waren, 
welche  in  der  Union  zollfrei  sind  oder  einem  Gewichtszoll  unterliegen. 
Infolgedessen  gingen  während  mindestens  15  Monaten  enorme  Mengen 
von  Waren  aus  Ländern  mit  unterwertigem  Papiergeld  unter  Wertangaben 
ein,  welche  sich  auf  Papierwährung  bezogen.  Als  das  statistische  Amt 
endlich  darauf  aufmerksam  wurde,  war  es  ganz  unmöglich,  den  wirklichen 
Dollarwert  der  Einfuhr  zu  ermitteln.  Von  einer  Korrektur  der  Zahlen  für 
1892  mufste  ganz  abgesehen  werden,  für  1893  dagegen  wurde  auf  sehr 
fragwürdiger  Grundlage  der  ermittelte  Gesamteinfuhr  wert  um  75  Millionen 
Dollars  herabgesetzt.  Mit  dieser  Korrektur  stellt  sich  der  Aufsenhandel 
der  Vereinigten  Staaten  in  den  am  30.  Juni  schliefsenden  letzten  5  Rech- 
nungsjahren  in  Tausenden    Doli,  wie  folgt : 


Einfuhr. 
Waren,   eigene 
,,        fremde 
Edelmetalle 
Warendurchfuhr 

1889 
5858 

739  274 
28963 

47  403 

1890 

4232 

785078 

33  976 

55  699 

1891 

4  466 

840450 

36259 

57  498 

1892 
4  348 
823055 

69654 
69568 

1893 

3  647 

862  754 

44  368 

67950 

Ausfuhr. 
Waren,   eigene 
„       fremde 
Edelmetalle,  eigene 
„              fremde 
Warendurchfuhr 

821  498 

730  283 

12  II9 
802I5 
l6  427 
47  403 

886  447 

878985 

845  294 

■2  535 
35  782 
16366 
55  699 

938  673 

872  270 

12  211 
98  973 

9  980 
57  498 

966  626 

IOI5  732 

14  546 
60  086 
22  919 
69568 

978719 

831  031 
16634 

125  627 

23  791 
67950 

965  676 

1050932 

I  182 851 

1  065  033 

Ueberschufs  der  Ausfuhr  64949  86691  112259  216225  86314 

Auf  Europa  und  die  anderen   Erdteile    verteilte    sich  der  Verkehr  in 
folgender  Weise: 

1)   Wegen  der  Vorjahre  s  Jahrb.   3.   F.   4.   Bd.  S.  420   u.  672    sowie  5.   Bd.   S.   895. 


908 


Miszellen. 


Verkehr  mit  Europa. 


Einfuhr. 
Waren 
Edelmetalle 
Warendurchfuhr 

1889 

403421 

3406 

23  801 

1890 

449  987 

6736 

26371 

1891                1892 
Tausende  Dollars 

459  305          391628 

7  122            33  46o 

26414            27596 

1893 

458  450 

6  443 

27  523 

Ausfuhr. 
Waren,  eigene 
„        fremde 
Edelmetalle,  eigene 

„           fremde 
Warendurchfuhr 

430628 

572  368 

6  439 

66  188 

2634 

14856 

483  094 

677  284 

6309 

27  180 

3046 

17707 

492  841 

697  614 

7184 

92225 

2  642 
I6863 

452  684 

841  088 

9  535 

53  243 

6788 

30312 

492  416 

653  I50 

8  827 
113  762 

5  499 
31706 

Mehrausfuhr  von  Waren 

ausschl.  Durchfuhr 
Desgl.  einschl.  Edelmetalle 

662485 

175  386 
240  802 

73i  526 

233  606 

257  096 

816528 

245  493 
333  238 

940  966 

458  995 
485  566 

812  944 

203  527 
316345 

Verkehr  mit  aufsereuropäischen  Ländern. 


E  i  n  f  u  h  r. 
Waren 
Edelmetalle 
Warendurchfuhr 

Au  s  fuhr. 
Waren,  eigene 
„        fremde 
Edelmetalle,  eigene 

,,  fremde 

Warendurchfuhr 


1889  1890  1891  1892 

Tausende  Dollars 

341  711  339  323         385  611         435  775 

25  557  27  240  29  137  36  195 

23602  29328  31084  41972 


157  915 

5680 

14027 

13  793 

32  547 


168  010 

6  226 

8602 

13  320 

37  992 


174  656 

5027 

6748 

7  338 

40635 


174644 

5  011 

6843 

16  131 

39256 


223  96: 


256  120 
269341 


1893 

407  951 
37  925 
40427 


390870         395  891         445  832         5J3  942         486303 


177  881 

7807 

11  865 

18  292 

36244 


234150         234404         241885         252089 


Mehreinfuhr  von  Waren 

ausschl.  Durchfuhr  178  116  165  087  205928 

Desgl.  einschl.  Edelmetalle   175  853  1704O5  220979 

Die   Abnahme    der    eigenen    Ausfuhr    fällt    fast 
Getreide    und   Baumwolle.     Es    wurden    nämlich    in    den    letzten    Jahren 
ausgeführt : 


222  263 
230031 

ausschliefslich    auf 


1889 

Vieh,  Nahrungs-  und  Genufsmittel       290  894 

Baumwolle  237  775 

Mineralöle  49914 

Anderes  151  700 


1890              1891              1892  1893 
Tausende  Doli. 

372438       348055        528588  415  140 

250969        290713        258461  188  771 

51  403          52027          44806  42142 

170484        181  475        183877  184978 


I  730283 

Die  Hauptposten  der  erstgenannte 


Vieh  18375 
Nahrungsmittel  tierischen  Ursprungs  1 IO  262 
Getreide  und  andere  mehlige  Nah- 
rungsstoffe 1 24  933 
Tabak  und  -Fabrikate  22  6 10 
Anderes  14  714 


845294       872270      I  015  732  831  031 

a  Rubrik  waren; 

1890      1891      1892  1893 
Tausende  Doli. 

33  638    32  935    36  498  27528 

142477   144  162   145  146  143200 


155  775 
25  356 
15  192 


128944 
25  220 
16794 


300  450 
25  739 
20  755 


201  902 
26943 
15567 


290894   372438   348055   528588   415  140 


Mis  zellen.  909 

Die  Ausfuhr  von  Vieh  (speziell  Rindvieh  nach  England)  und  von 
rieischprodukten  hat  sich  nahezu  auf  dem  1890  erreichten  hohen  Stand 
gehalten  x).  Dagegen  hat  der  Ausfuhrwert  von  Getreide  eine  bedeutende 
Abnahme  erfahren,  und  zwar  hauptsächlich  der  des  Weizens,  teils  infolge 
davon,  dafs  die  gegen  frühere  Jahre  immerhin  hohe  Ausfuhrmenge  doch 
noch  ansehnlich  gegen  die  abnorm  hohe  des  Vorjahres  zurückblieb,  teils 
infolge  davon,  dafs  der  hohe  Durchschnittspreis  des  Vorjahres  einen  an- 
sehnlichen Rückgang  erfuhr.  Die  Ausfuhr  von  Weizen  betrug  in  Tausen- 
den Busheis  (gleich  27,2  kg). 

1889  1890  1891  1892  1893 

46414       54388         55  132         157280         117121 

oder  nach  den  Werten  in  Tausenden  Dollars 

41653      45276       51420       161 399         95535 
Der  Durchschnittspreis  von    1   Eushel   betrug  danach: 

0,90  0.83  0,93  1,03  0,80      Doli. 

Der  Ausfall  der  Ausfuhr  trifft  übrigens  fast  ausschliefslich  Frank- 
reich und  Belgien,  während  England  sogar  mehr  aufnahm  als  im  Vor- 
jahre. 

An  Weizenmehl  ging  1893  dem  Werte  nach  fast  genau  soviel 
aus  wie  im  Vorjahre,  nämlich  für  75  494  000  Doli,  gegen  75  362  000  Doli.; 
der  Durchschnittspreis  sank  nur  von  4,96  auf  4,54  Doli,  für  ein  Barrel 
.gleich  88,9  kg). 

Ansehnlichen  Rückgang  nach  Menge  und  Wert  erlitt  die  Ausfuhr 
von  Mais  und  dem  im  Vorjahre  zu  ungewöhnlicher  Bedeutung  gelangten 
Roggen. 

Die  Ausfuhr  von  Baumwolle  war  nach  Menge  wie  nach  Wert  im 
Jahre  1893  bedeutend  kleiner  als  im  Vorjahre,  in  welchem  die  Vereinigten 
Staaten  eine  gröfsere  Ernte  gehabt  hatten  als  je  zuvor.  Den  Mengen 
nach  betrug  sie  in  Tausenden  Pfd. 


1889 

1890 

1891 

1892 

1893 

2384817 

2  47I  800 

2  907  359 

2  935  220 

2  212  II5 

davon  nach  England 

1  470  400 

I  452  576 

1  700606 

I  690  843 

i;i74  179 

oder  prozental 

61,66 

58,77 

58,49 

57,60 

53,08 

Proz. 


Dieser  relativen  Abnahme  der  Sendungen  nach  England  steht  eine 
Zunahme  der  direkten  Verschiffungen  namentlich  nach  Deutschland  und 
Frankreich  gegenüber;  der  deutsche  Anteil  ist  seit  1889  fast  ununter- 
brochen gestiegen  von   13,85  bis   19,22  Proz. 


1)  Bemerkenswert  ist  die  stetig  zunehmende  Ausfuhr  von  Oleomargarinfett,  welches 
von  der  amerikanischen  Statistik  unter  Fleisch  gerechnet  wird.  Der  Wert  derselben 
betrug 

1889  1890  1891  1892  1893 

Tausende  Doli. 
2664  6476  7859  9012        II  207 

Die  Ausfuhr  von  Oleomargarinbutter  erreicht  dagegen  nur  einen  Ausfuhrwert  von 
rund  200-  bis  400  000  Doli,  jährlich. 


910 


Miszellen. 


Der  Durchschnittspreis  der  Baumwolle  mit  Ausnahme  der  wenig  ins 
Gewicht  fallenden  Sea  Island  betrug  in  Cents  für  das  Pfund  engl. 

1889  1890  1891  1892  1893 

9,9  II  9,9  8,7  8,5 

Das  statistische  Amt  in  Washington  bemerkt  nun  aber  so  nebenbei, 
dafs  der  Wert  der  1892  ausgeführten  Baumwolle  um  20  bis  25  Mill. 
Doli,  überschätzt  war,  so  dafs  der  Durchschnittspreis  dieses  Jahres  sich 
nur  auf  etwa  8  Cents  gestellt  haben  würde.  Eigentümlich  ist  es  freilich, 
dafs  derartige  ,,Ueberschätzungen"  bei  den  Deklarationen  zugestanden 
werden,  und  das  Mifstrauen  gegen  die  amerikanischen  Ausfuhrdeklarationen 
kann  dadurch  nur  verstärkt  werden. 

Die  Ausfuhr  von  Mineralölen  hat  den  Mengen  nach  zugenommen, 
während  die  Werte  eine  kleine  Abnahme  zeigen.  Dies  erklärt  sich  im 
wesentlichen  daraus,  dafs  der  Durchschnittspreis  des  Leuchtöles,  der  1891 
noch  7  Cents  für  ein  Gallon  betragen  hatte1),  1892  aber  auf  5,9  Cents 
gefallen  war,   1893  noch  weiter,  auf  4,9  Cents,  gesunken  ist. 

Da  die  Abnahme  des  Ausfuhrwertes  sich  fast  nur  auf  Getreide  und 
Baumwolle  beschränkt,  so  trifft  sie,  wie  leicht  erklärlich,  ausschliefslich 
den  Verkehr  mit  Europa,  welches  dagegen  weit  mehr  Edelmetalle  als  im 
Vorjahre  erhielt. 

Was  andererseits  die  Waren  einfuhr  anlangt,  so  ist  von  der 
vernichtenden  Wirkung,  welche  derselben  nach  einer  vielfach  ver- 
breiteten Ansicht  von  der  Mc  Kinley-Bill  drohen  sollte,  recht  wenig  zu 
bemerken.  Wenn  auch  nicht  ausgeschlossen  sein  wird,  dafs  in  einzelnen 
Fällen  das  Ausland  einen  Teil  der  erhöhten  Zölle  auf  sich  genommen 
hat,  so  tritt  doch  augenfällig  hervor,  dafs  die  Union  bezüglich  sehr  vieler 
Waren  durchaus  auf  das  Ausland  angewiesen  ist,  wenn  sie  überhaupt 
ihren  Bedarf  nach  denselben  zu  befriedigen  in  der  Lage  ist.  Dafs  sie 
seit  Mitte  des  Jahres  1893  sich  im  Verbrauch  die  schärfsten  Beschrän- 
kungen hat  auferlegen  müssen,  daran  ist  die  Mc  Kinley-Bill  direkt  nicht 
schuld,  wie  dies  gerade  die  hier  zu  besprechenden  Ausweise  bezeugen. 

Dabei  ist  zweckmäfsiger  der  freie  Verkehr  statt  des  bisher  be- 
sprochenen Jahresaufsenhandels  zu  berücksichtigen,  weil  der  erstere  viel 
spezieller  nachgewiesen  wird  als  der  letztere.  Beide  Verkehrsarten 
weichen  nur  um  die  wenig  bedeutende  Differenz  zwischen  Eingang  auf 
Zollniederlagen  und  Ausgang  von  letzteren  von  einander  ab.  Im  ganzen 
gingen  in  den  freien  Verkehr  ein 

1889      1890      1891      1892      1893 

Tausende  Doli. 

741  431    773  675   854520   813  601    844455 

Den  Hauptposten  bildeten  wie  gewöhnlich  Nahrungs-  und  Ge- 
nufsmittel  mit  folgenden  Beträgen: 

1889  1890  1891  1892  1893 

Tausende  Doli. 

Kaffee         74723        78267       96124     127  461       80039 

Zucker        94498       99*53     i*5  974     107  661  118  222 

Anderes       86543        94  20 5      107  567       81  620       90858 

256  764     271  625     319665     316742  289  119 


1)  Nicht  wie  Bd.  4  S.  430  infolge  eines  Schreibfehlers  angegeben  für  ein  Pfund. 


Miszellen.  91  [ 

Die  Abnahme  der  Kaffeeeinfuhr  ist  zum  grofsen  Teil  nur  eine  schein- 
bare, denn  das  statistische  Amt  in  Washington  giebt  zu ,  dafs  die  Ein- 
fuhr allein  aus  Brasilien  im  Vorjahr  um  30  bis  35  Mill.  Doli,  über- 
schätzt worden  ist.  Den  Mengen  nach  ist  der  EingaDg  in  den  freien 
Verkehr  nur  von  636  498  000  auf  561288  000  Pfd.  zurückgegangen. 
Der  Rückgang  trifft  fast  nur  die  Länder,  deren  Kaffee  vom  15.  März 
1892  an  einem  Differentialzoll  von  3  Cents  für  das  Pfund  unterworfen 
worden  war;  es  sind  nämlich  in  den  drei  letzten  Rechnungsjahren  ein- 
gegangen aus 

1891  1892  1893 

Tausende  Pfd. 

Columbia  14  549  "793  7  4°3 

Venezuela  60218  53  440  15  161 

Hayti  12  643  14  979  8 

Der  Verbrauch  von  Zucker  hat  sich  nahezu  auf  dem  hohen  Stande 
erhalten,  welcher  nach  der  am  1.  April  1891  erfolgten  Zollbefreiung  der 
Nummern  unter  16  Holland,  erreicht  worden  war.  Abgesehen  von  Melasse, 
Kandiszucker  und  Zuckerwerk  gingen  in  den  freien  Verkehr  ein 

1889       1890       1891       1892       1893 
Tauseude  Pfund 
2943872   2831570   3  774  832   3  567  983   3  763  897 

Von  den  übrigen  Artikeln  dieser  Gruppe  hatten  mehrere  durch  die 
Mc  Kinley-Bill  teils  Ermäfsigungen,  teils  Erhöhungen  des  Zolles  erfahren. 
Als  Beispiele  für  die  verschiedene  Art,  in  welcher  die  Zolländerungen  ge- 
wirkt haben,  mögen  folgende  erwähnt  werden. 

Die  früher  zollfreien  Eier  waren  eiuem  Zoll  von  5  Cents  für  das 
Dutzend  unterworfen  worden ,  was  etwa  40  Proz.  vom  Wert  entspricht. 
Eingegangen  sind  in  Tausenden  Dutzend  (in  der  Hauptsache  aus  Englisch- 
NordamerikaJ 

1889      1890      1891      1892     1893 
15920    15  161      8219      4184     3296 

Hier  wirkt  der  Zoll  dauernd  hindernd  auf  die  Einfuhr.  Aehnlich 
ist  die  Wirkung  auf  die  Gerste, 

Rohdecktabak,  nicht  entrippt,  war  von  3/4  Doli,  auf  2  Doli, 
für  das  Pfund  heraufgesetzt  worden,  das  heifst  von  etwa  80  auf  etwa 
250  Proz.  des  Wertes.  Eingeführt  wurden  (hauptsächlich  aus  Holland) 
in  Tausenden  Pfund 

1889      1890      1891      1892      1893 

1575  3756  7236  328  2363 

Das  heifst,  die  amerikanische  Tabakindustrie  ist  trotz  des  enormen 
Zolles  gezwungen,  die  Decktabake  von  Sumatra,  von  denen  vor  der  Zoll- 
erhöhung grofe  Mengen  eingeführt  worden  waren ,  weiter  zu  beziehen. 
In  ähnlicher  Weise  hindert  die  Erhöhung  des  Zolles  von  15  auf  23  Cts. 
für  das  Pfund  nicht  den  Eingang  von  Kartoffeln,  wenn  der  Ausfall 
der  eigenen  Ernte  denselben  wünschenswert  macht. 

Der  Verkehr  von  Textilwaren,  welcher  von  deutscher  Seite  ganz 
besondere  Beachtung  zu  beanspruchen  hat,  gestaltete  sich  in  folgender 
Weise : 


Q[2  Misz  eilen. 

1889 

Rohstoffe  44  603 

Garne  und  Seide    23  860 
Fabrikate  142  389 


1890 

1891               1892 
Tausende  Doli. 

1893 

44306 

48619          43236 

48  240 

28538 

23  374          27  6ll 

32  797 

152835 

136  920        123  994 

138  550 

210852      225679      208913       194848       219587 

Bei  den  Rohstoffen  ist  bemerkenswert  die  ununterbrochene  Zunahme 
der  Einfuhr  von  Baumwolle  namentlich  aus  Aegypten,  England  (auch 
hier  wohl  ganz  überwiegend  ägyptische),  Peru  und  den  französischen 
Besitzungen  in  Australien.     Der  Gesamtwert  betrug 

1889  1890  1891  1892  1893 

Tausende  Doli. 
"95  1393  2834  3212  4686 

Die  Garne  und  Seide  verteilten   sich  in  folgender  Weise: 

1889              1890              1891              1892  1893 

Tausende  Doli. 

Seide           19223         24226          19875         25463  30458 

Garne            4637           4  312           3  499           2148  2339 

23860         28538         23374         27  611  32797 

Die  Abnahme  bei  Garnen  fällt  hauptsächlich  auf  die  im  Zoll  stark 
erhöhten  Wollengarne,  während  die  Schwankungen  der  Seideneinfuhr  durch 
Preisänderungen  der  Rohseide  stark  beeinflufst  worden  sind.  An  Roh- 
seide wurden   nämlich   eingeführt 

1889  1890  1891  1892  1893 

Tausende  Pfd. 
533°  5659  49i8  7137  74J2- 

Die  Ausweise  über  den  Eingang  von  Textilfabrikaten  lassen 
von  der  viel  gefürchteten  verderblichen  Wirkung  der  Mc  Kinley-Bill 
wenig  erkennen;  allerdings  verraten  sie  auch  nicht,  in  welchem  Mafse 
die  europäische  Industrie  durch  Herabsetzung  der  Löhne  und  Verminde- 
rung der  Untern ehmergewinne  die  Last  der  Zoll erhöhun gen  hat  mittragen 
helfen. 

Die  Einfuhr  (einschl.  Knöpfe)  hat  sich  in  den  letzten  5  Jahren  wie 
folgt  gestaltet : 

1889  1890  1891  1892«)       1893 

Tausende  Doli. 


Zeugwaren,  wollene            41  283 
seidene            28  986 

44  051 
31949 

35  795 
29  070 

30504 

23  126 

31368 

28451 

leinene  etc.      22  561 
,,             baumwollene     7955 

24  204 
7  938 

21  211 
8676 

22  014 
8  477 

24004 
10  752 

IOO  785 

108  142 

94  752 

84  121 

94  575 

Spitzen,  Stickereien.  Po- 

samenten und  Knöpfe     21  555 
Wirkwaren                                8  348 
Schmuckfedern.  Hüte  etc.    5  916 
Kleidung                                   3  934 
Fufsdecken  etc.  u.  Seiler- 

23 324 
9  384 
5  982 
3  852 

20347 

8  373 
5  940 
5616 

21455 
"850 
4670 
4250 

23  552 
8765 
4962 

4  744 

waren                                     I  851 

2  I51 

1  892 

1668 

1952 

142389 

152  835 

136920 

123994 

138550 

Zoll   in 

O/o  des 

Wert  der 

Einfuhr 

Wertes 

in  Tausenden   Doli. 

1889 

1893 

1889 

1893 

73-« 

102.5 

"9  793 

18271 

-1.9 

100. (i 

19258 

12  810 

70,2 

96.7 

1  137 

77 

5O.0 

68,5 

5  4o8 

3  735 

39.4 

68.7 

6057 

0385 

631 

94-0 

1795 

1369 

40 

60 

11  179 

12  814 

46.3 

62.7 

1  4-8 

'  557 

Mi  stellen.  913 

Das  erste  Jahr  dieser  Reihe  und  das  letzte  derselben  unterscheiden 
sich  in  der  Gesamtsumme  nicht  wesentlich ;  für  einige  Einzelzahlen,  die 
besonders  starken  Zolländerungen  unterlegen  haben,  ergeben  sich  dagegen 
Verschiedenheiten,  wie  sie  aus  der  nachstehenden  Zusammenstellung  ersicht- 
lich sind,  in  welcher  die  Zölle  nach  ihrem  Verhältnis  zum  Warenwert 
berechnet  sind. 


Wollene  und   halbwollene  Frauenkleiderstoffe 

Tuche 

Wollene  Flanelle 

Seiden-,  Sammt  und  Plüsch 

Baumwollene  Wirkwaren 

Wollene  ,, 

Baumwollene  Spitzen,  Stickereien  etc. 

Wollene   Teppiche 

Dagegen   bei  unverändertem  Zoll: 

Seidenstoffe  50  50  7  623       4  596 

Es  wird  wohl  schwer  fallen,  einen  Zusammenhang  zwischen  den 
Aenderungen  der  Einfuhr  und  denen  der  Zollsätze  nachzuweisen,  nament- 
lich wenn  noch  berücksichtigt  wird,  dafs  auch  die  Entwickelung  der 
eigenen  Industrie  des  Landes  einen  nicht  zu  unterschätzenden,  aber  zahlen- 
mäfsig  kaum   festzustellenden   Einflufs  ausübt. 

Eine  nicht  unbedeutende  Zunahme  haben  nach  dem  Rückgang  des 
Vorjahres  die  Gegenstände  der  Metallindustrie  erfahren. 

Es  gingen  ein 

1889     1890     1891     1892  1893 
Tauseude  Doli. 

IO  715    13005    14046  14892 

6  899    7  978    8  668  12  323 

20747  36  356  n793  l6692 

20336  17  431  15  951  16951 

5  229  8  652  7  124  8  398 

63  926  83  423  57  582  69  256 

Bei  den  Erzen  steht  einer  Abnahme  der  Einfuhr  von  Eisenerzen 
(aus  Spanien,  Italien  und  Algier,  nicht  aber  der  von  Kuba)  eine  Zu- 
nahme der  seit  10  Jahren  ununterbrochen  wachsenden  Einfuhr  von 
mexikanischen  Silbererzen  gegenüber,  die  jetzt  10  840  600  Doli   erreicht  hat. 

An  Zinn  sind,  jedenfalls  nicht  sowohl  infolge  der  Entwickelung  der 
inländischen  Weifsblechindustrie  als  in  Rücksicht  auf  den  für  1,  Juli 
1893  erwarteten  Zoll,  nicht  weniger  als  60  907  800  Pfund  oder  rund 
27  600    metrische  Tonnen    eingeführt    worden  gegen    nur     15  400  t    1889. 

"Weifsblech  hatte  vom  1.  Juli  1891  ab  eine  Zollerbö'hung  von 
1  Cent  für  das  Pfund  auf  2,2  Cents  oder  von  etwa  30  Proz.  des  Wertes 
auf  nicht  weniger  als  75  Proz.  erfahren.  Dadurch  ist  allerdings  die  ein- 
heimische Industrie  wesentlich  gefördert  worden,  dafs  dieselbe  aber  den 
Bedarf  noch  durchaus  nicht  zu  befriedigen   vermag,    geht    daraus    hervor, 


Erze 

8  759 

Zinn 

7  026 

Eisenartikel:  Weifsblech 

21  002 

andere  *) 

21  000 

Andere  Metallartikel 

4  191 

61  978 

1;  Einschl.  Maschinen  und  Feuerwaffen. 
Dritte  Folire  Bd.  VIII  (LXIU").  58 


914  Miszellen. 

dafs  die  Einfuhr,  da  die  vor  der  Zollerhöhung  beschafften  enormen  Vor- 
räte zu  Ende  gehen,  wieder  stark  zu  steigen  beginnt. 

In  Bezug  auf  die  Rohstoffe  der  bisher  nicht  erwähnten  Industrie- 
zweige ist  nur  etwa  folgendes  hervorzuheben. 

Eine  Abnahme  hat  nur  der  Einfuhrwert  des  Rohkautschuk  erfahren, 
aber  auch  dieser  nur  infolge  des  Sinkens  des  Durchschnittspreises ;  die 
Einfuhrmenge  war  gröfser  als  je  vorher.  In  der  Holz-,  Schnitz-  etc. 
Industrie  fällt  der  Hauptteil  der  Wertzunahme  allerdings  auf  Holz,  be- 
sonders von  Englisch- Nordamerika  und  Kuba,  doch  zeigt  sich  schon  seit 
mehreren  Jahren  eine  verhältnismäfsig  starke  Zunahme  auch  bei  Elfen- 
bein und  bei  Muschelschalen.  Die  Papierindustrie  hat  ihren  Bezug  so- 
wohl von  Lumpen  und  Cellulose  ansehnlich  gesteigert.  Ebenso  hat  die 
Einfuhr  von  ungefafsten  Edelsteinen,  besonders  aus  Holland  und  England, 
ansehnlich  zugenommen.  Im  ganzen  gingen  an  Rohstoffen  der  wichtigeren 
Gewerbzweige  ein 


1889 

1890 

1891 
Tausende 

1892 
Doli. 

1893 

Lederindustrie 

27215 

23  960 

30  731 

30008 

32  129 

Chemische  Industrie 

16  919 

18  420 

20930 

20513 

21973 

Holz-  etc.  Industrie 

16826 

10810 

20356 

20571 

23780 

Kautschukindustrie 

12387 

14855 

18039 

19886 

17  963 

Schmuckindustrie  (Edelsteine) 

IO979 

II  938 

13  155 

13  326 

15823 

Papierindustrie 

7  438 

7090 

6948 

7  359 

93^6 

Stein-,  Glas-  etc.  Industrie 

3684 

4268 

6994 

6905 

7  357 

Nach  dieser  Zusammenstellung  wäre  man  wohl  berechtigt  gewesen, 
über  die  Entwickelung  der  amerikanischen  Industrie  ein  günstiges  Ur- 
teil auszusprechen ,  und  doch  würden  die  Ereignisse  schon  der  nächsten 
Zeit  auf  das  eindringlichste  daran  gemahnt  haben,  wie  wenig  sicher  die 
Zukunft  sich  allein   nach   einigen  statistischen  Zahlen  beurteilen  läfat. 

Bei  den  Fabrikaten  der  obigen  Gruppen  ist  eine  Einwirkung  der 
Zollerhöhungen  kaum  bemerkbar.     Ihre  Einfuhr  betrug 

1889  1890  1891  1892  1893 
Tausende  Doli. 

Chemische  Industrie1)               26  171  26661  31400  30  696  36015 

Lederindustrie                              16  701  17  742  19  499  21  126  22  118 

Steine-  etc.  Industrie                 x4  395  H736  16  513  17725  17  511 

Litteratur  und  bildende  Kunst     6  808  7  267  7  644  6  784  8  295 

Kurzwaren  und  Schmuck            5  922  6  383  5  220  4  434  4  938 

Holz-  etc.  Industrie                      3°75  3487  5863  5838  6445 

Papierindustrie                                 2  507  2  794  3  086  3  359  3  778 

Kautschukindustrie                           338  372  408  448  421 

In  der  chemischen  Industrie  zeichnen  sich  durch  Einfuhrzunahme 
Jod,  Rohsoda,  Chlorkalk,  Indigo  und  Teerfarben  aus,  unter  den  Gegen- 
ständ der  Litteratur  etc.  die  Kunstwerke  für  öffentliche  Zwecke  und 
unter  der  Holz-  etc.  Industrie  nicht  besonders  genannte  Strohwaren,  be- 
sonders die  aus  Italien  und  der  Schweiz.  Die  Abnahme,  welche  sich  seit 
1890  bei  Kurzwaren  und  Schmuck  zeigt,  ist  teils  durch  die  im  Zoll  stark 
erhöhten  Juwelierarbeiten,  teils  aber  auch  durch  veränderte  Rubrizierung 
veranlafst. 


1)  Die  Zahlen  weichen  von  den  in    Bd.  5   S.   902    angegebenen    wegen    abgeänderter 
Rubrizierung  der  parfümierten  Seifen  und  wohlriechenden  Fette  etwas  ab. 


Miszellen.  915 

Im  ganzen  erscheint  der  Auteil  Europas  an  der  Einfuhr  der  Union 
gröfser  als  im  Vorjahr  namentlich  wegen  des  mehrfach  erwähnten  Irr- 
tums, der  im  Vorjahr  in  Bezug  auf  die  Länder  mit  entwerteter  Valuta 
vorgekommen   war.      Von  der  gesamten   Einfuhr  kamen  aus   Europa 

1889  1890  1891  1892  1893 

54,14        57,01        54,36        47,83        52,91  Proz. 

Auf  die  einzelnen  Länder  Europas  verteilte  sich  dieser  Betrag  in 
folgender    Weise  nach  Tausenden   Doli. 

1889  1890  1891  1892  1893 

England             1 78  269  186489  194  723  156  301  182  860 

Deutschland        81  743  98838  97  316  82908  96  210 

Krankreich          69567  77672  76689  68555  76  076 

andere                  73842  86988  90  577  83864  103  304 

403421  449987  459305  391628  458450 

Bei  England  fällt  die  Zunahme  besonders  auf  Zinn ,  Weifsblech, 
Baumwollwaren,  Tuche  und  Chemikalien ,  bei  Deutschland  auf  Zucker, 
Chemikalien  und  Seidenwaren,  während  namentlich  Pelzwaren  einen 
starken  Rückgang  zeigen.  Frankreich  hat  hauptsächlich  an  der  Einfuhr 
von  Seidenwaren  und  Champagner  gewonnen.  Unter  den  übrigen  euro- 
päischen Ländern  hat  Holland  eine  Mohreinfuhr  von  rund  6x/2  Mill.  Doli, 
besonders  durch  Tabak  und  Edelsteine,  Italien  eine  solche  von  4  Mill.  DoU. 
durch  Rohseide,  Früchte  etc.,  die  Schweiz  von  8  Mill.  Doli,  durch  Seiden- 
waren, baumwollene  Spitzen  und  Stickereien  etc. 


916  Litteratur. 


Litteratur. 
in. 

Professor   Th.  Freiherr  von  der  Goltz.   Die  agrarischen 
Aufgaben  der  Gegenwart. 

Jena,  Gustav  .Fischer,  1894.     190  SS.      Preis  3  Mark. 

Besprochen  von  J.  Conrad. 

Wenn  man  bisher  gefragt  wurde,  aus  welcher  Schrift  man  sich 
wohl  über  die  Ursachen  und  den  gegenwärtigen  Stand  der  Agrarkrisis 
in  Deutschland  gut  zu  informieren  vermöge  —  und  das  ist  uns  vom  Aus- 
lande wie  vom  Inlande  sehr  oft  begegnet  — ,  so  befand  man  sich  in 
grofser  Verlegenheit.  Denn  aus  der  überaus  reichen  Litteratur  über  den 
Gegenstand  konnte  nicht  eine  einzige  Schrift  genannt  werden,  welche  mit 
der  nötigen  Fachkenntnis  und  Objektivität  den  Gegenstand  behandelte. 
Wir  hatten  nur  Parteischriften,  meist  extremster  Art.  Die  vorliegende 
Schrift  füllt  die  Lücke  in  vortrefflichster  Weise  aus.  Der  bekannte  und 
verdienstvolle  Lehrer  der  Landwirtschaft  giebt  hier  das  Ergebnis  seiner  Jahr- 
zehnte hindurch  fortgesetzten  gründlichen  Studien  über  die  deutsche 
Landwirtschaft  in  gedrängter  Weise  wieder,  er  geht  den  Ursachen  der  gegen- 
wärtigen Kalamität  allseitig  auf  den  Grund  und  tritt  den  Uebertreibungen 
von  agrarischer  Seite  ebenso  entschieden  entgegen  wie  den  Verschleierungen 
von  seiten  ihrer  Gegner.  Er  weist  rückhaltslos  auf  die  Fehler  hin,  die 
von  seiten  der  Landwirte  selbst  wie  der  Regierung  gemacht  sind,  und 
giebt  mannigfaltige,  beachtenswerte  Winke,  wie  eine  Besserung  erreicht 
werden  kann.  Das  Buch  verdient  die  weiteste  Verbreitung;  jeder 
Land-  wie  Volkswirt  wird  daraus  reiche  Belehrung  schöpfen  und 
auch  da  gerne  den  Ideen  des  Verfassers  näher  treten,  wo  er  nicht  mit 
ihm  übereinzustimmen  vermag.  Wo  man  in  solcher  Weise  allein  das 
Streben  bemerkt,  die  Wahrheit  durch  objektive  Untersuchung  festzustellen, 
kann  man  auf  gleichem  Wege  auf  Verständigung  rechnen  und  aus  der 
Diskussion  nur  Nutzen  ziehen.  In  diesem  Sinne  wollen  wir  in  dem 
Folgenden  einzelne  von  dem  Verfasser  behandelte  Fragen  einer  Er- 
örterung unterziehen,  wobei  wir  naturgemäfs  diejenigen  herausgreifen,  wo 
wir  mit  dem  Verfasser  nicht  übereinstimmen.  Ferne  liegt  es  uns  aber 
dies  zu  thun,  um  den  Wert  der  Schrift  herabzusetzen. 


Litteratur.  917 

Der  Verfasser  sieht  einen  wesentlichen  Grund  dir  Mifserfolge  des 
landwirtschaftlichen  Betriebes  in  der  Vernachlässigung  und  oft  verkehrten 
Behandlung  der  allgemeinen  Laudwirt6chuftslehre,  spez.  der  Taxationslehre 
und  macht  hierfür  besonders  Geh.  Rat  Kühn  verantwortlich.  Wir  geben 
ihm  darin  vollständig  recht,  dafs  es  gerade  in  der  Gegenwart  wichtig  ist,  die 
Studierenden  der  Landwirtschaft  darauf  aufmerksam  zu  machen,  dafs  auch  die 
beste  Ackerbautechuik  kein  günstiges,  pekuniäres  Ergebnis  erzielen  kann, 
wenn  sie  nicht  durch  ein  angemessenes,  ökonomisch  berechnetes  Betriebs- 
verfahren gelenkt  und  verwertet  wird.  Es  ist  das  auch  heutigen  Tages  gerade 
von  den  verschiedensten  Seiten  betont  ,  jeder  Landwirt  müsse  genauer 
Buch  führen,  bei  dem  Betriebe  besser  rechnen.  Er  hat  vor  der  Ueber- 
nahme  eine  genaue  Ertragsberechnuug  und  Wertveranschlagung  vor- 
zunehmen, wobei  insbesondere  nicht  nur  die  momentanen  Verhältnisse, 
sondern  auch  die  in  den  nächsten  Dezennien  zu  erwartenden  Berück- 
sichtigung findeu  müssen.  Mehr  denn  je  ist  es  nötig,  den  angehenden 
Landwirt  auf  die  Notwendigkeit  bedeutenden  Betriebskapitals  und  die  Ge- 
fahr einer  Ueberschulduug  aufmerksam  zu  machen.  Aber  die  von  dem 
Verfasser  erhobeneu  Beschuldigungen  scheinen  uns  zu  weit  zu  gehen, 
wenu  wir  auch  vollständig  zugestehen,  dafs  seit  Liebig's  Auftreten  in 
der  Litteratur  wie  auf  dem  Katheder  der  Schwerpunkt  der  wissenschaft- 
lichen Erörterung  über  die  Landwirtschaft  auf  dem  naturwissenschaftlichen 
Gebiete  lag.  Es  war  das  unserer  Ansicht  nach  nicht  nur  natürlich,  sondern 
auch  geboten.  Bei  den  enormen  Fortschritten  der  Naturwissenschaften 
hatte  die  Landwirtschaftslehre  die  allerumfassendsten  und  bedeutsamsten 
Aufgaben  vor  Allem  die  neuen  Errungenschaften  derselben  für  den  landwirt- 
schaftlichen Betrieb  zu  verwerten,  und  die  Erfolge  für  die  Technik  sind  in 
der  That  wahrhaft    grofsartig    und    den   Volkswohlstand  fördernd  gewesen. 

Wir  können  uns  nicht  verhehlen,  dafs  auf  dem  Gebiete  der  allge- 
meinen Landwirtschaftslehre,  der  Taxationslehre  im  besonderen,  ja  in  der 
Nationalökonomie,  soweit  sie  die  Grundlage  für  die  Landwirtschaftslehre 
als  angewandte  Nationalökonomie  zu  bieten  hatte,  derartige  Fortschritte 
und  praktisch  bedeutsame  Erfolge  nicht  aufzuweisen  waren.  Es  mufsten 
daher  begreiflicherweise  innerhalb  der  Landwirtschaftslehre  die  Natur- 
wissenschaften der  Nationalökonomie  den  Rang  ablaufen.  Wir  bestreiten 
aber,  dafs  die  oben  charakterisierten  Grundlehren  an  der  Stätte  der  Wirk- 
samkeit Kühn's,  in  Halle,  nicht  den  Studierenden  in  ausreichender  Weise 
vorgetragen  seien.  Das  ist  vielmehr  sowohl  in  den  Vorlesungen  über 
Betriebslehre,  über  Taxationslehre  wie  über  Nationalökonomie  der  Fall 
gewesen. 

Wir  halten  aber  speziell  die  Angriffe  gegen  Kühn  für  nicht  gerecht- 
fertigt und  fühlen  uns  verpflichtet,  für  den  verehrten  Kollegen  ausdrück- 
lich einzutreten. 

Kühn  schliefst  die  wissenschaftliche  Darlegung  der  allgemeinen  wirt- 
schaftlichen Thätigkeit  des  Landwirtes,  d.  h.  seine  Aufgabe  als  Gewerbs- 
unternehmer den  nachhaltig  gröfstmöglichen  Reinertrag  zu  erzielen ,  von 
der  Landwirtschaftslehre  keineswegs  aus,  er  erklärt  S.  23  seiner  Schrift 
über  das  Studium  der  Landwirtschaft  an  der  Universität  Halle  1888,  auf 
die  v.  d.  Goltz  sich  stützt ,  ausdrücklich ,  dafs  die  Landwirtschaftswissen- 


9X8  Litteratur. 

schaft  mit  diesem  Gebiete  sich  zu  beschäftigen  und  „dabei  zum  Teil 
anderen  Gesichtspunkten  zu  folgen  hat",  als  es  von  seiten  der  National- 
ökonomie geschieht,  eben  die  Landwirtschaftswissenschaft  habe  ,,nach  dieser 
Richtung  ihrer  Wirksamkeit  hin  keinen  Anspruch  auf  Selbständigkeit". 
Sie  ist  hier  nur  angewandte  Nationalökonomie.  Dagegen  stütze  sie  sich 
auf  dem  Gebiete  der  Produktionslehre  zwar  auf  die  Naturwissenschaften, 
es  fällt  aber  „ihr  Beobachtungs-  und  Erfahrungskreis  trotz  allem  nahen 
Berührungspunkte  nicht  mit  dem  der  einzelnen  naturwissenschaftlichen 
Disziplinen  völlig  zusammen",  sondern  stellt  sich  ihnen  als  ein  besonderer 
und  eigenartiger  zur  Seite.  Die  Landwirtschaftswissenscbaft  bildet  daher 
in  diesem  Teile  ihrer  Wirksamkeit  eine  selbständige  Wissensdis- 
ziplin, die  „als  die  Physiologie  und  Biologie  der  Kultur- 
organismen bezeichnet  werden  kann".  —  Kühn  führt  dann  weiter  aus, 
dafs  zu  den  Kulturpflanzen  und  Kulturtieren  nur  diejenigen  „Organismen 
gehören",  „welche  um  ihrer  hervorragenden  Nutzbarkeit  willen  geeignet 
sind,  dem  Landwirt  als  Werkzeuge  zur  gröfstmöglichen  Produktion  zu 
dienen  und  die  deshalb  von  ihm  mit  Vorteil  in  gröfserer  Menge  gebaut 
oder  gehalten  und  gezüchtet  werden  können".  Die  Landwirtschaftswissen- 
schaft habe  „nicht  allein  den  Bau  und  die  gesamten  Lebenserscheinungen 
der  Kulturorganismen,  sowie  die  äufseren  Lebensbedingungen  derselben 
nach  streng  naturwissenschaftlichen  Methoden  allseitig  klar  zu  legen,  son- 
dern sie  mufs  auch  die  Untersuchung  unter  steter  Rücksichtnahme  auf 
den  Zweck  des  Anbaues  und  der  Haltung  der  Kulturorganismen,  also 
unter  steter  Beziehung  auf  ihre  Befähigung  zur  möglichst  rentablen 
Produktion  ausführen".  Dies  ergebe  sich  schon  aus  dem  Begriff  des 
„Kulturorganismus".  Mit  dieser  „steten  Rücksichtnahme  auf  die  Ren- 
tabilitätsverhältnisse ist  aber  ein  leitendes  Motiv  für  die  Unter- 
suchung und  eine  Richtung  der  Erwägungen  bei  Würdigung  der  eruierten 
Thatsachen  gegeben,  die  den  rein  naturwissenschaftlichen  Disziplinen  fern- 
liegen und  deren  volle  Bedeutung  und  Tragweite  auch  nur  die  Land  Wirt- 
schaftswissenschaft ganz  zu  erfassen  vermag".  Kühn  macht  somit  die 
stete  Rücksichtnahme  auf  die  Rentabilität  auch  für  die  Produktions- 
lehre zum  mafsgebenden  wissenschaftlichen  Prinzip ;  v.  d.  Goltz  hätte 
seine  Ausführungen  über  „einseitige  Betonungen  der  Naturwissenschaften" 
auf  landwirtlichem  Gebiete  vielleicht  mit  einiger  Berechtigung  gegeu  die 
Agrikulturchemiker  richten  können,  aber  nicht  gegen  Kühn. 

Wir  können  auch  nicht  umhin,  auf  die  neueste  Arbeit  von  Kühn  hin- 
zuweisen :  „die  wirtschaftliche  Bedeutung  der  Gründüngung",  der  wir  gerade 
darum  eine  hohe  Bedeutung  beimessen,  weil  sie  in  völlig  schlagender 
Weise  den  Beweis  liefert,  dafs  die  Agrikulturchemie  den  Landwirt  auf 
Grund  ihrer  Experimente  im  Laboratorium  leicht  in  falsche  Bahnen  bringen 
kann.  Dafs  es  daher  notwendig  ist,  durch  eingehende  Rentabilitätsberech- 
nung Kontrolle  zu  üben,  ob  das  naturwissenschaftlich  empfehlenswerte 
Verfahren  auch  das  entsprechende  finanzielle  Ergebnis  liefert.  Auf  Grund 
solcher  Erwägungen  gelangt  hier  Kühn  dazu,  sich  gegen  die  Ueberschätz- 
ung  der  Gründüngung  zu  wenden,  und  ruft  S.  14  des  Separatabzuges  aus: 
..Dies  ist  die  wahre  Oekonomie  in   der  Ausnutzung  der  Stoffe"   .... 

In    richtiger    Erkenntnis    der    Thatsachen    sagt   der    Herausgeber    der 


Litteratur.  919 

Fühling'schen  Zeitschrift  daselbst  im  8.  H.  1894  S.  246  in  einer  An- 
merkung zu  einem  Artikel,  in  dem  die  Ergebnisse  der  erwähnten  Schrift 
besprochen  werden  :  „Geh.  Hat  Kühn  darf  das  Verdienst  für  sich  in  An- 
spruch nehmen,  in  seiner  gesamten  Lehrthätigkeit  stets  auf  die  Beachtung 
des  ökonomischen  Gesetzes  dringlichst  hingewiesen  und  dadurch  der  Praxis 
viel  Geld  erspart   zu  haben." 

Hüten  wir  uns  aber  doch  überhaupt  vor  einer  Ueberschätzung  unserer 
akademischen  Wirksamkeit.  Wie  klein  ist  der  Prozentsatz  der  Landwirte, 
die  bei  uns  hören,  wie  viel  kleiner  noch  der,  der  mit  Nutzen  hört.  Die 
Grundsätze ,  dafs  man  nicht  zu  teuer  und  nicht  mit  zu  geringen  Mitteln 
etc.  kaufen  darf,  welches  Verhältnis  in  der  Hinsicht  dem  praktischen 
Bedürfnis  entspricht,  hat  der  Landwirt  auch  im  praktischen  Leben  Gelegen- 
heit zu  lernen.  Es  gehört  dazu  mehr  gesunder  Menschenverstand  und 
ruhige  Ueberlegung ,  als  spezielles  Studium.  Gelegenheit  zu  entspre- 
chender Belehrung  durch  die  Litteratur  hat  aber  der  verehrte  Verf.  selbst 
durch  eine  Reihe  hervorragender  Schriften  über  allgemeine  Landwirtschafts- 
und  Taxationslehre  geboten ,  so  dafs  man  die  Verantwortung  für  ihre 
Fehler  in  den  erwähnten  Richtungen  ruhig  den  Landwirten  allein  über- 
lassen  kann. 

Verhängnisvoller  noch  als  diese  Fehler  ist  dem  Landwirt  die  falsche 
Beurteilung  der  zu  erwartenden  Konjunkturen  geworden.  Mit  Recht  hebt 
der  Verfasser  hervor,  dafs  die  exzeptionellen  Preise  der  siebziger  Jahre,  wir 
möchten  besonders  hinzufügen  der  Gründerjahre,  ihn  verleiteten,  die  Rein- 
ertragsberechnung auf  Preise  zu  stützen,  welche  nach  der  allgemeinen  Welt- 
lage auf  die  Dauer  absolut  unhaltbar  waren.  Zu  wenig  wird  dabei  das 
Moment  in  Rechnung  gezogen,  dafs  die  vorzeitige  Einführung  der  Getreide- 
zölle im  Jahre  1879  und  die  agitatorischen  Uebertreibungen,  mit  denen  die  zu 
erwartende  Wirkung  derselben  im  ganzen  Lande  verkündet  wurde,  das 
Uebel  wesentlich  verschärften ,  weil  sie  den  Landwirt  noch  zu  einer  Zeit 
in  seiner  Hoffnung  bestärkten,  wo  der  Preisrückgang  auf  dem  Weltmarkt 
klar  zeigte,  was  man  von  der  Zukunft  zu  erwarten  hätte. 

Es  ist  jedenfalls  nicht  die  Aufgabe  der  allgemeinen  Landwirtschafts- 
lehre, über  die  Konjunkturen  zu  informieren,  auch  die  Nationalökonomie 
kann  es  nur  thun ,  indem  sie  die  Grundlagen  der  Preisregulierung  lehrt. 
Man  wird  mithin  schwerlich  der  Wissenschaft  und  ihren  Lehrern  die  Schuld 
für  die  allgemeine  falsche  Berechnung  des  Grundwertes  in  die  Schuhe 
schieben  können. 

Der  Verf.  sieht  mit  vollem  Recht  die  Ursachen  der  gegenwärtigen 
Kalamität  einmal  in  dem  Rückgang  der  Preise  und  in  dem  Steigen  der  Löhne 
und  Abgaben,  dann  in  der  Ueberschuldung.  Er  legt  ausführlich  dar,  wie  die 
Landwirte  im  allgemeinen  in  der  Lage  gewesen  6ind,  durch  die  Steigerung 
der  Ernten  und  Verbesserung  der  Viehnutzung  den  Preisausfall  noch  so  weit 
auszugleichen,  dafs  er  allein  keine  Krisis  herbeigeführt  haben  würde.  Wir 
möchten  hier  nur  noch  bemerken,  dafs  der  Verf.  den  Rückgang  der  Spiritus- 
preise unberücksichtigt  läfst.  Sie  sind  es  aber  hauptsächlich,  welche  den 
grofsen  Grundbesitz  des  Ostens  in  seinen  Grundlagen  erschütterten,  und  weil 
sie  so  wie  der  Rückgang  der  Wollpreise  den  Bauer  gar  nicht  oder  wenig 
berührten ,    ist  er  auch    nicht    von    einem    solchen  Wechsel  der  Konjunk- 


920  Litteratur. 

turen  heimgesucht  und  daher  überhaupt  nicht  in  eine  solche  prekäre 
Lage  gebracht,  als  der  Gutsbesitzer.  Die  aufserordentlich  hohen  Preise 
des  Spiritus  wie  der  Wolle  gewährten  den  Grofsgrundbesitzern  im  Osten 
in  den  fünfziger  und  sechziger  Jahren  ganz  kolossale  Gewinne  und  ver- 
anlafsten  ihn  sowohl  in  die  Schäferei  wie  in  die  Brennerei  sehr  bedeu- 
tendr  Kapitalien  zu  stecken,  welche  seit  1875  nur  noch  eine  ganz  unzu- 
reichende Nutzung  erlangten  ;  und  nur  die  besseren  Bodenarten  vermochten 
bisher  in  der  Zuckerrübe  einen  teilweisen  Ersatz  zu  finden.  Wenn  man 
objektiv  die  Verhältnisse  überschaut  und  die  Reinerträge  für  eine  Anzahl 
Brennereien  mehrere  Dezennien  hindurch  ziffermäfsig  verfolgt,  wozu  uns 
das  nötige  Material  vorliegt,  so  mufs  man  sich  sagen,  dafs  solche  aufser- 
ordentliehen  Gewinne  sich  in  keinem  Industriezweige  auf  die  Dauer  er- 
halten können,  sondern  ein  erhebliches  Steigen  der  Konkurrenz  notwendig 
herbeiführen  müssen ;  (und  die  allgemeine  Erfahrung  mufste  den  Brannt- 
weinbrenner auf  einen  bedeutenden  Rückschlag  gefafst  sein  lassen  ,  doch 
auch  das  ist  von  dem   Landwirte  aufser  Rechnung  gelassen. 

Was  der  Verf.  über  das  Steigen  der  Wirtschaftskosten  sagt,  ist  in 
allen  Hauptgesichtspunkteu  als  berechtigt  anzuerkennen.  Die  Steigerung 
der  öffentlichen  Lasten,  namentlich  der  Kommunalabgaben,  erschwert  dem 
Landwirt  seine  Lage  in  höherem  Mafse,  als  es  im  allgemeinen  anerkannt 
wird.  Bemerken  möchten  wir  aber,  dafs,  wenn  der  Verf.  die  Zahlungen 
des  Landwirtes,  die  ihm  durch  die  sozialpolitische  Gesetzgebung  aufge- 
bürdet sind,  auf  das  Ein-  bis  Anderthalbfache  der  preufsischen  Grundsteuer 
grofsen  berechnet,  er  uach  unserer  Beobachtung  damit  zu  hoch  greift.  Aus 
einer  Zahl  von  entsprechenden  Notizen,  die  wir  darüber  gesammelt  haben, 
ergiebt  sich,  dafs  im  Durchschnitte  die  Höhe  der  Grundsteuer  durch  jene 
Beiträge  noch  nicht  erreicht  ist.  Freilich  wird  das  wohl  in  einigen  Jahren 
nachgeholt  6ein. 

Wenn  der  Verf.  es  S.  47  als  einen  wirtschaftlichen  Fehler  bezeich- 
net, dafs  die  gröfseren  Grundbesitzer  sich  nicht  für  das  ganze  Jahr  einen 
gröfseren  Arbeiterstamm  zu  halten  suchen  und  diesen  auch  im  Winter, 
wenn  auch  unter  Zurückdrängung  der  Maschinenarbeit,  namentlich  der 
Drischmaschinen,  zu  beschäftigen  sucht,  so  möchten  wir  dagegen  doch 
Bedenken  äufsern.  Der  Besitzer  vielmehr  erspart  entschieden ,  wenn  er 
sich  in  gröfserer  Ausdehnung  im  Sommer  herumziehende  Arbeiter  für 
kurze  Zeit  engagiert.  So  sehr  auch  die  Löhne  derselben  im  Vergleich 
zu  denen  der  ständigen  Instleute  gestiegen  sind,  hat  ein  völliger  Ausgleich 
doch  nicht  stattgefunden,  wie  uns  aus  den  Rechnungen  einer  Anzahl  Güter 
nachgewiesen  wurde.  Der  Winter  ist  in  jenen  Gegenden  zu  lang  und 
die  durch  einen  grofsen  Arbeiterstamm  verursachten  Kosten  sind  zu  gtofs. 
Dagegen  räumen  wir  ein,  dafs  für  die  Arbeiterbevölkerung  ein  solches 
Verfahren  günstiger  wäre. 

Besondere  Beachtung  verdienen  die  Ausführungen  des  Verf.'s  über 
die  Wege  zur  Lösung  der  gegenwärtigen  agrarischen  Autgaben ,  worin  er 
nachdrücklichst  vor  jedem  extremen  Vorgehen  warnt.  Und  wenn  er  auf 
der  einen  Seite  dem  Staate  erhöhte  Pflichten  zur  Unterstützung  der  Land- 
wirtschaft auferlegen  will,  so  erkennt  er  doch  unter  eingehender  Begrün- 
dung   an.     dafs    die    Macht    des    Staates     in    dieser    Beziehung    nur     eine 


Litteratur.  921 

verhältnisroäfsig  geringe  ist,  das  Meiste  vielmehr  von  den  Landwirten 
selbst  zu  erwarten  steht.  Er  hält  die  Verhältnisse  keineswegs  für  so 
ungünstig,  dafs  man  bereits  daran  verzweifeln  müsse,  gleichwohl  wieder 
bessere  Zeiten  der  Gesundung  zu  erleben.  Naturgemäfs  wird  gerade  bei 
diesen  Untersuchungen  jeder  Forseber  in  erhöhtem  Mafse  seine  eigene 
Ansicht  haben,  deshalb  sind  wir  auch  in  diesem  Teile  mehrfach  nicht  in 
der  Lage,  uns  den  Ausführungen  des  Verf.  anzuschliefsen,  so  sehr  wir  uns 
auch  auf  demselben   Boden  mit  ihm  fühlen. 

Wir  halten  es  auch  für  in  hohem  Mafse  wünschenswert,  dafs  das 
Deutsche  Reich  in  Bezug  auf  seine  Ernährung  möglichst  von  dem  Aus- 
lande unabhängig  gestellt  wird.  Wenn  der  Verf  aber  S.  113  es  als  eine 
Aufgabe  hinstellt,  es  wieder  so  unabhängig  vom  Auslande  zu  machen,  wie 
es  vor  1870  gewesen  ist,  so  halten  wir  das  für  zu  weit  gegangen.  Er 
schildert  selbst,  wie  schwer  und  langsam  ein  Fortschritt  in  der  Landwirt- 
schaft zu  erreichen  sei,  und  unterschätzt ,  wie  uns  scheinen  will,  die  Be- 
deutung unserer  Volkszunahme  dem  gegenüber.  Hier  ist  doch  nachdrück- 
lichst zu  betonen,  dafs  nicht  nur  privatwirtschaftlich,  sondern  auch  volks- 
wirtschaftlich der  Forcierung  der  Roherträge  auf  Kosten  der  Konsumenten 
eine  nur  wenig  zu  überschreitende  Grenze  in  den  Reinerträgen  gezogen 
ist.  Gerade  weil  die  Landwirtschaft  eine  Hauptgrundlage  unserer  Gesamt- 
produktion ausmacht,  ist  es  eine  Illusion,  zu  meinen,  sie  dauernd  aus  dem 
Säckel  der  übrigen  Produzenten  in  künstlicher  Weise  in  einem  Betriebe 
zu  erhalten,  der  nicht  einen  angemessenen  Reinertrag  erwarten  läfst.  Auch 
der  Staat  kann  sich  so  wenig  wie  Münchhausen  am  eigenen  Zopfe  in  die 
Höhe  ziehen.     Seien  wir  froh,  wenn   wir  den  status  quo  erhalten. 

Besonders  hinw>  isen  möchten  wir  auf  die  vortrefflichen  Ausführungen 
des  Verf.'s  auf  S.  119,  durch  welche  er  zu  zeigen  sucht,  dafs  gerade  das 
jetzige  Verhältnis  der  Ausdehnung  des  Getreidebaues  als  durchaus  normal 
anzusehen  ist.  Er  spricht  sich  daher  gegen  eine  gewaltsame  Erweite- 
rung desselben  aus  und  zeigt,  wie  der  Anbau  der  anderen  Früchte,  der 
Rüben,  der  Futtergewächse  etc.  die  Getreideproduktion  in  keiner  Weise 
beeinträchtigt  haben.  Zugleich  hat  er  damit,  ohne  es  zu  erwähnen,  die  ent- 
gegengesetzte, ganz  einseitige  Auffassung  Rudolf  Meyer's  (Das  Sinken  der 
Grundrente.  Leipzig  1894),  und  besonders  seine  Angriffe  gegen  unseren 
Rübenbau,  schlagend  widerlegt. 

In  betreff  der  Getreidezölle  stehen  wir  darin  auf  dem  gleichen  Stand- 
punkt mit  dem  Verf.,  dafs  sie  unter  solchen  Preisverhältnissen,  wie  sie 
gegenwärtig  vorliegen,  nicht  zu  entbehren  sind.  Wenn  er  aber  bedauert, 
dafs  man  die  gleitende  Skala  „ohne  sorgfältige  Prüfung  von  der  Hand 
gewiesen  hat",  und  meint,  die  Erfahrungen  in  England  seien  nicht  mafs- 
gebend,  da  damals  die  Verkehrsmittel  viel  unvollkommner  waren,  und  die 
Skala  auf  andere  Verhältnisse  und  andere  Zwecke  berechnet  gewesen  sei, 
als  jetzt,  so  müssen  wir  dem  entgegentreten.  Gerade  eine  sehr  gründ- 
liche Untersuchung  der  zu  erwartenden  Folgen  der  Mafsregel  ergiebt,  dafs 
sie  in  der  Gegenwart  noch  viel  nachteiliger  sein  würde,  als  vor  80  Jahren. 
Die  verbesserten  Verkehrsverhältnisse  erleichtern  es  der  Spekulation,  die 
Skala  noch  viel  mehr  im  eigenen  Interesse  zum  Schaden  der  Landwirt- 
schaft auszunutzen,    als  es    damals    der  Fall    war,    und    die    weit    gröfsere 


922  Litteratur. 

Verschiedenheit  der  Qualitäten,  die  Ungleichheit  der  Preise  in  den  ein- 
zelnen Teilen  Deutschlands  macht  eine  wirklich  den  Verhältnissen  ent- 
sprechende Anpassung  der  Steuer  an  die  Preise  weit  schwieriger  als  da- 
mals in  England,  und  doch  hatte  sich  zu  jener  Zeit  die  Skala  gerade  wie 
in  Frankreich  als  völlig  unhaltbar  erwiesen. 

Sehr  entschieden  tritt  der  Verf.  den  Bestrebungen  entgegen,  die 
Regulierung  des  Getreidehandels  und  -preises  durch  den  Staat  zu  bewirken, 
sowie  den  zu  weit  gehenden  Angriffen  gegen  die  Börse.  Ebenso  verspricht 
er  sich  von  der  vorgeschlagenen  Errichtung  von  Kornhäusern  (v.  Grafs- 
Klanin)  keinen  Nutzen.  Er  fürchtet  davon  nur  Erweiterung  des  Maschinen- 
drusches zum  Nachteil  der  Arbeiter  und  Erweiterung  der  Kreditoperationen 
auf  Grund  des  lombardierten  Getreides.  Wir  vermögen  diesen  Befürch- 
tungen nicht  beizutreten,  während  die  Wirkung  der  Mafsregel  auf 
die  Preise  in  den  Provinzen  sehr  wohl  eine  günstige  sein  kann ,  so- 
bald es  gelingt,  die  Landwirte  zum  Anbau  gleicher  Getreidearten  und 
Lieferung  gleichartiger  Qualitäten  in  ganzen  Gegenden  zu  bewegen.  Aufser- 
dem  kann  dadurch  sicher  eine  festere  Grundlage  für  die  Befriedigung  des 
Kreditbedürfnisses  für  kurze  Fristen  erlangt  werden.  Damit  soll  freilich 
nicht  bestritten  werden,  dafs  von  seiten  der  Hauptvertreter  des  Vorschlages 
die  davon  zu  erwartende  Wirkung  aufserordeutlich  überschätzt  wird. 

Auf  allgemeines  Interesse  kann  der  Verf.  in  betreff  seiner  Aus- 
führungen über  die  Verbesserung  der  Lage  der  in  der  Landwirtschaft 
thätigen  Bevölkerung  rechnen,  sowohl  wegen  des  von  ihm  Gebotenen, 
wie  des  Gewichtes,  das  seine  Autorität  dem  Gesagten  gewährt.  Er  stellt 
sich  auf  den  Standpunkt ,  dafs  überhaupt  die  Krisis  bisher  nur  intensiv 
die  Landwirte,  aber  noch  nicht  die  Landwirtschaft  betroffen  habe,  und 
unter  jenen  hauptsächlich  den  Grofsgrundbesitzer ,  weniger  den  Bauern, 
während  die  Lage  des  Arbeiters  sieh  verbessert  habe.  Daher  hätten  auch 
nur  die  Gegenden  tiefer  gelitten ,  in  denen  der  Grofsgrundbesitz  über- 
wiegt. 

Da  er  die  Hauptursache  der  gegenwärtigen  Kalamität  in  der  Ueber- 
schuldung  sieht,  so  untersucht  er  vor  allem,  wie  dem  abzuhelfen,  und 
erörtert  die  Vorschläge,  welche  die  Agrarkonferenz  am  2.  Juni  1894  in 
Berlin  beschäftigt  haben.  Ausführlich  und  mit  schlagenden  Gründen  be- 
kämpft er  die  Aufstellung  einer  Verschuldungsgrenze,  die  entweder  so 
hoch  normiert  werden  müsse,  wie  Sering  es  thut,  dafs  sie  wertlos  8ei, 
oder  wenn  niedriger  angesetzt,  berechtigte  Interessen  verletzt.  Er  führt 
als  Beispiel  auch  den  von  mir  auf  der  Agrarkonferenz  herangezogenen 
Fall  an,  wo  Darlehen  von  Familienangehörigen  (ich  wies  besonders  auf 
Darlehen  der  Eltern  hin)  im  Bewufstsein  einer  momentanen  Ueberschuldung 
gewährt  und  eingetragen  werden,  auf  Grund  besonderen  persönlichen  Ver- 
trauens und  spezieller  Opferfreudigkeit  (oder  des  in  Aussicht  stehenden 
elterlichen  Erbes).  Die  Landschaften  sind  s.  A.  n.  die  richtigen  Organe 
und  völlig  ausreichend,  den  normalen  Hypothekarkredit  zu  befriedigen. 
Sie  sollen  aber  mehr  als  bisher  dem  Bauern  entgegenkommen.  Auf  der 
Agrarkonferenz  wurde  von  verschiedenen  Seiten  behauptet,  dafs  die  Land- 
schaften dem  bereits  in  umfassender  Weise  nachkämen.  In  der  That 
wurde  nachgewiesen,    dafs    in    den    letzten  Jahren    die  Bauern    weit  mehr 


Litteratur.  923 

Darlehen  erhalten  haben  als  früher,  aber  ebenso  klar  ergab  es  sich,  dafs 
dies  bisher  in  noch  sehr  unzureichender  Weise  geschehen  ist.  Wir  gehen 
noch  weiter  und  bezweifeln,  dafs  die  Organisation  der  Landschaften,  wie 
überhaupt  von  gröfseren  centralisierten  Instituten,  ausreicht,  dem  wachsen- 
den Kreditbedürtnis  der  Bauern  zu  genügen.  Die  Kosten  und  die  Schwierig- 
keit der  Kontrolle,  die  Unmöglichkeit  der  Sequestration,  die  Gefahr  eines 
Ausfalls  bei  der  Subhastation ,  die  Kostspieligkeit  einer  besonderen  Taxe 
fallen  für  die  Beleihung  des  bäuerlichen  Grundstücks  so  erheblich  ins 
Gewicht,  dafs  eine  gleichartige  Behandlung  und  ein  gleichartiges  Ergeb- 
nis von  einem  und  demselben  Zentralinstitut  für  grofse  und  kleine  Güter 
u.  A.  n.  kaum  zu  erwarten  ist.  Weil  wir  daher  eine  ausreichende 
Wirkung  von  landschaftlichen  Instituten  nicht  erwarten,  legen  wir  auch 
der  Einbürgerung  der  Rentenschuld  ein  gröfseres  Gewicht  bei  als  der 
Verf.  — 

Am  meisten  Widerspruch  hat  bei  dem  Referenten  der  Abschnitt 
über  das  Anerbenrecht  hervorgerufen.  Durch  eine  zu  weit  greifende 
Definition  des  A.'s  hat  der  Autor  das  Angriffsobjekt  völlig  verschoben, 
gegen  das  er  dann  allerdings  mit  Erfolg  seine  Lanze  führt.  „Unter  An- 
erbenrecht versteht  man  den  rechtlich  geordneten  Zustand,  nach  welchem 
im  Erbfalle  beim  Vorhandensein  mehrerer  Erben  das  Gut  ungeteilt  an 
einen  Erben  fällt";  heifst  es  S.  152.  Daraus  wird  sofort  weiter  ge- 
folgert, dafs  der  Anerbe  so  bevorzugt  wird,  dafs  das  Gut  von  ihm  er- 
folgreich übernommen  und  bewirtschaftet  werden  kann  ;  und  weiter  bringe 
das  A.  mit  sich,  „dafs  gesetzlich  oder  faktisch  eine  Verschulduugsgrenze 
für  A. guter  existiert".  Freilich  sieht  er  sich  genötigt,  trotz  der  kate- 
gorischen Hinstellung  hinzuzufügen,  wenigstens  sei  das  der  Zweck  und 
sonst  verfehle  das  A.  die  Bestimmung.  Auf  dieser  willkürlich  konstruierten 
Grundlage  wird  nun  fortgebaut:  Das  Anerbenrecht,  wirklich  allgemein 
durchgeführt  (wie  es  sogar  in  der  Kommission  für  den  Entwurf  eines 
bürgerlichen  Gesetzbuches  vorgeschlagen  sei),  würde  bedeuten,  „dafs  die 
Zahl  und  Gröfse  der  jetzt  vorhandenen  landwirtschaftlichen  Besitzungen 
unverändert  beibehalten  werden  soll".  Er  setzt  hier  hinzu,  und  dem 
schliefsen  wir  uns  voll  und  ganz  an,  — :  „Hieran  wird  aber  kein  verstän- 
diger im  Ernst  denken",  und  weiter:  „Die  schwersten  sozialen  Er- 
schütterungen ständen  uns  bevor,  wenn  das  A.  allgemein  geltendes  Reoht 
würde".  Es  habe  in  einzelnen  Teilen  sich  nur  als  unschädlich  erhalten 
können,  weil  es  nicht  allgemeine  Geltung  habe  u.  s.  w. 

Nun  ist  nirgends  vorgeschlagen ,  ein  der  obigen  Definition  ent- 
sprechen des  absolutes  A.  allgemein  einzuführen ,  vielmehr  ein  äufserst 
bedingtes,  einmal  nur  entweder  in  Form  der  Höferolle,  wo  einzelne 
Güter  bis  zur  Zurücknahme  als  ungeteiltes  Ganzes  im  Intestat- 
erbfalle  einem  durch  Gesetz  bestimmten  Erben  zufällt ;  und  bei  solcher 
Auswahl  der  Güter  befürwortet  der  Verf.  trotz  seiner  obigen  Schilderung 
der  Schäden  des  A.'s  später  selbst  dasselbe  und  will  es  sogar  auf  die 
kleinsten  Ackerstücke  der  Arbeiter  als  Rentengüter  ausgedehnt  wissen. 
Oder  es  wird  als  allgemeines  Intestaterbrecht  erstrebt  aber  beschränkt 
auf  ländliche  Grundstücke,  deren  Gröfse  die  Landesregierung  den  Verhält- 
nissen   gemäfs   bestimmen    soll    und    mit    einem    so  unbedeutenden  Vorzug 


924  Litteratur. 

des  Anerben,  dafs  es  nur  als  Entschädigung  für  das  von  ihm  heutigentages 
zu  übernehmende  Risiko  angesehen  wird.  Von  einer  Unteilbarkeit  ist 
überhaupt  bei  keinem  Vorschlage  die  Rede,  auch  nicht  von  einer  Er- 
schwerung der  Teilung,  wie  Brentano  sie  in  einem  Artikel  der  Münchener 
Allgemeinen  behauptet  (über  die  Verhandlungen  des  Vereins  für  Sozial- 
politik in  Wien  liegen  bisher  leider  nur  kurze  Zeitungsreferate  vor,  auf 
die  ich  nicht  eingehen  möchte).  Vielmehr  kann  nach  allen  in  Frage 
stehenden  Entwürfen  jeder  Besitzer  beliebig  teilen.  Es  soll  nur  ver- 
hindert werden,  dafs  der  Erbfall  zur  Teilung  führt,  wo  ein  Uebernehmer 
in  der  Familie  vorhanden  ist,  weil  zu  befürchten  steht,  dafs  dabei  per- 
sönliche, nicht  wirtschaftliche  Rücksichten  mafsgebend  sein 
würden.  Wichtig  ist  aufserdem,  dafs  der  Erblasser  durch  Testament  ganz 
nach  Gutdünken  über  das  Gut  verfügen  kann.  Der  Verf.  thut  dies  mit 
der  Behauptung  ab,  ,,dafs  mindestens  75  Proz.,  wahrscheinlicher  80 — 90 
Proz.  der  Landwirte  nicht  das  Anerbenrecht  wollen",  dafs  es  deshalb  un- 
recht sei,  diese  zu  zwingen,  dasselbe  durch  Testament  zu  beseitigen. 
Diese  Behauptung  will  uns  durchaus  willkürlich  erscheinen  und  wir  be- 
streiten ganz  entschieden  die  Richtigkeit  derselben.  Die  Ausdehnung  des 
thatsächlichen  Anerbes  bei  den  Bauern,  die  Verhandlungen  im  preufsischen 
Landesökonomiekollegium,  dem  Landwirtschaftsrat  und  der  Agrarkonferenz 
bezeugen  das  Gegenteil.  Auch  wo  von  den  Höferollen  kein  Gebrauch 
gemacht  wird,  würde  man  diese  allgemeine  Anerbenfolge  im  Intestatfalle 
vielfach  ohne  weiteres  acceptieren. 

Der  Verf.  will  es  auch  für  viele  Gegenden  gelten  lassen,  wo  mehr 
extensiver  Betrieb  herrscht  und  wenig  industrielle  Bevölkerung  ist.  Da 
bilde  es  auch  s.  A.  n.  ein  vorzügliches  Mittel  zur  Bewahrung  oder  Ge- 
winnung eines  soliden  wirtschaftlichen  kräftigen  Bauernstandes.  Da  sollen 
die  Bezirke,  für  welche  sich  das  Anerbenrecht  eigne,  festgeteilt  und  zu- 
gleich bestimmt  werden,  wer  als  Anerbe  anzusehen,  wie  hoch  die  Be- 
vorzugung anzusetzen  etc.  Uns  will  es  dagegen  richtiger  scheinen,  ge- 
wisse Normen  für  landw.  Grundstücke  allgemein  aufzustellen,  soweit  bei 
ihnen  gleichartige  Interessen  vorliegen.  Das  ist  der  Fall  bei  eigentlichen 
Gütern,  die  möglichst  in  der  Hand  der  Familie  erhalten  werden  sollen, 
um  auf  einen  Betrieb  nicht  für  den  Moment,  sondern  für  das  Gedeihen 
von  Generationen  hinzuwirken.  Bei  diesen  ist  die  Einführung  des  Renten- 
prinzips gleichfalls  allgemein  am  Platze.  Die  Bestimmung  der  Gröfse, 
von  welcher  an  die  Güter  unter  das  Anerbenrecht  fallen,  und  die  andern 
von  dem  Verf.  angegebenen  Punkte  müssen  daher  allerdings  distriktweise 
von  der  Landesregierung  besonders  geregelt  werden,  um  den  vorliegenden 
Verhältnissen  Rechnung  zu  tragen.  Wird  eine  so  hohe  Grenze  angesetzt, 
sagen  wir  von  25  ha,  wodurch  die  gewöhnlichen  Weingüter  ausfallen,  so  wird, 
wie  uns  von  Sachverständigen  jener  Gegend  versichert  wurde,  das  An- 
erbenrecht auch  am  Rhein  gerne  acceptiert  werden.  Wir  gehen  ferner 
davon  aus,  dafs  das  Anerbenrecht  für  gröfsere  Güter  ebenso  wünschens- 
wert ist,  als  für  Bauerngüter  (im  Gegensatz  zu  den  Ausführungen  des 
Verf.  s  S.  157),  und  Bedenken  dagegen  liegen  noch  weniger  vor,  da  der 
Gutsbesitzer  ohnehin  ein  Testament  zu  machen  pflegt.  Auch  für  ihn  ist 
es    wünschenswert,    dafs    die    Gesetzgebung    die    Bevorzugung    des  Ueber- 


Litteratur.  925 

nehmers  unter  den  Erben  als  das  Normale  bezeichnet,  nicht  aber  als  ein 
Unrecht.  Er  wird  dann  ohne  Scheu  vor  dem  Urteile  seiner  Kinder  auch 
im  Testamente  durchgreifendere  Bestimmungen  zu  Gunsten  der  wirtschaft- 
lichen Weiterführung  seiner  Besitzung  treffen.  Bleiben  nun  die  kleineren 
Grundstücke  von  der  Bestimmung  ausgeschlossen,  die  hauptsächlich  dazu 
dienen,  dem  Arbeiter  eine  Parzelle  abzutreten  oder  ganz  in  Parzellen 
aufzugehen,  so  fällt  das  letzte  Bedenken  des  Verf.'s,  dafs  die  Verteilung 
des  Grund  und  Bodens  sich  dabei  den  volkswirtschaftlichen  Bedürfnissen 
nicht  anpassen  würde,  fort.  Seine  oben  angegebenen  Befruchtungen  wenden 
sich  gegen  eine  Fesselung,  die  Niemand  erstrebt.  Der  Verf.  hält  selbst 
eine  Anzahl  geschlossener  Güter  für  wünschenswert  und  geht  in  Bezug 
auf  Fideikommiase  weiter  als  der  Referent. 

In  betreff  der  Arbeiterverhältnisse  verweist  der  Verf.  auf  seine  be- 
sondere Schrift,  und  wir  behalten  uns  vor,  darauf  noch  besonders  zurück- 
zukommen. Er  befürwortet  hier  Mafsregeln,  um  den  landw.  Arbeiter 
möglichst  allgemein  zum  kleinen  Grundbesitzer  zu  machen,  und  hofft  da- 
durch ein  Zusammengehen  der  drei  Gruppen  ländlicher  Bevölkerung  zu 
erreichen,  während  jetzt  zu  befürchten  steht,  dafs  sie  sich  einzeln  ver- 
einigen und  einander  gegenübertreten.  Wir  halten  es  auch  für  wünschens- 
wert, dafs  ein  wachsender  Teil  sowohl  von  der  landwirtschaftlichen  wie 
industriellen  Bevölkerung  am  Segen  des  Grundbesitzes  partizipiert. 
Der  Verf.  überschätzt  u.  A.  n.  aber  die  Bedeutung  für  die  Agrarfrage 
und  ignoriert  die  Schattenseiten.  Schon  an  anderer  Stelle  haben  wir 
darauf  hingewiesen,  dafs  sich  die  Instleute  des  Ostens  vielfach  erheblich 
besser  stehen  als  grundbesitzende  und  damit  an  die  Scholle  gebundene 
landw.  Arbeiter,  wo  sie  auf  wenige  Arbeitgeber  angewiesen  sind.  Bei 
wachsender  Bevölkerung  kann  naturgemäfs  nur  ein  kleinerer  Prozentsatz 
Grundbesitzer  sein,  auch  die  Bodenzersplitterung  hat  ihre  Grenze,  und 
verhältnismäfsig  früh  ihre  wirtschaftlich  nützliche  Grenze.  Der  Gegensatz 
zwischen  Arbeitgeber  und  Arbeitnehmer  bleibt  darum  doch  bestehen,  und 
damit  kommen  wir  auf  einen  Punkt,  den  der  Verf.,  wie  uns  scheinen  will,  zu 
wenig  berücksichtigt.  Wir  haben  es  hier  mit  einer  besonderen  Erscheinung 
unserer  gegenwärtigen  Kulturentwickelung  zu  thuu,  das  ist  mit  dem  Kampf 
um  die  Höhe  der  Arbeitsrente  gegenüber  der  Grundrente,  resp.  dem 
Unternehmergewinn,  wie  in  der  Industrie.  Es  gilt  die  Anschauung  zur 
Geltung  zu  bringen,  dafs  die  Entwickelung  zu  Gunsten  der  Arbeitsrente 
einen  Fortschritt  des  wirtschaftlichen  wie  sozialen  Kulturzustandes  be- 
deutet, der  also  keineswegs  überhaupt  zu  inhibieren  ist,  vielmehr  kann 
es  uur  die  Aufgabe  des  Staates  sein,  eine  zu  rapide  Umwälzung  zu  ver- 
hindern und  die  unvermeidlichen  Schäden  der  Veränderung  zu  mildern. 
Wir  stehen  aber  darin  mit  dem  Verf.  auf  dem  gleichen  Standpunkt,  dafs 
es  aussichtslos  ist,  durch  tief  einschneidende  Mafsregeln  die  Krisis  be- 
seitigen zu  wollen.  Sehr  gefährlich  ist  es  vor  allem,  eine  allgemeine 
Agrargesetzgebung  für  eine  Uebergangszeit  zu  schaffen ,  die  naturgemäfs 
nicht  mehr  passen  kann,  hemmend,  schädigend  wirkt,  sobald  wieder  nor- 
male Verhältnisse  eingetreten  sind.  Die  Gefahr  lag  bei  Berufung  der 
Agrarkonferenz  vor,    und  es  fehlte  nicht  an  Versuchen    in  solcher  Weise 


926  ^  i  tteratur. 

vorzugehen.  Sie  ist  dort  durch  den  gesunden  Sinn  der  Praktiker  selbst 
beseitigt,  und  damit  hoffentlich  für  Deutschland  überhaupt.  Die  vor- 
liegende Schrift  kann  viel  dazu  beitragen ,  einer  gesunden  Auffassung 
weitere  Verbreitung  zu  verschaffen. 

Haben  wir  in  dem  Gesagten  uns  auch  in  verschiedenen  Punkten  den 
Ausführungen  des  Verf.'s  entgegengestellt,  so  betonen  wir  doch  noch  ein- 
mal, dafs  wir  damit  in  keiner  Weise  den  Wert  der  Schrift  herabsetzen 
wollten,  die  wir  im  Gegenteil  mit  grofser  Freude  begrüfseu  und  ange- 
legentlichst empfehlen.  Je  mehr  und  je  eingehender  sie  besprochen  und 
event.  auch  angegriffen  wird,  um  so  mehr  wird  sie  dazu  beigetragen 
haben,  ein  ruhigeres  und  tieferes  Nachdenken  über  die  überaus  bedeut- 
same Agrarfrage  der  Gegenwart  zu  veranlassen,  und  damit  ist  auch  ein 
Weg  zur  Besseruug  der  Agrarkrisis  gebahnt. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen   Deutschlands  und  des  Auslandes.     927 


üebersicht   über   die  neuesten  Publikationen  Deutschlands 
und  des  Auslandes. 

1.     Geschichte  der  Wissenschaft.     Encyklopädisches.     Lehrbücher.     Spezielle 
theoretische  Untersuchungen 

Abhandlungen  aus  dein  staatswissenschaftlichen  Seminar  zu  Strafsburg.  Hrsg. 
von  G.  F.  Knapp.  Heft  12  u.  13.  Strafsburg,  K.  J.  Trübner,  1894.  8  (Inhalt.  Heft  12: 
Die  Folgen  des  deutsch- französischen  Münzvereins  von  1857.  Ein  Beitrag  zur  Geld-  und 
Währungstheorie,  von  Karl  Helfferich.  X — 134  SS.  M.  4. — .  Heft  13:  Die  Regulierung 
der  Eibschiffahrt  1819—1821.     XIV— 187   SS.     M.   5.—.) 

Biographie,  allgemeine  deutsche.  Bd.  XXXVI:  Steinmetz  —  Stürenburg.  Leipzig, 
Duncker  &  Humblot,    1893.     gr.   8.     IV— 796  SS.     geb      M.    14,20. 

Huber,  V.  A.,  Ausgewählte  Schriften  über  Sozialreform  und  Genossenschaftswesen. 
In  freier  Bearbeitung  herausgegeben  von  K.  Munding.  Berlin,  A. -Gesellschaft  Pionier, 
1894.      gr.   8.     CXVIII— 1204  SS.  mit  3  Porträts.     M.   18.—. 

v  Massow,  C.  (GRegR.),  Reform  oder  Revolution!  Berlin,  O.  Liebmann,  1894. 
gr.  8.  VIII— 291  SS.  M.  4.—.  (Aus  dem  Inhalt:  Die  Erziehung  der  erwerbsarbeitenden 
Jugend.  —  Wirtschaftliche  Reformgedanken.  —  Reform  der  Armen-  und  Schutzpflege.  — 
Die  Arbeiterfrage.) 

Neurath,  W.  (Prof.),  Die  Fundamente  der  Volkswirtschaftslehre.  Kritik  und  Neu- 
gestaltung.     Leipzig,   Gloeckner,   1894.     gr.  8.     99   SS.     M.    1,25. 

Röscher,  Wilh.  ,  System  der  Armenpflege  und  Armenpolitik.  Ein  Hand-  und 
Lesebuch  für  Geschäftsmänner  und  Studierende.  2.  Aufl.  Stuttgart,  Cotta,  1894.  gr.  8. 
X— 339   SS.     M.  5.—.     (A.  u.  d.   T.:   System  der  Volkswirtschaft,   Bd.   V,  2.   Aufl.) 

Ruhland,  G.  (Dozent  für  Nationalökonomie,  Zürich),  Die  Wirtschaftspolitik  des 
Vaterunser.     Berlin,  Hofmann  &  C°,   1895.     8.     VIII— 94  SS.     M.  2.  —  . 

Schriften  des  Deutschen  Vereins  für  Armenpflege  und  Wohlthätigkeit.  Heft  18 
und  19.  Leipzig,  Duncker  &  Humblot,  1894.  gr.  8.  (Inhalt.  Heft  18:  Ehrenamtliche 
und  berufsamtliche  Thätigkeit  in  der  städtischen  Armenpflege,  von  (Bürgermeister)  Brink- 
mann (Königsberg  i/Pr.)und  Beigeordnetem  Zimmermann  (Köln  a/Rh.).  VI — 69  SS.  M.  1,65. — . 
Heft  19:  Grundsätze  über  Art  und  Höhe  der  Unterstützungen,  von  (MagistrAss.)  Cuno 
(Berlin)  und  LandesR.)  v.  Dehn-Rotfelser  (Kassel).  Die  Bestrebungen  der  Privatwohl- 
thätigkeit  und  ihre  Zusammenfassung,  von  (dem  weiland  Stadtältesten)  Eberty  (Berlin)  und 
(Bürgermeister)  Künzer  (Posen).  VI  — 117  SS.     M.  2,40.) 


Rambaud,  J.  (prof.  d'economie  polit.  et  de  le'gislation  financiere  ä  la  faculte"  catholique 
de  droit  de  Lyon),  Elements  d'economie  politique.  Paris,  Larose,  et  Lyon,  A.  Cote,  1895. 
gr.  in-8.  796  pag.  fr.  10. — .  (Table  des  chapitres.  Introduction :  La  science  4cono- 
mique  en  general.  —  Les  biens  economiques.  —  La  valeur.  —  La  propriete.  —  La 
liberte.  —  L'Etat.  —  Le  socialisme.  —  I'^re  partie.  Productiou  :  Les  trois  facteurs  de 
la  production  —  Les  agents  naturels.  —  Le  travail.  —  Le  capital.  —  Les  associations 
de  pioducteurs.  —  Les  industries.  —  De  quelques  industries  en  particulier.  —  Iliöme  partie. 
(Jirculation  ou  echange:  La  circulation  en  general  —  Le  taux  d'echange  et  les  prix.  — 
Le  commerce  et  la  speculation.  —  La  monnaie.  —  Le  credit.  —  Les  banques.  —  Les 
valeurs  mobilieres.  —  Le  credit  reel.  —  Le  commerce  international.  —  inline  partie. 
Reparation :  Les  parties  prenantes.  —    Le  loyer    ou    interet  du    capital.  —  La  rente.  — 


928     Uebersicht  über  die   neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Le  salaire.  —  Le  profit.  —  La  popuiaüon.  —  La  question  sociale.  —  IVieme  partie. 
Consommation:  La  consommation  en  general.  —  Les  consommations  privees.  —  Les 
institutions  d'epargne  et  d'assistance.  —  Les  consommations  publiques  en  general.  —  Les 
impots.  —  Le  credit  public  et  les  emprunts.   — ) 

Roche,  J.,  La  politique  economique  de  la  France.  Discours  parlementaires  de  Jules 
Roche  publies  par  F.  Dubuissou.  Paris  (E.  Flammarion)  1894.  8.  XXIV — 382  pag. 
fr.  3,50.  (Table  des  matieres :  Discussion  generale  du  tarif  general  des  douanes  (Chambre 
des  deputes).  —  Discussion  gener.  du  tarif  general  (Senat).  —  Peaux  brutes  (Chambre 
des  deputes).  —  Laines  en  masse  (Chambre  des  deputes).  —  Soie  en  cocons  (Chambre  des 
deputes).  —  Tissus  de  soie  (Senat).  —  Fruits  et  graines  oleagineux  (Chambres  des  deputes  ; 
Senat).  —  Projet  de  Convention  franco-suisse  (Chambre  des  deputes).  —  Droits  sur  les 
bles  (Chambre  des  deputes).  — ) 

Barnett,  S.  and  Henrietta,  Practicable  socialism.  Essays  on  social  reform. 
2nd  edition.     London,  Longmans,   1894.  crown-8.  330  pp.     6/. — . 

Dictionary  of  national  biography.  Edited  by  Sidney  Lee.  Volume  XL:  Millar- 
Nicbolls.     London,  Smith,  Eider  &  C°,   1894.      8.     VI— 451   pp.      15/.—. 

Mallock,  W.  H.,  Labour  aud  the  populär  welfare.  New  edition,  with  appendix. 
London,  Black,   1894.     8.     37  8  pp.      1/.6. 

Seligman,  Edwin  R.  A.  (Prot,  of  polit.  economy,  Columbia  College),  Progressive 
taxation  in  theory  and  practice.  Baltimore  1894.  gr.  in-8.  222  pp.  $  1. — .  (Publications 
of  the  American  Economic  Association,  vol.  IX,  Nos  l  &  2.  Contents.  Part  I.  The  history 
of  progressive  taxation.  —  Part  II.  The  theory  of  progressive  taxation  :  The  socialistic 
and  compensatory  theories:  Wagner ;  Guicciardini;  Rousseau;  Babeuf;  v.  Scheel.  Walker; 
Royer;  Villiaume ;  Courcelle-Seneuil.  —  The  benefit  theory.  Historical  appendix  1.  The 
benefit  theory  leads  to  proportion.  Historical  appendix  2.  The  benefit  theory  leads  to  non- 
proportional  taxation.  —  The  faculty  theory.  Historical  appendix  3.  The  laculty  theory 
leads  to  proportional  taxation.  Historical  appendix  4  The  faculty  theory  leads  to  degres- 
sive taxaiion.  Historical  appendix  5.  The  faculty  theory  leads  lo  progressive  taxation: 
Montesquieu;  Montyon ;  Say ;  Du  Mazet ;  Denis;  Fauveau;  Paley;  Craig ;  Buchanan  ; 
Sayer ;  Buckingham.  Schön;  Held;  Neumann;  Schäffle ;  Stein;  Wagner;  v.  Scheel; 
Meyer.  Pierson;  Cohen-Stuart.  Graziani.  Piernas.  Hurtado.  —  Part  III:  Application  of 
the  progressive  principle  to  American  taxation.  —  etc. 

2.     Geschichte  und  Darstellung  der  wirtschaftlichen  Kultur. 

Gruber,  Ch.,  Die  landeskundliche  Erforschung  Altbayerns  im  16,  17.  und  18.  Jahr- 
hundert. Stuttgart,  Engelhorn,  1894.  gr.  8.  Mit  Karte.  M.  3. — .  (A.  u.  d.  T. :  Forschungen 
zur  deutschen   Landes-  und  Volkskunde,  Bd.   VIII,  Heft  4.) 

Hannemann,  A.  (Rendant  der  Teltower  Ki eiskommunal-  und  Kreissparkasse), 
Beschreibung  des  Kreises  Teltow  und  seiner  Einrichtungen.  I.  Fortsetzung ,  die  Jahre 
1886/87  bis  1893/94  behandelnd.  Berlin,  Druck  von  Rohde,  1894.  4.  IX — 488  SS.  und 
Ortschaltsverzeichnis  des  Kreises  Teltow.     21   SS. 

Kindermann,  C.  (Priv.-Dozent,  Heidelberg),  Zur  organischen  Güterverteilung. 
I.  Die  allgemeine  materielle  Lage  der  Roheisenarbeiter  der  Vereinigten  Staaten  von  Amerika, 
besonders  Pennsylvaniens.  Leipzig ,  Duncker  &  Humblot ,  1894.  gr.  8.  XXXVIII — 
133  SS.     M.  3,20. 

Küntzel,  G.,  Ueber  die  Verwaltung  des  Mafs-  und  Gewichtswesens  in  Deutsch- 
land während  des  Mittelalters.  Leipzig,  Duncker  &  Humblot,  1894.  8.  VIII — 102  SS. 
(A.  u.  d.  T. :  Staats-  und  sozialwissenschaftliche  Forschungen  ,  hrsg.  von  G.  Schmoller. 
Bd.  XIII,  Heft  2.) 

Peterson,  H.  (Münzprobierer),  Zur  Geschichte  der  Glasfarbenerzeugung  in  Joachims- 
thal. Wien,  Holder,  1894.  gr.  8.  21  SS.  M.  1.—.  (A.  u.  d.  T. :  Monographien  des 
Museums  für  Geschichte  der  österreichischen  Arbeit,  Heft  5.) 

Publikationen  aus  den  k.  preufsischen  Staatsarchiven.  Band  LX :  Hessisches 
L'rkuudenbuch.  2.  Abteilung:  H.  Reimer,  Urkundenbuch  zur  Geschichte  der  Herren  von 
Hanau  und  der  ehemaligen  Provinz  Hanau,  Band  III.  Leipzig,  S.  Hirzel,  1894.  gr. 
Lex.-8.     IV— 912  SS.     M.   24. — . 

Westländer,  A,  Rufsland  vor  einem  Regimewechsel.  Politische  und  wirtschaft- 
liche Zustände  im  heutigen  Rufsland.  Stuttgart,  C.  Malcomes,  1894.  8.  115  SS.  M.  1,60. 
(Aus  dem  Inhalt:  Agrarpolitik.  —  Wirtschafts-  und  Finanzpolitik.  —  Büreaukratie  und 
Selbstverwaltung.) 


Uebersieht  über  die  neuesten  Publikationen   Deutschlands  und  des   Auslandes.     929 

Wirtschaftliche  Kartelle,  über,  in  Deutschland  und  im  Auslande.  15  Schilde- 
rungen nebst  einer  Anzahl  Statuten  und  Beilagen.  Leipzig,  Duncker  &  Humblot,  1894. 
gr.  8.  XI— 256  u.  326  SS.  M.  12.—.  (A.  u  d.  T.:  Schriften  des  Vereins  für  Sozial- 
politik, Uli  LX  :  Aus  dem  Inhalte:  I  Kartelle  in  Deutschland:  Das  deutsche  Kalikartell, 
von  G.  Engelcke.  —  Die  Vereinigung  bayerischer  Spiegelglasfabriken  (Fürth),  von  Iv 
Schwanhäufser.  —  Die  Kartelle  der  deutschen  Salinen,  von  A.  Wurst.  —  Holzstoffsyndi- 
kate. Versuche  zur  Bildung  eines  Zellstoffverkaufssyndikates,  von  O.  Keuther.  —  Das 
Rheinisch-westfälische  Kohlensyndikat,  von  A.  Steinmann-Bucher.  —  Kartellverbindungen  im 
Pulvergeschäft,  von  Spiecker.  —  II.  Kartelle  im  Ausland  :  Des  syudicats  entre  industriels 
pour  regier  la  production  en  France,  par  C.  Jannet  (prof.,  Paris).  —  Kartelle  in  Oester- 
reich ,  von  K.  Wittgenstein.  —  Kartelle  in  RuCsland,  von  G.  Jollos.  —  Kartelle  und 
Kollektivbetriebe  in  Dänemark,  von  A.  Fraenkel.  —  Industrielle  Unternehmer-  und  Unter- 
nehmungsverbäude    in   den  V.  Staaten  von   Amerika,  von  E.   Levy  v.   Halle.   — ) 


Alexander.  W.,  Notes  and  sketches  of  Northern  rural  life  in  tbe  XVIIIth  Century. 
Oheap  edition.     Edinburgh,  Douglas,   1894       12.     222  pp.      1/ — 

Bax,  E.  Beifort,  German  society  at  the  close  of  the  middle  ages.  London, 
Swan  Sonnenschein,  1894.  8  XI — 276  pp.  5/.  — .  (Contents:  First  signs  of  social 
and  religions  revolt.  —   The  reformation   movement.   —   Literature    of  reformation  period. 

—  Folklore  of  the  reformation.   —  The  German  town.   —  The    revolt  of  the    knightood. 

—  Country  and  town  at  the  end  of  the  middle  ages.  —  The    new  jurisprudence    —  etc.) 

Böse,  P.  N.,  A  history  of  Hindy  civilisation  duriug  British  rille.  4  vols.  Vols  I 
and  II.     London,  Kegan  Paul,    1894.     crown-8.      15/. — . 

Harvey,  M.,  Newfoundland  as  it  is  in  1894.  London,  Kegan  Paul,  1894-  12. 
Witta  map.     5   — . 

Shaler,  N.  Southgate  (Prof.  of  geology  in  Harvard  University),  The  United 
States  of  America  :  a  study  of  the  American  Commonwealth,  its  natural  resources,  people, 
industries,  manufactures,  commerce,  and  its  work  in  literature,  science,  education,  and 
self-government.  Edited  by  N.  S.  Shaler.  2  vols.  London,  S.  Low  ,  1894.  Roy. -8  ., 
clotb.     36/. 

S  o  1  ,  E.  P,  C.  Hervormingen  in  ludie.  Vluehtige  beschouwingen.  Leiden  ,  van 
Dnesburgh,   1894.     gr.   8.     8  en   104  blz.     fl.   1,50. 

3.     Bevölkerungslehre  und  Bevölkerungspolitik.     Auswanderung  und  Kolonisation. 

Beiträge  zur  Geschichte  der  Bevölkerung  in  Deutschland  seit  dem  Anfange  dieses 
Jahrhunderts  herausgegeben  von  Fr.  J.  Neumann.  Bd.  V.  Tübingen,  Laupp ,  1894. 
gr.  8  IV— 167  SS.  mit  14  Tabellen.  M.  8.—.  (A.  u.  d.  T.:  Kindersterblichkeit.  Soziale 
Bevölkerungsgruppen  insbesondere  im  preufsisehen  Staate  und  seinen  Provinzen  ,  von  K. 
Seutemann  ) 

Bode,  W.,  Die  Dauer  und  die  Erhaltung  des  menschlichen  Lebens.  Leipzig, 
Duncker  &  Humblot,  1894.  8.  24  SS.  (A.  u.  d.  T. :  Volkswohlschriften,  hrsg  von 
V.  Böhmert,   Heft  18.) 

Lommatzsch,  G,  Die  Bewegung  des  Bevölkerungsstandes  im  Königreiche  Sachsen 
während  der  Jahre  1871 — 1890  und  deren  hauptsächlichste  Ursachen.  Dresden,  W. 
Baensch  ,  1894.  8  VIII — 175  SS.  mit  17  gröfseren  Tabellen  und  4  graphischen  Dar- 
stellungen.    M.   3  — . 

Nabert,  H.,  Die  Bedrängnis  des  Deutschtums  in  Oesterreieh-Unga>-n  insonderheit 
in  Böhmen,  Mähren,  Oesterreich-Schlesien,  Galizien,  Krain,  Kärnten,  Steiermark,  Tirol, 
Ungarn.     Stuttgart,  R.   Lux,   1894.      8.     46   SS.      M.  0,80. 

v.  Werner,  B.,  Die  deutsche  Kolonialfrage.  Ein  Vortrag.  Leipzig,  W.  Friedrich, 
1894.     gr.  8.     36  SS.     M.   1.—  . 


Alis,  II,  Nos  Africains.  Paris,  Hachette  &  0 ,  1894.  gr.  in-8.  IV— 568  pag. 
av.  104  gravures.  fr.  12. — .  (Sommaire  :  La  mission  Crampel.  —  La  mission  Dybowski. 
—  La  mission  Mizon.  —  La  mission  Monteil.  —  La  mission  Maistre.  —  Le  Soudan.  — 
Le  Dahomey.  —  Les  missions  Soudanaises.  —  La  seconde  mission  Mizon  et  les  puissances 
europeennes  dans  l'Afrique  centrale.  —  Le  Congo  francüs.  —  Obock.  —  Le  Soudan 
francais.   —  La    Cote  d'ivoire.  —    Le  Sud-Algerien.   —    Les    cables    sous-mariue.   —  etc. 

Births,  deaths,    and  marriages  in  Scotland.     XXXVIIIth  detailed    aunual    report  of 
the  Registrar-General.     London,  Eyre  &  Spottiswoode,   1894.     gr.  in-8.      2/. 2. 
Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXIII).  59 


930     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Chadwick,  J.  C,  Three  years  with  Lobengula,  and  experiences  in  South  Africa. 
London,   Cassell,   1894.     crown-8.     156  pp.     3/.6. 

Danvers,  F.  C,  The  Portuguese  in  India ;  being  a  history  of  the  rise  and  decline 
of  their  eastern  empire.      2  vols.      London,  Alleu,    1894.     8.     1190  pp.     42/. — . 

Reports  to  the  Board  of  Trade  on  alien  Immigration.  London,  printed  by 
Eyre  &  Spottiswoode,  1893.  gr.  in-8  VIII — 383  pp.  (Contents:  General  report.  — 
American  legislation  and  practice  :  Report  by  Mr.  Schloss,  with  appendix.  —  Nature  and 
effects    of  alien   Immigration   into  America  :  Report  by  Mr.   Burnett.  — ) 

(v.  Schipoff,  kais.  rufs.  KollegienR.) ,  TepjiaHCKafl  K0Ji0HH3auia  hojilckhxx 
upoBUHinö  Hpyccui  no  3aK0Hy  26  Anpi.ia  1886  r.  C.-IIeTepöypri  1894  gr.  in-8. 
VIII — 202  pp.  Mit  34  kartographischen  und  tabellarischen  Beilagen.  (Deutsche  Koloni- 
sation in  den  Provinzen  Westpreufsen  und  Posen,  in  Ausführung  des  Ansiedelungsgesetzes 
vom  26.  IV.   1886.) 

4.     Bergbau.     Land-  und  Forstwirtschaft.     Fischereiwesen. 

Bericht  über  die  XXII.  Versammlung  deutscher  Forstmänner  zu  Metz  vom 
21.  bis  25.  August  1893.  Berlin,  J.  Springer,  1894.  8.  IV7— 200  SS.  mit  4  Ab- 
bildungen. M.  3. — . 

Bibliographie  der  schweizerischen  Laudeskunde,  Fascikel  V  9»V>.  Landwirt- 
schaft. Zusammengestellt  von  (Prof.)  F.  Anderegg  und  E.  Anderegg.  Heft  2:  Acker- 
und  Wiesenbau.     Bern,   Wyfs,   1894.     8.     X  S.  248-461.     M.  3.—. 

Dufour,  J.  (Weingärtner  zu  Erully  [Rhone]),  Die  neue  Lyoner  Veredlung  (System 
Perrier).  Bis  100  °/0  Nachwuchs.  Nebst  einer  Beschreibung  der  übrigen  Rebenveredlungen. 
Wien,  ,,Austria",  1894.  gr.  8.  44  SS.  mit  einer  Rebenveredlungen  darstellenden  Figuren- 
tafel in    Imp.-Folio.     M.    1.  — . 

von  der  Goltz,  Th.  (Frh.,  o.  ö.  Prof.,  Jena),  Die  agrarischen  Aufgaben  der  Gegen- 
wart.    Jena,  G.  Fischer,   1894.     g.  8.     VIII— 190  SS.     M.   3.—. 

v.  Grabmayr,  K.  (Landtags-Abgeordn.),  Landwirtschaft  und  Realexekution.  Ein 
Fürwort    für  das  Deckuugssystem.    Meran,  Elmenreich,   1894.     8.      117   SS.     M.   1,50. 

Hannemann,  L.  (Rektor  der  aargauischen  landwirtsch.  Winterschule  in  Brugg). 
Ursprung  und  Wert  der  Kraftfuttermittel  des  Handels.  Bern,  Wyfs,  1894.  gr.  8.  122  SS. 
M.   1,60. 

Hasbach,  W.  (Prof.,  Kiel),  Die  englischen  Landarbeiter  in  den  letzten  hundert 
Jahren  und  die  Einhegungen.  Mit  einem  Anhange  über  die  ländlichen  sozialen  Ver- 
hältnisse in  Dänemark  und  Schweden  von  W.  Scharling  und  P.  Fablbeck.  Leipzig, 
Duncker  &  Humblot,  1894.  8.  XII—  401  SS.  M.  9. — .  (A.  u.  d.  T. :  Schriften  des 
Vereins  für  Sozialpolitik.     Band  L1X.) 

H  ausbesit  zer  kalen'd  er  ,  deutscher,  für  das  Jahr  1895.  Herausgegeben  und 
bearbeitet  im  Auftrage  des  Centralverbandes  der  Haus-  und  städtischen  Grundbesitzer- 
vereine Deutschlands  von  (Rechtsanwalt)  F.  Günsburg.  Berlin,  Heymann,  1894.  12. 
XXXII— 142  SS.     geb.  M.   1.50. 

Jahresbericht  der  k.  Landwirtschaftlichen  Hochschule  in  Berlin  für  die  Zeit 
vom   1.  IV.   1893  bis  31.  März   1894.     Jahrg    II.     Berlin   1894.     gr.  Lex -8.     48  SS. 

Jahresbericht  über  die  Verbreitung  von  Tierseuchen  im  Deutschen  Reiche. 
Jahrgang  VIII  :  das  Jahr  1893.  Berlin,  J.  Springer,  1894  gr.  Lex. -8.  VI — 207  ; 
85  SS.  mit  6   Uebersichtskarten.     (Bearbeitet  im  kais.  Gesundheitsamte  in  Berlin.) 

Kralic,  F.  W.  (Ritter  v.  Wojuarowsky),  Die  Verbreitung  des  Stein-  bezw.  Kali- 
salzlagers in  Norddeutschland  und  die  geschichtliche  Entwickelung  der  Kaliindustrie  seit 
ihrem  30-jährigen  Bestehen.  Magdeburg,  1894.  8.  IV — 35  SS.  Mit  9  Abbildungen, 
3  Ansichten  und  1   Uebersichtskarte.     M.    1,50. 

Pluton,  A.,  Die  Forsteinrichtung  im  Nieder-  und  Hochwaldbetriebe.  Nach  der 
3.  französ.  Aufl.  bearbeitet  von  (Forstass.)  E.  Liebeneiner.  Berlin,  Parey,  1894.  gr.  8. 
VIII— 144  SS.     M.  3,50. 

Pohl,  J.,  Handbuch  der  landwirtschaftlichen  Rechnungsführung.  2.  Aufl.  Berlin. 
Parey,  1894.  gr.  8.  VIII— 390  SS.  geb.  M.  8.—.  (Aus  dem  Inhalt  :  Geschichte  und 
Litteratur  der  Rechnungsführung.  Theoretischer  Teil.  Praktischer  Teil.  —  Rechnungs- 
stil mit  doppelten  Posten.   — ) 

Sanitätsbericht  des  Oberschlesischen  Knappschaftsvereins  für  das  Jahr  1893. 
Kattowitz,  Druck  von   Gebr.   Böhm,   1894.     Folio.     86   SS. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes      931 

Garola,  C.  V.  (prof.  departemental  d'agriculture),  Les  eereales.  Paris,  Finnin  - 
Didot  &  Cle,  1894.  gr.  in-8.  av.  272  figures.  IV— 815  pag.  fr.  8.  (Table  des 
matieres :  Considerations  generales  sur  la  production  des  eereales.  —  Le  climat.  — 
Besoin  d'engrais  des  cerdales.  —  Le  sol  et  les  engrais.  —  Culture  speciale  du  ble\  — 
Les  petites  eereales.  —  De  la  moisson  :  Epoque  de  la  rdcolte.  Moissonnage  m^canique, 
etc.  —  Preparation  des  cdreales  ä  la  vente.  — ) 

Barker,  W.  H.,  The  gold  fields  of  Western  Australia.  London,  Simpkin,  1894 
gr.  in-8.  78  pp.  with  large  geological  map  of  Western  Australia  and  plans  of  tbe 
various  gold  fields.     1/. — . 

Potts'  Mining  register  and  directory  for  the  coal  and  ironstone  trades  of  Great 
Britain  and   Ireland,   1894—95.     London,  Simpkin,   1894.     8.      10/.6. 

Kisultati  delle  coltivazioni  sperimentali  del  frumeuto  (landwirtschaftliche  Ver- 
suchsstationen), anni  1889 — 92.  Roma,  tip.  di  Bertero,  1894.  gr.  Lex.  in-8.  XX1LI — 321  pp. 
(Pubblicazione  del  Ministero  di  agricoltura,  industria  e  commercio,  Direzione  generale  dell' 
agricoltura.) 

Trigona,  V.,  Brevi  cenni  sul  ladifondo  in  Italia  e  sulle  condizioni  della  Sicilia : 
proposte  urgenti.      Firenze,  tip.   cooper.,   1894.     8.     27   pp. 

5.     Gewerbe  und  Industrie. 

Gewerbeenquete  im  österreichischen  Abgeordnetenhause.  Stenographisches 
Protokoll  der,  samt  geschichtlicher  Einleitung  und  Anhang.  Zusammengestellt  von  dem 
Referenten  (Abgeordneten  A.  Ebenhoch  und  E.  Pernerstorfer).  Wien,  k.  k.  Hof-  und 
Staatsdruckerei,    1893.     Roy.-8.     X— 1204  SS. 

Graudhomme  (SanitätsR.  u.  Kreisphysikus),  Die  Fabriken  der  Aktiengesellschaft 
Fachwerke  vorm.  Meister,  Lucius  &  Brüning  zu  Höchst  a.  M.  in  sanitärer  und  sozialer 
Beziehung.  3.  Aufl.  Frankfurt  a/M..  Mahlau  &  Waldschmidt,  1893.  gr.  4.  VI— 87  SS. 
mit   10  Lichtdrucktafeln. 

Hisserich,  L.  Th.,  Die  Idar-Obersteiner  Industrie.  Im  Anschlufs  an  die  Ver- 
öffentlichungen des  Vereins  für  Sozialpolitik.  Oberstein,  R.  Grub,  1894.  8.  178  SS. 
mit   1    graphischen  Darstellung  und  2   Tafeln  Abbildungen.     M.   2. — . 

M  e  v  e  s  ,  O.  (ReichsgerR.),  Schutz  der  Warenbezeichnungen.  Nach  dem  Gesetz  vom 
12.  Mai   1894  bearbeitet.     Berlin,    H.  W.  Müller,    1894.     12.     XVII— 280  SS.     M.   3,50. 

Mitteilungen,  amtliche,  aus  den  Jahresberichten  der  Gewerbeaufsichtsbeamten. 
Jahrgang  XVIII:  1893.  Berlin,  W.  T.  Bruer,  1894.  gr.  8.  XVII— 410  SS.  mit  13 
tabellarischen  Anlagen   in  gr.  quer-folio  u.  Register  von  60  SS.     M.   7,50. 

Müller,  H.,  Wie  der  schweizerische  Arbeitersekretär  sich  rechtfertigt.  Ein  zweiter 
Beitrag   zur  Kenntnis  seiner  Leistungen.      Basel,  H.  Müller,   1894.     8.     56  SS.     M.  0,75, 

Scheven,  P.,  Die  Lehrwerkstätten.  Band  I:  Technik  und  qualifizierte  Hand- 
arbeit in  ihren  Wechselwirkungen  und  die  Reform  der  Lehre.  Tübingen,  H.  Laupp, 
1894.  gr.  8.  21;  570  SS.  nebst  zahlreichen  Anlagen.  M.  12. — .  (Inhalt:  Ueber  den 
Mangel  an  qualifizierten  Handarbeitern  in  Deutschland.  Quellenmäfsige  Darstellung.  — 
Rückwirkung  der  technischen  und  sozialpolitischen  Umwälzungen  des  letzten  Jahrhunderts 
auf  die  qualifizierte  Handarbeit.  —  Vergleich  der  Zunftlehre  mit  der  freien  Lehre  in 
sozialer  Hinsicht.  —  Vergleich  der  Zunftlehre  mit  der  freien  Lehre  in  technischer  Hin- 
sicht. —  Die  Stellung  des  Staats  zur  Handwerkslehre.  —  Klein-  und  Grofsbetrieb  in 
statistischer  Hinsicht.  —  Benutzung  elementarer  Kraft  im  Kleingewerbe.  Die  süddeutschen 
Veranstaltungen  (in  Württemberg,  Hessen  und  Baden)  zur  Hebung  der  Lehre.  — 
Gegenüberstellung  der  besprochenen  süddeutschen  Veranstaltungen  und  analoger  nord- 
deutscher. —  Die  badischen  Lehrlingswerkstätten.  —  Die  Lehrschmiede  (einschl.  der  Huf- 
beschlagschule). —  Die  Ergänzungslehrwerkstätte  zur  Unterstützung  der  Meister-  resp. 
Fabriklehre.  —  Mängel  der  heutigen  Fabriklehre.  —  Mustergiltige  Einrichtungen  für  die 
Lehrlingserziehung  in  der  Grofsindustrie.  —  Die  Lehrlingserziehung  im  Grofs-  und  Mittel- 
betrieb in  Verbindung  mit  Fabriklehrwerkstätten.  —  Victor  Della- Vofs  und  dessen  Unter- 
richtsmethode durch  Lehrwerkstättenausbildung.  —  etc.) 

Belloc,  L.,  Du  travail  des  femmes  et  des  enfants  dans  les  ateliers  ,  fabriques  et 
dans  les  mines  en  Italic  Milan,  impr.  H.  Reggiani,  1894.  8.  44  pag.  (Congres  internat. 
des  aeeidents  du  travail  k  Milan.) 

Bouquet,    L.,    Organisation    de  l'inspection    des  fabriques    en  France    et  resultats 

59* 


932     Uebersicbt  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

obtenus.  Milan,  impr.  H.  Reggiani,  1894.  8.  46  pag.  (Congres  internat.  des  accidents 
du  travail  ä  Milan.) 

Co  üb  in,  C.  (avocat  ä  la  cour  d'appel  de  Paris),  La  propriete  industrielle,  artistique 
et  litteraire.  Tome  I  Tours,  impr.  Soudee,  1894.  8.  LXXIV  — 380  pag.  Preis  für 
das  vollständige  2-bändige  Werk  fr.   20. — . 

Fab  rican  ts  -  exporteurs,  les,  du  royaume  de  Hongrie  (iu  deutscher,  englischer, 
französischer,  italienischer,  ungarischer,  rumänischer,  bulgarischer  und  russischer  Sprache). 
Publie,  sur  l'ordre  de  M.  le  Minister  royal  hongrois  du  commerce,  par  le  Muse'e  commer- 
cial  hongrois      Budapest   1894.     8.     CXLIII— 160;  CXXVIII  (annonces)  pag. 

de  Keppen,  A.,  Etat  actuel  de  la  question  des  accidents  du  travail  en  Russie. 
Milan,  impr.  H.  Reggiani,  1894.  8.  18  pag.  (Congres  internat.  des  accidents  du  travail 
ä  Milan.) 

Latruffe,C.  (sous-intendant  milit.  de  2e  classe),  Du  sucre  et  de  l'industrie  sucriere. 
Paris  et  Limoges,  H.  Lavauzelle,  1895.  gr.  in-8.  168  pag.  av.  12  figur.  et  1  planche. 
fr.  3. — .  (Table  des  matieres:  De  la  betterave.  —  Fabrication  du  sucre.  —  Du  sucre 
dans  ses  rapports  avec  l'administration  de  l'armee.  —  De  la  legislation   des  Sucres) 

Burn,  R.  Scott,  The  ste.am  engine :  its  history  and  mechanism.  8th  and  enlarged 
edition.  London,  Ward,  Lock  &  Bowden,  1894.  crown-8.  180  pp.  with  132  illustra- 
tions.     2/.6. 

Williams  on,  A.,  British  industries  and  foreign  competition.  London,  Simpkin. 
1894.     8.     320  pp.     3/.6. 

6.     Handel  und  Verkehr. 

Bericht  der  Handels-  und  Gewerbekammer  zu  Dresden.  Teil  II.  Dresden,  Druck 
von  C.  Heinrich,  1894.  gr.  8.  65  SS.  (Inhalt:  Bewegung  der  Kurse  an  der  Dresdener 
Börse  1893.  Die  Aktienuuternehmuugeu  im  Kammerbezirk  1893/94  Sparkassenverkehr 
1893.  Monatliche  Durchschnittsmittelpreise  der  Dresdener  Produktenbörse  1893.  Fabrik- 
arbeiterzählung 1892  und  1893  nach  Verwaltungsbezirken  und  Gewerbegruppeu.  Tabaks- 
fabrikationsbetriebe und  Mengen  der  Fabrikate  1893.  Zahl  der  Tabakarbeiter  1893. 
—  etc.) 

van  der  Borght  (Prof.,  k.  teebn.  Hochschule  Aachen),  Das  Verkehrswesen. 
Leipzig,  C.  H.  Hirschfeld,  1894.  gr.  8.  X— 464  SS.  M.  12,50.  (A.  u  d.  T. :  Hand- 
und  Lehrbuch  der  Staatswissenschafteu,  hrsg.  von  K.  Frankeustein.  Abteilung  1:  Volks- 
wirtschaftslehre, Bd.   VII  ) 

Dimtschoff,  Radoslave  M.,  Das  Eisenbahnwesen  auf  der  Balkan-Halbinsel.  Eine 
politisch  volkswirtschaftliche  Studie.  Bamberg,  Buchner,  1894.  gr.  8.  VIII— 266  SS. 
Mit  Eisenbahnkarte,  24  Tabellen  u    3  graphischen  Tafeln.     M.   6. — . 

Gottschalk,  M.  (Direktor  des  Deutscheu  Kreditoreuverbandes),  Die  Abänderungen 
der  deutschen  Konkursordnung.     Berlin,  Langenscheidt,    1895.     gr.  8.     36   SS.     M.   1. — . 

Hansen,  Ed.,  Das  zukünftige  Leipzig.  Eine  illustrierte  Schilderung  der  projek- 
tierten Eisterbassins ,  des  Palmengartens  und  der  damit  verbundenen  Bauten.  Leipzig, 
Laurencic,    1894.     gr.   8.      56   SS.    mit    18   Illustrationen    u.    Orientierungsplau.     M.   1 — . 

Jahresbericht  der  grofsherz.  Handelskammer  zu  Bingen  a  Rh.  für  die  Jahre 
1892  und  1893.  Bingen  a./Rh.,  Druck  von  O.  Boryszewski,  1894.  gr.  8.  VII— 181  SS. 
mit  Plan  der  Hafenanlage  von  Bingen  in  gr.  quer-folio.  (Inhalt:  Einrichtungen  für 
Handel  und  Industrie.  —  Verkehrswesen  —  Lage  von  Produktion  und  Handel.  — 
Bildungsanstalten    und  Korporationen.  —  Statistische  Uebersichten.) 

Jahresbericht  der  Handelskammer  für  Ostfrieslaud  und  Papenburg  für  das  Jahr 
1893.     Teil  II.     Leer,  Druck  von  W.  J.  Leendertz,   1894.      folio.     48  SS. 

Jahresberich  te  der  Handels-  und  Gewerbekammern  in  Württemberg  für  das  Jahr 
1893.  Systematisch  zusammengestellt,  veröffentlicht  und  mit  einem  Anhang  versehen  von 
der  kgl.  Centralstelle  für  Gewerbe  und  Handel.  Stuttgart,  Hofbuchdruckerei  „Zu  Gutteu- 
berg",  1894.     gr.  8.     XVI— 336  SS. 

Kahn,  J.  (Rechtsanw.  u.  Sekretär  der  Handels-  und  Gewerbekammer  für  Ober- 
bayern), Die  25-jährige  Thätigkeit  der  Handels-  und  Gewerbekammer  für  Oberbayern 
1869  —  1894.  München,  üniversitätsbuebdruckerei  von  C.  Wolf  &  Sohn,  1894.  gr.  Lex.-8. 
117  SS. 

Schanz,  G.  (Prof.),  Studien  über  die  bayerischen  Wasserstrafseu.  (III.  Teil.) 
Bamberg,  C.  C.  Buchner,  1894.  gr.  8.  IX— 420  SS.  M.  7.  —  .  (A.  u.  d.  T. :  Die  Main- 
schiffahrt im  XIX.   Jahrhundert  und  ihre  künftige  Entwickeluug.) 


Uebersicht  über  die  neuesten   Publikationen   Deutschlands  und  des  Auslandes.     933 

Stegemann  (Syndikus  der  Handelskammer  für  das  Herzogt.  Braunsehweig),  Un- 
lauteres Geschäftsgebahren  I.  Typische  Fälle  im  Aultrage  der  Handelskammern  Braun- 
sehweig, Goslar,  Göttingen,  Ilalber:>tadt,  Halle  a /S  ,  Hannover,  Hildesheim,  Kassel, 
Minden,  Nordhausen,  Osnabrück.  Braunschweig,  A.  Limbach,  1894.  gr.  8.  183  SS. 
M.  2,50. 

v.  Strigl,  Ad.  (Ritter).  Die  Waren  des  Welthandels.  Vortrag  gehalten  am  21.1. 
1894  im  Wiener  Volksbildungsverein.      Wien,  Manz,    1894.      gr.   8.      16  SS      M.  0,40. 

Yoshida,  Tetsutaro,  Entwiekeiung  des  Seidenhandels  und  der  Seidenindustrie  vom 
Altertum  bis  zum  Ausgang  des  Mittelalters.  Heidelberg  ,  J.  Hörning,  lfc95.  gr.  8- 
VIII— 112   SS.     M.   2.—. 

Carro,  T.,  Moteurs  et  moyens  de  transport.  economiques,  applicables  ii  l'agriculture. 
au  canal  de  Panama  et  ä  la  defense  du  pays.     Paris,  Desforges,   1894.     8.     36  pag. 

T  hie  baut,  L.  (avocat  ä  la  Cour  d'appel  de  Paris),  De  la  responsabilite  des  pro- 
prietaires  de  navires  et  des  armateurs  etc.  (article  216  du  Code  de  commerce).  Paris,  A 
Rousseau,  1894.  gr.  in-8.  VIII — 296  pag.  fr.  7. — .  (Table  des  matieres :  De  In 
responsabilite  etc.  —  Des  temperaments  qui  peuvent  etre  apportös  ä  la  responsabilite"  des 
proprietaires  des  navires  ä  l'aide  des  Conventions,  ou  des  moyens  auxquels  peut  avoir 
reeours  le  proprietaire  de  navires  pour  s'exonerer  de  sa  responsabilite  par  la  voie  con- 
tractuelle.  —  Des  temperaments  apportes  par  la  loi  ä  la  responsabilite  etc.  :  1.  La  fortune 
de  terre  et  la  fortune  de  mer.  2.  A  qui  la  loi  accorde  la  faculte"  d'abandon.  3.  Objet 
de  l'abandon :  Le  navire  et  le  fret.  4.  Forines  de  l'abandon  etc.  —  Conflits  des  lois 
en  matiere  d'abandon.) 

Cooley,  Ch.  H.  (sometiine  Chief  of  the  transportation  division  of  the  XD'1 
Census),  The  theory  of  transportation.  Baltimore,  1894,  Mai.  gr.  in-8.  148  pp.  $  0,75. 
(Publications  of  the  American  Economic  Association.  Vol.  IX  N°  3.  Contents:  Mecha- 
nical  and  geometrical  nations.  —  The  relation  of  land  transportation  to  physical  con- 
ditions.  —  The  need  of  transportation  underlies  all  social  institutions.  General  statement 
of  the  social  function  of  transportation.  The  tests  of  its  efficiency  change  with  social 
progress.  —  Transportation  and  military  Organization.  —  Transportation  and  political 
Organization.  —  The  ralation  of  transportation  to  Organization  having  an  ideal  purpose. 
—  Transportation  and  economic  Organization.  —  The  location  of  towns  and  cities.  — 
The  relation  of  transportation  to  markets,  prices,  competition,  etc.  —  The  general  theory 
of  rates.  —  Transportation  and  rent.  —  The  political  relations  of  transportation  further 
considered.   — ) 

7.     Finanzwesen. 

Edelmann,  H.  (weiland  Direktor  des  statist.  Amtes  der  Stadt  Dresden),  Denk- 
schrift über  den  Einflufs  der  Einkommensteuererhebung  auf  die  Verteilung  der  Abgaben- 
last in  Dresden.  40  und  27  SS.  8.  (Zuerst  abgedruckt  in  der  ,, Sammlung  von  Druck - 
vorlagen  für  Beschlüsse  des  Rats  zu  Dresden  im  Jahre  1889"  und  nach  des  Verfassers 
Tode  für  einen  beschränkten  Kreis  von  Fachgenossen  veröffentlicht,  Oktober  1894.  Nicht 
im  Handel.) 

Riede,  J.  (Zollamtsassistent,  Ludwigsburg),  Zur  Neuordnung  der  direkten  Steuern 
Württembergs  unter  Bezugnahme  auf  die  Einkommensteuer-Gesetzgebung  und  -Statistik 
anderer  deutscher  Bundesstaaten.      Stuttgart,   Nitzschke,   1894.     8.      96  SS.     M.    1,20. 

Finance  Act,  the,  1894  (57  &  58  Vict.  c.  30)  so  far  as  it  relates  to  Estate  duty 
and  the  succession  duty,  with  an  introduction  and  notes  by  J.  E.  Crawford  Munro. 
London,   Eyre  &  Spottiswoode,    1894.     Roy.  in-8.     VIII — 110  pp.,  cloth.  5/. — . 

Tarif  des  douanes  de  l'empire  Russe,  pour  le  commerce  europeen.  Tarifs  normal, 
maximal  et  conventionnel.  Tarif  pour  les  marchandises  importees  de  la  Finlande.  2me 
edition  entierement  revue  et  mise  ä  jour  par  J.  Belin  &  N.  de  Moerder.  St.  Peters- 
bourg,  Zinserling,    1894.      12.      218  pag.     M.  6.  —  . 

Esecuzione  forzata  per  la  riscossione  delle  imposte  dirette  in  base  alla  legge 
etc.  etc.,  colle  discussioni  e  relazioni  parlamentari,  colla  giurisprudenza  e  dottrina,  colle 
circolari,  istruzioni  etc.  per  cura  del  (cancelliere)  L.  Bidone.  Torino,  Unione-tipogr.- 
editrice,  1894.  8.  262  pp.  1.  3. — .  (Sommario :  Norme  generali.  —  Esecuzione  sui 
mobili.   —  Dell'  esecuzione  sugli  immobili.  —   Modelli.  — ) 


934     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutsehlands  und  des  Auslandes. 

8.     Geld-,  Bank-,  Kredit-  und  Versicherungswesen 

Bericht  über  den  XIV.  Deutschen  Feuerwehrtag  zu  München  am  21.,  22.,  23. 
und  24.  Juli  1893.  Herausgegeben  im  Auftrage  des  Deutschen  Feuerwehrausschusses  von 
dessen  Vorsitzenden  Gr.  Schulze  (Branddirektor  zu  Delitzsch).  [Aus  dem  Inhalte :  Die 
Unterstützungskassen,  sowie  die  Leistungen  der  öffentlichen  Feuersozietäten  und  Privat- 
ieuerversicherungsgesellschaften  für  das  Feuerlöschwesen.  —  Die  in  den  einzelnen  Staaten 
bestehenden  Gesetze,  Verordnungen,  Vereinbarungen  etc.  betreffend  die  Heranziehung  der 
Privatfeuerversicherungsgesellschaften  zu  den  Kosten  des  Feuerlöschwesens.  —  Die 
Brände  und  Brandschäden    —  etc.] 

B  r  ä  m  e  r  ,  H.  (Sekretär  des  Verbandes  deutscher  öflf.  Feuervers.-Anstalten,  Münster) 
und  K.  Brämer  (GRegR.),  Das  Versicherungswesen.  Leipzig,  C.  H.  Hirschfeld,  1894.  gr.  8. 
XII— 413  SS.  M.  11,50.  (A.  u.  d.  T. :  Hand-  und  Lehrbuch  der  Staatswissenschaften, 
hrsg.  von  Kuno  Frankenstein,  Abteilung  I :  Volkswirtschaftslehre,  Bd.  XVII.) 

Hannemann,  Ad.  (Rendant  der  Sparkasse  des  Kreises  Teltow),  Einrichtung  und 
Buchführung  von  Sparkassen  nach  dem  Muster  der  Sparkasse  des  Kreises  Teltow. 
Berlin,   C.   Heymann,   1893.     Folio.     VI— 175  SS.  einschl.   95   Muster,     geb.   M.  8.—. 

Hucke,  J.,  Das  Geldproblem  und  die  soziale  Frage.  4.  Aufl.  der  Schrift:  ,,Das 
verwünschte  Geld/'  Berlin,  Mitscher  &  Röstell,  1894.  8.  VIII— 2  79  SS.  M.  2,40. 
(Inhalt.  I.  Buch:  Geldumlauf  und  Preisgestaltung  —  II.  Buch,  1.  Teil:  Kredit-  und 
Surrogatgeld.  —  II.   Buch,   2.  Teil  :   Geldumlauf  und  Zins.) 

v.  Lanna,  A. ,  Die  Unfallversicherung  der  österreichischen  Seeleute.  Ein  Vor- 
schlag.    Leipzig,    Duncker  &  Humblot,    1894.     gr.  8.     II— 62  SS.      M.   1,40. 

v.  Mayr,  Georg,  Unfallversicherung  und  Unfallfrequenz.  Milan,  iuopr.  H. 
Reggiani,    1894.      8.      29   SS.     (Cougres  internat.   des  accidents  du  travail  ä  Milan.) 

Swoboda,  0-,  Die  kaufmännische  Arbitrage.  Eine  Sammlung  von  Notizen  und 
Usanzen  sämtlicher  Börsenplätze  der  Welt  für  den  praktischen  Gebrauch.  9.  Aufl.  be- 
arbeitet von  Adolf  Sandheim.  Berlin,  Haude  &  Spener,  1894.  gr.  8.  VIII— 751  SS. 
geb.  M.   12.—. 


Arnaud,  L.,  Manuel  des  deposants  aux  caisses  d'epargne  (Caisse  postale  ou  natio- 
nale et  caisses  ordinaires  ou  privees)  et  ä  la  caisse  nationale  des  retraites  pour  la 
vieillesse.     Paris,   Lahure,   1894.      16.     243  pag.     fr.  1.  —  . 

Lyon,  C.  (maitre  des  requetes  au  Conseil  d'Etat)  et  G.  Teissier  (auditeur  au 
Conseil  d'Etat),  Les  Operations  de  bourse  et  l'impöt  du  timbre.  Loi  de  finances  du  28 
avril  1893.  Reglement  d'administration  publique  du  20  mai  1893.  Paris,  P.  Dupont, 
1894.  in-18  Jesus.  VIII — 451  pag.  fr.  5. — .  (Table  analytique :  Genese  de  l'impot 
sur  les  Operations  de  bourse.  —  Esprit  geueral  de  la  loi.  —  Determination  de  la  matiere 
imposable  —  Tarif  de  l'impöt.  —  Mecauisme  de  perception  de  l'impot.  —  Sanctions 
des  prescriptions  de  la  loi  fiscale    —   Annexes   1  —  4.   — ) 

U  n  i  o  n  s  mutuelles,  les,  de  credit  populaire  (industriel  et  agricole)  et  nos  instituteurs, 
par  A  de  Malarce.  Paris  1894.  19  pag.  (Extrait  du  „Manuel  g^neral  de  l'instruction 
primaire".) 

Wahl,  A.  (prof.  agrdge"  ä  la  faculte  de  droit  de  Grenoble),  Etüde  sur  l'augmen- 
tation  du  capital  dans  les  societes  anonymes  et  les  societes  en  commandite  par  actions. 
Paris,  Rousseau,  1894.  gr.  in-8.  125  pag.  fr.  3,50.  (Extrait  des  ,, Annales  "de  droit 
commercial  francais,  etranger  et  international",  1893.  Table  des  matieres:  Emission 
d'actions  nouvelles.  —  De  l'augmeutation  du  capital  par  des  versements  emanant  des 
porteurs  d'actions  anciennes.  —  Conversion  des  dettes  sociales  en  actions.  —  Legislations 
etrangeres.    —  Vues  legislatives.   —  etc.) 

HHCTpvKuiapa  noqTOBO-Tejerpa*i)iK'i>  cöeperaTCitHbixt  KaccL,  etc.  C.  üeiep- 
oypn,  Druckerei  der  kais.  Bank,  1893.  8.  (Instruktionen  für  die  kaiserl.  russische 
Post-    und  Telegraphen-Sparkassenverwaltung.)     95  pp. 

9.     Soziale  Frage 

Bilz,  F.  E.,  Wie  schafft  man  bessere  Zeiten  ?  Die  wahre  Lösung  der  sozialen  Frage 
nach  dem  Naturgesetz.     Dresden-Radebeul,    Bilz,    1894.      8.      VIII— 167   SS.     M.   0,50. 

Jäger,  Ad.  (Pastor  in  Werder),  Die  soziale  Frage  im  wissenschaftlichen  und 
biblischen  Kleide.     Band  III,  Teil  2.     Neu-Ruppin,   Petreuz,    1894.     gr.   8.     M.  0,50. 

Kiefer,  W.,  Unsere  modernen  Kommis  und  Prinzipale!  Kritisch-soziale  Skizze. 
2.   Aufl      Leipzig,   Friedrich,    1894.     8.     32  SS.     M.  0,50. 


Uebersicht  über  die  neuesten   Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes      935 

v.  Nathusius,  Martin  (Prof.,  Greit'swald),  Die  Mitarbeit  der  Kirche  an  der  Lösung 
der  sozialen  Frage.  Band  II :  Die  Aufgabe  der  Kirche.  Leipzig,  Hinrichs'sche  Buch- 
handlung,   1894.     gr.   8.     VIII— 470  SS.      M.   7,50. 

Naumann,  Fr.,  Soziale  Briefe  an  reiche  Leute.  Göttingen,  Vandenhoeck  &  Ru- 
precht,  1894.     kl.  8.     58  SS.     M.   1.—  . 

Wilms,  W.,  Das  Recht  auf  Arbeit.  Vortrag.  2.  Aufl.  Hamm,  Wilms,  1894. 
8.      IV— 34  SS.     M.   0,40. 

Grenthe,  L.  (industriel),  Questions  sociales.  Prevoyance  et  mutualitö.  Lssai 
d'un  projet  de  Solutions  pratiques  pour  obtenir  la  geneValisation  et  l'application  des 
moyens  de  prevoyance  et  de  mutualitd  contre  les  maladies,  les  accidents  professionnels 
et  la  vieillesse  des  ouvriers  du  travail  manuel.  Pontoise,  impr.  L.  Paris,  1894.  in-18  jdsus. 
160— III  pag.     fr.    1,50. 

Mannequin,  T.  (membre  de  la  Societö  d'economie  polit.  de  Paris),  La  question 
sociale  et  la  science.  2  edition,  revue  et  augmentee.  Paris,  Guillaumin  &  Cie ,  1894, 
8.     XXVI— 453  pag. 

d  a  T  r  o  bas  o ,  A.,  II  socialismo  e  la  questione  sociale:  conferenza  recitata  il  di 
3  giugno  1894  al  circolo  cattolico  di  Mondovi-Breo.  Mondovi,  tip.  vesc.  Musso  &  Avag- 
nina,   1894.      16.      70  pp. 

Valeriani,  V.  (prof.),  II  principio  d'autoritä  nella  questione  sociale.  Siracusa, 
tip.   del  Tamburo,   1894.     8.      10  pp. 

Bymholt,  B.,  Geschiedenis  der  arbeidersbeweging  in  Nederland.  Amsterdam, 
S.    L.   van   Looy,   1894.     8.     VIII— 22  ;   53  en    736   blz.      fl.    3,25. 

10.     Gesetzgebung. 

Fischerei  der  Ufereigentümer  in  den  Privatflüssen  der  Provinz  Westfalen.  Das 
Gesetz  betreffend  die,  vom  30.  Juni  1894.  Nebst  den  übrigen  für  die  Prov.  Westfalen 
ergangenen,  die  Fischerei  betreffenden  Gesetzen  und  Verordnungen.  Zusammengestellt 
von  v.   Schiigen  (OLGerR.).  Hamm,  Griebsch,    1894.      8.     82  SS.     M.  1. — . 

v.  Jhering,  R.,  Entwickelungsgeschichte  des  römischen  Rechts.  Einleitung.  — 
Verfassung  des  römischen  Hauses.  Leipzig,  Duncker  &  Humblot,  1894.  8.  VIII— 124  SS. 
M.   3. — .     (Aus  dem  Nachlafs  herausgegeben.) 

v.  K  i  r  chs  t  e  t  te  r  ,  L.  (Ritter),  Kommentar  zum  österreichischen  allgemeinen  bürger- 
lichen Gesetzbuche  mit  vorzüglicher  Berücksichtigung  des  gemeinen  deutschen  Privat- 
rechts. 5.  Aufl.,  herausgegeben  von  (Hof-  und  Ger.-Advok.)  F.  Maitisch.  Leipzig,  Brock- 
haus, 1894.     Lex.-8.    XII— 756  SS.    M.   12.— 

Lohmann,  P.  (vereid.  Chemiker  und  gerichtl.  Sachverständiger^,  Lebensmittel- 
polizei. Ein  Handbuch  für  die  Prüfung  und  Beurteilung  der  menschlichen  Nahrungs-  und 
Genufsmittel  im  Sinne  des  Gesetzes  vom  14.  Mai  1879,  erläutert  durch  die  vorausge- 
gangene Rechtsprechung.     Leipzig,   E.   Günther,   1894.      gr.   8.     IV — 375  SS.     M.   8. — . 

v.  Thudichum.  Fr.  (Prof.,  Tübingen),  Geschichte  des  deutschen  Privatrechts. 
Stuttgart,  Enke,   1894.     gr.  8.     X-472  SS.     M.   11—. 


Eisenmann,  E.  (avocat  ä  Paris),  Le  contrat  d'ddition  et  les  autres  louages  d'oeuvres 
intellectuelles.  Orleans,  impr.  Pigelet,  1894.  8.  93  pag.  (Memoire  lu  ä  l'Academie 
des  sciences  morales  et  politiques,  Institut  de   France.) 

Griffith,  W.,  Indian  law  of  insolvency:  being  11  and  12  Vict.  c.  XXI.  With 
an  historical  introduetion,  commeutaries,  etc.      London,  17  Bedford  Row,  1894.     8.     21/. — . 

Kent.  J.,  Commentaries  on  American  law,  edit.  by  W.  Hardcastle  Browne.  St.  Paul 
(Minnesota)   1894      8.     XV  — 926  pp.     $  5,30. 

Pullin  g,  A-,  The  shipping  code:  being  the  Merchant  Shipping  Act,  1894  With 
introduetion,  uotes,  tables,  rules,  etc.     London,  Sweet  &  M.,   1894.     Roy-8.     530  pp.    7|.6. 

Stevenson,  T.  and  Murphy,  S.  F.,  A  treatise  on  hygiene  and  public  health. 
Volume  III:  Sanitary  law.     London,  Churchill,  1894.     Roy. -8.     640  pp.     20/.—. 

11.     Staats-  und  Verwaltungsrecht. 

Barmen.  Bericht  über  Verwaltung  und  Stand  der  Gemeindeangelegenheiten  der 
Stadt  Barmen  für  das  Jahr  1893.  Barmen,  Druck  von  Wiemann,  4.  241  SS.  —  Haupt- 
and  Spezialetats  der  Stadt  Barmen  für  1894/95.     ebd.   1894.     4.     119  SS. 

Bezirkstag    des    Unterelsafs.     Sitzung    1894:    Verwaltungsbericht    und  Vorlagen 


936     Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes. 

des  Bezirkspräsidenten.  Strafsburg,  Elsässische  Druckerei  1894.  4.  219  SS.  Als 
Beilage  dazu:  1.  Aufserord.  Sitzung  1894.  Vorlagen  und  Verhandlungen.  Ebd.  1894. 
4.      9  SS.     2.  Haushaltsetat  des  Bezirks  Unter-Elsafs  für  1895/96.     Ebd.     4.      61   SS. 

Caveant  consules !  Ein  ernstes  Mahnwort  zur  Polenfiage.  (Von  Verus  Germanicus.) 
Dresden,  Esche,   1894.     gr.   8.     42  SS.     M.   0,75. 

Delbrück,  Hans,  Die  Polenfrage.  Berlin,  H.  Walther,  1894.  gr.  8.  46  SS. 
M.   0,80. 

v.  6  r  abscheid  t,  F.,  Der  moderne  Staat  und  seine  Aufgaben.  Wien,  L.  Weiss, 
1894.      gr.  8.     V— 77   SS.     M.   1,25. 

Meili,  Fr.  (Prof.  d.  intern.  Privatrechts,  Zürich),  Der  Staatsbankerott  und  die 
moderne  Rechtswissenschaft.  Berlin,  Puttkammer  &  Mühlbrecht,  1895.  8.  V— 86  SS. 
M.  1,60.  (Vortrag  gehalten  in  der  internat.  Vereinigung  für  vergleichende  Rechtswissen- 
schaft und  Volkswirtschaftslehre  zu  Berlin.) 

Ostmark,  die  deutsche.  Aktenstücke  und  Beiträge  zur  Polenfrage.  Herausgegeben 
vom  All-Deutschen  Verbände,  Berlin,  W.  35.  Berlin,  M.  Priber,  1894.  gr.  8.  112  SS. 
M.  0,50. 

Randbemerkungen  zum  Monzambano.  (Verfassung  des  Deutschen  Reiches."; 
Zur  Erinnerung  an  Samuel  von  Pufendorf  (f  26.  X.  1694).  Berlin,  Puttkammer  &  Mühl- 
brecht,  1894.     kl;  8.      74  SS.     M.    1. 

v.  Seydel,  Max,  Bayerisches  Staatsrecht.  Band  VII.  (Schlufs  des  Werkes).  Frei- 
burg i/B.,  Mohr,  1895.  gr.  8.  IV— 410  SS.  M.  9.—.  (Inhalt:  Alphabetisches  Register. 
Bearbeitet  von  G.  Krais  und  Th.  Stöhsel.  —  Gesetzesregister.  Bearbeitet  von  J.  (Frh.) 
von  der  Heydte.) 

Soest.  Bericht  des  Magistrats  zu  Soest  über  den  Stand  und  die  Verwaltung  der 
Gemeindeangelegenheiten  für  das  Verwaltungsjahr  1893/94.  Soest,  Buchdruckerei  von 
Hoffmann,   1894.     8.     42  SS. 

Verhandlungen  des  XIV.  Landtags  der  Provinz  Sachsen  vom  18.  Februar  bis 
einschliefslich  1.  März  1894.  2  Bände.  Merseburg,  Druck  von  A.  Leidholdt ,  1894.  4. 
(Bd.  I.  Stenographische  Berichte  456  SS. ;  Bd.  II :  Anlagen  zu  den  stenographischen  Be- 
richten  1123  SS.) 


Tarquan,  V.  (laureat  de  l'Institut),  Petit  manuel  de  l'assistance  publique,  des 
hospices,  hopitaux,  bureaux  de  bienfaisance  et  des  bureaux  d'assistance  m^dicale.  Paris, 
P.  Dupont,  1895.  in- 18  Jesus.  215  pag.  fr.  4. — .  (Table:  Textes  legislatifs  et  rdgle- 
mentaires.  —  Service  des  secours  k  domicile.  —  Projet  d'organisation  type  d'un  bureau 
d'assistance  dans  une  commune.  —  Rapport  sur  l'assistance  medicale,  par  Monod  (directeur 
de  l'hygiene  et  de  l'assistance  publique).  —  Tableaux  statistiques  I — IX :  Statistique  de  lits 
d'bopital  publics.  Reparation  des  lits  d'höpitäl  entre  la  population  urbaine  et  rurale 
(d'apres  l'enquete  du  30  juin  1892).  —  Populations  urbaines  possedant  des  lits  d'hopital. 
Assistance  hospitaliere  par  arrondissement.  —  Evaluation  des  depenses  devant  resulter 
de  l'application  de  la  loi  sur  l'assistance  medicale.   —   etc.) 

Annual  report  of  the  Secretary  of  the  Interior  (U.  St.)  for  the  fiscal  year  ending 
June  30,  1893.  Vol.  I  and  II.  Washington  Government  printing  Office,  1893.  gr.  in-8. 
XCVI — 476;  1172  pp.  (Contents.  Vol.  I  pag.  1  sqq.:  Report  of  the  Commissiouer  of  the 
General  Land  Office  ;  Vol.  II  pag.  1 — 1151:  Report  of  the  Commissioner  of  Indian  affairs, 
with  map  showing  Indian  reservations  within  the  limits  of  the   U.  States.) 

Gregory,  W.  (Sir,  formerly  member  of  Parliament  and  something  Governor  of 
Ceylon),  An  autobiography.      London,  Murray,   1894.     8.     380  pp.     16/. — . 

Johnston  (Commissioner),  First  three  years'  administration  of  the  eastern  portion 
of  British  Central    Africa,    Report.     London,    Eyre  &  Spottiswoode,    1894.     8.      1/.101/». 

Report,  the  first,  of  the  Commissioners  for  inquiring  into  the  administration  and 
Operation  of  the  poor  laws  in  1834.   London,  Eyre  &  Spottiswoode,  reprinted   1884.  8.  2/. 6. 

Statutes  of  the  province  of  Quebec,  passed  in  the  LVIBh  year  of  the  reign  of 
H.  Maj.  Queen  Victoria  and  in  the  3rd  Session  of  the  VllP-h  legislature ,  9tri  November 
1893— 8*h  January   1894.     Quebec,  printed  by  Ch.   F.   Langlois,   1894.  gr.  in-8.    440  pp. 

Vacchelli,  G.  (avvocato),  Le  basi  psicologiche  del  diritto  pubblico.  Milano,  U. 
Hoepli  edit.,  1895.  8.  152  pp.  1.  2,50.  (Contiene :  Osservazioni  critiche  intorno  ai 
principi  del  diritto  pubblico.  —  Lineamenti  generali  del  fenomeno  psichico  collettivo.  — 
I  problemi  della  politica  e  la  psicologia  sociale.  —  Applicazioni  alle  istituzioni  amrni- 
nistrative.   — ) 


Uebersieht  über  die  neuesten   Publikatioi.en   Deutschlands   und  des  Auslandes.      937 

Westlake,  J.,  Charters  on  the  priiii-iples  of  international  law.  Cambridge,  t'i .'.- 
versity  press,  1894.  gr.  in-8.  XVI — 275  pp.,  clolh.  10/. — ■  (Contents:  International 
law  in  relation  to  law  in  general.  —  Theory  bearing  on  international  law  down  to  the 
renaissanee:  Grece.  Rome  ijus  gentium,  jus  naturale).  DisBOlntion  of  the  KomHn  empire  : 
Isidore  of  Seville.  The  renaissanee:  Suarez.  —  Ayala.  Gentilis.  Orotins.  —  The  peace 
of  Westphalia  and  Pufendorf.  —  Bynkershoek.  Wclff.  Vattel.  —  The  principles  of  inter- 
national law.  —  The  equality  and  independence  of  States.  —  International  rights  of  selt- 
preservatioc  —  Territorial  sovereignty,  especially  with  relation  to  nncivilised  regions.  — 
The  empire  of  India.   —   War.  — ) 

12.  Statistik. 

Allgemeines. 

Zusammenstellungen,  statistische,  über  Blei,  Kupfer,  Zink  und  Zinn  von 
der  Metallgesellschaft  Frankfurt  a/M.  in  den  Jahren  1889—1893.  Frankfurt  a/M.,  Druck 
•von  C.  Adelmann,   1894.      8.     (Nicht  im  Handel.) 

de  Villars,  E.  (officier  superieur  du  genie  en  retraite),  Statistique  generale  des 
richesses  mine'rales  et  metallurgiques  de  la  France  et  des  principaux  Etats  de  l'Europe. 
Consistance  des  prineipales  mines  et  usines  1894.  Paris,  Dunod  &  P.  Vicq,  1894.  4. 
251  pag.  Reue.  fr.  20. — .  (Die  statistischen  Daten  beziehen  sich  auf  die  Jahre  1892  und 
1893.) 

Deutsches  Reich. 

Anweisung  zur  Vornahme  statistischer  Ermittelungen  über  den  Post-  und  Tele- 
graphenverkehr.    Berlin,  Druck  der  Reichsdruckerei,   1894.     4.     IV — 132  SS. 

Beiträge  zur  Statistik  des  Grofsherzogtums  Baden.  Herausgegeben  vom  statisti- 
schen Bureau.  Neue  Folge  Heft  ö  (zugleich  der  ganzen  Reihe  51.  Heft).  Karlsruhe, 
Chr.  Fr.  Müller,  1894.  4.  26  u.  25  SS.  mit  4  Karten  in  greifst.  Imp.-folio.  (Inhalt: 
Die  Volksdichte  im  Grofsherzogtum  Baden  nach  der  Höhenlage  der  Wohnorte  darge- 
gestellt  von  Ludwig  Neumaun  (Prof.  der  Geographie  an  der  Universität  Freiburg)  mit  je 
1  Höhenschichten-  und  Volksdichtenkarte  Badens  im  Mafsstab  1:300  000.  —  Die  Körper- 
gröfse  der  Wehrpflichtigen  im  Grofsherzogtum  Baden  in  den  Jahren  1840  bis  1864.  Dar- 
gestellt auf  Grund  der  Kekrutierungslisten  für  Gemeinden,  Amtsbezirke  und  Kreise  von 
O.  Ammon.     Mit   2   Karten   in  gröfst.   Imp.-folio.) 

Bericht,  XXVI.  statistischer,  über  die  Pfründen-  und  Krankenanstalt  des  k.  Julius- 
spitals zu  VVürzburg  für   1893.     Würzburg,    Druck  von  H.    Stürtz,   1894.     gr.   8.     48  SS. 

Erhebung  über  die  Arbeitszeit  in  Bäckereien  und  Konditoreien.  Teil  II.  —  Er- 
hebung über  die  Arbeitszeit  in  Getreidemühlen.  Veranstaltet  im  Sommer  1893  Berlin, 
Heymann,  1894.  Folio.  63  SS.  u.  IV— 84  SS.  (A.  u.  d.  T.  :  Drucksachen  der  Kom- 
mission  für  Arbeiterstatistik.   Erhebungen  Nr.    3  u.  4.) 

Erhebung  über  die  Arbeits-  und  Gehaltsverhältnisse  der  Kellner  und  Kellnerinnen. 
Veranstaltet  im  Jahre  1893.  Bearbeitet  im  kais.  statistischen  Amt.  Berlin,  Heymann, 
1894.  Folio.  149  SS.  (A.  u.  d.  T.  :  Drucksachen  der  Kommission  für  Arbeiterstatistik, 
Erhebungen   Nr.   6  ) 

Erhebung  über  Arbeitszeit,  Kündigungsfristen  und  Lehrlingsverhältnisse  im  Han- 
delsgewerbe. Teil  III.  Inhalt :  Ergebnis  der  Umfrage  über  die  Einführung  einer  einheit- 
lichen Ladecschlufsstunde.  Gutachten  des  kais.  Gesundheitsamtes  über  den  Einflufs  der 
Beschäftigung  der  Handlungsgehilfen  und  -Lehrlinge,  sowie  der  Geschäftsdiener  auf  deren 
Gesundheit.  Berlin,  C.  Heymann,  1894.  Folio.  88  SS.  (A.  u.  d  T.  :  Drucksachen  der 
Kommission   für  Arbeiterstatistik,   Erhebungen  Nr.   7.) 

Handel,  auswärtiger,  des  deutschen  Zollgebiets  im  Jahre  1893.  Teil  II:  Darstel- 
lung nach  Warengattungen.  Berlin,  Puttkammer  &  Mühlbrecht,  1894.  Imp -4.  IV — 298  SS. 
M.  6.—.      (A.  u.   d.  T. :   Statistik  des  Deutschen   Reichs.     Neue   Folge  Bd.   74) 

Jahrbuch,  statistisches,  für  das  Königreich  Bayern.  Jahrg  I:  1894.  München, 
Lindauer,  1894.  gr.  8.  X — 284  SS.  u.  8  Tafeln  graphischer  Darstellungen.  (Heraus- 
gegeben vom  kgl.  statistischen  Bureau.  Inhalt:  Staatsgebiet  und  Bevölkerung.  —  Land- 
wirtschaft. —  Bergwerke,  Salinen  und  Hütten.  —  Gewerbe,  Handel,  Industrie,  Verkehr. 
—  Versicherungswesen.  —  Finanzwesen.  —  Oeffentliehe  Fürsorge.  —  Kirchliche  Ver- 
hältnisse. —  Unterrichtswesen.  —  Medizinal-  und  Veterinärwesen.  —  Justiz-  und  Gefäng- 
niswesen. —   Militärwesen.    —   Wahlen.   —  Meteorologie.  — ) 

Jahrbuch,  statistisches,   der  Stadt  Berlin.  Jahrg.   XIX.   Statistik  des  Jahres   1892. 


C)QQ     Uebersicht  über  die  neuesten   Publikationen   Deutschlands  und  des  Auslandes. 

Im  Auftrage  des  Magistrates  herausgegeben  von  R.  Böckh.  Berlin,  P.  Stankiewicz,  1894. 
gr.{8.     XVI— 448  SS. 

Mitteilungen  des  Bernischen  statistischen  Bureaus.  Jahrg.  1894.  Lieferung  2. 
Bern,  Buchdruckerei  Obrecht  &  Käser,  8  (Inhalt  :  Ueber  die  Leistungen  der  organisierten 
freiwilligen   Krankenpflege  im  Kanton   Bern  und  verwandte  Bestrebungen.) 

Preufsische  Statistik.  (Amtliches  Quellenwerk.)  Herausgegeben  in  zwanglosen 
Heften  vom  k.  statistischen  Bureau  in  Berlin.  Heft  132:  Die  Sterblichkeit  nach  Todes- 
ursachen und  Altersklassen  der  Gestorbenen,  sowie  die  Selbstmorde  und  die  tödlichen 
Verunglückungen  im  preufsischen  Staate  während  des  Jahres  1892.  Berlin,  Verlag  des 
Bureaus,   1894.     Roy.-4.     XXVI— 248  SS.     M.   7,20. 

Preufsische  Statistik.  Heft  133:  Die  Ergebnisse  der  Ermittelung  der  landwirt- 
schaftlichen Bodenbenutzuug  und  des  Ernteertrages  im  preufsischen  Staate  im  Jahre  1893. 
Berlin,   k.  statist.  Bureau,   1894.     Roy. -4.     XCVI— 221   SS.     M.   8,60. 

Statistik  der  Krankenversicherung  der  Arbeiter  im  Jahre  1892.  Berlin,  Putt- 
kammer &  Mühlbrecht,  1894.  Imp.-4.  XL— 184  SS.  M.  5.—.  (A.  u.  d.  T.  :  Statistik 
des  Deutschen   Reichs,  N.  F.   Bd.   72.      Herausgegeben   vom  kais.  statistischen  Amt.) 

Uebersichten,  tabellarische,  des  Lübeckischen  Handels  im  Jahre  1893.  Lübeck, 
E.  Schmersahl,  1894.  gr.  4.  X — 142  SS.  (Zusammengestellt  im  Bureau  der  Handels- 
kammer.) 

Frankreich. 

Album  de  statistique  graphique  de  1893.  Paris,  imprim.  nationale,  1894.  Roy.  in-4. 
18  pag.  texte  et  21  planches.  (Sommaire  des  planches  :  Chemins  de  fer,  resultats  generaux 
d'exploitation  en  1891  ;  resultats  compares  d'exploitation  avant  et  apres  la  reforme  des 
tarifs;  les  tarifs  de  petite  vitesse  en  France  et  en  Angleterre.  —  Navigation  interieure: 
Resultats  geueVaux  d'exploitation  en  1892;  decomposition  du  tonnage  des  voies  navigables 
en  1891.  —  Navigation  maritime:  Cours  moyeu  des  frets  pour  le  transport  des  houilles 
anglaises  en  1892.  —  Les  progres  economiques  de  la  France  et  le  mouvement  des  trans- 
ports  de  1847  ä  1892,  —  Le  chronotachymetre  enregistreur  du  mouvement  des  cages 
dans  les  puits  de  mines.  —  Publieatiou  du  Ministere  des  travaux  publics.) 

Statistique  des  greves  et  des  recours  ä  la  conciliatiou  et  ä  l'arbitrage  survenus 
peudant  l'annee  1893-  Paris,  imprimerie  nationale,  1894.  gr.  in-8.  425  pag.  fr.  3,50. 
(Publieatiou  du  Miuistere  du  commerce,  de  l'industrie,  des  postes  et  des  telegraphes. 
Office  du  travail.) 

Statistique  de  la  produetion  de  la  soie  en  France  et  ä  l'etranger.  XXIII'eme 
annee  :  Recolte  de  1893.  Lyon,  impr.  Pitrat  aine,  1894.  Roy.  in-8.  44  pag.  et  annexes  : 
2  tables  obl.  in-folio.  fr.  2,50.  (Publication  du  Syndicat  de  l'Union  des  marchands  de 
soie  de  Lyon.) 

0  esterreich-Ungarn. 

Gebarung,  die,  und  die  Ergebnisse  der  Krankheitsstatistik  der  nach  dem  Gesetze 
vom  30.  März  1888  (RGBl.  33)  betreffend  die  Krankenversicherung  der  Arbeiter  ein- 
gerichteten Krankenkassen  im  Jahre  1892.  Wien,  k.  k.  Hof-  u.  Staatsdruckerei,  1894. 
4.     IV — 139   SS.   u.  2  Tafeln  graphischer  Darstellungen. 

Jahrbuch,  statistisches,  des  k.  k.  Ackerbauministeriums  für  1893.  Heft  2:  Der 
Bergwerksbetrieb  Oesterreichs  im  Jahre  1893.  Lieferung  1:  Die  Bergwerksproduktion. 
Wien,  k.  k.  Hof-  u.  Staatsdruckerei,   1894.     gr.   8.      159   SS. 

Karpeles,  B„  Die  Arbeiter  des  mährisch-schlesischen  Steinkohlenreviers.  Sozial- 
statistische Untersuchungen.  Band  I  (2.  Hälfte)  Leipzig ,  Duncker  &  Humblot ,  1894. 
Roy.-8.     S.  149—306.     M.  7,20. 

Mitteilungen  des  statistischen  Bureau  des  Landeskulturrates  für  das  Königreich 
Böhmen  für  das  Jahr  1891—1892.  Prag,  Calve,  1893  gr.  Lex.-8.  LVI— 16 ;  XIII— 
18  SS.  Mit  2  graphischen  Darstellungen:  Getreidepreise  in  Böhmen  pro  hl  vom  Jahre 
1800 — 1890.  Zuckerrübenbau  in  den  einzelnen  Bezirken  Böhmens  im  Verhältnis  zur 
Ackerfläche,  nach  5jähr.   Durchschnitt  der  Jahre   1887  —  1891.     M.   3.—. 

Statistik  des  auswärtigen  Handels  des  österreichisch-ungarischen  Zollgebiets  im 
Jahre  1892.  Verfafst  und  herausgegeben  vom  statistischen  Departement  im  k.  k.  Han- 
delsministerium. Band  1 :  Einleitung,  Hauptergebnisse,  Warenverkehr  mit  den  einzelnen 
Staaten  und  Gebieten.  Wien,  Druck  und  Verlag  der  k.  k.  Hof-  u.  Staatsdruckerei,  1894. 
gr.  8.     CLXV1-865  SS.     fl.  4.—. 


Uebersicht  über  die  neuesten  Publikationen  Deutschlands  und  des  Auslandes.     939 

Ru  fs  1  a  n  d. 

Beiträge    zur    Statistik    des    Rigaschen    Handels.      Jahrgang    1893.      Abteilung    1 
Rigas  Handelsverkehr  auf  den  Wasserwegen.      Herausgegeben    im  Auftrage    der    handels- 
statistischen Sektion    des  Rigaer  Börsenkomitees,    von  A.  Tobien.     Riga,    Buchdr.   Ruetz, 
1894.     Imp.-folio.     XI— 123  SS. 

Holland. 
Statistiek  van  den  in-,  uit-  eu  doorvoer  over  het  jaar  1893.    II.   gedeelte.    'sGraven- 
hage   1894.      Folio.     XX  en  bz.  506  — 833.      (Inhalt;  Handelsverkehr   des  KR.   der  Nieder- 
lande im  Jahr   1893,    geordnet  nach   den  verschiedenen   Ein-,   Aus-  und   Durchführendem. 
Herausgegeben  von  dem   k.   niederländischen    Finanzministerium.) 

Norwegen. 
Norges  officielle  Statistik.  III.  Raikke  (Serie)  N°  185:  Sundhedstilstanden  etc. 
CLIV  pp.  (Oeflfentliche  Gesundheitspflege  im  Jahr  1891.)  —  N°  18G  :  Civile  Retspleie. 
36  pp.  (Civilgerichtsstatistik  für  1891.)  —  N°  187:  De  offentlige  Jernbaner.  XLl — 
280  pp  (Staatseisenbahnstatistik  für  das  Betriebsjahr  1.  VII.  1892—30.  VI.  1893  )  — 
N°  188:  Tabeller  vedkommende  Norges  Kriminalstatistik  for  Aaret  1891.  57  pp.  — 
N°  189:  Sindssygeasylernes.  IV— 72;  43  pp.  (Irrenanstaltsstatistik  für  1892.)  —  N°  190 : 
Skiftevaesenet  i  Aaret  1891.  63  pp.  (Fallissements-,  Erbschafts-,  Eigentumswechsel-  und 
Pupillenstatistik  für  1891.)  —  N°  191:  Norges  Handel  i  Aaret  1893.  XXII— 234  pp.  — 
N°  192:  Norges  Skibsfart  i  Aaret  1892.  XI-138  pp.  (Binnen-  und  Seeschiffahrt,  Han- 
delsflotte.)— N°  193:  Norges  Sparebanker  i  Aaret  1893.  X—  71  pp  —  N°  194:  Distrikts- 
fsengsler.  51  pp.  (Kreisgefäntjnisstatistik,  Verwaltungsjahr  1892.) —  N°  195:  Skolevsesenets 
Tilstand.  LI — 203  pp.  (Statistik  des  öffentlichen  Unterrichts  in  Norwegen  für  das  Jahr 
1890.)  —   N°    196:    Kommunale  Finantser.   97   pp    (Gemeindefinanzstatistik   für   1891) 

Amerika  (Vereinigte  Staaten). 
Anuual  report,  XXIVth  (  of  the  Bureau  of  statistics  of  labor  (for  the  commonwealth 
of  Massachusetts).  Boston,  Wright  &  Potter  print.,  1894.  8.  XIII— 311  pp.  cloth.  (Contents: 
Part  I.  Unemployment :  1.  Leading  historical  examples  of  public  aid  to  the  unemployed. 
2.  Modern  plans  for  dealing  with  the  unemployed.  3.  Current  Statistical  matter  relating 
to  local  conditions.  4.   Concluding  summary.  —   Part  II:    Labor  chronology.) 

Asien  (China). 

China.  Imperial  maritime  customs.  I.  Statistical  series ,  N°  2:  Customs  gazette. 
N°  CII,  April— June  1894.  Shanghai,  Kelly  &  Walch,  and  London,  King  &  Son,  1894. 
4.  IV — 222  pp.  (Index:  Quarterly  returns  of  trade.  —  Report  of  dues  and  duties.  — 
Fines  and  confiscations  —  Notifications.  —  Movements  in  the  Service.  —  Vessels  measured 
for  tonnage.  —  Corea:  quarterly  returns  of  trade  :  Jenchuan,  Fusan,  Yuensan.  —  Kowloon 
and  Lappa:  quarterly  returns  of  trade.  —  Luugchow,  Mengtsz,  and  Yatung :  quarterly 
returns  of  trade.  — ) 

China.  Imperial  maritime  customs.  II.  Special  series:  N°  2:  Medical  reports  for 
the  half-year  ended  30lh  September  1891.  42nd  issue.  Shanghai,  Kelly  &  Walsh,  and 
London,  King  &  Son,  1894.  4.  VI— 47  pp.  (Contents:  Report  on  the  health  of  Wuhu 
for  the  2*/2  years  ended  30th  IX.  1891.  —  Report  on  the  health  of  Seoul  (Corea)  for 
the  year  ended  30th  VI.  1891-  —  Report  on  the  health  of  Swatow  for  the  year  ended 
SOthIX.  1891.  —  Report  on  'he  health  of  Chemulpo  (Corea)  for  the  half-year  ended 
30thIV.  1891. —  Reports  on  the  health  of  Kinkiang,  Iehang,  Pakhoi.  Wenchow,  Shanghai 
for  the  year  ended  30th  IX.  1891.  —  Medical  report  on  Chungking.  —  Abdominal  hyster- 
ectomy  in  Japan.  —  The  influenza  epidemics  in  Foochow.  —  On  J.  T.  Roe's  theory 
that  influenza  is  endemic  in  China.  — ) 

13.  Verschiedenes. 
Bericht  über  die  Verhandlungen  des  christlichen  Studentenkongresses  abgehalten 
zu  Frankfurt  a/M.  am  18.  u.  19.  Mai  1894.  Göttingen,  Vandenhoeck  &  Ruprecht,  1894. 
gr.  8.  IV— 104  SS.  M.  1,40.  (Inhaltsauszug:  Ueber  die  Sittlichkeit,  von  (Direktor) 
H.  Bauer  (Niesky).  —  Das  akademische  Studium  und  der  Kampf  um  die  Weltanschau- 
ung, von  (Prof.)  Reischle  (Giefsen).  —  Der  Student  im  Verkehr  mit  den  verschiedenen 
Volkskreisen,   von  (Pfarrer)  Fr.  Naumann  (Frkf.   a/M.).   — ) 


940      üeber&icht  über  die   neuesten   Publikationen   Deutsehlands  und  des  Auslandes. 

B  i  s  m  a  r  c  k  -  Jabibueh.  Herausgegeben  von  Horst  Kohl.  Band  I.  Berlin,  HäringW 
1894.  gr.  8.  XVI— 516  SS.  M.  10 — .  (Aus  dem  Inhalt:  Urkunden  und  Briefe.  — 
Chronik  vom  17.  IX.  1893  bis  16.  IX.  1894.  —  Einige  Artikel  der  „Hamburger  Nach- 
richten" 1893  —  94.  —  Fürst  von  Bismarck  im  Kulturkampfe  I.,  von  Graue  (Chemnitz).  — 
Herr   v.  Bismarck-Schönhausen  als  Mitarbeiter  der  Kreuzzeitung  I.,  von  H.  Kohl.   —  etc.) 

Engelmann,  Th.  W.,  Gedächtnisrede  auf  Hermann  v.  Helmholtz  gehalten  am 
28.  IX.  1894  in  der  Aula  der  Universität  Utieeht).  Leipzig,  W.  EDgelmann,  1894.  gr.'S. 
34   SS.     M.   0,60 

Gaffky,  G.  (Prot.,  Giefsen),  Die  Cholera  im  Deutschen  Reiche  im  Herbst  1892  und 
Winter  1892/93.  I.  Die  Cholera  in  Hamburg.  Im  Auftrage  der  Reichs- Cholerakommission 
und  unter  Mitwirkung  genannter  Autoren  bearbeitet.  Berlin,  Springer,  1894.  gr.  Lex. -8. 
128  SS.  u.  164  SS.  Anlagen  mit  12  Tafeln  in  Imp.-qu.-folio.  (A.  u.  d.  T. :  Arbeiten 
aus  dem  kais.   Gesundheitsamte,   Bd.  X  Heft  1.) 

Gümpel,  C.  G..  Ueber  die  natürliche  Immunität  gegen  Cholera.  Verhütung  dieser, 
sowie  ähnlicher  Krankheiten  durch  einfache  physiologische  Mittel.  München,  J.  F.  Leh- 
mann,  1894.      gr.  8.      IV— 71   SS.     M.   2.—  . 

Handbuch  der  Erziehungs-  und  Unterrithtslehre  für  höhere  Schulen.  In  Verbin- 
dung mit  genannten  Autoren  herausgegeben  von  A.  Baumeister.  Band  I,  Abteilung  1: 
Geschichte  der  Pädagogik  von  (Prof.)  Th.  Ziegler.  München,  C.  II.  Beck,  1895.  gr.  8. 
LXX— 361  SS.  M.  6,50.  (Das  Werk  wird  in  8  Halbbänden  ä  M.  6"bis  M.  6,50  er- 
scheinen.) 

He  gar,  A.  (Prof.  der  Gynäkologie,  Freiburg  i/B),  Der  Geschlechtstrieb.  Eine 
sozial-medizinische  Studie.      Stuttgart,  Enke,    1894.     gr.  8.     VI— 154  SS.     M.  4,80. 

Jahresbericht,  XXIV.,  des  Vereins  schweizerischer  Gymnasiallehrer.  Aarau. 
Sauerländer  &  C°,  1894.     gr.  8.     84  SS.     M.   1,80. 

Jahresberichte  über  das  höhere  Schulwesen,  herausgegeben  von  C.  Rethwisch. 
Jahrgang  VIII:    1893.     Berlin,  R.   Gaertner,   1894.     gr.  8.     M.  14.—. 

Kalender  für  Elektrotechniker.  Herausgegeben  von  F.  Uppenborn  (Ingenieur, 
München).  Jahrg.  XII,  1895.  2  Teile.  München,  Oldenbourg,  1894.  12.  IV— 330  u. 
IV— 172  SS.  mit  269   Abbildungen  u.   3   Tafeln.     M.   5.—.     (Teil  I  geb.) 

Korrespondenz,  politische,  Friedrichs  des  Grofsen.  Band  XXI.  Berlin,  A. 
Duncker,  1894.  gr.  8.  VIII— 600  SS.  M.  15.—.  (Umfassend  die  Jahre  Oktober  1761 
bis  Juni   1762,  redigiert  von  Kurt  Treusch  v.   Buttlar  und  O.  Herrmann.) 

Pfizer,  G.  (vorm.  LandGerR.  in  Ulm),  Der  Achtung  unwürdig!  Ein  Fall  württem- 
bergischen Disziplinarverfahrens.     Stuttgart,   Lutz,   1894.      8.     80  SS.     M.   1. — . 

R  e  g  e  1  ,  F  r.  (a.  o.  Prof.  der  Geographie,  Jena),  Thüringen.  Ein  geographisches 
Handbuch.  Teil  II.  Biogeographie.  1.  Buch:  Pflanzen-  und  Tierverbreitung.  Jena,  G. 
Fischer,   1894.     gr.  8.     VI— 379  SS.     M.   7.— . 

Reifsenberger,  L.,  Die  Kerzer  Abtei.  Hermannstadt,  F.  Michaelis,  1894.  gr.  8. 
59  SS.  mit  H.  u.  4  Tafeln.  (Herausgegeben  vom  Ausschufs  des  ,, Vereins  für  Siebeu- 
bürgische  Landeskunde".) 

Reusche,  Fr.,  Gefängnisstudien.  Leipzig,  Rengersche  Buchhdl.,  1894.  S.  VIII — 
167  SS. 

Schienther,  P.,  Der  Frauenberuf  im  Theater.  Berlin,  R.  Taendler,  1895.  gr.  S. 
M.  0,60.  (A.  u.  d.  T.  :  Der  Existenzkampf  der  Frau  im  modernen  Leben,  hrsg.  von  G. 
Dahms,  Heft  2.) 


Annuaire  pour  l'an  1894,  publie  par  le  Bureau  des  longitudes.  Paris,  Gauthier- 
Villars,  1894.  16.  V— 722;  163  pag.  fr.  1,50.  (Extrait  de  table,  pag.  356  ä  532: 
Poids  et  mesures.  —  Monnaies.  —  Tables  d'amortissement  et  d'int&et.  —  Geographie, 
statistique    et  tables  de  mortalite.) 

Boursin,  E.  et  A.  Challamel,  Dictionnaire  de  la  Revolution  francaise,  in- 
stitutions,  hommes  et  faits.  Paris,  Jouvet  &  C><?,  1893.  Roy.  in-8.  VIII — 935  pag. 
fr.  15. — .  (Sommaire:  France  sous  Louis  XVI.  —  Institutions  de  l'ancien  regime.  — 
Etats  gendraux.  —  Serment  du  jeu  de  paume.  —  La  Constituante.  —  L'Assemblee  legis- 
lative.  —  La  Convention.  —   Les    armees    de    la  Republique.  —   Guerres    de    la  Vende'e. 

—  Le  Directoire.   —   Conseil  des  Cinq  Cents.  —  Conseil  des  Anciens.  —  Le    18  brumaire. 

—  Le  Consulat.) 

Dechevrens,  A,  Les  universites  catholiques  autrefois  et  aujourdhui.  Orleans, 
impr.   Morand,    1894.     8.     XXVII— 397    pag. 


Die  periodische  Presse  des  Auslandes.  941 

tj|L  a  s  s  a  1  1  e  ,  Ch.,  Tableaux  synoptiiiies  de  la  division  militiiire  de  la  France,  dresses 
d'apres  les  documents  officiels.  Commandement  du  territoire,  division  eantonale.  sub- 
divisionnaire  et  regionale,  division  maritime,  Algerie,  colonies  et  protectorats.  Pari>, 
Berger-Levrault,   1894.     gr.   in-8.     VI— 134   pag.     avee  carte,     fr.   8,50: 

Drymoud,  J.,  Essays  on  the  principles  of  morality,  and  ou  tlie  rights  and  obli- 
gations  of  mankind.     9*a    edition.     Dublin,   Eaaon,    1894.      8.      302   pp.      1 /.  — . 

K  o  c  li  (Prof),  On  the  bacteriological  diagnosis  of  Cholera :  Water  filtration  and 
the  Cholera  in  Germany  during  the  winter  of  1892—93.  Translated  by  G.  Duncan. 
London,  Simpkin,   1894.      8.      154  pp.     6/. — . 

Report  of  the  Commissioner  of  Education  for  the  year  1890 — 91.  2  vols.  (vol. 
II  in  2  parts.)  Washington,  Government  printing  Office,  1891.  gr  in-8.  XXXV — 
1549  pp.  eloth. 

Tay  ler,  A.  J.  W.,  The  sanitary  arrangement  of  dwelling-houses :  a  handbook  for 
liouse-holders  and  owuers  of  houses.  London  ,  Lockwood  &  Sons,  1894.  crown-8. 
206  pp.      2/6. 

Avolio,  G.,  Democrazia  cristiana  o  auarchia :  conferenza.  Bologna,  tip.  L.  Pon- 
getti,  1894.     16. 

Verslag  von  de  bevindingen  en  handelingeu  van  het  geneeskundig  staatstoezicht 
iu  het  jaar  1891.  'sGravenhage,  van  Weelden  &  Mingeleu,  1894.  4.  IV — 370  blz. 
met  4  graphische  voorstellingen.  (Holländischer  Bericht  über  das  öffentliche  Gesundheits- 
wesen für  das  Jahr  1891.     S.   107/159  :   Volksgesundheitspflege.) 


Die  periodische  Presse  des  Auslandes. 

A.     Frankreich. 

Bulletin  de  statistique  et  de  legislation  conaparee.  XVIIlitme  annee,  1894, 
Octobre :  A.  France,  colonies:  Le  nouveau  projet  de  budget  pour  l'exercice  1895.  — 
Le  projet  de  reforme  du  regime  des  boissons.  —  Le  projet  de  reforme  des  droits  de 
mutation.  —  Les  produits  de  l'enregistrement,  des  domaines  et  du  timbre  constates  pen- 
dant  l'exercice  1893).  —  Achats  et  ventes  de  rentes  effectues  pour  le  compte  des  departe- 
ments.  —  Les  contributions  directes  et  les  taxes  assimilees.  —  Les  reveous  de  l'Etat 
([es   neuf  premiers    mois  de   1894).  —  Le  commerce  exterieur,    mois  de  Septembre   1894. 

—  B.  Pays  etrangers :  Pays  divers.  Situation  des  principales  banques  d'emission  ä  la 
fin  du  troisieme  trimestre  de  1894.  —  Angleterre :  La  dette  publique.  —  Pays-Bas :  Le 
projet  de  budget  pour  l'exercice  1895.  —  Autriche-Hongrie  :  Le  projet  de  budget  commun 
pour  1895.  Le  projet  de  budget  autrichien  pour  1895.  Le  projet  de  budget  hongrois 
pour  1895.  —  Russie:  Les  nouveaux  Statuts  de  la  Banque  de  Russie  (suite  et  flu).  — 
Etats-Unis:   Le  nouveau  tarif  douanier  (suite  et  fin).  — 

Journal  du  droit  international  prive  et  de  la  jurisprudence  comparee.  Annee  XXI, 
1894,  Kos  VII-VI1I-1X-X :  La  couveution  "du  14  octobre  1890  sur  le  transport  inter- 
national des  marchandises  par  chemins  de  fer ,  par  Lyon  Caeu  (suite)  —  Des  droits 
d'enregistrement  etc.,  par  A.  Wahl  (suite).  —  De  la  condition  juridique  des  etrangers 
d'apres  les  lois  et  traites  en  vigueur  sur  le  territoire  de  l'Empire  d'Allemagne,  par  J. 
Keidel  (fin).  —  Le  droit  international  prive  etc.  par  A.  Pillet  (suite).  —  Questions  de 
competence  soulevees  en  matiere  pönale  par  l'etablissement  du  protectorat  de  la  France 
sur  la  Tunisie,  par  A.  Souchon  (agrege  a  la  faculte  de  droit  de  Lyon).  —  Applications 
pratiques    des    lois  francVises    sur  la  nationalite    par  l'administration,  par  G.   Gruffy  (tin). 

—  La  question  de  la  competence  dans  l'affaire  Zappa,  par  P.  Missir  (prof.  k  la  faculte 
de  droit  de  Jassy.)  —  etc. 

Journal  des  Economistes.  R^vue  mensuelle.  53e  Annee,  1894,  15  Octobre  et 
15  Novembre  1894:  Les  travaux  parlementaires  de  la  Chambre  des  deputes,  1893  — 1894, 
par  A.  Liesse.  —  Le  capital  (suite  et  flu),  par  G.  du  Puynode.  —  Mouvement  colonial, 
par  Meyuers  d'Estrey.  —  Revue  des  principales  publications  economiques  de  lYtranger, 
par  Maur.  Block.  —  La  question  de  la  paix,  par  Fr.  Passy.  —  Le  deVeloppement  des 
chemins  de  fer  de  la  Russie,  par  D.  Bellet.  —  Societe  d'economie  pölitique,  seance  du 
5  octobre  1894.  Neurologie  :  Armand  Lalande  et  Ad.  Le  Hardy  de  Beaulieu.  Discussion  : 
Existe-t-il,    en   dehors  de  la  volonte    des  parties  contractantes,    un    moyen    de  determiner 


942  Die   periodische  Presse  des  Auslandes. 

avec  plus  de  justice  la  valeur  des  Services  que  les  hommes  se  rendent  entre  eux  ?  — ^Le 
socialisme  d'Etat,  par  L.  Say.  —  Les  bienfaits  de  Intervention  de  l'Etat,  par  Ladislas 
Domanski.  —  Mouvement  agricole,  par  G.  Fouquet.  —  Revue  des  principales  publications 
economiques  en  langue  francaise,  par  Rouxel.  —  Lettre  d'Autriche-Hongrie,  par  A.  E. 
Hörn.  —  Le  congres  de  Milan  sur  les  accidents  du  travail,  par  L.  Pauliau.  —  Les 
idees  economiques  de  M.  de  Caprivi,  par  A.  RafTalovich.  —  Le  commerce  de  la  Coree, 
par  D.  Bellet.  —  Societe  d'economie  politique,  seance  du  5  novembre  1894.  Discussion  : 
Y  aurait-t-il  moyen,  et  dans  quelles  conditions,  d'acclimater  en  France  des  societes^de 
constructions  analogues  aux  building  societies  d'Angleterre  ?  —  Comptes  rendus.3  — 
Chronique  economique.   —   etc. 

Journal  de  la  Societe  de  statistique  de  Paris.  XXXVieme  annee,  1894  N0_;iO 
Octobre:  Les  Operations  du  Mont-de-piete  de  Paris  ä  differentes  epoques,  depuis  sa 
creation  (1777),  par  E.  Duval.  —  Les  statistique  medicales  pour  l'armee  de  mer,  par 
A.  de  Malarce.  —  Le  canal  de  Suez.  —  Chronique  semestrielle  de  statistique  sur  les 
questions  ouvrieres    et  les  assurances  sur  la  vie,  par  Maur.   Bellom.   —  etc. 

Moniteur  des  assurances.  Revue  mensueüe.  Tome  XXVI,  N°  313,  314,  Octobre 
et  Novembre  1894  :  Quelles  sont  les  limites  de  l'intervention  de  l'Etat  en  matiere  d'assu- 
rances  ?  par  A.  Thomereau.  —  Etüde  sur  le  contrat  d'assurance  contre  les  accidents,  par 
E.  Pagot  (suites).  —  Assurance  contre  l'incendie.  Petition  des  agents  generaux  d'assurances 
du  departement  de  la  Somme.  —  Les  assurances  maritimes  a  Paris  en   1893,  par  P.  Sidrac. 

—  L'assurance  des  filatures  de  coton  en  Italie,  par  C.  —  Assurance  contre  l'incendie  : 
Du  role  de  l'inspecteur-verificateur,  par  A.  Candiani  —  Les  reassurances  etrangeres.  — 
Assurances  sur  la  vie :  Modeies  de  tableaux  pour  les  compagnies-vie.  —  etc. 

Reforme  sociale,  la.  XlVieme  annee:  1894,  Hlicme  Serie  N'os  86  ä  89,  16  Juillet 
ä  1er  Septembre :  Du  role  edueatif  Economique  et  moral  des  iustitutions  de  credit  popu- 
laire  urbain  et  rual,  par  E.  Rostand.  —  La  famille  aux  Nouvelles-Hebrides,  par  G. 
Beaune.  —  Les  meilleures  pratiques  de  la  paix  dans  l'industrie,  par  A.  Gibon.  —  Un 
mot  sur  la  decentralisation  de  l'industrie  dans  les  campagnes,  par  J.  Chorat.  —  La 
nouvelle  loi  beige  sur  les  societes  mutualistes,  par  E.  Dubois.  —  La  regie  des  alcools 
en  Suisse  et  l'alcoolisme,  par  (le  baron)  J.  d'Anethan.  —  La  Situation  des  ouvriers 
beiges,  reponse  ä  une  polemique,  par  A.  Julin.  —  Les  syndicats  ouvriers  aux  Etats- 
Unis,  par  J.   Finance.  —  Un  grand  patron  modele:    Mr.   Leonce  Chagot,  par  Ch.  Hamel. 

—  Un  economat  paroissial,  par  R.  Lavollee.  —  De  la  repression  de  la  mendicite  et  du 
Vagabundage,  d'apres  la  loi  beige  du  27  novembre  1891,  par  L.  Pussemier.  —  Les  assu- 
rances mutuelles  du  betail  et  le  cheplel  parmi  les  fermiers  et  paysans  du  Sud-Ouest  de 
la  France  et  du  Nord  de  l'Espagne,  par  Wentworth- Webster.  —  L'ouvrier  Canadien,  par 
J.  Keller.  —  Melanges  et  notices :  Le  prix  de  la  vie,  par  Angot  des  Rotours.  Les 
associations  et  la  poursuite  des  crimes  de  delits,  par  L.  Riviere.  —  Les  societes  coopera- 
tives  militaires,  par  A.  Fougerousse.  —  Le  mouvement  social  a  l'etranger,  par  J.  Caza- 
jeux.  —  Chronique  du  mouvement  social,  par  A.   Fougerousse.  —  etc. 

Revue  generale  d'administration.  XVIIitiroe  annee:  1894,  Mai — Septembre:  De 
la  gestion  d'-affaires  appliquee  au  Services  publics,  par  L.  Michoud  (prof.,  Grenoble). 
I  et  suite  1. — .  Procedure  devant  les  conseils  de  prefecture.  Des  visites  de  lieux,  par 
A.  Nectoux  (suite).  —  Les  sous-prefets,  par  un  ancient  sous-prefet.  —  De  la  responsabilite 
de  l'Etat  considere  comme  puissance  publique  a  l'egard  des  tiers,  par  J.  Lefournier 
(secretaire  general  d'Eure-et-Loir).  —  Des  droits  des  communes  sur  les  terres 
vaines  et  vagues.  Legislation  speciale  de  la  Bretagne  ä  cet  egard,  par  J.  Marie  (prof. 
ä  la  laculte  de  droit  de  Caen)  I  et  suite  1  et  2.  —  Le  marche  des  Services  p^nitentiaires. 
par  C.   Grauier  (inspecteur    general    des  Services  admiuistrat.  au  Ministere  de  l'interieur). 

—  Chronique  de  l'administration  franQaise.   —  etc. 

Revue  d'economie  politiqe.  8e  annee,  1894,  Nos  9 — 10,  Septembre — Octobre: 
L'homestead  en  Amerique,  par  E.  Levasseur.  —  La  premiere  statistique  des  societes 
eooperatives  de  cousommation  en  France,  par  Ch.  Gide.  —  Une  lettre  de  Karl  Marx 
(remarques  critiques  sur  le  programme  socialiste)  traduit  par  G.  Piaton.  —  La  conciliation 
et  l'arbitrage  en  Angleterre,  par  E.  Campredon  (ingenieur  civil  des  mines).  —  Chronique 
economique:  La  greve  Pullman  et  la  greve  generale.  Statistique  des  professions  en 
France,  par  Ch.   Gide  et  Maur.   Lambert.   —   Chronique  legislative.  —  etc. 

Revue  de  sociologie.  2e  annee  N°  10,  Octobre  1894:  De  l'assurance  contre  les 
accidents  du  travail,  par  Maur.  Bellom.  —  Les  destinees  de  l'art  social  d'apres  Proudhou, 
par    L.    Rosenthal.   —  Philosophie    du    droit    et    socialisme,    par    R.    dalla    Volta.   —  Le 


Die  periodische  Presse    des  "Auslandes.  (.  I4.'i 

premier  cougres  de  l'Institut    international    de    sociologie,    par  K.   Worms.  —   Mouvement 
social:   Venezuela,  par  Gil   Fortoul.  —  etc. 

Et|   E     .  1  a  n  d. 

Board  of  Trade]  Journal.  Editcd  by  tlie  Commercial  Department  of  the,'  Board 
of  Trade.  November  1894  :  Development  of  the  Kussian  mining  and  nutallurgical  in- 
dustries.  —  The  dairy  farniing  industry  in  Russia.  —  The  free  port  of  Copeul)agen.  — 
The  production  and  consumptiou  of  wine  in  France.  —  Commercial  ezhibitioo  at  Buda- 
pest. —  The  import  trade  of  Sinyrna.  —  Chili  as  a  coal  productive  eountry.  —  Load 
line  regulations  for  the  government  of  Bengal.  —  English  trade  and  foieigu  competitiou 
in  the  River  Plate.  —  The  commercial  importation  of  the  port  of  Sydney.  —  The  United 
States  customs  tarifl  (concludedj.  —  Extract*  Irom  diplomatic  and  cousular  reports.  — 
Tariff  changes  and  customs  regulations.  —  General  trade  notes.  —  Proceedings  of 
Chambers  ot  commerce.  —  State  of  the  skilled  labour  market,  etc.  —  Statistios  of  trade, 
emigration,  lisherie».  etc. 

Contemporary  Review,  the.  November  1894:  The  China- Japanese  couflict  aud 
after,  by  (Sir)  Tb.  Wade.  —  The  destruttion  oi  the  Board  school,  by  J.  Clifford.  — 
School  supply  in  the  middle  ages,  by  A.  F.  Leach.  —  The  eastern  Hindu  Kush,  by 
(Colone])  A.  C.  Durand.  —  A  new  theory  of  the  absolute,  by  (Prof.)  Seth.  —  The 
development  of  English  metres.  by  W.  Larminie.  —  The  amalgamation  of  London, 
by  Fr.   Harrison.   —  The   future  government  of  London,   by   G.   Laurence  Gomme.  —  etc. 

Economic  Review,  the.  Published  quarterly  for  the  Oxford  University  brauch  of 
the  Christian  Social  Union.  Vol.  IV,  N°  4,  October  1894  :  The  co-operative  Journal,  by 
(Rev.)  Lord  Bishop  of  Durham.  —  Compensation  and  the  licensing  question,  by  J.  J.  Cock- 
shott.  —  Predication  as  a  test  in  political  economy,  by  VV.  D.  Uc  Donnell.  —  Adul- 
terations  in  groceries,  by  a  wholesale  trader.  —  Two  views  of  social  progress,  by  (Rev.) 
Fr.  Relton.  —  The  plea  for  a  living  wage,  by  (Rev.)  L.  R.  Phelps.  —  Nicholson's 
,,Principles  of  political  economy",  by  S.  Ball.   —  etc. 

Fortnightly  Review,  the.  November  1894:  The  Crimea  in  1854  and  1894. 
Part  2,  by  (General  Sir)  E.  Wood.  —  China,  Japan,  and  Corea,  by  R.  S.  Gundry.  — 
Burning  questions  of  Japan,  by  A.  H.  Savage-Landor.  —  Women's  uewspapers,  by 
(Miss)  E.  March-Phillipps.  —  Rambles  in  Norsk  Fiumarken,  by  G.  Liudesay.  —  A  note 
on  Wordsworth,  by  Th.  Hutchinson.  —  Symmetry  and  ii:cident,  by  (Mrs.)  Meynell.  — 
Venetian  missals,   by  H.   P.   Hörne.  —  etc. 

Human  itarian,  the.  Edited  by  V.  W'oodbull  Martin.  November  1894:  Should 
the  same  Standard  of  morality  be  required  from  men  as  from  women  V  —  Heredity,  by 
St.  George  Mivart.  —  Politics  and  morals,  by  (the  Rev.)  Welldon.  —  The  new  womau 
in  fiction  and  in  fact,  by  M.  Eastwood  —  Lynch  law  in  the  United  States,  by  the 
same.   — 

National  Review,  the.  November  1894:  London  progressives  versus  London 
education,  by  J.  R.  Diggle.  —  An  attack  on  Lord  Stratford  de  Redclitfe  ,  by  St.  Lane- 
Poole.  —  The  Situation  in  Belgium,  by  Luis  de  Lorac.  —  Etoniana,  by  W.  Durnford.  — 
A  sham  Crusade,  by  a  radical  M.  Parliam.  —  Leafless  woods  and  grey  moorlauds.  by  a 
son  of  the  marshes.  —  Native  India  and  England  ,  by  Th.  Beck.  —  What  is  imperial 
defence?  by   (Admiral)  Colomb.   —   etc. 

New  Review,  the.  November  1894:  The  School  Board  election,  by  E.  Lyulph 
Stanley.  —  Government  sweating  in  the  clothing  contracts,  by  J.  Macdonald  (amalgamated 
Society  of  tailors).  —  Municipalities  at  work,  II.  Manchester,  by  Fr.  Dolman.  —  The 
fighting  force  of  China,  by  (Lieut.-Col.)  Gowan.  —  Secrets  from  the  court  of  Spain 
(VII).  —  The  great  underclothing  question,  by  S.  W.  Beck.   —  etc. 

Nineteenth  Century,  the.  Edited  by  J.  Knowles.  N°  212,  October  1894:  The 
seven  Lord  Roseberies,  by  St.  Loe  Strachey.  —  The  alleged  sojourn  of  Christ  in  India, 
by  (Prof.)  M.  Müller.  —  Cholera  and  the  Sultan,  by  E.  Hart.  —  Did  Omar  destroy  the 
Alexandrian  library?  by  R.  VasudevaRau.  —  The  farce  of  University  extension :  a  rejoinder, 
by  Ch.  Whibley.  —  A  Suggestion  to  sabbath-keepers,  by  (Prof.)  A.  R.  Wallace.  —  The 
Chinaman  abroad,  by  E.  Mitchell.  —  A  trip  to  Bosnia-Herzegovina,  by  M.  de  Biowitz. 
—  The  perilous  growth  of  India  State  expenditure,  by  (Sir)  Auckland  Colvin.  —  etc. 
Nineteenth  Century,  the.  N°  213,  November  1894:  What  has  become  of  home 
rule?  by  J.  E.  Redmond.  —  England  and  the  Coming  thunderstorm  :  a  German  view, 
by  F.  Boh.  —    Christian    socialism,    by    (the  Duke  of)  Argyll.     The    Parliaments  of  the 


944  ^ie  periodische  Presse  des  Auslände;. 

world,  by  J.  T.  Kay.  —  The  press  in  Turkey,  by  H.  A.  Salmone.  —  Babies  and  mon- 
keys,  by  Bucktnan.  —  The  people's  kitchens  in  Vienna ,  by  E.  Seilers.  —  More  light 
on  Antonio  Perez  ,  by  (Major)  M  A.  S.  Harne.  —  The  monometalist  creed  ,  by  H.  D. 
Mac  Lead.  —  The  Corean  crux :  a  word  for  China,  by  D  C.  Boulger.  —  Noncorformist 
forebodings,  by  (The  Rev.)  J.  Guinness  Rogers.  —  Tiie  Bible  in  elementary  schools,  by 
J.   G.  Fitch.  —   ,. Justice  to  England",  by  E.   Dicey.   —  etc. 

C.     Oesterreich -Ungarn. 

Deutsche  Worte.  Monatshefte  herausgegeben  von  E.  Pernerstorfer.  Jahrg.  XIV, 
1894.  10  Heft,  Oktober:  Gegenreformation  und  Bauernbefreiung  in  Böhmen,  Mähren  und 
Schlesien.  Buchbesprechungen  von  R.  Albing  (Wieu)  —  Aus  meinen  Proudh  m-Kollek- 
taneen  ,  von  A.  Mülberger  (Crailsheim).  —  Die  Erhebung  des  Vereins  für  Sozialpolitik 
über  die  Kartelle.  —  Eine  Selbstanzeige  (Referat  über  die  Schrift  des  Referenten:  „Die 
Yerwandtschaftsorganisationen  der  Australneger.  Ein  Beitrag  zur  Entwickelungsgeschichte  der 
Familie")  von  H.  Cunow  (Hamburg).  —  Ueber  die  Auffassung  des  Naturzustandes  im  vorigen 
Jahrhundert,  von  Th.  Achelis  (Bremen).  —  Einsame  Kämpfer,   von  B.   Weifs  (Wien),  etc. 

Monatsschrift  für  christliche  Sozialreform,  Gesellschaftswissenschaft  etc.  Jahr- 
gang XVI,  1894,  Heft  5 — 9  (St.  Polten):  Der  Sozialismus  fin  de  siecle,  von  J.  Scheicher. 
—  Das  Urheberrecht  der  bildenden  Kunst  ,  von  K.  Scheimpflug  (Schlufs).  —  Der  inter- 
nationale Arbeiterschutzkougrefs ,  von  M.  V.  —  Der  Mangel  der  Farmarbeiter  in  den 
V.  Staaten,  von  J.  Ch.  (in  New  York).  —  Ueber  die  Arbeiterfrage  ,  ihre  Entstehung  und 
die  Bestrebungen  zu  ihrer  Lösung,  von  Th.  Unkel.  —  Die  soziale  Solidarität  zur  Erwägung 
empfohlen,  von  J.  Scheicher.  —  Programm  der  katholischen  Sozialreformer  Italiens  ver- 
einbart zu  Mailand ,  3.  u.  4.  I.  1894.  —  Der  fünfte  internationale  Bergmannskongrefs, 
von  M.  Vogelsang.  —  Christlich-sozial  oder  sozialdemokratisch  ,  von  J.  Scheicher.  — 
Freund  Liberalismus  von  Lucius  (Fortsetzungen  und  Schlufs).  —  Etwas  über  europäische 
Kindersklaverei,  von  J.  P.  —  Du  sollst  von  deinen  Feinden  lernen,  von  Maurus.  — 
Arbeitskriege  in  Nordamerika,  von  M.  Yogelsang.  —  Kleine  Bilder  aus  dem  Bauernleben 
in  Niederösterreich,  von  L.  van  der  Pitten.  —  Der  neue  Kurs  der  Sozialpolitik,  von 
J.  Scheicher.  —  Was  ist  Zins?  von  W.  Hohoff  (Fortsetzung).  —  Studie  über  die  Grund- 
lagen der  Berufsorganisation,  von  H.  Lorin  (übersetzt  aus  der  ,. Association  catholique"). 
I. — III.  —  Das  soziale  Programm  des  Katholikentages  von  Mähren.  —  Das  neue  Sozial- 
programm der  katholischen  Sozialreformer  Frankreichs.  —  Sozialer  Kurs  der  österreichi- 
schen Leogesellschaft  (I).  —  Oesterreich  im  Jahre  2020  (über  die  Schrift  gleichen  Titels 
des  Wiener  Advokaten  Dr.  v.   Neupauer).   —   etc. 

Oes  te  r  reichisch  -  ungarische  Revue.  Jahrg.  IX,  1894.  Bd.  XVI,  Heft  4 — 6  : 
Aus  dem  südöstlichen  Teile  des  Okkupationsgebietes ,  von  K.  Went  v.  Römö  (nebst 
1.  Forts).  —  Die  Zustände  der  böhmischen  Landbevölkerung  vor  125  Jahren,  von  V. 
Goehlert.  —  Der  Wanderzug  der  Ungarn,  von  G.  Thirring.  —  Der  Dakoromauismus, 
von  (Prof.)  Schwicker  (Schlufs).   —    Geistiges  Leben    in  Oesterreich    und   Ungarn.  —  etc. 

Statistische  Monatschtift.  Herausgegeben  von  der  k.  k.  statistischen  Central- 
kommission  Jahrg.  XX,  Heft  8  u  9:  August  -  September  1894:  Die  Hauptergebnisse 
der  österreichischen  Berufsstatistik  (2  Abhandlung),  von  H  Rauehberg.  —  Die  Produktion 
von  Cocons,  Honig  und  Wachs  in  den  im  Reichsrate  vertretenen  Königreichen  und  Län- 
dern im  Jahre  1893.  —  Oesterreichs  Sparkassen  im  Jahre  1892,  von  H.  Ehrenberger.  — 
Die  Zahl  der  registrierten  Erwerbs-  und  Wirtschaftsgenossenscbaften  Oesterreichs  im  Jahre 
1893,  von  H.  Ehrenberger.  —  Die  Fischerei  an  der  adriatischen  Küste  Oesterreichs  im 
Jahre  1892/93,  von  K.  Krafft.  —  Die  internationale  statistische  Berichterstattung  der 
Zuckerindustriellen,  von  E.  Kutschera.  —  Der  Fremdenverkehr  in  Oesterreich  1893,  von 
li    v    Tomaschek.   —  Ein   Amt  für  Arbeitsstatistik  in   Spanien.  —  etc. 

D.  Ru  fs  1  an  d. 
Bulletin  russe  de  statistique  financiere  et  de  legislation.  Ire  annee,  1894,  N°  7: 
Septembre  :  La  balance  des  paiements  et  de  repartition  geographique  des  valeurs  inter- 
nationales. —  Uu  erreur  du  „Journal  des  Economistes"  on  ,.il  ne  faut  pas  reprendre  dans 
scn  ecart,  ni  dans  celui  des  autres'-,  par  (Slavophile).  —  Le  budget  de  la  dette  publique 
pour  1895.  Comparaison  avec  le  budget  de  1887.  —  Circulation  des  billets  de  credit  et 
dette  flottante  (1881  ä  1894).  Ressources  metalliques  de  la  Banque  de  Russie  et  du 
Tresor.  —  La  legislation  economique  et  nuanciere  en  Russie  pendant  les  huit  derniers 
mois.     Bilan  global,  au   1er  janvier   1894,    des  institutions  de  credit  non-gouvernementales 


Die  periodische  Presse  des  Auslandes.  945 

ftisant  des  Operations  a  court  terme.  Publie  par  J.  E.  Joukovski  dans  le  „Viestnik 
FinaDeof".  —  Banque  de  Russie.  Situation  comparative  des  principaux  comj)tes  au  lcr  (13) 
des  treize  derniers  mois.  Bilans  au  13  et  au  28  aoüt  1894.  etc.  —  Recettes  des  chemins 
de  fer  pendant  le  premier  trimestre  de  1893  et  de  1894.  —  Resultats  definitifs  del'exploi- 
tation  des  chemins  de  fer  russes  pour  l'annee  1892. —  Tableau  des  recettes  et  des  depenses 
budgötaires  pendant  les  cinq  premiers  mois  de  1894.  —  Production  des  nsines,  fabriques 
et  manufactures  russes  en   1892.   —  etc. 

E.  Italien. 
Giornale  degli  Economisti.  Rivista  mensile.  Novembre  1894:  Sul  trattamento 
di  quistioni  dinamiche,  per  E.  Barone.  —  La  riforma  bancaria,  per  P.  des  Essars.  —  II 
riordinamento  delle  Börse  di  commercio,  per  G.  Valenti  (continuazione  e  fine).  —  L'Asso- 
i-iazione  francese  per  l'avanzamento  delle  science  a  Caen,  per  P.  des  Essars.  —  Lettera 
del  (prof.)  Sombart  alla  Direzione  del  Giornale  degli  Economisti.  —  Providenza,  per  C. 
Bottoni.  —  Cronaca :  Le  elezioni  nel  Belgio  e  loro  conseguenza  in  Italia.  Le  proposte 
del  Com.  Cottrau  per  un  migliore  ordinamento  delle  ferrovie,  per  V.  Pareto.  —  Statuto 
del  Laboratorio  di  economia  politica  della  R.  Universitä  di  Torino.  —  Saggio  di  biblio- 
grafia  economica  italiana  1870 — 90  per  A.  Bertolini  (continuazione).  —  La  situazione 
del  mercato  monetario.  — 

G.  Belgien  und  Holland, 
de  Economist  opgericht  door  J.  L.  de  Bruyn  Kops.  XLIII.  jaargang  :  1894. 
Oktober:  Der  Torfstich  in  Friesland  und  die  Frage  des  Trinkgelds  für  die  Torfarbeiter, 
von  R.  Dinger  (I.).  —  Die  Gewerkvereine  in  England,  in  Anlehnung  an  das  Buch  von 
Sidney  und  Beatrice  VVebb:  ,,the  history  of  trade-unionism,  London  1894",  von  N.  G. 
Pierson  (I.).  —  Was  ist  zur  Bekämpfung  der  Arbeitslosigkeit  zu  thun,  von  J.  K.  W.  Quar- 
les  van   Ufford.  —   Wirtscliaftschronik.  —    Handelschronik.  — 

H.     Schweiz. 
Schweizerische    Blätter  für   Wirtschafts-  und    Sozialpolitik.      Halbmonatsschrift 
redigiert  von  O.  Wullschleger.     Jahrg.   II,   1894,    Nr    19,    20    u.    21    v.    1.    u.    15.  Oktober 
u.  v.  1.  November:   Das    Armenwesen    in   der  Stadt  St    Gallen,    von  (Dekan)  C.  W.  Kambli 

—  Eine  Enquete  über  die  Frage  der  Eisenbahnverstaatlichung  in  der  Schweiz.  —  Sozial- 
politische Rundschau  :  Der  Kampf  um  die  Zollinitiative.  Aus  der  Delegiertenversammlung 
•  les  schweizerischen  Grütlivereins  in  Baden  am  29.  u.  30.  September.  Schweizerische  christ- 
lich-soziale Vereinigung.  Zur  englischen  Sozialpolitik.  Wahlen  in  Belgien.  Das  Amt  für 
Arbeitsstatistik  in  Spanien. —  Wirtschaftschronik:  Handel  und  Industrie  der  Schweiz  im 
.Fahre  1893.  Zum  französisch-schweizerischen  Zollkrieg.  Die  Leistungen  der  englischen 
Gewerkvereine.  —  Der  Stand  der  sozialdemokratischen  Partei  in  Deutschland.  —  Gemeind- 
liche Sozialpolitik  :  Errichtung  einer  Anstalt  zur  Versicherung  gegen  Arbeitslosigkeit  im 
Kanton   Basel-Stadt,  Arbeitslosenversicherung  in   Bern.  —  Kleine  Mitteilungen.   —    etc. 

L'Union  postale.  XIXe  volume  N°  10  —  11,  ler  Octobre  et  Ire  Novembre  1894: 
Fondation  et  developpement  de  l'Union  postale  universelle.  —  Un  sauf-conduit  pour  les 
postes,  de  l'annee  1646.  —  Les  postes  suisses  et  l'assurance  populaire.  —  La  caisse 
d'epargne  postale  Autrichienne  en  1893.  —  Etüde  comparative  du  mandat  de  poste  francais 
et  du  mandat  de  poste  en  Suisse  ,  en  Belgique,  en  Allemagne  et  en  Autriche.  —  Ordon- 
nance de  l'empereur    Charles  V  pour  le    maintien  du  monopole  postal  ,    de  l'annee    1545. 

—  etc. 

K.  Spanien. 
El  Economista,  An o  1894  (Madrid).  Nos  436 — 440:  El  empriistito.  —  Produciön 
de  los  metales  preciosos.  —  El  credito  agricolo.  —  Pruduciön  de  oro  en  Filipinas  — 
La  politica  economica  en  Cuba.  —  La  suscripeiön  de  obligaciones  y  el  emprestito.  — 
La  cuestion  monetaria  en  Puerto  Rico.  —  El  presupuesto  de  Francia  para  1895.  —  La 
suscripeiön  de  obligaciones.   —    Los    valores    espanoles.    —  Comercio    exterior    de  Eparia. 

—  etc. 

L.     Amerika. 
Annais  of  the  American  Academy  of  political  and  social  science.     Volume  V,  N°  3, 
November  1894:   Why  had  Röscher  so  little    influence  in  England?    by   W.  Cunningham. 

Dritte  Folge  Bd.  VIII  (LXIII).  60 


946  ^'e  periodische  Presse   Deutschlands. 

—  Reasonable  railway  rates,  by  H.  T.  Newcomb.  —  Economic  function  of  woman  ,  by 
E.  T.  Devine.  —  Relief  work  in  the  Wells  memorial  Institute ,  by  H.  S.  Dudley.  — 
Utility  economics  and  sociology,  by  E.  H.  Giddings.  —  Organic  concept  of  Society,  by 
S.  N.  Patten.  —  Clark's  use  of  „Rent"  and  „profus",  by  J.  H.  Hollander.  —  Personal 
notes.  —  Notes  on  municipal  government :  Philadelphia,  New  York,  Chicago,  Berlin, 
Italian  cities ,  by  L.  S.  Rowe.  —  Supplement:  Constitution  of  tbe  kingdom  of  Italy, 
tranlated  and  supplied  with  an  introduction  and  notes  by  S.  M.  Lindsay  and  L.  S. 
Rowe.  — 

Bulletin  of  the  American  Geographical  Society  published  quarterly,  Vol.  XXVI, 
N°  3,  September  30,  1894  :  The  American  cave-dwellers;  the  Tarahumaris  of  the  Sierra 
Madre,  by  C.  Lumholtz.  —  Für  Seals  and  the  Bering  Sea  arbitration ,  by  J.  Stanley 
Brown.  —  Geographical  notes,  by  G.  C.  Hurlbut.  —  Washington  letter.  Map  of  the 
Siberian  railway.  — 


Die  periodische  Presse  Deutschlands. 

Annale  n  des  Deutschen  Reichs  für  Gesetzgebung,  Verwaltung  und  Statistik.  Her- 
ausgegeben von  G.  Hirth  und  M.  v.  Seydel.  Jahrg.  XXVII,  1894,  Nr.  11:  Die  neuen 
Handels-  und  Zollverträge  des  Deutschen  Reichs  (Fortsetzung)  :  Handels-  und  Zollvertrag 
mit  Serbien.  (Text  und  Tarife  )  Handels-  und  Schiffahrtsvertrag  mit  Rufsland  vom  10.  n.. 
(29.  I.)  1894.  Tarif  A  und  B;  Schlufsprotokoll ;  Denkschrift:  (Einleitung;  Deutschlands 
Ausfuhr  nach  Rufsland  1892  u.  1893;  Vertragstext;  Zölle  bei  der  Einfuhr  nach  Rufs- 
land.)    etc. 

Archiv  für  soziale  Gesetzgebung  und  Statistik.  Vierteljabresschrift  herausgegeben 
von  H.  Braun.  Band  VII,  1894,  Heft  3  :  Der  österreichische  Strafgesetzentwurf  und  die 
arbeitende  Klasse,  von  H.  Heinemann  (Rechtsanw.,  Berlin).  —  Erweiterung  und  Reform 
der  deutschen  Unfallversicherungsgesetzgebung,  von  E.  Lange  (Berlin).  Die  geplante 
Agrarreform  in  Oesterreich,  von  Mich.  Hainisch  (Wien).  —  Das  Züricher  Gesetz,  betreffend 
den  Schutz  der  Arbeiterinnen,  von  F.  Schuler  (eidgen.  Fabrikinsp.).  —  Das  Gesetz  vom 
29.  VI.  über  die  Hilfs-  und  Pensionskassen  der  Grubenarbeiter,  von  R.  Jay  (Prof.,  Paris). 
—  Der  Vollzug  des  schweizerischen  Fabrikgesetzes,  von  E.  Naef  (Aarau).  —  Gesetz- 
entwürfe betr.  die  Errichtung  von  Berufsgenossenschaften  der  Landwirte  und  von  Renten- 
banken in  Oesterreich.   —  etc. 

Archiv  für  Post  und  Telegraphie.  Nr.  18  und  19.  September  und  Oktober  1894: 
Ein  Beitrag  zur  Geschichte  und  zum  Verkehrsleben  der  Insel  Sylt,  insbesondere  des 
Orts  Westerland.  —  Das  Verkehrswesen  in  Canada.  —  Fernsprechverkehr  Dänemark- 
Schweden.  —  Zum  20-jährigen  Bestehen  des  Weltpostvereins.  —  Ein  Beitrag  zur  Ge- 
schichte der  Post  in  den  V.  Staaten  von  Amerika.  —  Das  Telegraphenwesen  des  Frei- 
staates  Columbien.    —  etc. 

Christlich-soziale  Blätter.  Katholisch-soziales  Centralorgan.  Jahrg.  XXVII, 
1894,  Heft  19  und  20:  Denkschrift  über  die  Lage  der  Landwirtschaft  und  die  Organi- 
sation des  Bauernstandes  (Fortsetzung).  —  Was  ist  der  Wert?  Eine  Studie  von  Wilh. 
Hohoff.  —  Generalversammlung  der  Präsides  der  katholischen  Arbeitervereine  Deutsch- 
lands. —  Neues  aus  Oesterreich,  von  A.  Tr.  —  Sozialpolitische  Rundschau  XI.   — 

Deutsche  Revue  über  das  gesamte  nationale  Leben  der  Gegenwart.  Herausge- 
geben von  R.  Fleischer.  Jahrg.  XIX,  1894,  November:  Was  in  Ostasien  geschehen 
mufs  !  von  M.  v.  Brandt.  —  Aus  dem  Briefwechsel  Georg  Friedrich  Parrots  mit  Kaiser 
Alexander  I.,  von  Fr.  Bienemann.  —  Fürst  Bismarck  und  die  Parlamentarier  V.,  von 
H.  v.  Poschinger.  —  Unsere  Kunstausstellungen,  von  A.  v.  Heyden.  —  Erinnerungen 
aus  dem  Leben  von  Hans  Viktor  v.  Unruh,  von  H.  v.  Poschinger  (VIII)  —  Alexander  III.. 
Kaiser  von   Rufsland,  von  (Graf)  Greppi.  —  etc. 

Deutsche  Rundschau.  Band  LXXX  (Juli,  August  und  September  1894):  Ein 
Staatsmann  der  alten  Schule.  Aus  dem  Leben  des  mecklenburgischen  Ministers  Leopold 
v.   Plessen.     Nach    Staatsakten    etc.    von    L.   v.    Hirschfeld    (VI,  VII,    VIII    [Schlufs.])  — 


Die   periodische   Presse   Deutschlands.  947 

Aus  den  Tagebüchern  Theodor  v.  Bernhardts  (1847  — 1887):  Die  letzten  Zeiten  dei 
,, neuen  Aera",  Januar  bis  März  1862  (I.  und  II.).  —  Wirtschafts-  und  finanzpolitische 
Rundschau.  —  Zur  Entwickelungslehre  und  Ethnographie,  von  W.  Bölsche.  —  Der 
deutsche  Volkscharakter  im  Spiegel  der  Religion,  von  O.  Pfleiderer.  —  Die  deutsche 
Universität  als  Unterrichtsanstalt  und  als  Werkstätte  der  wissenschaftlichen  Forschung, 
von  Fr.  Paulsen.  —  Die  koreanische  Frage  von  M.  v.  Brandt.  —  Ludwig  Bambergeis 
Charakteristiken,  von   O.   Hartwig    —   etc. 

Journal  für  Landwirtschaft.  Im  Auftrage  der  k.  Landwirtschaftsgesellschaft  zu 
Hannover  herausgegeben  und  redigiert  von  (Prof.)  G.  Liebscher.  Band  XLII,  1894, 
Heft  3 :  Beitrag  zur  Kenntnis  der  Streptokokken  der  gelben  Galt,  von  L.  Adamet/. 
(Prof.,  Krakau).  —  Forschungen  auf  dem  Gebiete  der  Milchviehhaltung,  von  (Prof. 
Backhaus  (Göttingen).  —  Zur  Frage  der  Ziegenhaltung  in  Deutschland,  von  Herrn.  Hucho 
^Privatdoz.,  Leipzig).   — 

Masius'  Rundschau.  Blätter  für  Versicherungswissenschaft,  Versicherungsrecht  etc. 
Neue  Folge  Jahrg.  VI,  1894,  Heft  10:  Der  Reinzuwachs  als  Kriterium  der  Güte  einer 
Lebensversicherungsgesellschalt.  —  Die  Magdeburger  Feuerversicherungsgesellschaft.  — 
Internationaler  Transportversicherungsverband.  —  Die  Mortalitätsverhältnisse  der  Lehrer 
nach  den  Erfahrungen  der  Lebensversicherungsbank  f.  Deutschland  zu  Gotha.  —  Die 
Verwaltungskosten  der  englischen  Lebensversicherungsgesellschaften.  —  Die  Hagelver- 
sicherung und   der  Bund  der  Landwirte.  —   etc. 

Neue  Zeit,  die.  Jahrg.  XIII,  1894—95,  Bd.  I,  Nr.  1  —  6:  Zur  Geschichte  des 
Urchristentums,  von  Fr.  Engels.  —  Aus  den  Vereinigten  Staaten,  von  F.  A.  Sorge.  — 
Bemerkungen  zur  Weismannschen  Theorie.  —  Ein  Kapitel  kapitalistischer  Expropriation, 
von  Ed.  Bernstein.  —  Der  Geschlechtstrieb  (Referat  über  die  Schrift  gleichen  Titels  von 
Hegar),  von  L.  Freyberger.  —  Die  Arbeitervereine  in  Holland,  von  H.  Polak.  —  Der 
bevorstehende  Parteitag  der  deutschen  Sozialdemokratie,  von  A.  Bebel.  —  Keinen  Mann 
und  keinen  Groschen!  Einige  Betrachtungen  über  das  bayerische  Budget.  —  Zur  3.  Auf! 
von  Fr.  Engels'  ,, Herrn  Eugen  DühriDgs  Umwälzung  der  Wissenschaft",  von  Ed.  Bern- 
stein. —  Zur  Selbstkritik  des  Sozialismus.  —  Die  Statistik  der  Reichspostverwaltung.  — 
Professorenhonorare.  —  Einiges  über  Holländisch-Ostasien,  von  H.   Polak.  —  etc. 

Preufsische  Jahrbücher.  Herausgegeben  von  Hans  Delbrück.  Band  LXXVIII, 
Heft  2,  November  1894:  Die  Neutralisation  Dänemarks,  von  K.  v.  Bruchhausen.  — 
Die  Verfassung  der  Kollegialgerichte  und  die  Unabhängigkeit  der  Rechtspflege,  von 
E.  Schiffer  (ARichter  in  Zabrze).  —  Marie  Antoinette  im  Kampfe  mit  der  Revolution, 
von  (Prof.)  M.   Lenz  (Berlin).     (II.  Artikel.)  —  Die  Polenfrage,   von  H.  Delbrück.   —  etc. 

Vereinsblatt  für  Deutsches  Versicherungswesen.  Jahrgang  XXII,  1894,  Nr.  10 
und  11  :  Internationaler  Transportversicherungsverband.  23.  (ord.)  Generalversammlung 
abgehalten  in  Baden-Baden  vom  17.  bis  19.  Sept.  1894.  —  Feuerversicherungsergebnisse 
des  Jahres  1893.  —  Die  Geschäftsergebnisse  der  skandinavischen  Lebensversicherungs- 
gesellschaften im  Jahre   1893.  — 

Zeitschrift  des  k.  bayerischen  statistischen  Bureaus.  Redigiert  von  dessen  Vor- 
stand (ORegR.)  C.  Rasp.  Jahrg.  XXVI,  1894,  Heft  2  :  Die  zwangsweise  Veräufserung 
landwirtschaftlicher  Anwesen  in  Bayern  im  Jähre   1893,  von  C.   Rasp.     (Mit   1  Diagramm.) 

—  Statistische  Nachweisungen  über  die  Armenpflege  im  KR.  Bayern  für  das  Jahr  1892. 
von  (RegAss.)  Steiner.  —  Die  Versicherungsstatistik  im  KR.  Bayern  für  das  Jahr  1892 
Referent  (ORegR)  C.   Rasp.   —  Die  Bewegung    der  Gewerbe    in   Bayern    im  Jahre   189S. 

—  Geburts-  und  Sterblichkeitsverhältnis  in  einer  Anzahl  bayerischer  Städte  im  2.  Viertel- 
Jahre  1894.  — 

Bericht  ignng. 
Für  den  Artikel  des  Herrn  Lindenberg,  Heft  4  und   5  dieses  Bandes,  sind  uns  nach- 
träglich von   dem  Verf.   folgende  Korrekturen  zugegangen  : 

S.  594  Z.  14  v.  unten,  lies  statistischen  statt  statistische. 
S.  597,  Z.  18  v.  unten,  lies  Bewegung  statt  Berechnung. 
S.   717,  Z.  6  v.  oben,  lies  ein  statt  an. 

S.   719,  Z.   1   v.   unten  (Anm    2)  hinter  Reich  einfügen:   1893. 
S.   724,  Z.   3  v.  unten  (Anm.    1)  lies  Einführung  statt  Einfuhr. 


Frommannsche  Buchdruckerei  (Hennann  Pohle)  In  Jena. 


948  Bitte. 


Bitte. 

Umfangreiche  Studien  über  das  in  neuerer  Zeit  so  häufig  genannte 
Thema  der  Proportionalwahl  und  Minoritätenvertretung 
haben  mich  dazu  veranlafst,  eine  alle  Länder  und  Zeiten  umfassende 
Bibliographie  der  gesamten  über  diesen  hochwichtigen  Stoff  vorhandenen 
Litteratur  zu  unternehmen.  Die  bekannten  Schriftea  von  Gageur  und 
Rosin  enthalten  mit  ihren  immerhin  ziemlich  auegedehnten  Litteratur- 
nachweisen  wenig  mehr  als  eine  Vorarbeit  dazu;  erst  eine  wirkliche 
Bibliographie  von  der  Art  der  von  mir  geplanten  würde  es  den  Gelehrten 
ermöglichen,  gründliche  Studien  über  diesen  Stoff  anzustellen.  In  Auf- 
sätzen und  Abhandlungen,  in  Zeitungen  und  Zeitschriften,  ferner  in  einzelnen 
Stellen,  welche  sich  in  wissenschaftlichen  Werken  aller  Art  zerstreut 
finden,  sowie  in  Spezialschriften  gröfseren  und  kleineren  Umfangs  bis  zu 
einfachen  Flugblättern  herunter  sind  die  litterarischen  Erörterungen  über 
die  Proportionalwahl  im  Laufe  der  Zeit  (sie  reichen  mindestens  bis  1780 
zurück)  zu  einer  schier  unübersehbaren  Flut  angeschwollen ,  zu  deren 
Bewältigung  die  Kraft  des  Einzelnen  entfernt  nicht  ausreicht.  Ich  sehe 
mich  daher  iu  die  dringendste  Notwendigkeit  versetzt,  die  hilfreiche 
Gefälligkeit  aller  Derjenigen  in  Anspruch  zu  nehmen,  welche  von  solchen 
Aufsätzen ,  zerstreuten  Stellen  und  sonstigem  Material  Kenntnis  haben 
sollten,  gleichviel  ob  dieselben  der  Hauptsache  nach  oder  nur  nebenher 
das.  Thema  berühren.  Pro  und  contra  wird  in  meiner  Arbeit  gleich- 
raäfsig  berücksichtigt.  Jede  auch  die  kleinste  Mitteilung  wird  mit  leb- 
haftestem Dank  entgegengenommen  und  auf  das  Sorgfältigste  beachtet 
werden.  Drucksachen,  die  man  mir  gütigst  leihweise  zur  Verfügung  stellt, 
-ollen  auf  das  Peinlichste  geschont  und  baldmöglichst  zurückerstattet  werden. 

Königsberg  i.  Pr.,  Französischer  Schulplatz,   links, 
im  November   1894. 

R.  Siegfried, 
Schriftsteller. 


HB  Jahrbücher  für 

5         Nationalökonomie 

J35        und  Statistik 

Bd.  63 


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